Programmheft (PDF) - Festival des mittel- und osteuropäischen ...
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26<br />
PORTRäT HOMMAGE PORTRäT<br />
DREIFACHPROGRAMM<br />
Caligari: 19.04. / 14:00 Uhr<br />
SEGODNyA My POSTROIM DOM<br />
/ HEUTE BAUEN WIR EIN HAUS<br />
/ TODAy WE ARE GOING TO BUILD A HOUSE<br />
Russland 1996<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa, Marat Magambetov<br />
28 Min, 35mm, s/w, kein Dialog<br />
Loznitsas gemeinsam mit Ko-Regisseur<br />
Marat Magambetov gedrehtes Frühwerk<br />
nimmt sich einem einzigen Tag<br />
auf einer Baustelle an, komponiert aus<br />
einfachen Vorgängen, Bewegungen <strong>und</strong><br />
Musik das Ungewöhnliche im Alltäglichen,<br />
passt es zwischen Sonnenaufgang<br />
<strong>und</strong> Sonnenunteruntergang ein. In einer<br />
Gleichmütigkeit gehen die Arbeiter ihren<br />
Beschäftigungen nach, meist abgelenkt,<br />
pausierend <strong>und</strong> wenig konstruktiv. Und<br />
doch wächst etwas, offenbart sich eine<br />
Symphonie der Entstehung, deren Leichtigkeit<br />
sich vor allem aus dem Gedanken<br />
an das Resultat, einer Herberge, Unterkunft,<br />
eines Zuhause ver<strong>mittel</strong>t.<br />
WERKSTATTGESPRäCH MIT<br />
SERGEI LOZNITSA<br />
MONTAG, 23. APRIL UM 18 UHR IM<br />
FESTIVALZENTRUM<br />
Moderation: Maria Baker-Choustova<br />
(Filmpublizistin <strong>und</strong> Creative Producer<br />
von Loznitsas neuem Filmprojekt IN THE<br />
FOG / V TUMANE)<br />
Das goEast-Porträt ist in diesem Jahr dem Regisseur Sergei Loznitsa gewidmet. Bevor<br />
er 2010 mit seinem unbarmherzigen Hinterland-Schocker MEIN GLÜCK für Wirbel<br />
<strong>und</strong> Begeisterungsstürme gesorgt hat, kannte ihn jene Filmwelt, die dem Kurzen <strong>und</strong><br />
Dokumentarischen nahe steht, als feinfühligen ästheten mit kompromisslosem Blick,<br />
kommentarloser Ausdauer <strong>und</strong> cine-technischer Raffinesse. Doch hinter der forcierten<br />
Formgebung steckte von Anfang an die Vision, konkreten (meist ländlichen) Atmosphären<br />
– in den Peripherien <strong>und</strong> Hinterhöfen <strong>des</strong> russischen Alltags – adäquate<br />
Bilder zu geben. Loznitsas Arbeiten lassen in ihrer Gegenüberstellung von Mensch <strong>und</strong><br />
Material, von Bewegung <strong>und</strong> Stillstand eine subversive Sicht auf die zu beobachtenden<br />
Geschehnisse sowie die dahinterliegende Gesellschaftsproblematik zu. Die Routinen<br />
<strong>des</strong> Alltags, sie bergen in seinen Filmen mal etwas Mythisches, mal etwas Fröhliches,<br />
zuweilen etwas bitter Schwermütiges.<br />
Der 1964 in Weißrussland geborene <strong>und</strong> heute in Deutschland lebende Loznitsa erlernte<br />
sein Handwerk an der VGIK, der Staatlichen Russischen Filmhochschule. Zuvor<br />
hatte er ein Studium der Angewandten Mathematik am Polytechnischen Institut in Kiev<br />
absolviert. Sein bisheriges Schaffen umfasst zwölf Filme. goEast präsentiert eine komplette<br />
Werkschau.<br />
Alle Filmvorstellungen finden in Anwesenheit <strong>des</strong> Regisseurs statt.<br />
ZHIZN, OSEN / LEBEN, HERBST<br />
/ LIFE, AUTUMN<br />
Deutschland 1998<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa, Marat Magambetov<br />
34 Min, 35mm, s/w, rus OmeU<br />
War die erste der beiden in Ko-Regie<br />
mit seinem VGIK-Kommilitonen Marat<br />
Magambetov entstandene Arbeit HEUTE<br />
BAUEN WIR EIN HAUS noch von sichtbarer<br />
Ironie geprägt, so ließ LEBEN,<br />
HERBST, das Porträt <strong>des</strong> klassisch ländlichen<br />
russischen Lebens unweit der<br />
Stadt Smolensk, bereits ahnen, in welche<br />
