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Die Anderen - Über mich

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

1


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Man kann einem Menschen nicht den Boden unter den Füßen weg ziehen und dann erwarten,<br />

dass er sich normal benimmt.<br />

John Steinbeck (1902-1968)<br />

<strong>Über</strong> das Buch<br />

Auch die Wiederstandsfähigsten unter den verzweifelten Gefangenen erreichen langsam ihre<br />

Grenzen. Zu schlimm ist das, was ihnen von ihren Entführern angetan wird. Kaum einer unter<br />

ihnen war noch nicht verletzt. <strong>Die</strong> Hölle scheint über sie herein gebrochen zu sein. Doch<br />

gerade, als sie am tiefsten Punkt angelangt sind, schwenkt das Verhalten der Entführer um.<br />

Voller Dankbarkeit greifen die Eingekerkerten nach dem Strohhalm, den man ihnen bietet.<br />

Sie saugen das Wissen, dass man ihnen angedeihen lässt, wie Schwämme in sich auf und<br />

schöpfen ein wenig Hoffnung. Doch dann kommt eine <strong>Über</strong>raschung, die alle kalt erwischt.<br />

Ein Neuzugang stellt die Gefangenen vor ein Problem aus Zweifeln und Misstrauen. Und<br />

ihnen wird immer klarer, dass sie für ihre Rettung selbst nicht das Geringste tun können. Sie<br />

müssen sich ganz auf ihre Kollegen verlassen. Werden diese es schaffen?<br />

<strong>Die</strong> Autorin<br />

Schon immer sagte man mir eine blühende Fantasie nach. Und ich hatte schon immer einen<br />

Hang zum Schreiben. Aufsätze, Diktate, später seitenlange Reiseberichte über unsere<br />

Urlaubsreisen. Meine erste Fanfiktion schrieb ich mit 26. Nicht, dass ich gewusst hätte, dass<br />

es eine Fanfiktion ist! Erst 2007 machte ich Bekanntschaft mit dieser ganz besonderen Art der<br />

Literatur. Und sah plötzlich eine Chance, meine kreative Seite mit anderen zu teilen. Ich legte<br />

los und veröffentlichte meine Ergüsse auf einer Website für Gleichgesinnte. <strong>Die</strong> ersten Leser<br />

stellten sich ein und ich schrieb wie im Rausch weiter. So ist es bis heute geblieben. Ich liebe<br />

das Schreiben und es macht <strong>mich</strong> süchtig, Kommentare von zufriedenen Lesern zu erhalten!<br />

2


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

2<br />

3


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Alle Charaktere aus der Serie gehören dem jeweiligen TV Sender. <strong>Die</strong>se Fanfiktion dient<br />

der reinen Unterhaltung und ist ohne jedes finanzielle Interesse geschrieben<br />

und veröffentlicht worden.<br />

Verantwortung und Copyright für den Inhalt der Geschichte entspringen meiner Fantasie<br />

und sind daher mein Eigentum. Eine Verletzung von Urheberrechten ist nicht beabsichtigt.<br />

4


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dumpfe Verzweiflung ................................................................................................................ 9<br />

Selbst der am Boden liegt, kann noch tiefer fallen. ............................................................................................................................................9<br />

Back to life, back to reality ...................................................................................................... 15<br />

Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem Tod zu entrinnen. .................................................... 15<br />

Dum spiro spero....................................................................................................................... 25<br />

Allen Gewalten zum Trotze sich erheben ... nimmer sich beugen................................................................................................................. 25<br />

Menschenjagd .......................................................................................................................... 33<br />

Ich weiß wohl, vor wem ich fliehen soll, aber nicht zu wem. .......................................................................................................................... 33<br />

Noch mal entkommen ............................................................................................................. 42<br />

Panik: eine Situation, in der niemand weiß, was zu tun ist – und das auch noch schnell. ....................................................................... 42<br />

10 Fragen ................................................................................................................................. 51<br />

Jagd ist immer eine Form von Krieg. ............................................................................................................................................................ 51<br />

External World 8) Spurensuche ............................................................................................ 60<br />

Nicht jeder, der sucht, findet etwas; .................................................................................................................................................................. 60<br />

aber wer etwas gefunden hat, hat es nicht zwingend gesucht, und gut gefunden hat er es auch nicht unbedingt. ...................................... 60<br />

Schlechte Verlierer .................................................................................................................. 67<br />

Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange. .............................................................................................. 67<br />

Casus belli. ............................................................................................................................... 80<br />

<strong>Die</strong> Morde in der Welt zur Rettung der Ehre werden nur von Unehrenhaften begangen. ............................................................... 80<br />

Phase 5: Neuaufbau ........................................................................................................ 91<br />

Nicht das Straucheln ist entscheidend, sondern das Wiederaufrichten, nicht die Resignation, sondern die Hoffnung. ..... 91<br />

Reconstruction ......................................................................................................................... 91<br />

Man kann den Körper nicht ohne die Seele heilen und die Seele nicht ohne den Körper. .................................................................. 91<br />

Angespannte Entspannung ..................................................................................................... 98<br />

Nulla est redemptio ex infernis. ........................................................................................................................................................................ 98<br />

Angst ...................................................................................................................................... 110<br />

Begründetes Misstrauen und berechtigte Hoffnung - wie oft werden doch beide getäuscht. ................................................................. 110<br />

Waffentraining ...................................................................................................................... 119<br />

Auf die Bildung des Charakters haben Zucht und Übung einen bedeutenden Einfluss. ..................................................................... 119<br />

Jogging ................................................................................................................................... 129<br />

Es werden mehr Menschen durch Übung tüchtig als durch Naturanlagen. ........................................................................................... 129<br />

Root treatment ....................................................................................................................... 143<br />

Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt. ................................................................................................... 143<br />

5


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Agony of fear ......................................................................................................................... 151<br />

Mut ist Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit von Angst..................................................... 151<br />

Memorys ................................................................................................................................. 160<br />

<strong>Die</strong> Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erst erträglich. .............................................................. 160<br />

Traumata ............................................................................................................................... 169<br />

Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur, wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme. .................................................................. 169<br />

Leichen im Keller .................................................................................................................. 176<br />

<strong>Die</strong> Trauer ist nicht die Folgeerscheinung unseres Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen. ....................................... 176<br />

Unerwartetes .......................................................................................................................... 189<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist das einzige Produkt, das uns garantiert keine <strong>Über</strong>raschungen erspart. ................................................................. 189<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe ........................................................................................................................... 197<br />

<strong>Die</strong> Ungewissheit schlägt mir tausendfältig die dunklen Schwingen um das Bange Haupt. .............................................................. 197<br />

Am Rande des Abgrundes ..................................................................................................... 204<br />

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. .................................................................... 204<br />

Intensivstation ....................................................................................................................... 212<br />

Liebe mag das Höchste der Gefühle sein, Verzweiflung das Tiefste. ...................................................................................................... 212<br />

Schmerzhafte Heilung ........................................................................................................... 219<br />

Schmerzen wären etwas wunderbares, wenn sie nicht so wehtun würden. .................................................................................................. 219<br />

Es geht bergauf ...................................................................................................................... 230<br />

Geduld und Liebe überwindet alles. ............................................................................................................................................................... 230<br />

Peinliche Fragen ................................................................................................................... 238<br />

Man hört nur die Fragen auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden .............................................................................238<br />

Phase 6: Klarheit ............................................................................................................ 245<br />

Gelehrte Erklärungen rufen meist den Eindruck hervor, dass alles, was klar und verständlich war, dunkel und verworren wird.<br />

................................................................................................................................................ 246<br />

Consternation ........................................................................................................................ 246<br />

Der Tod lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurücklächeln. ................................................................................ 246<br />

Vampir ................................................................................................................................... 253<br />

Ein guter Mensch, ja, wer wäre es nicht gerne. ............................................................................................................................................ 253<br />

Aufklärungsarbeit ................................................................................................................. 261<br />

Der flammende Beweis für die Unsterblichkeit ist unsere Unzufriedenheit mit jeder anderen Lösung. .......................................... 261<br />

Gehorsam ............................................................................................................................... 268<br />

Angst kann man immer in sich finden, man muss nur tief genug suchen. .............................................................................................. 268<br />

Erste Tests .............................................................................................................................. 278<br />

6


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich wenigstens als Kämpfer finden. ........................................................... 278<br />

Beth Turner, Buzz Wire ........................................................................................................ 286<br />

Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man die Augen der Lebenden öffnen. ..................... 286<br />

Carpe diem ............................................................................................................................. 296<br />

Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann klein zu kriegen. .......................................................................................... 296<br />

Der Wille zu Leben ................................................................................................................ 303<br />

Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamen Willen. ................................................................................. 303<br />

Balanceakt ............................................................................................................................. 315<br />

Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen. ................................................................................................ 315<br />

Verblüffende Erkenntnisse ................................................................................................... 331<br />

Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. ..................................................... 331<br />

<strong>Über</strong> die Angst ....................................................................................................................... 344<br />

Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: wovor? ........................................................................................................ 344<br />

External World 9) Suche eingestellt ..................................................................... 354<br />

Hoffnung ist das, was bleibt, wenn man nichts mehr hat. ........................................................................................................................... 354<br />

The worst case ....................................................................................................................... 365<br />

Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie. ................................................................................................................................................. 365<br />

... und kein Ende .................................................................................................................... 374<br />

Hass ist eine zu große Last, als dass man sie alleine tragen könnte. ......................................................................................................... 374<br />

Therapie ................................................................................................................................. 386<br />

Jeder Mensch befindet sich ständig in einem Wachstumsprozess, daher darf niemand je aufgegeben werden. ................................ 386<br />

Mit kleinen Schritten ............................................................................................................. 395<br />

Am Mute hängt der Erfolg. .......................................................................................................................................................................... 395<br />

Erkenntnisse .......................................................................................................................... 410<br />

Es ist durchaus nicht dasselbe, die Wahrheit über sich zu wissen oder sie von anderen hören zu müssen..............................................410<br />

Lebendig begraben ................................................................................................................ 419<br />

Glück und Unglück sind Namen für Dinge, deren äußerste Grenzen wir nicht kennen. ....................................................................419<br />

In letzter Sekunde .................................................................................................................. 428<br />

Der Tod entsetzt uns, selbst wenn wir wissen, dass er kommen wird. ....................................................................................................... 428<br />

Von Laborratten und Versuchskaninchen ........................................................................... 438<br />

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten........................................................................................................................................................... 438<br />

<strong>Die</strong> Folter ............................................................................................................................... 447<br />

Der Wunsch nach dem Geständnis war die Grundlage für die Folter. .................................................................................................. 447<br />

Das Grauen hat einen Namen .............................................................................................. 454<br />

7


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. ....................................................................................................... 454<br />

Schulden ................................................................................................................................ 463<br />

Durch ein Unterlassen kann man genau so schuldig werden wie durch Handeln. ...............................................................................463<br />

<strong>Die</strong> Belohnung ....................................................................................................................... 473<br />

Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert. ................................................................ 474<br />

Nur drei .................................................................................................................................. 481<br />

Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde. ...........................................................................................................481<br />

Endlich eine Spur .................................................................................................................. 490<br />

Alle großen Dinge sind einfach und viele können mit einem einzigen Wort ausgedrückt werden: Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre,<br />

Pflicht, Gnade, Hoffnung. .......................................................................................................................................................................... 490<br />

Befreiungsplan ...................................................................................................................... 497<br />

<strong>Die</strong> Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden. ............................................................................................ 497<br />

Auf Borneo ............................................................................................................................ 506<br />

Wir sind nur dadurch erfolgreich, dass wir uns im Leben oder im Krieg oder wo auch immer ein einzelnes beherrschendes Ziel<br />

setzen, und diesem Ziel alle anderen <strong>Über</strong>legungen unterordnen. ............................................................................................................. 507<br />

Der Angriff ............................................................................................................................ 517<br />

Courage is not the absence of fear, but the strength to do what is right in the face of it. ............................................................................. 517<br />

Gerettet alle, nur zwei fehlen ................................................................................................ 532<br />

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen wenn wir fort gehen. ............................................. 532<br />

Beisetzungen und Trennungen ............................................................................................. 544<br />

Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern nur ein Zwischenereignis, ein <strong>Über</strong>gang aus einer Form des endlichen Wesens<br />

in eine andere. .................................................................................................................................................................................................... 544<br />

12 Monate später ................................................................................................................... 552<br />

Lass die Erinnerung uns nicht belasten mit dem Verdrusse, der vorüber ist. .............................................................................................. 552<br />

Finis coronat opus ......................................................................................................... 563<br />

Psychologisches Gutachten ................................................................................................... 563<br />

Lebensläufe ............................................................................................................................ 575<br />

Lebenslauf Abigail Sciuto ..................................................................................................... 575<br />

Lebenslauf Allison Cameron ................................................................................................ 577<br />

Lebenslauf Beth Turner ........................................................................................................ 579<br />

Lebenslauf Temperance Brennan ........................................................................................ 581<br />

Lebenslauf Seeley Booth ....................................................................................................... 584<br />

Lebenslauf Dana K. Scully ................................................................................................... 586<br />

Lebenslauf Leroy Jethro Gibbs ............................................................................................. 588<br />

8


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Gilbert Grissom .................................................................................................. 592<br />

Lebenslauf Heather Lisinski ................................................................................................. 594<br />

Lebenslauf Gregory House ................................................................................................... 597<br />

Lebenslauf Jacob J. Green ................................................................................................... 599<br />

Lebenslauf Katherine A. Austen ........................................................................................... 601<br />

Lebenslauf John Locke ......................................................................................................... 604<br />

Lebenslauf Mick St.John ...................................................................................................... 606<br />

Lebenslauf Fox W. Mulder ................................................................................................... 609<br />

Lebenslauf Sara Sidle ........................................................................................................... 612<br />

Lebenslauf James Ford ......................................................................................................... 614<br />

Lebenslauf Ziva David .......................................................................................................... 616<br />

Booth, Seeley<br />

Dumpfe Verzweiflung<br />

Selbst der am Boden liegt, kann noch tiefer fallen.<br />

Zelle 2, Tag 3, 15.40 Uhr<br />

Manfred Grau<br />

Status: Verweigert immer noch Nahrungsaufnahme, Selbstgespräche,<br />

starke Unruhe, Pulsfrequenz 118, kaum geschlafen, reagiert am heftigsten<br />

auf die Deprivation.<br />

„Ja, Sir. General Raddick ist schon so gut wie tot, Sir.“ Booth stand in der Mitte der<br />

winzigen Zelle und hätte salutiert, wenn seine Hände nicht wieder an dem Gürtel um seine<br />

Taille fixiert gewesen wären. Er hatte soeben von seinem Vorgesetzten, Major Mitchell<br />

McAllister, den Marschbefehl erhalten. Booth griff sich sein M24 Scharfschützengewehr und<br />

... keuchte entsetzt auf. Sein Opfer, General Raddick, kam auf ihn zu, die M24 im Anschlag,<br />

der Kopf von dem 7,62 mm Geschoss entstellt und zischte Booth an: „Du Dreckskerl hast <strong>mich</strong><br />

vor den Augen meines Jungen umgebracht. Aber du wirst <strong>mich</strong> nicht lange überleben, denn<br />

jetzt werde ich dir den Kopf wegblasen, und dein Sohn darf zusehen. Warrant Officer Booth,<br />

verabschieden Sie sich von ihrem Sohn.“ Seeley sank langsam auf die Knie und keuchte ent-<br />

9


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

setzt: „Nein ....“ Er sah Parker weinen, hörte ihn „DADDY!“, schreien, sah, wie Raddick den<br />

Finger am Abzug krümmte. Und dann war er weg. Booth fand sich in der schwarzen, voll-<br />

kommen stillen Zelle wieder, am Boden kniend, die Finger in seinen Kittel verkrallt. <strong>Die</strong> Reali-<br />

tät hatte ihn wieder. Erneut war er auf eine üble Halluzination herein gefallen. Booth spürte<br />

Tränen auf seinem schweißnassen Gesicht. Und obwohl er sich im selben Moment dafür<br />

hasste, wimmerte er leise: „Ich kann nicht mehr ...“<br />

Langsam sackte er ganz zu Boden und lag schließlich da, auf dem Rücken, blicklos ins<br />

leere Schwarz über ihm starrend und dachte darüber nach, dass die Realität fast schlimmer war<br />

als die Wahnvorstellung eben. Hätte er nicht Parker gesehen und gehört, er hätte Raddick ge-<br />

beten, endlich abzudrücken. Booth hätte alles dafür gegeben, mit jemandem reden zu können,<br />

eine menschliche Stimme zu hören, und wenn sie auch Howard Epps gehört hätte, einem<br />

psychopatischen Serienkiller, den er und Bones vor ein paar Monaten gemeinsam geschnappt<br />

hatten. Der FBI Agent fühlte sich furchtbar. Er hatte seit dem Tag vor der Verlegung in die<br />

Black Box nichts mehr gegessen, da er sich beharrlich weigerte, Nahrung zu sich zu nehmen.<br />

Immer wieder wurde ihm schwindelig. Schlafen konnte er nicht gut, der Bewegungsmangel<br />

machte ihn fast wahnsinnig. Der Grat zwischen Wahnvorstellungen und Realität wurde immer<br />

schwammiger. Seeley fiel es immer schwerer, zwischen beiden zu Unterscheiden. Er war des-<br />

orientiert, hatte Schwierigkeiten, die Toilette oder seine Wasserflasche zu finden. Seit einigen<br />

Stunden (oder waren es schon Tage?) quälten ihn hämmernde Kopfschmerzen. Er musste kein<br />

Arzt sein, um zu wissen, dass sein Herz zeitweise absurd schnell und im nächsten Moment<br />

ebenso absurd langsam schlug. Booth vermutete als Laie Kreislaufinstabilität. Sich auf etwas<br />

bestimmtes zu Konzentrieren gelang ihm schon lange nicht mehr. <strong>Die</strong> ständig wieder<br />

kehrenden Halluzinationen, die durchweg sehr unangenehmer Natur waren, hatten den jungen<br />

Mann zermürbt.<br />

Hätte er sagen müssen, was schlimmer war, die Dunkelheit oder die Stille, er wäre<br />

überfordert gewesen. Fast empfand er die Totenstille als quälender. <strong>Die</strong> kurzen, klaren Befehle,<br />

die er von den Wachen bekam, wenn sein Essen und frisches Wasser gebracht wurden, waren<br />

die einzigen Laute außer seiner eigenen, die Booth hörte und das empfand er als unglaublich<br />

bedrückend. Er wünschte sich so sehr, ein einziges freundliches Wort zu hören. Gleichzeitig<br />

wuchs aber auch das verzweifelte Sehnen nach einem menschlichen Gesicht. Er wollte endlich<br />

wieder etwas sehen können. Er wusste nicht, wie lange er schon hier in der Hölle war und er<br />

wusste nicht, wie lange er noch würde hier ausharren müssen. Das Einzige, was er sicher<br />

wusste war die Tatsache, dass er am Ende war. Er wollte zu den <strong>Anderen</strong> zurück, wollte in<br />

seine schöne, große, helle Zelle, wollte die Gesichter seiner Mitgefangenen wieder sehen,<br />

wollte freundliche, menschliche Stimmen hören, wollte nicht mehr alleine sein im Dunkeln ...<br />

10


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Seeley rollte sich auf die Seite, krümmte sich zusammen, so eng es ihm möglich war und ver-<br />

harrte in dieser Stellung. Sekunden reihten sich zu Minuten, Minuten zu Stunden, und in seiner<br />

Vorstellung wurden aus Stunden endlose Tage. Hätte man ihn gefragt, er hätte sein letztes<br />

Hemd verwettet, schon deutlich länger als die angekündigten fünf Tage in der camera silens zu<br />

stecken. Booth merkte nicht, wie er langsam einschlief.<br />

Gibbs, Jethro<br />

Zelle 3, Tag 4, 6.10 Uhr<br />

Status: Nach schweren Unruhezuständen jetzt entspannt, beinahe<br />

apathisch. Puls stark verlangsamt, liegt bei 44, den Reaktionen nach<br />

immer wieder sensorische Halluzinationen, Nahrungsverweigerung,<br />

Schlafrhythmus gestört.<br />

<strong>Die</strong> Zeit schien still zu stehen. Gibbs war sich sicher, schon erheblich länger in der De-<br />

privation zu sein als angekündigt. Ihm war schwindelig und in seinem Kopf hämmerte ein be-<br />

täubender Kopfschmerz. Er war immer wieder von verschiedenen Halluzinationen auf-<br />

geschreckt worden. Gibbs hatte so was vorher noch nie erlebt und war überrascht, wie real<br />

diese Sinnestäuschungen waren. Wenn sie vorbei waren, wusste er genau, dass er einer Wahn-<br />

vorstellung aufgesessen war. Jedoch solange sie anhielten war er nicht in der Lage, sich daraus<br />

zu lösen und sie als Sinnestäuschung zu erkennen. Ein erschreckendes Phänomen. Als Ari ihm<br />

die Waffe an den Kopf gehalten hatte, war er sicher gewesen, den Lauf an der Stirn zu spüren.<br />

Er konnte sogar das markante Rasierwasser des charismatischen Psychopaten riechen. Er hatte<br />

die Augen geschlossen und wartete auf den alles auslöschenden Knall. Doch nichts geschah.<br />

Als Gibbs die Augen wieder öffnete, sah er nichts als Schwärze, kein Ari, keine Caitlin mit<br />

durchgeschnittener Kehle, kein Waffenlauf, der auf ihn gerichtet war. Zitternd und keuchend<br />

war Gibbs auf die Knie gesunken und brauchte Minuten, um sich zu fangen. - Verfluchter Mist.<br />

- Nie hätte er gedacht, dass die Black Box in so kurzer Zeit solch verheerende Wirkung auf<br />

Geist und Körper haben würde. Er hätte jeden ausgelacht, der ihm gesagt hätte, er, Gibbs, wäre<br />

in kürzester Zeit in der camera silens ein Nervenbündel. Doch der Ex-Marine war ehrlich<br />

genug, sich einzugestehen, dass er genau das war: Ein zitterndes Nervenbündel.<br />

Wenn er auch zum Nachdenken und alleine sein zuhause immer wieder seinen Keller<br />

aufsuchte, in dem er schon am dritten Holzboot baute, war diese erzwungene Isolation hier<br />

etwas ganz anderes. Das Fehlen jedes akustischen oder visuellen Reizes, dass bedrückende<br />

Gefühl des Verlassen seins, nicht zu wissen, was sich außerhalb der Dunkelheit gerade tat,<br />

niemanden zu haben, dem man auch nur Guten Tag wünschen konnte, war derart beklemmend,<br />

dass Gibbs sich selbst über das reale Erscheinen Ari Haswaris gefreut hätte. Hatte er schon<br />

11


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gedacht, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit in seiner Zelle wäre extrem belastend, so wurde<br />

ihm hier mehr als drastisch gezeigt: Es geht immer noch schlimmer. Seit Beginn der Tortur<br />

waren die Fußgelenke mittels der kurzen Kette zusammen gefesselt. <strong>Die</strong> Hände wurden in<br />

wechselnden Positionen mal am Gürtel, mal am Halsreif fixiert. <strong>Die</strong> winzigen Schritte, die er<br />

machen konnte, in dem ebenfalls winzigen Loch hier, weckten nur noch heftiger das ver-<br />

zweifelte Verlangen, sich frei bewegen zu können. Gibbs starrte in die Schwärze. Fast<br />

wünschte er sich eine weitere Halluzination, um überhaupt irgendwas zu sehen. Gibbs hatte<br />

entsetzlichen Hunger, aber er würde nichts Essen, solange er hier noch im Loch steckte. Je<br />

länger der Zustand ohne Nahrungsaufnahme andauerte, desto geringer wurde allerdings auch<br />

der Hunger. Gibbs war müde, er meinte fast, noch nie zuvor so müde gewesen zu sein. Er war<br />

immer wieder eingedöst, aber tiefer, erholsamer Schlaf stellte sich nicht ein, obwohl der<br />

gummigepolsterte Boden der Zelle nicht einmal so unbequem war. <strong>Die</strong> rasenden Kopf-<br />

schmerzen und das allgemeine Unwohlsein verhinderten einen erholsamen Tiefschlaf.<br />

Wieder hämmerte eine Schmerzwelle durch Gibbs malträtierten Kopf und aufstöhnend<br />

wollte der Agent seine Hände an den schmerzenden Schädel legen. <strong>Die</strong>ser Versuch wurde<br />

jedoch schnell von der Tatsache unterbunden, dass seine Hände derzeit wieder auf dem Rücken<br />

am Gürtel fixiert waren. Verzweifelt schloss er die Augen, in der vagen Hoffnung, die<br />

Schmerzen in seinem Kopf damit wenigstens ein bisschen einzudämmen. Stunde um Stunde<br />

hockte Gibbs reglos da, die Augen geschlossen, in einem Dämmerzustand zwischen Schlaf und<br />

Wachen. Endlos schien ihm die Zeit zu sein. Er wusste nicht, ob er Minuten, Stunden oder<br />

Tage reglos da gehockt hatte. Plötzlich durchbrach Sonnenschein die Finsternis. <strong>Über</strong>rascht<br />

blinzelte Gibbs in die Helligkeit. Er kannte die Straße, die er vor sich sah. Verwirrt und be-<br />

unruhigt sah er sich um. Aus der Tiefe seiner Erinnerungen heraus drang das unangenehme<br />

Gefühl an die Oberfläche, dass gleich etwas Entsetzliches passieren würde. Von einer Sekunde<br />

zur <strong>Anderen</strong> raste sein Herz und Schweiß brach ihm aus. Ein Bleigewicht legte sich um seine<br />

Brust und erschwerte ihm das Atmen so sehr, dass er den Mund aufriss und krampfhaft nach<br />

Luft jappte. Und dann wusste er, was gleich passieren würde.<br />

Ein Wagen bog in die Straße ein, in der Gibbs sich aufhielt. Ein Wagen, den er nur zu<br />

gut kannte. Es war ein <strong>Die</strong>nstwagen, ein Fahrer steuerte ihn. Auf dem Rücksitz hockten Kelly<br />

und Shannon und Kelly plapperte fröhlich über das bevorstehende Wochenende mit Daddy.<br />

Gibbs’ Herz schien einige Schläge auszulassen. Er rannte los, auf das Auto zu, fuchtelte ver-<br />

zweifelt mit den Armen und brüllte: „RAUS! Raus aus dem Wagen. Shannon. Raus da.<br />

RAUS!“ Shannon sah zu ihm hinüber, winkte fröhlich zurück und sagte zu Kelly: „Schau, da<br />

ist Daddy, er wartet schon auf uns.“ Der Fahrer des Wagens winkte Gibbs ebenfalls zu. Gibbs<br />

glaubt, jeden Moment verrückt werden zu müssen. Warum hielt er nicht an. Er rannte weiter ...<br />

12


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und dann gab es einen lauten Knall und der Wagen kam von der Straße ab, überschlug sich<br />

immer wieder. Gibbs sah, wie es das Auto und Kelly und Shannon darin in Fetzen riss. Metall-<br />

teile flogen ihm um die Ohren, kleine Splitter rissen ihm hier und da die Haut. In dem Getöse<br />

des Crashs hörte er Kelly und Shannon schreien. In panischem Entsetzen starrte Gibbs auf das<br />

Autowrack mit seiner Familie. Er musste die Arme schützend in die Höhe reißen, um nicht von<br />

Metallsplittern im Gesicht getroffen zu werden. Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Gewissheit,<br />

dass sein Frau und seine über alles geliebte Tochter tot waren. Weinend sank er zu Boden,<br />

spürte statt des heißen Asphalts das weiche Gummi unter seinen Händen und schluchzte so<br />

heftig, dass er keine Luft mehr bekam.<br />

Er bekam nicht mit, dass die Tür zu seiner Zelle aufgerissen wurde und zwei Ärzte in<br />

den Raum eilten. Keuchend und am Rande der Besinnungslosigkeit lag er am Boden, kämpfte<br />

um jeden Atemzug. Panik, hier zu ersticken, überschwemmte in Sekundenschnelle sein ganzes<br />

Denken. Und dann verlor er endgültig die Besinnung. Dass Licht gemacht wurde, bekam Gibbs<br />

schon nicht mehr mit. <strong>Die</strong> Ärzte beugten sich über ihn. Einer maß den Blutdruck, der andere<br />

presste Gibbs eine Sauerstoffmaske auf das Gesicht, die an eine kleine Sauerstoffflasche an-<br />

geschlossen war. Mehrere Wachen kamen dazu, eine hatte eine einfache Trage unter dem Arm.<br />

Gibbs wurde auf die Trage gelegt und dann eilig auf die Krankenstation gebracht. Hier<br />

stabilisierte man seinen Blutdruck, dann verabreichte man ihm ein leichtes Beruhigungsmittel<br />

und unterstützte seine Atmung noch, bis er wieder problemlos selbstständig atmete. Einer der<br />

Ärzte gab den anwesenden Wachen den Befehl: „Schafft ihn in Raum 8a und seht zu, dass<br />

Nummer 14 zu ihm gebracht wird.“ <strong>Die</strong> Wachen nickten. Zehn Minuten später lag Gibbs in<br />

einem sauberen, hellen Krankenzimmer, in einem bequemen Bett. Und unmittelbar nach ihm<br />

wurde Abby in den Raum geführt. Als sie Gibbs dort im Bett liegen sah, schluchzte sie entsetzt<br />

auf.<br />

Booth, Seeley<br />

Zelle 2, Tag 4, 9.25 Uhr<br />

Status: Abbruch scheint unvermeidlich, Häftling halluziniert scheinbar<br />

stark, seit sechzehn Stunden keine Wasseraufnahme, Pulsfrequenz bei<br />

125, Zusammenbruch dürfte unmittelbar bevor stehen.<br />

Booth baute rapide ab. Er hatte ein wenig geschlafen, war aber noch erschöpfter und<br />

desolater wieder aufgewacht. Ihm war schlecht vor Kopfschmerzen, jeder einzelne Herzschlag<br />

schien in seinem Gehirn kleine Explosionen auszulösen. Krampfhaft keuchend hatte er sich,<br />

vor der Toilette kniend, immer wieder übergeben müssen. Da er schon eine Weile kein Wasser<br />

mehr hatte, kam nur noch Galle und sein Hals brannte wie Feuer. Er verspürte weder Hunger<br />

13


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

noch Durst, dafür fror er erbärmlich. Er spürte in der Finsternis seine Hände zittern. Immer<br />

wieder wurde er von mehr oder weniger schlimmen Halluzinationen gequält. Mehr als einmal<br />

lag er nach diesen schreiend am Boden und brauchte jedes Mal länger, um sich halbwegs zu<br />

fangen. In lichten Momenten sagte er laut zu sich selbst: „Booth, du elender Schlappschwanz,<br />

reiß dich gefälligst mal zusammen. Du warst schon in viel schlimmeren Situationen. Heul hier<br />

nicht rum wie ein Baby.“ Aber die Momente wurden immer seltener, dafür dauerten die Zeit-<br />

räume, in denen er vor sich hin wimmerte: „Ich kann nicht mehr ... Ich will hier raus ... Lasst<br />

<strong>mich</strong> doch bitte raus hier.“, immer länger.<br />

„Meine Güte, der Junge leidet ganz schön.“<br />

„Wollen wir jetzt schon abbrechen?“<br />

„Hm, nein, ich denke, noch ist es nicht wirklich akut. Das kann doch<br />

nicht alles sein, was er bring.“<br />

„Wir haben schon mehrfach festgestellt, dass er seelisch nicht über-<br />

mäßig belastbar ist.“<br />

„Hauptsache, er macht uns später keine Probleme. Wäre schade um die<br />

investierte Zeit.“<br />

„Er wird uns nicht enttäuschen, sonst wird er entsorgt, so einfach ist<br />

das. Und Brennan gleich mit, wenn sie Schwierigkeiten macht.“<br />

„Wir haben ja genug Auswahl, obwohl ich Brennan gerne behalten<br />

würde. Booth ist ersetzbarer.“<br />

motivieren.“<br />

„Aber Brennan wird nicht so gut funktionieren ohne ihn.“<br />

„Das ist klar, aber vielleicht könnte man sie auch noch anders<br />

Irgendwann hatte er sich in eine der Raumecken geschleppt und dort hockte er schon<br />

seit Stunden wie das sprichwörtlich in die Ecke getriebene Tier, und presste sich schutz-<br />

suchend an die Wände. Dass er wieder und wieder Rahims kalte Stimme hörte, die ihn be-<br />

schimpfte, ihn einen jämmerlichen Feigling, einen erbärmlichen Killer, einen widerlichen<br />

Mörder nannte, machte ihn fast wahnsinnig. Er war kein Mörder. Er hatte nur Befehle aus-<br />

geführt, wie jeder Soldat. Irgendwann hielt er es einfach nicht mehr aus. Geradezu hysterisch<br />

brüllte er Rahim an: „Ich bin kein Mörder, lass <strong>mich</strong> endlich zufrieden, hau ab, lass <strong>mich</strong> in<br />

Ruhe.“ Keuchend und schluchzend lauschte er, aber die Stimme war für den Moment wirklich<br />

verstummt. Erleichtert vergrub Booth sein Gesicht auf seinen angezogenen Knien. Und dann<br />

plötzlich tauchte ein ihm gänzlich unbekannter Mann vor ihm auf. Der Unbekannte hatte die<br />

Streifen eines Generals auf den Schultern und trug die Uniform der Taliban. Er starrte Booth<br />

an, dann erklärte er ruhig: „Warrant Officer Seeley Booth, stehen Sie auf.“ Zitternd kam Booth<br />

14


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dem Befehl nach. „Sie wurden der Ermordung des großen Generals Ahmed Raddick vom<br />

obersten Gottesgericht der Taliban für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang ver-<br />

urteilt. Das Urteil wird augenblicklich vollstreckt. La ilaha illa llah Muhammadun rasulu llah.“<br />

Booth Herz krampfte sich zusammen. Er zitterte heftig am ganzen Körper. Er stand plötzlich<br />

unter einem Galgen. Ein vermummter Henker legte ihm die Schlinge um den Hals. In<br />

panischem Entsetzen keuchte Booth auf. Und schon betätigte der Henker den Hebel für die<br />

Falltür. Booth stürzte, die Schlinge zog sich zu und schnürte ihm sofort die Luftzufuhr ab.<br />

Seine gefesselten Hände zuckten hilflos in dem vergeblichen Bemühen, an den Strick um<br />

seinen Hals zu kommen. Er konnte nicht atmen. In Todesangst riss er den Mund auf, versuchte,<br />

irgendwie, Luft zu bekommen, es ging nicht. Er erstickte....<br />

Dass die Tür zu seiner Zelle aufgerissen wurde, bekam Seeley schon nicht mehr mit. Er<br />

war während der schrecklichen Halluzination aufgestanden, dann aber plötzlich wie vom Blitz<br />

getroffen zusammen gesackt. Dass er dabei mit dem Kopf auf die Toilette geschlagen war,<br />

sorgte dafür, dass er die Besinnung augenblicklich und nachhaltig verlor. Keine Minute nach<br />

seinem Zusammenbruch stürzten auch hier zwei Ärzte in die kleine Zelle. Booth wurde nun<br />

ebenfalls schnellsten auf die Krankenstation geschafft. Er bekam etwas zur Kreislauf-<br />

stabilisierung, die kleine Platzwunde an der Schläfe, die er sich bei seinem Zusammenbruch<br />

zugezogen hatte, wurde mit drei Stichen geschlossen und dann bekamen die Wachen die An-<br />

weisung: „Er kommt in Raum 24 und lasst Brennan zu ihm.“<br />

Back to life, back to reality<br />

Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem<br />

Tod zu entrinnen.<br />

J. R. R. Tolkien<br />

Bones schrak zusammen, als mehrere Wachen in den Kerker eilten und ihre Zellentür<br />

aufsprang. Sie war in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen. Nicht zu wissen, was mit<br />

Booth war, war das Schlimmste, was Tempe je hatte durchmachen müssen. Sogar schlimmer<br />

als die Frage, wo ihre Eltern abgeblieben waren, damals, als sie verschwanden. Sie hatte sich<br />

mit Ziva ausgiebig über die Black Box unterhalten. Ziva hatte ihr ruhig geschildert, was der<br />

Aufenthalt dort bedeutete. Und hatte Bones damit eine Heidenangst gemacht. <strong>Die</strong> Tatsache,<br />

dass Booth einiges an schrecklichen Erinnerungen mit sich herum schleppte, würde ihm in der<br />

Isolationshaft nicht gerade zu Gute kommen. Ziva hatte ähnlich konkret und präzise, wie es<br />

15


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sonst eigentlich Bones Art war, geschildert, wie sich die vollkommene Deprivation auf Körper<br />

und Geist auswirkte und Ziva hatte auch prophezeit, dass Allison unter Umständen am besten<br />

damit klar kommen würde. Einfach, weil sie nicht die Grausamkeiten gesehen hatte, die Gibbs<br />

und Booth hatten ansehen müssen. Als nun Abby und später sie aus den Zellen geholt wurde,<br />

hatte Bones entsetzliche Angst, ich welch schlechtem Zustand sie Booth vorfinden würde.<br />

Nachdem ihre Hände gefesselt worden waren, wurde die junge Frau aus dem Kerker<br />

und im Flur in einen der Fahrstühle geführt. Bones wurde eine Etage nach unten gebracht,<br />

Abby war Stunden zuvor zwei Etagen nach oben gebracht worden. Mit wild klopfendem<br />

Herzen wurde Tempe zu einer Tür in dem Flur geführt. <strong>Die</strong> Handfesseln wurden ihr geöffnet<br />

und die Wache zischte ihr ins Ohr: „Kümmere dich gut um ihn, noch wird er gebraucht.“<br />

Bones fühlte Übelkeit in sich hoch kommen. Großer Gott, in welcher Verfassung würde sie<br />

Booth vorfinden? Zitternd wartete sie, bis die Tür vor ihr sich öffnete, dann trat sie langsam in<br />

den dahinter liegenden Raum. Heftig atmend sah sie sich um. Ein nettes Zimmer, mit einer<br />

Dusche in einer Ecke, einem kleinen Sofa mit Tisch davor und an der hinteren Wand ein<br />

Doppelbett, in dem reglos eine zugedeckte Gestalt lag. - Oh Gott. - Brennan hatte Angst, näher<br />

zu treten. Erschüttert starrte sie auf die bewegungslose Gestalt im Bett und hatte Angst,<br />

hinüber zu gehen. Schließlich holte sie tief Luft, schloss kurz die Augen und feuerte sich selbst<br />

an. - Nun mach schon, du Jammerlappen. Er wird dich brauchen und du schaffst das. - Bones<br />

nahm ihren ganzen Mut zusammen und trat näher, an das Bett und die reglose Gestalt heran.<br />

Als sie Booth dort liegen sah, erschrak sie heftig. Wie leblos lag er im Bett, eine frische Platz-<br />

wunde, verschlossen mit drei Stichen, zierte seine Stirn. Er sah unglaublich schlecht aus, blass,<br />

tiefe Schatten unter den geschlossenen Augen, eingefallenen Wangen, einen derart gequälten<br />

und verängstigten Gesichtsausdruck selbst in der Besinnungslosigkeit, dass Bones unwillkür-<br />

lich Tränen in die Augen traten. - Großer Gott, Booth. Was, um alles in der Welt, hast du<br />

durch machen müssen? Was haben sie dir nur angetan? -<br />

*****<br />

„Ob das bedeutet, dass die raus sind aus der camera silens? Was meint ihr?“ Sara sah,<br />

wie die anderen Zelleninsassen, besorgt hinter Bones und Abby her, als die beiden Frauen aus<br />

dem Kerker geführt wurden. Sie hatten in den vergangenen Tagen immer wieder versucht,<br />

Abby, House und vor allen Bones, die vor Sorge fast die Wände hoch ging, Mut zu machen<br />

und sie irgendwie zu beruhigen. Es war ein schreckliches Gefühl für alle, nichts zu wissen,<br />

nichts zu erfahren, nichts machen zu können. Das man sie alle vollkommen in Frieden lies,<br />

machte die Angelegenheit nicht einfacher. Zum Einen hatten sie schon hinlänglich die Er-<br />

fahrung gemacht, dass Ruhephasen unweigerlich den nächsten Gewaltausbruch nach sich<br />

16


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zogen, zum anderen war die Untätigkeit gerade in dieser Situation schwer zu ertragen. Hätten<br />

sie irgendwas gehabt, mit dem sie sich hätten beschäftigen können, wären ihre Gedanken nicht<br />

pausenlos bei Booth, Gibbs und Allison gewesen. Abby hatte es vor längerer Zeit einfach nicht<br />

mehr ausgehalten. Sie hatte verzweifelt ihre Kollegin gefragt: „Ziva, bitte, was ... was müssen<br />

die ... was müssen Gibbs, Allison und Booth da ertragen?“ Ziva hatte kurz nachgedacht. Dann<br />

hatte sie bedrück erklärt: „Dunkelhaft, camera silens, bedeutet, dass der Gefangene in einer<br />

fensterlosen Zelle untergebracht wird, in die weder Sonnen- noch künstliches Licht einfällt.<br />

Während bei der leichteren Form der Dunkelhaft zumindest tagsüber spärliches Licht zum Bei-<br />

spiel durch die Türzargen und das Schlüsselloch fällt, wird bei der schweren Form einer<br />

sensorischen Deprivation, dem Entzug von Wahrnehmungen und Sinneseindrücken, jede noch<br />

so kleine Lichtquelle ausradiert, womit sich die Dunkelhaft zur Finsterhaft auswächst. Und zur<br />

absoluten Dunkelheit kommt meist noch eine gespenstische Stille, was für einen zusätzlichen<br />

Mangel an sensorischen Reizen sorgt.“ Ziva ließ ihre Worte kurz einwirken, dann fuhr sie fort.<br />

„Eine Dunkelhaft wird von Menschen bereits nach kurzer Zeit als psychische sowie<br />

körperliche Folter empfunden, obgleich es hierbei nicht zu einer körperlichen Gewaltan-<br />

wendung kommt. So fängt der menschliche Geist in der Regel bereits nach zwanzig bis dreißig<br />

Minuten zu halluzinieren an, sobald er im Wachzustand bei absoluter Dunkelheit ohne optische<br />

Ankerpunkte auskommen muss. Wissenschaftliche Tests haben überdies ergeben, dass eine<br />

längere Dunkelhaft die vegetativen Funktionen eines Menschen zerstört. Der Schlaf- und<br />

Wachrhythmus sowie das Hunger und Durstgefühl geraten völlig durcheinander. Es kommt zu<br />

einer zunehmenden Desorientierung, ständigen Kopfschmerzen, Gewichtsverlust und<br />

Konzentrationsproblemen. Bei sehr langem Aufenthalt verkümmern irgendwann die Sehnerven<br />

bis hin zur vollständigen Erblindung und das Gedächtnis leidet. Und bei einer längeren<br />

Dunkelhaftunterbringung erleiden selbst starke Persönlichkeiten psychisch schwerste Nerven-<br />

zusammenbrüche und Psychosen, von denen sich einige nie mehr gänzlich erholen. Aber dafür<br />

sind Booth, Cameron und Gibbs viel zu kurz in der Deprivation, klar. Sie werden sich er-<br />

holen.“ Alle, auch diejenigen unter den Gefangenen, die mit dem Verfahren der Deprivation<br />

halbwegs vertraut waren, hatten mit zunehmendem Entsetzen Zivas Erklärungen gelauscht.<br />

Sawyer sah zu Bones hinüber, die leichenblass auf ihr Bett gesunken war. Er trat ans Gitter und<br />

sagte: „Hey, er ist stark, er wird das schaffen.“ Bones sah auf und blickte mit einem derart<br />

hoffnungslosen Ausdruck in den Augen zu Sawyer hinüber, dass sich diesem vor Mitleid das<br />

Herz verkrampfte.<br />

Mulder blickte ebenfalls zu Bones hinüber. „Hör zu, Tempe, gehen wir einfach mal<br />

davon aus, dass sie ihr Verhaltensmuster bei behalten, dann darfst du mit ziemlicher Sicherheit<br />

zu ihm, wenn er es hinter sich hat. Du solltest dann versuchen, ihn sanft dazu zu bringen, über<br />

17


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

das zu sprechen, was er empfunden hat. Abby, falls du zu Gibbs gelassen wirst, gilt für dich<br />

das Gleiche. Nicht drängen, lasst sie von sich aus kommen, nur vorsichtig in die Richtung<br />

lenken. House? Zugehört?“ Das hatte der Diagnostiker sehr wohl. Müde nickte er. „Ja, Dr.<br />

Freud, ich habe zugehört.“ Bones hatte Mulders Worten ebenfalls gelauscht und stieß jetzt<br />

panisch hervor: „Ich kann so was nicht. Ich bin furchtbar in Psychologie. Ich werde Booth<br />

nicht helfen können. Ich kann so was nicht.“ „Bones. Dr. Brennan. Reiß dich zusammen. Wenn<br />

du zu ihm gelassen wirst, wirst du es können, verlasse dich darauf.“ Tempe schüttelte panisch<br />

den Kopf. „Ich hasse Psychologie.“<br />

*****<br />

Bones vergaß jetzt, dass sie Angst hatte und gefühlsmäßig hoffnungslos überfordert war<br />

mit der Situation. Sie sank auf das Bett, legte Booth sanft eine Hand auf die Wange und griff<br />

mit der <strong>Anderen</strong> nach seiner Linken. Unter Tränen flüsterte sie: „Hey, du, ich bin bei dir.<br />

Schlaf dich nur aus, ich werde da sein, wenn du aufwachst, dass schwöre ich dir.“ Sie beugte<br />

sich zu Booth herunter und gab ihm ganz zart einen Kuss auf die trocknen Lippen. „Weißt du,<br />

die Gefühle, die du in mir geweckt hast, sind mir noch neu und fremd, du wirst Geduld mit mir<br />

haben müssen. Ich weiß nicht, ob ich <strong>mich</strong> immer richtig verhalte, wenn es um zwischen-<br />

menschliche Beziehungen geht, aber du musst mir glauben, ich tue mein Bestes. Booth, ich<br />

liebe dich wirklich mehr, als ich mit Worten ausdrücken kann, und ich kann eine ganze Menge<br />

in Worte fassen.“ Sie strich Seeley sanft eine verklebte Haarsträhne aus der Stirn. Seine Haare<br />

waren in den letzten Wochen gewachsen, nicht mehr so perfekt geschnitten, wie es sein Job<br />

erforderte. Lange Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht, seit der letzten Dusche, bei der die<br />

Männer sich jeweils rasieren konnten, war wieder viel Zeit vergangen. „Wir sehen alle aus wie<br />

die letzten Penner, findest du nicht auch? Ich würde einiges dafür tun, regelmäßig Duschen zu<br />

können. An welch trivialen Dingen doch unser Herz hängt. Man merkt es erst, wenn man sie<br />

verliert. So wie du riechst, könntest du eine Dusche auch mehr als dringend vertragen. Aber<br />

hier ist eine im Zimmer und sobald du dich besser fühlst, werden wir die Vorteile dieser groß-<br />

artigen Erfindung ausnutzen.“<br />

Leise hatte Bones weiter mit Booth geredet. Und schrak heftig zusammen, als Booth<br />

plötzlich die Augen aufschlug und keuchend hochfuhr. Völlig desorientiert sah er sich um, eine<br />

abgrundtiefe Panik in den dunklen Augen. Im ersten Moment ohne jegliches Erkennen und<br />

vollkommen verständnislos starrte Booth Tempe an. Dann breitete sich in seinen Augen lang-<br />

sam die Erkenntnis aus, dass er in Sicherheit war, dass niemand ihn aufhängte, dass Bones vor<br />

ihm saß, es nicht mehr dunkel und totenstill um ihn herum war. „Bones ...“, stammelte er mit<br />

einer Stimme, die Tempe Schauer über den Rücken jagte. In ihr lag so viel Angst, Grauen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schon fast, dass ihr Tränen des Mitleids in die Augen schossen. In der nächsten Sekunde lag<br />

Seeley in ihren Armen, zitternd, schluchzend, am Ende. Bones war erschüttert bis ins Mark.<br />

Sie kannte Booth nun schon so lange, hatte ihn in Situationen erlebt, die lebensbedrohlich<br />

waren, schwer verletzt, gefoltert, mit dem Tode bedroht, nach dem Schlafentzug auch völlig<br />

fertig, aber in einem derart desolaten Zustand hatte sie ihn nie gesehen. Sie wäre jede Wette<br />

eingegangen, dass Seeley Booth gar nicht in einen solchen Zustand kommen konnte. Hier nun<br />

wurde sie eines Besseren belehrt. Fast jeder Mensch war irgendwie zu brechen, man musste<br />

nur Zeit und Möglichkeiten haben, um die wunden Punkte zu finden. Ganz offensichtlich war<br />

dieser wunde Punkt bei Booth die Isolationszelle gewesen. Tempe konnte sich momentan noch<br />

nicht wirklich vorstellen, was ihm dort widerfahren war, ging aber davon aus, dass sie es er-<br />

fahren würde, in den nächsten Stunden. Wenn sie auch Psychologie hasste, war ihr doch klar,<br />

dass es Booth nicht helfen würde, das Geschehene der letzten Tage totzuschweigen. Das hatte<br />

Mulder mit seinen Worten ja klar gemacht. Er würde über seine Empfindungen reden müssen,<br />

ganz dringend. Und Bones nahm sich in diesem Moment fest vor, ihn dazu zu bringen, über<br />

das Erlebte zu sprechen.<br />

Erst einmal jedoch hielt sie ihn einfach fest. Sie war verlegen, wusste mit seinem Ge-<br />

fühlsausbruch nichts anzufangen. Aber das hielt sie nicht davon ab, zu reagieren, wie eine<br />

liebende Frau eben reagierte. Sie hielt Booth fest in ihren Armen, fuhr ihm mit der Rechten<br />

sanft und beruhigend über den Rücken und sagte leise und liebevoll: „Hey, ist ja gut, du bist in<br />

... Sicherheit.“ Ganz kurz zögerte sie, ihr war durchaus klar, dass sie hier nirgendwo in Sicher-<br />

heit waren. „Niemand tut dir mehr etwas. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“ So redete<br />

Bones leise und begütigend auf Booth ein. Es dauerte lange, bis sie eine Wirkung auf ihre be-<br />

ruhigenden Worte spürte. Ganz allmählich ließ das Zittern und Schluchzen nach. Und plötzlich<br />

stammelte er, fassungsloses Grauen in der Stimme: „Sie wollten <strong>mich</strong> aufhängen ... Ich bin<br />

doch kein Killer ... Aufhängen. Aufhängen wollten sie <strong>mich</strong>! <strong>Die</strong> ... die Schlinge ... <strong>Die</strong> haben<br />

mir die Schlinge umgelegt.“ Panisch schossen seine Hände an seinen Hals. Wieder zitterte er<br />

am ganzen Leib. Bones verstand kein Wort, sagte aber so ruhig wie möglich: „Booth, niemand<br />

hängt dich hier auf. Hörst du? Niemand tut dir etwas. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht.<br />

Ich bin bei dir, ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“ Bones war natürlich klar, dass es<br />

Blödsinn war, was sie da redete, aber darauf kam es nicht an. Wichtig war nur, dass Booth ihre<br />

beruhigenden Worte hörte und im Moment glaubte. Und ganz langsam drangen diese Worte<br />

auch in Booth’ Verstand und er wurde nach und nach etwas ruhiger, das Zittern, das wieder<br />

heftiger geworden war, ließ spürbar nach und schließlich sackte er vollkommen erledigt in sich<br />

zusammen.<br />

19


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bones ließ ihn vorsichtig wieder in die Waagerechte sinken und hielt seine Hand,<br />

während sie mit der anderen Hand über sein tränenfeuchtes Gesicht streichelte. „So ist es gut.<br />

Was immer sie dir angetan haben, es ist vorbei, okay, du musst jetzt erst mal wieder auf die<br />

Beine kommen. Niemand tut dir hier noch etwas.“ Aus unglaublich müden Augen, in denen<br />

immer noch der nackte Horror zu sehen war, schaute Booth Tempe an. „Bones ...“ „Ich bin<br />

hier, Baby, ich bin bei dir, okay. Ich bleibe bei dir und werde nicht zulassen, dass sie dir wieder<br />

wehtun.“ Tempe liefen vor Entsetzen und Mitleid ebenfalls Tränen über die Wangen. Wieder<br />

und wieder streichelte sie unendlich sanft über Booth’ Gesicht und irgendwann fielen diesem<br />

schließlich die Augen zu und er fiel in tiefen, ohnmachtsähnlichen Schlaf. Bones war selbst<br />

todmüde, die Zeit, in der Booth weg gewesen war, hatte sie nicht viel geschlafen. Ihre Ge-<br />

danken waren ständig bei ihm gewesen. Nun merkte sie, wie die Müdigkeit auch über sie her<br />

fiel. Sie rutschte vorsichtig zu Seeley ins Bett, kuschelte sich an ihn, löschte die Lampe auf<br />

dem Nachschrank und war kurze Zeit später tief und fest eingeschlafen.<br />

*****<br />

Abby hatte entsetzliche Angst davor, was sie wohl zu Gesicht bekommen würde, da,<br />

wo man sie hinführte. Vor einer der vielen Türen wurde sie gestoppt und sie spürte, wie die<br />

Handfesseln geöffnet wurden. <strong>Die</strong> Tür vor ihr sprang lautlos auf und eine der Wachen sagte<br />

kalt zu ihr: „Viel Spaß.“ Dann erhielt sie einen leichten Stoß in den Rücken und setzte sich in<br />

Bewegung. Sie sah sich um und fand sich in einem Zimmer wieder, dass an ein Motelzimmer<br />

erinnerte. Doppelbett, Duschkabine, kleine Sitzgruppe. Abby hielt sich nicht damit auf, den<br />

Raum genauer zu begutachten. Sie hatte mit Schrecken sofort erfasst, dass jemand in dem Bett<br />

lag und trat schwer atmend und mit zitternden Knien näher. Sie schluchzte vor Angst und dann<br />

sah sie Gibbs. Er sah schrecklich aus. Ungesund blass waren sie inzwischen alle, auch die, die<br />

braun gebrannt inhaftiert worden waren. Aber Gibbs war nicht blass, er war weiß wie eine<br />

Wand. Fingerdicke Ringe unter den Augen verrieten einiges darüber, wie viel oder vielmehr<br />

wie wenig er in den vergangenen Tagen geschlafen hatte. Ziva hatte gesagt, der Schlafrhyth-<br />

mus verändere sich schnell negativ in der Deprivation. Sie hatte offensichtlich Recht gehabt.<br />

Gibbs Wangen waren eingefallen und von langen Bartstoppeln bedeckt. Seine Haare waren<br />

dreckig und schweißverklebt. Auf seinem Gesicht entdeckte Abby einen Ausdruck, der nur mit<br />

dem Wort Schrecken umschrieben werden konnte. Sie fragte sich, was sie wohl in seinen<br />

Augen lesen würde. Und sie fragte sich, was, um alles in der Welt, er in den letzten paar Tagen<br />

dort in der Isolationszelle hatte durch machen müssen.<br />

Vorsichtig setzte Abby sich auf die Bettkante, beugte sich über den väterlichen Freund<br />

und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Hier und jetzt, in dieser Situation, Gibbs so<br />

20


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vor sich liegen sehend, vergaß Abby endgültig, dass er eigentlich ihr Vorgesetzter war. Sie<br />

vergaß auch, dass er nicht ihr Vater war. Sie vergaß alles. Nur noch ihr Mitleid spürte sie.<br />

„Was haben sie dir nur angetan, Gibbs? Ich hatte solche Angst und nun bist du so ... Du<br />

kommst wieder in Ordnung, hörst du? Du wirst wieder gesund, das weiß ich einfach. Wir<br />

müssen doch wieder nachhause und weiter böse Jungs und böse Mädels fangen, Gibbs. Tony<br />

wird sehr enttäuscht sein, wenn du ... wenn du ihm nicht weiter Kopfnüsse gibst ...“ Abby ver-<br />

schlug es die Stimme. Sie weinte heftig und hielt Gibbs linke Hand. Nach einigen Minuten<br />

beruhigte sich die junge Frau langsam wieder. Sie stand vorsichtig auf und zog sich einen der<br />

kleinen Sessel, die am Couchtisch standen, ans Bett. Sie schob ihn ganz dich heran, dann setzte<br />

sie sich, zog die Beine an und griff wieder nach Gibbs Hand. „Du hast völlig Recht damit, dich<br />

erst mal gründlich auszuschlafen, Gibbs. Du siehst wirklich scheiße aus. Ich wünschte, ich<br />

könnte dir irgendwie helfen. Vielleicht willst du später darüber reden, was dir passiert ist. Ich<br />

weiß ja nicht, ob ich dir eine richtige Hilfe dabei bin ... Ich werde aber für dich da sein, das<br />

verspreche ich dir. Und wenn du mit mir darüber reden magst, was war, dann werde ich auch<br />

da sein und dir zuhören. Viele Väter erzählen ihren Töchtern sehr viel, weißt du. Natürlich<br />

weiß ich, dass ich nicht wirklich deine Tochter bin, aber das, was dem am Nächsten kommt,<br />

oder findest du nicht? Und wenn du nicht mit mir darüber sprechen magst, müssen wir uns<br />

eben was Anderes einfallen lassen.“<br />

Abby konnte nicht verhindern, dass ihr nach einiger Zeit die Augen zufielen. Zu wenig<br />

hatte sie selbst in den letzten Tagen während Gibbs Abwesenheit geschlafen. Sie fuhr jedoch<br />

erschrocken hoch, als sie unterbewusst spürte, dass Gibbs sich bewegte. Sie war sofort wieder<br />

hellwach. Als sie Gibbs anschaute, sah sie direkt in seine unglaublich müde wirkenden Augen.<br />

Besorgt schüttelte sie den Kopf. „Hey, du solltest noch nicht wach sein, Gibbs. Wie fühlst du<br />

dich?“ „Beschissen. Wo ...?“ „Nicht mehr in der Dunkelkammer, sie haben dich raus gelassen.<br />

Du siehst aus, als hättest du die meiste Zeit nicht geschlafen, deshalb solltest du jetzt ver-<br />

suchen, so lange wie möglich zu schlafen, Gibbs.“ Abby sah ihren Chef an. Dann fuhr sie leise<br />

fort: „Hast du Hunger oder Durst? Kann ich irgendwas für dich tun?“ Gibbs hatte zugehört. Er<br />

wirkte abwesend und desorientiert. „Kannst du mir was zu Trinken geben, Abbs?“, fragte er<br />

dann mit einer Stimme, die er selbst fast nicht wieder erkannt hätte. Abby konnte eine Gänse-<br />

haut spüren, die ihr über den Rücken kroch. Was musste Gibbs nur durchgemacht haben, um in<br />

eine solche Verfassung zu kommen? Sie sprang vom Sessel hoch und sah sich im Raum um.<br />

Dort, in der Ecke, stand ein Kühlschrank. Sie eilte hinüber und öffnete die Tür. „Was möchtest<br />

du? Wasser, Cola, Bier?“ „Wasser ist gut.“ Gibbs setzte sich mit etwas Mühe auf und nahm die<br />

Wasserflasche, die Abby ihm reichte, mit zitternder Hand entgegen. Er schüttelte genervt den<br />

Kopf und schloss frustriert die Augen.<br />

21


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Kerkertür hatte sich hinter Bones und Abby geschlossen und aller Augen wandten<br />

sich wie abgesprochen House zu. Kate fragte leise, was alle dachten. „Warum holen sie dich<br />

wohl nicht?“ House schüttelte den Kopf. „Für einen halbwegs intelligenten Menschen ist das<br />

eine ziemlich dämliche Frage, findest du nicht auch? Meinst du, sie hätten das mit mir ab-<br />

gesprochen?“ Allen war klar, das seine Gereiztheit nur der Sorge um Cameron entsprang und<br />

keiner nahm ihm seine grantigen Worte übel. Mulder bemerkte: „Ich darf doch wohl an-<br />

nehmen, dass Allison keine extremen Situationen erlebt hat, die über den normalen Arbeits-<br />

alltag als Ärztin hinaus gehen? Könnte man sagen, das Schlimmste, was sie erlebt hat, war der<br />

Tod ihres Mannes?“ Wieder antwortete House extrem genervt: „Nein, weißt du, sie ist jeden<br />

Tag Situationen ausgesetzt, die dir das Blut in den Adern gefrieren lassen würden. Wild ge-<br />

wordene Bakterien fallen Tag für Tag über sie her, ausgeflippte Viren greifen sie an ... Was<br />

denkst du denn? Sie ist Immunologin, keine von euch tollen Bundesagenten. Was soll die<br />

blöde Frage?“ Mulders Nerven lagen ebenfalls blank, aber der Agent blieb trotzdem völlig<br />

ruhig. „<strong>Die</strong> blöde Frage zielt einfach auf die Tatsache, dass Menschen mit extremen Er-<br />

innerungen wesentlich heftiger von Halluzinationen gequält werden als Menschen, bei denen<br />

das Schlimmste, was sie je erlebt haben, die schwere Verletzung ihres Zeigefingers beim<br />

Kartoffeln schälen ist.“ House stöhnte gequält auf. „Verdammt, tut mir leid, entschuldige bitte.<br />

Ich bin genervt, verstehst du? Ich möchte endlich wissen, was mit Cameron ist und diese<br />

Dreckskerle lassen <strong>mich</strong> ganz offensichtlich nicht zu ihr.“ Mulder grinste. Er vermutete, dass<br />

das gerade die extremste Äußerung gewesen war, die sie von House bezüglich seiner Gefühle<br />

für Allison hören würden.<br />

Dana stand an der Zellentür uns sah zu Mulder hinüber. „Was meinst du, in welcher<br />

Verfassung werden Gibbs und Booth sein?“ Mulder zuckte die Schultern. „In keiner Guten,<br />

soviel ist sicher. Beide haben in ihrem Leben schon Extremes erlebt, Booth fast noch mehr als<br />

Gibbs. Rein gefühlsmäßig würde ich denken, Gibbs wird sich schneller fangen. Er scheint mir<br />

gefestigter als Booth, alleine schon von der Lebenserfahrung her.“ „Ob wir hier auch bald mit<br />

der nächsten Aktion rechnen müssen?“, fragte Heather beunruhigt. „Rein gefühlsmäßig? Ja.“<br />

Gil hatte sich ebenfalls an Gitter gestellt und sah zu der jungen Frau hinüber. „Wenn wir<br />

Ruhephasen hatten, kam immer ein dickes Ende. Also sollten wir uns alle vielleicht lieber<br />

schon einmal seelisch und körperlich darauf einrichten, dass in absehbarer Zeit wieder etwas<br />

passieren wird.“ Alle wussten, das Grissom Recht hatte. „Das Warten darauf ist doch immer<br />

wieder etwas Schönes.“, stöhnte Jake genervt. „Zum einen nicht zu wissen, was mit den Dreien<br />

ist, zum anderen genau zu wissen, dass in absehbarer Zeit auch wieder welche von uns hier<br />

fällig sein werden ... Da kommt Freude auf.“<br />

22


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

„Ist das nicht toll? Abbs, wie weit treiben die uns noch? Verfluchter Mist. Und ich hab<br />

<strong>mich</strong> für einen harten Hund gehalten.“ Abby sah Gibbs ernst an. „Natürlich bist du ein harter<br />

Hund, Gibbs. Ziva hat uns genau erklärt, dass in der scheiß Kammer jeder früher oder später<br />

zusammen bricht. Bei den meisten wäre es viel schneller gegangen als bei dir, da bin ich<br />

sicher.“ Gibbs lachte freudlos. Der Agent trank vorsichtig etwas Wasser, dann stellte er die<br />

Flasche auf den Nachtschrank neben dem Bett. Abby hatte ihren Vorgesetzten beobachtet und<br />

kämpfte schon wieder mit den Tränen. Gibbs hatte Recht, sie alle hier verkamen immer mehr<br />

zu weinerlichen Jammerlappen. Es war zum Verzweifeln. Nicht nur die ständige Angst um die<br />

eigene Gesundheit, sondern die allgegenwärtige Bedrohung der Menschen, an denen ihnen viel<br />

lag, hatte jeden einzelnen Gefangenen zermürbt. Zumal jeder hier inzwischen die anderen Ge-<br />

fangenen, die sie vor ein paar Wochen nicht einmal gekannt hatten, ebenfalls mehr oder<br />

weniger liebten. Schrecken und Qualen, die man zusammen ausstand, schweißten emotional<br />

zusammen. Am Schlimmsten traf es dabei aber natürlich die Paare. <strong>Die</strong>, die schon vor der Ent-<br />

führung zusammen gewesen waren, wie Sawyer und Kate, Mulder und Scully und Sara und<br />

Gil, genauso, wie die, die sich auf Grund der ganzen Stresssituation erst hier wirklich ihrer<br />

Liebe zueinander bewusst geworden waren, wie Bones und Booth, House und Allison und Jake<br />

und Heather. Abby verging fast vor Angst, dass Gibbs oder Ziva etwas zustoßen konnte, und<br />

den Beiden erging es nicht besser. Der Einzige, der relativ unbehelligt blieb, war der geheim-<br />

nisvolle John Locke. Obwohl besonders denen unter ihnen, die schon eines der grausamen<br />

Experiment hatten ertragen müssen, bei denen Locke ihnen das Leben gerettet hatte, wussten,<br />

dass Locke sich ebenfalls Arme und Beine ausgerissen hätte, um jedem von ihnen zu helfen.<br />

Abby versuchte, die trüben Gedanken weg zu schieben und sah Gibbs an. „Viel<br />

schlimmer kann es ja nicht mehr kommen, Gibbs. Wenn du schon wach bist, solltest du etwas<br />

Essen, wir haben hier die Speisekarte aus dem Belohnungsraum ebenfalls zur Verfügung.“<br />

Gibbs hockte bewegungslos auf dem Bett und starrte leicht abwesend vor sich hin. Abby war<br />

nicht sicher, ob er ihre Worte überhaupt vernommen hatte. „Gibbs?“, fragte sie nach. Verwirrt<br />

zuckte der Agent zusammen. „Was?“ „Gibbs, hast du Hunger? Du solltest vielleicht etwas<br />

essen. Wann hast du in der ... wann hast du zuletzt was bekommen?“ Der Ex-Marine versuchte<br />

sich zu konzentrieren. „Essen? Keine Ahnung. Ich ... Ich hab nichts gegessen. Meine Hände<br />

waren die ganze Zeit gefesselt, ich wollte nicht ...“ Er verstummte. Er konnte Abby nicht<br />

sagen, dass er nicht hatte aufs Klo gehen wollen, ohne seine Hände benutzen zu können. Abbs<br />

war nicht dumm, sie konnte sich denken, was Gibbs bedrückte. Sie sagte leise: „Wenn du die<br />

ganze Zeit nichts gegessen hast, Gibbs, wird es aber Zeit, dass du was zu dir nimmst. Du musst<br />

23


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

doch Hunger haben.“ Gibbs wirkte immer noch vollkommen orientierungslos und sah Abby<br />

erstaunt an. „Hunger? Ich weiß nicht. Abbs, ich bin total ... Doch, du hast natürlich Recht, ich<br />

müsste wohl was Essen. Such mir doch was aus. Ich ... Ist hier eine Dusche?“ Abby nickte. Sie<br />

stand auf und nahm die Karte vom Tisch.<br />

Speisekarte<br />

1)Tomatensalat mit Mozzarella<br />

2) Ribeye Steak mit Pommes oder Folienkartoffel, Gemüse<br />

3) Filet Steak mit Bratkartoffeln und Mais mit Butter<br />

4)Bratfisch mit Salzkartoffel und Salat<br />

5)Cesar Salat<br />

6) Hamburger / Cheeseburger mit Pommes<br />

7) Pizza mit Salami, Thunfisch, Champions, Tomaten,<br />

8) Pizza Hawaii mit Ananas und Schinken<br />

9) Pasta Bolognese<br />

10)Pasta mit Käseschinkensoße<br />

11) Rotes Hühnchencurry<br />

12) Tandori Chicken mit Reis<br />

13) Gnocchi mit Spinat-Camembert Sauce<br />

14) Kürbis-Zucchini Lasagne<br />

15) Hähnchenkeulen mit Karottengemüse<br />

sechzehn) Garnelen im Reisteig mit Kürbis-Curry-Sauce<br />

17) Rotzungenfilet mit Gemüsefüllung<br />

18) Satè-Spieße auf Erdnusssauce<br />

19) Entenbrust mit Blutorangen-Inwersauce und Gemüse-Gratin<br />

20) Kross gebratene Hähnchenkeulen auf Tomatenchutney<br />

21)Huhn in Sojasauce mit Paksoi-Gemüse<br />

Abby entschied sich für das Hähnchencurry und für Gibbs bestellte sie das Rotzungen-<br />

filet. Etwas leicht verdauliches. Während sie auf das Essen warteten, versuchte Abby, Gibbs<br />

ein wenig zum Reden zu bringen. Ihn direkt anzusprechen würde nichts bringen, das war Abby<br />

24


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

klar. So sagte sie schließlich leise: „Gibbs, hör zu. Als du weg warst, das ... das war schreck-<br />

lich. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, wie es dir in dieser fürchterlichen Kammer<br />

ergehen würde. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Und als Ziva<br />

dann erzählte ... Ist es wirklich so schlimm?“ Sie verstummte und beobachtete aufmerksam<br />

Gibbs Reaktion auf ihre Worte. Der erschauderte. Er saß immer noch bewegungslos im Bett<br />

und starrte ins Leere, schien aber Abbys Worte registriert zu haben. Leise sagte er mit müder,<br />

mutloser Stimme: „Schlimmer, Kleines, viel schlimmer. Man verliert sehr schnell jedes Gefühl<br />

für Zeit und Raum und dann kommen die Halluzinationen ...“ Gibbs verstummte und verbarg<br />

sein blasses Gesicht in seinen Händen. „Ich habe ... gesehen, wie Kelly und Shann starben ...“,<br />

stieß er dumpf hervor. Abby war klar, dass jedes weitere Wort zu viel gewesen wäre. Sichtlich<br />

erschüttert beschränkte sie sich darauf, Gibbs in die Arme zu nehmen. So saßen sie einige<br />

Minuten still beieinander. Dann klapperte es Luke an der Tür und ihr Essen wurde herein ge-<br />

reicht.<br />

Dum spiro spero<br />

Allen Gewalten zum Trotze sich erheben ... nimmer sich beugen.<br />

William Shakespeare<br />

Booth erwachte aus seinem Tiefschlaf und wusste im ersten Moment nicht, wo er war.<br />

Er hatte Angst, die Augen zu öffnen, wollte nicht wieder die erdrückende Dunkelheit sehen.<br />

Sein Herz pochte von einer Sekunde zur anderen heftig gegen seine Rippen und sein Atem<br />

beschleunigte sich stark. Seine Hände strichen fahrig über ... ein Zudeck? Wo war er?<br />

Erschrocken öffnete er doch die Augen. Es war dunkel, aber normal, nicht tintenschwarz.<br />

Booth wagte nicht, sich zu bewegen. Er war vollkommen orientierungslos und seine Augen<br />

huschten nervös herum. Dann begriff er langsam, dass er in einem Bett lag. Oh, Gott. War das<br />

die Realität oder steckte er wieder in einer Halluzination? Würde gleich Rahim auftauchen und<br />

ihn aus dem Bett jagen? Booth zwang sich, ruhig zu atmen. Er bemühte sich krampfhaft um<br />

Konzentration. Langsam kam ihm die Erinnerung wieder. <strong>Die</strong> Black Box, er war zusammen<br />

gebrochen und als er aufwachte, saß Tempe bei ihm, er war raus aus der Dunkelhaft. Bones.<br />

Booth fuhr hoch. Da lag sie, neben ihm, und schreckte ebenfalls hoch: „Booth?“<br />

25


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth zuckte zu Bones herum. „Tempe? Bist du das wirklich?“ Zaghaft strecke er die<br />

Hand aus, um Bones zu berühren. <strong>Die</strong>se nickte. „Ja, Booth, ja, ich bin es wirklich. Du bist<br />

nicht mehr in der Kammer. Du hast es geschafft.“ Booth seufzte auf und zog Bones dann über-<br />

raschend an sich, hielt sie so fest, dass ihr fast die Luft weg blieb. Aber sie schlang nicht<br />

minder fest die Arme um Seeleys dünn gewordenen Körper. Himmel, sie konnte seine Rippen<br />

spüren. Sie alle waren so dünn geworden. Einige Minuten hielten sich die zwei eng um-<br />

schlungen, dann flüsterte Booth: „Haben wir hier Licht?“ Bones löste sich sanft aus seinen<br />

Armen und beugte sich zum Lichtschalter an ihrer Bettseite. Sekunden später wurde es hell im<br />

Raum. „Danke.“ Bones sah Seeley an. Er hatte nicht mehr ganz so tiefe Schatten unter den<br />

Augen, aber der Ausdruck in ihnen war noch genau so gehetzt und verängstigt wie vor ein paar<br />

Stunden. Booth sah sich im Raum um und entdeckte die Dusche und die Tür zur Toilette.<br />

Langsam schwang er die Beine aus dem Bett und wartete, bis sich der Schwindel, der ihn<br />

schlagartig befiel, nachließ. Bones war schon aus dem Bett und eilte an Booth Seite. „Du musst<br />

dir Zeit lassen, du hast eine ziemlich üble Beule am Kopf und nichts im Magen. Dein Blut-<br />

druck dürfte ziemlich miserabel sein.“ Booth atmete einige Male tief durch, dann stand er lang-<br />

sam und vorsichtig auf. „Geht.“, sagte er leise, als Bones ihm helfen wollte.<br />

Er ging erst zur Toilettentür und öffnete diese. Ein kleiner, dunkler Raum. Sofort fing<br />

sein Herz an zu Rasen. - Das fehlt auch noch, dass du jetzt Angst vor der Dunkelheit hast, reiß<br />

dich zusammen, Mann. - fuhr es Seeley durch den Kopf. Trotzdem musste er einige Male<br />

kräftig durch atmen, bevor er nach dem Lichtschalter tastete und den sehr kleinen Raum betrat.<br />

Eine winzige Sekunde lang war Booth versucht, die Tür offen zu lassen, dann schüttelte er ent-<br />

schieden den Kopf. Minuten später stand er unter der Dusche, während Bones Essen bestellte,<br />

für sich hatte sie eine Pizza, für Booth das Huhn in Sojasoße bestellt. Noch wusste sie nicht,<br />

dass er während der gesamten Deprivation kein Essen zu sich genommen hatte. Sie saß auf<br />

dem Bett, beobachtete Booth beim Duschen und versuchte, sich darüber klar zu werden, wie<br />

sie ihm am besten bei der Bewältigung dessen, was hinter ihm lag, helfen konnte. Sie hatte sein<br />

Zögern vor der WC Tür sehr wohl bemerkt und sie hatte sich auf die Lippe gebissen. Gerade<br />

wollte sie zu ihm gehen, als er doch eingetreten war. Jetzt stand er schon seit vielen Minuten<br />

unter der Dusche, rührte sich nicht, stand einfach still unter dem warmen Wasserstrahl. Er<br />

stand da, die Hände an die Wand gestützt, das Gesicht in den Wasserstrahl haltend. Schließlich<br />

bewegte er sich und fing an, sich gründlich abzuseifen und die Haare zu waschen. Als er die<br />

Dusche verließ, kam auch schon ihr Essen und mit diesem wurde ein sauberer Kittel für Booth<br />

herein gereicht.<br />

Bones stellte das Essen auf den Sofatisch und Booth kam, ein Handtuch um die Hüfte,<br />

zu ihr. Schwerfällig ließ er sich neben Bones auf das Sofa sinken und fing wortlos an zu Essen.<br />

26


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er aß langsam und fixierte seinen Teller, als wäre er ein spannendes Footballspiel. Als er fertig<br />

war mit Essen, wollte er sich, immer noch schweigend, erheben. Doch Bones hielt ihn am Arm<br />

zurück. Erstaunt sah er sie an. „Booth, du hast Furchtbares durchgemacht, aber es hilft dir<br />

nicht, es auszuschweigen. Ich weiß, dass ich es bin, die immer wieder deutlich macht, wie sehr<br />

ich Psychologie hasse, aber es ist einfach so, dass du es nicht verdrängen darfst. Versuche,<br />

darüber zu reden, bitte.“ Um die betretene Stille, die nach Bones Worten in der Luft schwebte,<br />

zu überbrücken, sagte Booth leise: „Das Essen war gut ...“ Er ließ sich tatsächlich auf das Sofa<br />

zurück gleiten und starrte erneut auf den Tisch vor sich. Bones versuchte, daran anzuknüpfen.<br />

„Was hast du denn dort zu essen bekommen?“ Sie hoffte, mit dieser relativ harmlosen Frage<br />

würde sie Booth die ersten Worte über das Erlebte einfacher machen. Sie hoffte so sehr, die<br />

Frage könnte ein Einstieg für Seeley sein, darüber zu reden, was er durch gemacht hatte. <strong>Die</strong>ser<br />

stocherte geistesabwesend mit der Gabel auf dem leeren Teller herum. Dann sagte er kaum<br />

verständlich: „Ich habe nichts gegessen.“ Bones erschrak. „Was? Haben sie euch nichts zu<br />

essen gegeben?“ „Doch, nur ... Meine ... meine Hände waren die ganze Zeit fixiert und ... und<br />

ich hätte nicht ... Es wäre nicht ... Darum habe ich nichts gegessen ...“ Booth verstummte.<br />

Bones verstand, worauf Booth hinaus wollte. Sie legte ihm sanft einen Arm um die Taille und<br />

versuchte dann mit möglichst sachlich klingender Stimme zu Antworten: „Das verstehe ich, ich<br />

hätte ebenso reagiert.“ Sie merkte, dass ihre Stimme nicht annähernd so sachlich klang, wie sie<br />

es gerne gehabt hätte.<br />

„Hast du denn genug getrunken? Bitte, Honey, du musst es mir sagen, denn wenn nicht<br />

müssten wir etwas gegen eventuelle Dehydrierung bei dir unternehmen.“ Bones spürte, dass<br />

Booth sich an sie lehnte. „Ich ... Getrunken habe ich genug, mach dir keine Sorgen.“ Booth<br />

schaute erstmals, seit er auf dem Sofa Platz genommen hatte, direkt in Tempes Gesicht. Ganz<br />

sanft legte er ihr eine Hand an die Wange und stieß dann heftig hervor: „Ich habe wieder und<br />

wieder versucht, mir dein Gesicht vorzustellen, während ich dort in der Hölle steckte. Schon<br />

nach kurzer Zeit ... Ich konnte nicht ... Ich ... Da war keine Konzentration mehr.“ Tempe<br />

schmiegte ihre Wange in seine Hand und erwiderte leise: „Das kann sich wohl niemand vor-<br />

stellen, der nicht das Gleiche durchgemacht hat. Es muss furchtbar sein.“ Bones hoffte, er wäre<br />

im Stande, sich weiter zu öffnen. Sie spürte Booth zittern und fragte leise: „Willst du dich<br />

wieder hinlegen?“ Booth nickte. „Ich glaube ja. Ich friere unglaublich. Vielleicht wird mir im<br />

Bett wärmer. Und vielleicht kann ich noch ein wenig schlafen.“ Zusammen erhoben die Beiden<br />

sich und gingen Arm in Arm zum Bett hinüber. Liebevoll wickelte Bones Seeley aus dem<br />

Handtuch, dann erklärte sie: „Leg dich hin. Ich komme sofort, um dich zu wärmen.“ Sie hängte<br />

das feuchte Handtuch über einen Halter neben der Dusche. Dann entdeckte sie einen Wasser-<br />

kocher und Tassen, sowie löslichen Kaffee auf der kleinen Anrichte in der Zimmerecke stehen.<br />

Sie bereitete zwei Tassen Kaffee zu, damit kehrte sie zum Bett zurück. Booth nahm dankbar<br />

27


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Tasse und trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken. Als er die Tasse geleert hatte, war<br />

ihm nicht mehr ganz so kalt.<br />

Seufzend machte er sich lang und zog sich das Zudeck bis unter das Kinn. Tempe<br />

stellte die Tassen bei Seite und schlüpfte aus ihrem albernen Kittel. Sie glitt zu Booth unter die<br />

Decke und kuschelte sich so dicht es ging an ihn. Bones ließ ihm Zeit, spürte, dass sie ihn nicht<br />

bedrängen durfte. Sie musste versuchen, ihm durch ihre Nähe nicht nur äußerliche Wärme zu<br />

geben, damit er den Mut fand, über das Schreckliche zu reden. Sie wollte nach dem Licht-<br />

schalter greifen, aber Booth stoppte sie erschrocken. „Können wir das Licht bitte anlassen?“<br />

Seine Stimme klang leicht panisch und Bones sah ihn an. „Es war so schrecklich dort in der<br />

absoluten Dunkelheit, Bones, ich kann das im Moment nicht ertragen ohne Licht, okay?“<br />

„Entschuldige, das war dumm von mir.“, sagte Tempe ehrlich zerknirscht. „Es ist für uns alle<br />

nicht leicht, dass es in unseren Zellen nie wirklich dunkel ist. Absolute Dunkelheit und wie<br />

quälend diese ist, kann ich mir gar nicht vorstellen. Es ist die Orientierungslosigkeit, oder?“<br />

Booth schaute zur Decke über sich und nickte. „Ja, aber nicht nur das. <strong>Die</strong> Hände nicht be-<br />

nutzen zu können ... Du ahnst nicht, wie beängstigend das sein kann, wenn man weder etwas<br />

sieht noch etwas hört. Ich habe schreckliche Angst, dass ich den Rest meines Lebens Panik vor<br />

der Dunkelheit haben werden.“ Booth’ Stimme brach fast. „Das ist Unsinn, Booth, und das<br />

weißt du. Wenn wir hier raus sind, und wir werden hier heraus kommen, gemeinsam, dann<br />

wirst du schnell Dunkelheit mit angenehmen Erlebnissen verbinden, dafür werde ich sorgen.<br />

Dann wirst du bestimmt keine Angst mehr haben.“ Bones wünschte sich Mulder herbei, der<br />

hätte Booth das sicher erheblich besser erklären können. Dabei ahnte Bones nicht, wie gut ihre<br />

etwas hilflosen Worte Booth taten.<br />

„Weißt du, ich habe Halluzinationen gehabt. Bones, die waren ... schrecklich, aber es<br />

waren wenigstens Stimmen, menschliche Stimmen. Sie haben <strong>mich</strong> angeschrien, bedroht, aber<br />

ich habe in den Momenten wenigstens etwas gehört. Ich war dort während einer Halluzination<br />

nicht alleine ... Bones, ich hab <strong>mich</strong> sogar nach Howie gesehnt, kannst du dir das vorstellen?<br />

Ich habe gewünscht, die Stimme von Epps zu hören, nur, um überhaupt etwas zu hören.“<br />

Bones hörte seiner Stimme an, dass er bereit war, noch weiter zu sprechen. Sie warf leise ein:<br />

„Vorstellen kann ich mir das nicht wirklich, ich habe absolute Stille noch nie erlebt, glaube<br />

aber, dass das beängstigend sein muss.“ Sie wollte ihm nur weiter Stichworte liefern, das<br />

Reden sollte Booth beibehalten. Und er tat ihr den Gefallen. Immer noch zur Decke starrend,<br />

fuhr er leise und mit zitternder Stimme fort: „Der Raum war so klein, weißt du, aber man ver-<br />

liert trotzdem völlig die Orientierung, wenn man da in der vollkommenen Schwärze hockt, es<br />

ist unglaublich. Rahim war da. Er hat <strong>mich</strong> ... Er war es, der <strong>mich</strong> ... gefoltert hat. Meine Füße<br />

... Ich konnte teilweise das elende Klo nicht finden. Ich hatte solche Kopfschmerzen ... Raddick<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erklärte mir, er würde <strong>mich</strong> vor Parker erschießen ...“ An dieser Stelle verschlug es Booth<br />

kurzfristig die Stimme. Dass er vollkommen zusammenhanglos erzählte, beunruhigte Bones<br />

ein wenig, aber im Augenblick war weitaus wichtiger, dass er überhaupt redete als das wie. Er<br />

brauchte wieder eine Aufmunterung, das war Bones klar. Ihr liefen, während sie ihm zuhörte,<br />

Tränen über die Wangen. Jetzt streichelte sie sanft unter der Zudecke über Booth’ Brust, ein-<br />

fach eine beruhigende, zärtliche Geste, dass er nicht alleine war. Dann sagte sie liebevoll: „Das<br />

ist vorbei, Babe. Hier erschießt dich keiner.“<br />

*****<br />

Abby ging zur Tür und nahm die Teller mit ihrem Essen in Empfang. Sie trug sie zum<br />

Tisch und stellte für Gibbs und sich selbst je eine Flasche Bier dazu. Gibbs stand auf und bat:<br />

„Kannst du es einen Moment irgendwie warm halten? Ich möchte erst duschen ...“ Er wartete<br />

keine Antwort ab, sondern ging langsam und schwerfällig zur Dusche, die Arme eigenartig<br />

steif an den Körper pressend, als begreife er gar nicht, dass er sie wieder frei bewegen konnte.<br />

Vor der Duschkabine blieb er stehen und sah sich gedankenverloren einen Stapel Handtücher<br />

an. Eine Minute lang, zwei Minuten, dann schüttelte er den Kopf, griff zwei Handtücher und<br />

legte sie neben der Duschkabine bereit. Er öffnete langsam seinen Kittel, ließ ihn achtlos von<br />

seinem Körper gleiten und stieg unter die Dusche. Verhältnismäßig schnell duschte er, dann<br />

rubbelte er sich trocken und schlang sich ein Handtuch um die Hüfte. So kam er an den Tisch<br />

und setzte sich wortlos neben Abby auf das Sofa. „Danke Abbs.“ Mit leicht zitternden Händen<br />

nahm er den Deckel vom Teller und fing wortlos an zu essen. Als er fertig war, lehnte er sich<br />

zurück und sah sich geistesabwesend im Zimmer um. Es war hell. Er konnte sehen und hören,<br />

und er konnte seine Hände benutzen. Wie, um sich dies zu beweisen, streckte er die Arme über<br />

den Kopf und reckte sich. Dann schaute er seine Hände an. Sie zitterten immer noch. Abby<br />

hielt es für angebracht, das Schweigen zu brechen, das seit dem Essen herrschte.<br />

„Wie fühlst du dich, Gibbs? Ist alles in Ordnung?“ Es schien einige Momente zu<br />

brauchen, bevor die Worte bis zu seinem Hirn vorgedrungen waren. Dann sah er Abby an.<br />

„Ganz ehrlich, Abbs, ich ... weiß es nicht. Körperlich fühle ich <strong>mich</strong> einfach müde und zer-<br />

schlagen. Aber seelisch ... <strong>Die</strong>se absolut undurchdringliche Schwärze ... Totenstille ... kein<br />

noch so kleines Geräusch, kein noch so winziger Lichtschein ... Kein Tasten, weil die Hände<br />

ständig gefesselt waren ... Abbs, der Raum war winzig und trotzdem habe ich das verdammte<br />

Klo nicht wieder gefunden.“ Gibbs sprang auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen.<br />

Abby hatte schweigend zugehört. Jetzt sagte sie verlegen: „Gibbs, hör zu, jeder von uns wird<br />

hier an den Rand des endgültigen Zusammenbruches getrieben. <strong>Die</strong>se elenden Schweine legen<br />

es doch genau darauf an. Dass sie uns jedes Mal nach einem ihrer Spielchen Gelegenheit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geben, uns wieder ein wenig zu erholen, dient doch nur der Tatsache, dass wir soweit bei<br />

Kräften bleiben, dass sie sich die nächsten Spielchen einfallen lassen können. Wie müssen ...<br />

irgendwie zusammen halten und es schaffen. Gibbs, du bist so unglaublich stark, du wirst das<br />

verarbeiten. <strong>Die</strong> haben dich in die Luft gesprengt und du hast es überlebt, du wirst das hier<br />

ganz sicher auch überstehen.“ Gibbs war stehen geblieben und hatte Abby zugehört. <strong>Die</strong><br />

Konzentration fiel ihm immer noch extrem schwer, aber er begriff Abbys Worte und verstand<br />

auch ihren Sinn.<br />

„Ich brauche einfach ein wenig Zeit, das zu verarbeiten. Es ist nicht ganz einfach, wenn<br />

man merkt, dass man nicht annähernd so belastbar ist, wie man dachte. Natürlich hast du<br />

Recht. <strong>Die</strong>se Leute legen es darauf an, uns an den Rand und weiter zu treiben. ... Fast glaube<br />

ich, sie schaffen es, <strong>mich</strong> zu ... <strong>mich</strong> zu brechen ...“ Er sprach abgehackt und legte immer<br />

wieder kurze <strong>Über</strong>legungspausen ein. Abby ließ ihn ungestört Reden. Langsam fuhr Gibbs<br />

fort: „Man sieht nichts, absolut nicht ... nicht das kleinste bisschen Licht, Abbs, nichts. ... als<br />

ob man blind wäre ... und die Stille.“ Er legte den Kopf auf die Seite, als würde er nach etwas<br />

Lauschen. „Totenstille. Kein Geräusch ... kein noch so leises Geräusch war da zu hören ... <strong>Die</strong><br />

Hände gefesselt ... <strong>Die</strong> ganze Zeit ... Ich konnte nicht mal Tasten ... Auf dem Rücken ... Hab<br />

das Wasser nicht gefunden. Ich hab das verdammte Wasser nicht gefunden, Abbs. In einer<br />

nicht mal zwei Mal zwei Meter großen Zelle ...“ Gibbs war die ganze Zeit auf und ab gelaufen,<br />

jetzt stand er mitten im Zimmer und starrte Abby verzweifelt an. Tränen liefen ihm über das<br />

Gesicht. „<strong>Die</strong>se Schweine.“, platzte Abby voller Wut heraus. „<strong>Die</strong> werden keinen von uns<br />

brechen, und dich schon überhaupt nicht. Gibbs, wir schaffen das hier gemeinsam.“ Sie eilte zu<br />

ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. „Wir schaffen das.“ Sanft führte sie Gibbs zum<br />

Bett hinüber, sicher, dass er todmüde sein musste, so, wie er aussah. Mit sanfter Gewalt<br />

brachte sie ihn dazu, sich hinzulegen und deckte ihn fürsorglich zu. Und sah sofort, dass sie mit<br />

ihrer Annahme Recht gehabt hatte. Kaum lag Gibbs im Bett, fielen ihm die Augen zu und er<br />

schlief ein.<br />

*****<br />

Nach ihrem Weinkrampf hatte Allison sich in das weiche, wundervolle Bett gelegt und<br />

war fast sofort eingeschlafen. Sie hatte das Gefühl, wirklich lange geschlafen zu haben, denn<br />

als sie aufwachte, fühlte sie sich deutlich besser. Sie hatte Hunger und Durst und so rappelte<br />

sie sich mühsam aus dem Bett und sah sich im Zimmer gründlicher um. Ein Kühlschrank in<br />

einer Ecke sprang ihr in die Augen und sie ging hinüber, mit kleinen, unsicheren Schritten, als<br />

wäre noch die Kette zwischen ihren Füßen. Dann bemerkte sie, dass sie so unsicher lief und<br />

schüttelte den Kopf. <strong>Die</strong> letzten Schritte machte sie vernünftig. Im Kühlschrank fand sie<br />

30


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wasser, Bier und Cola und nach kurzem Zögern griff sie sich ein Bier. Aus dem Augenwinkel<br />

sah sie die Speisekarte und seufzte erleichtert auf. Schnell entschied sie sich für die Garnelen<br />

in Reisteig und wartete mit dem Bier, bis ihr Essen eintraf. Dann aber ließ sie sich beides<br />

schmecken. Als sie satt war, schaltete sie den TV ein und sah die DVDs durch. Sie entschied<br />

sich für Patch Adams mit Robin Williams. Mehr oder weniger interessiert verfolgte sie das<br />

Geschehen auf dem Bildschirm. Als nach zwei Stunden der Film durch war, fing Allison an,<br />

unter der Einsamkeit in diesem Raum zu leiden. Sie wollte so gerne wieder in den Zellentrakt.<br />

Wie es wohl Gibbs und Booth erging? Ob die Beiden noch ...? Sie wollte nicht an die Dunkel-<br />

kammer denken und konzentrierte sich stattdessen auf House.<br />

Und zuckte erschrocken zusammen, als die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde. „Los,<br />

Nummer 10, auf geht’s.“ Allison sprang auf und beeilte sich, der Wache den Rücken zuzu-<br />

drehen und die Hände hinter denselben zu legen. Sie wurde gefesselt und dann ab geführt. Ihr<br />

Herz raste. Was hatten die jetzt wieder vor? Man brachte sie zum Fahrstuhl und es ging zwei<br />

Etage hinunter. Sie hätte nicht sagen können, wo im Gebäude sie sich befand, weil alles<br />

identisch aussah. Zu ihrer maßlosen <strong>Über</strong>raschung wurde sie direkt in den Kerker geführt.<br />

Freudentränen traten ihr in die Augen, als sie den Zellentrakt vor sich sah. Sie überflog blitz-<br />

schnell die Zellen und merkte sofort, dass Gibbs, Booth, Abby und Bones fehlten. Das Licht<br />

war grün, und so wurde Allison sofort von allen freudig begrüßt, kaum, dass sich ihre Zellentür<br />

geschlossen hatte. Heather war die Erste, die mitfühlend fragte: „Allison. Wie geht es dir? War<br />

es sehr schlimm?“ Ziva wollte erst einmal wissen, ob sie etwas von Gibbs und Abby wusste.<br />

Dana fragte sofort nach physischen Symptomen, während Mulder Fragen zu Allison<br />

psychischer Verfassung stellte. Allison wusste gar nicht, wem sie zuerst antworten sollte. Sie<br />

wartete eigentlich, das House etwas zu ihr sagte. Locke warf Allison einen verstohlenen Blick<br />

zu, intuitiv erfasste er, dass ihre relativ schnelle Rückkehr und auch die Tatsache, dass es ihr<br />

Recht gut zu gehen schien, Folgen für die Zukunft haben würde ... Er suchte nach den richtigen<br />

Worten, etwas Tröstliches zu sagen. Bevor er dazu kam, fragte Allison beunruhigt nach den<br />

Leidensgenossen, damit auch Zivas Frage beantwortend. „Ich habe Gibbs und Booth nicht ge-<br />

sehen. Wann sind Abby und Bones abgeholt worden?“ Sawyer hatte Cameron Rückkehr er-<br />

freut zur Kenntnis genommen. Er sah zu ihr hinüber und erklärte: „Hey, Doc, schön, dass du<br />

wieder da bist. Du sieht sexy aus. Hast du etwa ein neues Outfit? <strong>Die</strong> Mode steht dir gut.<br />

Bones und Abby sind noch nicht lange weg, ein paar Stunden vielleicht.“ Allison lächelte zu<br />

Sawyers Zelle und konnte tatsächlich lachen. „Ja, die haben mir einen Kittel nach der neusten<br />

Pariser Fashion spendiert. Sieht heiß aus, oder?“ Sie drehte sich einmal um sie selbst. Nur zu<br />

gerne ergriff jeder der Gefangenen die seltene Gelegenheit, durch ein befreiendes Lachen<br />

wenigstens ein ganz klein wenig von dem sie alle belastenden Stress abzubauen.<br />

31


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Es war Mulder, der mit einer Bemerkung schließlich die Wahrheit erfasste.<br />

„Wahrscheinlich sind Gibbs und Booth in schlechterer Verfassung als du. Sie dürften genug<br />

traumatische Erlebnisse hinter sich haben, um schlimme Halluzinationen gehabt zu haben. Es<br />

gehört offensichtlich zum Programm unserer Entführer, nach wirklich belastenden Erlebnissen<br />

eine vertraute Person die Nachsorge übernehmen zu lassen. <strong>Die</strong> wollen zwar unseren Willen<br />

brechen, aber uns nicht völlig kaputt machen.“ Allison seufzte. „Also, mir hat es gereicht. Es<br />

war nicht nur Dunkelheit, in erster Linie war es die Stille. Es ist grässlich, Stunden, Tage nur<br />

die eigenen Geräusche zu hören. Man sitzt da, lauscht auf seinen Atem, auf seinen Herzschlag,<br />

auf ... Und man möchte so gerne irgendetwas anderes hören, eine Stimme, und wenn sie auch<br />

noch so unfreundlich wäre.“ „Mich hätte schon die Enge fertig gemacht.“, erklärte Kate<br />

schaudernd. Unerwartet sprang Ziva ihr bei. „Ich hätte auch Wahnsinns Schwierigkeiten, schon<br />

hier in der Zelle macht <strong>mich</strong> die Enge und die Bewegungseinschränkung verrückt.“ Und jetzt<br />

endlich machte House den Mund auf. „Jetzt ist es ja vorbei und du wirst das hoffentlich schnell<br />

vergessen. Ich war in Gedanken ... Wie es wohl Booth und Gibbs gehen mag ...“<br />

*****<br />

Man ließ Bones und Booth zwei Tage in dem Wohnraum, sie bekamen ausreichend zu<br />

Essen und wurden, bis auf kurze Besuche eines Arztes, der Booth’ Zustand überprüfte, in Ruhe<br />

gelassen, genau wie Gibbs und Abby in ihrem Raum. Booth benötigte die Zeit aber auch mehr<br />

als dringend, um sich auch nur ansatzweise zu fangen. Bones und er sprachen, nachdem Booth<br />

ausgeschlafen hatte, viel über die Zeit in der Dunkelhaft. Booth selbst fing immer wieder<br />

davon an, und Bones unterstützte ihn darin. Am Morgen des dritten Tages, nach der Zeit-<br />

rechnung der Gefangenen, wurden die vier zurück in den Kerker gebracht. Freudig wurden sie<br />

von den anderen Gefangenen begrüßt. „Mensch, Booth, Gibbs, schön, euch wieder hier zu<br />

haben. Wie geht es euch?“ „Bones, du wandelndes Lexikon, du hast uns gefehlt. Keiner hat<br />

etwas gesagt, dass außer dir niemand versteht.“ Sawyer grinste frech. Er hatte die Arme durch<br />

die Gitterstäbe gestreckt und stützte sich so locker auf. Bones sah ihn überrascht an, dann er-<br />

klärte sie todernst: „Ich weiß nicht, was das bedeutet. Spreche ich undeutlich?“ Jake schüttelte<br />

entnervt den Kopf. „Menschenskinners, Booth, sag ehrlich, wie oft verstehst du sie nicht?“<br />

Booth lachte etwas gequält. „Meistens.“ Locke begrüße Abby freundlich. „Schön, das du<br />

wieder da bist, ich habe <strong>mich</strong> so an deinen Anblick gewöhnt. Deinem Boss geht es wieder gut,<br />

das ist beruhigend.“<br />

<strong>Die</strong> nächsten Tage verliefen ruhig, die Gefangenen wurde in Ruhe gelassen, wofür be-<br />

sonders Gibbs und Booth natürlich dankbar waren. Sie hatten das Erlebnis der Isolationshaft<br />

noch lange nicht wirklich überwunden. Doch die Tatsache, dass man sie in Frieden ließ be-<br />

32


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ruhigte die Eingesperrten keineswegs, denn bisher hatten sie immer wieder die Erfahrung ge-<br />

macht, je mehr man sie in Frieden ließ, desto dicker kam es dann. So wurden alle langsam aber<br />

sicher immer nervöser. Sie zuckten zusammen, wenn Wachen in den Kerker kamen, bei jedem<br />

Knacken des Lautsprechers, schliefen unruhig. Erschwerend kam hinzu dass sie kaum Ge-<br />

legenheit hatten, sich zu unterhalten. Dabei wäre es für sie alle extrem hilfreich gewesen,<br />

Reden zu können. <strong>Über</strong> ihre Ängste, über schon erlebtes. Doch die Grünphasen waren stark<br />

eingeschränkt worden, einen Grund dafür konnte keiner erahnen. Und dann kam der Morgen,<br />

an dem eine klare Lautsprecherdurchsage erschallte. „Achtung, Gefangene, aufgepasst.<br />

Nummern 8, 9 13 und sechzehn hoch und ans Gitter, aber schnell.“<br />

Menschenjagd<br />

Ich weiß wohl, vor wem ich fliehen soll, aber nicht zu wem.<br />

Marcus Tullius Cicero<br />

Recht verwirrt über die Zusammenstellung traten Kate, Gibbs, Gil und Heather an die<br />

Zellentüren und ließen sich mit einem sehr unguten Gefühl die Hände fesseln. Komischerweise<br />

schoss Gil der Gedanke durch den Kopf, dass noch keiner von ihnen diese Aktion verweigert<br />

hatte, in der ganzen Zeit, die sie nun schon hier waren. Er warf einen flüchtigen Blick auf Sara,<br />

die sehr besorgt zusah und lächelte ihr verkniffen zu. Sawyer, Jake, Abby und Ziva waren nicht<br />

minder beunruhigt als Sara und standen an den Gittern, die Hände um die Stäbe verkrampft,<br />

sahen hilflos einmal mehr hinterher, als die Menschen, die sie liebten aus dem Kerker geführt<br />

wurden. Kate warf einen unglücklichen Blick zu Sawyer hinüber und biss sich auf die Lippe.<br />

Kaum waren die vier aus dem Kerker gebracht worden, ging das grüne Licht an. „Was haben<br />

die nur jetzt wieder vor? Wo bringen sie Gibbs und die <strong>Anderen</strong> hin?“ „Das werden wir er-<br />

fahrungsgemäß erst zu Wissen kriegen, wenn sie verl... wenn sie wieder zurück gebracht<br />

werden ... oder gar nicht.“, knurrte House frustriert. Sara und Jake, aber auch Sawyer, hatten<br />

bei dem kläglichen Versuch Gregs, das Wort verletzt noch abzuwiegeln, alle Farbe verloren,<br />

von der ohnehin nicht mehr viel zu sehen war. Der inzwischen mehr als zweimonatige Aufent-<br />

halt ohne Sonne hatte sie alle blass werden lassen. Selbst Zivas natürlich sanft brauner Hautton<br />

war käsig und ungesund. Sawyer krallte sich noch stärker an die Gitterstäbe. „Sie werden nicht<br />

verletzt.“, sagte er leise und tonlos. „Nein, werden sie sicher nicht, ist mir nur so rausgerutscht,<br />

ist ja bisher auch noch nie vorgekommen ...“ House konnte sich einen sarkastischen<br />

33


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kommentar einfach nicht ganz verkneifen. „Nun halte doch mal dein Schandmaul.“, stieß<br />

Allison ärgerlich hervor. Und sie erreichte das fast unmögliche. Greg verstummte vorerst.<br />

*****<br />

„Ihr werdet Wasser, Lebensmittel für zwei bis drei Tage, Binden, einen Kompass und<br />

ein Messer bekommen. Das Gelände ist hundertzwanzig Quadratkilometer groß und von einem<br />

Zaun umgeben. Solltet ihr meinen, Fliehen zu können, werden eure Partner qualvoll sterben,<br />

damit wir uns richtig verstehen. Und ich meine qualvoll. Es gibt nur einen Weg hinaus. Um<br />

den zu finden, müsst ihr zwei Aufgaben bewältigen. Solltet ihr diese falsch oder der Einfach-<br />

heit halber gar nicht lösen, und geht in die verkehrte Richtung, seid ihr tot, am Ende der<br />

falschen Wege wartet jeweils ein Exekutionskommando mit dem klaren Befehl, euch zu töten.<br />

Ihr werdet zwei Stunden Vorsprung bekommen, dann werdet ihr verfolgt werden, und zwar<br />

gnadenlos. Eure Verfolger haben Messer und Pfeil und Bogen. Ich an eurer Stelle würde an<br />

den Intentionen der Jäger nicht zweifeln. Wir können keine Versager brauchen. Daher werden<br />

wir jeden von euch eliminieren, der unseren Ansprüchen nicht gerecht wird. Ihr habt das Recht,<br />

euch mit allen Mitteln zu wehren. Solltet ihr Gelegenheit bekommen, einige eurer Verfolger<br />

auszuschalten, nutzt sie! Noch was. Wir sind hier in einem tropischen Regenwald. Hier gibt es<br />

Giftschlangen, giftige Spinnen und vor allem Siam- und Leistenkrokodile. In den Mangroven-<br />

sümpfen gibt es Haie. Also, seht euch lieber vor.“<br />

Fassungslos standen Kate, Heather, Gibbs und Gil vor einigen der Wachposten und<br />

lauschten entsetzt der Erklärung dessen, was vor ihnen lag. Jeder von ihnen bekam einen<br />

Rucksack in die Hand gedrückt, der recht schwer war. Sie hatten keine Zeit, lange<br />

Nachzudenken, denn schon hatten sie sich die Rucksäcke auf den Rücken zu schnallen. Man<br />

hatte ihnen noch im Gebäude die Arm und Fußreifen, sowie das Halsband abgenommen.<br />

Nachdem man ihnen die Augen verbunden hatte, hatte man sie an den Oberarmen gepackt weg<br />

geführt, mit dem Fahrstuhl einige Etage abwärts. Dann ging es ganz offensichtlich nach<br />

draußen. Sie wurden über rauen Boden geführt, dann spürten sie kühlen Stahl unter ihren<br />

nackten Sohlen. <strong>Die</strong>se Rampe, mit der sie ein Stück angehoben wurden, kannten sie schon von<br />

dem Ausflug zum Steine schleppen. Da waren sie allerdings bequem sitzend transportiert<br />

worden. Jetzt hatten sie den Befehl bekommen, sich auf den Bauch zu legen. Erstaunt hatten<br />

sie gehorcht, hatten sich vorsichtig, da sie ja nichts sehen konnten, auf die Knie, dann auf den<br />

Bauch niedergelassen. „Hände hinter den Nacken.“, war der nächste, harsche Befehl ergangen.<br />

Erschrocken hatten alle vier gehorcht und die Hände hinter dem Kopf ineinander verschränkt.<br />

Und waren heftig zusammen gezuckt, als sie dann auch noch kalten Stahl im Genick spürten.<br />

„Bewegt euch oder gebt einen Laut von euch, und eure Lover sehen euch nie wieder.“<br />

34


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibbs schätzte, dass sie mindestens vier Stunden, eher länger, auf dem Bauch liegend,<br />

die Hände die ganze Zeit über hinter dem Kopf, über zum Teil sehr unwegsames Gelände ge-<br />

schaukelt worden waren. Fortwährend drückte der Lauf der Waffe an seinem Genick. <strong>Die</strong><br />

Haltung, in der sie gelegen hatten, war extrem unbequem gewesen. Er dachte über das nach,<br />

was vor ihnen lag. Kam eine neue Phase in der Entführung? Systematische Aussortierung? Ihm<br />

schauderte. Er wusste nicht, wie Kate einzuschätzen war, fit war sie jedenfalls. Gil und Heather<br />

hatten sich auf dem Laufband als nicht eben sehr konditionsstark erwiesen. Und beide waren<br />

mit absoluter Sicherheit im Gelände, von Killern verfolgt, keine Hilfe, sondern eine Last. Wie<br />

und was Kate war, musste er abwarten. Endlich kam der Wagen zum Stehen. „Los, hoch mit<br />

euch.“, wurden die vier Gefangenen angefahren. Steif rappelten sie sich auf die Beine und<br />

reckten und streckten sich. Man packte sie erneut am Arm und führte sie zu der Plattform, mit<br />

der es abwärts ging. Erst hier wurden ihnen nun die Augenbinden abgenommen. Alle vier<br />

blinzelten in die grelle Sonne. Sie sahen sich um. Was da vor ihren Augen lag, war Dschungel.<br />

Regenwald. Undurchdringlich, grün, unheimlich. „Nördlich von euch ist das Meer. Eine<br />

Schlucht durchzieht das Gelände, das zum Wasser stark abfällt. Südlich ist ein Fluss, mit<br />

reißender Strömung und heftigen Stromschnellen. Euer Ziel liegt westlich von hier. Wie schon<br />

erwähnt, habt ihr zwei Stunden Vorsprung ab jetzt. Denkt daran, dass eure Verfolger bewaffnet<br />

sind und keine Gnade walten lassen werden.“ Er drückte Heather eine Stoppuhr in die Hand,<br />

die hundertzwanzig Minuten rückwärts zählte. Kate setzte sich in Bewegung und marschierte<br />

wortlos auf die grüne Wand vor ihnen zu. <strong>Die</strong> drei <strong>Anderen</strong> folgten.<br />

Heather schreckte unwillkürlich zurück, als sie den undurchdringlichen Urwald vor sich<br />

sah. Wie sollten sie da durch kommen, noch dazu verfolgt von Killern, die sie töten wollten?<br />

<strong>Die</strong> junge Frau zitterte innerlich. <strong>Die</strong>se Umgebung war ihr unheimlich. Freiwillig wäre sie nie<br />

und nimmer in einen solchen Dschungel gegangen. Sie war die weiten, offenen steppenähn-<br />

lichen Landschaften in Kansas gewöhnt, wo man weit gucken konnte, um eventuelle Gefahren<br />

frühzeitig zu sehen. <strong>Die</strong>ser undurchdringliche Regenwald mit seinen Tieren und Pflanzen, die<br />

sie nicht kannte, machte ihr Angst. Sie musste darauf vertrauen, dass einer der anderen wusste,<br />

was zu tun war. So folgte sie Kate, die kommentarlos die Führung übernahm, zusammen mit<br />

Gibbs. Von dem kam die Anweisung: „Lasst uns mal sehen, in welchem Rucksack Kompass<br />

und Messer sind.“ Heather wollte stehen bleiben, aber Kate warf ihr einen Blick zu, der die<br />

junge Lehrerin augenblicklich zum Weitergehen anspornte. Im Laufen nahm sie den Rucksack<br />

von der Schulter und sah ihn durch. Drei Liter Wasser, Dosenfleisch, Pfirsiche in Dosen,<br />

Fischkonserven und Mais, ebenfalls aus der Dose, Verbandsmaterial. Heather entdeckte einen<br />

Dosenöffner und eine Gabel. Keinen Kompass und erst Recht kein Messer. „Bei mir ist<br />

nichts.“, gab sie bekannt und wäre fast über einen im Unterholz versteckten Baumstamm ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stolpert. „Pass ein bisschen auf, wo du hin trittst, wenn einer von uns sich hier verletzt, ist er so<br />

gut wie verloren, wenn die ihr Killerkommando los schicken.“, erklärte Gibbs ruhig. Heather<br />

nickte heftig. In diesem Moment kam von Gil die Meldung: „Hier, hier ist der Kompass. Wer<br />

übernimmt den?“ „Dafür müssten wir erst einmal feststellen, Kate, wie gut du mit der Wildnis<br />

vertraut bist, wie gut wir alle damit vertraut sind.“ Gibbs warf seinen Gefährten im Gehen<br />

prüfende Blicke zu.<br />

„Ich habe kaum Erfahrungen, außer kleiner, ungefährlicher Ausflüge in der Umgebung<br />

von New Bern, häufig zu Pferde.“, erklärte Heather ehrlich. „Great Plains.“ Das war mehr eine<br />

Feststellung als eine Frage von Kate. „Ja. Weite, offene Steppen, in der wir unsere Verfolger<br />

schon zwei Stunden vorher sehen könnten.“, stimmte Heather unglücklich zu und wich einem<br />

Spinnennetz aus, welches vor ihr in einem Gebüsch hing. „Geht mir nicht viel anders, in der<br />

Wüste um Las Vegas kenne ich <strong>mich</strong> aus und ich war auf einigen wenigen, gut ausgerüsteten,<br />

geführten Expeditionen im Dschungel, in denen ich <strong>mich</strong> um meine Insekten gekümmert habe,<br />

nicht um Wege und schon gar nicht um mörderische Verfolger.“ Gil hatte den Kompass in die<br />

Hand genommen und den Rucksack wieder auf den Rücken gesetzt. „Ich war auch immer eher<br />

in Wüstengebieten im Einsatz, nur einmal im tropischen Regenwald. Aber grundsätzlich<br />

komme ich in der Wildnis schon zurecht.“ Gibbs sah auffordernd Kate an. „Wir waren viel in<br />

der Wildnis unterwegs. Mein Vater ... Stiefvater hat <strong>mich</strong> mitgenommen zu tagelangen<br />

Wanderungen in den Wäldern Iowas. Wir haben gejagt, ich kann Fährten suchen. Ich denke,<br />

ich kann auch hier überleben, zumal Gil doch sicher die Tier und Pflanzenwelt hier kennt,<br />

hoffe ich?“ Sie sah Gil besorgt an. „Ich kann euch sagen, was es hier für Insekten geben<br />

könnte, kenne <strong>mich</strong> einigermaßen mit Schlangen aus, Pflanzen, hm, ich bin kein Botaniker,<br />

sondern Entomologe. Aber Grundwissen besitze ich schon.“ „Wer kann mit einem Messer um-<br />

gehen?“, fragte Heather leise. „Ich kann damit Kartoffeln schälen.“ Kate lächelte. Gil<br />

schüttelte den Kopf. „Das ist bei mir ähnlich.“ Kate hatte das Messer, ein großes, schweres<br />

Jagdmesser, in ihrem Rucksack gefunden und hielt es in der Hand. „Gibbs?“ „Ziva könnte.“<br />

Gibbs grinste. „Ich kann mit einem Messer Kämpfen, dazu wurde ich ausgebildet, aber ziel-<br />

gerichtet werfen, da gibt es andere, die besser sind, fürchte ich.“ Kate zog das Messer aus der<br />

Scheide, wog es kurz in der Hand und packte es fest an der Spitze. Dann zielte sie kurz und<br />

schleuderte das Messer treffsicher auf einen kleinen Baum, in dem es zitternd stecken blieb.<br />

„Kate bekommt das Messer.“, erklärte Gibbs lakonisch.<br />

*****<br />

Im Kerker herrschte eisiges Schweigen. Nachdem die vier Mitgefangenen abgeholt<br />

worden waren, hatte längere Zeit Grünphase geherrscht, die Zurückgebliebenen hatten sich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

darüber unterhalten, was wohl mit den <strong>Anderen</strong> geschehen sollte. Dann jedoch erlosch das<br />

grüne Licht und es herrschte Stille. Abby tigerte, wie Ziva, unruhig in ihrer Zelle hin und her.<br />

Sie war nervös, fühlte sich ohne Gibbs um vieles Unsicherer, obwohl das albern war, da er<br />

auch nichts an ihrer Situation ändern konnte, das war Abby schon klar. Ihn einfach in der Nähe<br />

zu wissen, gab der jungen Frau schon psychologischen Halt. Sara, Jake und Sawyer wurden<br />

mit jeder verstreichenden Minute nervöser. Warum wurden die Vier nicht langsam zurück ge-<br />

bracht? Was hatten ihre Quälgeister mit ihnen vor? Was mussten sie gerade durchmachen?<br />

Sawyer hielt es auch nicht mehr ruhig auf seinem Bett, wo er gesessen und trübsinnig vor sich<br />

hin gegrübelt hatte. Er sprang so plötzlich auf, das Bones in der Zelle neben ihm erschrocken<br />

zusammen zuckte. Fast wäre der jungen Frau ein Fluch über die Lippen gekommen. Sawyer<br />

trat an die Tür und starrte blicklos zu Kates leerer Zelle hinüber. Er prustete genervt und biss<br />

sich auf die Lippe. Verdammt. Und gerade, als er glaubte, es nicht mehr auszuhalten ohne los-<br />

zufluchen tat sich in der Mitte des Kerkers etwas. Zwei riesige Plasma Bildschirme wurden<br />

von der Decke gelassen und in zirka zwei Metern Höhe arretiert. Rechts und links davon<br />

wurden runde Lautsprecher aus der Decke gelassen und sorgten dafür, dass die Zelleninsassen<br />

akustisch alles mit bekamen. <strong>Die</strong> Bildschirme flackerten kurz auf, dann erschien ein Bild, dass<br />

den Gefangenen eine Gänsehaut über den Rücken jagte.<br />

Ihre vier Mitgefangenen standen auf einer Lichtung mitten im tropischen Regenwald.<br />

Sie hatten Rucksäcke auf dem Rücken und wirkten verunsichert und besorgt. Eine der Wachen<br />

stellte sich vor die Vier und erklärte kalt: „Nördlich von euch ist das Meer. Eine Schlucht<br />

durchzieht das Gelände, das zum Wasser hin stark abfällt. Südlich ist ein Fluss, mit reißender<br />

Strömung und heftigen Stromschnellen. Euer Ziel liegt westlich von hier. Wie schon erwähnt,<br />

habt ihr zwei Stunden Vorsprung ab jetzt. Denkt daran, dass eure Verfolger bewaffnet sind und<br />

keine Gnade walten lassen werden. “ Vollkommen entsetzt lauschten die Zelleninsassen diesen<br />

Worten. Das konnte doch wohl nur ein Scherz sein. Wie zum Hohn ging das grüne Licht an<br />

und sofort redeten alle durcheinander. „Das ist doch wohl hoffentlich ein Witz.“ „Seit wann<br />

machen die Bastarde Witze!“ „Wie können die so was machen.“ „Großer Gott, Heather hat<br />

keine Ahnung von der Wildnis.“ „Gil wird das nie und nimmer durch halten.“ „Ziva. Sie<br />

werden Gibbs umbringen.“ Aus dem Lautsprecher ertönte erneut eine Stimme. „Habt ihr er-<br />

raten, was wir spielen? Menschenjagd. Eure Freunde haben Verpflegung für drei Tage, ein<br />

Messer, einen Kompass und hoffentlich viel Glück. Acht Jäger, zu allem entschlossen und was<br />

das Wichtigste ist, Freiwillige, werden nach zwei Stunden die Verfolgung aufnehmen. Sie<br />

werden jeden Töten, den sie erwischen. Ihr werdet dank überragender Technik vieles live ver-<br />

folgen können. Natürlich ist nicht der ganze Wald mit Kameras gespickt, aber es sind ge-<br />

nügend vorhanden, um immer wieder interessante Einblicke in das Fluchtverhalten eurer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Freunde zu bekommen. Ich hoffe, ihr langweilt euch in den nächsten Tage nicht zu sehr.“ Nach<br />

diesen Worten herrschte im Kerker eisiges Schweigen.<br />

Vollkommen geschockt hatten alle die kalten Worte vernommen. Es vergingen keine<br />

zwei Minuten, dann kamen einige sehr eigenartige Anweisungen. Zuerst jedoch öffneten sich<br />

alle Zellentüren. „Nummer 6, zu 15 in die Zelle. Nummer 3, zu 10. 12 zu 5. 7 zu 2. 14 zu 11. 4<br />

und 1 in Zelle 9. Zackzack. Und dann Türen zu.“ Erstaunt beeilten sich die überraschten Ge-<br />

fangenen, dem Befehl nachzukommen. Verständnislos standen sie dann jeweils zu zweit in den<br />

Zellen. „Was soll das?“, fragte Abby perplex. „Das kann ich dir sagen. So ist gewährleistet,<br />

dass jeder von uns einen perfekten Blick auf die Bildschirme hat und nichts verpasst.“, knurrte<br />

House hasserfüllt. Langsam nickten die <strong>Anderen</strong>. House hatte sicher Recht. Einen anderen<br />

Grund gab es nicht. Booth und Bones, die auf diese Weise plötzlich in Nachbarzellen steckten,<br />

wagten es, ans Gitter zu treten und sich zärtlich zu berühren. Doch augenblicklich schrien Jake<br />

und Dana gequält auf und Bones und Booth drifteten erschrocken auseinander. „Gott, tut mir<br />

leid.“, stotterte Bones unglücklich. „Kein Problem, ich hätte es auch versucht.“, keuchte Jake.<br />

Auf den Bildschirmen erschien die Ansicht einer ganzen Gruppe von Männern, acht Männern,<br />

die sich lachend und scherzend darüber unterhielten, wie sie in knapp hundert Minuten die<br />

Jagd eröffnen würden.<br />

„Ich bin gespannt, was das wird. Mit Pfeil und Bogen habe ich noch nie<br />

jemanden gekillt. Ich würde es auch bei Gibbs lieber auf einen guten Kampf<br />

ankommen lassen.“<br />

„Und ich würde mir Austen gerne vorher ein wenig zur Brust nehmen ...<br />

Mal sehen, vielleicht ergibt sich die Gelegenheit ja. <strong>Die</strong>smal werde ich nicht<br />

vorher aufhören, soviel ist sicher.“<br />

„Das kann ich mir vorstellen. Wer würde das nicht? Sie ist heiß.“<br />

„Von unserer Provinzpflanze ist wohl kaum Widerstand zu erwarten und<br />

von Grissom wohl auch eher nicht.“<br />

„<strong>Die</strong> Beiden sind langweilig. Ein schneller Schuss und das war es. Ich<br />

hoffe, Gibbs und Austen sind halbwegs würdige Gegner.“<br />

„Wie lange noch?“<br />

„Siebenundneunzig Minuten. Ich finde, die Lehrerin ist gar nicht so<br />

schlecht. Sie soll technisch eine Menge drauf haben.“<br />

„Tja, ihre Betttechnik ist noch nicht so ausgefeilt. Immerhin stirb sie jetzt<br />

nicht mehr als Jungfrau.“<br />

weitern.“<br />

„Vielleicht ergibt sich ja noch die Möglichkeit, ihre Betttechnik zu er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer sank mit Tränen in den Augen auf das Bett und Allison war sofort bei ihm,<br />

nahm ihn in den Arm und sagte sanft: „Mach dir keine so großen Sorgen, Sawyer, noch haben<br />

sie sie nicht. Und so wie ich Kate einschätze, kann sie sehr gut auf sich aufpassen. Und Gil und<br />

Heather sind nicht annähernd so hilflos, wie es den Anschein hat. <strong>Die</strong> werden es schaffen,<br />

daran musst du einfach glauben, hört du?“ Eine Zelle weiter hockte Jake schluchzend vor Wut,<br />

Hass und Angst gleichermaßen auf dem Bett und Dana bemühte sich wie Allison bei Sawyer<br />

darum, den jungen Mann ein klein wenig zu beruhigen. „Jake, es nützt nichts, wenn du aus-<br />

rastest. Wir wissen nun einmal alle, dass wir ständig beobachtet werden, das ist eine be-<br />

stehende Tatsache. Und dass die sich das Maul zerreißen, ist doch wohl auch klar. Wir können<br />

nicht erwarten, dass sie nicht über das Reden, was sie sehen. Das sind Primitivlinge, denk dir<br />

nichts dabei. Und mache dir nicht so viele Sorgen um Heather, die anderen werden gut auf sie<br />

aufpassen.“ Jake sah Dana verzweifelt an. „Glaubst du wirklich, sie schaffen es?“ Dana zögerte<br />

nicht. „Ja, Jake, ja, davon bin ich überzeugt. Sie werden es alle schaffen.“ Dana wunderte sich<br />

ein wenig, wie leicht ihr diese Lüge schon über die Lippen kam. Inzwischen war sie nämlich<br />

nicht mehr im Geringsten von irgendwas überzeugt, außer vielleicht von der Tatsache, dass sie<br />

nicht alle überleben würden. Aber das hatte sie nicht vor, dem verzweifelten jungen Mann<br />

unter die Nase zu reiben.<br />

Sawyer hatte den Worten der Jäger erschüttert gelauscht. <strong>Die</strong>ses vollkommen respekt-<br />

lose Gerede hatte ihn schwer getroffen. Sich vorzustellen, wie der schmierige Typ Hand an<br />

Kate legen könnte, ging deutlich über die wenige, verbliebene Kraft des Südstaatlers.<br />

„Scheiße.“, flüsterte er verzweifelt. „Wenn ihr was passiert ...“ Cameron erschrak über die<br />

Hoffnungslosigkeit in Sawyers Stimme. „Hey, Sawyer, bitte, du darfst doch nicht schon auf-<br />

geben, bevor Kate überhaupt in akuter Gefahr ist. Sie hat Gibbs bei sich und kann doch auch<br />

gut auf sich aufpassen. Du darfst einfach nicht so schwarzsehen.“ „Wie wollen die überhaupt<br />

wissen, wo die vier sind, um Bilder zu übertragen?“, fragte Bones verwirrt. „Stell dich doch<br />

nicht so dumm an. <strong>Die</strong> werden Sender bei sich haben, in den Rucksäcken, und überall in dem<br />

verdammten Wald sind Kameras, die sie auf die Sender programmiert haben. Sobald die Vier<br />

in den Aufnahmebereich einer der Kameras kommen, wird diese via Satellit aktiviert und die<br />

Bilder sofort übertragen. So wissen die Entführer auch immer, wo die Vier sind.“, erklärte<br />

Abby genervt und verzweifelt. „Aber das hieße doch, dass ihre Verfolger sie jederzeit finden<br />

können.“ Bones stand ein wenig auf der Leitung, diese neuerliche Gemeinheit machte der<br />

jungen Frau schwer zu schaffen. „Nein, Süße, die Jäger werden wohl hoffentlich nicht er-<br />

fahren, wo sich ihre Ziele herum treiben. Dann könnten sie die Vier ja gleich erschießen. Ich<br />

hoffe doch, so fair werden die sein.“ Booth sah zu Bones hinüber. „Meinst du?“, fragte diese<br />

und starrte zu dem Bildschirm hoch. „Ich hoffe doch sehr.“, ließ sich jetzt auch Locke aus der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zelle Zivas vernehmen. „Bisher waren die Aufgaben zwar immer hart, aber irgendwie lösbar.<br />

<strong>Die</strong> Gruppe hat also eine faire Chance, macht euch nicht zu große Sorgen.“<br />

*****<br />

Kate hatte sich die Messerscheide mit dem beiliegenden Gürtel um die Taille gelegt<br />

und das Messer somit griffbereit an der Seite hängen. Gibbs hatte den Kompass in der Hand<br />

und führte sie in nördlicher Richtung durch den Dschungel. Heather achtete auf die Stoppuhr,<br />

die sie sich um den Hals gehängt hatte und Gil versuchte, das undurchdringliche Grün um sie<br />

herum doch mit den Augen zu durchdringen, in der verzweifelten Hoffnung, Gefahren durch<br />

Giftpflanzen oder Tiere zu erkennen. „Warum gehen wir nach Norden? Wenn die doch sagen,<br />

unser Ziel liegt westlich ...“ Heather hatte einen Blick auf den Kompass geworfen. „Sollten wir<br />

nicht versuchen, so schnell wie möglich hier raus zu kommen?“ Ruhig erklärte Gibbs der<br />

jungen Frau: „Grundsätzlich sollten wir das, aber da unsere Verfolger genau davon ausgehen<br />

werden, müssen wir selbstverständlich vom Weg abweichen, auch, wenn das einen Zeitverlust<br />

bedeutet.“ „Ja, ich verstehe. <strong>Die</strong> Frage war dumm. Ich habe ...“ Was sie hatte, erfuhren die<br />

Gefährten nicht mehr, denn in diesem Moment donnerte es heftig und im nächsten Augenblick<br />

ging ein sintflutartiger Regenschauer nieder, der alle Vier innerhalb weniger Sekunden bis auf<br />

die Haut durchnässt hatte, was angesichts ihrer mehr als dürftigen Bekleidung nicht schwer<br />

war. „Na, großartig.“, knurrte Gibbs schwer genervt, während ihm das Wasser aus den Haaren<br />

lief. Kate lachte. „Was? Ist das nicht herrlich? Bei den Temperaturen kann es gerne noch eine<br />

Weile regnen.“ Sie hielt ihr Gesicht dem Regen entgegen und genoss die Frische auf der ver-<br />

schwitzten Haut. „Weißt du eigentlich, wie ekelhaft es hinterher sein wird, wenn die Sonne<br />

wieder raus kommt?“, giftete auch Gil ungehalten. „Ja, ist mir schon klar.“ Kate grinste. „Alte<br />

Männer haben mit solchen Temperaturen schon mal ihre Probleme.“ Selbst Heather konnte ein<br />

leises Kichern nicht unterdrücken und Gibbs warf Kate einen mörderischen Blick zu. „Ich<br />

werde <strong>mich</strong> daran erinnern, dass du <strong>mich</strong> einen alten Mann genannt hast, wenn ich dich aus<br />

den Zähnen eines Salties ziehen musste, Lady.“<br />

Kate lachte noch mehr und stapfte weiter. „Kommt schon, alte Männer, schlaft nicht<br />

ein.“ Sie zwängte sich durch triefend nasse, grüne Blätter und hätte fast hysterisch auf-<br />

geschrien, als sie Sekunden später ein klebriges Spinnennetz inklusive Spinne auf ihrem Ge-<br />

sicht spürte. Gil hatte sofort gesehen, dass es eine harmlose Radnetzspinne war. Kate spürte<br />

das Krabbeltier auf ihrer Wange und wischte sich angeekelt mit der Hand über das Gesicht.<br />

„Hau ab, du Mistviech!“ Gil und Gibbs beobachteten freundlich grinsend Kates Bemühungen,<br />

sich von Spinne und Netz zu befreien. Schließlich sagte Gibbs zu dem Entomologen: „Wie ist<br />

es, alter Mann, wollen wir weiter?“ Kate hatte sich inzwischen von der Spinne befreit und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schnaufte. „Ich habe <strong>mich</strong> erschreckt. Man wird sich doch wohl noch mal erschrecken dürfen.“<br />

Ihr Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Dann jedoch wurde sie wieder ernst. Sie sah Heather<br />

fragend an und diese verstand den Blick. „Siebenunddreißig Minuten noch.“, sagte sie mit<br />

leicht zittriger Stimme. „Wir sollten versuchen, einen Zahn zuzulegen, solange wir noch<br />

können. Wir sind alle nicht mehr sonderlich fit durch das wochenlange Eingesperrt sein.<br />

Machen wir uns nichts vor. Uns werden schnell die Kräfte verlassen. Das ist nicht böse ge-<br />

meint, aber Heather und du, Gil, ihr werdet schnell für uns zu einer Bremse werden.“ Gil<br />

nickte bedrück. „Das ist mir bewusst. Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, ich möchte<br />

auch nicht gerne als Nadelkissen enden.“ Sie kämpften sich weiter durch das Dickicht, ge-<br />

mahnt von Kate, vorsichtig zu sein, wo sie hintraten, und möglichst wenig kaputt zu machen,<br />

sodass ihre Spuren nicht so offensichtlich zu sehen waren. Kate war eine durchaus erfahrene<br />

Spurensucherin und es machte keinen Unterschied, ob es im Regenwald oder in einem Laub-<br />

und Mischwald war. Sie ließ sich zurück fallen und kontrollierte, wie viel man von ihren<br />

Spuren sah, war aber einigermaßen zufrieden. Als die Stoppuhr schließlich 0.00 anzeigte,<br />

hatten alle vier ein mulmiges Gefühl im Magen. Ab jetzt würden sie gnadenlos verfolgt<br />

werden.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden verliefen ohne Probleme. <strong>Die</strong> Gruppe kam gut voran, bisher<br />

waren sie auf keine Gefahren gestoßen. Einmal, nachdem der sintflutartige Regen endlich auf-<br />

gehört hatte, war Gil der Meinung, er hätte einen Orang-Utan gesehen, hoch oben in dem<br />

Wipfel eines Baumes. Da keiner der anderen das Tier bemerkt hatte, war Gil sich schließlich<br />

selbst nicht mehr sicher. Es konnte sonst was oder auch gar nichts gewesen sein. „Ein Orang-<br />

Utan würde bedeuten, wir sind entweder auf Borneo oder auf Sumatra. Möglich wäre es schon,<br />

denn ...“ Gil machte eine ausholenden Geste: „... wie unschwer zu erkennen ist, befinden wir<br />

uns in den Tropen. Aber ich denke schon eher, dass es gar nichts war und irgendein Schatten-<br />

spiel meinen Augen einen Streich gespielt hat.“ Gibbs schüttelte verzweifelt den Kopf.<br />

„Möglich, aber ... Gesetzt den Fall, es war wirklich ein Orang-Utan, würde das auch bedeuten,<br />

dass die uns vor der nächsten Jahrhundertwende nicht finden. Niemand wird uns hier ver-<br />

muten. <strong>Die</strong> werden zu neunundneunzig Prozent davon ausgehen, dass wir in ein westliches<br />

Land, am ehesten in die Staaten zurück geschafft wurden, da möchte ich wetten.“ Mutlos<br />

starrte er auf die immergrüne Wand um sie herum. Heather musste mit Gewalt die Tränen<br />

zurück halten. Auch Kate schluckte trocken. „Indonesien ... Großartig, wirklich großartig.“ Gil<br />

erklärte entschieden: „Hört mal zu. Wir dürfen nicht aufgeben, nur, weil wir nicht im Hinter-<br />

land von Washington gefangen gehalten werden. Außerdem ist es gar nicht gesagt, dass das<br />

wirklich einer war, dass da überhaupt etwas war. Ich habe <strong>mich</strong> sicher verguckt. Kommt schon,<br />

wir müssen weiter. Da sind böse Menschen mit Waffen hinter uns her und bald wird es dunkel.<br />

Wir sollten uns überlegen, wo wir die Nacht verbringen wollen.“ Heather und auch Kate lief<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ein Schauer über den Rücken bei der Vorstellung, hier, in dieser grünen Hölle mit ihren<br />

Insekten, Spinnen, eigenartigen Tieren zu übernachten. Aber Gil hatte Recht. Sie mussten sich<br />

einen Schlafplatz suchen, solange sie noch etwas sahen. Im Dunkeln hatte es absolut keinen<br />

Zweck, weiter zu laufen, viel zu gefährlich war der nächtliche Dschungel, mal ganz abgesehen<br />

davon, dass sie nicht die Hand vor Augen sehen würden.<br />

Noch mal entkommen<br />

Panik: eine Situation, in der niemand weiß, was zu tun ist – und das auch noch<br />

schnell.<br />

Graffito<br />

Gil selbst war es schließlich, der unter einem riesigen, umgestürzten Baum ein halb-<br />

wegs trockenes Plätzchen fand, es auf Wunsch der beiden jungen Frauen mit einem Stock<br />

gründlich nach Krabbeltieren durchsuchte und schließlich als bewohnbar erklärte. Mit ein paar<br />

Blättern als Unterlage machten die vier Gejagten es sich so gemütlich wie eben möglich. Das<br />

letzte Licht nutzten sie, ihre Lebensmittel zu sichten. „Lecker.“, fasste Gibbs zusammen, was<br />

alle dachten. Es war unglaublich schwül und warm, ihnen allen klebte der Kittel immer noch<br />

feucht am Körper, bei der hohen Luftfeuchtigkeit um sie herum hatte das Kleidungsstück keine<br />

Chance, zu trocknen. Heather saß still da, die Beine an den Körper gezogen, und starrte in die<br />

zunehmende Dunkelheit. „Geht es dir gut?“, fragte Kate besorgt. Heather schreckte auf. „Ja, es<br />

ist nichts. Ich habe nur schreckliche Angst. <strong>Die</strong>ser Urwald ist mir unheimlich, ich bin dankbar,<br />

wenn die Nacht vorbei ist.“ „Das sind wir sicher alle. Wenn es im Dunkeln irgendwo an eurem<br />

Körper krabbelt, schlagt lieber nicht drauf, sondern versucht besser, was immer es sein mag,<br />

abzustreifen. Einige Insekten beißen im Todeskampf noch zu, oder Stechen.“ „Na, vielen Dank<br />

für den Tipp. Jetzt fühle ich <strong>mich</strong> gleich viel besser.“, gab Kate sarkastisch von sich. Sie dachte<br />

an Sawyer, wünschte sich sehnlichst, in seinen Armen in einem gemütlichen Bett zu liegen. Gil<br />

lachte leise. „So viele giftige Insekten gibt es hier sicher nicht. Und die, die es gibt, werden<br />

bestimmt andere Ziele haben als uns.“<br />

Gibbs lauschte in die Dunkelheit. „Ich will ja keinen beunruhigen, aber wie sieht es mit<br />

Giftschlangen aus, gesetzt den Fall, wir wären wirklich irgendwo in Indonesien? Oder anders:<br />

Was gibt es in einem Regenwald so an Giftschlangen?“ Gil schob sich gerade den letzten<br />

Bissen Fleisch in den Mund und antwortete: „Es gibt selbstverständlich Giftschlangen, in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

jedem Regenwald gibt es die. Fachmann auf dem Gebiet bin ich nun wirklich nicht, ich denke,<br />

das Sicherste ist, weicht allem, was lang ist, zischt und keine Beine hat, möglichst aus.<br />

Tatsächlich weiß ich, dass es hier eine Speikobra-Art gibt. Erkennen würde ich sie aber auch<br />

erst wenn sie spuckt. Ziemlich sicher bin ich, dass es mindestens eine Krait-Art in Indonesien<br />

gibt. Soweit ich weiß, gibt es hier auch die Kettenviper. Hochgiftig. <strong>Die</strong> Smaragd-Bambusotter<br />

lebt in Regenwäldern. Sicher bin ich auch bei einer Lanzenotter, die ist sehr schön grün und<br />

damit hervorragend im Grünen zu sehen ... Zum Glück ist die nicht sehr giftig, obwohl es auch<br />

Probleme gäbe, ließe einer von uns sich beißen.“ „Ich möchte eure erfreulichen Gespräche<br />

keineswegs unterbrechen, aber wir sollten versuchen zu schlafen. Irgendwas sagt mir, dass die<br />

kommenden Tage nicht lustig werden.“ Gibbs rollte sich auf dem Boden zusammen und<br />

schloss die Augen.<br />

*****<br />

„Orang-Utan? Das würde bedeuten, Sumatra oder Borneo. Da hat Gil vollkommen<br />

Recht. Mein Gott, wie soll uns denn bitte hier irgendjemand finden?“ House schüttelte ver-<br />

zweifelt den Kopf. „Wir verschimmeln hier, bevor einer der Deppen in Washington auf die<br />

Idee kommt, uns in Indonesien zu suchen.“ „Darauf kommen die nie. Wie auch.“, stimmte<br />

Booth tonlos zu. Zum ersten Mal seit der Gefangennahme war von auch nur ein wenig Zuver-<br />

sicht nichts mehr zu spüren. Eine dumpfe Resignation breitete sich schlagartig im Kerker aus.<br />

<strong>Die</strong> von ihren Zellen aus nervös auf die Monitore starrenden Gefangenen hatten die Unter-<br />

haltung mit angesehen. Unmittelbar danach waren die vier Flüchtlinge wieder aus dem<br />

Kamerabereich verschwunden. Längere Zeit hatte sich nichts getan, dann waren sie wieder<br />

aufgetaucht, um sich unter einem umgestürzten Baum ein Nachlager zu bauen. Nur undeutlich<br />

drang ihr Gespräch an das Mikrofon der Kamera, zu sehen war nichts. Dafür war es zu dunkel<br />

und der Blickwinkel der Kamera ging nicht bis unter den Baum. Für Jake und Sawyer war es<br />

unglaublich hart, die geliebten Frauen zu sehen, zu hören und doch nichts tun zu können. Auch<br />

Sara ging durch die Hölle. Noch war es vergleichsweise friedlich. Was würde geschehen, wenn<br />

die Verfolger die Vier entdeckten? Keine wollte diese Möglichkeit in Betracht ziehen. „Da<br />

wird sich nichts mehr tun. Lasst uns versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen, was meint<br />

ihr?“ Mulder klang nicht mehr annähernd so optimistisch, wie man es von ihm gewohnt war.<br />

Ganz im Gegenteil, es schwang deutlich Hoffnungslosigkeit in seiner Stimme. Zum ersten Mal<br />

seit der Agent glaubte, Dana verloren zu haben, hatte der sonst so gelassene Psychologe<br />

keinerlei Hoffnung mehr, dass einer von ihnen lebend hier raus kommen würde. Im Moment<br />

war Mulder zu keinem klaren Gedanken fähig. Das Einzige, was er tun konnte, war zu ver-<br />

suchen, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, um den Leidensgenossen nicht jede<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hoffnung zu nehmen. Obwohl ... die waren alle klug genug, um von selbst darauf zu kommen,<br />

was diese Information für sie bedeutete. Mutlos verbarg er das Gesicht in den Händen.<br />

*****<br />

Kate wachte von einem lauten Rascheln in der Nähe auf. Sie sah sich erstaunt um und<br />

brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, wo sie war. Sie sah sich hektisch nach der Ursache<br />

des Raschelns um und als ihr Blick vor ihren kläglichen Unterschlupf huschte, konnte die<br />

junge Frau einen entsetzten Schrei nicht mehr unterdrücken. Angstvolles Entsetzen in den<br />

braunen Augen starrte sie auf eine riesige Schlange, die sich langsam an ihrem Unterschlupf<br />

vorbei schlängelte. Bei Kates Schrei reagierte das riesige Tier nicht, aber als die junge Frau<br />

panisch hoch fuhr, und nicht nur sie, ihre drei Gefährten, aufgeschreckt durch Kates Schrei<br />

gleich mit, zuckte der große Schlangenkopf herum. <strong>Die</strong> kleinen, orangegelben Augen mit den<br />

senkrechten Pupillen fixierten die Menschen. Gil fing sich als erster. „Bleibt ganz ruhig. Das<br />

ist ein Netzpython, ein Weibchen, der Größe nach zu urteilen, die wird sich gleich verziehen.“<br />

Kate und Heather starrten zitternd auf die mindestens zwanzig Fuß lange, beindicke Schlange.<br />

Auch Gibbs musste gegen den Drang, sich unsichtbar zu machen, ankämpfen. Gil stand jedoch<br />

recht gelassen da und er hatte Recht. Langsam wendete die Python sich ab. Und ebenso lang-<br />

sam schlängelte sie sich weiter, bis er schließlich aus dem Blick der vier Menschen ent-<br />

schwunden war.<br />

Kate sank zitternd auf die Knie. „Was war das für ein Monster.“, stieß sie keuchend<br />

hervor. „Ja, die werden schon ziemlich groß.“, stimmte Gil zu. „Wo wir schon einmal wach<br />

sind, können wir auch weiter marschieren, oder was meint ihr?“ „Lasst uns erst etwas Essen, es<br />

nützt uns nichts, wenn wir halb verhungert weiter machen.“, meinte Kate, die sich gefangen<br />

hatte. Sie wühlte in ihrem Rucksack nach einer Wasserflasche und trank diese aus. Sie hatte<br />

keine Bedenken, Wasser gab es hier genug. Ohne darüber auch nur eine Sekunde nachzu-<br />

denken, steckte sie die leere Flasche zurück in den Rucksack, was Gil mit Wohlwollen be-<br />

obachtete. Er selbst hatte sich eine Dose Pfirsiche geöffnet und aß diese im Stehen auf. Er hielt<br />

die leere Dose kurz in eine Pfütze und spülte den letzten Saft aus, dann versenkte er die Dose<br />

ebenfalls wieder im Rucksack. <strong>Die</strong> anderen waren auch fertig und so machten sie sich schließ-<br />

lich auf den Weg. Sie waren noch keine zehn Minuten unterwegs, als es heftig anfing, zu<br />

Schütten. Und dabei blieb es. Es regnete ohne Pause. Und wenn der Himmel eine kurze Pause<br />

einlegte, tropfte und kleckerte es aus den Blättern weiterhin nass auf die vier Menschen<br />

hinunter, die sich durch zunehmend aufgeweichten Boden kämpften. Immer anstrengender<br />

wurde das Vorwärtskommen. Heather wurde deutlich langsamer und auch Gil hatte immer<br />

mehr zu Kämpfen. Kate fuhr Heather immer wieder ungeduldig an. „Mensch, reiß dich doch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mal zusammen. Wir sind alle erschöpft, aber wir müssen schneller weiter kommen. Ich will<br />

hier nicht als Nadelkissen enden.“ Heather bemühte sich, aber sie war ziemlich am Ende.<br />

Gibbs hatte doch eine westliche Richtung eingeschlagen. Irgendwann am frühen Nachmittag<br />

stießen sie schließlich auf die Schlucht, von der man sie unterrichtet hatte.<br />

<strong>Die</strong> Schlucht war gute fünfzig Meter tief und an die fünfundzwanzig Meter breit. Sie<br />

hielten sich, ein Stückchen im Dschungel verborgen, an die Richtung, die der Einschnitt vor-<br />

gab. Schließlich erreichten sie zwei sehr einfache Hängebrücken, die parallel über die Klamm<br />

führten. „Wir werden wohl da rüber müssen.“, sinnierte Gil schlau. „Ach ...“, konnte Gibbs<br />

sich nicht verkneifen. „Warum zwei Brücken? Das sieht mir sehr nach einer Falle aus.“,<br />

meinte Heather leise. <strong>Die</strong> junge Frau war ziemlich fertig. Sie nahm einen großen Schluck<br />

Wasser und sank auf den Boden. Gibbs sah sich ein wenig um. Er war es auch, der schließ-<br />

lich, ein kleines Stück weiter, eine seltsame Vorrichtung entdeckte. Unter einer festen Zelt-<br />

plane stand eine einfache Waage, auf der wiederum ein großer Glasbehälter stand. Am<br />

Grunde des Behälters lag eine fingergroße Kapsel. Neben der Waage entdeckte Gibbs einen<br />

wasserfest eingeschweißten Zettel. „Hey, kommt mal her.“ Seine drei Gefährten eilten zu<br />

ihm. „Was ist denn das?“, fragte Kate überrascht. Gibbs hatte den Zettel bereits in der Hand<br />

und las jetzt laut vor. „Vor euch seht ihr eine Waage, auf der ein Glasbehälter mit genau vier<br />

Litern Wasser darin steht. Auf dem Grund des Glasbehälters, unter einem Deckel am Glas-<br />

boden, seht ihr eine Kapsel, an die ihr nur heran kommt, wenn ihr das Wasser entleert, da<br />

sonst die Kapsel vom Wasser sofort aufgelöst wird und der Hinweis, welcher Weg der<br />

Richtige ist, sich ebenfalls auflöst. Wenn ihr den Glasbehälter einfach von der Waage nehmt,<br />

wird ein Mechanismus ausgelöst, der euren Fluchtweg zerstört. Geht ihr über die falsche<br />

Brücke, seid ihr auf jedem Fall tot. Hier nun euer Aufgabe: Ihr habt zwei Kanister: fünf Liter<br />

und drei Liter. Und eine unbegrenzte Menge Wasser. Ihr sollt nun in den fünf Liter Kanister<br />

exakt vier Liter füllen. Keine weiteren Hilfsmittel. Wenn ihr die richtige Menge abgefüllt<br />

habt, habt ihr drei Sekunden Zeit, die Behälter auf der Waage auszutauschen. Dann könnt ihr<br />

das Wasser aus dem Glasbehälter auskippen und an die Kapsel heran. Dort findet ihr den<br />

Hinweis, welche Brücke ihr benutzen könnt.“<br />

„Natürlich können wir auch Stöckchen ziehen und einer von uns geht einfach los, über<br />

eine der Brücken. Ist es die verkehrte, ist er tot. Aber dann wissen die <strong>Anderen</strong>, dass sie die<br />

richtige Brücke benutzen können. Oder wir versuchen, das Rätsel zu lösen, ich habe nur keine<br />

Ahnung, wie.“, stöhnte Gibbs genervt. „Oh, verdammt. Ich glaube es nicht.“ Kate war den<br />

Tränen nah. Sie sah auffordernd Gil an, aber der war stöhnend auf die Knie gesunken und<br />

schüttelte frustriert den Kopf. „Das ist nichts für <strong>mich</strong>.“ Heather hatte sich die Kanister an-<br />

geschaut. Sie überlegte. Kate und Gibbs fluchten weiter vor sich hin und schließlich fuhr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather genervt herum. „Wenn ihr kurz still wäret, könnte ich nachdenken.“ Desillusioniert<br />

schwiegen die anderen. Heather überlegte weiter. Noch einmal las sie sich die Aufgabe durch.<br />

Dann begann sie, langsam und konzentriert. Sie nahm den drei Liter Kanister und füllte diesen<br />

bis zum Rand. Dann kippte sie die drei Liter Wasser vorsichtig in den fünf Liter Kanister um.<br />

Erneut füllte sie den drei Liter Kanister und goss aus diesem nun den fünf Liter Kanister bis<br />

zum Rand voll. Als nächstes nahm sie den fünf Liter Kanister und kippte diesen wieder aus.<br />

Den verbliebenen einen Liter aus dem drei Liter Kanister kippte die junge Frau in den wieder<br />

leeren fünf Liter Kanister und hinter ihr rief Gibbs begeistert: „Natürlich. Mädchen, du hast<br />

es.“ Heather drehte sich lächelnd um, füllte den drei Liter Kanister erneut bis zum Rand und<br />

goss diese drei Liter zu dem einen Liter in den großen Kanister um. „Hier habt ihr genau vier<br />

Liter.“ Kate sprang auf und nahm Heather spontan in den Arm. „Das hast du toll gemacht.“<br />

Auch Gibbs drückte die junge Frau an sich. „Du wart großartig.“ Heather errötete leicht. „Aus-<br />

tauschen muss das aber jemand anderes.“<br />

Gibbs prustete. Dann griff er sich den Kanister und nickte Gil zu. „Komm schon, auf<br />

geht’s.“ <strong>Die</strong> Männer traten an die Waage heran. Gil packte den Glasbehälter fest mit beiden<br />

Händen. „Auf 3. 1 - 2 - 3.“ Blitzschnell hob Gil den Glasbehälter von der Waage und Gibbs<br />

setzte im selben Moment den Kanister drauf. Gespannt hielten alle den Atem an. Aber es ge-<br />

schah nichts. Erleichtert atmeten alle vier auf. „Kipp schon aus.“, sagte Kate hastig. Gil<br />

schüttete das Wasser aus und öffnete den Deckel am Grund des Behälters. Ein kleiner, zu-<br />

sammen gefalteter Zettel fiel ihm entgegen. „Links.“ „Auf geht’s.“ Hastig rafften die Vier ihre<br />

Rucksäcke auf und traten vorsichtig auf die linke Brücke hinaus. Ganz langsam schoben sie<br />

sich Schritt für Schritt über das wackelnde, schaukelnde Ding und atmeten auf, als die andere<br />

Seite näher kam. Und dann passierte es! Vollkommen unerwartet und überraschend. Hinter<br />

sich hörten sie plötzlich Stimmen. Zwei Männer traten aus dem Gebüsch, sahen sie auf der<br />

Brücke, schrien: „Da sind sie, los!“, und eröffneten sofort das Feuer. Pfeile flogen ihnen plötz-<br />

lich um die Ohren. Kate schrie erschrocken auf. Panik brach auf der Brücke aus. Alle ver-<br />

suchten hektisch, sich vor den Geschossen in Sicherheit zu bringen. Heather schrie schmerz-<br />

erfüllt auf, als einer der Pfeile eine brennende, blutige Furche über ihre rechte Schulter zog und<br />

sah entsetzt, wie der Pfeil dann im Oberarm des unmittelbar vor ihr gehenden Grissom stecken<br />

blieb, diesen glatt durchdrang. Daraufhin brach endgültig heilloses Durcheinander aus. Gil<br />

sackte aufstöhnen auf die Knie. Gibbs zerrte ihn rücksichtslos hoch, alle Vier hetzten los und<br />

erreichten endlich, von Pfeilen verfolgt, die andere Seite. Kate schrie: „Verschwindet!“, und<br />

fing hektisch an, mit dem Messer die Haupthalteseile zu durchschneiden. <strong>Die</strong> Männer, die<br />

ihnen auf die Brücke gefolgt waren, brüllten auf vor Wut. Sie mussten zurück, denn schon<br />

hatte Kate das erste Seil geschafft. Sie duckte sich so gut es ging hinter den Brückenpfosten<br />

und säbelte hektisch auch das zweite Halteseil durch. <strong>Die</strong> dünneren Leitseile hielten das Ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wicht der Brücke nicht mehr und rissen. Kate schrie erneut, diesmal vor Freude. Sie hatte es<br />

geschafft. Schnell richtete sie sich auf und rannte los, den anderen hinterher, die bereits im<br />

Dschungel verschwunden waren.<br />

*****<br />

„Oh Gott. Gil.“ Sara schrie vor Entsetzen auf, als sie auf dem Monitor sah, wie der Pfeil<br />

in Gils Oberarm eindrang. „<strong>Die</strong>se verfluchten Bastarde. Was ist mit ihm?“ Sara starrte wie<br />

hypnotisiert auf den Bildschirm. „<strong>Die</strong> müssen Gil verbinden. Das gibt es doch nicht. Warum<br />

können wir sie nicht mehr sehen, verdammter Mist!“ „Weil sie aus dem Kamerabereich heraus<br />

sind.“, versuchte Abby ihr zu erklären. „Was du nicht sagst. Ich bin nicht blöde, weißt du.“,<br />

giftete Sara Abby an. <strong>Die</strong>se schluckte. „Es war der Oberarm, oder? Was meint ihr, wie<br />

schlimm mag es sein?“, fragte Sara Dana und Allison in den Zellen neben sich. Dana sah zu<br />

Sara hinüber. „Das ist von hier schlecht zu beurteilen. Aber normalerweise sind Wunden am<br />

Oberarm nicht so schlimm.“ House stimmte Dana zu. „Mach dir keine Sorgen, das wird Gil<br />

schon überleben, der Oberarm ist ja nicht der Brustkorb.“ Sara wollte gerade aufatmen, als aus<br />

Mulders Zelle Bones Stimme kam. „Eine Verletzung am Oberarm ist nicht besonders gefähr-<br />

lich. Es sei denn, der Pfeil hat die Arteria brachialis getroffen. Dann wird Gil sehr viel Blut<br />

verlieren, wenn der Pfeil raus gezogen wird. Nur eine sofortige Operation könnte ihn dann<br />

noch retten.“ Alle starrten Tempe entsetzt an. „Ähm, naja, die Wahrscheinlichkeit, dass die<br />

Arterie getroffen worden ist, ist doch sehr gering und ...“ Verlegen verstummt Bones.<br />

Sawyer war, wie alle anderen auch, weiß wie eine Wand geworden, als so überraschend<br />

auf die vier Fliehenden geschossen wurde. Ohne es überhaupt zu merken, hatte er leise vor sich<br />

hin geflüstert: „Lauf, Kate, lauf, beeil dich, pass auf ...“ Als sie endlich die andere Seite er-<br />

reicht hatte, stöhnte der junger Mann vor Entsetzen auf, als er sah, das Kate keineswegs den<br />

anderen in den Dschungel folgte, sondern, von Pfeilen umschwirrt, anfing, die Halteseile der<br />

Brücke zu durchtrennen. „Hau schon ab, verdammt.“, stöhnte er verzweifelt. „Großer Gott,<br />

was macht sie denn da?“, rief Abby erschrocken. „Sie verschafft ihnen einen Vorsprung, wenn<br />

sie es schafft, die Brücke zu zerstören. Mach schon Kate, du schaffst das, Mädchen.“ Locke<br />

feuerte Kate an. Und auch Mulder und Booth schrien: „Los doch, Kate, Beeilung, du schaffst<br />

das!“ Sawyer sah nur die Pfeile, die Kate um die Ohren flogen. Er stand an der Zellentür,<br />

Cameron neben ihm, und starrte wie hypnotisiert auf den Monitor. Er hörte die Verfolger hass-<br />

erfüllt aufbrüllen, dann krachte die Brücke zusammen und endlich brachte Kate sich ebenfalls<br />

in den Dschungel in Sicherheit. Spontan fielen Allison und Sawyer sich in die Arme. „Sie hat<br />

es geschafft.“ „Aber Heather ist verletzt und auch Gil hat etwas abbekommen.“, keuchte Jake<br />

entsetzt.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen hatten eine unruhige, für die, die auf dem Boden schliefen, auch im<br />

höchsten Maße unbequeme Nacht hinter sich gebracht. <strong>Die</strong> Männer hatten natürlich den Frauen<br />

die Betten überlassen. Booth hatte House im Bett schlafen lassen und Abby hatte Sara den<br />

Vorteil des Bettes gegönnt. Früh waren sie schon wieder wach, einen Weckruf hatte es nicht<br />

gebraucht. Mit brennenden Augen hatten sie auf den Monitor gestarrt und die Begegnung mit<br />

der riesigen Python starr vor Entsetzen verfolgt. Da dauerhaft grünes Licht brannte, konnte sie<br />

sich die ganze Zeit unterhalten. Als Kate die Schlange entdeckte, erklärte Locke sofort: „Das<br />

ist ein Python, ein Netzpython. Eigentlich keine Gefahr, es sei denn, das Tier fühlt sich bedroht<br />

...“ Gespannt wie die anderen verfolgte John, wie der Python sich schließlich abwandte und<br />

verschwand. „Gott sei Dank.“, stießen Jake und Sawyer in brünstig und wie aus einem Mund<br />

aus. Mulder war wie die anderen aus einem unruhigen Schlaf hochgefahren und ans Wasch-<br />

becken getaumelte. Er schöpfte sich Wasser ins Gesicht, um klar zu werden. Nachdem auf dem<br />

Monitor nichts mehr zu sehen gewesen war, hatte er nachgedacht. Und dann kam ihm ein tröst-<br />

licher Gedanke. Nachdem die vier Freunde auf dem Monitor erst einmal wieder aus dem Be-<br />

reich der Kamera verschwunden waren, sprach der Agent aus, was ihm durch den Kopf ging.<br />

„Vergesst, was ich gestern gesagt habe. Eigentlich ist es völlig unerheblich, wo wir sind. <strong>Die</strong><br />

wollen etwas von uns, das mit unseren Aufgaben draußen zu tun hat, davon bin ich überzeugt.<br />

Also werden die uns irgendwann freilassen müssen. Wir müssen nur durchhalten und nicht die<br />

Nerven verlieren.“ „Wie kommst du darauf?“, wollte Booth wissen. „Tut mir leid, Leute, dass<br />

ich gestern genauso erschrocken war wie ihr. Mit ein bisschen Schlaf sieht das anders aus.<br />

<strong>Über</strong>legt doch mal logisch: <strong>Die</strong> jagen uns hier durch die Tretmühle und versuchen, uns zum<br />

Gehorsam zu erziehen. Das ergibt keinen Sinn, wenn die nicht vorhätten, uns irgendwie einzu-<br />

setzen. Wir kommen hier raus, wenn wir die Nerven behalten.“ Wohlweislich verschwieg er,<br />

dass die Entführer offenbar davon ausgingen, die Gefangenen auch dann kontrollieren zu<br />

können, wenn sie die Anlage verlassen hatten ...<br />

*****<br />

Nach einigen Minuten hatte Kate die anderen eingeholt. Gibbs sah ihr entgegen. „<strong>Die</strong><br />

Brücke ist zerstört, hier kommen die nicht rüber, um uns zu verfolgen. Ich denke, wir haben<br />

eine ganze Menge Zeit gewonnen.“, keuchte Kate und sank bei den anderen auf den Boden.<br />

„Was ist mit Gil und dir, Heather?“ „Streifschuss.“, stieß Heather zwischen zusammen ge-<br />

bissenen Zähne hervor. Sie hatte ein Stück Mull in der Hand und presste dies auf die blutige<br />

Furche auf ihrer Schulter. „Nicht schlimm. Wirklich. Hilf lieber Gibbs. Gil hat es ziemlich<br />

erwischt.“ Kate rutschte zu Gil und Gibbs hinüber. „Was ist?“, fragte sie besorgt. „Wir müssen<br />

den Pfeil raus holen. Dafür müssen wir die Spitze abschneiden.“, erklärte Gibbs. Kate nickte.<br />

Sie drückte Gibbs das Messer in die Hand. „Hier. Mach schon.“ Sie kniete sich hinter Gil und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sagte sanft: „Lehn dich einfach entspannt zurück, ich könnte mir vorstellen, dass das schmerz-<br />

haft wird, wenn Gibbs an dem Pfeil arbeitet.“ Gil ließ sich stöhnend an Kate sinken und<br />

schloss gequält die Augen, als Gibbs anfing, vorsichtig an dem Pfeil herum zu schneiden. Gute<br />

zehn Minuten schnitzte dieser, dann erklärte er: „Jetzt hab ich es.“ Gil hatte immer wieder vor<br />

Schmerzen aufgestöhnt. „Das wird noch einmal wehtun, Kumpel.“, meinte der NCIS Agent<br />

und sah Kate an. <strong>Die</strong>se fasste etwas fester zu und hielt Gil fest. Gibbs brach die Pfeilspitze ge-<br />

konnt ab und sagte: „Beiß die Zähne zusammen, Mann.“ Er stellte sich hinter Gil, atmete tief<br />

ein und zog schnell, aber vorsichtig und mit einem Ruck den Pfeil aus der Wunde. Gil schrie<br />

gequält auf und sackte in sich zusammen. Er hatte die Besinnung verloren. <strong>Die</strong> Wunde begann<br />

heftig zu bluten. Erschrocken stieß Kate hervor: „Scheiße, er blutet so stark, ist das normal?“<br />

„Weiß ich doch nicht.“, stieß Gibbs genervt hervor. „Wir müssen die Blutung stoppen.“ „Zwei<br />

Päckchen Mullbinde drauf und dann fest verbinden.“, stieß Heather hervor. Gibbs suchte sich<br />

aus den Rucksäcken zwei Päckchen Mullbinden heraus und eine elastische Binde, um damit<br />

den Arm zu umwickeln. Mit Kates Hilfe schaffte er es, einen festen Verband anzulegen. Für<br />

den Moment hörte die Blutung auf.<br />

Gil blieb nicht lange besinnungslos. Nach ein paar Minuten kam er stöhnend wieder zu<br />

sich. Kate hatte seinen Oberkörper auf dem Schoss, um zu verhindern, dass der Verband auf<br />

dem matschigen Boden sofort verdreckte. Als Gil merkte, dass er auf ihrem Schoss lag,<br />

lächelte er verkniffen. „Gut, dass Sawyer und Sara das nicht sehen ...“ Er sah stöhnend auf den<br />

dicken Verband an seinem Oberarm. „Wie schlimm ist es?“ „Ein glatter Durchschuss, was<br />

drinnen kaputt ist, kann ich dir nicht sagen, es hat geblutet.“, erklärte Gibbs trocken. „Ach,<br />

wirklich?“ Gil versuchte langsam, sich aufzurichten. „Was willst du?“, fragte Heather erstaunt.<br />

„Du musst dich ausruhen.“ Gil schüttelte den Kopf. „Wir werden weiter müssen. Nur, weil<br />

Kate die Brücke zerstört hat, sind wir die Verfolger garantiert nicht los. Da werden sie mit ge-<br />

rechnet haben und haben ganz sicher Alternativen.“ Kate und Gibbs nickten zustimmend. „Ihr<br />

meint, dass ist nur eine kurze Verzögerung?“, keuchte Heather erschrocken. „Mit Sicherheit.“<br />

Langsam und mit Gibbs Hilfe richtete Gil sich auf. Kurz schwankte er, dann hatte er sich ge-<br />

fangen. „Gut, wir können.“ Heather stand ebenfalls auf und Kate kam auch auf die Beine, griff<br />

sich Gils Rucksack, verteilte die darin befindlichen Sachen auf ihren, Heathers und Gibbs’<br />

Rucksack und erklärte: „Kommt, auf geht’s.“<br />

In diesem Teil des Waldes war ein fester, wenn auch sehr schmaler Pfad für die Flücht-<br />

linge vorgesehen. Er war in das hier extrem dichte Gebüsch geschlagen worden, welches kaum<br />

ein Durchkommen möglich gemacht hätte. Nervös, sich immer wieder hektisch umschauend,<br />

folgten die Vier dem Weg. Sie kamen ganz gut voran. Viel reden taten sie nicht, alle waren<br />

erschöpft, verängstigt und müde. Ihre nackten Füße schmerzten, Blasen und kleine Schnitte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bedeckten die Fußsohlen. <strong>Die</strong> Haut war schrumpelig von der ständigen Feuchtigkeit. Immer<br />

wieder gab es schwere Regengüsse. <strong>Die</strong> unerträgliche Schwüle in dieser immergrünen Hölle<br />

machte das Atmen schwer. Bei jedem Rascheln um sie herum zuckten die Flüchtenden heftig<br />

zusammen. Als sie eine kleine Lichtung erreichten, machten sie eine kurze Rast. Gils Verband<br />

war durch geblutet und das Blut lief ihm bereits am Arm hinunter. Heather sah sich die Wunde<br />

an. „Das müsste schon lange aufgehört haben zu Bluten. Wie viel Verbandmaterial haben wir<br />

noch?“, fragte sie, während sie den durchbluteten Verband entfernte. Kate sah eilig die Ruck-<br />

säcke durch. „Wir haben noch zehn Mullbindenpäckchen und fünf Elastikbinden. Das ist<br />

alles.“ „Wo ist House, wenn man ihn braucht ...“, stöhnte Gibbs besorgt.<br />

*****<br />

Im Kerker verfolgten die Zurückgebliebenen die flüchtigen Eindrücke, wenn ihre<br />

Freunde an Kameras vorbei kamen, mit immer besorgteren Mienen. Dass die Flüchtlinge<br />

immer erschöpfter wirkten, besonders Gil und Heather, war offensichtlich. Leider ließen die<br />

angebrachten Kameras jedes Mal nur kurze Blicke zu. Dann aber wankten die Vier auf eine<br />

kleine, kameraüberwachte Lichtung. Und nun sahen alle, dass Gils Wunde immer noch heftig<br />

blutete. Sara hatte sehr besorgt zugesehen, wie Heather vorsichtig den Verband löste. „Ist es<br />

normal, dass das immer noch so heftig blutet?“, fragte sie verzagt. House starrte konzentriert<br />

auf den Bildschirm, um möglichst viel zu sehen. „Das ist mit ziemlicher Sicherheit keine<br />

arterielle Blutung, Sara. Es ist einfach so, dass durch die Anstrengung und die extreme Luft-<br />

feuchtigkeit dort die Verletzung weiter blutet.“ Sara sah äußerst besorgt aus. Dana und Allison<br />

schauten ebenfalls sehr konzentriert auf den Monitor und Allison stimmte House zu. „Es sieht<br />

wirklich nicht nach einer Arterienblutung aus, Sara.“ Bones fügte hinzu, wie um ihren Fehler<br />

von früher am Tag wieder gut zu machen: „Bei einer rein arteriellen Blutung würde das Blut<br />

im Sekundenrhythmus aus der Wunde spritzen und das tut es nicht.“ Wieder erntete sie ent-<br />

setzte Blicke und fuhr ärgerlich auf: „Das stimmt doch. Meine Güte, sind wir hier in einem<br />

Kindergarten? Keiner fällt in Ohnmacht, wenn das Wort Blut fällt.“ Genervt sah sie Mulder an.<br />

„Na, was ist? Sag schon ruhig, dass ich wieder etwas Verkehrtes gesagt habe.“ Mulder<br />

antwortete ihr ruhig: „Sachlich war das sicher richtig, aber es hilft nicht gerade, immer den<br />

worst case zu beschreiben. Wir sind alle ein wenig mit den Nerven herunter.“ „Was heißt denn<br />

hier worst case? Ich habe genau das Gegenteil davon klar machen wollen. Ich kenne das aus<br />

dem Dschungel Ecuadors, da hatte sich einer meiner Kollegen geschnitten, das hat tagelang<br />

immer wieder geblutet.“ „Immer noch besser als eine Arterienverletzung, da verblutet der<br />

Patient ohne Operation auf jeden Fall früher oder später, deshalb worst case.“, sprang Dana<br />

ihrem Partner bei.<br />

50


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sara stöhnte auf. Das alles beunruhigte sie immer mehr. Gil war irgendwo dort draußen,<br />

verletzt, stark blutend, ohne vernünftige ärztliche Hilfe. Und von gewalttätigen Killern gejagt.<br />

„Verdammt noch mal, Miss Klugscheisser. Das wissen die meisten von uns selbst. Was hast du<br />

davon, uns immer die schlimmste Möglichkeit drastisch zu schildern? Wir brauchen Hoffnung,<br />

um nicht durchzudrehen.“, fuhr sie Bones an. Ziva sah kalt zu Sara rüber. „Was willst du<br />

eigentlich. Dein toller Gil wird schon nicht sterben, also, wo ist das Problem? <strong>Die</strong> anderen sind<br />

jetzt in noch größerer Gefahr, weil sie mit ihm ohnehin schon nicht schnell vorankommen, fit,<br />

wie er ist.“ Auch bei Bones brannte endgültig eine Sicherung durch. Sie hatte von der ewig<br />

unzufriedenen, unfreundlichen CSI Ermittlerin endgültig die Nase voll. <strong>Die</strong>se Frau war mit<br />

ihrer ständigen, sauertöpfischen Laune unerträglich. „Unrealistische Wunschträume, meinst du<br />

wohl?“, gab Tempe also kalt zurück, ohne auf Mulders und Booth‘ beschwörende Gesten zu<br />

achten. „Auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, statt die Augen vor den Tatsachen zu ver-<br />

schließen, scheint mir die bessere Strategie.“ „Schade, dass die Ladies nicht zusammen unter-<br />

gebracht sind. Das gäbe einen höchst unterhaltsamen catfight, auch wenn es im Schlamm an-<br />

regender wäre.“ „Natürlich, unser Doktor Allwissend muss seinen Senf auch noch dazu<br />

geben.“, giftete Sara wütend. „<strong>Die</strong> Lady würde ich in einer Minute zu Putzlappen verarbeiten.“<br />

Bones sah verächtlich zu Sara hinüber. Bevor Sara zurück zicken konnte, fuhr jedoch Sawyer<br />

hochgradig genervt dazwischen. „Sagt mal, habt ihr sie eigentlich noch alle? Da draußen<br />

kämpfen gerade vier von uns um ihr nacktes Leben und ihr blöden Ziegen habt nichts Besseres<br />

zu tun, als euch hier wegen solcher Albernheiten in die Wolle zu bekommen. Herrgott noch<br />

mal. <strong>Die</strong> sterben da draußen vielleicht!“ Allison legte Sawyer beruhigend den Arm um die<br />

Schulter und zog ihn zum Bett. Dann schaute sie verärgert zu House hinüber und warf diesem<br />

einen vernichtenden Blick zu. Sie schüttelte verständnislos den Kopf und wandte sich wieder<br />

Sawyer zu, um diesen zu beruhigen.<br />

10 Fragen<br />

Jagd ist immer eine Form von Krieg.<br />

J. W. von Goethe<br />

Gil hatte sich von Heather und Kate einen neuen Verband anlegen lassen. Dann hatte er<br />

sich müde an einen Baum gelehnt. „Was meint ihr, wie lange können wir uns eine Pause<br />

gönnen?“ „Eigentlich gar nicht.“, seufzte Kate und sah sich um. Sie hatte ein komisches Gefühl<br />

und wusste, dass sie sich auf ihre Gefühle draußen in der Wildnis immer hatte verlassen<br />

51


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

können. „Wenn es bei dir geht, sollten wir weiter laufen. Wir sind hier nicht sicher, nur, weil<br />

ich die Brücke zerstört habe. <strong>Die</strong> werden andere Möglichkeiten haben, uns zu folgen.“ Sie<br />

spielte mit dem Messer, wog es in ihrer Hand. Gil rappelte sich mühsam hoch und nickte.<br />

„Kate hat Recht, wir sollten uns nicht zu sehr darauf verlassen, dass das Zerstören der Brücke<br />

die lange aufhalten wird. Ich kann weiter, lasst uns gehen.“ Heather und Gibbs schulterten die<br />

Rucksäcke und warteten, dass Kate ebenfalls ihren Rucksack nahm. <strong>Die</strong> junge Frau starrte<br />

immer wieder den Weg zurück, den sie gekommen waren. „Kate?“ Gibbs trat zu ihr. „Was ist<br />

los?“ „Ich weiß nicht ... Geht ihr schon vor, ich komme nach. Gibbs, nimm bitte meinen Ruck-<br />

sack mit, okay.“ Gibbs sah Kate an. „Ich werde dich ganz sicher nicht alleine zurück lassen,<br />

wenn du etwas vorhast, bin ich dabei.“ „Gibbs, hör zu, du musst Heather und Gil helfen, die<br />

sind hilflos ohne uns. Ich komme schon klar, ich will <strong>mich</strong> ja nicht umbringen lassen, okay.“<br />

„Bist du sicher?“ Kate nickte. „Mach schon. Ich bin bald wieder bei euch.“ Gibbs schüttelte<br />

den Kopf. „Wenn du meinst ...“ Er trieb Heather und Gil an. „Los, macht schon, wir müssen<br />

los.“ <strong>Die</strong> drei marschierten los, den schmalen Weg weiter. Kate sah sich suchend um. Dann<br />

entdeckte sie einen Baum am Wegrand, der so stand, dass sie aus seinem Geäst den Weg über-<br />

blicken konnte. Sie zog sich an einem Ast in die Höhe und stieg so hoch, dass sie einen guten<br />

<strong>Über</strong>blick hatte. Dann wartete sie.<br />

Ihre Geduld wurde nicht allzu lange strapaziert. Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht.<br />

Dort kam einer ihrer Verfolger den Weg entlang. Sie hörte ihn in sein Headset sprechen. „Hier<br />

sind sie nicht. Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich auf dem Weg geblieben sind. Austen ist<br />

gut.“ Der Mann ging relativ unbesorgt weiter. - Du Dreckskerl wirst gleich merken, wie gut ich<br />

bin. - dachte Kate und wog das Messer in der Rechten. Als der Kerl in Reichweite war, zögerte<br />

die junge Frau keine Sekunde. Mit einer gekonnten Bewegung schleuderte sie das Messer und<br />

sah zu, wie es mit einem Übelkeit erregenden Geräusch in Höhe des Herzens in die Brust des<br />

Mannes eindrang. Ohne einen Laut von sich zu geben ging der Mann zu Boden. Er wusste<br />

nicht einmal, warum er gestorben war. Kate glitt, so schnell sie konnte, vom Baum herunter<br />

und eilte zu dem toten Killer hinüber. Sie zögerte auch jetzt nicht, zog das Messer aus der<br />

Brust des Typen, löste dessen Messerscheide samt Gürtel von seiner Taille und griff sich den<br />

Köcher sowie den Bogen. Sie tastete seine Taschen ab, aber mehr Waffen hatte er wirklich<br />

nicht dabei. Kate griff nach den Beinen des Kerls und zog ihn mühsam ein Stück ins Gebüsch.<br />

Sie deckte ihn flüchtig mit Laub und Ästen zu, suchte sich einen abgebrochenen Ast mit<br />

Blättern dran und verwischte damit so gut es ging die Spuren auf dem Weg. Dann nahm sie die<br />

erbeuteten Waffen und rannte den <strong>Anderen</strong> hinterher.<br />

*****<br />

52


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Er stand wie erstarrt da und beobachtete<br />

entsetzt, wie Kate in den Baum stieg. „Was hat sie denn nur vor? Kate. Bist du wahnsinnig?“<br />

Mit zitternden Händen umkrallte er die Gitterstäbe. „Was hat sie vor? Sie sollen Gil in Sicher-<br />

heit bringen.“ Saras Stimme zitterte. „Was denkt sie, was sie gegen die Kerle ausrichten<br />

kann?“ Allison war schockiert. „Gott, Sawyer ...“ Sie sah den Südstaatler an. Dem stand das<br />

nackte Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Sawyer, sie wird sich schon etwas dabei denken.<br />

Sie ist doch nicht lebensmüde.“, versuchte Mulder den zum Freund gewordenen Südstaatler zu<br />

beruhigen. „Warte erst mal ab. Aufregen kannst du dich hinterher.“ „Scheiße. Woher hat sie<br />

das gewusst? Da kommt ... einer von den Typen.“, stieß Jake atemlos. Alle starrten gebannt auf<br />

die Monitore. Sawyer biss sich die Lippen blutig vor Anspannung. Auf dem Baum holte Kate<br />

aus und schleuderte das Messer. <strong>Die</strong> Zelleninsassen konnten sehen, wie es dem Verfolger in<br />

die Brust drang und dieser ohne einen Laut von sich zu geben zusammen sackte. Was jetzt im<br />

Kerker los brach war unbeschreiblich. Sawyer jubelte auf. Er riss Cameron in seine Arme und<br />

gab ihr ungeniert einen Kuss auf die Lippen. Lachend ließ diese sich den Kuss gefallen. Eine<br />

Zelle weiter fielen Dana und Jake sich nicht minder begeistert in die Arme. Ziva und Locke<br />

strahlten sich an. „Nicht schlecht, gar nicht schlecht. Mit ein bisschen Training würde aus Kate<br />

eine ganz passable Mossad Agentin werden.“ Booth und House klatschten begeistert ab. „<strong>Die</strong><br />

Frau ist großartig.“ Abby rief euphorisch: „Besser hätte Gibbs es auch nicht machen können.“<br />

Selbst Bones jubelte mit. „Meine Güte, kann Kate mit einem Messer umgehen. Sie hat das<br />

großartig gemacht. Einer weniger.“ „Ja, das war nicht übel. Dein Mädchen kann auf sich auf-<br />

passen.“, sagte House grinsend zu Sawyer. „Und da du sie wohl bald heil wieder kriegst,<br />

kannst du auch deine gierigen Pfoten von meinem Mädchen lassen.“ Sawyer lachte erleichtert.<br />

*****<br />

Kate sah Gibbs auf sich zu gerannt kommen. Er sah erleichtert aus, als er Kate unver-<br />

letzt sah. „Ich habe Gil und Heather im Gebüsch versteckt und wollte nachsehen, was los ist.“<br />

Gibbs sah erst jetzt den Bogen, den Kate in der Hand hatte. „Was ist passiert?“ Kate hetzte<br />

weiter. „Gleich.“, keuchte sie. Minuten später sagte Gibbs: „Warte, hier habe ich Gil und<br />

Heather abgelegt. Ihr könnte raus kommen, es ist alles in Ordnung.“ Kate sank auf die Knie<br />

und griff mit zitternden Händen nach einem Rucksack, nahm eine Wasserflasche heraus und<br />

trank in großen Schlucken. „Was ist denn nun passiert?“, wiederholte Gibbs seine Frage. Erst<br />

jetzt bemerkten Heather und Gil den Bogen und den Köcher. Erschrocken fragte auch Heather:<br />

„Was ist los, Kate, wie kommst du zu den Sachen?“ Kate trank einen weiteren Schluck<br />

Wasser, dann erklärte sie: „Ich hatte das Gefühl, jemand kommt. Ich habe <strong>mich</strong> auf einem<br />

Baum versteckt und gewartet. Einer der Typen kam, alleine. Ich habe ihn überwältigt und seine<br />

Waffe genommen.“ „Was genau verstehst du unter überwältigt?“, fragte Heather leise. „Was<br />

53


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ich darunter verstehe, meine Süße, ist, dass wir einen Verfolger weniger haben. Und jetzt lasst<br />

uns sehen, wer mit einem Bogen umgehen kann.“<br />

Heather starrte Kate erschrocken an. „Du hast einen von ihnen umgebracht?“, stotterte<br />

sie. „Ja, stell dir vor, das habe ich. Willst du <strong>mich</strong> deswegen anzeigen?“ Kate war fertig mit<br />

den Nerven und nicht in der Stimmung, sich von der naiven Lehrerin Moralpredigten anzu-<br />

hören. Heather zuckte zusammen. „Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte dir gratulieren. Das<br />

war ... großartig.“ Heather zögerte noch kurz, dann umarmte sie Kate begeistert und drückte<br />

diese heftig an sich. <strong>Über</strong>rascht erwiderte Kate die Umarmung. „Oh, ... ähm, sorry, ich wollte<br />

nicht ... Tut mir leid, Heather.“ „Macht doch nichts, wir sind alle am Ende.“, sagte Heather<br />

ruhig. „Okay, Kate, das hast du sehr gut gemacht.“, erklärte Gibbs zufrieden und fuhr fort: „Ich<br />

kann ziemlich gut mit einem Bogen umgehen, war mal Junior-Meister auf dem College.“ Kate<br />

löste sich von Heather und sah Gibbs an. „Gut, Robin Hood, dann nimm den Bogen und wehe,<br />

du schießt daneben.“ Sie sah Heather und Gil an. „Schafft ihr beide es, die Rucksäcke zu<br />

nehmen? Dann wären Gibbs und ich beweglicher und könnten im Zweifelsfall besser<br />

Kämpfen.“ Sie hatte Gibbs das erbeutete Messer in die Hand gedrückt und der NCIS Agent<br />

legte sich den Gürtel mit der Scheide daran um die schlanke Taille. Gil hatte Schmerzen, das<br />

war ihm überdeutlich anzusehen, aber er nickte. „Das werde ich schaffen und wenn es das<br />

Letzte ist, was ich noch schaffe.“ sagte er zuversichtlich und schulterte vorsichtig den einen<br />

Rucksack. Heather hatte den dritten Rucksack leer gemacht und den Inhalt auf die zwei<br />

anderen verteilt. Jetzt schulterte sie den zweiten und sah Kate und Gibbs herausfordernd an.<br />

„Können wir?“, fragte Gibbs. Alle nickten.<br />

In immer noch strömendem Regen machten sich die Vier wieder auf den Weg. Sie<br />

kehrten auf den Pfad zurück und Gibbs und Kate bildeten die Nachhut. Etwa eine Stunde<br />

später war es zappenduster geworden. Sie hatten sich in das Gebüsch geschlagen und dank Gil<br />

einen halbwegs trockenen Platz unter dem dichten Blätterdach einer Gruppe riesiger Bananen-<br />

stauden gefunden, sofern man bei dem herrschenden Regen von trocken sprechen konnte.<br />

Grinsend pflückte Gibbs einige Bananen und verteilte sie an die <strong>Anderen</strong>. „Darf ich euch auf<br />

einen Runde Bananen einladen?“, fragte er schmunzelnd. Gil war viel zu fertig, um noch ans<br />

Essen zu denken. Er ignorierte, dass alles triefte vor Nässe und legte den Kopf müde auf seinen<br />

Rucksack. „Ich bin alle.“, stöhnte er. Heather rutschte zu ihm und kontrollierte den Verband.<br />

Sie schüttelte gestresst den Kopf. „Es blutet immer noch, diese verfluchte Feuchtigkeit.“<br />

„Andererseits kann so kein Dreck eindringen, oder?“, fragte Kate leise, während sie zusammen<br />

mit Heather noch einmal einen frischen Verband anlegte. „Das weiß ich nicht. Ich kann ja mal<br />

House anrufen und fragen.“, schnaufte Heather und sah Kate an. Und verzog das Gesicht zu<br />

einem Lachen. „Und wenn du ihn schon an der Strippe hast, er soll uns eine Pizza schicken.“<br />

54


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Selbst Gil grinste kurz. Sie kauten auf ihren Bananen, dann rollten sie sich, wo sie saßen, zu-<br />

sammen und waren Minuten später vollkommen erschöpft eingeschlafen.<br />

Am Morgen in aller Frühe wachte Gibbs auf. Er war sich sicher, dass etwas ihn ge-<br />

weckt hatte. Und dann hielt er die Luft an. Keine zwanzig Meter entfernt hielt sich eine kleine<br />

Gruppe Orang-Utans auf, suchte den Boden nach Nahrung ab. Sanft schüttelte Gibbs Kate und<br />

Heather wach, deutete ihnen an, still zu sein. Er weckte auch Gil. Fasziniert beobachteten die<br />

vier Menschen aus ihrem Versteck heraus die majestätischen Menschenaffen, die keine<br />

Ahnung hatten, dass sie beobachtet wurden. Kate lief vor Ergriffenheit ein Schauer über den<br />

Rücken. Zwei Babys waren bei der Gruppe und spielten, keine zehn Meter entfernt, auf den<br />

Boden fangen. Heather kullerten Tränen der Rührung über das Gesicht. <strong>Die</strong>se Tiere waren so<br />

wundervoll. Plötzlich zuckte die ganze Gruppe zusammen und Sekunden später waren alle in<br />

den Baumwipfeln verschwunden. Augenblicke später kam der Grund für das plötzliche Ver-<br />

schwinden der Menschenaffen über den Platz geschlichen, an dem vor wenigen Augenblicken<br />

noch die Babys gespielt hatten: ein großer Nebelparder streifte auf der Suche nach Futter<br />

durchs Unterholz. <strong>Die</strong>se sechzig bis hundertzwanzig Zentimeter großen, zirka dreißig Kilo<br />

schweren Raubkatzen waren die größten Raubtiere außer den Leistenkrokodilen auf Borneo.<br />

Als das wunderschöne Tier schließlich ebenfalls verschwunden war, erwachten die Vier in<br />

ihrem Versteck aus der Starre. „Gott, war das wunderschön.“, stieß Heather mit tränen-<br />

erstickter Stimme hervor. „Ich wünschte, Sawyer wäre dabei gewesen.“, flüsterte Kate, noch<br />

ganz im Bann der letzten Minuten. „Und damit steht es fest: Ich habe <strong>mich</strong> doch nicht geirrt<br />

und wir befinden uns wirklich entweder auf Sumatra oder auf Borneo. Ist das nicht schön?<br />

Wenn wir einen Briefkasten finden, könnten wir dem FBI eine Nachricht zukommen lassen,<br />

dass sie aufhören können, uns dort zu suchen, wo sie uns garantiert suchen werden.“<br />

*****<br />

Im Zellentrakt herrschte Nervosität und Unsicherheit. In dieser zweiten Nacht hatten<br />

die Verfolgten einen Unterschlupf gefunden, der jenseits der Kameras lag. So wussten die<br />

Zelleninsassen nicht, wie es den Freunden erging. Sara hatte die Nacht kaum geschlafen, nur<br />

ab und zu war sie eingedöst. Selbstverständlich war es der Wissenschaftlerin klar, dass Gil<br />

nicht Gefahr lief, zu verbluten. Aber das Wissen beruhigte sie keineswegs. Sie überlegte, was<br />

schlimmer war: Live mit zu erleben, wie es den Gejagten erging, oder wie jetzt, nicht zu<br />

wissen, was mit ihnen war. Genervt stand sie auf, spülte sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab<br />

und tigerte dann unruhig in der kleinen Zelle auf und ab. Abby lag in dieser Nacht auf dem<br />

Bett und sie schlief, wenn auch unruhig. In den Nachbarzellen waren Jake und Sawyer die<br />

ganze Nacht aufgewühlt hin und her gelaufen, hatten sich kurz hingesetzt, um Minuten später<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schon wieder nervös aufzuspringen. Sawyer hatte das Gefühl, wenn er nicht bald Bilder von<br />

Kate, unverletzt und in guter Verfassung, zu sehen bekam, würde er los schreien. Nicht zu<br />

wissen, wie es ihr ging, ob in der Nacht etwas passiert war, ob die Verfolger sie eingeholt<br />

hatten, machte den jungen Mann wahnsinnig. Jake ging es nicht besser. Er wünschte sich sehn-<br />

lichst, endlich zu erfahren, was in der Nacht geschehen war, ob überhaupt etwas geschehen<br />

war. Er trat an das Gitter zur Nachbarzelle und sagte leise zu Sawyer: „<strong>Die</strong> Unklarheit ist<br />

schlimmer als das schlimmste Wissen, oder?“ Sawyer lachte freudlos. „Ja. Ich würde sonst was<br />

dafür geben, zu erfahren, was mit Kate los ist.“, seufzte er und starrte zum wohl tausendsten<br />

Mal zum Monitor hoch. Der zeigte jedoch nach wie vor nichts als Dunkelheit.<br />

*****<br />

Nachdem die Vier in ihrem Versteck gefrühstückt hatten, machten sie sich wieder auf<br />

den Weg. Verzweifelt schleppten sie sich vorwärts. Besonders Gil war am Ende seiner Kräfte<br />

angelangt. <strong>Die</strong> Wunde am Arm schmerzte heftig, der Blutverlust machte sich langsam bemerk-<br />

bar, ihm war schwindelig und er war sicher, leichtes Fieber zu haben. Allen machte das be-<br />

stätigte Wissen darum, sich wahlweise auf Borneo oder Sumatra zu befinden, schwer zu<br />

schaffen und sorgte nachhaltig für eine sehr deprimierte Stimmung. Sie hatten beim erneuten<br />

Losgehen am Morgen beschlossen, erst mal vom Pfad fern zu bleiben und so kämpften sie sich<br />

sehr mühselig Meter für Meter ihren Weg durch das dichte Gehölz. Auch jetzt regnete es fast<br />

ununterbrochen. Das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger, je nasser und schwerer der<br />

Boden wurde. Schließlich ging nichts mehr. Heather und Gil waren am Ende und auch Kate<br />

und Gibbs konnten nicht weiter. Nach einer kurzen Rast kämpften sie sich auf den Weg<br />

zurück. <strong>Die</strong> Gefahr, dort von den Verfolgern eingeholt zu werden, mussten sie einfach in Kauf<br />

nehmen. Eine Weile kamen sie so besser voran. Dann tauchte vor ihnen plötzlich eine Weg-<br />

gabelung auf. „Oh, verdammt. Was jetzt?“, keuchte Heather verzweifelt und sank auf die Knie.<br />

„Da hängt ein Zettel im Baum, wartet, ich hole ihn.“, ächzte Kate und riss den eingeschweißten<br />

Zettel von dem Band, an dem er deutlich sichtbar von einem Ast hing. Sie drückte Gibbs den<br />

Zettel in die Hand. „Lies vor.“<br />

<strong>Die</strong> Besonderheit von Aviculariinae ...<br />

Was ist Gromphadorrhina portentosa?<br />

Der Aromia moschata gehört welcher Unterfamilie an?<br />

Welcher Familie gehören die Wanzen an?<br />

Was ist Titanolabis colossa?<br />

Was sind Chelizeren?<br />

Der Danaus plexippus ist ein so genannter ...<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Folgende Buchstaben der Antworten ergeben die<br />

Richtung: 11, 19, 8, 1, 4, 8, 11, 4, 13, 12<br />

Gibbs glaubte, nicht richtig zu gucken. Was, um alles in der Welt, waren das für<br />

Fragen? Er war nicht einmal sicher, auch nur die Hälfte der lateinischen Namen richtig aus-<br />

gesprochen zu haben. „<strong>Die</strong> sind nicht dicht.“, kommentierte Kate die Fragen. „Sind das Tiere<br />

oder Pflanzen oder Medikamente?“, fragte Heather verzweifelt. Gil hatte sich, kaum, dass sie<br />

angehalten hatten, zu Boden sinken lassen und hockte da, apathisch vor sich hin starrend, an<br />

eine Baumwurzel gelehnt. „Gib mal her ...“, stöhnte er mit zusammen gebissenen Zähnen.<br />

Gibbs drückte ihm den Zettel in die Hand und Gil las die Fragen erneut vor. „<strong>Die</strong> Besonderheit<br />

von Aviculariinae ... Das ist eine Baum bewohnende Vogelspinne, ich nehme an, die wollen<br />

hören, dass die Klettern. Notier mal jemand ... das N.“ Kate malte mit dem Messer ein N auf<br />

den Boden. „Was ist Gromphadorrhina portentosa? Das ist eine ... Schabe, eine ... eine<br />

Madagaskar Fauchschabe. Oh, Gott, der 19.te?“ Mühsam versuchte Gil, sich zu konzentrieren.<br />

„19 .. . Ein A, Kate. Der Aromia moschata gehört welcher Unterfamilie an? Bockkäfer ...<br />

Cerambycinae. 8? Okay, warte ... C.“ Es fiel dem Entomologen ungeheuer schwer, sich zu<br />

konzentrieren. „Welcher Familie gehören die Wanzen an? Heteroptera, ein H, Kate.“ Kate<br />

malte einen weiteren Buchstaben in den Sand. „Was ist Titanolabis colossa? Das ist einfach,<br />

das ist ein Riesenohrwurm. Nummer 4? Ein S. Was sind Chelizeren?“ Gil starrte die Frage an.<br />

Was, zum Teufel, waren Chelizeren? Der CIS Ermittler hatte das Gefühl, dieses Wort noch nie<br />

gehört zu haben. Minutenlang starrte er die Frage an, dann: „Verflixt, ich bin fertiger als ich<br />

dachte. Das sind Beißklauen. Kate, ein ... U. Der Danaus plexippus ist ein so genannter...<br />

Wanderfalter, ein E.“<br />

Nenne den lateinischen Namen der Acker - Wolfsspinne?<br />

Was überträgt Glossina?<br />

Was ist das Rosen-Flächtenbärchen?<br />

<strong>Die</strong> Schrift verschwamm vor Gils Augen und er kniff diese zusammen. „Gil, ist alles in<br />

Ordnung?“, fragte Kate besorgt. „Nicht wirklich.“, antwortete der Ermittler ehrlich. „Gut geht<br />

es mir nicht ... Okay, weiter. Nenne den lateinischen Namen der Acker - Wolfsspinne? Arctosa<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

cinerea. Nein, nein, warte, Pardosa agricola, ja, Pardosa. 4, das ist das D. Mir ist speiübel.“ Er<br />

setzte mit zitternder Hand die Wasserflasche an die Lippen. „Zwei noch ... Was überträgt<br />

Glossina? Schlafkrankheit. Welcher Buchstabe? Der 13.te. Das ist das E. Und das Rosen-<br />

Flächenbärchen ist natürlich ein Schmetterling. Das ... N.“ Vollkommen erschöpft schloss Gil<br />

die Augen. Nun brauchten sie die Buchstaben nur noch sortieren. Nach kurzem <strong>Über</strong>legen las<br />

Gibbs, was sie an Buchstaben hatten, in der einzig möglichen Reihenfolge vor. „N A C H S U<br />

E D E N. Nach Sueden. Verdammt, Gil, wird es noch gehen?“ „Nein. Aber es muss. Helft mir<br />

mal hoch.“ Gibbs und Kate zogen Gil vorsichtig auf die Beine. Gibbs legte Gil den Arm um<br />

die Taille und stützte ihn so, dann schleppten sie sich weiter, den Weg nach links, nach Süden,<br />

entlang. Mühsam kämpften sie sich voran. Sie waren vielleicht eine halbe Stunde wieder<br />

unterwegs, als sie hinter sich plötzlich Rufe hörten. Und dann wurden sie auch schon be-<br />

schossen.<br />

*****<br />

Im Kerker konnte man Gils Bemühungen, die Fragen zu beantworten, sehen. Sara sah,<br />

wie schlecht es dem Lebensgefährten ging. Ihre Ungeduld wich immer mehr dumpfer Ver-<br />

zweiflung. „Es geht ihm immer schlechter. Wollen diese Schweine ihn umbringen? Er braucht<br />

einen Arzt.“ Der Ermittlerin standen Tränen in den Augen. „Wer weiß, wie weit die noch vom<br />

Ziel entfernt sind.“ Sawyer und Jake waren in erster Linie erleichtert, dass keine Verfolger zu<br />

sehen war. Sie verfolgten gespannt, wie Gil es schließlich schaffte, alle Fragen richtig zu be-<br />

antworten und die Gefährten sich so wieder auf den Weg machen konnten. Ihnen entging<br />

keineswegs, dass Gil immer schneller abbaute. Im Stillen dachten beide, dass er die anderen<br />

sehr auf hielt. Als sie aus dem Kamerabereich verschwanden, stöhnten Sara, Jake und Sawyer<br />

kollektiv auf. „Verdammt.“ „Hoffentlich konnten sie etwas schlafen.“, sagte Abby besorgt.<br />

„<strong>Die</strong> müssen erschöpft sein und Gil mit dem Blutverlust?“ „<strong>Die</strong> sehen alle ziemlich fertig<br />

aus.“, meinte Cameron verstört. „Lange halten die nicht mehr durch, das Klima da draußen<br />

muss mörderisch sein.“ John schüttelte den Kopf. „Das ständige Nasse zermürbt auf Dauer<br />

sehr.“ „Wenn sie Gil anständig verbunden haben, hält er noch eine Weile durch. Und die<br />

anderen sind alle ziemlich fit.“, stellte House fest. Cameron sah ihn überrascht an. Es war sonst<br />

nicht seine Art, zu versuchen, Leute zu beruhigen.<br />

Nachdem die vier Flüchtlinge für eine Weile nicht zu sehen gewesen waren, tauchten<br />

sie nun wieder in einer der Kameras auf. „Da. Da sind sie wieder.“, machte Booth die <strong>Anderen</strong><br />

aufmerksam. Aller Augen wandten sich wieder den beiden Bildschirmen zu. Und dann ging<br />

alles Schlag auf Schlag. Plötzlich stöhnte Sara entsetzt auf. Sie hatte am äußersten Bildrand<br />

zwei Verfolger auftauchen sehen. „Gott. Da sind zwei von den Typen. <strong>Die</strong> haben sie gleich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

eingeholt. Und sie haben die Verfolger noch nicht bemerkt. Verflucht. Passt auf. Hinter euch.“<br />

Sara stand an der Tür und umklammerte halt suchend die Gitterstäbe. Alle standen an den<br />

Türen und starrten entsetzt zu den Bildschirmen hoch. „Bitte nicht ...“, keuchte Sawyer<br />

panisch, als er sah, dass ein Pfeil knapp an Kates Ohr vorbei zischte.<br />

*****<br />

Kate hörte hinter ihnen einen überraschten Ausruf. „Da. Da sind sie.“ Sie wirbelte ent-<br />

setzt herum. Und da kamen sie, zwei Männer, beide Bögen im Anschlag und im nächsten<br />

Moment zischten schon Pfeile um sie herum. „Scheiße. Ins Unterholz, los.“, brüllte Gibbs<br />

Heather und Gil an. Heather reagierte blitzschnell. Sie packte Gil rücksichtslos an seinem ver-<br />

letzten Arm und zog ihn mit sich in das Unterholz links des Weges. Hier hetzten die Beiden ein<br />

Stück weiter und verbargen sich dann, so gut es ging, hinter Gebüsch. Angstvoll lauschte<br />

Heather auf Geräusche vom Weg. Kate und Gibbs hechteten nach beiden Seiten vom Weg<br />

herunter und versuchten, notdürftig Deckung hinter Gestrüpp zu finden. Leider war dieses<br />

durchlässig und so zischten ihnen weiter Pfeile um die Ohren. Gibbs wich einem Geschoss<br />

knapp aus, das seinen Schädel durchbohrt hätte. Er fluchte unhörbar und schaute durch das<br />

Blätterwerk auf den Weg hinaus. Kate beobachtete ebenfalls genau, wo die Pfeile auf sie zu<br />

geflogen kamen. Dann jedoch konnte sie nicht mehr schnell genug ausweichen. Sie schrie<br />

schmerzerfüllt auf, als sie ein heißes Brennen am Oberschenkel spürte. Einer der Pfeile hatte<br />

sie erwischt und hinterließ eine tiefe, schmerzhafte Fleischwunde. Gibbs hatte den Bogen in<br />

der Hand und legte einen Pfeil ein. Er zielte sehr lange und sorgfältig. <strong>Die</strong> beiden Verfolger<br />

kamen ohne Zaudern näher, sie ahnten ja nicht, dass sie Fliehenden ebenfalls einen Bogen<br />

hatten. Gibbs hielt die Luft an und ließ den Pfeil los zischen. Mit einem vollkommen über-<br />

raschten Gesichtsausdruck ging einer der Verfolger aufschreiend zu Boden, einen Pfeil in der<br />

Brust. Der zweite Mann wirbelte herum und im selben Moment traf ihn ein Messer, von Kate<br />

geschleudert, im Bauch.<br />

Kate kam aus dem Gebüsch, die Hand auf die blutende Fleischwunde am Oberschenkel<br />

pressend, Gibbs trat von der anderen Seite vorsichtig auf den Weg. „Schnell, Waffen und dann<br />

nichts wie weg.“, keuchte Kate gepresst. „Schlimm?“, fragte Gibbs, während er Messer und<br />

Bogen, sowie die Pfeile ihrer Gegner nahm. Kate zuckte die Schultern. „Weiß nicht. Mach<br />

schon zu, wir müssen weg hier.“ Sie stöhnte auf. Gibbs hatte alles zusammen und stieß hervor<br />

„Ich hab alles, komm. Geht es alleine?“ Kate nickte zähneknirschend, dann humpelte sie Gibbs<br />

hinterher. Sie riefen nach Gil und Heather und die Beiden kamen vorsichtig aus dem Gebüsch.<br />

„Kate. Du bist verletzt.“, keuchte Heather erschrocken. „Später. Wir müssen weiter.“, zischte<br />

Kate zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Sie humpelte zu Gibbs und dieser reichte ihr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

den zweiten, erbeuteten Bogen sowie einen Köcher mit Pfeilen. Heather und Gil bekamen nun<br />

auch je ein Messer. Dann ging es weiter. Kate humpelte stark, es war ihr deutlich anzusehen,<br />

dass sie heftige Schmerzen hatte. Blut lief ihr am Bein hinunter. Sie ächzte leise bei jedem<br />

Schritt. Plötzlich lichtete sich der Wald vor ihnen und sie standen abermals vor der Schlucht.<br />

Hier war diese breiter und auch tiefer. Vor ihnen lag eine feste Brücke, über die es weiter ging.<br />

Sie eilten zur Brücke und Heather trat vorsichtig an die Schlucht heran, um hinunter zu gucken.<br />

Plötzlich hörte sie ein eigenartig aggressives Zischen hinter sich. Sie drehte sich herum, um<br />

nach dem Ursprung des Geräusches zu gucken und schrie erschrocken auf. Hinter ihr, halb<br />

aufgerichtet, lag eine Schlange und starrte sie an. Als Heather herum wirbelte, zischte das Tier<br />

erneut und dann ging alles wieder einmal blitzschnell. <strong>Die</strong> Schlange spuckte Heather eine klare<br />

Flüssigkeit entgegen, diese wich unwillkürlich aus, spürte Tropfen auf dem Gesicht und im<br />

linken Auge und plötzlich war hinter ihr die Welt zu Ende. Mit einem gellenden Aufschrei<br />

rutschte Heather ab.<br />

External World 8) Spurensuche<br />

Nicht jeder, der sucht, findet etwas;<br />

aber wer etwas gefunden hat, hat es nicht zwingend gesucht, und gut gefunden hat er<br />

es auch nicht unbedingt.<br />

Ulrich Wiegand-Laster<br />

„Das wird Tage dauern, bis wir alle Fingerabdrücke zugeordnet haben.“, bemerkte<br />

Warrick Brown, nachdem er den bestimmt hundertsten Teststreifen eingetütet hatte. „Ja,<br />

garantiert.“, stimmte ihm sein Kollege Nick Stokes zu. „Aber es ist mir erheblich lieber,<br />

hunderte von Fingerabdrücken zu untersuchen, als dumm rum zu sitzen und nichts zu tun.“<br />

<strong>Die</strong> letzten Tage waren für das CSI- Team mehr als frustrierend gewesen. Sie alle schätzten<br />

Grissom und Sara sehr und hatten darauf gebrannt, endlich etwas tun zu können. Eigentlich<br />

fiel dieser Fall gar nicht in ihre Zuständigkeit - sie waren nur für die Spurensicherung an Tat-<br />

orten innerhalb von Las Vegas zuständig. Aber nachdem Catherine Willows den Anruf vom<br />

NCIS bekommen hatte, hatte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um in die Ermittlungen ein-<br />

bezogen zu werden. Sie hatte sich mit Direktor Shepard vom NCIS und Assistent Direktor<br />

Skinner vom FBI in Verbindung gesetzt und beide hatten schließlich Catherines Vorschlag<br />

zugestimmt, ihre Leute nach LA zu schicken, sobald das Flugzeug am Flughafen eingetroffen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

war, damit die CSI-Ermittler das Spurensicherungsteam vom FBI unterstützen konnten. In<br />

einem Passagierflugzeug gab es derart viele Spuren zu sichern, dass das FBI für die Hilfe der<br />

Ermittler aus Vegas durchaus dankbar war. Catherine Willows war gerade dabei, das Cockpit<br />

auf Fingerabdrücke zu untersuchen, immer unter den wachsamen Auge von Jayden Stewart,<br />

dem Flugsicherheitsingenieur der Qantas. Man hatte ihnen gesagt, Stewart würde ihnen zur<br />

Seite gestellt, um eventuelle technische Rückfragen der Ermittler zu beantworten. Inzwischen<br />

hatten die CSI-Beamten allerdings eher den Eindruck, dass der Ingenieur da war, um zu ver-<br />

hindern, dass sie bei der Spurensuche das teure Flugzeug allzu sehr demolierten. „Was<br />

machen Sie denn da?“, fragte Stewart gerade alarmiert, als Catherine anfing, den Deckel des<br />

GPS Gerätes abzuschrauben und die Innenseite des Gerätes mit Fingerabdruckpulver einzu-<br />

stäuben. „Meinen Job, Mister Stewart. Das Flugzeug tauchte nach der Entführung nicht mehr<br />

auf dem Radar auf, also muss einer der Entführer das GPS manipuliert haben. Vielleicht hat<br />

er Spuren hinterlassen. Und es ist mir offen gestanden völlig egal, ob und wie ihre Leute das<br />

Puder von den Geräten wieder abkriegen werden. Alles, was <strong>mich</strong> interessiert, sind meine<br />

Leute und die anderen Entführten.“ Der Ingenieur sah aus, als wollte er etwas erwidern, be-<br />

sann sich dann aber etwas besserem.<br />

Greg Sanders war gerade dabei die Abdeckungen von den Lüftungsschächten zu ent-<br />

fernen, um darunter Fingerabdrücke nehmen zu können, als zwei weitere Wissenschaftler das<br />

Flugzeug betraten. Camille Saroyan vom Jeffersonian Institut hatte es geschafft, das FBI<br />

davon zu überzeugen, dass die Spezialisten in ihrem Institut den Ermittlern bei der Unter-<br />

suchung der Maschine eine wertvolle Hilfe sein könnten. Da Dr. Brennan und ihre Kollegen<br />

das FBI in der Vergangenheit schon oft unterstützt hatten, hatte Skinner schließlich erlaubt,<br />

dass das Team vom Jeffersonian bei der Untersuchung des Flugzeuges assistiert. „Langsam<br />

wird es voll hier.“, kommentierte Greg und sah von den Neuankömmlingen zu seinen<br />

Kollegen und dem Spurensicherungsteam vom FBI. „Sie müssen die Leute vom Jeffersonian<br />

sein. Ich bin Greg Sanders, CSI.“ Greg streckte dem älteren der beiden Männer die Hand ent-<br />

gegen. „Jack Hodgins. Spezialist für Käfer und Schleim des Jeffersonian. Aber zur Not ana-<br />

lysiere ich auch Erdproben.“, stellte dieser sich vor. „Und das ist mein Kollege, Dr. Zack<br />

Addy. Er ist forensischer Anthropologe und wird die Aufnahmen der <strong>Über</strong>wachungskameras<br />

noch mal genau unter die Lupe nehmen.“ „Schleim und Käfer. Klingt interessant. Ich mache<br />

hauptsächlich DNA Analysen. Ihr Kollege spricht am besten Mal mit jemandem vom FBI.<br />

<strong>Die</strong> können sicher veranlassen, dass Sie Kopien von den <strong>Über</strong>wachungsbändern bekommen.<br />

Draußen warten zwei FBI Agents und noch zwei Leute von einer anderen Behörde. NC...<br />

irgendwas. <strong>Die</strong> sind sauer, dass sie nicht ins Flugzeug dürfen bis wir hier fertig sind.<br />

Wahrscheinlich freuen die sich, wenn sie etwas zu tun kriegen.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ich bezweifle, dass FBI Agenten Wut empfinden, weil sie warten müssen, bis die<br />

Spurensicherung ihre Arbeit gemacht hat. Sie werden sicher einsehen, dass die vorgegebene<br />

Arbeitsreihenfolge sinnvoll ist.“, kommentierte der stets logisch denkende Zack Addy. Völlig<br />

verwirrt von Zacks Art sah Greg hilfesuchend Hodgins an. „Er ist immer so. Man gewöhnt<br />

sich dran.“, erklärte der Entomologe lapidar. „Wie bin ich immer?“, fragte Zack, jetzt auch<br />

sichtlich verwirrt. „Du, mein Freund, bist genau der richtige Mann, um aufgebrachten FBI<br />

Agenten die Langeweile zu vertreiben.“, erklärte Hodgins dem verwirrten jungen Mann. „Du<br />

meinst, ich soll einfach da raus gehen und sie ansprechen?“, fragte Zack unsicher. „Ja, Zack.<br />

Das ist es, was Menschen in unserer Kultur zu tun pflegen. Sie gehen auf fremde Menschen<br />

zu, strecken ihnen die Hand entgegen, stellen sich vor und sagen, was sie wollen.“, erklärte<br />

Jack in ironischem Ton. „Oh. In Ordnung. Das kann ich tun.“, antwortete Zack und verließ<br />

unsicher das Flugzeug.<br />

Draußen sah Zack eine Gruppe von vier Personen stehen, drei Männer und eine Frau. -<br />

Okay. Auf sie zugehen, die Hand ausstrecken, <strong>mich</strong> vorstellen und sagen, was ich will. Das<br />

kann ich. - Als Zack bei der Gruppe angekommen war, brachte er jedoch erst mal kein Wort<br />

heraus. Er stand einen Moment einfach nur da, während die Agenten ihn erwartungsvoll an-<br />

sahen. Schließlich kam ihm die Frau zur Hilfe und fragte freundlich: „Können wir Ihnen<br />

helfen?“ „Ja. Ja, genau deswegen bin ich hier ... Ich bin Dr. Zack Addy ... Ich arbeite für das<br />

Jeffersonian Institute. Für Dr. Brennan. Im Moment natürlich nicht, weil Dr. Brennan entführt<br />

wurde. Jedenfalls bin ich mit meinem Kollegen hier. Er ist Entomologe, Mineraloge und<br />

Botanikexperte, er ist für die Teilchenanalyse zuständig und beteiligt sich an der Unter-<br />

suchung des Flugzeuges. Ich bin forensischer Anthropologe, wie Dr. Brennan. Und im Flug-<br />

zeug gibt es keine Knochen. Was gut ist, denke ich. Aber entgegen der landläufigen Meinung<br />

arbeiten forensische Anthropologen nicht nur mit Knochen, sondern auch mit Bildern. Wir<br />

haben ein Programm, mit dem wir Personen auch dann identifizieren können, wenn sie ge-<br />

altert sind oder plastische Operationen an ihnen durchgeführt wurden. Deswegen habe ich<br />

<strong>mich</strong> gefragt, ob die Möglichkeit besteht, dass ich Kopien von den <strong>Über</strong>wachungsbändern<br />

bekommen könnte. Dafür brauche ich aber die Genehmigung eines FBI Agenten. Mir wurde<br />

gesagt, dass ich hier FBI Agenten finde.“<br />

<strong>Die</strong> vier sahen den seltsamen jungen Mann einen Moment lang verwirrt an. Dann ver-<br />

langte der älteste der Männer: „Können wir ihren Ausweis sehen?“ Zack nickte eilig und holte<br />

einen Ausweis aus seiner Tasche hervor, den der Mann kritisch prüfte. „Der ist echt.“, ver-<br />

kündete er schließlich. Jetzt sprach die junge Frau Zack wieder an. „Mein Name ist Monica<br />

Reyes, ich bin vom FBI. Das ist mein Partner John Doggett.“ Sie deutete auf den Mann, der<br />

Zacks Ausweis überprüft hatte. „Und diese beiden Herren sind Anthony DiNozzo und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Timothy McGee vom NCIS.“ Als sie Zacks verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte,<br />

fügte sie erklärend hinzu. „Naval ...“ „... Criminal Investigative Service.“ Zack sah die junge<br />

Frau etwas ungeduldig an. „Das ist mir absolut bekannt. Ich fragte <strong>mich</strong> nur, was der NCIS<br />

hier macht.“ Monica erklärte ruhig: „Drei der verschwundenen Agenten gehören zum NCIS,<br />

deswegen sind ihre Kollegen an den Ermittlungen beteiligt. Wir können im Moment ohnehin<br />

noch nicht ins Flugzeug, also können wir uns auch gleich die <strong>Über</strong>wachungsbänder ansehen,<br />

wenn Sie möchten.“ Zack nickte erleichtert. Doggett entschloss sich, lieber beim Flugzeug<br />

darauf zu warten, dass die Spurensicherung ihre Arbeit abschloss, also ging Monica allein mit<br />

Zack los. „Sie arbeiteten wohl nicht oft außerhalb des Labors, oder?“, fragte Monica unter-<br />

wegs. „Wie kommen Sie darauf?“, fragte Zack überrascht zurück.<br />

Monica schmunzelte. „Nur so eine Vermutung.“ „Ihre Vermutung ist korrekt.<br />

Normalerweise verlasse ich das Jeffersonian nur in Begleitung Dr. Brennans und Agent<br />

Booth’. Dr. Brennan ist meine Mentorin und Agent Booth ist die Verbindung zwischen uns<br />

und den Menschen.“, erklärte Zack analytisch. Monica lächelte amüsiert und mitfühlend. „Sie<br />

fehlen Ihnen. Ich kann Sie gut verstehen. Agent Booth kenne ich leider nicht persönlich, aber<br />

ich kenne Agent Scully und Agent Mulder gut. Sie fehlen mir auch.“ Zack taute angesichts<br />

der Freundlichkeit der Agentin langsam etwas auf. „Warum sind Sie hier? Es ist bereits ein<br />

Spurensicherungsteam des FBI und des CSI im Flugzeug.“ „Und ich bin sicher, sie leisten<br />

sehr gute Arbeit. Aber ich würde gerne einen anderen Ansatz versuchen. Ich möchte sehen, ob<br />

ich im Flugzeug etwas spüre. Schwingungen.“, erklärte Monica freundlich. „Schwingungen?<br />

Sie meinen Schall? Das verstehe ich nicht. Das menschliche Gehör ist nicht in der Lage<br />

Schallwellen aufzunehmen, die zu leise waren, um von den Tonbändern aufgezeichnet zu<br />

werden. Und selbst wenn das möglich wäre, könnten Sie keine Schwingungen mehr auf-<br />

nehmen, weil die Passagiere das Flugzeug bereits verlassen haben.“<br />

Monica lächelte. „Ich meine eine andere Art von Schwingungen, Dr. Addy. Ich spüre<br />

die Energien von Menschen an Orten, an denen sie sich aufgehalten haben.“ „Aber das ist<br />

vollkommen unmöglich. Wenn Menschen einen Ort verlassen haben, bleiben von ihnen nur<br />

Fingerabdrücke und DNA Spuren dort. Und das kann man nicht spüren.“ Zack war sichtlich<br />

verwirrt. Monica lächelte immer noch freundlich. Sie war skeptische Reaktionen gewöhnt.<br />

„Es gibt eine Menge Dinge, die sich nicht wissenschaftlich erklären lassen.“ Zack starrte sie<br />

fassungslos an. „Nein, die gibt es empirisch gesehen nicht. Früher oder später lässt sich alles<br />

wissenschaftlich erklären.“ <strong>Die</strong> Frau wurde Zack langsam unheimlich und er war froh, als sie<br />

im Büro des Sicherheitsdienstes angekommen waren und Monica veranlasst hatte, dass er die<br />

Kopien der <strong>Über</strong>wachungsbänder bekam. Zack entschuldigte sich hastig und nahm ein Taxi<br />

zurück zum Hotel, wo er sich gleich an die Analyse der Bänder machte. Er hatte einen Laptop<br />

63


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vom Institut dabei, auf dem sich alle notwendigen Programme befanden. Normalerweise wäre<br />

er mit Hodgins zurückgefahren, da er selbst keinen Führerschein hatte. Aber diese FBI<br />

Agentin irritierte ihn und er wollte sich lieber an seine Arbeit machen, als sich mit dieser<br />

merkwürdigen Frau zusammen das Flugzeug anzusehen.<br />

Als Monica zum Flugzeug zurückkehrte war die Spurensicherung fertig. Nur ein<br />

junger Mann war noch im Flugzeug und sammelte anscheinend Proben von Erdresten auf<br />

dem Fußboden der Maschine als die FBI und NCIS Agenten das Flugzeug betraten. „Wer<br />

sind Sie? Was machen Sie hier noch?“, fragte Tony sofort ziemlich anmaßend. „Uns wurde<br />

gesagt FBI und CSI wären hier fertig.“ „Ich gehöre nicht zum FBI oder CSI, Mr ...?“<br />

„SPEZIAL AGENT Anthony DiNozzo, NCIS. Wir haben die Genehmigung das Flugzeug zu<br />

untersuchen.“ Tony war genervt, dass sie solange hatten warten müssen und er hatte keine<br />

Lust, sich von diesem Kerl weiter aufhalten zu lassen. Jack sah den arroganten Agenten an. -<br />

Du willst mir überheblich kommen? Wenn ich das mal nicht besser kann... - „Nun, SPEZIAL<br />

AGENT Anthony DiNozzo, ich bin DR. Jack Hodgins, Entomologe, Biologe und Teilchen-<br />

analytiker vom Jeffersonian Institut Washington. Mein Kollege und ich wurden vom FBI<br />

hinzugezogen, weil wir Experten auf unseren Gebieten sind.“ Tony wandte sich an Monica<br />

und Doggett. „Wussten Sie davon?“ „Selbstverständlich. Wir wussten, dass ein Team vom<br />

Jeffersonian kommt, ja.“, erkläre Doggett grinsend. Tony wirkte verärgert, dass man es nicht<br />

für nötig gehalten hatte, ihm diese Information zu geben. „Dann lassen Sie mal sehen, was Sie<br />

können, DR. Hodgins.“, forderte Tony den jungen Mann heraus. Jack machte sich an die<br />

Arbeit und nahm etliche Proben von Erd- und Pflanzenresten vom Flugzeugboden. Nach einer<br />

Weile fand Jack tatsächlich in einem Lüftungsschacht etwas, was der Spurensicherung ent-<br />

weder entgangen war oder was diese nicht für wichtig gehalten hatte. „Ah, ein Hexarthrius<br />

parryi.“, verkündete er aufgeregt und hielt mit einer Pinzette einen hässlichen, zirka acht<br />

Zentimeter großen orange-braunen Käfer.<br />

„Ein was?“, fragte Tony ungeduldig. „Ein Hexarthrius parryi.“, wiederholte Jack be-<br />

tont langsam. „Oder, damit selbst Sie es verstehen: Ein orangefarbener Hornkäfer. Ein Männ-<br />

chen.“ „Sie können an diesem Teil erkennen, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist?“<br />

Jack sah Tony mit gespielter Verwirrung an. „Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass Sie ein<br />

Männchen nicht von einem Weibchen unterscheiden können? Nun ja, wissen Sie, Spezial<br />

Agent DiNozzo, das ist so. Bei Männchen und Weibchen fast jeder Spezies unterscheiden<br />

sich die Genitalien deutlich. Sie werden das sicher schon bei der einen oder anderen Spezies<br />

beobachtet haben. Bei unserer zum Beispiel. Zumindest gehe ich davon aus, dass Sie haben?“,<br />

fragte Jack amüsiert. McGee und Doggett grinsten offen, während Monica vergeblich ver-<br />

suchte ein erheitertes Lächeln zu unterdrücken. „Selbstverständlich habe ich das.“, erklärte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tony entrüstet. „Aber bei unserer Spezies sind die relevanten Teile deutlich ... größer.“ „Es<br />

kommt nicht auf die Größe an, mein Freund.“, erklärte Jack todernst. „Außer bei Hornkäfern.<br />

Da sind die Weibchen nämlich nur halb so groß.“, fügte der Entomologe lachend hinzu.<br />

„Sehr witzig.“, bemerkte Tony, nicht im Mindesten belustigt. „Sagen Sie uns lieber,<br />

inwiefern uns dieser Käfer hilft, den Aufenthaltsort der vermissten Passagiere zu finden.“<br />

Jetzt sah Jack nicht mehr humorvoll aus. „Ich fürchte gar nicht. <strong>Die</strong>se Käfer kommen in<br />

Indonesien und Malaysia vor. Der Käfer könnte also von Borneo stammen, wo das Flugzeug<br />

gefunden wurde. Das ist also für die Untersuchungen nicht sehr relevant, da wir ohnehin<br />

wissen, dass die Maschine dort abgestellt wurde. Ich hoffe, dass ich noch andere Insekten<br />

finde oder dass ich durch die Analyse der Erdproben vom Flugzeugboden Hinweise auf den<br />

Ort erhalte, von dem die Entführer kommen.“ „Na großartig.“, seufzte Tony. „Für diese glor-<br />

reiche Erkenntnis brauchen wir also einen Experten vom Jeffersonian.“ Genervt holte Tony<br />

eine Kamera aus seiner Tasche, und begann, Fotos vom Passagierraum zu machen. McGee<br />

war bereits dabei, das Cockpit zu fotografieren. Derweil ging Monica mit einem hoch<br />

konzentrierten Gesichtsausdruck im Flugzeug umher und berührte hier und da einen Gegen-<br />

stand. „In diesem Flugzeug ist niemand gestorben, das würde ich spüren.“, erklärte sie<br />

Doggett. Doggett erwiderte nichts und er war froh, dass seine Partnerin keine Antwort zu er-<br />

warten schien. Auch nach langjähriger Zusammenarbeit wusste er nicht, was er von Monicas<br />

Ahnungen und ihren seltsamen Ideen halten sollte. Er wusste nur, dass sie mit ihren Methoden<br />

zum Teil erstaunliche Ergebnisse erzielte. Also ließ er Monica einfach weiter machen mit was<br />

auch immer sie da gerade tat und ging zurück zu Jack, um dem Wissenschaftler ein wenig<br />

über die Schulter zu sehen.<br />

„Spionieren Sie <strong>mich</strong> aus?“, fragte Jack misstrauisch. „Ich beobachte Sie, das ist<br />

alles.“, antwortete Doggett schlicht. „Das Flugzeug ist ein Tatort. Wir können Zivilisten hier<br />

nicht unbeaufsichtigt lassen.“ „Das ist mal wieder typisch. Sie beobachten jeden Schritt den<br />

ich mache, aber das FBI behält alle seine Geheimnisse für sich. Und sehr weit gekommen seid<br />

ihr mit euren Beobachtungen auch nicht gerade.“ „Welche Geheimnisse?“, fragte Doggett<br />

überrascht und kühl. „Welche Geheimnisse? Oh man, wo soll ich da anfangen. Wer wirklich<br />

hinter Kennedys Ermordung steckt. Was Sie mit den Aliens aus Roswell gemacht haben.<br />

Welche Rolle hat J. Edgar Hoover bei der Ermordung von Martin Luther King gespielt? Und<br />

warum halten Sie ihre Erkenntnisse in Bezug auf die entführten Passagiere zurück?“ Doggett<br />

sah den Wissenschaftler verblüfft an. „Sie würden sich ausgezeichnet mit Agent Mulder ver-<br />

stehen. Hören Sie, ich habe keine Ahnung, ob es bei der Ermordung von Kennedy und Martin<br />

Luther King Hintermänner gab. Es gibt keine Aliens. Und ich wünschte, ich hätte<br />

Informationen über die Entführung, die ich Ihnen verschweigen könnte. Aber die habe ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht. Also, machen Sie lieber ihre Arbeit, als <strong>mich</strong> auszufragen, vielleicht finden Sie ja etwas<br />

heraus.“ Jack sah Doggett einen Moment lang misstrauisch an, kam dann aber zu dem<br />

Schluss, dass er ihm glauben konnte. Der Mann hatte wirklich keine Ahnung von den Ver-<br />

schwörungen, von denen er täglich umgeben war. Der Wissenschaftler und die Agenten be-<br />

endeten ihre Arbeit überwiegend schweigend und machten sich wieder auf den Weg nach<br />

Washington.<br />

*****<br />

„Das gibt es doch nicht.“, schimpfte Warrick frustriert. „Wir haben Hunderte von<br />

Fingerabdrücken gefunden und keiner taucht in irgendeiner Datenbank auf. <strong>Die</strong> meisten<br />

lassen sich zu den wieder aufgetauchten Passagieren, den Abdrücken der Agenten aus den<br />

Akten und zum Reinigung- und Wartungspersonal zurückverfolgen. Es gibt nicht ein paar<br />

Abdrücke, die sich nicht identifizieren lassen. Keiner davon ist zu im Zusammenhang mit<br />

einem ungeklärten Verbrechen aufgetaucht. Wir stehen wieder am Anfang.“ Catherine<br />

seufzte. Sie fühlte sich wütend und hilflos, weil ihr nichts mehr einfiel, was sie noch tun<br />

könnte, um ihren vermissten Kollegen zu helfen. „Entweder sind die Entführer von Gil, Sara<br />

und den anderen noch nie auffällig geworden, oder sie waren so sorgfältig, dass sie wirklich<br />

alle Fingerabdrücke abgewischt haben.“<br />

FBI und NCIS waren zu den gleichen Ergebnissen gekommen, hatten aber eine zusätz-<br />

liche Informationsquelle, an die das CSI nicht heran kam: militärische Datenbanken. Beim<br />

Abgleich mit allen Militärakten der letzen dreißig Jahre hatten sie tatsächlich einen Treffer<br />

erzielt. Einige der Abdrücke gehörten zu einem Mann, der vor Jahren für einige Zeit beim<br />

Militär gedient hatte und kurz danach wie vom Erdboden verschwunden war, ein gewisser<br />

Martin Donaldson. McGee und Tony saßen zusammen mit Monica und Doggett in einem FBI<br />

Konferenzraum und besprachen die neuen Erkenntnisse. „Das bringt uns überhaupt nichts.“,<br />

stellte Tony frustriert fest. „Wir wussten doch schon, dass sechs der verschwundenen<br />

Passagiere falsche Identitäten haben. Er ist eben einer davon. Seine Eltern und seine Schul-<br />

freunde haben seit zwanzig Jahren nichts mehr von Donaldson gehört. Seine Vorgesetzten<br />

von damals erinnern sich nicht mal an ihn. Keiner der Personen, die ihn damals kannten, hat<br />

in den Tagen nach unserem Besuch ungewöhnliche Telefongespräche geführt, wir haben uns<br />

einen Einzelverbindungsnachweis von allen Gesprächen schicken lassen, die sie geführt<br />

haben. Kein Hinweis darauf, dass irgendjemand seinen aktuellen Aufenthaltsort kennt. Das ist<br />

eine Sackgasse, mal wieder.“<br />

*****<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Bitte sag mir, dass du irgendetwas gefunden hast, dass uns hilft, Tempe und Booth zu<br />

finden.“, bat Angela Montenegro ihren Kollegen und Verlobten Jack Hodgins verzweifelt.<br />

„Zacks Analyse der <strong>Über</strong>wachungsbänder hat überhaupt nichts ergeben, also sage mir, dass<br />

wenigstens du etwas hast.“ Angela stand Bones sehr nahe und die Ungewissheit darüber, was<br />

mit ihrer Freundin passiert war, machte sie fast verrückt. Jack sah seine Verlobte resigniert<br />

an. „Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was du hören willst, Baby. Aber alles, was ich ge-<br />

funden habe, hilft uns keinen Schritt weiter. Alle Erd- und Pflanzenproben, die ich analysiert<br />

habe, stammen aus Australien oder Indonesien. Also von dort, wo das Flugzeug gestartet ist<br />

und vom Fundort.“ „Das kann doch nicht wahr sein. Wer zieht eine Flugzeugentführung<br />

durch und hinterlässt dabei keinerlei Spuren?“, fragte Angela fassungslos. „Profis. <strong>Die</strong><br />

müssen diese Aktion sehr, sehr lange minutiös geplant haben.“, stellte Jack fest. „Aber es<br />

muss doch etwas geben können, das wir tun können.“ Angela war den Tränen nahe. Jack<br />

nahm seine Verlobte in den Arm. „Ich wünschte, es gäbe etwas.“<br />

Schlechte Verlierer<br />

Der Utopist sieht das Paradies, der Realist das Paradies plus Schlange.<br />

Friedrich Hebbel<br />

Jake brüllte panisch auf. „NEIN!“ Mit Entsetzen geweiteten Augen sah er, wie Heather<br />

vor der Schlange zurück wich und mit einem gellenden Schrei abrutschte. Sprachloses Ent-<br />

setzen herrschte im Kerker. Alle hatte schon vorher mit Schrecken gesehen, wie Kate verletzt<br />

worden war. Sawyer hatte Tränen in den Augen, als er zusehen musste, wie Kate sich weiter<br />

quälte. Dann waren die vier wieder aus dem Sichtbereich der Kamera verschwunden. Kates<br />

Verletzung hatte den Jubel über die zwei ausgeschalteten Verfolger deutlich gedämpft. Als<br />

dann die Kamera an der Brücke die Vier kurz darauf wieder erfasst hatte, schauten die Zellen-<br />

insassen gebannt auf die Bildschirme. Und dann beobachteten sie das Unfassbare. „Heather.“<br />

Jake schluchzte entsetzt auf. Er sank auf die Knie und schlug die Hände zitternd vor sein Ge-<br />

sicht. Dana liefen ebenfalls Tränen über die Wangen. Sie ging neben Jake auf die Knie und zog<br />

den jungen Mann an sich.<br />

*****<br />

67


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Heather.“ Gibbs brüllte vor Entsetzen auf. <strong>Die</strong> Schlange brachte sich schnellstens in<br />

Sicherheit und Gibbs warf sich am Rande der Schlucht auf den Bauch. Kate liefen Tränen über<br />

das blasse Gesicht und Gil war auf die Knie gesunken und schluchzte. Und dann zuckte er wie<br />

elektrisiert zusammen. „Helft mir.“ <strong>Die</strong> völlig hysterische Stimme Heathers drang an seine<br />

Ohren. „Heather!“ Auch Kate hatte den Schrei gehört. Ohne auf ihr verletztes Bein zu achten<br />

warf sie sich neben Gibbs auf den Bauch und schob sich vorsichtig vor. Dann konnte sie über<br />

den Rand blicken. Keine zwei Meter unter ihnen hing Heather, heftig schluchzend und krallte<br />

sich panisch an einigen Wurzeln fest. Lange würde das jedoch nicht gut gehen, alles war nass<br />

und glitschig. Kate rappelte sich auf, stürzte zu den Rucksäcken und riss zwei elastische<br />

Binden heraus. So schnell wie möglich wickelte sie diese auf, drehte sie notdürftig etwas zu-<br />

sammen und machte am Ende eine feste Schlinge. Dann humpelte sie so schnell es ging zu<br />

Gibbs zurück. „Hier.“ Sie drückte diesem das notdürftige Seil in die Hand, dann griff sie nach<br />

Bogen und Köcher und sicherte sie vorsichtshalber nach hinten ab. Gibbs ließ die Binden zu<br />

Heather hinunter und schrie zu der hysterisch schluchzenden Frau hinunter: „Du musst danach<br />

greifen, Heather, anders hast du keine Chance. Du schaffst das.“ Heather schrie entsetzt auf.<br />

„Nein. Niemals.“ Gibbs stöhnte verzweifelt. „HEATHER! Wenn du nicht danach greifst, bist<br />

du verloren. MACH SCHON!“ Rücksichtslos brüllte er die vollkommen verängstigte junge<br />

Frau an. Und es wirkte. Zitternd löste sie eine Hand von den Wurzeln und versuchte, die Binde<br />

zu fassen zu bekommen. Beim zweiten Versuch erst gelang es. Wimmernd löste sie nun auch<br />

die zweite Hand und schrie gellend auf vor Schreck, als die Binde ein Stück nachgab. Dann<br />

aber hing sie sicher an dem behelfsmäßigen Seil.<br />

Gibbs keuchte vor Anstrengung, als er langsam anfing, Hand über Hand, Heather hoch<br />

zu ziehen. Gil rappelte sich auf und taumelte zu Gibbs hinüber. Gemeinsam zogen sie schließ-<br />

lich die junge Frau hoch, bis sie neben ihnen auf dem Boden lag. Immer noch schluchzte<br />

Heather verzweifelt. „Mein Auge. Ich habe etwas von dem Gift ins Auge bekommen.“<br />

„Scheiße.“ Gil eilte, so schnell er konnte, zu den Rucksäcken und schleppte beide zu Heather<br />

hinüber. Er zog die Wasserflaschen aus den Rucksäcken und sagte energisch: „Halt still, ich<br />

muss das Auge spülen.“ Heather lag still, während Gil nach und nach fünf Liter Wasser über<br />

das Auge laufen ließ. Zwischendurch ließ er Heather immer wieder blinzeln. Gibbs konnte hier<br />

nicht helfen und so wandte er sich Kate zu. „Wie geht es dir, Mädchen? Alles klar?“ Er warf<br />

einen Blick auf die tiefe Wunde an Kates Bein. „Ein ... Verband wäre nicht schlecht.“, knirsche<br />

die junge Frau gepresst. Gibbs nickte. Er ging zu Heather hinüber und nahm die beiden<br />

Binden. Er wickelte sie wieder auf und suchte in den Rucksäcken nach einem sauberen Ver-<br />

bandmullpäckchen. Damit kehrte er zu Kate zurück und verband dieser endlich die Wunde.<br />

Erleichtert atmete Kate auf. „Danke, Gibbs.“ Sie sah zu Gil und Heather hinüber. „Wie sieht es<br />

aus? Wir müssten eigentlich weiter.“ Gil sah auf. „Es geht, ist nicht so schlimm geworden. Sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hat nur wenige Tropfen ins Auge bekommen. Ich werde das Auge still legen, dann können wir<br />

weiter.“ Er nahm eine weitere Binde aus dem Rucksack und sagte frustriert: „Das war es dann<br />

auch ...“ Mit ein wenig Verbandmull übte er Druck auf das Auge aus und legte um den Kopf<br />

herum einen Verband an. „So, dass sollte reichen.“ „Gut, lass uns aufbrechen. Ihr sehr zu, dass<br />

ihr rüber kommt, ich gebe euch Deckung.“ Gibbs klang nicht, als würde er sich auf Dis-<br />

kussionen einlassen, daher machten Kate, Gil und Heather sich auf den Weg, über die Brücke<br />

hinweg. Als sie unbeschadet drüben angekommen waren, nahm Kate den Bogen in die Hand<br />

und legte einen Pfeil an. Sie rief Gibbs zu: „Alles klar, sieh zu, dass du kommst.“ Gibbs rannte<br />

los.<br />

*****<br />

Jake lag schluchzend in Danas Armen. Er weinte, dass es ihn schüttelte. Eine Zelle<br />

weiter weinte Allison ebenfalls entsetzt. Sie hatte das Gesicht bei Sawyer an der Brust liegen<br />

und schluchzte hoffnungslos vor sich hin. Plötzlich schrie Bones aufgeregt: „Sie lebt. Jake. Sie<br />

ist nicht abgestürzt. Sieh doch. Sie lebt.“ Jake zuckte zusammen. „Was?“ „Sieh doch hin. Sie<br />

ist nicht abgestürzt.“ Bones klammerte sich aufgeregt an Mulder, der neben ihr am Gitter stand<br />

und ebenfalls wie hypnotisiert auf den Bildschirm starrte. „Tempe hat Recht, Jake. Komm<br />

schon, schau selbst. Gibbs scheint sie gerade rauf zu ziehen.“ Jake rappelte sich auf und starrte<br />

mit leeren Augen auf den Bildschirm. Und fuhr wie elektrisiert hoch. Er sah Gibbs und Gil am<br />

Abgrund liegen und zwei Minuten später hatten sie Heather neben sich. Der aufbrausende<br />

Jubel verstummt genau so schnell, wie er erklungen war, als sie sahen, dass scheinbar etwas<br />

nicht stimmte. <strong>Die</strong> Kamera war so weit weg angebracht, dass sie kaum etwas verstanden, das<br />

eingebaute Mikro reichte von der Stärke her nicht. Aber anscheinend hatte Heather Schlangen-<br />

gift ins Auge bekommen. „Wird sie blind?“, fragte Ziva erschrocken. House zuckte die<br />

Schultern. „Ich habe keine Ahnung, ich bin kein Schlangenexperte.“ Auch Dana und Allison<br />

wussten auf die Frage keine sichere Antwort. Ausgerechnet Sara hatte ein paar beruhigende<br />

Worte für Jake. „Jake, nein, Speikobragift führt nur sehr, sehr selten zu einer Erblindung.<br />

Dafür müsste sie eine vollständige Ladung abbekommen haben und keine Möglichkeiten, das<br />

Gift auszuspülen. Und Gil hat fünf Liter zum Spülen gehabt. Da, sieh selbst, sie steht schon<br />

wieder, das Auge wird ein paar Tage schmerzen und dann ist das vergessen.“<br />

*****<br />

Keuchend erreichte Gibbs die andere Seite der Schlucht. Ohne sich noch aufzuhalten,<br />

machten die Vier sich wieder auf den Weg. „Ob es noch weit ist?“, fragte Gil mit zitternder<br />

Stimme. Er hatte das unangenehme Gefühl, jeden Moment zusammen zu brechen. „Was weiß<br />

69


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ich.“ Gibbs sah immer wieder besorgt zu Kate hinüber. <strong>Die</strong> junge Frau war am Ende. Sie<br />

wankte hinter ihnen her und wimmerte ab und zu leise auf vor Schmerzen. Vor ihren Augen<br />

tanzten rote Kreise. Wären sie angegriffen worden, Kate hätte keine Chance mehr gehabt. Und<br />

dann passierte es. Mit einem leisen Seufzen sank die junge Frau auf die Knie und dann weiter<br />

zu Boden. Still blieb sie liegen. Hastig eilten die anderen zu ihr. „Sie ist am Ende.“ Gibbs<br />

schüttelte den Kopf. „Sie wird so schnell nicht wieder aufwachen und wir müssen weiter.“<br />

Ohne noch zu Zögern bückte Gibbs sich, zog Kate hoch und schulterte sie. Dann ging es<br />

weiter. Sie schleppten sich durch den Regen, Gil wurde von Heather gestützt, er konnte kaum<br />

noch einen Fuß vor den anderen setzen. <strong>Die</strong> Rucksäcke hatten sie zurück gelassen, sie hofften,<br />

das Ziel heute noch zu erreichen. Von ihren Verfolgern war glücklicherweise nichts zu sehen.<br />

Jetzt wären sie chancenlos gewesen. Meter um Meter, Stunde um Stunde, wankten sie vorwärts<br />

und plötzlich traten sie auf einen Lichtung hinaus. Gibbs sah als erster, dass unter den Bäumen<br />

am Rande der Lichtung ein großer Dodge Van stand. Völlig erledigt sank er auf die Knie.<br />

Auch Gil brach jetzt zusammen. Er hatte das Limit erreicht. Heather stand keuchend und<br />

zitternd da und starrte aus dem unverletzten Auge den Männern entgegen, die auf sie zukamen.<br />

*****<br />

Sawyer beobachtete verkrampft, wie Gibbs und Gil Heather aus der Schlucht zogen.<br />

Bebend verfolgte er dann, wie Kate zusammen mit Gil und Heather über die Brücke hastete.<br />

Gibbs schließlich hatte unter der Deckung Kates ebenfalls unbeschadet die andere Seite er-<br />

reicht. Ohne Pause waren die vier Flüchtigen weiter gehastet. Sie hatten keine Rucksäcke mehr<br />

dabei, nur die Waffen. Offensichtlich wollten sie sich mit nichts anderem mehr belasten. <strong>Die</strong><br />

nächsten Aufnahmen, die sie zu Gesicht bekamen, waren immer nur flüchtige Einrücke, da die<br />

Fliehenden sich nicht mehr aufhielten. Schließlich sah Sawyer mit angstgeweiteten Augen, wie<br />

Kate zusammen brach. „Gott, Freckles ...Was ist denn mit ihr? <strong>Die</strong> Verletzung sah doch gar<br />

nicht so schlimm aus.“ Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen. „Es ist wahrscheinlich nur<br />

die Erschöpfung. Anstrengung und Angst in Verbindung mit Schmerzen und Blutverlust kann<br />

schon mal eine Ohnmacht auslösen.“, redete Cameron beruhigend auf Sawyer ein. „Kate hat<br />

eine gute Konstitution, sie erholt sich sicher schnell wieder.“, versuchte auch Dana aus der<br />

Nachbarzelle zu trösten. „Wie soll sie sich denn bitte erholen, wenn sie von Killern durch den<br />

Dschungel gehetzt wird?“, stieß Sawyer kläglich hervor. „Kate ist tough. <strong>Die</strong> steht im nächsten<br />

Wimpernschlag wieder auf.“, erklärte Ziva mit deutlich sicherer klingender Stimme als sie<br />

wirklich empfand. „Im nächsten Augenblick. Ansonsten hast du recht.“, stimmte Abby ihrer<br />

Kollegin zu.<br />

70


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dass unmittelbar nach diesen erschreckenden Bildern die <strong>Über</strong>tragung ganz abbrach,<br />

machte das Ganze um ein vielfaches schlimmer. Als die Bildschirme plötzlich schwarz<br />

wurden, redeten alle wild durcheinander. „Was soll das denn jetzt.“ „Hey, was ist nun los?“<br />

„Das gibt es doch nicht, warum sehen wir nichts mehr?“ „Hey, euer System ist zusammen ge-<br />

brochen.“ „<strong>Die</strong>se Leute wollen, dass wir spektakuläre Ereignisse mitbekommen, um uns zu<br />

quälen. Da, wo wir nichts sehen können, wird nichts passieren. Angriffe werden erfolgen,<br />

wenn wir zusehen können. Es ist also ein gutes Zeichen, wenn wir die Gruppe nicht sehen<br />

können.“, versuchte Mulder schließlich sich selbst und die anderen zu überzeugen.<br />

„Offensichtlich haben unsere Leute es geschafft, die Verfolger abzuschütteln. Sie werden sich<br />

irgendwo ausruhen, um zu Kräften zu kommen. Gibbs und Kate scheinen der Situation durch-<br />

aus gewachsen zu sein.“ Er erhielt keine Antwort. Verstummt und geschockt sahen alle zu den<br />

schwarzen Bildschirmen hoch. Doch so sehr alle auch in den nächsten Stunden auf die Silber-<br />

wände starrten, es zeigten sich keine Bilder mehr. Hoffnungslos hockten die Gefangenen in<br />

den Zellen und stierten deprimiert vor sich hin. Gesprochen wurde kaum, obwohl nach wie vor<br />

das grüne Licht leuchtete. Je mehr Zeit ohne Neuigkeiten von den Freunden draußen im<br />

Dschungel verging, desto hoffnungsloser wurde die Stimmung im Kerker. Seit Stunden hatte<br />

keiner mehr etwas gesagt. Alle zuckten erschrocken zusammen, als plötzlich Sara laut hervor<br />

stieß: „Warum zeigen die uns nur nichts mehr? Warum lassen die uns hier im Unwissen<br />

zappeln? Ich halte das nicht mehr aus.“ „Offenbar ist es unserer Gruppe gelungen, aus deren<br />

Blickfeld zu verschwinden, das kann nur gut sein.“, versuchte Mulder Zuversicht zu verbreiten.<br />

„Das glaubst du selbst nicht, oder? Wahrscheinlicher ist, dass sie nicht mehr am Leben sind.“<br />

Hoffnungslos klang Jakes Stimme. Und dann tönte nach endlosen, immer verzweifelteren<br />

Stunden, in denen bei allen Gefangenen die Nerven blank lagen, plötzlich die Durchsage: „4, 7<br />

und 10.“, aus dem Lautsprecher.<br />

*****<br />

Zwei Wachen traten an Gibbs heran, einer nahm ihm wenig rücksichtsvoll Kate von<br />

den Schultern und trug die junge Frau zum Van, der andere zog Gibbs auf die Füße und stieß<br />

ihn ebenfalls in Richtung des Wagens. Heather half Gil, die letzten Schritte zu schaffen. Im<br />

Auto jedoch war es mit Gil dann auch endgültig vorbei. Er sank in sich zusammen und merkte<br />

nichts mehr. Gibbs und Heather hockten nebeneinander am Fahrzeugboden, Gibbs hatte einen<br />

Arm um die Schultern der jungen Frau gelegt und so hockten sie da, erschöpft, fertig, am Ende.<br />

Schließlich ließ er sich nach hinten sinken und zog Heather einfach mit sich. Kaum lagen sie<br />

am Boden des Wagens, waren beide schon in einen tiefen Schlaf der völligen Erschöpfung<br />

gefallen. Sie wachten auf, als sie rücksichtslos an den Schultern gepackt und geschüttelt<br />

wurden. „Los, hoch mit euch.“, wurden sie angefahren. Mühsam rappelte Gibbs sich auf die<br />

71


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beine und half Heather ebenfalls hoch. Gil war wieder bei Besinnung, wie die Beiden fest-<br />

stellten, Kate nicht, oder nicht mehr, falls sie zwischendurch aufgewacht war. Gil kam mit<br />

Hilfe zweier Wachen, die ihn wenig vorsichtig auf die Füße zogen, ebenfalls hoch. Gibbs sah,<br />

dass einer der Wachleute nach Kate greifen wollte, und bückte sich schnell. Sanft nahm er Kate<br />

auf die Arme und hob sie hoch. Er stieg mit der jungen Frau aus dem Wagen und folgte den<br />

Wachen zu einer Fahrstuhltür direkt vor ihnen. Flüchtig sah er sich um, aber sie waren in einer<br />

absolut nichts sagenden Tiefgarage. Hier gab es nichts zu sehen.<br />

Mit dem Fahrstuhl ging es sechs Etagen nach oben. Dann öffneten sich die Türen und<br />

die Vier wurden einen Flur entlang dirigiert, bis sie Befehl erhielten, anzuhalten. Eine Tür<br />

öffnete sich und sie wurden in den dahinter liegenden Raum beordert. In dem Raum, ganz<br />

offensichtlich ein ärztlicher Untersuchungsraum, standen drei Liegen. Gibbs legte Kate er-<br />

leichtert auf eine der Liegen ab und half dann Gil, sich auf eine zweite Liege zu legen. Heather<br />

ließ sich seufzend auf die dritte Liege sinken. Ihr Auge brannte, als hätte ihr jemand Säure<br />

hinein gekippt. <strong>Die</strong> junge Frau hatte unglaubliche Angst, das Augenlicht zu verlieren. Gibbs<br />

sank vollkommen erschöpft an einer Wand zu Boden und es hätte nicht viel gefehlt, und er<br />

wäre erneut vor Erschöpfung eingeschlafen. <strong>Die</strong> Augen fielen ihm zu. Allerdings fuhr er hoch,<br />

als die Tür plötzlich aufsprang und mehrere Leute in den Raum eilten. Er glaubte zu träumen,<br />

als House, Dana und Allison in den Raum stolperten. „Gibbs.“ Der NCIS Agent rappelte sich<br />

auf. „Hey, ihr müsst euch um die drei kümmern, Gil und Kate hat es ziemlich erwischt und<br />

Heather hat von einer Speikobra ...“ House unterbrach ihn. „Wissen wir alles.“ Vollkommen<br />

verständnislos starrte Gibbs den Arzt an. „Wie, ihr wisst ...? Ach, die haben euch schon<br />

informiert, klar.“, gab er sich selbst einen Antwort. „Nein, Gibbs, wir haben alles sehen<br />

können.“, erklärte Dana sanft. „<strong>Die</strong> haben in dem verdammten Dschungel überall Kameras<br />

angebracht, so konnten wir euch immer wieder sehen und hören.“ Gibbs konnte es nicht fassen.<br />

„Großer Gott. Wie geht es Sawyer und Jake?“ „Furchtbar.“, erwiderte Allison kurz. Sie hatte<br />

sich bereits über Heather gebeugt und die junge Frau herzlich umarmt. Jetzt wickelte sie den<br />

provisorischen Verband ab.<br />

Sie sah sich um und entdeckte tatsächlich eine Augenlampe. Sie untersuchte das ver-<br />

letzte Auge der jungen Frau gründlich, aber bis auf ein paar kleine Flecke auf der Hornhaut,<br />

die sicher starke Schmerzen verursachten, konnte sie keine schweren Verätzungen entdecken.<br />

„Du hast ein Wahnsinnsglück gehabt, Heather, das wird in ein paar Tagen völlig verheilt sein.“<br />

Allison sah sich um und entdeckte eine antibiotische Augensalbe. Und eine Duschkabine, die<br />

sie erst jetzt in einer Ecke des Raumes entdeckte. „Willst du schnell Duschen? Danach werde<br />

ich das Auge mit Salbe behandeln und dann wieder still legen, dann wird das schnell verheilt<br />

sein.“ Heather nickte. „Ja, und dann möchte ich nur noch schlafen. Wie geht es Jake?“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron biss sich auf die Lippe. Dann log sie: „Gut. Wir konnten euch über verschiedene<br />

Kameras beobachten und haben gesehen, dass ...“ „Was? Ihr konntet uns sehen?“, fragte<br />

Heather erschüttert. Ihr lief eine Gänsehaut über den Körper. Wenn sie gezwungen gewesen<br />

wäre, Jake in einer solchen Situation zu beobachten ... Sie stieg schnell unter die Dusche,<br />

spülte sich den Dreck vom Körper und stellte dann begeistert fest, dass es nur vier kleine<br />

Handtücher gab, keine Badetücher. Sie seufzte frustriert und wickelte sich schließlich das<br />

Handtuch, nass, wie es nach dem Abtrocknen nun einmal war, um die Hüfte. Ihr war langsam<br />

schon vollkommen gleichgültig, dass sie immer wieder gezwungen waren, halb nackt oder<br />

sogar ganz entblößt herum zu laufen. Zu verbergen gab es inzwischen ohnehin nichts mehr. So<br />

kam sie mit freiem Oberkörper zu Allison zurück, legte sich auf die Liege und ließ sich dann<br />

Salbe in das heftig brennende und tränende Auge drücken. Anschließend legte Cameron einen<br />

festen Verband an. Dann überprüfte die Ärztin auch die kaum verkrustete Furche auf Heathers<br />

rechter Schulter. Aber das war wirklich kaum mehr als ein schmerzhafter Kratzer. Sie reinigte<br />

die Wunde fürsorglich und erklärte: „Sie blutet nicht, ich lasse sie ohne Verband, das heilt so<br />

am besten.“ Heather nickte.<br />

House hatte sich über Kate gebeugt und löste den Verband von der Wunde. Kate war<br />

verdreckt und in ihren fast taillenlangen, völlig wirrten Haaren hingen kleine Äste und Matsch.<br />

Sie musste ebenfalls erst einmal gründlich Duschen. Nur wachte die junge Frau nicht auf.<br />

„Was sollen wir machen?“, fragte er genervt. „Wasch sie einfach.“, erkläre Dana kurz. Sie<br />

hatte bei Gil ähnliche Probleme. In diesem Moment stöhnte Kate leise auf und schlug sofort<br />

fahrig um sich. Sie keuchte erschrocken: „Lasst ... los ...“ House griff sich ihre Hände und hielt<br />

diese fest. „Kate, es ist alles in Ordnung, du bist in Sicherheit. Ich bin es, dein Lieblingszellen-<br />

nachbar. Ich werde deine Wunde versorgen, okay. Wie fühlst du dich?“ Kate kam richtig zu<br />

sich und erkannte, wo sie war. „Was ist ... Wie komme ich hier her? Wie geht es den anderen?<br />

Wie geht es ... Sawyer?“ „Du bist zusammen gebrochen, kurz vor dem Ziel. Heather geht es<br />

gut und um Gil kümmert Dana sich. Fühlst du dich im Stande, zu Duschen?“ Kate richtete sich<br />

sehr vorsichtig auf. Sofort wurde ihr schwindelig und sie ächzte. „Geht’s?“ House stützte die<br />

junge Frau besorgt. „Was ist mit Sawyer, bitte, wie geht es ihm?“, fragte Kate müde. Greg sah<br />

ein, dass er sie erst beruhigen musste und erklärte todernst: „Es geht ihm gut, er macht sich<br />

Sorgen um dich und lässt dich Grüßen. Je schneller du dir den ganzen Dreck abgespült hast, je<br />

schneller kann ich dich verarzten und dann kannst du vielleicht zu ihm.“ Kate schwang lang-<br />

sam die Beine von der Liege und humpelte mit Gregs Hilfe zur Dusche hinüber. Zehn Minuten<br />

später lag sie, wie Heather notdürftig in das kleine Handtuch gewickelt, wieder auf der Liege<br />

und House reinigte die Wunde gründlich mit Ringerlösung. Kate wimmerte leise vor<br />

Schmerzen. „Das wird die Proliferation fördern, dann ist das schnell verheilt.“, erklärte der<br />

Arzt ruhig. Endlich war er fertig und legte einen festen Verband an. Erleichtert schloss Kate<br />

73


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Augen. „Danke.“, flüsterte sie leise. Dann öffnete sie die Augen wieder, grinste House<br />

müde an und fragte: „Hey, Bones, was wird es fördern?“ House grinste zurück. „Das die<br />

Wunde sich schließt.“<br />

Eine Liege weiter kämpfte Dana damit, Gil zu reinigen, unterstützt von Allison, die bei<br />

Heather fertig war. Gemeinsam gelang es den Ärztinnen, den besinnungslosen Mann einiger-<br />

maßen sauber zu bekommen. Dann versorgte Dana die leicht entzündete Wunde mit<br />

Octenisept, einer antibiotischen Lösung zur Reinigung entzündlicher Wunden und legte an-<br />

schließend einen festen Verband an. Kaum war sie fertig, ging die Tür auf und Wachen kamen<br />

herein. <strong>Die</strong> drei Ärzte wurden unfreundlich aufgefordert, den Wachen zu folgen und<br />

kommentarlos ließen sie sich zum Kerker zurück bringen. Vor der Kerkertür wurde ihnen noch<br />

nahe gelegt, kein einziges Wort darüber zu verlieren, dass sie die Vier hatten verarzten dürfen,<br />

ansonsten würde es eine drastische Strafe nach sich ziehen. Alle drei betonten, dass sie kein<br />

Wort verraten würden. Dann waren sie wieder in ihren Zellen und wurden sofort mit Fragen<br />

bestürmt. Im Kerker waren die anderen Gefangenen jeweils wieder in ihre eigenen Zellen<br />

zurück gebracht worden. Sawyer, Jake und Sara fragten sofort: „Habt ihr die <strong>Anderen</strong> ge-<br />

sehen?“ Unglücklich schüttelten die Ärzte die Köpfe. „Nein, wir mussten nur bei den drei toten<br />

Schweinepriestern den Tod bestätigen.“, erklärte House ruhig. Es tat ihm unendlich leid, Jake,<br />

Sara und besonders Sawyer nicht sagen zu können, dass es den anderen gut ging. Er sah die<br />

Angst und pure Verzweiflung in den Augen der drei Leidensgenossen und biss sich auf die<br />

Zunge, um zu verhindern, dass ihm unerlaubte Infos entschlüpften. Hoffnungslos sanken Jake<br />

und Sawyer auf ihre Betten. Sara stand am Gitter und starrte zu House hinüber. Sie fragte leise:<br />

„Was meinst du, ob sie schon in Sicherheit sind? Haben die denn gar nichts gesagt? <strong>Die</strong>se<br />

Warterei macht einen ja verrückt.“<br />

House wünschte sehnlichst, den Dreien irgendein Signal zukommen lassen zu können,<br />

aber er riskierte es nicht. Ruhig erklärte er: „Nein, Sara, sie haben keinen Ton darüber verloren,<br />

was mit den Vieren ist. Aber mach dir nicht zu viele Sorgen, wird schon alles gut gehen, da bin<br />

ich sicher.“ Sara ließ den Kopf hängen. Wenn sie nur genau so überzeugt gewesen wäre. Sie<br />

setzte sich ebenfalls auf das Bett und ließ den Kopf hängen. Sie wollte endlich wissen, was mit<br />

Gil war, wollte wissen, ob es ihm soweit gut ging. Sawyer und Jake gingen ähnlich Gedanken<br />

durch den Kopf. <strong>Die</strong>se Ungewissheit war entsetzlich. Wie viel Zeit war vergangen, seit sie die<br />

letzten Bilder auf den Monitoren gesehen hatten? Zwei Stunden? Drei Stunden? Oder noch<br />

mehr? Sawyer sah immer wieder Kate zusammen brechen. Er hätte sonst was dafür gegeben,<br />

zu erfahren, wo sie war, wie es ihr ging, ob sie überhaupt noch lebte. Und genau so ging es<br />

auch Jake. Schließlich hatte Sawyer das unangenehme Gefühl, jeden Moment los zu schreien.<br />

Und genau da knackte der Lautsprecher und die Durchsage: „2 und 11.“ Von wilder Angst und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hoffnung gleichermaßen erfüllt, sprangen Jake und Sara auf und traten an die Zellentür.<br />

Minuten später wurden sie gefesselt zum Fahrstuhl geführt. Sawyer war heftig zusammen ge-<br />

zuckt und hatte verzweifelt gewartet, dass seine Nummer ebenfalls aufgerufen wurde, genau<br />

wie Abby und Ziva darauf gewartet hatten, dass eine von ihnen geholt wurde, um vielleicht<br />

nach Gibbs zu sehen, aber nichts dergleichen geschah. Abby schüttelte verzweifelt den Kopf.<br />

Und Sawyer sah den Beiden aus brennenden Augen hinterher.<br />

*****<br />

Kurz nachdem House, Dana und Allison wieder abgeholt worden waren, kamen<br />

Wachen in das Untersuchungszimmer und brachten für Heather und Gil neue Kittel. Gil war<br />

inzwischen auch zu sich gekommen. Verwirrt hatte er sich umgeschaut. Dana hatte ihm ruhig<br />

erklärt, wo er war und hatte ihm zum <strong>Über</strong>leben gratuliert. Nachdem er und Heather die Kittel<br />

über gestreift hatten, bekamen sie den Befehl: „Na los, Abmarsch.“ Langsam wankten sie den<br />

Wachen hinterher und wurden schließlich auf zwei Räume auf dem Flur verteilt. <strong>Die</strong>selben<br />

Räume, in denen schon vor ihnen einige Mitgefangene sich hatten auskurieren dürfen. Gil sah<br />

nur noch das Bett, wankte darauf zu und sank vollkommen erschöpft auf die angenehm weiche<br />

Matratze. Er zog zitternd das Zudeck über sich und dann fielen ihm schon die Augen zu. Nicht<br />

viel anders ging es zwei Räume weiter Heather. Sie hatte, außer dem zwingenden Wunsch,<br />

Jake zu sehen und ihm zu sagen, dass alles okay war, nur noch den Wunsch, zu Schlafen.<br />

Hundert Stunden, wenn das machbar war. Sie krabbelte steif und zerschlagen ins Bett. Ihr tat<br />

so ziemlich alles weh, was an einem menschlichen Körper nur wehtun konnte. Jeder Muskel<br />

schien überanstrengt, gezerrt und gereizt zu sein. Es fiel der jungen Frau schwer, vor<br />

Schmerzen nicht leise zu Wimmern. Sie rollte sich ganz eng zusammen, zog die Zudecke über<br />

sich und schluchzte dann auf. „Jake ... Bitte.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Wachen führten Sara über die kahlen Flure zu einer Tür. <strong>Die</strong>se öffnete sich und<br />

Sara wurde, nachdem die Handfesseln gelöst worden waren, in das dahinter liegende Zimmer<br />

gestoßen. „Geh schon.“ Dann schloss die Tür sich. Das Zimmer war recht geräumig und mit<br />

einer Sitzecke, einem Doppelbett und einem kleinen Bad mit Dusche und Toilette ausgestattet.<br />

Aber Sara nahm ihre Umgebung kaum war, sie sah nur Gil, der in dem großen Bett schlief. Sie<br />

eilte zum Bett hinüber und setzte sich auf die Bettkante, strich Gil sanft durch Haar. Grissom<br />

hatte noch nicht tief geschlafen, er wachte bei der zärtlichen Berührung seiner Freundin sofort<br />

auf. Als er sah, wer ihn geweckt hatte, lächelte er müde. „Hey. Erinnere <strong>mich</strong> daran, dass ich<br />

etwas für meine Kondition tue, wenn wir hier rauskommen.“ Sara erwiderte sein Lächeln un-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

endlich erleichtert. „Das werde ich. Aber du hast dich gut gehalten.“ „Woher weißt du das?“,<br />

fragte Gil überrascht. Saras Blick wurde wütend. „<strong>Die</strong>se Schweine haben uns zusehen lassen.<br />

Nicht die ganze Zeit, aber sie haben uns immer mal wieder Bilder von ihrer verdammten Hetz-<br />

jagd gezeigt. Ich weiß nicht, was schlimmer war: Zu sehen, wie sie euch verfolgt haben, wie<br />

sie dich angeschossen haben, oder die Zeiten, in denen wir auf einen leeren Bildschirm gestarrt<br />

haben.“<br />

Gil setzte sich vorsichtig auf und nahm Sara in die Arme. Sara schlang die Arme um<br />

Gils Hals. Einige Minuten hielten sie sich schweigend fest, dann löste Sara sich widerstrebend<br />

aus Gils Umarmung und sah ihn besorgt an. „Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?“ „Besser als<br />

noch vor ein paar Stunden. <strong>Die</strong> Wunde ist versorgt und wird folgenlos verheilen. Es bin nur<br />

völlig geschafft.“ „Hast du Schmerzen?“, fragte Sara mitfühlend. Gil war unwillkürlich einen<br />

Blick auf den Verband an seinem Arm. „Ja, aber die sind schon erträglich. <strong>Die</strong> Schmerzen<br />

haben schon deutlich nachgelassen, seit ich zurück bin.“ Sara atmete erleichtert auf. Trotz der<br />

Gefahr, in der sie immer noch schwebten, war sie im Moment einfach nur glücklich, den<br />

Mann, den sie liebte, wieder in die Arme schließen zu können. Sie zog Gil eng an sich und<br />

küsste ihn. Weder Sara noch Gil waren besonders gut darin, über Gefühle zu reden, deswegen<br />

hatten sie schnell gelernt, ihre Gefühle füreinander nonverbal auszudrücken. Sara legte ihre<br />

ganze Liebe zu Gil, die Sorge, die sie in den letzten Tagen empfunden hatte und die Er-<br />

leichterung, Gil wieder zu haben, in diesen einen, langen und leidenschaftlichen Kuss. „Bist du<br />

wirklich sehr erschöpft?“, fragte Sara anschließend mit einem viel sagenden Lächeln. Gil<br />

lächelte bedauernd. „Ziemlich. In meinem Alter steckt man tagelange Hetzjagden nicht mehr<br />

so schnell weg.“ Sara erwiderte sein Lächeln. „Wir müssen wirklich was an deiner Kondition<br />

machen, wenn wir hier raus sind. Aber jetzt solltest du erst mal schlafen. Vielleicht lassen die<br />

uns ja etwas länger hier bleiben und dann wirst du deine Kräfte brauchen, sobald du auf-<br />

wachst.“ Gil zog eine Augenbraue hoch und legte sich dann wieder im Bett zurück. Sara<br />

schmiegte sich an ihn und genoss seine Wärme und den beruhigenden Klang seines rhythmisch<br />

schlagenden Herzens.<br />

*****<br />

Durch die schon so heimelig wirkenden, kahlen Flure wurde Jake bis zu einer der<br />

vielen Türen geführt. Kaum standen er und die beiden Wachposten, die ihn an den Oberarmen<br />

gepackt fest hielten, vor der Zimmertür, sprang diese auch schon, elektronisch entriegelt, auf.<br />

<strong>Die</strong> Fesseln wurden gelöst und Jake bekam einen kleinen Stoß in den Rücken und taumelte<br />

vorwärts. Blitzschnell erfassten seine Augen den Raum. Das erste, was er dann sah, nachdem<br />

er das Zimmer inspiziert hatte, war Heathers Gestalt in dem großen Bett. Er eilte zu ihr, und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erschrak, als er den dicken Verband über ihrem Auge sah. „Schatz.“, stieß er besorgt hervor.<br />

Heather wachte sofort auf, als sie den Klang der vertrauten Stimme hörte. Sie setzte sich auf<br />

und fiel Jake um den Hals. Der junge Mann erwiderte die stürmische Umarmung überwältigt,<br />

ließ Heather aber nach einem Moment wieder los. „Dein Auge…?“, fragte er besorgt. „ Ich<br />

habe Schlangengift ins Auge bekommen.“ „Ich weiß, ich habe es gesehen.“, stieß Jake un-<br />

glücklich hervor. „Allison sagte schon, dass ihr uns zeitweise sehen konntet. Mach dir keine<br />

Sorgen.“, erklärte Heather hastig. „Im Moment sehe ich auf dem Auge noch sehr ver-<br />

schwommen, aber das gibt sich in ein paar Tagen wieder. Der Verband ist nur drauf, damit ich<br />

das Auge schone.“ „Gott sei Dank. Ich dachte, ich hätte dich verloren. Als ich sah, wie du von<br />

dieser Klippe gestürzt bist… Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“ Der junge Mann<br />

zitterte. Das Heather Allison erwähnt hatte, registrierte er gar nicht.<br />

„Wir konnten euch auf einer Leinwand sehen. Nicht die ganze Zeit natürlich,<br />

zwischendurch haben wir immer wieder lange gar nichts gesehen. Sie haben uns immer wieder<br />

Ausschnitte gezeigt, wenn ihr in der Nähe einer Kamera wart. Ich habe gesehen, wie du ge-<br />

fallen bist, aber nicht wie tief. Ich dachte…“ Jakes Stimme versagte und er schloss Heather fest<br />

in die Arme. Heather Hände strichen sanft über Jakes Haare. „Es ist okay, es geht mir gut.“<br />

Jake hielt Heather fest an sich gedrückt und streichelte zärtlich ihren nackten Rücken. Seine<br />

sanften Berührungen ließen Heathers Herz schneller schlagen. Jake löste sich gerade weit<br />

genug von ihr, um sie küssen zu können. Sehr zärtlich küsste er sie und war überrascht, als<br />

Heather den Kuss nach einem Moment von sich aus sehr intensivierte. Jake brauchte jedoch<br />

nicht lange, um seine <strong>Über</strong>raschung zu überwinden und den Kuss genauso leidenschaftlich zu<br />

erwidern. „Wow, du lernst wohl alles sehr schnell.“, kommentierte er, nachdem er wieder zu<br />

Atem gekommen war, lächelnd. Heather errötete, erwiderte aber Jakes Lächeln. Jake strich der<br />

jungen Lehrerin eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und streichelte sanft ihre Schultern und<br />

ihren Nacken. „Du musst völlig erschöpft sein.“, stellte er schließlich fest. „Ich sollte dich<br />

nicht länger vom Schlafen abhalten.“ Heather lächelte. „Ich bin fertig, aber nicht so sehr, dass<br />

ich mit dem Schlafen nicht noch eine halbe Stunde warten könnte…“ „Meinst du was ich<br />

denke, dass du meinst?“, fragte Jake hoffnungsvoll und grinste. Heather lächelte nervös. „Ich<br />

weiß ja nicht, wie lange die uns hier drin bleiben lassen, also dachte ich, wir könnten mit der<br />

Zeit etwas Besseres anfangen als schlafen.“ Das ließ Jake sich nicht zweimal sagen. Er küsste<br />

Heather wieder und löste gleichzeitig das Band, das ihren Kittel zusammen hielt.<br />

*****<br />

Kate und Gibbs, der sich einfach auf eine der frei gewordenen Liegen ausgestreckt<br />

hatte, fragten sich, womit sie es verdient hatten, hier im Untersuchungsraum bleiben zu<br />

77


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

müssen. „Was meinst du? Ob es daran liegt, dass wir einige von den Dreckskerlen gekillt<br />

haben?“, fragte Kate angstvoll. Gibbs wollte der jungen Frau nicht noch zusätzlich Angst<br />

machen, daher sagte er ruhig: „Das wäre ja gegen ihre eigenen Regeln, Kate. Was hätte es für<br />

einen Sinn, die Regel selbst aufzustellen, wenn sie dann ...“ Kate unterbrach ihn. „Aber was hat<br />

es denn sonst für einen Grund, uns hier hocken zu lassen. Ich will zu Sawyer. Ich will ihm<br />

sagen, dass es mir gut geht, dass mir nichts passiert ist und dass ich es ...“ Jetzt war es Gibbs,<br />

der Kate unterbrach. „Kate. Freckles. So nennt er dich doch, oder? Hör zu. <strong>Die</strong> haben im<br />

Kerker unten alles gesehen. In dem verdammten Dschungel waren überall Kameras an-<br />

gebracht, das Beste haben unsere Freunde im Kerker live mit angesehen. Sawyer weiß, dass du<br />

verletzt wurdest, er weiß, dass du zusammen gebrochen bist ... dann brach die <strong>Über</strong>tragung<br />

ab.“ Gibbs schwieg und ließ die Worte bei Kate sacken. Dann sagte er leise: „Seit dem wissen<br />

die wohl nicht mehr, was mit uns ist.“ „Oh, Gott. Gibbs, das muss grausam sein. Er wird ver-<br />

rückt vor Sorge und Angst sein, genau wie Jake und Sara.“ Kate kullerten Tränen über das<br />

blasse Gesicht. Gibbs starrte frustriert zur Decke. Er dachte daran, was Abby wohl durch-<br />

machte. „Das werden sie alle. Ich hoffe, Greg, Dana und Allison dürfen von uns berichten.<br />

Obwohl ich es irgendwie bezweifle.“<br />

Irgendwann kamen Wachen in den Untersuchungsraum. Kate und Gibbs waren auf den<br />

Liegen vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie schreckten hoch, als die Tür aufging und vier<br />

Wachen in den Raum kamen. „Hinsetzten.“, bekamen sie den Befehl. Hastig gehorchten Kate<br />

und Gibbs und setzten sich auf. <strong>Die</strong> Wachen legten ihnen die Hand- und Fußgelenkringe sowie<br />

den Halsreifen wieder an. Dann bekamen die Beiden den Befehl, die Hände auf den Rücken zu<br />

legen. Beide beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen. <strong>Die</strong> Hände wurden ihnen auf den<br />

Rücken gefesselt und dann packte man die Beiden am Oberarm und führte sie aus dem Raum.<br />

Das Kate stark humpelte, wurde von den Wachen ignoriert. Es ging in den Fahrstuhl und drei<br />

Etage nach unten. Dort wurden sie in einen Raum geführt, der mehr als irgendetwas bisher<br />

einem Folterkeller glich. An den Wänden waren Stahlhaken eingelassen, an denen man be-<br />

liebig jemanden fesseln konnte. In der Raummitte waren mehrere Steinsäulen zu erkennen, an<br />

denen man sicher ebenfalls sehr gut Gefangenen fixieren konnte. Kate wurde schlecht vor<br />

Angst. Sie wurden an die Wand gedrängt und dort an Stahlhaken gefesselt. Dann ließen die<br />

Wachen sie wortlos alleine. „Immer noch sicher, dass es nicht ist, weil wir die Kerle getötet<br />

haben?“, fragte Kate mit zitternder Stimme. „Nein, da bin ich nicht mehr sicher.“, seufzte<br />

Gibbs leise. „Was werden die mit uns machen?“, fragte Kate panisch. - Wenn sie weiter nach<br />

den Regeln spielen wie bisher, mit uns wohl eher weniger. - dachte Gibbs voller Angst. „Keine<br />

Ahnung, Kate, ich weiß es wirklich nicht. Lass uns das Beste hoffen.“, sagte er jedoch laut.<br />

*****<br />

78


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Im Kerker hofften die Gefangenen derweil verzweifelt, dass Sara und Jake zu ihren<br />

Liebsten gebracht worden waren. Abby und Sawyer waren vollkommen verzweifelt. Abby<br />

tigerte in ihrer Zelle auf und ab, Sawyer saß apathisch auf seinem Bett und starrte ins Leere. Er<br />

sah vor seinem geistigen Auge wieder und wieder und wieder, wie Kate, von einem Pfeil<br />

durchbohrt, tödlich getroffen zusammen brach und starb. Er stöhnte gequält auf und schlug die<br />

Hände vor sein Gesicht. Das durfte nicht sein. Energisch schob er den Gedanken zur Seite.<br />

Nur, um Minuten später bereits wieder das Gleiche zu sehen. Vollkommen entnervt fluchte er<br />

auf. „Verdammter Mist, elender.“, und bereute seine unbedachten Worte im selben Moment<br />

sehr, denn Mulder schrie überrascht und vor Schmerzen in seiner Zelle auf. Sawyer zuckte<br />

unwillkürlich zusammen und wurde regelrecht kleiner. Bestürzt sah er zu Mulder hinüber und<br />

hob entschuldigend die Hände. Mulder hatte sich allerdings schon wieder gefangen und zeigte<br />

mit dem erhobenen Daumen an, dass alles in Ordnung war. - Mach dir keine Gedanken darum.<br />

- signalisierte der erhobene Daumen. Er hatte den Daumen noch in der Luft, als die Kerkertür<br />

auf ging und zeitgleich die Nummern: „3 und 14“, aufgerufen wurden. Sawyer sprang auf,<br />

nicht wissend, ob er sich freuen oder in Panik geraten sollte. Einige Zellen weiter ging es Abby<br />

nicht anders. Sie sah den Wachen mit großen Augen entgegen und trat dann an die Zellentür,<br />

um sich fesseln zu lassen.<br />

<strong>Die</strong> Zellentüren öffneten sich und Sawyer und Abby wurden gepackt und aus dem<br />

Kerker geführt. Minuten später drückte man sie aus dem Fahrstuhl und führte sie einen Flur<br />

entlang zu einer der vielen Türen, hinten denen im Allgemeinen nie sehr viel Gutes wartete.<br />

Als die Tür sich öffnete, stieß man Abby und Sawyer unsanft in den dahinter liegenden Raum.<br />

<strong>Die</strong> beiden trauten ihren Augen nicht. Kate und Gibbs standen dort, an die Wand gefesselt, und<br />

starrten ihnen mit erschreckt aufgerissenen Augen entgegen. „Kate.“ „Sawyer.“ - Oh Gott,<br />

Abby. - Gibbs biss sich auf die Lippe und Abby sah ihren Ersatzvater an und rief: „Gibbs, wie<br />

geht es dir?“ Zu mehr kam sie nicht, denn schon wurde sie, wie neben ihr Sawyer, zu den<br />

Steinsäulen gestoßen. Sawyer versuchte verzweifelt, Blickkontakt zu Kate herzustellen. Er<br />

wollte wissen, wie es ihr ging, mehr nicht. Alles andere war ihm egal. <strong>Die</strong> Wachen dirigierten<br />

ihn zwischen zwei der Säulen und dann wurde er herum gedreht, sodass er Kate anschauen<br />

konnte. Seine Hände wurden gelöst, nur, um Sekunden später an Ketten befestigt zu werden,<br />

die aus den Säulen kamen. Kate beobachtete entsetzt, wie mittels eines Zugmechanismus<br />

innerhalb der Säule Sawyers Arme in die Höhe gezogen wurden, bis er fast den Boden unter<br />

den Füßen verlor. Neben ihm wurde Abby in der gleichen Haltung fixiert. Sawyer konnte die<br />

Laborantin vor Schmerz ächzen hören. Ihm ging es genau so, er musste sich ziemlich be-<br />

herrschen, um nicht ebenfalls aufzukeuchen. Seine Augen waren starr auf Kate gerichtet und er<br />

versuchte, zu ergründen, wie es ihr ging, körperlich. Abby neben ihm versuchte krampfhaft,<br />

79


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich zusammen zu reißen, um nicht zu Stöhnen. Sie warf Gibbs flehende Blicke zu und dieser<br />

schüttelte verzweifelt den Kopf. - Was soll ich machen ... - dachte er verzweifelt.<br />

Als die Wachen mit Sawyer und Abby fertig waren, verließen sie ohne ein Wort den<br />

Raum und überließen die vier gefesselten Menschen sich selbst. Kaum hatten sie die Tür hinter<br />

sich geschlossen, stieß Sawyer schon die für ihn so wichtige Frage hervor: „Kate. Wie geht es<br />

dir? Was ist mit euch passiert, nachdem du zusammen gebrochen bist? Geht es dir gut?“ Kate<br />

hatte eigentlich ähnliche Fragen auf der Zunge, konnte aber durchaus verstehen, dass Sawyer<br />

erst einmal wissen wollte, wie es ihr ging, nachdem das letzte, was er gesehen hatte, ihr Zu-<br />

sammenbruch gewesen war. „Mach dir keine Sorgen um <strong>mich</strong>. Es geht mir gut soweit. Ich bin<br />

schrecklich müde, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie uns schlafen lassen werden ... <strong>Die</strong><br />

Wunde am Bein ist von House gut versorgt worden.“ „Was? Er hat dich...? Wieso hat er nichts<br />

gesagt?“ „Sawyer, er wird nicht gedurft haben.“, warf Abby gepresst ein. Sie hatte das unan-<br />

genehme Gefühl, ihre Arme würden ihr aus der Schulter gerissen. „Gibbs, wie fühlst du dich?“,<br />

fragte sie. „Es geht mir gut, Abbs, mach dir keine Gedanken um <strong>mich</strong>. Mir ist nichts passiert.<br />

Ich bin nur müde.“<br />

- Noch ist dir nichts passiert, du Mistkerl. Das wird sich in Kürze ändern.<br />

Du und deine kleine Amazone, ihr habt drei meiner besten Männer gekillt. Ihr<br />

habt das ganze Experiment zum Kippen gebracht. Ihr habt <strong>mich</strong> zum Gespött<br />

gemacht. Und nun habt ihr das Pech, dass der Big Boss außer Haus ist. Ihr und<br />

ich, wir werden viel Spaß miteinander haben. Mir ist klar, dass es dafür einen<br />

Verweis geben wird, aber das ist mir vollkommen egal. Ich will, dass meine<br />

Männer sich für den Verlust ihrer Freunde rächen dürfen. Mögen die Spiele<br />

beginnen. Ich hoffe, ihr macht nicht so schnell schlapp. -<br />

Casus belli.<br />

<strong>Die</strong> Morde in der Welt zur Rettung der Ehre werden nur von Unehrenhaften<br />

begangen.<br />

Erhard Schümmelfeder<br />

„Was soll das jetzt hier wohl wieder werden, was meint ihr? Gibbs? Was ... aua, was<br />

meinst du? Warum lassen die uns hier so hängen?“ Abby versuchte verzweifelt, ihr Gewicht<br />

so zu verlagern, dass sie die Arme und Schultern nicht so stark belastete. Gibbs seufzte un-<br />

80


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hörbar. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was das hier sollte, würde seine Ge-<br />

danken Abby jedoch sicher nicht unter die Nase reiben. Ein Blick ins Sawyers Gesicht sagte<br />

Gibbs, dass auch der Südstaatler eine gewisse Ahnung hatte, was ihnen hier blühen konnte.<br />

Gerade sagte er zu Kate: „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist. Es sah am Monitor teil-<br />

weise schlimm aus. Als Heather abgerutscht ist und wir nicht wussten, dass sie sich hatte<br />

festhalten können ... Ich dachte die ganze Zeit ... Es ist gut, dass ihr nichts passiert ist.“<br />

Sawyer verstummte verlegen. Allen war klar, was er gedacht hatte: Zum Glück war es nicht<br />

Kate. <strong>Die</strong>se lächelte müde zu ihm herüber. „Allison sagt, dass Heather vollkommen in<br />

Ordnung kommt. Sie hat ...“ Was Heather hatte, konnte Kate nicht mehr sagen, denn die Tür<br />

des Raumes öffnete sich und zwei Männer kamen herein, die nicht wie Wachen gekleidet<br />

waren. Alarmiert starrten alle vier Gefesselten die beiden Männer an.<br />

„Ihr habt drei unserer Freunde umgebracht.“ <strong>Die</strong> beiden Männer waren vor Kate und<br />

Gibbs hin getreten. Kate starrte mit angstvoll geweiteten Augen die beiden Männer an. „Wir<br />

durften ...“ Weiter kam sie nicht. Der Kerl, der vor ihr stand, holte aus und gab der hilflosen<br />

jungen Frau eine schallende Ohrfeige. Sawyer tobte los. „Du Dreckskerl. Lass sie in Ruhe.<br />

Ich bring dich um.“ Mit einem müden Grinsen drehte der Mann sich zu Sawyer herum.<br />

„Schrei hier nicht so rum, mein Junge, du wirst dich unserer Aufmerksamkeit noch früh<br />

genug erfreuen können.“, sagte er dann gefährlich leise. Kate hatte leise aufgestöhnt, als die<br />

Ohrfeige sie traf. Sie hörte leicht verschwommen die Worte, die der Mann an Sawyer richtete<br />

und erschauderte. „Nein ... Bitte. Ich hab doch ...“ Erneut wurde sie von einer Ohrfeige unter-<br />

brochen. „Halts Maul.“ Aufkeuchend verstummte Kate und Tränen stürzten ihr aus den<br />

Augen. Sawyer brüllte vor Wut auf. „Du elender Bastard.“ Abby wagte keinen Ton von sich<br />

zu geben. Voller Angst starrte sie Gibbs an und dieser zitterte bei dem Gedanken, was die<br />

Männer mit Abby machen würden. Sawyer zerrte in hilflosem Zorn an den Fesseln, fügte sich<br />

damit aber nur selbst Schmerzen zu, ohne auch nur den Hauch einer Chance zu haben, sich<br />

wohlmöglich befreien zu können. Der Mann, der sich vor Gibbs aufgebaut hatte, knurrte<br />

wütend: „Was war es für ein Gefühl, unserem Freund den Pfeil in die Brust zu schießen,<br />

Gunny?“ Gibbs sah dem Kerl ruhig ins Gesicht. Seine blaugrauen Augen, die so warme<br />

Blicke verteilen konnten, funkelten in einer gnadenlosen Kälte. Er riskierte viel, als er mit<br />

einem sanften Lächeln auf den Lippen erwiderte „Ein wundervolles Gefühl, aber dass willst<br />

du sicher nicht hören ...“ Nein, das hatte der Mistkerl offensichtlich nicht hören wollen, denn<br />

im nächsten Moment traf Gibbs ein harter Faustschlag in den ungeschützten Körper.<br />

Keuchend lachte der NCIS Teamleiter auf. „Schlechte Verlierer, was?“ Abby und Kate<br />

konnten es nicht fassen, das Gibbs den Zorn und die Aufmerksamkeit der Männer auf sich<br />

zog, sie hatten viel zu viel Angst, um zu verstehen, dass er die Kerle wenigstens für den<br />

Moment damit von den anderen ablenkte. Sawyer jedoch registrierte die Absicht sehr wohl<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchfuhr ihn. Gibbs erreichte nämlich tatsächlich,<br />

dass beider Männer Aufmerksamkeit sich auf ihn konzentrierte.<br />

„Wer hier die Verlierer sind, wird sich ja noch zeigen. Mir kommt es so vor, als wäret<br />

ihr hier die Gefangenen und nicht wir, was deine Frage schon beantworten dürfte.“, stieß der<br />

Typ, der Kate geschlagen hatte, wütend hervor. „Und mir kommt es vor, als lebten wir alle<br />

noch, während ihr drei weniger seid ...“ „Halt dein verdammtes Maul, du Drecksbulle.“,<br />

fluchte der Kerl wütend und verpasste Gibbs einen heftigen Schlag ins Gesicht. Und nun ließ<br />

sich Sawyer vernehmen: „Eure Kumpel sind wohl an die Falschen geraten ...“ Er grinste<br />

frech, obwohl ihm nach allem anderen eher zu Mute war. Kate starrte entsetzt zu ihm herüber<br />

und schüttelte panisch den Kopf. Sawyer hatte geschafft, was er wollte. Einer der Männer<br />

kam mit drei schnellen Schritten zu ihm und der Wehrlose biss unwillkürlich die Zähne zu-<br />

sammen und spannte die Muskulatur an, als er den Mann ausholen sah. Ein brutaler Schlag<br />

traf auch den Südstaatler in den Bauch und er keuchte auf. „Du riskierst hier eine ganz schön<br />

große Lippe, Freundchen.“, zischte ihm der Typ ins Gesicht und Sawyer, der langsam wieder<br />

durchatmen konnte, sah den Kerl kalt an. „Findest du? Vielleicht habe ich ja mal die Ge-<br />

legenheit, <strong>mich</strong> zu revanchieren ...“ Erneut traf ihn ein harter Schlag und kurzfristig blieb ihm<br />

fast die Luft weg. Dann jedoch grinste er den Kerl erneut an, immer noch leicht hustend und<br />

mit einem sehr unangenehmen Gefühl im Bauch, welches nicht von den harten Schlägen<br />

rührte.<br />

*****<br />

Bones zuckte zusammen, als plötzlich aus den Lautsprechern der Monitore leises<br />

Knistern und dann eindeutig Stimmen kamen und die Monitore selbst aufflackerten. „Da.“,<br />

stieß sie erschrocken hervor. „Seht nur ...“ Entsetzt verstummte die Anthropologin. Allison<br />

schaute erstaunt auf und stieß ebenfalls ein entsetztes: „Oh, Gott, nein.“, hervor. Vor einiger<br />

Zeit war das grüne Licht angeschaltet worden und im Kerker fragte man sich, wo wohl die<br />

<strong>Anderen</strong> alle waren. „Was machen die bloß mit allen ...“ Allison schüttelte es bei der Vor-<br />

stellung, was geschehen sein mochte. Ob Sawyer und Abby und auch Jake und Sara wohl zu<br />

den <strong>Anderen</strong> gebracht worden waren? „Was meint ihr, dürfen sie zueinander?“, fragte sie in<br />

den Raum hinein. „Wollen wir doch schwer hoffen, Mädchen.“ House’ Stimme klang nicht so<br />

überzeugt, wie seine Worte klingen sollten. Ziva in ihrer Zelle hatte sich so ihre Gedanken<br />

gemacht. „<strong>Die</strong>se Typen, die unsere Leute gejagt haben ... Sie waren anders gekleidet als die<br />

Wachen. Ist euch das auch aufgefallen?“ Mulder trat ans Gitter zur Nachbarzelle und sah Ziva<br />

aufmerksam an. „Du hast Recht, Ziva, aber was ...“ „Söldner. Das waren garantiert keine aus<br />

der Truppe hier. Ich will euch ja nicht beunruhigen, aber wenn das Söldner waren ... <strong>Die</strong><br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mögen es nicht, wenn man sie killt. Ich könnte mir vorstellen, dass Gibbs und Kate in<br />

Schwierigkeiten stecken.“ Bones sah Ziva an. „Ach, Blödsinn. <strong>Die</strong> haben doch das Spiel be-<br />

stimmt. <strong>Die</strong> können dann doch nicht ...“ Tempe verstummte kurz, dachte nach und beendete<br />

dann ihren Satz „... die können doch, Ziva hat Recht. <strong>Die</strong> können alles.“ Unmittelbar nach<br />

diesem Gespräch ertönte das Knacken.<br />

„Was haben die denn nur vor?“, keuchte Dana entsetzt, als sie auf dem Monitor er-<br />

kannte, wie Sawyer und Abby zwischen die Säulen gefesselt wurden. „Was glaubst du denn?<br />

Genau das, was Ziva schon befürchtet hat.“, fluchte Booth Zorn bebend, nachdem er die er-<br />

schreckenden Bilder auf dem Bildschirm beobachtet hatte. „<strong>Die</strong>se Schweine.“ „Sawyer und<br />

Gibbs reden sich um Kopf und Kragen. Warum tun sie das denn? Sie werden dafür büßen<br />

müssen.“ Allison war viel zu geschockt, um die Absichten der Männer zu erkennen. Locke<br />

erklärte ihr resigniert: „Allison, die Beiden wollen die Kerle von Kate und Abby ablenken,<br />

verstehst du? Es ist mir unverständlich, warum sie plötzlich so reagieren. Ziva muss Recht<br />

haben. Bei den Jägern wird es sich tatsächlich um Söldner gehandelt haben, die hier gerade<br />

ihr eigenes Süppchen kochen. Für unsere Gastgeber ist dieses Verhalten nicht stimmig.“ „Ich<br />

habe absolut nicht den Eindruck, dass die bisher in irgendeiner Weise stimmig reagiert<br />

hätten.“, erklärte House sarkastisch. „Sie haben uns aber nie für ordnungsgemäß erledigte<br />

Aufgaben gestraft oder so etwas.“, erklärte Mulder ruhig. Er wollte noch etwas hinzufügen,<br />

wurde aber von Dana unterbrochen, die erschüttert stotterte: „Oh Gott. Was haben die ... Was<br />

machen die denn?“<br />

*****<br />

„Hör auf, sonst merkt er gleich nichts mehr. Wir sollten mal langsam loslegen, was<br />

meinst du?“ Der Kerl, der bei Gibbs gestanden hatte, drehte sich zu seinem Partner herum.<br />

Der warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte dann: „Du hast Recht, wir sollten los-<br />

legen, sonst kommt der Boss zurück und wir haben noch nicht mal angefangen.“ Er trat an<br />

einen Schrank in einer Nische des Raumes und öffnete diesen. Was er heraus nahm, jagte<br />

allen vier Gefangenen Schauer über die Körper. Abby wimmerte auf vor Schreck und Sawyer<br />

presste die Lippen zusammen. Mit zwei äußerst brutal aussehenden Bullenpeitschen in der<br />

Hand kam er zurück, drückte seine Partner eine davon die die Hand und sagte kalt: „Dann<br />

wollen wir den Herrschaften mal zeigen, was es heißt, unsere Freunde umzubringen.“ An<br />

Kate und Gibbs gewandt sagte er: „Mal sehen, ob ihr genau so cool seid, wenn man eure<br />

Freunde umbringt.“ Kate schrie vor Entsetzen auf. „Nein! Das dürft ihr nicht machen. Ihr<br />

dreckigen Schweine.“ <strong>Die</strong> beiden Kerle grinsten. „Wir dürfen alles, Zuckerpuppe.“ Gibbs<br />

konnte sich ebenfalls nicht mehr beherrschen. Tränen liefen dem harten Beamten über die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wangen und er flüsterte: „Abbs ... Es tut mir so leid ...“ <strong>Die</strong> beiden Männer traten hinter<br />

Abby und Sawyer, öffneten den beiden die Kittel und streifen diese zur Seite. Der Typ bei<br />

Sawyer packte diesen am Haar, bog Sawyers Kopf brutal zurück und zischte: „Dein kleines<br />

Betthäschen hätte unsere Freunde besser nicht gekillt.“ Sawyer atmete hart und stoßweise und<br />

zischte hasserfüllt zurück: „Ich hoffe, sie nutzt weiter jede Gelegenheit, euch Dreckskerle zu<br />

dezimieren ...“ Wütend ließ der Typ daraufhin Sawyers Haare los und trat drei Schritte<br />

zurück. Dann hob er die Peitsche und ohne noch zu zögern, ließ er den fingerdicken Riemen,<br />

der am Ende dünn auslief, auf Sawyers nackten Rücken klatschen.<br />

Nicht Sawyer schrie auf, sondern Kate. Sie sah, wie sich das Gesicht Sawyers im<br />

Schmerz verzog und schrie gellend auf. „Nein!“ Und dann schrie auch Abby, der erste Hieb<br />

hatte ihren ungeschützten Rücken getroffen. Gibbs schrie ebenfalls, voller Hass und hilfloser<br />

Wut. „Ihr Schweine. Ich habe den Dreckskerl umgebracht. Ich war es. Lasst sie gefälligst in<br />

Frieden.“ Der Typ lachte. „Ganz im Gegenteil, Mr. NCIS. Ich fange gerade erst an. Und für<br />

jedes Wort von euch bekommen die Beiden hier mehr.“ Entsetzt biss Kate sich auf die Zunge,<br />

um nicht noch mehr unbedachte Worte hervor zu stoßen und auch Gibbs presste die Lippen so<br />

fest aufeinander, dass sie zu weißen Strichen wurden. <strong>Die</strong> Hiebe prasselten langsam und<br />

genussvoll auf die hilflosen Opfer nieder. Abby versuchte verzweifelt, sich zu beherrschen,<br />

aber der Schmerz bei jedem einzelnen Treffer war einfach zu viel für die junge Frau. Immer<br />

wieder schrie sie verzweifelt auf. Sawyer neben ihr kämpfte verbissen damit, den Kerlen<br />

diesen Triumph, dass er ebenfalls schrie, nicht zu gönnen. Er presste die Zähne so fest zu-<br />

sammen, dass er fast Angst hatte, sie sich abzubrechen. Schweiß brach ihm aus jeder Pore<br />

seines Körpers und überzog diesen blitzschnell mit einer schmierigen Schicht. Seine Augen<br />

saugten sich an Kates tränenüberströmten Gesicht fest. Er hatte die Hände so fest zusammen<br />

gepresst, dass seine Fingernägel sich schmerzhaft in seine Handflächen bohrten. Sein Atem<br />

kam zitternd und keuchend. Aber er gab keinen Laut von sich. Der Typ hinter ihm jedoch<br />

wusste seinen verzweifelten Widerstand zu brechen. Immer schneller und härter prasselten die<br />