Richtung sich das Oeuvre Loznitsas<br />
entwickeln sollte. Die augenzwinkernden<br />
Bilder werden von einer Nostalgie überlagert,<br />
die ihre anachronistische Patina<br />
abzulegen versteht. Hier dominiert ein<br />
Zeit-Bild, in dem jenseits der markanten,<br />
schwarz-weiß konturierten Oberfläche<br />
der Mensch im Still-Leben sichtbar wird:<br />
Mag er auch im materiellen Defizit leben,<br />
so bleiben doch Werte: Gr<strong>und</strong>elemente<br />
eines gewissen Glücks.<br />
DOPPELPROGRAMM<br />
Alpha: 20.04. / 16:00 Uhr<br />
PORTRET / PORTRäT / PORTRAIT<br />
Russland 2002<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
28 Min, 35mm, s/w, kein Dialog<br />
Eine Sammlung von Ganzfiguren-Porträts<br />
zeigt Arbeiter <strong>und</strong> Handwerker in ihrer<br />
authentischen Lebenswelt. Regungslos<br />
sitzen <strong>und</strong> stehen die Menschen in der<br />
Landschaft, stumm fixieren sie die statische<br />
Kamera. Wiederholt wird die soziale<br />
Darstellung der Personen durch Bilder<br />
einer archaisch anmutenden Umwelt ergänzt.<br />
Der Wechsel der Jahreszeiten bestimmt<br />
das Leben in diesem ländlichen<br />
Teil Russlands. In PORTRÄT zerfließen<br />
die Grenzen zwischen Malerei, Fotografie<br />
<strong>und</strong> Film. Die erstarrten Bildnisse widersetzen<br />
sich dem zeitlichen Fluss der filmischen<br />
Bilder <strong>und</strong> werfen damit Fragen<br />
nach Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Differenzen<br />
der unterschiedlichen Kunstformen auf.<br />
POLUSTANOK / HALTEPUNKT<br />
/ THE TRAIN STOP<br />
Russland 2000<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
25 Min, 35mm, s/w, kein Dialog<br />
Eine Ansammlung von Menschen, schemenhaft,<br />
zusammengekauert an jenem<br />
Haltepunkt, einer Bahnhofsstation, bei-<br />
nahe leblos ausharrend, im Schlaf vereint.<br />
Nur ihr Atmen verrät ihre weltliche<br />
Existenz. Doch worauf warten sie? Es<br />
ist eine Elegie <strong>des</strong> Stillstan<strong>des</strong>, die<br />
Loznitsa uns hier ver<strong>mittel</strong>t, in der das<br />
Moment der Bewegung fast ausschließlich<br />
über die Geräuschkulisse sich ergibt<br />
<strong>und</strong> über das, was nicht im Bild<br />
zu sehen ist. Dennoch präsentiert der<br />
Regisseur Bewegung <strong>und</strong> Bewegungslosigkeit<br />
in eigentümlicher Harmonie.<br />
Und gleichzeitig erzwingt die kontemplative<br />
Kamera die Frage, wann der<br />
Mensch erwacht <strong>und</strong> jenen Ort verlässt.<br />
PEyZAZH / LANDSCHAFT / LANDSCAPE<br />
Deutschland 2003<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
60 Min, 35mm, Farbe, rus OmeU<br />
Nach Erk<strong>und</strong>ung der Umgebung nähert<br />
sich die Kamera zu Beginn der Bushaltestelle<br />
eines kleinen Dorfes. An<br />
diesem Ort zeigen die sich ständig wiederholenden<br />
Kameraschwenks wie in einer<br />
endlosen Schleife die Gesichter der<br />
wartenden Menschen. Aus dem Off sind<br />
Satzfetzen zu hören. Die Gespräche<br />
kreisen um Themen wie Alkoholismus<br />
<strong>und</strong> häusliche Gewalt, Krankheiten <strong>und</strong><br />
den Krieg in Tschetschenien. Vor dem<br />
Zuschauer entfaltet sich durch die meisterhafte<br />
Inszenierung dieser alltäglichen<br />
Situation eine audiovisuelle Landschaft<br />
aus Gesichtern <strong>und</strong> Dialogen. Loznitsa<br />
spürt den Ängsten <strong>und</strong> Sorgen in alltäglichen<br />
Lebenswelten nach.<br />
POSELENIE / DIE SIEDLUNG<br />
/ THE SETTLEMENT<br />
Russland 2001<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
80 Min, 35mm, s/w, kein Dialog<br />
Als sich der morgendliche Dunst lichtet,<br />