Schläge auf Sawyers Rücken und endlich konnte der junge Mann sich nicht mehr be-<br />

herrschen. Immer häufiger quetschte sich ein gequältes Keuchen über seine Lippen und dann<br />

stieß auch er den ersten Schmerzenslaut aus.<br />

„Wo sind Austen, Sciuto, Gibbs und Ford? Sie sind nicht in ihren Zellen<br />

und auch nicht in den Erholungsräumen. Was soll das?“<br />

„Ich habe keine Ahnung, Sir.“<br />

„Dann finde es verdammt noch mal raus, aber schnell.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ja, Sir. Hey, Mark, ich bin es, Dean, wo sind 3, 8, 14 und sechzehn hin?<br />

... Er macht was? Okay, danke. Sir, wie es aussieht, hat Mitchell sie eigen-<br />

mächtig abholen und in den Folterraum bringen lassen ...“<br />

„Er hat was? Schafft mir diesen Schwachkopf augenblicklich her und<br />

sorgt dafür, dass die Vier da raus geholt werden, macht schon. Wenn sie ver-<br />

letzt sind, Gnade euch Gott.“<br />

Mit Sawyers Beherrschung war es ebenfalls endgültig vorbei. Der Typ, der hinter ihm<br />

die Peitsche schwang, hatte Ahnung von dem, was er da tat. Er hatte Sawyers hoffnungslosen<br />

Widerstand gebrochen, indem er immer schneller und härter zugeschlagen hatte. Er gab dem<br />

Südstaatler keine Chance mehr, zwischen den einzelnen Schlägen wenigstens ansatzweise<br />

durchzuatmen. Abby war inzwischen so weit, das sie um Gnade bettelte. Jeder Schlag schien<br />

feurige Blitze durch ihren gesamten Körper zu jagen. Gibbs weinte, Kate war nur noch ein<br />

schluchzendes Bündel Verzweiflung. Wieder und wieder schlugen die Söldner zu. Wie lange<br />

die Tortur schon ging, hätten die vier Gefesselten nicht sagen können. Ob zwanzig, fünfzig<br />

oder schon hundertfünfzig Hiebe ihren Rücken getroffen hatten, Sawyer und Abby wussten es<br />

nicht. Beide wollten nur noch eines: Dass es endlich vorbei war. Sawyer glaubte, es keine<br />

weiteren Schlag mehr zu ertragen, ohne ebenfalls um Gnade zu winseln. Und dann war es<br />

plötzlich vorbei. Kein weiterer Schlag erfolgte mehr. Keuchend, hustend vom Schreien,<br />

stöhnend und krampfhaft nach Atem ringend hing Sawyer in den Fesseln, die das einzige<br />

waren, was ihn noch aufrecht hielt. Abby neben ihm hing schluchzend in den Fesseln und<br />

wimmerte leise: „Bitte ... bitte ... nicht mehr ....“ Vor Sawyers Augen tanzten bunte Kreise<br />

einen irren Reigen und er klammerte sich an den Gedanken - Nicht die Besinnung verlieren ...<br />

- Er spürte, wie er erneut in den Haaren gepackt wurde, spürte, wie sein Kopf brutal in den<br />

Nacken gezerrt wurde und hörte wie durch Watte eine kalte Stimme an seinem Ohr zischen.<br />

„So, mein Freund, wir hatten unseren Spaß und nun werden wir euren Leiden ein Ende<br />

setzten.“ Sawyer spürte plötzlich kalten Stahl an seiner Kehle in seine Haut eindringen. Sein<br />

gefolterter Körper war jenseits von Angst. Außer den Schmerzen auf seinem Rücken war er<br />

nicht mehr in der Lage, noch irgendetwas zu empfinden. Er schloss ergeben die Augen...<br />

*****<br />

Bones starrte aus verweinten Augen wie hypnotisiert zum Bildschirm hoch. Sie hatte<br />

die grausame Auspeitschung mit nacktem Entsetzen beobachtet, hatte irgendwann gemerkt,<br />

dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Allison und selbst Dana weinten mit ihr. Ziva<br />

standen Tränen des Hasses in den Augen. Mulder und Booth verfolgten zitternd vor Hass und<br />

Hilflosigkeit die entsetzlichen Bilder und Locke und House wirkten fassungslos, wie para-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lysiert. „<strong>Die</strong> müssen aufhören ...“, wimmerte Cameron leise. „<strong>Die</strong> sollen bitte aufhören.“ Zu<br />

mehr war die junge Ärztin nicht mehr fähig. Immer wieder stammelte sie diese Worte, wie<br />

eine aufgezogene Sprechpuppe: „Aufhören. <strong>Die</strong> müssen jetzt aufhören. Sagt denen, dass sie<br />

aufhören müssen ...“ Immer wieder schluchzte sie heftig auf. Dana konnte die Augen nicht<br />

abwenden. So entsetzlich es war, sie hatte das Gefühl, es Sawyer und Abby schuldig zu sein,<br />

bis zum Ende zuzusehen, es auszuhalten. Irgendwann stieß sie leise hervor: „Mulder ... <strong>Die</strong><br />

werden sie umbringen, wenn sie nicht bald aufhören.“ Mulders Hände krampften sich um die<br />

Gitterstäbe, dass die Knöchel weiß wurden. „Ich weiß ...“ Und dann sahen sie, wie die Typen<br />

plötzlich die grässlichen Peitschen aus den Händen legten, an Abby und Sawyer heran traten<br />

und diesen mit einem brutalen Griff in die Haare die Köpfe in den Nacken zerrten. Sie hörten<br />

die kalten Worte: „So, mein Freund, wir hatten unseren Spaß und nun werden wir euren<br />

Leiden ein Ende setzten.“, und beobachteten fassungslos, wie Abby und Sawyer Messer an<br />

die Kehle gesetzt wurden. „NEIN!“ Allison, Mulder, Dana und Ziva schrien das Wort wie aus<br />

einem Mund hervor.<br />

*****<br />

Als Sawyer schon den scharfen Stahl in seine Haut eindringen fühlte und Kates<br />

hysterischen Schrei: „NEIN!“, hörte, sprang völlig unerwartet die Tür zu dem Folterraum auf<br />

und jemand brüllte laut: „Aufhören, sofort. Lass ihn los.“ Sawyer spürte warmes Blut seinen<br />

Hals hinunter laufen und hörte den Typen, der ihn gepackt hatte, zurück schreien: „Vergiss es.<br />

<strong>Die</strong> sind fällig. Mitchell hat uns eindeutig instruiert. Das ist hier eine Frage der Ehre.“ Sawyer<br />

wagte kaum zu atmen. Er hörte Kate und Abby hysterisch Schluchzen und dann die erste<br />

Stimme fluchen: „Du Penner weißt doch gar nicht, was Ehre ist. Und dein toller Dr. Mitchell<br />

wird gerade zusammen geschissen dass es raucht und wenn du nicht willst, dass ich dir dein<br />

Hirn raus puste, solltest du ihn lieber loslassen.“ „Ach, verpisst euch, wir folgen immer noch<br />

unseren eigenen Regeln.“ Er wollte mit dem Messer schwungvoll den Schnitt über Sawyers<br />

Kehle ausführen. Kate schrie ... Und dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, Sawyer<br />

spürte den Kerl hinter sich zusammen zucken und dann verschwand das Messer von seiner<br />

Kehle. Jedoch nicht, ohne ihm im Abrutschen noch einen schmerzhaften Schnitt an die Hals-<br />

seite zu verpassen, aus dem augenblicklich das Blut spritzte. Sawyer stöhnte entsetzt auf. Er<br />

hörte hinter sich einen schweren Fall. Der Kerl, der Abby gepackt hatte, ließ diese mit einem<br />

wütenden Schnauben los und knurrte: „Ist ja gut, reg dich ab.“ Abby sackte zitternd und<br />

schluchzend in den Fesseln zusammen. Kate hatte das Gefühl, jeden Moment den Verstand zu<br />

verlieren. Sie bekam unterbewusst mit, dass man sie los machte und ohne auch nur eine<br />

Sekunde zu zögern riss sie sich los und rannte zu Sawyer hinüber, der ebenfalls von den<br />

Fesseln befreit wurde. Panisch versuchte er, den heftig blutenden Schnitt an seiner Halsseite<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mit der Hand abzudecken, hatte jedoch keine Chance. Erstens sah er nicht, wo er drücken<br />

musste, zum Zweiten zitterten seine Hände viel zu stark. Er musste von zwei Wachen gestützt<br />

werden, sonst wäre er zusammen gebrochen. „Er muss so schnell wie möglich zum Doc.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Kerkertür ging auf und vier Wachen kamen in den Raum gehetzt. <strong>Die</strong> Zellentüren<br />

von Allison und Greg sprangen ebenfalls auf und schon wurden sie angeherrscht: „Los, beeilt<br />

euch. Ihr habt es gesehen.“ Selbst House hetzte im Laufschritt zur Tür. Sie wurden zum Fahr-<br />

stuhl gejagt und es ging zwei Etagen hoch. Dann folgten sie den Wachen im Eiltempo den<br />

Flur entlang und vor ihnen öffnete sich eine Tür. Ein Mann streckte den Kopf hinaus und rief<br />

ihnen entgegen: „Los doch. Oder wollt ihr, dass er verblutet?“ Allison rannte noch schneller<br />

und erreichte den Raum als erste. Sie sah, dass es sich um einen kleinen OP handelte, sah<br />

Kate neben dem OP Tisch stehen, weinend und die Hand verzweifelt an Sawyers Hals<br />

pressend. „Beeilt euch. Er verblutet.“, schluchzte sie panisch. Sawyer selbst war kaum noch<br />

bei Bewusstsein. Er hatte noch mit bekommen, dass er von den Wachen her geschleppt<br />

worden war, dann wurde alles zusehends verschwommen und undeutlich. Viel zu schnell und<br />

flach atmete er. Er hörte Kate weinen, dumpfe Stimmen, die er nicht mehr verstand, nicht<br />

mehr unterscheiden konnte. Sein Körper war mit kaltem Schweiß überzogen. Ihm war kalt,<br />

furchtbar kalt, aber er hatte nicht mehr die Kraft, jemanden darüber aufzuklären und um eine<br />

Decke zu bitten. Sie mussten es doch sehen, dass er am ganzen Körper zitterte. Warum tat<br />

keiner was dagegen? Sein Rücken tat weh ... Feuchtwarm lief es an seinem Hals herunter ...<br />

Alles drehte sich vor seinen Augen. Er war müde, wollte nur noch einschlafen ...<br />

Allison erfasste mit einem Blick die Lage. Sie setzte Sawyer als erstes eine Sauer-<br />

stoffmaske auf. Dann legte sie einen Venenzugang und sah sich um. Auf einer Arbeitsplatte<br />

an der Wand entdecke sie mehrere Beutel Hydroxyethylstärke 1 , sah Sawyer kurz abschätzend<br />

an und fragte House dann hektisch: „Was meinst du, 75 - 80 Kilo etwa?“ House sah Sawyer<br />

ebenfalls an und nickt. „Drück ihm 350 ml rein, das sollte reichen. Dann braucht er Echtblut.“<br />

Allison griff sich ein bereit stehendes Tropfgestell. Sie eilte zu Sawyer zurück und schloss die<br />

hypertone Lösung schnellsten an den Venenzugang, drehte die Tropfgeschwindigkeit auf<br />

Druckinfusion. House hatte inzwischen Sawyers Beine mit einigen Decken über Herzhöhe<br />

1 Hydroxyethylstärke: abgekürzt HES oder HAES ist ein künstlich hergestelltes Polymer. Es wird unter anderem als Blut-<br />

plasmaersatzstoff verwendet. HES dient dabei als kolloidaler Volumenersatz, der wie die Dextrane und Gelatine zum Ausgleich<br />

eines intravaskulären Volumenmangels eingesetzt wird.<br />

87


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hoch gelagert, um einem hypovolämischen Schock 2 möglichst entgegen zu wirken und<br />

drängte mit sanfter Gewalt Kate ein wenig bei Seite. Er schnitt mit einer Schere Sawyers<br />

Kittel auf und zog diesen vorsichtig unter dem Besinnungslosen hervor, ließ den Kittel achtlos<br />

zu Boden fallen. Dass Sawyers Blutdruck viel zu niedrig und seine Pulsfrequenz viel zu hoch<br />

war brauchte der Arzt nicht erst messen, das wusste er. „Du musst <strong>mich</strong> da ran lassen, okay.<br />

Komm schon Kate, lass <strong>mich</strong> nach der Wunde sehen, bitte.“ Einer der Wachposten kam ihm<br />

zu Hilfe und packte Kate beinahe sanft an den Schultern, zog sie zur Seite. Sofort blutete die<br />

Schnittwunde stärker. House sah eine der Wachen an und sagte dann ruhig: „Wir brauchen<br />

hier eine Bluttransfusion, Sir, das ist Ihnen klar, oder?“ Er griff nach einem Mundschutz und<br />

Handschuhen, fragte: „Allison, wie weit bist du?“, und griff nach einem über dem OP Tisch<br />

angebrachten Mikroskop.<br />

„Sag mal, was ist eigentlich in dich gefahren? Bist du sadistischer Mist-<br />

kerl endgültig übergeschnappt? Was hast du dir bei dieser Aktion gedacht?“<br />

„Vielleicht schreist du <strong>mich</strong> mal nicht so an? Ich bin keiner von deinen<br />

Deppen hier, mit denen du so umspringen kannst. Was bildest du dir eigentlich<br />

ein?“<br />

„Du elender Schwachkopf hast das ganze Projekt gefährdet mit deinem<br />

idiotischen Verhalten. Du hättest Ford und Sciuto getötet, wenn wir dich nicht<br />

aufgehalten hätten.“<br />

„Allerdings hätte ich das. Gibbs und Austen, diese kleine Bitch, haben<br />

drei meiner besten Leute gekillt. Sie hätten es verdient, hundertfach, ihre Lieb-<br />

linge ebenfalls zu verlieren.“<br />

„Du hast dir jedenfalls mit deinem eigenmächtigen Verhalten eine ab-<br />

solute Projektsperre eingefangen. Du wirst kein einziges der noch aus-<br />

stehenden Projekte mehr alleine leiten, haben wir uns verstanden?“<br />

„Du willst mir die Leitung der noch offenen Projekte entziehen?“<br />

„Nein, Mitch, ich entziehe sie dir nicht nur, ich übertrage sie hiermit<br />

offiziell Jerred.“<br />

„Was? <strong>Die</strong>sem Penner?“<br />

„Jerred wird die Leitung übernehmen, verstanden?“<br />

„Das kann nicht dein Ernst sein.“<br />

2 Volumenmangelschock, auch hypovolämischer Schock genannt, entsteht durch einen starken Flüssigkeitsverlust, wodurch<br />

die Menge des in den Gefäßen zirkulierenden Blutes abnimmt. Ursächlich können große Blutverluste (hämorrhagischer Schock)<br />

sein, wie sie zum Beispiel durch starke Blutungen nach Unfällen auftreten können.<br />

88


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison war fertig, streifte ebenfalls Mundschutz und Handschuhe über und eilte an<br />

Gregs Seite. Sie hatte einen Laborwagen gegriffen, breitete ein steriles Tuch darüber aus und<br />

legte zurecht, was sie brauchten, um die tiefe Schnittwunde zu nähen. Sawyer rührte sich<br />

nicht mehr, so konnte House anfangen. Kate stand zitternd da und starrte wie hypnotisiert auf<br />

Sawyer hinunter. Er war so blass und kalter Schweiß überzog seinen Körper. House sah Kate<br />

an und sagte leise: „Kate, du musst uns helfen, okay, halte bitte seinen Kopf fest, damit er<br />

ganz ruhig liegt. Pass aber auf mit der Sauerstoffmaske.“ Kate nickte hektisch und beugte sich<br />

zu Sawyer herunter. Sanft nahm sie seinen Kopf in ihre blutverschmierten Hände und hielt<br />

ihn fest. Dabei flüsterte sie zärtliche Worte in Sawyers Ohren, die dieser gar nicht hören<br />

konnte, weil er nicht mehr bei Besinnung war. Ruhig bat House: „Kannst du den Kopf ein<br />

wenig nach rechts drehen, damit ich hier besser heran komme?“ Kate nickte wortlos und<br />

drehte Sawyers Kopf sanft ein wenig auf die Seite. House reinigte das Umfeld der Wunde,<br />

dann arbeitete er, assistiert von Allison, schnell und präzise weiter. Er verschloss die an-<br />

gekratzte Halsschlagader unter dem Mikroskop mit drei Stichen, wartete ein paar Augen-<br />

blicke, ob die Ader auch wirklich dicht war, dann erst vernähte er den Rest des Schnittes. Erst<br />

jetzt überprüfte er Sawyers Blutdruck um zu prüfen, wann Besserung eintrat. „64 systolisch.<br />

Puls 140. Scheiße, komm schon, meine Junge, tu uns das nicht an.“ Er war gerade dabei, mit<br />

Allisons Hilfe einen Verband anzulegen, als die Tür geöffnet wurde und eine weitere Wache<br />

mit zwei Beuteln Blut in der Hand herein geeilt kam. Allison sprang auf und nahm dem Mann<br />

das Blut ab. „0-? Sind Sie sicher, Sir?“, fragte sie beunruhigt. Der Wachmann nickte nur. So<br />

zuckte Allison die Schultern und entfernte den letzten HEAS Beutel, schloss stattdessen den<br />

ersten Beutel der Bluttransfusion an den Venenzugang und hängte den Beutel an das Tropf-<br />

gestell. Sie stellte normale Durchflussgeschwindigkeit ein. Nach einigen Minuten überprüfte<br />

sie erneut Sawyers Vitalfunktionen und auch House behielt den jungen Mann sehr genau im<br />

Auge. „88 systolisch, Puls bei 105.“, gab sie an House weiter.<br />

Kate stand immer noch da und hielt Sawyers Kopf sanft in ihren Händen. Sie schien<br />

gar nicht mit bekommen zu haben, dass House schon lange fertig war mit dem Nähen. <strong>Die</strong>ser<br />

hatte angefangen, Sawyers Hals und Schultern vom Blut zu reinigen. Er sah Kate an und sagte<br />

leise: „Kate, du kannst ihn loslassen. Sieh mal, da ist ein Waschbecken, da kannst du dich<br />

sauber machen. Den Jungen kriegen wir schon wieder auf die Beine, mach dir keine Sorgen.“<br />

Kate sah verständnislos auf. „Was? Sauber machen?“ „Ja, Kate, du solltest dich waschen, du<br />

bist ganz voll geblutet.“ Allison trat zu der jungen Frau hin. <strong>Die</strong>se sah an sich herunter und<br />

schluckte trocken. Dann presste sie die Hand vor den Mund und sah sich hektisch um, ent-<br />

deckte in der Ecke eine Tür mit der Aufschrift WC und eilte hinüber. Sie sank vor der Toilette<br />

auf die Knie und übergab sich keuchend. Allison war ihr nachgekommen und half Kate auf<br />

die Beine, nachdem diese sich beruhigt hatte. „Geht es wieder?“, fragte sie verständnisvoll.<br />

89


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich kann nicht mehr, Allison, ich kann einfach<br />

nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus. Das wievielte Mal ist das jetzt, dass ich ihn fast ver-<br />

loren habe? Allison, ich halte das nicht mehr aus.“ Vollkommen fertig schluchzte Kate auf<br />

und Allison zog die junge Frau an sich, bis das heftige Schluchzen langsam weniger wurde.<br />

Dann führte sie Kate zum Waschbecken hinüber und half dieser, sich zu waschen. Eine der<br />

Wachen verließ den Raum und kam Minuten später mit zwei sauberen Kitteln zurück, einen<br />

für Kate und einen für Sawyer. Kate zog den vollkommen mit Sawyers Blut verschmierten<br />

Kittel aus, ohne sich noch Gedanken darüber zu machen, dass mehrere Wachen anwesend<br />

waren. Solche Nebensächlichkeiten schrumpften hier in dem allgegenwärtigen Horror ins<br />

Nichts zusammen.<br />

Gerade war der erste Beutel Blut durch gelaufen und Allison schloss sofort den<br />

Zweiten an, um den Volumenverlust schnell zu beheben. Wieder überprüfte sie Sawyers<br />

Vitalwerte. „Blutdruck bei 94 systolisch, Puls runter auf 95.“ <strong>Die</strong> Gefahr, dass Sawyer einen<br />

hämorrhagischen Schock erlitt, war immer noch nicht gebannt. Kate beobachtete genau, was<br />

Allison machte. Dann fragte sie nach: „Wie viel Blut hat er verloren, was meinst du?“ „Genau<br />

lässt sich das natürlich nicht sagen, aber an Hand der Spuren würde ich sagen ... mehr als<br />

anderthalb Liter. Er bekommt einen Liter wieder zugeführt, damit ist er außer Gefahr. Danach<br />

hängen wir ihn an isotonische Kochsalzlösung 3 , damit wir den Restvolumenverlust auch aus-<br />

gleichen können. Er wird sich erholen, Kate. Was macht dein Bein?“ „Das hatte ich ganz und<br />

gar vergessen.“, stellte Kate erstaunt fest. Jetzt erst merkte sie, dass die Wunde pochte und<br />

brannte. Allison zog der jungen Frau einen Stuhl heran und Kate ließ sich dankbar darauf<br />

nieder. Sie hielt Sawyers Hand, streichelte ihm sanft über die Wangen und fragte dann:<br />

„Braucht er den Sauerstoff noch?“ „Nein, ich denke, das können wir uns jetzt sparen. Seine<br />

Vitalfunktionen sind den Umständen entsprechen wieder in Ordnung. Du kannst sie ihm ab-<br />

nehmen.“: erklärte House ruhig. „Das war nur eine reine Sicherheitsmaßnahme.“ Kate nickte<br />

und streifte Sawyer sanft die Maske ab.<br />

3 Isotonische Kochsalzlösung ist preisgünstig und die weltweit am häufigsten verwendete kristalloide Infusionslösung. Als In-<br />

fusion/Infusionstherapie oder Flüssigkeitstherapie bezeichnet man die parenterale Verabreichung von Flüssigkeiten. Sie werden in<br />

aller Regel intravenös verabreicht.<br />

90


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Phase 5: Neuaufbau<br />

Nicht das Straucheln ist entscheidend, sondern das Wiederaufrichten,<br />

nicht die Resignation, sondern die Hoffnung.<br />

Dr. Franz König<br />

Reconstruction<br />

Man kann den Körper nicht ohne die Seele heilen und die Seele nicht ohne den<br />

Körper.<br />

Aus Griechenland<br />

Als der zweite Beutel Blut durch gelaufen war, fragte eine der Wachen: „Kann er auf<br />

ein Zimmer?“ „Wenn wir ihn dort noch an einem Tropf mit einfacher Kochsalzlösung lassen<br />

können, ist dem wohl nichts entgegen zu setzen.“, erklärte House. „Gut, dann werden wir ihn<br />

in ein anständiges Bett bringen.“ Der Wachposten nahm eine Trage aus einem Schrank und<br />

zusammen mit seinen Kollegen wurde Sawyer sehr vorsichtig hinauf gehoben. Den sauberen<br />

Kittel legte der Wachposten auf Sawyers Körper. Kate beobachtete nervös, wie sie Sawyer<br />

nun anhoben und aus dem Raum trugen. „Willst du nicht, oder kannst du nicht?“ Eine der<br />

Wachen sah Kate auffordernd an. Sofort setzte sie sich humpelnd in Bewegung, folgte den<br />

Männern. Es ging den Flur entlang und am Ende öffnete sich eine Tür, hinter der eines der<br />

Erholungszimmer lag. Erstaunlich vorsichtig wurde Sawyer in das breite, bequeme Bett um-<br />

gelagert. Allison hatte den Befehl bekommen, ebenfalls zu folgen, mit dem Tropfgestell und<br />

zwei Beuteln Kochsalzlösung. Jetzt schloss sie einen der Beutel an und stellte die Tropf-<br />

geschwindigkeit ein. Dann sah sie die Wachen fragend an. „Los, mitkommen.“ Wortlos folgte<br />

sie dem Wachposten und war überrascht, als House ihr schon entgegen kam, von einer<br />

weiteren Wache am Arm gepackt und geführt. Am anderen Ende des Flures öffnete sich eine<br />

weitere Tür und die Ärzte wurden in den Raum komplimentiert. Ebenfalls ein Erholungsraum.<br />

<strong>Die</strong> Tür schloss sich und einen Moment standen die Beiden still da.<br />

91


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dann zog House Allison wortlos an sich und nahm sie in die Arme. „Ich dachte einen<br />

Moment, er schafft es nicht. Das war haarscharf an der Grenze. Er hat unglaubliches Glück<br />

gehabt, dass er so schnell auf dem Tisch lag. Eine Minute länger und er wäre verblutet.“,<br />

sagte Allison leise. „Ich weiß. Das dachte ich auch.“, gab House zu. „Weißt du noch, wie ich<br />

dir damals gesagt habe, man kann nicht gleichzeitig ein guter Mensch sein und im Leben klar<br />

kommen?“ Cameron nickte. „Ich habe <strong>mich</strong> geirrt. Ich bin stolz auf dich.“ Cameron sah über-<br />

rascht zu House auf. Dann lächelte sie. „Ich habe drei Jahre versucht, deine Anerkennung zu<br />

gewinnen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich das auf diese Art erreichen kann, hätte ich <strong>mich</strong><br />

schon früher entführen lassen.“ House lächelte verschmitzt, erleichtert, dass Allison sich ent-<br />

schieden hatte, die Stimmung mit einem Scherz aufzulockern. Er hatte ihr sagen wollen, dass<br />

er stolz auf sie war, aber er fühlte sich immer noch nicht wohl bei dem Gedanken, über seine<br />

Gefühle zu sprechen. Wahrscheinlich würde er das nie tun und er war dankbar, dass Allison<br />

das nicht von ihm verlangte. „Du hättest dich entführen lassen, damit ich dir sage, dass ich<br />

stolz auf dich bin? Oder vielleicht doch eher, um <strong>mich</strong> ins Bett zu kriegen?“ Cameron lachte.<br />

„Denkst du eigentlich auch mal an etwas anderes als Sex?“ House setzte eine ernste Miene<br />

auf, als würde er scharf nachdenken. „Wenn ich mit einer schönen, spärlich bekleideten Frau<br />

allein bin? Selten.“, antwortete er mit einem anzüglichen Lächeln und ließ seine Hände über<br />

Camerons Rücken, bis zu ihrem Po wandern.<br />

*****<br />

Im Kerker herrschte allgemeines Entsetzen nach den schrecklichen Bildern auf den<br />

Monitoren. „Oh, Gott. Wird er verbluten?“, fragte Mulder schockiert. „Das kommt darauf an,<br />

wie viel Blut er verliert.“, erwiderte Ziva ganz schlau. „Ach, was du nicht sagst.“ Mulder war<br />

zu genervt, um ruhig zu bleiben. Er hatte sich in der Schlafentzugphase von Booth wirklich<br />

gut mit Sawyer verstanden, die Männer hatten sich richtig angefreundet und als Mulder nun<br />

sah, wie dem Südstaatler fast die Kehle durchgeschnitten worden war, hatte ihn das tief ge-<br />

troffen. „Tut mir leid, Ziva, du kannst ja auch nichts dafür. Aber das ist mir schon durchaus<br />

selbst klar.“, entschuldigte er sich sofort. Ziva nickte gestresst. „Kein Problem, war ja auch<br />

eine saublöde Bemerkung. Es sieht schlimm aus. Hör zu. Ich mag den Jungen auch sehr<br />

gerne, Mulder.“ Ziva starrte weiterhin auf den Bildschirm, wo Sawyer und Kate von den<br />

Fesseln befreit worden waren. Sawyer versuchte verzweifelt, den tiefen Schnitt an seinem<br />

Hals mit der Hand zu bedecken, um die Blutung zu stillen, aber er hatte keine Chance. Seine<br />

Hände zitterten zu stark und er war zu geschwächt von der vorangegangenen Folter. Einer der<br />

Wachen schrie herum. „Wir müssen ihn schnellstens in Raum 83 schaffen.“ Er zog Sawyer<br />

mit sich, aber dessen Beine gaben nach und wenn nicht eine zweite Wache zu Hilfe geeilt<br />

92


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wäre, wäre Sawyer zusammen gesackt. Kate stolperte vollkommen aufgelöst hinterher. Der<br />

Wachposten sagte: „Wir müssen uns beeilen und die sollen ...“ Was wer sollte, war nicht<br />

mehr zu verstehen. Unmittelbar nach diesen Bildern wurden House und Allison geholt und<br />

die <strong>Über</strong>tragung auf dem Monitor unterbrochen. So wussten die Zurückgebliebenen nicht,<br />

was los war. Ziva lief fast Amok, als die Bildverbindung gestoppt wurde. „Sind die irre. Ich<br />

will wissen, was mit Abby und Gibbs ist.<br />

Sie hatte sich noch nicht wieder beruhigt, als plötzlich via Lautsprecher die Ansage<br />

kam: „Alle an die Löcher.“ <strong>Die</strong> wenigen, noch im Kerker verbliebenen Gefangenen erhoben<br />

sich sofort und traten an die Zellentüren, die Hände auf den Rücken. Wachen kamen und<br />

fesselten sie, dann wurden sie alle aus dem Kerker heraus geführt. Hoffnungslos verwirrt<br />

wurden sie zu den Fahrstühlen gebracht und dort auf zwei verteilt. Locke, Mulder und Dana<br />

wurden in den einen, Ziva, Bones und Booth in den anderen Fahrstuhl gedrückt. Für Locke,<br />

Mulder und Dana ging es vier Etage nach oben, dann brachte man Locke den Flur nach<br />

rechts, Dana und Mulder den Flur nach links entlang. Schließlich erreichten sie eine Tür, die<br />

sich öffnete. Man löste ihnen die Handfesseln, dann bekamen sie einen sanften Schubs in den<br />

Rücken und stolperten in einen Erholungsraum. Beide konnten es kaum fassen. „Was soll<br />

denn das jetzt?“, fragte Dana überrascht. „Das weiß ich auch nicht, ist mir auch völlig egal.<br />

Dana, was meinst du, hat Sawyer einen Chance?“ Mulder starrte Dana bestürzt an. „Ja, ja,<br />

davon kannst du ausgehen. So schnell verblutet ein Mensch nicht. Sie werden ihn Retten, da<br />

bin ich sicher. Immerhin ist die ganze Aktion ja scheinbar nicht genehmigt gewesen. <strong>Die</strong><br />

haben einen Mann erschossen, um Sawyer das Leben zu retten, also werden sie sicher alles<br />

tun, um ihm zu helfen. Ich weiß, dass ihr euch angefreundet habt, ich mag Sawyer auch.“<br />

Mulder zog Dana an sich. „Jetzt mögen wir schon Verbrecher und Mörder. Wie tief sollen wir<br />

noch sinken?“ Er lächelte. Dann zog er Dana noch enger an sich und flüsterte ihr ins Ohr:<br />

„Was meinst du, sollen wir aufs Bett sinken?“ Er wartete Danas Antwort nicht mehr ab,<br />

sondern nahm die zierliche Frau einfach auf den Arm und trug sie zum Bett hinüber.<br />

Vorsichtig ließ er sich mit ihr darauf nieder und in einem innigen Kuss verbunden ließ er sich<br />

langsam auf das Bett sinken, Dana mit sich nehmend.<br />

*****<br />

Booth war beunruhigt, als man ihn zusammen mit Ziva und Bones abholte und zum<br />

Fahrstuhl brachte. Es ging vier Etagen hoch, allerdings erst nach ein paar Minuten, als<br />

warteten die Wachen auf etwas. Nun wurden sie von Ziva getrennt. <strong>Die</strong> junge Israelin wurde<br />

den Flur nach links hinunter geführt, er und Bones in die andere Richtung. Nervös be-<br />

obachteten Bones und Booth, wie sich vor ihnen einen Tür öffnete. Dann registrierten sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

überrascht, dass ihre Fesseln gelöst wurden. Und ehe sie sich versahen, wurden sie mit einem<br />

vorsichtigen Stoß in den Rücken vorwärts gedrängt. Völlig verwirrt sahen sie sich um. In<br />

diesem Raum, oder einem identischen, waren sie schon gewesen. Bones drehte sich zu Booth<br />

herum und dann lag sie in seinen Armen. „Booth, hoffentlich stirbt Sawyer nicht.“ <strong>Die</strong><br />

Anthropologin schüttelte sich regelrecht. „Er hat so furchtbar geblutet. Was war das bloß für<br />

eine Aktion? Der Wachmann hat den Typen erschossen. Was war da bloß los?“ Booth zuckte<br />

die Schultern und zog Bones zum Bett hinüber. Er war ziemlich fertig, genau wie Tempe.<br />

Was da in den letzten Tagen wieder auf sie eingestürzt war an seelischer Belastung, war nach<br />

allem einfach zu viel. Seit der Sache mit der Scheinhinrichtung waren sie nicht mehr wirklich<br />

zur Ruhe gekommen. Es war Schlag auf Schlag gegangen. <strong>Die</strong> Zeit in der Deprivation, kaum,<br />

dass die Verletzungen von dem Brückenabenteuer abgeheilt waren, und dann sofort diese<br />

grässliche Menschenjagd, die nicht nur den unmittelbar Betroffenen alles abverlangt hatte. Er<br />

seufzte. „Booth? Hast du mir überhaupt zu gehört?“ Bones sah Seeley an. „Ja, entschuldige,<br />

ich hab dir zugehört. Bones, ich weiß es doch auch nicht. Für <strong>mich</strong> sah es so aus, als würden<br />

die Jäger wirklich nicht zu den Leuten hier gehören. Ich vermute, die haben dafür, um ihre<br />

eigenen Leute nicht in Gefahr zu bringen, eine Art Söldnertruppe angeheuert. Und diese<br />

haben beschlossen, Kate und Gibbs mit dem Mord an Dreien von ihnen nicht so davon<br />

kommen zu lassen.“<br />

*****<br />

Als Kate und Sawyer alleine waren, die Tür sich hinter den Wachen geschlossen hatte,<br />

sank Kate vollkommen erledigt auf das Bett. Sie sah Sawyer an, der reglos im Kissen lag, der<br />

Verband an seinem Hals leuchtet weiß, die ungesunde Blässe war wieder der inzwischen<br />

normalen sonnenentwöhnten Blässe gewichen. Er hatte keinen kalten Schweiß mehr auf dem<br />

ganzen Körper und man sah, dass es ihm deutlich besser ging. Kate nahm seine Rechte, in der<br />

Linken steckte der Venenzugang, und hielt sie fest in ihren Händen. Sie merkte gar nicht, dass<br />

ihr unaufhörlich Tränen über die Wangen kullerten. Minutenlang saß sie einfach nur da, sah<br />

Sawyer an und beobachtete seine ruhigen, tiefen Atemzüge, die seine Brust beruhigend hoben<br />

und senkten. Sie war so unendlich müde und kaputt, hatte jedoch schreckliche Angst davor,<br />

einzuschlafen und nicht mit zu bekommen, wenn etwas mit Sawyer sein sollte. Sie merkte<br />

nicht, wie ihr langsam die Augen zu fielen. Im Sitzen schlief Kate ein. Und zuckte zusammen,<br />

als sie plötzlich spürte, dass Sawyer sich bewegte, dass seine Hand in ihren Händen zuckte.<br />

Sofort war sie wieder voll da. Sawyer kam zu sich. Langsam öffnete er die Augen.<br />

Desorientiert flackerte sein Blick herum, bis er an Kate hängen blieb. „Hey, Freckles ... Wo<br />

sind wir? Was ist passiert?“ Er wollte mit der Linken an seinen Hals fassen, merkte aber<br />

rechtzeitig, dass in seiner Handrückenvene ein Katheter mit einem Schlauch daran steckte. Er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu erinnern. <strong>Die</strong> Auspeitschung, dann wollte<br />

der Typ ihm die Kehle durchschneiden, Kate, die verzweifelt schrie, ein Schuss, ein heftiger<br />

Schmerz am Hals ... Dann Schwärze. Alles, was dann kam, war wie in Watte gepackt. Er<br />

konnte sich nicht erinnern, was danach geschehen war.<br />

Kate brauchte ein paar Sekunden, um wieder klar zu werden. Dann stotterte sie über-<br />

wältigt: „Sawyer ... Wie fühlst du dich?“ Sie löste ihre Linke von seiner Hand und strich ihm<br />

unendlich zärtlich über die Wange. „Fühlen? Weiß nicht, als ob ich ausgepeitscht worden<br />

wäre? Mein Rücken brennt furchtbar. Und mein Hals ... Was ist eigentlich zum Schluss<br />

passiert?“ Kate wollte gerade antworten, als die Tür zu ihrem Raum aufging und ein Wach-<br />

posten herein kam. Der Mann fragte Sawyer: „Wie geht es dir?“ Sawyers Augen weiteten sich<br />

erstaunt. „Geht so.“, antwortete er kurz. „Hier.“ Der Wachposten warf Kate etwas zu, was<br />

diese verdutzt auffing. „Für seinen Rücken. Wenn ihr was Essen wollt, ihr wisst ja, wie es<br />

geht.“ Der Posten drehte sich herum und verließ das Zimmer wortlos. Kate starrte auf das,<br />

was er ihr zugeworfen hatte. Eine kühlende Wundsalbe. „Schaffst du es, dich auf die Seite zu<br />

drehen, ohne dir den Infusionsschlauch heraus zu reißen?“ „Ich schaffe noch ganz andere<br />

Sachen.“, ächzte Sawyer und versuchte, sich auf die Seite zu rollen. Er biss die Zähne zu-<br />

sammen und schaffte es tatsächlich. Kate war erschrocken, als sie erstmals seinen Rücken<br />

sah. <strong>Die</strong> verdammte Peitsche hatte unzählige, blutunterlaufene Striemen hinterlassen, an<br />

einigen Stellen war die Haut aufgerissen und schon verschorft. Kein Wunder, dass Sawyer der<br />

Rücken wehtat. Kate drückte einen Strang von der Salbe aus der Tube und begann, so vor-<br />

sichtig wie möglich, Sawyers Rücken sanft damit einzureiben.<br />

Er zuckte immer wieder heftig zusammen, wenn sie an aufgeplatzte Hautstellen kam,<br />

aber alles in allem brachte ihm die herrlich kühlende Salbe eine ganze Menge Erleichterung.<br />

Schließlich hatte Kate es geschafft. Und Sawyer wusste nicht, ob er sich wieder auf den<br />

Rücken drehen, oder lieber so liegen bleiben sollte. Kate nahm ihm die Entscheidung ab.<br />

„Bleib so liegen, das wird sicher angenehmer für dich sein, ich werde dich stützen, okay.“ Sie<br />

schlüpfte aus ihrem Kittel und kuschelte sich vorsichtig an Sawyers Rücken, was dieser mit<br />

einem wohligen Seufzen quittierte. Sie schlang den Arm um ihn und tastete nach seiner Hand,<br />

klammerte sich an dieser fest. Sie konnte nicht mit ihm über all das Reden, was passiert war.<br />

Zu müde und erschöpft war sie, als dass sie sich noch länger hätte wach halten können. Und<br />

sie spürte, dass es Sawyer nicht anders ging. Er sagte nichts mehr, sondern schlief fast un-<br />

mittelbar ein, kaum, dass das Brennen auf seiner Haut nachgelassen hatte. Und auch Kate<br />

versuchte nicht mehr, wach zu bleiben. Sie wusste, sie würde spüren, wenn mit Sawyer etwas<br />

sein sollte. Sie schloss die Augen, flüsterte leise: „Ich liebe dich so sehr.“, und war ein-<br />

geschlafen, bevor die letzten Worte verklungen waren.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Abby bekam nicht mehr viel mit, sie dümpelte am Rand der Besinnungslosigkeit<br />

herum. Sie hätte alles getan, damit der Typ hinter ihr endlich aufhörte, ihr weh zu tun. Als<br />

dann jedoch der Schuss erklang, kehrte ihr Verstand noch einmal an die Oberfläche zurück.<br />

Sie merkte, dass der Mann, der ihr so schrecklich wehgetan hatte, sie los ließ. Dass der Typ<br />

hinter Sawyer diesen im Zusammenbrechen noch lebensgefährlich verletzte, konnte Abby<br />

nicht wirklich sehen, die Säulen, an die sie gefesselt waren, verhinderten den Blick. Gibbs<br />

jedoch hatte einen Logenplatz neben Kate an der Wand. Er hatte die Eskalation der ganzen<br />

Situation mit Schrecken beobachtet. Als die Kerle drohten, Sawyer und Abby die Kehlen<br />

durchzuschneiden, war ihm speiübel geworden. Nacktes Entsetzen in den Augen, hatte er zu-<br />

sehen müssen, wie der Mistkerl Abbs brutal in die Haare griff und ihren Kopf in den Nacken<br />

bog. Dann hatte sich die Tür geöffnet und die nächsten Minuten liefen eigenartig unwirklich<br />

ab. Gibbs beobachtete, wie die Wachen Sawyer und Kate von den Fesseln befreiten. Sawyer<br />

wirkte zu dem Zeitpunkt wie unter Schock. Mit heftig zitternden Händen versuchte er fahrig,<br />

die tiefe Schnittwunde an der linken Halsseite mit der Hand abzudecken, hatte jedoch keine<br />

Chance, die heftige Blutung zu stoppen. Zwei der Wachen packten ihn und mit Kate im<br />

Schlepptau verschwanden sie so schnell es ging nach draußen, um Sawyer zu einem der Ärzte<br />

zu schaffen.<br />

Als nächstes hatte Gibbs beruhig gesehen, dass der Dreckskerl, der Abby bearbeitet<br />

hatte, von zwei der verbliebenen Wachen raus geschafft wurde. Dann endlich befreite man ihn<br />

ebenfalls von den Fesseln, und wie vorher Kate bei Sawyer, eilte Gibbs sofort zu Abby<br />

hinüber, fing die junge Frau, die zusammen sackte, kaum, dass ihre Hände los gemacht<br />

worden waren, auf. Wimmern klammerte sie sich an den NCIS Agent und flüsterte panisch:<br />

„Bitte, Gibbs, die sollen mir nicht mehr wehtun, bitte, Gibbs ...“ Tränen in den Augen er-<br />

widerte Gibbs beruhigend: „Niemand wird dir mehr wehtun, Abbs, niemand.“ <strong>Die</strong> letzten<br />

Wachposten gaben Gibbs ein Zeichen, ihnen zu folgen. Gibbs nickte. Mit Abby auf dem Arm,<br />

die sich schluchzend an ihn klammerte, ging es den Flur entlang und schließlich blieben sie<br />

vor einer Tür stehen, die sich in diesem Moment öffnete. „Bring sie da rein und leg sie aufs<br />

Bett, mach schon.“ Gibbs betrat den Raum, stellte fest, dass er wie das Zimmer eingerichtet<br />

war, in dem er nach dem Black Box Aufenthalt hatte verschnaufen dürfen und legte Abby auf<br />

das große Doppelbett. Sorgfältig deckte er sie zu und wollte sich dann auf die Bettkante<br />

setzen. „Komm.“, bekam er jedoch den Befehl. Flehend sah er den Wachmann an und dieser<br />

erklärte: „Sie wird gut versorgt werden. Los jetzt, Abmarsch.“ Verzweifelt sah Gibbs Abby<br />

an, beugte sich dann zu ihr herunter, gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn und sagte:<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Halt durch, Kleines.“ Dann folgte er mit vor Müdigkeit und Erschöpfung zitternden Beinen<br />

der Wache.<br />

Er wurde durch den Flur zu einer anderen Tür geführt, die sich öffnete. „Rein da.“<br />

Wortlos gehorchte Gibbs. Ein weiterer Erholungsraum. Erstaunt sah er Locke auf dem Sofa<br />

der kleinen Sitzgruppe hocken. <strong>Die</strong> Tür schloss sich hinter ihm und es hätte nicht viel gefehlt,<br />

und Gibbs wären die Beine weg gesackt. Locke hatte genau so verblüfft aufgeschaut, als die<br />

Tür sich plötzlich öffnete und Gibbs herein getrieben worden war. Jedoch sah er sofort, in<br />

welch jämmerlichem Zustand der Agent war, sprang auf, eilte zu Gibbs hinüber und ver-<br />

hinderte so, dass dieser wirklich zusammen brach. Sorgsam führte er den NCIS Mann zu dem<br />

breiten Bett in der einen Zimmerecke. Vor Schwäche am ganzen Körper zitternd ließ Gibbs<br />

sich auf das Bett sinken und eine Minute später bereits war er tief und fest eingeschlafen. <strong>Die</strong><br />

ganze Anspannung der letzten Tage fiel von ihm ab und nichts und niemand hätte noch ver-<br />

hindern können, dass er einschlief. Locke stand einen Moment neben dem Bett, sah den<br />

Schlafenden an und dachte - Was habt ihr bloß alles durchmachen müssen. Hoffentlich lassen<br />

sie uns jetzt alle eine Weile in Ruhe. - Dann kehrte Locke zum Sofa zurück, ergriff das Buch,<br />

in dem er gelesen hatte, und machte es sich wieder bequem.<br />

*****<br />

Ziva war genervt. Sie konnte nicht fassen, dass man die Bildübertragung ausgerechnet<br />

in dem Moment abbrach, in dem es darum ging, was mit ihren Kollegen geschehen würde.<br />

Dass man sie kurz danach aus dem Kerker geholt hatte, zusammen mit den restlichen Ge-<br />

fangenen, hatte der jungen Mossad Spionin ein ungutes Gefühl gegeben. Waren sie fällig,<br />

wieder irgendeinen verworrenen Test machen zu müssen? Genervt und verzweifelt ließ Ziva<br />

sich durch einen Flur führen. Nachdem sie den Fahrstuhl verlassen hatten, war sie von Bones<br />

und Booth getrennt worden. Jetzt blieb die Wache vor einer Tür stehen, die sich in diesem<br />

Moment öffnete. <strong>Die</strong> Fesseln wurden ihr gelöst und der Mann drückte ihr eine Salbentube in<br />

die Hand. Ziva sah den Kerl an, eine Augenbraue hoch gezogen, als hätte dieser den Verstand<br />

verloren. - Gib mir doch lieber eine Büroklammer, mein Freund, und ich werde dir bei-<br />

bringen, wie man damit auf achtzehn verschiedene Arten jemanden wie dich umbringen kann.<br />

- dachte die junge Frau. Der Wachposten gab ihr einen kleinen Stoß in den Rücken und<br />

zischte leise: „Los, vorwärts. Mach schon.“ Ziva betrat also den Raum und riss die Augen<br />

überrascht auf. „Abby.“<br />

Abby zuckte erschrocken hoch, als die Tür auf ging. Ihr Rücken tat so weh, sie wusste<br />

nicht, wie sie liegen sollte. Und sie hatte schreckliche Angst, hier alleine zu sein. Als sie ver-<br />

97


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schwommen Ziva auf sich zu eilen sah, schluchzte sie auf. „Ziva ...“ Ziva war schon bei der<br />

Kollegin und vergaß in diesem Moment völlig, dass sie mit Frauen eigentlich nicht konnte.<br />

Ohne auch nur eine Sekunde inne zu halten setzte sie sich auf das Bett zu Abby und nahm<br />

diese beruhigend in ihre Arme. „Ganz ruhig, Abby, es ist vorbei. Du bist in Sicherheit, es<br />

kann dir nichts mehr geschehen. Ich passe auf dich auf.“ Ziva achtete darauf, nicht an Abbys<br />

Rücken zu kommen. Sie hatte Angst davor, wie dieser aussehen mochte. Als Abby sich<br />

schließlich ein wenig beruhigt hatte, sagte Ziva sanft: „Lass <strong>mich</strong> mal nach deinem Rücken<br />

sehen, Abbs, leg dich auf den Bauch, okay.“ Abby nickte erschöpft und legte sich auf den<br />

Bauch. Ziva erschrak ein wenig. Feuerrote, blutunterlaufene, zum Teil aufgerissene Striemen<br />

über dem ganzen Rücken verteilt, genau so hatte sie es sich vorgestellt. Ziva öffnete den<br />

Kittel und half Abby, diesen auszuziehen. Dann sah sie sich die Salbentube an. Kühlende<br />

Heilsalbe. Jetzt verstand sie. Sie drückte Abby einen Salbenstrang auf den Rücken und be-<br />

gann erstaunlich vorsichtig, die Salbe auf Abbys Rücken zu verteilen. Abbs zuckte immer<br />

wieder leise wimmernd zusammen und Ziva entschuldigte sich wieder und wieder.<br />

Schließlich keuchte Abby auf: „Wenn du dich noch einmal entschuldigst, David, bringe ich<br />

dich um.“ Ziva lächelte und sagte dann: „Tschuldigung.“<br />

Angespannte Entspannung<br />

Nulla est redemptio ex infernis.<br />

Gregor Brand<br />

Mulder wachte langsam auf. Verwirrt bemerkte er, dass er Dana im Arm hielt und<br />

öffnete überrascht die Augen. Dann kam schlagartig die Erinnerung vom Vortag wieder in<br />

ihm hoch. Durch seine Bewegung wachte nun auch Dana auf. Nicht minder verwirrt, aber<br />

ebenso schnell in die Realität zurück gerissen. Sie drehte sich zu Mulder herum und nuschelte<br />

leicht verschlafen: „Morgen, Schatz, gut geschlafen?“ Mulder stöhnte genervt. „Morgen.<br />

Nicht wirklich, ich habe mir einen Schwachsinn zusammen geträumt, da würden sich jedem<br />

Therapeuten die Nackenhaare aufstellen.“ Dana lachte leise. „Glaube nur nicht, mir wäre es<br />

anders gegangen. Ich habe die halbe Nacht damit verbracht, Heather aus der Schlucht zu<br />

bergen. Und weil das so schön war, habe ich in der anderen Hälfte dann Adern von der Größe<br />

eines Gartenschlauches flicken müssen, die kaum repariert an einer anderen Stelle löchrig<br />

wurden.“ Dana streckte sich. „Wie es Sawyer wohl geht.“ Mulder schnaufte frustriert auf.<br />

„<strong>Die</strong> Frage ist, ob es ihm überhaupt noch geht.“<br />

98


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er drehte sich herum und stand auf. Der Agent verschwand im Bad und Dana hörte die<br />

Dusche rauschen. Sie rollte sich auf den Rücken und starrte geistesabwesend zur Decke. Und<br />

schrak heftig zusammen, als plötzlich die Tür ihres Zimmers aufsprang und ein Wachposten<br />

herein marschiert kam. Er stellte wortlos ein abgedecktes Tablett auf den Couchtisch und ver-<br />

schwand wieder, ohne Dana eines Blickes zu würdigen. <strong>Die</strong> Agentin zog irritiert die Augen-<br />

brauen hoch. Was war das gewesen? Sie stand auf und zog ihren Kittel verkehrt herum über.<br />

Dann ging sie zum Tisch und hob den Deckel vom Tablett. Dass eine Kaffeekanne darauf<br />

stand, war klar zu erkennen. Als sie den Rest sah, konnte sie es kaum glauben. Spiegeleier mit<br />

Tost und Speck, zwei Äpfel, zwei frische Croissants, Butter, Käse, Milch und Zucker für den<br />

Kaffee. Es hätte nicht viel gefehlt und Dana hätte sich in den Arm gekniffen, um sich zu<br />

überzeugen, dass sie nicht noch schlief. Gerade kam Mulder aus dem Bad, ein Handtuch um<br />

die Hüften gewickelt und sah erstaunt zu Dana hinüber. „Was ist das?“, fragte er. „Das wirst<br />

du nicht glauben. Schau dir das an.“ Mulder warf einen kurzen Blick auf das hervorragende<br />

Frühstück und stutzte. „Was soll denn das? Wen wollen die denn jetzt bestechen? Was da<br />

wohl drin ist.“ Dana grinste. „Weißt du was, Mulder? Das ist mir vollkommen gleichgültig.<br />

Wir haben seit Monaten kein Obst gegessen. Von Croissants ganz zu schweigen. Ich habe<br />

Hunger. Und wenn die uns vergiften wollen, okay, dann sterbe ich wenigstens satt.“ Sie setzte<br />

sich an den Tisch und nahm sich ihren Teil des Frühstücks vom Tablett und fing genüsslich<br />

an zu essen.<br />

Mulder stand noch da und beobachtete Dana mit verkniffenem Gesichtsausdruck. Der<br />

Duft des gebratenen Speckes füllte den Raum, nachdem der Deckel gelüftet worden war. Ihm<br />

lief das Wasser im Munde zusammen. Er hatte selbst Hunger. Dana kaute selig auf dem<br />

Croissant herum und sah Mulder an. Sie grinste und reichte ihm eine Serviette. „Hier, du<br />

tropft alles voll ...“ Mulder sah sie giftig an. „Hast du eine Ahnung, was du da gerade in dich<br />

hinein stopfst?“ Dana nickte mit vollem Mund. Sie schluckte und erklärte dann locker: „Ja,<br />

Schatz. Spiegeleier aus dem Schlaraffenland, gebratenen Speck aus dem Himmel und ein<br />

Croissant aus dem Paradies.“ Mulder verzog total genervt das Gesicht. „Du bist eine Hexe.“<br />

Er seufzte. „Ach, verdammt, sollen sie <strong>mich</strong> doch vergiften.“ Er setzte sich an den Tisch und<br />

fing nun endlich auch an zu essen.<br />

*****<br />

Locke wachte davon auf, dass eine Tür geräuschvoll geöffnet wurde. Erstaunt sah er<br />

auf. Wo war er? Dann schoss ihm die Erinnerung an den vergangenen Tag in den Kopf.<br />

Sawyer. John fuhr im Bett in die Höhe und weckte mit dieser hastigen Bewegung Gibbs, der<br />

99


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neben ihm im Bett noch geschlafen hatte. „Was ist los, was gibt es ...?“ Hektisch sah der<br />

NCIS Agent sich um. Locke deutete auf den Couchtisch. „Frühstück, vermute ich.“, sagte er<br />

lakonisch. „Was?“ Gibbs verstand nichts. „Wo sind wir?“ Bevor Locke ihm noch Antwort<br />

geben konnte, kam Gibbs selbst die Erinnerung. „Oh, ich weiß ... <strong>Über</strong>flüssig zu fragen, ob du<br />

was von Sawyer oder Abby und von den anderen gehört hast, oder?“ „Mehr als überflüssig.<br />

Ich bin eben erst aufgewacht, als unser Zimmerservice kam.“ John ging zum Tisch und lüftete<br />

den Deckel des Tablettes. „Meine Herren. Gibbs, steh auf, das ist Frühstück, und was für<br />

eines.“ Locke setzte sich auf den Sessel und verteilte die Teller mit Spiegeleiern, Speck und<br />

den anderen guten Sachen. Er schenkte Kaffee in beigestellte Becher und als Gibbs sich zu<br />

ihm gesetzt hatte, nahm er seinen Kaffeebecher und trank ganz langsam einen Schluck der<br />

braunen, heißen, wundervoll schmeckenden Flüssigkeit. „Wunderbar.“ Locke machte sich<br />

über das Frühstück her. Er beobachtet seinen überraschenden Zimmergenossen aus dem<br />

Augenwinkel. <strong>Die</strong>ser stocherte geistesabwesend auf dem Teller herum. Schließlich fragte<br />

Locke ruhig: „Gar keinen Hunger?“<br />

Gibbs sah ihn an. Er schnaufte frustriert. „Ob Sawyer noch lebt? Er hat genau gewusst,<br />

was auf ihn zu kommt und hat trotzdem sofort ebenfalls versucht, die Aufmerksamkeit der<br />

Kerle auf sich zu lenken.“ Locke nickte. „Ja, das konnten wir auf dem Monitor sehen. <strong>Die</strong><br />

<strong>Über</strong>tragung brach erst ab, als Kate und Sawyer losgebunden wurden. Danach haben wir<br />

nichts mehr mit bekommen.“ Gibbs murmelte „Aha. Viel war dann auch nicht mehr. Sie<br />

haben Sawyer und Kate im Eiltempo raus geschafft und uns dann ebenfalls befreit. Ich durfte<br />

Abby in eines der Gästezimmer bringen, dann haben sie <strong>mich</strong> schon hier her zu dir gebracht.<br />

Ich weiß nicht einmal, was aus Abbs geworden ist. Das macht <strong>mich</strong> wahnsinnig.“ Locke hörte<br />

ruhig zu. Dann sagte er: „Das verstehe ich absolut, Gibbs, aber wenn du hungerst wirst du<br />

davon auch nicht erfahren, was mit Sawyer und Abby ist. Das oberste Gebot hier muss<br />

weiterhin heißen, alles zu tun, um bei Kräften zu bleiben, sonst sind wir wirklich verloren.“<br />

Gibbs verzog das Gesicht. „Was meinst du denn, was das hier soll? Das ist doch nichts weiter<br />

als die Vorbereitung auf die nächste Qual. Es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis es<br />

einen oder mehrere von uns erwischt. Wir wissen ja nicht einmal, ob Sawyer überhaupt noch<br />

lebt. Vielleicht ist er verblutet.“ Locke nickte. „Du hast selbstverständlich Recht, Gibbs, aber<br />

selbst, wenn dem so ist, hilfst du niemandem, wenn du dich hier selbst schwächst, in dem du<br />

keine Nahrung zu dir nimmst.“ Gibbs schaute den eigenartigen Mann an und schmunzelte<br />

dann kurz. „Was ist so lustig?“ Gibbs nahm Messer und Gabel in die Hand. „Wenn ich Tony<br />

wäre, hätte ich jetzt von Gibbs eine Kopfnuss bekommen ...“ „Wer ist Tony?“ „Einer meiner<br />

Leute. Er bettelt häufig um Schläge, weißt du, und ich tue ihm den Gefallen ...“ Gibbs fing an<br />

zu Essen.<br />

100


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Cameron wachte in House’ Armen auf. Sie genoss das Gefühl, einfach nur mit Greg<br />

zusammen im Bett zu liegen, seine Wärme zu spüren und ihn zu beobachten, während er<br />

schlief. Sie hatte sich drei Jahre lang vorgestellt, wie es wäre, in House’ Armen einzuschlafen<br />

und neben ihm aufzuwachen. Jetzt, wo sie dieses Gefühl kennen gelernt hatte, wünschte sie,<br />

sie hätte öfter die Gelegenheit, es zu genießen. Cameron blieb noch eine Weile in den Armen<br />

ihres Chefs liegen, stand aber schließlich auf, um Duschen zu gehen. Sie wusste nicht, wie<br />

lange sie noch in diesem Raum würden bleiben dürfen, also wollte sie den Luxus einer heißen<br />

Dusche noch einmal genießen, bevor man sie wieder in ihre Zellen brachte.<br />

Das Geräusch des rauschenden Wassers weckte House und er beschloss, Allison ein<br />

wenig Gesellschaft zu leisten. Er reckte sich, stand auf und gesellte sich zu der jungen Ärztin.<br />

Allison dreht sich zu House herum, als sie hörte wie der Duschvorhang zur Seite geschoben<br />

wurde. Greg zog die junge Frau in seine Arme. „Da haben wir schon mal Zeit für ein bisschen<br />

Zweisamkeit und du schleichst dich aus dem Bett, um unter der Dusche zu verschwinden.<br />

Was soll ich davon halten?“, fragte der Diagnostiker in gespielt verletztem Ton. Cameron<br />

lachte. „Im Bett hatte ich nur dich und du hast auch noch geschlafen. Hier habe ich dich -<br />

wach und aufmerksam - und heißes Wasser so viel ich will. Das ist ein gutes Geschäft.“<br />

House grinste. „Du wirst gierig, Cameron. Ich habe einen schlechten Einfluss auf dich.“,<br />

stellte er anerkennend fest. Allison zog House näher an sich und ließ ihn ihren nackten Körper<br />

spüren. „Möchtest du wissen wie schlecht?“, fragte sie und ließ ihre Stimme verführerisch<br />

klingen. „Unbedingt.“ House griff mach der Flasche mit dem Duschgel und begann Camerons<br />

Körper ausgiebig einzuseifen, wobei er an einigen Stellen länger verharrte als an anderen.<br />

Allison schloss die Augen und genoss seine zärtlichen Berührungen. „Lass uns wieder ins<br />

Bett gehen.“, schlug sie schließlich vor. „Ich dachte, du wolltest alles auf einmal.“, stellte<br />

House grinsend fest. „Das war, bevor meine Haut anfing, schrumpelig zu werden.“, lachte die<br />

junge Frau. In Wahrheit war sie besorgt, dass das lange stehen House Schmerzen bereiten<br />

würde, aber das würde sie ihm nicht einmal unter Folter sagen. Stattdessen stellte sie das<br />

Wasser ab, trocknete sich eilig ab und zog House mit sich ins Bett.<br />

Als Allison wenig später verschwitzt wieder in Gregs Armen lag, ging plötzlich die<br />

Tür auf. Cameron zuckte zusammen und zog schnell die Bettdecke bis zur Brust hoch und<br />

House zog die junge Frau instinktiv beschützend an sich. Doch der Wachposten, der herein<br />

kam, zeigte keinerlei Interesse an dem Paar im Bett, sondern stellte nur wortlos ein Tablett<br />

auf dem Tisch ab und verschwand wieder. Verwirrt sahen House und Cameron einander an,<br />

dann zuckte House mit den Achseln, zog seinen Kittel über und humpelte zum Tisch hinüber.<br />

101


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron streifte ebenfalls den Kittel über und folgte ihm. Als Greg den Deckel vom Tablett<br />

hob, staunten die beiden Ärzte nicht schlecht. „Wow, jetzt gibt es hier plötzlich Zimmer-<br />

service. Nur die Marmelade haben sie mal wieder vergessen. Typisch für diesen Saftladen.“,<br />

kommentierte House. Cameron lachte und begann begeistert, ihr Croissant mit Butter zu be-<br />

streichen, während House sich über die Spiegeleier her machte.<br />

*****<br />

Sara hatte ausgiebig geduscht und saß neben Gil, der immer noch tief und fest schlief,<br />

im Bett. Sie wusste, wie erschöpft Gil nach den Strapazen der letzten Tage sein musste und<br />

wollte ihn nicht wecken. Trotzdem wünsche sie sich, er würde aufwachen und ihr Gesell-<br />

schaft leisten. Sie hatte furchtbare Angst um ihn gehabt und hatte sich nichts sehnlicher ge-<br />

wünscht, als Gil endlich wieder in die Arme schließen zu können. Und jetzt, wo sie endlich<br />

wieder zusammen waren, schlief er nur. Nach einer Weile wurde Sara durch das Öffnen der<br />

Tür aus ihren Gedanken gerissen. Eine Wache brachte ein Tablett herein. Auch Sara war erst<br />

einmal zusammen gezuckt als die Tür sich öffnete, weil sie befürchtete, dass man sie schon<br />

wieder in ihre Zellen bringen würde, oder schlimmeres. Aber der Wachmann verließ den<br />

Raum genauso schnell wie er ihn betreten hatte. Sara stand auf und hob den Deckel von dem<br />

Tablett. Einen Moment betrachtete sie das gute Frühstück erstaunt, dann stand sie auf um<br />

Grissom nun doch zu wecken. „Gil, Zeit zum Aufstehen.“, sagte sie sanft. Gil öffnete langsam<br />

die Augen und sah Sara verschlafen an. „Der Zimmerservice war da. Sie haben uns ein<br />

richtigen Frühstück gebracht.“ <strong>Die</strong>se Information half Gil, schneller richtig wach zu werden<br />

und ein paar Minuten später saßen er und Sara zusammen am Frühstückstisch.<br />

Nachdem sie aufgegessen hatten fragte Gil: „Ist alles in Ordnung, Sara? Du bist so<br />

still.“ „Ja, alles in Ordnung.“, antwortete Sara kurz angebunden, ohne Gil anzusehen. „Sara,<br />

ich kenne dich lange genug, um zu merken, wenn dich etwas belastet. Bitte rede mit mir.“<br />

Sara sah Gil in die Augen. „Hast du eine Ahnung, wie es für <strong>mich</strong> war, zu sehen, wie du von<br />

diesen Schweinen gejagt und verletzt wurdest? Ich habe mir nichts so sehr gewünscht, wie zu<br />

dir gebracht zu werden und dich wieder in den Armen zu halten. Ich wollte dir gestern zeigen,<br />

wie viel du mir bedeutest, aber ich hatte keine Gelegenheit dazu, du bist sofort eingeschlafen.<br />

Und als eben die Tür aufgegangen ist, da dachte ich, sie würden uns schon wieder abholen,<br />

um wer weiß was mit uns anzustellen. Ich dachte, wir hätten vielleicht unsere letzte Chance<br />

vertan, uns noch einmal nahe sein zu können.“ Sara liefen Tränen über die Wangen. Gil stand<br />

auf und zog sie in seine Arme. „Aber das haben wir nicht. Ich weiß nicht, was uns hier noch<br />

bevorsteht. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir noch viele gemeinsame Jahre vor uns<br />

haben. Aber wir haben diesen Moment. Ich liebe dich, Sara. Mehr als ich mit Worten sagen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kann. Lass <strong>mich</strong> dir zeigen, wie viel du mir bedeutest.“ Sara nickte und ließ sich von Gil zum<br />

Bett führen, wo er begann, langsam und zärtlich jeden Zentimeter ihres Körpers zu küssen, als<br />

wäre es das erste Mal, das er die Chance hatte, sie zu berühren. Oder das letzte Mal.<br />

*****<br />

„Guten Morgen.“, sagte Jake lächelnd als Heather sich in seinen Armen verschlafen<br />

rekelte. „Morgen.“, antwortete sie und schenkte Jake ein schüchternes Lächeln. „Bist du<br />

schon lange wach?“ „Eine Weile. Ich wollte dich nicht wecken.“ Jake küsste Heather und ließ<br />

seine Hände dabei zärtlich über ihren nackten Körper gleiten. Seine Berührungen weckten in<br />

Heather Erinnerungen an die vergangene Nacht, die die junge Frau erröten ließen. Als Jake<br />

sich schließlich von ihr löste und ihre roten Wangen bemerkte, grinste er. „Nach dem, was wir<br />

gestern Nacht gemacht haben, hätte ich nicht erwartet, dass du rot wirst, sobald ich dich an-<br />

fasse.“ Heather lachte nervös. „Ich werde gerade wegen dem, was wir gemacht haben rot.<br />

Jedes Mal, wenn du <strong>mich</strong> streichelst oder küsst, denke ich daran, was du mit deinen Händen<br />

und Lippen noch tun kannst.“, gestand sie verlegen. Jakes Grinsen wurde breiter. Er hatte<br />

schon eine schlagfertige Bemerkung auf den Lippen, aber als er die Unsicherheit in Heathers<br />

Gesicht sah, zog er sie sanft an sich und küsste sie zärtlich. „Ich liebe dich.“, sagte er schlicht.<br />

„Ich liebe dich auch, Jake.“ Heather schmiegte sich an ihn und beide genossen es, einander<br />

eine Zeit lang nur in den Armen zu halten.<br />

Nach einer Weile ging die Tür auf. Jake zog schnell die Decke höher, sodass sie<br />

Heather ganz bedeckte und diese rückte instinktiv näher zu Jake. Intellektuell wusste sie<br />

natürlich, dass sie auf diese Art nicht verhindern konnte, von Jake getrennt zu werden, wenn<br />

die Wachen kommen sollten, um sie zurück in ihre Zellen zu bringen. Trotzdem fühlte sie<br />

sich sicher, wenn sie näher an Jake heran rückte. Beide atmeten erleichtert auf, als die Wache<br />

nur ein Tablett auf dem Tisch abbestellte und wieder ging. Sie streiften schnell ihre Kittel<br />

über und staunten, als sie das reichhaltige Frühstück vor sich sahen. „Wow, was ist denn in<br />

die gefahren?“, fragte Jake erstaunt. „Keine Ahnung. Und weißt du was? Das ist mir im<br />

Moment auch völlig egal.“, stellte Heather grinsend fest und begann zu essen. Jake beschloss,<br />

die Gedanken über die Motive der Entführer zu verschieben und langte auch erst einmal herz-<br />

haft zu.<br />

*****<br />

Kate fuhr mit einem erstickten Schrei aus dem Schlaf hoch. Ein weiß bekittelter Mann<br />

stand neben Sawyer am Bett und befreite diesen von der Venenkanüle. Kate starrte den Mann<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

beunruhigt und verängstigt an. Der sah sie nur kurz an, dann klebte er Sawyer, der nicht ein-<br />

mal aufgewacht war, ein Pflaster auf den Handrücken, nickte Kate zu und schob dann das<br />

Tropfgestell aus dem Zimmer. <strong>Die</strong> junge Frau brauchte ein paar Minuten, bis sich ihr heftig<br />

pochendes Herz soweit beruhigt hatte, dass sie sich wieder zurück sinken lassen konnte. Eng<br />

kuschelte sie sich wieder an Sawyer heran und schloss die Augen. Minuten später war sie<br />

wieder eingeschlafen, tief und fest.<br />

*****<br />

Booth wachte davon auf, dass er Geschirr klappern hörte. Verwirrt schlug er die<br />

Augen auf. Vage erinnerte er sich, dass Bones und er in das, oder in eines der Erholungs-<br />

zimmer gebracht worden waren. Wie viele dieser Räumlichkeiten es hier gab, wusste der FBI<br />

Agent natürlich nicht. Seeley merkte, dass er alleine im Bett lag, Bones war offensichtlich<br />

schon aufgestanden. Erstaunt richtete er sich auf und sah sich gähnend um. „Hey, du. Schau,<br />

was wir bekommen haben.“ Tempe stand am Sofatisch und leerte ein großes Tablett, stellte<br />

Teller, Becher, und eine Kaffeekanne auf den Tisch und legte Messer und Gabeln daneben.<br />

Booth traute seinen Augen nicht. „Wann hast du das gemacht?“, fragte er grinsend, und<br />

schwang die Beine aus dem Bett. Er stand auf, und bückte sich nach seinem Kittel, den er<br />

achtlos neben das Bett geworfen hatte. Grinsend schlang er sich diesen um die Hüften. „Ob<br />

die wieder was dagegen haben werden?“, fragte er und kam an den Tisch hinüber. Er beugte<br />

sich zu Bones hinunter und gab ihr einen Kuss. „Hast du gut geschlafen?“ Bones erwiderte<br />

den Kuss liebevoll und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich habe keine Ruhe gefunden.<br />

Weißt du, ich habe schon sehr viel Schreckliches während meiner Arbeit gesehen, Dinge, die<br />

selbst du teilweise nicht problemlos verkraftet hast, aber das gestern, Sawyer, der so entsetz-<br />

lich geblutet hat ...“ Tempe verstummte und sah Booth an. „Ich komme mit meinen<br />

Emotionen nicht mehr klar, Booth. Ich empfinde plötzlich Gefühle, die ich so nie zuvor<br />

kennen gelernt habe. Ich habe Angst, dass ich meinen Job nicht mehr machen kann, wenn wir<br />

hier überleben sollten. Ich habe Angst, dass ich beim Anblick einer verwesten Leiche anfange<br />

zu schreien, statt <strong>mich</strong> auf die Fakten zu Konzentrieren. Ich habe Angst ...“<br />

„Hey, Bones, Bones, nun bleib mal ruhig.“ Booth setzte sich zu Tempe auf das Sofa<br />

und nahm die aufgeregte junge Frau in seine Arme. „Komm schon, Bones, krieg dich wieder<br />

ein. Du bist die Beste, und das wirst du auch bleiben. Du reagierst wie ein Mensch, okay. Du<br />

empfindest etwas für unsere Leidensgenossen, du siehst in ihnen nicht nur Fälle, die es zu<br />

Lösen gilt, du hast Angst um sie, du machst dir Sorgen und du leidest mit, wenn sie leiden.<br />

Du hast menschliche Gefühle. Kein Grund zur Sorge.“ Bones war sich nicht sicher, ob sie<br />

Booth für diese Worte lieben oder hassen sollte. Sie entschied sich für ein Mittelding aus<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

beiden. „Du nimmst <strong>mich</strong> auf den Arm.“ Booth lächelte liebevoll und zog Tempe noch enger<br />

an sich, gab ihr einen Kuss. „Werde nur nicht zu menschlich, damit komme ich dann wohl<br />

nicht mehr klar.“ Er warf einen Blick auf das herrliche Frühstück. „Hast du auch solchen<br />

Hunger?“ Bones lachte. „Ich mag keine Spiegeleier.“ Sie sah auf ihren Teller hinunter. „Und<br />

schon gar nicht mit Speck.“ Sie griff sich die Gabel und das Messer und schnitt sich dann ein<br />

Stück Toast mit Spiegelei ab und stecke es sich wohlig aufseufzend in den Mund.<br />

„Wunderbar.“<br />

*****<br />

Abby schrecke mehrmals in der Nacht auf. Immer wieder waren es grässliche Alb-<br />

träume, die die junge Frau aus dem Schlaf rissen. Mal sah sie Gibbs, von Pfeilen durchbohrt.<br />

Mal sah sie Ziva, zerschmettert am Grunde der Schlucht. Dann wieder träumte sie von<br />

Sawyer, der in einer immer größer werdenden Blutlache in ihrer Zelle lag, Sie versuchte ver-<br />

zweifelt, die Blutung zu stoppen, doch kaum hatte sie eine Stelle abgedichtet, sprudelte es an<br />

einer anderen Stelle um so heftiger. Zwei Mal hatte sie durch ihre im Schlaf ausgestoßenen<br />

Schreie Ziva ebenfalls geweckt. Und jetzt wachte sie wieder auf, erneut aufgeschreckt, dies-<br />

mal jedoch von einem Geräusch, nicht von einem Traum. Ein Wachposten war im Zimmer<br />

und stellte etwas auf den Tisch. Auch Ziva hatte die leisen Geräusche, die das verursachte,<br />

offensichtlich gehört, denn die junge Israelin schreckte hoch und ihre Hand fuhr in einer ab-<br />

solut flüssigen Bewegung unter ihr Kopfkissen. Abby sah diese Geste mit gemischten Ge-<br />

fühlen. Was Ziva dort zu finden gehofft hatte, wollte Abbs lieber gar nicht wissen. <strong>Die</strong><br />

Mossad Agentin schnaufte genervt. „Was hat der Arsch da gebracht?“ Sie schwang ge-<br />

schmeidig die Beine aus dem Bett, griff ihren Kittel, den sie auf dem Nachtschrank deponiert<br />

hatte und schlüpfte verkehrt herum hinein, sodass sie ihn vorne zusammen raffen konnte. Sie<br />

ging zum Tisch und sah, dass es ein großes, abgedecktes Tablett war, auf dem eindeutig eine<br />

Kaffeekanne zu erkennen war. „Abby, es gibt Kaffee.“<br />

Abby stand ebenfalls auf. Kurz wurde ihr schwindelig, dann hatte sich ihr Blutdruck<br />

gefangen. „Was macht dein Rücken?“ Ziva sah Abby besorgt an. „Brennt. Vielleicht kannst<br />

du mir noch einmal von der Salbe ...“ Abby verstummte mitten im Satz und starrte auf das<br />

Tablett. „Das glaube ich nicht. Was soll denn das nun wieder werden? Wollen die uns für die<br />

nächste Horroraufgabe stärken?“ „Vielleicht ist da was drin? Drogen? Oder ... Oh, man, ich<br />

höre <strong>mich</strong> schon an wie Mulder. Das ist ja nicht zu fassen. Komm, lass uns deinen Rücken<br />

verarzten und dann werden wir uns das Frühstück schmecken lassen.“ Ziva schüttelte über<br />

sich selbst den Kopf. Abby drehte sich herum und ließ Ziva ihren Rücken erneut mit der<br />

kühlenden Salbe behandeln. Dann setzten sich die zwei Frauen an den Tisch und ließen sich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

das unerwartete Frühstück schmecken. Als alles aufgegessen war und sie noch eine weitere<br />

Tasse Kaffee genossen, sagte Abby leise: „Macht es dich auch so fertig, nicht zu wissen, was<br />

mit Sawyer, Gibbs und den <strong>Anderen</strong> ist?“ Ziva hatte schon ein Nein auf der Zunge, gestand<br />

sich dann aber selbst ein, dass es sie sehr wohl extrem bedrückte. Sie hatte die meisten Mit-<br />

gefangenen inzwischen wirklich gerne, zusammen durch gestandene Gefahren schweißten<br />

einfach auch emotional zusammen. So sagte sie ehrlich: „Ja, Abbs, das ist eine grausame<br />

Taktik der Entführer, uns im Unklaren über das Schicksal der <strong>Anderen</strong> zu lassen. Ich wüsste<br />

auch gerne, was mit Sawyer ist, und wie es Gibbs, Kate und den <strong>Anderen</strong> geht. <strong>Die</strong> halten uns<br />

so geschickt unter Spannung.“<br />

*****<br />

Sawyer wachte langsam auf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Dann<br />

setzte langsam und Häppchenweise die Erinnerung an das, was am Vortag geschehen war,<br />

wieder ein. Sawyer merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Das stundenlange<br />

Warten, ohne zu wissen, was mit Kate war. <strong>Die</strong> Hoffnung, zu Kate gebracht zu werden, als<br />

man Abby und ihn abgeholt hatte, dann der eiskalte Schrecken, als sie in diesen Folterraum<br />

gebracht worden waren. Der Anblick Kates, an die Wand gekettet. Abby und er zwischen die<br />

Säulen gefesselt. <strong>Die</strong> grausame Auspeitschung. Und schließlich ... Plötzlich sah er die Bilder<br />

klar vor sich, seine Erinnerung setzte schlagartig wieder ein. Seine Hand tastete leicht zitternd<br />

nach dem festen Verband an seinem Hals, dort, wo ihn der erschossene Mistkerl noch im Zu-<br />

sammenbrechen mit dem Rasiermesser erwischt hatte. Sawyer konnte nicht verhindern, dass<br />

das Zittern seiner Hände auf seinen Körper übergriff. Er meinte, sein Blut noch immer am<br />

Hals hinunter laufen zu fühlen, zu spüren, wie es aus der Halsschlagader pulsierte. Er<br />

schluckte schwer und versuchte, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Kate. Wo war<br />

sie? Er drehte sich vorsichtig herum. Da lag sie, noch tief und fest schlafend. Einen Moment<br />

sah er sie einfach nur an. Sie sah selbst im Schlaf verängstigt, überfordert und vollkommen<br />

fertig aus. Das er nichts, aber auch gar nichts tun konnte, um ihr zu helfen, machte Sawyer<br />

wiederum völlig fertig.<br />

Er rollte sich sehr vorsichtig herum und wollte aus dem Bett steigen, um zur Toilette<br />

zu gehen. Es blieb jedoch ein frommer Wunsch, denn kaum hatte er sich aufgesetzt und die<br />

Beine vom Bett geschwungen, wurde ihm schlagartig schwindelig und speiübel. Er keuchte<br />

erschrocken und davon wachte Kate auf. Wie elektrisiert schoss sie hoch. „Sawyer? Was ist?<br />

Ist alles in Ordnung?“ Panik schwang in ihrer Stimme mit. Sawyer sank zitternd und flach<br />

und schnell atmend wieder in die Waagerechte zurück. Schlagartig war ihm extrem kalt ge-<br />

worden. Mit klappernden Zähnen versuchte er, Kate zu beruhigen. „Ja, es ist alles in Ordnung<br />

106


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

... Mach dir keine Sorgen.“ „Du hörst dich auch genau so an, als wäre alles in wunderbarer<br />

Ordnung.“, schnaufte Kate besorgt. Sie hatte sich aufgerichtet und strich Sawyer nervös mit<br />

der Hand einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Mir ist nur etwas ... zitterig ... und schlecht.“,<br />

stieß Sawyer gequält hervor. „Bin wohl zu schnell hoch gekommen.“ Kate zu bitten, ihm ins<br />

Bad zu helfen, war ihm absolut unmöglich. Er wartet, bis sich der Schwindel gelegt hatte und<br />

ihm auch nicht mehr so schlecht war. Dann versucht er erneut, sich aufzusetzen, diesmal<br />

langsam und vorsichtig. Das klappte deutlich besser. „Kommst du klar?“ Kate sah ihn besorgt<br />

an. Kurz nickte Sawyer, dann wankte er langsam und vorsichtig ins Bad. Minuten später kam<br />

er zurück. Auf halbem Weg zum Bett fingen seine Beine bedenklich an zu zittern und er wäre<br />

um Haaresbreite einfach zusammen gesackt, wäre Kate nicht augenblicklich zu ihm geeilt, um<br />

ihm zu helfen. Sie stützte ihn und führte ihn zum Bett zurück. Unendlich erleichtert ließ er<br />

sich wieder in die Waagerechte sinken. Er fror erbärmlich und zitterte vor Schwäche am<br />

ganzen Leib. Kate standen Tränen der Angst in den Augen. Warum kann nicht wieder ein<br />

Arzt, um nach Sawyer zu sehen.<br />

Ein Arzt kam nicht, aber die Tür zu ihrem Raum ging auf und eine Wache kam herein,<br />

mit einem Tablett in den Händen und stellte dies kommentarlos auf dem Couchtisch ab. Unter<br />

dem Arm hatte der Mann noch einen zusammen geklappten Betttisch, den er nun ebenfalls<br />

auf den Tisch legte. Dann verschwand er ohne ein Wort nach draußen. Kate wartete neben<br />

Sawyer, seine Hand haltend, bis dieser sich ein wenig berappelt hatte, dann ging sie zum<br />

Tisch hinüber und lüftete den Deckel, der über dem Tablett lag. Ihre Augen weiteten sich. Sie<br />

eilte zu Sawyer zurück, half ihm, sich aufzusetzen und stopfte ihm ihr Zudeck in den Rücken.<br />

Dann klappte sie den Betttisch auseinander und stellte den Teller mit den Spiegeleiern, einen<br />

Becher Kaffee, das Croissant und den Apfel auf das kleine Tischchen, legte Besteck dazu und<br />

trug dann das Ganze zu Sawyer ans Bett. „Wenn du etwas im Magen hast, wirst du dich<br />

sicher besser fühlen, Schatz.“, sagte sie liebevoll. Er nickte verbissen und fing an zu essen.<br />

Langsam und genussvoll aßen die Beiden ihr Frühstück. Als Sawyer aufgegessen hatte, nahm<br />

Kate das Betttischchen weg und fragte ihn: „Willst du dich wieder hinlegen?“ Sawyer<br />

schüttelte den Kopf. „Nein, lass <strong>mich</strong> ruhig eine Weile sitzen, okay. Wie geht es deinem<br />

Bein?“ „Besser, es tut kaum weh. Das hat House wirklich gut verarztet. Aber, sag, wie fühlst<br />

du dich? Tut der Schnitt weh? Und ein Rücken?“ Sawyer lächelte schwach und griff nach<br />

Kates Hand. „Mach dir keine Sorgen, Freckles, ich komme schon wieder auf die Beine.“ Kate<br />

wollte etwas erwidern, wurde aber davon unterbrochen, dass die Tür erneut geöffnet wurde.<br />

Sie sah überrascht auf und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. In den Raum kamen<br />

Dana und Mulder gestolpert.<br />

*****<br />

107


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bones und Booth hatten nach dem Frühstück die günstige Gelegenheit genutzt und<br />

waren unter die Dusche gegangen, lange und ausgiebig. Sie waren noch dabei, sich abzu-<br />

trocknen, als die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde und zwei Wachen herein kamen. „An-<br />

ziehen.“, wurden sie instruiert. Sie beeilten sich, dem Befehl Folge zu leisten und drehten sich<br />

dann sicherheitshalber auch gleich herum, die Hände auf den Rücken legend. Im Stillen<br />

dachte Booth - Das war es mit der Herrlichkeit, ich hab es ja gewusst. - Resigniert hatte er<br />

den Kopf hängen lassen. Bones ging es nicht anders. Auch sie befürchtete das Schlimmste.<br />

<strong>Die</strong> Karabinerhaken ihrer Handreifen schlossen sich und die Wachen nahmen sie an den<br />

Oberarmen. Sie wurden über den Flur geführt und schließlich mussten sie vor einer Tür<br />

stehen bleiben. <strong>Die</strong> Handfesseln wurden geöffnet und die Tür vor ihnen ging auf. „Rein da.“<br />

Booth und Bones stolperten vorwärts und rissen die Augen auf. Ein Zimmer, identisch mit<br />

dem, in dem sie die Nacht verbracht hatten, und in dem Bett saß Sawyer. Dana und Mulder<br />

saßen bei ihm und Kate stand hinter Sawyer und hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt.<br />

<strong>Die</strong> vier sahen vollkommen überrascht auf, als Bones und Booth in das Zimmer stolperten.<br />

Einen Moment standen sie steif da und versuchten, zu erfassen, was sie sahen. Dann eilten sie<br />

zum Bett hinüber und Bones beugte sich herunter, umarmte Sawyer freudig. <strong>Die</strong>ser wurde<br />

feuerrot vor Verlegenheit.<br />

Schon als Mulder und Dana ihn unendlich erleichtert umarmt hatten, hatte der Süd-<br />

staatler vor Verlegenheit kein Wort heraus gebracht. Jetzt wirkte er, als würden ihm jeden<br />

Moment die Tränen kommen. Als Booth ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug und<br />

dann zufrieden sagte: „Mensch, Junge, tut gut, dich noch unter uns zu haben.“, schluckte er<br />

schwer. Er setzte an, etwas zu erwidern, schaffte es aber nicht, einen Ton heraus zu bringen.<br />

Kate spürte, was in dem Südstaatler vorging. Er hatte nie Freunde gehabt, hatte nie jemanden<br />

so nah an sich heran gelassen. Und nun merkte er, dass er den Mitgefangenen etwas bedeutet,<br />

dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatten und froh waren, dass er noch lebte. Das war fast<br />

mehr, als er im Augenblick emotional verkraften konnte. Und er hatte keine Gelegenheit, sich<br />

zu fangen, denn Minuten später, Mulder, Dana, Booth und Bones hatten sich ebenfalls erfreut<br />

begrüßt und auch Kate herzlich in die Arme genommen, ging die Tür erneut auf. <strong>Die</strong> Ver-<br />

blüffung wuchs bei allen Beteiligten ins unermessliche, als in kurzen Abständen hinter<br />

einander nun tatsächlich auch alle anderen Gefangenen zu Kate und Sawyer gebracht wurden.<br />

<strong>Die</strong> Letzten, die eintrafen, und völlig verwirrt um sich guckten, waren House und Allison.<br />

„Was ist hier denn los? Wir dachten, wir sollen nach unserem Lieblingspatienten gucken.“<br />

Allison eilte zu Sawyer hinüber und nahm diesen ebenfalls herzlich in die Arme. „Hey, wie<br />

fühlst du dich?“ Sawyer schluckte. Dann sagte er überwältigend ehrlich: „Beschissen.“ Ziva<br />

und Abby, die Gibbs begeistert begrüßt hatten, hockten auf dem Bett, ebenso wie Heather und<br />

108


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison. Sara hatte sich neben Gil auf das Sofa gequetscht, auf dem auch Locke und House<br />

Platz genommen hatten. Jake, der auf der kleinen Anrichte in der Ecke einen Platz gefunden<br />

hatte, fragte: „Kann uns mal jemand aufklären, was passiert ist, nachdem Sara und ich ab-<br />

geholte worden waren?“<br />

Sawyer hätte keinen Ton hervor gebracht, Kate ebenfalls nicht, und so erzählte<br />

schließlich Gibbs in groben Zügen, was passiert war. Heather wurde immer blasser. Jake<br />

schüttelte ungläubig den Kopf. „Das kann ja wohl alles nicht wahr sein. <strong>Die</strong> haben also unter-<br />

einander auch nicht gerade Einigkeit. Mensch, Sawyer, das tut mir so leid. Das war mehr als<br />

knapp, was?“ An Stelle Sawyers, der abwesend vor sich hin starrte, nickte Kate. „Ja, das war<br />

es. Wenn ich das geahnt hätte ...“ Sie schluckte. Einen Moment herrschte Schweigen. Dann<br />

meinte Gibbs leise: „Sein wir froh, dass wir da draußen nicht vor die Entscheidung gestellt<br />

worden sind.“ Mulder beobachtete Sawyer aus dem Augenwinkel und bemerkte, dass dieser<br />

emotional schwer angeschlagen war. So versuchte er, die allgemeine Aufmerksamkeit von<br />

dem Südstaatler abzulenken. „Heather, was macht überhaupt dein Auge?“ Heather lächelte<br />

dankbar. „Oh, das wird wieder. Es brennt kaum noch und ich konnte vorhin schon wieder fast<br />

ohne Schleier auf dem Auge gucken. Ich hatte wirklich Todesangst, als das Vieh so plötzlich<br />

zischend vor mir lag. Und als ich abgerutscht bin ...“ Sie schauderte im Nachhinein. Abby<br />

legte der jungen Frau den Arm um die Schulter. „Was glaubst du, was wir uns erschreckt<br />

haben. <strong>Die</strong> Kamera dort war ja so angebracht, dass wir nicht erkennen konnten, wie tief du<br />

fielst. Du warst einfach weg.“ Abby sah zu Jake hinüber und nickte diesem freundlich zu. „Es<br />

war schrecklich ...“, flüsterte der leise.<br />

*****<br />

Vielleicht eine Stunde durften die Gefangenen zusammen verbringen, dann wurden sie<br />

nach und nach wieder abgeholt und in ihre Räume zurück gebracht. Das überraschte be-<br />

sonders die, die keine Verletzten zu beklagen hatten. Mulder und Dana ließen sich auf das<br />

Sofa sinken und unterhielten sich über die plötzliche Großzügigkeit ihrer Gastgeber. „Was<br />

hältst du von dem eigenartigen Verhalten? Worauf läuft das wieder hinaus, Mulder? ...<br />

Mulder. .... Hey, Erde an Mulder, bitte melden.“ Der FBI Agent zuckte zusammen, als Dana<br />

ihn an der Schulter packte und leicht schüttelte. „Was? Entschuldige, Scully, ich war mit den<br />

Gedanken ganz woanders.“ „Ach, was du nicht sagst. Das ist mir doch tatsächlich auch auf-<br />

gefallen.“ Dana lachte leise. „Sag schon, wo warst du?“ Mulder seufzte. „Nun, bei Kate und<br />

Sawyer. Ist dir aufgefallen, wie fertig der war? Nicht wegen der Verletzung, er ist wirklich<br />

gut versorgt worden von House, nein, ich meine emotional.“ Dana nickte. Sie stand auf, ging<br />

an den kleinen Kühlschrank und schaute hinein. „Cola?“, fragte sie den Partner. „Ja, gerne.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dana griff sich zwei Dosen Cola aus dem Kühlschrank und ging zurück zu Mulder. „Er hat<br />

extreme Probleme damit, dass jemand ihn mag. Und nun sind es so viele Leute, die ihn<br />

mögen. Damit ist er hoffnungslos überfordert, wie es aussieht. Er tut mir leid, sein Leben<br />

muss ein einziger Trümmerhaufen sein. Von dem Tag an, als sein Vater die Mutter und dann<br />

sich selbst erschoss, dürfte Sawyer mehr oder weniger durch die Hölle gegangen sein. Es ist<br />

kein Wunder, dass er niemanden an sich heran lassen mag. Er muss kolossale Bindungsängste<br />

haben. Ich vermute mal, dass er damals nach dem Horror sicher keine Therapie bekommen<br />

hat. Das er sich in Kate so heftig verliebt hat, wird ihm schon mehr Kopfzerbrechen bereiten<br />

als ihm lieb ist.“ Mulder nickte. „Wenn er noch alleine wäre, Kate nicht kennen gelernt hätte,<br />

ich glaube, er hätte sich hier schon lange umbringen lassen.“<br />

Angst<br />

Begründetes Misstrauen und berechtigte Hoffnung - wie oft werden doch beide<br />

getäuscht.<br />

Luc de Clapiers Vauvenargues<br />

House und Allison hatten, bevor man sie in ihren Raum zurück brachte, noch den Be-<br />

fehl bekommen, Sawyers und Kates Wunden zu überprüfen. Ein Wachposten hatte einen<br />

kleinen Laborwagen mit Verbandmaterial, Wunddesinfektion und Blutdruckmessgerät herein<br />

gerollt und den beiden Ärzten den knappen Befehl gegeben, nach den Wunden zu sehen. So<br />

hatte House sich um Sawyer gekümmert und Cameron hatte Kates Wunde angeschaut.<br />

Sawyers Rücken sah schon deutlich besser aus. House hatte einige Stellen vorsichtig ein<br />

wenig gereinigt, was Sawyer ab und zu ein leises Zischen entrissen hatte. Dann hatte Greg<br />

den Südstaatler gebeten, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen und den Verband von der<br />

Schnittwunde entfernt. Sawyer hatte unwillkürlich die Luft angehalten, aber House hatte ihn<br />

schnell beruhigt. „Sieht hervorragend aus. Ich bin einfach gut.“ Ein ganz kurzes Lächeln war<br />

bei diesen Worten über Sawyers Gesicht gehuscht. House hatte die Wunde neu verbunden,<br />

dann hatte er bei Sawyer den Blutdruck überprüft. Der war ein wenig niedrig, aber das würde<br />

sich in ein bis zwei Tagen auch gegeben haben. House hatte gegrinst und Sawyer erklärt:<br />

„Lauf nicht so viel draußen herum, trink in den nächsten Tagen keinen Alkohol und iss viel<br />

rohes Fleisch und Gemüse, dann bist du schnell wieder ganz fit.“ Sawyer hatte genickt.<br />

„Werde ich mir merken. Und, wie sieht es aus?“ „Mach dir keine Sorgen, Tex. Sieht wirklich<br />

gut aus, okay. Das wird problemlos verheilen und du wirst uns erhalten bleiben. Ruh dich aus,<br />

110


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

solange sie uns lassen. Das gilt auch für dich, Kate, verstanden? Wir wissen nicht, was diesen<br />

Arschlöchern als nächstes einfällt.“<br />

Wieder in ihrem Zimmer machten House und Cameron es sich auf der Coach bequem.<br />

House legte die Arme um Cameron und sie schmiegte sich an ihn. „Glaubst du, dass es<br />

Sawyer besser geht?“, fragte sie. „Klar, er wirkte doch schon wieder ziemlich fit, als wir ihn<br />

untersucht haben.“, erwiderte House überrascht. Cameron war eine gute Ärztin, sie musste<br />

gesehen haben, dass es Sawyer schon viel besser ging. „Das habe ich nicht gemeint. Dass es<br />

ihm körperlich besser geht, ist mir klar. Aber er wirkte irgendwie… abwesend. Als wüsste er<br />

nicht, wie er damit umgehen soll, dass Kate und wir anderen uns um ihn sorgen.“ House<br />

dachte einen Moment über seine Antwort nach. Normalerweise hätte er einen Scherz ge-<br />

macht, um nicht zu viel von sich selbst und seinen Gefühlen preis zu geben. Aber in dieser<br />

Situation war das etwas anderes. Er hatte einfach nicht mehr die Kraft, Allison von sich weg-<br />

zustoßen. Und im Grunde wollte er das auch nicht mehr, auch wenn der Gedanke, jemanden<br />

so nah an sich heran zu lassen, dass er es nicht würde ertragen können, ihn zu verlieren, ihm<br />

immer noch eine Heidenangst machte. Besonders jetzt, wo er jeden Tag damit rechnen<br />

musste, dass diese Schweine Allison etwas antun würden. „Es kann einem ziemliche Angst<br />

machen, plötzlich Menschen zu haben, die sich um einen Sorgen, wenn man das vorher nicht<br />

kannte. Besonders wenn man merkt, dass einem das viel zu gut gefällt.“, sagte er schließlich<br />

leise.<br />

Cameron drehte sich so, dass sie House in die Augen sehen konnte. Sie wusste, dass<br />

Greg nicht nur von Sawyer sprach. „Jeder Mensch sollte jemanden haben, der sich um ihn<br />

sorgt und um den er sich sorgen kann. Sicher ist es ein Risiko, sich auf einen anderen<br />

Menschen einzulassen. Man hat immer Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren. Aber<br />

wenn man nichts zu verlieren hat, was hat man dann überhaupt noch?“ House musste nicht<br />

lange über die Antwort nachdenken. „Freiheit. Man kann tun und lassen, was man will, ohne<br />

darüber nachzudenken, welche Konsequenzen das für andere hat.“ Cameron sah House nach-<br />

denklich an. „Ist diese Freiheit es wirklich wert, dafür auf alles andere zu verzichten? Liebe,<br />

Geborgenheit, jemanden, der einen tröstet, wenn man allein nicht mehr weiter weiß?“<br />

<strong>Die</strong>smal dachte House lange über seine Antwort nach. „Nein.“, antwortete er schließlich.<br />

Allison lächelte und küsste House zärtlich. Anschließend zog House sie wieder eng an sich.<br />

„Ich dachte bisher, dass es das wert wäre. Ich habe früh gelernt, dass man sich das Leben ein-<br />

facher macht, wenn man niemanden nah genug an sich heran lässt, dass irgendetwas, dass er<br />

tut oder lässt dich berühren könnte. Ich habe schon als Kind so gedacht. Mein Vater war ein<br />

Arsch. Ein guter Soldat, aber ein lausiger Vater. Er hat von klein auf versucht, <strong>mich</strong> zu<br />

Disziplinieren, wie seine Soldaten. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, hat er <strong>mich</strong> im<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Garten schlafen lassen, bei Wind und Wetter, oder in Eiswasser baden. Ich habe schnell ge-<br />

merkt, dass das leichter zu ertragen war, wenn ich mir nicht erlaubt habe, darüber enttäuscht<br />

zu sein, dass mein Vater <strong>mich</strong> nicht geliebt hat. An den körperlichen Aspekt der Strafen habe<br />

ich <strong>mich</strong> mit der Zeit gewöhnt. Und emotional war es leichter zu ertragen, als ich mir nicht<br />

mehr erlaubt habe, etwas anderes als Hass und Verachtung für meinen Vater zu empfinden.<br />

Als ich älter wurde habe ich <strong>mich</strong> dann von anderen Menschen mehr und mehr abgeschottet.<br />

Ich hatte Bekannte, aber keine Freunde, Affären, aber keine Beziehungen. Bis Stacy in mein<br />

Leben trat. Ich habe sie an <strong>mich</strong> heran gelassen und das war ein Fehler. <strong>Die</strong>sen Fehler wollte<br />

ich nie wieder machen. Deswegen habe ich dich weggestoßen.“ Cameron waren bei Gregs<br />

Schilderungen die Tränen gekommen. Als er fertig war, streichelte sie sanft seine Wange und<br />

küsste ihn zärtlich. „Ich bin nicht Stacy, Greg. Ich liebe dich seit drei Jahren. Egal, wie du<br />

dich benommen hast, egal wie oft du <strong>mich</strong> weggestoßen hast, ich habe nie aufgehört dich zu<br />

lieben. Du wirst <strong>mich</strong> nicht los, hast du verstanden?“<br />

*****<br />

Ziva und Abby waren erstaunt, dass man sie in den Raum zurück brachte und nicht in<br />

ihre Zellen. Abby wankte stöhnend zum Bett und ließ sich darauf sinken. „Das kann nicht<br />

angehen, ich bin ganz platt, von dem bisschen ...“ Sie ließ sich seufzend in die Waagerechte<br />

gleiten und deckte sich zitternd vor Schwäche zu. Ziva sah die Kollegin an. „Das liegt mehr<br />

an deinem psychischen Zustand als am Physischen. Wir alle sind ziemlich fertig, dass hier<br />

steckt keiner von uns mehr ohne Schaden zu nehmen weg. Wenn die tatsächlich noch irgend-<br />

was von uns wollen, sollten sie es bald verlangen, sonst wird kaum noch einer in der Lage<br />

sein, ihnen nützlich zu sein.“ Abby wurde langsam wieder wärmer. „Was glaubst du, warum<br />

sind die plötzlich so nett zu uns? Irgendwie glaubt man es nicht. <strong>Die</strong> werden sicher schon den<br />

nächsten Scherz für uns in petto haben.“ Ziva ging an den Kühlschrank und griff zwei Dosen<br />

Cola Light, warf Abby eine zu. „Ich weiß nicht, was das hier wieder zu bedeuten hat, aber du<br />

kannst absolut davon ausgehen, dass es nichts Gutes sein wird. Bisher hatten die nie Gutes<br />

mit uns vor.“ Abby trank einen Schluck Cola. Dabei grübelte sie vor sich hin. „Denkst du oft<br />

an ... zuhause, an Tim, Tony, Ducky und daran, wie ... Weißt du, Ziva, ich glaube, wenn wir<br />

je wieder hier raus kommen, werde ich mir Tim schnappen und ihm all das sagen, was ich<br />

ihm nie gesagt habe, weil ich nicht wollte, dass er es weiß. Ziva?“ Ziva zuckte zusammen. Sie<br />

hatte bei der Erwähnung Tonys traumverloren vor sich hin gestarrt. „Er bedeutet dir eine<br />

ganze Menge, unser Tony, was?“ Abby lächelte Ziva verständnisvoll an. <strong>Die</strong>se zog auf ihre so<br />

typische Art die Augenbraue hoch. „Blödsinn. Er ist ... nett und ein absoluter Kindskopf. Ich<br />

würde ihn nach einer Woche umbringen.“ Abby lachte. „Ich wundere <strong>mich</strong> immer, dass Gibbs<br />

ihn noch nicht umgebracht hat.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> beiden jungen Frauen versuchten in den nächsten Stunden, nicht immer nervöser<br />

zu werden. <strong>Die</strong>ses Gefühl, dass eine neue Gefahr wie ein Damokles - Schwert über ihnen<br />

schwebte, machte besonders Abby schwer zu schaffen. Sie wurde immer zappeliger. Ziva war<br />

da stoischer veranlagt. Dass sie ein wirklich hervorragendes warmes Essen serviert bekamen,<br />

bestehend aus Lachsfilet, Salzkartoffeln, Sauce Hollandaise und zum Dessert Obstsalat, rettet<br />

die Stimmung auch nicht. <strong>Die</strong> Frauen nutzten die Gelegenheit, sich zu unterhalten, aber<br />

irgendwann wurde Abby immer stiller und auch Ziva schwieg schließlich ganz. Lange<br />

herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann sagte Abby leise: „Ziva, ich habe schreckliche<br />

Angst, dass die uns plötzlich so gut behandeln kann unmöglich ein gutes Zeichen sein. Was<br />

haben die bloß mit uns vor. Ich halte das nicht aus.“ Ziva sah die Kollegin an. Abbys wirkte<br />

total verängstigt und schien den Tränen nahe zu sein. Ziva machte sich nichts vor, sie war<br />

selbst ein wenig nervös, sie hatte nur den Vorteil, durch das extrem harte Training beim<br />

Mossad gegangen zu sein. Nichts versetzte die junge Agentin so schnell in Angst und<br />

Schrecken. Abby tat ihr aufrichtig leid. Ziva suchte nach passenden Worten, sie zu beruhigen,<br />

aber ihr fielen beim besten Willen keine passenden Worte ein. So erwiderte sie schließlich nur<br />

leise: „Abbs, wir können es ohnehin nicht verhindern. Es nützt uns nichts, uns vorher schon<br />

verrückt machen zu lassen. Es ist Zeit genug, uns aufzuregen, wenn etwas passiert.“<br />

*****<br />

Heather konnte es nicht fassen. „Schau dir das an. Das ist tatsächlich Lachsfilet.<br />

Wochenlang bekommen wir trocken Brot und Wasser, und jetzt das hier? <strong>Die</strong> sind doch nicht<br />

normal.“ Jake starrte nicht weniger verblüfft auf das Mittag, das sie hier geliefert bekamen.<br />

„Weißt du was? Es ist mir vollkommen egal, selbst, wenn es, wie Mulder sicher vermutet,<br />

vergiftet wurde, ich werde es genießen und sollte ich danach sterben, bin ich satt und mit<br />

einem sehr guten Essen im Magen gestorben.“ Heather sah Jake zweifelnd an. „Lohnt es sich,<br />

für ein gutes Essen zu sterben?“ Sie warf einen Blick auf die Teller, dann nickte sie. „Ja.“<br />

Und schon machte sie sich über das hervorragende Menu her. Als sie später mehr als gesättigt<br />

waren, zog Jake Heather mit sanfter Gewalt zum Bett hinüber. „Komm schon, Kleines, du<br />

solltest dich wirklich ausruhen, nach allem, was hinter dir liegt.“ Heather ließ sich wider-<br />

standslos zum Bett hinüber ziehen und die beiden jungen Leute streckten sich darauf aus.<br />

Heather kuschelte sich eng in Jakes Arme und so lagen sie still beieinander. „Kate ... Sie hat<br />

diesen Dreckskerl einfach so getötete. Jake, wie ist es, einen Menschen zu töten?“<br />

Jake war mehr als überrascht von der Frage. Augenblicklich schoss ihm die Kleine in<br />

Afghanistan in den Kopf. Er würde es sich nie verzeihen können, das Kind versehentlich er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schossen zu haben. Aber das da draußen im Dschungel war natürlich etwas ganz anderes ge-<br />

wesen. Er überlegte, wie er Heather antworten sollte. „Weißt du, Töten ist nie gut, aber es gibt<br />

durchaus Situationen, da fühlt es sich hervorragend an. Kate hat absolut richtig gehandelt.<br />

Schade nur, dass sie und Gibbs nicht mehr von den Mistkerlen in die Hölle schicken konnten.<br />

Dass diese Bastarde Sawyer und Abby dafür killen wollten, zeugt von der Mentalität dieser<br />

Leute.“ Jake drückte Heather fest an sich. „Ich würde liebend gerne ein paar von ihnen um-<br />

bringen, das kannst du mir glauben.“ Heather spürte Jake zittern vor Hass. Sie drehte den<br />

Kopf und gab ihm einen sanften Kuss. „Das würde selbst ich gerne. Ist dir auch aufgefallen,<br />

wie fertig Sawyer gewirkt hat? Das kann nicht die Verletzung an sich sein. Ich glaube, da<br />

spielen bei ihm noch ganz andere Dinge eine Rolle.“ Nach einigen Minuten der Stille fragte<br />

Heather: „Hast du es jemals bereut? Jemanden getötet zu haben, meine ich.“<br />

Jake verkrampfte sich bei der Frage. Er dachte wieder an das kleine Mädchen. Konnte<br />

er Heather wirklich davon erzählen? Würde sie ihn hassen, wenn sie wüsste, dass er ein un-<br />

schuldiges Kind getötet hatte? Heather bemerkte Jakes Anspannung. „Du musst die Frage<br />

nicht beantworten, wenn du nicht willst.“, versicherte sie. Jake sah Heather an. In ihren<br />

sanften blauen Augen konnte er nichts als Liebe und Sorge um ihn erkennen. Jake atmete tief<br />

durch. Wenn es irgendeinen Menschen gab, der ihn trotz seiner Vergangenheit lieben würde,<br />

dann war es Heather. Und sie hatte ein Recht auf die Wahrheit. „Es war bei einem Einsatz in<br />

Afghanistan. Wir waren nur zu viert und waren an dem Tag schon mehrmals beschossen<br />

worden. Wir waren mit den Nerven am Ende. Da war dieses Mädchen… Ich habe sie nur von<br />

weitem gesehen… Sie hatte etwas in der Hand, das aussah wie ein Gewehr. Ich habe einfach<br />

geschossen….Als ich näher kam sah ich, dass sie nur einen Stock in der Hand hatte. Sie war<br />

noch ein Kind, Heather. Vielleicht zehn Jahre alt…. Ich habe ein Kind erschossen…“ Jake<br />

liefen Tränen über die Wangen und er schaffte es nicht, Heather in die Augen zu sehen. <strong>Die</strong><br />

junge Lehrerin zog Jake wortlos näher an sich. <strong>Die</strong>ser wehrte sich nicht dagegen, von ihr in<br />

die Arme genommen zu werden. Er ließ seinen Kopf an ihrer Schulter ruhen, während sie sein<br />

Haar streichelte und ihn sanft auf die Stirn küsste.<br />

*****<br />

Kate hatte Sawyer während des Besuches durch die Mitgefangenen nicht aus den<br />

Augen gelassen. Ihr war sofort aufgefallen, wie angeschlagen er war. <strong>Die</strong> viele positive Auf-<br />

merksamkeit, die ihm zuteilwurde, war ganz offensichtlich zu viel für sein Nervenkostüm.<br />

Als sie wieder alleine waren, legte Kate sich erschöpft zu ihm ins Bett und kuschelte sich eng<br />

an ihn. „Kannst du mir vielleicht mal verraten, was du die ganze Zeit hattest?“, fragte Kate<br />

liebevoll. Sawyer warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu. „Was meinst du?“, fragte er dann<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

leise. „Schatz, du weißt genau, was ich meine. Man könnte denken, du würdest zur Schlacht-<br />

bank geführt werden. Du hattest Besuch, alle haben sich große Sorgen um dich gemacht und<br />

du hast die ganze Zeit gewirkt, als wenn du dich mindestens zur Hölle, wenn nicht noch<br />

weiter weg wünschst. Bitte, Sawyer, was ist los?“ Eine Weile sagte Sawyer nichts, biss sich<br />

kurz auf die Lippe und stieß dann mühsam hervor: „Weiß du, ich habe immer vermieden,<br />

jemanden so nahe an <strong>mich</strong> heran zu lassen, dass mir sein Verlust wehtun könnte. Seit ich alt<br />

genug bin ... Als meine Dad damals ... naja, als er Mum und sich ... Ich bin herum gereicht<br />

worden. <strong>Die</strong> Verwandten meines Vaters haben meine Mutter für die Tragödie verantwortlich<br />

gemacht, die Verwandten meiner Mutter haben ...“ Sawyer musste tief durchatmen. Kate<br />

hörte einfach nur zu. „Sie haben meinen Dad verflucht. Und ich stand irgendwo dazwischen,<br />

keiner wusste und wollte mit einem total verschreckten achtjährigen etwas anzufangen. Das<br />

war allen zu viel. Schließlich landete ich bei meinem Onkel, einem jüngeren Bruder meines<br />

Vaters.“<br />

Wieder machte Sawyer eine Pause. Dann fuhr er fort: „Er hat <strong>mich</strong> ... Er hat <strong>mich</strong> wie<br />

einen Sohn aufgenommen, hat mir meinen Vater wirklich fast ersetzt. Er starb jämmerlich an<br />

einem Hirntumor, da war ich fünfzehn. Danach ... Kate, ich hatte nur noch Angst, verstehst<br />

du? Noch jemanden zu verlieren. Das hätte ich nicht mehr ertragen. Ich wollte nicht einmal<br />

dich so nah an <strong>mich</strong> heran lassen. Ich dachte wirklich, ich könnte dich mitnehmen in die<br />

Staaten und irgendwann absägen, wie alle Frauen bisher. Ich hab es schon vor dem Abflug<br />

gewusst, dass das nicht klappen würde. Und hier ... Hier sind plötzlich so viele Leute, die ...“<br />

Seine Stimme klang, als würde sie jeden Moment brechen. „... die mir was bedeuten und<br />

denen ich was bedeute. Und ich habe panische Angst davor, zusehen zu müssen, wie du ...<br />

Oder wie einer von den <strong>Anderen</strong> ...“ Wieder biss er sich auf die Lippe. „Freckles, wenn dir<br />

hier was zustößt ...“ <strong>Die</strong> Stimme versagte Sawyer endgültig. Kate waren Tränen in die Augen<br />

geschossen. Das hatte Sawyer ihr bisher nicht erzählt. Der Moment, als sein Vater die Wahn-<br />

sinnstat vollbrachte, hatte den kleinen, gerade einmal acht Jahre alten Jungen damals in die<br />

Hölle gestoßen und dort befand er sich ganz offensichtlich immer noch. Kate rollte sich<br />

herum und sah Sawyer an. <strong>Die</strong>sem standen ebenfalls Tränen in den Augen. „Hör mir zu, bitte.<br />

Wir werden den ganzen Mist hier zusammen überleben und wir werden danach zusammen<br />

sein, verstanden. Ich liebe dich. Und ich will dich nie wieder verlieren. Das könnte ich nicht<br />

ertragen. Und, Sawyer, du hast hier Freunde gefunden, okay, genieße das und mach dir des-<br />

wegen doch keine Gedanken, hörst du.“ Kate beugte sich zu Sawyer herunter und ihre Lippen<br />

verschlossen ihm den Mund. Heftig drückte er sie an sich und erwiderte den Kuss voller Ver-<br />

zweiflung und Leidenschaft.<br />

*****<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibbs und Locke hatten sehr dumm geguckt, als das großartige Mittag serviert worden<br />

war. Als sie satt waren, hatte Gibbs im Kühlschrank zwei Dosen Bier gefunden und eine an<br />

Locke weiter gereicht. Dann hatten die Männer sich unterhalten. Locke fragte Gibbs: „Es geht<br />

<strong>mich</strong> zwar nichts an, aber ich habe das Gefühl, dass es dich unglaublich belastet, was mit<br />

deiner Frau und deiner Tochter passiert ist. Vielleicht hilft es dir, darüber zu sprechen.“ Gibbs<br />

sah den anderen Mann ruhig an. Er hatte über Kelly und Shannons Tod mit niemandem je<br />

gesprochen. Aber irgendwie hatte er gegen die ruhigen Worte des geheimnisvollen Mannes,<br />

der Abby und einigen anderen schon das Leben gerettet hatte, keine Abwehrkraft mehr. So<br />

ließ er mit einem leisen Seufzen den Kopf hängen und berichtete dann: „Shannon ist damals<br />

Zeugin eines Mordes geworden. Sie hatte beobachtete, wie ein mexikanischer Drogendealer,<br />

Pedro Hernandez hieß der Mistkerl, einen Marine erschoss. Sie wollte gegen den Bastard aus-<br />

sagen. Shannon war die einzige Belastungszeugin. Hernandez lauerte dem Wagen auf, den<br />

Shannon benutzte, sie wurde aus Sicherheitsgründen gefahren. Der Dealer jagte dem Fahrer<br />

vom NIS, damals hieß der NCIS nur NIS, eine Kugel in den Kopf. ... Der Wagen, er ver-<br />

unglückte und ... meine Familie starb in dem Wrack.“ Locke hatte ruhig zugehört, ohne den<br />

Special Agent zu unterbrechen. Er spürte, dass Gibbs im Fluss war und weiter reden würde.<br />

„Ich war im Irak, 90, Desert Strom, und bekam die Nachricht, dass beide tot waren.<br />

Ich bekam für die Beisetzung Heimaturlaub. Mein späterer Mentor und Vorgesetzter beim<br />

NCIS, Special Agent Mike Franks, war mit der Untersuchung des Falles betraut. Er hatte<br />

heraus gefunden, dass Hernandez sich nach Mexiko abgesetzt hatte und ... Er konnte mir<br />

natürlich nicht offiziell sagen, wo Hernandez sich aufhielt, aber er verließ kurz sein Büro,<br />

lange genug, dass ich in die Akten schauen konnte. Ich fuhr nach Mexiko und erschoss den<br />

Dreckskerl. Dann kehrte ich zu meiner Einheit zurück. Ich geriet in ein Minenfeld und wurde<br />

schwer verletzt. Ich hatte versucht, <strong>mich</strong> umzubringen, weißt du, John. Es hat nicht geklappt.<br />

Ich lag neunzehn Tage im Koma, wachte aber wieder auf. Ich wurde mit dem Silver Star be-<br />

lobigt und quittierte den <strong>Die</strong>nst. Ich ging zum NCIS. Unter Mike Franks wurde ich Special<br />

Agent. Alles, was ich kann, habe ich von ihm gelernt.“ Gibbs schwieg erschöpft. Dass er all<br />

das so ohne weiteres Locke erzählt hatte, erschien ihm komischerweise völlig normal.<br />

John nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Wahrscheinlich hast du dich besser ge-<br />

fühlt, nachdem du Rache geübt hattest.“, sagte er nachdenklich. „Ich bin ein Opfer geblieben,<br />

indem ich meinen Vater bedrängt habe. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Darüber habe<br />

ich die Frau verloren, die ich geliebt habe.“ Gibbs schaute überrascht auf. „Was wolltest du<br />

nicht wahr haben, John?“ „Ich habe <strong>mich</strong> zum Narren gemacht und gedemütigt, indem ich vor<br />

seinem Haus herumgelungert habe in der Hoffnung, ein Wort von ihm zu erhaschen. Ich<br />

116


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wollte nicht glauben, dass mein Vater <strong>mich</strong> eiskalt ausgenutzt hatte, dass das einzige, was er<br />

von mir gewollt hatte, meine Niere gewesen war. Meine Mutter ist von ihm dafür bezahlt<br />

worden, den Kontakt herzustellen. Ich war so glücklich, dass mein Vater <strong>mich</strong> sehen wollte,<br />

dass ich <strong>mich</strong> habe übertölpeln lassen wie ein Schuljunge.“ Bitterkeit klang in Johns Stimme<br />

und er schaute gedankenverloren seine Bierdose an. Gibbs erklärte leise: „Ich kann verstehen,<br />

dass du eine Antwort von deinem Vater wolltest, John. Hast du sie wenigstens bekommen?“<br />

„Sicher habe ich die Antwort bekommen. Er brauchte meine Niere, das war alles.“ „Was war<br />

mit ... Helen, war das nicht ihr Name?“, wollte Gibbs wissen. „Helen wollte nicht, dass ich<br />

<strong>mich</strong> erniedrige und lächerlich mache. Sie hat <strong>mich</strong> vor die Wahl gestellt, mein Vater oder<br />

sie.“ „Und du hast dich entschieden, nehme ich an? Du sagtest, du hast die Frau verloren, die<br />

du geliebt hast. Darf ich daraus folgern, dass du nicht von deinem Vater lassen konntest?“<br />

Gibbs stellte die Frage sehr vorsichtig. „Ich konnte ihn nicht aufgeben, wollte erzwingen, end-<br />

lich irgendwo hin zu gehören.“<br />

*****<br />

Ziva hatte Abby ein weiteres Mal den Rücken eingerieben. Dann hatten beide eine<br />

Weile ihren dunklen Gedanken nach gehangen. Beide versuchten krampfhaft, ihre Gedanken<br />

auf weniger unangenehme Dinge als ihre Angst vor dem, was sie sicher in Kürze erwarten<br />

würde, zu richten. Plötzlich hatte Abby leise aufgelacht. Ziva sah überrascht auf. „Was ist so<br />

komisch?“ Abby grinste. „Erinnerst du dich an unsere kleine Schlägerei, damals, als Gibbs im<br />

Koma lag, nach dem Bombenanschlag auf dem Schiff? Damals habe ich dir nicht getraut. Ich<br />

habe Kate vermisst. Und du warst so ... anders. Ist es wahr, dass Ari dein Halbbruder war?<br />

Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.“ Ziva grinste. Sie erinnerte die<br />

kleine Ohrfeigerei noch lebhaft. Abby entnahm dem Grinsen, das die Kollegin sich sehr wohl<br />

erinnerte. Jetzt sagte die Mossad Agentin: „Ja, das war er. Es fällt mir schwer, darüber zu<br />

reden, verstehst du?“ Ziva zögerte merklich. „Mein Vater ... Er hat es mit der Treue nicht so<br />

genau genommen. Aris Mutter war Palästinenserin, eine Ärztin. Ari wurde von meinem Vater<br />

von Kindheit an auf sein späteres Leben als Hamas Maulwurf vorbereitet. Er hat von 1990 bis<br />

94 an der University Edinburgh Medizin studiert und auch dort promoviert. Auf derselben<br />

Uni war Ducky auch.“ Ziva schwieg. Dann fuhr sie leise fort: „Er hat unseren Vater abgrund-<br />

tief gehasst, weil dieser von dem Anschlag auf das Lazarett im Gaza Streifen, bei dem seine<br />

Mutter starb, wusste, und sie nicht gerettet hat. Ari hat mit seiner Mutter Hosmiyah zu-<br />

sammen in diesem Lazarett gearbeitet. Er war nicht anwesend, als der Anschlag damals<br />

erfolgte.“<br />

117


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Warum hast du es uns nie erzählt? Dass er dein Halbbruder war?“ Ziva lachte<br />

ironisch. „Du hast mir auch ohne dieses Wissen keine Vertrauen entgegen gebracht. Was<br />

glaubst du, was passiert wäre, wenn ihr gewusst hättet, dass der Killer eurer Kollegin mein<br />

Halbbruder war?“ Abby sah Ziva schockiert an. „Du hast natürlich Recht. Keiner hätte dir<br />

vertraut. Ich habe es ohnehin nicht getan, Tony hätte es ebenfalls nicht, und auch McGee wäre<br />

es deutlich schwerer gefallen. Warum war es eigentlich so wichtig für dich, dass Gibbs<br />

offiziell als Todesschütze angegeben wurde?“ Wieder lachte Ziva, diesmal resigniert und ver-<br />

zweifelt. „Ari hatte sehr viele treue und fanatische Anhänger. Wenn die erfahren würden, dass<br />

ich, als seine Führungsoffizierin und Halbschwester den Todesschuss auf ihn abgegeben habe,<br />

wäre mein Leben keinen Shekel mehr wert. Noch dazu, um einen Ungläubigen zu retten.“<br />

Abbs sah Ziva ernst an. „Du hast deinen Halbbruder erschossen, um Gibbs zu retten. Das ist<br />

mir erst jetzt völlig klar geworden, Ziva. Das ist ... unglaublich. Das hätte auch nicht jeder<br />

gemacht. Kein Wunder, dass Gibbs dir uneingeschränkt vertraut. Er hat dir sein Leben anver-<br />

traut. Und das noch bevor er dich überhaupt richtig kannte. Das ist ... wow.“ Irgendwie wurde<br />

Abby die Tragweite dessen, was Ziva getan hatte, erst jetzt wirklich klar. Und dann fiel der<br />

Laborantin ein, das Ziva von einer Schwester gesprochen hatte. „Du hast auch eine<br />

Schwester? Ich ... hab das nicht mehr so ganz im Kopf, was du ... Na ja, was du erzählt hat<br />

während der Befragung.“<br />

Ziva warf Abby einen undeutbaren Blick zu. Zum Teil genervt, zum Teil dankbar für<br />

das Interesse und ganz sicher Dankbar dafür, dass Abby endlich die letzte Scheu abbaute.<br />

Daher beschloss die Israelin blitzschnell, vorbehaltlos ehrlich zu sein und erzählte, leise,<br />

stockend, zögerlich: „Tali und ich waren von unserer Mutter los geschickt worden, zum<br />

Training im Mossad Camp. Auf dem Weg dort hin ... Wir mussten an einer großen<br />

Menschenmenge auf einem Marktplatz vorbei. ... Es war nicht der erste Selbstmordanschlag,<br />

den ich miterlebte. Es gab einen schrecklichen Knall, dann einen Lichtblitz und dann hörte ich<br />

nur noch Schreie. Ich hatte bis auf ein paar Kratzer nichts abbekommen. Um <strong>mich</strong> herum<br />

lagen ... menschliche Arme, Beine, tote Körper ... <strong>Über</strong>all war Blut ... Verletzte schrien,<br />

Menschen suchten in dem Chaos nach ihren Angehörigen ... Und dann sah ich Tali ... Sie lag<br />

nur wenige Schritte entfernt und ihr Bauch ... Sie war regelrecht aufgeschlitzt und versuchte,<br />

ihre Eingeweide ... Ein umher fliegendes Metallteil hatte sie erwischt. Ich bin zu ihr ge-<br />

krochen, hab sie ... Ich habe meine kleine Schwester in den Armen gehalten und dort ... so ...<br />

ist sie gestorben, Abby. Sie war er sechzehn Jahre alt.“ Zum ersten Mal, seit Ziva beim NCIS<br />

war zeigte sie offen ihre Gefühle. Tränen liefen der knallharten, jungen Frau unaufhörlich<br />

über das Gesicht und sie schluchzte. Abby saß auf dem Bett und wusste nicht, was sie tun<br />

sollte. Dann aber warf sie alle <strong>Über</strong>legungen über Bord und eilte zu Ziva auf das Sofa. Fest<br />

118


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nahm sie die junge Frau in die Arme und zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Schwester ließ<br />

Ziva sich fallen.<br />

*****<br />

„Unglaublich, dass Bennett mit seinem Timing so hundertprozentig<br />

Recht hatte. Ich kann es nicht fassen, dass die wirklich anfangen, sich vor-<br />

behaltlos zu öffnen.“<br />

„Selbst David entblättert sich. Bei der hätte ich es am wenigsten er-<br />

wartet. Kaum zu glauben, wirklich.“<br />

„Ja, das ist wirklich erstaunlich. Aber auch Gibbs und Locke, sie geben<br />

mehr von sich preis als in all den Jahren zusammen.“<br />

„Bennett wird unerträglich sein, er wird sich wieder derart selbst beweih-<br />

räuchern, weil er ‚es uns ja gleich gesagt hat’ dass es jetzt der richtige Termin<br />

ist.“<br />

„Ja, aber seien wir doch mal ehrlich, er hat schon ein besonders Feeling<br />

dafür, wann Leute reif für bestimmte Dinge sind.“<br />

„Das spreche ich ihm auch nicht ab. Sonst hätte der Konzern ihn wohl<br />

auch nicht für die horrende Summe engagiert.“<br />

Waffentraining<br />

Auf die Bildung des Charakters haben Zucht und Übung einen bedeutenden<br />

Einfluss.<br />

Samuel Smiles<br />

<strong>Die</strong> nächsten Tage verliefen für die Gefangenen ruhig und einförmig. Sie wurden tat-<br />

sächlich einmal am Tag zu Kate und Sawyer gebracht, wo jeweils nach ihren Verletzungen<br />

gesehen wurde, was immer House, Dana und Cameron übernehmen mussten. <strong>Die</strong> Wunden<br />

verheilten schnell und zufrieden stellend. Auch Sawyer erholte sich zusehends. <strong>Die</strong> Besuche<br />

nahmen ihn auch seelisch nicht mehr so mit, nachdem er bei Kate einmal alles aus sich heraus<br />

gelassen hatte. <strong>Die</strong> Gefangenen versuchten in der Stunde, die sie zusammen verbringen<br />

durften, einfach locker Konversation zu betreiben, sich so normal wie nur möglich zu ver-<br />

halten. Nachdem Sawyer seine Stimme wieder gefunden hatte, wurde sogar herum gealbert<br />

119


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und gelacht. Doch all das konnte nicht die immer deutlicher spürbare Angst bei den Ge-<br />

fangenen verleugnen. Jeder von ihnen erwartete minütlich eine neue Prüfung, Aufgabe, ein<br />

neues Desaster. Dass sie mit sehr guter Nahrung versorgt wurden, drei Mal am Tage, dass sie<br />

zu Trinken bekamen, was sie wollten, sogar Wein, dass sie sich wirklich erholen durften, be-<br />

stätigte ihre Angst nur. Und dann passierte es. Kate und Sawyer zuckten zusammen, als ihre<br />

Zimmertür auf ging. Kate griff unwillkürlich nach Sawyers Hand. „So, wir wollen doch nicht<br />

ganz versauern hier, darf ich dann mal bitten?“ Mit zitternden Beinen standen Kate und<br />

Sawyer auf, ließen sich die Hände auf den Rücken fesseln und wurden aus dem Raum ge-<br />

führt.<br />

In einem anderen Zimmer geriet Heather in Panik, als eine Wache kam und Jake ab-<br />

holte. Außerdem wurden Gibbs, Mulder, Ziva, Bones, Locke und Booth eingesammelt.<br />

Getrennt wurden sie alle in den Keller des riesigen Gebäudes gebracht. Nur, weil sie dort in<br />

einem großen Raum mit Tischen und Stühlen zusammen gebracht wurden und man ihnen die<br />

Fesseln abnahm, beruhigten sich die Gefangenen noch lange nicht. „Scheiße, jetzt sind wir<br />

wohl wieder mal fällig.“, sinnierte Ziva und ließ sich genervt auf einen der Stühle sinken.<br />

Kate stand eng an Sawyer gedrückt da und zitterte am ganzen Körper vor Angst. Sehr viel<br />

besser ging es Bones auch nicht, sie hatte keinerlei Einwände, dass Booth die Arme um sie<br />

gelegt hatte. Gibbs ließ sich neben seiner Agentin auf einen Stuhl sinken und Locke setzte<br />

sich ruhig zu ihnen. „Wir können es ohnehin nicht ändern. Warten wir mal ab, was passieren<br />

soll.“ „Wie sagt der schlaue Japaner? So, wie es ist, ist es gut ...“ Mulder verzog das Gesicht<br />

zu einem ironischen Grinsen und machte eine einladende Geste zu Kate und Sawyer. „Darf<br />

ich neben euch sitzen?“ Unwillkürlich zuckte ein freches Grinsen über Sawyers Gesicht.<br />

„Aber nicht abschreiben.“ Schließlich saßen sie alle und harrten nervös der Dinge, die<br />

kommen würden.<br />

Und dann öffnete sich die Tür des Raumes und zwei Männer kamen herein. Sie waren<br />

anders gekleidet als die Wachen. Geradezu militärisch. Einer der Männer hatte einen großen<br />

Metallkoffer in der Hand, den alle sofort als Gewehrkoffer identifizierten. Langsam wurden<br />

sie neugierig, was das hier werden sollte. Dass man sie kaum hierher gebracht hatte, um sie<br />

mit einem Gewehr zu erschießen, war klar. <strong>Die</strong> schreckliche Nervosität legte sich ganz all-<br />

mählich und machte erwartungsvoller Spannung Platz. Einer der Männer stellte sich an den<br />

Schreibtisch an der Kopfseite des Raumes und der Koffer wurde auf den Schreibtisch gestellt.<br />

Der andere Kerl blieb an der Tür stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und behielt<br />

die Gefangenen sehr genau im Auge. Der Typ am Schreibtisch fing an: „Ich weiß, dass jedem<br />

von euch klar ist, was ich hier habe. In einer Schublade unter der Schreibfläche eurer Tische<br />

findet ihr Block und Stifte. Ihr werdet euch Notizen machen, jedenfalls diejenigen von euch,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die sich mit der Materie nicht so genau auskennen, klar?“ Ganz langsam legte sich die Angst<br />

bei den überraschten Gefangenen immer mehr. Sie nickten verhalten und wurden sofort an-<br />

gefahren: „Habt ihr verstanden?“ Fast im Chor kam die scheinbar gewünschte Antwort. „Ja,<br />

Sir.“ Alle sahen die Schublade, die der Kerl erwähnt hatte, öffneten sie und fanden drinnen<br />

einen großen Schreibblock und zwei Bleistifte. Sie zogen diese Utensilien hervor und legten<br />

sie vor sich auf die Tische. Dann sahen sie aufmerksam nach vorne.<br />

Der Typ hatte gewartet, bis alle Block und Stifte vor sich liegen und sich wieder ihm<br />

zugewandt hatten. Dann fing er an zu reden: „Ihr werdet selbstständig entscheiden, was ihr<br />

euch notieren müsst. Ihr werdet über das, was ihr lernt, Prüfungen ablegen müssen. Solltet ihr<br />

diese nicht bestehen, könnt ihr euch schon mal bei 1 und sechzehn ausführlich nach ihrem<br />

Aufenthalt in der Black Box erkundigen, kapiert?“ „Ja, Sir.“ <strong>Die</strong> unterschwellige Drohung<br />

machte allen sofort klar, dass es besser für ihre Gesundheit war, hier sehr genau aufzupassen.<br />

Zufrieden nickte der Ausbilder. „Nun denn. Es geht um folgendes: Präzisions- oder Scharf-<br />

schützen. Als Präzisionsschütze wird im Allgemeinen ein Schütze bezeichnet, der durch seine<br />

Ausrüstung und Ausbildung in der Lage ist, auf größere Distanz Ziele präzise zu bekämpfen.<br />

Er verfügt jedoch nicht über die Einzelkämpferausbildung eines militärischen Scharf-<br />

schützen.“ Gibbs, Booth, Jake und Ziva waren wirklich sehr überrascht. Sie starrten den Aus-<br />

bilder an, als wäre er ein Schaf mit zwei Köpfen. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> hatten angefangen, sich stich-<br />

wortartige Notizen zu machen. Der Ausbilder sah sie der Reihe nach an und fuhr fort:<br />

„Präzisionsschützen der Polizei haben den Auftrag, durch gezielte Schüsse eine extreme Ge-<br />

fahrensituation abzuwenden, also zum Beispiel Verbrechensopfer zu retten. Außerdem dienen<br />

sie als Beobachter, was in den meisten Fällen ihre einzige Funktion bleibt, und helfen bei der<br />

Planung von Sicherungsmaßnahmen bei gefährlichen Ereignissen. Im Vergleich zu<br />

militärischen Scharfschützen ergeben sich für ihren Einsatz völlig andere Beschränkungen<br />

und Rechtsgrundlagen, bedingt durch die Unterschiede von Polizeirecht und Kriegsrecht.<br />

Auch der eigentliche Einsatz unterscheidet sich grundlegend: Polizeischützen schießen auf<br />

vergleichsweise kurze Entfernungen zwischen fünfzig und hundertzwanzig Metern, während<br />

militärische Scharfschützen Distanzen von bis zu zweitausendfünfhundert Metern abdecken.<br />

Sie stehen dabei in ständigem Kontakt zur Einsatzleitung, die auch das Ziel und den Zeitpunkt<br />

des Schusses klar festlegt. Außerdem müssen Präzisionsschützen der Polizei mit dem ersten<br />

Schuss unbedingt den Straftäter an der Fortsetzung seiner Tathandlung hindern. Hierzu wird<br />

nach Möglichkeit der Hirnstamm des Straftäters anvisiert. Bei Zerstörung des Hirnstammes<br />

wird der Getroffene augenblicklich handlungsunfähig, die so genannte Mannstoppwirkung<br />

oder auch der Finaler Rettungsschuss, und ist auch zu keinen reflexartigen Reaktionen mehr<br />

fähig. Beispielsweise kann er so die Drohung nicht mehr wahr machen, eine Geisel zu töten,<br />

falls auf ihn geschossen wird.“ Der Mann sah die vor ihm sitzenden Gefangenen ruhig an und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sein Blick blieb an Mulder hängen. „Nummer 15, erkläre deinen Freunden, wo ein Schuss<br />

treffen muss, wenn er präzise den Hirnstamm zerstören soll.“ Mulder schluckte. „Ziemlich<br />

genau waagerecht in Nasenhöhe ... Ich habe es einmal erlebt ... Der Getroffene kommt wirk-<br />

lich nicht mehr zum leisesten Zucken ...“ Er schluckte erneut trocken. Bei den Worten liefen<br />

Kate und Sawyer unwillkürlich Gänsehäute über den Rücken. Der Kerl, der Sawyer verletzt<br />

hatte, hatte diese Zeit wohl auch nicht mehr gehabt, jedoch die, im Sterben unwillkürlich<br />

seine Geisel wenn schon nicht zu Töten, so doch noch schwer zu verletzen.<br />

Jetzt machte der Ausbilder eine kurze Pause, um den Gefangenen die Möglichkeit zu<br />

geben, ihre Notizen zu vervollständigen. Dann redete er weiter. „Viele Probleme für<br />

militärische Scharfschützen entfallen im Polizeieinsatz: Tarnung spielt keine so maßgebliche<br />

Rolle wie bei den Streitkräften, da Polizeischützen in der Regel nicht durch Feindaufklärung<br />

und Beschuss bedroht sind und nach der Schussabgabe nicht verborgen bleiben müssen.<br />

Ebenso dauert ein polizeilicher Präzisionsschützeneinsatz nur wenige Stunden, in denen sich<br />

die Schützen abwechseln können. Ein Problem für zivile Präzisionsschützen ist jedoch die<br />

teilweise unterschiedliche Gesetzeslage hinsichtlich des finalen Rettungsschusses in den<br />

einzelnen Bundesstaaten. Auch bei polizeirechtlich vorgesehenem finalem Rettungsschuss<br />

muss die Verhältnismäßigkeit anschließend von der Justiz geprüft werden. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

des polizeilichen Scharfschützenwesens lässt sich mit dem Aufkommen des Terrorismus und<br />

ähnlicher Schwerstkriminalität in den 1970.ger Jahren ansetzen. Habt ihr soweit alles ver-<br />

standen?“ „Ja, Sir.“ „Ich werde euch jetzt einen Hefter geben, in dem die rechtlichen Grund-<br />

lagen für einen finalen Rettungsschuss in den einzelnen Staaten der USA Staaten durch die<br />

Polizeikräfte aufgeführt sind. Ich erwarte, dass ihr sie auswendig lernt!“ „Ja, Sir.“<br />

„Kommen wir nun zum psychologischen Anforderungsprofil. Scharfschützen sollen<br />

besonders stressresistent, ausgeglichen, geduldig und intelligent sein. Ihr alle hier entsprecht<br />

nach unserer Auffassung mehr oder weniger diesem Profil, auch, wenn es in den vergangenen<br />

Wochen oft nicht so ausgesehen hat. <strong>Die</strong>se Fähigkeiten werden benötigt, da Scharfschützen<br />

im Einsatz meistens auf sich gestellt sind, häufig einer sehr monotonen Aufgabe nachgehen<br />

und unabhängig in kleinen Gruppen oder alleine operieren. Deshalb müssen sie in der Lage<br />

sein, Entscheidungen selbstständig zu treffen, auf neue Situationen zu reagieren und zahl-<br />

reiche Informationen auszuwerten. <strong>Die</strong> besondere Einsatzart des Scharfschützen, aus dem<br />

Hinterhalt zu töten und nicht aus einer konkreten Notwehrsituation, kann besondere<br />

psychische Probleme verursachen.“ Der Mann warf Booth einen besagenden Blick zu. „Dazu<br />

wirst du uns nachher einiges erzählen, Nummer 1. Gut, weiter. Beispielsweise lernt der<br />

Schütze während einer Observation, die in besonderen Fällen Stunden oder sogar Tage dauern<br />

kann, das Ziel mit all seinen menschlichen Eigenheiten, Lachen, Essen und anderen Dingen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

des normalen Lebens, kennen und kann dessen Mimik sehen. Gleichzeitig stellen die be-<br />

obachteten Personen keine persönliche Bedrohung dar und wissen oft nicht mal von der<br />

Existenz des Schützen. Dabei kann eine Subjektivierung einsetzen, bei der das Ziel zu einem<br />

Menschen wird, den man zu kennen glaubt. Wenn dann der Befehl zum Schießen kommt, ist<br />

der Schütze nicht mehr in der Lage abzudrücken. Deshalb muss der Schütze psychisch so<br />

stabil sein, auch bei vermeintlicher Individualisierung des Ziels abzudrücken, ohne dabei<br />

übermäßig unter dem von ihm verursachten Tod des Ziels zu leiden. Nicht selten ist wegen<br />

dieser Individualisierung psychologische Betreuung nach einem Einsatz erforderlich. Um dies<br />

psychisch ohne Schaden zu verarbeiten, ist eine stabile Persönlichkeit nötig, die entweder<br />

religiös oder in ihrer eigenen Philosophie verankert ist. Nummer 1, ich möchte, dass du uns<br />

ein wenig zu deinen Gefühlen vor, während und nach einer Eliminierung erzählst.“<br />

Booth schrak zusammen. Er sah den Ausbilder an, stieß: „Ja, Sir.“, hervor und wollte<br />

dann anfangen zu reden. „Nein, du kommst hier zu mir, es sollen doch alle Anwesenden alles<br />

mit bekommen.“ Booth seufzte resigniert und erhob sich. Er marschierte zum Schreibtisch<br />

und stand dort etwas verlegen still. Dann begann er leise zu reden. „Meine Ausbildung zum<br />

Scharfschützen habe ich bei den Army Rangers gemacht, 75.tes Regiment, sie ist also<br />

militärischer Natur. Ich hielt es damals für eine gute Idee, zu den Shooters zu gehen. <strong>Die</strong><br />

psychologische Betreuung der Schützen wurde bei den Rangers großgeschrieben. Vor und<br />

nach jedem Einsatz wurden wir von sehr fähigen Militärpsychologen ausgiebig betreut,<br />

sodass die entstandenen Belastungen relativ gut abgebaut werden konnten. Wir bekamen im<br />

Allgemeinen unsere Ziele genannt und waren zum Großteil für die Ausführung eigenver-<br />

antwortlich. Ich habe im Kosovo mehrere Ziele eliminiert, aber nur General Ahmed Raddick<br />

musste ich zur Erledigung meines Auftrages längere Zeit beobachten. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> waren<br />

flüchtige Bilder, die ich zu erledigen hatte. Ich habe <strong>mich</strong> bemüht, nicht darüber nachzu-<br />

denken, dass es Menschen waren, denen ich die Köpfe weg pustete. Ich bekam schließlich<br />

Bescheid, dass ich eine Möglichkeit finden musste, den Schuss auf Raddick anzubringen.<br />

Dass es ausgerechnet der Tag des Geburtstages seines Sohnes war ... Er wollte am Abend des<br />

Tages eine weitere ethnische Reinigungsaktion durchführen. Ich hatte keine Wahl. Ich lag in<br />

einem Versteck, gute tausendachthundert Meter vom Ziel entfernt. Und ich habe versucht,<br />

jedes Gefühl, wie immer, vollständig auszublenden. Raddick war ein Bastard der übelsten<br />

Sorte und ihn zu Töten war kein Problem. Er war ein Massenmörder, ein eiskalter Killer ohne<br />

Gewissen. Aber sein kleiner Sohn ... Ihm war er ein guter Vater. Und ich musste abdrücken,<br />

gerade, als der kleine Junge mit seinem Daddy seinen Geburtstag feierte. Es hat Wochen ge-<br />

dauert, bis ich <strong>mich</strong> nach dem Einsatz wieder in einem Spiegel betrachten konnte. Den<br />

kleinen Jungen werde ich nie vergessen können, wie er da unter seinen schreienden Spiel-<br />

kameraden stand und auf seinen toten Vater starrte, über und über mit dessen Blut bespritzt.“<br />

123


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth biss sich auf die Lippe und schwieg. „Du kannst dich wieder hinsetzen, Nummer 1.<br />

Nummer sechzehn, wenn ich dich bitten dürfte ...“<br />

Gibbs schmunzelte leicht und erhob sich. „Ja, Sir.“ Er kam nach vorne, stellte sich vor<br />

den Schreibtisch und sagte ruhig: „Meine Ausbildung zum Scharfschützen absolvierte ich bei<br />

den Marines. Ich war in zwei militärischen Einsätzen dabei, einmal 1989 von Mai bis<br />

Dezember bei der Operation Nimrod Dancer in Panama und 1990/91 bei Desert Storm, sowie<br />

einem Geheimauftrag in Kolumbien, in El Bagre. Bei beiden militärischen Einsätzen war es<br />

meine Aufgabe, feindliche Scharfschützen zu finden und zu eliminieren. Ich hatte keine<br />

großen Probleme damit, abzudrücken. Meine Ziele waren Gegner, die genau so wenig ge-<br />

zögert hätten, <strong>mich</strong> auszuschalten. Ich brauchte nie jemanden lange beschatten, meist war ich<br />

alleine unterwegs, suchte mir Ziele und erledigte sie. Wenn die Möglichkeit sich bot, über die<br />

jeweiligen Einsätze mit einem Psychologen zu sprechen, habe ich sie am Einsatzort immer<br />

wahrgenommen. Nach Beendigung der Einsätze wurden die Scharfschützen auch zuhause<br />

weiter betreut, viele hatten diese Betreuung auch nötig. Ich habe selbst häufig den Psycho-<br />

logen aufgesucht, es hat mir immer gut getan.“ Er schwieg. „Was war es für ein Geheimauf-<br />

trag, den du in Kolumbien zu erledigen hattest?“ Gibbs zögerte. Dann erklärte er: „Es ging bei<br />

dem Auftrag um die Eliminierung eines Drogenbarons. Er war der el jefe des Cali Drogen-<br />

kartells, Cesar Castillo. Es gelang mir, ihn zu töten.“ „Nummer sechzehn, was war dein<br />

Scharfschützengewehr?“ Gibbs sah den Ausbilder an. Dann erklärte er: „Ich hatte immer eine<br />

M40A1, Sir.“ „Nummer 1?“ Booth stand auf und erklärte: „M24, Sir. Nur für die Distanz-<br />

schüsse verwendete ich ein McMillan TAC-50.“ Gibbs durfte sich nun ebenfalls setzen. Der<br />

Ausbilder wandte sich an Jake. „Du?“, fragte er kurz. Jake stand auf. „Ich habe mit einer Kate<br />

geschossen, Sir.“ „Erkläre deinen Freunden hier, die nicht wissen, wovon du sprichst, was<br />

eine Kate ist.“ „Ja, Sir.“ Jake wandte sich an die anderen. „Eine Kate ist die Bezeichnung für<br />

die Bravo 51, eine Waffe, die auf dem Remington 700 basiert. <strong>Die</strong> Waffe hat eine Reichweite<br />

bis tausend Meter und man verwendet 7.62 x 51mm Munition.“ „Danke, Nummer 2, du<br />

kannst dich setzen.“<br />

Der Ausbilder wandte sich Bones zu. „Du bist registrierte Scharfschützin beim NRA.<br />

Erzähle bitte, mit welchen Waffen du vertraut bist.“ Außer Booth, der das selbstverständlich<br />

wusste, sahen alle anderen Bones sehr überrascht an. <strong>Die</strong>se stand auf und erklärte ruhig: „Ja,<br />

Sir. Ich habe den Schein mit einer Bolt Action Rifle gemacht, kann allerdings auch mit dem<br />

Barrett M82A1, dem Bushmaster M17, dem Springfield T26 und Ruger Mini 14 gut um-<br />

gehen. Handfeuerwaffen habe ich ebenfalls von verschiedenen Herstellern benutzt, bevorzuge<br />

aber die Glock 31, die S&W 32 Double Action und die SIG Sauer P220.“ Ziva grinste. Das<br />

kam ihr sehr entgegen. Der Ausbilder zog eine Augenbraue hoch und fuhr dann fort: „Warum<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

darfst du während deiner Einsätze für das Bureau keine <strong>Die</strong>nstwaffe tragen?“ Bones Gesicht<br />

verzog sich genervt und jetzt war es Booth, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.<br />

„Weil ich einem Verdächtigen, der <strong>mich</strong> anzünden wollte, einen gezielten Schuss in den<br />

Oberschenkel verpasst habe, Sir.“, stieß Bones erbost hervor. Der Ausbilder fragte todernst:<br />

„Wer wäre in deinem Falle für die Erteilung einer Lizenz zum Tragen einer <strong>Die</strong>nstwaffe zu-<br />

ständig, Nummer 6?“ Bones warf Booth einen giftigen Blick zu. „Er.“ Der Ausbilder<br />

schmunzelte kurz, dann aber wurde er wieder ernst und nickte. „Nun gut, wir haben genug<br />

gehört, Nummer 6, du kannst dich wieder setzte.“ „Ja.“ Bones wollte sich setzen, aber der<br />

Ausbilder hielt sie auf. „Ja, Sir, das wollen wir doch nicht vergessen.“, sagte er kalt. Bones<br />

beeilte sich: „Ja, Sir.“, zu sagen. Zufrieden wandte der Ausbilder sich wieder an die ganze<br />

Gruppe.<br />

„Allgemein gilt für Scharfschützengewehre folgendes: Scharfschützengewehre sind<br />

meist Repetierer, da bei anderen Ladeverfahren, entweder durch Rückstoß oder Gasentladung<br />

der Patrone, zu viele Teile bewegt werden und die Präzision darunter leiden könnte. Sie be-<br />

sitzen heute fast immer ein optisches Visier, ein Zielfernrohr, dabei sind bis zu sechzehn-<br />

fache Vergrößerungen üblich. In seltenen Fällen ist ein mechanisches Notvisier vorhanden.<br />

Wie bei vielen modernen Waffen sind meistens Möglichkeiten für das Anbringen von Zu-<br />

behör, zum Beispiel einem Laserentfernungsmessers, vorhanden. Ich werde euch jetzt mal<br />

speziell etwas über das M24 erzählen. Das M24 SWS ist ein Scharfschützengewehr für<br />

Polizei und Militär. Es basiert auf dem Remington 700 der Waffenschmiede Remington<br />

Arms. Das M24 SWS ist das Standard Scharfschützengewehr der US Army. SWS steht für<br />

Sniper Weapon System. Wie alle Modelle der 700er Serie ist das M24 ein Repetiergewehr,<br />

die leeren Hülsen werden durch Repetieren des Verschlusses ausgeworfen und eine neue<br />

Patrone aus dem Magazin nachgeladen. Der Hauptunterschied zur Remington 700 ist das<br />

militärische Zielfernrohr, ein 10 x 42 Leupold Ultra M3A ZF und die anpassbare Schulter-<br />

stütze. <strong>Die</strong> effektive Kampfentfernung liegt laut Hersteller am Tage bei achthundert Metern,<br />

in der Nacht mit Nachtsichtgerät bei dreihundert Metern. Für die großen Distanzschüsse wird<br />

das McMillan TAC-50 verwendet, der bestätigte, weiteste Distanzschuss mit dieser Waffe<br />

gelang 2002 dem kanadischen Scharfschützen Corporal Rob Furlong. Während des<br />

Afghanistankrieges gelang es ihm mit Hilfe des TAC-50, einen Taliban-MG-Schützen über<br />

eine Entfernung von zweitausendvierhundertdreißig Meter zu neutralisieren. <strong>Die</strong>s ist der<br />

weiteste Treffer eines Scharfschützen im Kampfeinsatz, der bisher bestätigt werden konnte.“<br />

Sehr eifrig machten sich alle Notizen, auch die, die mit diesen Gewehren vertraut waren.<br />

„Remington Arms bietet ebenfalls eine modifizierte Variante des M24 an. Das M24A2<br />

verfügt über ein zehn Patronen Magazin, eine aufgesetzte Picatinny-Schiene sowie einen ge-<br />

125


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

änderten Lauf um einen Schalldämpfer aufzunehmen. Ein paar Daten zu dem Gewehr: Lauf-<br />

länge 610 mm, maximales Gewicht 6,5 Kilo , 3 Züge, die effektive Reichweite beträgt acht-<br />

hundert Meter, eine maximale Weite wird mit zweitausend Metern angegeben. <strong>Die</strong><br />

Mündungsgeschwindigkeit beträgt 853 m/s. <strong>Die</strong> Munition ist, wie bei der Bravo 51 7,62 x 51<br />

mm NATO. Fünf Patronen und eine Magazinfüllung von zehn Patronen sind möglich. <strong>Die</strong><br />

Kadenz sind 15 Schuss/min. Das Gewehr hat den Drall nach rechts. Wie die meisten Scharf-<br />

schützengewehre ist es ein Repetiergewehr. Bei dem M40A1 handelt es sich um ein Scharf-<br />

schützengewehr, welches aus dem System der Remington 700 entstand. So wurde das System<br />

der Remington mit einem Atkinson Stainless Matchlauf und einem McMillan HTG Schaft<br />

bestückt. <strong>Die</strong>ser Lauf verfügt über einen kürzeren 12er Drall um das schwerere 173 gr-<br />

Geschoss der Scharfschützenmunition, im Gegensatz zu den 150 gr-Geschossen der NATO-<br />

Standard 7,62 mm, verschießen zu können. Verwendete Munition hier 7,62 NATO/LCAAP<br />

oder Lapua sechzehn8 gr Sierra Match-King Präzisionsmunition. Das Magazin enthält fünf<br />

Schuss. Das Gewicht beträgt 5,49 Kilo , 7 Kilo mit Zielfernrohr <strong>Die</strong> maximale Reichweite<br />

wird mit tausendzweihundert Metern angegeben, die taktische Einsatzentfernung mit zirka<br />

achthundert Metern.“ Der Ausbilder schwieg und beobachtete, wie alle eifrig mit schrieben.<br />

„Als nächstes werden wir uns dem Aufbau eines Gewehres widmen. Ihr müsst die<br />

Teile benennen können, daher passt sehr genau auf.“ Der Ausbilder packte das Gewehr aus<br />

dem Koffer und trug es an den Tisch Zivas. „Na, los, Nummer 5, zeig uns mal, dass du das<br />

Gewehr zusammen stecken kannst.“ „Ja, Sir.“ Ziva war den Zusatz ‚Sir’ vom Mossad und<br />

ihrer Arbeit beim NCIS her genau so gewohnt wie er Booth, Jake, Mulder und Gibbs wie<br />

selbstverständlich über die Lippen kam. Sie stand lässig auf, öffnete den Koffer und hatte<br />

blitzschnell das darin befindliche M24 zusammen gebaut. „Nenne deinen Freunden doch mal<br />

die sichtbaren Teile, Nummer 5.“ „Ja, Sir.“ Ziva drehte sich herum, sodass alle auf das Ge-<br />

wehr schauen konnten. Dann begann sie: „Dass das der Lauf ist, weiß jeder von euch.<br />

Kimme, Korn, das hier ist der Vorderschacht, dies der Magazinschacht.“ Sie deutete der<br />

Reihe nach auf die genannten Teile. „Das hier ist die Magazinverriegelung und der Abzug.<br />

Hier oben ist der Repetierverschluss mit Sicherung und Kammstängel. Der Hinterschaft mit<br />

Schaftkappe.“ Der Ausbilder nickte zufrieden. Dann trat er an eine drehbare Tafel hinter sich<br />

und machte das dort befindliche Bild durch Drehung der Tafel sichtbar.<br />

Er nahm einen Zeigestock und sah Mulder auffordern an. „Na, Mr. FBI Agent, wie gut<br />

sind deine Kenntnisse?“ Mulder erhob sich und sah die Abbildung des Laufinneren auf dem<br />

Bild an. Der Ausbilder deutet und Mulder versuchte, die richtigen Antworten zu geben.<br />

„Schlagbolzen, Schloss, Sicherungshebel, keine Ahnung, Sir.“ An einem Teil blieb er hängen<br />

und schaute fragend Ziva, Booth und Jake an. „Hülsenbrücke, Sir.“ Jake wusste die Antwort.<br />

126


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Gut, mach du weiter.“ Mulder setzte sich und lauschte aufmerksam auf Jakes weitere Aus-<br />

führungen. „Ja, Sir. Zylinderverschluss, Verriegelungswalze, Hülsenkopf, Patronenauszieher,<br />

Patronenlager.“ „Sehr gut, Nummer 2, setzt dich wieder.“ Jake erwiderte: „Ja, Sir.“, und ließ<br />

sich auf seinen Stuhl sinken. „Ihr werdet eine Abbildung bekommen, verseht die Teile mit<br />

den Bezeichnungen und lernt das auswendig, verstanden?“ „Ja, Sir.“ Der Ausbilder zog eine<br />

Schreibtischschublade heraus und nahm einen kleinen Stapel Zettel heraus. Er drückte jedem<br />

der Gefangenen eine Abbildung des Gewehres und des Laufes in die Hand und mit Hilfe<br />

Jakes und Zivas beschrifteten alle die Teile.<br />

Als nächstes mussten alle neun das Gewehr auseinander nehmen und wieder zu-<br />

sammen bauen. Wieder und wieder. Dabei durften Jake, Ziva, Booth und Gibbs Hilfestellung<br />

leisten. Bones hatte es dank ihrer weitläufigen Waffenerfahrungen rasant schnell heraus, das<br />

M24 zu zerlegen und wieder zusammen zu setzten. Als alle diese Aufgabe in einer ver-<br />

nünftigen Zeit geschafft hatten, wurden sie aufgefordert, aufzustehen und dem Ausbilder zu<br />

folgen. Minuten später hatten sie das Gebäude verlassen, treulich begleitet von dem zweiten<br />

Mann, der das M24 geladen in den Händen hielt, Grund genug für die Gefangenen, nicht mal<br />

an eine Dummheit zu denken. Nicht mehr sonderlich überrascht wurden sie zu einem Schieß-<br />

stand gebracht. Der Ausbilder erklärte: „1, 2, 5, 6 und sechzehn, ihr werdet ein paar Probe-<br />

schüsse abgegeben, damit ich sehen kann, wo ihr einzuordnen seid.“ <strong>Die</strong> fünf traten vor und<br />

legten sich auf den Boden, in die Kabinen, zu den vorbereiteten Waffen. Kurz schoss ihnen<br />

allen der Gedanke durch den Kopf, dass sie hier mit nackten Hintern am Boden lagen und mit<br />

einem Scharfschützengewehr schießen sollten. <strong>Die</strong> Absurdität der Situation ließ sie kurz inne<br />

halten. Gar zu lächerlich kamen sie sich vor. Doch der Ausbilder fuhr den nackten Köpern vor<br />

sich am Boden ungeachtet fort: „Ihr werdet jeder vier Schüsse abfeuern, zweihundertfünfzig,<br />

fünfhundert, siebenhundertfünfzig und tausend Meter Ziele. Nummer 1 fängt an.“ Booth<br />

zielte sorgfältig, dann drückte er ab. Zielte erneut, drückte ab, neue Zielerfassung, abdrücken<br />

und ein letztes Mal. Bei dem tausend Meter Schuss ließ er sich sehr viel Zeit beim Zielen,<br />

dann atmete er aus und drückte langsam und ruhig ab. <strong>Die</strong> Zielscheiben blieben, wo sie waren<br />

und Gibbs war der Nächste, der schießen musste. Nach ihm kam Jake, dann Bones und zum<br />

Schluss Ziva. Als alle fünf ihre Schüsse abgefeuert hatten, wurden die Zielscheiben ein-<br />

geblendet. Auf die zweihundertfünfzig Meter Distanz hatten alle fast ins Schwarze getroffen.<br />

<strong>Die</strong> fünfhundert Meter Scheiben waren von Gibbs und Booth nur unmerklich aus der Mitte<br />

getroffen worden, Bones bei der 6, Ziva lag mit ihrem Schuss bei der 5, Jake bei der 2. <strong>Die</strong><br />

siebenhundertfünfzig Meter hatten sowohl Booth als auch Gibbs geschafft, immer noch ins<br />

Schwarze, allerdings Gibbs an der 5, Booth an der 3. Ziva hatte die Karte im 7.ner Ring ge-<br />

troffen, ebenso Bones. Jake hatte gar nicht mehr getroffen. <strong>Die</strong> tausend Meter Distanz hatten<br />

nur noch Booth und Gibbs geschafft.<br />

127


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Das war sehr gut. Ihr werdet euren Kollegen zeigen, wie das M24 bedient wird.“ <strong>Die</strong><br />

nächste Stunde ging damit einher, dass der Ausbilder und die fünf Gefangenen den <strong>Anderen</strong><br />

genau zeigten und erklärten, wie das M24 verwendet wurde. Schließlich kamen alle einiger-<br />

maßen damit klar, das Visier einzustellen, das Zielfernrohr auszurichten und alle hatte das<br />

M24 auf die zweihundert Meter Distanz ausgerichtet. Kate war die erste, die es versuchen<br />

sollte. Ziva hatte sich ihr gewidmet und alles genau gezeigt. Kate hatte aufmerksam zugehört<br />

und nun war sie bereit. Sie zielte sorgfältig, dann drückte sie ab. Der Nächste, der schießen<br />

musste, war Mulder. Gibbs hatte ihn eingewiesen und der FBI Mann drückte schließlich eben-<br />

falls ab. Locke wurde von Booth betreut und war der nächste, ihm folgte Sawyer, der seine<br />

Einweisung von Bones erhielt, die die Handhabung der Scharfschützenwaffe blitzschnell be-<br />

griffen hatte. Als letzter kam Jake an die Reihe, dessen Treffsicherheit auf die große Distanz<br />

dem Ausbilder nicht gereicht hatte. Er hatte Jake noch einmal ruhig und präzise alles erklärt.<br />

Und Locke kannte das Jagen mit einem Gewehr, hatte daher ein leichtes Grundwissen. Er<br />

drücke ruhig ab. Dann wurden die Zielscheiben begutachtet. Alle hatten getroffen. Mulder<br />

hatte die Zielscheibe im Bereich der 2 erwischt, Locke und Sawyer in Höhe der 5 und am<br />

besten hatte Kate getroffen. Ihr Einschussloch lag bei der 7. Sawyer zog Kate an sich und gab<br />

ihr einen Kuss. Dann fragte er: „Sir, können wir es denn noch auf die fünfhundert Meter<br />

Distanz versuchen?“ Der Ausbilder überlegte kurz, dann nickte er. „2 und 5, ihr werdet auch<br />

noch einmal Schießen, auf die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe und auf die tausend Meter<br />

Scheibe. 1, 6 und sechzehn geben Hilfestellung.“<br />

Nach einer weiteren Stunde hatte es auch Ziva zweimal geschafft, die tausend Meter<br />

Scheibe zu treffen und Jake hatte sich auf die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe ein-<br />

geschossen. Mulder und Locke hatten noch mehrfach die zweihundertfünfzig Meter Scheibe<br />

immer präziser ins Schwarze erwischt, aber bei der fünfhundert Meter Scheibe noch keinen<br />

Treffer verbucht. Kate hatte die fünfhundert Meter Scheibe etliche Male ins Schwarze er-<br />

wischt und auch Sawyer und Locke war es mehrfach gelungen, an den Rand des Schwarzen<br />

zu kommen. Schließlich sagte der Ausbilder: „Das reicht für heute. Ihr werdet in eure Räume<br />

zurückkehren. Ihr werdet im Schulungszimmer Gelegenheit haben, eure Notizen einzu-<br />

sammeln. Lernt sie auswendig, das kann ich euch nur raten. Wir verstehen mit Versagern<br />

keinen Spaß. Morgen werdet ihr erneut zu Schießübungen geholt. Eine theoretische Prüfung<br />

werdet ihr in ein paar Tagen absolvieren. Abmarsch jetzt.“ „Ja, Sir.“ <strong>Die</strong> Gefangenen wurden<br />

durch den Schulungsraum geführt, dort durften sie sich ihre Notizen, den Hefter mit den<br />

Gesetzesregelungen greifen und die Stifte mitnehmen. Dann ging es, erstmals ungefesselt, in<br />

die Räume zurück.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jogging<br />

Es werden mehr Menschen durch Übung tüchtig als durch Naturanlagen.<br />

Demokrit<br />

Heather hatten einen schrecklichen Tag hinter sich gebracht. Immer wieder war sie an<br />

die Tür geeilt, um zu Lauschen, aber Jake kam nicht zurück. Zwischen Panik und Apathie<br />

schwankend hatte sie die Stunden verbracht. Ihr Frühstück hatte sie noch mit Jake zusammen<br />

eingenommen, da war noch alles in Ordnung gewesen. Das Mittag stand unberührt auf dem<br />

Tisch. Der jungen Lehrerin war der Appetit vergangen. „Gott, Jake. Was machen sie nur mit<br />

dir? Ich will dich wieder haben.“ Sie zuckte heftig zusammen, als irgendwann die Tür tatsäch-<br />

lich auf ging und Jake unverletzt und ziemlich guter Dinge zurück gebracht wurde. Heather<br />

flog ihm regelrecht um den Hals. „Wo warst du? Was haben sie dir angetan? Ich habe mir<br />

solche Sorgen gemacht. Ist dir etwas passiert? Was haben sie dir nur getan? Du sagst ja gar<br />

nichts, war es so schlimm? Oh, Gott, Jake, ich ...“ Jake schmunzelte und verschloss der auf-<br />

geregten jungen Frau den Mund mit einem Kuss. Dann sagte er sanft: „Heather, mir ist nichts<br />

geschehen. Ich habe Waffentraining bekommen, zusammen mit Mulder, Kate, Sawyer,<br />

Bones, Booth, Gibbs, Locke und Ziva.“ „Waffentraining?“ Heather war vollkommen verwirrt.<br />

Jake zog sie hinüber zum Sofa. Dann eilte er an den Kühlschrank und griff sich eine Cola. Er<br />

setzte sich zu Heather und dann erzählte er ihr, was sich ereignet hatte, seit er abgeholt<br />

worden war.<br />

*****<br />

Dana lief unruhig im Raum hin und her. Immer wieder sagte sie sich, dass Mulder den<br />

Entführern hoffentlich zu wertvoll war, um ihn einfach zu verheizen. Schon der Moment, als<br />

er am Morgen nach dem Frühstück abgeholt worden war, hatte Dana in Angst und Schrecken<br />

versetzt. Das war es, was sie die ganze ruhige Zeit über befürchtet hatten. Erst wurden sie in<br />

Sicherheit gewogen, dann kam das dicke Ende. Dana war nie eine ängstliche Frau gewesen,<br />

sie hatte sich immer gut unter Kontrolle gehabt, aber hier, während dieser grausamen Ge-<br />

fangenschaft, war ihr diese Selbstkontrolle nach und nach abhanden gekommen. Als Mulder<br />

weg gebracht wurde, war ihr kurz nach Schreien zu Mute gewesen. - Oh, Gott, nein, bitte. -<br />

war alles, was sie hatte denken können. Sie zwang sich zur Ruhe, versuchte, sich einzureden,<br />

dass das nicht zwangsläufig etwas extrem Schlimmes zu bedeuten hatte, dass Mulder abgeholt<br />

worden war. Aber als die Stunden dahin tropften und er nicht zurückkam, fuhren immer<br />

129


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wieder Wellen der Panik in ihr hoch, die sie von Mal zu Mal schwerer nieder ringen konnte.<br />

Der Gedanken, mit dem Mulder selbst sie immer wieder zu Trösten versuchte, nämlich, dass<br />

es irgendetwas gab, warum man sie entführt hatte, und dass sie gebraucht wurden, beruhigte<br />

die Agentin nicht mehr. Dennoch versuchte sie, sich mit dem Gedanken zu trösten. „Reiß dich<br />

gefälligst mal zusammen, Dana Scully.“, feuerte sie sich an. „<strong>Die</strong>sen ganzen Aufwand be-<br />

treiben die wirklich nicht, um uns dann einfach umzubringen. <strong>Die</strong> wollen etwas von uns.“<br />

Eine andere Stimme flüsterte ihr jedoch sofort ein: „Mag ja sein, aber wer sagt, dass<br />

sie uns in einem Stück brauchen? Und wer sagt, dass sie Mulder brauchen?“ Dana konnte<br />

nicht mehr verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen kullerten. Verärgert wischte sie diese<br />

weg. „Steigere dich nicht in etwas hinein.“, versuchte sie sich zur Ordnung zu rufen. „<strong>Die</strong>se<br />

Leute tun nichts ohne Grund. Wenn sie Mulder umbringen wollten, hätten sie das getan, ohne<br />

ihn vorher aufzupäppeln. Das wäre unlogisch gewesen und die handeln pragmatisch und mit<br />

kalter Logik.“ Dana schlug verzweifelt die Hände vor das Gesicht. „Aber das hat sie nie daran<br />

gehindert, uns nach Strich und Faden fertig zu machen. Schau dir doch nur mal Sawyer an ...“<br />

<strong>Die</strong> andere, die höhnische Stimme, gab einfach keine Ruhe. Und dann ging die Tür auf.<br />

Mulder kam herein. Unverletzt. Dana schoss vom Sessel hoch und fiel dem geliebten Mann<br />

bebend um den Hals. „Himmel, wo warst du nur so lange? Ich bin fast verrückt geworden.<br />

Haben sie dir etwas getan?“ Mulder hielt Dana überrascht im Arm. „Hey, mir geht es gut,<br />

wirklich. Außer meinem Ego ist noch alles ganz an mir.“ „Was ist denn bloß passiert? Geht es<br />

dir wirklich gut, Mulder?“ Dana löste sich ein wenig aus Mulders Armen und sah ihn an. Sie<br />

musste sich überzeugen, dass er noch in einem Stück war. Mulder legte erneut den Arm um<br />

sie, führte Dana so zum Sofa hinüber. Er selbst trat an den Kühlschrank und griff sich ein<br />

kaltes Bier. Er hatte unheimlichen Durst. Damit setzte er sich zu Dana, die ihn erwartungsvoll<br />

anschaute. „Sag schon, lass dir doch um Gottes Willen nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.<br />

Was haben sie dir getan?“, fragte Dana ungeduldig. Und Mulder begann: „Wir hatten Schieß-<br />

training ...“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen gewöhnten sich langsam daran, ein wirklich ganz erstklassiges Früh-<br />

stück zu bekommen. Dass es an diesem Morgen, dem fünften in den Luxuszimmern, noch mit<br />

Joghurt und Obstsalat aufgestockt wurde, nahmen alle mit Beglückung zur Kenntnis. Was alle<br />

weniger beglückend fanden war die Tatsache, dass sie nach dem Frühstück zimmerweise ab-<br />

geholt wurden. Wo brachte man sie nur hin? <strong>Die</strong> Frage war schnell geklärt. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

wurden in eine große Halle geführt. Gil stöhnte entsetzt. „Oh, nein.“ Ziva und einige andere<br />

aus der Gruppe lachten erfreut auf. Eine Sporthalle. Blitzschnell überflog Ziva, dass es<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sechzehn Trainingsgeräte waren, die in Reih und Glied hier standen. Um die Halle herum war<br />

eine Laufbahn angelegt und den Trainingsgeräten gegenüber standen fünfzehn Ergometer,<br />

einfache Hometrainer. Sara war bemüht, nicht zu gehässig zu Grinsen. Sollten sie etwa so was<br />

wie Bewegung bekommen? Sicher wusste das jeder von ihnen bis auf Gil zu Schätzen. Sie<br />

wurden in die Mitte der Halle geführt. Dort lagen Trainingshosen und T-Shirts. Eine der<br />

Wachen erklärte ihnen ruhig: „Zieht euch T-Shirts und Shorts an, beeilt euch.“ Eifrig ge-<br />

horchten die Gefangenen und standen Minuten später bereit. Mehrere Wachen standen unauf-<br />

fällig in der Halle verteilt und behielten die Gefangenen sehr genau im Auge. Jetzt kamen<br />

Personen zu den Gefangenen, vier Männer und zwei Frauen, und bauten sich vor ihnen auf.<br />

Eine der Frauen begann: „Ihr werdet ab heute täglich Aufbautraining bekommen. Wir werden<br />

euch in drei bis vier Leistungsklassen einteilen. Klasse 1) 1, 2, 5 und 8, Klasse 2) 12 und<br />

sechzehn, wenn ihr mithaltet, ferner 3, 6, 7, 10, 11, 15. In der Klasse 3) 9 und 14. Nun, die<br />

Klasse 4) ist aus verschiedenen Gründen außen vor. 4 und 13. Ihr bekommt einen speziellen<br />

Trainer zugeteilt. Ihr geht mit ihm, Abmarsch, wenn ich bitten dürfte.“<br />

Schwer genervt folgten House und Gil dem ihnen zugeteilten Trainer in eine Ecke der<br />

Halle. Mulder und Sawyer schauten ein wenig vergrätzt aus der Wäsche. Sawyer waren seine<br />

Gedanken sehr genau anzusehen und Kate grinste verhalten. Sie wurde aufgefordert „1, 2, 5<br />

und 8, ihr kommt mit mir.“ Einer der männlichen Trainer drehte sich herum und die vier<br />

gingen ihm nach, an die ersten vier Trainingsgeräte. „Wir machen erst einmal einen Test, ein<br />

Belastungs-EKG , damit wir wissen, wo wir euch einsetzen können. Ihr werdet auf den<br />

Ergometer steigen.“ <strong>Die</strong> vier stiegen also auf die Fahrräder und ließen sich verkabeln. Dann<br />

bekamen sie Anweisung: „Und los, Herrschaften, gebt Gas. Dreißig Minuten volles Tempo,<br />

wenn ich bitten darf.“ So legten alle vier los. Und strampelten die nächsten dreißig Minuten<br />

mit aller Kraft. Auf die gleiche Weise wurden die Gruppen 2 und 3 getestet, nur waren bei<br />

ihnen die Zeiten reduziert. Gruppe 2 sollten zwanzig Minuten, Heather und Abby zehn<br />

Minuten strampeln. Als alle es geschafft hatten, wurde ihnen eine kurze Pause zugestanden.<br />

Sie erhielten Wasser und durften sich auf bequeme Matten in der Hallenmitte setzen. Alle<br />

pfiffen aus dem letzten Loch. Sie merkten, wie sehr sie hier außer Form geraten waren. Booth<br />

kämpfte mit einen beginnenden Krampf im linken Oberschenkel. Ziva ging zu ihm, ließ ihn<br />

sich auf den Rücken legen und nahm sein Bein hoch. Sie streckte es durch und lehnte sich mit<br />

der Brust auf Booth’ Fuß. Sie übte auf diese Weise Druck auf das Bein aus und langsam<br />

lockerte sich der verkrampfte Muskel.<br />

Schließlich kam die Trainerin mit den Ergebnissen der EKGs zurück. „Wie haben<br />

euch richtig klassifiziert. Ihr werdet aufgebaut, Ziel ist es, bis auf Nummer 4 alle in die Klasse<br />

1 zu bekommen. Wir erwarten von euch vollen Einsatz, haben wir uns verstanden?“ Alle<br />

131


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nickten. Damit war die Trainerin aber nicht zufrieden. „Hoch mit euch, zack.“, fuhr sie die<br />

Gefangenen an. Erschrocken kamen diese auf die Füße. „Habt ihr verstanden?“ „Ja, Ma’am.“<br />

„Verteilt euch auf eure Gruppen, aber schnell.“ Sekunden später standen die Gefangenen in<br />

ihren Gruppen zusammen. „Alle an die Geräte.“ Eilig traten sie an das Multifunktionsgerät<br />

und sahen dieses erst einmal genau an. „Ihr werdet die Rückenlehne herunter lassen.“ Es<br />

dauerte ein paar Minuten, bis alles es geschafft hatten. Dann kam die Anweisung, sich auf die<br />

Kante zu setzen und den Oberkörper nach hinten in die Waagerechte zu bewegen. Der Kopf<br />

lag etwas niedriger als das Becken. <strong>Über</strong> dem Kopf war ein Griff für die Hände. Jetzt wurden<br />

die Beine über eine gepolsterte Rolle gefädelt, die in Höhe der Kniekehle platziert war. Eine<br />

zweite Rolle wurde auf die Oberschenkel abgesenkt. Und dann kam die Anweisung „Gruppe<br />

1, fünfzehn Mal, dann eine Minute Pause, sechs Durchgänge. Gruppe 2, zehn Mal, dann<br />

anderthalb Minuten Pause, vier Durchgänge. Gruppe 3, fünf Mal, dann zwei Minuten Pause,<br />

drei Durchgänge. Auf geht’s.“ <strong>Die</strong> Trainer verteilten sich auf die Gefangenen und über-<br />

prüften, ob alles die Übung richtig machten. Übung 2 war sehr ähnlich der Ersten, variierte<br />

nur in der Beugung, diese geschah nun deutlich mehr aus der Hüfte heraus. Insgesamt waren<br />

es zehn Übungen, die die Gefangenen im gleich bleibenden Rhythmus für jede Gruppe, 15-1-<br />

6, 10-1,5-4, 5-2-3 durch arbeiten mussten. Sie hatten keine Zeit, den anderen zuzuschauen, zu<br />

sehr waren alle mit sich selbst beschäftigt. Auch durchtrainierte Sportler wie Ziva und Booth<br />

merkten, dass die Zeit in der Gefangenschaft ihre Kondition nicht gut getan hatte. Am Ende<br />

der Trainingseinheit waren alle fertig.<br />

Gil und House wurden gesondert behandelt. House, das war vollkommen klar, war<br />

natürlich an den Beinen nicht belastbar und Gil musste ganz neu aufgebaut werden. House’<br />

erste Übung war der Ruderzug, dabei schaffte er 15-2-4. House saß dabei aufrecht mit dem<br />

Gesicht zum Gerät und musste Hebel in einer Bewegung wie beim Rudern, daher auch der<br />

Name der Übung, auf sich zu ziehen. Damit wurden die Oberarmmuskeln und die großen<br />

Rückenmuskeln stimuliert. Bei der nächsten Übung für ihn, dem so genannten Seitheben,<br />

hatte er mit den Armen gewichtsbeschwerte Hebel seitwärts von oben nach unten an seinen<br />

Körper zu ziehen. Auch hier schaffte er 15-2-4 und war sogar stolz darauf. Als nächste Übung<br />

stand für ihn das Rückenstrecken an. Dabei saß er aufreckt auf dem Trainingsgerät und wurde<br />

über Oberschenkel und Schritt an der Sitzfläche fest geschnallt. <strong>Die</strong> Arme musste er vor der<br />

Brust verschränken. Ein gepolstertes Gewicht drückte ihn nun sanft nach vorne und House<br />

musste sich gegen dieses Gewicht wieder gerade machen. Er kämpfte hart, um hier seinen<br />

Rhythmus ebenfalls zu halten, schaffte jedoch nur 10-2-2. <strong>Die</strong>se Übung war einfach zu hart.<br />

<strong>Die</strong> nächste war ähnlich, betraf jedoch nur die Nackenmuskulatur. Hier schaffte der Arzt<br />

ebenfalls nur noch 10-2-2.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gil wurde angewiesen, auf den Hometrainer zu steigen, dann wurde eine leichte Stufe<br />

eingestellt und er wurde verkabelt. Dann hatte er zu Radeln. Dreißig Minuten, ohne sonder-<br />

liche Anstrengungen. Danach hatte er eine kurze Pause, in der die EKG Werte ausgearbeitet<br />

wurden. Dann musste er ebenfalls an den Trainer, durchlief einige Übungen, zuerst die Knie-<br />

beuge. Bei dieser einfachen Übung musste er nur mit den Schienbeinen ein gepolstertes Ge-<br />

wicht in die Höhe drücken. Er erhielt die Anweisung, dies zehn Mal hintereinander zu<br />

machen, dann zwei Minuten Pause einzulegen und die Übung drei Mal zu wiederholen. 10-2-<br />

3 blieb auch bei den folgenden Übungen sein Rhythmus. <strong>Die</strong> nächste Übung für ihn war das<br />

so genannte Barrenstützen. Dabei saß Gil aufrecht auf der Bank und musste mit den Armen<br />

Gewichte herunter drücken, als würde er sich auf einem Barren hoch stemmen. Schließlich<br />

kam eine Übung, die der Trainer Bauchreflexion nannte. Mit den Oberarmen auf einer ge-<br />

polsterten Rolle aufgestützt, musste Gil durch leichtes nach vorne Beugen ein Gewicht in die<br />

Höhe drücken. Seine letzte Übung für den ersten Tag war das so genannte Armbeugen, eine<br />

Übung, bei der er mit der Kraft der Unterarme ein Gewicht drücken musste. Dann wurde er<br />

zusammen mit den anderen Gefangenen zurück in die Zimmer gebracht.<br />

Dort angekommen, verschwanden alle, ohne Ausnahme, sofort unter den Duschen.<br />

<strong>Die</strong> Paare warteten nicht ab, bis die Partner fertig waren, sondern gingen gleich zusammen<br />

unter den Wasserstrahl. Gibbs und Locke saßen nach dem Duschen bei einem kühlen Bier<br />

zusammen. „Warum die uns wohl erst völlig außer Form geraten lassen, um uns jetzt wieder<br />

aufzubauen.“ Gibbs starrte überlegend seine Bierdose an. „Ich vermute, dass alles dient ledig-<br />

lich dem Zweck, uns klar zu machen, dass unsere Gastgeber absolut die Kontrolle über uns<br />

haben. Sie bestimmen alles. Wann wir Essen, Trinken, Schlafen, Reden, uns bewegen, auf die<br />

Toilette gehen ... Es gibt nichts, was sie nicht bestimmen.“ Locke nahm einen großen Schluck<br />

Bier. „Eine andere Erklärung wüsste ich auch nicht. Sie haben uns abgebaut, nun sind es auch<br />

sie, die uns wieder aufbauen, in ihrem eignen Ermessen.“ Gibbs nickte. „Ja, etwas in der Art<br />

vermute ich auch hinter der Aktion. Was wiederum die <strong>Über</strong>legung, dass die Herrschaften<br />

etwas Spezielles von uns wollen, immer logischer macht. Geklärt werden müsste nur die<br />

Frage, ob sie wirklich jeden von uns brauchen, oder doch noch irgendwann eine Auswahl<br />

treffen, nach dem Motto: <strong>Die</strong> Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Er nahm<br />

einen Schluck und lachte resigniert auf. „Hm, so halten sie uns alle beständig unter Druck, bei<br />

der Stange. Solche Leute könnte jede Ermittlungsbehörde brauchen.“ Er bewegte vorsichtig<br />

die Beine und Arme und meinte dann frustriert: „Ich habe jetzt schon das Gefühl, der<br />

Muskelkater grinst mir über die Schultern.“ Locke seufzte genervt. „Na, frag <strong>mich</strong> mal.“<br />

Booth hatte sich nach dem Training auf das Bett fallen lassen. „Meine Herren, ich bin<br />

derart außer Form, das ist ja nicht zu fassen. Im Moment würde ich vermutlich sogar einen<br />

133


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

siebzigjährigen Einbeinigen nicht einholen. Bones, ich bin ein Schlaffie geworden.“ Mit ge-<br />

spielter Verzweiflung stieß Booth diese Worte aus. Seine Hände ruhten, leichte Massage-<br />

bewegungen ausführend, auf seinen kaum noch existenten, nichts desto weniger<br />

schmerzenden Bauchmuskeln. Bones lächelte und ließ sich neben Seeley auf das Bett sinken.<br />

„Wir alles sind abgeschlafft, nicht nur du. Ich war auch schon mal besser in Form. Ich hoffe,<br />

das war hier heute keine Eintagsfliege. Körperliche Bewegung tut uns allen gut. Woher mag<br />

dieser Umschwung kommen? Das Waffentraining, jetzt Sport. Was haben die nun wieder<br />

vor?“ Booth rutschte mit genervt verzogenem Gesicht auf dem Bett hin und her. „Was fragst<br />

du <strong>mich</strong>, Superhirn? Du bist der denkende Part von uns. Ich bin der, der dringend eine<br />

Massage braucht. Mir tut jetzt schon alles weh.“ Bones schmunzelte. „Glaubst du denn, mir<br />

nicht?“<br />

Ein paar Türen weiter knurrte Sawyer ziemlich genervt herum. „Was denken die<br />

Idioten sich eigentlich? Als ob ich nicht mindestens so fit bin wie dieser Kansas-Cowboy.<br />

Was soll das, <strong>mich</strong> zu den alten Männer und den Mädels zu stecken? Nicht, dass ich was<br />

gegen die Mädels hätte ...“ Seine Augen funkelten, als er an Allison, Dana oder Bones dachte.<br />

„Trotzdem sind Mulder und ich alle mal fit genug, in eurer Gruppe mitzumischen. Idioten.“<br />

Kate saß auf dem Bett und massierte sich die schmerzenden Oberschenkel. Sie grinste.<br />

„Schatz, du wirst sicher schnell fit genug sein, auch in deren Augen, um in unsere erlauchte<br />

Gruppe aufzusteigen.“ Sie ließ sich langsam in die Waagerechte sinken und sah Sawyer an. Er<br />

stand da, nur ein Handtuch um die Hüften, und fluchte ungehalten vor sich hin. Sie warf ihm<br />

einen einladenden Blick zu. „Was hältst du denn davon, wenn du schon einmal anfängst, mir<br />

zu beweisen, dass du wieder absolut fit bist?“ Sawyer hielt inne und sah Kate an. „Meinst du,<br />

das müsste ich dir beweisen?“, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen auf dem Lippen. Kate<br />

seufzte erleichtert. Das war seit der Sache mit der Halsverletzung das erste Mal, dass Sawyer<br />

wieder das freche Grinsen zeigte, das Kate so sehr liebte. Sie lächelte. „Komm her und ich<br />

beweise dir, wie fit ich nach den Übungen noch bin.“ Das ließ Sawyer sich nicht zweimal<br />

sagen.<br />

Mulder stand vor dem Spiegel im Bad und betrachtete sich darin, so gut es eben ging.<br />

Dana lag bereits abgetrocknet auf dem Bett und wunderte sich, was Mulder noch im Bad<br />

trieb. Der winzige Raum hatte nun wirklich nichts Spannendes zu bieten, außer dem kleinen<br />

Spiegel. Sie hatte sich nach dem Duschen eine Cola gegriffen, die Notizen Mulders zum<br />

Waffentraining, und sich damit auf das Bett gelegt. Ihr Körper fing an, sich anzufühlen, als<br />

würde er spätestens morgen früh auseinander fallen. Sie wollte gerade fragen, was Mulder da<br />

trieb, als sie seine Stimme hörte. „Scully, findest du nicht, dass ich gut genug in Form bin, in<br />

der ersten Gruppe mitzumachen?“ Er kam jetzt aus dem Bad, nackt, und blieb vor dem Bett<br />

134


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stehen, damit Dana ihn gründlich betrachten konnte. <strong>Die</strong>se sah nur kurz auf und nickte.<br />

„Sicher, Schatz. Du bist fit ...“ Sie widmete sich wieder den Notizen. „Hast du dass alles<br />

schon im Kopf?“, fragte sie. Mulder fluchte los. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Ich<br />

frage dich, ob ich fit bin und du fragst <strong>mich</strong> nach Waffenkunde. Hallo. Ich stehe hier in<br />

meiner ganzen Pracht und deine Aufmerksamkeit gilt einigen Notizen.“ Dana sah jetzt tat-<br />

sächlich auf. Ihre Augen ruhten scheinbar gelangweilt auf Mulders Körper. „Was? Ich sagte<br />

doch bereits, dass du fit bist, Mulder. Meinst du nicht, du solltest deine Notizen ...“ Weiter<br />

kam Dana nicht, denn Mulder ließ sich überraschend auf das Bett fallen und zog sie blitz-<br />

schnell an sich. Ehe sie sich versah, hatte er sich auf sie gelegt und küsste sie leidenschaftlich.<br />

Als er seine Lippen von ihren löste seufzte Dana und erklärte dann: „Meine Güte, Mulder, du<br />

bist wirklich fit.“<br />

*****<br />

Nach dem Mittag wurde die Schießgruppe erneut eingesammelt. Sie alle hatten nach<br />

dem Sport frische T-Shirts und Shorts in ihren Räumen vor gefunden und keine Kittel. Auf<br />

den T-Shirts prangte jetzt ihre Nummer. Sie wagten kaum zu hoffen, dass die Kittelzeit<br />

vielleicht vorüber sein möge. Unendlich erleichtert waren sie in die Kleidungsstücke ge-<br />

stiegen. Als sie abgeholt wurden und die Wachen nichts sagten, war klar, dass die Shirts und<br />

Shorts akzeptiert wurden. Sie wurden heute gleich zum Schießstand geführt. Anscheinend lag<br />

nur Praxis an, keine Theorie. Der Ausbilder wartete dort bereits auf die neun Gefangenen und<br />

erklärte ihnen: „Heute werdet ihr alle die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe ins Schwarze<br />

treffen, das ist unser heutiges Ziel. 1, 2, 5 und sechzehn, hier drüben, los. Ihr werdet mit dem<br />

McMillan TAC-50 long range shots trainieren. Alle anderen: Anfangen.“ „Ja, Sir.“ Alle neun<br />

legten sich auf den Boden zu ihren Gewehren. Unter der Aufsicht einiger Assistenten übten<br />

sie erneut, die Zielfernrohre zu justieren. Dann gaben sie mehrfach Schüsse auf die fünf-<br />

hundert Meter Scheibe ab. Bei Kate und Locke war schnell jeder Schuss ein Treffer. Bones,<br />

Mulder und Sawyer taten sich ein wenig schwerer, aber schließlich hatten sie den Dreh eben-<br />

falls heraus. Kate war es schließlich auch, die die siebenhundertfünfzig Meter Scheibe mit<br />

sieben von zehn Schüssen traf.<br />

Booth hatte es, wie Gibbs, geschafft, mit dem McMillan Schüsse auf tausendfünf-<br />

hundert Meter und tausendsiebenhundertfünfzig Meter ins Ziel zu bringen. Ziva kämpfte mit<br />

dem leichten Seitenwind, der an diesem Tag herrschte. Wieder und wieder verriss sie den<br />

Schuss. Schließlich sagte der Ausbilder: „1, zeig es ihr, sonst sitzen wir morgen noch hier.“<br />

Ziva drehte sich herum und warf dem Ausbilder einen mörderischen Blick zu, den dieser<br />

grinsend ignorierte. Booth erhob sich und ging zu Ziva hinüber. Er legte sich neben sie und<br />

135


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erklärte ihr dann in aller Ruhe, worauf sie bei Seitenwind achten musste. Und das half.<br />

Nacheinander gelangen der jungen Frau fünf Treffer auf tausend Meter. Begeistert stellte sie<br />

fest: „Mensch, Booth, das habe ich noch nie geschafft, auf eine solche Distanz. Was immer<br />

uns hier auch noch hervor steht, aber dass ich das hier lerne ist gut.“ Kurz sah Booth Ziva<br />

etwas verwirrt an, dann nickte er. Ihm war ein Licht aufgegangen, was die junge Frau meinte.<br />

„Ja, ist doch schön, dass man aus allem Nutzen ziehen kann. Übrigens heißt es: bevor steht,<br />

nicht hervor.“ Ziva funkelte ihn an. „Das ist sicher sehr wichtig. Ich spreche sechs Sprachen<br />

fließend, drei weitere besser als durchschnittlich und ihr könnt nur darauf herum reiten, wenn<br />

ich mal Kleinigkeiten durcheinander bringe.“ Booth grinste.<br />

*****<br />

Dana regte sich nicht mehr auf, als Mulder, nachdem Mittag serviert worden war,<br />

diesmal Steak mit Bohnen im Speckmantel, Kartoffelbrei, und gemischten Salat, erneut ab-<br />

geholt wurde. Sie wünschte ihm viel Glück, und wollte es sich ächzend wieder bequem<br />

machen. Dazu kam sie nur nicht mehr. <strong>Die</strong> Tür ging erneut auf und auch Dana wurde ab-<br />

geholt. <strong>Die</strong> Hände wie gewohnt auf den Rücken gefesselt, wurde sie in ein Labor geführt,<br />

dass keine Wünsche offen ließ. <strong>Die</strong> Wache, die sie her gebracht hatte, gab ihr nun eine klare<br />

Anweisung. „<strong>Die</strong>se Ratte dort ist mit einem Virus infiziert. Du wirst dieses Virus lokalisieren,<br />

analysieren und heilen. Du hast vier Arbeitsgänge Zeit. Solltest du es in der Zeit nicht ge-<br />

schafft haben ... nun, du bist lange genug hier, um unser Bestrafungsprinzip zu kennen. Du<br />

bekommst jedes Hilfsmittel, nur nicht mehr Zeit. Hast du alles verstanden?“ Dana nickte. „Ja,<br />

Sir, das habe ich.“ Ohne zu ahnen, dass in zwei Nachbarräumen Allison und House genau die<br />

gleichen Aufgaben bekommen hatten, machte Dana sich an die Arbeit.<br />

Heather und Abby machten sich ebenfalls keine Sorgen mehr, als nach dem hervor-<br />

ragenden Mittag Ziva und Jake wieder abgeholt wurden. Dass man sie selbst kurz darauf<br />

ebenfalls abholte, machte ihnen mehr Probleme. Auf dem Flur bereits stießen sie auf Sara und<br />

Gil und mit ihnen zusammen wurden die beiden jungen Frauen in einen ziemlich großen, mit<br />

Technik vollgestopften Raum geführt. Kurz und bündig bekamen sie nun Anweisungen. „Ihr<br />

seid alle technisch begabt und werdet daher folgende Aufgabe erledigen: In diesem Raum ist<br />

die <strong>Über</strong>wachungsanlage für die ganze untere Etage untergebracht. Ihr werdet gemeinsam<br />

eine Möglichkeit ausarbeiten, die Räume 11 und 12 mittels einer Endlosschleife zu über-<br />

brücken, habt ihr das verstanden?“ Im Chor antworteten die Vier: „Ja, Sir, verstanden.“ „Ihr<br />

habt zwei Arbeitsgänge Zeit, solltet ihr es dann nicht geschafft haben, werden andere für euch<br />

betraft werden, ist das klar?“ „Vollkommen klar, Sir.“ Gil antwortete ruhig und beherrscht,<br />

wie es seine Art war. Bevor die Wache den Raum verlassen konnte, fragte Heather<br />

136


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schüchtern: „Entschuldigung, Sir, bitte, dürfen wir darüber später mit ... na ja, mit unseren<br />

Partnern reden?“ Der Wachposten nickte. „Wenn wir euch Gespräche nicht ausdrücklich<br />

untersagen, sind sie erlaubt.“ Auch Abby war froh, das zu hören. Mit Ziva darüber reden zu<br />

können, was sie hier machen musste, war hilfreich, denn Ziva war ebenfalls technisch sehr<br />

versiert. <strong>Die</strong> Wache verließ den Raum und die Vier sahen sich die Anlage gemeinsam an.<br />

„Dann wollen wir mal sehen, was wir da machen können.“<br />

*****<br />

Als alle schließlich wieder in ihren Zimmern waren, fanden sie auf den Tischen je<br />

zwei Schnellhefter, die neben ihrem Abendbrot lagen. Ziemlich erschöpft sanken alle auf die<br />

Sofas und fast jeder griff nach einem Schnellhefter. Jake biss herzhaft in eines der frischen,<br />

gut belegten Sandwichs, die es zum Abendbrot gab. Dann blätterte er den Schnellhefter durch.<br />

Das erste, was er fand, war eine Checkliste.<br />

Gesundheitscheck<br />

1) Name:<br />

2) Größe:<br />

3) Gewicht:<br />

4) Alter:<br />

5) Kinderkrankheiten:<br />

6) Impfungen:<br />

7) Erbkrankheiten in der Familie:<br />

8) Geisteskrankheiten in der Familie:<br />

9) Geschlechtskrankheiten:<br />

10) Regelmäßig eingenommene Medikamente:<br />

11) Schwangerschaftsabbrüche:<br />

12) Sexuelle Aktivitäten: a) Wechselnde Partner?<br />

b) Prostituierte?<br />

13) Fehlsichtigkeit:<br />

14) Orthopädische Probleme:<br />

15) Raucher/Nichtraucher:<br />

16) Zahnärztliche Untersuchungen regelmäßig:<br />

17) Herz/Kreislauferkrankungen:<br />

18) Alkoholprobleme:<br />

19) Drogenmissbrauch:<br />

137


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

20) Allergien:<br />

21) Diabetes:<br />

22) Epilepsie:<br />

23) Ohnmachtsanfälle oder Bewusstseinsstörungen:<br />

24) Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen:<br />

25) Schwerhörig:<br />

26) Schwanger:<br />

27) Asthma:<br />

28) Rheuma:<br />

29) Magen/Darmerkrankungen:<br />

30) Krebs:<br />

31) Unfälle oder Verletzungen:<br />

32) Regelblutung:<br />

„Oh, man, das meinen die ja wohl nicht ernst, oder?“ Jake starrte perplex die Fragen-<br />

liste an. Heather beugte sich zu ihm und las mit. Sie hatte den zweiten Hefter noch nicht in die<br />

Hand genommen. „<strong>Die</strong> haben bisher alles ernst gemeint, Jake. Und, bitte, erinnere dich, was<br />

passiert ist, als du das letzte Mal Fragen wissentlich falsch beantwortet hast.“ Heathers<br />

Stimme zitterte leicht. Jake nahm sie in den Arm und sagte ruhig: „Mach dir nur keine<br />

Sorgen, ich werde garantiert nie wieder bei diesen Bastarden falsche Angaben machen, darauf<br />

kannst du dich verlassen. Ich werde nie wieder riskieren, dass sie dir etwas antun.“ Jake aß<br />

sein Sandwich zu Ende, dann griff er sich einen Bleistift und fing an, die Fragen ordnungs-<br />

gemäß zu beantworten. Beim Gewicht zögerte er etwas. „Ich habe um die 82 Kilo gewogen,<br />

bevor sie uns ... Tja, und ich habe bestimmt 10 Kilo abgenommen, oder was meinst du?“ Er<br />

sah Heather an. „Du übrigens auch. Du, wir alle, sind richtig dünn geworden.“ Heather nickte.<br />

„Ja, aber wenn wir weiter so gut versorgt werden, haben wir unser altes Gewicht schnell<br />

wieder. Schreibe um die 72 Kilo hin, damit wirst du einigermaßen richtig liegen.“ Jake<br />

nickte. Dann schrieb er bei Gewicht - zirka 72 Kilo mehr oder weniger - hin. Als er zu der<br />

Frage nach den sexuellen Aktivitäten kam, wurde er rot. Dass er seine Partnerinnen häufig<br />

gewechselt hatte, hatte er Heather bereits vor längerer Zeit erzählt, noch bevor er nach Sydney<br />

gegangen war. Dass er aber zu Prostituierten gegangen war, wusste die junge Frau nicht. Ver-<br />

legen druckste er herum. „Hör zu, ich ... oh, man, ich ... Heather, ich war ab und zu mit<br />

Prostituierten im Bett, okay. Es tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern.“ Er schwieg be-<br />

treten. Heather hatte ihm verwirrt zu gehört, jetzt starrte sie ihn empört an.<br />

„Was? Du hast Frauen dafür bezahlt, dass sie ... Jake.“ Jake seufzte hörbar ein.<br />

„Heather, bitte ... Manchmal hat es sich einfach so ergeben, okay. Es war nicht geplant, aber<br />

138


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ist einfach so gekommen.“ „Du kannst doch jede Frau haben, warum dann noch ... Ich ver-<br />

stehe das einfach nicht.“ <strong>Die</strong> junge Lehrerin schwieg. Was hätte sie noch sagen können?<br />

Vielleicht gingen ja alle Männer ab und an zu diesen Frauen? Unerfahren, wie sie war, hatte<br />

diese Mitteilung sie ziemlich erschreckt. Jake und ... Nein, sie wollte nicht daran denken. Das<br />

war ja vor ihr gewesen und vorbei. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jake die Frage mit Ja<br />

beantwortete. Sie selbst wurde rot bei der Frage nach ihrer Regelblutung. Unglaublich ver-<br />

legen starrte sie die Frage minutenlang an. Dann schrieb sie mit zitternder Hand - unregel-<br />

mäßig und häufig mit starken Krämpfen - Sie blätterte schnell die nächste Seite im Hefter auf,<br />

damit Jake ihre Antwort nicht sehen konnte.<br />

Sara und Gil saßen neben einander auf dem Sofa. „Du hast abgenommen.“, stellte Sara<br />

fest und sah den Freund an. „Du wiegst höchstens noch ... 150 Kilo .“ <strong>Die</strong> Ermittlerin lachte.<br />

Gil sah sie an und verzog das Gesicht. „Jaja, lästere du nur, warte mal ab, wenn wir hier raus<br />

kommen, bin ich schlank und fit.“ Sara lachte noch mehr. Gil beim morgendlichen Joggen ...<br />

Eine herrliche Vorstellung. Sie hatte noch sehr genau das Debakel auf dem Laufband vor<br />

Augen. „Weißt du noch, welche Kinderkrankheiten du hattest?“ Sara überlegte. „Ich weiß<br />

sicher, dass ich Röteln hatte. Meine Mum war damals ganz glücklich darüber. Und ich habe<br />

als Kind schrecklichen Husten gehabt, weiß aber nicht, ob es Keuchhusten war.“ Gil grübelte.<br />

„Ich bin sicher, <strong>mich</strong> an Mumps und Masern erinnern zu können ... Mehr fällt mir nicht ein.“<br />

Bei der Frage nach den Sexpartnern war Gil froh, dass Sara bereits von Lady Heather wusste.<br />

So konnte er ruhigen Gewissens - Ja - schreiben. Sara stolperte über die Frage 18, Alkohol-<br />

probleme. Ganz kurz überlegte sie, dann beantwortete sie die Frage mit einem - Ja, zeitweilig<br />

- und seufzte. Schließlich kam sie bei der letzten Frage an, antwortet mit einem - Keine<br />

Probleme - und blätterte dann die nächste Seite in dem Schnellhefter auf. „Was ist denn das?<br />

Sieht aus wie Konzentrationsübungen.“ Sie starrte die zweite Seite erstaunt an.<br />

Beantworte die Fragen in möglichst kurzer Zeit.<br />

1. Brückenwörter<br />

Gesucht sind Wörter, die an das erste angehängt und dem zweiten vorangestellt<br />

neue Begriffe ergeben.<br />

z.B.:<br />

Haus - Brief <strong>Die</strong> Lösung ist Meister: Hausmeister - Meisterbrief<br />

a) Dach Rahmen<br />

b) Pferde Ball<br />

c) Taschen Zeiger<br />

d) Lampen Ständer<br />

139


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

e) Fuß Junge<br />

f) Buch Gymnastik<br />

g) Auto Panne<br />

h) Hasen Pflege<br />

i) Gedicht Wurm<br />

j) Kasten Rad<br />

2. Konzentration<br />

Stellen Sie fest, wie oft die folgende Zahl in der Ziffernfolge zu finden ist.<br />

<strong>Die</strong> gesuchte Zahl lautet 4327<br />

1328745738794587943272152321234246125478234584859856569787687432786<br />

5635513<br />

1243654756635348193656536327275483758743534879874327324535647698774<br />

5432541<br />

2121745748569857695695846462323305958747346384930209187sechzehn26234<br />

872910293837<br />

4764646372828239393978374646432721829394500505606958476362524242351<br />

3213567<br />

7677098765424556766677676432723458824345645756756657876879891223546<br />

7677654<br />

5445303293846456217219292983843847543272829827371954782643487676463<br />

4657643<br />

6436387823478587658756856985873763446565723748799498432797596075857<br />

6004048<br />

3. Wortquadrat<br />

Bilden Sie mit den Buchstaben des Quadrats Wörter. Sie können jeweils ein Kästchen<br />

vorrücken und sich dabei senkrecht, waagerecht und diagonal in alle<br />

Richtungen bewegen. Sie können Buchstaben pro Wort auch mehrfach benutzen,<br />

müssen allerdings den Buchstaben vorher "verlassen" haben. Umlaute (ä,ö,ü) sind<br />

ausgeschrieben (ae, oe, ue).<br />

Als Beispiel ist das Wort "aber" eingezeichnet.<br />

A B R F<br />

E G N O<br />

I R S T<br />

D A E L<br />

House grinste. Prostituierte ... Er erinnerte sich an die kleine Episode mit Jake, Bones<br />

und den Telefonnummern. Er beantwortet die peinliche Frage mit einem - Ja - und sah dann<br />

140


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison an. Ihr Gesichtsausdruck war alles andere als begeistert und brachte Greg noch mehr<br />

zum Grinsen. „Was denn? Nun tu nur nicht so, als wüsstest du es nicht. Ich habe immer gerne<br />

die <strong>Die</strong>nste von Fachleuten beansprucht.“ Cameron schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte ich<br />

<strong>mich</strong> von dir auch mal bezahlen lassen ...“, grübelte sie laut. House tat so, als würde er sich in<br />

Hosentaschen greifen. „Dann werden wir wohl getrennt schlafen müssen, ich bin gerade nicht<br />

gut bei Kasse und Wilson ist nicht greifbar, um mir ein paar mickerige Scheine zu leihen.“ Er<br />

überflog die Fragen noch einmal und fragte dann: „Sag mal, gilt Vicodin als Medikament?“<br />

Allison lachte. „Na, als was denn sonst?“ „Drogenmissbrauch ...“, kam die lakonische<br />

Antwort ihres Chefs. „Schreib bei beiden Fragen ja, dann wirst du schon richtig liegen.“ Als<br />

beide alle Fragen beantwortet hatten, wollte House den Hefter zu klappen. „Bist du nicht neu-<br />

gierig, was die sonst noch von uns wollen?“ fragte Allison und deutete auf die weiteren Zettel<br />

in dem Hefter. „Hm, ich hatte gehofft, wir könnten die Unterhaltung über das Fachpersonal<br />

ein wenig vertiefen.“ House sah Cameron anzüglich grinsend an. <strong>Die</strong>se schüttelte streng den<br />

Kopf. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ erklärte sie und blätterte die nächste Seite auf.<br />

Minuten später waren beide mit den Übungen beschäftigt. „Ich habe keine Idee für<br />

Buch und Gymnastik.“ Cameron starrte genervt auf den Zettel vor sich. „Mir fällt zu<br />

Lampen/Ständer nichts ein.“ Okay, zu Ständer wäre House schon etwas eingefallen, aber<br />

Allison hatte ihm deutlich klar gemacht, dass er erst würde die Fragen durch arbeiten müssen.<br />

Er grübelte über der Lampe. Dann ging ihm ein Licht auf. Lampen - Schirm - Ständer.<br />

Zwischendurch schaute House immer wieder auf die Zahlenreihen, entdeckte die gesuchte<br />

Kombination immer wieder mal und wenn er dort nichts mehr erkennen konnte, durchstöberte<br />

er das Buchstabenquadrat nach Worten. - Aber - Lagern - Rabe - Gerber - Regen - Bei<br />

jedem Drauf gucken kamen ihm neue Worte in den Sinn. Allison schlug sich eben mit der<br />

Hand an die Stirn. „Rücken. Das ist es. Buch - Rücken - Gymnastik. Wie blöde kann man<br />

denn sein.“ Sie widmete sich nun den Zahlen und Buchstaben. Schließlich hatte sie eine ganze<br />

Reihe von Worten entdeckt. Ton - Gras - Dante - Fanta - Not - Neid Erst mal genug.<br />

Gelangweilt blätterte sie weiter und erstarrte. Schlagartig war die Langeweile ziemlichem<br />

Erschrecken gewichen. „Sieh dir das an.“<br />

Ausstehende Untersuchungen und Eingriffe<br />

Internistische Untersuchungen<br />

Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens)<br />

Farbdoppler-Sonographie der Halsschlagadern (Ultraschall)<br />

Farbdoppler-Sonographie der Beingefäße (Ultraschall)<br />

Sonografie des Abdomens (Ultraschall)<br />

141


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sonografie der Schilddrüse (Ultraschall)<br />

Sauerstoffmessung (Sauerstoffgehalt im Blut)<br />

Sehtest mit Perimetrie<br />

Hörtest<br />

Komplett-Labor<br />

Zusatzuntersuchungen<br />

Gastroskopie (Magenspiegelung)<br />

Bronchoskopie (Bronchienspiegelung)<br />

Urethrozystoskopie (Harnröhren & Blasenspiegelung)<br />

Augendruckmessung<br />

Allergiediagnostik<br />

Haut-Check<br />

Orthopädische Vorsorgeuntersuchung<br />

HNO-Vorsorgeuntersuchung<br />

Spiral-CT der Herzkranzgefäße<br />

Röntgenuntersuchung Thorax<br />

MRT Wirbelsäule<br />

MRT Hirn<br />

Komplett Labor<br />

Allgemeine Blutuntersuchung: vollständiges Blutbild einschließlich<br />

Differenzierung des Blutausstriches, Retikulozyten<br />

Sämtliche Blutfette: Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin, Triglyceride<br />

Leberwerte: SGOT, SGPT, Gamma-GT, LDH, alkalische Phosphatase, Cholinesterase,<br />

Bilirubin<br />

Nierenwerte: Kreatinin und Harnstoff<br />

Gichtwerte: Harnsäure<br />

Entzündungswerte: CRP, Leukozyten, BSG<br />

Elektrolyte und Mineralstoffe: Kalium, Eisen, Calcium, Magnesium, Natrium,<br />

Chlorid<br />

Eisenspeicherwerte: Transferrin, Transferrinsättigung<br />

Diabetes: Blutzucker und HbA1c (Langzeitblutzuckerwert)<br />

Immunsystem: Immunglobuline A, G, M, Elektrophorese<br />

Messung der Stressbelastung ( freie Radikale, oxidativer Stress): d-ROM-Test<br />

Messung des Arterioskleroserisikos: Hochsensitiver CRP<br />

Allergie: IgE-Gesamtwert<br />

Thrombose und Gerinnungswerte: Quick, INR, PTT, TZ, Dimer<br />

Kompletter Urinstatus<br />

Sauerstoffwert: perkutane Messung der Sauerstoffsättigung<br />

142


Zusätzliches Labor<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schilddrüsenwerte: TSH, T3, T4<br />

Biologisches antioxidatives Potential: BAP<br />

Arterioskleroserisiko: Homocystein, Lipoprotein-A<br />

Prostatavorsorge: PSA<br />

Spezifische Untersuchungen<br />

Gründliche zahnärztliche Untersuchung und Behebung evt. Mängel<br />

Knochenmarkpunktion<br />

Lumbalpunktion<br />

Eingriffe<br />

Einsetzen einer Spirale bei den Frauen.<br />

Implantation eines Mikro-Chips in der Medulla oblongata bei allen Gefangenen.<br />

Root treatment<br />

Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.<br />

Ralph W. Emerson<br />

Nicht nur Cameron und House waren schockiert, als sie gelesen hatten, was ihre Gast-<br />

geber noch für sie alle in petto hatten. <strong>Die</strong> meisten Menschen hatten vor irgendetwas, dass mit<br />

Ärzten, Medizin, Untersuchungen, Eingriffen zu tun hatte, Angst. In der kleinen Gruppe der<br />

Entführten gab es viele, die aus dem einen oder anderen Grund auch bis in die Tiefen ihrer<br />

Psyche erschüttert waren. House hatte ganz allgemein etwas gegen allzu gründliche Unter-<br />

suchungen. Heather hatte seit ihrer Jugend schreckliche Angst vor dem Gynäkologen. Durch<br />

ihre zum Teil quälenden Schmerzen bei den Monatsblutungen hatte sie schon sehr früh<br />

Bekanntschaft mit dem Frauenarzt gemacht. Sie brachte diese Art Arzt nur mit Schmerzen<br />

und absoluter Beschämung in Verbindung. House, Dana und Allison wussten nur zu genau,<br />

wie unangenehm einige der angekündigten Untersuchungen waren, um nicht Schweißaus-<br />

brüche zu bekommen. Booth hatte eine phobische Angst vor dem Zahnarzt. Als er las: Gründ-<br />

liche zahnärztliche Untersuchung und Behebung evt. Mängel wurde ihm schlecht vor Angst.<br />

143


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Bones ... Ich ...“ Tempe wusste von der Oralphobie ihres Partners. Sie nahm ihn in den Arm<br />

und sagte beruhigend: „Hey, wird schon nicht so schlimm werden.“ „Nicht so schlimm?<br />

Machst du Witze? Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr beim Zahnarzt. Der wird <strong>mich</strong> aus-<br />

einander nehmen. Ich muss eine Wurzelbehandlung machen lassen, das weiß ich seit Jahren.<br />

Scheiße, Bones, ich will hier weg.“<br />

Sawyer las mehr oder weniger erschüttert, was die Entführer planten. Als er Magen-<br />

spiegelung las, raste sein Herz. <strong>Die</strong> jüngere Schwester seiner Mutter war nach einer simplen<br />

Magenspiegelung fast verblutet. Niemand hatte gemerkt, dass es zu einer Perforation in der<br />

Magenwand gekommen war. Sawyer war mit seiner Mutter bei der Tante gewesen, als sie<br />

einen heftigen Blutsturz erlitt. Sie konnte nur durch unglaubliches Glück gerettet werden. Seit<br />

damals, obwohl er als Kind die Zusammenhänge nicht wirklich verstanden hatte, ließ jedoch<br />

das Wort Magenspiegelung Sawyers Herz bis in den Hals schlagen. Mulder wiederum hatte<br />

seit seiner Entführung durch Aliens panische Angst vor allem, was mit medizinischen Unter-<br />

suchungen zu tun hatte. Zwar konnte er sich zu seinem Glück nicht an Einzelheiten erinnern.<br />

Was er aber sehr genau in Erinnerung hatte war das Gefühl der völligen Unbeweglichkeit,<br />

und Schmerzen, absolut unerträgliche, grauenvolle Schmerzen. Wie sie ihm zugefügt worden<br />

waren wusste der Agent nicht. Das war auch nicht nötig. Er wusste nur, dass sie im Rahmen<br />

von Untersuchungen verursacht worden waren. Als er las, was alles mit ihnen gemacht<br />

werden sollte, sah er vollkommen verzweifelt Dana an. „Großer Gott, Scully, das überstehe<br />

ich nicht. Ich werde denen vom Untersuchungstisch rutschen. Und wenn sie auf die schlaue<br />

Idee kommen, <strong>mich</strong> zu fixieren, drehe ich durch.“ Er vergrub das Gesicht in den Händen.<br />

„Dana, ich weiß nicht, was die Aliens mit mir gemacht haben, aber die Schmerzen, an die ich<br />

<strong>mich</strong> erinnere, bereiten mir immer noch Albträume.“ Dana wusste von der Angst des Lebens-<br />

gefährten, hatte jedoch keine Vorstellung, wie sie ihm helfen konnte. „Ich weiß nicht, wie ich<br />

dir helfen kann, Mulder. Es wird diese Leute nicht beeindrucken, dass du Angst hast. Wenn<br />

ich nur irgendwie könnte, würde ich alles tun, um dir das zu ersparen.“ Sie zog Mulder eng an<br />

sich und spürte, dass er zitterte.<br />

Locke und Gibbs hatten die Schnellhefter durch geblättert und waren sofort auf die<br />

Liste mit den ausstehenden Untersuchungen gestoßen. Gibbs selbst hatte keine Angst, weder<br />

vorm Zahnarzt noch vor normalen Ärzten. Als er jedoch die Stelle mit dem Mikro-Chip sah,<br />

wurde ihm mulmig. Was sollte das? Warum wollten sie ihnen Chips einpflanzen? Gibbs lief<br />

ein Schauer über den Rücken. „Hast du das gelesen, Locke? <strong>Die</strong> wollen uns einen Chip ein-<br />

setzen. Ich kenne <strong>mich</strong> mit so was nicht sehr gut aus, aber das kann doch zur Ortung benutzt<br />

werden, oder?“ Locke antwortete nicht. Er starrte geschockt auf die Liste in seiner Hand.<br />

„John, ist alles in Ordnung?“ Gibbs sah den Zimmergenossen besorgt an. So schockiert hatte<br />

144


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

er den Mann noch nie erlebt. Locke sah auf. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Angst,<br />

wie Gibbs ihn vorher noch nicht gesehen hatte. Locke hatte auf ihn immer einen sehr ruhigen<br />

und gefassten Eindruck gemacht. Jetzt aber, nur, weil ärztliche Untersuchungen auf ihn zu-<br />

kamen, schien er ziemlich außer sich zu sein. „Ich ...“, setzte John zum Sprechen an: „Ich ...<br />

Nach dem Mordversuch durch meinen Vater ... Als ich Querschnittgelähmt im Krankenhaus<br />

aufwachte ... <strong>Die</strong> endlosen Untersuchungen, immer wieder ... Das ist seit damals nicht mehr<br />

so mein Ding.“ Gibbs nickte verständnisvoll. „Das kann ich verstehen. Tut mir leid, Mann.“<br />

<strong>Die</strong> nächsten Tage vergingen in einem ziemlich festen Rhythmus, abgesehen davon,<br />

dass die Entführer immer noch jeglichen merkbaren Tagesrhythmus fehlen ließen. <strong>Die</strong> Zeiten,<br />

an denen die Gefangenen mit Frühstück, Mittag und Abendbrot versorgt wurden, variierten<br />

genau so wahllos wie bisher. Auch die Zeiten, in denen sie zum Waffentraining, welches nun<br />

jeden Tag stattfand, oder dem Fitnesstraining, das ebenfalls täglich durchgezogen wurde, ab-<br />

geholt wurden, waren von keinem erkennbaren, festen Rhythmus geprägt. Das Fehlen jeg-<br />

licher fester Zeiten ließ nach wie vor keine Prognose zu, wie viel Zeit verging. <strong>Über</strong> allen<br />

Aktivitäten schwebte nun selbstverständlich die Angst vor den angekündigten medizinischen<br />

Untersuchungen. <strong>Die</strong> Ärzte wurden jeden Tag für eine gewisse Zeit ins Labor oder an<br />

Schreibtische verfrachtet, wo sie Test oder Versuche durchzuführen, oder Berichte zu vor-<br />

gegebenen Themen zu verfassen hatten. Gil, Sara, Heather und Abby bekamen im flotten<br />

Wechsel immer neue technische Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten. Das Fitnesstraining be-<br />

gann sich auszuzahlen, Gil war tatsächlich in die Gruppe 3 aufgestiegen, Mulder und Sawyer<br />

ackerten nun bei Ziva und den anderen mit. Bei ihnen wechselten Geräte und leichtathletische<br />

Aufgaben einander ab. Das erste Wettrennen gegen einander durften die <strong>Anderen</strong> beobachten.<br />

Es ging über tausendfünfhundert Meter und forderte allen sechs alles ab. Noch lange nicht<br />

wieder in alter Form, war es Booth, der ganz knapp hinter Ziva, die einen Schritt schneller<br />

gewesen war, zweiter wurde. Mulder und Jake teilten sich den vierten Platz, Sawyer schlug<br />

Kate knapp. Vollkommen erledigt brachte man sie zurück in ihre Zimmer. Nur langsam er-<br />

holten sich die sechs von dem Wettlauf. Nach dem Abendbrot an dem Tag wurden sie alle<br />

noch einmal wieder aus dem Zimmern geholt. Beunruhigt wurden sie über die Flure in einen<br />

großen Schulungsraum gebracht. Als man sie abholte, wurden auch die Gesundheitsfrage-<br />

bogen eingesammelt.<br />

<strong>Über</strong>rascht verteilten sie sich an die Tische. Und dann folgte ein Vortrag über Maler<br />

des Realismus, Surrealismus, der Renaissance, Naturalismus, Impressionismus. Sie lernten<br />

Picasso, Warhol, Rembrandt, van Gogh, Monet, Michelangelo, Dali kennen. Sie sahen Ab-<br />

bildungen berühmter Gemälde: Nachtcafé, Das Abendmahl, Mona Lisa, Der Schrei, Mädchen<br />

mit Perle, <strong>Die</strong> Schule von Athen, Rafaels Engel. Sie erfuhren Wichtiges über den Louvre in<br />

145


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Paris, die National Galerie in London und Berlin, das Guggenheim Museum, das<br />

Vatikanische Museum, die Eremitage in Sankt Petersburg. Sie alle bekamen den Auftrag,<br />

mitzuschreiben und auswendig zu lernen. Ganz besonderes Augenmerk sollten sie dabei den<br />

Daten widmen: Wann welche Gemälde gemalt worden waren und ihre Größe, wann welcher<br />

Künstler gelebt hatte, Bauzeiten der Museen, Eröffnungsdaten, ect. Sie erfuhren von der<br />

Interpretation bestimmter Bilder, auch von den verwendeten Materialien, wie viel bestimmte<br />

Gemälde wert waren und als man sie schließlich zurück in ihre Räume brachte schwirrte allen<br />

ziemlich der Kopf, auch denen von ihnen, die etwas von Kunst verstanden. Kate und Sawyer,<br />

der leicht gehumpelt hatte, sanken todmüde auf ihr Bett. „Was interessiert es <strong>mich</strong>, wo ich das<br />

verdammte Abendmahl von da Vinci bewundern kann und ob es nun 422 cm × 904 cm oder<br />

678 cm x 10 cm groß ist.“ Er stöhnte leise auf. „Ich bekomme gleich einen Krampf in der<br />

Wade. Shit.“ Er fuhr hoch und hielt sich keuchend vor Schmerz den betreffenden Muskel.<br />

Kate stand schon auf dem Bett und hielt Sawyers Bein in die Höhe, drückte den Fuß mit aller<br />

Kraft durch, die Zehe Richtung Schienbein. Es dauerte nicht lange und der Krampf löste sich.<br />

Als sie dann nebeneinander lagen, Sawyer hatte sich an Kate gekuschelt und seine<br />

Finger spielten mit einer ihrer Haarsträhnen, sagte er leise: „Weißt du, Freckles, irgendwie hat<br />

es fast Spaß gemacht ...“ Er schwieg verlegen. „Das finde ich auch. Endlich hat das Untätig<br />

sein ein Ende.“ Sie drehte sich zu Sawyer herum und ihre Finger strichen sanft über seine<br />

nackte Brust. „Wenn wir nicht gefangen wären, könnte es so direkt schön sein ...“ Sie gab ihm<br />

einen zärtlichen Kuss. „Weißt du, das Sportprogramm macht sich schon bezahlt.“ Ihre Finger<br />

glitten tiefer und strichen über Sawyers Bauch. „Da bilden sich wieder Muskeln ...“ Sie ließ<br />

die Finger noch tiefer gleiten und Sawyer stieß gepresst vor Erregung hervor: „Da bildet sich<br />

gerade noch ganz was anderes ...“ Er biss sich seufzend auf die Lippe und rollte sich dann<br />

schwungvoll herum. Seine Hände begannen, sehr behutsam über Kates Körper zu gleiten und<br />

schließlich konnte er sich nicht mehr zurück halten und glitt auf sie. Arm in Arm schliefen sie<br />

schließlich ein. Kate wachte mitten in der Nacht davon auf, dass Sawyer neben ihr im Schlaf<br />

panisch um sich schlug und unverständliches murmelte. Sie wich einem Schlag aus, dann<br />

griff sie blitzschnell zu und hielt Sawyers Arme fest. „Schatz. Wach auf. Was ist? Du<br />

träumst.“ Mit einem heftigen Keuchen schoss Sawyer hoch. „Wasis los ...“, stotterte er völlig<br />

verwirrt. „Du hast geträumt und um dich geschlagen.“ Sawyer war Schweiß gebadet und<br />

zitterte. „Ich hab von Leann geträumt ...“ Kate stutze. „Wer ist das, den Namen hast du bisher<br />

nicht erwähnt.“ „Leann ... <strong>Die</strong> jüngere Schwester meiner Mutter. Sie ... sie wäre nach einer<br />

Magenspiegelung fast verblutet. Ich war mit meiner Mutter bei ihr zu Besuch, zwei Tage nach<br />

der Spiegelung und habe miterlebt, wie sie plötzlich einen Blutsturz hatte. Kate, ich habe eine<br />

solche Scheiß Angst davor.“<br />

146


gesagt.“<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Hier sind die Fragebögen. Ist schon interessant, alle haben die Wahrheit<br />

„Natürlich. Was hast du denn erwartet? Dass noch einer von ihnen den<br />

Mut hat, uns anzulügen?“<br />

„Nein, ganz bestimmt nicht. ... Wir hätten noch nach speziellen Ängsten<br />

fragen sollen, meint ihr nicht?“<br />

„Das ist für eine Gruppensitzung angedacht. Jerred erwähnte so was.<br />

Sie sollen vor einander gestehen, wovor sie Angst haben.“<br />

„Austen hat große Fortschritte gemacht, sie trifft immer besser.“<br />

„Ist mir auch aufgefallen. Ich wusste, sie ist ein Talent. Und habt ihr be-<br />

merkt, wie Ford und Mulder sich rein gehängt haben, um in Gruppe 1 aufzu-<br />

steigen?“<br />

„<strong>Die</strong> sind alle plötzlich sehr ehrgeizig. Selbst Grissom, die faule Socke,<br />

hat einen Zahn zu gelegt.“<br />

„Apropos, Zahn, ich bin ja schon sehr auf morgen gespannt ...“<br />

Der nächste Tag begann harmlos. Nach dem Frühstück wurden die Gefangenen ge-<br />

meinsam abgeholt, wobei sich die Zahl der Wachen im Laufe der Zeit permanent reduziert<br />

hatte. Mit auf den Rücken gefesselten Händen und dem Halsband hatten sie ohnehin keine<br />

Chance zu fliehen. So hatten die Entführer nach und nach den <strong>Über</strong>hang an Wachposten ver-<br />

ringert. Als alle sechzehn Gefangenen eingesammelt wurden, waren nur noch sechs Wach-<br />

posten zugegen, quasi als Mahnwache. In drei Gruppen wurden die Gefangenen mit den Fahr-<br />

stühlen einige Etagen nach unten gefahren und dann geschlossen in einen großen Raum am<br />

Ende des Flures geführt. Als Booth sah, wohin man sie gebracht hatte, wurde ihm schlagartig<br />

speiübel und sein Herz schlug ihm bis in die Kehle. - Oh, Gott, nein, bitte. - dachte er ver-<br />

zweifelt. Ein großer Raum, versehen mit zwei ultramodern ausgestatteten zahnärztlichen Be-<br />

handlungsstühlen. An der einen Wand sechzehn Stühle, eine Röntgenkabine in einer Zimmer-<br />

ecke, zwei Ärzte, vier Assistenten. „Den Nummer nach auf die Stühle setzen. Nummer 1, zum<br />

Röntgen.“ Mit zitternden Beinen ging Booth langsam hinüber zu der Röntgenkabine, fünf<br />

Minuten später waren Röntgenaufnahmen von seinen Zähnen gemacht worden. Bones sah ihn<br />

voller Mitleid an, als er zu seinem Stuhl zurück wankte. Leichenblass sank er auf seinen Platz<br />

und schielte zur Tür hinüber. Eine der Wachen bemerkte seinen Blick und kommentarlos trat<br />

der Mann zu Booth hin. Sekunden später war dieser mit einer Hand an den Stuhl fixiert. Seine<br />

Leidensgenossen taten verlegen so, als bemerkten sie Seeleys offensichtliche Panik nicht.<br />

Der Reihe nach wurden nun alle in den Röntgenraum beordert und es wurden<br />

Röntgenaufnahmen ihrer Kiefer gemacht. Sie hatten kein ausdrückliches Redeverbot be-<br />

147


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kommen und so unterhielten sie sich leise miteinander. Booth beteiligte sich nicht an der<br />

Unterhaltung. Genau genommen bekam er sie nicht einmal richtig mit. Seit er diesen Raum<br />

betreten hatte, war er in seiner eigenen Welt gefangen, die nur noch aus nackter Angst be-<br />

stand. Als Gibbs als letzter in den Röntgenraum gerufen wurde, wurde aus der Angst nackte<br />

Panik. Er wusste, nun würde es bald losgehen. Er befürchtete, sobald seine Hand vom Stuhl<br />

losgemacht würde, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Panisch beobachtet er, wie Gibbs an<br />

seinen Platz zurückkehrte. <strong>Die</strong> beiden Ärzte und ihre Assistenten besprachen an der gegen-<br />

über liegenden Wand an einem Lichtbrett für die Röntgenaufnahmen, was bei den einzelnen<br />

Gefangenen gemacht werden musste. Dann hieß es: „Nummer 1 und 2, auf die Stühle.“ Jake<br />

erhob sich ruhig, er hatte nie Angst vor dem Zahnarzt gehabt und war ziemlich sicher, keine<br />

nennenswerten Probleme an den Zähnen zu haben. Booth jedoch wurde steif. Er bekam<br />

unterbewusst mit, dass eine der Wachen seine Hand los machte. Allerdings rührte er sich<br />

nicht von der Stelle, saß steif, wie gelähmt, auf seinem Stuhl und starrte zu dem Behandlungs-<br />

stuhl hinüber. Er hatte schon vorher bemerkt, dass die Stühle mit ein paar Zusatzteilen aus-<br />

gestattet waren, wie man sie in einer normalen Praxis so sicher nicht finden würde. An den<br />

Kopfstützen, den Armlehnen, sowie in Höhe der Oberschenkel und Knöchel hingen stabil<br />

aussehende Ledergurte höhnisch herunter, angebracht, um renitente Patienten an den Stuhl zu<br />

fixieren. Heftig zuckte er zusammen, als er an den Oberarmen gepackt wurde.<br />

Hatte der sonst so knallharte FBI Mann auch bisher alles ohne sich zu wehren mit ge-<br />

macht, war es jetzt schlagartig mit seiner Beherrschung vorbei. Fast unbewusst versuchte er,<br />

sich los zu reißen. Mit einer geradezu lässigen Bewegung packte einer der Wachen seinen<br />

rechten Arm und verdrehte Booth so schnell die Hand in einen extrem schmerzhaften Halte-<br />

griff, dass die Gefangenen dieser Aktion kaum mit dem Auge folgen konnten. Booth keuchte<br />

auf und hatte absolut keine Chance, sich dagegen zu wehren, zu dem Behandlungsstuhl ge-<br />

führt zu werden. Innerhalb kurzer Zeit lag er vollkommen bewegungsunfähig auf dem Stuhl,<br />

Kopf, Handgelenke und Beine mittels der Lederriemen fixiert. Auch die Tatsache, dass er<br />

verzweifelt versuchte, die Zähne zusammen zu pressen, nützte ihm natürlich nichts, dieser<br />

Versuch war der reinen Panik entsprungen. Es bedurfte nur eines geübten Griffes und auf-<br />

stöhnend öffnete er den Mund. Blitzschnell wurde ihm ein Mundspreizer zwischen die Zähne<br />

geklemmt und auf maximale Weite gespreizt. Nun wurde der Stuhl in die richtige Position<br />

gebracht und dann beugte sich der Arzt über Booth, zog sich den Mundschutz über, brachte<br />

den Strahler über dem Stuhl in die richtige Position und begann, mit einem Mundspiegel und<br />

einer Zahnsonde Booth’ Gebiss einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.<br />

Am anderen Stuhl unterzog der Zahnarzt dort Jakes Gebiss einer ebenso eingehenden<br />

Untersuchung. Er sah die Zähne genau durch und gab Infos an seine Assistentin weiter. „18<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fehlt, 17 ohne Befund, sechzehn, 15, 14 Konkrement 4 , sechzehn Amalgamfüllung. Links 25<br />

Amalgamfüllung, 28 fehlt. 48 fehlt, 47 Caries profunda 5 , 46, 45 ohne Befund, 44 Porzellan-<br />

füllung, 43 - 35 leichte Konkremente, 38 fehlt. Na, dann wollen wir mal.“ <strong>Die</strong> Assistentin<br />

kam an den Stuhl. Der Zahn, der behandelt werden musste, wurde aufgebohrt und dann ge-<br />

füllt. Jake zuckte zwar ab und zu ein wenig zusammen, hatte aber keine großen Probleme, still<br />

zu halten. Dann wurden seine Zähne gründlich gereinigt und Zahnstein entfernt.<br />

Abschließend nahm er eine Fluoridierung der Zähne sowie eine Fissurenversiegelung 6 vor.<br />

Dann war Jake fertig. Er bekam den Befehl, sich wieder zu den anderen zu setzen und Sawyer<br />

wurde aufgefordert, auf den Stuhl zu kommen. Wie Jake hatte auch Sawyer keinerlei<br />

Probleme mit dem Zahnarzt. Ruhig setzte er sich auf den Behandlungsstuhl, bekam das<br />

Papierläppchen umgelegt und der Arzt streifte sich frische Handschuhe und einen sauberen<br />

Mundschutz über. Dann begann er die Untersuchung bei Sawyer. „18 fehlt, 17 Amalgam-<br />

füllung mit sekundärer Karies 7 , ...“ Es folgte eine ganze Weile nur ohne Befund. Dann spürte<br />

Sawyer, wie der Arzt mit seiner Sonde an einem Backenzahn im Oberkiefer kratzte. „26<br />

caries profunda.“ Er suchte weiter und schloss seine Untersuchung schließlich mit dem Hin-<br />

weis „Nur sehr leichte Plaque Bildung. Dann wollen wir uns mal den beiden Löchern zu-<br />

wenden.“<br />

Inzwischen hatte am anderen Stuhl der Arzt die Untersuchung bei Booth ab-<br />

geschlossen. Er hatte an den Zähnen sechzehn und 27 gesunde Füllungen gefunden, an der 27<br />

jedoch sekundäre Karies, an 26 und 34 Dentin Karies 8 , und an 25 die nötige Wurzel-<br />

behandlung diagnostiziert, die Booth schon bekannt war. Der Zahnnerv begann hier abzu-<br />

sterben und machte eine Wurzelkanalfüllung unabwendbar. Booth, der schweißgebadet und<br />

zitternd auf dem Stuhl fest geschnallt lag, hatte mit wachsendem Entsetzen gehört, welche<br />

Diagnose der Arzt stellte. Er war mehrfach zusammen gezuckt, als der Arzt mit der Sonde in<br />

den Löchern herum stocherte. Als er mit bekam, wie der Dentist sich für die Behandlung<br />

bereit machte, wimmerte Booth verzweifelt auf. Er sah, wie der Arzt nach dem Bohrer griff<br />

4 Konkrement: Als Zahnstein bezeichnet man feste Auflagerungen auf dem Zahn, die man weder durch Spülen noch durch<br />

Zähneputzen entfernen kann. Zahnstein entsteht durch die Einlagerung von Mineralien aus dem Speichel in die Plaque.<br />

5 Caries profunda: Zahnkaries, die 2/3 in die Tiefe des Zahnes eingedrungen ist.<br />

6 Fissurenversiegelung: Eine Versiegelung der feinen Rillen auf den Backenzähnen zur Kariesprophylaxe.<br />

7 Sekundäre Karies: Unter Füllungen oder Inlays gebildete, neue Kariesherde.<br />

8 Dentinkaries: Bis auf die weicheren Dentinschichten reichende Karies. Das Dentin, auch Zahnbein, stellt einen großen Anteil<br />

des Zahns dar.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und dann spürte er das ekelhafte Bohren an seinem rechten, oberen Backenzahn. Seine Hände<br />

krallten sich um die Stuhlgriffe und er zuckte immer wieder auf keuchend zusammen. Dabei<br />

tat es wirklich noch nicht sehr weh. <strong>Die</strong> Assistentin saugte Speichel, Bohrflüssigkeit und feine<br />

Zahnsplitter vom Bohren gründlich ab, da Booth durch die Fixierung ja nicht selbst spülen<br />

konnte. Nach Stunden, so kam es dem FBI Agent jedenfalls vor, sagte der Doktor ruhig: „So,<br />

das wäre erledigt, nun wollen wir uns mal dem Sorgenkind widmen, was?“ Vom anderen<br />

Stuhl, auf dem Bones gerade auf Zahnpolierung wartete, kam von der jungen Anthropologin<br />

ein schüchternes: „Können Sie ihm nicht bitte eine Lokalanästhesie geben, Sir? Bitte. Was<br />

haben Sie denn davon, wenn er die Schmerzen spürt.“ Der Arzt sah ruhig zu Bones hinüber.<br />

„Er ist doch ein ganzer Kerl, er wird ein wenig Schmerz schon weg stecken, richtig?“ Er sah<br />

Booth an, der mit gewaltsam geöffnetem Mund und fixiertem Kopf nun wirklich nicht in der<br />

Lage war, panisch zu verneinen. Der Doktor, der Bones behandelte, sagte gönnerhaft: „Wenn<br />

du ganz brav bist, darfst du ihm die Hand halten.“ Bones biss sich auf die Lippe und stieß<br />

gequält ein: „Danke, Sir.“, hervor.<br />

Zwei Minuten später saß sie neben Booth, der Tränen in den Augen hatte, hielt seine<br />

gefesselte Linke und hatte ihre Rechte sanft auf seine Stirn gelegt. „Es tut mir so leid ...“ Was<br />

hätte sie auch sonst sagen sollen? Das es nicht wehtun würde? Der Arzt fing an, das Loch,<br />

durch welches das Problem an dem Zahn entstanden war, aufzubohren. Das war schon<br />

schmerzhaft und Booth zuckte immer wieder aufstöhnend in den Fesseln zusammen. Bones<br />

durfte ihm mit Zellstofftüchern den Schweiß und die Tränen, die ihm unwillkürlich in die<br />

Augen schossen, vom Gesicht wischen. Schließlich sagte der Arzt: „So, jetzt wird es unan-<br />

genehm. Aber du wirst es überleben, Nummer 1.“ Er spannte einen 15.ner Wurzelkanalbohrer<br />

in die Haltevorrichtung und beugte sich wieder über Booth. Und nun folgten einige wirklich<br />

sehr qualvolle Minuten für diesen. Auf dem Nerv war der Schmerz unerträglich und Booth<br />

lag zuckend und zitternd da, konnte durch die weite Spreizung des Mundes nicht einmal<br />

richtig schreien. Hilflose Laute drangen aus seinem weit gespreizten Mund. Er schluchzte<br />

verzweifelt und wünschte sich auf die Brücke, in den Schlafentzug oder in die Black Box<br />

zurück, überall hin, nur nicht hier. Der Arzt arbeitet gründlich, bohrte die Nervenkanäle sorg-<br />

fältig auf. Booth keuchte immer wieder gepeinigt auf. Schließlich erweiterte der Arzt die<br />

Kanäle mit einem etwas größeren Bohrer und verursachte Booth damit noch einmal stärkere<br />

Schmerzen. Bones liefen inzwischen ebenfalls schon Tränen über die Wangen. Das merkte sie<br />

jedoch gar nicht. Der Arzt jedenfalls ließ sich von den Qualen seines Patienten nicht im<br />

Mindesten beeinflussen. Ruhig arbeitet er weiter und reinigte schließlich mit antimikrobieller<br />

Spülung die Kanäle gründlich durch. Noch einmal sondierte er die Wurzelkanäle und gab<br />

seiner Assistentin dann ruhige Anweisungen, welches Füllmaterial sie fertig zu machen hatte.<br />

Alles in allem hatte die Tortur für Booth über dreißig Minuten gedauert und dieser war mehr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

tot als lebendig, als man ihn schließlich los machte. Von Bones und Mulder gestützt, wurde er<br />

noch einmal zu einer Kontrollröntgung in den kleinen Röntgenraum gebracht. Dort wurde<br />

eine weitere Röntgenaufnahme gemacht, um zu überprüfen, ob die Wurzel bis in die Wurzel-<br />

spitze gestopft war.<br />

Agony of fear<br />

Mut ist Widerstand gegen die Angst, Sieg über die Angst, aber nicht Abwesenheit<br />

von Angst.<br />

Mark Twain<br />

Auf dem Stuhl 2 saß inzwischen Abby. An einem Zahn wurde leichte Karies fest-<br />

gestellt und kurz und schmerzlos behandelt. Dann kam auch für Abby eine gründliche<br />

Reinigung der Zähne vom Zahnstein sowie eine ebenfalls sehr gründliche Fluoridierung.<br />

Währenddessen musste Booth auf dem Stuhl zurück. Auch bei ihm wurde noch Zahnstein<br />

entfernt. Der junge Mann war viel zu fertig, um sich noch zu wehren. Er lag apathisch still,<br />

ließ alles Weitere zitternd vor Schwäche über sich ergehen. Endlich war er ganz fertig und<br />

Bones half ihm zu seinem Stuhl zurück. Auf den Behandlungsstuhl musste nun Mulder, auf<br />

den zweiten Gibbs. Damit waren dann alle fertig. Gibbs hatte keinerlei Probleme, er war erst<br />

kurz vor der Entführung bei seinem Zahnarzt in DC gewesen. Tatsächlich wurde bei ihm bis<br />

auf ein wenig Plaque absolut nichts festgestellt. Er war schnell wieder herunter von dem Be-<br />

handlungsstuhl. Bei Mulder sah die Sache schon anders aus. Er setzte sich verkrampft auf den<br />

Stuhl, versuchte verzweifelt, sich unter Kontrolle zu halten. Als der Doktor ihn aber auf-<br />

forderte, den Mund zu öffnen, überschwemmt Mulder plötzlich eine Welle der Panik. Er hatte<br />

ein heftiges Déjà-vu. Er sah sich selbst auf einem sehr ähnlichen Stuhl gefesselt, vollkommen<br />

bewegungsunfähig, einen ähnlichen Mundspreizer wie Booth zwischen den Zähnen ... Da war<br />

noch mehr, aber er sah nur noch einen Bohrer oder etwas sehr ähnliches auf sich zu kommen<br />

und hörte sich schreien. Und wollte panisch vom Stuhl springen.<br />

Der Arzt gab den Wachen einen kurzen Befehl. „Los, fixiert ihn.“ Dana hatte mit<br />

wachsendem Entsetzen bemerkt, dass Mulder eine Panikattacke bekam. Wenn er auch noch<br />

bewegungsunfähig gemacht werden würde, würde er vermutlich durchdrehen. Sie hatten nie<br />

wirklich darüber gesprochen, was bei den Aliens damals geschehen war. Dana hatte immer<br />

das Gefühl gehabt, Mulder hätte zum Glück keine wirkliche Erinnerung daran. Sie selbst hatte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

in der Zeit, als er verschwunden war, immer wieder von Mulder geträumt, hatte ihn in absolut<br />

grauenerregenden Situationen gesehen, gequält, gefoltert, bei lebendigem Leibe regelrecht<br />

seziert. Sie hatte es lange als Albträume abgetan. Bis sie irgendwann, lange, nachdem Mulder<br />

wieder aufgetaucht war, gemerkt hatte, dass er, scheinbar ohne selbst zu wissen warum, in<br />

manchen Situationen, die ihm vor seinem Verschwinden keinerlei Probleme bereitet hatten,<br />

plötzlich Panikattacken bekam. <strong>Die</strong> vorgeschriebenen regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen<br />

zum Beispiel ließen ihn plötzlich schon Tage vorher Schweißausbrüche bekommen. War er<br />

vor der Entführung ein absoluter Verfechter des Sicherheitsgurtes im Auto gewesen, musste<br />

Dana ihn nun immer wieder dazu Ermahnen, sich anzuschnallen.<br />

Vor der Entführung hatte er dazu geneigt, sein Schlafzimmer eiskalt zu haben. Nach<br />

der Entführung achtete er plötzlich peinlich darauf, eine wirkliche Wohlfühltemperatur im<br />

Schlafzimmer zu haben. Er hatte sich ein sehr dünnes Zudeck besorgt und lag häufig frei ge-<br />

strampelt im Bett, wie, um zu vermeiden, zu sehr in die Zudecke eingemummelt zu sein.<br />

<strong>Über</strong>haupt vermied er alles, was ihn in seiner Bewegungsfreiheit beengte. Mehr, als ein<br />

normal reagierender Mensch darauf achten würde. Und Dana begann sich zu fragen, ob sie<br />

wirklich nur Albträumen aufgesessen war. Oder ob sie eine unerklärliche Verbindung zu<br />

Mulder gehabt hatte. Vielleicht aus dessen Verzweiflung geboren? Möglicherweise hatte sie<br />

in besonders furchtbaren Situationen Zeugin seiner entsetzlichen Qualen werden können, weil<br />

es Mulder gelungen war, irgendwie eine geistige Verbindung zu ihr herzustellen, als letzten<br />

Halt für sich, als letzten Rettungsanker, um nicht vor Angst und Schmerzen den Verstand zu<br />

verlieren. Wie auch immer es zugegangen war, schließlich war Dana überzeugt, dass die<br />

Aliens Mulder und seine mit ihm verschwundenen Leidensgenossen, von denen ja auch einige<br />

wieder aufgetaucht waren, zum Teil mit vollkommen zerrüttetem Verstand, als Versuchs-<br />

kaninchen schrecklich gequält hatten.<br />

Als sie ihn nun dort auf dem Zahnarztstuhl in helle Panik geraten sah, den Befehl<br />

hörte, ihn zu Fixieren, sprang sie ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit auf. Sie eilte an<br />

den Stuhl und stieß hastig und unterwürfig hervor: „Bitte, Sir, lassen Sie <strong>mich</strong> versuchen, ihn<br />

zu beruhigen, bitte. Was nützt er Ihnen, wenn er hier vor Angst vollkommen zusammen<br />

bricht. Sie wissen, was er erlebt hat. Bitte.“ Der Arzt hatte sie kommen sehen und schon den<br />

Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Jetzt überlegte er blitzschnell und nickte dann. „Ist in<br />

Ordnung, lasst es sie versuchen.“, sagte er zu den beiden Wachen, die herbei geeilt waren,<br />

und Mulder bereits fest auf den Stuhl drückten. Dana beugte sich über Mulder, der hysterisch<br />

darum kämpfte, sich von den haltenden Händen zu befreien. Sie griff konsequent nach seinen<br />

Händen und war bemüht, diese festzuhalten. „Mulder. Mulder, ich bin es, Dana. Hör mir zu.<br />

Schatz, komm schon, du musst dich beruhigen, dir passiert nichts, hörst du. Hier sind keine<br />

152


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Aliens, die dir etwas tun werden. Nur der Zahnarzt. Mulder, komm schon, beruhige dich.“<br />

Minutenlang redete Dana so beruhigend und leise auf den geliebten Mann ein, bis sie merkte,<br />

dass er sich wirklich langsam beruhigte. Er schien wie aus einem tiefen Traum in die Realität<br />

zurück zu kehren, zitternd, schweißgebadet, heftig keuchend, wie man aus einem schweren<br />

Albtraum erwachte. Er erkannte Dana, dass sah sie in seinen vor Grauen ganz dunklen Augen.<br />

„Hey, geht es wieder? Mulder, das wird eine ganz simple Zahnbehandlung, okay. Du musst<br />

versuchen, ruhig zu bleiben. Keiner wird dich hier quälen, dafür passe ich auf.“ Der Arzt warf<br />

ihr bei diesen Worten einen ironischen Blick zu, den Dana tunlichst ignorierte. Mulder<br />

brauchte noch ein paar Minuten, dann hatte er sich wieder soweit unter Kontrolle, dass er die<br />

Behandlung mehr oder weniger entspannt über sich ergehen lassen konnte. Zwar hatte er die<br />

ganze Zeit, während der Doktor in seinem Mund arbeitete, Angstschweiß auf der Stirn und<br />

seine Hände krallten sich in die Stuhllehnen, aber er blieb ruhig sitzen, ließ es über sich er-<br />

gehen.<br />

Und endlich waren alle fertig. Booth hing mehr, als dass er saß auf, seinem Stuhl und<br />

hatte die Hand auf die Wange gepresst. Er machte einen leicht abwesenden Eindruck, schien<br />

immer noch in seiner eigenen Welt, gefangen in Angst und Schmerz, fest gehalten zu werden.<br />

Als die Gefangenen Bescheid bekamen, in ihre Zimmer zurück zu dürfen, atmete Bones er-<br />

leichtert auf. Booth bedurfte dringend einer Pause. Der Zahnarzt erklärte den Wachen:<br />

„Schafft sie auf ihre Zimmer zurück, eine Stunde Pause, dann können sie zum Unterricht. 1<br />

lasst den Rest des Tages in Ruhe. Und lasst 6 bei ihm, verstanden? Vier Stunden nichts Essen<br />

für 1 und ihr anderen zwei Stunden nicht Essen oder Trinken. Abmarsch.“ <strong>Die</strong> Wachen<br />

nickten. „Okay, ihr habt es gehört. Hände auf den Rücken, wenn ich bitten dürfte.“ Eine<br />

Minute später waren allen die Hände gefesselt und sie wurden zu ihren Zimmern zurück ge-<br />

bracht. Booth musste von zwei Wachposten gestützt werden. In ihrem Raum angekommen<br />

wurden die Fesseln gelöst. Noch einmal erklärten die Wachen: „Ihr habt gehört, eine Stunde<br />

Pause, dann sammeln wir euch wieder ein, klar.“ Zu Bones sagte einer der Männer: „Pack<br />

ihm Eis auf die Backe, das wird ein wenig helfen.“ Bones nickte abwesend. Sie hatte, kaum,<br />

dass ihre Hände frei waren, nach Seeley gegriffen und führte diesen zum Bett hinüber.<br />

Erschöpft, am Ende, sackte er dort in die Waagerechte und lag erledigt still. Bones deckte ihn<br />

gründlich zu, denn Booth fing vor Kälte an, heftig am ganzen Leib zu zitterte. Als sie ihn zu-<br />

gedeckt hatte, strich sie ihm sanft über die Wange. „Booth? Geht es wieder?“ Er reagierte gar<br />

nicht auf Tempe und diese versuchte es noch einmal, lauter und fordernder. „Booth. Ist alles<br />

in Ordnung? Komm schon, du musst dich beruhigen, okay, du hast es überstanden.“ Und jetzt<br />

schien er aufzuwachen. Er sah sie an und stöhnte: „Bones ... Ich erd nie ieder zum Zahnarsd<br />

gehn ...“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Vor Erleichterung schossen Bones die Tränen in die Augen. „Du hast <strong>mich</strong> zu Tode<br />

erschreckt, weißt du das? Es tut mir so unendlich leid. Hast du Schmerzen?“ Seeley sah sie<br />

aus rot geränderten Augen an. „Sollas ein Witzein? Du bisdoch die mit den megizinischen<br />

Kenntnissn. Mir fliecht der Kopf auseinander, angefang im Mund ...“, nuschelte er undeutlich.<br />

Er schloss die Augen und hielt sich verzweifelt die rechte Wange. „Oh, man. Da deng man,<br />

man is hart im Nehm und die beweijen eim im Handumdrehn wieder ma dasch Gegendeil.“<br />

Booth stöhnte leise auf. Tempe konnte sehen, dass seine Zunge im Mund unwillkürlich an<br />

dem behandelten Backenzahn spielte. „Booth, abgesehen davon, dass du Marsianisch sprichst,<br />

wird es dir besser gehen, wenn du den Mund hältst. Ich werde dir ein wenig Eis holen, okay,<br />

das wird dir gut tun.“ Sie stand auf und ging zum Kühlschrank hinüber. Sie öffnete das kleine<br />

Eisfach und fand eine Eisschale. Bones brach vier Eiswürfel heraus, füllte die leeren Fächer<br />

gleich wieder mit Wasser und stellte die Schale zurück. Dann wickelte sie die Eiswürfel in ein<br />

paar Tissues, die in einer Box im Bad standen und ging zu Booth zurück, der schwer atmend<br />

im Bett lag. „Hier. Halt dir das an die Wange, das wird dir mit Sicherheit helfen.“, sagte sie<br />

sanft. Sie hatte die durchaus berechtigte Hoffnung, dass der Schmerz in ein paar Stunden ver-<br />

schwinden würde. Jetzt war dort alles gestresst und wund. Es musste sich einfach alles etwas<br />

beruhigen. Bei einem normalen Zahnarztbesuch würde die Betäubung noch so lange wirken.<br />

Hier musste Booth einfach durchhalten.<br />

*****<br />

Mulder sank erschöpft auf das Sofa. Er starrte blicklos vor sich hin und Dana war klar,<br />

dass ihr Partner erst einmal etwas Ruhe brauchte. Sie setzte sich stumm zu ihm und legte ihm<br />

einfach nur die Hand auf den Oberschenkel. Eine einfache Geste, die deutlich machte - Ich<br />

bin da - Sie musste selbst wieder einmal mit dem Erlebten fertig werden. Booth tat ihr unend-<br />

lich leid. Was er hatte aushalten müssen, war Folter in höchster Potenz gewesen. Wer einmal<br />

den Schmerz eines Bohrers auf einem unbetäubten Nerv gespürt hatte, konnte sich das<br />

vielleicht vorstellen. <strong>Die</strong> entsetzliche Angst, die er zusätzlich empfunden hatte, machte das<br />

Ganze noch hundertfach schlimmer. Denn wenn man Angst hatte, wurde Schmerz von jedem<br />

Menschen als noch deutlich stärker empfunden. Dana schüttelte sich. Hatte er vorher schon<br />

eine Phobie vor dem Zahnarzt gehabt, ging sie jede Wette ein, dass er nach diesem Erlebnis<br />

vermutlich nie wieder freiwillig eine Praxis betreten würde. Der arme Kerl. Sie seufzte.<br />

Immer, wenn sie dachten, das Schlimmste schon erlebt zu haben, gab es etwas, dass ihnen den<br />

Beweis lieferte, dass es eben doch immer noch schlimmer ging.<br />

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit gedanklich Mulder zu. <strong>Die</strong>ser hatte sich nach hinten<br />

sinken lassen und lehnte bequem an der Rückenlehne des Sofas, den Kopf in den Nacken ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

legt, die Augen geschlossen. - Was hast du nur erlebt, was haben sie dir angetan? - dachte sie<br />

und wünschte, sie könne in seinen Kopf gucken. Er hatte einmal eine Regressionshypnose<br />

machen lassen, um sich an die Nacht zu erinnern, in der seine Schwester für immer ver-<br />

schwunden war. Nun dachte Scully, dass ihm eine Hypnose in Bezug auf seine Entführung<br />

vielleicht auch würde helfen können, das schreckliche Trauma besser zu verarbeiten. Ihre<br />

Hand streichelte unbewusst sanft über seinen Oberschenkel und Mulder seufzte leise auf.<br />

Seine linke Hand legte sich zärtlich auf ihre. Ohne die Haltung zu verändern sagte er leise:<br />

„Das war doch ein schöner Vormittag. Das Entertainmentprogramm ließ wieder einmal kaum<br />

Wünsche offen, was? Am besten hat mir die Szene im letzten Akt gefallen, als alle gehen<br />

durften.“ Er öffnete die Augen und sah Dana an. Und erkannte in ihrem Gesicht Sorgen und<br />

Konzentration. „Ohoh, worüber denkst du nach? Das sieht irgendwie nach nichts gutem aus.“<br />

Dana schüttelte den Kopf und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Na, geht es wieder?“,<br />

fragte sie liebevoll und spürte den beruhigenden Druck seiner Hand auf ihrer eigenen. „Wird<br />

es ja wohl müssen, in weniger als einer Stunde muss ich wieder auf böse Pappkameraden<br />

schießen.“ Mulder seufzte vernehmlich. „Booth war ja das Paradebeispiel eines Zahnarzt-<br />

phobikers, was? Was denkst du, wird er in den nächsten fünfhundert Jahren freiwillig wieder<br />

eine Praxis betreten?“ Scully schüttelte den Kopf. „Da gehe ich jede Wette ein, den wird man<br />

nur noch mit Gewalt auf einen Zahnarztstuhl bekommen.“<br />

*****<br />

Allison saß im Schneidersitz auf dem Bett. „Was haben die nur davon, warum machen<br />

die solche Sachen?“ House saß auf dem Sofa und rieb sich sein Bein. „Warum? Nun, ich<br />

nehme an, die wollen ihre Investitionen bei guter Gesundheit erhalten.“ Cameron sah zu Greg<br />

hinüber. „Das meine ich nicht. Dir tut es gut, endlich mal gründlich durch gecheckt zu<br />

werden. Ich meine, warum haben sie dem armen Booth nicht eine Betäubung gesetzt? Was<br />

haben diese Bastarde davon, diese Tortur ohne Betäubung durch zuziehen? Wird er davon<br />

besser für sie zu ... verwenden, wenn er so grässliche Schmerzen ertragen muss?“ „Sparmaß-<br />

nahmen können es wohl kaum sein, die sie veranlassen, diese Art Eingriffe ohne eine An-<br />

ästhesie vor zu nehmen. <strong>Die</strong> Punktionen 9 und Endoskopien 10 werden sie sicher auch ohne jede<br />

9 Punktion: Eine Punktion ist in der Medizin das gezielte Setzen einer Nadel oder eines anderen spitzen Instrumentes. <strong>Die</strong> dabei<br />

aufgenommene Gewebsflüssigkeit oder -probe heißt Punktat. Eine Punktion kann zur Einspritzung in den Körper oder zur Ent-<br />

nahme aus dem Körper (zum Beispiel Lumbalpunktion) dienen. Hierzu verwendet man Hohlnadeln.<br />

10 Endoskopie: Ein Endoskop ist ein Gerät, mit dem das Innere von lebenden Organismen, aber auch technischen Hohlräumen<br />

durch Bildgebung untersucht oder gar manipuliert werden kann. Ursprünglich für die humanmedizinische Diagnostik entwickelt,<br />

wird es heute auch für minimal-invasive operative Eingriffe an Mensch und Tier eingesetzt. In der Medizin besteht es aus einer<br />

sehr beweglichen Glasfaseroptik, die mit Kunststoff ummantelt ist. Häufig besitzt es eine Spül- und Absaugvorrichtung, einen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Betäubung vornehmen, davon gehe ich aus. Und warum sie das ohne Anästhesie machen? Ich<br />

kann es mir nur so erklären, dass sie klar machen wollen, dass SIE Herr über uns sind, be-<br />

stimmen, wann wir Schmerzen leiden und wann nicht.“ House konnte nicht verhindern, dass<br />

ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch. „Da werden wir alle noch viel Spaß bekommen.<br />

<strong>Die</strong> Leberbiopsie war schon sehr lustig ohne Lokalanästhesie, bei den Punktionen und der<br />

Gastroskopie 11 und Bronchoskopie werden wir sicher alle Jubeln vor Freude.“ Er machte eine<br />

kurze Pause, dann sagte er überlegend: „Booth hat eine ausgewachsene Oralphobie, aber was<br />

war mit Mulder los? Das war eine Panikattacke, aber sie galt ganz offensichtlich nicht alleine<br />

der Behandlung, denn dann wäre er nicht doch so ruhig sitzen geblieben. Es muss irgendwas<br />

in seiner Vergangenheit geben, was ihm unglaublich zu schaffen macht. Er kann es absolut<br />

nicht ertragen, bewegungsunfähig gemacht zu werden. Das ist mir schon mehrfach auf-<br />

gefallen.“<br />

Allison nickte. „Ja, das habe ich auch schon bemerkt. Ob an der Sache mit der Ent-<br />

führung durch Aliens wirklich etwas dran ist?“ Sie schauderte. „Ich habe keine Ahnung. Vor-<br />

stellen kann ich es mir nicht, aber andererseits hat Locke uns bewiesen, dass es mehr gibt<br />

zwischen Himmel und Erde, als wieder vermuten.“ Er stockte und lachte dann ironisch. „Als<br />

nächstes pilgern wir vermutlich nach Roswell. Mal ehrlich, das Gefasel von Aliens entbehrt<br />

doch jeder vernünftigen Grundlage. Wir sind Wissenschaftler, keine Fantasten. Er kann nicht<br />

von Aliens entführt worden sein.“ Allison lächelte. Sie kannte House gut genug, um zu<br />

wissen, dass er die Möglichkeit sehr wohl in Betracht zog. „Warum nicht? Ich glaube, nur,<br />

weil wir es nicht glauben, nicht fassen können, muss es doch nicht unmöglich sein. Woher<br />

nehmen wir die unsägliche <strong>Über</strong>heblichkeit, zu denken, wir wären die einzig intelligenten<br />

Lebewesen im Universum? Zumal die meisten von uns nicht einmal intelligent sind.<br />

Irgendwas hat Mulder jedenfalls erlebt, das ihn immer wieder einholt und in Angst und<br />

Schrecken versetzt.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über ihre Zähne. „<strong>Die</strong> haben gute Arbeit<br />

geleistet, alles sehr sauber geworden.“<br />

*****<br />

Arbeitskanal, durch den die Instrumente (zum Beispiel Miniaturzangen) eingeführt werden, sowie ein Videosystem zur Licht- und<br />

Bildübertragung auf einen Monitor.<br />

11 Gastroskopie: <strong>Die</strong> Magenspiegelung ist eine Untersuchung des Magens mit Hilfe eines speziellen Schlauchs (Gastroskop).<br />

Der Arzt kann so die Speiseröhre (Ösophagus), den Magen und Zwölffingerdarm (Duodenum) von innen betrachten. Broncho-<br />

skopie, ist das gleiche Verfahren, nur, dass hier die Bronchien einer endoskopischen Untersuchung unterzogen werden.<br />

156


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nach dem Abendbrot wurden alle Gefangenen, auch Booth und Bones, noch einmal<br />

abgeholt. Sie wurden in einen Raum gebracht, der sofort an einen Gruppentherapieraum er-<br />

innerte. Siebzehn Stühle, in einem großzügigen Kreis aufgestellt, legten die Assoziation nahe.<br />

Sie verteilten sich auf die Stühle und warteten, was nun wohl geschehen würde. Allison er-<br />

kundigte sich besorgt bei Booth wie es ihm ging. „Ich würde für eine Schmerztablette eine<br />

Menge geben. Allerdings bin ich ehrlich nicht sicher, ob die Schmerzen real oder psychisch<br />

sind.“ House sah ihn an. „<strong>Die</strong> Wange wird dick. Halt doch mal den Kopf still. Ja, eindeutig,<br />

deine Backe schwillt an. Das heißt dann wohl, dass die Schmerzen real sein werden.“ Er trat<br />

an Booth heran und legte diesem den Handrücken an die betreffende Stelle der Wange. „Aber,<br />

Darling, doch nicht hier, vor all den Leuten.“, grinste Booth verkniffen. Sawyer sah House<br />

herausfordernd an. „Hey, nimm deine Finger von ihm, ich werde ja eifersüchtig.“ <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen schmunzelten. Ohne die ständigen dummen Bemerkungen einiger Leidensgenossen<br />

wäre ihre Situation noch unerträglicher gewesen. House grinste und erklärte dann: „Fühlt sich<br />

nicht heiß an, wird also mit ziemlicher Sicherheit keine Entzündung sein. Das sind einfach<br />

Zahnschmerzen durch die Reizung, mein Freund. Das wird sich schon beruhigen, da bin ich<br />

sicher.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, aber die Tür öffnete sich und eine Frau mittleren<br />

Alters kam herein. „Hinsetzen, los.“<br />

House setzte sich nun auch auf seinen Stuhl. Etwas besorgt und nervös sahen die Ge-<br />

fangenen die Frau an. Booth fiel es ungeheuer schwer, nicht unruhig hin und her zu zappeln<br />

vor Zahnschmerzen. Er kniff immer wieder gepeinigt die Augen zu und hatte mehr und mehr<br />

Schwierigkeiten, ein schmerzvolles Zischen zu unterdrücken. <strong>Die</strong> Frau, die herein gekommen<br />

war, hatte einen ganzen Stapel Schnellhefter in der Hand. Einige dicker, einige dünner mit<br />

Papieren gefüllt. Sie legte diesen Stapel neben sich und nahm einen der Hefter in die Hand.<br />

Sie blätterte scheinbar interessiert darin herum. Dann sah sie die Gefangenen abschätzend an.<br />

<strong>Die</strong>se wurden immer nervöser. Durch das deutliche Unbehagen, welches sie alle empfanden,<br />

stieg ihr Blutdruck und das führte bei Booth zu einer weiteren Steigerung seiner Zahn-<br />

schmerzen. Er konnte nicht mehr verhindern, dass ihm ab und zu ein leises Zischen entwich.<br />

<strong>Die</strong> Frau sah Booth an. Dann sagte sie leise etwas in ihr Headset und Minuten später ging die<br />

Tür auf und ein Wachposten betrat den Raum. Er trat zu Booth und drückte diesem eine<br />

Tablette und ein Glas Wasser in die Hand. Erstaunt sah Booth auf. „Danke.“, nuschelte er<br />

undeutlich. Unglaublich erleichtert schluckte er die Tablette, eine Paracetamol. „Wir wollen<br />

doch hören, was du zu sagen hast.“, erklärte die Frau kühl. „Ich bin Major Lila Garreau.<br />

Einige von euch kennen <strong>mich</strong> vielleicht aus der Fernsehserie China Beach.“ <strong>Die</strong> Frau lachte<br />

boshaft. „Wir alle waren der Meinung, euch einen Namen nennen zu müssen, mit dem ihr<br />

<strong>mich</strong> ansprechen könnt. <strong>Die</strong>ser war der Erste, der mir einfiel. Nun denn. Wir werden uns<br />

heute nett unterhalten. Ich erwarte ebenso motivierte Mitarbeit wie ihr sie bei meinem lieben<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kollegen, Dr. Dick Richard, gezeigt habt.“ Wieder lachte die Frau leicht gehässig. House ver-<br />

zog angewidert das Gesicht. Er kannte die TV Serie China Beach und wusste, dass Dr. Dick<br />

Richard eine weitere Figur dieser Serie war. Er war sehr gespannt, was kommen würde.<br />

„Wir werden uns heute und in den nächsten Tagen ganz ausgiebig über euch unter-<br />

halten.“, fuhr die Frau fort. „So gründlich, wie wir alle möglichen physischen Schwachpunkte<br />

untersuchen, werden wir auch die psychischen Problemfelder bei euch ausloten. Wir haben<br />

Großes mit euch vor, das nicht dadurch gestört werden darf, dass an unpassender Stelle ver-<br />

drängte Traumata eure Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Deshalb werden wir in den<br />

kommenden Stunden und Tagen eure schlimmsten Erinnerungen hervorholen.“ Einigen der<br />

Anwesenden liefen bei diesen Worten eisige Schauer über den Körper. <strong>Die</strong> weniger psycho-<br />

logisch geschulten Gefangenen fragten sich, wozu das gut sein sollte und hatten aus dem<br />

Grunde Angst. <strong>Die</strong>jenigen, die psychologisch Bescheid wussten, machten sich genau aus<br />

diesen Gründen Sorgen. „Wir beginnen mit Nummer 1 und gehen in der Reihenfolge der<br />

Nummern vor. Jeder wird reihum die Frage beantworten. Welches Ereignis aus eurer Kindheit<br />

würdet ihr als das Schönste bezeichnen?“ Booth zuckte zusammen. Er sah auf und überlegte.<br />

Was war denn ein sehr schönes Ereignis gewesen? Dann fiel ihm ein Sommerurlaub in<br />

Montana ein. Sein Vater hatte sich mit Seeley, ohne den jüngeren Bruder Jared, ein Kanu ge-<br />

mietet und sie waren zusammen drei Tage auf dem Big Horn River gepaddelt. Ein so enges,<br />

schönes Verhältnis hatte er vorher und nachher nie wieder mit seinem Vater gehabt. Aber das<br />

hier vor allen zu erzählen? Booth schluckte. Dann gab er sich einen Ruck und berichtete von<br />

dem Paddelausflug.<br />

Jake überlegte zu diesem Zeitpunkt bereits hektisch, was sein schönstes Kindheits-<br />

erlebnis gewesen war. Mit seinem Vater hatte er sich schon als Kind häufig gestritten, weil er<br />

als Kind und Jugendlicher ein kleiner, unbequemer Rebell gewesen war. Daher dachte er bei<br />

schönen Ereignissen eher an seinen Großvater. Der hatte einige Meilen außerhalb von Jericho<br />

eine Ranch betrieben, mit Rindern, Pferden, allem, was ein Junge großartig fand. Bei ihm<br />

hatte Jake auch reiten gelernt. Einmal hatte sein Grandpa einen Ausritt über ein paar Tage mit<br />

Jake gemacht. Da war er zehn gewesen. Jake hatte diesen Ausflug in lebhafter Erinnerung. Er<br />

lächelte. Und schon wurde er angesprochen. „Nummer 2, bitte.“ Verlegen berichtet Jake von<br />

dem Ausflug und war erstaunt, dass die anderen ihm sehr aufmerksam zu hörten. Sawyer<br />

brauchte nicht darüber nachzudenken, was für ihn das schönste Kindheitserlebnis gewesen<br />

war. Alles vor dem Tod seiner Eltern war traumhaft schön gewesen. Besonders waren ihm die<br />

Wochenenden in Erinnerung, wenn seine Eltern mit ihm zur Picknick Area des nahe ge-<br />

legenen Walker Lake gefahren waren. Es kostete ihn große <strong>Über</strong>windung, das hier vor allen<br />

zu erzählen. Wenn er mit Kate über so was redete, war es okay, aber vor allen ... Er schluckte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und wünschte sich, seine Stimme würde nicht so zittern. Dann erzählte er leise von den<br />

Stunden, die er mit seinem Pa spielend am Wasser verbracht hatte. Kate lauschte und Tränen<br />

schossen ihr in die Augen. Sie wusste so genau, wie sehr Sawyer noch heute unter dem Ver-<br />

lust seiner Eltern litt.<br />

House erzählte stockend davon, wie schön es gewesen war, wenn sein Vater durch<br />

Abwesenheit geglänzt hatte. Das war für den jungen Gregory die schönste Zeit gewesen. Ziva<br />

schossen Gedanken an unbeschwerte Ausflüge mit ihrer Schwester ans Meer durch den Kopf.<br />

In den heißen Monaten stiegen die Temperaturen in Tel Aviv nicht selten weit über die 40°<br />

Marke und jeder war froh, diese Zeiten am nahen Meer verbringen zu können. Mit ihrer<br />

Schwester am Strand zu spielen, wenn Papa ihnen beim Burgen bauen geholfen hatte, war das<br />

Höchste gewesen. Bei Bones waren es Erinnerungen an Weihnachten. Dana liebte es, wenn<br />

ihr Vater sich intensiv mit ihr beschäftigt hatte. Kate liebte genau das Gleiche. Mit ihrem<br />

Stiefvater durch die Wildnis zu streifen, tagelang, war für sie damals als Kind und Jugend-<br />

liche das Schönste gewesen. Heather und Allison hatten keine Probleme, schöne Er-<br />

innerungen auszugraben. Bei Heather war es der Reitunterricht durch ihren Onkel, bei Allison<br />

ein Urlaub in Europa, den sie in wunderschöner Erinnerung hatte. Sara fiel es deutlich<br />

schwerer. Ihre gesamte Kindheit war von ihrem gewalttätigen Vater überschattet. Immer und<br />

immer wieder hatte sie mit ansehen müssen, wir er ihre Mutter zum Teil krankenhausreif<br />

schlug. Und nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihren Bruder und sie selbst. Sie zermarterte<br />

sich den Kopf nach einem schönen Ereignis. Dann fiel ihr tatsächlich etwas ein. Sieden heiß<br />

durchzuckte sie die Erinnerung daran, wie sie als zehnjährige Zeuge geworden war, wie ihr<br />

Vater von ein paar Schlägern aus der Nachbarschaft übel zusammen geschlagen worden war.<br />

Sara hatte es damals als mehr als überfälligen Ausgleich angesehen.<br />

Locke fiel es auch sehr schwer, sich an ein wirklich schönes Kindheitserlebnis zu er-<br />

innern. Seinen Vater hatte er als Kind gar nicht in Erinnerung. Und seine Mutter, sie hatte ihn<br />

mit sechzehn Jahren bekommen, und fast unmittelbar nach der Geburt weg gegeben ... Er<br />

seufzte. Schließlich berichtete er von einem besonders schönen Ausflug mit einer seiner<br />

Pflegefamilien. Es war in die Berge gegangen und Locke hatte einen Berglöwen gesehen.<br />

<strong>Die</strong>ses Ereignis hatte er nie vergessen können. Für Gil war es schon als Kind das Schönste<br />

gewesen, in der freien Natur zu sein und Insekten zu suchen. Ab und zu hatte sein Vater ihn<br />

mitgenommen und sie waren zusammen Wandern gegangen. Dann durfte Jung-Gilbert<br />

Insekten sammeln um sie seiner Sammlung zuzuführen. Abby brauchte nicht lange zu über-<br />

legen. Wenn ihre Eltern an ihren Geburtstagen eine Zaubervorstellung gegeben hatten, war<br />

Abby jedes Mal das glücklichste Kind in ganz Amerika gewesen. Mulder war klar, dass<br />

nichts, was nach dem Verschwinden Samanthas gekommen war, noch schön genug war, hier<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Erwähnung zu finden. So kramte er in den Erinnerungen vor dem Verschwinden der geliebten<br />

Schwester. An den Sommerwochenenden hatten seine Eltern ihre Kinder geschnappt und<br />

waren an die Lucy Vincent Beach gefahren, hatten dort stundenlang mit den beiden Kindern<br />

gespielt. Hier hatte sein Vater ihnen Schwimmen beigebracht. Gibbs hatte zeitlebens die Er-<br />

innerung an einen ganz bestimmten Geburtstag als wunderschönes Kindheitserlebnis ab-<br />

gespeichert. Als er zehn geworden war hatte sein Vater sich den Jungen geschnappt und war<br />

mit ihm auf einen Verkehrsübungsplatz in der Nähe gefahren. Und hier hatte er seinem zehn<br />

Jahre jungen Sohn Auto fahren bei gebracht. Gibbs grinste.<br />

Memorys<br />

<strong>Die</strong> Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erst<br />

erträglich.<br />

Honore de Balzac<br />

„In der zweiten Fragerunde wenden wir uns einer weniger angenehmen Erinnerung zu.<br />

Ihr werdet von einem Tag, einem Ereignis erzählen, dass nicht unbedingt traumatisch, aber<br />

unangenehm war.“, meldete sich ‘Major Garreau‘wieder zu Wort. Sie hatte stumm, aber<br />

interessiert zugehört und sich Notizen gemacht. Mulder behielt die Frau im Auge. Sie ver-<br />

stand ihr Handwerk. Alle waren eingeschüchtert und machten sich Sorgen, was noch kommen<br />

würde. Und dass sie rein gar nichts zu den Antworten der Gefangenen sagte, machte das<br />

Ganze noch unheimlicher. Bei Booth wirkte inzwischen die Schmerztablette ein wenig und er<br />

war etwas entspannter, obwohl die Zahnschmerzen und die damit verbundene Angst noch<br />

nicht annähernd weg waren. Unangenehm. Gutes Stichwort. Aber etwas, was heute statt-<br />

gefunden hatte, meinte die eigenartige Frau wohl nicht. So überlegte Seeley. „Es gibt da eine<br />

Erinnerung, die ziemlich unangenehm ist. Ich war mit meiner Mutter unterwegs, wir wollten<br />

einen Onkel besuchen, in Weirton, etwa fünfundzwanzig Meilen außerhalb Pittsburghs. Auf<br />

der 22 hat meine Mutter einen Hund übersehen und angefahren. Er starb auf meinem Schoss,<br />

bevor wir mit ihm einen Tierarzt erreichen konnten.“ Booth schwieg. Er sah im Geiste das<br />

Tier vor sich. Das war kein schönes Erlebnis gewesen. Jake dachte daran, wie ein Pferd auf<br />

der Ranch seines Großvaters erschossen werden musste. Es hatte sich das Bein gebrochen und<br />

der Tierarzt kam und konnte für den Wallach nichts mehr tun. Sein Großvater selbst holte<br />

einen Revolver und schoss dem Tier eine Kugel in den Kopf. Jake wusste, dass es seinem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Großvater extrem schwer gefallen war. Dem alten Mann waren Tränen über die Wangen ge-<br />

kullert, als er den Wallach zusammen brechen sah.<br />

Sawyer überlegte lange. Dann erzählte er leise, stockend: „In der Nachbarschaft<br />

meines Onkels, bei dem ich ... Da gab es einen Jungen, Pete soundso, der hat immer wieder<br />

kleinere Kinder verprügelt. Mich hat er lange in Frieden gelassen. Doch eines Tages schließ-<br />

lich hatte er <strong>mich</strong> als Opfer ausersehen. Er lauerte mir auf und ich versuchte, abzuhauen. Ich<br />

war einen Kopf kleiner als Cassius. Ich rannte in den Nachbargarten und versteckte <strong>mich</strong><br />

hinter dem Geräteschuppen. Pete verfolgte <strong>mich</strong> und übersah dabei eine Harke, die verkehrt<br />

herum im Garten lag. Er trat sich die Zinken durch den linken Fuß. Er hatte zwar die Absicht,<br />

<strong>mich</strong> zu verprügeln, aber das hab ich ihm nicht gegönnt.“ Sawyer schwieg. House hatte Zeit<br />

genug gehabt, sich eine weniger traumatische Erinnerung ins Gedächtnis zu rufen. Es hatte<br />

eine Zeit gegeben, da hatte sein Vater sich in den Kopf gesetzt, für seine Mutter einen<br />

Gartenpavillon zu bauen. Dabei war ein Nachbar, der hatte helfen wollen, vom Dach gestürzt<br />

und hatte sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Greg hatte bei ihm bleiben müssen<br />

und sein Vater war ins Haus geeilt und hatte einen Rettungswagen gerufen. Da draußen mit<br />

dem verletzten Mann zu sitzen, hatte House als sehr unangenehm in Erinnerung. Bei Ziva war<br />

es die Erinnerung an einen sehr heftigen Streit zwischen ihren Eltern, der ihr sehr unan-<br />

genehm in Erinnerung geblieben war. Bones wiederum hatte einen Umzug, noch mit ihren<br />

Eltern, in sehr, sehr schlechter Erinnerung. Ihrem Vater hatte damals beim Verladen ihren<br />

kleinen Plattenspieler fallen lassen. Bones hatte das als mittlere Katastrophe angesehen.<br />

„Mein Bruder brach sich den Arm, da war ich neun. Ich hatte auf ihn aufpassen sollen,<br />

war unaufmerksam und er kletterte in einen Baum. Mein Vater hat <strong>mich</strong> furchtbar aus-<br />

geschimpft.“ Scully schluckte trocken. Sie hatte immer um die Gunst ihres Vaters gekämpft<br />

und dann war ihr ein solcher Fehler unterlaufen. Das war ihr bis heute unangenehm. Kate<br />

überlegte. Ihre ganze Kindheit war zum Teil unschön gewesen, wenn sie zu Hause bei den<br />

Eltern hatte sein müssen. Schön war es nur bei ihrem Stiefvater gewesen. Aber es gab einen<br />

dunklen Punkt in ihrer Kindheit, der ausschlaggebend für ihre spätere Klaustrophobie ge-<br />

wesen war. Als der Country Highway B24 gebaut worden war, nicht weit von ihrem Eltern-<br />

haus entfernt, hatte Kate zusammen mit ein paar Freunden auf der Baustelle für eine kleine<br />

Brücke gespielt. Das Grundgerüst der Brücke war fertig gewesen und Kate und eine Freundin,<br />

Lilly, hatten sich beim verstecken Spielen genau unter diesem Gerüst versteckt, als der Sand<br />

ins Rutschen gekommen war. <strong>Die</strong> beiden Mädchen wurden von den Sandmassen aus der<br />

Böschung verschüttet. Kate konnte mit einem schwerer Schock gerettet werden, für Lilly kam<br />

jede Hilfe zu spät. Heather entschied sich für die Gelegenheiten, zu denen der strenge Vater<br />

sie für kleinere Verfehlungen getadelt hatte. Er war nie gewalttätig geworden oder hatte sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

angeschrien. Aber er hatte ihr immer irgendwie das Gefühl vermittelt, nicht gut genug zu sein.<br />

Cameron musste nicht lange überlegen. „Ich war siebzehn und unheimlich stolz, als ich den<br />

Brief bekam, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich ein Stipendium für die Uni bekommen<br />

würde. Ich bin sofort zu meinen Eltern gelaufen und habe ihnen von dem Stipendium erzählt.<br />

Aber sie haben nicht gerade so reagiert, wie ich gehofft hatte. Meine Mum meinte nur: ‚Das<br />

ist schön. Aber möchtest du das wirklich machen? Du bist so ein hübsches Mädchen. Du wirst<br />

sicher irgendwann heiraten und eine Familie gründen. Warum willst du dich noch so an-<br />

strengen und Medizin studieren?’“<br />

Sara musste lange nachdenken. Sie fand fast alles in ihrer Kindheit unangenehm und<br />

das Meiste, das vor dem Tod ihres Vaters gewesen war, würde nicht das Kriterium ’nicht<br />

traumatisch’ erfüllen. Schließlich erzählte sie sichtlich widerwillig von einem Erlebnis aus<br />

ihrer Zeit im Heim. „<strong>Die</strong> meisten Kinder waren nicht sehr lange im Heim. Viele wurden nach<br />

kurzer Zeit von Verwandten oder Freunden der Familie abgeholt. Manche kamen auch<br />

irgendwann zurück zu ihren Eltern. <strong>Die</strong> Jüngeren wurden oft adoptiert oder kamen zu Pflege-<br />

familien, bei denen sie bleiben konnten. Zwischen einigen der älteren Kinder herrschte eine<br />

Art Wettbewerb: wer häufiger Besuch von Verwandten bekam und wer schneller eine Pflege-<br />

familie fand. Eine von den Guten. Mit einem von den Mädchen, mit denen ich mir ein<br />

Zimmer teilen musste, kam ich überhaupt nicht klar. Sie war ehrlich unerträglich. Immer,<br />

wenn wir eine Meinungsverschiedenheit hatten, hat sie mir gesagt ’Kein Wunder, dass dich<br />

niemand haben will.’ Ich habe das einfach nur als dummen Spruch abgetan. Aber als sie nach<br />

einiger Zeit zu einer Pflegefamilie kam und ich Jahre später immer noch im Heim war, fing<br />

ich an zu überlegen, ob sie nicht vielleicht Recht hatte.“ Locke hatte an viele ähnliche Erleb-<br />

nisse gedacht, während Sara gesprochen hatte. Schließlich erzählte er von einem Weihnachts-<br />

fest bei einer seiner Pflegefamilien. <strong>Die</strong> Familie war ganz in Ordnung gewesen, sie hatten ihn<br />

anständig behandelt und er hatte sich gut mit dem Sohn seiner Pflegeeltern, einem Jungen in<br />

seinem Alter, verstanden. An seinem ersten Weihnachtsfest in der Familie kamen die Groß-<br />

eltern, Tanten und Onkel zu Besuch. Jeder von ihnen hatte ein Geschenk für den leiblichen<br />

Sohn der Familie, aber niemand für ihn. Das hatte ihm überdeutlich klar gemacht, dass er<br />

auch in dieser Familie nicht wirklich dazu gehörte.<br />

Gil knüpfte an Lockes Geschichte an und erzählte vom ersten Weihnachtsfest nach<br />

dem Tod seines Vaters. „Meine Mutter hat immer schon sehr zeitig alle Weihnachtsgeschenke<br />

besorgt, deswegen hatte sie auch schon die Geschenke für meinen Vater. Sie hat die Päckchen<br />

unter den Baum gelegt und ein Gedeck für meinen Vater aufgelegt. Sie hat einfach so getan,<br />

als wäre er noch bei uns. Ich war neun und wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich war<br />

in diesem Jahr froh, als Weihnachten vorbei war.“ Abby erzählte davon, wie sie sich als<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zehnjährige bei einem Sturz mit ihren Inline Skates das Bein gebrochen hatte. Mulder<br />

konzentrierte sich auf seine Kindheit, bevor Sam verschwunden war. <strong>Die</strong> Zeit danach war für<br />

den damals erst zwölfjährigen Jungen ein einziges Trauma gewesen. Aber er erinnerte sich an<br />

eine sehr unangenehme Sache, die er in der ersten Klasse der Junior Highschool erlebt hatte.<br />

Sie hatten einen Aufsatz in Geschichte schreiben müssen. Als die Lehrerin die Aufgabe ge-<br />

stellt hatte, war Mulder damit beschäftigt gewesen, mit einem Freund Comics zu Tauschen.<br />

So hatte er die Aufgabe falsch verstanden und dementsprechend falsch gelöst. <strong>Die</strong> Lehrerin<br />

hatte ihn vor der ganzen Klasse zur Schnecke gemacht. Und Mulder hatte sich gewünscht, ein<br />

Loch möge sich auftun, in das er hätte versinken können. Gibbs hatte sich die anderen an-<br />

gehört und sich dabei an ein eigenes, sehr unangenehmes Erlebnis erinnert. Er war in einem<br />

Bus auf dem Weg zur Schule gewesen. Plötzlich hatten sich zwei Jungen im Bus angefangen<br />

zu Schlagen. Einer von ihnen hatte den anderen übel zusammen geschlagen. Gibbs hatte sich<br />

damals vorgenommen, so schnell wie möglich einen Kampfsport zu erlerne, um sich gegen so<br />

was wehren zu können. Sein Vater hatte rigoros abgelehnt. Das hatte Gibbs als sehr unan-<br />

genehm empfunden. Er hatte seinen Vater verflucht.<br />

Wieder hatte der Major ruhig zugehört. Dass sie sich Notizen in den Schnellheftern<br />

machte, beunruhigte die Gefangenen mehr, als sie sich eingestehen wollten. Gespannt<br />

warteten sie auf die nächste Frage. Und die kam, ohne Pause. „Kommen wir zu einem<br />

typischen Tag eurer Kindheit, Herrschaften.“ Kühl und unpersönlich kam die Frage. Und die<br />

Gefangenen begannen erneut, zu überlegen. Für Booth hatte ein ganz normaler Tag in seiner<br />

Kindheit darin bestanden, mit dem Kindermädchen und seinem Bruder alleine zu sein. Sein<br />

Vater war als Pilot ständig unterwegs gewesen und seine Mutter als Werbedesigner den<br />

ganzen Tag in der Agentur. Er hatte mit seinem Bruder und dem Kindermädchen zusammen<br />

gefrühstückt, war in die Schule gefahren, nachmittags wieder gekommen und hatte unter Auf-<br />

sicht des Kindermädchens Hausaufgaben gemacht. Dann war Sport oder Spielen angesagt<br />

gewesen. So sah ein normaler Tag aus. Bei Jake hatte ein ganz normaler Tag ähnlich aus-<br />

gesehen, nur ohne Kindermädchen. Seine Mutter war als Krankenschwester ebenfalls oft rund<br />

um die Uhr beschäftig und sein Vater hatte selbst an den Wochenenden wenig Zeit gehabt. So<br />

waren Eric und Jake oft alleine gewesen. Aber da der Großvater sich viel um die Jungs ge-<br />

kümmert hatte, hatten beide es nicht als so schlimm empfunden.<br />

Sawyer bekam langsam aber sicher ein immer schlechteres Gefühl in dieser Ge-<br />

sprächsrunde. Dass es wieder um ein relativ harmloses Thema ging, beeindruckte ihn nicht<br />

sehr. Er konnte sich kaum an die Zeit erinnern, als seine Eltern noch bei ihm gewesen waren.<br />

Er war gerade einmal acht Jahre alt gewesen und der grauenhafte Mord und Selbstmord hatte<br />

das Kind damals derart traumatisiert, dass vieles, was vor diesem Tag geschehen war, in<br />

163


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyers Gedächtnis so tief vergraben war, dass es ihm extrem schwer fiel, es auszugraben.<br />

Aber er wusste, dass seine Mutter nicht gearbeitet hatte. Vage versuchte er, einen normalen<br />

Tag vor dem Ereignis, dass sein Leben zerrüttet hatte, zusammen zu kratzen. Als er jedoch<br />

anfing zu reden, merkte er, dass er etwas ganz anderes erzählte. „Ich wurde hin und her ge-<br />

reicht. <strong>Die</strong> Angehörigen meines Vaters gaben meiner Mutter die Schuld und anders herum.<br />

Keiner hatte Lust und Zeit, sich mit mir zu befassen. Ein typischer Tag ... Alleine aufstehen,<br />

alleine zur Schule, alleine nachmittags Schularbeiten machen. Im Garten hören, wie meine<br />

Großeltern väterlicher und mütterlicherseits herum keiften, dass Mary - nein Warren, Schuld<br />

hatte. Schließlich irgendwann alleine zu Bett gehen. Ein typischer Tag im Hause Ford.“<br />

Gedankenverloren verstummt Sawyer und spürte, wie Kate nach seiner Hand griff und diese<br />

fest in ihre nahm. Dankbar sah er sie an.<br />

House schnaufte. „Ein typischer Tag in meinem Leben? Mein Vater schmiss <strong>mich</strong> um<br />

5 Uhr in der Frühe aus dem Bett, jagte <strong>mich</strong> raus, zum Zeitungen austragen. Ich durfte gnädig<br />

vor dem Frühstück duschen, dann wurde ich in den Schulbus gesetzt. Nach der Schule hatte<br />

ich meine Hausaufgaben in seinem Beisein zu machen und wenn ich das Pech hatte, eine<br />

schlechte Note nach Hause zu bringen, lernte ich die Vorzüge einer ausrangierten Hundehütte<br />

kennen. Tja, Freunde, den Entschluss, Medizin zu studieren, haben ich bei minus 8 Grad in<br />

einer Hundehütte im Garten meiner Eltern gefasst. Wenn ich mal ganz einfach in mein<br />

Zimmer gehen und in meinem Bett schlafen durfte, war das ein außergewöhnlich guter Tag.“<br />

Auch House schwieg nach diesem Bericht und starrte zu Boden. Ziva dachte an ihre Kindheit<br />

in Israel zurück. Ihr Vater hatte sie und ihre Schwester von klein auf darauf vorbereitet, eines<br />

Tages zum Mossad zu gehen. Es war für sie völlig selbstverständlich gewesen, dass sie eines<br />

Tages ihrem Land dienen würde. An einem typischen Tag kamen sie und ihre Schwester von<br />

der Schule nach Hause, aßen zu Mittag und machten ihre Hausaufgaben. An zwei Nach-<br />

mittagen in der Woche hatten sie Kampfsportunterricht. Es war ihre Mutter gewesen, die<br />

durchgesetzt hatte, dass ihre Töchter zum Ausgleich Klavierstunden bekamen. Wenn Ziva<br />

vom Kampfsporttraining nachhause kam, hatte sie es immer genossen, abends noch eine<br />

Stunde Klavier zu spielen. <strong>Die</strong> Musik hatte sie entspannt und es hatte ihr gefallen, ihrer<br />

kleinen Schwester neue Klavierstücke beizubringen.<br />

Für Bones war ein typischer Tag vor dem Verschwinden ihrer Eltern einer gewesen,<br />

an dem ihre Mutter sie und ihren Bruder geweckt und später zur Schule gebracht hatte.<br />

Nachhause kamen sie allein. Dann hatte ihre Mutter streng und unnachgiebig die Hausauf-<br />

gaben überwacht. Waren diese erledigt, durften Russell und sie noch Spielen. An zwei Tagen<br />

in der Woche hatte Tempe Judounterricht gehabt. Das hatte ihr immer viel Spaß gemacht.<br />

Abends im Bett hatte ihr Vater, der gegen 17 Uhr nachhause kam, ihr eine Geschichte vor-<br />

164


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gelesen. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, dass es immer so weiter gegangen wäre. Auch bei<br />

Dana und ihren Geschwistern hatte ein typischer, normaler Tag wirklich normal ausgesehen.<br />

Aufstehen, Schule, Hausaufgaben, draußen Spielen, Abendbrot, dann ein bis zwei schöne<br />

Stunden mit Mum und Dad, Dana erinnerte sich gerne an ihre behütetet Kindheit. Nach Dana<br />

begann Kate zu erzählen, immer noch Sawyers Hand in ihrer. „Meine Mutter hat viel ge-<br />

arbeitet, aber sie kam immer pünktlich nach Hause. Dann hat mein Vater sie regelmäßig ver-<br />

prügelt und ich konnte nichts dagegen machen. Er hat <strong>mich</strong> oft stundenlang in den Keller ge-<br />

sperrt und wenn er schlechte Laune hatte, auch schon mal in einen Schrank.“<br />

Heather berichtete, dass ihre Tage nicht besonders aufregend gewesen waren. Wenn<br />

sie von der Schule nachhause kam, aß sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder zu Mittag und<br />

machte dann den Abwasch, erledigte ihre Hausaufgaben und half ihrem Bruder mit seinen<br />

Schularbeiten. <strong>Die</strong> Nachmittage verbrachte sie damit, mit ihrem Bruder draußen zu spielen<br />

und einige Hausarbeiten zu erledigen. Auch Allison hatte nicht viel zu berichten. Sie hatte<br />

getan, was alle Kinder taten: Zur Schule gehen, Hausaufgaben machen und mit Freunden<br />

spielen. Sara schluckte. Gerade nach den harmlosen Schilderungen von Heather und Allison<br />

hatte sie absolut keine Lust einen normalen Tag aus ihrer Kindheit zu schildern. Aber sie hatte<br />

längst begriffen, dass irgendjemand darunter leiden würde, wenn sie sich weigerte, wahr-<br />

scheinlich Gil. Also begann sie zu erzählen. „Wenn mein Bruder und ich aus der Schule<br />

kamen, haben wir versucht, uns möglichst unsichtbar zu machen, um unserem Vater keinen<br />

Grund zu geben, auszurasten. Aber es gab immer einen Grund. Er hat Mum geschlagen, wenn<br />

das Essen zu heiß oder zu kalt war. Wenn mein Bruder oder ich ein Spielzeug irgendwo<br />

liegen gelassen hatten oder wir nicht schnell genug kamen, hat er uns verprügelt. Mum hat<br />

immer versucht, dazwischen zu gehen und uns zu helfen und dann hat sie das Schlimmste<br />

abbekommen. Sie hat fast nie das Haus verlassen, damit man die Verletzungen nicht sah.<br />