beginnt in der abgelegenen Siedlung ein<br />
neuer Tag. Männer <strong>und</strong> Frauen ernten<br />
Heu <strong>und</strong> Kartoffeln auf den Feldern <strong>und</strong><br />
hacken Holz im nahegelegenen Wald.<br />
Bei fortschreitender Betrachtung fallen<br />
ihr unbeholfener Gang, die Zerstreutheit<br />
ihrer Handlungen <strong>und</strong> ihre verwirrten<br />
Blicke auf. Es sind Menschen mit psychischen<br />
Problemen, die an diesem Ort<br />
in Eintracht mit der Natur leben. Ihren<br />
Tagesablauf beobachtet Loznitsa aus<br />
respektvoller Distanz. Ein Bild <strong>des</strong> mythischen<br />
Orts Arkadien entsteht, an <strong>des</strong>sen<br />
Ende der Regisseur mit einem „Ave<br />
Maria“ die Würde eines jeden Individuums<br />
betont.<br />
Alpha: 19.04. / 18:00 Uhr<br />
DOPPELPROGRAMM<br />
Alpha: 21.04. / 18:00 Uhr<br />
FABRIKA / DIE FABRIK / FACTORy<br />
Russland 2004<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
30 Min, 35mm, Farbe, kein Dialog<br />
Die Monotonie der ewig gleichen Handgriffe<br />
<strong>und</strong> Tätigkeiten in einer postsozialistischen<br />
Fabrik, die sich wie ein<br />
archaisches W<strong>und</strong>er aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
bis zu uns herübergerettet hat,<br />
bietet Loznitsa die Spielfläche für eine<br />
Studie zwischen Ästhetik <strong>und</strong> Soziologie.<br />
Mit „Stahl“ <strong>und</strong> „Ton“ sind die<br />
beiden konzeptionellen Teile <strong>des</strong> Werks<br />
überschrieben, – zweimal tauchen wir<br />
ein in den Rhythmus der Arbeitsserien,<br />
in ein Feuerwerk an Umdrehungen <strong>und</strong><br />
Schwingungen, an Glutspuren <strong>und</strong> Tonmassen.<br />
Das Industriezeitalter ist noch<br />
längst nicht vorbei. Schon gar nicht da,<br />
wo sich vor dem Werk eine schier endlose<br />
Wand aufbaut – mit Namen <strong>und</strong><br />
Porträts der „Besten der Besten“.<br />
DOPPELPROGRAMM<br />
<strong>Festival</strong>zentrum: 23.04. / 20:00 Uhr<br />
ARTEL / ARTEL / ARTEL<br />
Russland 2006<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
30 Min, DigiBeta, s/w, kein Dialog<br />
„Artel“ bedeutet: Mannschaft, Crew, Arbeitskollektiv.<br />
Wie Strichmännchen verlieren<br />
sich die fest eingepackten Fischer hier<br />
in der Landschaft, die da ist: weiß, eiskalt,<br />
von Schneewehen umhüllt. Ein Blick hinaus<br />
aus einer Bruchbude gibt diese unwirtliche<br />
Kulisse frei, hierher verirrt sich<br />
nur H<strong>und</strong>egebell oder Vogel gezwitscher.<br />
Ansonsten dominieren die Geräusche der<br />
Eisfischer <strong>und</strong> ihrer Geräte. Es ist ein kleines,<br />
stilles Werk Loznitsas, das aber zeigt,<br />
worauf es (ihm) ankommt: Stilsicherheit,<br />
langes, geduldiges, fast zärtliches<br />
Hinschauen <strong>und</strong> Hinhören, auf einfache<br />
Handbewegungen – die dann als so einfach<br />
sich auch nicht erweisen, ja Exzesse<br />
der Tragikomik heraufbeschwören.<br />
BLOKADA / BLOCKADE / BLOCKADE<br />
Russland 2005<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
52 Min, 35mm, s/w, kein Dialog<br />
Es war das Kriegstrauma schlechthin:<br />
die 900 Tage der Blockade Leningrads<br />
zwischen 1941 <strong>und</strong> 1944. Bis heute<br />
werden für die Zeit <strong>des</strong> verzweifelten<br />
Ausharrens <strong>und</strong> <strong>des</strong> Massensterbens<br />
Bilder gesucht. Gemeinsam mit dem<br />
Archivar <strong>des</strong> Petersburger Dok-Studios<br />
hat Loznitsa handverlesenes Stummfilmmaterial<br />
gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> eine einzigartige<br />