Meistens hat sie die Verletzungen selbst behandelt, ihre und unsere. Nur wenn es ganz<br />

schlimm war, sind wir in die Notaufnahme gefahren. Aber auch das kam oft genug vor.“ Sie<br />

verstummte und sah auf den Boden vor sich. <strong>Die</strong>se ganze Sache hier brachte Erinnerungen<br />

hoch, die Sara längst als erledigt angesehen hatte. Sie wollte nicht daran denken und konnte<br />

es doch nicht verhindern. Locke hatte zugehört und überlegte für sich, wie ein normaler Tag<br />

in seinem Leben ausgesehen hatte. „Einen wirklich typischen Tag gab es für <strong>mich</strong> nicht, dazu<br />

habe ich zu oft die Pflegefamilie gewechselt. Aber meistens liefen meine Tage ziemlich<br />

normal ab. Schule, Hausaufgaben und mit meinen Pflegegeschwistern spielen.“ Gil brauchte<br />

nicht lange nachzudenken. „Ich war schon immer fasziniert von Insekten. Wenn ich meine<br />

Schularbeiten fertig hatte und nicht draußen war, um Insekten zu sammeln, habe ich nach der<br />

Schule viel Zeit in Bibliotheken verbracht. Ich habe entweder entomologische Fachbücher<br />

gelesen oder alles von Shakespeare.“<br />

165


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Abbys Tage in New Orleans als Kind waren erfüllt von den Erinnerungen an die<br />

Eltern. Welches Kind konnte schon behaupten, beide Eltern wären Zauberer. Als Kind waren<br />

ihre Eltern die Größten für Abby gewesen. Sie und ihr taubstummer Bruder Jerry hatten zu<br />

geguckt, wenn ihre ebenfalls taubstummen Eltern übten. Als Abby später alt genug war, zu<br />

begreifen, dass das, was ihre Eltern taten, nur Illusionen waren, war Abby zum größten und<br />

zuverlässigsten Kritiker für ihre Eltern geworden. Auf Abbys und Jerrys Urteil hatten sich<br />

Mr. und Mrs. Sciuto immer verlassen können. Mulder lauschte aufmerksam. Viele seiner<br />

Mitgefangenen hatten eine ziemlich üble Kindheit gehabt. Locke, Kate, Sara, House, Bones<br />

später auch, aber er kam nicht umhin, sein ganzes Mitgefühl Sawyer zukommen zu lassen.<br />

Was der durch gemacht hatte, gönnte man seinem schlimmsten Feind nicht. Als er selbst an<br />

der Reihe war, einen ganz typischen Tag in seiner Kindheit zu schildern, nahm der Special<br />

Agent ganz selbstverständlich einen Tag vor dem Verschwinden seiner Schwester. Dad ging<br />

früh morgens aus dem Haus, denn er arbeitete auf dem Festland, musste mit der Fähre jeden<br />

Tag rüber nach New Bedford fahren. Er war immer erst spät am Abend wieder da. Seine<br />

Mutter hatte die Aufsicht über die Kinder. Und sie führte ein strenges, aber faires Regime. Er<br />

hatte viele gute Erinnerungen an die Zeit vor dem Verschwinden Sams. Und auch Gibbs er-<br />

innerte sich grundsätzlich gerne an seine Kindheit. Ein typischer Tag im Hause Gibbs hatte<br />

für ihn ebenfalls so ausgesehen, dass er zur Schule ging, dort bis sechzehn Uhr war, nach<br />

Hause kam und dann spielen gehen durfte, wenn nichts weiter auf dem Zettel stand. Dass sein<br />

Vater häufig lange abwesend war, gehörte für den jungen Leroy zur Selbstverständlichkeit.<br />

Gespannt, angespannt, warteten nach diesem Durchgang nun alle darauf, was als nächstes<br />

kommen würde.<br />

<strong>Die</strong> Projektleiterin hatte sich wieder eifrig Notizen gemacht. Jetzt sah sie die Ge-<br />

fangenen der Reihe nach an. <strong>Die</strong>se warteten inzwischen etwas müde und geschlaucht auf die<br />

mit Sicherheit folgende Runde. Und sie brauchten nicht lange zu warten. „Nun haben wir uns<br />

warm gearbeitet. Ich möchte von jedem von euch euer schlimmstes Kindheitserlebnis hören.“<br />

In der Runde herrschte entsetztes Schweigen. Einige, wie Mulder, Sawyer, Sara oder Bones<br />

hatten absolut nicht die Absicht, sich hier seelisch soweit zu entblößen, andere, wie Abby,<br />

Gil, Heather oder Allison legten keinerlei Wert darauf, die Seelenqualen ihrer Mitgefangenen<br />

live und in Farbe miterleben zu müssen. Was sollten sie tun? Geradezu panisch schaute<br />

Sawyer Kate an, fuhr Sara zu Gil herum, suchte Mulder Danas Augen, als könnten die Partner<br />

das Unvermeidliche doch noch abwenden. Gnadenlos kam jedoch die Anweisung der<br />

Rundenleiterin: „Braucht ihr eine Extraeinladung?“ Booth war es, der anzufangen hatte. Er<br />

hatte eine relativ glückliche Kindheit gehabt, abgesehen davon, dass sein Vater teilweise<br />

schwer getrunken hatte, aber es gab eine Sache, an die er sich erinnerte. Eine schreckliche<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sache, wenigstens in den Augen des damals siebenjährigen Kindes. „Es gab in unserer<br />

direkten Nachbarschaft eine alte Frau, Mrs. Hockstetter. Sie lebte alleine und war in der<br />

ganzen Gegend als Hexe verschrien. Nicht als Hexe im Sinne von Märchen. Sie war eine<br />

zänkische, nörgelige, unzufriedene Person, die wohl schon mit fast jedem Nachbarn vor Ge-<br />

richt gewesen war. Eines Tages, ich hatte zu meinem Geburtstag ein wunderschönes, knall-<br />

rotes Feuerwehrauto bekommen und spielte damit auf der Straße, kam Mrs. Hockstetter mit<br />

ihrem großen Mercedes vom Shoppen nach Hause. Sie sah <strong>mich</strong> und vergaß einfach, ein<br />

wenig auszuweichen, fuhr direkt über mein nagelneues Spielzeugauto.“<br />

Booth schwieg kurz und versuchte, sich die folgenden Stunden möglichst genau ins<br />

Gedächtnis zu rufen. <strong>Die</strong> anderen sahen ihn an, ahnend, dass das noch nicht das Schlimmste<br />

gewesen war. „Ich stand da, sieben Jahre jung und sah die Trümmer meines Spielzeugwagens.<br />

Und dann fing ich an zu weinen und schrie Mrs. Hockstetter an ’Du bist eine böse Hexe, ich<br />

wünschte, du würdest in einem Backofen verbrennen.’ Ich rannte nach Hause. Meine Mutter<br />

brauchte ewig, um <strong>mich</strong> zu beruhigen. Am Abend desselben Tages ... Es gab im Haus von<br />

Mrs. Hockstetter einen Brand. Es war niemand dafür verantwortlich, das wurde später ein-<br />

deutig geklärt. Sie hatte im Wohnzimmer eine Kerze brennen lassen und war im Schlaf-<br />

zimmer auf ihrem Bett eingeschlafen. Sie verbrannte. Okay, sie starb schon vorher, an einer<br />

Rauchvergiftung, aber das habe ich damals natürlich nicht verstanden. Für <strong>mich</strong> war die böse<br />

Hexe verbrannt. Ich habe monatelang gedacht, es wäre meine Schuld gewesen.“ Booth<br />

schwieg und Tempe lächelte ihn zärtlich an. Jake hatte zugehört und fing nun selbst leise an<br />

zu reden. „Unspektakulär und schnell erzählt, aber deswegen nicht weniger schlimm, okay.<br />

Ich habe meine Grandpa über alles geliebt, das sagte ich ja schon. Er hatte einen schweren<br />

Reitunfall, da war ich neun. Er galt tagelang als vermisst, keiner glaubte, dass er überhaupt<br />

noch am Leben sei. Ich dachte damals, ich hätte meinen Großvater verloren. Meine Mum war<br />

vollkommen aufgelöst, sie weinte ständig. Als ihr Dad dann doch noch lebend gefunden<br />

wurde, konnte es keiner fassen, dass er noch am Leben war.“<br />

Sawyer geriet langsam aber sicher in Panik. Er hatte Booth und Jake zugehört,<br />

hoffend, dass beide reden würden, bis sie befreit wurden. Das war natürlich ein frommer<br />

Wunsch. Er hatte während der grässlichen Befragung schon angedeutet, was passiert war,<br />

aber irgendwie wusste er, dass er jetzt, hier, heute bedeutend gründlicher würde werden<br />

müssen. Als Jake verstummte und alle ihn anschauten, schüttelte er entsetzt den Kopf. <strong>Die</strong><br />

Projektleiterin sah ihn kalt an. „Du willst sicher nicht, dass wir deiner kleinen Freundin zu<br />

ihren vielen Traumata noch ein weiteres hinzufügen, Nummer 3, oder? Du fängst besser an zu<br />

reden, denn ich gelte nicht als sonderlich geduldiger Mensch ...“ Sie ließ die Drohung in der<br />

Luft schweben und Kate konnte nicht verhindern, dass sie erzitterte. Sawyer ließ ergeben den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kopf hängen. Dann fing es leise an zu erzählen. „Mein Vater war selbstständig, er leitete eine<br />

sehr gut gehende Baufirma. Er war sehr viel unterwegs, daher hatte der Betrüger damals wohl<br />

leichtes Spiel bei meiner Mutter. Ob sie aus Trotz oder aus Einsamkeit ein Verhältnis mit ihm<br />

anfing, wurde nie geklärt. Sie war verliebt. Mein Dad bekam es nicht einmal mit, weil er<br />

kaum zuhause war. Dann kam der Zeitpunkt, an dem meine Mum merkte, dass sie einem Be-<br />

trüger aufgesessen war. Das ganze ersparte Geld war weg. Mein Dad ... Er rastete komplett<br />

aus. Er wollte Mum aus dem Haus werfen. Sie schrien sich nur noch an. Ich weiß nicht, wie<br />

oft ich in meinem Zimmer saß und das Schreien aus dem Wohnzimmer hörte. Irgendwann<br />

verschwand Dad für einige Tage. Meine Mum hatte Angst. Sie brachte mir bei, <strong>mich</strong> reglos<br />

unter dem Bett in meinem Kinderzimmer zu verbergen.“<br />

Sawyer schwieg kurz und merkte gar nicht, dass ihm unaufhörlich stumme Tränen<br />

über die Wange liefen. Er redete wie in Trance weiter. Er bekam auch nicht mit, dass Kate<br />

ganz dich an ihn heran gerutscht war und einen Arm um ihn gelegt hatte. Er war ganz in dem<br />

furchtbarsten Tag seines Lebens gefangen. „Dann kam der Abend, als Dad total betrunken vor<br />

der Haustür stand wie aus dem Himmel gefallen. Er tobte. Versuchte, die Tür einzutreten.<br />

Mum kam zu mir. Sie war in heller Panik. Sie zerrte <strong>mich</strong> aus meinem Bett, befahl mir<br />

hektisch, <strong>mich</strong> unter dem Bett zu verstecken und <strong>mich</strong> nicht zu rühren, egal, was auch<br />

passieren würde. Ich kroch also ganz unter das Bett, lag da, zitternd vor Angst. Meine Mutter<br />

machte blitzschnell mein Bett, als wäre ich nie drinnen gewesen. Dann rannte sie auf den Flur<br />

und ich hörte sie meinen Vater anschreien, dass sie die Polizei rufen würde. Sie schrie, ich<br />

wäre nicht da, würde bei Grandpa und Grandma übernachten. Ich hörte ein Krachen und<br />

Splittern, es war meinem Dad gelungen, die Haustür aufzubrechen. Ich hörte meine Mum<br />

verzweifelt weinen, einen Schrei und einen lauten Knall. Dann herrschte plötzlich Ruhe, die<br />

mir mehr Angst machte als der Lärm vorher. Ich lag wie gelähmt vor Angst unter dem Bett<br />

und sah plötzlich die Füße meines Vaters. Er kam langsam in mein Zimmer, blieb stehen und<br />

sah sich um. Ich wurde unter dem Bett fast verrückt. Dad setzte sich auf meine Bettkante. Ich<br />

hörte ihn kurz lachen, dann einen weiteren, viel lauteren Knall. Seine Beine zuckten und er<br />

sank zusammen ...“ Sawyer verstummte. Mit gesenktem Kopf saß er da. Seine Schultern<br />

zuckten. Er vermied den Blick in die Gesichter der anderen.<br />

Er wollte dort nicht Mitleid und Bedauern sehen. Das hatte er nie gewollt. Außer der<br />

Familie gab es niemanden, der diese Geschichte so ausführlich kannte. <strong>Die</strong>se sechzehn<br />

Menschen hier, und die, die jetzt über Lautsprecher zugehört hatten, waren die ersten Leute<br />

außerhalb der Familie, die die Geschichte in allen Einzelheiten zu hören bekamen. Nach dem<br />

späteren Tod seines Onkels, des einzigen Menschen, dem an dem Jungen James etwas ge-<br />

legen hatte, war Sawyers ganzes Sinnen und Trachten davon geprägt gewesen, niemanden<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mehr an sich heran zu lassen. Er hatte keine Schulfreunde gehabt. Er hatte später kaum wirk-<br />

lich Freundschaften entwickelt. Er hatte immer nur andere Menschen ausgenutzt, betrogen,<br />

geradezu panisch vermieden, zu irgendjemandem eine Beziehung aufzubauen. Beziehungen,<br />

das war etwas, was nur unglaublich schmerzhaft immer wieder zu Ende ging. Das konnte er<br />

nicht gebrauchen. Sein Leben war von einer unerträglichen Verlustangst geprägt und be-<br />

herrscht. <strong>Die</strong> einzige Kontrolle die er über den Verlust hatte, war, dafür zu sorgen, dass<br />

niemand ihm so nahe kommen konnte, dass dessen Verlust wehtun würde. Und das hatte er<br />

im Laufe der Jahre perfektioniert. Bis er Kate getroffen hatte. Sein Plan, sie mit zurück nach<br />

LA zu nehmen, dort eine schöne Zeit mit ihr zu verbringen, und sie dann sitzen zu lassen, war<br />

eigentlich in Sydney bereits gescheitert. Spätestens im Flugzeug war ihm klar gewesen, dass<br />

die junge Frau zu einem ernsthaften Problem werden würde. Er liebte sie schon da. Wären sie<br />

nicht in diese Gefangenschaft geraten, hätte er es vielleicht sogar noch geschafft, die Be-<br />

ziehung zu beenden. Vielleicht. Obwohl Sawyer es bezweifelte. Sollten sie je hier heraus<br />

kommen, wusste Sawyer nur eines: Er würde Kate nie wieder gehen lassen.<br />

Traumata<br />

Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur, wenn ich des Herzens wilde Qualen<br />

zähme.<br />

Johann F. von Schiller<br />

Ein paar Stühle weiter schwitzte House Blut und Wasser bei der Vorstellung, gleich an<br />

der Reihe zu sein. Er hatte Sawyers Geschichte gehört und war erschüttert gewesen, wie wohl<br />

alle in der Runde. Der schreckliche Verlust, den Sawyer erlitten hatte, war zumindest zur<br />

Hälfte etwas, das Greg gerne erlitten hätte. Nicht nur einmal hatte er sich gewünscht, sein<br />

Vater würde sterben. Oder wenigstens für immer verschwinden. Eine der schlimmsten Er-<br />

innerungen hatte er an ein eine Zeit, als sein Vater nach einer Verletzung im <strong>Die</strong>nst wochen-<br />

lang zu Hause gewesen war. Er hatte Greg so sehr drangsaliert, dass dieser schließlich an<br />

jenem schrecklichen Tag, vollkommen gestresst und verängstigt, mit einer fünf in Mathe nach<br />

Hause gekommen war. Daraufhin hatte sein Vater ihn furchtbar beschimpft, dass er ein Ver-<br />

sager wäre, ein Nichtsnutz, der es nie zu etwas bringen würde, wenn er nicht endlich lernte,<br />

Disziplin an den Tag zu legen. Er hatte seine Frau los gejagt, zur Tankstelle, um dort zwanzig<br />

Sack Eiswürfel zu besorgen. Damit hatte er die Badewanne gefüllt und Greg befohlen, in die<br />

Wanne zu steigen. Schaudernd dachte House daran, wie er in dem Eis gelegen und vor<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schmerzen geweint hatte. Sein Vater hatte ihn eine halbe Ewigkeit so liegen lassen. Dann<br />

hatte er Greg in den Keller gesperrt und dort musste dieser die Nacht verbringen. Nachdem er<br />

diese Geschichte erzählt hatte, schwieg er erschöpft. Er hatte so sehr gehofft, sein Vater<br />

würde vor seinen Augen explodieren. Und Sawyer? Der wäre vermutlich selbst für diese<br />

schreckliche Aufmerksamkeit dankbar gewesen. Der hätte sich sicher lieber schlechte Auf-<br />

merksamkeit von seinem Dad gewünscht als gar keine ...<br />

Ziva hatte bedrückt zugehört, was ihre Leidensgenossen zu sagen hatten. Sie wusste<br />

genau, was für sie das schlimmste Ereignis gewesen war. Als House verstummte, begann sie<br />

stockend zu berichten. „Ich war sieben oder acht damals. Ich war mit meinen Eltern und<br />

meiner Schwester in einem Vergnügungspark im Süden Tel Avivs. Wir standen gerade in der<br />

Schlange, um Tickets für das Riesenrad zu kaufen, als dieser Kerl auftauchte. Später erfuhr<br />

ich, dass er für die Hamas gearbeitet hat. Er zog plötzlich eine Waffe und fing an, auf meinen<br />

Vater zu schießen. Ich habe in dem Moment gerade in seine Richtung gesehen und meinem<br />

Vater eine Warnung zugerufen. Er ist in Deckung gegangen, aber er hat es nicht ganz ge-<br />

schafft, der Kugel auszuweichen. Mein Vater wurde in der Schulter getroffen. Trotzdem hat<br />

er es noch geschafft, seine eigene Waffe zu ziehen, bevor der Kerl einen zweiten Schuss ab-<br />

geben konnte. Mein Vater hat ihn erschossen, mit einem Kopfschuss. Es war das erste Mal,<br />

dass ich jemanden habe sterben sehen. An diesem Tag habe ich verstanden, warum mein<br />

Vater nirgendwo ohne seine Waffe hinging. Seit ich beim Mossad bin, habe ich das auch nie<br />

getan. Ich schlafe sogar mit einer Waffe unter dem Kopfkissen.“ Einmal mehr wurde Gibbs<br />

und Abby bewusst, dass das Leben der jungen Israelin in Tel Aviv blutig und brutal gewesen<br />

sein musste. Vermutlich waren ihr die ersten Monate in Washington langweilig und un-<br />

interessant vorgekommen. Auch die anderen Gefangenen begriffen, warum Ziva von allen<br />

hier die Gefangenschaft immer noch am besten verkraftete. Gegenüber dem, was die junge<br />

Frau in ihrer Heimat und ihrem <strong>Die</strong>nst beim Mossad erlebt hatte, war die Gefangenschaft hier<br />

vermutlich wie ein Wellnessurlaub.<br />

Bones hatte schweigend und bedrückt den anderen zugehört, die vor ihr an der Reihe<br />

waren, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Sie konnte Sawyer so unendlich gut verstehen.<br />

Wie sehr hatte sie unter dem Verlust ihrer Eltern gelitten. Und sie hatte nicht einmal gewusst,<br />

ob diese noch lebten oder tot waren. Der Tag, an dem sie spurlos verschwanden, war auch<br />

gleichzeitig der schlimmste Tag in ihrem ganzen Leben gewesen. „Ich war fünfzehn als meine<br />

Eltern spurlos verschwanden. Ich kam von der Schule nachhause, mein Bruder erwartete <strong>mich</strong><br />

in der Küche und erklärte mir, dass Mum und Dad verschwunden waren. Ich glaubte ihm kein<br />

Wort. Ich habe ihn angeschrien. Dann bin ich durchs ganze Haus, habe nach meinen Eltern<br />

gesucht. Sie waren weg. Mums Kleider fehlten, Dads Anzüge, Schuhe, Socken, alles war<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

weg. Ich dachte, sie würden ein paar Tage Urlaub machen. Aber sie kamen nicht wieder. <strong>Die</strong><br />

Wochen vergingen. Dann war Weihnachten. Mein Bruder ...“ Bones fuhr sich mit der Hand<br />

über die Augen. „... mein Bruder hatte alles ... Er hat den Baum geschmückt, das Haus, hat<br />

unsere Geschenke, die Mum und Dad da gelassen hatten, gefunden und unter dem Weih-<br />

nachtsbaum aufgebaut. Er wollte mir ein schönes Fest bereiten, trotz allem. Ich habe ihn an-<br />

geschrien. Ich wollte nur meine Eltern zurück. Daraufhin ist er gegangen. Er war neunzehn,<br />

mit der Situation vollkommen überfordert. Dann war ich alleine ...“ Bones schluchzte ver-<br />

zweifelt auf und Booth zog sie an sich, hielt sie im Arm und strich sanft über ihren zuckenden<br />

Rücken.<br />

<strong>Die</strong> Nächste, die an der Reihe war, war Dana. Sie hatte lange überlegt, denn aus ihrer<br />

Kindheit erinnerte sie eigentlich nichts wirklich Schlimmes. Doch dann war ihr eine Sache<br />

eingefallen, die sie als Kind ziemlich aus der Bahn geworfen hatte. Heute erschien ihr das<br />

lächerlich, angesichts dessen, was die Mitgefangenen zu berichten hatten, aber damals hatte<br />

sie es als Katastrophe empfunden. Als ihre Eltern von San <strong>Die</strong>go nach Berkeley ziehen<br />

mussten, war Dana das erste Mal verliebt gewesen. Der Junge, ein gewisser Martin Riggs,<br />

hatte damals den Ruf gehabt, jedes Mädchen kriegen zu können. Dana schmunzelte un-<br />

willkürlich. Sie waren zwölf gewesen und Dana war unglaublich stolz, dass Martin sich aus-<br />

gerechnet in sie verliebt hatte. Sie waren zusammen gegangen. Zwei Monate lang, für Kinder<br />

eine Ewigkeit. Und dann kam eines Tages ihr Vater und erklärte Dana, dass sie nach Berkeley<br />

ziehen müssten, da er dort einen sehr guten Job angeboten bekommen hatte. Dana glaubte,<br />

sich verhört zu haben. Das konnte ihr Dad nicht ernst meinen. Eine Welt brach damals für den<br />

Teenager zusammen und sie hatte ihre Eltern gehasst.<br />

Kate hatte so aufmerksam den anderen zu gehört und war erneut von Sawyers<br />

Geschichte dermaßen ergriffen, dass sie erstaunt aufschreckte, als sie nun schon an der Reihe<br />

war. Sie überlegte einen Moment. Es war eigentlich immer schlimm gewesen, wenn Wayne<br />

ihre Mutter geschlagen hatte. Aber ein Abend war ihr besonders im Gedächtnis geblieben.<br />

„Wayne ist oft betrunken nach Hause gekommen und hat meine Mum geschlagen, aber da<br />

war dieser eine Abend, an dem es besonders schlimm war. Er hatte richtig miese Laune als er<br />

nachhause kam, wahrscheinlich hatte ihn irgendetwas auf der Arbeit geärgert. Und er war<br />

betrunken, wie meistens. Meiner Mutter ging es an dem Tag nicht gut, sie hatte die Grippe<br />

und lag krank im Bett. Aber Wayne hat trotzdem verlangt, dass sie aufstand und ihm etwas zu<br />

essen machte. Sie hat es versucht, aber er hat die ganze Zeit auf ihr rumgehackt, weil sie zu<br />

langsam war. Ich habe ihm gesagt, dass er Mum in Ruhe lassen soll und dass er doch sehen<br />

müsste, dass es ihr schlecht ging. Ich habe ihm gesagt, dass ich etwas machen würde. Aber<br />

ich war damals erst acht und konnte nicht viel mehr als Spaghetti kochen und das wusste er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

natürlich. Er ist völlig ausgerastet und hat <strong>mich</strong> angeschrien, dass ich ihm gefälligst nicht<br />

sagen sollte, was er zu tun hatte. Dann hat er <strong>mich</strong> gepackt und in einem kleinen Abstellraum<br />

im Keller eingesperrt. Er hat <strong>mich</strong> die ganze Nacht in dem Raum gelassen. Am Anfang habe<br />

ich gehört, wie er meine Mum anschrie und schlug. Ich konnte sie weinen hören. Und dann<br />

habe ich irgendwann überhaupt nichts mehr gehört. Erst am nächsten Morgen, als Wayne weg<br />

war, ist meine Mutter gekommen und hat <strong>mich</strong> befreit. Vorher hatte Wayne sie nicht zu mir<br />

gelassen.“<br />

Ohne große Unterbrechung ging es weiter. <strong>Die</strong> junge Lehrerin war an der Reihe. Ihr<br />

liefen Tränen über die Wangen, bevor sie überhaupt anfing zu Reden. Was sie hier hörte,<br />

machte sie fassungslos vor Mitleid. Sie erzählte vom Tod ihrer Mutter, als sie acht Jahre alt<br />

gewesen war. Sie erinnerte sich noch sehr lebhaft an den Tag, an dem ihr Vater sie aus dem<br />

Unterricht geholt hatte, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben<br />

gekommen war. Ihr Vater war mühsam beherrscht gewesen und als Heather angefangen hatte<br />

zu weinen, hatte er sie getadelt und ihr erzählt, dass es egoistisch sei, um einen verstorbenen<br />

Menschen zu trauern. „Sie ist an einem besseren Ort.“, hatte er ihr gesagt, aber das hatte<br />

Heather wenig getröstet. Sie war nur ein kleines Mädchen gewesen, das seine Mutter ver-<br />

misste. Allison erzählte von ihrer Kindheitsfreundin Michelle. „Michelle war in meiner<br />

Klasse. Wir waren unzertrennlich, seit wir fünf Jahre alt waren. Als wir neun waren, erkrankte<br />

Michelle an Leukämie. Sie haben sie ein Jahr lang mit Chemotherapie behandelt, aber ohne<br />

Erfolg. Michelle wurde immer schwächer und starb schließlich, ein paar Wochen vor ihrem<br />

zehnten Geburtstag. An dem Tag habe ich beschlossen Ärztin zu werden. Ich fand es einfach<br />

nicht fair, dass Michelle so jung schon hatte sterben müssen und ich wollte, wenn ich groß<br />

war, alles tun, um Leben zu retten.“<br />

Sara wusste, dass sie nach Allison an der Reihe war, sprach aber erst, als sie von der<br />

Leiterin ihrer kleinen Fragerunde dazu aufgefordert wurde. „Mein schlimmstes und zugleich<br />

irgendwie auch schönstes Erlebnis war der Tag, an dem meine Mutter meinen Vater um-<br />

gebracht hat. Ich war damals zwölf. Mein Vater hatte <strong>mich</strong> fürchterlich geschlagen, weil ich<br />

versehentlich etwas zerbrochen hatte. Meine Mutter hatte wieder versucht, dazwischen zu<br />

gehen, aber er hat sie nur weggestoßen und weiter auf <strong>mich</strong> eingeschlagen. Danach weiß ich<br />

nicht mehr viel. Es ging alles so schnell. Das nächste, an das ich <strong>mich</strong> erinnere ist, dass meine<br />

Mutter ein blutiges Messer in der Hand hatte und mein Vater tot auf dem Boden lag. <strong>Über</strong>all<br />

in der Küche war Blut. Sie muss immer und immer wieder auf ihn eingestochen haben. Ich<br />

weiß nicht, wer die Polizei gerufen hat, aber irgendwann waren mehrere Streifenwagen da<br />

und eine Frau vom Jugendamt hat <strong>mich</strong> aus dem Haus gebracht. Ich habe einfach nur ihre<br />

Hand festgehalten und <strong>mich</strong> von ihr ins Krankenhaus und später dann ins Heim bringen<br />

172


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lassen. An mehr erinnere ich <strong>mich</strong> nicht.“ Sara schwieg verbissen. Sie konnte nicht ver-<br />

hindern, dass Tränen über ihre Wangen kullerten und ärgerte sich darüber.<br />

Locke erzählte inzwischen stockend von dem Tod seiner Pflegeschwester Jeannie.<br />

„Sie ist beim Spielen von einem Klettergerüst gestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Ich<br />

hatte eigentlich auf sie aufpassen sollen. Jeannie war damals erst sechs Jahre alt, ich war<br />

neun. Ich war dabei, als sie starb, aber ich konnte nichts mehr tun, es ging alles so schnell. Sie<br />

fiel, landete so unglücklich, dass ihr Genick sofort brach. Jeannie war augenblicklich tot. Sie<br />

hat beim Fallen gelacht, nicht einmal Angst gehabt, so sind wir vorher schon 100-mal von<br />

diesem Gerüst gefallen. Wir, die anderen Kinder. Niemand hat damit gerechnet, dass so was<br />

passieren könnte. Es war kein hohes Gerüst. Meine Pflegemutter hat den Tod ihrer Tochter<br />

nie ganz verwunden. Sie hat sich zurückgezogen und sich nicht mehr um <strong>mich</strong> gekümmert.<br />

Ich bin dann zur nächsten Pflegefamilie weiter gereicht worden.“ Locke brauchte alle Be-<br />

herrschung, um nicht zu Schluchzen. Bis heute hatte er von dem Unfall Albträume und<br />

machte sich Vorwürfe.<br />

Jetzt war Gil an der Reihe. „Mein Vater starb als ich neun Jahre alt war. Er kam eines<br />

Tages nachhause und sagte, dass er sich nicht ganz wohl fühle. Er wollte sich nur einen<br />

Moment auf der Coach ausruhen, aber er ist nie mehr aufgewacht. Ich konnte das damals ein-<br />

fach nicht begreifen, mein Vater wirkte am Morgen noch völlig gesund und am Abend war er<br />

tot. Möglicherweise hatte das etwas mit meiner Entscheidung zu tun, Forensiker zu werden.<br />

Mein Job ist es, Puzzles zusammen zu setzen und Todesfälle zu erklären.“ Auch Abby war<br />

schnell mit ihrem schlimmsten Erlebnis durch. „Ich war zwölf, und mit einer Freundin im<br />

Metairie Playground unterwegs. Wir trafen uns häufig dort zum Spielen, weil die Gegend als<br />

wirklich ziemlich sicher galt. Man konnte Kinder dort alleine spielen lassen, ohne zu be-<br />

fürchten, dass sie irgendeinem Irren in die Finger fielen. An dem Tag jedenfalls hatten wir<br />

uns dort verabredet und wollten einigen älteren Jungs beim Fußball spielen zugucken. Auf<br />

dem Weg zum Fußballfeld tauchte vor uns ein großer Dobermann auf.“ Abby schlucke. <strong>Die</strong><br />

Erinnerung überschwemmte sie und ein Zittern lief durch ihren Körper. „Der Hund stand vor<br />

uns und als wir näher kamen, fing er plötzlich an zu Knurren. Seine Nackenhaare stellten sich<br />

auf und er zeigte uns die Zähne. Und dann kam er auf uns zu. Meine Freundin Jill war<br />

schneller, sie brachte sich hinter einem Baum in Sicherheit und schaffte es, einen Ast zu er-<br />

greifen und sich in die Höhe zu ziehen. Da oben fing sie dann an zu schreien, dass man es<br />

vermutlich bis Baton Rouge hörte. Ich jedoch stand wie gelähmt auf dem Weg und plötzlich<br />

hörte ich in einiger Entfernung einen Mann schreien. Da griff der Hund aber schon an. Er<br />

erwischte <strong>mich</strong> am Arm und ... Gar nicht so schlimm, eigentlich. Bevor er noch ein zweites<br />

Mal zu beißen konnte, war der Besitzer schon da und riss das Tier zurück. Ich wurde zu-<br />

173


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sammen mit Jill, die einen schweren Schock hatte, in ein Krankenhaus gebracht. <strong>Die</strong> Wunde<br />

war wirklich gar nicht so schlimm. Aber der Hund hatte sich mit Tollwut infiziert und durch<br />

den Biss <strong>mich</strong> nun auch. <strong>Die</strong> Wunde entzündete sich und ich musste sechs Wochen im<br />

Krankenhaus liegen, wäre fast an der Tollwutinfektion gestorben. Seit damals habe ich<br />

panische Angst vor Hunden.“ Abby schwieg nun auch erschöpft.<br />

Und unaufhaltsam war Mulder nun an der Reihe, von seinem schlimmsten Erlebnis zu<br />

erzählen. Natürlich wussten inzwischen alle in der Runde, oder vermuteten es zumindest, was<br />

der FBI Agent erzählen würde. Dana legte ihm in einer Geste der Liebe die Hand auf das<br />

Bein. Mulder holte noch einmal tief Luft, dann begann er mit fester Stimme zu berichten. „Ihr<br />

werdet inzwischen wohl ahnen, was mein schlimmstes Erlebnis überhaupt, nicht nur aus der<br />

Kindheit, ist. Ich weiß, dass viele von euch offen oder im Stillen grinsen werden, das ist in<br />

Ordnung, ich bin es gewohnt. Ich war zwölf, meine Schwester Samantha acht, als meine<br />

Eltern eines Abends noch einmal weg mussten, in den Ort, um eine Besorgung zu machen.<br />

Auf Martha’s Wineyard war es damals und sicher auch heute noch völlig normal, Kinder<br />

alleine zu lassen. <strong>Die</strong> Insel ist nicht gerade für ihre hohe Verbrechensrate bekannt ... Sam und<br />

ich saßen vor dem Fernseher und stritten uns darüber, welches Programm wir sehen wollten.<br />

Ich wollte Sport gucken, es liefen gerade die Play offs. Sam wollte einen Zeichentrickfilm<br />

anschauen. Wir haben uns, wie Kinder eben sind, um die Fernbedienung geprügelt. Dann<br />

hörte ich draußen im Garten ein Geräusch und plötzlich war das ganze Haus in ein über-<br />

wältigend grelles Licht getaucht.“ Dana spürte den Mann neben sich heftig zittern bei den<br />

Erinnerungen, die in ihm hoch kamen.<br />

„Ich stand auf und trat an eines der großen Fenster, die in den Garten gingen. Ich<br />

konnte nichts erkennen. Minutenlang versuchte ich, in der gleißenden Helligkeit irgendetwas<br />

wahr zu nehmen. Der Fernseher lief weiter und ich war sicher, Sam würde davor sitzen und<br />

ihren Film schauen. Plötzlich wurde es im Haus still und dunkel, der Strom war ausgefallen.<br />

Ich drehte <strong>mich</strong> zu Sam herum und wollte sie auffordern, die Sicherung wieder rein zu<br />

drehen. Und da merkte ich, dass sie nicht mehr vor dem Fernsehgerät saß. Sie schwebte ...<br />

Irgendwie schwebte sie ... in dem Licht ... Gleichsam wie auf einem Strahl. Langsam.<br />

Rückwärts auf die plötzlich weit offen stehende Tür zu. Sie schrie nach mir ...“ Mulder hörte<br />

in seinem Kopf die Stimme seiner Schwester nach hallen. „Schrie immer wieder: Fox, hilf<br />

mir, hilf mir doch, Fox. Ich stand wie gelähmt am Fenster, konnte <strong>mich</strong> nicht rühren. Und<br />

dann war sie weg. Nach draußen gesogen ... Plötzlich konnte ich <strong>mich</strong> wieder bewegen und<br />

rannte los. Wollte die Waffe meines Vaters holen ...“ Mulder verstummte, endgültig von<br />

seinen schrecklichen Erinnerungen überwältigt. Längst liefen ihm Tränen über die Wangen<br />

und er schluchzte. „Sie war weg. <strong>Die</strong> nächsten Tage habe ich nur sehr verschwommen in Er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

innerung. Keiner wollte mir glauben. Alle waren der Meinung, ich würde mir was zusammen<br />

spinnen. Aber Sam tauchte nicht wieder auf. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Viele<br />

Jahre später erst erfuhr ich, dass mein Vater, der gar nicht mein Erzeuger war, ihrer Ent-<br />

führung zugestimmt, sie sogar veranlasst hatte.“ Mulder konnte nicht weiter reden. Weinend<br />

saß er da, und Dana zog ihn an sich. „Ist schon gut, Mulder, es ist vorbei.“, flüsterte sie ihm<br />

sanft ins Ohr. Sie sah sich um. Niemand grinste. Alle saßen mehr oder weniger betroffen still<br />

und Sawyer sagte schließlich todernst: „Das hört sich irre an, aber ... Das ist zu irre, um es<br />

sich auszudenken. Ich fürchte, ich glaube dir. Gruselig.“<br />

Gibbs konnte das selbstverständlich nicht toppen. Er erzählte schnell und ruhig von<br />

einem schweren Autounfall, bei dem er als dreizehnjähriger Zeuge geworden war. Als er ge-<br />

endet hatte, herrschte Schweigen. <strong>Die</strong> Projektleiterin machte sich noch ein paar Notizen, dann<br />

sah sie auf ihre Armbanduhr, stand auf und griff sich ihren Stapel Hefter. „Wir machen<br />

Schluss für heute, aber morgen früh sehen wir uns wieder, und dann geht es um das Thema<br />

Traumata im Erwachsenenalter. Wir werden an euren schlimmsten Ängsten arbeiten, sie ans<br />

Licht zerren. Ich wünsche euch eine angenehme Nachtruhe.“ Sprachs und verschwand. <strong>Die</strong><br />

Gefangenen saßen wie betäubt da. Sie hatten gehofft, es hinter sich zu haben. Jetzt wurden sie<br />

brutal eines Besseren belehrt. Geschockt erhoben sie sich und wurden nun in ihre Räume<br />

zurück gebracht. Erschöpft, ausgelaugt, emotional leer gelutscht. Und morgen früh sollte es<br />

gleich weiter gehen? Wie sollten sie das schaffen? Sawyer und Kate sanken unendlich erledigt<br />

in ihr Bett und lagen still nebeneinander. Sawyer hatte nicht einmal Interesse, Kate in den<br />

Arm zu nehmen. <strong>Die</strong>ser Abend hatte ihn bis ins tiefste Innere erschüttert. Nicht genug, dass er<br />

sich seinem eigenen Horror hatte stellen müssen, die Leiden der <strong>Anderen</strong> mitzuerleben war<br />

auch nicht sehr spaßig gewesen. Sawyer fielen vor Müdigkeit die Augen zu und er schlief ein.<br />

Sein Schlaf war, wie der vieler seiner Leidensgenossen in dieser Nacht von Albträumen<br />

durchsetzt. Immer wieder fuhr er schweißgebadet hoch und fühlte sich am Morgen wie ge-<br />

rädert. Er stand sachte auf, weil er mit bekommen hatte, dass Kate genau so unruhig ge-<br />

schlafen hatte. Leise ging er ins Bad und stieg unter die Dusche. Er holte tief Luft, dann<br />

drehte er den Wasserstrahl auf kalt. Minutenlang hielt er das Gesicht in den kalten Wasser-<br />

strahl. Zitternd und zähneklappernd stand er da und spürte langsam Leben in seinen Körper<br />

zurückkehren.<br />

Eine gute Stunde später, nach einem leichten Frühstück, saßen die Gefangenen wieder<br />

zusammen in dem Raum, alle mehr oder weniger müde und mit Schatten unter den Augen. Es<br />

war allen ohne Ausnahme anzusehen, dass sie schlecht geschlafen hatten. <strong>Die</strong> Projektleiterin<br />

hatte für alle Kaffee und Wasser bereitstellen lassen, sie hatten jetzt statt der einfachen Stühle<br />

kleine Pulte vor sich stehen. „Ich nehme an, ihr wisst noch alle, um was es geht? Ich will euer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schlimmstes Erlebnis seit eurer Kindheit hören.“ „Abgesehen von unserer Entführung durch<br />

euch?“ House konnte nicht mehr verhindern, dass ihm dieser Satz entschlüpfte. Aber die<br />

Projektleiterin ignorierte ihn zum Glück. Sie nahm selbst hinter einem Schreibtisch Platz, der<br />

jetzt vor ihrem Stuhl stand und legte den Stapel Schnellhefter wieder vor sich. Sie griff sich<br />

den Obersten und sah dann Booth herausfordernd an. Der hatte sich auch die halbe Nacht in<br />

Albträumen neben Bones im Bett hin und her gewälzt. Sein Zahn brummte nach wie vor zum<br />

Wände hoch gehen und Booth hatte panische Angst, dass er noch einmal, wohlmöglich zur<br />

Extraktion, auf den verdammten Stuhl musste. Schon der Gedanke machte den jungen FBI<br />

Mann ganz krank. Er war fast froh, hier etwas Ablenkung zu bekommen. Aber hier über das<br />

wirklich schlimmste Ereignis in seinem Leben zu reden, war sehr schwer. Er brauchte<br />

mehrere Anläufe. Dann berichtete er. „Es war im November 2001. Wir waren in der Nähe von<br />

Leposavić im Einsatz. Plötzlich wurden wir von Aufständischen angegriffen. Unsere Gruppe<br />

wehrte sich. Wir wollten uns in einer kleinen Schützenstellung in Sicherheit bringen. Mein ...<br />

Kumpel verlor beim Rückzug seine Waffe. Er wollte sie bergen. Ich habe versucht, ihm<br />

Deckung zu geben. Dabei ...“ Booth sah kurz zu Tempe hinüber. „Dabei fing ich mir einen<br />

Brustschuss. Mein Kumpel schaffte es nicht.“ Booth schwieg verbissen.<br />

Leichen im Keller<br />

<strong>Die</strong> Trauer ist nicht die Folgeerscheinung unseres<br />

Schmerzes, sondern bereits ein Heilmittel gegen diesen.<br />

Unbekannt<br />

Natürlich gab sich die Leiterin mit dieser recht knappen Schilderung in keiner Weise<br />

zufrieden. Kalt sah sie Booth an. „Und? Das war es? Was war es für ein Gefühl? Was hast du<br />

empfunden? Wir hören.“ Booth sah sie trotzig an. „Schmerzen. Ich hatte eine Kugel in der<br />

Brust.“ Kalt klang die Stimme der Projektleiterin in die Stille. „Das ist kein Spiel, Nummer 1.<br />

Du weißt nur zu genau, was wir hören wollen. Gerne unterstützen wir dein Erinnerungsver-<br />

mögen etwas durch Schmerzensschreie von Nummer 6.“ Eine herrische Kopfbewegung ließ<br />

zwei Wachen rechts und links neben Bones treten, die augenblicklich anfing, heftig zu zittern.<br />

Booth keuchte entsetzt auf. „Nein. Ist ja gut. Ich ... Was wollt ihr denn hören, verdammt noch<br />

mal? Dass ich Angst hatte, dort zu krepieren, mit der faustgroßen Wunde in der Brust? Das<br />

ich Blut gehustet habe? Sind es diese Details, an denen euch etwas liegt? Oder lieber ... dass<br />

mein bester Freund neben mir starb? Dass ich es trotz allem nicht geschafft hatte, ihn zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

retten? Das ich umsonst ...“ Verzweifelt und schwer atmend verstummte Booth erneut. „Das<br />

kommt der Sache schon näher.“, sagte der Major kalt. „Wir machen später weiter, 1.“ Sie<br />

winkte die Wachposten von Bones weg und wendete sich dann mit einem Lächeln wie ein<br />

Velociraptor vorm Zubeißen Jake zu. <strong>Die</strong>ser nickte ergeben. Ein Blick zu Heather hatte ihm<br />

klar gemacht, dass er es ganz bestimmt nicht riskieren würde, dass sie ihr etwas taten.<br />

Leise begann er zu reden. „Wir waren mit einer kleinen Gruppe Söldner in den<br />

Bergen, bei Mahabad, etwa hundertfünfzig Meilen östlich von Mosul im Einsatz. Wir sollten<br />

das Gebiet um den kleinen Ort Masu von Aufständischen befreien. Ich war mit drei anderen<br />

in den Ort vor gedrungen. Wir waren bereits mehrfach unter Feuer genommen worden, zwei<br />

von uns waren bereits leicht verletzt und wir waren alle hochgradig nervös.“ Jake musste erst<br />

einmal tief durch atmen, bevor er weiter sprechen konnte. Seine Stimme zitterte. Er schaffte<br />

es nicht mehr, seine Mitgefangenen anzuschauen, sondern senkte den Blick zu Boden. Dann<br />

fuhr er sehr leise fort: „Wir näherten uns dem örtlichen Versammlungshaus, als aus einer<br />

extrem dunklen Gasse plötzlich ... Ich konnte es nicht sehen. Es war zu dunkel. Sie hatte<br />

etwas in der Hand, etwas längliches, dass ... Es sah dort, mitten in der Nacht, unter feind-<br />

lichem Feuer ... es sah aus, wie ein Gewehr ...“ Jake biss sich heftig auf die Lippe, konnte<br />

jedoch einen Schluchzer nicht mehr zurück halten. „Ich habe nur noch reagiert. Herum fahren<br />

und abdrücken war eins. Erst als ... Sie schrie. Dass sie uns nichts tun wollte ... Sie wollte uns<br />

... Oh, Gott. Sie wollte uns ein Versteck zeigen ... Nur ein Versteck. Sie hatte keine Waffe,<br />

sondern einen Stock, mit dem sie im Dunkeln den Boden nach Schlangen abtastete. Sie starb,<br />

ohne zu begreifen, warum ... Sie war erst elf Jahre alt.“ Jake konnte endgültig nicht mehr.<br />

Verzweifelt schlug er die Hände vor das Gesicht und weinte. Heather liefen ebenfalls Tränen<br />

über die Wangen. Sie rutschte ganz eng an Jake heran und nahm diesen fest in die Arme.<br />

<strong>Die</strong> Leiterin der Runde kümmerte sich nicht weiter um Heather und Jake, ließ die<br />

junge Frau gewähren. Ihr kalter Blick wendete sich Sawyer zu. Der schwieg. Er brachte es<br />

einfach nicht fertig, anzufangen zu Reden. Kate wusste, was er getan hatte, auch die <strong>Anderen</strong><br />

wussten es bereits, aber das ganze hier in allen Einzelheiten zu schildern ... Sawyer schüttelte<br />

es. „Was ist, wir warten.“, klang die kalte Stimme des Majors. „Ich kann nicht ...“, stammelte<br />

Sawyer verzweifelt. „Aber wir können. Nummer 3 kann morden, aber nicht darüber reden.<br />

Motivieren wir ihn doch ein wenig.“ Wieder bekamen die Wachen einen Wink und traten<br />

blitzschnell zu Kate hinüber. Ehe die junge Frau wusste, wie ihr geschah, wurde sie vom<br />

Stuhl hoch gezerrt und zur Tür gestoßen. Panisch brüllte Sawyer los. „NEIN! Bitte. Ich ...<br />

rede ja, bitte ... Ich rede ja ...“ Er war zitternd aufgesprungen und einige Schritte hinter den<br />

Wachen mit Kate her geeilt. Jetzt stand er da, ein Bild der Verzweiflung, flüsterte noch ein-<br />

mal: „Bitte.“ <strong>Die</strong> Wachen sahen den Major fragend an und nach kurzem Zögern nickte diese<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

knapp. Kate erhielt einen Stoß und taumelte vorwärts, direkt in Sawyers Arme, der sie auffing<br />

und fest umschlang. Arm in Arm gingen die Beiden zu ihren Stühlen zurück. Der Major er-<br />

klärte kalt: „Das war das letzte Mal, dass wir Gnade vor Recht ergehen ließen. Bildet euch<br />

nicht ein, dass ihr uns zum Narren halten könnt. Bei der nächsten Verweigerung gibt es eine<br />

drastische Strafe. Und jetzt rede endlich, 3.“ Und 3 redete.<br />

„Ich hab in all den Jahren, seit ich alt genug war, versucht, den Schweinehund zu<br />

finden, der indirekt meine Eltern auf dem Gewissen hatte. Als Kind wollte ich ihm nur sagen,<br />

was er mir angetan hatte. Irgendwann als Erwachsener ... Ich wollte ihn irgendwann einfach<br />

nur noch umbringen. Eines Tages vor ... bevor eure nette Einladung erfolgte, kam ein ...“<br />

Sawyer lachte freudlos. „... ein Freund, Jason Hibbs, zu mir. Er war ... er ist Geldeintreiber<br />

und hat auch schon als Privatdetektiv gearbeitet. Er hat für <strong>mich</strong> immer ein wenig Ausschau<br />

nach dem echten Sawyer gehalten. Er kam also zu mir, warf mir einen Aktenordner hin und<br />

behauptete, den Bastard in Sydney aufgetrieben zu haben. Ich sah mir seine Beweise an und<br />

es war alles Hieb und Stichfest. Also besorgte ich mir ein Ticket und flog nach Sydney. Ich<br />

nahm drüben Kontakt zu einem Typen auf, der mir eine Waffe verschaffte. Der Betrüger<br />

nannte sich Frank Duckett und hatte draußen im Southerland Shire, im Stadtteil Kurnell, eine<br />

Shrimpsbude. Ich hatte meine Waffe, meinen Brief und meinen unbändigen Hass und suchte<br />

den Schweinehund auf.“ Sawyer redete immer leiser. Es war jedem einzelnen seiner Worte<br />

anzuhören, wie schwer es ihm fiel, es auszusprechen. „Der Typ, Duckett ... Er war nett. Er<br />

freute sich, einen Landsmann zu sehen. Er wollte mir eine extra große Portion Shrimps<br />

machen. Ich stand da, die Waffe in meiner Jacke in der Hand, ich wollte warten, bis wir<br />

alleine waren und dann wollte ich ihn abknallen wie einen tollwütigen Hund. Soweit mein<br />

Plan. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht ...“<br />

Erneut schwieg Sawyer, um sich für den Rest der Geschichte zu wappnen. Dann<br />

sprach er weiter, apathisch, resigniert. „Ich haute wieder ab. Ich setzte <strong>mich</strong> in meinen ver-<br />

dammten Leihwagen und schwirrte ab. Ich suchte mir ne Kneipe und fing an, <strong>mich</strong> zu be-<br />

saufen. Ein anderer Gast, der mir schon einige Whiskeys voraus hatte, sprach <strong>mich</strong> an und ...<br />

Er erzählte mir, dass er Ärger mit seinem Sohn hatte, schon seit Jahren, weil er zu feige ge-<br />

wesen war, eine Sache, die zwischen ihnen stand, zu bereinigen. Er riet mir, meine Sache zu<br />

Ende zu bringen. Er meinte es gut ... Er hatte ja keine Ahnung, was meine Sache war. Nach<br />

einer Flasche Scotch schließlich ... Ich bin wieder zu ihm gefahren. Er hatte Feierabend ge-<br />

macht, es goss wie aus Kübel, er brachte gerade seinen Müll zum Container, da rief ich ihn<br />

an. Er drehte sich zu mir herum und ich ... drückte ab. Der ... Schuss traf ihn in den Bauch. Er<br />

wurde gegen den Müllcontainer geschleudert und starrte <strong>mich</strong> verständnislos an.“ Sawyer<br />

liefen unaufhaltsam Tränen über die Wangen, so, wie an jenem Abend Regenwasser über sein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gesicht gelaufen sein musste. Mit zitternder Stimme fuhr er fort: „Ich ging zu ihm hinüber<br />

und dann ... dann las ich ihm den Brief vor, wie ich es mir zwanzig Jahre lang vorgestellt<br />

hatte. Lieber Mr. Sawyer. Sie wissen nicht, wer ich bin, aber ich weiß, wer Sie sind und was Sie getan<br />

haben. Sie hatten Sex mit meiner Mutter und dann haben Sie all das Geld meines Vaters gestohlen. Er<br />

wurde sehr wütend und hat meine Mutter umgebracht und dann sich selbst. Alles, was ich weiß, ist ihr<br />

Name. Aber eines Tages werde ich Sie finden und ihnen diesen Brief geben, damit Sie sich immer<br />

daran erinnern, was Sie mir angetan haben. Sie haben meine Eltern getötet, Mr. Sawyer. ...... Er sah<br />

<strong>mich</strong> vollkommen verwirrt an und keuchte was davon, dass er Hibbs doch bezahlen wollte ...<br />

dass ich Hibbs sagen sollte, er würde zahlen. Er begriff überhaupt nicht, wovon ich sprach. Er<br />

war nichts weiter als irgendein armes Schwein, dass bei Hibbs Schulden gehabt hatte ... Ich<br />

hatte einen unschuldigen Menschen umgebracht.“<br />

Der Major ließ, wie schon vorher bei Jake und Heather, zu, dass Kate sich um Sawyer<br />

kümmerte. Sie gab den Gefangenen eine ganz kurze Pause, denn wie schon bei Jake waren<br />

nicht nur die direkt Betroffenen erschüttert. <strong>Die</strong> Ermittlungsbeamten vergaßen, dass sie unter<br />

normalen Umständen Handschellen um Sawyers Handgelenke hätten schnappen lassen<br />

müssen. Mulder nahm sich fest vor, sollten sie je hier raus kommen, alles daran zu setzen,<br />

dem jungen Mann zu helfen, den echten Betrüger zu finden. Ähnliche Gedanken gingen Ziva,<br />

Gibbs und Booth durch den Kopf. Locke saß still da und in seinem Kopf arbeitete es.<br />

Irgendwas lag ihm auf der Zunge, er konnte es nur nicht greifen. Und er wurde auch ab-<br />

gelenkt, weil House anfing, zu reden.<br />

Er wäre eigentlich lieber gestorben, als hier in aller Öffentlichkeit darüber zu reden,<br />

was ihn so heftig belastete. Aber ein Blick in Allisons angstvoll auf ihn gerichtete Augen<br />

machte dem Zyniker erneut klar, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte. So sagte er<br />

schließlich möglichst emotionslos: „Ich hatte ein Blutgerinnsel im Oberschenkel. Der be-<br />

handelnde Arzt damals hat meine Diagnose und meine Behandlungsvorschläge gekonnt<br />

ignoriert. Daraufhin kam es zu einem Muskelinfarkt. Partiell starb mein Oberschenkelmuskel<br />

ab. Durch die permanent starken Schmerzen begann ich, Vicodin zu schlucken. Gegen die<br />

Schmerzen, selbstverständlich. Ich habe ein Schmerzproblem ... Ich wurde abhängig.“ Er<br />

schwieg verbissen. „Und du meinst, das war es schon? Erzähle, was genau geschah. Erzähle<br />

uns allen hier, die wir neugierig lauschen, von Stacy und ihrer Entscheidung, dir dein lausiges<br />

Leben zu retten. Komm schon, Mr. Zyniker.“ House warf der Frau einen mörderischen Blick<br />

zu, den diese mit einem kalten Grinsen konterte. Dann fuhr er fort: „Vier Tage nachdem das<br />

Blutgerinnsel sich gebildet hatte, bekam ich auf eigenen Wunsch einen Bypass gelegt. Durch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Unterbrechung des Blutflusses in dem betroffenen Muskel hatten sich Zytokine 12 und<br />

Kalium in der verschlossenen Blutbahn angesammelt, die nun in meinen Organismus gespült<br />

wurden. Zytokin kann zu Multiorganversagen, Kalium zu Herzstillstand führen. Ich war<br />

bereit, diese Risiken einzugehen. <strong>Die</strong> Alternative, nämlich eine Amputation, erschien mir zu<br />

einschneidend. <strong>Die</strong> postoperativen Schmerzen in dem Muskel waren so stark, dass selbst<br />

Morphium nur noch bedingt half. Nach einem unbemerkten Anstieg des Kaliumspiegels in<br />

meinem Blut kam es dann tatsächlich zu einer Breitkomplextachykardie. Mit anderen Worten,<br />

ich hatte einen Herzstillstand, war über eine Minute klinisch Tod. Danach bat ich um die Ver-<br />

setzung in ein künstliches Koma. Tja, und da ich den Fehler gemacht hatte, meiner damaligen<br />

Lebensgefährtin für einen Notfall die Handlungsfreiheit zuzugestehen, wachte ich nach drei<br />

Tagen wieder auf, und die bösen Ärzte hatten mir doch einfach meinen Muskel geklaut.“<br />

Er starrte verbissen auf sein rechtes Bein. „Ist das nicht wundervoll? Du schläfst als<br />

ganzer Mensch ein und wachst als halber Mensch wieder auf. Weder die Schmerzen hatten<br />

übermäßig nachgelassen, noch hatte ich irgendeinen anderen, sich mir darlegenden Vorteil<br />

von der OP, außer der unumstößlichen Tatsache, dass ich nun humpelte, einen Stock brauchte<br />

und Hydrocodon 13 schluckte wie andere Menschen Dauerlutscher. Sie wollen von Stacy<br />

hören? Oh, ich kann Ihnen versichern, sie war zutiefst betroffen, so über <strong>mich</strong> und mein<br />

Leben entschieden zu haben. Es war nur nicht mehr rückgängig zu machen. Ich war von dem<br />

Tage an ein verdammter Krüppel. Nichts von dem, was ich vorher geliebt hatte, war mir nach<br />

diesem Eingriff noch möglich. Ich hatte es geliebt, zu Joggen. Ich war für mein Leben gerne<br />

Golfen gegangen. Ich spielte Tennis, Squash, habe Fußball, Baseball und Basketball gespielt.<br />

Konnte ich jetzt alles vergessen. Und Stacy? - Ach, es tut mir leid, Schatz, aber sieh es doch<br />

mal so, du lebst. - Ja, ich lebte. Von dem Tag, als ich aufwachte, allerdings etwas verändert.<br />

Als Krüppel und ohne Stacy.“ Aus jedem seiner Worte war die Enttäuschung, die Ver-<br />

zweiflung und Verbitterung zu hören. Allison hatte alles gewusst, aber es so aus seinem Mund<br />

zu hören, ließ sie leise Aufschluchzen. Mulder dachte für sich - Er hat drei Menschen in<br />

seinem Leben gehabt, die ihm etwas bedeuteten und alle drei haben ihn mehr oder weniger<br />

verraten. Sein Vater, seine Mutter und die Frau die er liebte. - Der Major warf House einen<br />

abschätzenden Blick zu. Sie war sicher, dass dieser gerade unfreiwillig mehr von seinen<br />

12 Zytokin oder Cytokin ist ein zuckerhaltiges Protein, das regulierende Funktionen für das Wachstum und die Differenzierung<br />

von Körperzellen hat.<br />

13 Hydrocodon ist ein Analgetikum (Schmerzmittel), das dem Codein strukturverwandt ist und wie dieses zu den Derivaten des<br />

Morphin gehört (Opioid). In den USA ist das Mittel hauptsächlich als Kombinationspräparat mit Paracetamol unter den Marken-<br />

namen Vicodin bekannt und hat in den letzten Jahren einen ständig wachsenden Umsatz zu verzeichnen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

tiefsten Empfindungen preisgegeben hatte, als noch irgendjemand aus ihm heraus kitzeln<br />

konnte. So nickte sie zufrieden, sagte: „Na, seht ihr, es geht doch.“, und wandte sich an Ziva.<br />

<strong>Die</strong>se hatte bei ihren Vorrednern aufmerksam zugehört. Das Ganze war besonders bei<br />

Sawyer unglaublich emotional geworden und Ziva war immer noch aufgewühlt. Sie konnte<br />

nicht fassen, was für eine schlimme Kindheit und Jugend der Südstaatler gehabt hatte. Wenn<br />

sie auch in einem von Kriegen und Mord und Totschlag geschüttelten Land aufgewachsen<br />

war und schon als Kind mit Gewalt, Blut und Tod konfrontiert worden war, würde Ziva ihre<br />

Kindheit und Jugend trotzdem immer als schön bezeichnen. Ihre Eltern hatten in all dem<br />

Grauen, das zu Zeiten um sie herum vorging, alles daran gesetzt, ihren Kindern Geborgenheit<br />

und Liebe zu geben. Sie erwarteten von ihren drei Kindern auch Leistungen, wussten aber die<br />

Heranwachsenden zu Motivieren. Dass sie als einzige von den drei Geschwistern noch lebte,<br />

erschien Ziva manchmal unglaublich. Sie wusste, dass von ihr erwartet wurde, von ihrem<br />

traumatischsten Erlebnis zu sprechen und sie wusste genau, was es war, was sie am stärksten<br />

belastete. Sie schaute in die Runde und sagte dann mit ruhiger Stimme: „Ich bin als Israeli<br />

früh mit Grauen konfrontiert worden. Ich habe Bombenanschläge erlebt, habe Menschen<br />

sterben sehen, die mir nahe standen. Habe erlebt, wie meine Schwester bei einem solchen<br />

Anschlag starb, habe Attentate auf meinen Vater erlebt. Später habe ich Antiterroreinsätze mit<br />

gemacht. Mein ganzes Leben wurde von Gewalt und Tod bestimmt. Ich bin deswegen nicht<br />

traumatisierter als andere Menschen, da ich ... Nun, der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und<br />

in diesem Fall trifft das zu. Man gewöhnt sich daran.“<br />

Ziva versank kurz in <strong>Über</strong>legungen. Dann fuhr sie fort: „Als ich in Washington beim<br />

NCIS vom Mossad den Auftrag hatte, Gibbs daran zu hindern, meinen Halbbruder Ari umzu-<br />

bringen, war ich fest davon überzeugt, als Aris Führungsoffizierin, dass die Vorwürfe, die<br />

Gibbs gegen ihn erhob, unzutreffend waren. Ich hätte ... ja, ich hätte mein Leben darauf ver-<br />

wettet, dass es nicht Ari gewesen war, der Caitlin Todd erschossen hatte. Ich hätte das Leben<br />

meiner Eltern darauf verwettet, dass es nicht Ari war, der jetzt Abby und Tim und Tony nach<br />

dem Leben trachtete. Ich war meiner Sache so verdammt sicher. Und dann musste ich fest-<br />

stellen, dass ich Ari schon lange nicht mehr kannte, dass ich nicht wusste, wer er wirklich<br />

war. Ich musste mir eingestehen, dass ich bei ihm vollkommen versagt hatte. Ich konnte nur<br />

noch verhindern, dass er weiter mordete. Das war ich mir selbst, allen, die Ari über Jahre ver-<br />

arscht hatte und Gibbs und seinem Team schuldig. Ich habe ihm ... direkt in den Kopf ge-<br />

schossen. Er hat nichts mehr gespürt. Ich musste es tun. Ja, ich habe gelitten wie nie zuvor<br />

und nie danach. Aber wenn ich vor die gleiche Entscheidung noch einmal gestellt wäre, ich<br />

würde wieder genau so handeln.“ Sie musste tief durch atmen. Dann erklärte sie: „Und wenn<br />

ihr auch damit droht, Gibbs und Abby in Streifen zu schneiden, mehr werdet ihr von mir nicht<br />

181


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu sehen und zu hören kriegen. Ich habe meinen Bruder getötet. Ich würde es wieder machen.<br />

Ich bereue es nicht. Es hat <strong>mich</strong> fast zerrissen, als ich abdrücken musste, trotzdem habe ich<br />

nicht gezögert. Und wenn ich es noch hundert Mal machen müsste, dann würde ich es hundert<br />

Mal machen, ich würde so wenig Zögern wie beim ersten Mal.“<br />

Der Major nickte. <strong>Die</strong> üblichen Notizen, dann wandte sie sich direkt an Bones, ohne<br />

Ziva noch zu beachten, scheinbar war ihr klar, dass mehr von der jungen Frau nicht zu er-<br />

warten war. „Bereit?“ Tempe schüttelte den Kopf, sagte aber gleichzeitig: „Ja.“ <strong>Die</strong> Leiterin<br />

zog ironisch eine Augenbraue in die Höhe. „Na, wenn das keine klare Aussage ist. Solange<br />

die Worte stimmen, habe ich nichts gegen die Pantomime.“ Bones wurde tatsächlich rot.<br />

Dann griff sie nach Booth’ Hand und fing an zu Reden. „Ich war fünfzehn, als meine Eltern<br />

verschwanden. Und bis vor etwas mehr als anderthalb Jahren war ich überzeugt, dass meine<br />

Eltern tot sein mussten, sie hatten sich all die vielen Jahre ja nicht ... Ich war überzeugt, wenn<br />

sie noch gelebt hätten, irgendwo, dann ... dann hätten sie sich gemeldet. Im November 2005<br />

bekam ich einen unidentifizierten Schädel auf meinen Arbeitstisch. Es stellte sich heraus, dass<br />

es der Schädel meiner Mutter war. Sie war erst zwei Jahre nach ihrem Verschwinden ge-<br />

storben.“ Brennan verstummte und schaute zu Boden. Sie erwartete, dass Dana nun anfangen<br />

würde zu Reden. Doch sie hatte nicht mit der Hartnäckigkeit des Majors gerechnet. Wie<br />

schon bei Booth fragte sie kalt: „Und das ist alles? Damit willst du uns gesagt haben, dass das<br />

dein traumatischstes Erlebnis als Erwachsene war? Du willst sicher nicht wirklich, dass wir<br />

dich mit Hilfe von Nummer 1 zu weiteren Ergüssen motivieren, oder?“<br />

Bones sah die Frau an. „Was soll ich denn noch dazu sagen?“, fragte sie tonlos. „Ich<br />

war damals vollkommen durcheinander.“ „Erzähle uns mehr, die Umstände, deine Gefühle,<br />

und bete, dass ich nicht ungeduldig werde.“ Bones seufzte und nickte dann verhalten. „<strong>Die</strong><br />

Umstände. Gut. Meine Eltern verschwanden, als ich fünfzehn war, das sagte ich ja bereits.<br />

Mein Bruder war neunzehn. Er wusste auch nichts, war genau so schockiert wie ich. Drei<br />

Tage nach ihrem Verschwinden wurde der Wagen meiner Eltern gefunden. Dreitausend<br />

Kilometer entfernt von Chicago. Wo meine Eltern zwischen ihrem verschwinden 91 und dem<br />

Tod meiner Mutter 93 gewesen waren, konnte damals nicht geklärt werden. Sicher ist nur,<br />

dass ihr verschwinden in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Mordanschlag auf die<br />

Beiden durch den Auftragskiller Vince McWicker steht. <strong>Die</strong>ser hatte von einer Gruppe Bank-<br />

räuber und Rassisten, denen meine Eltern sich unerklärlicher Weise angeschlossen hatten, den<br />

Auftrag, sie als unliebsame Zeugen aus dem Weg zu räumen. Wie wir ermitteln konnten, ver-<br />

letzte er meine ... Er verletzte meine Mutter mit einem Bolzenschussgerät, aber meinem Vater<br />

gelang es, sie im letzten Moment aus dem Gefahrenbereich zu ziehen, sodass es nur zu einer<br />

scheinbar oberflächlichen Verletzung kam.“ Bones musste tief durch atmen und trank einen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schluck Wasser. „Leider war die Verletzung nicht so oberflächlich wie es den Anschein hatte,<br />

denn meine Mutter starb fast zwei Jahre später doch noch daran. Sie wusste vermutlich nicht,<br />

dass die Verletzung zu Spätschäden in ihrem Schädel geführt hatte. Sie starb im September 93<br />

an einem subduralen Hämatom. Mein Vater begrub sie in Salisbury und ...“<br />

Wieder musste die junge Frau eine Pause machen. Dann stieß sie hervor: „Ich erfuhr<br />

damals, dass meine Eltern gesuchte Bankräuber waren. Ich erfuhr, dass sie nach einem<br />

schweren <strong>Über</strong>fall im Jahre 1978 die Namensänderung von Keenan auf Brennan vor nahmen<br />

und untertauchten. Ich erfuhr, dass mein Bruder dies wusste und mir nie gesagt hatte.“ Sie<br />

schluchzte heftig. „Ich erfuhr auch, dass Vince McWicker nicht nur meine Eltern, sondern<br />

auch meinen Bruder und <strong>mich</strong> hatte töten sollen, das war der Grund, warum meine Eltern nie<br />

zu uns zurückgekommen sind. Sie wollten uns nicht der Gefahr aussetzen, dass man uns fand.<br />

McWicker war inzwischen im Zeugenschutzprogramm, aber er wurde dennoch verhaftet und<br />

sitzt heute für den Mord an meiner Mutter lebenslang im Gefängnis. All das innerhalb von<br />

wenigen Tagen zu erfahren ... Es war die Hölle. Es war ... Ohne Booth und meine Kollegen<br />

im Jeffersonian hätte ich das alles damals nicht geschafft. <strong>Die</strong> Ironie war, dass meine Mutter<br />

und ich ... Wir kamen beide im September 1998 im Jeffersonian an. Familienzusammen-<br />

führung der ganz besonderen Art.“ Bones schluchzte hemmungslos auf und Booth nahm sie in<br />

die Arme. Der Major hatte die ganze Zeit in Tempes Akte geschaut und hier und da ein paar<br />

Einträge gemacht. Nun nickte sie zufrieden und erklärte: „Na, geht doch. Dann kommen wir<br />

mal zu dir, 7.“ Wie eine Schlange fuhr ihr Blick zu Dana hinüber.<br />

Dana zuckte zusammen. Natürlich war ihr klar gewesen, dass sie nach Bones an der<br />

Reihe war. Jedoch hatte sie so intensiv zugehört, was die junge Anthropologin zu erzählen<br />

hatte, dass ihr gar nicht bewusst geworden war, dass diese ihre bedrückende Geschichte be-<br />

endet hatte. Dana wusste sehr wohl, was ihr furchtbarstes Erlebnis in ihrem Erwachsenen-<br />

leben gewesen war. Sie hatte den Vater, relativ schnell danach ihre Schwester verloren, ihre<br />

eigene Entführung, dann die beinahe tödliche Krebserkrankung, all das war entsetzlich ge-<br />

wesen. Aber die Agentin, die bei allen Kollegen als sehr beherrscht, spröde, kühl und<br />

emotionslos galt, hatte einen wunden Punkt, einen extrem wunden Punkt. Sie sah Mulder an<br />

und dann zu Boden. Es fiel ihr extrem schwer, hier offen über ihre Gefühle zu reden, da sie es<br />

zeitlebens vermieden hatte, Gefühle nach außen zu tragen. Nun konnte sie es nicht vermeiden.<br />

So begann sie leise: „Jeder von euch weiß mittlerweile, was Mulder und ich für einander<br />

empfinden. Dank unserer freundlichen Gastgeber ...“, an dieser Stelle hielt sie kurz die Luft<br />

an, es folgte aber keine Konsequenz, also fuhr Dana fort: „... war es ja schnell nicht zu über-<br />

sehen, wer zu wem welches Verhältnis hat. Mulder und ich, wir ... sind schon so lange rein<br />

platonisch ein Paar gewesen, dass ich den <strong>Über</strong>gang zu einem wirklichen Paar nicht ... Ich<br />

183


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

weiß nicht, wann es passiert ist. Ich konnte es nicht steuern. Ich wollte nicht, dass es soweit<br />

kommt, aber ... Als er Ende 99 entführt wurde, haben wir gesucht, wir haben so verzweifelt<br />

gesucht. Unser Assistent Director, Walter Skinner, war Augenzeuge der Entführung. Er hat<br />

mir so sehr geholfen. Schließlich, zirka acht Wochen nach seinem Verschwinden ...“ Dana<br />

griff nach Mulders Hand und klammerte sich regelrecht an ihm fest. „... wurde er gefunden. In<br />

Montana. Er war ... Alles deutete darauf hin, dass er ... tot war. <strong>Die</strong> ... die Beerdigung war ...<br />

Ich hatte das Gefühl, es würde <strong>mich</strong> zerreißen ...“ Dana verstummte endgültig.<br />

Der Major und alle anderen Zuhörer sahen Dana und Mulder an, mit Unverständnis in<br />

den Augen. Schließlich, nachdem Dana keine Anstalten machte, fortzufahren, hakte der Major<br />

nach. „Willst du deine Mitgefangenen dumm sterben lassen? Willst du sie nicht aufklären,<br />

wie es angehen kann, dass er beerdigt wurde und hier heute dennoch bei uns sitzt? Das würde<br />

sicher deine Freunde hier besonders interessieren.“ Dana zitterte. „Wir wissen es ja selbst<br />

nicht mit Sicherheit. Ungefähr drei Monate nach der Beerdigung wurde ein junger Mann,<br />

Billy Miles, der wie Mulder in Oregon verschwand, mit Anzeichen deutlicher Verwesung im<br />

Meer treibend aufgefunden. Sein Körper sollte schon zur Beisetzung frei gegeben werden, als<br />

durch puren Zufall festgestellt wurde, dass er noch Vitalzeichen aufwies. Kein Arzt konnte<br />

sich das Erklären. Und Skinner ... Als er davon hörte, und davon, dass dieser Billy Miles sich<br />

erstaunlich schnell erholte und regenerierte, ließ er heimlich Mulders Körper Exhumieren.<br />

Und tatsächlich wies auch er noch schwache Lebenszeichen auf.“ Dana liefen unaufhörlich<br />

Tränen über die Wangen. „Zu dem Zeitpunkt wusste ich schon längst, dass ich ein Kind er-<br />

wartete. Man wollte <strong>mich</strong> nicht zu Mulder lassen, weil er ... er sah ... Aber nichts und<br />

niemand hätte <strong>mich</strong> davon abgehalten, zu ihm zu gehen. Er lebte. Er lebte wirklich. Ich ...<br />

Keiner konnte es verstehen, erklären, auch nur ansatzweise begreifen. Er erholte sich im<br />

Krankenhaus in Rekordzeit und war wieder vollkommen der Alte.“ Mulder saß stumm neben<br />

ihr. Er kannte die Geschichte selbstverständlich, auch, wenn er sich an vieles nicht erinnerte.<br />

Er wusste nur definitiv, dass er mit seinem Vorgesetzten zusammen in Oregon Nach-<br />

forschungen angestellt hatte, er erinnerte sich vage an ein grelles Licht ... Dann war alles, was<br />

danach geschehen war, in dunklen Nebel gehüllt. Ab und zu brachen Fragmente der Zeit<br />

während seiner Entführung durch. Das waren die Momente, die ihn mit absoluter Panik auf<br />

Fesselungen, Untersuchungen, Spritzen, ect. reagieren ließen. Er war sich sicher, sich an<br />

Schmerzen, unsägliche Schmerzen erinnern zu können. An die Zeit, da er beerdigt gewesen<br />

war und daran, wie er nach der Exhumierung im Krankenhaus gelegen hatte, konnte er sich in<br />

keiner Weise erinnern. Seine Erinnerung setzte erst wieder ein, als er in einem Krankenhaus<br />

aufwachte und Dana neben sich sitzen sah.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Verwirrt und ohne Verstehen starrten alle Mulder an. Der Major selbst taxierte den<br />

FBI Agent wie eine Schlange das Kaninchen. Mulder fühlte sich sehr unbehaglich unter den<br />

Blicken und wünschte, man würde sich Kate zuwenden. Für ihn war die Entführung ein derart<br />

traumatisches Erlebnis gewesen, dass es ihm auch in keiner Weise half, sich nicht mehr an<br />

Details erinnern zu können. In sich tief verborgen trug er das Wissen, bei den Aliens durch<br />

die Hölle gegangen zu sein. Endlich klang die Stimme des Majors auf. „So, Herrschaften,<br />

wenden wir doch unsere Aufmerksamkeit von dem überaus interessanten Objekt der der-<br />

zeitigen Neugierde unserer kleinen Vatermörderin zu. Nummer 8, dein schlimmstes Erlebnis,<br />

wenn ich bitten dürfte.“ Kate war unter den gehässigen Worten wie unter Schlägen zusammen<br />

gezuckt. Sawyer legte ihr in einer Geste der Vertrautheit eine Hand auf den Arm und gab ihr<br />

damit das Gefühl, nicht alleine zu sein. Mit leiser Stimme fing Kate an zu reden. „Ein Freund,<br />

der in der Klinik von Des Moines arbeitete, hatte <strong>mich</strong> informiert, dass meine Mutter im<br />

Sterben lag. <strong>Die</strong>ser Freund, Tom, ... wir kannten uns aus Spencer, er war mein bester Freund<br />

noch aus Kindertagen ... Er schmuggelte <strong>mich</strong> in die Klinik ein, meine Mutter wurde von der<br />

Polizei überwacht, weil man annahm, dass ich versuchen würde, sie noch einmal zu sehen.<br />

Sie ahnten, dass ich es wenigstens versuchen würde. Er ... Tom organisierte es so, dass meine<br />

Mutter zu einer Untersuchung gebracht werden sollte. Stattdessen wartete ich in dem Unter-<br />

suchungsraum.“ Kate musste erst einmal tief durch atmen.<br />

„Sie erkannte <strong>mich</strong> und bevor ich noch groß etwas sagen konnte, fing sie an zu<br />

schreien. Der Wachposten auf dem Gang wurde aufmerksam und mir blieb nichts anderes<br />

übrig als zu Fliehen. Tom folgte mir. Er wollte mir helfen, <strong>mich</strong> begleiten. Ich habe alles,<br />

alles versucht, ihm das auszureden. Er gab mir seinen Autoschlüssel unter der Bedingung,<br />

dass ich ihn mitnehmen sollte. Er stieg einfach mit ein. Ich fuhr los. Der Polizist hatte uns<br />

inzwischen bis ins Parkhaus verfolgt. Er verständigte über Funk Kollegen, die die Ausfahrt<br />

blockierten. Ich habe Tom angefleht, auszusteigen, er wollte es nicht. Und dann habe ich<br />

Vollgas gegeben.“ Kate wurde von Schluchzen geschüttelt. „Ich ... ich fuhr weiter, wir<br />

wurden von den wartenden Polizisten beschossen ... Es gelang mir, durchzubrechen. Und<br />

dann ... Oh, Gott ... dann sah ich, dass Tom getroffen worden war. Von einer verirrten Kugel<br />

... Er war tot. Er war tot. Ich hatte meinen besten Freund umgebracht ...“ Ungerührt sah der<br />

Major die weinenden junge Frau an. „Dir gelang es, zu fliehen. Wie so oft. Würdest du<br />

Nummer 3 genau so tot zurück lassen, einfach liegen lassen?“ Kate sah den Major entsetzt an.<br />

„Niemals. Ich würde sterben für ihn!“ Sie schrie diese Worte geradezu heraus. Der Major<br />

grinste. „Oh, wenn das dein Wunsch ist, das könnte ich arrangieren.“ Kate vergaß zu<br />

schluchzen. Fassungslos starrte sie den Major an. Und nicht nur sie. Und ausgerechnet Sara<br />

brachte auf den Punkt, was alle dachten. „Ihr seid Monster!“<br />

185


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Major lachte. „Das ist interessant. Ihr haltet uns für Monster? Ihr alle hier, bis auf<br />

wenige Ausnahmen, habt deutlich mehr getötet also wir.“ Sie sah Booth an und schoss die<br />

nächsten Worte regelrecht auf diesen ab. „Wie viele Tötungen, 1?“ <strong>Über</strong>rumpelt stotterte<br />

Booth: „Neunundvierzig.“ Der Blick wanderte zu Jake. <strong>Die</strong>ser starrte erschrocken den Major<br />

an. „Keine Ahnung, über ... dreißig.“ „Nummer 3 ist nur einmal zum Mörder geworden. 5?“<br />

Ziva biss sich auf die Lippe. Dann sagte sie ruhig: „Sechsundsechzig.“ „Und wie viele<br />

Menschen hast du brutal gefoltert?“ Ziva schwieg. „Komm schon, sag es uns.“ Mühsam be-<br />

herrscht stieß Ziva schließlich: „<strong>Über</strong> vierzig.“ hervor. Der Major grinste, schaute Bones an.<br />

„Bei dir war es einer, richtig?“ Bones schüttelte betroffen den Kopf. „Nein, drei.“ Nun sah<br />

Garreau zu Dana herüber. „Beglücke uns doch auch mal mit einer Zahl, Nummer 7. Wie viele<br />

Menschenleben hast du in Ausübung deiner Pflicht ausgelöscht?“ Dana schluckte. Sie wusste<br />

jeden einzelnen genau, weil jeder einzelne Tote sie bedrückte. „Achtzehn.“, flüsterte sie leise.<br />

„Du hast deinen eigenen Vater getötet, sowie zwei unserer Söldner, Nummer 8, davon wirst<br />

du uns gleich auch noch berichten, denke schon mal drüber nach. Und du, 11? Dein <strong>Die</strong>nst<br />

macht den Schusswaffengebrauch nicht zwangsläufig erforderlich. Wie viele waren es bei<br />

dir?“ Sara erschrak. Sie hatte sehr selten von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen müssen.<br />

„Drei, ich habe drei Mal ...“ Gil seufzte. Er hatte sechs Menschen erschossen im Laufe seiner<br />

<strong>Die</strong>nstzeit. „Sechs.“ Major Garreau wandte sich Mulder zu. Verbissen starrte der zurück.<br />

„Einundzwanzig, es waren einundzwanzig.“ Garreau lachte. „Und nun kommen wir zu<br />

meinem Lieblingskiller. Komm schon, Leroy Jethro Gibbs, kläre deine Mitgefangenen auf.“<br />

Gibbs beherrschte sich am besten. Ruhig erklärte er: „Im Armeedienst für mein Land habe ich<br />

siebenundachtzig generische Soldaten getötete. Und in Ausübung meiner Pflicht als NCIS<br />

Ermittler waren es zweiunddreißig Verbrecher, die ich erschießen musste. Nicht zu vergessen<br />

Pedro Hernandez, den ich jederzeit erneut töten würde. Und natürlich euren Kollegen.“ Der<br />

Major schaute in die Runde. „Dreihundertvierundzwanzig Tötungsdelikte sitzen in diesem<br />

Raum zusammen.“ Sie sah den Wachposten an der Tür an. „Wie viele Menschen hast du ge-<br />

tötete?“ <strong>Die</strong> Wache sagte ruhig: „Keinen, Major.“ Garreau nickte. „Ich selbst? Nun, auch<br />

keinen. Ich würde sagen, es steht dreihundertvierundzwanzig zu null. Wer sind hier also die<br />

Monster?“<br />

Betroffenes Schweigen herrschte in der Runde. Das unterbrach der Major schließlich,<br />

sie sah Kate an und forderte: „Das passt zwar nicht in die Fragerunde, aber ich will, dass du<br />

deinen Freunden hier erzählst, wie du deinen Vater gegrillt hast, komm schon.“ Kate starrte<br />

die Frau an, als wäre diese ein Alien. „Ich ... Ich kann das nicht.“, stieß sie entsetzt hervor.<br />

„Komm schon, Nummer 8, du hattest keine Skrupel, als du ihn verbrannt hast, jetzt brauchst<br />

du auch keine Skrupel haben, es allen zu erzählen.“ Kate schluchzte. „Nein ...“ Dem Major<br />

riss endgültig der Geduldsfaden. Kalt gab sie in das Head Set den Befehl: „Los.“, und in der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nächsten Sekunde rutschte Sawyer brüllend vor Schmerzen vom Stuhl und krallte die Finger<br />

um das Halsband. Schreiend wand er sich am Boden. Kate schrie ebenfalls, vollkommen<br />

hysterisch: „Ja, ja ich rede ja, bitte, ich rede ja schon!“ Sie war neben Sawyer auf den Boden<br />

gesunken und hielt ihn verzweifelt im Arm. Alle anderen wagten nicht, auch nur zu zucken.<br />

Fassungslos sahen sie zu, wie Sawyer sich in Schmerzen wand und Kate schrie noch einmal<br />

„Bitte!“ „Es reicht.“ Garreau gab diese Worte ruhig ins Head Set und augenblicklich lag<br />

Sawyer keuchend still. Er brauchte mehrere Minuten, um sich auch nur halbwegs zu fangen.<br />

<strong>Die</strong> Zeit bekam Kate, durfte ihm schließlich sogar zurück auf den Stuhl helfen. Dann aber<br />

forderte der Major kalt: „Los jetzt, lass uns nicht noch länger warten.“ Und Kate begann ...<br />

„Er kam wieder einmal volltrunken nach Hause. Mum arbeitete noch. Sie hatte einen<br />

Job in einem kleinen Diner in der Stadt. Wayne konnte kaum alleine gehen. Ich hasste ihn so<br />

sehr ... Ich ... ich half ihm ins Haus, wie schon unzählige Male zuvor. Er nutzte, wie jedes<br />

Mal, die Gelegenheit, mir an Stellen zu greifen, die ... Ich hatte es so satt. Er sollte <strong>mich</strong> nie<br />

wieder so anfassen können. Und er sollte Mum nie wieder blutig schlagen! Ich schaffte ihn<br />

ins Schlafzimmer.“ Kate schluchzte heftig, musste einige Male tief durchatmen. Sawyer ging<br />

es langsam etwas besser. Er hatte die Kraft, Kate in den Arm zu nehmen und ihr leise zu<br />

sagen: „Ist in Ordnung, Baby ...“ Kate fuhr fort. „Ich half ihm ins Bett, zog ihm die Schuhe<br />

aus. Dann ... Ich ging in die Küche. Dort drehte ich alle vier Herdplatten voll auf. Ich kehrte<br />

noch einmal ins Schlafzimmer zurück, stellte dort mehrere Kerzen auf. Er schlief schon ... Ich<br />

nahm meine Papiere, ein paar Klamotten und wartete, bis es ... Dann verließ ich das Haus, ich<br />

ging und schob mein Motorrad ein Stück vom Haus weg. Ich setzte <strong>mich</strong> auf sie und wartete.<br />

Und dann explodierte das Haus und blies den Dreckskerl direkt in die Hölle ...“ Kate stieß die<br />

letzten Worte hasserfüllt hervor. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> hörten schweigend und betroffen zu. Der Major<br />

sah Kate kalt an. „Würdest du es wieder machen?“ Kate sah die Frau an, das Gesicht tränen-<br />

überströmt. „Ja ... Ja, ich würde es wieder tun, ich würde ... Ja.“ Zufrieden nickte der Major.<br />

„Du hättest Nummer 3 die Schmerzen ersparen können.“ Sie sah sich unter den Gefangenen<br />

um und fixierte dann Heather. „Nummer 9, wärest du so freundlich?“<br />

Heather zuckte zusammen, sie hatte Kates Geschichte gelauscht und war ein wenig<br />

überrumpelt, dass es ansatzlos weiter ging. Leise sagte sie: „Sie können mit mir machen was<br />

Sie wollt, aber mein schlimmstes Erlebnis seit ich Erwachsen bin, ist die Entführung durch<br />

Sie. Es tut mir leid, dass ich mit nichts Schrecklicherem aufzuwarten habe. Ich habe ein ganz<br />

normales kleines Leben in einer ganz normalen kleinen Stadt als ganz normale kleine Grund-<br />

schullehrerin geführt. Das Schlimmste, was in meinem Leben passiert ist, war der Tod meiner<br />

Mutter, an den ich <strong>mich</strong> kaum erinnere und das Aufwachen in Ihrem Käfig.“ Verzweifelt<br />

schwieg Heather und wartete auf Konsequenzen. <strong>Die</strong> erfolgten jedoch nicht. Der Major<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wandte sich Allison zu. „Bei dir sieht es ähnlich aus, Nummer 10. Wahrscheinlich bist du<br />

ebenfalls schnell damit durch.“ Allison nickte. „Das ist wohl richtig. Der Tod meines Mannes,<br />

den ich nicht einmal wirklich geliebt habe, war sicher das Schlimmste, was mir passiert ist.<br />

Ich habe mir damals eingeredet, vollkommen am Boden zerstört zu sein. Heute weiß ich, dass<br />

es nur Mitleid war. Das ist kein Trauma gewesen, nur eine ... eine schlimme Episode in einem<br />

nicht sonderlich ereignisreichen Leben.“ Sie sah ihre Mitgefangenen an. „Und bei dem, was<br />

hier schon ans Licht gekommen ist, danke ich Gott auf Knien dafür, dass es so ereignislos<br />

verlaufen ist.“<br />

Der Major sah Allison scharf an. „Eine Frage hätte ich an dich. Kannst du uns<br />

vielleicht ein wenig über einen Patienten erzählen? Du wirst dich sicher an den Namen er-<br />

innern: Ezra Powell. Du hast schon einmal von ihm erzählt.“ Allison zuckte zusammen.<br />

Entsetzt stotterte sie: „Woher wissen Sie ... Ich meine, er ... er war ein Patient, er hatte Krebs<br />

und er ist gestorben.“ Der Major grinste kalt. „Erzähle uns doch mal ausführlicher, woran er<br />

gestorben ist.“ Allison sah panisch um sich. Ihre Augen blieben an House hängen, der ver-<br />

bissen zu Boden starrte. Er hatte damals den Verdacht gehabt und bei der schrecklichen Be-<br />

fragung hatte sich sein Verdacht bestätigt. Garreau wurde ungeduldig. „Woran ist er ge-<br />

storben, Nummer 10.“ Allison liefen Tränen über die Wangen. Sie zitterte am ganzen Körper,<br />

dann flüsterte sie: „Er wollte es. Er hat <strong>mich</strong> angefleht, ihm zu helfen. Bitte, er hat es doch so<br />

sehr gewollt.“ Sie schluckte. „Woher wissen Sie davon?“ Garreau schnaubte. „Wir wissen<br />

alles, das solltet ihr langsam kapiert haben. Aber deine Freunde hier wissen immer noch nicht,<br />

was los ist. Soll ich es ihnen sagen?“ Allison starrte den Major vollkommen entsetzt an. Sie<br />

schüttelte verzweifelt den Kopf. Garreau lachte kurz und erklärte dann: „Ich deute dein<br />

Schweigen als Zustimmung. Im Jahre 2003 wurde Ezra Powell, in den 60.ger und 70.ger<br />

Jahren der führende Krebsforscher in den Staaten, ins Princeton Plainsboro eingeliefert.<br />

Akutes Lungenödem. Nummer 4 und seine tolle Truppe fanden nicht heraus, was dem Mann<br />

fehlte. Powell wollte, dass sie ihm Sterbehilfe leisteten. Stattdessen wurden weitere Tests ge-<br />

macht. Unser Moralapostel hier ...“ Sie warf Allison einen kalten Blick zu. „... kam dahinter,<br />

dass Powell 1967 Neugeborenen radioaktive Agenzien injiziert hatte, um zu sehen, ob sie<br />

einen ureteralen Reflux 14 bekommen. Nachdem sie das herausgefunden hatte, wusste<br />

Nummer 10 nicht mehr, ob sie den Mann hassen oder ihm helfen sollte, nicht wahr?“ Allison<br />

starrte tränenüberströmt vor sich hin. „Schließlich stellte sich heraus, dass er an einer<br />

Amyloidose A der Lunge, der Niere, des Knochenmarks und des Gehirns litt, eine in jedem<br />

Falle tödlich verlaufende Krankheit, die bei ihm bereits im Endstadium war. Nummer 4, kläre<br />

doch einmal auf, was Amyloidose ist.“ House sah skeptisch in die Runde, dann erklärte er:<br />

14 Vesikorenale Reflux (Synonyme: vesikoureteraler Reflux, vesiko-uretero-renaler Reflux, VRR, VUR) ist ein unphysiologischer Rückfluss<br />

von Harn aus der Blase über die Harnleiter (Ureteren) in das Nierenbecken.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Als Amyloidose bezeichnet man die Anreicherung von abnorm veränderten Proteinen im<br />

Interstitium, also außerhalb der Zellen. Kommt es zu einem Befall von Organen, resultiert<br />

daraus eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit oder ein Funktionsverlust des betroffenen<br />

Organs, bei fortschreitender Krankheit ein nicht mehr aufzuhaltender Prozess.“ „Aber nun<br />

glaubt bitte nicht, dass Mr. Powell daran starb. Weit gefehlt. Er starb an einer <strong>Über</strong>dosis<br />

Morphium, richtig, Nummer 10?“ Allison schluchzte hysterisch auf. „Somit können wir der<br />

Liste eurer Tötungsdelikte noch ein weiteres hinzufügen.“ Garreau nickte zufrieden. „Und<br />

weiter geht es.“<br />

Unerwartetes<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist das einzige Produkt, das uns garantiert keine <strong>Über</strong>raschungen<br />

erspart.<br />

Walter Fürst<br />

Sara war die Nächste, die der Major streng anschaute. „Nun, Nummer 11, wie ist es,<br />

gibst du uns einen Einblick in deinen dunkelsten Erinnerungen?“ Sara dachte noch darüber<br />

nach, ob sie und die Leidensgenossen hier die Monster waren, weil sie in Ausübung ihrer<br />

Pflicht ... die meisten jedenfalls ... Menschenleben vernichtet hatten. Außerdem hatte Kates<br />

Geschichte die junge Ermittlerin sehr mitgenommen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, ihren<br />

Vater umbringen zu können. Sie hatte vollstes Verständnis für Kate und verurteilt diese nicht<br />

im Geringsten dafür, dass sie die günstige Gelegenheit genutzt hatte, sich ihres Quälgeistes zu<br />

entledigen. Sie wurde von der Frage etwas überrumpelt und stotterte. „Ähm, meins ... Ja.<br />

Mein schlimmstes Erlebnis ist und bleibt der gewaltsame Tod meines Vaters. Ich habe kein<br />

anderes schlimmes Erlebnis vorzuweisen, tut mir leid. Ich habe den Mistkerl so sehr gehasst,<br />

er hat <strong>mich</strong>, meinen Bruder, meine Mutter, immer wieder krankenhausreif geschlagen. Kein<br />

Hahn hat danach gekräht, ob Danny oder ich, oder meine Mum selbst, wieder einmal mit<br />

Hämatomen, Platzwunden, gebrochenen Rippen, Handgelenken oder Fingern in der Notauf-<br />

nahme standen. Es wurde ein Protokoll auf genommen und der Tipp gegeben, den Haushalts-<br />

vorstand nicht so zu ärgern. Wenn ich nur gekonnt hätte, ich hätte den Schweinehund wie<br />

Kate selbst weg geblasen.“ Saras Augen blitzten vor Hass. „Dann kam der Tag. Schon auf<br />

dem Heimweg von der Schule hatte ich ein komisches Gefühl. Ich wäre am liebsten gar nicht<br />

nachhause gekommen. Ich hatte eine drei in Mathe bekommen am Tag zuvor und mein Er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zeuger würde das inzwischen wissen, das war mir klar. Ich hatte solche Angst, aber wenn ich<br />

nun auch noch zu spät gekommen wäre ... Ich ging also ins Haus und er hatte wieder ge-<br />

soffen, stank nach Scotch. Ich wollte unauffällig in mein Zimmer verschwinden. Danny saß<br />

am Tisch, mit verweinten Augen und einer aufgeplatzten Lippe ... Er rief <strong>mich</strong> zu sich. Ich<br />

musste zu ihm gehen. Und dann packte er <strong>mich</strong> und legte los.“<br />

Kurz musste Sara Pause machen, dann konnte sie weiter sprechen. „Ich weiß nicht,<br />

wie oft er zu schlug. Irgendwann riss ich <strong>mich</strong> los und wollte fliehen. Er erwischte <strong>mich</strong> in<br />

der Küche und prügelte weiter auf <strong>mich</strong> ein. Ich bekam schon gar nicht mehr richtig mit, wie<br />

oft und wohin er <strong>mich</strong> traf. Und dann hörte ich plötzlich meine Mutter ... Sie schrie, brüllte<br />

ihn an: Du Drecksau wirst keins meiner Kinder mehr schlagen. Sie stand hinter ihm und hatte<br />

ein großes Küchenmesser in der Hand. Damit stach sie auf ihn ein, wieder und wieder.“ Sara<br />

schwieg erneut. Dann sagte sie leise: „Ich habe mit bekommen, wie ein Polizist <strong>mich</strong> an der<br />

Hand zu einem Krankenwagen brachte. Danach weiß ich nicht mehr bewusst, was passierte.<br />

Ich habe keine Erinnerung daran, wo die Polizei so plötzlich herkam, ich habe nur Bilder von<br />

sehr, sehr viel Blut in Erinnerung.“ Sie schaute in die Runde und senkte dann den Kopf. „Ich<br />

hasse und verabscheue bis zum heutigen Tag Männer, die Kinder oder Frauen schlagen.“ Der<br />

Major hatte, wie die anderen Gefangenen, stumm zu gehört. Sie machte sich Notizen, dann<br />

ging es auch schon weiter.<br />

„Mr. Magic, du bist an der Reihe. Lass hören.“ Locke hatte Zeit genug gehabt, sich auf<br />

seinen Einsatz vorzubereiten. Trotzdem zuckte er zusammen, als nun er angesprochen wurde.<br />

Er setzte sich unwillkürlich gerade und begann dann möglichst ruhig zu sprechen. „Im Früh-<br />

sommer 2003 besuchte <strong>mich</strong> ein junger Mann Namens Peter Talbot in meiner Wohnung. Er<br />

erzählte mir, dass seine Mutter heiraten wolle. Einen Mann, den Talbot für einen Heirats-<br />

schwindler hielt. Talbot berichtet mir, dass er den richtigen Namen dieses Mannes ausfindig<br />

gemacht hätte und dabei unter anderem auch auf meinen Namen gestoßen war. Der Name des<br />

Mannes war Anthony Cooper. Mein Vater.“ Locke schluckte kurz. Dann fuhr er fort: „Talbot<br />

flehte <strong>mich</strong> an, etwas zu tun ... Zu verhindern, dass seine Mutter diesen schrecklichen Fehler<br />

machte, da er wusste, dass Cooper es nur auf das Geld seiner Mum abgesehen hatte. Ich ließ<br />

<strong>mich</strong> erweichen und überraschte meinen Vater einige Tage später in einem Blumenladen, wo<br />

er gerade Mrs. Talbot einen Blumenstrauß kaufen wollte. Ich stellte ihn zur Rede und ließ ihm<br />

die Wahl: Entweder, er würde die Beziehung zu Mrs. Talbot selbst beenden oder ich würde<br />

Mrs. Talbot darüber aufklären, dass sie einem Heiratsschwindler aufgesessen war. Mein ...<br />

Erzeuger versprach mir, die Beziehung zu beenden. Ich war naiv, war mit dieser Antwort zu-<br />

frieden und fuhr nachhause. Auf dem Parkplatz der Apartmentanlage in der ich wohnte wurde<br />

ich von zwei Polizeibeamten angesprochen. Ob ich einen Peter Talbot kenne. Ich erklärte den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beamten, dass er mir ein Zeitschriftenabo hatte verkaufen wollen. Dann fragte ich vorsichtig<br />

nach, warum sie nach dem jungen Mann suchten. So erfuhr ich, dass man Peter tot auf-<br />

gefunden hatte. Er war ermordet worden.“<br />

Locke musste an dieser Stelle tief durch atmen. Er war aufgewühlt. Nicht mehr so<br />

ruhig fuhr er fort: „Ich war geschockt. Als die Beamten fort waren suchte ich nach dem<br />

Wohnort meines Vaters und fand seine Adresse im Telefonbuch. Ich fuhr zu ihm, stellte ihn<br />

zur Rede. Er stritt ab, Peter Talbot getroffen zu haben, dann erklärte er mir, dass er mit Mrs.<br />

Talbot Schluss gemacht habe, es gäbe also keinen Grund, ihren Sohn zu töten. Er wurde laut<br />

und empört und erklärte mir, wenn ich ihm nicht glauben würde, solle ich doch selbst bei<br />

Mrs. Talbot anrufen. Er zeigte mir, wo das Telefon stand. Auf einen kleinen Beistelltisch am<br />

Fenster. Ich ging ... und wollte nach dem Hörer greifen als ... Er stürmte plötzlich auf <strong>mich</strong> zu<br />

... Ein heftiger Stoß ... Er stieß <strong>mich</strong> einfach durch die Scheibe ... Ich fiel ... acht Stockwerke<br />

tief ... Es war mein Vater ...“ Locke weinte. „Mein Vater. Ich ... lag tagelang im Koma ... Als<br />

ich schließlich aufwacht, war ich gelähmt. <strong>Die</strong> Polizei kam zu mir ... Sie erklärten mir, dass<br />

der Tatverdächtige nach Mexico geflohen war. Sie wollten von mir wissen, ob ... sie wollten<br />

wissen, was ich bei dem Mann, der mir das angetan hatte, gewollt hatte. Ich erklärte den<br />

Beamten, dass Anthony Cooper ... dass er ... mein Vater ist. Sie fragten erstaunt nach ...<br />

Anthony Cooper? Das ist sein Name? Ich verstand nicht ... Ich begriff nicht, was die Frage<br />

sollte. Daraufhin ...“ Urplötzlich hielt Locke inne. Das Schluchzen blieb ihm in der Kehle<br />

stecken. Sekundenlang starrte er zu Boden. Dann schüttelte er langsam den Kopf, ungläubig,<br />

fassungslos. Von einer Sekunde zur anderen war ihm klar geworden, was er unterbewusst<br />

schon seit der grausamen Befragung, spätestens aber seit der entsetzlichen Geschichte<br />

Sawyers wusste. Sein Kopf fuhr hoch und er sah den Südstaatler an. Dem wurde plötzlich kalt<br />

unter diesem Blick. Locke fuhr fort und alle Aufmerksamkeit war jetzt intensiv auf ihn ge-<br />

richtet. „<strong>Die</strong> Beamten erklärten mir, dass der Name, unter dem Cooper in Tustin gemeldet<br />

war, Michael Sawyer lautete.“<br />

Im Raum herrschte Totenstille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Wie<br />

magisch angezogen richteten sich alle Augen auf Sawyer. Der junge Mann saß auf seinem<br />

Stuhl, reglos, er schien selbst das Atmen vorübergehend eingestellt zu haben. Keiner Reaktion<br />

fähig, fassungslos, wie gelähmt saß er da und starrte Locke an. Der Major hatte ebenfalls<br />

überrascht aufgeschaut. Jetzt blätterte sie hastig in den Unterlagen herum. Sie hatte detaillierte<br />

Angaben, wo sich die Angehörigen der Gefangenen aufgehalten hatten. Sie rechnete blitz-<br />

schnell nach. 1977 ... Da stand es. Adresse: 17 Florida Avenue, Jasper, Alabama. Wütend<br />

griff sie sich den Hefter und gab den Wachen die Anweisung, vor der Tür auf Posten zu<br />

gehen. Dann verließ sie den Raum.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wie konnte das passieren? Wie, zum Teufel konnte euch ein so<br />

wichtiges Detail entgehen? Wofür werdet ihr eigentlich bezahlt, ihr ver-<br />

dammten Idioten?“<br />

„Das ist ... ungeheuerlich. Niemand konnte das ahnen.“<br />

„Seit wann verlassen wir uns auf Ahnungen? Unsere Arbeit hat nicht das<br />

Geringste mit Ahnungen zu tun. Unsere Arbeit beruht auf harten Fakten. Und<br />

dafür haben wir hunderte von überbezahlten Leuten im Einsatz.“<br />

„Verflucht noch mal, wie sollte ich das denn bitte wissen?“<br />

„Es ist deine Aufgabe gewesen, diese Informationen zusammen zu<br />

tragen. Es war deine Aufgabe, deine Leute vernünftig zu Koordinieren und zu<br />

Instruieren. Es ist einfach nicht zu glauben.“<br />

„Meine Leute sind von mir ganz hervorragend koordiniert und instruiert<br />

worden, aber einen solchen Zusammenhang ...“<br />

„Deine Leute sind genau solche Versager wie du. Ich warne dich. Erst<br />

die Sache mit Ford und Sciuto, jetzt das hier, Mitch, ich schwöre dir, noch ein<br />

einziger Fehler und du bist raus aus dem Projekt.“<br />

Im Raum herrschte immer noch gespenstische Stille. Dass die Wachen und der Major<br />

den Raum verlassen hatten, hatte kaum einer wirklich registriert. Sawyer saß immer noch reg-<br />

los da und starrte Locke an. Ihm wurde die Tragweite dessen, was Locke da gesagt hatte, erst<br />

langsam bewusst. Er hatte das Gefühl, einen Eimer Eiswasser über den Kopf bekommen zu<br />

haben, bei fünfzig Grad Wärme. Zu viel war in den letzten Monaten auf ihn, wie auf alle<br />

anderen hier, eingestürmt, als dass er diesen Schlag in den Magen noch problemlos hätte<br />

schlucken können. Sawyer registrierte kaum, dass Kate seine Hand ergriffen hatte und ganz<br />

fest hielt. Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam, fragte er leise: „Wie war das? Wie<br />

war der Name, den er benutzt hat?“ Locke sah Sawyer an, nicht minder entsetzt und betroffen.<br />

Dann wiederholte er leise: „Er nannte sich Sawyer, Michael Sawyer. Und er hat sich in den<br />

späten 70.gern in ... Alabama, Mississippi und Georgia rumgetrieben. Er hat mir mal von<br />

einer Mary Ford erzählt, mit der er ein Verhältnis hatte ... Gott, ich hätte schon viel eher<br />

darüber stolpern müssen ... Spätestens seit dem Verhör. Sawyer, es tut mir unendlich leid. <strong>Die</strong><br />

Wahrscheinlichkeit, dass mein Vater für den Tod deiner Eltern verantwortlich ist, ist wohl<br />

hundert Prozent.“ „Wo hält er sich jetzt auf?“ Sawyer fragte dies erschreckend ruhig. Locke<br />

schüttelte frustriert den Kopf. „Ich weiß es nicht. <strong>Die</strong> letzte Adresse war die in Tustin, im<br />

Parker Drive, wo er versucht hat, <strong>mich</strong> umzubringen. Dort ist er verschwunden ... Ich habe<br />

seine Spur verloren, weil ich zehn Wochen im Krankenhaus war und anschließend musste ich<br />

192


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

weitere zwölf Wochen zur Reha. Ich kann es dir wirklich nicht sagen.“ Sawyer sah ihn an.<br />

Dann sagte er ruhig, ohne den Hauch eines Zweifels zu lassen: „Ich werde ihn töten.“<br />

„Sawyer, rede keinen Quatsch. Hier sind jede Menge Ermittlungsbeamte, die das ernst<br />

nehmen könnten.“ House hatte als Erster seine Stimme wieder gefunden. Der Südstaatler warf<br />

dem Arzt einen ruhigen Blick zu. „Ich meine es ernst, absolut ernst.“ „Sawyer, du wirst bisher<br />

in den Staaten nicht wegen Mordes gesucht. Wenn du diesen Schweinehund umbringst, ver-<br />

saust du dir dein Leben. Du machst dich unglücklich.“ Gibbs versuchte, an Sawyers Vernunft<br />

zu appellieren. Sawyer lachte verzweifelt. „Oh, ja. Wo ich bisher auch so unendlich glücklich<br />

war und so ein großartiges Leben hatte, das es lohnt, erhalten zu werden ...“ „Wenn Sawyer es<br />

nicht tut, werde ich dieses gute Werk hoffentlich eines schönen Tages selbst vollziehen<br />

können.“, ließ John sich vernehmen. Mulder sah Kate an und sagte: „Kate, um Himmels<br />

Willen, sag du doch auch mal was dazu. Ihr habt euch gerade erst gefunden, lass nicht zu,<br />

dass das gleich wieder weg geworfen wird.“ Kate hatte bisher nichts gesagt, sie hatte der Er-<br />

öffnung Lockes genau so fassungslos gelauscht wie alle <strong>Anderen</strong>. Sie sah Mulder an und<br />

lächelte. Sie war dem FBI Mann sehr dankbar für seine Worte. Ruhig antwortete sie: „Weißt<br />

du, Mulder, ich hatte weniger Grund, meinen Erzeuger umzubringen, und trotzdem habe ich<br />

es ohne zu Zögern und ganz sicher ohne Reue getan, als sich die Gelegenheit ergab. Ich werde<br />

in den Staaten wegen Mordes gesucht, es ist also nicht gerade so, dass uns ein friedliches,<br />

ruhiges Leben erwartet, sollten wir jemals frei gelassen werden. Wenn es uns gelingt, diesen<br />

Hurensohn zu finden, wird es mir ein Vergnügen sein, ihn festzuhalten, während Sawyer ihn<br />

killt.“<br />

Kurz starrten alle Kate an, dann sagte ausgerechnet Booth: „Ich kann es verstehen. Bei<br />

mir hätte der Dreckskerl auch keine <strong>Über</strong>lebenschance, wenn er mir das angetan hätte, was er<br />

Sawyer angetan hat.“ „Bei mir auch nicht. Und wenn es das Letzte wäre, was ich in meinem<br />

Leben täte.“ Ziva sagte diese Worte kalt und überlegen. „Ich würde ihn auch umbringen, ohne<br />

zu Zögern und ohne mir Gedanken über die Konsequenzen zu machen.“, erklärte auch Jake<br />

voller Inbrunst. „Ich ebenfalls.“ „Ich auch.“ Sara und Bones waren zum ersten Mal seit ihrer<br />

Gefangennahme einer Meinung. Und dann seufzte Mulder frustriert. „Ich habe versucht, den<br />

Mörder meines Vaters zu Töten, und der war ... ein Kollege beim FBI. Ich denke, ich sollte<br />

<strong>mich</strong> mit schlauen Ratschlägen ein wenig zurück halten.“ Dana dachte in diesem Augenblick<br />

daran, dass sie die Mörder ihrer Schwester Melissa ebenfalls ohne zu Zögern auf der Flucht<br />

erschossen hätte und nickte. „Ich sage lieber auch nichts dazu.“ Abby sah Gibbs an, dann<br />

sagte sie verbissen: „Gibbs, du bist bis nach Mexiko gefahren, um Shannons und Kellys<br />

Mörder zu eliminieren. Du solltest vielleicht auch nicht gerade mit Tipps dafür, den echten<br />

Sawyer nicht umzubringen, daher kommen. Ich denke, fast jeder hier könnte unter diesen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Voraussetzungen Töten. Und Kate und Sawyer könnten die Staaten verlassen ... Gesetzt den<br />

Fall, wir kommen in diesem Jahrhundert noch raus hier.“<br />

Weiter kamen die Gefangenen nicht, denn in diesem Moment betrat der Major den<br />

Raum wieder, setzte sich an ihren Platz und meinte leutselig: „Na, ihr hattet ein wenig Zeit,<br />

diese kleine <strong>Über</strong>raschung zu verarbeiten, daher kann ich wohl damit rechnen, dass ihr in der<br />

Lage seid, weiter zu kooperieren. Nummer 13, wenn ich dann mal bitten dürfte.“ Gil hatte<br />

sich gedanklich bereits darauf vorbereitet, und er wusste auch sicher, was seine finstersten<br />

Momente als Erwachsener gewesen waren. So begann er: „Ja, Ma’am. Einer meiner Mit-<br />

arbeiter, Nick Stokes, wurde vor zwei Jahren von einem Psychopathen entführt, in einen<br />

Glassarg, ähnlich ausgestattet wie der, den ihr bei Mulder verwendet habt, gesteckt und ver-<br />

graben. Mein Team und ich mussten innerhalb eines festgelegten Zeitraumes eine Million<br />

Dollar Lösegeld herbei schaffen. Wir konnten über eine in der Kiste befindliche Kamera via<br />

Internet verfolgen, in welch miserabler Verfassung Nick war. Was wir nicht wussten war die<br />

Tatsache, dass wir jedes Mal, wenn wir die Kamera betätigten, eine Vorrichtung aktivierten,<br />

die die Sauerstoffzufuhr in die Kiste unterbrach.“ Gil dachte an den Schrecken und die Panik<br />

in den Augen Nicks, besonders gegen Ende, als Nick in seiner Verzweiflung die Kamera zer-<br />

schossen hatte und durch das entstandene Loch Feuerameisen in den Sarg eindrangen. Als<br />

letztes Geschenk hatte der Entführer, Walter Gordon dann noch einen Zündmechanismus<br />

unter Nick angebracht, der losgehen und zu einer Explosion führen würde, sobald Nicks Ge-<br />

wicht nicht mehr auf dem Zünder ruhte. „Wir bekamen das Lösegeld selbstverständlich nicht<br />

gestellt. In unserer Verzweiflung ging meine Vertretung, Catherine Willows, zu ihrem Vater,<br />

dem ein Spielkasino gehört. Sie schaffte es, das Geld von ihm zu bekommen. Bei dem Ver-<br />

such, das Lösegeld zu übergegeben, sprengte sich der Entführer in die Luft, ohne uns zu<br />

sagen, wo Nick vergraben war. Ihm war es nie auf das Geld angekommen. er wollte sich an<br />

unserem Team rächen, weil wir seine Tochter Kelly hinter Gitter gebracht hatten. Als er nun<br />

tot war ... Das ganze Team hat alles gegeben, um den Kollegen zu retten. Durch die Feuer-<br />

ameisen gelang es mir, das Zielgebiet zu ermitteln. Endlich wussten wir den Ort, wo Nick<br />

vergraben war und konnten ihn frei legen. In der Kiste befanden sich inzwischen hunderte<br />

von Feuerameisen und Nick ... Er brüllte vor Entsetzen, vor Schmerzen von den unzähligen<br />

Bissen und flehte und bettelte, dass wir ihn endlich da raus holen mögen. Das ging aber nicht,<br />

da ein Zündmechanismus dann eine Explosion verursacht hätte, die ihn zerfetzt hätte. Wir<br />

retteten ihn schließlich, in dem wir ihm ein Seil am Gürtel befestigten und dann eine Bagger-<br />

schaufel Sand in den Sarg fallen ließen. Zusammen rissen wir Nick aus dem Sarg und durch<br />

den Sand wurde die Explosion um Bruchteile von Sekunden verzögert.“<br />

194


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gil schwieg und Sara, die erschüttert zugehört hatte, wischte sich ein paar Tränen von<br />

den Wangen. Sie hatte nicht gewusst, dass Gil diese furchtbare Sache so mitgenommen hatte.<br />

Sie selbst hatte die Entführung und verzweifelte Suche ebenfalls noch in sehr schlechter Er-<br />

innerung. Nick hatte ein paar Tage im Krankenhaus verbracht und musste danach zur<br />

Therapie. Noch heute hatte er unter der Geschichte zu Leiden. Das ganze Team hatte darunter<br />

zu Leiden. Sie alle hatten sich so hilflos gefühlt, den Kollegen in diesem elenden Glassarg<br />

liegen zu sehen, verzweifelt, in unfassbarem Grauen und Todesangst, und sie hatten nichts für<br />

ihn tun können. Sara schoss durch den Kopf, dass die Kollegen sich wohl im Augenblick ähn-<br />

lich hilflos fühlten, da sie über ihren und Gils Verbleib nichts wussten. Flüchtig registrierte<br />

Sara, dass die Leidensgenossen stumm auf ihren Stühlen saßen und wohl im gleichen Maße<br />

wie sie selbst mit den eigenen Traumata als auch mit den Erlebnissen der <strong>Anderen</strong> zu<br />

kämpfen hatten. Der Major ließ einige Minuten verstreichen, dann sah sie Abby an. „Du<br />

redest doch so gerne, dann zeig mal, was du kannst.“<br />

Abby sah Gibbs an. Dann erklärte sie bedrückt: „Ich habe, mal abgesehen von dem<br />

hier, was vielleicht nicht nur für Heather das Schlimmste ist, was ihr bisher widerfuhr, als<br />

schlimmstes Erlebnis den Tod unserer Kollegin Caitlin Todd empfunden. Ich war nicht dabei,<br />

nur Gibbs und Tony waren bei ihr, als sie starb. Aber ich musste ja an den Untersuchungen<br />

teilhaben ... Wir alle mussten das. Sie war meine Freundin und Ari hatte kein Recht dazu, sie<br />

einfach so zu Töten. Ich bin Ziva so unendlich dankbar, dass sie verhinderte, dass er auch<br />

noch Gibbs umbringt ... Obwohl sie dafür ihren Halbbruder umbringen musste.“ Ziva hatte<br />

sich etwas in der Richtung gedacht. Daher war sie nicht überrascht, dass Abby dieses Erlebnis<br />

als ihr Schlimmstes wertete. Gibbs schaute Abby an und nickte aufmunternd. Der Major<br />

schien zufrieden, jedenfalls machte sie sich ihre Notizen, sah dann Mulder an. „So, Spooky,<br />

dann wollen wir uns mal mit dir beschäftigen. Ich bin sehr gespannt, ob es etwas irdisches<br />

gibt, dass dich berührt.“ Der abfällige Ton war eine deutliche Provokation, aber Mulder<br />

lächelte nur mild. So einfach konnte man ihn nicht aus der Reserve locken. Er sah Major<br />

Garreau an und nickte ruhig. „Das gibt es in der Tat.“<br />

Sein Blick wanderte zu Dana und er griff deren Hand. „<strong>Die</strong> scheinbare Hinrichtung<br />

Danas durch ihre lieben Kollegen dürfte nicht Ihre Zustimmung finden, nehme ich an. Daher:<br />

<strong>Die</strong> Krebserkrankung meiner Partnerin war für <strong>mich</strong> das schlimmste Erlebnis seit dem Ver-<br />

schwinden meiner Schwester. Sicher mögen einige denken, die Entführung müsse das<br />

Schlimmste gewesen sein, oder das beerdigt werden ... Gleichwohl, ich habe davon nichts<br />

bewusst mit bekommen, also kann es für <strong>mich</strong> nicht das Schlimmste sein. Aber Dana sterben<br />

zu sehen, das war sehr realistisch, sehr irdisch und entsetzlich für <strong>mich</strong>. Ich bin dem Schicksal<br />

unendlich dankbar, dass es mir gelang, sie im letzten Moment zu retten. Und ich hoffe, so<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

etwas nie wieder mit ansehen zu müssen.“ Gibbs beschloss, nicht erst darauf zu warten, dass<br />

die Ärztin, Therapeutin, was immer sie darstellen mochte, nun ihn aufforderte, zu erzählen. Er<br />

begann freiwillig. „Was mein schlimmstes Erlebnis war, wissen inzwischen alle. Aber ich<br />

berichte gerne noch einmal davon, nur wird die Geschichte nicht schöner, je öfter ich sie<br />

erzähle. Ich war im Irak, bei Desert Storm, als die Nachricht <strong>mich</strong> erreichte, dass meine Frau<br />

Shannon und unsere gemeinsame Tochter Kelly bei einem Autounfall ums Leben gekommen<br />

waren. Ich wurde sofort beurlaubt und kehre in die Staaten zurück. Hier erfuhr ich, was ge-<br />

schehen war.“<br />

Gibbs schluckte. Wie jedes Mal, wenn er davon sprechen musste, kamen die Er-<br />

innerungen wie Schläge mit einem Vorschlaghammer auf ihn nieder. „Weiter, Gunny ...“<br />

Gibbs atmete tief durch, dann fuhr er fort: „Ich erfuhr, dass der Fahrer des Wagens, in dem<br />

Shann und Kelly gesessen hatten, von einem Heckenschützen bei hohem Tempo erschossen<br />

worden war. Bei dem daraus resultierenden Unfall ... Sie starben in den Flammen ... Ich habe<br />

sie beerdigt und habe den Mörder dann bis Mexico verfolgt. Dort habe ich ihn eliminiert.<br />

Danach habe ich meinen <strong>Die</strong>nst quittiert und habe beim NCIS angefangen. Mike Franks, der<br />

Agent, der mir indirekt half, den Mörder meiner Familie zu finden, wurde mein Mentor und<br />

wir sind heute noch gute Freunde.“ Gibbs schwieg und die anderen Gefangenen warteten ver-<br />

zagt, dass es in die nächste Fragerunde gehen würde. Aber erstaunlicherweise kam das nicht.<br />

Major Garreau nickte sehr zufrieden und erklärte: „Herrschaften, das war es für heute. Wir<br />

werden zu einem anderen Zeitpunkt weiter machen. Ihr könnt euch bis zu unserem nächsten<br />

Treffen mit der Frage beschäftigen, was eure größten Ängste sind. Und es geht nicht nur um<br />

Dinge wie Feuer, Nummer 15, oder Klaustrophobie, 5 und 8, haben wir uns verstanden?“<br />

<strong>Über</strong> sechzehn Lippen kam unwillkürlich ein: „Ja, Ma’am.“<br />

Aktennotiz Dr. Maggie Curtis, 19.02.06, 23.40 Uhr<br />

Nach den ersten Sitzungen, in denen ich die Probanden nach<br />

ihrem schlimmsten Kindheits- und Erwachsenenerlebnis fragte,<br />

ist klar, dass keiner von ihnen sich an das Trauma des Nahtods<br />

erinnert. Lediglich Austen gibt dies als unangenehmes Erlebnis<br />

an. Das ist nicht weiter verwunderlich, da sie alle noch sehr<br />

jung waren. Was erstaunlicher ist, ist die Tatsache, dass<br />

keiner von ihnen das eigene <strong>Über</strong>leben als Erwachsener be-<br />

merkenswert findet. Viele hatten schon diverse Verletzungen,<br />

z.T. auch wirklich lebensbedrohliche, aber keiner von ihnen<br />

scheint zu merken, dass sie alle die Fähigkeit haben, schnell,<br />

196


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

deutlich schneller als normale Menschen, zu regenerieren.<br />

Einige, wie zum Beispiel Ford, haben zeitweise ausgeprägte<br />

Todessehnsucht, die sich bei ihm wohl durch das Auftauchen<br />

Austens erledigt haben dürfte. Übrigens auch bei Mulder und<br />

Green zu beobachten gewesen. Der leichte Hang zur Selbst-<br />

zerstörung, der auch bei House, Gibbs und Green teilweise zu<br />

beobachten ist, scheint für viele von ihnen phasenweise zu<br />

gelten. Es ist sehr wichtig, das im Auge zu behalten. Ich bin<br />

gespannt, wie die erzwungene Therapie anschlägt. <strong>Die</strong> nächsten<br />

Sitzungen werden sich mit dem Thema Unfälle in der Kindheit<br />

und Beobachtungen an sich selbst befassen.<br />

197<br />

Dr. M. Curtis<br />

In ihren Räumen waren alle erst einmal wieder schweigsam, jeder musste das Gehörte<br />

und Gesagte verarbeiten. Besonders Sawyer hatte es erneut schwer. Dass der Vater Lockes<br />

der Mörder seiner Eltern war, hatte ihn vollkommen unerwartet erwischt und er würde Tage<br />

brauchen, das wirklich zu Realisieren. Kate ließ ihn in Ruhe, sie spürte, dass er die jetzt<br />

brauchte. Er hatte sich, kaum dass sie im Zimmer angekommen waren, auf das Bett sinken<br />

lassen und lag dort still, einen Arm unter dem Kopf, den anderen locker auf der Brust. Kate<br />

hatte sich auf das Sofa fallen lassen. Sie beobachtete Sawyer unauffällig und dachte darüber<br />

nach, wie sie selbst wohl auf eine solche Nachricht in seiner Situation reagieren würde.<br />

Schnell kam sie zu dem Ergebnis, dass sie es sich nicht vorstellen konnte. Sie wusste nur<br />

eines: Wenn sie hier je heraus kommen sollten, würde sie all ihre Kraft dazu einsetzen,<br />

Sawyer bei der Suche nach Anthony Cooper zu helfen.<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe<br />

<strong>Die</strong> Ungewissheit schlägt mir tausendfältig die dunklen Schwingen um das Bange<br />

Haupt.<br />

Johann W. von Goethe<br />

„Wir haben die letzten Ergebnisse, leider sind die nicht hundertpro-<br />

zentig aussagekräftig. Ich hatte mit einem eindeutigeren Ergebnis gerechnet.“


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Das stimmt. Wenn man sich diese Auswertungen anschaut, besteht<br />

immer noch die Möglichkeit, dass es sich um zufällige Treffer handelt.“<br />

„Wir werden vermutlich kein wirklich befriedigendes Resultat erzielen<br />

können, oder wie seht ihr das?“<br />

„Ich würde gerne noch einen Test unter extremen Bedingungen machen.<br />

Seht euch diese Versuchsanordnung einmal an, bitte.“<br />

„Hm, das sieht gut aus. Alle 4?“<br />

„Ja, und Locke wird nicht erfahren, wer es sein wird. Das bedeutet für<br />

ihn gleich drei wichtige Entscheidungen: Wer es sein wird, wie es zu ver-<br />

hindern ist und die Verhinderung selbst.“<br />

„Wer wird denn im Falle des Versagens das Zeitliche segnen? Eigentlich<br />

bräuchten wir sie alle, aber daran soll dein kleiner Test nicht scheitern.“<br />

„Nun, ich habe beschlossen, dass es ... Oh, Sekunde. Ja, Eric? Ich höre<br />

... Sehr schön, dann können wir los legen.“<br />

Dass die folgenden Tage ohne nennenswerte Vorkommnisse waren, täuschte keinen<br />

der Gefangenen darüber hinweg, dass es jederzeit zu einem weiteren <strong>Über</strong>griff kommen<br />

konnte. Aber dennoch wurden alle etwas ruhiger, fingen an, sich ein klein wenig zu erholen.<br />

Gute Versorgung, nicht mehr in den Zellen, zusammen sein zu dürfen, sinnvolle Be-<br />

schäftigung, halbwegs vernünftige Bekleidung, all dies trug dazu bei, sie nach und nach etwas<br />

zu Entspannen. So war Kate nicht sonderlich beunruhigt, als sie nach dem Frühstück Besuch<br />

von einer Wache bekamen. Sie hockte mit Sawyer auf dem Sofa und die Beiden fragten sich<br />

gegenseitig die Teile des M24 ab. Als die Wache herein kam und Kate aufforderte, sich die<br />

Hände fesseln zu lassen, war diese nicht annähernd so nervös wie noch vor ein paar Tagen.<br />

„Wir machen nachher weiter.“ Sawyer nickte und lächelte ihr zu, als sie sich herum drehte<br />

und die Hände brav auf dem Rücken zusammenlegte. „Machen wir. Du bist schon sehr gut.“<br />

Er sah ihr hinterher, als sie aus dem Raum geführt wurde, dann widmete er sich wieder<br />

konzentriert seinen Gewehrteilen. Dass er selbst kurze Zeit später ebenfalls abgeholt wurde,<br />

machte Sawyer auch nicht übermäßig unruhig.<br />

Kate wurde drei Etagen nach oben gefahren, dann führte der Wachmann sie zu einer<br />

Tür, die sich öffnete. <strong>Die</strong> Handfesseln wurden der jungen Frau gelöst und sie bekam die Auf-<br />

forderung, in den Raum zu treten. Erstaunt sah sie sich um. Heather, Bones und Dana be-<br />

fanden sich bereits in dem Raum und sahen Kate nicht minder überrascht an. Heather lächelte.<br />

„Was die wohl von uns wollen? Einen Häkelklub sollen wir sicher nicht gründen.“ Kate<br />

grinste und ließ sich auf das im Raum befindliche große Sofa fallen. „Kaum. Seid ihr schon<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lange hier?“, wollte sie wissen. Dana schüttelte den Kopf. „Nein, wir wurden auch gerade erst<br />

her gebracht.“ Sie deutet auf einen die halbe Wand ausfüllende Monitor. „Vielleicht sollen<br />

wir einen Film oder etwas Ähnliches gezeigt bekommen.“ „Wäre denkbar.“ Dana setzte sich<br />

zu Kate auf das Sofa und fragte: „Könnt ihr eure Gewehrteile schon auswendig?“ Kate<br />

schaute die Agentin an. „Wir waren gerade dabei, uns abzufragen, als ich geholt wurde.“<br />

Heather nickte. „Ich habe Jake auch gerade abgefragt. Er hat erzählt, dass du hervorragend<br />

bist auf tausend Meter.“ Sie sah Bones an, die sich ebenfalls setzte. „Ich bin ja ausgebildet, es<br />

ist also nicht verwunderlich, dass ich sehr gut bin.“ „Bescheidenheit ist wirklich nicht deine<br />

Stärke, was?“ Kate konnte ein Kichern nicht unterdrücken.<br />

<strong>Die</strong> vier Frauen unterhielten sich eine Weile, nutzten einfach die Gelegenheit, einmal<br />

ungestört von Frau zu Frau reden zu können. Sie sprachen darüber, dass sie das Gefühl, jeder-<br />

zeit Duschen zu können, unglaublich genossen. Nach endloser Zeit ohne Kamm oder Bürste<br />

war es unendlich angenehm, jetzt auf den Zimmern eine Bürste zur Verfügung zu haben.<br />

Bones sah Kate an und meinte: „Du mit deinen Locken wirst sicher schon extreme Probleme<br />

gehabt haben, zu verhindern, dass das Haar völlig verknotet, aber die arme Ziva ist ja zeit-<br />

weise verzweifelt. Sie mit ihrer wilden Naturkrause. Himmel, sie hat Stunden damit ver-<br />

bracht, auf ihrer Liege zu sitzen und Knoten aus ihren Haaren zu fummeln.“ <strong>Die</strong> Zeit verging<br />

und irgendwann bemerkte Heather: „Sagt mal, was soll das eigentlich, warum haben die uns<br />

hier her geschafft, wenn wir nur herum sitzen und uns unterhalten dürfen? Normalerweise<br />

machen die doch nichts grundlos.“ Auch Dana hatte schon begonnen, sich Gedanken zu<br />

machen. Es war inzwischen wenigstens eine Stunde her, seit sie in diesen Raum gebracht<br />

worden waren, da war die FBI Agentin sicher. „Vielleicht hat sich der Film verheddert oder<br />

die werden sich nicht einig, ob sie uns Johnny Depp oder Antonio Banderas zeigen sollen.“,<br />

grinste Kate. Bones sah die junge Frau verständnislos an. Dann kam ihr Standard-Satz: „Ich<br />

weiß nicht, was das bedeutet.“ Kate, Dana und Heather sahen sich an und kicherten los. Selbst<br />

Bones musste lachen. Als jedoch genau in diesem Moment der Monitor vor ihnen an der<br />

Wand aufflackerte, verging ihnen das Kichern sehr schnell.<br />

*****<br />

Booth wunderte sich, dass er zusammen mit Mulder, Jake und Sawyer abgeholt wurde.<br />

Spezialtraining? Nein, wohl nicht. Sie wurden in die Tiefgarage gebracht und dann mussten<br />

die vier Männer in einen kleinen, geschlossenen Kastenwagen steigen, einen Ford Transit,<br />

wie Booth beiläufig bemerkte. Sie bekamen den Befehl, sich auf den Bauch auf den Boden<br />

des Wagens zu legen und sich nicht zu rühren, bis man es ihnen gestattete. Langsam, aber<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sicher breitete sich ein unbehagliches Gefühl in den vier Männern aus. <strong>Die</strong> Fahrt dauerte nicht<br />

sehr lange, höchstens vierzig bis fünfundvierzig Minuten, dann hielt der Wagen mit einem<br />

sanften Ruck an. „Ihr rührt euch erst, wenn wir es sagen, verstanden!“ <strong>Die</strong> Haltung, die<br />

Hände auf dem Rücken, auf dem Bauch liegend, war an sich schon unbequem, aber durch das<br />

durchgeschüttelt werden während der Fahrt war es noch unangenehmer gewesen. <strong>Die</strong> Männer<br />

wären froh gewesen, sich erheben zu können, wurden aber noch einige Minuten so liegen<br />

gelassen, bevor der Befehl kam: „So, hoch mit euch.“ Etwas steif und unbeholfen kamen die<br />

Vier auf die Füße. Sie wurden aus dem Wagen beordert und kniffen im grellen Sonnenlicht<br />

die Augen zusammen. Viel konnten sie nicht erkennen, dazu waren ihre Augen noch zu ge-<br />

blendet. Es dauerte einige Minuten, bis diese sich an das ungewohnte, helle Licht angepasst<br />

hatten. Sie erkannten, dass sie im Dschungel waren, vor ihnen lag eine Schlucht. Um sie<br />

herum Bäume, Grün, Dschungelgeräusche. Vor ihnen standen nebeneinander vier einfache<br />

Liegen. Und bei den Liegen stand, und das war sicher das Verwirrendste, ein Leiterwagen der<br />

Feuerwehr. <strong>Die</strong> Leiter war waagerecht vielleicht zur Hälfte ausgefahren und an ihrem Ende,<br />

auf einer Länge von drei bis vier Metern, war eine sehr stabil aussehende Metallschiene<br />

montiert worden. In diese Metallschiene eingelassen waren vier runde Metallplatten, die mit<br />

je vier soliden Haken versehen waren, am linken Rand einer, im Abstand von vielleicht acht<br />

Zentimetern der nächste, drei Zentimeter Platz, zwei weitere Haken und dann kam im Ab-<br />

stand von zehn Zentimetern die nächste Platte.<br />

Vollkommen verständnislos sahen sich die vier Gefangenen an. Sie wurden zu den<br />

Liegen hinüber geführt, die Handfesseln wurden gelöst und sie erhielten den Befehl, sich<br />

ihren Nummer nach, Booth ganz rechts, auf die Liegen zu verteilen. Mit einem inzwischen<br />

deutlich unangenehmen Gefühl im Bauch gehorchten die Männer. Als sie auf den Liegen<br />

Platz genommen hatten wurden die Hände rechts und links an den Halsbändern befestigt. Jetzt<br />

machten sich die Wachen daran, ihnen dick gepolsterte Manschetten um die Fußgelenke zu<br />

drapieren, die alle vier Männer sofort an Halterungen, wie sie beim Bungee Jumping benutzt<br />

wurden, erinnerten. Während sie verpackt wurden, trat einer der Wachposten an die Leiter mit<br />

der Metallschiene heran. „Ihr fragt euch sicher, was wir vorhaben. Nun, ich werde es euch<br />

kurz mal demonstrieren. Schließlich sollt ihr nicht dumm sterben.“ Er grinste verhalten und<br />

trat dann unter die ausgefahrene Leiter. Er stellte sich unter eine der runden Platten, griff nach<br />

den zwei äußeren Haken der Platte und hielt sich daran fest. Dann rief er einem weiteren<br />

Wachposten zu: „Zieh <strong>mich</strong> hoch.“ Der Angesprochene saß auf dem Leiterwagen an einem<br />

Schaltpult und betätigte einen Hebel, der die Leiter ein Stück in die Höhe fuhr. Dann rief der<br />

Wachmann, der jetzt vielleicht dreißig Zentimeter hoch an den Haken baumelte, laut: „Jetzt.“<br />

Ein metallisches Klicken ertönte, die Metallplatte löste sich aus der Verankerung und die<br />

200


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wache fiel das kurze Stück auf die Füße, die Platte in der Hand. Er grinste und den vier<br />

Männern wurde innerlich eiskalt. Was sollte das alles? <strong>Die</strong> Antwort erhielten sie Augenblicke<br />

später.<br />

<strong>Die</strong> Leiter wurde wieder abgesenkt, dann traten die Wachen, die mit ihren Fußgelenk-<br />

polstern fertig waren, an die verbliebenen drei Deckel heran. Sie griffen nach diesen und<br />

hatten sie Sekunden später in den Händen. Mit den Deckeln nun traten sie an die Liegen<br />

heran. <strong>Über</strong> die Polster hatte man den Männern noch stabile Ledermanschetten geschnürt, an<br />

denen ebenfalls rechts und links der Knöchel je ein sehr stabiler Karabinerhaken befestigt<br />

war. Mit diesen Karabinern wurden nun die Metallplatten an den Fußmanschetten fest ge-<br />

macht. <strong>Die</strong> vier Männer bissen sich auf die Lippe. Als die Leiter vorsichtig zu ihnen herüber<br />

geschwenkt wurde, ahnten sie, was kommen würde. Und schon erhielten sie den Befehl, die<br />

Beine anzuheben. Mit Hilfe der Wachen hoben sie ächzend die Beine in die Höhe, was mit<br />

den dicken Metallplatten daran gar nicht so ganz einfach war. <strong>Die</strong> Wachen fädelten die<br />

Platten wieder in die dazu gehörigen Löcher der Schiene ein und arretierten sie. Dann traten<br />

sie neben die Männer und die Leiter wurde langsam und vorsichtig angehoben. Schwer<br />

atmend spürten die vier Wehrlosen, wie sie Kopf nach unten mit samt der Leiter in die Höhe<br />

gehoben wurden, bis sie wie Wäschestücke zum Trocknen nebeneinander unter der Leiter<br />

hingen. <strong>Die</strong> Wachen traten noch einmal an sie heran, lösten die Hände von den Halsringen,<br />

nur, um sie auf dem Rücken wieder zusammen zu Fesseln. Dann wurde unter dem kollektiv<br />

entsetzten Aufkeuchen der vier Männer die Leiter langsam und vorsichtig so geschwenkt,<br />

dass die Gefesselten schließlich über der Schlucht hingen, nur noch von den Metallplatten<br />

gehalten, fünfzig Meter über dem Erdboden. Keiner von ihnen konnte noch ein heftiges<br />

Zittern unterdrücken. Alle vier atmeten flach und schnell. In ihren Mägen schien sich eine<br />

eisige Faust zu ballen. Was sollte das hier wieder werden? Und dann wurde es ihnen erklärt.<br />

„Leider waren die Testergebnisse eures Kumpels 12 nicht eindeutig so eindeutig wie<br />

wir es gerne gehabt hätten. Sie konnten unsere Neugierde nicht hundertprozentig befriedigen.<br />

Daher sehen wir uns heute gezwungen, einen weiteren, abschließenden Test mit ihm zu<br />

machen. Ich werde euch erklären, was es hiermit auf sich hat. Einer von euch, wer, wird nach<br />

dem Zufallsprinzip gleich vom PC ausgesucht, wird, wenn 12 es nicht verhindert, hier in<br />

zwanzig Minuten den Abflug machen.“ <strong>Die</strong> Wache, die diese Erklärung lieferte, machte eine<br />

künstlerische Pause, um die Worte einsickern zu lassen. „<strong>Die</strong> Sache ist die.“, fuhr er dann<br />

fort: „Mr. Magic hat zehn Minuten, heraus zu finden, wer von euch der Todeskandidat sein<br />

wird. Dann hat er weitere fünf Minuten, um heraus zu finden, an welchem von vier Schalt-<br />

pulten der Auslösemechanismus aktiviert wird. Und er hat weitere fünf Minuten, den<br />

201


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Richtigen von drei Schaltern an dem betreffenden Schaltkasten zu finden, der den Mechanis-<br />

mus abschaltet. Sollte ihm das gelingen, werden eure Mädels euch alle in zwei Stunden<br />

wieder in die Arme nehmen können. Gelingt ihm das nicht, ist bewiesen, dass er doch nicht<br />

annähernd so gut ist, wie wir dachten. Ach, und einer von euch Helden liegt dann zermanscht<br />

da unten, ein ekliger, roter Fleck in der Landschaft, das ist klar.“<br />

*****<br />

Kate und Heather stöhnten nach den kalten Worten des Wachmannes entsetzt auf. Sie<br />

hatten am Monitor verwirrt und zutiefst beunruhigt die Vorbereitungen beobachtet, hatten<br />

gebannt gesehen, was man mit den vier Männern anstellte. Als sie über die Schlucht ge-<br />

schwenkt wurden, hatten alle vier Frauen entsetzt auf gekeucht. „Oh, Gott, nein, nicht schon<br />

wieder. Bitte nicht schon wieder. Das ertrage ich nicht mehr. Lasst ihn endlich in Ruhe, ihr<br />

elenden Bastarde!“ Kate schrie diese Worte vollkommen verzweifelt hinaus. Und wie, um sie<br />

noch ein wenig mehr zu Quälen, erschien in diesem Moment eine Nahaufnahme von Sawyers<br />

Gesicht auf dem Monitor. Angespannt, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen ge-<br />

presst, selbst auf dem Monitor war die Angst in seinen Augen zu erkennen. <strong>Die</strong> Kamera ging<br />

jetzt auf Jakes Gesicht. Heather schluchzte auf. Dem jungen Mann war der Stress mehr als<br />

deutlich in das blasse Gesicht geschrieben. „Oh, Gott, Jake ...“ Und schon war Booth’ Gesicht<br />

in Nahaufnahme zu sehen. <strong>Die</strong> dunklen Augen wie festgesaugt an dem Abgrund unter ihm<br />

klebend, hastig durch den Mund atmend, hing er da. Bones starrte aus vor Grauen weit auf-<br />

gerissenen Augen in sein Gesicht. Und als letzter wurde nun bereits Mulder gezeigt und Dana<br />

wimmerte leise: „Du darfst es einfach nicht sein, was soll ich denn William erzählen ...“ Sie<br />

merkte gar nicht, dass ihr Tränen über die Wangen kullerten. Dann sagte sie ganz leise, mit<br />

dünner Stimme: „Locke, du hast ihn einmal gerettet, du musst es einfach wieder schaffen.“<br />

Kate schluchzte. „Ja, er hat Sawyer auch schon einmal gerettet. Ich mache alles, alles,<br />

wenn er es wieder hin bekommt.“ Heather konnte nicht fassen, was sie da hörte. „Was? <strong>Die</strong><br />

beiden auch? Jake hat er ...“ Sie kam nicht dazu, auszureden, denn Bones fuhr dazwischen.<br />

„Mir auch. Er hat mir auch das Leben gerettet. <strong>Die</strong> wollten ... die wollten <strong>mich</strong> in ein Becken<br />

mit ausgehungerten Piranhas senken ...“ „Mulder wollten sie mit einem Flammenwerfer ver-<br />

brennen ...“ „Jake war auf ein Laufband gefesselt, dass auf eine Säge zu fuhr.“ „Sawyer haben<br />

sie aufgehängt.“ „Dann hat er ja schon einige von uns ... Oh, bitte, lieber Gott, er muss es ein-<br />

fach wieder schaffen. Wenn Jake hier ...“ Heather konnte nicht weiter reden. Und plötzlich<br />

leuchtete oben am Monitor in dessen rechter Ecke eine 20.00.00 auf und fing an, gnadenlos<br />

rückwärts zu zählen. 19.59.59,58,57,56 ..... Kate weinte hoffnungslos vor sich hin. Sie tastete<br />

202


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nach Bones Hand und die beiden Frauen hielten sich regelrecht an einander fest. Und auch<br />

Heather und Dana griffen ohne es bewusst zu merken, nach den Händen ihrer Leidens-<br />

genossinnen. Und ausgerechnet Bones war es, die panisch stammelte: „Ich will ihn nicht ver-<br />

lieren, ich könnte es nicht ertragen, ihn zu verlieren.“<br />

*****<br />

Locke hatte mit Gibbs gefrühstückt. <strong>Die</strong> beiden Männer verstanden sich gut, konnten<br />

sich sehr gut unterhalten. Unmittelbar nach dem Frühstück war ein Wachposten gekommen<br />

und hatte Locke aufgefordert, mit zu kommen. Locke hatte ordnungsgemäß die Hände auf<br />

den Rücken gelegt und war dann von dem Wachposten in die Tiefgarage gebracht worden.<br />

Hier hatte man ihm die Augen verbunden und dann wurde er in ein Auto verfrachtet. Er<br />

wurde eine Weile durch die Gegend gefahren, dann kam der Wagen zum Stehen und Locke<br />

wurde heraus gezogen. Mit noch verbundenen Augen wurde er geführt und spürte schließlich<br />

wieder festen Boden unter den Füßen. <strong>Die</strong> Augenbinde wurde entfernt. Er stand so, dass er<br />

aus einem Fenster vor sich gucken konnte. Und erschrak zutiefst. In einiger Entfernung stand<br />

ein Leiterwagen, wie ihn die Feuerwehr verwendete und an der Leiter hingen, Köpfe nach<br />

unten, Booth, Jake, Sawyer und Mulder über einer Schlucht. Von seinem Standpunkt aus<br />

konnte Locke nicht sagen, wie tief die Schlucht war, aber sicher tief genug, um die Männer<br />

im Falle eines Absturzes zu töten. Locke erfasste blitzschnell die Situation. Vor sich sah er<br />

vier Schalttafeln mit je drei Schaltern. Er ahnte, was kommen würde. Und schon erklärte die<br />

Wache, die bei ihm stand, was er zu tun hatte. „Nummer 12, du wirst drei Aufgaben<br />

erledigen. Zuerst wirst du herausfinden müssen, welcher der Herren dort in Kürze in den Tod<br />

stürzen wird. Das haben wir inzwischen vom Computer via Zufallsgenerator ermitteln lassen.<br />

Dann wirst du herausfinden, welcher Schalterkasten es ist, den du benutzen musst und zu<br />

guter Letzt musst du den passenden Schalter finden, der die Auslösung des Abwurf-<br />

mechanismus verhindert. Du hast alles in allem zwanzig Minuten Zeit. Hast du alles ver-<br />

standen?“ Locke hatte entsetzt zugehört. Er dachte an House und die Nagelvorrichtung. Da<br />

hatte er nur acht Minuten Zeit gehabt und war von Allisons Weinen und Gregs Gebrüll nicht<br />

unerheblich abgelenkt gewesen. Hier war er weit weg von den Männern, die es treffen sollte<br />

und hatte drei Aufgaben zu erledigen. Er nickte. „Ja, ich denke, ich habe alles verstanden,<br />

Sir.“ „Gut, dann kann es losgehen. Das Leben eines der Männer da draußen liegt in deiner<br />

Hand.“ Locke verzog angewidert das Gesicht. - Mal wieder, danke, ihr elenden Bastarde. -<br />

dachte er verzweifelt. Dann versuchte er, sich zu konzentrieren.<br />

203


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Am Rande des Abgrundes<br />

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich<br />

hinein.<br />

Friedrich Nietzsche<br />

<strong>Über</strong> dem Abgrund hingen die vier Männer stumm und verängstigt nebeneinander und<br />

sahen in die Tiefe. Sawyer versuchte immer wieder, den Blick abzuwenden, irgendwo anders<br />

hin zu sehen, nur nicht nach unten. Er konnte nicht verhindern, dass sein Inneres sich an-<br />

fühlte, als würde es von den Füßen an vereisen. Er war der dritte in der Reihe und hörte neben<br />

sich Jake und Mulder heftig atmen. Booth hing weiter rechts wie gelähmt an der Schiene.<br />

Sawyer musste genau hinschauen, um zu sehen, ob der Mithäftling überhaupt noch atmete. Er<br />

zuckte erschrocken zusammen, als die Leiter, an der sie hingen, leicht im Wind vibrierte. Jake<br />

keuchte ebenfalls erschrocken auf und seine auf den Rücken gefesselten Hände zuckten un-<br />

kontrolliert. „Scheiße ... Oh, man, ich ... ich war doch schon einmal dran, verdammter Mist.“<br />

Panik klang aus seiner Stimme. Wie aus einem Mund stießen Mulder und Sawyer hervor<br />

„Hey, ich auch.“ „Was? Du ...?“ Mulder sah zu Sawyer hinüber. <strong>Die</strong>ser kniff vor Schmerzen<br />

kurz die Augen zusammen. Das Hängen mit Kopf nach unten war sehr unangenehm und ging<br />

ziemlich auf die Wirbelsäule. Sawyer biss die Zähne zusammen dass es knirschte. Wenn er<br />

derjenige sein sollte ... Dann wären Schmerzen in der Wirbelsäule sein geringstes Problem.<br />

„Aufgehängt ... Sie haben <strong>mich</strong> aufgehängt.“, keuchte er. „Mich wollten die Säcke grillen.<br />

Flammenwerfer.“ Mulder klapperten die Zähne aufeinander, als er daran dachte. „Mich ...<br />

auseinander sägen. Sie wollten <strong>mich</strong> zersägen.“ Jake schüttelte es. „Sie haben Bones in ein<br />

Becken mit Piranhas herunter gelassen ...“, stieß Booth mit vor Anstrengung zitternder<br />

Stimme hervor. „Ich ... ich bin froh, dass sie das nicht mit erleben muss.“, fügte er leise hinzu.<br />

Und ohne Ausnahme erwiderten die anderen Männer wie abgesprochen: „Ich auch.“<br />

*****<br />

Kate und die anderen Frauen hatten fassungslos den Stimmen der Männer gelauscht.<br />

„Sie wissen es nicht. Sie wissen ...“ Dana versagte die Stimme. <strong>Die</strong> Agentin war am Ende.<br />

Von ihrer kühlen Beherrschtheit war nichts mehr übrig. „Wenn meine Kollegen <strong>mich</strong> jetzt<br />

sehen könnten ... Sie würden nicht glauben, dass ich es bin ... Ich habe noch nie ... Ich ... Er ist<br />

alles, was ... Ich habe ihn schon einmal verloren, das ertrage ich nicht noch einmal ...“<br />

204


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Aufschluchzend schlug sie die Hände vor das bleiche Gesicht und weinte hemmungslos. „Wir<br />

müssen einfach an Locke glauben. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Er wird es<br />

schaffen. Er hat es schon einmal geschafft. Er muss. Er muss es schaffen. Er muss. Er muss.<br />

Er muss ...“ Kate wiederholte diese Worte wieder und wieder. „Er ist großartig. Er wird es<br />

ganz sicher wieder schaffen, davon bin ich überzeugt.“ Heathers Stimme, vom Weinen ganz<br />

zitterig, stieß diese Worte leise hervor. Sie klangen mehr wie ein Gebet als wie eine fest<br />

stehende Tatsache, an die sie wirklich glaubte. Als wolle sie sich selbst davon überzeugen,<br />

was sie hier aussprach. Alle vier Frauen hatten bereits Einblick in die Fähigkeiten Lockes<br />

bekommen, aber sie waren trotzdem nicht überzeugt, dass er es wirklich gewesen war oder<br />

einfach nur pures Glück gehabt hatte. Bones hatte keinen Ton von sich gegeben. <strong>Die</strong><br />

Anthropologin, die sonst ihren Mund nicht halten konnte, war vor Angst um Booth sprich-<br />

wörtlich sprachlos. Sie saß auf dem Sofa, starrte zum Bildschirm hoch und klammerte sich<br />

regelrecht an Kates Händen fest, dass es der jungen Frau fast wehtat. Plötzlich sagte sie leise<br />

und wie zu sich selbst: „Ich habe es nie gemerkt. Wir arbeiten schon so lange zusammen. Er<br />

hat <strong>mich</strong> immer wieder beschützt, so selbstverständlich, dass ich es nicht gemerkt habe. Er ist<br />

immer da, wenn ich ihn brauche. Er hat mir immer geholfen. Er war ... sarkastisch und ver-<br />

ärgert, wenn ich <strong>mich</strong> mit Männern verabredete. Ich habe nicht verstanden, warum er das war.<br />

Ich habe es einfach nicht verstanden. Er liebt <strong>mich</strong>. Obwohl er <strong>mich</strong> kennt, liebt er <strong>mich</strong>.“ Sie<br />

schaute Kate ins Gesicht. „Ich liebe ihn.“ <strong>Die</strong> Uhr auf dem Monitor zeigte 12.23.44<br />

*****<br />

Locke musste sich fangen. Er brauchte einige Minuten, um sich zu sammeln. Er setzte<br />

sich im Schneidersitz auf den Boden, legte die Hände locker auf die Knie und schloss die<br />

Augen. Er bemühte sich, das Drumherum auszublenden und atmete tief und ruhig ein und aus.<br />

Leider hatte er es trotz intensiver Bemühungen noch nicht geschafft, seine Gedanken schnell<br />

und gezielt in eine bestimmte Richtung zu lenken. Manchmal geschah es von ganz alleine,<br />

aber unter Druck war es ihm bisher noch selten gelungen, sofort Verbindung zu dem Ziel<br />

seiner Wünsche herzustellen. So ging es John auch jetzt. Er sah alles Mögliche vor seinem<br />

geistigen Auge auftauchen, nur nicht das, was er so verzweifelt zu sehen erhoffte. Er sah<br />

Kate, an die Wand gefesselt, verzweifelt schluchzen, er sah Gil, der mit Allison auf den<br />

Armen aus dem Kerker rannte, er sah den Ayers Rock in der Abendsonne, seine Freunde bei<br />

sich. Er wusste, er durfte nicht ungeduldig werden, er musste seinem Geist Gelegenheit<br />

geben, sich zu sammeln. Ganz behutsam versuchte er, an Mulder zu denken, der vom ersten<br />

Moment an von Johns Fähigkeiten fasziniert gewesen war. Der FBI Mann war ein guter An-<br />

205


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

satzpunkt. <strong>Die</strong> Minuten tropften dahin. Fünf waren bereits vergangen, aber das wusste Locke<br />

in seinem jetzigen Zustand nicht.<br />

*****<br />

Der Wachmann hatte den kleinen Container, in dem die Schaltanlage untergebracht<br />

war, verlassen und stand draußen bei seinen Kollegen. <strong>Die</strong> Männer unterhielten sich leise und<br />

lästerten über die wehrlosen Gefangenen, die da in tödlicher Gefahr über dem Abgrund<br />

baumelten. <strong>Die</strong>se spürten langsam, wie ihnen immer mehr das Blut in den Kopf lief. Es<br />

hämmerte in ihren Köpfen und rauschte in ihren Ohren. Sie hingen schon recht lange mit dem<br />

Kopf nach unten und ihre Herzen hatten in der für den Körper ungewohnten Haltung die<br />

schwere Aufgabe, fünf bis sechs Liter Blut nach Möglichkeit vom tiefsten Punkt, in diesem<br />

Falle dem Kopf, wegzupumpen. Ganz allmählich war die ungeheure Belastung, die diese<br />

Aufgabe für die Herzen der Männer darstellte, zu merken. Immer wieder schüttelte der eine<br />

oder andere der Vier kurz den Kopf, um diesen wieder klar zu bekommen. Auch die Augen<br />

mussten sie immer wieder zusammen kneifen, um besser sehen zu können. Der Abgrund<br />

unter ihnen verschwamm hin und wieder vor ihren Augen. Sawyer war schwindelig und er<br />

hatte das Gefühl, sein Kopf machte sich bereit, zu platzen. Aus dem Augenwinkel sah er<br />

einen der Wachposten langsam zu ihnen herüber geschlendert kommen. Er zuckte zusammen,<br />

weil ihm Schweiß in sein linkes Augen lief und kniff dieses zusammen, als er das Brennen<br />

spürte. Der Wachposten stand am Abgrund und grinste zu den Gefesselten hinüber. „Na, wie<br />

hängt es sich so?“<br />

Er erhielt keine Antwort, damit hatte er aber auch nicht wirklich gerechnet. Er lachte<br />

gehässig. „<strong>Die</strong> Hälfte der Zeit ist um, Jungs. Euer medialer Kumpel sitzt gemütlich auf dem<br />

Boden des Containers und versucht, euch euren Arsch zu retten. Einem von euch. Ach, und<br />

irgendwie haben wir vorhin doch glatt vergessen zu erwähnen, dass eure Ladys zuhause am<br />

Monitor diesem netten, kleinen Experiment beiwohnen.“ Er grinste, als er die fassungslosen<br />

Gesichter der vier Männer sah. Seine gehässigen Worte trafen die Wehrlosen wie Schläge in<br />

den Magen. Und dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. <strong>Die</strong> Wachposten lachten gemein<br />

los. <strong>Die</strong> gefesselten Männer über dem Abgrund keuchten vor Wut und Fassungslosigkeit auf.<br />

Mulder sprach aus, was alle dachten: „Ihr miesen Schweine.“ Im selben Moment wurde die<br />

Containertür aufgerissen und Locke stürmte ins Freie. „Ihr müsst sie sofort rein holen.“,<br />

schrie er geradezu panisch. „Schnell, holt sie zurück.“ <strong>Die</strong> Wachen waren herum gefahren, als<br />

John aus der Tür gestürzt kam. Verständnislos sahen sie ihm entgegen, als er zu ihnen rannte<br />

und schrie. Zwei der Wachleute stürzten sich sofort auf ihn und packten ihn an den Armen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Was willst du? Wovon redest du eigentlich?“, wurde er angefahren. „Holt sie rein, bitte, ihr<br />

müsst sie rein holen.“ Locke war in echter Panik. „Warum sollten wir das tun?“, fragte einer<br />

der Wachen genervt. Auch die vier über der Schlucht baumelnden Männer sahen erschrocken<br />

und verwirrt zu Locke hinüber. So aufgeregt hatten sie den Mithäftling noch nie erlebt. Was<br />

hatte er denn bloß? Und die Antwort auf diese Frage erhielten sie alle postwendend. „Ihr<br />

müsst sie rein holen, weil die Leiter gleich abbrechen wird.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Frauen vor dem Monitor hatten ihre Augen nicht von den Männern gelassen. Jede<br />

war mit der Mimik ihres eigenen Partners so vertraut, dass sie sahen, dass die Männer Angst<br />

hatten. Und nicht nur Angst, sie litten unter der äußerst unangenehmen Haltung. Dana hatte<br />

sich gefangen und redete sich immer wieder ein, dass Locke Mulder schon einmal gerettet<br />

und sie allen Grund hatte, dem medial begabten Mann zuzutrauen, das ein zweites Mal zu<br />

schaffen. Sie saß auf dem Sofa und konnte die Augen nicht mehr von Mulder lassen. Wie ihre<br />

Leidensgenossinnen hatte sie das eigenartige Gefühl, es Mulder schuldig zu sein, wenigstens<br />

mit den Augen bei ihm zu bleiben. In Gedanken sagte sie immer wieder - Du musst es<br />

schaffen, Locke, bring ihn mir wieder. Du schaffst es, ich bin sicher. - Leider war sie von<br />

diesen Worten nicht annähernd so überzeugt, wie sie es gerne gewesen wäre. Auch Heather,<br />

Kate und Tempe waren ruhiger geworden. Ob sie einfach das Gefühl hatten, Locke würde es<br />

schaffen, oder ob sie vor Angst um die Männer, die sie so sehr liebten, einfach wie gelähmt<br />

waren, hätten die Frauen selbst nicht sagen können. Sie behielten sowohl die vier Männer als<br />

auch die Uhr im Auge und warteten, dass endlich etwas geschah. Doch kein Locke zeigte sich<br />

an der Tür des Containers, der im Hintergrund zu erkennen war. <strong>Die</strong> Frauen sahen die<br />

Wachen, die sich unterhielten, konnten die wenigen Worte, die ihre Männer von sich gaben,<br />

hören, und bekamen dann mit, wie der Wachposten die Männer darüber aufklärte, dass die<br />

Hälfte der Zeit herum war und dass sie, die Frauen, alles am Monitor verfolgen konnten. Und<br />

sie bekamen mit schreckgeweiteten Augen mit, wie Locke plötzlich aus dem Container ge-<br />

stürzt kam und schrie: „Ihr müsst sie rein holen, weil die Leiter gleich abbrechen wird.“ Kate<br />

zuckte entsetzt zusammen. „Was redet er da? Ich verstehe nicht ...“ Dana war ebenfalls wie<br />

unter einem elektrischen Schlag zusammen gezuckt. „Wie, die Leiter wird abbrechen ... Ich<br />

verstehe nicht ...“ Im selben Moment schrie Heather gellend auf. „Nein! Oh Gott, nein, bitte<br />

nicht.“ Wie hypnotisiert starrte sie auf den Monitor.<br />

*****<br />

207


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer riss die Augen auf und starrte Locke entgeistert an. Und auch Mulder, Booth<br />

und Jake starrten zu ihrem Mitgefangenen hinüber. „Was?“ „Was redest du da, Locke?“<br />

<strong>Die</strong>ser bemühte sich hektisch, die Wachen von seinen Worten zu überzeugen. „Ihr müsst mir<br />

einfach glauben. <strong>Die</strong> Leiter wird gleich anfangen, abzubrechen, bitte, holt doch ...“ Weiter<br />

kam er nicht mehr, denn in diesem Moment ging ein leises Knacken durch das Metall der<br />

Leiter und ein Ruck. <strong>Die</strong> vier Männer spürten dies genau und keiner von ihnen war in der<br />

Lage, einen erschrockenen Laut zu unterdrücken. „Scheiße. Da hat was geknackt.“, stieß Jake<br />

erschrocken hervor. Unwillkürlich waren die Männer zusammen gezuckt, was unmittelbar zu<br />

einem weiteren Knacken und einem heftigeren Ruck in der Leiter führte. Und dann zeigte sich<br />

ein Knick im rechten Holm der Leiter, etwa in der Mitte des ausgefahrenen Stückes, der un-<br />

aufhaltsam größer wurde. „Verfluchter Mist.“ <strong>Die</strong> Wachleute, die Locke bisher fest gehalten<br />

hatten, ließen diesen los und rannten zum Wagen hinüber, einer sprang in das Fahrerhaus und<br />

warf den Motor an. Kaum setzte sich der Wagen in Bewegung, begann die Leiter zu<br />

schwanken und der Knick wurde stärker. Entsetzt schrien Locke und die vier gefesselten<br />

Männer auf. „Halt. Das geht nicht!“, brüllte auch einer der Wachleute. „Halt sofort wieder an.<br />

<strong>Die</strong> Bewegungen sind zu viel.“ „Versucht es ganz langsam mit Schwenken.“, rief Locke<br />

angsterfüllt. <strong>Die</strong> vier Männer in ihrer hilflosen Lage gerieten langsam auch in Panik. Immer<br />

mehr verbog sich die Leiter und dann passierte es. Das Metall des Holmes riss ein, mehrere<br />

Zentimeter tief.<br />

Durch den entstehenden Ruck kamen die Vier natürlich in Bewegung und Locke rief<br />

ihnen bestürzt zu: „Ihr müsst ganz still hängen. Um Gottes Willen, bewegt euch nicht!“ Das<br />

war natürlich angesichts ihrer hoffnungslosen Lage leichter gesagt als getan. Sie wagten kaum<br />

zu atmen, konnten aber nicht verhindern, dass ein panisches Zittern sie erfasste. Sie waren ja<br />

auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass den Wachen und Locke etwas einfallen<br />

würde, um sie zu retten. Wieder gab es einen Ruck und erneut sackte das Leiterende ein Stück<br />

tiefer. „Oh, Gott.“, stieß Jake hervor. Einige der Wachen waren zu einem entfernt erkenn-<br />

baren kleinen Schuppen gerannt und kamen mit Seilen zurück. „Wie sollen wir denn bitte die<br />

Seile befestigt bekommen? Wie stellst du dir das vor?“, fuhr einer der Wachen auf. „Was<br />

weiß denn ich. Mach doch einen besseren Vorschlag.“, fauchte eine andere Wache gestresst<br />

zurück. Ein weiterer Posten saß auf dem LKW und bediente den Schwenkhebel, versuchte,<br />

ganz langsam die ausgefahrene Leiter in Richtung festen Boden zu schwingen. <strong>Die</strong> vier daran<br />

hängenden Männer bemühten sich verzweifelt, vollkommen ruhig zu bleiben. Jedes Mal,<br />

wenn es einen leichten Ruck gab, hielten sie entsetzt die Luft an und kniffen unwillkürlich die<br />

Augen zusammen. Ungefähr die Hälfte der Strecke war geschafft, Booth, der ja am dichtesten<br />

zur Kante hing, wagte ein schwaches Aufatmen. Vielleicht schafften sie es ... Und genau in<br />

208


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

diesem Moment, als er gerade so etwas wie Hoffnung verspürte, geschah es. Ein ziemlich<br />

lautes Knacken und dann ein heftiger Ruck. <strong>Die</strong> Leiter brach am rechten Holm endgültig an<br />

der Knickstelle auseinander und bog durch. Ein mehrstimmiger, entsetzter Aufschrei ertönte,<br />

nicht nur aus der Tiefe.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> vier Frauen starrten vollkommen entsetzt auf den Monitor, wo Locke und die<br />

Wachen mehr oder weniger hilflos zusehen mussten, wie der Knick in der Leiter immer<br />

stärker wurde. Sie konnten die nackte Angst in den Augen ihrer Männer sehen und allen vier<br />

Frauen liefen unaufhaltsam Tränen über die Wangen. Bones Hand klammerte sich so fest an<br />

Kates Arm, dass diese schließlich ein: „Au ... Du tust mir weh.“, nicht mehr unterdrücken<br />

konnte. Auf dem Bild vor ihnen schwang die Leiter Zentimeter für Zentimeter auf die<br />

Schluchtkante zu. Ganz, ganz vorsichtig fassten die Frauen etwas Hoffnung. Als Booth, der ja<br />

am dichtesten innen hing, nur noch höchstens einen Meter von der sicheren Kante entfernt<br />

war, passierte es. Mit einem lauten, metallischen Knacken und Reißen brach die Leiter end-<br />

gültig an der Knickstelle auseinander und bog sich durch. Vor den in nacktem Grauen auf-<br />

gerissenen Augen der vier Frauen verschwanden die Männer in der Tiefe ...<br />

*****<br />

Alle Wachen und auch Locke stürzten zur Schluchtkante. Entsetzt starrten sie in die<br />

Tiefe. Da unten hingen die vier Männer, sie waren heftig zusammen geprallt und dann gegen<br />

die felsige Schluchtwand gekracht. Booth hatte das Meiste ab bekommen, Jake, Sawyer und<br />

Mulder waren gegen ihn geschwungen und hatten ihn noch zusätzlich gegen die Wand ge-<br />

drückt. Er war mit dem Hinterkopf gegen den Felsen geprallt und hatte augenblicklich das<br />

Bewusstsein verloren. Aus einer Platzwunde an seinem Hinterkopf lief Blut. Jake hatte nur<br />

unwesentlich mehr Glück gehabt. Sein Aufprall auf die Felswand war nur geringfügig durch<br />

Booth’ Körper gebremst worden. Er war mit der Stirn gegen den Fels geprallt und blutete<br />

ebenfalls heftig aus einer Platzwunde oberhalb des rechten Auges. Er stöhnte vor Schmerzen,<br />

zuckte noch einmal und hing dann auch still. Sawyer und Mulder war der direkte Aufprall auf<br />

die Felswand zwar erspart geblieben, aber dafür hatte Sawyer Jakes Hinterkopf fast direkt in<br />

den Solarplexus bekommen und jappte verzweifelt nach Luft, während gleichzeitig ein be-<br />

täubender Schmerz durch seine linke Körperseite raste. Sein eigener Kopf hatte Mulder<br />

schmerzhaft in Höhe der unteren Rippen getroffen, auf der linken Seite, und Mulder hatte das<br />

Gefühl, sich dort mindestens drei, vier Rippen durch den harten Aufprall gebrochen zu haben.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er war der einzige der vier Männer, der noch halbwegs bei Bewusstsein war. Sawyer<br />

dümpelte ebenfalls am Rande der Bewusstlosigkeit dahin. Er bekam nicht mehr mit, dass die<br />

Leiter mit ihnen daran immer weiter sackte. Mulder dafür umso deutlicher. „Um Himmels<br />

Willen, holt uns doch rauf.“, schrie er verzweifelt.<br />

Locke war der Erste, der in die Tiefe sehen konnte. Mit einem Blick erfasste er sie<br />

Situation. Er griff nach einem Seil, schlang es sich um die Taille und griff nach einen<br />

weiteren Seil. Er warf das Seilende den Wachen zu. „Haltet <strong>mich</strong> fest.“, bat er und ohne<br />

Antwort abzuwarten stieg er auf die Leiter hinaus, bis er die Abrissstelle erreicht hatte. Sehr<br />

vorsichtig ließ er sich auf den Bauch nieder und lag nun auf den Sprossen. Dann streckte er<br />

sich und begann, das zweite Seil um die Sprossen des abgebrochenen Leiterteiles zu binden.<br />

Er verband so den festen mit dem losen Teil und schlang das Seil vorsichtig, heftige Be-<br />

wegungen vermeidend, wieder und wieder um die Sprossen, um eine Verbindung zu erhalten,<br />

die das Gewicht der vier Männer aushalten würde. Dabei sprach er Mulder an. „Mulder?<br />

Hörst du <strong>mich</strong>? Wir holen euch hoch, verlass dich darauf. Bist du verletzt?“ Während er mit<br />

Mulder redete, knotete Locke das Ende des Seiles mit geübten Griffen zu einem sicheren<br />

Knoten zusammen. Schmerzverzerrt kam Mulders Stimme von unten hoch. „Ich hab mir ...<br />

ein paar Rippen gebrochen. Booth und Jake hat es ... aaah ... hat es ziemlich erwischt, fürchte<br />

ich. Sawyer? Sawyer.“ Von dem Südstaatler war ebenfalls nichts mehr zu hören und Mulder<br />

schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. „Sieht nicht gut aus. Am besten, ihr be-<br />

eilt euch ...“ Er musste plötzlich trocken Husten, was ihm Tränen des Schmerzes in die Augen<br />

trieb. Und dann schmeckte Mulder einen leicht metallischen Geschmack auf der Zunge.<br />

„Locke ... Irgendwas stimmt nicht ... Ich kann nicht atmen ... und huste Blut ...“ Dem FBI<br />

Agent wurde schwindelig und dann glitt er ebenfalls in die Dunkelheit der Ohnmacht...<br />

Locke schüttelte entsetzt den Kopf. „Wir müssen sie schnellstens hoch schaffen. Sie<br />

sind alle verletzt.“ Einer der Wachposten fragte: „Wie wollen wir es am besten machen,<br />

gerade oder besser weiter seitlich schwingen?“ Locke sah zurück und sagte dann: „Wir<br />

müssen versuchen, die Leiter langsam aufzurichten und dann weiter zu schwingen, ich<br />

glaube, so könnte es am besten gehen.“ Er bewegte sich rückwärts wieder von der Leiter<br />

herunter und stand schließlich bei den Wachen auf dem festen Boden. Der Posten, der am<br />

Schalthebel der Leiter stand, begann bedächtig, die Leiter Stück für Stück aufzurichten. Durch<br />

das Seil, das Locke über die Bruchstelle geschlungen hatte, war der abgebrochene Teil ver-<br />

hältnismäßig sicher mit dem Rest verbunden. Durch das langsame Aufrichten der Leiter<br />

drückten die Männer nicht mehr gegen die Felswand und schließlich schwangen Mulder und<br />

Sawyer wieder frei, gleich darauf auch Jake und endlich war auch Booth wieder von der<br />

210


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Felswand weg. Reglos, wie tot, hingen alle vier Männer in ihren Fesseln. Jetzt waren sie frei<br />

genug, um die Leiter auf den festen Boden zu schwingen. Und zusammen mit drei der Wach-<br />

leute trat Locke dicht an die Kante heran und konnte schließlich unendlich erleichtert Booth<br />

an den Schultern greifen und festhalten. Minuten später waren auch Jake, Sawyer und schließ-<br />

lich Mulder in Sicherheit. Vorsichtig senkte der Mann auf dem Wagen die Leiter wieder ab,<br />

sodass die Verletzten sanft auf den Boden gelegt werden konnten. Hastig befreite man sie von<br />

den Beinmanschetten und machte ihre Arme los, damit sie vernünftig liegen konnten. „Wir<br />

müssen sie schnellstens zurück schaffen, besonders 15. Packt mit an, wir müssen sie in den<br />

Wagen schaffen. Für 15 brauchen wir was zum Tragen, schnell.“ Sawyer, Booth und Jake<br />

wurden unter den Armen und an den Beinen gepackt und zum Transporter geschafft. Man<br />

legte sie vorsichtig auf die Ladefläche. Für Mulder war eine Trage gebracht worden, auf die er<br />

sehr vorsichtig gehoben wurde. Dann wurde er schnell ebenfalls zum Transporter geschleppt<br />

und Locke stieg als letzter auf die Ladefläche. Er setzte sich auf den Boden zu Mulder und<br />

sah diesen besorgt an. Viel zu flach ging der Atem des FBI Beamten und ein feiner Blutfaden<br />

lief ihm aus dem linken Mundwinkel.<br />

*****<br />

Kate schrie gellend auf, genau wie Bones, Heather und Dana neben ihr. Als die Frauen<br />

sahen, wie die Leiter abbrach, hatten sie alle vier das Gefühl, in ihnen würde ebenfalls etwas<br />

zerbrechen. Dann aber keuchte Bones: „Sie ist nicht ganz abgerissen. Sie sind nicht ganz ab-<br />

gestürzt.“ <strong>Die</strong> nächsten zehn Minuten wurden für die verzweifelten Frauen zu einer einzigen<br />

Qual. Sie standen vor dem Monitor, auf dem Sofa hatte sie nichts mehr gehalten, und starrten<br />

wie hypnotisiert auf die Bilder, die sie zu sehen bekamen. Sie hörten wie durch Watte, dass<br />

alle vier Männer verletzt waren, konnten Mulders letzte Worte hören und Heather legte der<br />

verzweifelt aufschluchzenden Dana den Arm um die Schultern. Und endlich, endlich lagen<br />

alle vier Männer, wenn auch reglos, auf dem sicheren, festen Boden. <strong>Die</strong> Frauen konnten<br />

noch verfolgen, wie die Verletzten in den Transporter geschafft wurden, dann wurde der<br />

Monitor abgeschaltet. Und einmal mehr waren sie im Unklaren darüber, was mit ihren<br />

Liebsten gerade geschah. Heather begann, unruhig im Zimmer auf und ab zu laufen, Kate<br />

sank einfach, wo sie stand, auf den Boden und schluchzte leise vor sich hin, Dana und Bones<br />

standen wie erstarrt vor dem Bildschirm, als könnten sie diesem Kraft ihrer Gedanken weitere<br />

Bilder entlocken. <strong>Die</strong> Minuten zogen sich zäh dahin. Keiner kam, um sie zu holen, um sie zu<br />

unterrichten, was mit den Männern war, oder einfach nur, um sie in ihre Zimmer zurück zu<br />

bringen. Irgendwann, Kate hatte das Gefühl, es wären Tage vergangen, seit dem Unfall, hielt<br />

sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf die Füße und eilte zur Tür, fing verzweifelt an, dagegen<br />

211


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu hämmern und schrie vollkommen aufgelöst: „Lasst <strong>mich</strong> endlich zu ihm, ihr Mistkerle. Ich<br />

will zu ihm.“ Zitternd und bebend sank sie auf die Knie und schluchzte zum Steinerweichen.<br />

Intensivstation<br />

Liebe mag das Höchste der Gefühle sein, Verzweiflung das Tiefste.<br />

Erhard Blanck<br />

Sawyer spürte unterbewusst, dass der Boden, auf dem er lag, rüttelte. Mühsam ver-<br />

suchte er, die Augen zu öffnen, was ihm nur unter Anstrengung gelang. Seine linke Bauch-<br />

seite tat erbärmlich weh und er stöhnte gequält auf. <strong>Die</strong> Schmerzen strahlten bis in die linke<br />

Schulter. Erneut stöhnte Sawyer auf. Das war nicht normal. Verschwommen erkannte er<br />

Locke, der bei ihm auf dem Boden hockte. Er wollte ihn fragen, was los war, bekam aber<br />

keinen Ton heraus. Und dann fuhr der Wagen über ein Hindernis am Boden und ein derartiger<br />

Schmerz zuckte durch Sawyers Bauchhöhle, dass er nur noch leise aufseufzte und dann<br />

wieder die Besinnung verlor. Locke hatte besorgt beobachtet, wie der junge Mann zu sich<br />

gekommen war. Allerdings nur für sehr kurze Zeit, dann war er wieder in die Besinnungs-<br />

losigkeit zurückgeglitten, was angesichts des Schmerzes, den Locke in seinen Augen gesehen<br />

hatte, wohl auch besser war. Endlich stoppte der Wagen und Locke wartete, dass die Türen<br />

sich öffneten. Vier Rollbahren standen bereit und die Männer wurden sehr vorsichtig auf die<br />

Bahren gehoben. Locke durfte ungefesselt nebenher laufen. Im Eiltempo ging es aus der Tief-<br />

garage ins Gebäude hinein. Im Fahrstuhlbereich wurden Mulder und Jake in den linken,<br />

Booth und Sawyer in den rechten Fahrstuhl geschoben und dann ging es mehrere Etagen auf-<br />

wärts. Locke war sich sicher, hier oben war er noch nie gewesen. <strong>Die</strong>se Etage hatte ganz ein-<br />

deutig Krankenhauscharakter. <strong>Die</strong> Wachen schoben die vier besinnungslosen Männer durch<br />

eine große Schwingflügeltür und Locke erkannte, dass sie sich ganz eindeutig in einem<br />

richtigen Notaufnahmeraum befanden, wie ihn jedes Krankenhaus hatte. Hier nun wurde er<br />

aufgefordert, draußen zu bleiben. Widerwillig verließ er den Raum. Ein Wachposten nahm<br />

ihn in Empfang und wenige Minuten später bereits stand er in dem Zimmer, dass er sich mit<br />

Gibbs teilte.<br />

*****<br />

212


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House und Allison waren gerade dabei, ein Dossier zusammen zu stellen, eine Auf-<br />

gabe, die sie aufgetragen bekommen hatten, als eine Wache in den Raum geeilt kam. „Auf<br />

geht’s, ihr werdet mal wieder gebraucht, da ist was passiert.“ Der Wachposten deutete House<br />

und Cameron an, ihm zu folgen. Eben noch in recht guter Stimmung, sank den Beiden das<br />

Herz in die Hose. Was war denn nun wieder los? Sie hatten fest damit gerechnet, dass die<br />

Zeiten der brutalen Tests vorüber waren. Hastig eilten sie der Wache zum Fahrstuhl hinterher.<br />

Und dann ging es sehr weit nach oben. Auch Allison und House waren ziemlich sicher, hier<br />

oben noch nicht gewesen zu sein. Sie wurden in eine Umkleideschleuse gebracht und man<br />

befahl ihnen, sich für einen Notfall vorzubereiten. „Oh, Gott, was ist denn passiert?“, fragte<br />

Allison, während sie in OP Kleidung schlüpfte. „Es gab während eines Tests einen Unfall. 3<br />

und 15 scheinen schwer verletzt, 1 und 2 nicht ganz so schlimm.“ House stockte der Atem.<br />

„Schwer verletzt, so wie ... schwer verletzt?“ <strong>Die</strong> Wache nickte nur. Jetzt sehr eilig machten<br />

House und Allison sich fertig, schlüpften in die OP Kleidung, schrubbten sich die Hände,<br />

desinfizierten sie und eilten dann in den Notaufnahmeraum, sich Handschuhe überstreifend.<br />

Und erschraken heftig, als sie die vier Bahren mit den reglosen Männern sahen.<br />

Ein flüchtiger, erster Blick zeigte deutlich, dass Booth und Jake aus tiefen Platz-<br />

wunden am Kopf heftig bluteten, beziehungsweise geblutet hatten. Mulder lief ein feiner<br />

Blutfaden aus dem Mundwinkel, was auf eine Lungenverletzung hindeutete. Er atmete flach,<br />

pfeifend und schnell. Sawyer war besinnungslos, an ihm waren keine äußerlichen Ver-<br />

letzungen zu erkennen. Nur eine Wache stand im Raum und erklärte: „Sie sind heftig zu-<br />

sammen geprallt. Sie hingen kopfüber und ...“ „Wie, sie hingen kopfüber? Wir brauchen<br />

genaue Angaben.“, fuhr House auf. „Es war ein Test für Nummer 12. Wir haben die Vier<br />

Kopf nach unten an eine ausfahrbare Leiter gehängt, nebeneinander. Dann wurden sie über<br />

eine Schlucht geschwenkt. 12 sollte herausfinden, welcher der Vier mittels eines Mechanis-<br />

mus in die Schlucht stürzen würde und hatte die Aufgabe, dies zu verhindern. Dann brach die<br />

Leiter, an der die Probanden hingen, in sich zusammen und sie wurden gegeneinander und<br />

gegen die Schluchtwand geschleudert. 15 war ganz außen, dann 3, 2 und 1 war der Wand am<br />

Nächsten. 7 wird jeden Moment hier sein und euch helfen.“ Damit ließ die Wache Allison<br />

und House bei den Verletzten stehen. Und in dem Moment wurde die Schwingtür erneut auf-<br />

gerissen und eine panische Dana stürmte in den Raum. „Wie geht es ihm? Was ist mit ihm?<br />

Sagt doch ...“ Sie stürzte zu Mulder und erstarrte. „Oh, Gott ...“ House schüttelte den Kopf.<br />

<strong>Die</strong> Agentin würde sicher eine große Hilfe sein. „Wir sind auch gerade erst hier, Dana. Der<br />

Wachposten hat uns erklärt, was passiert ist. Du musst dich beruhigen, sonst kannst du nicht<br />

helfen. Also, folgendes ist ...“ „Ich weiß, was los war. Wir hatten wieder einmal das Ver-<br />

gnügen, am Bildschirm Zeugen zu werden ...“<br />

213


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Agentin zwang sich, sich zu beruhigen. Und es klappte. Einmal mehr griff ihr<br />

Abwehrmechanismus für Stresssituationen. Es war nicht das erste Mal, dass sie Mulder in<br />

lebensbedrohlichem Zustand sah. Tief atmete Dana ein und spürte, wie ihre Professionalität<br />

Oberhand über ihre Panik gewann. House hatte begonnen, Booth und Jake zu untersuchen.<br />

<strong>Die</strong> Beiden hatten wirklich heftige Platzwunden, Booth am Hinterkopf, Jake rechts an der<br />

Stirn, knapp unter dem Haaransatz. Greg bat Dana: „Siehst du dich im Stande, die Beiden zu<br />

Nähen?“ Dana nickte. „Ja, selbstverständlich.“ Sie atmete noch einmal tief durch, dann be-<br />

gann sie, sich um Booth zu kümmern. House beobachtete sie kurz, dann aber wandte er sich<br />

beruhigt Mulder zu. Allison kümmerte sich derweil um Sawyer. „Ich kann keine äußeren Ver-<br />

letzungen feststellen. Erst mal Mulder, das scheint mir wichtiger.“ Sie eilte an die Bahre mit<br />

Mulder und half dort House, diesen zu untersuchen. Dafür schnitten sie erst einmal das T-<br />

Shirt auf und zogen es vorsichtig unter Mulder heraus. Das Gleiche hatte Dana bereits bei<br />

Booth und Jake gemacht. Gemeinsam tasteten sie Mulder nun ab und Allison war es, die<br />

schnell auf mindestens zwei gebrochene Rippen stieß. „Das sieht nicht gut aus. CT?“, fragte<br />

Cameron und sah sich um. Tatsächlich stand auf einer Tür am anderen Ende des Raumes CT /<br />

MRT / Röntgen und ohne noch zu Zögern schob Allison mit Mulder in Richtung der Tür ab.<br />

House folgte ihr, half der Ärztin, Mulder auf den CT Tisch umzubetten und eilte dann zu<br />

Sawyer zurück, um nicht zu verpassen, falls der junge Mann aufwachte. Allison setzte den CT<br />

in Betrieb und stellte ihn so ein, dass nur von Mulders Thorax Aufnahmen gemacht wurden.<br />

zwanzig Minuten später hatte sie die Bilder in der Hand und konnte klar erkennen, dass drei<br />

Rippen gebrochen waren und eine der Rippen sich in Mulders linken Lungenflügel gebohrt<br />

und diesen perforiert hatte. Dadurch war Luft aus der Lunge in den so genannten Pleuraspalt<br />

eingedrungen und es war linksseitig zu einem Pneumothorax gekommen.<br />

Als Pleura wurden zwei feine Hautschichten bezeichnet, die aus Lungen- und Rippen-<br />

fell bestanden und der feine Spalt zwischen den beiden Hautschichten war der so genannte<br />

Pleuraspalt. <strong>Die</strong>ser feine, mit einer schmiermittelähnlichen Flüssigkeit gefüllte Spalt trennte<br />

die beiden Hautschichten. Bei einer Verletzung, wie Mulder sie durch die gebrochene Rippe<br />

davon getragen hatte, kam es zu einem Pneumothorax, einem Kollaps eines oder im<br />

schlimmsten Fall beider Lungenflügel. Durch die Punktion des Lungenflügels mit der ge-<br />

brochenen Rippe war Luft in den Pleuraspalt eingedrungen und hatte den dort herrschenden<br />

Unterdruck aufgehoben. Dadurch konnte Mulders Lunge nicht mehr den normalen Atem-<br />

bewegungen folgen und war in ihrer Ausdehnung behindert. Er konnte nicht mehr genug<br />

Atmen und der linke Lungenflügel war kollabiert. Wäre er bei Besinnung gewesen, hätte er<br />

stechende Schmerzen in der Brust gehabt. Allison rief nach House und zusammen hoben sie<br />

214


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder äußerst vorsichtig auf die Bahre zurück. Dann schoben sie ihn in den Notaufnahme-<br />

raum zurück, wo sie ihn auf den kleinen Untersuchungstisch legten. Dana war mit der Erst-<br />

versorgung bei Booth und Jake fertig und eilte zu House und Allison hinüber.<br />

„Pneumothorax?“, fragte sie nur. Allison nickte knapp. „Wir müssen ihn sofort operieren. Er<br />

braucht eine Pleurasaugdrainage und die Rippe muss gerichtet werden.“<br />

House hatte schon alles bereit gelegt, was sie für den kleinen Eingriff brauchten.<br />

Mulder war, wie ein Stich mit einer Nadel in seine Bauchdecke zeigte, in einer so tiefen<br />

Ohnmacht, dass er nicht einmal zuckte. Um seinen Organismus zu schonen entschied House,<br />

dass sie den kleinen Eingriff ohne Narkose durchführen würden. Mulder würde es kaum<br />

spüren. So desinfizierte House die Haut über der gebrochenen Rippe schnell und gründlich,<br />

deckte Mulder mit sterilen OP Tüchern ab und mit Hilfe der beiden Ärztinnen führte er den<br />

kleinen Eingriff durch. Er machte einen Hauteinschnitt über der Bruchstelle. Während Allison<br />

den kleinen Schnitt spreizte und Dana Blut weg tupfte, zog House die gebrochene Rippe vor-<br />

sichtig aus dem Lungengewebe und richtete sie gerade. Dabei stöhnte Mulder kurz vor<br />

Schmerzen auf und seine Hände zuckten in einer unwillkürlichen Abwehrbewegung. Dana<br />

und Allison reagierten blitzschnell und hielten die Hände solange fest, bis House mit dem<br />

Richten der Rippe fertig war. Dann vernähte er das kleine Loch in der Lunge, was Mulder<br />

keinerlei Unbehagen verursachen konnte, da Lungengewebe schmerzunempfindlich war.<br />

Schließlich legte er die Saugdrainage, einen dünnen Schlauch, durch den mittels eines<br />

kontinuierlichen Soges über eine kleine Saugpumpe die Luft aus dem Pleuraspalt gesaugt<br />

wurde. So wurde gewährleistet, dass der Unterdruck dort wieder einsetzte und der Lungen-<br />

flügel sich wieder voll ausdehnen konnte. <strong>Die</strong>s wurde mittels Ultraschall genau überwacht.<br />

<strong>Die</strong> Saugdrainage verblieb zur Sicherheit vierundzwanzig Stunden an Ort und Stelle. House<br />

schloss die Wunde, sicherte die Drainage, die an Mulders linker Seite in Höhe des vierten<br />

Rippenbogens aus seinem Körper ragte und dann bekam Dana den Auftrag, am Ultraschall zu<br />

überwachen, ob der kollabierte Lungenflügel sich wieder zur Gänze ausdehnte. <strong>Die</strong> weitere<br />

Versorgung überließ er Allison und Dana. Jake und Booth waren vorerst soweit versorgt,<br />

sobald sie wussten, was mit Sawyer war, würden sie auch die beiden Männer zum CT<br />

schaffen, um zu überprüfen, ob es keine Schädelbrüche gegeben hatte. Aber erst mal musste<br />

sichergestellt werden, was mit Sawyer war.<br />

Und als wäre das sein Stichwort, wachte dieser in dem Moment auf. Vollkommen<br />

orientierungslos flackerte sein Blick hin und her. Er hatte unerträgliche Schmerzen im Ober-<br />

bauch und keuchte gequält auf. Sein ganzer Körper war von kaltem Schweiß überzogen, was<br />

House aufs Äußerste besorgt sein ließ. „Sawyer. Du musst mir unbedingt sagen, wo du<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schmerzen hast. Komm schon, mein Junge, nicht gleich wieder weg driften, okay. Wo tut es<br />

dir weh?“ Sawyer verzog vor Schmerzen das Gesicht. Er atmete schnell und gepresst. Seine<br />

Linke presste sich in Höhe der Niere auf seine linke Seite und er ächzte zähneklappernd unter<br />

Schmerzen: „Linke ... Seite ... ganze Bauch ... bis in die Schulter ... Mir ist so ... kalt ...“ Und<br />

das war es auch schon wieder. Sawyer glitt zurück in die Besinnungslosigkeit. House hatte<br />

genau zu gehört. Er schnitt auch dem Südstaatler das T-Shirt auf und entfernte es. Nun tastete<br />

er Sawyers Abdomen ab und stellte linksseitig im Bauchraum starke Abwehspannungen 15<br />

fest. Er seufzte. „Das sieht nach Milz- oder Leberruptur aus. Ab in den CT, und zwar ganz<br />

schnell.“ Mit Allisons Hilfe wurde nun Sawyer in den CT Raum geschafft. Weitere zwanzig<br />

Minuten später stand fest, dass er einen Milzriss mit starker Einblutung in den Bauchraum<br />

hatte. Erneut mussten die drei Ärzte sich auf eine Notoperation vorbereiten. <strong>Die</strong>smal aber<br />

musste eine Vollnarkose gemacht werden. Dana übernahm die Sauerstoffversorgung. Sie<br />

drückte Sawyer, den sie zusammen vorsichtig auf den kleinen OP Tisch gehievt hatten, eine<br />

Sauerstoffmaske über Mund und Nase. Allison legte ihm indessen eine Venenverweilkanüle<br />

in den Handrücken der rechten Hand. House hatte eine Spritze mit Narkosemittel vorbereitet.<br />

Langsam spritzte er Sawyer ein kombiniertes Schlaf- und Schmerzmittel, Propofol und<br />

Remifentanil, über die Kanüle in die Vene. Allison hatte bereits Tubus und Beatmungsgerät<br />

zu Recht gelegt.<br />

Als nach Einsetzen der Narkosewirkung Sawyers Spontanatmung langsam stoppte,<br />

legte Allison ihm vorsichtig den Tubus, während Dana und House Sawyers Körper mit<br />

sterilen Tüchern abdeckten und den Operationsbereich großzügig desinfizierten. Nachdem<br />

Allison die sichere Lage des Tubus noch einmal überprüft hatte, schloss sie das Beatmungs-<br />

gerät an und Sawyer war nun tief narkotisiert und wurde künstlich beatmet. Schnell legte<br />

Allison die Elektroden für die EKG <strong>Über</strong>wachung und stülpte Sawyer den Pulsoxy 16 über den<br />

rechten Zeigefinger. Dann begann der eigentliche Eingriff. Dana zog sanft Sawyers linken<br />

Arm über dessen Körper und fixierte ihn mit Hilfe eines Stückes Binde in dieser Haltung an<br />

dem OP Tisch. Nun öffnete House Sawyers Bauchraum durch einen Schnitt im linken, oberen<br />

Bereich und sah sofort große Mengen Blut, die durch den Milzriss hier eingedrungen waren<br />

15 Abwehrspannung ist ein Fachbegriff aus der Medizin. Man bezeichnet damit die unwillkürliche starke Anspannung der<br />

Bauchmuskulatur bei einem starken, plötzlich einsetzenden und dann anhaltendem Bauchfellreiz. Meist liegt dem Bauchfellreiz<br />

eine Perforation, das heißt ein Durchbruch eines Hohlorganes in die freie Bauchhöhle, zugrunde.<br />

16 Pulsoxymeter: <strong>Die</strong> Pulsoxymetrie ist ein Verfahren zur nicht invasiven Ermittlung der arteriellen Sauerstoffsättigung über die<br />

Messung der Lichtabsorption bzw. der Lichtremission bei Durchleuchtung der Haut. <strong>Die</strong> Messung erfolgt mit einem Sättigungs-<br />

aufnehmer (Clip oder Klebesensor) an einem leicht zugänglichen Körperteil, vorzugsweise an einem Finger. <strong>Die</strong> so ermittelte<br />

Sauerstoffsättigung wird als partielle Sauerstoffsättigung bezeichnet.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und die ihm entgegen quollen. Während Dana die Operationswunde vorsichtig spreizte,<br />

reinigte Allison Sawyers Bauchhöhle gründlich von ausgetretenem, zum Teil schon ge-<br />

ronnenem Blut und House nahm indessen die Splenektomie vor, das heißt, er entfernte die<br />

Milz komplett. Er trennte dafür die Bandgewebe, die die Milz mit Darm, Zwerchfell und<br />

Magen verbanden, durch und durchtrennte auch die großen Blutgefäße. Allison klemmte<br />

diese sofort ab und vernähte sie, damit nicht noch mehr Blutungen entstanden. Jetzt konnte<br />

House die verletzte Milz aus ihrer Kapsel nehmen und kontrollierte, ob die umgebenden<br />

Lymphknoten in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Das waren sie zum Glück nicht. So<br />

vernähte House die letzten Gefäße und schließlich konnte Sawyer wieder zu gemacht werden,<br />

was Allison alleine übernahm. Und endlich konnten Dana und House auch Jake und Booth<br />

zum Röntgen schaffen. Bei den beiden Männern nahmen sie sicherheitshalber ein MRT vor.<br />

Booth hatte außer der Platzwunde unglaublicher Weise nicht einmal Haarrisse in der Schädel-<br />

decke davon getragen, bei Jake jedoch stellten sie ein deutliches, epidurales Hämatom fest.<br />

„Verdammt, was soll denn der Scheiß?“, fluchte House los. Das war doch nicht zu fassen.<br />

Vor drei Stunden war die Welt noch in Ordnung gewesen und nun lagen drei von ihnen hier<br />

mit lebensgefährlichen Verletzungen und sie konnten zusehen, wie sie die drei wieder zu-<br />

sammen flickten.<br />

Es nützte nichts, auch Jake musste operiert werden. Dana übernahm abermals die Be-<br />

atmung. Sie legte Jake sanft die Atemmaske über Mund und Nase und Allison legte auch ihm<br />

eine Kanüle in die Vene. Dann bekam er das gleiche Mittel wie Sawyer injiziert. Erstaunlich<br />

schnell setzte bei ihm die Narkosewirkung ein und Dana legte dem jungen Mann ebenfalls<br />

einen Tubus. Sie überprüfte die Lage und schloss dann das zweite Beatmungsgerät an. Auch<br />

Jake wurde nun künstlich beatmet. EKG und Pulsoxy wurden auch ihm angelegt. Sie<br />

schnallten Jakes Kopf sicher am OP Tisch fest, nicht, dass er aus einer unkontrollierten<br />

Zuckung oder ähnlichem im falschesten Moment den Kopf bewegte. Dann nahm House die<br />

dritte OP des Tages vor. Mit einem Bohrer wurde ein kleines Loch in Jakes Schädel direkt<br />

über dem Hämatom gebohrt und dann führte House einen feinen Schlauch ein, mit dessen<br />

Hilfe nun die Einblutung gezielt abgesaugt wurde. Der Eingriff wurde über einen kleinen<br />

Bildschirm genau kontrolliert. Mit Hilfe des Schlauches spülte der Arzt ein Medikament in<br />

die kleine Wunde, um schon geronnenes Blut aufzuweichen und so auch absaugen zu können.<br />

Endlich war House zufrieden und zog den Schlauch sehr vorsichtig zurück. <strong>Die</strong> kleine Wunde<br />

wurde versorgt, dann seufzten die drei Ärzte erleichtert auf. „So, und wie geht es weiter?<br />

Eigentlich müssten sie alle, auch Booth, der wenigstens für eine Nacht, zur engmaschigen<br />

<strong>Über</strong>wachung auf die Intensiv.“ House sah sich um und entdeckte eine Kamera. „Hey, wir<br />

sind hier fertig, wie soll es weiter gehen?“ Kaum eine Minute später kam ein Wachposten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

herein und erklärte: „Wir haben hier eine kleine Intensivstation, dort werden wir die Vier hin<br />

bringen und dort könnt ihr sie intensivmedizinisch betreuen.“<br />

Keine zehn Minuten später lagen alle vier Verletzten gesäubert in den sauberen Betten<br />

einer kleinen, aber ultramodernen Intensivstation. Mulder, Jake und Sawyer wurden an die<br />

Volumenzufuhr angeschlossen. Außerdem wurden die Infusionspumpen 17 für die Medika-<br />

mentengabe angeschlossen. Sawyer und Jake wurden weiterhin künstlich beatmet, die<br />

Narkose aufrechterhalten. Jetzt bekamen auch Booth und Mulder Pulsoxymeter auf die Zeige-<br />

finger der linken Hand gesteckt, um die arterielle Sauerstoffsättigung in ihrem Blut non-<br />

invasiv rund um die Uhr zu überwachen, was besonders bei Mulder wichtig war. Sie wurden<br />

nun von Dana, Allison und House an die Geräte zur engmaschigen <strong>Über</strong>wachung ihrer Vital-<br />

parameter angeschlossen. Herzfrequenz, Blutdruck, Temperatur, Puls, Atemfrequenz wurde<br />

jetzt überwacht, EKG Kabel wurden angelegt und schließlich waren alle vier so gut versorgt,<br />

wie es nur ging. Endlich kam Dana dazu, sich ganz um Mulder zu kümmern. Sie überprüfte<br />

mit dem Ultraschallgerät erneut, ob dessen Lungenflügel sich vernünftig ausdehnte, aber da<br />

schien alles in Ordnung zu sein. House und Allison zogen sich zurück, um sich zu reinigen<br />

und umzuziehen. Und dann ging plötzlich eine Tür am anderen Ende der kleinen Intensiv-<br />

station auf und Kate, Heather und Bones stolperten herein, wankten mehr, als dass sie gingen,<br />

zu den Betten mit den jeweiligen Partnern und standen dann starr und erschlagen an den<br />

Seiten ihrer Männer. Bones war einfach nur unermesslich glücklich, dass Booth weiter nichts<br />

geschehen war. Dana hatte sich einen Stuhl heran gezogen und saß neben Mulder, der wieder<br />

ruhig, gleichmäßig und vor allem tief atmete. Sie überprüfte den Drainageschlauch und sah<br />

Mulder in das blasse Gesicht. „Ich liebe dich ...“, flüsterte sie und Tränen liefen ihr über die<br />

Wangen. Sie hatte nicht einmal registriert, dass die Leidensgenossinnen herein gekommen<br />

waren.<br />

Kate stand zitternd und schluchzend an Sawyers Bett. Sein Anblick hatte sie getroffen<br />

wie ein Schlag in den Magen. Aus panisch aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, sah den<br />

Beatmungsschlauch in seinem Mund, die Schläuche, Kabel, piepsenden Geräte, die Monitore,<br />

die Pulsschlag, Herzfrequenz und Blutdruck anzeigten und schluchzte leise vor sich hin. Sie<br />

wagte es nicht einmal, ihn zu berühren. Den Verband an seinem Bauch konnte sie nicht sehen,<br />

17 Infusionspumpen: Infusionstechnik ist ein Teilbereich der Medizintechnik. Unter Infusionstechnik versteht man apparative<br />

Techniken, die dazu bestimmt sind Flüssigkeiten in den menschlichen Körper zu applizieren. Man unterscheidet Infusionspumpen<br />

und Spritzenpumpen. Infusionspumpen fördern die zu applizierenden Flüssigkeiten aus einem Vorratsbehältniss über eine Rollen-<br />

pumpe oder eine Peristaltik, damit der Transport der Flüssigkeit in einem geschlossenem System stattfindet, um Ver-<br />

unreinigungen während der Infusion zu vermeiden.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

da der junge Mann natürlich zugedeckt war. So hatte sie keine Ahnung, was eigentlich mit<br />

ihm war. Ähnlich ging es auch Heather ein Bett weiter. Zwar sah sie den Verband an Jakes<br />

Stirn, aber warum er an das Beatmungsgerät angeschlossen war und an all die anderen Geräte,<br />

konnte sie nicht raten. Es ging der jungen Frau wie Kate: Sie wagte nicht, die Hand auszu-<br />

strecken und Jake zu berühren. Wie gelähmt stand sie an dem Bett und schaute weinend auf<br />

den jungen Mann herunter. Hilfe suchend sah Kate sich in diesem Moment um. Dana saß an<br />

Mulders Bett, sie war sich überhaupt nicht bewusst, dass es noch andere Anwesende im Raum<br />

gab. Und Bones war in Booth versunken, sie hatte im Moment auch kein Auge für die Nöte<br />

der anderen beiden Frauen. Unendlich verzweifelt wandte Kate sich wieder Sawyer zu. Sie<br />

stand da und starrte ihn an und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Angst, ihn zu be-<br />

rühren, auf keinen Fall wollte sie ihm irgendwie wehtun. Plötzlich spürte sie eine Hand auf<br />

ihrer linken Schulter und zuckte mit einem leisen Keuchen erschrocken herum. Neben ihr<br />

stand, unbemerkt zu ihr getreten, House und hatte Kate sanft die Hand auf die Schulter gelegt.<br />

Und als wäre er ein Rettungsanker fiel Kate dem Arzt weinend in die Arme, klammerte sich<br />

zitternd an ihm fest und wimmerte: „Wird er sterben?“<br />

Schmerzhafte Heilung<br />

Schmerzen wären etwas wunderbares, wenn sie nicht so wehtun würden.<br />

Ralf Brebeck<br />

House war überrascht von der Heftigkeit, mit der Kate auf sein Erscheinen reagierte.<br />

Aber er bewies, dass er durchaus Mensch sein konnte. Er hielt die verzweifelte junge Frau<br />

fest in seinen Armen und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Hey, beruhige dich, Kate,<br />

pssst. Ist doch alles gut, Mädchen.“ Wieder und wieder ließ er seine Hand über den Rücken<br />

Kates gleiten, bis er endlich merkte, dass sie sich ein wenig entspannte. Er ließ sie los, zog ihr<br />

den Stuhl, der neben Sawyers Bett stand, heran und drückte Kate sanft darauf nieder. „Geht es<br />

wieder?“, fragte er ruhig. Kate nickte. „Was ist denn mit ihm ...“, stammelte sie unglücklich<br />

und zu Tode verängstigt. House ließ sich vorsichtig auf Sawyers Bettkante sinken und griff<br />

nach Kates Händen. „Was passiert ist, habt ihr ja am Bildschirm miterlebt, habe ich gehört.<br />

Sawyer hat bei dem Unfall wie es scheint Jakes Kopf mit voller Wucht in den Körper be-<br />

kommen. Dadurch kam es zu einem so genannten stumpfen Bauchtrauma, dass einen Milzriss<br />

verursachte.“ Kate wurde noch blasser. „Milzriss? Oh Gott ...“ „Bleib ruhig, Mädchen. Wir<br />

219


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mussten ihn Notoperieren und haben die Milz ganz entfernt, da wäre nichts mehr zu machen<br />

gewesen. Er hat innerlich ziemlich viel Blut verloren. <strong>Die</strong> OP hat er aber gut überstanden.“<br />

„Gut? Warum muss er dann beatmet werden?“, fragte Kate panisch.<br />

„Weil er noch in Narkose ist. Wir werden ihn noch ein paar Stunden in Narkose<br />

halten, denn eine Milzentfernung ist eine unangenehme Sache. In seinem jetzigen Zustand,<br />

tief und fest schlafend, merkt er nichts von den postoperativen Schmerzen. Er wird hier über<br />

die Medikamentenpumpe mit einer Kombination aus sehr starken Schlaf- und Schmerzmitteln<br />

in Narkose gehalten. So verschläft er selig die erste Zeit des besonders starken Wund-<br />

schmerzes, Kate. <strong>Die</strong> Narkosemedikamente entspannen seinen Körper so sehr, dass auch sein<br />

Atemzentrum Pause macht, daher muss er künstlich beatmet werden. Siehst du den Apparat<br />

dort? Damit wird die Menge an schlaferhaltendem Schmerzmittel immer neu ermittelt, er be-<br />

kommt gerade so viel, dass er ruhig schläft, sein Kreislauf aber stabil bleibt, der dort<br />

permanent überwacht wird.“ House zeigte Kate genau, welche Geräte dafür vorgesehen<br />

waren. „Siehst du, dort wird seine Körpertemperatur überwacht, sie liegt jetzt bei 35,7° <strong>Die</strong><br />

Körpertemperatur neigt nach einer Operation dazu, zu niedrig zu sein. Wäre er wach, würde<br />

er vor Kälte am ganzen Leib schlottern. Ich denke, wir werden ihn noch sechs bis acht<br />

Stunden unter Narkose halten, dann werden wir die Betäubung langsam ausklingen lassen.<br />

Dann können wir ihn auch Extubieren.“ House schlug Sawyers Zudeck beiseite und zeigte<br />

Kate den Verband. „Siehst du, hier haben wir ihn auf gemacht. <strong>Die</strong> ganze Wunde ist nicht viel<br />

größer als sein Mittelfinger. Er wird sich schnell erholen.“ Kate hatte konzentriert zugehört<br />

und spürte eine ungeheure Erleichterung. „Darf ich ... darf ich ihn ... anfassen?“, fragte sie<br />

schüchtern. „Natürlich. Rede mit ihm, streichel ihn, halt seine Hand, er wird es spüren, dass<br />

du bei ihm bist. Intensivpatienten brauchen viel Zuspruch, weil eine Intensivstation immer<br />

Angst auslöst, sowohl beim Betroffenen als auch bei den Angehörigen, merkst du ja gerade,<br />

oder?“ House warf einen Blick zu Heather und Allison hinüber. Er war sicher, dass dort am<br />

Bett ein ähnliches Gespräch ablief. Bei Jake würden in Kürze schon die Narkotika abgesetzt<br />

werden können. Der Eingriff, der bei dem jungen Mann hatte gemacht werden müssen, war<br />

nicht dramatisch gewesen.<br />

„Hör zu, Kate, wenn wir später die Narkose bei Sawyer absetzen, wird er beim Auf-<br />

wachen ziemlich verwirrt sein. Er wird immer wieder einschlafen, in einer Art Dämmer-<br />

zustand sein. Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen, in Ordnung? Es ist wie ein über-<br />

dimensionaler Kater. Es wird Tage dauern, bis Sawyers Stoffwechsel sich von den Nach-<br />

wirkungen der Narkose ganz erholt hat. Er wird ziemlich orientierungslos wirken, verwirrt,<br />

kann sein, dass er dummes Zeugs redet. Noch dümmeres als sonst, meine ich.“ <strong>Über</strong> Kates<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gesicht zuckte ein vorsichtiges Lächeln. House fuhr fort: „Alles kein Grund zur Be-<br />

unruhigung. Du solltest dann versuchen, ihm möglichst viel zu Trinken zu geben, das hilft,<br />

die Reststoffe der Narkosemittel aus seinem Organismus zu spülen. So, und nun muss ich<br />

nach Booth, Mulder und Jake sehen.“ Das musste er zwar nicht, aber er spürte, dass Kate ein-<br />

fach ein wenig Zeit alleine bei Sawyer brauchte. Mühsam stand er auf und humpelte dann zu<br />

Booth hinüber. <strong>Die</strong>ser kam gerade zu sich. „Na, wieder bei uns? Wie fühlst du dich?“ Booth<br />

hatte Schwierigkeiten, umzusetzen, wo er war. Das Letzte, an das der FBI Agent sich er-<br />

innerte, war das entsetzliche Gefühl gewesen, als die Leiter brach und sie hilflos in die Tiefe<br />

stürzten. Er sah die Felswand in rasender Geschwindigkeit auf sich zu kommen, konnte sich<br />

schwach erinnern, vor Angst aufgeschrien zu haben ... dann Schmerz und Schwärze. Und jetzt<br />

lag er in einem Bett, ganz offensichtlich ... auf einer Intensivstation? Bones saß neben ihm,<br />

rote Augen vom Weinen, und hielt seine linke Hand fest in ihren Händen. Seeley musste sich<br />

ungeheuer konzentrieren, um wenigstens auf House‘ Frage eine Antwort geben zu können.<br />

„Mein Schädel fühlt sich an, als wäre er unter eine Walze gekommen.“ Jedes einzelne Wort<br />

verursachte kleine Explosionen in seinem Kopf. Er wünschte sich fast, wieder die Besinnung<br />

zu verlieren. Dumpf hörte er die Stimme Gregs an seine Ohren dringen „Ich werde dir etwas<br />

gegen die Schmerzen geben, kann sein, dass du davon ein wenig benommen sein wirst.“<br />

„Mehr als jetzt?“, ächzte Booth gequält.<br />

Er bekam mit, dass House an einer der Maschinen, die ihn umgaben, etwas einstellte,<br />

hatte das Gefühl, dass er spüren konnte, wie über einen Zugang auf seinem rechten Hand-<br />

rücken irgendwas in seine Vene floss und schloss stöhnend die Augen. „Mir ... mir ist spei-<br />

übel ...“ Jetzt endlich fand Bones ihre Stimme wieder. „Du wirst eine Gehirnerschütterung<br />

haben, bei dem Aufprall.“ Booth lag still, mit geschlossenen Augen da und reagierte nicht auf<br />

ihre Worte. Tempe dachte schon, er hätte die Besinnung wieder verloren, aber nach einigen<br />

Minuten öffnete er dann die Augen doch wieder. „Der Schmerz lässt nach, Gott sei Dank.“,<br />

seufzte er erleichtert. „Gehirnerschütterung? Fühlt sich mehr an wie ein Schädelbruch. Was<br />

ist ... Ich habe eine Gedächtnislücke, von dem Augenblick, als die Leiter brach und wir ab-<br />

stürzten bis eben.“ House warf einen prüfenden Blick auf die Geräte, an die sie Booth sicher-<br />

heitshalber angeschlossen hatten. Aber er konnte keine Auffälligkeiten feststellen. So sagte<br />

er: „Viel ist nicht passiert, Hoover, sie haben euch aus der Schlucht gefischt und her gebracht.<br />

Wir bekamen den Auftrag, euch zusammen zu flicken, und das war es.“ Booth hatte zu gehört<br />

und fragte leise: „Was ist ...“ Er verstummte, schien Angst vor der Frage zu haben. „Was ist<br />

mit den anderen?“ „Mulder hat sich ein paar Rippen gebrochen, eine hat einen Pneumothorax<br />

verursacht. Jake hat ein epidurales Hämatom und Sawyer hat es am Schlimmsten erwischt, er<br />

221


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hat einen Milzriss und wir mussten eine Splenektomie vornehmen. Bones kann dir das alles<br />

erklären, okay, ich muss nach den <strong>Anderen</strong> sehen.“<br />

Allison hatte derweil Heather genau so gründlich darüber aufgeklärt, was mit Jake<br />

passiert war, wie House es ein Bett weiter bei Kate und Sawyer gemacht hatte. <strong>Die</strong> junge Frau<br />

war genau so verängstigt wie Kate und hatte Allisons Worte in sich aufgesogen. Jetzt war ihr<br />

die Erleichterung mehr als anzusehen. „Er wird sich ganz erholen?“, fragte sie schüchtern<br />

nach. „Ganz und gar, mach dir keine Sorgen. <strong>Die</strong> Bisswunde von der Muräne war viel<br />

Schlimmer. Wirklich. Er wird ein paar Tage tüchtig Kopfschmerzen haben, das ist alles. Bleib<br />

bei ihm, rede mit ihm, auch, wenn er noch schläft, sei einfach für ihn da, er wird es auch in<br />

der Narkose spüren. Und wenn er später zu sich kommt, sei nicht besorgt, wenn er einen ver-<br />

wirrten Eindruck macht. Zum einen kann das schon alleine von der Verletzung ausgelöst<br />

werden, zum anderen ganz bestimmt durch die Vollnarkose. Gib ihm möglichst viel zu<br />

trinken. Das hilft, die Narkosemedis aus seinem Organismus zu spülen. Es ist möglich, dass er<br />

sich übergeben muss. Er wird vermutlich ... er wird ganz bestimmt eine Gehirnerschütterung<br />

haben und von der Narkose wird den allermeisten Menschen schlecht.“ Heather hatte auf-<br />

merksam zugehört und nickte. „Wenn wir dürfen, werde ich ... Sie werden uns doch bei ihnen<br />

lassen, oder?“ Darauf wusste Cameron natürlich auch keine Antwort. Aber sie nickte und ver-<br />

suchte, möglichst zuversichtlich zu klingen. „Ganz bestimmt werden sie das.“<br />

*****<br />

Mulder hustete leicht und stöhnte auf. Dana war sofort alarmiert. Sie hielt seine linke<br />

Hand und wartete ab, ob er zu sich kommen würde. <strong>Die</strong> Augenlieder des Agenten flackerten<br />

und dann flüsterte er schwach: „Ihr habt uns hoch geholt, was?“ Müde schlug er die Augen<br />

auf. Dana konnte nicht verhindern, dass ihr vor Erleichterung Tränen über die Wangen liefen.<br />

„Mulder ... Du hast <strong>mich</strong> zu Tode erschreckt, weißt du das?“ Mulder wollte mit der Linken<br />

nach der Nasensonde tasten, die er sicherheitshalber umgelegt bekommen hatte. Dana beugte<br />

sich über ihn und hielt seine Hand fest, erklärte: „Du musst vorsichtig sein, du hast eine<br />

Drainage gelegt bekommen. Das Ende schaut links aus deinem Brustkorb. Komme nicht da-<br />

gegen.“ Mulder sah seine Partnerin vollkommen verständnislos an und ließ die Hand, wo sie<br />

war. „Was hab ich? Was ist eigentlich zum Schluss passiert? Ich kann <strong>mich</strong> nicht erinnern ...<br />

wir hingen da ... und dann?“ Dana sah ihren Lebensgefährten scharf an. „Wie fühlst du dich?“<br />

„Müde. Je wacher ich werde, desto mehr tut mir die linke Seite weh. Wie viele Rippen sind<br />

gebrochen?“ Dana strich Mulder sanft über die Wange. „Drei. Und eine davon hat deinen<br />

linken Lungenflügel perforiert. Du hattest einen Pneumothorax. Wir haben dich operiert und<br />

222


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Rippe gerichtet. Du wirst mindestens vierundzwanzig Stunden die Saugdrainage tragen<br />

müssen.“ Mulder hatte zu gehört und schloss kurz müde die Augen. Dann sah er Dana an.<br />

„Was ist mit den anderen?“ Er sah hinüber zu den Betten rechts und links von ihm. Booth sah<br />

gerade zu ihm herüber und deutete ein schwaches Nicken an. Dana sah Mulder besorgt an. Er<br />

atmete wie jeder, der gebrochene Rippen hatte, wegen der Schmerzen flach und zu schnell.<br />

Eindringlich sagte sie: „Du musst unbedingt versuchen, trotz der Schmerzen normal zu atmen,<br />

Mulder. Andernfalls wirst du dir schnell eine Lungenentzündung holen. Ich werde dir etwas<br />

gegen die Schmerzen geben, okay, es wird dich aber müde machen.“ Mulder verzog das Ge-<br />

sicht zu einem gequälten Grinsen. „Dann ändern sich nur die Schmerzen.“ Dana nahm an der<br />

Medikamentenpumpe eine kleine Änderung vor. „So, es wird gleich besser werden.“ Mulder<br />

nickte dankbar. Dann fragte er leise: „Was ist mit Jake und Sawyer?“ Dana erklärte es ihm.<br />

*****<br />

Ziva wunderte sich, warum sie beim Schießtraining mutterseelenallein war. Gibbs kam<br />

mit Verspätung, Locke, Mulder, Bones, Booth, Kate, Sawyer und Jake fehlten ganz. Als<br />

Gibbs und sie alleine waren, um die M24 vorzubereiten, fragte Ziva: „Sag mal, weißt du, was<br />

los ist? Wo sind die alle?“ Locke hatte kein Redeverbot erhalten und Gibbs berichtete, was<br />

geschehen war und so hatte auch der keine Hemmungen, Ziva aufzuklären. <strong>Die</strong> junge Israelin<br />

hörte mehr und mehr erschüttert zu und fluchte. „<strong>Die</strong>se elenden Bastarde! <strong>Die</strong> Vier hätten tot<br />

sein können. Und wir erfahren wieder einmal nicht, was mit ihnen ist, da möchte ich wetten.“<br />

„Locke meinte, Mulder hätte mit Sicherheit mehrere gebrochene Rippen und vermutlich hat<br />

mindestens eine davon seine Lunge verletzt. Jake und Booth hatten auf jeden Fall heftige<br />

Platzwunden, bei Sawyer war nichts zu sehen, aber er ist auf dem Rückweg kurz zu sich ge-<br />

kommen und hat sich die linke Seite gehalten. Was nun wirklich im Einzelnen passiert ist,<br />

konnte Locke nicht sagen. Sie haben ihn eben unmittelbar vor mir abgeholt, mal sehen, was<br />

sie nun wieder mit ihm vorhaben.“<br />

*****<br />

Locke wurde zu seinem eigenen maßlosen Erstaunen wieder in die obere Etage zurück<br />

gebracht. Er wurde in einen Raum geführt, in dem er sich einen weißen Kittel über ziehen<br />

musste, dann brachte der Wachposten, der ihn begleitete, ihn auf eine richtige kleine Intensiv-<br />

station. Locke riss überrascht die Augen auf. So was hatte er hier nicht erwartet. Er sah vier<br />

Betten, in denen Booth, Mulder, Jake und Sawyer lagen. Jake und Sawyer wurden künstlich<br />

beatmet, Booth und Mulder waren halbwegs wach. Locke sah die Wache fragend an, der<br />

223


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mann nickte und Locke eilte zu Mulder ans Bett. Dana sah auf und erhob sich. Dankbar fiel<br />

sie Locke um den Hals und stammelte: „Du hast ihn schon zum zweiten Mal gerettet. Ich<br />

weiß nicht, wie ich dir danken soll.“ Locke hielt die zierliche Frau kurz fest, dann drückte er<br />

sie von sich und fragte besorgt: „Was ist denn mit Mulder los? Ist er schwer verletzt?“ Dana<br />

erklärte Locke, was mit Mulder und den anderen Männern los war und der geheimnisvolle<br />

Mann hörte genau zu. Als Dana mit ihrem Bericht fertig war, machte der Wachposten den<br />

Mund auf. „Na, das hast du ja sehr schön berichtet. Ich habe auch etwas zu berichten. Der<br />

Test wird wiederholt. Sobald sich die Vier erholt haben, werden wir den Test erneut machen.“<br />

Bis auf Jake und Sawyer hörten alle diese herzlosen, kalten Worte und starrten den Wach-<br />

mann entsetzt an. Nur Locke blieb entspannt. Er sagte ganz ruhig: „Das wird nicht notwendig<br />

sein, Sir.“ Der Wachposten grinste. „Du hast die Aufgabe nicht gelöst. Du wirst es uns über-<br />

lassen müssen, zu entscheiden, was notwendig ist.“ Locke nickte. „Selbstverständlich. Aber<br />

Sie wollten von mir drei Dinge, richtig? Gut, Sir, dann geben Sie bitte weiter: Es wäre Booth<br />

gewesen, der in den Tod gestürzt wäre, es war der zweite Schaltpult von links und es war der<br />

mittlere Hebel. Und dass wusste ich schon, bevor ich die Vision der brechenden Leiter hatte.“<br />

*****<br />

„Sawyer geht es am Schlechtesten. Sie mussten ihm die Milz entfernen.“ „Und die<br />

wollten ernsthaft den Test wiederholen?“ Ziva konnte nicht glauben, was Locke ihr und Gibbs<br />

zwanzig Minuten später erschüttert berichtete. „Sie hatten es ernsthaft vor, ja. Kaum zu<br />

fassen. Aber wie es aussieht sind sie zufrieden damit, dass ich noch vor der Vision der ab-<br />

brechenden Leiter wusste, was ich wissen sollte.“ Ziva schüttelte bestürzt den Kopf. „Und wir<br />

dachten, das Schlimmste wäre vorbei. Wenn du nicht gewesen wärest, hätten wir heute auf<br />

einem Schlag vier von uns verloren.“ Gibbs schaute geistesabwesend zu den Schießscheiben<br />

hinüber, die er heute auch auf tausend Meter mehrfach gut getroffen hatte. „Eigentlich acht<br />

von uns, denn davon hätten sich die Frauen nicht mehr erholt.“ Locke hatte sich auf den<br />

Boden gelegt und drückte den Kolben seines M24 ruhig an die Schulter. Er atmete aus und<br />

hielt die Luft an. Der Schuss traf die tausend Meter Zielscheibe am Rande der 9 und Locke<br />

sagte ruhig: „Man muss sich wundern, wie viel es beim Zielen bringt, wenn man an unsere<br />

Gastgeber denkt.“ Von Ziva kam ein kurzes, gefährliches Lachen.<br />

*****<br />

Bones erstarrte vor Entsetzen, als sie die Worte des Wachmannes hörte. Sie spürte,<br />

wie Booth’ Hand sich fester um ihre Schloss. Mulder drei Betten weiter schloss ergeben die<br />

224


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Augen. Er war von den Schmerzmitteln schon viel zu benommen, um sich über die Mitteilung<br />

noch aufzuregen. Er dämmerte vor sich hin und hörte die nächsten Worte wie durch Watte.<br />

Dafür bekamen Kate und Heather sie umso deutlicher mit. Kate musste sich mächtig zu-<br />

sammen reißen, um nicht los zu schreien. Aber schon erfolgte Lockes ruhige Erklärung, die<br />

allerdings Booth und Tempe erneut erzittern ließ. Ihn hätte es also getroffen. - Na, prima. -<br />

dachte der junge Agent resigniert. Aber so weit war es ja nicht gekommen. Daher hatte es<br />

keinen Sinn, deswegen noch beunruhigt zu sein. Ein viel zwingenderes Problem war im<br />

Moment, dass ihm speiübel war. Er versuchte krampfhaft, sich zu entspannen und atmete<br />

hektisch und flach durch den Mund. Immer wieder musste er trocken schlucken. Dana bekam<br />

dies trotz ihrer Sorge um Mulder sehr wohl mit und sah zu Booth hinüber. Bones registrierte<br />

sein Verhalten ebenfalls und sie schaute ihn besorgt an. Dann sagte sie leise, ihm eine Hand<br />

auf die Stirn legend :„Ist dir schlecht?“ Booth verzog das Gesicht, nickte aber. „Unter dem<br />

Bett müssten Spuckschalen stehen.“, erklärte Dana ruhig und Bones nickte. „Ja, hier sind<br />

welche.“ Vorsichtshalber nahm sie schon eine und stellte sie auf den Nachttisch. Wenn es<br />

auch Booth vor Scham Tränen in die Augen trieb, aber er konnte nicht mehr. Er fuhr hoch,<br />

was Explosionen in seinem Kopf auslöste und übergab sich keuchend. Bones hielt ihn<br />

stützend im linken Arm, hielt die Pappschüssel mit der Rechten und redete beruhigend auf ihn<br />

ein. Gequält stöhnte der FBI Agent auf. Sein Kopf schien jeden Moment in tausend Stücke<br />

zerspringen zu wollen. Vollkommen erledigt sank er schließlich in das Kissen zurück, was ihn<br />

sofort wieder aufstöhnen ließ. Er drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Er fühlte<br />

sich furchtbar. Und dass er sich vor Bones hatte übergeben müssen, gab ihm den Rest. Er<br />

schämte sich und wünschte fast, Tempe würde verschwinden. Stattdessen wusch sie ihm vor-<br />

sichtig das verschwitzte Gesicht und gab ihm Wasser, um sich den Mund auszuspülen. Sie tat<br />

dies mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es Booth schließlich schaffte, sich ein<br />

wenig zu entspannen. Ihr schien es nicht das Geringste auszumachen, ihn so zu sehen. Müde<br />

schloss Seeley die Augen.<br />

„Verfluchter Mist, das hätte bös in die Hose gehen können, ist euch<br />

Idioten das klar?“<br />

Ordnung.“<br />

„Ja, Sir, wir haben die Leiter vorher kontrolliert, da war alles in<br />

„Nun, ganz kann ja wohl nicht alles in Ordnung gewesen sein, oder?<br />

Sonst wäre es kaum zu diesem Zwischenfall gekommen, oder“<br />

„Natürlich, Sir, es war offensichtlich ein Materialfehler, den keiner vorher<br />

sehen konnte.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wir stecken hier in einem Millionengeschäft und alles, was euch einfällt<br />

ist ein Materialfehler? Wir hätten um Haaresbreite vier wertvolle Probanden<br />

verloren.“<br />

„Das ist mir auch klar, Sir, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass<br />

es nicht unsere Schuld war. Mitchell hat den Versuch genehmigt, er sah keine<br />

Probleme dabei.“<br />

„Mitchell steht, wie ihr wohl wisst, auf der Abschussliste ganz oben. Ihr<br />

tätet gut daran, euch nicht an dem Mann zu orientieren.“<br />

Heather hatte derweil nur Augen für Jake. Sie hatte den Stuhl ganz dicht an sein Bett<br />

heran gerückt und beobachtete ihn genau. <strong>Die</strong> Geräte, die ihn überwachten, piepsten leise vor<br />

sich hin. Der Puls und Herzschlag war langsam, aber kräftig. <strong>Die</strong> Atmung wurde noch von der<br />

Maschine geregelt. Er schlief ruhig und Heather war ein wenig gefasster. Allison hatte ihr ja<br />

versichert, dass er sich vollkommen erholen würde und die junge Lehrerin musste sich ein-<br />

fach an den Gedanken klammern. Vor ein paar Minuten hatte House nach Jake geguckt und<br />

Heather erklärt, dass dieser langsam in die Aufwachphase kam. Es würde nicht mehr lange<br />

dauern, dann würden sie ihn Extubieren können. Erleichtert hatte Heather aufgeatmet. Der<br />

Tubus und die künstliche Beatmung waren wohl das Schlimmste, künstliche Beatmung<br />

suggerierte immer Gefahr. Wenn er erst einmal wieder alleine atmete, würde es optisch<br />

wenigstens nicht mehr so dramatisch wirken. Allison hatte Heather genau erklärt, womit sie<br />

nach der OP und der Vollnarkose rechnen musste und die junge Lehrerin wusste daher, was<br />

kommen könnte. Sie hielt Jakes Hand und flüsterte: „Ich bin bei dir, mach dir keine Sorgen.<br />

Wir passen alle auf dich auf, du kannst ganz entspannt schlafen und wenn du aufwachst, bin<br />

ich bei dir. Du wirst sicher Kopfschmerzen haben und vielleicht wird dir auch schlecht<br />

werden. Das macht aber nichts, das kann von der Narkose kommen und davon, dass du sicher<br />

eine Gehirnerschütterung haben wirst.“ Sie streichelte Jake sanft über die Wange und seufzte.<br />

Als dieser etwas später anfing, unruhig zu werden, rief Heather nach House und<br />

Allison, die gerade bei Mulder nach dem Rechten sahen und sich mit Dana unterhielten.<br />

Allison eilte zu Jake hinüber und beobachtete ihn einen Moment. „Er wird bald zu sich<br />

kommen. Wir lassen ihn sicherheitshalber intubiert, bis er ganz bei sich ist. Ich bleibe bei<br />

euch, mach dir keine Sorgen, es wird schon gut gehen.“ <strong>Die</strong> beiden Frauen saßen bei Jake,<br />

unterhielten sich leise und beobachteten den jungen Mann genau. Schließlich öffnete er<br />

schwerfällig seine Augen. Glasig und ohne Erkennen sah er Allison und Heather an. Allison<br />

drückte ihm die Lider abwechselnd auf und kontrollierte seine Pupillenreflexe. <strong>Die</strong>se<br />

reagierten aber normal. So steckte sie die kleine Augenlampe wieder in ihre Kitteltasche und<br />

226


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sprach Jake an. „Jake, hörst du <strong>mich</strong>?“ Jakes Augen versuchten, Allison zu Fixieren. Das fiel<br />

ihm schwer. Er wollte etwas sagen, aber das ging wegen des Tubus natürlich nicht. Unruhig<br />

wollte er nach dem störenden Gegenstand greifen, aber Allison hielt seine Hände sanft fest.<br />

Ganz ruhig erklärte sie: „Du bist intubiert, Jake, kein Grund zur Beunruhigung. Du kannst im<br />

Moment nicht Sprechen wegen des Tubus. Nicke einfach, in Ordnung.“ Jake nickte. „Ist dir<br />

schwindelig?“ Kopfschütteln. „Du weißt, wer du bist?“ Nicken. „Weißt du, wer wir sind?“<br />

Erneutes, müdes Nicken. „Weißt du, wo du bist?“ Er nickte, schüttelte dann aber sofort den<br />

Kopf. Allison war zufrieden. Sie lächelte sanft und erklärte dann: „Ich werde dich von dem<br />

Beatmungsgerät befreien, dann wirst du dich wohler fühlen. Das wird einen ganz kleinen<br />

Würgereiz verursachen, versuche, dich einfach zu entspannen.“ Sie drückte Jakes Kopf vor-<br />

sichtig etwas in den Nacken, dann befreite sie ihn endlich von dem Tubus. Jake würgte<br />

hustend und atmete auf, als der Schlauch draußen war. „Besser so?“ Mit etwas zittriger<br />

Stimme krächzte Jake: „Ja, besser. Was ... ist passiert? Ich erinnere ... <strong>mich</strong> nicht ...“ Allison<br />

warf noch einen prüfenden Blick auf die Statusmonitore, dann sagte sie: „Das kann Heather<br />

dir alles erzählen. Aber du solltest dich ausruhen, hörst du? Wenn etwas ist, wir sind in der<br />

Nähe, sofort rufen, okay.“ Heather nickte. „Danke.“<br />

*****<br />

Kate saß Stunde um Stunde bei Sawyer, müde und verspannt, hielt seine Hand,<br />

streichelte ihm immer wieder sanft und zärtlich über die Wange, die Stirn, oder einfach über<br />

die Hand und redete leise mit ihm. Sie wusste nicht, was sie sagte, das war auch nicht wichtig.<br />

Wichtig war nur, dass er spürte, dass sie bei ihm war, dass er ihre Stimme hörte, dass er<br />

merkte, er war nicht alleine. Voller Mitleid sah sie ihn an. Es war erschreckend, wie verletz-<br />

lich er aussah, mit all den Kabeln und Schläuchen, die zu seinem Körper führten. Sie mochte<br />

ihn gar nicht alleine lassen, aber ab und zu musste sie sich einfach die Beine vertreten. Der<br />

Stuhl, auf dem sie schon seit Stunden hockte, war nicht eben bequem. Meist ging sie dann zu<br />

Dana hinüber. Mit Bones konnte Kate nicht sehr viel anfangen und mit der schüchternen<br />

Lehrerin noch viel weniger. Aber mit der FBI Agentin konnte Kate sich sehr gut unterhalten,<br />

zumal Dana ihr auch noch verschiedene Fragen bezüglich Sawyers Operation beantworten<br />

konnte. „Wofür ist die Milz eigentlich da? Braucht er die denn nicht? Hat er davon jetzt<br />

irgendwelche gravierenden Nachteile? Muss er zu ... was weiß ich, einer Art Milzdialyse oder<br />

so etwas? Oder Tabletten schlucken für den Rest seines Lebens?“ Dana beantwortete geduldig<br />

die Fragen. „<strong>Die</strong> Milz ist ein in den Blutkreislauf eingeschlossenes lymphatisches Organ,<br />

welches zum einen der Bildung der weißen Blutkörperchen dient, aber auch alte rote Blut-<br />

körperchen aussortiert, wenn du so willst. Bei Kindern ist sie sehr wichtig für die Blutbildung.<br />

227


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ein Erwachsener kann sehr gut ohne Milz leben, neigt dann nur ein wenig zur Abwehr-<br />

schwäche. Sawyer sollte daher in Zukunft etwas gezielter darauf achten, seine Abwehrkräfte<br />

zu stärken. Und im Falle von Verletzungen sollte er behandelnde Ärzte darüber unterrichten,<br />

dass er keine Milz mehr hat, da Menschen ohne Milz zur Sepsis neigen.“ Dana lächelte.<br />

„Keine ausgedehnten Saufgelage, seine Leber wird in Zukunft mehr Arbeit leisten müssen.“<br />

Dana lächelte. Auch über Kates Gesicht huschte ein kurzes Lächeln, dann jedoch fragte sie<br />

besorgt: „Wird er starke Schmerzen haben, wenn er aufwacht?“ Dana sah Kate an und nickte<br />

langsam. „Was hat es für einen Sinn, wenn ich nein sagen würde? Ja, Kate, er wird ein paar<br />

Tage lang ziemliche Schmerzen haben, aber das wird schnell vorbei sein. Vielleicht ge-<br />

nehmigen sie ja wenigstens diesmal weiter Schmerzmittel. Dann wird es für ihn sehr viel ein-<br />

facher.“<br />

An dieses Gespräch dachte Kate Stunden später, als House die Narkose bei Sawyer<br />

langsam ausklingen ließ. <strong>Die</strong>ser wurde zusehends unruhig und House stand bei Kate, um zur<br />

Hand zu sein. Fahrig, unwillkürlich, zuckte Sawyers Linke in Richtung seines Mundes, um<br />

etwas gegen den unangenehmen Fremdkörper in Hals und Rachen zu tun. Kate griff schnell<br />

zu und hielt seine Hand fest in ihrer. „Honey, ich bin es, Kate. Du brauchst keine Angst zu<br />

haben, es ist alles in Ordnung. Bleib einfach ganz ruhig. Ich bin da, ich bin bei dir, okay, dir<br />

kann gar nichts passieren.“ Zitternd öffneten sich Sawyers Augenlider. Ohne Verstehen<br />

schaute er direkt in Kates Gesicht. Es war deutlich zu merken, dass er etwas sagen wollte.<br />

Kate streichelte ihm zärtlich über die Wange. „Hey, Baby, psst, es ist alles gut. Du bist in-<br />

tubiert, okay, du kannst nicht reden, weil du einen Schlauch in der Luftröhre hast. Du wirst<br />

ausnahmsweise mal die Klappe halten müssen. Das ist unangenehm, aber House wird dich<br />

gleich davon befreien.“ Aus glasigen Augen starrte Sawyer Kate vollkommen verständnislos<br />

an. Wieder versuchte er, etwas zu sagen. Kate redete weiter beruhigend auf ihn ein und lang-<br />

sam reagierte er und wurde etwas ruhiger. Nun sagte House: „Okay, jetzt können wir ihn<br />

Extubieren. Dann wird er sich wohler fühlen. Hältst du seinen Kopf ein wenig, Kate?“ Kate<br />

nickte und zwei Minuten später war Sawyer den Intubationsschlauch ebenfalls los. Er musste<br />

heftig würgen und Tränen schossen ihm unkontrolliert in die Augen. Kate gab ihm auf An-<br />

weisung von House ein paar Schluck Wasser. Dann tupfte sie ihm das Gesicht mit einem<br />

feuchten Tuch ab.<br />

„Wo sind meine Eltern?“, krächzte Sawyer, kaum, dass der Tubus heraus gezogen<br />

war. „Eben waren sie doch ... noch hier. Hol sie zurück, bitte.“ Hilflos sah Kate House an. -<br />

Geh drauf ein. - formten dessen Lippen. Mit Tränen in den Augen wandte Kate sich wieder<br />

Sawyer zu. „Sie sind sich ausruhen gegangen, Schatz. Sie kommen später wieder, okay.“ Sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gab ihm noch einmal Wasser, dann versuchte sie ihn direkt anzusprechen. „Wie fühlst du<br />

dich? Kannst du mir sagen, ob du Schmerzen hast?“ Sawyer versuchte, sich anderes hinzu-<br />

legen und zuckte zusammen. „Ah ... Innen fühlt sich alles ... kaputt an ...“ House nickte. „War<br />

klar. Ich werde die Dosis etwas verändern, dann wird er sich besser fühlen.“ Er gab ein paar<br />

Zahlen in den Computer ein, der die Medikamentenpumpe regulierte. Dann schlug er Sawyers<br />

Zudeck beiseite, entfernte vorsichtig den Verband und sah sich die Operationswunde an.<br />

Sawyer bekam das gar nicht wirklich mit. Er wirkte völlig abwesend, wie betrunken. Und ihm<br />

fielen die Augen bereits wieder zu. Kate schluchzte auf. „Er tut mir so leid, House, es zerreißt<br />

mir das Herz, ihn so zu sehen. Warum sollte ich darauf eingehen, mit seinen Eltern?“ Greg<br />

legte einen neuen Verband und sagte wie zu sich selbst: „<strong>Die</strong> Wunde sieht gut aus.“ Dann<br />

wandte er sich an Kate. „Hör zu, Mädchen, er weiß später ohnehin nichts mehr davon, was hat<br />

es also für einen Sinn, ihm zu widersprechen? Du würdest ihn nur noch mehr verwirren und<br />

unnütz aufregen. Er wird von Wachphase zu Wachphase klarer werden, dann wird er auch<br />

wissen, dass seine Eltern nicht hier waren. Rege ihn nicht auf, damit hilfst du ihm am<br />

ehesten.“ Kate nickte. „Okay, das leuchtet mir ein. Wie lange wird es dauern, bis er klar ist?“<br />

House schüttelte sanft den Kopf. „Das weiß ich nicht, Kate, das kann man nie sagen. Er war<br />

ungefähr 12 Stunden narkotisiert, sein Stoffwechsel wird eine Weile brauchen, das zu ver-<br />

arbeiten. Lass ihn schlafen, solange er nur kann. <strong>Die</strong> Schmerzmittel, die er bekommt, werden<br />

ihn schlapp machen, daher wird er noch viel schlafen. Wenn er wach ist, gib ihm viel Wasser.<br />

Und sei einfach für ihn da.“<br />

Als Sawyer eine ganze Zeit später erneut wach wurde, wirkte er im ersten Moment<br />

recht klar. Müde sah er Kate an. „Hey, du. Was ... ist passiert? Wo ... wo sind wir hier? Was<br />

ist mit mir?“ „Sawyer. Wie fühlst du dich?“ Kate sah Sawyer besorgt an. Aus glasigen Augen<br />

sah der blonde Mann zu Kate hoch. „Wie durchgekaut und ausgespuckt.“ Er schluckte<br />

trocken. Dann sagte er leise: „Meine Mum ... Sie hat mit mir geschimpft vorhin ... Ich weiß<br />

nicht, warum ... Kate, ich ... ich weiß nicht mehr, warum ... Kannst du sie ... suchen, bitte ...“<br />

Seine Stimme wurde immer leiser und lalliger und schließlich konnte Kate nicht mehr ver-<br />

stehen, was er noch nuschelte. Eine Weile dämmerte er in einer Art halb wachem Zustand vor<br />

sich hin, der Kate Tränen in die Augen trieb. Immer wieder redete er wirres Zeug, von seinen<br />

Eltern, davon, dass jemand ihm eine eins in einer Mathearbeit geklaut hatte ... Kate versuchte<br />

dann, ihn zu beruhigen. Er hatte sicher schlimme Dinge angestellt in der Vergangenheit, aber<br />

deswegen hatte er das alles hier trotzdem nicht verdient. <strong>Die</strong>se Bestien hier waren viel<br />

schlimmer als Sawyer je sein könnte und hatten einfach nicht das Recht, ihm oder irgend-<br />

einem anderen von ihnen das alles anzutun. Kate schüttelte es vor Hass. Sie musste auf die<br />

Toilette und da Sawyer wieder fest zu schlafen schien, löste sie ihre Hand sanft von seiner<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und eilte das hastig zum Klo. Als sie wieder kam, war Sawyer gerade wieder am Aufwachen.<br />

„Kate ... Kate.“ Sie lief die letzten paar Schritte und war bei ihm. <strong>Die</strong> junge Frau beugte sich<br />

über Sawyer und streichelte ihm sanft über das Haar, nahm seine Rechte und flüsterte zärt-<br />

lich: „Ich bin hier, Schatz.“ Sie sah ihm in die Augen und stellte fest, dass diese ziemlich klar<br />

wirkten.<br />

Es geht bergauf<br />

Geduld und Liebe überwindet alles.<br />

Theodor Storm<br />

„Freckles. Was ist passiert? Das Letzte, an das ich <strong>mich</strong> erinnere, ist ... wie wir über<br />

der verdammten Schlucht hingen ... Bin ich abgestürzt?“ <strong>Die</strong> junge Frau schüttelte den Kopf.<br />

„Nein, aber die Leiter ist abgebrochen an einer Seite und ihr wurdet gegen einander und<br />

gegen die Felswand geschleudert.“ Sawyer hörte zu und versuchte, sich zu konzentrieren.<br />

„Was ist mit den <strong>Anderen</strong>?“, fragte er müde. „Sie sind alle hier, Schatz.“ Sawyer schaute kurz<br />

zur Decke, als hoffe er, dort Erklärungen zu finden, dann fragte er erschöpft: „Was ist mit<br />

mir? Warum fühle ich <strong>mich</strong> so schrecklich müde und ... Warum bin ich so ... müde?“ In<br />

kurzen Worten erklärte Kate, was los war. Sawyer hörte zu, versuchte, zu begreifen, was Kate<br />

erzählte, dann sagte er bestimmt: „Er soll ... House soll die Schmerzmittel reduzieren.“ Kate<br />

erschrak. „Bitte, Schatz, lass es so, du wirst ziemliche Schmerzen haben ... Bitte.“ Sawyer<br />

schüttelte müde den Kopf. „Nein, Kate, lass gut sein .... Mit Schmerzen kann ich ... umgehen,<br />

aber nicht mit dieser Tranigkeit. Ich will ... ich will klar im Kopf sein. Ich muss hier einfach<br />

klar sein ...“ Wieder fielen ihm fast die Augen zu und er lallte verzweifelt: „Bitte, Freckles ...“<br />

Kate biss sich auf die Lippe. „Natürlich, Baby ...“ Sie sah sich um und entdeckte House,<br />

winkte ihn zu sich. „Hör zu, er möchte, dass du die Medis reduzierst. Er möchte endlich wach<br />

werden.“ House sah Sawyer an, der bereits wieder weg gedöst war und nickte. „Okay, wenn<br />

er das möchte ... Kann ich sogar verstehen.“ Er veränderte erneut etwas an der Medika-<br />

mentenzusammensetzung, dann erklärte er: „Wenn das zu wenig ist und seine Schmerzen zu<br />

stark werden, sag sofort Bescheid, es muss nicht sein, dass er unnütz leidet.“ Kate nickte.<br />

„Worauf du dich verlassen kannst.“, sagte sie bestimmt. „Wie geht es Booth und Jake?“<br />

House lächelte beruhigend. „Soweit gut. Booth hat eine üble Gehirnerschütterung, genau wie<br />

Jake. Sie kotzen um die Wette.“<br />

230


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

In den nächsten Stunden wurde Sawyer zusehends klarer, die Verwirrtheit durch die<br />

Narkose ließ unter der reduzierten Menge Analgetika deutlich nach. Kate sorgte konsequent<br />

dafür, dass er viel trank und so die Giftstoffe der Narkosemittel aus seinem Organismus<br />

spülte. <strong>Die</strong> Herabsetzung der Schmerzmitteldosis brachte natürlich mit sich, dass, je klarer<br />

Sawyer wurde, seine Schmerzen immer mehr zunahmen. Er lag im Bett, hielt sich verbissen<br />

die linke Seite und brauchte alle Beherrschung, um nicht bei jedem Luftholen leise zu<br />

Stöhnen vor Schmerzen. House beobachtete das eine Weile, dann ging er hinüber zu Sawyer<br />

und Kate. Er redete eine Weile auf Sawyer ein. Schließlich vereinbarte er mit ihm, dass dieser<br />

sich mittels einer PCA Pumpe 18 exakt eingestellte Dosen des Analgetikums Piritramid selbst<br />

injizieren konnte. So hatte er es in der Hand, wie lange er sich mit den postoperativen<br />

Schmerzen herum quälen wollte. Zuerst hatte Sawyer empört abgelehnt, als House ihm erklärt<br />

hatte, dass Piritramid ein opioides Schmerzmittel war. Aber nachdem sowohl House als auch<br />

Allison und Dana ihm versichert hatten, dass er bei ordnungsgemäßer und vor allem nur zeit-<br />

begrenzter Anwendung des Mittels nicht Gefahr lief, abhängig zu werden, hatte er schließlich<br />

zugestimmt. Trotzdem zögerte er eine Injektion so lange hinaus, bis Kate, die neben ihm auf<br />

dem Stuhl hockte, schließlich verzweifelt der Kragen platzte. „Verdammt noch mal, Schatz,<br />

sei doch nicht so unerträglich stur. Du wirst hier nicht zum Superhelden, wenn du dich mög-<br />

lichst lange herum quälst, kapiert? Wenn du dir jetzt nicht sofort das Schmerzmittel verab-<br />

reichst, mache ich es, und zwar so, dass du drei Tage durchschläfst, hast du das begriffen?“<br />

Trotz der inzwischen wirklich heftigen Schmerzen musste Sawyer unwillkürlich<br />

schmunzeln, als Kate so wütend auf ihn einredete. Allerdings war es nur ein sehr kurzes<br />

Schmunzeln, dann kniff er wieder die Lippen zu dünnen Strichen zusammen und stöhnte leise<br />

auf. Er hatte das Gefühl, innerlich immer noch zerschnitten zu werden. Und um eine<br />

Eskalation und eine erneute Narkotisierung zu vermeiden, drückte er schließlich resigniert<br />

den Auslöser für die Pumpe. Zehn Minuten später schon lag er entspannt und fast schmerzfrei<br />

in seinem Bett und seufzte erleichtert. „Ist schon besser so ...“ Kate schüttelte genervt den<br />

Kopf und gab ihm vorsichtig einen zärtlichen Kuss. „Du bist ein solcher Sturkopf. Hast du<br />

eigentlich eine Vorstellung davon, wie es für <strong>mich</strong> ist, wenn ich dich so Leiden sehe?“<br />

Ärgerlich fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht, um Tränen fort zu wischen. „Es tut mir<br />

leid.“ flüsterte Sawyer ziemlich erschöpft. „Es ist wirklich schon schlimm genug, dich hier so<br />

18 <strong>Die</strong> PCA Pumpe (patient-controlled analgesia) in Form der tragbaren Infusionspumpe gibt dem Schmerzpatienten die<br />

Möglichkeit, selbst auf seine Schmerztherapie einzuwirken. Er kann sich nach seinem subjektiven Empfinden, zusätzlich zu der<br />

vom Arzt programmierten kontinuierlichen Schmerzmittelgabe, per Knopfdruck eine Dosis selbst verabreichen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

... so liegen zu sehen. Wenn du dann noch freiwillig solche Schmerzen ... Das ertrage ich ein-<br />

fach nicht, verstehst du das nicht?“ Kate liefen immer mehr Tränen über die blassen Wangen.<br />

Noch einmal flüsterte Sawyer erschüttert: „Kate, es tut mir leid ... Ich ... bin ein Idiot.“<br />

Schluchzend stimmte die junge Frau ihm zu und Sawyer zog sie sehr vorsichtig zu sich<br />

herunter, hielt sie im Arm. Und in dieser Haltung schliefen schließlich beide ein, Kate vor<br />

purer Erschöpfung, Sawyer erneut durch das Schmerzmittel leicht sediert.<br />

*****<br />

Booth und Tempe waren irgendwann zurück in ihr Zimmer gebracht worden. Booth<br />

fühlte sich sehr viel besser, nachdem er die Nacht ruhig durch geschlafen hatte. Er hatte sich<br />

bei Jake und Mulder verabschiedet, Sawyer war nicht wach gewesen, und war mit Unter-<br />

stützung Allisons in den Raum zurück gebracht worden, den er zusammen mit Bones jetzt<br />

quasi bewohnte. Erleichtert sank er ins Bett und hörte sich die Instruktionen an, die Allison<br />

Tempe gab. „Achte darauf, dass er sich schont, behalte die Wunde im Auge, und wenn sie<br />

euch in Ruhe lassen, wäre es vernünftig, wenn er noch ein, zwei Tage liegen bliebe.“ Bones<br />

nickte. „Ich werde streng sein und aufpassen.“ Sie sah Cameron an und sagte dann: „Allison,<br />

ich bin nicht besonders gut, was die soziale Interaktion mit lebenden Menschen angeht. Ich<br />

versuche, <strong>mich</strong> den soziokulturellen Normen anzupassen, aber es fällt mir noch ziemlich<br />

schwer. Du bist ein Mensch, den ich nicht einordnen kann. Du bist zu jedermann freundlich<br />

und hilfsbereit. Du hast den Beruf ergriffen, um Menschen zu helfen, das habe ich auch. Aber<br />

du bist ganz anders als ich. Ich kann nur gut mit der Materie umgehen, nicht mit wirklichen,<br />

lebenden, fühlenden, denkenden Menschen. Ich kann deine Empfindungen oft nicht nachvoll-<br />

ziehen, aber ich bewundere dich für das, was du bist und ich kann dir gar nicht sagen, wie<br />

dankbar ich dir und House bin für das, was ihr schon wiederholt für Booth getan habt. “<br />

Bones verstummte und sah Allison abwartend an. <strong>Die</strong>se hatte Bones ruhig zugehört. Jetzt<br />

sagte sie: „Ich wünschte, ich hätte manchmal mehr deinen Abstand zu den Dingen. Das alles<br />

hier ... Das ständige Leid und die Angst und der Schmerz, der hier allgegenwärtig ist, sollte<br />

uns alle zusammen schweißen. Was den vier Männern da wieder passiert ist, hätte sie alle das<br />

Leben kosten können. Pass gut auf ihn auf.“ Abrupt drehte die junge Ärztin sich herum und<br />

verließ fluchtartig das Zimmer.<br />

*****<br />

Jake hatte das Gefühl, sein Kopf müsse jeden Moment zerspringen. Scheinbar hatte<br />

House vergessen, den Bohrer zu entfernen und dieser fraß sich in sein Hirn. Jake konnte ein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Aufstöhnen nicht mehr unterdrücken. Er lag mit geschlossenen Augen da, wenn er sie öffnete,<br />

schossen zusätzliche Schmerzen durch seinem ohnehin überstrapazierten Schädel. Heather<br />

bekam die Qualen sehr deutlich mit und rief ungeduldig nach House und Allison. „Könnt ihr<br />

bitte mal her kommen und etwas für ihn tun? Er hat so schlimme Schmerzen.“ House warf<br />

Allison einen auffordernden Blick zu und diese nickte. Sie eilte zu Jake und Heather hinüber,<br />

nahm sanft Jakes Hand und fragte: „Jake? Hast du nur Schmerzen, oder ist noch etwas<br />

anderes? Ist dir schwindelig? Oder hast du Sehstörungen? Merkst du irgendetwas anderes,<br />

was dir komisch vorkommt? Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, andere Ko-<br />

ordinationsprobleme?“ Jake hatte vorsichtig die Augen geöffnet, als er Camerons Stimme<br />

hörte. Jetzt flüsterte er müde: „Nein, es ist nichts, wirklich, nur ultimative Kopfschmerzen.<br />

Kannst du bitte die Dosis erhöhen?“ Allison zog die kleine Augenlampe aus der Kitteltasche,<br />

dann beugte sie sich über Jake und kontrollierte seine Pupillenreflexe, keine Rücksicht darauf<br />

nehmend, dass dies in seinem Kopf für weitere Explosionen sorgte. Erleichtert registrierte die<br />

junge Ärztin, dass Jakes Pupillen völlig normal reagierten und nickte zufrieden. „Es sieht<br />

alles soweit gut aus, ich kann die Dosis etwas erhöhen, das wird keine negativen Aus-<br />

wirkungen haben und du bist die Schmerzen los.“<br />

Sie änderte an der Einstellung der Medikamentenzusammensetzung bei Jake etwas,<br />

dann nickte sie beruhigend. „Wird gleich besser werden. Sollte sich irgendetwas an deinem<br />

Allgemeinbefinden verschlechtern, sag bitte unbedingt sofort Bescheid, verstanden? Nicht aus<br />

falschem Stolz nichts sagen, versprich mir das.“ Jake hatte die Augen bereits wieder ge-<br />

schlossen und seufzte. „Ich verspreche es, wirklich.“ Allison nickte zufrieden. „Gut, ich ver-<br />

lasse <strong>mich</strong> darauf.“ Sie sah Heather ernst an. „Wenn du das Gefühl hast, irgendwas ist<br />

komisch, rufe uns sofort, verstehst du. Ich erwarte nicht ernsthaft, dass Komplikationen auf-<br />

treten, aber ... Wir sollten einfach vorsichtig sein.“ <strong>Die</strong> junge Frau nickte verstehend. „Ich<br />

werde jede Veränderung, die mir eigenartig vorkommt, sofort melden, das schwöre ich ...“ Sie<br />

warf einen Blick zu Mulder und Sawyer hinüber und fragte leise: „Wie geht es den beiden?“<br />

Allison lächelte beruhigend. „Sie werden sich auch erholen, bei Mulder wird es ein wenig<br />

dauern, bis die Rippen verheilt sind und Sawyer ... Nun, er wird sein Leben ein wenig ändern<br />

müssen ohne Milz, aber er wird schnell wieder vollkommen fit sein. Das Schlimmste hat er<br />

hinter sich.“ Leise meinte Jake, der ebenfalls zugehört hatte: „Das hätte wieder mal auch<br />

anders enden können ...“ Ernst erklärte Allison: „Ja, ihr hättet alle vier tot sein können. Es ist<br />

nur Locke zu verdanken, dass ihr noch am Leben seid. So, du solltest versuchen, zu schlafen.<br />

Schonen ist die beste Medizin, glaube mir.“<br />

*****<br />

233


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zwei Tage später lag Mulder in ihrem Zimmer im Bett und stöhnte genervt. „Ich hasse<br />

gebrochene Rippen, verdammt.“ Er hatte versucht, sich schwungvoll aufzusetzen, um ins Bad<br />

zu gehen und eine heiße Schmerzwelle war durch seinen Körper geschossen. Dana, die gerade<br />

mit einem Glas Cola zur Schlafzimmertür herein kam, lachte mitleidig. „Das tut mir so leid,<br />

Mulder, aber du wirst noch eine ganze Weile davon gut haben. Rippenbrüche sind einfach<br />

sehr unschön. Komm, ich helfe dir und wenn es nicht anders geht, musst du eben Fentanyl<br />

bekommen.“ Sie half Mulder, sich aufzusetzen und sah ihm nach, wie er, sich die Seite<br />

haltend, langsam ins Bad ging. Minuten später lag er seufzend vor Erleichterung wieder auf<br />

dem Bett. Am Morgen dieses Tages hatte man sie ins Zimmer zurück gebracht. Jake und<br />

Heather waren ebenfalls auf ihr Zimmer gebracht worden und so waren Sawyer und Kate auf<br />

der Intensivstation nun alleine. „Was meinst du, Scully, wie lange sie Sawyer noch auf der<br />

Station behalten werden?“ Dana sah von dem Buch, in dem sie las, auf. „Das hängt stark<br />

davon ab, wie der Heilungsprozess weiter geht. Bisher hat er sich recht gut erholt. Erstaunlich<br />

gut eigentlich. Er ist ein wenig wie du, er regeneriert auch rasant schnell ...“ Dana dachte<br />

darüber nach, wie es bei Mulder war. Es ging ihm zumeist ein paar Tage richtig schlecht,<br />

dann aber setzte die Erholung mit nahezu unglaublicher Geschwindigkeit ein. Wenn sie so<br />

darüber nach dachte, welche der Männer hier schon verletzt, schwer verletzt worden waren,<br />

und wie die Heilung abgelaufen war, kam sie zu einem erstaunlichen Ergebnis.<br />

„Mulder?“ Der Partner sah erstaunt auf. Danas Stimme klang gespannt. „Ja?“<br />

„Mulder. <strong>Über</strong>lege bitte mal, wer von euch hier schon welche Verletzungen hatte und dann<br />

denke daran, wie die Heilung verlief.“ Mulder sah Dana überlegend an. Man konnte sehen,<br />

wie es in seinem Kopf arbeitete. Dann sagte er langsam: „Wenn du die Tatsache meinst, dass<br />

es allen Betroffenen ... Es ging allen Betroffenen erst ein paar Tage richtig schlecht, dann aber<br />

...“ Dana nickte und erklärte elektrisiert: „Dann aber ... Ja, genau. Dann aber ging die Heilung<br />

erstaunlich schnell und alle waren in kürzester Zeit wieder voll einsatzfähig. Nach dem<br />

Steineklopfen zum Beispiel. <strong>Die</strong> Wunden, die wir alle hatten, hätten theoretisch Wochen be-<br />

nötigt, um wirklich vernünftig zu verheilen. Einige von uns waren aufgescheuert bis auf die<br />

Knochen. Oder Booth nach der Sache mit der Brücke, Jake nach dem Muränenbiss, Locke<br />

nach der schweren Verletzung am Fuß, und Ziva, das ging alles nach den ersten, schweren<br />

Tagen in rasanter Geschwindigkeit.“ Jetzt war auch Mulder wie aufgezogen. Er setzte sich<br />

auf, was er selbst mit einem wütenden Schimpfen kommentierte und überlegte. „Auch Kate<br />

und Heather, sowie Gil haben sich nach den Verletzungen schnell erholt. Dana, du hast Recht.<br />

Ich habe das noch nie aus dieser Sicht gesehen. <strong>Über</strong>lege auch bei dir einmal gründlich. Wenn<br />

du Verletzungen hattest, warst du immer extrem schnell wieder auf den Beinen. Gott, ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werde verrückt. Ich möchte mit den <strong>Anderen</strong> darüber reden. Vielleicht haben wir soeben<br />

einen winzigen, roten Faden gefunden, der einige von uns hier verbindet.“<br />

*****<br />

Sawyer und Kate waren dankbar, dass sie weiter zusammen bleiben durften. Der junge<br />

Mann benutzte inzwischen widerstandslos die Injektionspumpe und brauchte immer weniger<br />

des Schmerzmittels, um die postoperativen Schmerzen auszuhalten. House und Allison waren<br />

ebenfalls wieder auf ihr Zimmer gebracht worden, und so waren Kate und Sawyer die meiste<br />

Zeit alleine. Schließlich entschied einer der Ärzte, die nach Sawyer schauten, dass er bereit<br />

war, ebenfalls auf das Zimmer zurück zu kehren. Zwei Pfleger halfen ihm auf eine schmale<br />

Rollbahre und dann schafften sie ihn vorsichtig, Kate an seiner Seite, zurück in den Raum,<br />

den Kate und er zur Verfügung gestellt bekommen hatten. „Nummer 4 oder 10 werden deine<br />

weitere Betreuung übernehmen. Schmerzmittel bekommst du nicht mehr.“ Sprachs, und ver-<br />

ließ den Raum. „Danke, du Arschloch.“, knurrte Sawyer leise hinterher und versuchte, sich<br />

bequem hinzulegen. Kate hatte ähnliches gedacht, überließ das Fluchen aber lieber Sawyer.<br />

Sie schmunzelte und half dem jungen Mann, sich bequem hinzulegen. „Wie fühlst du dich?<br />

Ist alles in Ordnung?“ Sawyer nickte. „Ja, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Ich bin<br />

froh, dass wir wieder hier sind, auf dieser Krankenstation war es grässlich. Ich hasse<br />

Krankenhäuser.“ Kate rutschte zu ihm auf das Bett und kuschelte sich sehr vorsichtig an seine<br />

rechte Seite. „Ich hasse noch mehr, wenn du ständig in Krankenhausbetten herum liegst, mein<br />

Schatz.“<br />

Irgendwann tauchte House auf und sagte grinsend: „Na, da ist unser trauter Kreis ja<br />

wieder vollständig. Wie fühlst du dich? Lass <strong>mich</strong> mal die OP Narbe anschauen.“ Sawyer<br />

verdrehte die Augen. „Man, so oft, wie du in den letzten Monaten an mir rum geflickt hast,<br />

wurde ich in zwanzig Jahren nicht ärztlich behandelt. Bleibst du mein Housearzt wenn Kate<br />

und ich nach Princeton ziehen? Du kennst <strong>mich</strong> innen und außen besser als jeder andere Doc,<br />

Doc.“ House grinste breit. „Vergiss es. Hab ich nie erwähnt, dass ich Patienten hasse?“ Er<br />

beugte sich über Sawyers Körper und entfernte vorsichtig und mit erstaunlich sanften Fingern<br />

den Verband. Kurz weiteten sich seine Augen, dann erklärte er: „Du hast erstaunlich gute<br />

Heilhaut. Ich habe die Wunde zwei Schlafphasen lang nicht gesehen, und sie ist sehr gut ver-<br />

heilt.“ Er tastete Sawyers linke Seite gründlich ab und nahm auch keine Rücksicht darauf,<br />

dass dieser ab und zu zusammen zuckte und auf keuchte. „Ah ... sag mal, geht’s noch?“ Kate<br />

hielt seine Hand und lächelte aufmunternd. House sah Sawyer an. „Weißt du was? Eigentlich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

müsstest du mir eine aufs Maul hauen vor Schmerzen. Nicht nur deine Haut scheint gut zu<br />

heilen. Ein paar Tage noch Bettruhe, dann bist du wieder fit und ... Vergiss es.“ Er schluckte<br />

herunter, was er noch hatte sagen wollen. Er warf Kate einen beruhigenden Blick zu und<br />

sagte: „Mach ein anderes Gesicht, Mädchen, der Kerl hier bleibt dir noch erhalten.“<br />

*****<br />

House durfte nach dem Besuch bei Sawyer und Kate gleich weiter machen, er wurde<br />

nun zu Booth und Bones geführt. Booth war an diesem Tag erstmals wieder zum Unterricht<br />

erschienen und hatte die Auflage bekommen, ab dem kommendem Tag wieder an den<br />

Schießübungen teilzunehmen. House begrüßte die beiden und erklärte: „Na, was mach die<br />

Birne? Lass <strong>mich</strong> mal sehen und halt schon mal 100 Dollar bereit, soviel bekomme ich näm-<br />

lich eigentlich für einen Hausbesuch.“ Booth lachte. „Klar man, kein Problem. Geht ein<br />

Schuldschein?“ Er setzte sich auf einen der Stühle am Tisch und House sah sich die Wunde<br />

gründlich an. Es war kaum noch etwas zu sehen. Er tastete auch hier die Wunde gründlich ab,<br />

aber Booth zeigte kaum noch Unbehagen. „Sieht gut aus, Hoover, du bist gesundgeschrieben.<br />

Halt deinen Kopf bloß in nächster Zeit aus Ärger raus, mir reicht es mit Arbeit.“ Bevor House<br />

den Raum humpelnd verlassen konnte, fragte Bones hastig: „Was machen Sawyer, Mulder<br />

und Jake?“ Ebenso hastig antwortete House „Sawyer geht es ganz gut, bei den anderen war<br />

ich noch nicht ...“ „Setz deinen Arsch in Bewegung, das ist hier keine Konferenz.“, wurde er<br />

von dem Wachposten, der die ganze Zeit bei ihm blieb, angeherrscht und House beeilte sich,<br />

diesem nach draußen zu folgen.<br />

Er wurde nun als nächstes zu Jake und Heather gebracht. Jake lag auf dem Bett und<br />

büffelte mit Heather Spanisch. Spanisch und Französisch Unterricht waren zu ihrem schon<br />

bestehenden Tagespensum für alle die dazu gekommen, die die Sprachen nicht beherrschten.<br />

Seit einigen Tagen bereits rauchte den Gefangenen bei dem Sprachunterricht der Kopf.<br />

Während der Verletzungspause hatte auch der Unterricht geruht, nun aber waren scheinbar<br />

alle gesund genug, um weiter zu Lernen. Spanisch war in Amerika an fast allen Schulen<br />

Standard, sodass nur Locke, Allison und Heather zum Beispiel überhaupt kein Spanisch<br />

sprachen. Ziva, Bones, Jake, Gibbs und House selbst sprachen die Sprache fließend, Sawyer,<br />

Mulder und Dana hatten sehr gute Grundkenntnisse. Mit Französisch sah es schon anders aus.<br />

Nur Ziva war von dem Unterricht ganz befreit, Heather und Allison hatten geringe Schul-<br />

kenntnisse, Abby, aufgewachsen in New Orleans sprach sehr gut Französisch und Dana hatte<br />

als einzige ziemlich gute Grundkenntnisse. Alle anderen hatten von der Sprache keine<br />

Ahnung. Gerade fragte House, der zu Jake geschickt worden war: „Tengo que decirte algo, y<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es que ...“ „Moment, ich weiß: Ich muss dich etwas fragen und zwar ...“ Heather schüttelte<br />

den Kopf und House knurrte: „Du musst nicht fragen, sondern sagen: Ich muss dir etwas<br />

sagen und zwar ... möchte ich mir deine Verletzung ansehen.“ Jake fluchte. „Das kann nicht<br />

wahr sein, immer wieder verwechsle ich das. Hallo, House. Meinen Kopf? Da ist nicht viel<br />

drinnen, wie man sieht.“ Heather schmunzelte. „Da ist schon eine ganze Menge drinnen, du<br />

hast gar nicht so viele Schwierigkeiten wie du denkst, Jake, dein Spanisch ist ziemlich gut.“<br />

House war an Jake heran getreten und dieser setzte sich so, dass der Arzt sich seine Wunde<br />

genau anschauen konnte. Auch hier hatte er keine Beanstandungen und erklärte: „Wenn du<br />

vorsichtig bist, kannst du ab morgen wieder zum Schießtraining. Booth darf auch wieder, nur<br />

Sawyer noch nicht.“ Ohne, dass der Wachmann etwas zu Bemängeln hatte, war es House so<br />

gelungen, Infos über die <strong>Anderen</strong> weiter zu geben und Jake und Heather nickten dankbar.<br />

House nickte den Beiden noch einmal zu, und humpelte zur Tür. „Sobald ich gegessen habe,<br />

werden wir spazieren gehen.“ Im hinausgehen lauschte House auf die Antwort, die diesmal<br />

Heather zu geben hatte: „En cuanto coma, nos vamos a pasear.“ „Sehr gut.“<br />

Mulder lag auf dem Bett, Dana saß im Schneidersitz bei ihm und hier wurde krampf-<br />

haft Französisch gepaukt. Als die Beiden House hereinkommen sahen, stöhnte Mulder und<br />

meinte: „Was heißt: Je voudrais bien aller au cinéma avec toi? Scully quält <strong>mich</strong> damit schon<br />

fünf Minuten.“ House verdrehte die Augen und humpelte zum Bett hinüber. „Je voudrais ...<br />

Könnt ihr nicht Spanisch machen, das kann ich. Irgendwas mit Kino ... Wo ist das nächste<br />

Kino?“ Scully lachte. „Ich möchte gerne mit dir ins Kino gehen.“, erklärte sie dann. Mulder<br />

grinste wie ein Schuljunge. „Gibt’s einen Porno?“ Er musste Lachen, bereute das aber sofort<br />

und krampfte sich, die Hand über die gebrochenen Rippen legend, zusammen. House wartete,<br />

bis der Agent sich wieder gefangen hatte, dann bat er: „Leg dich mal ganz entspannt hin, dann<br />

kann ich den Verband aufschneiden und mir deine Seite anschauen, okay. Scully kann dir<br />

anschließend einen neuen Verband anlegen, ich habe haftende, elastische Binde dabei. In<br />

Verbänden war ich nie gut.“ Mulder machte sich vorsichtig lang, House zog eine Schere aus<br />

der Tasche, die er bei sich hatte und schnitt vorsichtig den strammen Verband um Mulders<br />

Brust auf. Darunter kam ein großer, in allen Farben schimmernder Bluterguss zum Vorschein<br />

und House nickte anerkennend. Scully grinste. „Cela a l'air très multicolore.“ House und<br />

Mulder sahen die Agentin an und verdrehten die Augen. „Irgendwas ist bunt ...“, grübelte<br />

Mulder und House erwiderte „Genau: Das sieht sehr bunt aus, richtig?“ Dana nickte zu-<br />

frieden. House tastete vorsichtig, aber gründlich die Seite ab und Mulder brach der Schweiß<br />

aus. Er klammerte sich an Scullys Hand und ächzte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House aber war zufrieden. Er überlegte kurz, dann sagte er: „Tout en ordre, aucune<br />

raison à la hâte.“ Scully verschluckte sich vor Lachen. „Nein, bestimmt kein Grund zur Eile.<br />

Du meinst: Tout en ordre, aucune raison au souci. Alles in Ordnung, kein Grund zur Sorge.“<br />

House warf der Agentin einen giftigen Blick zu. „Harhar. Usted tiene cosa principal<br />

divertida 19 .“ Scully wurde rot. „Das ist gemein ...“ Mulder, der Spanisch ziemlich gut ver-<br />

stand, grinste schon wieder. „Das stimmt, allerdings. Danke, House.“ „Du solltest versuchen,<br />

nicht nur auf dem Bett zu liegen, okay, es wird dir gut tun, wenn du dich vorsichtig bewegst.<br />

Bei gebrochenen Rippen ist das Problem, dass die Betroffenen vor Schmerzen falsch atmen.<br />

Scully wird das noch in Erinnerung haben. Mach mehrmals am Tag mit ihm Atemübungen,<br />

lege die Hände auf seine Seite und übe sanften Druck aus, lass ihn ganz tief einatmen,<br />

mindestens vier Mal zehn Minuten lang, versuch die Zeit zu schätzen.“ Dana hatte zu gehört<br />

und nickte jetzt. „Werde ich machen.“ House erhob sich und erklärte dann: „Leg ihm wieder<br />

einen schönen, festen Verband an, hier hast du Binde. Und er darf noch nicht wieder zum<br />

Schießen, der Ruck wäre Gift. Aber wie Jake und Booth kann er wieder am Unterricht teil-<br />

nehmen, wenn er sich vorsichtig bewegt und zwischendurch aufstehen darf, wenn er nicht<br />

mehr sitzen kann.“ Wie schon bei Jake und Heather hatte House auf diese Weise auch<br />

Mulder und Scully über das Befinden der anderen aufgeklärt. Er nickte den beiden Agenten<br />

noch einmal zu, dann verschwand er aus dem Raum.<br />

Peinliche Fragen<br />

Man hört nur die Fragen auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden<br />

Friedrich Nietzsche<br />

House war nach den Visiten in den Raum zurück gebracht worden, den er mit Allison<br />

bewohnte. <strong>Die</strong> junge Ärztin wartete gespannt auf einen Bericht ihres Chefs, wie es den<br />

Männern ging. Sie beherrschte sich mühsam, bis sich die Tür hinter House geschlossen hatte,<br />

dann aber eilte sie zu ihm und zog ihn zum Sofa. Schwer ließ der Arzt sich in das Polster<br />

sinken und rieb verbissen sein Bein. „Wie geht es Sawyer, Mulder und Jake? Sag schon.“<br />

House grinste. „Danke, mir geht es gut, auch, wenn ich wieder kilometerweit ohne meinen<br />

Stock herum humpeln musste.“ Allison schüttelte den Kopf. „Erstens sind das keine Kilo-<br />

19 Sinngemäß: Du hast auch nicht viel zu lachen.<br />

238


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

meter und zweitens warst du nicht verletzt. Und nun sag schon, wie geht es den Jungs?“<br />

House erklärte streng: „Erst will ich einen Kuss und was zu Trinken.“ Allison verdrehte die<br />

Augen, dann aber stand sie auf und eilte an den Kühlschrank. „Wasser oder Cola?“ „Scotch<br />

...“ „Also Wasser.“ Allison griff sich eine Flasche Perrier und trug diese zu House hinüber.<br />

Dann gab sie ihm einen zärtlichen Kuss. „Und wenn du jetzt nicht erzählst, kannst du heute<br />

Nacht im Bad schlafen.“ „Na, bei einer solch kuriosen Drohung muss ich wohl wirklich<br />

erzählen, was?“ Allison nickte überzeugt. „Booth und Jake geht es sehr gut, die sind ab<br />

morgen wieder diensttauglich. Mulder habe ich gesagt, er soll sich vorsichtig bewegen, er<br />

atmet zu flach, Dana muss unbedingt darauf achten, sonst fängt unser Spooky sich noch eine<br />

Pneumonie. Und Sawyer ...“ House verstummte und starrte vor sich hin. Allison hätte ihn<br />

schütteln mögen. Gerade Sawyer lag der jungen Frau besonders am Herzen.<br />

„Was ist mit Sawyer, Himmel noch mal. Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase<br />

ziehen.“ „Allison, ist dir bei den Verletzten hier mal etwas aufgefallen, ich meine, wir haben<br />

ja schon genug von ihnen wieder zusammen geflickt.“ Allison ließ sich vorsichtig auf Gregs<br />

Schoss gleiten und sagte dann konsterniert: „Aufgefallen abgesehen davon, dass viel zu viele<br />

von ihnen schon viel zu oft von uns geflickt werden mussten?“ „Ja, abgesehen davon, du<br />

Klugscheißer. <strong>Über</strong>lasse das mal mir, das kann ich besser.“ Cameron wurde ernst. „Ich weiß<br />

wirklich nicht, worauf du hinaus willst.“ „Denke einmal an die jeweiligen Verletzungen und<br />

daran, wie lange es jeweils dauerte, bis die Jungs wieder fit waren.“ Allison versuchte, sich<br />

zurück zu erinnern. „Richtig hart war es bei uns allen nach der Schufterei mit den Steinen. Da<br />

waren wir alle betroffen und ...“ Allison überlegte. Sie selbst hatte immer sehr gute Heilhaut<br />

gehabt, schon ihre Mutter hatte immer zu ihr gesagt - Kind, du heilst schneller, als du dir<br />

Schrammen holst. - Daher hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, dass der Heilungs-<br />

prozess bei ihr schnell verlaufen war und ... Allison stutzte. Sie waren alle ein paar Tage wirk-<br />

lich krank gewesen und bei allen hatte dann die Genesung schnell und zügig eingesetzt, nicht<br />

nur bei ihr. House sah der jungen Ärztin an, dass sie auf dem richtigen Wege war. Fieberhaft<br />

überlegte die Immunologin jetzt weiter. „Jake und Sawyer, Booth, Locke, Ziva, Mulder, Kate,<br />

Heather, Gil ... Ich glaube, das waren alle, oder? Sie alle waren ein paar Tage lang richtig<br />

krank, und dann ...“ Sie verstummte und sah House an. „Und dann?“ „Setzte die Heilung<br />

blitzschnell ein, deutlich schneller als eigentlich normal ...“<br />

*****<br />

Am Abend kamen die Wachen und brachten den Gefangenen Essen. Es gab Filet-<br />

steaks mit Bratkartoffeln und Bohnen im Speckmantel, Obstsalat und für alle Paare eine<br />

239


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Flasche Rotwein. Gar keinen ganz schlechten, wie House feststellte. Nach dem Essen kam<br />

dann eine kleine <strong>Über</strong>raschung. Alle Gefangenen, auch Mulder und Sawyer, wurden auf-<br />

gefordert, sich in einem der Unterrichtsräume zu versammeln. Schweiß gebadet erreichten<br />

auch die beiden Männer mit Hilfe Kates und Danas schließlich den Raum und sanken er-<br />

schöpft und schwer atmend, sich keuchend die Seiten haltend, auf die Stühle nieder. Ein paar<br />

Minuten brauchten beide, um sich zu erholen. Dann kam ein älterer Mann zur Tür herein und<br />

sah in die Runde. „Nein, wie nett, da haben wir alle Probanden wieder zusammen. Nun, was<br />

soll ich lange um den heißen Brei reden. Leider sind einige von euch derzeit nicht in der er-<br />

wünschten Verfassung, was, das muss ich klar zugeben, nicht eure, sondern unsere Schuld ist<br />

und so nicht vorgesehen war. Aber wir möchten nicht, dass ihr Däumchen dreht, daher haben<br />

wir eine unbedeutende Planänderung vorgenommen. Auch unsere bettlägerigen Freunde sind<br />

sicher im Stande, ihr Hirn einzusetzen. Wir haben einen kleinen Fragenkatalog für euch er-<br />

arbeitet. Einige Fragen werden euch vielleicht in ähnlicher Form schon von dem Gesundheits-<br />

fragebogen bekannt vorkommen. Das soll euch egal sein. Ihr werdet die Fragen beantworten<br />

und in den nächsten Tagen werden wir uns nett über eure Antworten unterhalten. Und um<br />

euch schon einmal einzustimmen, wird 6 so nett sein, und die Fragen kurz verlesen. Nur die<br />

Fragen, bitte sehr.“ Er drückte Bones drei Zettel in die Hand. Bones starrte diese an und<br />

schluckte. Dann las sie laut vor.<br />

„Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden:<br />

Zähle alle Unfälle auf, die du hattest:<br />

Nenne alle Krankheiten, die du hattest:<br />

Nenne deine fünf hauptsächlichen Ängste:<br />

Nenne in deiner Ausbildung erworbene Fertigkeiten, Stärken und Schwächen:<br />

Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt:<br />

Gewinnst du leicht Freunde:<br />

Sind deine Freundschaften von Dauer:<br />

Informationen über dein Sexualleben<br />

Einstellung deiner Eltern Sexualität gegenüber:<br />

Wann und wie bist du sexuell aufgeklärt worden:<br />

Hattest du im Zusammenhang mit Sex oder Masturbation jemals irgendwelche Angst<br />

- oder Schuldgefühle: (wenn "ja" bitte näher ausführen).<br />

Gibt es irgendwelche Besonderheiten bezüglich deiner ersten sexuellen Erfahrung:<br />

Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden:<br />

Bist du sexuell in irgendeiner Hinsicht gehemmt:<br />

240


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

In welchem Alter hattest du die erste Periode:<br />

Hast du dabei Schmerzen:<br />

Beeinflusst die Periode deine Stimmung:<br />

Daten über deine Familie<br />

Beziehung zu deinen Geschwistern früher und heute:<br />

Beschreibe die Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber:<br />

Beschreibe die Persönlichkeit deiner Mutter und ihre Einstellung dir gegenüber:<br />

In welcher Form wurdest du von deinen Eltern bestraft, als du noch ein Kind warst:<br />

Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich mit-<br />

einander und mit den Kindern):<br />

Konntest du deinen Eltern vertrauen:<br />

Haben deine Eltern Verständnis für dich gezeigt:<br />

Was haben deine Eltern beruflich gemacht:<br />

Ich bin ein Mensch, der...<br />

Mein ganzes Leben lang...<br />

Von der Zeit an, als ich noch ein Kind war...<br />

Eine Sache auf die ich stolz bin, ist...<br />

Ich gebe ungern zu...<br />

Eine Sache, die ich nicht verzeihen kann, ist...<br />

Eine Sache, bei der ich <strong>mich</strong> schuldig fühle, ist...<br />

Was ich von meiner Mutter benötigte und was sie mir niemals gab, war...<br />

Was ich von meinem Vater benötigte und was er mir niemals gab, war...<br />

Gibt es in deinem gegenwärtigen Verhalten etwas, das du gerne ändern würdest:<br />

Welche Gefühle möchtest du verändern (zum Beispiel intensivieren oder abbauen):<br />

Welche Empfindungen sind besonders angenehm für dich:<br />

Welche Empfindungen sind besonders unangenehm für dich:<br />

Beschreibe eine für dich sehr angenehme Fantasievorstellung:<br />

Beschreibe eine für dich sehr unangenehme Fantasievorstellung:<br />

Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude bringt:<br />

Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt:“<br />

Nachdem Bones verstummt war, herrschte einmal mehr tosende Stille im Raum. Jeder<br />

der Gefangenen war von irgendeiner der vorgelesenen Fragen, die Meisten sogar von erheb-<br />

lich mehr als nur einer, tief erschüttert. Der ältere Mann grinste, dann drückte er Bones einen<br />

241


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Stapel zusammen gehefteter Zettel in die Hand und befahl: „Verteil die an deine Freunde hier<br />

und dann ab zurück in eure Zimmerchen.“ „Ja, Sir.“ Bones erhob sich augenblicklich und<br />

verteilte stumm die Zettel. Dann erhoben sich die Gefangenen ebenso wortlos und machten<br />

sich auf den Rückweg zu ihren Räumen. Dana und Kate mussten die Männer stützen und<br />

beide mussten ertragen, immer wieder gequälte Laute über die Lippen der beiden Männer<br />

kommen zu hören. Kate flüsterte leise und aufmunternd: „Nur noch ein paar Schritte, dann<br />

haben wir es geschafft.“ Eine Minute später hatten sie ihre Zimmertür erreicht, die jetzt auf<br />

sprang und kurz darauf half Kate Sawyer vorsichtig, sich aufs Bett zu legen. Schweißgebadet,<br />

am ganzen Leib zitternd und keuchend lag dieser still. Er brauchte Minuten, um sich zu<br />

fangen. „Scheiße ... Ich würde sonst was für eine Schmerztablette geben ...“ Kate strich ihm<br />

sanft eine verklebte Haarsträhne aus der Stirn. „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“, sagte<br />

sie unglücklich. „Schon okay, Süße. Wird sicher gleich wieder gehen.“, stöhnte Sawyer ge-<br />

presst. Er versuchte, sich zu entspannen und nach einiger Zeit ließen die Wellen heißen<br />

Schmerzes nach und er seufzte erleichtert: „Geht langsam wieder.“<br />

Kate hatte ihn in Ruhe gelassen, damit er sich sammeln konnte. Jetzt deckte sie ihn zu<br />

und fragte: „Willst du etwas trinken?“ „Gerne. Haben wir Scotch im Hause?“ Kate schüttelte<br />

den Kopf. „Für dich sowieso nicht mehr. Hat sich aus gescotcht.“ Sawyer verdrehte frustriert<br />

die Augen. „Na, was für ein herrliches Leben kommt da auf <strong>mich</strong> zu ... Kann’s kaum er-<br />

warten.“ Kate lachte und kam mit einer Flasche Cola ans Bett zurück. Sie schenkte Sawyer<br />

ein Glas voll, half ihm, sich aufzusetzen und stopfte ihm Kissen in den Rücken, sodass er sich<br />

bequem anlehnen konnte. Er trank einen Schluck Cola und verzog angewidert das Gesicht.<br />

„Keine Verdünnung ... Sollte ich sagen, was das bisher Schlimmste war ...“ Kate kicherte.<br />

„Du wirst es überleben, weitestgehend ohne Alkohol alt zu werden ...“ Sie schluckte und<br />

wurde ernst. „Falls wir es überhaupt schaffen, alt zu werden.“ „Hey, Freckles, wir schaffen<br />

das, daran müssen wir einfach glauben, okay. Komm her.“ Er deutete auf seine rechte Seite<br />

und Kate setzte sich vorsichtig zu ihm, kuschelte sich an ihn und legte den Kopf auf Sawyers<br />

Schulter. „<strong>Die</strong> Fragen sind der Hammer, was?“ Sie hatte einen der Fragebogen mit ans Bett<br />

genommen und erst jetzt sahen sie die ersten Fragen, bei denen sie unterstreichen mussten,<br />

was jeweils auf sie zu traf. Sawyer las mit und verzog das Gesicht, als hätte er Zahn-<br />

schmerzen. „Unterstreiche alles, was als Kind auf dich zutraf: Nächtliche Ängste, Ängste,<br />

Daumenlutschen, Bettnässen, Stottern, Fingernägel kauen, glückliche Kindheit, unglückliche<br />

Kindheit. Man, ich glaube es nicht. Ich werde doch nicht vor allen ausdiskutieren, ob ich ins<br />

Bett gepinkelt habe.“ Seine Stimme klang verzweifelt. Kate sah ihn fragend an. „Nach dem<br />

Tod meiner Eltern ...“, flüsterte Sawyer unglücklich.<br />

242


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ein paar Türen weiter debattierten Ziva und Abby hitzig die Fragen. „Haben die einen<br />

Knall? <strong>Die</strong> können doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich über mein erstes Mal mit euch dis-<br />

kutiere.“ Abby war ganz rot im Gesicht vor Aufregung. „Stell dir vor, vor all den Männern,<br />

das ist ja wohl das allerletzte.“ Ziva zog die linke Augenbraue hoch. „Das macht mir kein<br />

Kopfzerbrechen. Aber hier: Hast du dabei Schmerzen? Was geht es Sawyer oder Booth an, ob<br />

ich Unterleibschmerzen habe, wenn ich meine Regel hab? Wie wäre es denn gleich mit einer<br />

Untersuchung zur Veranschaulichung? So vor allen anderen?“ Ziva schnaufte. „Eine Sache<br />

auf die ich stolz bin ist ... wenn es mir gelingt, möglichst viele von euch Arschlöchern zu<br />

killen ...“ Abby kicherte. „Das wäre dann die angenehme Fantasievorstellung.“ Bei der Frage<br />

war Sara einige Räume weiter ebenfalls gerade angekommen. Sie sah Gil an, der auf dem<br />

Sofa lümmelte und fragte: „Was wäre denn deine angenehme Fantasievorstellung?“ Gil sah<br />

auf und lächelte milde. „Nun, wie wäre es damit: Wir beide am Strand von Malibu ...“ Sara<br />

lachte. „Warum glaube ich dir das nur nicht?“ Gil schmunzelte und meinte dann: „Brauche<br />

ich einen Anwalt?“ <strong>Die</strong> CSI Ermittlerin schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Hör dir das<br />

mal an: Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich mit-<br />

einander und mit den Kindern). Als ob ich das nicht schon sehr ausführlich schildern durfte.“<br />

Sie schüttelte sich innerlich. Das alles noch einmal mit den Leidensgenossen durchzugehen<br />

war eine sehr unschöne Vorstellung.<br />

Am darauf folgenden Morgen wurden bis auf Sawyer und Mulder alle zu den<br />

jeweiligen Unterrichtsstunden abgeholt. Mulder wurde tatsächlich zu Sawyer auf den Raum<br />

gebracht und die beiden Männer erhielten die Auflage, zusammen Französisch zu üben.<br />

Mulder, der Unterlagen und einen kleinen CD Player in der Hand hatte, stand ächzend an<br />

Sawyers Bett und keuchte: „Rutsch mal zur Seite.“ Sawyer grinste verkniffen. „Gib mir doch<br />

bitte meine Unterlagen. Du stehst gerade, die liegen da hinten auf dem Tisch ...“ Mulder ver-<br />

drehte genervt die Augen, dann quälte er sich zum Tisch hinüber und nahm die Unterlagen<br />

mit zum Bett. Mühsam ließ er sich neben Sawyer auf die Zudecke sinken und stöhnte er-<br />

leichtert auf, als er sich lang machen konnte. „Tut’s weh?“, fragte Sawyer mit einem säuer-<br />

lichen Grinsen. „Nein, nur wenn ich lache.“ <strong>Die</strong> beiden Männer wagten nicht, sich allzu viel<br />

zu Unterhalten, sondern konzentrierten sich auf die Übungen, die sie zu absolvieren hatten.<br />

Einfache Sätze wie - Mein Name ist - oder - Ich wohne in - konnten sie schon bilden. „Mon<br />

nom est - J'habite dans -“ Jetzt wurden die Sätze schwieriger und die Männer hatten zu<br />

Kämpfen. Sie waren darauf angewiesen, die Wörter und ihre Aussprache an dem CD Player<br />

abzuhören. „Ich arbeite für das Umweltministerium: Je travaille pour le ministère<br />

d'environnement.“ Wieder und wieder mussten sie sich den Satz anhören, bis die Aussprache<br />

klappte. Schließlich brachte Sawyer auf den Punkt, was beide dachten. „Ich hasse<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Französisch.“ Angesichts der Tatsache jedoch, dass man ihnen drastische Strafen angekündigt<br />

hatte, wenn sie nicht bestimmte Ziele erreichten, arbeiteten die Männer verbissen weiter.<br />

In einem der Schulungsräume amüsierten sich inzwischen Locke und Heather nicht<br />

minder verbissen mit dem Erlernen der Sprache Spanisch. Allerdings hatten sie einen Lehrer,<br />

der ihnen Fragen beantwortete und ihnen half. Kate, Jake, Ziva, Bones, Booth und Gibbs<br />

hatten das Waffentraining wieder aufgenommen. Gerade hatte Kate erstmals auf tausend<br />

Meter direkt ins Schwarze getroffen und freute sich sehr darüber. „Sawyer wird grün vor<br />

Neid.“ Ziva lachte. „Das war ein sehr guter Schuss. An wen hast du gedacht, als du ab-<br />

drücktest?“ Ohne Zögern erklärte Kate: „An unseren lieben Major mit ihren neckischen<br />

Fragen.“ In einem Labor im Gebäude waren House, Allison und Dana derweil mit der<br />

chemischen Analyse von Brucellose-Erregern beschäftigt. Sie steckten in Sicherheitsanzügen<br />

und hantierten mit dem Bakterium extrem vorsichtig. Sie hatten die Aufgabe, erkrankte<br />

Ratten zu behandeln, nachdem sie herausgefunden hatten, was die Erkrankung verursachte. Es<br />

beunruhigte die Ärzte sehr, dass es in diesem Gebäude ganz offensichtlich biologische<br />

Kampfmittel gab.<br />

Beim Abendbrot unterhielten House und Allison sich darüber. „<strong>Die</strong> können noch ganz<br />

andere Sachen hier haben. An Brucellose kommen sie heran, warum nicht auch an Anthrax<br />

oder Rizin. Greg, die sind wirklich zu allem fähig, wenn sie mit solchen Dingen arbeiten.“<br />

House trank einen Schluck Wein, der vom Vortag über geblieben war. „Das wir es hier nicht<br />

mit Kuschelhasen zu tun haben, war doch wohl klar. Dass sie biologische und vielleicht auch<br />

chemische Kampfstoffe hier lagern, sollte uns nicht überraschen. Dass sie uns damit Versuche<br />

machen lassen, beunruhigt <strong>mich</strong>. Was sollte sie hindern, das eine oder andere nette Gift oder<br />

Bakterium an einem von uns auszuprobieren?“ Allison schüttelte sich. „Wie kannst du dabei<br />

nur ruhig deinen Wein trinken.“ „Meinst du, sie lassen es, wenn ich ihn stehen lasse? Vergiss<br />

mal die Kampfmittel, was meinst du, ob den Entführern hier klar ist, dass wir scheinbar alle<br />

schnell heilen, wenn wir uns verletzt haben? Ich vermute schon.“, gab er sich selbst die<br />

Antwort. Er stopfte sich den letzten Happen Bratwurst in den Mund und sah Allison an. „Na,<br />

komm schon, mach ein anderes Gesicht. <strong>Die</strong> werden uns nicht vergiften.“ Hoffte er jedenfalls.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> nächsten Tage verliefen wieder ruhig und gleichförmig. Man gab Sawyer und<br />

Mulder noch ein wenig Zeit, die beide jedoch kaum noch brauchten. Schnell erholten sie sich<br />

jetzt und konnten nach vier weiteren Schlafphasen wieder an allem Teilnehmen. Fast schien<br />

244


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es, als hätten die letzten Vorfälle alle Gefangenen beflügelt, denn sowohl beim Schießen als<br />

auch beim Sprachunterricht und allem anderen machten sie ziemliche Fortschritte. Ziva hatte<br />

zusätzlich zu ihren Aufgaben noch das Erlernen von Japanisch befohlen bekommen und hatte<br />

jeden Tag zwei Stunden Unterricht. So hatten alle Sprachunterricht. Beim Schießen waren<br />

alle inzwischen so weit, dass sie auf tausend Meter fast immer ins Ziel trafen. Booth, Gibbs<br />

und Jake hatten ihre Treffsicherheit auf weitere Distanzen sehr verbessert. Alles in allem<br />

waren die Tage für die Gefangenen befriedigend und anstrengend. Sie wurden am frühen<br />

Morgen aus den Betten geklingelt, hatten den ganzen Tag ein volles Programm. Angefangen<br />

mit Sport, dem einzigen Programmpunkt, der alle ohne Ausnahme betraf, über Schießen,<br />

Sprachen, Laboruntersuchungen, allgemein bildender Unterricht, abends waren alle froh,<br />

wenn sie sich lang machen konnten. <strong>Die</strong> einzigen wirklich unangenehmen Dinge während der<br />

nächsten Tage waren einige Untersuchungen, zu denen man sie holte. Blut wurde ihnen ab-<br />

genommen, sie mussten alle Urinproben abgeben, der Hör und Seh Test, den Sawyer und Gil<br />

bereits ganz am Anfang ihrer Gefangenschaft hatten machen müssen, wurde nun bei allen<br />

Gefangenen vorgenommen. Ebenso wurden alle zu einer Blutsauerstoffmessung geholt.<br />

Als dann auch eine Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens), eine<br />