Vertonung <strong>und</strong> Neuerzählung <strong>des</strong><br />
Alltags im Ausnahmezustand komponiert.<br />
Szenen r<strong>und</strong> um Feuerwehreinsätze<br />
verdichten sich, das Kanonentreiben<br />
wird zum akustischen Ereignis.<br />
Mit einem Mal liegen Leichen da. Zum<br />
Schluss versammelt sich das Volk, um<br />
dem Spektakel einer öffentlichen Hinrichtung<br />
beizuwohnen.<br />
SEVERNyy SVET / NORDLICHT<br />
/ NORTHERN LIGHT<br />
Frankreich 2008<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
52 Min, DigiBeta, Farbe, rus OmeU<br />
Beobachtungen von Kontrast <strong>und</strong> Extremen:<br />
In einer unwirtliche Welt unzählige<br />
Kilometer abseits jeglicher Zivilisation<br />
dokumentiert Loznitsa das Leben einer<br />
Familie, die den widrigen Umständen in<br />
den Weiten der schneebedeckten Landschaft<br />
trotzt. Das Publikum taucht ein<br />
in eine andere Dimension. Gedämpfte<br />
Emotionen, Nachdenklichkeit <strong>und</strong> eine<br />
vermeintliche Gelassenheit bilden sich<br />
ab in langen Einstellungen. Konflikte finden<br />
über Worte abseits <strong>des</strong> Blickfel<strong>des</strong><br />
statt, Spannungen gipfeln in Rückzugsversuchen,<br />
innerhalb derer die Weite <strong>des</strong><br />
Territoriums eine große Beengtheit bereithält.<br />
Und gleichzeitig finden die beiden<br />
Mädchen in ihrem Spiel einen Weg, eine<br />
unerwartete Leichtigkeit in dieser Einöde<br />
zu zelebrieren.<br />
PREDSTAVLENIE / DIE VORSTELLUNG<br />
/ REVUE<br />
Deutschland, Russland, Ukraine 2008<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
83 Min, 35mm, s/w, rus OmeU<br />
Das Leningrader jetzt St. Petersburger<br />
Dokumentarfilmstudio erarbeitete sich<br />
seit den späten 1960er Jahren den Ruf,<br />
eine eigene Schule etabliert <strong>und</strong> nichtfiktionale<br />
Kleinode hervorgebracht zu<br />
haben, die von ästhetisch bemerkenswerten<br />
Autorenhandschriften <strong>und</strong> dem<br />
freien Geist <strong>des</strong> Humanen signiert waren.<br />
Was Loznitsa als Sprössling dieser<br />
Schule in DIE VORSTELLUNG nun aus<br />
hauseigenen ‚Kino-Journalen’ wie NASH<br />
KRAY / UNSERE REGION macht, ist die<br />
filmhistorisch wesentliche Weiterentwicklung<br />
<strong>des</strong> Montage-Films als Genre,<br />
begründet von Esfir Shub: präzises Sezieren,<br />
analytische schräge Betrachtung,<br />
spielerischer Umgang mit dem ritualisierten<br />
Sowjetalltag in Zeiten <strong>des</strong> Kalten<br />
Kriegs.<br />
Alpha: 24.04. / 18:00 Uhr<br />
Frechheit<br />
Fair<br />
27<br />
SCHASTE MOE / MEIN GLÜCK / My JOy<br />
Deutschland, Ukraine, Niederlande 2010<br />
/ Regie: Sergei Loznitsa<br />
127 Min, 35mm, Farbe, rus OmeU<br />
Loznitsas Roadmovie r<strong>und</strong> um den Lastwagenfahrer<br />
Georgiy ist hyperrealistisch,<br />
finster-grotesk <strong>und</strong> fabelhaft erzähllustig.<br />
Ein gewieftes Spiel mit den Zeitebenen<br />
wird da getrieben, ein Jonglieren mit den<br />
historisch neuralgischen Knotenpunkten,<br />
insbesondere was die Konsequenzen unaufgearbeiteter<br />
Kriegs-Geschichte/n betrifft.<br />
Das postsowjetische Reich als grausames<br />
Märchen für Erwachsene, in dem<br />
To<strong>des</strong>engel Arglose in verfluchte Wälder<br />
führen <strong>und</strong> die Geschichte an den Rändern<br />
der Landstraßen <strong>und</strong> Wirtschaftswege<br />
umgeht – in Gestalt von namenlosen<br />
Alten, die ihre Anekdoten nie zu Ende<br />
erzählen.<br />
Palatin, Mainz: 22.04. / 20:00 Uhr<br />
Alpha: 24.04. / 20:00 Uhr<br />
Hun<strong>des</strong>teuer<br />
in Wiesbaden: 96 €/Jahr