Farbdoppler-Sonografie der Halsschlagadern, eine Farbdoppler-Sonographie der Beingefäße,<br />

eine Sonografie des Abdomens und eine Sonografie der Schilddrüse gemacht wurde, hatten<br />

sie einige wichtige Untersuchungen der Liste hinter sich gebracht. Beim Abendbrot des Tages<br />

bemerkte Mulder nach einem vergleichenden Blick auf die Liste: „Na, da stehen ja nur noch<br />

die wirklich schönen Sachen aus: Punktionen, Spiegelungen, MRTs.“ Dana seufzte. „Du<br />

weißt, dass Beste am Schluss.“ Mulder grinste frustriert. „Wie weh tun die Punktionen?“,<br />

fragte er zwischen zwei Löffeln Eintopf. Dana sah ihn an. „Sehr.“, sagte sie dann kurz. Ihr<br />

war komisch. Mulders Gesicht schien zu wachsen, dann wieder zu schrumpfen. Fasziniert<br />

beobachtete Dana das Phänomen. Dann aber wurde ihr zusätzlich schwindelig und ihre<br />

Glieder fühlten sich plötzlich schwer und taub an. „Mulder ...“ Sie seufzte leise und sackte in<br />

sich zusammen. Mulder wollte aufspringen und zu ihr eilen, aber so weit kam er nicht mehr.<br />

Mit einem erschrockenen Stöhnen fasste er sich an den urplötzlich heftig drehenden Kopf und<br />

lag im nächsten Moment besinnungslos am Boden.<br />

Phase 6: Klarheit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gelehrte Erklärungen rufen meist den Eindruck hervor, dass alles,<br />

was klar und verständlich war, dunkel und verworren wird.<br />

Leo Tolstoi<br />

Consternation<br />

Der Tod lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurücklächeln.<br />

Marcus Aurelius<br />

Beth Turner kam langsam zu sich. <strong>Die</strong> junge Frau öffnete vorsichtig die Augen, um sie<br />

im nächsten Moment schmerzerfüllt wieder zusammen zu kneifen. In ihrem Schädel<br />

hämmerten unerträgliche Kopfschmerzen. Beth atmete ein paar Mal tief durch. Mühsam ver-<br />

suchte sie, die unterschiedlichsten Erinnerungsfetzen an den vergangenen Abend in einen<br />

Kontext zu bringen. Mick und sie waren dem abtrünnigen Vampir durch die halbe Stadt ge-<br />

folgt. Mick hatte auf eine günstige Gelegenheit gewartet, sich den Killer zu Greifen. Als<br />

dieser tatsächlich auf einen stillen, dunklen Hinterhof einer leer stehenden Fabrik abbog,<br />

waren Beth und Mick ihm gefolgt. An den folgenden Kampf konnte Beth sich nur zu gut er-<br />

innern. Der Killervampir war extrem stark gewesen. Mehr als einmal hatte Beth entsetzliche<br />

Angst gehabt, dass Mick es nicht schaffen würde. <strong>Die</strong>ser hatte sich irgendwann im Verlauf<br />

des Fights ebenfalls in seine Vampirgestalt verwandelt. Als Beth schon befürchtete, es wäre<br />

zu Ende, Mick würde sterben, war es diesem durch eine Finte gelungen, dem Killer einen<br />

Pflock ins Herz zu stoßen. Augenblicklich war der Killer paralysiert. Das dann folgende war<br />

grausam, aber unvermeidbar gewesen. Mick hatte den Vampir mit Benzin übergossen und<br />

abgefackelt. Dann hatten sie sich zurückgezogen. <strong>Die</strong> Flammen konnten zu schnell unlieb-<br />

same Zeugen auf den Plan rufen.<br />

Bis hier war der jungen Frau alles klar. Mick und sie hatten sich in ihr Hotel zurück-<br />

gezogen. Mick war ziemlich angeschlagen gewesen und hatte die Blutkonserven, die sie im<br />

Kühlschrank des Hotelzimmers deponiert hatten, mehr als nötig gehabt. Beth hatte das Ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fühl, ihr Kopf würde jeden Augenblick platzen. Schwach erinnerte sie sich, Mick unter Auf-<br />

bietung all ihrer Kräfte ins Zimmer geschafft zu haben. Sie hatte ihn auf das Bett gelegt und<br />

wollte das Blut holen … Hatte sie es ihm gegeben? Was, zum Henker, war passiert, nachdem<br />

sie das Zimmer erreicht hatten? Mick … Wie elektrisiert schoss die junge Journalistin hoch.<br />

Wo war Mick überhaupt. Und wo war sie selbst? Erst jetzt wurde sich die blonde, hübsche<br />

junge Frau ihrer Umgebung und ihrer Lage bewusst. <strong>Die</strong> grelle Neonbeleuchtung über ihr, die<br />

ihren Augen eben noch ein solches Unbehagen verursacht hatte, zeigte jetzt mit brutaler Deut-<br />

lichkeit erschreckende Details. Beth sah sich vorsichtig um. Sie lag auf kaltem, weißem<br />

Fliesenboden. Um sie herum kahle Wände, in einer Ecke ein WC und ein kleines Wasch-<br />

becken, an einer anderen Wand ein Bett, mehr gab es nicht zu sehen. Das ganze auf vielleicht<br />

drei Mal drei Quadratmeter verteilt. Beth stöhnte und legte beide Hände an den schmerzenden<br />

Kopf. Und dann erst wurde ihr plötzlich überdeutlich klar, dass sie nackt war. Und wie<br />

magisch angezogen glitt ihr Blick an die Zellendecke und sie erkannte dort unverwechselbar<br />

die Linse einer Kamera. Sie wurde beobachtet. Das Nächste, was sie bewusst registrierte war,<br />

dass sie um den Hals und um die Hand- und Fußgelenke sehr stabil wirkende, gepolsterte<br />

Stahlringe mit Metallösen und Karabinerhaken trug. Zu abgelenkt, um sich damit im Augen-<br />

blick länger als nötig zu befassen, wandte sich die junge Frau wieder ihrer Umgebung zu.<br />

*****<br />

House wachte langsam auf. - Man, ich werde wirklich alt. Jetzt habe ich schon einen<br />

Kater ohne Suff. - schoss ihm durch den Kopf. Oder hatte er gesoffen? Hatten ihre Gastgeber<br />

ihnen zur Feier des Tages Whiskey spendiert? House schüttelte über diesen Gedanken den<br />

Kopf. Er wusste nicht, wie er ins Bett gekommen war. Was war nun wieder los? Er rappelte<br />

sich auf. Allison schlief … House wurde schlagartig hellwach. Da gab es keine Allison. Er lag<br />

auch nicht in dem bequemen Doppelbett in der winzigen Wohnung, die er zusammen mit<br />

Cameron in den letzten … in der letzten Zeit bewohnt hatte. House schloss kurz die Augen,<br />

öffnete sie wieder, aber das Bild blieb das Gleiche. Er steckte wieder in der verhassten Zelle.<br />

Um ihn herum waren die Trennwände herunter gelassen, diesmal verwehrten sie sogar den<br />

Blick auf die Plattform. Grell leuchtete das rote Licht und verhinderte noch immer nachhaltig,<br />

dass House etwas sagte. Was, zum Teufel, sollte das jetzt wieder? Greg konnte nicht ver-<br />

hindern, dass ihm eine Gänsehaut über den Körper huschte. Was hatte die Entführer zu einer<br />

derart drastischen Maßnahme veranlasst, ihn wieder in den Zellentrakt zu schaffen, nachdem<br />

er, wie alle anderen auch, gedacht hatte, dieser Teil ihrer Gefangenschaft wäre vorbei. Was<br />

war passiert? <strong>Die</strong>ser Gedanke ging dem Arzt nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatten einen an-<br />

strengenden Tag gehabt, Tests, Sport, Spanisch bzw. Französisch, abends noch Bildungs-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

unterricht, dann hatten sie auf dem Zimmer ihr Abendbrot serviert bekommen und waren<br />

irgendwann ins Bett gegangen, weil ihnen nicht ganz gut gewesen war. Zwischen dem ins<br />

Bett gehen in der Wohnung und dem Aufwachen hier in der Zelle fehlte irgendwie ganz deut-<br />

lich etwas. Ob wohl die <strong>Anderen</strong> auch wieder in der Zelle steckten? House erhob sich müh-<br />

sam und humpelte zum Waschbecken. Er schöpfte sich mit beiden Händen Wasser ins Ge-<br />

sicht. Dann benutzte er das WC und setzte sich auf sein Bett. Mehr, als der Dinge harren, die<br />

da kommen mochten, konnte er ohnehin nicht.<br />

Und die kamen. Plötzlich ertönte der Weckton. Damit hatte Greg im Augenblick nicht<br />

gerechnet und musste sich mächtig zusammen reißen, um nicht vor Schreck aufzukeuchen.<br />

Minutenlang passierte nichts, dann hoben sich langsam die Wände. Da noch immer das rote<br />

Licht leuchtete, wagte House nicht, etwas zu sagen. Still, angespannt und, ja, verängstigt,<br />

wartete der Diagnostiker ab, was geschehen würde. Er richtete seinen Blick nach rechts, um<br />

auszumachen, ob Allison ebenfalls wieder in der Zelle hockte. Als sich die Wände immer<br />

höher in die Decke schoben, konnte House schließlich sehen, dass alle Gefangenen mehr oder<br />

weniger verwirrt und munter in den kleinen Zellen hockten. Sein Augenmerk galt natürlich<br />

aber in erster Linie erst einmal Cameron. <strong>Die</strong>ser schien es aber gut zu gehen, wie ein Blick zu<br />

der jungen Ärztin hinüber zeigte. Sara in der Zelle neben ihm … House stutzte und stand auf.<br />

Er trat an das Gitter der Nachbarzelle, vollkommen ignorierend, dass er wieder einmal nackt<br />

war, und starrte konsterniert hinein. Da war keine Sara. Eine ebenfalls nackte, hübsche,<br />

blonde junge Frau saß dort vollkommen verwirrt am Boden, versuchte krampfhaft, ihre Blöße<br />

zu bedecken und starrte hoffnungslos überfordert um sich.<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen waren zum Teil ebenfalls schon vor dem Weckton zu sich<br />

gekommen. Keiner von ihnen konnte sich erklären, wie sie wieder in den Zellen gelandet<br />

waren. Alle hatten das Gefühl, einen fürchterlichen Kater zu haben. Sawyer war sich sicher,<br />

Arm in Arm mit Kate eingeschlafen zu sein. Jetzt lag er in seiner Zelle, Kate in ihrer. Hatten<br />

sie irgendetwas getan, was diese Bestrafung rechtfertigte? Ähnliche Gedanken gingen Jake<br />

und Heather durch den Kopf. Nachdem man sie endlich in ihre Miniaturwohnung gebracht<br />

hatte, hatten sie sich über den Tag unterhalten. Dann waren sie müde und erschöpft ins Bett<br />

gefallen, nachdem sie noch schnell das Abendbrot, einen Bohneneintopf, weg gelöffelt hatten.<br />

Heather hatte das Gefühl, noch immer Jakes zärtliche Hände zu spüren, die sanft ihren Körper<br />

gestreichelt hatten. Und nun lag sie in der Zelle, von der sie so sehr gehofft hatte, sie nie<br />

wieder zu sehen. Das war grausam. Mulder trat an das Gitter und sah sehnsüchtig zu Dana<br />

hinüber. Er hätte gerne gefragt, ob sie sich erinnerte, wie sie hier her gekommen waren, aber<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

das rote Licht wirkte bei ihnen allen so gründlich, dass keiner der Gefangenen wagte, auch<br />

nur laut zu denken.<br />

Nach dem Schock, wieder in den Zellen zu stecken, kam gleich der nächste Schock,<br />

als nämlich alle nach und nach mit bekamen, dass Sara, und wie nun zu sehen war, auch Gil<br />

fehlten. Hatten die Beiden als Einzige Glück gehabt und durften in der Wohnung bleiben? So<br />

musste es sein. Schnell setzte sich dieser Gedanke bei den Inhaftierten in den Köpfen fest.<br />

Einen anderen Gedanken wollten sie nicht zulassen. Nach House waren es nun Jake und<br />

Gibbs, die bemerkten, dass Saras Zelle neu belegt war. Und dann sahen es schlagartig auch<br />

alle anderen Gefangenen. <strong>Die</strong> junge Frau hockte zusammen gekauert auf dem Boden und ver-<br />

suchte immer noch, ihre Nacktheit mit den Händen und Armen zu verdecken. Sie hatte ihre<br />

Umgebung ein wenig genauer in Augenschein genommen und hatte registriert, dass es eine<br />

ganze Reihe von Zellen wie ihre eigene gab, kreisförmig in einer großen Runde aufgeteilt, in<br />

der Mitte des Zellentrakts eine ziemlich große freie Fläche. Beth beschloss, Kontakt zu ihren<br />

Mitgefangenen aufzunehmen. Mit zitternder Stimme fragte sie: „Wo … wo sind wir hier?<br />

Was ist das hier? Wer sind Sie alle?“ Booth war es, der den schmerzhaften Stromschlag für<br />

unerlaubtes Reden bekam und erschrocken los fluchte. „Ah, verdammt noch mal.“<br />

Postwendend entfuhr Ziva ein Schmerzlaut. Ihr gelang es aber, jedes Wort zu unterdrücken.<br />

Wieder fragte Beth verängstigt: „Was ist hier los? Wer seid ihr?“ <strong>Die</strong>smal durchfuhr Mulder<br />

ein heftiger Stromstoß und der FBI Mann konnte einen Schmerzlaut nicht mehr unterdrücken.<br />

Beth war viel zu verwirrt, um den Zusammenhang zwischen ihren Worten und den gequälten<br />

Lauten einiger der anderen Zelleninsassen herzustellen. Verzweifelt rief sie: „Warum reden<br />

Sie nicht mit mir. Sagen Sie mir doch …“ Sie wurde von dem schmerzgequälten Aufschrei<br />

des jungen Mannes in der Zelle neben ihr unterbrochen.<br />

Mit schmerzverzehrtem Gesicht legte dieser in einer überdeutlichen Geste den Zeige-<br />

finger über die Lippen und deutete dann auf die rote Lampe in der Decke der Zelle. „Rede-<br />

verbot?“, fragte Beth und diesmal keuchte eine junge Frau in der Zelle, die Beth gegenüber<br />

lag, erschrocken auf. Der junge Mann in der Nachbarzelle nickte entschieden und Beth nickte<br />

ebenfalls, verstehend. Sie schwieg. Und musterte die anderen Gefangenen genauer. In den<br />

Zellen saßen sieben Männer und sieben Frauen, alle nackt, soweit Beth es sehen konnte.<br />

Ihnen schien dieser Zustand nicht viel auszumachen. Beth fiel auf, dass die Inhaftierten sehr<br />

blass aussahen, als hätten sie alle lange keine Sonne gesehen. Selbst Mick hatte mehr Farbe.<br />

Mick. Beth schlug aufschluchzend die Hände vor das Gesicht. Wo mochte er nur sein? Jake<br />

und House hätten die junge Frau gerne getröstet, aber das rote Licht brannte permanent<br />

weiter. Sawyer stand an der Zellentür und sah zu Kate hinüber. <strong>Die</strong>se zuckte die Schultern.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Was sollte das nur wieder? Dass Sara und Gil fehlten, beunruhigte die Gefangenen mehr, als<br />

sie sich eingestehen wollten. Das sie nicht reden durften, verschlimmerte die Sorge. Und das<br />

statt Saras jetzt eine blonde Frau in der Zelle hockte und Gils Zelle ganz leer war, trug nicht<br />

dazu bei, die Gefangenen zu beruhigen. <strong>Die</strong> Blonde trug, genau wie die Gefangenen, den<br />

Halsring und die Hand und Fußgelenkringe. Nur, dass sie natürlich keine Ahnung hatte, was<br />

sie da trug. Gibbs sah zu Abby hinüber, die sehr verschreckt wirkte. Er machte beruhigend<br />

mit dem Daumen das Zeichen für - Alles okay - Dabei hatte er nicht das Gefühl, dass irgend-<br />

was okay war.<br />

Plötzlich zuckten alle Gefangenen kollektiv zusammen. <strong>Die</strong> Lautsprecherstimme er-<br />

klang. „Alle aufstehen und an die Gitter.“ Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern standen alle<br />

Gefangenen auf und traten rücklings an die Gitter, streckten die Hände durch die Löcher in<br />

der Zellentür. Beth beobachtete dieses Verhalten und dachte entsetzt - Mein Gott, die parieren<br />

wie gut geschulte Hunde. - Sie selbst rührte sich nicht. Ganz bestimmt würde sie hier nicht<br />

splitterfasernackt vor vierzehn Fremden aufstehen und sich präsentieren. Sie hatte diesen Ge-<br />

danken noch nicht zu Ende gedacht, da schrie die junge Frau vor Schmerzen gellend auf. Ein<br />

heftiger Stromstoß zuckte durch ihren Körper. In Sekundenbruchteilen war sie auf den<br />

Beinen. Zitternd stand sie in der Mitte der Zelle und versuchte jetzt stehend, ihre Blöße zu<br />

bedecken. Und schrie erneut auf. Wieder hatte ein Stromstoß, durch den Fußboden geleitet,<br />

sie schmerzhaft getroffen. Jetzt beeilte sie sich, an die Tür zu treten und streckte zitternd und<br />

schluchzend ihre Hände ebenfalls durch das Loch in der Zellentür. Heftig weinend und am<br />

ganzen Körper zitternd stand sie da und wartete, was nun passieren würde. Sie hörte Leute in<br />

den Zellentrakt kommen. Und zuckte entsetzt zusammen, als sie spürte, dass man ihre Hand-<br />

gelenke zusammen fesselte. Dafür waren also die Stahlringe an den Hand und Fußgelenken<br />

da.<br />

<strong>Die</strong> Türen der Zellen sprangen auf, ohne, dass jemand etwas Sichtbares dazu bei ge-<br />

tragen hätte und aus dem Lautsprecher ertönte der Befehl: „Raus aus den Zellen und rück-<br />

wärts an die Gitter stellen.“ Augenblicklich gehorchten die Gefangenen. Zögernd gehorchte<br />

auch Beth, der immer noch Tränen der Scham über die Wangen kullerten. <strong>Die</strong> Männer, die<br />

den Kerker betreten und ihre Handgelenke gefesselt hatten, befestigten die Halsbänder der<br />

Gefangenen an einem der Gitterstäbe. So standen die Gefangenen nun vollkommen hilflos<br />

gefesselt da. Beth schüttelte entsetzt den Kopf und wich panisch zurück. Ironisch grinsend<br />

packte der Typ, der vor ihrer Zelle stehen geblieben war, sie brutal am Arm und Sekunden<br />

später schon war auch Beth hilflos an einen der Gitterstäbe gefesselt. Dadurch, dass ihre<br />

Hände auf den Rücken gefesselt waren, hatten die Gefangenen keine Chance, ihre Blöße zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verdecken. Beth bemerkte wieder, dass die anderen Gefangenen diese Tatsache ziemlich<br />

gleichgültig hinnahmen, es wirkte auf die junge Frau, als wären die Mitgefangenen es durch-<br />

aus gewohnt, nackt und gefesselt zu sein. Beth schämte sich jedenfalls zu Tode und hatte ent-<br />

setzliche Angst davor, jeden Moment von den Männern, die sie hier gefangen hielten, ver-<br />

gewaltigt zu werden. Sie betete zu Gott, dass Mick auftauchen und sie retten möge. Und ihr<br />

Wunsch wurde fast umgehend erfüllt, jedoch auf eine Weise, die Beth entsetzt aufschreien<br />

ließ. Und nicht nur sie schrie vor Entsetzen auf.<br />

In der Mitte des Zellentrakts schob sich ein Teil des Fußbodens zur Seite und eine Art<br />

Reck wurde langsam hoch gefahren. Und an diesem Reck hing Mick, mit sehr stabil aus-<br />

sehenden Ketten an den Armen hängend, die Beine rechts und links an die aufrechten Stangen<br />

gefesselt, ebenfalls nackt. Was Beth und einige der anderen Gefangenen jedoch erschrocken<br />

aufschreien ließ, war die Tatsache, dass in Micks Brust, in Höhe seines Herzens, ein zu-<br />

gespitzter Holzpflock steckte. Eine sehr dünne Blutspur zog sich über Micks Oberkörper bis<br />

über den Oberschenkel hinaus. Vampire bluteten nicht wie Menschen. Mit dem gefesselten<br />

Mann zusammen waren weitere Wachen aufgetaucht, die Geräte in der Hand hielten, die die<br />

meisten Gefangenen sofort als Flammenwerfer erkannten. Mit diesen blieben zwei vor dem<br />

Gefesselten stehen, die anderen verteilten sich auf die restlichen gefesselten Gefangenen.<br />

House, Allison und Scully starrten mit nacktem Entsetzen in den Augen auf den sterbenden,<br />

gefesselten Mann. House war es, der auf das Redeverbot pfiff und entsetzt hervor stieß: „Dem<br />

Mann muss geholfen werden, Herrgott noch mal. Wenn Sie ihn dort so hängen lassen, ist er in<br />

wenigen Minuten tot.“ Einer der Wachposten, die keinen Flammenwerfer in den Händen<br />

hielten, trat zu House, holte aus und gab den Wehrlosen eine schallende Ohrfeige. „Wer hat<br />

dich gefragt?“, wurde er angeschnauzt. Dann fuhr er Wachposten fort: „Außerdem ist der<br />

Penner schon tot.“<br />

Entsetztes Schweigen in der Runde. Nur das Schluchzen der jungen, blonden Frau war<br />

zu hören. Geschlagen worden waren sie bisher nicht, darum erschreckte die Ohrfeige, die<br />

House sich gefangen hatte, die Gefangenen so sehr, dass keiner mehr wagte, etwas zu sagen.<br />

Und der Satz, dass der Mann sowieso schon tot war, bewirkte, dass alle geschockt schwiegen.<br />

Beth jedoch schluchzte verstört: „Mein Gott, Mick. Hilf mir doch, bitte. Du musst etwas tun<br />

…“ Alle schoben diese Worte dem Schock zu. <strong>Die</strong> junge Frau hatte es offensichtlich noch gar<br />

nicht registriert, dass der junge Mann an dem Reck so gut wie tot war. Mitleidig sahen alle die<br />

Blonde an und hätten ihr gerne etwas Tröstendes gesagt. In diesem Moment ging die Kerker-<br />

tür auf. Ein Mann kam herein, der den Gefangenen hinlänglich bekannt und verhasst war. Es<br />

war der Arzt oder Wissenschaftler, der die brutalen Verhöre geleitet hatte. Milde lächelnd trat<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

er in die Mitte vor den Sterbenden und sah ihn aufmerksam an. Entspannt verschränkte er die<br />

Hände hinter dem Rücken. Dann begann er, für die Gefangenen vollkommen unverständlich<br />

und erschreckend, in lockerem Plauderton ein Gespräch mit dem sterbenden, jungen Mann.<br />

„Mick St. John. Gehört habe ich von dir schon so einiges. Aber dass ich mal in den<br />

Genuss kommen würde, dich persönlich kennen zu lernen, hätte ich nie für möglich gehalten.<br />

Ich werde dich und deine Begleiterin über ein paar grundlegende Regeln hier aufklären. Sollte<br />

ich das Gefühl haben, du schenkst mir nicht deine volle Aufmerksamkeit, werden wir Maß-<br />

nahmen ergreifen, uns deine Aufmerksamkeit nachhaltig zu sichern, die dir nicht gefallen<br />

werden.“ Er machte eine Handbewegung in Richtung der Wache, die bei Beth stand. <strong>Die</strong>se<br />

schaltete kalt lächelnd den Flammenwerfer ein und drehte den Strahl klein. Dann wandte er<br />

sich Beth zu, bis diese die Hitze des Flammenstrahles an ihrem nackten Bauch spürte. Panisch<br />

keuchte die gefesselte junge Frau auf und schrie im nächsten Moment gellend auf vor<br />

Schmerz. Ruhig fuhr der Arzt fort: „Solltest du auch nur in einer Weise gucken, die uns nicht<br />

gefällt, wird die kleine Miss Buzz Wire Stück für Stück gegrillt. Und nicht nur das. Auch eure<br />

Mitgefangenen werden dann viel Spaß auf deine Kosten kriegen.“ Wieder machte der eiskalte<br />

Mann eine Handbewegung und im nächsten Moment brüllte Jake schmerzerfüllt auf, als die<br />

Feuerzunge des Flammenwerfers über seinen Bauch huschte und einen roten Brandfleck<br />

hinterließ.<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen starrten vollkommen entsetzt auf den Arzt, der mit dem so gut wie<br />

toten jungen Mann sprach, als wäre dieser kerngesund und quietschvergnügt. Wenn sie bisher<br />

schon Angst vor ihren Entführern hatten, wurde daraus nun nackte Panik. Der Arzt war ganz<br />

offensichtlich durch gedreht oder die Entführer hatten sich ein neues, sehr grausames Spiel für<br />

die Gefangenen überlegt. Als sie sahen, dass der Arzt aufstand und sich vor den reglosen<br />

jungen Mann stellte, und dessen Kopf ein wenig anhob, hielten die Gefangenen die Luft an.<br />

Der Arzt wandte sich an die junge Frau und fragte kalt: „Er hat alles verstanden, oder was<br />

meinst du?“ Zitternd nickte die blonde Frau und immer noch kullerten ihr Tränen über die<br />

blassen Wangen. Genervt schüttelte der Arzt den Kopf und gab der Wache einen Wink. <strong>Die</strong>se<br />

trat daraufhin an Beth heran und verpasste der jungen Frau ebenfalls eine Ohrfeige. Nun<br />

fragte der Arzt erneut: „Er hat alles verstanden?“ Beth hatte bei der schallenden Ohrfeige leise<br />

aufgewimmert. Jetzt beeilte sie sich, zu Antworten: „Ja, das hat er, er bekommt alles mit.“ <strong>Die</strong><br />

wehrlosen Gefangenen beobachteten das Geschehen mit wachsendem Entsetzen. Der Arzt<br />

nickte zufrieden und grinste diabolisch. „Du kennst ihn besser.“ Er sah wieder den jungen<br />

Mann an, dann sagte er leise, aber laut genug, dass alle es hören konnten: „Dann wollen wir<br />

unseren neuen Ehrengast mal in unserem trauten Kreis willkommen heißen.“ Er griff langsam<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nach dem Holzpflock und sagte zu den Wachen: „Passt auf.“ Seine Rechte schloss sich um<br />

das Holz und dann zog er es mit einem Ruck aus dem Fleisch des Mannes. Nicht nur Heather<br />

entwich ein entsetzter Aufschrei. Auch Kate und Abby schrien erschrocken auf.<br />

Vampir<br />

Ein guter Mensch, ja, wer wäre es nicht gerne.<br />

Berthold Brecht<br />

Und dann starrten alle fassungslos auf den gefesselten Mann. <strong>Die</strong>ser hatte ebenfalls<br />

aufgeschrien vor Schmerzen. Ein dünner Blutstrom ergoss sich aus der Wunde und alle waren<br />

überzeugt, die letzten Sekunden seines Lebens zu beobachten. Allison war die Erste, der auf-<br />

fiel, dass die Blutung schnell weniger wurde. Sie starrte fassungslos auf die tiefe, eigentlich<br />

tödliche Brustwunde. Was sie beobachtete, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln. <strong>Die</strong> Wunde<br />

begann, sich zu schließen. Der junge Mann hing keuchend vor Schmerzen in den Fesseln, der<br />

Kopf baumelte haltlos auf der Brust, aber die Wunde schloss sich. Dass die Kerkertür ge-<br />

öffnet wurde und ein weiterer Wachposten herein kam, der eine übergroße, mit einer dunklen<br />

Flüssigkeit gefüllte Spritze bei sich trug, registrierten die Gefangenen gar nicht. Als es dem<br />

jungen Mann trotz unglaublich schnell verheilender Wunde immer schlechter ging, dafür<br />

brauchte man nicht einmal Arzt sein, um das zu bemerken, schrie Beth verzweifelt auf. „Ihr<br />

müsst es ihm geben. Schnell.“ Der Arzt nickte. „Sieht so aus, als würde er es nicht ohne<br />

schaffen.“ Er setzte die Nadel an der Halsschlagader des Gefesselten an und drückte den<br />

Kolben langsam nieder, bis der gesamte Inhalt der Spritze in dessen Blutbahn geflossen war.<br />

Dann beobachtete der Arzt den jungen Mann aufmerksam. Und obwohl es vollkommen un-<br />

möglich war, erholte dieser sich zusehends. Unter den entsetzt aufgerissenen Augen der Mit-<br />

gefangenen kam wieder Leben in den Körper. Und nach einigen Minuten war die Wunde<br />

vollkommen verschwunden, der junge Mann offensichtlich kerngesund und die anderen Ge-<br />

fangenen, vielleicht abgesehen von Beth, Scully und Mulder, absolut fassungslos.<br />

Der Arzt behielt den gefesselten Gefangenen genau im Auge. Der zerrte probehalber<br />

ein wenig an den Ketten, aber diese hielten. Der Arzt grinste zufrieden. „Dann wollen wir uns<br />

mal ein wenig unterhalten, oder was meint ihr? Willkommen in unserer illustren Runde. Da<br />

wir großzügige Menschen sind, werden wir euch eine kleine Einführung geben. Wir wissen,<br />

wer und vor allem was du bist, Mick St. John. Und wir wissen inzwischen auch genug über<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

deine kleine Miss Buzz Wire hier.“ Er deutete auf Beth. „Wir sind eine … Organisation mit<br />

umfangreichen Zielen. <strong>Die</strong>se Herrschaften hier …“ Er machte eine ausholende Geste in die<br />

Runde. „… sind seit einigen Monaten unsere lieben Gäste. Wir haben sie eingeladen, uns bei<br />

einer wahrhaft großen Sache zu unterstützen. Noch sind sie ihren kommenden großen Auf-<br />

gaben nicht gewachsen, aber das macht nichts, wir haben Zeit. Und jetzt haben wir dich.“ Er<br />

grinste den jungen Mann teuflisch an. <strong>Die</strong>ser versuchte, cool und gelassen auszusehen. Da<br />

seine Blicke immer wieder zu der blonden, jungen Frau huschten, gelang ihm das jedoch nur<br />

mäßig. „Ihr beide werdet für die Dauer eures Aufenthaltes hier Nummern bekommen, wie alle<br />

anderen auch. <strong>Die</strong>se Nummern sind von dieser Sekunde an gleichsam eure Namen. Miss Buzz<br />

Wire, du hast den Namen deiner verstorbenen Vorgängerin geerbt und bist fortan Nummer<br />

11. Mr. Privatdetektiv hier wird die Nummer 13 seines ebenfalls verstorbenen Vorgängers<br />

übernehmen, wenngleich auch einigen von uns die Nummer 666 vorschwebte.“<br />

Wieder grinste der Arzt und schaute sich dann im Rund um. <strong>Die</strong> Wirkung seiner<br />

Worte auf die Gefangenen war unterschiedlich. Gelassen fasste keiner diese Nachricht auf. In<br />

einigen Gesichtern zeichnete sich eindeutig Wut und Hass ab, in <strong>Anderen</strong> genau so eindeutig<br />

Schrecken und Entsetzen. Heather und Allison liefen Tränen über die blassen Wangen. Gil<br />

und Sara tot. Aber sie hatten keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn schon fuhr der Arzt<br />

fort: „Ich möchte unsere neuen Gäste noch über einige wichtige Regeln aufklären: 1) Ihr<br />

werdet jeden einzelnen Befehl unverzüglich befolgen. Tut ihr es nicht, werdet ihr nicht selbst<br />

bestraft, das wäre zu einfach. <strong>Die</strong> Strafe für Vergehen wird immer und konsequent an einem<br />

anderen Mitgefangenen ausgeführt. 2) Solange rotes Licht ist, habt ihr absolutes Redeverbot.<br />

3) Ihr werdet Kleidung erhalten, die ihr zu tragen habt. 4) Ihr habt die Wachen und Wissen-<br />

schaftler, die sich mit euch befassen werden, höflich und mit Respekt zu behandeln, An-<br />

weisungen ist Folge zu leisten, ihr werdet ihnen niemals in die Augen sehen und sie stets mit<br />

Sir oder Ma’am ansprechen. 5) Sobald eure Nummern aufgerufen werden, habt ihr rückwärts<br />

an die Tür zu treten und die Hände durch das Loch zu strecken. Habt ihr das verstanden?“ Er<br />

sah Beth und Mick an. Beth nickte. Der Arzt zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche<br />

und drückte diesen ohne zu Zögern gegen Micks schlanken Bauch. Aufbrüllend zuckte dieser<br />

in den Fesseln zusammen. Der Arzt wiederholte seine Frage an Beth. „Hast du das ver-<br />

standen?“ Hastig stieß Beth hervor: „Ja, Sir, ich habe es verstanden.“<br />

Zufrieden wandte sich der Arzt wieder Mick zu. „Ich nehme an, du hast es auch ver-<br />

standen?“ Noch mit den Nachwirkungen des heftigen Stromstoßes kämpfend stieß Mick<br />

zwischen zusammen gebissenen Zähnen gepresst hervor: „Ja, Sir, ich … habe es auch ver-<br />

standen.“ Der Arzt nickte zufrieden. „Nun zu unseren Sicherheitsvorkehrungen. <strong>Die</strong> Zellen-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

türen lassen sich zwar mit Gewalt öffnen, sollte das aber versucht werden, geschieht<br />

folgendes …“ Der den Gefangenen schon so bekannte Monitor wurde von der Decke ab-<br />

gesenkt und flimmerte auf. Auf dem Bildschirm erschien das Bild einer Zellentür, die in eine<br />

Wand eingearbeitet war. Ein Mann in einem Schutzanzug, vor dessen Brust ein größeres<br />

Stück Fleisch an einer Schnur hing, und der eine Art Taucherhelm auf dem Kopf hatte, ver-<br />

suchte, die Tür gewaltsam zu öffnen. Als er es geschafft hatte, strömte plötzlich ein scheinbar<br />

durch Farbzusatz sichtbar gemachtes Gas aus einer Öffnung in der Tür, dort, wo normaler-<br />

weise der Schlüssel eingesteckt wurde. <strong>Die</strong> gasförmige Substanz traf das Fleischstück und<br />

zersetzte es innerhalb von wenigen Sekunden zu einer undefinierbaren Masse. Entsetzt sogen<br />

die Gefangenen die Luft ein. DAS hatten sie bisher selbst nicht gewusst. Der Arzt amüsierte<br />

sich offensichtlich königlich. „Das funktioniert übrigens in beide Richtungen, die gesamte<br />

Zelle samt Nachbarzellen wird damit besprüht werden und nebenbei ist das auch nur eine der<br />

Sicherheitsmaßnahmen. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> werden wir euch nicht unter die Nase reiben.“ Er<br />

grinste.<br />

„Nun werden wir kurz demonstrieren, was passiert, wenn ihr euch mit den Hals-<br />

bändern aus dem Bereich zu entfernen versucht, den wir für euch vorgesehen haben.“ Das<br />

schon bekannte Video mit der Demonstration der Halsbänder ließ auch Mick und Beth ent-<br />

setzt auf den Monitor starren. Als das Video zu Ende war, fragte der Arzt: „Das kann nicht<br />

einmal einer wie du ab, richtig? Zumal wir uns erlaubt haben, deine Sprengladung so zu er-<br />

höhen, dass du auf jeden Fall den Kopf verlieren wirst. Ach, ehe ich es vergesse, wenn ihr<br />

nicht pariert, sind die Halsbänder auch sehr nützlich.“ Er gab einen leisen Befehl in sein<br />

Headset und Sekunden später brüllten sowohl Beth als auch Mick vor Schmerzen gepeinigt<br />

auf und hingen zuckend in ihren Fesseln. Alle, die die verheerende Wirkung des Halsbandes<br />

schon zu spüren bekommen hatten, zuckten kollektiv mit zusammen. Beth und Mick<br />

brauchten ein paar Minuten, um sich zu fangen. Der Arzt fuhr unbeeindruckt fort: „Alles<br />

Weitere dürfen euch eure Zellennachbarn erzählen. Ab morgen seid ihr mit einigen Tests<br />

dran. Ruht euch aus und bereitet euch auf eine angenehme Zeit vor. Und Nummer 13, wir<br />

wollen, dass du deinen Mitgefangenen vorbehaltlos reinen Wein einschenkst über dich und<br />

deine kleinen … Besonderheiten. Du solltest ehrlich sein, sonst wird Nummer 11 darunter<br />

leiden.“ Er gab den Wachen den Befehl: „Schafft sie alle in ihre Zellen und wenn er auch nur<br />

falsch guckt, wisst ihr, was ihr zu tun habt.“<br />

Zuerst wurden nun die Gefangenen von den Zellentüren los gemacht und in die Zellen<br />

zurück verfrachtet. Türen schlossen sich. Man ließ ihnen noch die Hände gefesselt. Dann<br />

wandten sich die Wachen dem jungen Mann Mick zu. Vier sicherten mit Flammenwerfern,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zwei lösten dessen Fesseln. Aber die Sorge war unbegründet, denn der junge Mann war nicht<br />

dumm. Widerstandslos ließ er sich in die Zelle führen, die bisher Gil bewohnt hatte. Als er<br />

sicher dort angekommen war und die Tür sich auch hinter ihm schloss, wurden den restlichen<br />

Gefangenen die Handfesseln gelöst. <strong>Die</strong> Wachen verließen den Kerker, das rote Licht sprang<br />

auf grün um und die verwirrten und bestürzten Gefangenen waren alleine. Noch einmal ging<br />

die Kerkertür auf und eine Wache drückte sowohl Dana als auch Locke einen Stapel Kittel in<br />

die Hand mit den Worten: „Weiter verteilen.“ Dann waren die Gefangenen wieder allein.<br />

Dana und Locke verteilten die Kittel ordnungsgemäß weiter und Augenblicke später hatten<br />

alle wieder ihre niedlichen, moderesistenten Krankenhauskittel mit den Nummern an. „Na,<br />

welch wundervoll vertrauter Anblick.“, brach Sawyer das herrschende, verlegene Schweigen.<br />

Er sah zu Mick und Beth hinüber. „Ich bin zwar nicht die Nummer 1, aber ich mache einfach<br />

mal den Anfang. Mein Name ist Sawyer.“ Nacheinander stellten sich alle vor, und Beth und<br />

Mick bemühten sich, alle Namen und die dazu genannten Berufe zu behalten. Dann erklärte<br />

Beth leise: „Beth, Beth Turner. Ich bin Journalistin beim Internet-Magazin Buzz Wire in LA.“<br />

Alle wandten sich Mick zu. <strong>Die</strong>ser hatte vor dem was zwangsläufig kommen musste,<br />

Angst gehabt. Und schon kam die alles entscheidende Frage. „Wer du bist, interessiert hier<br />

glaube ich keinen sonderlich, dafür umso mehr, was, zum Henker du bist. Ich habe ja schon<br />

einiges an wundersamen Heilungen gesehen, aber nie einen Menschen, der mit einem<br />

zwanzig Zentimeter langen Zahnstocher von der Stärke eines Vibrators im Herzen nach einer<br />

geheimnisvollen Injektion mit … ja, was eigentlich, vollkommen geheilt war, und das inner-<br />

halb von fünf Minuten. Also, sei ein guter Junge und kläre uns auf.“ House sah Mick auf-<br />

fordernd an. <strong>Die</strong>ser holte tief Luft und wollte gerade verzweifelt sein so wohl gehütetes<br />

Geheimnis vor all den Fremden hier preisgeben, als die Stimme des Mannes, der sich als FBI<br />

Special Agent Fox Mulder vorgestellt hatte, ihm zuvor kam. „Ich glaube, ich kann erklären,<br />

was Mick ist. Du bist ein … Vampir, richtig?“ Alle hielten die Luft an. Und nach kurzem<br />

Zögern sagte Mick sehr leise und mit gesenktem Blick: „Oder wie Buffy in der gleichnamigen<br />

Fernsehserie einmal so treffend formulierte, ein Untoter Amerikaner. Ja, ich bin ein Vampir.<br />

Es … es gibt uns wirklich. Ich …“ Er suchte verzweifelt nach Worten, die sein Monster-Sein<br />

irgendwie weniger monsterhaft erscheinen ließen. „Ihr seid nicht in Gefahr durch <strong>mich</strong> … Ihr<br />

müsst nachts nicht ... ihr braucht keine Kruzifixe oder Knoblauch ...“<br />

Wieder verstummte er unglücklich. Beth allein wusste, wie schwer Mick diese simple<br />

Offenbarung, zu der man ihn zwang, fiel. Er schämte sich so entsetzlich für das, was er war,<br />

dass er selbst vor ihr noch Hemmungen hatte, darüber zu Reden. Und nun war er gezwungen,<br />

vor so vielen Fremden sein streng gehütetes Geheimnis zu lüften. „Wie alt bist du?“, wollte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder wissen. Mick sackte noch weiter in sich zusammen. Dann sagte er sehr leise, fast<br />

schon flüsternd: „Fünfundachtzig.“ Sawyer lachte begeistert. „Na, man, Alter, wenn das kein<br />

Grund ist, sich beißen zu lassen.“ Fasziniert starrten alle Mick an. Fünfundachtzig. Er sah aus<br />

wie höchstens dreißig. Wieder war es Mulder, der eine neue Frage stellte. „Wie ist es zu der<br />

Verwandlung gekommen? Wem hast du … Wer hat dich zu einem Vampir gemacht?“ Bevor<br />

Mick auf die Frage antworten konnte, sprudelte Abby dazwischen. Sie hatte bislang still zu-<br />

gehört, um das Unfassbare zu begreifen. Jetzt hielt sie es nicht mehr aus. „Du bist doch nicht<br />

allen Ernstes ein … Blutsauger, ein echter Vampir, wie Graf Dracula? Verwandelst du dich in<br />

eine Fledermaus?“ Bevor Mick auf Abbys Frage antworten konnte, mischte Bones sich ein.<br />

„Graf Dracula war kein Vampir, sondern ein Adeliger namens Vlad Dracul, der von 1395 bis<br />

1447 lebte. Er hatte die Angewohnheit, seine Feinde durch Pfählen zu töten. Er war einfach<br />

nur ein besonders kriegerischer Fürst. Erst viele Jahre später entstand die Legende, er sei ein<br />

Vampir gewesen. Der Vampirmythos entstand erst durch die hysterische Reaktion einiger so<br />

genannter Wissenschaftler des Mittelalters auf Porphyrie-Kranke 20 . Da Menschen mit dieser<br />

Krankheit kein Hämoglobin 21 bilden können, liegt es nahe, sie mit Fledermäusen in Ver-<br />

bindung zu bringen, obwohl diese Analogie der Komplexität der Erkrankung kaum Rechnung<br />

trägt.“ Mick selbst war zu fertig, um den ungläubigen Tonfall in Abbys Stimme überhaupt zu<br />

bemerken. Ernsthaft erwiderte er, nachdem Bones Redeschwall beendet war: „Nein, das ist<br />

ein Ammenmärchen, wir verwandeln uns nicht in Fledermäuse. Aber wir können sehr hoch<br />

springen und aus großer Höhe in die Tiefe hüpfen, ohne uns zu verletzen.“ Bones starrte den<br />

jungen Mann an wie einen bedauernswerten Irren. „Natürlich. Und nachts schläfst du in<br />

einem Sarg.“<br />

An dieser Stelle unterbrach Allison die Anthropologin. „Wir haben doch alle gesehen,<br />

wie schnell die Wunde verheilt ist. Wie willst du das anders erklären, Bones?“, fragte die<br />

Immunologin genervt. Sie hatte das Phänomen mit eigenen Augen gesehen, sie glaubte es fast<br />

selbst dennoch nicht. „Ich bin Anthropologin, keine Ärztin, Allison. Und ich verstehe nicht<br />

viel von den Produkten der Filmindustrie, wie du weißt. Das muss irgendein Trick sein.<br />

Vielleicht haben die ihm ein Mittel gegeben, dass die Hämostase 22 anregt. Es muss eine<br />

20 Porphyrie: Unter den Porphyrien versteht man eine Gruppe erblicher Stoffwechselerkrankungen, die mit einer Störung des<br />

Aufbaus des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin einhergehen.<br />

21 Als Hämoglobin bezeichnet man den eisenhaltigen roten Blutfarbstoff in den roten Blutkörperchen der Wirbeltiere und seine<br />

Varianten. Es stellt wie auch das Myoglobin einen wichtigen Sauerstoff-Transporteur im Körper dar.<br />

22 Hämostase ist ein lebenswichtiger Prozess, der die bei Verletzungen der Blutgefäße entstehenden Blutungen zum Stehen<br />

bringt. Dadurch wird der übermäßige Austritt von Blut aus dem Blutkreislauf verhindert und die Voraussetzung für eine Wund-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Es gibt keine Vampire. Das ist ein Mythos, der ent-<br />

standen ist, weil die Menschen im Mittelalter Personen, die unter bestimmten Krankheiten<br />

litten, hauptsächlich Porphyrie, irrtümlich für Monster hielten.“ Fast verzweifelt stieß Bones<br />

diese Worte hervor. Keiner sagte etwas, keiner fragte, was Porphyrie oder Hämostase war.<br />

Kate starrte derart fasziniert zu Mick hinüber, durch die Zellen hindurch, dass Sawyer für<br />

Sekunden einen kleinen Stich im Herzen fühlte. Aber so schnell, wie dieses Empfinden auf-<br />

getaucht war, verschwand es auch wieder. Ziva und Gibbs sahen skeptisch, wenn auch nicht<br />

ganz ungläubig aus. Ihr Glaube hatte schon durch Mulders Geschichte erheblich gelitten. Ihm<br />

glaubten sie seine Alien-Entführung inzwischen. Und sie waren fair genug, einzuräumen, dass<br />

es, wenn es Aliens gab, auch andere Dinge geben konnte, die einer wissenschaftlich logischen<br />

Erklärung entbehrten. Scully und Mulder hatten im Laufe der Zeit ein wenig von ihren Fällen<br />

bei den X Akten erzählt, da waren haarsträubende Dinge geschehen. Warum also nicht auch<br />

Vampire?<br />

Scully, Locke und Heather glaubten vorbehaltlos, was sie eben mit eigenen Augen ge-<br />

sehen hatten. Scully wusste um Wesen, die jeder verleugnet hätte. Ihr fiel es leicht, zu<br />

Akzeptieren, dass nun ein solches Wesen unter ihnen war. Locke glaubte ohnehin an das<br />

<strong>Über</strong>sinnliche. Er war ebenso fasziniert wie Mulder. Bei Heather und Abby war es die Tat-<br />

sache, dass sie es mit eigenen Augen gesehen hatten. Jake, Sawyer, Booth und Kate waren<br />

merklich verwirrt, lehnten die Tatsache, dass es so was wie Vampire gab, aber nicht kate-<br />

gorisch ab. Und House und Allison waren in ihren Grundfesten erschüttert. House hätte Mick<br />

am liebsten eigenhändig den Holzpflock erneut in die Brust gerammt, nur, um zu testen, ob er<br />

wirklich gesehen hatte, was er glaubte, gesehen zu haben. Allison war da pragmatischer ver-<br />

anlagt: Sie glaubte, was sie sah. Und was sie beobachtet hatte, war ein junger Mann, dem ein<br />

absolut tödlicher Holzpflock, der jeden anderen Menschen sofort umgebracht hätte, aus der<br />

Brust ragte und der nach Entfernen des Selben blitzschnell genesen war und sich nun offen-<br />

sichtlich bester Gesundheit erfreute. Sie akzeptierte diese Tatsache.<br />

Mick hatte die kurze Diskussion zwischen den beiden jungen Frauen beobachtet und<br />

überlegte, wie er der Skeptikerin seine Existenz glaubhaft erklären konnte. Vorher jedoch<br />

platzte der junge FBI Agent aus der Zelle gegenüber, Booth, dazwischen. „Mal ganz was<br />

anderes, Mick, wo haben die euch erwischt und was für ein Datum haben wir?“ Alle er-<br />

starrten. Dass sie auf die naheliegendste Frage nicht selbst gekommen waren. Gibbs hätte sich<br />

heilung geschaffen. <strong>Die</strong> Blutstillung muss im Fall einer Verletzung hinreichend schnell einsetzen, um größeren Blutverlust zu<br />

vermeiden.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

in den Hintern beißen können. Mick und Beth sahen erstaunt ihren Mithäftlingen in die er-<br />

wartungsvollen Gesichter. „Wie, welches Datum?“, fragte Beth mit einem Tonfall, als hätte<br />

sie es mit kleinen Kindern zu tun. House erwiderte im gleichen Tonfall: „Weißt du, wenn ihr<br />

keinen eingebauten Kalender habt, werdet ihr schnell auch nicht mehr wissen, welches Datum<br />

wir haben. Und wir sind schon etwas länger hier, Mami.“ Beth starrte ihn erschrocken an.<br />

„Mein Gott, wie lange seid ihr denn alle schon hier?“ Mulder warf ein: „Das können wir euch<br />

sagen, wenn ihr uns das aktuelle Datum nennt. Wir sind am 11.11. entführt worden.“ Beth<br />

schüttelte ungläubig den Kopf. „Um Himmels Willen. Heute ... Wir haben den 3.ten April.“<br />

Nach diesen Worten herrschte Schweigen. <strong>Die</strong> Gefangenen wirkten auf Beth und Mick<br />

wie gelähmt. Der blonde junge Mann, der sich zuerst vorgestellt hatte, Sawyer, stieß leise und<br />

resigniert: „April ... Na, prima.“ hervor. Beth, der man eine unglaubliche Beobachtungsgabe<br />

nachsagte, hatte, als sie an die Gitter gefesselt da gestanden hatten, bei ihm eine relativ frische<br />

Narbe unter dem linken unteren Rippenbogen bemerkt, die auf gar keinem Fall schon über<br />

vier Monate alt war. Sie musste ihm hier beigebracht worden sein. Beth lief eine Gänsehaut<br />

über den Rücken. <strong>Die</strong> Menschen hier wussten ganz offensichtlich nicht, wo sie waren und bis<br />

eben auch nicht, wie lange dieser Zustand schon währte. Was hatten die Ärmsten hier wohl<br />

schon durch gemacht? Auch der junge Mann im Käfig rechts neben Beth flüsterte leise:<br />

„April ... Und wo?“ Mick hatte sich auf das Bett gesetzt und erklärte dann: „Jakarta ...“<br />

Ungläubig schüttelte Jake den Kopf. „Jakarta ... Java ... Ihr seid in Indonesien ...“ Mick sah zu<br />

dem jungen Mann hinüber. „Wir sind ein Stück geflogen worden und ... Ich habe ein sehr<br />

gutes Gehör, wisst ihr, ich konnte die Kommunikation zwischen dem Tower und der Fracht-<br />

maschine hören. Wir sind in ... Palangkaraya gelandet.“ „Pala ... was?“ Sawyer hob müde den<br />

Kopf. „Palangkaraya, Borneo.“, seufzte Mulder. „Borneo, also wirklich.“<br />

Vermutet hatten alle das seit der Hetzjagd bereits, jetzt wurde es bestätigt. Borneo.<br />

Indonesien. Also hatten sie sich nicht geirrt. Minutenlang herrschte Schweigen, dann sprach<br />

Abby aus, was eigentlich alle, selbst die Optimisten unter ihnen, im Moment dachten. „<strong>Die</strong><br />

finden uns hier wirklich niemals.“ Nicht Wut oder Aufregung folgten dieser Tatsache,<br />

sondern eher ruhige Ergebenheit, Resignation, Aufgabe. Ziva sprach aus, was allen im Kopf<br />

herum ging. „Wir werden hier stecken, bis wir veraltert sind.“ „Verschimmelt. Oder entsorgt<br />

wie Gil und Sara.“, erwiderte Abby. Beth war klar, dass die Gefangenen eigentlich sicher<br />

gerne alles über Mick erfahren hätten, aber sie wollte gerne wissen, was den Menschen hier in<br />

den Zellen widerfahren war. „Bitte, könntet ihr uns vielleicht ein wenig aufklären, was das<br />

hier soll, warum ihr alle schon so lange hier ... Warum ihr nicht wisst, welches Datum wir<br />

haben? Was hier los ist?“ Sie riss mit ihren Fragen einige der Gefangenen aus der ent-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

standenen Lethargie. Aber es war Mulder, der letztlich eine Erklärung zusammenfasste.<br />

„Wann wir entführt wurden, wisst ihr ja nun ...“ Hier unterbrach Beth noch einmal. „Wieso,<br />

ihr seid doch nicht alle an einem Tag ...“ „Doch.“ Mulder klang frustriert. „Wir wurden auf<br />

dem Rückflug von Sydney nach LA ...“ Wieder kam Mulder nicht dazu, seinen Satz zu be-<br />

enden. <strong>Die</strong>smal war es Mick, der ihn unterbrach. „Jetzt sagt nicht, dass Beth und ich die ver-<br />

missten Passagiere aus der Qantas 815 gefunden haben.“<br />

Mulder seufzte. „Wenn du es gefunden haben nennst ... Ja, habt ihr. Damit ist das wie<br />

ja auch geklärt. Wir wurden im Flugzeug betäubt und wachten erst hier wieder auf. Wir hatten<br />

keine Ahnung, wo man uns hin geschafft hatte, nur eine vage Ahnung, nachdem einige von<br />

uns bei einer Hatz durch den Dschungel Orang-Utans gesichtet haben. Wir hatten die Wahl<br />

zwischen Borneo oder Sumatra, oder keines von beiden, den netten Leuten hier wäre es auch<br />

zuzutrauen, die Affenbegegnung getürkt zu haben. Warum wir nicht wissen, wie lange wir<br />

hier sind und welches Datum ist: Ganz einfach, seht ihr irgendwo ein Fenster oder einen<br />

Kalender? Wir, das heißt, einmal alle und zwei Mal kleinere Gruppen von uns, waren in der<br />

gesamten Zeit nur drei Mal außerhalb des Gebäudes. Bei diesen Gelegenheiten konnten wir in<br />

Erfahrung bringen, dass wir irgendwo in den Tropen sind. Mehr aber auch nicht.“ Mulder<br />

machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort: „Was hier los ist? Nun, wir wissen seit einigen<br />

Minuten, dass wir offensichtlich für eine große Sache vor gesehen sind.“ Er schmunzelte über<br />

Beth’ verblüfftes Gesicht. „Ihr werdet es schnell merken, Aufklärungsarbeit wird hier nicht<br />

gerade großgeschrieben. Sehr viel eher werden euch knallharte Befehle um die Ohren ge-<br />

hauen. Und was wir hier schon für Spaß hatten, wollt ihr nicht wissen, glaubt mir.“<br />

„Schlimm?“, fragte Beth zaghaft. „Schlimmer.“, kam es aus vierzehn Zellen wie aus einem<br />

Mund.<br />

Kurz herrschte wieder Schweigen, dann meinte Locke ruhig: „Mick, du solltest lieber<br />

tun, was unsere Gastgeber verlangen, sie sind nicht gerade für Geduld bekannt, die Be-<br />

strafungen hier sind ... unangenehm. Nie, oder nur sehr, sehr selten für den Betroffenen selbst,<br />

weit eher für Unbeteiligte. Und in deinem Falle wohl für Beth. Macht nicht den Fehler, die<br />

Herrschaften hier zu unterschätzen, das ist schon ganz anderen nicht bekommen.“ Er sagte<br />

dies in ruhigem Ton und erreichte damit, dass Mick nickte. „Ja, du hast sicher Recht. Ich<br />

werde ganz bestimmt nichts riskieren, was Beth gefährden könnte. Es fällt mir nicht leicht,<br />

darüber zu reden, aber was möchtet ihr wissen?“ Er sah die Mitgefangenen an. Keiner mochte<br />

eine Frage stellen, also übernahm Mulder gerne diese Funktion. „Du bist fünfundachtzig,<br />

wann wurdest du zum Vampir?“, fragte er. Mick seufzte leise. „1952 ... Ich ... ich lernte auf<br />

einer Party eine Frau kennen, Coraline Duvall, verliebte <strong>mich</strong> hoffnungslos in sie. Wir<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

heirateten. In der Hochzeitsnacht ... machte sie <strong>mich</strong> zu einem Vampir.“ An dieser Stelle<br />

prustete Bones kopfschüttelnd: „Natürlich. Und seither schläfst du mit dem Kopf nach unten.“<br />

Mick warf der jungen Frau am anderen Ende der Zellenreihe einen ruhigen Blick zu. „Nein, in<br />

einer Kühltruhe.“, sagte er dann trocken.<br />

Aufklärungsarbeit<br />

Der flammende Beweis für die Unsterblichkeit ist unsere Unzufriedenheit mit<br />

jeder anderen Lösung.<br />

Ralph Waldo Emerson<br />

Bones verschlug es kurzfristig die Sprache. Und nun war es Kate, die nachfragte: „In<br />

einer Kühltruhe? Ich dachte immer, Vampire schlafen tagsüber in Särgen ...“ Sie schwieg ver-<br />

legen und sah sich hilfesuchend um. Mick schmunzelte. „Tja, es wird viel Blödsinn über uns<br />

gesagt. Tatsache ist, dass wir überhitzen, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, uns innerhalb<br />

eines Tages für mindestens drei Stunden an einem Ort aufzuhalten, der um die Minus drei bis<br />

fünf Grad hat.“ Bones schüttelte erneut den Kopf. „Und wovon ernährst du dich? Rohe<br />

Burger? Oder doch von Blut?“ Mick sah zu Boden. Er schämte sich entsetzlich. Verzweifelt<br />

schlug er die Hände vor sein Gesicht und fuhr sich dann in einer hilflosen Geste damit durch<br />

die dunklen Haare. Hier zu erklären, dass er sich wirklich ausschließlich von Blut ernährte,<br />

war ihm unmöglich. Er schwieg weiter. Und dann schrie Beth plötzlich schmerzerfüllt auf.<br />

Ein heftiger Stromschlag war durch den Boden ihrer Zelle gezuckt und hatte sie voll erwischt.<br />

Mick schoss entsetzt hoch. „Beth. Was ist ...?“ Trocken bemerkte Jake: „Haben wir wohl ver-<br />

gessen, zu erwähnen ... <strong>Die</strong> überwachen uns 24/7, wir können keine Bewegung machen, ohne<br />

dass die es sehen und kein Wort von uns geben, ohne dass die es mithören ...“ Mick ballte vor<br />

Zorn die Hände zu Fäusten. Dann stieß er gepresst hervor: „Ja, ja, ich muss <strong>mich</strong> von Blut<br />

ernähren. Nein, ich gehe nicht auf Jagd. Ich beziehe meine Nahrung von der Blutbank.“ „Wie<br />

Angel.“, entfuhr es Abby.<br />

Wieder schüttelte Bones den Kopf. „Das ist doch irre. Ihr könnt das doch nicht wirk-<br />

lich glauben. Booth, Herrgott, sage doch auch mal etwas dazu. <strong>Die</strong> ... Mein Gott, die nehmen<br />

uns doch auf den Arm.“ Sie wirbelte zu Mick herum. „Zeig es uns. Los, verwandle dich, oder<br />

wie immer man es in euren Kreisen nennt. Werde zu einem Vampir. Das kannst du doch<br />

sicher.“ Mick sah betroffen zu Bones herüber. „Du würdest auch das nur für einen Trick<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

halten, oder?“, fragte er leise. Beth lief eine Gänsehaut über den Rücken und sie setzte sich<br />

hastig auf das Bett. „Nützt nichts, irgendwie wird der Strom auch da geleitet.“, erklärte Kate<br />

resigniert. Sie hatte Beth beobachtet. „Mick. Bitte, Baby, zeige es ihr, ich ...“ Sie verstummte,<br />

wollte Mick nicht unter die Nase reiben, dass sie Angst hatte, erneut geschockt zu werden.<br />

Mick ließ den Kopf hängen. Mal ganz abgesehen davon, dass er sich gerade wie ein Tier im<br />

Zoo fühlte, dass neugierig begafft wurde, hatte er sich noch nie zu Vorführungszwecken in<br />

den Vampir in sich verwandelt. „Ich bin nicht sicher, ob ich ...“ ’es schaffe’ hatte er sagen<br />

wollen. Soweit kam er nicht, denn die Entführer beschlossen, ihm ein wenig in die Gänge zu<br />

helfen. Ehe er überhaupt begriff, wie ihm geschah, zuckte von dem Halsreif ausgehend erneut<br />

ein derartiger Schmerz durch seinen Körper, dass die Verwandlung in den Vampir sich un-<br />

mittelbar abspielte. Er hatte keine Kontrolle mehr darüber, diese übernahm der Schmerz.<br />

warten.“<br />

allen.“<br />

„Ich habe gewonnen, rüber mit der Kohle.“<br />

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass alle anderen es schlucken.“<br />

„Nicht mal House hat gezweifelt.“<br />

„Ob Brennan mitspielt?“<br />

„Machst du Witze. <strong>Die</strong> wird im Dreieck springen. Ich kann es kaum er-<br />

„Ich weiß, du kannst sie nicht leiden. Aber sie ist die Intelligenteste von<br />

„Das ist mir auch klar. Aber die Frau ist ein Alien.“<br />

Aufbrüllend sank er auf die Knie, krallte die Finger um den Reif und dann stöhnte<br />

Allison entsetzt auf und wich ans Gitter zur Zelle Jakes zurück. Eine Fratze wie aus einem<br />

Horrorfilm starrte ihr ins Gesicht. Kalte, aber in einem unheimlichen Feuer lodernde hellgrau-<br />

blaue Augen, gefährliche, lange Reißzähne in dem bis vor Sekunden ebenmäßigen Gebiss.<br />

Fauchend starrte die Kreatur zu ihr hinüber und sah dann gequält in die Runde. Und nicht nur<br />

Allison war entsetzt. Dana und Mulder hatten Ähnliches schon gesehen, sie traf der Anblick<br />

nicht. Alle anderen Gefangenen waren geschockt. „Er tut euch nichts. Hört ihr. Er ist kein<br />

Monster. Bitte. Habt keine Angst vor ihm. Bitte.“, wimmerte Beth, die spürte, dass die<br />

Stimmung im Kerker umzuschlagen drohte. Mick war verzweifelt bemüht, sich wieder unter<br />

Kontrolle zu bekommen und schließlich schaffte er es und wurde wieder zum menschlichen<br />

Teil in ihm. Bones war still. Sie konnte nicht fassen, was sich da eben abgespielt hatte. Er war<br />

ein Vampir. Das musste die kühle Wissenschaftlerin erst mal verdauen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mick hatte sich auf sein Bett fallen lassen und lag still und starr da, einen Arm über<br />

die Augen gelegt. Er hatte genau diese Reaktion erwartet. Keiner hier würde noch ruhig<br />

schlafen, nachdem sie alle wussten, mit welch einer Kreatur sie es zu tun hatten. Verzweifelt<br />

biss Mick sich auf die Lippe. Und zuckte heftig zusammen, als er plötzlich eine Hand auf<br />

seinem rechten Arm spürte. „Mach dir keine Sorgen, Mick, niemand hält dich für ein<br />

Monster, okay? <strong>Die</strong> wahren Monster sind die Leute, die uns alle hier gefangen halten wie<br />

Tiere. Wenn wir eines gelernt haben in den letzten Wochen, dann die Tatsache, dass wir,<br />

wenn überhaupt, nur eine Chance haben, wenn wir zusammen halten. Das beinhaltet von nun<br />

an auch dich und Beth. Ich habe keine Angst vor dir und die <strong>Anderen</strong> auch nicht.“ <strong>Die</strong> zier-<br />

liche, hübsche Rothaarige aus der Nachbarzelle hatte sich ans Gitter gehockt und Mick in<br />

einer freundschaftlichen Geste die Hand auf den Arm gelegt. Kurz hatte Mick das Bedürfnis,<br />

die Hand abzuschütteln und der Frau, Dana, wenn er sich richtig erinnerte, entgegen zu<br />

schreien: Du nicht, aber alle anderen hier. Dann jedoch riss ihn eine andere Stimme aus<br />

seinem Vorhaben. „Dana hat Recht, Mick, ich war nur erschrocken, es tut mir leid. Das alles<br />

hier ist auch schon furchtbar genug, ohne dass wir unter einander Misstrauen und Angst<br />

empfinden. Es tut mir leid, ich wollte wirklich nicht so hysterisch reagieren.“<br />

Mick konnte es kaum glauben. <strong>Die</strong> junge Ärztin, die sich als Allison Cameron vor-<br />

gestellt hatte, war wieder dicht ans Gitter getreten und schaute ruhig zu ihm hinüber. Mick<br />

lachte leise und verzweifelt. „Ist schon in Ordnung. Ich bin weit schlimmere Reaktionen ge-<br />

wohnt.“, sagte er und setzte sich auf, um beruhigend zu Beth hinüber zu nicken. Bones<br />

schüttelte erneut den Kopf, scheinbar die einzige Geste, zu der sie heute fähig war. „Ich kann<br />

es nicht glauben. Ist dir klar, dass du meine gesamte Weltanschauung auf den Kopf stellst?“<br />

Mick zuckte die Schultern. „Kann ich mir gut vorstellen, ja.“ Der Vampir sah in die Runde.<br />

„Noch Fragen?“, meinte er dann leise und verlegen. „Ja, allerdings. Was stimmt denn so,<br />

Knoblauch und Kruzifixe helfen gegen euch?“ Booth klang fast gut gelaunt. Irgendwie gefiel<br />

ihm die Vorstellung, dass Bones etwas zugeben musste, dass sie nicht wissenschaftlich er-<br />

klären konnte. Mick wurde noch verlegener. „Nein, das stimmt wirklich nicht, wenn ich<br />

Essen würde, würde ich Gerichte mit Knoblauch bevorzugen, ich mochte ihn immer gerne.<br />

Und auch Kreuze halten uns nicht auf. Auch, wenn ich mir selbst mit Sicherheit keins in die<br />

Wohnung hängen würde. Das hat aber eher mit der Tatsache zu tun, dass ich Atheist bin. War<br />

ich übrigens schon vor der ... Bevor ich zum Vampir gemacht wurde. Nebenbei, ich habe das<br />

nicht gewollt, okay? Sie hat <strong>mich</strong> nicht gefragt, was ich dazu zu sagen hatte, sie hat es einfach<br />

gemacht. Ich habe sie verlassen ...“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Verstehe das bitte nicht falsch, aber wie kann man euch töten?“, fragte Locke<br />

interessiert. „Oh, wäre das klug, wenn ich es euch verraten würde?“, grinste Mick verhalten.<br />

„Es gibt die unappetitliche Möglichkeit, uns in Grillfleisch zu verwandeln. Das entspricht<br />

einer Endlösung. Nicht weniger unappetitlich und genau so wirkungsvoll ist es, uns die Köpfe<br />

abzuschlagen. Wer etwas länger Zeit hat, kann ausprobieren, wie es ist, einen Vampir der<br />

Sonne auszusetzen. Entgegen den allgemein verbreiteten Infos, aus einschlägigen Hollywood-<br />

filmen zum Beispiel, tötet uns das nicht sofort, sondern schön langsam und qualvoll.“ Gibbs<br />

warf ein: „Das viel gelobte und in diesen einschlägigen Filmen gern gezeigte Pfählen hilft<br />

nicht wirklich, was?“ „Du kennst Vampirfilme? Hast du Brad Pitt gesehen in ‘Interview with<br />

a ...‘ Ähm, Tschuldigung, falsches Thema ...“ Abby wurde knallrot und Ziva und Sawyer<br />

lachten leise. Mick grinste verhalten. „Holzpflöcke paralysieren uns und wir sind nach einer<br />

derartigen Behandlung dankbar, wenn wir ... eine kleine Injektion bekommen.“ „Das war es<br />

also, was sie dir gespritzt haben, was? Blut?“ House sah zu Mick hinüber. <strong>Die</strong>ser nickte<br />

stumm. „Freunde, ich möchte ja ungern der Spaßkiller sein, aber wir unterhalten uns hier mit<br />

einem offensichtlich echten Vampir über Vampire und vergessen dabei, dass man zwei von<br />

uns ... scheinbar getötet hat.“, erklärte Jake leise. Heather erschrak. „Gott, Jake, du hast Recht.<br />

Wir sind schrecklich. Wir haben zwei von uns verloren, und keiner von uns ...“ Sie ver-<br />

stummte und sah hilflos zu Jake hinüber.<br />

Betroffen wurde den <strong>Anderen</strong> bewusst, dass sie den eventuellen Tod zweier Leidens-<br />

genossen übergangen hatten. „Du hast Recht, Heather, wir sollten unsere Sensationsgeilheit<br />

hinten anstellen und darüber nachdenken, dass zwei von uns von diesen Schweinen vermut-<br />

lich getötet wurden. Wir können uns nicht vor der Tatsache verschließen.“, sagte Mulder<br />

leise. Beth hatte zu gehört und fragte leise: „Wer waren sie, Sara und Gil?“ „Mitarbeiter des<br />

CSI Las Vegas.“, antwortete Ziva kurz. „Meint ihr, die haben sie wirklich getötet? Nicht hier<br />

in der Zelle, das würde ich spüren.“, warf Mick ein. Er konzentrierte sich und schloss die<br />

Augen. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite, als würde er auf etwas Lauschen. Locke tat in<br />

seine Zelle das Gleiche. Er versuchte, eine Vision Gils oder Saras herbei zu führen. Er<br />

schaffte es nicht, hatte aber einfach das Gefühl, dass die Beiden noch am Leben waren.<br />

Häufig schon hatte ihn sein Gefühl nicht getrogen. Allerdings war es müßig, darüber nachzu-<br />

denken, denn die Entführer würden ihnen ganz bestimmt ohnehin nicht die Wahrheit sagen.<br />

Eine ganze Weile herrschte Schweigen, alle, einschließlich Beth und Mick, hingen den<br />

sehr trüben Gedanken nach. Mick hatte, wohl zu Recht, das Gefühl, dass auf Beth und be-<br />

sonders auf ihn eine sehr unangenehme Zeit zukommen würde. Der junge Mann, der eigent-<br />

lich schon über achtzig Jahre alt war, war sich darüber im Klaren, dass diese Leute, die ihn<br />

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by Frauke Feind<br />

und Beth, sowie die anderen Personen hier entführt hatten, ihn hundertprozentig unter<br />

Kontrolle hatten. Solange Beth sich in ihren Händen befand, würde Mick alles tun, was sie<br />

von ihm erwarteten. Er hatte die noch sehr frische Narbe bei dem jungen Mann Namens<br />

Sawyer ebenfalls sofort bemerkt, und nicht nur die. Auch der junge Jake, zwei Zellen weiter,<br />

hatte recht frische Verletzungsnarben, ebenso der FBI Agent Booth, in der Zelle gegenüber.<br />

Was Mick aber besonders erschütterte, war die Hoffnungslosigkeit, Resignation und Angst,<br />

die er in den Augen aller anderen Gefangenen überdeutlich sah. <strong>Die</strong> Ermittler machten nicht<br />

den Eindruck, als wären sie leicht zu erschüttern und auch dieser Jake und Sawyer sahen nicht<br />

so aus, als könne man sie mir nichts, dir nichts einschüchtern. Was mussten sie ertragen<br />

haben, um diese Angst, Verzweiflung, Resignation und Hoffnungslosigkeit in den Augen zu<br />

haben? Ihm wurde schlecht wenn er daran dachte, einen solchen Gesichtsausdruck auch bald<br />

bei Beth ertragen zu müssen.<br />

<strong>Die</strong> junge Anthropologin Temperance Brennan, Bones, wie sie von den anderen<br />

scheinbar genannt wurde, war es schließlich, die das herrschende Schweigen brach. Sie hatte<br />

die letzten Minuten damit verbracht, über das Gesehene und Gehörte nachzudenken und war<br />

zu dem Ergebnis gekommen, dass man sie hier auf schreckliche Weise auf den Arm nahm. Es<br />

war 2006 und Vampire gab es nicht. Egal, was man ihnen hier versuchte, vor zu machen. Wer<br />

wusste schon, was für Tricks hier gerade verwendet wurden. Bones trat ans Gitter, fixierte<br />

Mick und sagte dann ruhig: „Hör zu, Vampir, ich glaube nicht, dass du bist, was du vorgibst<br />

zu sein. Ich nehme an, unsere Gastgeber sind in der Lage, mit Tricks zu arbeiten, die uns un-<br />

möglich erscheinen mögen. Wir haben hier die Hölle auf Erden, seit wir gekidnappt wurden<br />

und ihr beide, Beth und du, arbeitet mit den Entführern zusammen, davon bin ich überzeugt.“<br />

Mick hatte die Worte gehört und war ein wenig verwundert, dass Bones so hartnäckig an<br />

seiner Existenz zweifelte. Bedrückt sagte er: „Temperance ... Bones, wenn ich das sagen darf,<br />

ich weiß nicht, wie ich dir beweisen kann, dass ich tatsächlich ein Vampir bin ... Es ist ja<br />

nicht so, dass ich stolz darauf bin und ...“ Bevor er seinen Satz beenden konnte, ertönte plötz-<br />

lich die Lautsprecherdurchsage: „Nummer 6 und 13.“ Bones erschrak und beeilte sich, ans<br />

Gitter zu treten und ihre Hände durch das Loch zu strecken. Mick beobachtete scharf ihre<br />

Reaktion und trat ebenfalls ans Gitter. Er strecke seine Hände wie gefordert auch durch das<br />

Loch und wartete, was nun geschehen würde. Einige Wachen betraten den Raum. Zwei<br />

gingen zu Bones und Mick und fesselten ihnen die Hände auf den Rücken, zwei weitere traten<br />

zu Beth an die Zelle, mit Flammenwerfern bewaffnet, und warfen Mick einen kalten Blick zu.<br />

Widerstandslos ließ dieser sich Sekunden später von der Wache aus der Zelle stoßen<br />

und zur Mitte des Kerkers führen. Er biss die Zähne zusammen, als er nun Zeuge wurde, wie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Stangen, an denen er vorhin schon gehangen hatte, wieder aus dem Boden gefahren<br />

wurden. Zwei Minuten später hing er in der gleichen Haltung erneut in den Fesseln. Bones<br />

hatte die Vorbereitungen mit gemischten Gefühlen beobachtet. Jetzt wurde sie am linken Arm<br />

gepackt und zu dem hilflos gefesselten Mann hinüber geführt. Eine der Wachen, die vor Beth‘<br />

Zelle Aufstellung bezogen hatten, marschierte hinüber zu Booth und baute sich vor dessen<br />

Zelle auf. Aus dem Lautsprecher ertönte: „Nummer 1.“ Booth gehorchte genau so schnell wie<br />

Bones. Kurze Zeit später stand er, mit Hilfe des Halsbandes erneut außen an die Zelle ge-<br />

fesselt, abwartend still und harrte der Dinge, die kommen würden. <strong>Die</strong> Wache griff nach<br />

seinem Kittel, hob diesen an und klemmte ihn kurzerhand an Booth’ Halsband ein. In der<br />

Raummitte starrte Bones besorgt zu Mick auf. Sie wusste nicht, auf was das hier hinaus<br />

laufen sollte und hatte ein sehr ungutes Gefühl. Beth stand am Gitter, hatte die Hände um die<br />

Gitterstäbe gekrallt und beobachtete aus panisch aufgerissenen Augen die seltsamen Vor-<br />

bereitungen. Alle anderen Gefangenen hatten die Aktionen ebenfalls sehr besorgt beobachtet.<br />

Was sollte das werden?<br />

<strong>Die</strong> Antwort erhielten sie augenblicklich. <strong>Die</strong> Kerkertür ging erneut auf und der Arzt<br />

kam zurück in den Zellentrakt. Er ging zielstrebig zu Bones hinüber. Kalt sah er die<br />

Anthropologin an. „Du zweifelst? Nun, wir dachten, dass hätten wir euch in den vergangenen<br />

Monaten ausgetrieben. Was jetzt kommt, hat Nummer 13 dir zu verdanken, damit das klar<br />

ist.“ Er zog einen Gegenstand aus der Kitteltasche und Bones entfuhr ein erschrockenes<br />

Ächzen, als sie den Gegenstand als ziemlich große Messerscheide mit Inhalt identifizierte.<br />

„Du wirst einen kleinen, medizinischen Versuch machen, den sicher alle gerne beobachten<br />

werden. Ich will, dass du dieses Messer nimmst.“ <strong>Die</strong> Wache hinter Bones öffnete deren<br />

Handfesseln. Der Arzt drückte der jungen Frau das zirka fünfzehn Zentimeter lange Jagd-<br />

messer in die zitternde Hand. „<strong>Über</strong>zeuge dich bitte genau davon, dass es ein echtes Messer<br />

ist.“, bekam sie den Befehl. Unsicher sah Bones sich das Messer an, fasste vorsichtig die<br />

Klinge, um fest zu stellen, ob diese echt war, bückte sich und stieß die Klinge auf den Boden,<br />

um sicher zu gehen, dass sie nicht in den Messergriff verschwinden würde. Dann kam sie un-<br />

sicher wieder hoch und nickte. „Es ist echt, Sir ...“, sagte sie leise.<br />

„Du wirst jetzt zu Nummer 1 gehen und ihn mit dem Messer schneiden.“ Bones wurde<br />

blass und Tränen schossen ihr in die Augen. Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Nein ....“ Der<br />

Arzt sah sie kalt an. „Nummer 6, für jedes Nein wirst du Nummer 1 einen weiteren Schnitt zu<br />

fügen, also, sieh lieber zu, dass du deinen Hintern zu ihm bewegst und tust, was wir von dir<br />

verlangen.“ Aufschluchzend wankte Bones zu Booth hinüber, der ihr angstvoll entgegen<br />

starrte. „Wir sind schon bei zwei Schnitten, wenn du nicht willst, dass es noch mehr werden,<br />

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by Frauke Feind<br />

solltest du jetzt lieber anfangen.“ Panisch wimmerte Bones auf. „Bitte ... Das könnt ihr nicht<br />

verlangen. Ich flehe euch an.“ „Drei.“, kam die kalte Stimme des Arztes und Booth schluckte.<br />

„Nun mach schon, Bones, sonst bin ich bald Gulasch.“, keuchte er verzweifelt. Bones<br />

schluchzte noch heftiger, dann trat sie vor ihn hin. „Es tut mir so leid ...“ Booth nickte, biss<br />

die Zähne zusammen und wappnete sich gegen den Schmerz. „Wo?“, wimmerte Bones leise.<br />

„Auf dem Bauch.“, kam der kalte Hinweis. Mit zitternden Händen hob Bones das Messer. Sie<br />

sah an Booth’ heftig sich heben und senkender Brust, wie schnell er atmete und wusste, dass<br />

der geliebte Mann Angst hatte. Blind vor Tränen biss sie sich auf die Lippe, dann tat sie etwas<br />

<strong>Über</strong>raschendes. Ganz dicht trat sie an Booth heran und küsste ihn, leidenschaftlich und<br />

intensiv. Und während ihres Kusses zog sie ihm das Messer drei Mal zu kurzen Schnitten<br />

über den Bauch. Sie spürte ihn heftig zusammen zucken und hörte sein schmerzvolles Auf-<br />

keuchen. Aber die zufriedene Stimme des Arztes machte ihr klar, dass sie scheinbar richtig<br />

reagiert hatte.<br />

Weinend trat sie zurück und starrte entsetzt auf die heftig blutenden Schnittwunden.<br />

Booth nickte ihr beruhigend zu. „Alles ... in Ordnung.“, stieß er gepresst hervor. Bones bekam<br />

den Befehl: „So, das war schon sehr schön für den Anfang. Jetzt kommen wir zu Teil zwei<br />

deiner Prüfung. Komm hier herüber.“ Mit zitternden Knien kam die junge Frau wieder in die<br />

Mitte auf die Plattform. Mick und Beth hatten entsetzt beobachtet, was vorgegangen war.<br />

Langsam verstand Mick den gehetzten Ausdruck in den Augen der Mitgefangenen. Was<br />

waren ihre Entführer für Menschen? Bones stand tränenüberströmt wieder vor Mick und<br />

starrte auf das Messer in ihrer Hand. Und dann kam die ungeheure Ansage des Arztes: „Du<br />

hast dich überzeugt, dass es sich um ein echtes Messer handelt, ja?“ Bones nickte, beeilte sich<br />

dann aber: „Ja, Sir.“, zu sagen. „Gut. Du wirst dieses echte Messer zu echten Demonstrations-<br />

zwecken ganz in echt unserem vampirischen Freund hier in den Bauch stechen.“ Nicht nur<br />

Mick, Bones und Beth erstarrten.<br />

„NEIN!“ Bones wich vollkommen entsetzt zurück. „Nein, niemals. Ich töte doch<br />

keinen Menschen. Seid ihr irre? NEIN!“ Ein gnadenloses Nicken zur Wache bei Booth<br />

hinüber war die einzige Reaktion des Arztes. Der Posten warf ohne zu Zögern den Flammen-<br />

werfer an und Booth keuchte auf vor Angst und Entsetzen. Bones war nahe daran, das erste<br />

Mal in ihrem Leben wirklich vollkommen die Fassung zu verlieren. Und ausgerechnet Mick<br />

war es, der sich hektisch einmischte. „Bones. Bones, hör zu. Hör zu, verdammt. Tu es. Mach<br />

schon, du kannst <strong>mich</strong> nicht töten. Los doch.“ Bones schüttelte immer hektischer den Kopf.<br />

„Ihr seid ja alle verrückt. Vollkommen irre. Ich werde keinen Mord beg....“ Weiter kam sie<br />

nicht. Booth’ gellender Schmerzensschrei, als die Wache den Flammenwerfer über seinen<br />

267


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bauch zog, unterbrach sie. Mick fuhr entsetzt herum und jetzt schrie auch Beth: „Bones, du<br />

musst es machen. Du kannst ihn nicht umbringen, aber die werden Booth grillen.“ Und Mick<br />

vervollständigte: „Nun mach schon.“ Es war nicht so, dass er keine Angst vor den Schmerzen<br />

gehabt hätte, die er ganz normal wie jeder lebende Mensch empfand. Aber das Wissen, dass<br />

diese Schmerzen nicht lange anhalten würden, half ihm, seine Angst in Grenzen zu halten.<br />

Immer noch zögerte Bones und wieder schrie Booth gequält auf. Und nun brüllte Mick die<br />

junge Frau heftig an. „LOS!“ Bones zitterte am ganzen Leib, trat auf Mick zu und schluchzte:<br />

„Es tut mir so leid.“ Dann hielt sie den Kittel Micks zur Seite und stach zu.<br />

Gehorsam<br />

Angst kann man immer in sich finden, man muss nur tief genug suchen.<br />

André Malraux<br />

Beth’ entsetzter Aufschrei, den sie trotz des Wissens, dass Mick nichts ernsthaftes ge-<br />

schehen würde, nicht zurück halten konnte, vermischte sich mit dem gequälten Schmerzens-<br />

schrei Micks und den entsetzten Aufschreien Allisons, Heathers und Kates. Dana und Abbys<br />

Zellen waren in Micks Rücken, daher wurde ihnen der Anblick erspart. Mick hatte in Bones<br />

Augen gesehen, dass die junge Anthropologin nun zustechen würde und hatte verzweifelt<br />

versucht, sich gegen den Schmerz zu Wappnen. Als jedoch das Messer in seinen Körper, in<br />

seine Muskeln, seine Nervenstränge fuhr, war der Schmerz doch viel zu allumfassend, als das<br />

der Vampir einen gellenden Schrei hätte zurück halten können. Bones ließ das Messer los, als<br />

hätte sie sich an dem Griff verbrannt, sank auf die Knie und schlug die Hände vor ihr Gesicht.<br />

Booth hatte zu große eigene Schmerzen, um noch allzu viel mit zu bekommen. Mick hing<br />

keuchend und hustend in seinen Fesseln. Und der Arzt nickte zufrieden. Bones wagte nicht,<br />

den Blick zu heben. Sie wollte nicht sehen, wie der junge Mann durch ihre Hand starb.<br />

Weinend hockte sie am Boden. Und dann hörte sie plötzlich, schmerzgequält, aber dennoch<br />

fest, Micks Stimme.<br />

„Bones, wenn du ... bitte das ... Messer wieder ... heraus ziehen könntest ....“ Bones<br />

Kopf zuckte hoch und sie starrte vollkommen ungläubig in Micks Gesicht. Der quälte ein<br />

Lächeln auf seine Lippen, obwohl ihm viel eher nach Schreien zu Mute war. Seine Ein-<br />

geweide schienen in Flammen zu stehen. Solche Schmerzen hatte er lange nicht mehr gehabt.<br />

Schweiß lief ihm in Strömen über den Körper. Bones konnte es nicht fassen. Langsam<br />

268


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

rappelte sie sich auf die Füße. „Mick ...“ Der junge Mann biss die Zähne zusammen dass es<br />

knirschte und keuchte: „Zieh es raus ... bitte.“ Bones glaubte, jeden Moment den Verstand zu<br />

verlieren. Sie packte den Griff des Messers, zog und mit einem Übelkeit erregenden Geräusch<br />

glitt die Klinge aus dem Körper des Gefesselten, was dieser mit einem weiteren gepeinigten<br />

Schrei quittierte. Bones ließ das Messer fallen. Sie hatte plötzlich Angst davor, es sonst in die<br />

grinsende Visage des Arztes vor ihr zu stoßen. Stattdessen versuchte sie, mit bloßen Händen<br />

den Blutstrom, der sich aus der Stichwunde ergoss, zu stoppen. Mick hing keuchend in den<br />

Fesseln, Beth schrie verzweifelt: „Er braucht Blut, bitte.“, und der Arzt zog eine Spritze aus<br />

der Tasche, die mit einer dunkelroten, zähen Flüssigkeit gefüllt war.<br />

Er drückte Bones die Spritze in die Hand und sagte: „Hier, eine Spritze in die Hals-<br />

schlagader wirst du ja wohl hin bekommen.“ Bones zögerte nicht mehr. Sie nahm hastig die<br />

Spritze, stieß die Nadel in Micks Halsschlagader und drückte dann den Kolben nach unten.<br />

Und wie schon bei dem Holzpflock erholte Mick sich zusehends. Nach einigen Minuten war<br />

die Wunde nicht mehr zu sehen und der gefesselte Mann atmete wieder ruhig und entspannt.<br />

Bones war so fassungslos, dass sie sogar Booth’ schmerzerfülltes Stöhnen kaum wahrnahm.<br />

„Du bist ... Du lebst ... Du stirbst ... nicht ... Du bist ein ... Das gibt es doch nicht. Du bist ein<br />

Vampir ...“ Mick nickte. „Kümmere dich lieber um Booth ... Der hat es wesentlich nötiger als<br />

ich, fürchte ich.“, sagte er leise. Erst jetzt wurde Bones bewusst, dass Booth keuchend vor<br />

Schmerzen an der Zellentür hing. Aber bevor sie auf die Idee kommen konnte, zu ihm zu<br />

eilen, wurde sie von dem Wachposten an den Armen gepackt und Sekunden später schloss<br />

sich die Zellentür hinter ihr.<br />

Mick wurde nun aus seiner mehr als unangenehmen Lage befreit und zurück in die<br />

Zelle geschafft. Dann wurden Booth’ Fesseln gelöst und die Wache stieß ihn rücksichtslos in<br />

die Zelle zurück. Neben den drei Schnitten hatte er quer über dem Bauch eine rot leuchtende<br />

Brandwunde, die höllisch schmerzte. Keuchend sank er auf sein Bett und versuchte, sich zu<br />

entspannen. Der Arzt verkündete kalt: „Das war’s für heute, Probanden.“ Er wandte sich an<br />

Beth und Mick. „Ihr solltet die Nacht zum Schlafen nutzen, morgen steht einiges auf dem<br />

Programm.“ Er grinste diabolisch und dann verließ er zusammen mit den Wachen den Kerker.<br />

Das grüne Licht ging aus und machte dem Roten Platz. Bones stand verzweifelt am Gitter und<br />

hätte so gerne gefragt, wie es Booth ging, aber sie schwieg. Ähnlich empfand Beth, aber auch<br />

die junge Journalistin hatte begriffen, dass ein Anderer würde Leiden müssen, wenn sie un-<br />

erlaubt sprach. So konnte sie nur durch die Gitterstäbe zu dem Mann hinüber schauen, den sie<br />

liebte. <strong>Die</strong> Drohung des Arztes machte der jungen Frau Angst, obwohl sie sich nach dem<br />

ersten Schock, in dieser Zelle aufzuwachen, wieder etwas gefangen hatte.<br />

269


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mick erholte sich schnell, allerdings wurde ihm allmählich warm. Eigentlich hätte er<br />

in seinen Freezer klettern müssen. Hier hatte er nur ein Bett. Er starrte die ungewohnte<br />

Schlafstatt an und warf dann Beth einen Blick zu, der Bände sprach. <strong>Die</strong> junge Frau biss sich<br />

nervös auf die Lippen. Sie hatte ein Mal erlebt, wie es Mick ging, wenn er sich nicht Ab-<br />

kühlen konnte. Damals wäre er fast gestorben. Besorgt schaute sie durch die Gitterstäbe zu<br />

ihm hinüber. Er zuckte die Schultern und in diesem Moment ging das Licht aus. <strong>Die</strong> anderen<br />

Gefangenen, an den Rhythmus gewöhnt, legten sich in ihre Betten. Und dann kamen noch<br />

einmal Wachen in den abgedunkelten Kerker. <strong>Die</strong> Zellentüren öffneten sich nach und nach<br />

und die genervten Gefangenen wurden wieder an die Betten gefesselt. Sawyer hatte eine<br />

Sekunde im Kopf, aufzubegehren, zwang sich aber zur Ruhe. Booth zuckte heftig zusammen,<br />

als auch er gnadenlos an das Bett gefesselt wurde und die Zudecke über ihn gelegt wurde. <strong>Die</strong><br />

Wärme an der Brandwunde trieb ihm bereits nach kurzer Zeit den Schweiß auf die Stirn. Er<br />

wand sich unruhig in seinen Fesseln und konnte schnell ein gequältes, leises Stöhnen nicht<br />

mehr unterdrücken. Bones hörte diese Geräusche überdeutlich und wieder kullerten der<br />

jungen Frau Tränen über die Wangen.<br />

House kämpfte mit dem Impuls, los zu schreien, man möge ihn gefälligst zu Booth<br />

lassen, um dem zu helfen. Auch Allison hätte dem jungen Mann gerne geholfen. Aber die<br />

Vernunft siegte bei beiden. Einen Aufstand zu machen hätte Booth nur noch mehr in<br />

Schwierigkeiten gebracht. Gefährlich waren die Verletzungen nicht wirklich, nur sehr<br />

schmerzhaft. Alle versuchten, einzuschlafen, aber das war schwer. Zum einen war die<br />

Fesselung erneut vollkommen ungewohnt, dann hatten alle wieder mehr Angst, irgendwie<br />

hatten die netten Zimmer ein gewisses Maß an Sicherheit vermittelt. Schon das Gefühl, zu-<br />

sammen sein zu können, hatte besonders den Paaren Mut gemacht. Jetzt hier wieder hilflos<br />

gefesselt herum zu liegen, die geliebten Partner weder sehen noch sprechen zu können, war<br />

außerordentlich deprimierend. Kate lag in der Dunkelheit, zu Bewegungslosigkeit verurteilt<br />

und sehnte sich nach Sawyers Armen, in denen sie sich so unglaublich geborgen fühlte.<br />

Heather ging es ähnlich, sie wünschte so sehr, bei Jake im Arm liegen zu können. Mulder und<br />

Dana waren zu sehr damit beschäftigt, über den neuen Mitgefangenen nachzudenken.<br />

Selbstverständlich vermissten sie einander ebenfalls schmerzlich, aber die Vorstellung, einen<br />

echten Vampir bei sich zu haben war besonders für Mulder elektrisierend. Und auch Locke in<br />

seinem Bett fand die Vorstellung faszinierend. Ziva, Abby, Gibbs und Jake waren immer<br />

noch fassungslos über das, was sie gesehen hatten.<br />

270


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

In seinem Bett wurde Booth immer unruhiger. <strong>Die</strong> Brandwunde, von der Wärme der<br />

Zudecke angeheizt, brannte wie Feuer und die drei Schnittwunden in demselben Bereich<br />

waren auch nicht sehr hilfreich. Verzweifelt versuchte er, das Zudeck von seinem Körper zu<br />

bekommen, aber in der Position, in der die Gefangenen an die Betten gefesselt waren, hatte er<br />

keine Chance, das zu schaffen. Allerdings war Booth nicht der Einzige, der sich unruhig hin<br />

und her wälzte. Auch Mick wurde mit jeder verstreichenden Minute unruhiger. Schon alleine<br />

die Tatsache, nicht in seinem Freezer zu liegen, war schlimm genug, aber hier auch noch ge-<br />

fesselt und zugedeckt herum zu liegen, war für den Vampir bald unerträglich.<br />

Eigenartigerweise fühlte er sich seltsam kraftlos. Er hatte probehalber an den Fesseln gezerrt,<br />

wie alle Gefangenen am Anfang und hatte beunruhigt festgestellt, dass er es nicht schaffte, die<br />

Fesseln zu zerreißen. Mick wusste nicht, woran seine unerklärliche Schwäche lag, hatte aber<br />

das ihm verabreichte Blut in Verdacht. Es gab bestimmte Möglichkeiten, Vampire zu<br />

schwächen, so, wie es Möglichkeiten gab, Vampire vorübergehend (oder auch für immer?)<br />

wieder in Menschen zu verwandeln. Mick vermutete, dass diese Leute hier eine Substanz<br />

hatten, die ihm die Kraft raubte. Nicht, dass dies eine angenehme Vorstellung für den Vampir<br />

gewesen wäre.<br />

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber er spürte, dass er fieberte. Wenn er<br />

tatsächlich chemisch geschwächt wurde, verlor sein Körper zwangsläufig auch einiges an<br />

Widerstandskraft, ergo wirkte sich das Fehlen der Kühlung schneller negativ aus als unter<br />

normalen Umständen. Der junge Mann spürte, dass ihm das Zudeck am Körper klebte und<br />

biss die Zähne zusammen, um nicht aufzustöhnen. Er baute immer schneller ab, erheblich<br />

schneller, als er es normalerweise in dieser Situation getan hätte. In menschlichen Maßstäben<br />

gemessen, hatte er inzwischen sicher über 40° Fieber. Sein Körper, der wirklich glühte, war<br />

durchaus im Stande, ihn mit Schüttelfrost zu Quälen und tat dies sehr ausgiebig. Seine Zähne<br />

klapperten aufeinander, und er zitterte am ganzen Leib unter der Zudecke, die, wenn nicht<br />

bald etwas geschah, sein Leichentuch werden würde. Vor seinen Augen verschwamm alles<br />

und er wusste aus Erfahrung, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er musste unbedingt in eine<br />

Kühltruhe, wenn er überleben wollte. Doch überdeutlich und glasklar wurde ihm bewusst,<br />

dass sein <strong>Über</strong>leben nicht mehr in seiner Hand lag. Er hatte sich, seit er ungewollt zum<br />

Vampir gemacht worden war, nicht mehr so hilflos und ausgeliefert gefühlt. Und plötzlich<br />

kam Todesangst in ihm hoch. Er war unfähig, etwas zu seiner Rettung beizutragen, war der<br />

Laune dieser Leute hier absolut hilflos ausgeliefert. Schlagartig verstand Mick den Ausdruck<br />

in den Augen seiner Leidensgenossen.<br />

271


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als er glaubte, es keine Minute länger zu ertragen, ertönte plötzlich ein unangenehmes<br />

Tröten und die wenigen Gefangenen, die tatsächlich eingeschlafen waren, fuhren erschrocken<br />

hoch. Licht ging an und zwei Wachen mit einem Servierwagen kamen in den Kerker. Sie<br />

traten an Danas Käfig und dieser ging auf. Dana wurde wortlos von den Fesseln befreit und<br />

erhielt ein Tablett, Wasser und ihre Vitamine, dann traten die Wachen vor Micks Zelle.<br />

Grinsend sahen sie auf den sterbenden Vampir herunter und einer der Kerle meinte kalt: „Na,<br />

unserem Ehrengast geht es nicht sehr gut, was? Wie sieht es aus, Nummer 13, Interesse an<br />

einen Kühlschrank?“ Beth hörte die Worte und war schockiert. So schnell durfte es Mick<br />

eigentlich nicht so schlecht gehen. Was war denn nur los mit ihm? Dana hatte schon eine<br />

Weile das leise Stöhnen und Zähneklappern aus der Zelle neben sich vernommen. Kaum war<br />

sie von ihren Fesseln befreit, trat sie an das trennende Gitter und sah zu dem jungen Mann<br />

hinüber. Sie war Ärztin und ihm ging es schlecht. So vergaß Dana komplett, was Mick war.<br />

Er war nur noch ein kranker junger Mann, der dringend Hilfe benötigte. Mick hatte die<br />

zynischen Worte der Wache in seinem fieberumnebelten Hirn registriert und versuchte, mit<br />

heftig klappernden Zähnen eine Antwort hervor zu bringen. „Ja .... Sir .... Großes ... großes<br />

Interesse .... Bitte ....“ Er verstummte stöhnend. „Ich nehme an, du bist bereit, dafür in allen<br />

Belangen mit uns zu kooperieren?“ Verzweifelt und aus gelb geränderten Augen starrte Mick<br />

zur Decke und nickte zitternd. „Ja ... Sir ...“<br />

<strong>Die</strong> Wache sagte leise etwas in ihr Headset und kurze Zeit später öffnete sich die<br />

Kerkertür und ein Hubwagen mit einer Kühltruhe darauf wurde in den Zellentrakt gebracht.<br />

<strong>Die</strong> Tür zu Micks Zelle öffnete sich, die beiden Wachen befreiten den Vampir von den<br />

Fesseln und halfen ihm aus dem Bett. Alleine war er nicht mehr fähig zu stehen. Der dritte<br />

Wachmann nahm Kissen und Zudeck vom Bett, dann klappte das Teil hoch. Nun brachte der<br />

Posten die Kühltruhe in die Zelle und stellte sie dorthin, wo das Bett gewesen war. In der<br />

Wand unter dem Waschbecken öffnete sich eine kleine Klappe, hinter der eine Steckdose zum<br />

Vorschein kam. <strong>Die</strong> Kühltruhe wurde angeschlossen, dann hievten sie Mick zu dritt in das<br />

Gerät hinein und verschlossen den Deckel mit einem stabilen Vorhängeschloss. Der Vampir<br />

war jetzt in der Truhe gefangen. Er bekam kaum noch etwas mit, taumelte quasi am Rande<br />

der Besinnungslosigkeit dahin. <strong>Die</strong> Wachen warfen noch einen letzten Blick durch den Glas-<br />

deckel des Freezers, dann verließen sie die Zelle und zogen die Tür hinter sich zu. Nach und<br />

nach befreiten sie auch die anderen Gefangenen und schließlich kamen sie zu Booth, der ein<br />

leises Wimmern vor Schmerzen teilweise nicht mehr unterdrücken konnte. Als endlich die<br />

Zudecke von dessen Körper entfernt wurde, stöhnte der junge Agent erleichtert auf. Im ersten<br />

Moment kam ihm das Fehlen der warmen Decke wie ein Geschenk des Himmels vor, aber das<br />

272


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Empfinden hielt nicht lange an, dann setzte das Brennen verstärkt wieder ein und Booth ent-<br />

fuhr erneut ein Stöhnen.<br />

House, Allison und Dana sahen besorgt zu dem jungen Mann hinüber, der sich müh-<br />

sam aufrichtete, um die Toilette zu benutzen. Als er fertig war, sank er ächzend auf sein Bett<br />

zurück und wünschte, man würde ihm irgendwie mit Brandwundensalbe oder etwas Ähn-<br />

lichem helfen. Er sah an sich herunter und erschrak ein wenig. Sein Bauch glühte hochrot und<br />

kleine Bläschen hatten sich gebildet. In dieser Brandwunde fielen die Schnittwunden kaum<br />

auf. Bones war, kaum dass man sie befreit hatte, aus dem Bett gesprungen und an das Gitter<br />

getreten, um zu Booth herüber zu schauen. <strong>Die</strong>ser hatte sich sofort wieder lang gemacht, was<br />

Bones als schlechtes Zeichen wertete. Sie hoffte verzweifelt, dass endlich das grüne Licht<br />

angehen würde, aber den Gefallen taten ihnen die Entführer nicht. Man ließ den Gefangenen<br />

Zeit, sich in Ruhe mit der neuen Situation zu befassen. Beth hatte es im Moment am<br />

Schwersten. Schon den Mund halten zu müssen war für die mitteilsame junge Frau eine Qual.<br />

Das auf sie und Mick einiges zukommen würde, war ihr vollkommen klar. Sie hatte Angst,<br />

dass konnte sie nicht unterdrücken. Um sich, noch mehr aber um Mick. Er war es sicher, der<br />

im Mittelpunkt des Geschehens stehen würde. Sie, darüber war sich die Journalistin voll-<br />

kommen im Klaren, war nur Mittel zum Zweck. Solange die Entführer sie hatten, würde Mick<br />

alles tun, was man von ihm verlangte. Beth sah sich um. Sie hatte ein extrem geschultes Auge<br />

für zwischenmenschliche Beziehungen und die Paarungen hier in diesem grässlichen Kerker<br />

waren überdeutlich zu erkennen.<br />

<strong>Die</strong> einzigen vollkommen unabhängigen Gefangenen waren der ältere Mann am<br />

anderen Ende des Zellentraktes, John Locke, und die drei NCIS Mitarbeiter. <strong>Die</strong>se verband<br />

nur, dass sie Kollegen waren. Dass Kate und Sawyer, Heather und Jake, Bones und Booth und<br />

Dana und Mulder Paare waren, stand für Beth unumstößlich fest. Sie starrte auf die Kühltruhe<br />

in Micks Zelle und hätte sonst was gegeben, wenn sie gewusst hätte, wie es ihm ging.<br />

Kühlung alleine, dass wusste sie, ließen ihn nach einer solchen Tortur nicht genesen. Er hätte<br />

Blut gebraucht, welches er nicht zu bekommen schien. Beth warf einen Blick zu dem jungen<br />

Agent hinüber, den diese Anthropologin, Bones, mit dem Messer hatte verletzen müssen. Ihm<br />

ging es ebenfalls ziemlich schlecht, er hatte scheinbar erhebliche Schmerzen. Eigentlich<br />

machte er nicht den Eindruck, bei Kleinigkeiten gleich einzuknicken, aber wenn Beth sich<br />

unter den Leidensgenossen so umschaute, hatten diese wohl schon sehr, sehr vieles durch ge-<br />

macht, was sie alle zermürbt hatte. So war es kein Wunder, dass Booth fertig war. Beth hätte<br />

sehr gerne erfahren, was hier schon abgelaufen war, akzeptierte aber das rote Licht, wie alle<br />

anderen auch. Es würde sich schon noch die Gelegenheit ergeben, Fragen zu stellen.<br />

273


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Zeit verging langsam, das rote Licht blieb an und die Gefangenen wurden mit<br />

jeder Minute, die ereignislos verstrich, unruhiger. Booth hatte irgendwann die wahrhaft<br />

zündende Idee, sich mittels des Toilettenpapiers kaltes Wasser auf die Brandwunde zu tupfen,<br />

vergaß dabei nur leider, dass das Wasser aus der Leitung mit Salz versetzt war. Als er sich das<br />

getränkte Papier auf die Brandwunde legte, entfuhr ihm unwillkürlich ein leiser Aufschrei.<br />

Hatte er vorher gedacht, die Wunde brenne, wurde er nun dramatisch eines Besseren belehrt:<br />

JETZT brannte sie. Keuchend und mit Tränen in den Augen kippte Booth sich seinen ganzen<br />

Trinkwasservorrat auf den Bauch, um das Salzwasser abzuspülen, aber der Schaden war an-<br />

gerichtet. Das aggressive Salz hatte sich in die verbrannte Haut gesetzt und verursachte dort<br />

Schmerzen, wie Booth sie noch nicht kennen gelernt hatte. Irgendwann krümmte er sich auf<br />

seinem Bett zusammen und konnte ein Wimmern endgültig nicht mehr unterdrücken. Und das<br />

war der Punkt, wo House es nicht mehr aus hielt. Er stand von seinem Bett auf, stellte sich<br />

vor die <strong>Über</strong>wachungskamera in seiner Zelle, sagte laut und deutlich: „Tut mir leid,<br />

Freunde.“, und erklärte dann Richtung Kamera: „Hören Sie, ich bitte, ich bettle, ich flehe Sie<br />

an, aber lassen Sie <strong>mich</strong> Bo ... Nummer 1 helfen.“ Sawyer keuchte auf, als er einen schmerz-<br />

haften Schlag bekam, nahm es aber gelassen hin. Er hoffte so sehr, dass House mit seinem<br />

Appell an die Menschlichkeit ihrer Entführer etwas erreichte.<br />

Und das Wunder geschah. Keiner konnte es fassen, aber die Kerkertür ging auf, ein<br />

Wachposten kam herein und House’ Zellentür sprang auf. Eine Minute später bereits stand<br />

dieser bei Booth am Bett. <strong>Die</strong> Wache hatte ihm eine kleine Arzttasche in die Hand gedrückt.<br />

Er gab dem Diagnostiker einen Stoß und sagte kalt: „Mach schon, sonst überlegen wir es uns<br />

anders.“ House beeilte sich. Er beugte sich über Booth und sagte: „Was machst du Idiot denn?<br />

Vergessen, dass unsere Gastgeber sehr großzügig mit dem Salz sind?“ Booth sah House aus<br />

roten Augen an, als wolle er ihn Fressen. „Man, rede nicht, hilf mir lieber.“ Er keuchte auf.<br />

„Hast du eine Ahnung, wie weh das tut?“ House nickte. „Ja, Alter, habe ich ... Zeig mal her.“<br />

Er nahm fast sanft Booth’ Hände zur Seite und sah sich die Brandwunde und die Schnitt-<br />

wunden gründlich an. Er wunderte sich selbst, wie tief die Verbrennungen gingen. Es hatte<br />

nicht so schlimm gewirkt von weitem. Aber was House hier sah, waren Verbrennungen<br />

zweiten Grades. Booth’ Haut warf Blasen und war feuerrot. Nicht nur die Epidermis war be-<br />

troffen, die Verbrennungen reichten bis in die Dermis, die mittlere Hautschicht, hinunter.<br />

House seufzte. Warum nur musste hier alles gleich extrem werden? Er schüttelte den Kopf<br />

und erklärte Booth leise: „Das sieht nicht sehr gut aus.“ Er schaute in die Tasche und<br />

kontrollierte, was alles vorhanden war. Alles, was er benötigte, um die Wunden zu behandeln<br />

... Nur kein Schmerzmittel. - Ihr elenden Bastarde. - dachte House hasserfüllt.<br />

274


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als hätte der Posten seine Gedanken gelesen, grinste er House gehässig an. „So ein-<br />

fach machen wir es uns doch nicht, Doc.“, erklärte er kalt. Booth verstand nicht, um was es<br />

hier ging. Er lag zitternd da und wartete, dass House etwas tat. Der hatte den Posten giftig<br />

angestarrt, wandte sich dann aber Booth zu. Er reinigte die Schnittwunden, was für Seeley<br />

schon starke Schmerzen bedeutete. Heather hatte sich zu diesem ans Gitter gehockt und durch<br />

die Stäbe hindurch nach dessen Hand gegriffen, die andere Hand legte sie liebevoll und<br />

tröstend auf Booth’ schweißnasse Stirn. - Wieder einmal. - dachte die junge Frau. House<br />

stöhnte genervt auf, dann erklärte er: „Booth, das wird noch mehr wehtun, ich kann es nicht<br />

ändern. Beiß die Zähne zusammen, okay.“ Er nahm eine antiseptische Lösung und begann<br />

dann vorsichtig, aber gründlich, Booth’ Brandwunde zu Reinigen und zu Desinfizieren. Booth<br />

wand sich hier und da vor Schmerzen, hielt aber weitestgehend still. Schließlich war House<br />

zufrieden. „Du warst gut.“, grinste er mitleidig und suchte in der Tasche nach Verband-<br />

material. „Ich werde dir die Wunde gut verbinden, davon wird der Schmerz zwar nicht<br />

weniger, aber wir dürfen auf keinen Fall eine Sepsis riskieren. Sonst ist schnell wieder eine<br />

Zelle frei für Neuzugänge.“, erklärte er Booth. Er breitete nun einen Brandwundenverband<br />

über die große Wunde und befestigte diesen mit viel Pflaster sicher auf Booth’ Haut.<br />

Als er schließlich fertig war und sich erhob fragte Booth leicht panisch: „Hey, Doc,<br />

wie sieht es denn mal mit einem ... Schmerzmittel aus?“ House seufzte. „Tut mir leid,<br />

Hoover, nichts da. Unsere Gastgeber sind der Meinung, du schaffst das auch so.“ Booth<br />

starrte resigniert vor sich hin. Er biss verzweifelt die Zähne zusammen und nickte. „Okay.<br />

Danke, House.“ Der Wachposten packte House am Arm und sagte ruhig: „So, los jetzt, wir<br />

haben noch mehr auf dem Plan, als hier für euch Kindermädchen zu spielen.“ Er brachte<br />

House in seine Zelle zurück und ging dann zur Zelle des Vampirs. <strong>Die</strong> Tür sprang auf und der<br />

Wachposten betrat die kleine Zelle. Er öffnete die Truhe, in der Mick nun schon einige<br />

Stunden eingesperrt lag und öffnete den Deckel. Er sah Mick, der wach war, an und befahl:<br />

„Los, raus jetzt da, genug ausgeruht. Wir haben noch einiges vor.“ Beth und auch die anderen<br />

Gefangenen starrten erwartungsvoll zu Mick hinüber und dieser erhob sich aus der Truhe und<br />

stand dann etwas unsicher vor dem Wachposten. Er hätte dringend Nahrung benötigt, war<br />

aber nicht sicher, ob er einfach danach fragen durfte. Sicherheitshalber schluckte er alles, was<br />

ihm auf der Zunge lag, lieber herunter. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Wachmann die<br />

Truhe wieder verschloss. Also keine Chance, sich zwischendurch hinein zu legen ...<br />

Resigniert seufzte er.<br />

275


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Wachposten verließ die Zelle und den Kerker. Beth verfluchte das rote Licht, dass<br />

immer noch leuchtete. Irgendwann musste doch mal das grüne Licht angeschaltet werden. Sie<br />

wollte Mick fragen, wie es ihm ging. Sie wollte von den anderen Gefangenen wissen, was<br />

hier schon alles los gewesen war. Sie hatte tausend Fragen und das erzwungene Schweigen<br />

machte die junge Journalistin wahnsinnig. Sie kam jedoch nicht dazu, sich weiter den Kopf<br />

darüber zu zerbrechen, dass sie zu Schweigen hatte, denn die Kerkertür öffnete sich und ein<br />

weiß bekleideter Mann kam herein. Er hatte ein Glas mit einer roten Flüssigkeit in der Hand<br />

und ging zu Mick hinüber. Durch das Loch in der Zellentür reichte er diesem das Glas und<br />

erklärte: „Wir wollen doch unseren Ehrengast bei ... Kräften halten.“ Er grinste gehässig und<br />

Mick war klar, was das kurze Zögern vor dem Wort Kräften zu bedeuten hatte. Verlegen<br />

nahm er das Glas in die Hand und starrte in die verheißungsvoll glänzende Flüssigkeit. Ihm<br />

war durchaus klar, dass alle Augen auf ihm ruhten. „Ich warte.“, knurrte der Mann, der ihm<br />

das Glas gebracht hatte und tippte scheinbar genervt mit dem Fuß auf den Boden. Mick<br />

schloss kurz ergeben die Augen, dann setzte er das Glas an und trank es mit ein paar großen<br />

Schlucken leer. Sein geschulter Geschmacksinn erkannte sofort den fremden Geschmack in<br />

der für ihn lebenserhaltenden Flüssigkeit. Scheinbar spiegelte sein Gesicht dies wieder, denn<br />

der Weißkittel grinste. „So groß müssen deine Kräfte nun auch wieder nicht sein ...“<br />

Er ließ sich von Mick das Glas zurück reichen und ging dann gemütlich zu Booth’<br />

Zelle hinüber. Der junge Agent lag auf seinem Bett und versuchte, irgendwie den Schmerz in<br />

der Brandwunde zu ignorieren, was ihm mit jeder Minute schwerer fiel. Er hätte sonst was für<br />

ein paar Schmerztabletten gegeben. Der Weißkittel starrte Booth durch die Gitterstäbe an und<br />

fragte dann sarkastisch: „Tut es sehr weh?“ Booth erstarrte förmlich und zwang sich mit<br />

letzter Kraft, dem Mistkerl nicht einen Fluch entgegen zu schleudern. Wie sehr er diese<br />

Bastarde hasste. Er stöhnte, vor Schmerz, Hass, Hilflosigkeit und Wut. Und wusste, dass der<br />

Mann eine Antwort erwartete. Und so knirschte er schließlich „Ja, Sir. Es tut sehr weh.“<br />

Zufrieden nickte der Mann. Dann sagte er laut: „Du weißt auch, wessen Ungehorsam du die<br />

Schmerzen zu verdanken hast?“ Booth biss sich auf die Lippe und nickte. Im selben Moment<br />

schrie Heather erschrocken auf. Und Booth beeilte sich, hastig: „Ja, Sir, das weiß ich.“, hervor<br />

zu stoßen. Der Weißkittel zuckte zu Bones herum, die bei Booth’ Worten heftig zusammen<br />

gezuckt war. „Nummer 6, weißt auch du, wem Nummer 1 seine Schmerzen zu verdanken<br />

hat?“ Und obwohl der jungen Frau Tränen über die Wangen kullerten, sagte sie laut und deut-<br />

lich: „Mir, Sir. Er hat seine Schmerzen mir zu verdanken.“<br />

<strong>Die</strong> Kerkertür öffnete sich in diesem Moment und mehrere Wachposten kamen in den<br />

Zellentrakt. „Nummer 6 und 11.“, tönte es aus dem Lautsprecher. Bones und auch Beth be-<br />

276


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

eilten sich, an die Zellentür zu treten und die Hände durch das Loch zu strecken. Booth aus<br />

seiner liegenden Position und Mick beobachteten nervös, wie die beiden jungen Frauen nun in<br />

die Mitte des Zellentraktes gebracht wurden. Aus der Plattform fuhren zwei Stangen empor<br />

und Bones bekam den Befehl: „Fessel 11 zwischen die Stangen, mach schon.“ Zitternd ge-<br />

horchte Bones und sah Beth um Verzeihung bettelnd an. <strong>Die</strong>se ließ sich, gleichfalls zitternd,<br />

zwischen die Stangen fesseln. „Nummer 6, du wirst uns ein wenig zur Hand gehen. Damit<br />

beweist du uns zum einen, dass du durchaus im Stande bist, uns zu gehorchen, zum anderen<br />

verschaffst du damit Nummer 1 das dringend herbei gesehnte Schmerzmittel. Hast du das<br />

verstanden?“ Hastig erklärte Bones: „Ja, Sir, ich habe verstanden.“ Der Weißkittel nickte zu-<br />

frieden. Dann schlenderte er zu Mick hinüber. „Vampir ... Wir möchten von dir Namen und<br />

Adressen einiger deiner Brüder und Schwestern haben, mein Freund. Es ist so, dass wir ver-<br />

meiden möchten, dass du dich für etwas Besonderes hältst. Du bist, wie alle anderen hier,<br />

einschließlich deiner kleinen Freundin, jederzeit austauschbar.“ Wie eine Schlange fuhr er zu<br />

den anderen Gefangenen herum und sagte kalt und laut: „Jeder von euch ist das.“<br />

Dann wandte er sich wieder Mick zu. „Du wirst uns mindestens zwanzig Namen und<br />

Adressen verraten. Da wir gerne motivierte Mitarbeiter haben, wird Nummer 6 dir ein paar<br />

gute Gründe geben, die auch dich überzeugen werden, mit uns zusammen zu arbeiten.“ Er<br />

wandte sich leutselig an Bones und erklärte der schockierten Anthropologin: „Du wirst<br />

Nummer 11 sofort fünf Stromschläge mit dem Taser verpassen.“ Er nickte einem der an-<br />

wesenden Wachposten zu und dieser zog einen Elektrotaser aus der Tasche, drückte diesen<br />

Bones in die zitternde Hand. Mick starrte vollkommen geschockt zu Beth hinüber, die entsetzt<br />

auf keuchte. „Nein, das ist nicht nötig.“, stieß er panisch hervor. Kalt erklärte der Weißkittel:<br />

„Sieben, Nummer 6.“ Bones liefen Tränen über die Wangen, aber sie zögerte nicht mehr. Sie<br />

fragte nur leise: „Wo?“, und erhielt die Auskunft: „Bauch, das hatten wir ja schon.“ Mit einer<br />

Hand hielt sie Beth‘ Kittel ein wenig zur Seite, mit der anderen Hand drückte die<br />

schluchzende jungen Frau den Taser sieben Mal hintereinander an Beth‘ nackte Haut. <strong>Die</strong><br />

junge Journalistin hing schreiend zwischen den Stangen. Nie zuvor hatte sie solche<br />

Schmerzen empfunden. Bei jedem Schlag, der ihren schlanken Körper durchzuckte, wand sie<br />

sich in den Fesseln. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen starrten in nacktem Entsetzen auf die grausame<br />

Szene und konnten die unglaubliche Brutalität, die ihre Entführer immer wieder an den Tag<br />

legten, einmal mehr nicht fassen.<br />

Mick jedoch, für den das alles ja noch neu und unbegreiflich war, zitterte vor Hass,<br />

Wut, Verzweiflung am ganzen Körper. Es kostete ihn unglaubliche Anstrengung, nicht los zu<br />

brüllen. Aber er hatte sofort gemerkt, jede noch so kleine Renitenz wurde augenblicklich ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ahndet und so zwang er sich verzweifelt, keinen Laut von sich zu geben. Als Bones die ver-<br />

langten Stromschläge ausgeführt hatte, sah der Weißkittel Mick herausfordernd an und zückte<br />

einen Zettel und einen Stift. Beides reichte er Mick in die Zelle und lehnte sich dann ent-<br />

spannt an die Gittertür. „Na, dann mal los. Zwanzig Namen, und nicht etwa Gegner, ver-<br />

standen, wir möchten gerne Freunde von dir kennen lernen. Ach, und nicht denken, wir<br />

könnten das nicht überprüfen, mein spitzzähniger Freund.“ Mick nickte unmerklich. Er hatte<br />

keine Wahl. Und so begann er, Namen und Adressen auf den Zettel zu notieren. Schließlich<br />

war er fertig und reichte den Zettel und den Bleistift zurück. Der Weißkittel nahm ihm die<br />

Liste ab und las sie durch. Er warf Mick einen bedauernden Blick zu und sagte ruhig:<br />

„Nummer 6, zwei weitere Schläge bitte.“ Entsetzt schluchzte Beth auf. „Nein, bitte. Mick ...“<br />

Wieder hallten ihre Schmerzensschreie durch den Kerker und Mick krallte die Hände um die<br />

Gitterstäbe. „Was?“, fragte er verzweifelt. „Coraline Duvall und Josef Kostan ...“ Mick er-<br />

starrte innerlich. <strong>Die</strong>se Dreckskerle waren wirklich gut unterrichtet. Hasserfüllt stieß er<br />

hervor: „Wo Coraline sich aufhält weiß ich nicht, und wenn Sie Beth und alle anderen hier in<br />

Streifen schneiden. Ich weiß es nicht. Josef ... 2886 Arizona Avenue, LA.“ Zufrieden nickte<br />

der Weißkittel. „Na, es geht doch.“ Er befahl den Wachen: „6 und 11 in die Zellen zurück. 1<br />

bekommt Fentanyl. Und schafft 13 in den Untersuchungsraum.“<br />

Erste Tests<br />

Und wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich wenigstens als<br />

Kämpfer finden.<br />

Aurelius Augustinus<br />

<strong>Die</strong> Wachen befreiten nun Beth von ihren Fesseln und schafften die junge Frau, die<br />

vollkommen fertig war, in die Zelle zurück. Sie mussten sie stützen, alleine hätte sie es nicht<br />

geschafft. Achtlos ließen sie die Journalistin auf das Bett fallen, dann schlossen sie die Tür<br />

der Zelle. Bones wurde wenig rücksichtsvoll in ihre eigene Zelle zurück verfrachtete. Ein<br />

Wachposten trat zu Allisons Zellentür, die auf sprang und befahl der jungen Ärztin, die noch<br />

geschockt von den vergangenen Minuten war: „Los, schaff deinen Hintern zu Nummer 1<br />

hinüber.“ Hastig folgte Allison dem Mann und stand dann bei Booth am Bett, dem vor<br />

Schmerzen der Schweiß auf dem Körper stand. Sie bekam eine Spritze in die Hand gedrückt<br />

278


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und eine kleine Flasche Desinfektionsmittel, sowie einen Tupfer. Hastig beugte sie sich über<br />

Booth, griff sich dessen linken Arm und tupfte die Armbeuge ab. Dann verabreichte sie ihm<br />

die Spritze und wurde sofort in ihre Zelle zurück geschafft. Zu guter Letzt bekam dann Mick<br />

den Befehl: „Los, ans Gitter und die Hände her.“ Ergeben gehorchte der junge Mann und<br />

spürte, wie die Karabiner seiner Handfesseln ineinander schnappten. Zwei Wachen packten<br />

ihn nun an den Oberarmen und führten ihn aus dem Kerker. Zurück blieben die völlig<br />

konsternierten Gefangenen.<br />

Kaum hatten die Wachen mit dem jungen Vampir den Kerker verlassen, ging endlich<br />

das grüne Licht an. Es leuchtet noch nicht richtig, da stieß Bones auch schon verzweifelt:<br />

„Booth. Wie geht es dir?“, hervor. Sawyer stieß hasserfüllt: „<strong>Die</strong>se Bastarde.“, hervor und<br />

House trat ans Gitter zu Beth’ Zelle und fragte die junge Frau: „Beth, geht es wieder? Du<br />

wirst dich schnell erholen, diese elenden Stromstöße sind unglaublich schmerzhaft, aber<br />

richten keinen großen Schaden an.“ Beth versuchte bereits, sich aufzusetzen und stöhnte: „Es<br />

geht ... gleich wieder.“ Booth hoffte verzweifelt, dass das, was immer er gerade gespritzt be-<br />

kommen hatte, endlich wirken würde. Mühsam presste er hervor: „Mach dir keine Sorgen, das<br />

wird schon wieder ...“ Einige Minuten lang ließ man die Gefangenen in Ruhe, dann, als Beth<br />

sich deutlich erholt hatte, ertönte erneut eine Lautsprecherdurchsage. „Achtung. Nummer 3,<br />

14 und 2, ihr werdet unserem neugierigen Neuzugang ein wenig darüber aufklären, was wir so<br />

an netten <strong>Über</strong>raschungen für euch bereit gehalten haben und auch in Zukunft noch bereit<br />

halten werden. Sie ist ja schon ganz scharf darauf, zu erfahren, wo eure dekorativen Narben<br />

her stammen. Also, nur frei erzählt. Ach, und ihr dürft erstmals alles erwähnen.“<br />

*****<br />

Mick wurde durch kahle, weiße Gänge geführt. Er hatte ein sehr ungutes Gefühl im<br />

Magen und war sicher, dass er keiner allzu sonnigen Zukunft entgegen blickte. Er versuchte,<br />

sich irgendetwas aus den Fluren oder dem Fahrstuhl, mit dem er zwei Etagen nach oben ge-<br />

bracht wurde, zu merken, aber es gab nichts, was er sich hätte merken können. Auch seine<br />

anderen Sinne verrieten ihm nicht, wo er war, was das für ein Gebäude war, wie groß die An-<br />

lage sein mochte. Er hörte etliche verschiedene Stimmen, spürte die unterschiedlichsten<br />

Emotionen und wurde schließlich aus seinen Gedanken gerissen, als man ihn in einen leeren,<br />

kleinen Raum beförderte, in dem sich nur ein Glaszylinder aus sehr stabilem Glas befand, der<br />

zirka zwei Meter hoch war und einen Durchmesser von vielleicht anderthalb Metern hatte.<br />

Ein weiterer, weiß bekittelter Mann hatte sie begleitet und trat an Mick heran. „Wir haben von<br />

deinen Fähigkeiten, bestimmte Dinge spüren zu können, gehört und möchten wissen, wie weit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

das, was man sich so erzählt, zutrifft. Du wirst in verschiedene Räume geführt und wirst uns<br />

jeweils sagen, was du empfängst, verstanden?“ Mick nickte. „Ja, Sir, ich habe verstanden. Es<br />

klappt nicht immer, soviel ist sicher, Sir.“<br />

Mick sah sich um, schloss die Augen und konzentrierte sich. Vor seinem geistigen<br />

Auge entstand ein Bild ... Sawyer, auf einem sich langsam absenkenden Podest, eine Schlinge<br />

um den Hals, nackte Todesangst in den Augen, den Mund aufgerissen, in der verzweifelten<br />

Hoffnung, noch Luft zu bekommen, Kate, die in panischem Entsetzen gegen das Glas<br />

trommelte und nichts für Sawyer tun konnte ... Mick schauderte. Scheinbar bekam er auf<br />

diese Weise einen drastischen Einblick in das, was diesen hoffnungslosen, gehetzten Blick bei<br />

den Gefangenen verursacht hatte. Er riss die Augen auf und erklärte leise: „Hier wurde<br />

Sawyer fast aufgehängt, Sir.“ Der Mann im weißen Kittel nickte zufrieden und machte sich in<br />

einem PDA Notizen. „Das war sehr gut. Mal sehen, was du zum nächsten Raum sagst.“<br />

Wieder ging es durch identisch aussehende Gänge, mit dem Fahrstuhl hinauf und runter, dann<br />

betraten sie einen Raum, der quer mit einer Scheibe abgetrennt, ansonsten aber ebenfalls leer<br />

war. Mick bekam einen sachten Stoß in den Rücken und machte zwei weitere Schritte in den<br />

Raum hinein. Er sah sich kurz um, dann schloss er erneut die Augen und konzentrierte sich.<br />

Sein Gesicht verzog sich nach ein paar Sekunden angewidert. Er sah den jungen Jake, auf ein<br />

Laufband gefesselt, eine große Kreissäge, die drohte, ihn in zwei Teile zu schneiden, Heather,<br />

die vor Entsetzen schreiend an der Scheibe stand und panisch dagegen trommelte ... Mick<br />

musste sich zwingen, nicht angeekelt den Kopf zu schütteln. „Ich sehe meinen Zellennach-<br />

barn, Jake, glaube ich, war der Name, auf einem Förderband gefesselt, auf eine laufende<br />

Kreissäge zufahren. Heather, die vor der Glasscheibe dort kniet und verzweifelt dagegen<br />

hämmert.“<br />

Der Weißkittel machte sich erneut Notizen und nickte zufrieden. „Du bist gut, Vampir.<br />

Weiter geht’s bei unserer heutigen Besichtigungstour.“ Der nächste Raum war groß und be-<br />

inhaltete ein riesiges, leeres Wasserbecken. Komischerweise hatte Mick hier einige Probleme,<br />

zu sehr wurden die Ereignisse vom Geruch frischen Blutes überdeckt. Er musste sich sehr<br />

konzentrieren, dann aber ... Bones, an eine Art Kran gefesselt, in dem Becken hungrige<br />

Piranhas, Booth, der an dem Becken stand und nur hilflos zusehen konnte, wie Bones immer<br />

weiter dem todbringenden Wasser entgegen schwebte. Wie auch schon in den beiden Räumen<br />

vorher spürte Mick die Gegenwart es älteren Mannes, dieses John Locke, ganz deutlich. Der<br />

hatte in allen drei Räumen eine unglaubliche Präsenz. Mick konnte nur nicht einordnen, worin<br />

diese Bestand. Es war, als würde er John nur durch seinen Schleier sehen können. Er war da,<br />

hatte eine wichtige Funktion, aber Mick konnte nicht mit Sicherheit sagen, welche. Es schien,<br />

280


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

als wäre Locke von einer undurchdringlichen Aura umgeben. Mick öffnete die Augen und sah<br />

sich noch einmal gründlich um. Er versuchte, auszumachen, was es gewesen war, das Locke<br />

hier machte, aber so sehr er sich auch anstrengte, er sah es nicht. Frustriert gab er auf und er-<br />

klärte stattdessen: „Bones, die in das Becken abgesenkt wird. In dem Becken sind Piranhas<br />

und Booth ... Er steht am Becken und kann nur hilflos zuschauen.“ Dass er Locke sah und<br />

nicht erkennen konnte, was dieser im Raum machte, verschwieg Mick. Der Weißkittel schien<br />

aber auch so zufrieden.<br />

Der nächste Raum war vollkommen leer. Es war der erste Raum, in dem Mick die<br />

Gegenwart Lockes nicht spürte. Langsam trat er in den Raum hinein und ließ seine Augen<br />

schweifen. Dann schloss er sie. <strong>Die</strong> Vision kam schnell. <strong>Die</strong> junge Ärztin aus der Zelle neben<br />

ihm, ihr Chef, Dr. House, sowie Bones und Booth ... Mick sah die Ärztin und Booth in<br />

Wassertanks stecken, die sich langsam füllten. Er sah, wie Bones in panischem Entsetzen zu-<br />

sah, wie das Wasser über das Gesicht des FBI Agents spülte und er sah House und Allison am<br />

Boden neben Booth knien und um dessen Leben kämpfen. Schaudernd kehrte er ins hier und<br />

jetzt zurück und gab seine Eindrücke weiter. Der Weißkittel nickte sehr zufrieden. „Du bist<br />

wirklich gut. Einen Test haben wir noch. Zwar gibt es noch mehr interessante Räume auf<br />

unserer Sight Seeing Tour, aber du hast hinlänglich bewiesen, dass du es kannst.“ Wieder<br />

ging es für Mick durch endlose Flure, die alle vollkommen identisch aussahen. Mit dem Fahr-<br />

stuhl ging es rauf, dann wieder hinunter. Mick war klar, dass man ihn so verwirren wollte.<br />

Das war jedoch unnötig, selbst für seine extremen Sinne gab es hier keine Unterschiede in den<br />

Fluren, die sich zu merken lohnen würde.<br />

Schließlich erreichten sie einen Gang, in Naturstein hinein gemeißelt, mehr ein<br />

Tunnel. Am Ende des Tunnels landeten sie an einem kleinen Strand und vor sich sah Mick<br />

eine Bucht. Er wurde ins Wasser getrieben, zum Glück lag der Strand im Schatten, und stand<br />

schließlich bis zu den Hüften in den kühlen Fluten. Geistesabwesend starrte er über die<br />

Wasseroberfläche und versuchte, Schwingungen von etwas, das hier passiert sein könnte, auf-<br />

zufangen. Ohne es zu merken, ging er noch tiefer in das Wasser hinein und schließlich reichte<br />

es ihm bis zu Brust. Durch die auf den Rücken gefesselten Hände hatte Mick Schwierigkeiten,<br />

das Gleichgewicht zu halten. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Und dann zuckte er<br />

zusammen. Er sah den jungen Mann, Jake, wie er unter Wasser von ... etwas gepackt wurde<br />

und konnte regelrecht spüren, wie dem Jungen die Luft mehr und mehr ausging. Er sah ihn<br />

panisch durchs Wasser kraulen und mehrere Haie hinter ihm her schwimmen. Mick lief ein<br />

Schauer über den Rücken. Tiere hatten eine sehr eigenwillige, höchst aggressive Art, auf<br />

Vampire zu reagieren, er hatte da schon einschlägige schlechte Erfahrungen gemacht. Haie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bildeten da sicher keine Ausnahme. Er riss die Augen auf und was er dann sah, war nicht<br />

besser als die Vision, ganz im Gegenteil, erheblich schlimmer. Vor sich im Wasser sah er<br />

einen grauen Schatten, der zielstrebig auf ihn zu geschossen kam. Und im nächsten Moment<br />

sah er messerscharfe Zähne auf sich zu kommen, spürte den Biss an seinem rechten Ober-<br />

schenkel und brüllte auf vor Schmerzen.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> drei ausgewählten Gefangenen redeten abwechselnd und Beth hörte erschüttert zu.<br />

Abby berichtete von dem Experiment, bei dem sie fast erschossen worden wäre. Jake be-<br />

richtete unter anderem von der Säge, Sawyer erzählte bedrückt von dem Galgen. Das waren<br />

auch Dinge, von denen nicht alle Mitgefangenen bisher gewusst hatten. Nicht weniger be-<br />

stürzt hörten diese ebenfalls aufmerksam zu. Bones war unsicher, ob es erlaubt war, beschrieb<br />

aber vorsichtig, was ihr in dem Wassertank fast widerfahren war und als keine Strafe erfolgte,<br />

berichtete auch House von dem Versuch, ihn mit dem Nagelbrett umzubringen. Mulder ließ<br />

Dana von dem Experiment mit den Flammenwerfern erzählen. Bei Booth wirkte endlich das<br />

Schmerzmittel und so brachte er die Sprache auf die Geschichte mit den Wassertanks, bei<br />

denen er fast ums Leben gekommen wäre. Sawyer erzählte von der Sache mit der Schlucht,<br />

bei der Booth, Mulder, Jake und er selbst um Haaresbreite ihr Leben verloren hätten. Abby<br />

klärte Beth, die immer entsetzter lauschte, über die camera silens auf, Jake beschrieb die<br />

Schlafentzugtests. Kate und Gibbs erzählten abwechselnd von der Menschenjagd im<br />

Dschungel und Gibbs und Locke berichteten Beth von der Tortur auf dem Steinacker. Auf<br />

dem Gesicht der Journalistin spiegelten sich immer mehr die Angst und das namenlose Ent-<br />

setzen wider, dass sie empfand. Es grenzte bei einigen der Leidensgenossen an ein Wunder,<br />

dass sie überhaupt noch lebten. Und einige hatten das ganz offensichtlich Fähigkeiten zu ver-<br />

danken, an die sie eigentlich nicht glaubten. Beth warf einen Blick zu John Locke hinüber,<br />

dem Mann, der den Namen eines der bekanntesten englischen Philosophen trug, und der<br />

offensichtlich übersinnliche Fähigkeiten hatte, genau wie Mick. Sie würde sich gerne einmal<br />

mit dem interessanten Mann unterhalten haben. Ob sie noch lange genug dafür leben würde?<br />

Und wo hatte man Mick hin gebracht?<br />

*****<br />

Mick spürte, wie die rasiermesserscharfen Zähne des Raubfisches in sein Fleisch ein-<br />

drangen, spürte den ungeheuren Schmerz und dann das charakteristische Kopfschütteln des<br />

Tieres, als es versuchte, ein Stück aus Mick heraus zu beißen. Durch die gefesselten Hände<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

konnte der junge Mann nichts zu seiner Verteidigung tun. Er spürte, wie er in den Wellen den<br />

Halt verlor und das Wasser über ihm zusammen schlug. Ertrinken konnte er nicht, aber wenn<br />

er lange genug von einem Hai zerfetzt werden würde, bliebe auch von ihm nicht mehr genug<br />

übrig, dass weiter zu Leben wert gewesen wäre. Panisch versuchte er, sich los zu reißen. Der<br />

Fisch ließ ihn kurz los, nur, um dann noch einmal zuzubeißen. Der Schmerz war ungeheuer-<br />

lich. Selbst unter Wasser konnte Mick einen Aufschrei nicht zurück halten und bekam Wasser<br />

in den Mund und die Luftröhre. Immer panischer versuchte er, sich los zu reißen. Und plötz-<br />

lich waren Hände da, die ihn aus dem Wasser zogen, Hände, die den Hai versuchten, abzu-<br />

wehren, Hände, die ihn Richtung Strand zogen. Noch einige Male biss der Raubfisch zu und<br />

Mick brüllte erneut auf vor Schmerzen, trat im Wasser nach dem Fisch, die einzige Möglich-<br />

keit, die er hatte, sich zu verteidigen, dann hatten sie ihn endlich in so flachem Wasser, dass<br />

der Raubfisch nicht mehr folgen konnte. <strong>Die</strong> Wachen zerrten Mick an den Strand und legten<br />

ihn dort in den Sand. Aus den tiefen Bisswunden an seinem rechten Bein spritzte das Blut und<br />

hinterließ Lachen im Sand. Dass würde allerdings schnell aufhören.<br />

Der Arzt schaute sich die Verletzungen an, während Mick sich in Schmerzen wand.<br />

„Was ist, heilt das oder brauchst du was?“, fragte er den Vampir besorgt. Keuchend versuchte<br />

Mick, sich aufzusetzen und die Verletzungen anzusehen. „Blut ... Und ... den Freezer ...“ <strong>Die</strong><br />

Wunden sahen grässlich aus, würden aber ebenso narbenlos verheilen wie alle Wunden.<br />

Allerdings brauchte Mick schon manchmal Hilfsmittel. Der Arzt nickte verstehend. <strong>Die</strong><br />

beiden Wachposten bekamen den Befehl: „Schafft ihn in den Kerker, schnell. Und ich werde<br />

zusehen, dass ich ihm eine Ration Blut besorge.“ Kommentarlos griffen sie sich Mick, zogen<br />

ihn, sein schmerzgequältes Stöhnen missachtend, auf die Beine und schleppten ihn im Eil-<br />

tempo den Tunnel entlang und zum Fahrstuhl. Minuten später kamen sie mit dem schwer ver-<br />

letzten Vampir im Kerker an und unter den entsetzten Augen der anderen Gefangenen<br />

schafften sie ihn in seine Zelle. Während der eine Wachmann die Truhe öffnete, löste der<br />

andere Mann Micks Handfesseln. Dann beförderten sie ihn in den Freezer. Kaum lag er darin,<br />

kam auch schon der Weißkittel mit einer kleinen Flasche Blut in der Hand in den Kerker ge-<br />

hetzt. Bei den Gefangenen herrschte schon seit einiger Zeit wieder rotes Licht, sodass sie<br />

nicht fragen konnten, was geschehen war.<br />

Beth hatte die grässlichen Wunden an Micks rechtem Bein gesehen und war entsetzt.<br />

Auch, wenn sie wusste, dass normale Verletzungen den Vampir nur kurz beeinträchtigten, so<br />

war ihr doch absolut bewusst, dass er die Schmerzen der jeweiligen Verletzungen wie ein<br />

lebender Mensch spürte. Daher berührte es die Journalistin sehr, als sie Mick in der<br />

schlechten Verfassung sah. Vollkommen entsetzt starrte sie durch die Gitterstäbe zu seiner<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zelle hinüber und schließlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Was habt ihr mit ihm<br />

gemacht, ihr Mistkerle? Los, sagt schon, was ist mit Mick!“ In seiner Zelle keuchte Gibbs<br />

schmerzerfüllt auf. Beth ignorierte das und rief verzweifelt: „Warum sagt ihr nichts?“<br />

<strong>Die</strong>smal war es Kate, die aufschrie. Sie hatte das unangenehme Gefühl, von den Füßen auf-<br />

wärts taub zu sein, so heftig war der Stromschlag gewesen. Wütend drehte Beth sich zu Kate<br />

herum und zuckte entschuldigend die Schultern. Dann sank sie verzweifelt auf ihr Bett nieder.<br />

Mick bekam währenddessen die Flasche mit dem Blut gereicht. Mit heftig zitternden<br />

Händen setzte er sie an die Lippen und trank sie gierig leer. Dann bat er leise: „Bitte, den<br />

Deckel ... zu.“ Der Weißkittel nickte und der Deckel wurde geschlossen. Dann verließen die<br />

drei Männer Micks Zelle und Sekunden später auch den Zellentrakt. <strong>Die</strong> Gefangenen waren<br />

alleine. Und nun konnten sie überlegen, was mit dem Vampir geschehen war. Allerdings<br />

blieben sie nicht lange ungestört. Nach einiger Zeit kamen erneut zwei Wachen in den Kerker.<br />

<strong>Die</strong> Lautsprecherdurchsage: „Alle in die Betten.“, ertönte und die Gefangenen legten sich hin.<br />

Der Tag schien ihnen sehr kurz gewesen zu sein, aber das war egal. Wenn es hieß, hinlegen,<br />

blieb den Gefangenen ohnehin keine Wahl. Auch Beth legte sich schweren Herzens ins Bett.<br />

Sie machte sich heftige Sorgen um Mick, wusste aber, dass es ihm am kommenden Tag<br />

wieder gut gehen würde als wäre nichts gewesen. Booth hatte richtiggehende Angst vor der<br />

kommenden Schlafphase. Noch wirkte das Schmerzmittel, aber wenn es nachlassen würde,<br />

war er schnell wieder soweit, vor Schmerzen nicht mehr klar denken zu können. Und er ging<br />

nicht davon aus, freundlicherweise weitere Spritzen für die Nacht zu bekommen. Er wartete<br />

auf die Wachen, die ihn und die anderen ans Bett fesseln würden, aber das geschah eigen-<br />

artigerweise nicht. Erleichtert machten es sich die Gefangenen gemütlich und nach den zwei<br />

fast durchwachten Nächten schliefen sie schnell ein.<br />

*****<br />

In seinem Freezer erholte Mick sich nach dem Trinken des Blutes schnell von dem<br />

furchtbaren Haiangriff. Der war offensichtlich nicht geplant gewesen. <strong>Die</strong> Wachen hatten sich<br />

selbst in Gefahr gebracht, um ihn aus dem Wasser zu bergen. Es war immer das Gleiche:<br />

Tiere reagierten extrem auf Vampire. Mick konnte seinen vielen schlechten Erfahrungen auf<br />

diesem Gebiet nun noch eine weitere hinzufügen. Er versuchte, einzuschlafen, oder das, was<br />

bei einem Vampir dem Einschlafen am nächsten kam, aber es wollte ihm nicht so Recht ge-<br />

lingen. Zum einen tat das Bein noch zu stark weh. Je heftiger Wunden waren, desto länger<br />

brauchten sie, um zu verheilen. Mick konnte durchaus auch schon einmal stundenlang be-<br />

sinnungslos sein, beispielsweise nach schweren Schussverletzungen. Er hatte hier ebenfalls<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

im Laufe seines ... Daseins einschlägige Erfahrungen gemacht. Wurde er von Silber in jeg-<br />

licher Form, Kugel, Klinge, oder was den Gegnern noch einfallen mochte, verletzt, konnte das<br />

schon einmal zu längeren Erkrankungen führen. Mick dachte darüber nach, was geschehen<br />

wäre, wenn der Hai ihm Gewebe heraus gerissen oder im schlimmsten Falle das Bein ab-<br />

gebissen hätte. Ob amputiertes Fleisch wieder nach wuchs ... Mick konnte es nicht sagen. Er<br />

hatte selbst keine Erfahrungen mit Gewebeverlust und war sich sicher, auch noch nie von<br />

einer solchen Verletzung gehört zu haben bei einem seiner Brüder oder Schwestern.<br />

Unwillkürlich glitt seine Hand hinunter zu den Wunden am Bein, die sich oberflächlich<br />

bereits geschlossen hatten. Ein amputiertes Bein, das war dem Vampir klar, wäre nicht wieder<br />

nachgewachsen.<br />

Mick dachte daran, dass er heute, um Beth zu retten, ein uraltes Gesetz gebrochen<br />

hatte: Ein Vampir gab niemals einen anderen Vampir preis. Und er hatte nicht nur zwanzig<br />

Namen preisgegeben, nein, er war gezwungen gewesen, auch noch seinen besten Freund zu<br />

verraten. In hilfloser Wut schlug Micks Faust gegen die Wand des Freezers. Irgendwie hatte<br />

er das ungute Gefühl, dieser Verrat war erst der Anfang. Er hatte in den nicht einmal acht-<br />

undvierzig Stunden ihrer Gefangenschaft bereits hinlänglich begriffen, wie skrupellos diese<br />

Leute waren. Er wusste absolut sicher, solange sie Beth als Druckmittel hatten, würde er so<br />

ziemlich alles tun, was sie von ihm verlangten. Der Vampir hatte sich in den langen Jahren<br />

seines Lebens, seiner Existenz, nie so hilflos gefühlt. Dass diese Leute obendrein noch ein<br />

Mittel zu besitzen schienen, dass ihn, ähnlich dem Kryptonit bei der Comic-Figur Superman,<br />

schwach und dadurch zusätzlich hilflos machte, war nicht dazu angetan, Micks Laune zu<br />

bessern. Was immer es war, dass sie ihm unter seine Nahrung mischten, wirkte zuverlässig<br />

und nachhaltig. Er fühlte sich schwach und er war es auch.<br />

Micks Gedanken schweiften zu den Dingen, die er in den Räumen, in die man ihn ge-<br />

führt hatte, gesehen hatte. Was hier mit den Leidensgenossen gemacht worden war, war<br />

schlicht bestialisch. Was Mick vollkommen irritierte war die Tatsache, dass er die Anwesen-<br />

heit Lockes, aber nicht dessen Rolle bei den grausamen Tests gespürt hatte. Eine solche<br />

Blockade hatte der junge Mann nie zuvor gespürt und es irritierte ihn mehr, als er sich ein-<br />

gestehen wollte. Irgendetwas an dem älteren Mann war ungewöhnlich. Mick bewegte sich in<br />

eine etwas andere Haltung und stöhnte auf. Noch schmerzte das Bein ziemlich. Der junge<br />

Mann war überzeugt, dass diese Schmerzen mit Sicherheit nicht die letzten Schmerzen waren,<br />

die er hier würde erdulden müssen. Das war auch kein sehr angenehmer Gedanke. Mick ge-<br />

stand sich ehrlich ein, dass er Angst hatte. Ihm fielen spontan einige Tests ein, die er mit<br />

einem Vampir machen würde, wäre er einer der Entführer gewesen ... Und alle hatten eines<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gemeinsam: Sie waren nicht sonderlich angenehm. Mick schämte sich seiner Angst nicht.<br />

Wer hatte schon gerne Schmerzen? Er nahm sie in seinem Job in Kauf, war schon oft an-<br />

geschossen worden, wurde durch Messer verletzt, im Kampf, wo auch immer, eines hatten die<br />

Schmerzen, egal, wodurch sie entstanden, gemein: Sie waren qualvoll und unangenehm. Und<br />

Vampir zu sein bedeutete nicht zwangsläufig, Superheld ohne Gefühle zu sein. Mick wäre nie<br />

auf die Idee gekommen, sich als Helden zu sehen. Er war ein ganz normaler Mensch gewesen,<br />

Musiker, und war nun ein ganz normaler Vampir. Wobei das natürlich ein Widerspruch in<br />

sich war. Resümee war, er wollte keine Schmerzen ertragen müssen, war aber sicher, dass<br />

ihm das nichts nützen würde.<br />

Mick war gerade am Einschlafen, als seine ausgeprägten Sinne ein dumpfes Grollen<br />

wahrnahmen. Erstaunt und beunruhigt hob er den Kopf. Lauschend lag er in der Dunkelheit<br />

und dann spürte er ganz deutlich ein Beben in der Erde. Das Grollen wurde lauter, ebenso die<br />

Bewegungen, die er spürte. Er setzte sich auf und drückte probehalber gegen den Deckel<br />

seiner Truhe. Sie war nicht verschlossen und er konnte den Deckel aufstemmen. Von den<br />

anderen Gefangenen schienen nur Booth, der unruhig auf seinem Bett hin und her rutschte,<br />

und John Locke, der sich ebenfalls aufgerichtet hatte, wie Mick in der trüben Dämmerigkeit<br />

des Kerkers sehr wohl sehen konnte, die Bewegungen zu spüren. In den anderen Zellen regte<br />

sich nichts. Nach kurzer Zeit herrschte wieder Stille, das dumpfe Grollen verschwand so<br />

schnell, wie es angefangen hatte und auch die Bewegungen ließen nach. Mick war klar, was<br />

diese zu bedeuten hatten: Irgendwo in nicht allzu großer Entfernung war es zu einem kurzen,<br />

aber heftigen Erdstoß gekommen. Er kannte dies zur Genüge aus LA. Da weiter nichts ge-<br />

schah, schloss der junge Vampir den Deckel seiner Truhe wieder und schlief schnell ein.<br />

Beth Turner, Buzz Wire<br />

Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man<br />

die Augen der Lebenden öffnen.<br />

Jean Cocteau<br />

Als das Dröhnen des Weckrufs ertönte, hatten alle Gefangenen das Gefühl, gerade erst<br />

eingeschlafen zu sein. - Was soll das? - dachte Kate müde. Sie setzte sich auf und sah zu<br />

Sawyers Zelle hinüber. Es brannte nur die funzelige Nachtbeleuchtung, daher konnte sie<br />

Sawyer kaum erkennen. <strong>Die</strong>ser hatte sich frustriert sein Kopfkissen über den Kopf gelegt und<br />

286


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

versuchte so, zu ignorieren, dass ein weiterer Tag in diesem Paradies vor ihm lag. Genervt<br />

warteten alle auf grünes Licht und die Wachen, die endlich mit Frühstück und vor allem<br />

Wasser kommen würden. <strong>Die</strong> jedoch kamen nicht. Es kam niemand. Kein Licht ging an,<br />

weder rotes noch grünes. Man ließ sie schweigend dort in ihren Zellen, ohne sich um sie zu<br />

kümmern, Booth hatte inzwischen wieder heftigen Schmerzen, die ihm immer öfter ein<br />

Keuchen oder Stöhnen entlockten. <strong>Die</strong> Zeit verging, niemand kam. Ganz allmählich machte<br />

sich so unter den hilflos Gefesselten Besorgnis breit. Was um alles in der Welt war jetzt<br />

wieder los? Stunden vergingen, es änderte sich nichts, es blieb dunkel, kein Licht ging an,<br />

niemand erschien. Irgendwann hielt Abby es nicht mehr aus. Leise sagte sie: „Sorry ... Was ist<br />

hier los?“ Und nun kam das unheimlichste an diesem Vormittag: Nichts geschah. Keiner er-<br />

hielt einen strafenden Stromschlag. Kurz hielten alle Gefangenen die Luft an, erwartungsvoll,<br />

ängstlich. Und dann kam aus mehreren Zellen die verwirrte und unsichere Frage: „Was ist<br />

jetzt wieder los?“ „Warum kommt keiner, uns zu Füttern?“ „Was soll das wieder?“ „<strong>Die</strong><br />

müssen uns doch mal Wasser und etwas zu Essen bringen.“ „Warum geht das Licht nicht an?“<br />

In seiner Zelle hatte Mick den Weckruf ebenfalls vernommen. Er drückte den Deckel<br />

des Freezers auf. Dann setzte er sich hin. Sein Bein sah aus wie neu und war vollkommen<br />

schmerzfrei. Geschmeidig erhob er sich, stieg aus der Box und reckte sich. Dann klappte er<br />

den Deckel zu und sah zu Beth hinüber, die angstvoll zu ihm schaute. Er konnte sie mit seinen<br />

Vampiraugen erheblich besser sehen als sie ihn im Dunkel erkennen konnte. „Na, gut ge-<br />

schlafen?“, fragte er sie lächelnd. Beth beschloss, ebenfalls zu ignorieren, dass kein grünes<br />

Licht leuchtete. Immerhin brannte ja auch kein Rotes, daher fragte sie: „Mick ... Geht es dir<br />

gut? Was war los? Was haben sie dir getan?“ Mick überlegte. Man hatte ihm nicht gesagt,<br />

dass er für sich behalten sollte, was los gewesen war. Er wusste aus Erfahrung, dass seine<br />

Lebensgefährtin sehr hartnäckig werden konnte. Er sah, dass auch die anderen Zelleninsassen<br />

gespannt lauschten. „Man hat <strong>mich</strong> in verschiedene, leere Räume gebracht und wollte von mir<br />

wissen, was sich in diesen Räumen abgespielt hat. Dann sind wir durch einen Tunnel zu einer<br />

kleinen Bucht gekommen und ich stand im Wasser, um heraus zu bekommen, was dort ge-<br />

schehen war.“ Er setzte sich im Schneidersitz auf die Truhe und redete weiter. „Naja, plötz-<br />

lich wurde ich von einem Weißspitzen Riffhai attackiert. So schwer es mir fällt das zuzu-<br />

geben, aber die Wachen habe <strong>mich</strong> davor gerettet, Haifutter zu werden.“ Jake hatte sich eben-<br />

falls auf sein Bett gesetzt und meinte: „Hört sich nach dem Spielplatz an, an dem ich Baden<br />

gehen durfte.“ Mick nickte. „Ja, ich habe dich gesehen, unter Wasser, festgehalten von ... ich<br />

bin nicht sicher, war es eine Muräne? Und als du zurück zum Strand schwammst, wurdest du<br />

ebenfalls von Riffhaien verfolgt. Das habe ich deutlich gesehen.“<br />

287


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Locke hatte interessiert zu gehört. Jetzt fragte er ruhig: „Was meinst du damit genau,<br />

du hast es gesehen?“ Mick sah sich nach dem Mann um, dessen Präsenz er in den Räumen so<br />

überdeutlich gespürt hatte. Er erklärte „Nun, ich kann seit meiner Umwandlung ein wenig in<br />

die Zukunft, sehr viel deutlicher aber in die unmittelbare und auch weiter zurück liegende<br />

Vergangenheit sehen. Ich kann bestimmte Ereignisse manchmal voraus sehen, aber das<br />

Zurückschauen geling so gut wie immer. Wir waren in verschiedenen Räumen, in einem<br />

wurdest du ...“ Er sah zu Sawyer hinüber. „ ... beinahe aufgehängt. In einem anderen hatte<br />

man dich, Jake, auf ein Laufband geschnallt und du wurdest auf eine große Kreissäge zu be-<br />

fördert. Ein anderer Raum wäre dir ...“ Blick zu Bones. „... fast zum Verhängnis geworden,<br />

nachdem die Dreckskerle dich in ein Becken mit Piranhas senken wollten.“ Er registrierte das<br />

Nicken bei Bones und wandte sich zu Allison um, die ihn einigermaßen fasziniert anstarrte.<br />

„Dann habe ich gesehen, wie Booth und du, in Wassertanks gefesselt, fast ertränkt worden<br />

wäret.“ House hatte Camerons Blick bemerkt und spürte, wie schon am Tage zuvor Sawyer,<br />

einen Stich. Dann aber sagte er sich, dass er den Vampir nicht minder fasziniert an starrte und<br />

gestand Allison das gleiche Recht zu.<br />

Locke fragte neugierig: „Siehst du das richtig plastisch vor dir, oder ist es mehr eine<br />

Ahnung?“ Mulder lauschte äußerst interessiert auf Micks Antwort. Der junge Mann - jeder<br />

hier ignorierte die Tatsache, dass er über fünfundachtzig Jahre alt war - beeindruckte den<br />

Agent extrem. „Ich sehe es wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Teilweise<br />

winzige Details. Allerdings kann ich es nicht steuern. Was kommt, darauf habe ich keinen<br />

Einfluss. Ich muss nehmen, was ich angeboten bekomme. Noch unkontrollierbarer ist es mit<br />

dem Sehen in die Zukunft. Das können alle Arten von Einblicken sein. Kurze Bilder von Ge-<br />

fahren, Fragmente von Ereignissen, die eintreten werden ... Oft ergeben diese Dinge keinen<br />

Sinn. Oder ich erkenne den Sinn zu spät.“ „Warum hast du dich eigentlich entschlossen,<br />

Privatermittler zu werden?“, fragte Heather interessiert. Mick sah entspannt zu der zierlichen<br />

jungen Frau hinüber. Er lächelte und Heather erwiderte das Lächeln verlegen. „Ich wurde 64’<br />

Privatdetektiv, naja, um ... um meine besonderen Fähigkeiten dafür zu nutzen, Menschen zu<br />

helfen. Ich habe vor meiner ... Ich habe Kriminologie studiert, an der LSU in Baton Rouge.<br />

...“ Abby rief aufgeregt dazwischen: „Hey, ich habe da auch studiert. Kennst du Geronimo?<br />

Ich hatte ihn in Ballistik. Meine Güte, der war doch wirklich ...“<br />

Probleme.“<br />

„Sir, wir haben ein ernstes Problem.“<br />

„Was ist nun wieder los? Hier gibt es neuerdings zu viele ernste<br />

288


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Sir, es ist uns allen ein Rätsel, wie es passieren konnte, aber das Erd-<br />

beben heute Nacht hat die komplette Stromversorgung im Hause lahm gelegt,<br />

Sir. Wir kommen nicht zu unseren Probanden.“<br />

„Können Sie das noch einmal wiederholen?“<br />

„Es tut mir sehr leid, Sir, aber ... Wir kommen nicht in den Kerker. Sie<br />

wissen selbst am besten, was geschieht, wenn wir die Türen gewaltsam öffnen,<br />

uns bleibt nur die Möglichkeit, das System zu rebooten. Unsere besten Leute<br />

arbeiten bereits daran.“<br />

„Wie konnte das passieren? Ein technischer Fehler?“<br />

„Ziemlich sicher, Sir. Es handelt sich um einen Stromzusammenbruch<br />

größeren Ausmaßes im Umkreis von dreihundert Kilometern. Unser System ist<br />

so umfangreich, dass es Tage dauern kann, bevor wir alle Bereiche wieder<br />

unter Kontrolle haben, Sir. Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Sir, es besteht<br />

die Möglichkeit, dass wir ... nun, Sir, es könnte sein, dass wir einige Probanden<br />

verlieren. Und Sie wissen ja, Sir, mechanisch können wir die Türen nicht auf-<br />

brechen, dann verlieren wir alle Probanden, selbst den Vampir. “<br />

„Ich rate euch, seht zu, dass ihr das System wieder zum Laufen kriegt,<br />

bevor dort unten jemand stirbt. Sonst werden hier noch mehr Leute sterben.“<br />

„Wir tun wirklich alles in unserer Macht stehende, Sir, das Programm<br />

wieder zu starten, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das kein<br />

simpler PC ist, den man einfach wieder startet.“<br />

„Ich verlasse <strong>mich</strong> auf euch. Wir haben die besten Techniker und<br />

Computerspezialisten hier, ihr habt jede Unterstützung, die ihr braucht.“<br />

Gibbs unterbrach seine Laborantin an dieser Stelle mit einem liebevollen Schmunzeln<br />

auf den Lippen: „Abbs ...“ „Ja, Gibbs, den hättest du kennen ...“ „Abby.“ „Gibbs. Lass <strong>mich</strong><br />

doch mal ...“ „Abby, Mick war bestimmt ein paar Jahre vor dir auf der LSU.“ „Warum? Er ist<br />

doch ...“ Verlegen verstummte Abby. Ziva beendete sarkastisch den Satz. „... ein paar Jahr-<br />

zehnte älter.“ Gibbs grinste. Dann fragte er Mick: „Wann hast du studiert?“ Mick grinste<br />

ebenfalls und verzog dann das Gesicht. „46 - 50.“ Mit hochrotem Kopf stotterte Abby: „Ich<br />

hab ja nur gedacht ...“ Sie verstummte verlegen. Was musste dieser Greis auch so verflucht<br />

jung und gut aussehen. Konnte er nicht wie jeder anständige fünfundachtzigjährige aus-<br />

schauen? „Ist doch wahr ...“, maulte die junge Frau leise. In der Zelle neben ihr war Booth<br />

durch die Unterhaltung abgelenkt und spürte seine Schmerzen im Moment nicht sehr. Er hatte<br />

sich ein Grinsen über Abbys Eifer nicht verkneifen können. Booth hatte sich aufgesetzt, um<br />

seine Mitgefangenen sehen zu können. Er warf einen Blick zu Bones hinüber, die diesen<br />

Blick im Halbdunkel zu spüren schien und ihrerseits in seine Richtung guckte. „Hey, du. Geht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es dir gut?“, fragte Booth die junge Frau. „Mir? Ja. Was ist mit dir, Ba ... Booth?“ Verlegen<br />

brach Bones das zärtliche Baby gerade noch ab und machte Booth daraus.<br />

Booth grinste. „Es geht. Mach dir bloß nicht so viele Sorgen, Bones, ich war selbst<br />

hier schon deutlich schwerer verletzt.“ Bones schnaufte genervt. „Das ist selbstverständlich<br />

ein ziehendes Argument, nicht in Sorge zu sein.“, meinte sie. „Apropos, Sorge ... Hat heute<br />

Nacht noch jemand den kleinen Erdstoß mit bekommen?“, wandte Booth sich an seine<br />

Leidensgenossen. Locke nickte. „Ja, ich hatte auch das Gefühl, etwas zu spüren.“ Mick<br />

stimmte Locke zu. „Eindeutig, ja, das war ein kleines Erdbeben, nicht sehr weit weg, es war<br />

deutlich zu hören und zu spüren.“ Keiner der <strong>Anderen</strong> hatte es mit bekommen und es wurde<br />

nicht weiter darüber gesprochen. „Meint ihr, da kommt noch mal jemand?“, fragte Kate leise.<br />

„Wir sind schon eine ganze Weile wach ... So lange hat es noch nie gedauert, bis jemand kam<br />

und uns Lebensmittel und Wasser brachte. Wo stecken die denn heute bloß? Und dass nicht<br />

einmal Licht angeht und wir nicht für das unerlaubte Reden gestraft werden ist auch sehr selt-<br />

sam.“ „Betriebsversammlung ...“, meinte Mulder lakonisch. „Betriebsausflug ...“, schnaufte<br />

Sawyer. „Puffbesuch, da möchte ich wetten.“, gab House seinen Senf dazu. „Ich habe Angst<br />

...“, brachte Allison auf den Punkt, was sicher alle im Hinterkopf hatten. „Ach was, Mädchen,<br />

die werden schon kommen. <strong>Die</strong> werden sicher nicht ihre teuren Investitionen hier verhungern<br />

und verdursten lassen.“, erklärte House nun beruhigend. Ziva hatte die Gespräche verfolgt.<br />

Als sich unterschwellig Angst im Kerker ausbreitetet, sagte sie munter: „Sag mal, Mick, du<br />

hast erwähnt, dass ihr von uns und unserem Verschwinden aus dem Flug 815 wisst. Was ist<br />

denn da so durch die Presse gegangen? All die toten Passagiere ...“<br />

Es schien fast, als hätte Beth nur auf ein solches Stichwort gewartet. „Tote? Wie<br />

kommst du denn darauf? Den anderen Passagieren geht es gut. Sie wurden nur betäubt und<br />

mitten im Nirgendwo mitsamt Flugzeug stehen lassen. Ich habe mit ihnen gesprochen, als sie<br />

auf dem LA International ankamen.“ Nach diesen Worten herrschte kurz Schweigen, dann<br />

redete alles durcheinander. „Wie, die sind nicht umgebracht ...“ „Wann hast du mit ihnen ge-<br />

sprochen ...“ „Wie ist denn der Stand der Ermittlungen?“ „Ist in der Presse etwas von den<br />

Angehörigen ...“ „Welche Behörden ermitteln?“ „Wo haben die das Flugzeug denn ab-<br />

gestellt?“ „Haben die denn einen Verdacht?“ „Gibt es überhaupt den Hauch einer Chance,<br />

dass die uns hier finden?“ Beth versuchte, der Reihe nach zu antworten. „Nein, sie leben und<br />

erfreuen sich bester Gesundheit. Das Flugzeug wurde am Tag nach eurem Verschwinden in<br />

Palangkaraya gefunden. Einen Tag später wurden die Passagiere nach LA ausgeflogen, wo<br />

ich mit ihnen gesprochen habe und auch mit euren Kollegen vom FBI und NCIS. Seit klar<br />

war, dass US Bundesbeamte vermisst wurden, hat das Australische Militär die Ermittlungen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

FBI und NCIS überlassen. Und ob es einen konkreten Verdacht gibt, wollten mir eure lieben<br />

Kollegen nicht sagen.“<br />

Erneut herrschte kurz Stille, die Abby dann leise durchbrach. „Kollegen?“ Ihre<br />

Stimme klang plötzlich, als müsse sie mit Tränen kämpfen. „Welche Kollegen hast du ...?“<br />

Beth sah mitleidig zu der jungen Frau hinüber. „Nun, ich sprach am LA International mit<br />

zwei FBI und zwei NCIS Ermittlern. <strong>Die</strong> sollten gemeinsam Nachforschungen anstellen. Und<br />

einer von ihnen, so ein arroganter, selbstverliebter Agent namens Dino ... Daniso ...“<br />

„DiNozzo ...“, unterbrach Ziva erschüttert. „Du hast mit Tony gesprochen ... Wie geht es<br />

ihm? Wie war er drauf? Er ist nicht arrogant und selbstverliebt.“ „Wer war denn noch da? Sag<br />

doch was.“, stieß Abby hervor. „Immer langsam, ich habe ein gutes Gedächtnis, aber ich bin<br />

kein Computer. Das ist vier Monate her. DiNozzo war der Name des einen, richtig. Er hat erst<br />

versucht <strong>mich</strong> anzubaggern und sich dann bemüht, möglichst lässig rüber zu kommen. Aber<br />

er sah besorgt aus und nach seinen Augenringen zu urteilen, hatte er mindestens zwei Nächte<br />

nicht geschlafen. Und der andere Name war irgendwas mit Mc... Der war nett. Nicht sehr ge-<br />

sprächig, aber freundlich. Er hat sich sehr nett über dich geäußert, Abby.“ „McGee. Mein<br />

Gott, Gibbs. Sie hat tatsächlich mit Tim und Tony gesprochen. Gibbs.“ Abby schlug die<br />

Hände vor ihr Gesicht und fing an zu weinen. Ziva hatte ebenfalls einen Kloß in der Kehle.<br />

Wie sehr Tony und seine Frechheiten ihr fehlten. Dass er Beth angebaggert hatte, war für die<br />

junge Mossad Agentin keine <strong>Über</strong>raschung. Tony baggerte alles an, was weiblich, unter<br />

sechzig und nicht bei drei auf den Bäumen war.<br />

Dana sah Mulder an und stellte dann die Frage: „Wer vom FBI war denn da, Beth?“<br />

<strong>Die</strong> junge Journalistin überlegte. Sie musste sich zurück erinnern, immerhin war das Ganze ja<br />

wirklich schon über vier Monate her und Beth war in allem gut, nur nicht, sich Namen lange<br />

zu merken. „Vom FBI waren ein Ermittler und eine Agentin da. <strong>Die</strong> Frau war auch nett, aber<br />

ein bisschen sonderbar. Sie hat gesagt, sie hätte von Anfang an gefühlt, dass ihr zu den Ver-<br />

missten gehört, aber noch lebt. Sie sagte irgendwas über Schwingungen. Ihr Vorname war<br />

Monica und der Nachname etwas Spanisches. Und der Mann stellte sich als Spezial Agent<br />

John Doggett vor, wie Dogge, deswegen habe ich mir den Namen gemerkt.“ Mulder hatte<br />

gespannt zu gehört. Eigentlich war ihm klar gewesen, dass Skinner in der Hauptsache Doggett<br />

und Reyes auf ihr Verschwinden ansetzen würde. Mulder dachte an die etwas eigenartige<br />

Kollegin Reyes. Seit er erfahren hatte, wie sehr sie Dana bei der Geburt Williams geholfen<br />

hatte, hatte Mulder die junge Kollegin ins Herz geschlossen. Dass sie sich mit Numerologie<br />

befasste, machte dem selbst sehr schrulligen Agent nichts aus. Er stand auf dem Standpunkt,<br />

dass es vollkommen egal war, wie man Erfolg hatte, solange man ihn überhaupt hatte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dana konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. - Irgendwas von Schwingungen - Ja, das<br />

hörte sich sehr nach Monica an. Und Doggett. Dana erinnerte sich, wie sehr John ihr geholfen<br />

hatte, als Mulder damals verschwunden war. Zu spät hatte sie gemerkt, dass der Agent sich in<br />

sie verliebt hatte. Seit Mulder wieder aufgetaucht war, herrschte eine gewisse Spannung<br />

zwischen den beiden Männern. John war der <strong>Über</strong>zeugung, Mulder wäre nicht gut für Dana<br />

und Mulder konnte es nicht lassen, in Johns Gegenwart mehr als deutlich zu demonstrieren,<br />

dass Dana und er ein Paar waren, etwas, dass er sonst nie auffällig zur Schau stellte. So<br />

herrschte ständig unterschwellig Spannung im Team. Aber eines war sicher: Doggett war der<br />

ideale Mann für die Suche nach Vermissten. Er hatte einen beinahe untrüglichen Instinkt und<br />

würde alles daran setzten, sie zu finden. „Du hast mit unseren direkten Kollegen gesprochen.<br />

Doggett und Monica sind den X Files zugeteilt worden, als Mulder damals verschwunden<br />

war.“, erklärte Dana leise. „<strong>Über</strong> vier Monate ... Hast du, oder habt ihr denn noch irgendwie<br />

weiter verfolgt, wie es um die Ermittlungen steht?“<br />

„Ich habe es versucht, aber ihr solltet selbst wissen, wie stur Agenten sind, wenn es<br />

darum geht, Informationen an die Presse weiter zu geben. Ich weiß nur, dass insgesamt zwei-<br />

undzwanzig Leute verschwunden sind und man sechs von ihnen verdächtigt hat, zu den Ent-<br />

führern zu gehören. In den Pressemitteilungen sprachen eure Kollegen immer nur von einer<br />

‘terroristischen Vereinigung‘ der sie wahrscheinlich angehören. Ob sie wirklich nicht mehr<br />

wissen oder nur nicht mehr sagen, weiß ich nicht.“ „Was hat man denn nach dem Ver-<br />

schwinden der Maschine damals gedacht?“, fragte Jake bedrückt. „<strong>Die</strong> werden doch sicher<br />

erst mal an einen Absturz gedacht haben ...“ Beth seufzte leise. „Zuerst ja. Das australische<br />

Militär hat tagelang Hubschrauber eingesetzt, um auf der planmäßigen Route nach dem<br />

Wrack zu suchen. Aber es ist schnell durchgesickert, dass es keinen Notruf gab und das Flug-<br />

zeug plötzlich vom Radar verschwunden ist. Das passte nicht zu der Absturz-Theorie. Sie<br />

haben trotzdem weiter gesucht, bis der Pilot sich bei der Qantas gemeldet hat. Das man die<br />

Maschine auf Borneo fand, hielten alle für eine falsche Spur, das ging aus den Medien klar<br />

hervor. <strong>Die</strong> Suche beschränkte sich auf die Staaten, Europa, Australien und Südamerika.“<br />

„Das war ein kluger Schachzug von den Entführern, die Maschine genau dort stehen zu<br />

lassen, wo das Versteck ist.“, meinte Gibbs leise. „Ich hätte das genauso für eine falsche Spur<br />

gehalten wie die Ermittler in unserer Entführung ...“<br />

Jetzt meldete sich Heather schüchtern zu Wort. „Hast du in den Medien irgendwas<br />

darüber mit bekommen, naja, ich meine, es sind eine ganze Menge Bundesagenten ver-<br />

schwunden und einige Zivilisten ... Haben die sich da je Gedanken drum gemacht?“ Beth<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

überlegt kurz, dann aber dachte sie - Das werden sie ohnehin irgendwann erfahren - und fuhr<br />

mit ihren Erklärungen fort. „Da gab es die wildesten Spekulationen. <strong>Die</strong> haben sogar in Talk-<br />

shows darüber gesprochen. Eine beliebte Theorie war, dass die Agenten, die Ermittler vom<br />

CSI, Dr. House und Dr. Cameron für einen gigantischen Terroranschlag eingesetzt werden<br />

sollten. <strong>Die</strong> Agenten, weil sie die Sicherheitsmaßnahmen in Regierungsgebäuden genau<br />

kennen, unter anderem. Und die Ärzte, um einen neuartigen biologischen Kampfstoff zu ent-<br />

wickeln. Und die Zivilisten ... Nun ja, die meisten Leute gingen der Einfachheit halber davon<br />

aus, dass ihr zu den Entführern gehört. Sorry, Heather, es tut mir sehr leid.“ „Das wir was?“,<br />

entfuhr es Jake geschockt. Kate und Sawyer verzogen nur frustriert die Gesichter. Es über-<br />

raschte sie nicht sonderlich, immerhin dürfte es für die ermittelnden Behörden ein Kinderspiel<br />

gewesen sein, herauszufinden, wer und was sie waren. Und die Beiden waren sich einig, dass<br />

sie nicht zu America’s Beautiful People gehörten, schon eher in die Kategorie America’s<br />

Most Wanted...<br />

„Wer genau war unter Verdacht, wisst ihr das?“, fragte Sawyer desillusioniert.<br />

„Offiziell wurde darüber nichts bekannt.“, erklärte Beth ruhig. „Aber ich habe da so meine<br />

Kontakte. Ich weiß, dass dein Vater zu einem Verhör beim NCIS vorgeladen wurde, Kate. Da<br />

ihr, du und Sawyer, vorbestraft seid, hat man wohl vermutet, dass ihr in der Sache mit drinnen<br />

steckt. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die Ermittler versucht haben, näheres<br />

darüber zu erfahren, was du im Irak getrieben hast, Jake. Sie wissen, dass du als Söldner ge-<br />

arbeitet hast und das wohl am Rande der Legalität. Und du warst der einzige, von dem<br />

bekannt war, dass er eine Passagiermaschiene fliegen kann. Der Verdacht, dass du es warst,<br />

der das Flugzeug gelandet hat, lag nahe.“ Jake stieß ein leises, frustriertes Lachen aus. „Na<br />

klar, ich bin Pilot, ich muss natürlich etwas damit zu tun haben ... Heather, weißt du nun, was<br />

ich meine? Ich werde meine Vergangenheit nie ganz loswerden ...“ Er ließ sich auf sein Bett<br />

sinken und machte sich lang. <strong>Die</strong> Arme unter den Kopf verschränkt, lag er da und starrte die<br />

Decke über sich an, als liefe dort ein spannendes Play off Spiel. Kate starrte erschüttert vor<br />

sich hin. Ihr Vater ... Sam Austen, der Vorzeigesoldat ... Zu einem Verhör, ihretwegen.<br />

Tränen traten der jungen Frau in die Augen und sie warf sich schluchzend auf ihr Bett.<br />

Sawyer stand verzweifelt am Gitter, die Hände um die Stäbe gekrallt, und hätte Kate<br />

so gerne in die Arme genommen. Aber wenn er nicht zum Großen Houdini mutieren würde,<br />

hatte er keine Chance, aus dem Käfig heraus und in Kates Käfig hinein zu kommen. Leise und<br />

verzweifelt sagte er: „Kate ... Es tut mir so leid, Süße. Komm schon, Freckles, sei nicht so<br />

verzweifelt.“ Kate reagierte gar nicht. Schluchzend vor Hoffnungslosigkeit und Angst lag sie<br />

da. Beth taten diese Menschen hier unendlich leid. Sie hielten hier schon vier Monate durch,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beth hatte das Gefühl, keine vier Tage auszuhalten, ohne durchzudrehen. Sie wurde in ihren<br />

<strong>Über</strong>legungen durch die Stimme Abbys unterbrochen. „Beth? Kannst du ... ich meine, was hat<br />

Tim gesagt?“ Verlegen wand sich Abby hin und her. Gibbs grinste. „Ich habe ihn und<br />

DiNozzo gefragt, ob sie euch nahe stehen. Agent McGee hat über euch alle mit viel Respekt<br />

gesprochen, aber von dir hat er regelrecht geschwärmt. Er sagte, es ist unmöglich, dich nicht<br />

zu mögen. Und dass du, wenn du jemanden einmal ins Herz geschlossen hast, die treuste und<br />

verlässlichste Freundin bist, die man sich wünschen kann. Du hättest sein Gesicht sehen<br />

müssen, als er über dich geredet hat.“ Abby standen nun auch wieder Tränen in den Augen.<br />

Tränen der Freude. Erst hier, weit weg von Tim, war ihr klar geworden, dass sie ganz heftig<br />

verliebt in ihn war. Sie wollte ihn wieder sehen und ihm das sagen.<br />

Ziva zögerte noch, dann aber fragte sie scheinbar gelangweilt: „Sag mal, Beth, was hat<br />

DiNozzo denn so an Blödsinn von sich gegeben?“ Beth zog bei der Erinnerung an den von<br />

sich so extrem überzeugten NCIS Agent eine Augenbraue in die Höhe. „Zuerst hat er versucht<br />

witzig zu sein. Er sagte so was wie: So nahe man einem Ex-Marine, der den einsamen Krieger<br />

spielt, einer Goth-Lady, die in Särgen schläft und einer Spionin, die Jackie Chan Konkurrenz<br />

machen würde, eben stehen kann.“ Beth sah Gibbs an und zuckte die Schultern. Der Ex-<br />

Marine, der den einsamen Kämpfer spielte, grinste. „Tja, da ist wohl bei nächster Gelegenheit<br />

eine Kopfnuss fällig.“, erklärte er. Ziva und Abbs schmunzelten. Beth fuhr fort: „Er hat dann<br />

aber doch bestätigt, was Agent McGee über Abby gesagt hat. Er meinte, sie hätte sich auch<br />

für ihn schon wirklich reingehängt, als er in Schwierigkeiten steckte. Und nicht einmal ein<br />

Danke dafür erwartet. Und er hat gesagt, dass er gerne unter Gibbs arbeitet und von keinem<br />

mehr gelernt hat.“ Beth war froh, den drei Menschen gute Nachrichten bringen zu können,<br />

wenn auch keine Hilfreichen in Bezug auf Rettung.<br />

Ziva schaute erwartungsvoll zu Beth hinüber. <strong>Die</strong>se bemühte sich, zusammen zu<br />

kratzen, was dieser unangenehme Agent gesagt hatte. „Und über dich hat er gesagt, dass du<br />

der temperamentvollste und leidenschaftlichste Mensch bist, den er je kennen gelernt hat. Und<br />

dass es mit dir nie langweilig wird, weil man nie weiß, was du im nächsten Moment tust. Und<br />

er hat noch gesagt, dass du jede Lüge durchschaust und dass du ihn wahrscheinlich besser<br />

kennst als er sich selbst. Und dass er das unheimlich finden würde, wenn er nicht wüsste, dass<br />

du dieses Wissen niemals gegen ihn verwenden würdest.“ Das waren seine Worte gewesen.<br />

Beth beobachtete Ziva aufmerksam. Das Beobachten von Menschen war der Journalistin im<br />

Laufe ihres Berufslebens in Fleisch und Blut übergegangen. Sie machte dies gar nicht<br />

bewusst, sondern einfach unbewusst, unwillkürlich. Und sie bekam mit, dass Ziva sich offen-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sichtlich über das Gehörte freute. Scheinbar bedeutete dieser Agent DiNozzo ihr mehr, als sie<br />

ahnte.<br />

Mick hatte die ganze Zeit still zu gehört. Auch er hatte die Leidensgenossen bei diesen<br />

zum Teil unschönen Mitteilungen genau im Auge behalten. Nachdem er nun wusste, was die<br />

Entführten hier hatten durch machen müssen, taten diese ihm unendlich leid. Schon alleine<br />

die ständige Bedrohung der Partner, Freunde, Kollegen mit Schmerzen oder gar Tod war un-<br />

endlich zermürbend. Mick verstand eine ganze Menge von Psychologie, und was er bisher<br />

wusste, jagte dem Vampir einen Schauer über den Rücken. <strong>Die</strong> Entführer hatten sehr<br />

systematisch dafür gesorgt, dass ihre Gefangenen schnell jedes Selbstwertgefühl verloren<br />

hatten. <strong>Die</strong> ausnahmslose Anrede mit der Nummer, die Deprivation, alleine in den kleinen<br />

Zellen, ohne Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Das ständige bedroht werden, die ständige<br />

Bedrohung auch der <strong>Anderen</strong>. Viele Dinge waren, das hatte Mick sofort gesehen, direkt hier<br />

im Keller abgelaufen. Akut zermürbend und hier sicher als gezielte Zerstörungswaffe ein-<br />

gesetzt, war das Mithören und Sehen von Schreien und Qualen der anderen Gefangenen. Alle<br />

hatte sehen können, wie sehr einzelne Mitgefangenen leiden mussten. Sie hatten es nicht nur<br />

mit ansehen müssen, sondern konnten auch jederzeit damit rechnen, die Nächsten zu sein. Bis<br />

auf kurze Phasen, in denen man ihnen Zeit gegeben hatte, sich ein wenig zu erholen, war die<br />

Bedrohung durch Verletzungen oder auch den Tod ständig vorhanden gewesen. Besonders<br />

qualvoll war die permanente Todesbedrohung, das wehr- und rechtlose Ausgeliefertsein an<br />

einen gnadenlosen Vernichtungswillen ohne Rechtfertigung und Verstrickung in eine auch<br />

nur irgendwie geartete Schuld.<br />

Ebenso war die Gewissheit sicher am Anfang lange unfassbar, dass das ganze nicht<br />

zeitlich begrenzt zu sein schien, sondern nur mit der höchstwahrscheinlichen körperlichen<br />

Vernichtung enden würde, eine entlastungslose Angst. So waren die Häftlinge auch noch ge-<br />

zwungen, über die tägliche Qual froh zu sein, die sie wenigstens lebend verbringen durften.<br />

Besonders zermürbend war auch der Umstand, dass sich alles ohne zwischengeschaltete Ent-<br />

lastung abspielte, mit Ausnahme der kurzen Pausen, die aber sicher gezielt als Angst-<br />

Intervalle genutzt wurden. So hatten die Gefangenen keinerlei Möglichkeit, sich wenigstens<br />

auf der untersten vegetativen Stufe wieder zu fangen und etwas zu regenerieren. Mick fragte<br />

sich, für den Fall, dass sie hier doch irgendwann wieder heraus kommen sollten, wie das<br />

weitere Leben der Gefangenen wohl aussehen mochte. Er konnte sich nicht zusammen<br />

reimen, wozu das alles hier diente. Kaum anzunehmen, dass diese Leute hier nur zufällig aus-<br />

gewählt worden waren. Irgendetwas musste die Wahl auf sie hatte fallen lassen. Vielleicht<br />

ließ sich da ja etwas heraus finden, dass den Anschein eines gemeinsamen Nenners hatte. Das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

er den Umstand seiner Anwesenheit in diesem kuscheligen Gebäude dem puren Zufall zu<br />

verdanken hatte, war Mick absolut klar. Sie hatten wohl gewusst, wer er war, aber ihn dort zu<br />

entdecken, wo man ihn und Beth geschnappt hatte, war der pure Zufall gewesen, davon ging<br />

Mick einfach aus. Allerdings machte das Wissen seine und Beth’ Lage nicht angenehmer.<br />

*****<br />

Carpe diem<br />

Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann klein zu kriegen.<br />

Voltaire<br />

Beth hatte auf weitere Fragen gewartet, die aber nicht erfolgten. So konnte sie selbst<br />

endlich Fragen stellen, die sie brennend interessierten. „Sag mal, Mulder. Ich habe da am<br />

Flughafen aufgeschnappt, dass du und Dana paranormale Phänomene erforscht. Leider war<br />

nicht mehr darüber herauszukriegen. In welchen Fällen ermittelt ihr denn? Und wie kommt<br />

man zu so einer Abteilung?“ Mulder schmunzelte. Natürlich war nicht nur der Mitteilungs-<br />

drang einer Journalistin groß, sondern auch deren Neugierde. Da die X Akten aber kein<br />

großes Geheimnis waren, erklärte er Beth ruhig, welche Fälle er zusammen mit Dana be-<br />

arbeitete, wie er und später Dana in dieser Spezialabteilung gelandet waren. Er berichtete kurz<br />

von seinem Verschwinden und dass daraufhin Doggett und Reyes ins Team gekommen<br />

waren. Beth, aber auch Mick hörten interessiert zu. Man konnte regelrecht sehen, wie es in<br />

Beth‘ Kopf arbeitete. Hätte man sie in diesem Moment gefragt, was sie am liebsten hätte,<br />

wäre die Antwort sicher: Ein PDA. gewesen.<br />

„Wow, es ist echt unglaublich, was ihr schon alles erlebt habt. Dana sollte dich also<br />

ausspionieren?“, fragte Beth grinsend. „Das nenne ich einen interessanten Start für eine Be-<br />

ziehung. Ihr seid doch zusammen, oder?“ Dana konnte ein ironisches Lachen nicht unter-<br />

drücken. <strong>Die</strong> junge Frau hatte den Journalismus scheinbar schon mit der Muttermilch zu-<br />

geführt bekommen. Ließe man sie bei ihren Entführern zehn Minuten ungestört zu Wort<br />

kommen, sie würde erfahren, welchem Zweck das alles hier diente. Mulder war von der<br />

direkten Frage so überrumpelt, dass er eifrig antwortete: „Ja, sind wir, Dana und ich sind seit<br />

...“ Er stutzte und schüttelte erstaunt den Kopf. Dann erklärte er gelassen: „Ich verweigere die<br />

Aussage.“ Beth lachte. „Ach komm schon. Ist sicher eine schöne Geschichte, wie ihr zu-<br />

296


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sammen gekommen seid. Und schöne Geschichten können wir hier wirklich brauchen.“ Dana<br />

erwiderte leicht ungeduldig: „Erstens ist es keine schöne Geschichte, zweitens kennen alle sie<br />

bereits und drittens sind wir keine Privat-Auskunftei.“ Beth beschloss, sich vorerst jemand<br />

anderem zuzuwenden. Sie wollte ja niemanden verärgern.<br />

Sie schaute zu Ziva rüber. „Ziva, Agent DiNozzo hat gesagt, du wärst vom Mossad<br />

zum NCIS gekommen.“ Beth hoffte, die Erwähnung des Kollegen, nach dem Ziva so<br />

interessiert gefragt hatte, würde sie zum Reden bringen. „Wie kam es denn dazu?“ Ziva sah<br />

zu Beth hinüber und zog eine Augenbraue leicht in die Höhe. „Hat Tony auch erwähnt, dass<br />

ich alleine achtzehn Möglichkeiten kenne, einen Menschen mit einer Büroklammer zu<br />

killen?“, fragte die junge Mossad Agentin spitz. „Ich habe hier nirgendwo eine Büroklammer<br />

gesehen.“, entgegnete Beth mit einem entwaffnenden Lächeln. Ziva stand geschmeidig von<br />

ihrem Bett auf, auf dem sie gehockt hatte. Dicht trat sie an die Tür und sagte gefährlich<br />

freundlich: „Weißt du, Herzchen, ich beherrsche auch die Kunst des Tötens ganz ohne Waffe<br />

...“ „Kannst du auch durch Gitterstäbe gehen?“: fragte Beth grinsend. „Aber mal im Ernst,<br />

Ziva: Ich will dich nicht ärgern. Ich möchte die Leute, mit denen ich hier festsitze, einfach ein<br />

bisschen besser kennen lernen. Ihr alle hier habt euch genau kennen gelernt. Mick und ich<br />

möchten auch gerne wissen, mit wem wir es zu tun haben. Machen wir doch ein Spiel draus:<br />

Für jede beantwortete Frage dürft ihr <strong>mich</strong> auch etwas fragen. Egal was. Und ich werde ehr-<br />

lich antworten. Das ist wie 20 Questions. Hast du das nie im College gespielt?“ Ziva<br />

schüttelte über so viel Hartnäckigkeit den Kopf. Dann erwiderte sie sarkastisch: „Als das in<br />

Tel Aviv im College gespielt werden sollte, gab es einen Bombenangriff, weißt du, deshalb ist<br />

das Spiel bei uns ausgefallen. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, zerfetzte Körper zu bergen<br />

...“<br />

Gibbs und Abby hatten die Unterhaltung grinsend verfolgt. Beth war hartnäckig, ohne<br />

Zweifel, aber Ziva war mit Sicherheit hartnäckiger. Abby war sich auch sicher, dass die<br />

Kollegin nicht wusste, was 20 Questions war, aber das würde sie Beth nicht unter die Nase<br />

reiben. <strong>Die</strong>se hatte erschrocken die Augen aufgerissen. „Das tut mir leid.“, sagte sie ehrlich<br />

betroffen. „Es muss furchtbar sein, so aufzuwachsen.“ Angesichts der Betroffenheit der<br />

jungen Frau taten Ziva ihre harten Worte ein wenig Leid. „Hör zu, Beth, ich wollte dich nicht<br />

schockieren, aber ich mag es nicht, wenn man <strong>mich</strong> ausfragt, okay, akzeptiere das bitte ein-<br />

fach und spiele mit den <strong>Anderen</strong> das Spiel ... Ich kenne es nicht einmal. Lass <strong>mich</strong> da raus.<br />

Bei uns hat man solche Spiele nicht gespielt, verstehst du? Du und ich, wir kommen aus<br />

völlig unterschiedlichen Welten. In meiner Welt wirst du schnell Erwachsen ... sehr schnell.<br />

Du hast gar keine Wahl.“ Sie sah zu Beth hinüber, die unter den Worten merklich zusammen-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schrumpfte. Aber so schnell gab sich die junge Frau noch nicht geschlagen. Sie versuchte, die<br />

Stimmung etwas aufzulockern. „Du kennst 20 Questions nicht? Da hast du echt was verpasst.<br />

Das kann sehr lustig werden, vor allem nach ein paar Bier. War mein zweitliebstes Party-<br />

Spiel auf dem College.“ Mick drehte sich in seiner Zelle ab. Hätte er noch länger zu seiner<br />

Lebensgefährtin herüber geschaut, hätte er angefangen zu Lachen. Beth war einmalig. Sie<br />

hockten hier bei vollkommen unkalkulierbaren Psychopathen in Gefangenschaft, und sie<br />

forderte die physisch und psychisch schwer angeschlagenen Menschen, die hier seit vier<br />

Monaten gequält und mit dem Tod bedroht wurden, zu einem College-Spielchen heraus.<br />

Bevor Mick noch etwas zu Beth sagen konnte, meldete sich nun Locke zu Wort. „Beth<br />

... Ich bin nicht sicher, ob dir klar ist, dass fast jeder von uns hier schon mehrfach knapp am<br />

Tode vorbei geschrammt ist? Dass viele von uns gequält, gefoltert, misshandelt wurden, wir<br />

alle seit vier Monaten ohne Sonne, ohne Tageslicht, hier gefangen gehalten werden? Bis<br />

gestern nicht einmal wussten, welches Datum wir haben? Und dass wir fast sicher immer<br />

noch davon ausgehen müssen, jederzeit wieder gequält oder doch noch getötet zu werden? Ich<br />

bin nicht sicher, ob du in der Lage bist, zu ermessen, was das bedeutet. Wir alle hier sind<br />

nicht an College-Spielen interessiert, sondern nur und ausschließlich daran, weiter zu über-<br />

leben.“ Ganz ruhig, beinah freundlich, kamen diese wohldurchdachten Worte von dem<br />

geheimnisvollen Mann. „Es tut mir leid, wirklich. Ich dachte nur, ihr hättet etwas Auf-<br />

munterung verdient. Ich bin erst einen Tag hier und habe schon das Gefühl, verrückt zu<br />

werden. Ich kann nur ahnen, wie ihr euch fühlt. Es macht <strong>mich</strong> wahnsinnig, hier absolut<br />

nichts tun zu können. Das muss euch doch genauso gehen. Ich denke, ein bisschen Ablenkung<br />

würde uns allen gut tun. Wir drehen durch, wenn wir hier sitzen und nichts weiter tun als<br />

darüber nachzugrübeln, was als nächstes passieren wird. Okay, das Spiel war eine blöde Idee.<br />

Aber könnt ihr nicht einfach mit mir reden?“, fragte Beth, mühsam um Fassung bemüht.<br />

- Wie kann man nur etwas mit einer Journalistin anfangen? - murmelte Bones ganz<br />

leise vor sich hin und warf einen verständnislosen Blick zu Beth hinüber, die ihre geflüsterten<br />

Worte natürlich nicht verstanden hatte. Mick dafür umso besser. Und er hatte kein Problem<br />

damit, Bones mit seinem übersinnlichen Gehör zu konfrontieren. Grinsend erwiderte er: „Du<br />

wirst es nicht glauben, Bones, aber manchmal habe ich <strong>mich</strong> das selbst schon gefragt.“ Bones<br />

verschlug es die Sprache. Sie starrte Mick so verblüfft an, dass dieser lachen musste. Da kein<br />

anderer Bones Flüstern verstanden hatte, entging ihnen natürlich der Sinn der Worte, die<br />

Mick an Bones richtete. Verständnislos sahen sie hinüber und dann war es Heather, die fast<br />

mitleidig sagte: „Okay, Beth, was möchtest du denn so wissen?“ Beth lächelte Heather dank-<br />

bar an. „Wie wär‘s wenn du mir erzählst, was du überhaupt in Australien gemacht hast? Habt<br />

298


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihr dort Urlaub gemacht?“, fragte sie, in der Hoffnung damit ein unverfängliches Thema an-<br />

zusprechen. Heather seufzte, als sie an die schöne, unbeschwerte Zeit in Sydney dachte. Dann<br />

erzählte sie mit einem Verständnis erbittenden Blick zu Jake, wie und warum sie in Australien<br />

gelandet war und Beth hörte aufmerksam zu. „Du bist ans andere Ende der Welt geflogen, um<br />

Jake zurückzuholen, obwohl ihr euch gerade erst kanntet? Und es hat tatsächlich<br />

funktioniert?“, fragte Beth staunend. „Wow, das muss wirklich so was wie Liebe auf den<br />

ersten Blick gewesen sein.“<br />

Heather wurde rot. „Eher eine Spätzündung ...“, rutschte ihr heraus, bevor sie es ver-<br />

hindern konnte. Beth sah erstaunt zu der jungen Frau hinüber. „Wie meinst du das denn?“,<br />

fragte Beth neugierig. <strong>Die</strong> Reporterin hatte bereits wieder vergessen, dass sie die anderen<br />

eigentlich nicht mehr löchern wollte. Heather wurde dunkelrot. „Naja, stimmt schon, es war<br />

Liebe auf den ersten Blick. Zumindest für <strong>mich</strong>.“, antwortete sie und sah kurz zu Jake rüber.<br />

„Aber es hat trotzdem eine Weile gedauert, bis wir... zusammen gekommen sind. Richtig zu-<br />

sammen, meine ich.“, erklärte die junge Frau und sah beschämt zu Boden. Sawyer grinste.<br />

„Irgendwas hast du wohl am Anfang verkehrt gemacht.“ Jake warf ihm einen giftigen Blick<br />

zu. „Tja, so toll kann es mit deinen Künsten nicht sein, dass du erst fast umgebracht werden<br />

musst, damit Heather deine Qualitäten in bestimmten Lebenslagen zu schätzen weiß.“, gab<br />

House sarkastisch seinen Senf dazu. Nicht nur Sawyer lachte los. Jake sah House mit einem<br />

Blick an, der diesen sofort getötet hätte, wären Blicke dazu im Stande gewesen.<br />

Beth warf Jake einen verstehenden, mitleidigen Blick zu. Dann sah sie zu Mick<br />

hinüber. Sie verstand gut, wie es Jake gegangen war. Bei ihr und Mick hatte es fast ein Jahr<br />

gedauert, bis sie zusammen gekommen waren. Als sie sich kennen gelernt hatten, war Beth<br />

noch mit ihrem damaligen Freund zusammen gewesen, obwohl aus der Beziehung schon seit<br />

einer Weile die Luft raus gewesen war. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Freundes Josh<br />

Lindsey hatten sie und Mick angefangen zu daten, aber er hatte immer wieder einen Rück-<br />

zieher gemacht, aus Angst, er würde die Kontrolle über sich verlieren und Beth verletzen oder<br />

ihr die Chance auf ein normales Leben nehmen. Selbst heute hatte er noch manchmal Be-<br />

denken, er könne sie versehentlich anknabbern, wenn die Leidenschaft ihn übermannte. Beth<br />

jedoch hatte nie Angst gehabt, dass er ihr etwas antun könnte. Sie sah Heather an und lächelte<br />

aufmunternd. „Das ist okay, Heather. Manche Dinge sind es wert, darauf zu warten.“ Heather<br />

lächelte ebenfalls, wenn auch immer noch verlegen. Beth war noch nicht gewillt, sich zu-<br />

frieden zu geben. Sie wollte mehr über Sawyer und Kate erfahren. Was über die Beiden in<br />

den Medien zu lesen gewesen war, klang nicht sonderlich Vertrauenerweckend. Da war die<br />

Rede von Mord und schwerem Betrug gewesen. Beth überlegte, wie sie das Gespräch am<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

besten beginnen konnte. Sie sah zu Sawyer hinüber, der sie aber nicht zu bemerken schien.<br />

Seine Augen ruhten auf Kate, die immer noch auf ihrem Bett lag und ins Leere starrte. Beth<br />

beschloss, mit ihr anzufangen und zu versuchen, die junge Frau aus ihrer Lethargie zu reißen.<br />

„Kate, was hat dich und Sawyer nach Australien verschlagen? Habt ihr dort gelebt<br />

oder nur Urlaub gemacht?“ Kate antwortete, ohne überhaupt nachzudenken. „Ich werde in<br />

Australien nicht gesucht, darum war ich dort, schon seit Monaten. Ich habe <strong>mich</strong> mit Ge-<br />

legenheitsjobs durch gebracht. Sawyer und ich ...“ An dieser Stelle setzte sie sich auf und sah<br />

zu dem blonden Mann hinüber, der erleichtert schien, dass sie sich wieder an der Kon-<br />

versation beteiligte. „Wir haben uns eines Abends in Kings Cross getroffen, ich habe ...“ Sie<br />

lachte kurz. „... ich habe ihn fast um gerannt.“ Beth grinste. „Hat er dir bestimmt nicht übel<br />

genommen.“ An Kates Stelle antwortete Sawyer. Frech grinste er Beth an. „Weißt du, Louis<br />

Lane, wenn eine hübsche Frau in <strong>mich</strong> rein rennt, werde ich bestimmt nicht böse sein.<br />

Außerdem hat Kate mir Schmerzensgeld gezahlt.“ „Lass <strong>mich</strong> raten? Du hast die Gelegenheit<br />

genutzt und dir von Kate einen Drink ausgeben lassen?“ Kate schüttelte den Kopf. „Genau<br />

genommen hat er <strong>mich</strong> angefleht, mit ihm ein Bier trinken zu gehen.“ Sawyer schnaufte<br />

missmutig. „Nun plaudere unserer Miss Newsflash doch nicht alles aus.“ Beth grinste. „Du<br />

hast es also nötig, die Mitleidstour abzuziehen, um eine Frau dazu zu kriegen, mit dir was<br />

Trinken zu gehen?“ Sawyer zog eine Augenbraue in die Höhe und schmunzelte. „Weißt du,<br />

Veronica, ich brauche überhaupt keine Tour, ich habe genug Qualitäten, die keiner zur Schau-<br />

stellung bedürfen.“ Beth war wirklich erstaunt, dass Sawyer Veronica Guerin zu kennen<br />

schien. Immer neugieriger wurde sie. Wie kam ein so offensichtlich gebildeter, gut aus-<br />

sehender, charmanter Mann dazu, als Betrüger sein Geld zu verdienen? „Du kennst Veronica<br />

Guerin?“, fragte sie erstaunt. „Du steckst voller <strong>Über</strong>raschungen.“ Sawyer grinste cool. „Ich<br />

bin ein vielschichtiger Typ, Süße.“<br />

„Offensichtlich.“ Beth störte nicht, dass Sawyer sie Süße genannt hatte. Viel zu sehr<br />

war sie an dem jungen Mann interessiert. Am liebsten hätte sie ihn direkt gefragt, wie er zum<br />

Betrüger geworden war, aber nicht einmal sie war so plump. „Hast du Geschichte studiert<br />

oder so was?“ Beth wusste natürlich, dass Sawyer oder James Ford, wie er wirklich hieß, nie<br />

auf dem College gewesen war, hoffte aber, so etwas aus ihm heraus zu kriegen. Sawyer lehnte<br />

entspannt am Gitter. Dass die Journalistin ihn so offensichtlich ausfragte, amüsierte ihn.<br />

Aufmerksam, aber unauffällig behielt er Mick im Auge, aber der hockte vollkommen ent-<br />

spannt auf der Kühltruhe und grinste. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> wirkten, als wären sie froh, nicht selbst<br />

ausgefragt zu werden und so zuckte Sawyer in Gedanken die Schultern. „Nein, ich habe nicht<br />

einmal die Highschool beendet.“ „Tatsächlich? Wie kommt es dann, dass du so gebildet<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bist?“, fragte Beth direkt. Sawyer grinste. „Ich kann lesen, weißt du. Und in meinem ... Job als<br />

... Con Man brauche ich ein fundiertes Wissen.“ Da Sawyer selbst angesprochen hatte, was er<br />

machte, dachte Beth bei sich, eine direkte Frage wäre einen Versuch wert. „Das klingt, als<br />

hätte es dir Spaß gemacht, als Betrüger dein Geld zu verdienen.“ Sawyer grinste noch breiter.<br />

Es war ihm klar gewesen, dass Beth Bescheid wusste. So konnte er ruhig sagen: „Ich hatte mit<br />

neunzehn die Wahl, in Streifen geschnitten zu werden, oder mir schnell eine größere Geld-<br />

summe zu besorgen. Ich lebe noch. Nein, es hat mir keinen Spaß gemacht, es sei denn, ich<br />

konnte Leute rein legen, die noch mieser waren als ich.“<br />

Sawyers Offenheit überraschte Beth und einen Moment lang wusste sie nicht, wie sie<br />

darauf reagieren sollte. Schließlich fragte sie: „Kam das oft vor? Dass du dich mit richtig<br />

miesen Typen angelegt hast?“ Sawyer schmunzelte immer noch. Langsam sagte er:<br />

„Manchmal. Aber nur, um Irrtümer zu vermeiden, Blondie: Ich bin kein zweiter Robin Hood,<br />

okay.“ „Den Eindruck hatte ich auch nicht. Du bist schließlich ein vielschichtiger Typ,<br />

richtig? Also, was hat dich denn nun nach Australien geführt?“ Beth konnte nicht anders, sie<br />

musste den Mitteilungswillen wenigstens eines ihrer Mitgefangenen ausnutzen. Sawyer lachte<br />

leise. „<strong>Die</strong> Liebe meines Lebens.“ Beth runzelte die Stirn. „Ich dachte, du hättest Kate erst in<br />

Australien kennen gelernt.“ Kate hatte gespannt darauf gewartet, wie weit Sawyer sich aus-<br />

fragen lassen würde. Zwar war er gezwungen gewesen, vor all den <strong>Anderen</strong> den Mord in<br />

Sydney zuzugeben, aber Kate spürte sofort, dass er absolut nicht gewillt war, Beth in sein<br />

Geheimnis einzuweihen. Und sie hatte Recht. Todernst erklärte Sawyer: „Weißt du, ich<br />

wusste, dass ich Kate in Sydney treffen würde.“ „Weißt du, du könntest auch einfach sagen,<br />

dass du die Frage nicht beantworten willst.“, antwortete Beth etwas enttäuscht. Das Gespräch<br />

hatte so viel versprechend begonnen. Sarkastisch meinte Sawyer: „Weißt du, wenn du mir<br />

deine finstersten Geheimnisse alle anvertraut hast, werde ich dir meine ebenfalls anvertrauen.<br />

Wir wollen uns doch noch ein paar Gesprächsthemen für unser nächstes Date aufheben.“<br />

„Das klingt als hättest du doch Lust auf eine Runde 20 Questions.“, antwortete Beth<br />

grinsend. „Zu schade, dass Kate wahrscheinlich etwas gegen das Date hätte.“ Jetzt wirkte<br />

Sawyer wieder vollkommen entspannt. „Du scheinst ja ein Faible für College-Spielchen zu<br />

haben, Goldlöckchen. Wie wäre es denn, wenn wir - Ich hab noch nie - spielen würden? Zwar<br />

haben wir keinen Scotch, aber das können wir uns ja einfach mal vorstellen.“ „Warum nicht?<br />

Ich habe heute nichts anderes vor.“ Jetzt mischte Mick sich verwirrt ein. „- Ich hab noch nie -<br />

Was ist das für ein Spiel, Beth?“ Beth sah erstaunt zu Mick hinüber. „Sag bloß, das gab es zu<br />

deiner College-Zeit noch nicht?“ Mick schüttelte den Kopf. „Nein, Kleines, wenn es das<br />

schon gegeben hätte, würde ich kaum fragen, oder?“ „Kann ja auch sein, dass du einer von<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

diesen pflichtbewussten Studenten warst, die an den Wochenenden tatsächlich gelernt haben,<br />

statt auf Partys zu gehen.“, antwortete Beth. „- Ich hab noch nie - ist ganz einfach. Jemand<br />

sagt ’Ich hab noch nie‘ und ergänzt den Satz irgendwie. Zum Beispiel: ‚Ich hab noch nie<br />

einen Joint geraucht.‘ Und jeder, der das schon mal getan hat, muss einen Schluck trinken.“<br />

Nicht nur Mick schaute vollkommen verständnislos drein. Auch Bones, House, Gibbs und<br />

Ziva verstanden offensichtlich kein einziges Wort von dem, was Beth da gerade erklärt hatte.<br />

Kate und Heather warfen ebenfalls fragende Blicke abwechselnd zu Beth und Sawyer. Ziva<br />

sprach aus, was die vier dachten. „Bitte. Das macht absolut keinen Sinn.“ „Natürlich macht<br />

das keinen Sinn.“, erklärte Beth, selbst verwirrt. „Es ist ein Party-Spiel.“<br />

„Party-Spiel? Wie spielt man denn Party? Eine Party ist ein gesellschaftliches Ereig-<br />

nis, auf dem sich Menschen treffen, um Konversation zu treiben. Das spielt man doch nicht.“,<br />

bemerkte Bones staunend. Sawyer, Mulder und Booth mussten sich fast am Gitter festhalten<br />

vor Lachen. Beth sah völlig fassungslos zu Booth herüber. „Meint sie das ernst?“ „Todernst.<br />

Zwischenmenschliches ist ein riesiges Fragezeichen für Bones. Zwischenmenschliches und<br />

vieles mehr.“ Booth wischte sich Lachtränen aus den Augen. Wer hätte gedacht, dass die<br />

junge Journalistin mit ihrer Neugierde für so viel Heiterkeit in dieser Hölle sorgen würde.<br />

Beth schüttelte verwirrt den Kopf. Wie sollte sie zwei Männern im Alter ihres Vaters und<br />

einem, der defakto älter war als ihr Großvater, einer Ausländerin und einem Alien den Sinn<br />

von Trinkspielen erklären? Beth seufzte und setzte zu einer genaueren Erklärung an. „Es ist<br />

ein Spiel, das man auf einer Party spielt, um sich besser kennen zu lernen. Anfangs sind die<br />

Fragen relativ harmlos, aber je mehr die Leute trinken, desto ... intimer werden die Fragen.<br />

Man baut Hemmungen ab und wird offener. Es ist interessanter und weniger verkrampft als<br />

die anderen einfach aufzufordern, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.“<br />

Bones hatte wirklich interessiert zu gehört. Jetzt sah sie Beth an. „Ich habe auf dem<br />

College mit bekommen, wie verkrampft über Fortpflanzung und Paarungsrituale gesprochen<br />

wurde. Der Austausch von Körperflüssigkeiten ist ein vollkommen normaler Vorgang, den<br />

hinter vor gehaltener Hand zu Thematisieren mehr als überflüssig ist. Es werden Um-<br />

schreibungen benutzt, die absurd am Thema Reproduktion vorbei gehen, wie die alberne und<br />

nicht auf den Menschen übertragbare Geschichte mit den Bienchen und den Blümchen.<br />

Warum muss zur Behandlung dieser Themen erst ein Spiel erfunden werden?“ <strong>Die</strong>smal<br />

brüllten nicht nur Mulder, Sawyer und Booth vor Lachen, alle, bis auf Heather, die rot wurde,<br />

und Beth und Mick, die absolut nichts verstanden, lachten Tränen. Beth fragte verwirrt: „Du<br />

willst also damit sagen, dass man das Thema Sex vollkommen offen angehen und darüber<br />

reden sollte wie über jedes andere Thema? Das ist doch aber schon etwas sehr intimes und ...“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„<strong>Die</strong> Fortpflanzung und damit Arterhaltung ist weder etwas verwerfliches noch etwas, dass<br />

man heimlich hinter vorgehaltener Hand besprechen muss. Es ist ein für jede Spezies über-<br />

lebenswichtiger Vorgang. Spätestens, wenn bei einer Frau eine Schwangerschaft zu erkennen<br />

ist, weiß ohnehin jeder, dass es, um dazu zu kommen, zuerst zu Geschlechtsverkehr kommen<br />

musste. Daher ist das Verheimlichen desselben pure Zeitverschwendung.“ Beth starrte mit<br />

großen Augen zu Bones hinüber. „Das kann nicht dein Ernst sein. Du würdest dich ganz ent-<br />

spannt darüber unterhalten, wie Booth im Bett ist?“<br />

Der Wille zu Leben<br />

Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamen Willen.<br />

Mahatma Ghandi<br />

House in seiner Zelle schüttelte verständnislos den Kopf und fragte Mick: „Wie hältst<br />

du das denn bloß auf Dauer aus? Hat sie irgendwo einen Aus-Knopf oder können Vampire die<br />

Ohren abschalten?“ Mick grinste, während aus Beth‘ Zelle ein empörtes Schnauben zu hören<br />

war. Aus Heathers Zelle dagegen kam ein leicht panisches: „Können wir vielleicht mal<br />

darüber sprechen, warum sich keiner um uns kümmert? Ich habe entsetzlichen Durst, warum<br />

nur kommen die nicht endlich, um uns zu versorgen? Warum geht kein Licht an? Es ist ...<br />

Stunden her, dass wir geweckt wurden.“ Ihre Stimme klang leicht hysterisch. Jake sprang auf<br />

und stellte sich dicht an das Gitter. „Heather, bitte, du musst doch keine Angst haben, ich bin<br />

sicher, wir werden bald unsere Rationen bekommen.“, versuchte er die junge Frau zu be-<br />

ruhigen. „So, meinst du? Was veranlasst dich zu dieser optimistischen Prognose?“ Bones<br />

hatte Booth trotz der gelungenen Ablenkung durch die Unterhaltung immer wieder Auf-<br />

keuchen hören vor Schmerzen und war extrem beunruhigt, dass sich heute keiner um sie alle<br />

zu kümmern schien. Sawyer, der immer wieder besorgt zu Kate hinüber schaute, grinste<br />

Bones frustriert an. „Ich hatte doch tatsächlich schon ganz vergessen, dass du manchmal ein<br />

richtiger, kleiner Sonnenschein sein kannst ...“ Ziva stieß ein leises Kichern aus. Dann aber<br />

sah sie zum ungezählten Male zur Kerkertür hinüber. Aber der Versuch, ihre Kerkermeister<br />

heran zu gucken half leider auch nicht.<br />

Mick stand am Gitter, starrte zur Kerkertür und bemühte sich krampfhaft, außerhalb<br />

des Kerkers irgendetwas zu hören, aber, aus was auch immer die Wände ihres Gefängnisses<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gefertigt waren, es drangen keine Geräusche hindurch. Er konnte ohne Belastung zwei, drei<br />

Tage ohne Nahrung auskommen, dann aber wurde es kritisch. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen hatten<br />

in den vergangenen zwei Tagen außer der Literflasche Wasser und dem Stückchen Brot<br />

jeweils morgens nichts bekommen. Ihnen musste der Magen knurren. Und, das war Mick<br />

mehr als bekannt, der Durst war noch erheblich schlimmer als der Hunger. Abgesehen davon,<br />

dass er unangenehm war, führte er natürlich auch schnell zur Dehydrierung. Und das Gefühl<br />

des Verlassenseins würde bei den ohnehin psychisch und physisch schwer angeschlagenen<br />

Menschen hier schnell zu Panik führen.<br />

Dana versuchte, die Leidensgenossen zu beruhigen. „Hört mal, die haben so viel in<br />

uns investiert, was hätten sie denn davon, uns hier verhungern und verdursten zu lassen? Das<br />

sie sich heute nicht um uns kümmern, entspringt sicher der Willkür und wird kein Dauer-<br />

zustand werden. Kommt schon, wir sollten nicht gleich den Mut verlieren.“ Locke stimmte<br />

Dana ruhig zu. „Dana hat Recht, Freunde, gerade, nachdem sie Mick in ihren Händen haben,<br />

werden sie nicht sang und klanglos verschwinden und uns unserem Schicksal überlassen.“<br />

Abby sah zu Locke hinüber. „Wenn nun aber etwas geschehen ist? Wenn die ... fliehen<br />

mussten? Und uns hier einfach verrotten lassen? Wenn schon lange keiner mehr von ihnen da<br />

ist? Wir kommen hier nicht raus und werden in diesen elenden Zellen jämmerlich ...“ „Abby,<br />

Kleines, beruhige dich. Niemand wird hier in der Zelle sterben, komm schon. Tim wartet<br />

doch zu Hause in Washington auf dich und Mr. Massenspektrometer auch.“ Gibbs sah be-<br />

unruhigt zu Abby hinüber. Wie vielleicht bis auf Ziva alle Frauen hier war Abby einer Panik<br />

nahe. Gibbs konnte ja selbst den Gedanken, hier zum Sterben zurück gelassen worden zu sein,<br />

nicht ganz aus seinem Kopf bekommen.<br />

Eine Weile herrschte Schweigen. <strong>Die</strong> Gefangenen versuchten, die aufkommende<br />

Panik in den Griff zu bekommen. Gibbs warf einen Blick in die Runde. Beth lief, ebenso wie<br />

Ziva, Sawyer, Allison und Mulder, unruhig in der winzigen Zelle hin und her. Wie ein-<br />

gesperrte Tiere, hin und her, hin und her. Kate, Heather und Jake saßen auf ihren Betten und<br />

starrten Löcher in die Luft. House schnaufte immer wieder total genervt vor sich hin. Locke<br />

hockte im Schneidersitz auf dem Boden seiner Zelle und versuchte, sich zu konzentrieren.<br />

Irgendwann begann auch Dana, nervös in der Zelle auf und ab zu gehen. Mick hatte sich auf<br />

die Kühltruhe gelegt und dachte an seinen Freund Josef in LA und daran, dass diese Leute<br />

hier jetzt dessen Namen und Adresse kannten. Er trommelte nervös mit den Fingern auf dem<br />

Deckel des Freezers herum, bis Allison aufgebracht meinte: „Herrgott, kannst du das Ge-<br />

trommel bitte lassen, das macht <strong>mich</strong> wahnsinnig.“ Mick sah zu der jungen Ärztin hinüber.<br />

„Tut mir leid, auch Vampire werden nervös.“ Er setzte sich auf und lächelte Allison freund-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lich an. „Kommt schon, wir dürfen hier nicht den Kopf hängen lassen, nur, weil eure Freunde<br />

mal einen Tag lang nicht nach euch, nach uns, sehen. Mir ist etwas aufgefallen. Ich konnte in<br />

den Räumen sehen, was mit euch geschehen ist, und ich bin sicher, die Gegenwart Johns ge-<br />

spürt zu haben. Was ich nicht sehen konnte war der Grund, warum du da warst. Das habe ich<br />

noch nie zuvor erlebt. Wer bist du? Was bist du?“<br />

John hatte aufgeschaut und lächelte kurz. Dann erklärte er: „Ich bin nichts Besonderes,<br />

bestenfalls habe ich noch eine besondere Gabe. Ähnlich wie du kann ich bestimmte Dinge<br />

sehen. Und, wenn es mir auch schwer fällt, das zu sagen, ich habe es unseren lieben Gast-<br />

gebern zu verdanken, dass ich diese Gabe ganz allmählich gezielt einsetzen kann.“ Mick hatte<br />

interessiert zu gehört, ebenso wie die anderen Gefangenen, die froh waren, eine Ablenkung<br />

geliefert zu bekommen. „Worin genau besteht denn deine Begabung?“, fragte Beth neugierig.<br />

House grinste. Allzu lange konnte die junge Frau offensichtlich nicht schweigen. Locke trat<br />

ans Gitter und schlang die Arme um die Gitterstäbe. Einen kurzen Moment durchfuhr ihn das<br />

zwingende Bedürfnis, an der Zellentür zu zerren, doch so schnell, wie dieser sinnlose Ge-<br />

danke in ihm hoch kam, so schnell verschwand er auch wieder. Ruhig erklärte er: „Nun, ich<br />

erkläre es dir am besten an Hand eines Beispiels. Unsere Torwächter beliebten, <strong>mich</strong> einigen<br />

Tests zu unterziehen, deren Auswirkungen Mick offensichtlich in den Räumen sehen konnte.<br />

<strong>Die</strong> Versuchsanordnung war immer die Gleiche: Jemand hier wurde in akute Lebensgefahr<br />

gebracht und meine Aufgabe war es, dessen Tod zu verhindern.“<br />

„Wie das denn?“, hakte Beth nach. Locke seufzte. „Du hast Sawyer gesehen, richtig?<br />

Am Galgen?“ Mick nickte. „Ja, und nicht nur das.“ Locke erklärte. „Sie hatten sich ein<br />

System ausgedacht, bei dem ich heraus bekommen musste, welcher von zehn Schaltern die<br />

Mechanik, die unweigerlich zum Tode des Betroffenen geführt hätte, ausschaltete. Ich hatte<br />

unterschiedlich viel Zeit und war unterschiedlichen Ablenkungen ausgesetzt. Am Anfang, bei<br />

Bones und Sawyer, die die ersten Probanden auf der Liste unserer Entführer waren, hatte ich<br />

die meisten Probleme. Ich hatte so gezielt vorher noch nie versucht, meine Fähigkeiten einzu-<br />

setzen.“ Bones hatte sich auf ihr Bett gesetzt und versuchte, die Erinnerung an die Piranhas zu<br />

Ignorieren. Sawyer merkte gar nicht, dass er sich unwillkürlich an den Hals fasste, dort, wo<br />

das Henkerseil seine Luftzufuhr unnachgiebig abgeschnürt hatte. Er konnte ein Zittern nicht<br />

unterdrücken, als er an den Test dachte. Beth und Mick hörten entsetzt zu. „Wenn du es nicht<br />

geschafft hättest ...“, begann Mick, wurde aber von Sawyer unterbrochen. „Wären einige von<br />

uns nicht mehr hier.“ Beth sah zu dem jungen Mann hinüber. Er wirkte, als müsse er sich mit<br />

Gewalt beherrschen, nicht auszuflippen. <strong>Die</strong> Erinnerung daran, fast gehängt worden zu sein,<br />

schien ihn extrem zu belasten. In seinem Gesicht arbeitete es. Allerdings schien einiges seiner<br />

305


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Unruhe auch deutlich auf die Tatsache zurückzuführen zu sein, nichts für Kate tun zu können,<br />

die seit Beth‘ Eröffnung ziemlich geschockt wirkte.<br />

Mick und John bemerkten ebenfalls, dass die Berichterstattung der Versuche im<br />

Moment kein so gutes Thema war. So fragte Mick stattdessen: „Was ich nicht verstehe ist,<br />

warum ich den Grund deiner Anwesenheit nicht sehen konnte. Es war, als wäre ein Schleier<br />

zwischen uns. Ich konnte dich in den Räumen deutlich spüren, aber nicht erkennen, was du<br />

dort getan hast. Kannst du ...zum Beispiel telepathische Verbindung aufnehmen?“ Locke<br />

schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Was ich in seltenen Fällen hin bekomme, sind<br />

gewisse heilungsunterstützende Kräfte. Aber leider gelingt mir das noch nicht annähernd so,<br />

wie ich es gerne hätte.“ Obwohl er das Gefühl hatte, vorhin bei Booth etwas bewirkt zu<br />

haben. Das behielt John aber für sich, er würde ja merken, ob es dem Agent besser ging. Er<br />

hatte John so entsetzlich leid getan, dass dieser versucht hatte, die Heilung der Brandwunde,<br />

die Seeley so extreme Schmerzen verursachte, zu beschleunigen. Und Booth hatte nach<br />

einigen Minuten, in denen John sich sehr auf ihn konzentriert hatte, aufgehört, zu keuchen.<br />

Ein schneller Blick in die Zelle des Jungen machte John klar, dass Booth entspannt auf dem<br />

Bett lag und zu Dösen schien. Unendlich erleichtert grinste John. Es schien tatsächlich ge-<br />

klappt zu haben.<br />

Mick hatte den Blick sehr wohl bemerkt und dachte sich seinen Teil. Ihm war sehr<br />

wohl aufgefallen, dass der Agent irgendwann ruhiger und deutlich entspannter geworden war.<br />

Mick war im zweiten Weltkrieg zum Sanitäter ausgebildet worden und kannte sich dement-<br />

sprechend aus. Er hatte sich gewundert, dass Booth ruhiger wurde, eine Brandwunde hörte<br />

normalerweise nicht einfach mir nichts, dir nichts auf, weh zu tun, aber keine Ursache dafür<br />

feststellen können. Nun aber war es dem Vampir klar, was da geschehen war. Johns zu-<br />

friedener Gesichtsausdruck sprach Bände. Anscheinend hatte es gerade geklappt mit den<br />

Heilkräften per Telepathie. Mick sah sich erneut unauffällig im Kerker um. Er konnte die<br />

Angst der <strong>Anderen</strong> überdeutlich spüren, merkte mit seinen übernatürlichen Sinnen, dass es bei<br />

einigen hier nur noch ein schmaler Grat war, bis sie die Grenze zur Panik und Hysterie über-<br />

schritten. Dann konnte es unangenehm werden. Er sah gezielt zu Beth hinüber und erkannte<br />

auch in den Augen der Freundin extreme Angst. „Hey, versuche, ruhig zu bleiben, okay. Von<br />

Panik wird es auch nicht besser. Beth, du musst versuchen, ruhig zu bleiben.“ <strong>Die</strong> Journalistin<br />

sah ihm in die Augen. „Ja, ja, ich weiß, Mick, aber ... <strong>Die</strong> Vorstellung, hier ...“ Sie spreizte<br />

und schloss nervös abwechselnd die Hände. „<strong>Die</strong> Vorstellung, hier verschimmeln zu müssen,<br />

ist nicht sehr angenehm.“ „Das wird nicht passieren. Du musst fest daran glauben, hörst du?<br />

Du musst.“ Beth schluckte. „Okay. Ich werde es mir merken, versprochen.“ Ganz dicht trat<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die junge Frau an die Gitterstäbe. Was hätte sie dafür gegeben, von Mick im Arm gehalten zu<br />

werden. <strong>Die</strong>se Nähe zu einander, die doch so entsetzlich unüberwindlich war, als läge das<br />

gesamte Weltall zwischen ihnen, machte die Journalistin wahnsinnig. Wie hatten die <strong>Anderen</strong><br />

dies nur so lange ausgehalten? Den geliebten Menschen ständig vor Augen, quasi in Reich-<br />

weite, und doch Lichtjahre voneinander entfernt? Wütend schlug sie gegen das Gitter. „Ich<br />

will hier raus.“<br />

Irgendwann wurden die Eingesperrten müde. Nach und nach legten sie sich auf die<br />

Betten und fielen in einen sehr unruhigen Schlaf, aus dem jeder von ihnen immer wieder hoch<br />

schreckte. Schon alleine Hunger und Durst sorgten dafür, dass sie nicht tief und fest schliefen.<br />

Allen knurrte inzwischen der Magen ziemlich lautstark. Wenn auch nicht immer viel, hatten<br />

sie doch die ganze Zeit regelmäßig zu essen bekommen. Jetzt zu hungern war ein voll-<br />

kommen neues, unbekanntes Gefühl, für alle. Wirklich gehungert hatte in seinem Leben noch<br />

keiner von ihnen, abgesehen von Ziva. So war es kein Wunder, dass sie alle unruhig schliefen<br />

und wieder und wieder hoch schreckten. Mal glaubten sie, zu hören, wie die Kerkertür sich<br />

öffnete, mal hatten sie das Gefühl, jemand stellte ihnen etwas in die Zellen. Doch nichts der<br />

Gleichen geschah. Niemand kam, niemand brachte etwas, niemand kümmerte sich um sie.<br />

Sawyer ertappte sich irgendwann bei dem Gedanken, dass er sogar für eine schmerzhafte<br />

Untersuchung dankbar gewesen wäre, solange sich nur jemand um ihn kümmern würde. Ähn-<br />

liche Gedanken gingen aber auch einigen der <strong>Anderen</strong> durch die Köpfe. Bones warf sich in<br />

ihrem Bett hin und her und versuchte, die Gedanken, dass Angela, Jack und Zack sich bald<br />

über ihre Knochen beugen würden, um eine Todesursache zu finden, zu vertreiben. Sie döste<br />

ein und im Traum setzte sich der Gedanke fort. „Ich bin verdurstet.“, sagte sie im Schlaf laut<br />

und ungeduldig und weckte damit nicht nur sich selbst, sondern auch Sawyer und Ziva wieder<br />

auf, die endlich eingeschlafen waren. „Entschuldigt, ich habe schlecht geträumt.“, erklärte sie<br />

verlegen.<br />

Irgendwann gaben die ersten von ihnen schließlich den fruchtlosen Versuch, doch<br />

noch richtig einzuschlafen, auf und erhoben sich stattdessen. Obwohl immer noch weder rotes<br />

noch grünes Licht an war, kam kein Gespräch auf. Unruhig und mit laut knurrendem Magen<br />

sahen die Gefangenen immer und immer wieder in der nur schwach von der Notbeleuchtung<br />

aufgehellten Dunkelheit zur Kerkertür hinüber. Nichts geschah. <strong>Die</strong> Stunden vergingen, alle<br />

waren inzwischen aufgestanden, aber keiner kam zu ihnen in den Kerker. Schon glitten die<br />

Blicke der Gefangenen immer häufiger zu den kleinen Wasserhähnen hinüber. House und<br />

Allison fielen diese Blicke auf und sie mahnten besorgt: „Vergesst es, okay. Reißt euch zu-<br />

sammen. Wenn ihr davon trinkt, wird es erst richtig schlimm.“ Einer Eingebung folgend stand<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Locke auf und drehte seinen Wasserhahn auf. Nichts. Kein Tropfen kam aus der Leitung.<br />

Sofort sprangen einige der <strong>Anderen</strong> auch auf und versuchten ihr Glück, mit dem gleichen<br />

Erfolg. Das Wasser war abgestellt worden. „Verdammt noch mal, das gibt es doch gar nicht.“<br />

Sawyer fluchte genervt los. „Wenn die uns umbringen wollen, sollen sie es schnell machen,<br />

verdammt.“ Der junge Mann sank mutlos auf sein Bett und fuhr sich mit den Händen durchs<br />

Haar.<br />

Booth, der sich seit einer ganzen Weile erheblich besser fühlte, hätte am liebsten<br />

gegen die Wand getreten. Mühsam beherrscht fragte er dann aber lieber House: „Sag mal, wie<br />

sieht es aus, muss der Verband mal ... was weiß ich, ab, wechseln dürfte irgendwie schwierig<br />

werden ...“ House trat ans Gitter. „Wie sieht es mit den Schmerzen aus?“ Booth zuckte die<br />

Schultern. „<strong>Die</strong> sind seit ... gestern Nachmittag plötzlich fast weg.“ House überlegte, dann<br />

erklärte er: „Okay, dann lös mal vorsichtig das Pflaster ... Noch besser, lass es Heather<br />

machen, ich glaube, sie könnte feinmotorisch besser sein als du.“ Heather wurde feuerrot,<br />

denn um an den Verband zu kommen, musste Booth den Kittel zur Seite nehmen, was<br />

wiederum bedeutete, dass er mehr oder weniger nackt vor Heather stehen würde. Dann sollte<br />

sie auch noch an seinen Körper greifen. Ein schwerer Test für die schüchterne, junge Frau.<br />

Jake warf House einen dankbaren Blick zu, durchschaute er doch, warum House die junge<br />

Frau dazu aufgefordert hatte: Um sie abzulenken. Total verlegen trat die Lehrerin ans Gitter.<br />

Booth musste sich auf die Zunge beißen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Gleichgültig hielt<br />

er den Kittel zur Seite. Heather wurde, falls das möglich war, noch roter und wand sich vor<br />

Verlegenheit, als sie durch die Gitterstäbe nach dem Pflaster griff. Mit zitternden Fingern ver-<br />

suchte sie, möglichst ohne mit Booth‘ nackter Haut in Berührung zu kommen, das Pflaster zu<br />

lösen.<br />

Dass sie dabei nach unten gucken musste, genau dorthin, wo sie eigentlich für nichts<br />

in der Welt hin gucken wollte, machte das Ganze für sie noch schwieriger. Selbst Jake konnte<br />

ein Grinsen nicht ganz unterdrücken, als er Heathers verzweifelte Bemühungen beobachtete.<br />

Hätte sie eine Zange zur Hand gehabt, sie hätte blind mit der Zange an Booth herum ge-<br />

stochert, um die Pflaster, die den Verband quer über seinem Bauch hielten, zu entfernen.<br />

Endlich hatte sie mit hochrotem Kopf eine Stelle gelockert bekommen und löste, trotz ihrer<br />

Verlegenheit sehr vorsichtig, alle Pflasterstreifen ab. Dann versuchte sie sanft, den Verband<br />

abzuheben. Er war an einigen Stellen etwas angeklebt und Heather bemühte sich, ohne Booth<br />

weh zu tun, die Wundauflage dort ebenfalls zu lösen. Dabei verging Booth das Grinsen dann<br />

doch und er zischte ab und zu auf vor Schmerzen. Aber schließlich war auch das geschafft,<br />

und Heather hielt die gesamte Wundauflage in den zitternden Händen. Hektisch fuhr sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

herum, um endlich den Blick von Booth wegzunehmen. Gnadenlos jedoch erklärte House:<br />

„Das hast du gut gemacht. Nun musst du dir bitte die Brandwunde genau anschauen und mir<br />

sagen, wie es aussieht, Mädchen. Booth kann das von oben an sich herunter nicht objektiv<br />

beurteilen.“<br />

Allison warf House einen vernichtenden Blick zu, als sie sah, wie die junge Frau<br />

gegenüber heftig zusammen zuckte. Booth und Mulder konnte hören, wie sie leise: „Oh, man,<br />

das glaub ich nicht.“, vor sich hin murmelte. Als ob sie zu ihrer Hinrichtung müsste, drehte<br />

sie sich herum, trat erneut ans Gitter und versuchte, ihre Augen ausschließlich auf die Brand-<br />

wunde zu konzentrieren. Noch einmal kam ein sehr leises: „Oh, man ...“, über ihre Lippen,<br />

dann riss sie sich zusammen und untersuchte die Wunde so gut es ihr im Halbdunkeln mög-<br />

lich war. Mit zitternder Stimme gab sie weiter, was sie sah. „An den Stellen, wo die Schnitt-<br />

wunden sind, ist es noch ein wenig geschwollen und an drei Stellen ...“, sie drückte sehr vor-<br />

sichtig mit dem Zeigefinger dagegen: „... wässert es ein wenig. Aber die Brandwunde selbst<br />

sieht gut aus, soweit ich das beurteilen kann. <strong>Die</strong> Blasen sind ... so gut wie abgeheilt, es ist<br />

nicht mehr rot und auch die Schnittwunden verheilen sehr gut.“ Am Ende ihrer Kraft fuhr sie<br />

endgültig herum und sank stöhnend auf ihr Bett. Booth musste sich ebenfalls schnell herum<br />

drehen, sonst hätte er das Grinsen nicht mehr vor Heather verbergen können. House nickte<br />

ernsthaft. „Das hast du sehr gut gemacht. Wenn du mal einen Job suchst, kannst du dich<br />

jederzeit bei uns melden.“<br />

Nachdem diese kleine Einlage alle ein wenig abgelenkt hatte, setzte langsam wieder<br />

die inzwischen fast greifbare Angst ein. Mick und Beth hatten vollkommen verblüfft be-<br />

obachtet, wie Heather sich vor Verlegenheit wand. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> schienen dieses Verhalten<br />

durchaus schon zu kennen, denn außer unterdrücktem Grinsen ging keiner darauf ein. Beth<br />

jedoch hatte die ganze Zeit eine höhnische Bemerkung auf der Zunge, die sie allerdings tun-<br />

lichst herunter schluckte. Scheinbar war die junge Frau extrem prüde. Beth hatte die Ab-<br />

lenkung ebenso erfreut zur Kenntnis genommen wie die <strong>Anderen</strong>. Jetzt jedoch kehrten die<br />

Gedanken erschreckend schnell zu ihrer hoffnungslosen Lage zurück. Beth hatte langsam das<br />

Gefühl, die Kerkerwände würden sie erdrücken. Der jungen Frau war leicht schwindelig.<br />

Seufzend ließ sie sich auf das Bett sinken und atmete tief ein, um den Schwindel zu ver-<br />

treiben. Sie hatte Angst. Ähnlich hilflos hatte sie sich sicher als Kind gefühlt, als Micks Ex-<br />

Frau, Coraline Duvall, sie entführt hatte, um sie in ein Vampir-Kind zu verwandeln. Vampire<br />

konnten keine Kinder zeugen, noch bekommen, und so hatte Coraline sich, um Mick, der mit<br />

seiner Verwandlung überhaupt nicht glücklich gewesen war, zu besänftigen, überlegt, ein<br />

Kind zu entführen und es zum Vampir zu machen, um auf diese Weise eine richtige Familie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu werden. Damals hatte, das wusste Beth inzwischen, Mick sie gerettet und angenommen,<br />

seine Ex-Frau bei der Befreiungsaktion getötet zu haben. Das hatte sich später als fataler Irr-<br />

tum heraus gestellt. Hier und jetzt würde er sie nicht retten können.<br />

Kate hatte die kleine Szene mit Heather schmunzelnd beobachtet. Jetzt stand sie an der<br />

Käfigtür und sah zu Sawyer hinüber. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr augenblicklich<br />

Tränen in die Augen schossen. - Gott, ich möchte zu dir, ich will, dass du <strong>mich</strong> fest hältst,<br />

wenn schon, will ich in deinen Armen verdursten. - dachte die junge Frau und wischte sich<br />

ärgerlich über das Gesicht. Sawyer hatte ihren Blick bemerkt und versuchte ein auf-<br />

munterndes Lächeln, das aber eher zur Grimasse geriet. Er stand auf und wollte ebenfalls ans<br />

Gitter treten, aber so weit kam er nicht, denn ihm wurde augenblicklich schwindelig. Mit<br />

einem mehr erstaunten als erschrockenen Grunzen sank er auf das Bett zurück. Verwirrt<br />

schüttelte er den Kopf. Kate hatte genau gesehen, was los war und fragte erschrocken: „Baby,<br />

was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“ Sawyer hatte sich bereits wieder gefangen und stand<br />

erneut auf, diesmal langsamer. „Keine Bange, Freckles, war nichts, mir war nur kurz etwas<br />

schwindlig, hab wieder zu viel gesoffen gestern in der Kneipe.“, versuchte er zu Scherzen.<br />

House und Allison hatten sehr wohl mit bekommen, was los war, ebenso Dana. Das waren<br />

erste Anzeichen von Dehydrierung. Bald würden sie alle die ersten Symptome aufweisen.<br />

Beschleunigter Herzschlag, hohe Atemfrequenz, Schwindelgefühl. House schlug verzweifelt<br />

mit der Faust aufs Bett. Er wusste, was kommen würde und hatte doch keine Chance, es zu<br />

verhindern.<br />

In den kommenden Stunden herrschte bedrückende Stille im Kerker. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

waren ohne Ausnahme verzweifelt, hoffnungslos, hatten Todesangst, hier jämmerlich zu ver-<br />

dursten. <strong>Die</strong> Paare wünschten sich nichts sehnlicher, als zusammen zu sein. Den Partner nicht<br />

in den Arm nehmen zu können in den möglicherweise letzten Stunden, die ihnen noch<br />

blieben, war eine einzige Qual. „Warum machen die das ...“ Allisons Stimme klang ganz<br />

klein und leise. „Warum lassen die uns hier so sterben ... Ich verstehe das einfach nicht.“ Sie<br />

spürte die Folgen der Dehydrierung ganz deutlich in ihrem Körper, wusste, dass alle anderen,<br />

mit Ausnahme von Mick, sich genau so fühlten wie sie und genau die gleiche Angst<br />

empfanden. Wenn sie wenigstens hätten zusammen sein dürfen. Aber so ... Allison brannten<br />

die Augen, aber Tränen kamen nicht mehr, zu ausgetrocknet war sie inzwischen. „Warum<br />

haben die uns all das überhaupt angetan?“, fragte Jake leise. Er erinnerte sich an die ersten<br />

Tage, als man ihm und Mulder das Wasser verweigert hatte. Heute würde keine Abby mit<br />

einer Flasche kommen und ihn vor dem Verdursten bewahren. Das war alles so schrecklich<br />

sinnlos. Sie wurden über Monate gequält, gepflegt, getestet, aufgebaut, um hier einfach zum<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Krepieren zurück gelassen zu werden? Warum? Dass er kein Heiliger war und dies alles<br />

vielleicht eine gerechte Strafe war, okay. Aber Heather oder Allison? Er stöhnte verzweifelt<br />

auf.<br />

Dana lag auf dem Bett und zählte im Geiste ihren Pulsschlag. Sie beobachtete die<br />

typischen Anzeichen des Austrocknens an sich und lachte leise und verzweifelt auf. Da hatte<br />

sie gedacht, sie würde in Ausübung ihres <strong>Die</strong>nstes irgendwann erschossen werden, doch noch<br />

an dem Krebs sterben, oder an irgendeiner merkwürdigen Krankheit, mit der sie durch ihre<br />

Arbeit in Berührung kam, und was war? Sie saß in einer drei Mal drei Meter Zelle und ver-<br />

durstete. Noch dazu Lichtjahre von Mulder entfernt, der keine vier Meter von ihr in einer<br />

Zelle der gleichen Größe hockte. Vier Meter und doch ein Maß dazwischen, wie es größer<br />

nicht sein konnte. Dana wusste, wenn es hier wirklich so zu Ende gehen sollte, würde sie sich<br />

an das Gitter hocken, um Mulder wenigstens noch sehen zu können. Der hübschen Frau liefen<br />

Tränen über die Wangen. Und dann hätte sie um Haaresbreite aufgeschrien vor Schreck, als<br />

es urplötzlich vollkommen dunkel im Kerker wurde. Das ohnehin schwache Notlicht war<br />

flackernd ebenfalls erloschen. Erschrocken fuhr sie hoch. In einigen der Nachbarzellen waren<br />

leise Schreckenslaute zu hören. Und dann klang Allisons Stimme durch die plötzlich<br />

herrschende, absolute Finsternis. „Oh, Gott, was ist jetzt los? Was ist passiert?“ Irgendwo<br />

gegenüber wimmerte eine Frau leise, ob es Heather oder Abby war, konnte Dana nicht aus-<br />

machen. Ein paar Zellen weiter klang Kates Stimme, als wäre sie kurz vor einem Nerven-<br />

zusammenbruch. „Das ist jetzt nicht wahr. Ich ... ich halte das nicht aus ...“<br />

Sawyers Stimme antwortete ihr, panisch, verzweifelt, scheinbar den Tränen nahe:<br />

„Baby, bitte, du musst dich beruhigen. Versuch doch, ruhig zu bleiben. Gibbs, House, tut<br />

doch was.“ „Was denn zum Beispiel?“, schnauzte House‘ Stimme verzweifelt durch die<br />

Dunkelheit. „Kate, komm her, komm ans Gitter, na los, komm schon. Ja, so ist es gut. Setz<br />

dich hin, ja, komm ganz dicht ...“ Gibbs war ebenfalls zusammen gezuckt, reagierte aber auf<br />

die hysterisch klingende junge Frau. Er trat ans Gitter, spürte durch die Gitterstäbe den<br />

zitternden Körper und drückte Kate, so gut es eben ging, an sich. Er strich sanft mit der Hand<br />

über ihren zuckenden Rücken und nach einer Weile spürte er, dass sie sich langsam beruhigte.<br />

Beth fragte jetzt ebenfalls vollkommen verängstigt „Mick ... Bitte ... warum machen die das?“<br />

Mick hatte ein anderes Sehvermögen als Menschen, daher war die Dunkelheit für ihn nicht so<br />

schlimm, er konnte genug erkennen, um zu sehen, dass Heather und Abby verzweifelt an den<br />

Gittertüren zu Boden gesackt waren und sich panisch an die Gitter klammerten, konnte in<br />

allen Zellen die Gefangenen erkennen. Ruhig, um Beth nicht noch mehr zu verängstigen, er-<br />

klärte er: „Es tut mir so leid, Süße, ich denke, das werden diese Schweine machen, um euch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

das letzte bisschen Trost, nämlich euch sehen zu können, zu nehmen. Sie wollen euch das<br />

Gefühl vermitteln, vollkommen alleine zu sein ...“ Mulder war überrascht, wie gezielt Mick<br />

den psychologischen Aspekt der Aktion beschrieb. Er hätte sich gerne ausführlich mit dem<br />

Vampir unterhalten, war nur überzeugt, dazu keine Gelegenheit mehr zu bekommen.<br />

„Verdammt noch mal, die Akkus der Notbeleuchtung sind leer, jetzt<br />

hocken die da in kompletter Dunkelheit.“<br />

„Hoffentlich verursacht das keine bleibenden Schäden.“<br />

„Wenn wir das verdammte System nicht bald wieder unter Kontrolle<br />

haben, ist es ohnehin egal, denn dann sind die alle verdurstet.“<br />

„Dann werden hier Köpfe rollen, das kannst du wohl annehmen.“<br />

„Es ist nicht zu fassen, dass nicht einmal Tanja schneller vorankommt.<br />

Großer Gott, lange halten die in ihrem geschwächten Zustand nicht mehr<br />

durch, dann haben wir da unten fünfzehn Leichen.“<br />

„Sechzehn, du vergisst St.John.“<br />

„Und wir haben gerade erst über die oberirdische Stromversorgung die<br />

Kontrolle zurück. Bis wir die Programme für die unteren Stockwerke wieder<br />

erlangen ....“<br />

<strong>Die</strong> kommenden Stunden wurden für alle Beteiligten zur Hölle. <strong>Die</strong> vollkommene<br />

Dunkelheit erinnerte Gibbs, Booth und Allison an die camera silens. Aber hier konnten sie<br />

sich wenigstens unterhalten. Wobei eigentlich keine Unterhaltung aufkommen wollte. Ab und<br />

zu war aus den Zellen einiger Frauen leises Weinen zu hören, dass aber immer weniger<br />

wurde. <strong>Über</strong> dem Kerker lastete eine apathische Stille. Den Ärzten war klar, dass es nicht<br />

mehr sehr lange dauern würde, bis die ersten Gefangenen die Besinnung verlieren würden und<br />

wenn das der Fall war, war es bis zum Exitus nur noch ein kleiner Schritt. Irgendwann kam<br />

aus der Stille heraus die Stimme Sawyers. „Hey ... Doc, wie lange haben wir noch?“ House<br />

wusste, dass er gemeint war. Er schüttelte unglücklich den Kopf. Was sollte er sagen? „Man,<br />

noch reichlich ... So schnell verdurstet man nicht.“, sagte er überzeugt. Jedenfalls hoffte Greg,<br />

dass seine Stimme überzeugt klang. Tat sie offensichtlich nicht, denn erneut ertönte Sawyers<br />

Stimme. „Guter Versuch, House, aber jetzt bitte noch mal ... und zwar ehrlich. Ich glaub, das<br />

haben wir uns verdient.“ Zustimmendes Gemurmel aus einigen Zellen bewies House, dass die<br />

Gefährten die Wahrheit wissen wollten. Er ließ den Kopf hängen und seufzte. „Wenn euch<br />

schwindelig ist, Herz und Atemfrequenz deutlich erhöht, und wenn ihr langsam wirr im Kopf<br />

werdet ... Bei einem Wasserverlust von fünfzehn bis zwanzig Prozent des Körpergewichtes<br />

tritt der Tod durch Verdursten ein. Es wird bei den ersten von uns nicht mehr sehr lange<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dauern, bis ... Ihr werdet nichts mehr merken, okay, ihr fallt einfach in ein Koma und werdet<br />

nicht wieder aufwachen. Es sei denn, uns geht noch vorher die Luft aus.“ „Wie kommst du<br />

darauf?“ Jake stieß die Frage hervor. „House hat Recht. Der Kerker ist hermetisch ab-<br />

geriegelt. Scheinbar haben sie die komplette Stromversorgung hierher abgestellt. Sonst ist das<br />

leise Summen der Klimaanlage zu hören gewesen, das Geräusch nehme ich schon von Anfang<br />

an nicht mehr wahr.“, erklärte Mick. „Und das würde vielleicht auch die Tatsache erklären,<br />

dass die Notbeleuchtung erloschen ist: <strong>Die</strong> wird höchstwahrscheinlich über einen Akku ge-<br />

speist und wenn der leer ist ...“ Plötzlich überlegte Locke laut: „Ob es sein kann, dass das<br />

alles hier mit dem Erdbeben zusammen hängt? Wer weiß, vielleicht hat es oben große<br />

Schäden verursacht. Vielleicht ist das Gebäude ...“ Er verstummte, aber auch so wussten alle,<br />

was er hatte ausdrücken wollen.<br />

Schweigen herrschte nach diesen Worten. Dann kam Zivas Stimme aus der Dunkel-<br />

heit, ruhig und gefasst. „John hat Recht. Vielleicht ist das hier gerade nicht einmal geplant.<br />

Wäre ja nicht der erste Fehler, der hier geschieht. Hör mal, Gibbs, falls das hier wirklich<br />

nichts mehr wird, ich möchte, dass du weißt, wie unglaublich wichtig mir dein Vertrauen ge-<br />

wesen ist, okay? Du hast keinen Grund gehabt, mir dein Leben anzuvertrauen angesichts der<br />

Tatsache, dass Ari mein Halbbruder war und hast es dennoch ohne zu Zögern getan. Alles,<br />

was ich bei dir gelernt habe, war mir wichtig und ich hätte keinen besseren Lehrer finden<br />

können als dich. Ich will, dass du das weißt.“ Gibbs hatte den Worten seiner Agentin ge-<br />

lauscht. Jetzt sagte er ebenso ruhig: „Ziva, noch sind wir nicht tot. Du bist eine aus-<br />

gezeichnete Agentin und es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, dich in meinem Team zu<br />

haben. Ich hatte nie den geringsten Zweifel daran, dass ich dir absolutes Vertrauen entgegen<br />

bringen kann.“ Der Ex-Marine spürte Kate in seinen Armen schluchzen. „Hey, hab keine<br />

Angst, Kate, noch leben wir und wo Leben ist, ist auch Hoffnung, okay. Wir werden es<br />

irgendwie schaffen.“ Ganz dünn und leise kam Kates Stimme. „Okay.“ Noch einmal erhob<br />

Gibbs die Stimme. „Wir müssen durch halten, versteht ihr. Ich weiß nicht, was das alles soll,<br />

ich bin nur sicher, dass die uns nicht absichtlich hier verdursten lassen. Ich will überleben, ihr,<br />

wir alle wollen das. Wir werden überleben, um diese Dreckskerle zur Rechenschaft zu ziehen.<br />

Wir werden überleben. Abby, komm, sag es.“ Und schwach, aber überzeugt, kam es aus<br />

Abbys Zelle: „Wir werden überleben, Gibbs. Und jetzt sollten wir möglichst wenig sprechen,<br />

wenn Mick Recht hat, und keine Luft mehr zugeführt wird, verbraucht Reden zu viel Sauer-<br />

stoff.“<br />

Mick wusste, dass er nicht wesentlich länger als die Menschen überleben würde. Er<br />

würde zwar nicht ersticken, aber ein Vampir konnte durchaus verhungern oder besser, ver-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dursten. Hätte er nicht die Kühltruhe gehabt, wäre er sogar der erste hier gewesen, der sterben<br />

würde. Allerdings merkte er sehr wohl, dass die Truhe auch nur noch auf Reserve lief, aus<br />

irgendeinem Grunde schien wirklich die gesamte Stromversorgung zum Kerker ausgeschaltet<br />

zu sein. Er hatte sich noch nie zuvor so unzulänglich gefühlt. Da hatte er schon übermensch-<br />

liche Kräfte und doch konnte er nichts tun, um die Frau zu retten, die er so sehr liebte.<br />

Wütend schlug Mick mit den Fäusten gegen die Truhe. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen zuckten zu-<br />

sammen, reagierten aber nicht weiter. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, dass Beth helfen<br />

würde, aber ihm fiel nichts ein. Zäh tropften die Minuten dahin. Lange herrschte Schweigen.<br />

Alle spürten neben dem Hunger und dem entsetzlichen Durst langsam, aber sicher, dass die<br />

Atemluft tatsächlich weniger wurde, es fiel allen schwer, tief und ruhig durchzuatmen.<br />

Plötzlich klang Mulders Stimme durch die Dunkelheit. „William wird nie erfahren, was aus<br />

seinen Eltern geworden ist ... Hoffentlich hat er nicht so viel von mir geerbt.“ Mulders<br />

Stimme klang gepresst und es war deutlich zu hören, dass ihn das Luftholen anstrengte. Mick<br />

sah Dana in der Zelle neben ihm an der Zellentür langsam zu Boden gleiten. „Warum nicht?<br />

Etwas Besseres könnte ihm gar nicht passieren ...“, sagte sie müde. Mulder im Zellenteil<br />

gegenüber wankte ebenfalls an die Zellentür, die Hände tastend vor gestreckt. Langsam ließ er<br />

sich ebenfalls zu Boden gleiten und starrte in die Richtung, in der Scullys Zelle lag. Keuchend<br />

atmete er ein, dann. „Ich liebe dich ...“, sagte er schwerfällig, dann sackte er langsam in sich<br />

zusammen. „Mulder? ... Mulder. Mein Gott, Mulder ... nein, bitte!“ Dana schluchzte heftig<br />

auf. „Bitte, Mulder ... Ich liebe dich auch.“<br />

Lange herrschte nun wieder Stille. Nur das immer schwerer werdende Atmen der Ge-<br />

fangenen war zu hören. Mick konnte sehen, dass inzwischen auch Sawyer, Allison, Bones,<br />

Abby und Booth in ihren Zellen sich nicht mehr rührten. Er wünschte nur noch, dass es für<br />

Beth schnell vorbei sein möge. Und dann glaubte er und alle, die noch genug mit bekamen, zu<br />

Träumen. Licht ging an, Zellentüren wurden geöffnet, reglose Körper auf Betten gehoben und<br />

mit Sauerstoff und Wasser versorgt. Jake stammelte heiser: „Danke ... oh, Gott ... Danke.“,<br />

und trank in kleinen Schlucken das Wasser, dass man ihm an die trocknen Lippen hielt, nach-<br />

dem er Minutenlang über eine Atemmaske, die an einer Sauerstoffflasche an gestöpselt war,<br />

mit Atemluft versorgt worden war. Kopfschüttelnd starrte Mick auf das Bild, das sich ihm<br />

bot. Dann ging auch seine Zelle auf und er bekam den Befehl: „Los, du hilfst drüben mit.“<br />

Man drückte ihm ein Glas Blut und eine Sauerstoffflasche, sowie eine Medikamententasche<br />

in die Hand und ein Blick hinein zeigte Mick, dass alles in der Tasche war, was er für<br />

Volumenzufuhr benötigte. Hastig kippte er das Blut in sich hinein, dann eilte er in Booth’<br />

Zelle. Der hatte es auf Grund seiner Brandverletzung am Nötigsten, schnell mit Flüssigkeit<br />

versorgt zu werden. Er drückte Booth, der kaum noch atmete, erst die Maske auf Mund und<br />

314


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nase. Deutlich waren bei dem jungen Agent Spuren einer beginnenden Zyanose zu sehen:<br />

Lippen und Fingernägel verfärbten sich bläulich, er litt an akutem Sauerstoffmangel. Mick<br />

desinfizierte Booth’ linken Handrücken, setzte eine Venenverweilkanüle und hängte mit Hilfe<br />

eines Hakens einen Beutel Ringerlösung an das Gitter. Er packte einen Schlauch aus, stieß das<br />

eine Ende in den Beutel, verband dann den Schlauch mit der Kanüle und stellte die Durch-<br />

flussgeschwindigkeit ein. Er wartete ein paar Minuten, bis bei Booth die Zyanose langsam<br />

abklang, dann eilte er zu Bones in die Zelle und versorgte die Anthropologin. Der nächste<br />

Patient war Sawyer und schließlich erreichte er Mulder. Dann wartete er ab.<br />

Einer der Wachen, der sich um die noch nicht gänzlich besinnungslosen Gefangenen<br />

kümmerte, drückte ihm Wasserflaschen in die Hand und erklärte: „Mach dich nützlich,<br />

kümmere dich um irgendjemanden, aber wage es nicht, dich der Zelle deiner kleinen Freundin<br />

zu nähern.“ Mick nickte knapp. Er sah sich um und bemerkte, dass in der Zelle der jungen<br />

Israelin noch niemand war. So betrat er diese, kniete neben dem Bett nieder und hob Zivas<br />

Kopf sanft an. „Ziva, hörst du <strong>mich</strong>? Ich habe Wasser für dich, okay. Langsam trinken, ich<br />

helfe dir. Kannst du atmen?“ Ziva nickte und öffnete mühsam die Augen. Dann spürte sie das<br />

kühle Wasser an den Lippen und trank. In der Zelle von Kate beugte sich einer der Wach-<br />

männer über diese und flößte ihr langsam Wasser ein, nachdem er sie minutenlang mit Sauer-<br />

stoff versorgt hatte. <strong>Die</strong> junge Frau nahm ein paar Schluck, dann dreht sie den Kopf zur Seite<br />

und stieß verzweifelt hervor: „Sawyer ... Was ist ... mit ihm ... Bitte ...“ Mick mit seinem<br />

übersinnlichen Gehör hatte die Frage mit bekommen und sagte beruhigend: „Kate, mach dir<br />

keine Sorgen, er wird sich schnell erholen, ich habe ihn versorgt, es geht ihm den Umständen<br />

entsprechend gut. Alle werden es schaffen.“<br />

*****<br />

Balanceakt<br />

Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen.<br />

Sokrates<br />

Nach dieser von den Entführern gänzlich ungewollten Tortur ließ man die nun wieder<br />

vollkommen verunsicherten Gefangenen eine Weile ganz in Frieden, versorgte sie ausgiebig<br />

mit Nahrung und Flüssigkeit, sie bekamen ausreichend Gelegenheit, sich zu fangen und zu<br />

315


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erholen. Sie kamen nach dem Schrecken, verlassen worden zu sein, wieder auf die Füße und<br />

irgendwann nahm man den Unterricht wieder auf. Mick hatte ein sehr umfangreiches Wissen,<br />

das fiel immer wieder auf. Beth wurde konsequent von jedem Unterricht ausgeschlossen, was<br />

die junge Frau wahnsinnig machte. Sie langweilte sich in ihrer Zelle zu Tode. <strong>Die</strong> Leidens-<br />

genossen, einschließlich Micks, wurden früh abgeholt und spät zurück gebracht, meist ziemlich<br />

erschöpft, sie hatten dann keinerlei Lust, sich noch zu unterhalten, zumal meist auch das rote<br />

Licht brannte. So litt Beth unter der Einsamkeit und Stille, die mehr oder weniger fast ständig<br />

um sie herum herrschte. Sie hatte Zeit genug, sich die schlimmsten Dinge auszumalen. Ihr<br />

wurde mehr als klar gemacht, dass sie nichts weiter als ein Druckmittel war und das belastete<br />

die Journalistin unglaublich. Sie hatte sich noch nie so klein, unwichtig und hilflos gefühlt.<br />

Und sie hatte sich nie zuvor jemals so gelangweilt.<br />

Das änderte sich dann allerdings schlagartig, als man sie alle am sechsten Tage nach<br />

dem Beinahe verdursten aus ihren Zellen holte. Das man sie erneut fast umgebracht hätte,<br />

wenn auch ungewollt, hinderte die Entführer nämlich keineswegs daran, sich für ihre Ge-<br />

fangenen einen weiteren, sehr umfangreichen, allerdings körperlich nicht anstrengenden Test<br />

einfallen zu lassen. Man holte sie alle zusammen aus den Zellen. Immer schön den Nummern<br />

nach, mit gefesselten Händen, wurden sie aus dem Zellentrakt geführt. Man brachte sie in die<br />

Schwimmhalle, in der House und Cameron vor einer kleinen Ewigkeit ihre Belohnung nach<br />

der Aufgabe mit den Türen erhalten hatten. Nach dem Betreten der großen Halle erkannten die<br />

Gefangenen gegenüber, auf der anderen Seite des Schwimmbeckens, drei größere, gläserne<br />

Kabinen, und eine weitere, ziemlich kleine Kabine, an der linken Querseite des Beckens hinter<br />

den Startblöcken. Das Schwimmbecken selbst war in einer Höhe von zirka zwei Metern mit<br />

Doppelreihen Holzplattformen, jede vielleicht einen Meter Mal zwei Meter im Quadrat<br />

messend, auf einer Stahlkonstruktion befestigt, abgedeckt. Drei Startblöcke, zu denen je eine<br />

Doppelreihe dieser Platten gehörte, waren zu erkennen. Wie alle mit einem schnellen Blick<br />

feststellen konnten, waren es drei Doppelreihen mit jeweils zwanzig Platten, die jeweils links<br />

mit A und rechts mit B beschriftet waren. <strong>Die</strong> Startblöcke trugen die Nummern 9 - 11. Heather,<br />

Allison und Beth nahmen zu Recht an, dass sie sich zu den Startblöcken mit ihren jeweiligen<br />

Nummern zu begeben hatten. Sie traten an die Startblöcke heran und warteten, dass man ihnen<br />

die Handfesseln löste. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen schallte über einen Laut-<br />

sprecher nun eine Stimme in die Halle und begann, zu erklären, was hier in wenigen Minuten<br />

passieren würde.<br />

„Es geht euch wieder gut, daher haben wir beschlossen, eure Langeweile mit einem<br />

fröhlichen kleinen Spiel zu unterbrechen. Ihr habt in der letzten Zeit sehr viel gelernt. <strong>Die</strong>ses<br />

neu erworbene Wissen möchten wir heute gerne Testen. Zu diesem Zweck haben unsere<br />

316


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schlauen Köpfe sich etwas Besonderes einfallen lassen, um euch zu motivieren, zwanzig<br />

Fragen zu beantworten. Es wird folgendermaßen ablaufen: Nummer 9, 10 und 11 haben sich<br />

schon an ihren Startplatz begeben. Wir werden ihnen mittels einer Kette die Beinfreiheit ein<br />

wenig einschränken, sodass sie nur kleine Schritte machen können. Ihre Aufgabe besteht darin,<br />

das Becken auf den Holzplattformen zu überqueren. Nun werdet ihr euch fragen, worin die<br />

Schwierigkeit liegt. Dazu komme ich jetzt. Nur eine der beiden nebeneinander liegenden<br />

Platten ist fest. Treten die Damen auf die falsche Platte, werden sie ins Becken fallen. Da wir<br />

nicht beabsichtigen, ihnen die Handfesseln zu lösen, kann das schnell sehr unangenehm<br />

werden. Hat einer von euch schon einmal versucht, mit auf den Rücken gefesselten Händen zu<br />

schwimmen? Nicht? Nun, ich bin sicher, Nummer 13 wird es euch gerne demonstrieren.“<br />

Bevor Mick sich versah, bekam er einen Stoß und stürzte ins Becken. Er konnte nicht er-<br />

trinken, aber er schaffte es auch nicht, sich an der Oberfläche zu halten. Unnachgiebig sank er<br />

dem Grund zu. Heather, Allison und Beth sahen erschrocken zu, wie er mit Hilfe einer<br />

Rettungsstange aus dem Wasser gezogen werden musste und hatten plötzlich Angst.<br />

<strong>Die</strong> Stimme aus dem Lautsprecher fuhr fort: „Nun, ihr habt gesehen, was passieren<br />

wird, wenn eine der Ladys ins Becken stürzt. Das zu verhindern ist eure Aufgabe. Unser nasser<br />

Freund hier begibt sich bitte in die Kabine links. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> verteilen sich wie folgt auf die<br />

anderen Kabinen: 1, 4, 8, 14, ganz rechts außen. 3, 6, 7, sechzehn, in die mittlere Kabine. 2, 5,<br />

12, 15 in die links außen.“ <strong>Die</strong> Gefangenen marschierten wortlos zu den angewiesenen<br />

Kabinen hinüber. Vor den Türen der Kabinen warteten jeweils Wachen und lösten nun ihre<br />

Handfesseln. Dann durften sie die Kabinen betreten, deren Türen sich hinter ihnen fest<br />

schlossen. Je ein Schreibtisch mit drei Stühlen davor, ein Laptop auf jedem Schreibtisch, an der<br />

jeweils linken Wand zwei Stahlhaken, die fest in dem mehrere Zentimeter dicken Glas ver-<br />

ankert waren. Je ein Headset lag auf dem Schreibtisch, außerdem je eine schwere Peitsche.<br />

Was sollte das alles werden? <strong>Die</strong> Lautsprecherstimme war auch innerhalb der Kabinen zu<br />

hören. Mick hatte seine Kabine ebenfalls betreten. Auch hier stand ein Schreibtisch mit Laptop<br />

und Headset. Mick setzte sich auf den Stuhl und wartete, was nun kommen sollte. <strong>Die</strong> Stimme<br />

fuhr fort: „Ihr werdet in dem Laptop zwanzig Fragen zum Fachgebiet Allgemeinbildung,<br />

Klassische Musik, Literatur und Kunst finden. Beantwortet ihr die Fragen richtig, erhaltet ihr<br />

für jede Antwort den Buchstaben der festen Plattform. <strong>Die</strong>se sind allerdings bei jeder der<br />

Damen unterschiedlich, so leicht wollen wir es uns ja nicht machen, nicht wahr. Bei falscher<br />

Antwort gibt es einen Signalton und die Lady auf dem Steg kann raten, oder ihr benutzt<br />

Nummer 13 als Joker. Das hat allerdings Konsequenzen. Solltet ihr den Joker einsetzen, wird<br />

es sehr unangenehm für Nummer 1, 3 und 15, die sich jetzt die Kittel ausziehen, mit dem Ge-<br />

sicht zur Wand aufstellen und sich von Nummer 4, sechzehn und 2 an die Haken fesseln lassen<br />

werden. Jetzt.“<br />

317


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer, Booth und Mulder gehorchten eilig, eine andere Wahl hatten sie ohnehin nicht.<br />

Sie ließen sich mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch an die Wand fesseln und konnten so<br />

bis auf Mulder, der nun die Hallenwand anstarrte, jeweils in die rechte Nachbarkabine schauen.<br />

Und schon ging die Erklärung weiter. „1, 3 und 15, ihr dürft nicht nur, ihr müsst sogar mit<br />

Antworten. Der Clou ist, wenn ihr Nummer 13, der alle Antworten vor sich im Laptop hat,<br />

allerdings erst sichtbar gemacht wenn nötig, um Hilfe bitten müsst, was durch die Tasten-<br />

kombination Alt und F5 funktioniert, dann wird er euch die richtige Antwort sagen, aber dafür<br />

erhalten 1, 3 und 15 für jede benötigte Antwort zehn Schläge mit der Peitsche von 4, sechzehn<br />

und 2. Leider konnten wir nicht für jeden der Herren seine Herzensdame auf die Plattform<br />

schicken. Nummer 2 und 4, wenn wir das Gefühl haben, ihr schlagt nicht richtig zu, werden<br />

eure Ladys auf der Stelle versenkt, ohne Chance, sie raus zu ziehen. Nummer sechzehn, für<br />

dich gilt das Gleiche, auch wenn Nummer 11 nicht deine Herzensdame ist. Sollte eine der<br />

Ladys baden gehen, weil ihr falsch geantwortet habt, und nicht fragen wolltet, so darf Nummer<br />

13 die betreffende Lady aus dem Wasser ziehen, wenn er die Antwort auf die betreffende<br />

Frage ohne nachzugucken weiß. Muss er Nachsehen, erhalten 1, 3 oder 15 dafür zur Strafe<br />

zwanzig Peitschenhiebe, und 13 darf die betreffende Lady dann aus dem Wasser ziehen. Ihr<br />

habt Zeit genug. <strong>Die</strong> Gruppe der Lady, die zuerst das andere Ufer erreicht, wird eine Be-<br />

lohnung erhalten. Noch etwas: <strong>Die</strong> Antworten müssen nicht zwangsläufig in der richtigen<br />

Reihenfolge kommen, wir werden euch für jede richtige Antwort trotzdem in der richtigen<br />

Reihenfolge die jeweiligen Buchstaben geben, großzügig, wie wir nun mal sind. Und nun:<br />

Mögen die Spiele beginnen.“<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen hatten besorgt zugehört. Sawyer und Mulder, die ja schon einmal mit<br />

dieser Peitsche Bekanntschaft gemacht hatten, starrten verbissen gerade aus. Abby, Dana und<br />

Ziva übernahmen den Platz an den Laptops. Sie klappten diese auf und als erstes sprangen<br />

ihnen die Nummern der Leidensgenossin entgegen, für die sie die Fragen beantworten<br />

mussten. Sie drückten die Return Taste und es ging los. Auf dem Monitor der Laptops er-<br />

schienen die Fragen.<br />

Part 1) Allgemeinwissen<br />

Part 2) Klassische Musik<br />

Part 3) Literatur<br />

Part 4) Kunst<br />

318


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

1) Wann wurde das Erste Jugoslawien in das Königreich Jugoslawien umbenannt und<br />

welche Staaten gehörten dazu?<br />

2) Wer war 23.te Präsident der USA, wann lebte er, wann trat er in die Armee ein und<br />

von wann bis wann war er Präsident?<br />

3) Wann wurde die Unternehmensgruppe Boeing von wem gegründet und wie lautete ihr<br />

Gründungsname?<br />

4) Von wann bis wann dauerte der zweite Seminolen-Krieg, wer war der führende<br />

Häuptling und welcher Abstammung war dieser?<br />

5) Von wann bis wann dauerten die Arbeiten am Panamakanal, wie lang ist er, wie viele<br />

Schiffe haben ihn zirka seit der Eröffnung passiert?<br />

6) Wer schrieb Turandot, wann wurde es uraufgeführt und wo?<br />

7) Wann und wo wurde Anton Bruckner geboren und wann schrieb er seine Sinfonie A-<br />

Dur?<br />

8) Wann bis wann lebte Enrico Caruso und mit welcher Oper von wem gelang ihm wo<br />

und mit welcher Rolle der endgültige Durchbruch?<br />

9) Wann wurde die Semperoper gebaut, gefragt sind alle Daten und was geschah jeweils<br />

mit dem Bauwerk? Mit welchem Stück wurde sie zuletzt wiedereröffnet?<br />

10) Worauf beruht Madam Butterfly und wann und wo erfolgte die Uraufführung der<br />

dreiaktigen Neufassung?<br />

11) Wer erhielt wann den ersten Nobelpreis für Literatur, aus welchem Land kam der<br />

Preisträger und wofür erhielt er den Preis?<br />

12) Wer schrieb „Arms and the man“ und wann?<br />

13) Womit wurde Joseph Rudyard Kipling berühmt, wann wurde er wo geboren und wann<br />

verstarb er wo?<br />

14) Wofür stehen J.R.R. bei Tolkien, wo wurde er geboren und wie lautet das Ring-<br />

Gedicht aus Der Herr der Ringe?<br />

15) Wann wurde Shakespeare getauft, wo, und welches Theater gehörte ihm anteilig?<br />

16) Wann lebte Auguste Renoir und wann entstand die Lesende Frau?<br />

17) Was bedeutet der Titel El tres de Mayo, wer malte das Bild wann, wie groß ist es und<br />

wo ist es heute ausgestellt?<br />

18) Wann entstand das Eremitage, wo ist es zu finden und welche berühmten Gemälde<br />

Rembrandts sind dort ausgestellt?<br />

319


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

19) Unter welchem Namen war Domínikos Theotokopoulos bekannt, wann lebte er und<br />

welches großartige Bild von ihm entstand 1575?<br />

20) Wann wurde Franz Carl Spitzweg wo geboren und welche drei Bilder sind seine<br />

Bekanntesten?<br />

Erst einmal herrschte Schweigen in jeder Kabine, nachdem alle Fragen laut vorgelesen<br />

worden waren. In diesen Minuten hatten draußen am Becken Wachen den drei Frauen Head-<br />

sets aufgesetzt, über die sie nun aus den jeweiligen Kabinen von ihren Gruppenmitgliedern<br />

Anweisungen erhalten würden, welche Plattform sie betreten konnten. Booth, House, Kate und<br />

Abby waren für Heather zuständig, Dana, Bones, Sawyer und Gibbs für Beth und Mulder,<br />

Jake, Locke und Ziva für Allison. Dana fragte ihre Mitbeantworter: „Wie sieht es aus, wollen<br />

wir erst versuchen, alle Fragen zu beantworten und Beth dann in einem Rutsch rüber<br />

schicken?“ „Ich denke, das ist eine gute Idee. Dann können wir mit Fragen beginnen, die wir<br />

leicht beantworten können.“ <strong>Die</strong> anderen stimmten zu und Dana gab Beth durch: „Hör zu, wir<br />

werden erst einmal die Fragen beantworten und lotsen dich dann in einem Zug über den Steg.<br />

<strong>Die</strong> Fragen sind sehr schwer, mach es dir bequem, das wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“<br />

Beth hatte die Worte Danas klar und deutlich verstanden. Sie nickte. „Okay. Lasst <strong>mich</strong> bitte<br />

nicht ertrinken.“<br />

<strong>Die</strong> vier machten sich also über die Fragen her. Sawyer hing verkrampft an der Wand<br />

und kam sich ziemlich blöde vor. Aber die Beantwortung der ersten Fragen ging ihnen recht<br />

leicht von der Hand, anfangs. „Der Präsident war Harrison, Benjamin, er trat 1862 in die<br />

Armee ein, <strong>Die</strong>nstzeit war eine Amtsperiode, von März 1889 - 93. A. Panamakanal, kommt,<br />

Leute, die Bauzeit ... 1881 - 89, 81 km, zirka 900.000 Schiffe. B. Der Seminolen-Häuptling<br />

war Osceola, sein Vater war Weißer, seine Mutter Indianerin, der Krieg ... 1835 - 42. B. Arms<br />

and Man, das ist von Shaw, von 1894. A. Kipling ist ‚Das Dschungelbuch’, der wurde in<br />

Bombay geboren, Dezember 1865. Er starb am 18 Januar 1936 in London. A. Caruso ... Der<br />

wurde ... 1903 an der New Yorker Metropolitan mit ‚Rigoletto’ von Verdi berühmt. Er lebte<br />

25.02.1873 - 02.08.1921. B.“<br />

In der Kabine links hatten House und Co. das erste Mal Schwierigkeiten. Sie gingen der<br />

Reihenfolge nach vor. „Jugoslawien, das war ... 1929, Slowenien, Kroatien, Bosnien,<br />

Herzegowina und Serbien, Montenegro, Kosovo und Mazedonien gehörten dazu. A. Harrison,<br />

Benjamin ... B. Boeing, das waren William E. Boeing und George C. Westervelt,<br />

15.07.19sechzehn. Pacific Aero Products Company. A. Seminolen ... Das war 1835 - 42. Und<br />

320


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Häuptling hieß Osceola. Vater weiß, Mutter Creek. B. Panamakanal wurde 1881 - 1889<br />

gebaut. Das hatten wir gerade, der ist irgendwie 81,6 km lang und zirka 900.000 Schiffe haben<br />

ihn seit Gründung passiert. B. Turandot ist von Puccini, das wurde uraufgeführt in der<br />

Mailänder Scala, Ende April 1926. Ich meine, es war der 25. B. Bruckner ist Österreicher, er<br />

wurde in Anspach geboren, die Sinfonie ist von 1871 und er wurde 04 September 1824 ge-<br />

boren. Wartet, da ist was verkehrt, das Kaff hieß Ansfelden, nicht Anspach. A.“ Heather hatte<br />

sich vorsichtig bis zur Platte 7 vorgearbeitet. Nun wartete sie auf den nächsten Buchstaben.<br />

Doch der kam nicht. „Caruso, Himmel, wie war das denn noch? Scheiße. Ich weiß, dass er<br />

1906 in Frisco beim großen Erdbeben anwesend war. Und er ist ...“ House starrte seine<br />

Gruppenmitglieder an. „Kommt schon, wir müssen uns konzentrieren. Wann wurde der Kerl<br />

denn bloß geboren?“ Abby sah zu Heather hinüber und gab kurz durch „Wir hängen fest, aber<br />

es geht gleich weiter, keine Sorge.“ Sie sah ihre Kollegen an. „Wir hatten ihn vor ein paar<br />

Tagen erst ... Ich weiß es nicht mehr.“<br />

In der letzten Kabine hatte man ähnliche Probleme. Nur, dass dort die Frage 9<br />

Schwierigkeiten bereitete. „Allison, gib uns ein paar Minuten, wir hängen fest.“ Allison stand<br />

auf der Plattform und hatte Angst. Aber ihr blieb nichts übrig, als zu warten. „Ich weiß noch,<br />

dass sie beim ersten Mal abgebrannt ist, dann bei einem Luftangriff zerstört wurde und der<br />

Grundstein für die heutige Oper wurde 1977 gelegt. ’Der Freischütz’ von Weber war das<br />

Stück, das zur Wiedereröffnung gespielt wurde. Aber ... Oh, Gott, Mulder, sag doch auch mal<br />

was.“ Mulder hatte bisher alle Fragen mit beantwortet, aber an die Semperoper in Dresden<br />

konnte er sich absolut nicht erinnern. Sie hatten im Unterricht darüber gesprochen, so unfair<br />

waren ihre Gastgeber denn doch nicht, aber so wenig wie seine Kollegen wusste er die Daten.<br />

So antwortete er leise und zögernd: „Aua ...“ Jake schüttelte entsetzt den Kopf. „Nein. Nein,<br />

auf keinen Fall, kommt schon, Leute, wir müssen uns daran erinnern.“ Mulder versuchte sich<br />

etwas bequemer hin zu stellen. „Jake, es ist erheblich angenehmer, nur zehn Schläge zu be-<br />

kommen, weil wir Mick fragen müssen, als dass es zwanzig werden, weil Allison raus gezogen<br />

werden muss.“ Jake schüttelte geradezu panisch den Kopf. „Nein, auf keinen Fall, lasst uns<br />

noch eine Weile überlegen, kommt schon, erst mal die nächste Frage. ’Madam Butterfly’. Ich<br />

weiß, auf einer Erzählung von John Long und dem Roman ’Madame Chrysanthème’ von<br />

Pierre Loti. <strong>Die</strong> Uraufführung war in Brescia, am ... Mai, 28 Mai 1905. B. Okay, gleich weiter.<br />

Der Nobelpreis für Literatur, das war ein Franzose, ein René Sully Prudhomme, 1901.“<br />

„Genau, für Anerkennung seiner ausgezeichneten, auch noch in späteren Jahren an den Tag<br />

gelegten Verdienste als Schriftsteller und besonders seiner Dichtungen, die hohen Idealismus,<br />

künstlerische Vollendung und eine seltene Vereinigung von Herz und Geist bezeugen. A.“,<br />

vervollständigte Ziva. Und dann überlegten sie noch einmal, wann die Baudaten der Semper-<br />

321


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

oper waren. Schließlich schüttelte Jake verzweifelt den Kopf. Mulder schloss ergeben die<br />

Augen. „Mach schon.“<br />

Dana in der Nachbarkabine hatte versucht, möglichst wenig zu Mulder herüber zu<br />

schauen. Es half ihr und ihrer Gruppe nicht, wenn sie mit ihm litt. Sie hingen selbst gerade fest,<br />

nachdem sie gut vorangekommen waren. „Jugoslawien, das war 1929 und Mazedonien,<br />

Slowenien, Bosnien, Montenegro, Serbien, Herzegowina, Kosovo und Kroatien gehörten dazu.<br />

A. Spitzweg, der kommt aus Unterpfaffenhofen, 15 Februar 1808, und die Bilder ...“ „’Der<br />

arme Poet’, ’Der abgefangene Liebesbrief’ und ’Der Bücherwurm’.“, warf Sawyer ein.<br />

„Boeing, das war William Edward Boeing und George C. Westervelt 19sechzehn, im Juli, am<br />

15.ten Juli. Und die hießen erst PAPC, Pacific Aero Products Company. A. Bruckner, der ist in<br />

Österreich geboren, und zwar 4.9.24 in Ansfelden, und das war 1871. B. Renoir lebte 1841 -<br />

1919, und das Bild stammt aus 1876. B.“ Und dann kam Turandot und keiner der vier wusste,<br />

wann es uraufgeführt worden war. „In Mailand, in der Scala, aber wann? Ich habe keine<br />

Ahnung. Wer weiß es noch?“ „Kommt schon, Leute, tut mir das nicht an.“ Sawyer verdrehte<br />

sich den Hals, um einen Blick auf den Monitor zu werfen. „Was haben wir noch?“ „<strong>Die</strong><br />

Semperoper und ihre Baudaten. Keine Ahnung. Was bedeutet ’El tres de Mayo’? ’<strong>Die</strong> Er-<br />

schießung der Aufständischen’, das war Goya, Francisco Goya. Gemalt wurde es 1814 und ist<br />

irgendwie 266 x 345 cm groß.“ „Genau, und es hängt im Prado, in Madrid. A. Shakespeare<br />

wurde angeblich am 26.04.1564 in Stratfort-upon-Avon getauft.“ Sawyer vervollständigte<br />

selbst: „Globe Theatre in London, da war er beteiligt. B. Wieder eine, gut.“<br />

Jake hatte Ziva schließlich schweren Herzens gebeten, Mick nach den Daten für die<br />

Semperoper zu fragen. Mick hatte sie nicht im Kopf und musste nachschauen. Dann aber gab<br />

er durch: „1838 - 1841, 21.09.1869 abgebrannt. 1871 - 1978, 13.02.1945 Luftangriff, 1946 -<br />

1955 Sicherungsarbeiten, 1968 - 1976 konzeptionelle Studien, 77 Grundsteinlegung.“ Jake sah<br />

zu, wie Ziva die Zahlen in den Laptop tippte, dann kam der Buchstabe A als Belohnung. Und<br />

Mulder stieß genervt hervor: „Mr. Green, wie sieht es aus, könnten wir es denn bitte hinter uns<br />

bringen?“ Jake seufzte. Verzweifelt griff er nach der Peitsche und trat dann hinter Mulder, der<br />

unwillkürlich die Luft anhielt. „Es tut mir so leid.“, stieß der jüngere Mann hervor. „Langsam<br />

oder schnell?“ „Gar nicht? Schnell natürlich.“ Mulder biss sich auf die Lippe und wartete auf<br />

den ersten Schlag. Jake wagte nicht, verhalten zuzuschlagen, zu viel Angst hatte er um<br />

Heather, und Mulder verstand das. Er hätte genauso gehandelt, wenn es Dana gewesen wäre,<br />

die über den Steg musste. <strong>Die</strong> ersten Schläge brannten wie Feuer, beim siebten entwich Mulder<br />

erstmals ein gequältes Zischen, beim achten ebenfalls. Neun und zehn konnte er nicht mehr so<br />

weg drücken. Er keuchte schmerzerfüllt auf und war dankbar, als es vorbei war.<br />

322


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und es ging gleich weiter. „’Arms and the man’ ist vom großartigen George Bernard<br />

Shaw. Das war 1894. A. Und Kipling ist ’Das Dschungelbuch’, der wurde in Bombay geboren,<br />

im Jahre 1865, das genaue Datum ...“ Locke überlegte, dann meinte er: „Im Dezember, 30.12.<br />

und gestorben ist er am 18 Januar 36 in London. A. Tolkien, das ist J.R.R. ... John Ronald<br />

Reuel. Er wurde am 03.01.92 in Bloemfontein geboren, heute ist das Südafrika. Das Gedicht,<br />

oh, ich kriege es nicht zusammen, wer weiß noch was?“ Mulder hatte sich wieder ein wenig<br />

gefangen und fing leise an „ Gakh Nazgi Golug durub-uuri lata-nuut, Udu takob-ishiz gund-ob<br />

Gazat-shakh-uuri, Krith Shara-uuri matuurz matat duumpuga, Ash tug Shakhbuurz-uur Uliima-<br />

tab-ishi za, Uzg-Mordor-ishi amal fauthut burguuli. Ash nazg durbatuluuk, ash nazg gimbatul,<br />

Ash nazg thrakatuluuk, agh burzum-ishi krimpatul Uzg-Mordor-ishi amal fauthut burguuli.“<br />

Vollkommen verblüfft fragte Jake: „Meine Fresse, Mulder, was war denn das?“ Mulder<br />

grinste. „Das, mein Freund, ist die schwarze Sprache Mordors. Ich fand es irgendwann mal<br />

witzig, das Gedicht in dieser Sprache zu lernen. Schaut mal nach, ob unsere Gastgeber mit<br />

dieser Fassung zufrieden sind.“ Offensichtlich waren sie es, denn sie erhielten ohne Probleme<br />

den nächsten Buchstaben. Jake konnte sich nicht Verkneifen, noch zu fragen: „Wie, um alles in<br />

der Welt, kann man sich solchen Wortsalat bloß merken. Du scheinst viel Langeweile gehabt<br />

zu haben ...“ Mulder grinste nur.<br />

In Kabine 1 kam man über Carusos Geburtsdaten nicht hinweg. Kate sagte schließlich<br />

leise: „Wir haben die Wahl, Heather raten zu lassen. Fällt sie rein und Mick weiß es nicht,<br />

Booth ... Oder wir fragen gleich Mick, dann wird es wenigstens nur die Hälfte.“ Sie sah zu<br />

Sawyer hinüber und betete zu Gott, dass dort drüben alle Fragen beantwortet werden konnten.<br />

Booth seufzte. „Fragt ihn schon, wir können nicht riskieren, dass Heather ins Wasser fällt.“<br />

Abby kamen fast Tränen. „Okay.“, flüsterte sie leise und sah House an, der seltsam grün im<br />

Gesicht wirkte. Abby drückte die Alt und F5 Taste und hatte Mick am Ohr. „Hör mal, wir<br />

hängen an Caruso fest. Geburts- und Sterbedaten ...“ Mick biss sich auf die Lippe. Der<br />

Nächste, der würde leiden müssen. „25.02.1873 - 02.08.1921.“, gab er leise durch und Abby<br />

schrieb mit. Sie erhielt dafür ein B und sagte es gleich Heather weiter. „Süße, B.“ Während<br />

Heather sich auf die Platte mit dem B stellte, griff House zähneknirschend nach der Peitsche.<br />

Er sah zu Allison hinüber, dann holte er aus. Dem Arzt liefen Tränen über die Wangen, aber er<br />

hatte keine Wahl. Zehn Mal schlug er zu, dann hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Peitsche<br />

an die Wand geschmissen. „Es tut mir leid, Booth, es tut mir so unendlich leid, Mann.“ Booth,<br />

dem der Schweiß in Strömen über den Körper lief, schnaufte. „Das ist doch nicht deine Schuld,<br />

du Idiot.“ Er kniff schmerzerfüllt die Augen zusammen, atmete ein paar Mal tief durch, dann<br />

meinte er: „Wie war die nächste ... Frage?“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Das ist die Semperoper. Ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Wisst ihr noch, wann das<br />

blöde Ding gebaut wurde?“ Kate nickte. „Ja, sie wurde 1838 - 41 gebaut, brannte dann aus,<br />

und zwar am 21.09.69. Sie wurde wieder erbaut, zwischen 1871 - 78 und wurde dann am<br />

13.02.45 durch einen Luftangriff erneut zerstört. Dann gab es von 46 - 55 umfangreiche<br />

Aufräumungs- und Sicherungsarbeiten. Von 68 - 76 wurden Konzeptstudien betrieben und ...<br />

scheiße, irgendwann 1977 war dann Grundsteinlegung, ich weiß nicht mehr wann ... Das erste<br />

Stück war jedenfalls Webers ’Freischütz’. Aber wann wurde der verdammte Grundstein ge-<br />

legt?“ „Man, Kate, wie kannst du dir bloß die ganzen Zahlen merken?“, keuchte Booth beein-<br />

druckt. Kate wurde leicht rot. „Na, alle weiß ich ja nicht ... Ich mag Zahlen, sie machen mir<br />

keine Angst. 14.06. Das war es. Da, seht ihr, B.“ Abby gab das B an Heather weiter, Booth<br />

atmete auf und House las die nächste Frage noch einmal durch. „Das ist ... eine Erzählung, von<br />

John Luther Long und dem Roman ’Madam Chrysanthème’ von Pierre Loti.“ Kate nickte. Und<br />

Abby vervollständigte „Uraufführung war am 28 Mai 1904 in Brescia. A.“<br />

„Kannst du mir mal bitte das linke Schulterblatt kratzen? Ich komm da aus verständ-<br />

lichen Gründen gerade nicht ran.“ Sawyer zuckte schon eine Weile herum und hielt es schließ-<br />

lich nicht mehr aus. Gibbs grinste, dann kratzte er Sawyer die Stelle, die diesem juckte. „Was<br />

kommt jetzt?“, fragte er dann. „<strong>Die</strong> Eremitage. <strong>Die</strong> Gemälde von Rembrandt ... Das sind<br />

’Flora’, ’Danae’ und ’<strong>Die</strong> Rückkehr des verlorenen Sohnes’ und der Bau begann 1711 in St.<br />

Petersburg. B.“, vervollständigte Bones sicher. Dana las die nächste Frage vor. „Wer, um alles<br />

in der Welt, war Domínikos Theotokopoulos?“ Sawyer schmunzelte. „Mrs. Mulder, El Greco,<br />

compreso? Und das Bild ...“ Sawyer seufzte. „1575?“ Er verdrehte sich den Kopf, um seine<br />

Gefährten ansehen zu können, aber die schüttelten den Kopf. „Oh, man, Kinder ... Das ist mein<br />

Rücken. Kate mag ihn ohne blutige Striemen. Strengt euch mal an. Nächste Frage, mit den<br />

noch Offenen beschäftigen wir uns später. Literaturnobelpreis, war da nicht irgendwas?“ Dana<br />

nickte. „Ja, der erste, wann, wer, wofür. Das war ein Franzose, das weiß ich. Und 1901, oder?“<br />

Zustimmendes Nicken von allen. „René S. Prudhomme. Für seine Dichtungen, den Idealismus<br />

und die künstlerische Vollendung.“, sagte Sawyer zögernd und leise. Dana trug die Antwort<br />

ein und erhielt das B als Buchstaben. Sawyer atmete erleichtert auf.<br />

„Wer fehlt denn noch?“, wollte Bones wissen. „’Madam Butterfly’.“ Dana sah auf den<br />

Monitor. „Worauf beruht es? Das war eine Erzählung, habe ich das richtig im Kopf?“ Sawyer<br />

nickte. Er hatte ein fabelhaftes Gedächtnis für Namen und ratterte herunter: „John Luther Long<br />

und Pierre Loti, der Roman von Loti hieß ... irgendeine Blume ... Madam ...“ Hätte er gekonnt,<br />

er hätte sich die Haare gerauft. „Blume?“ Gibbs überlegte. „Ja, hast Recht ... Begonie ... nein,<br />

ich hab’s. Chrysanthème.“ „Richtig. Und die Uraufführung war in Brescia, und zwar am<br />

28.05.04.“ Dana trug ein und erhielt ein A. „So, jetzt noch den letzten, Tolkien, wofür stehen<br />

324


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Initialen? John Ronald ...“ Hilflos sah Dana Gibbs und Bones an. <strong>Die</strong> zuckten die<br />

Schultern. „Rauel ... nein, Reuel, Reuel war das.“ Sawyer war sich sicher. „Hey, und das Ge-<br />

dicht: Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht, sieben den Zwergenherrschern in ihren<br />

Hallen aus Stein, den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun, ein Ring dem dunklen<br />

Herrscher auf dunklem Thron, im Lande Mordor wo die Schatten drohen. Ein Ring, sie zu<br />

knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden, im Lande Mordor, wo<br />

die Schatten drohen.“ „Das war schön, woher kennst du das auf Deutsch?“, fragte Bones er-<br />

staunt. Sie verstand genug Deutsch durch einen ihrer früheren Praktikanten, um das Gedicht zu<br />

verstehen. Sawyer grinste. „Mein Großvater ... Er war viele Jahre in Deutschland und hat ‚Der<br />

Herr der Ringe’ dort gelesen, auf Deutsch. Er fand es fantastisch und hat mir einige Gedichte<br />

bei gebracht, die ich nie wieder vergaß.“ Gibbs nickte anerkennend. „Das ist großartig. Was<br />

fehlt denn noch? Wann und wo er geboren wurde ... In Südafrika, daran erinnere ich <strong>mich</strong><br />

noch, das war ein holländisch klingender Name, Bloemfontein, Mangaung. Aber das Datum<br />

...“ Bones erklärte: „3 März 92.“ Dana tippte und ein A leuchtete auf. Sawyer nickte erleichtert.<br />

„Dann fehlen ja nur noch unsere drei kleinen Schweinchen. 30 ...“ Er war blass.<br />

Mulder fragte etwas verkniffen: „Was jetzt? Ich kriege lahme Arme. Und Allison<br />

möchte sicher auch von dem Laufsteg runter.“ Jake zitterten noch leicht die Hände, es hatte ihn<br />

unglaublich mitgenommen, Mulder schlagen zu müssen. Leise sagte er: „Wir müssen un-<br />

bedingt alle anderen Fragen beantworten können, wir müssen.“ Ziva, die an der Tastatur saß,<br />

warf Jake einen verständnisvollen Blick zu. „<strong>Die</strong> Nächste ist Shakespeare, ich weiß noch, dass<br />

er ab 1599 Mitbesitzer des Globe Theatre war.“ Locke nickte. „Und er wurde in Stratfort-upon-<br />

Avon getauft, und zwar ...“ Mulder unterbrach Locke: „26.04.1564. Wobei das auch nicht<br />

hundertprozentig belegt ist.“ Ziva gab die Angaben ein, erhielt ein A und gab es an Allison<br />

weiter. „So, nun noch die Künstler ... Renoir, ’<strong>Die</strong> lesende Frau’ ... 1879, richtig? Und er lebte<br />

41 - 19.“ Alle vier ließen sich die Antwort noch einmal durch den Kopf gehen, dann nickte<br />

Mulder. „Das ist richtig, kommt, weiter.“ Ziva gab die Antwort ein und ein lauter Signalton<br />

ertönte.<br />

„Verfluchte Scheiße. Was war falsch?“ Ziva zitterten vor Schreck die Hände. „Ich bin<br />

sicher, dass die Jahreszahlen stimmen.“ Mulder starrte zu Allison hinüber und Ziva tat, was<br />

nötig war. „Allison, wir haben einen Fehler gemacht. Willst du es versuchen?“ Allison schloss<br />

die Augen, dann nickte sie. Angespannt warteten alle, was geschehen würde. Mit zitternden<br />

Knien machte Allison einen Schritt auf Platte B. Im nächsten Moment schrie sie vor Schreck<br />

auf, und nicht nur sie. Das Brett klappte unter ihr weg und sie stürzte ins Wasser. House brüllte<br />

entsetzt los. „Cameron.“ Er stürzte zur Kabinentür, aber die war und blieb verschlossen.<br />

Entsetzt beobachteten alle, wie Allison verzweifelt bemüht war, nicht unter zu gehen. Aber sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte keine Chance, die gefesselten Hände und Füße ließen ihr nicht den geringsten Spielraum,<br />

sich irgendwie an der Oberfläche zu halten. Mick wusste sofort, dass die Lebensdaten<br />

stimmten. Es musste das Erstellungsdatum des Bildes sein. 1879 ... Er wusste es nicht und<br />

hatte nicht die Zeit, lange nachzudenken. Hastig sah er im PC nach und las 1876. „Scheiße.“<br />

<strong>Die</strong> Tür seiner Kabine sprang auf und schon hetzte der Vampir los. Er sprang in das Wasser-<br />

becken und tauchte sofort ab. Bis auf die gefesselten Männer standen alle Gefangenen an der<br />

dem Becken zugewandten Seite der Kabine und starrten mit schreckgeweiteten Augen auf das<br />

Wasser. Beth und Heather hatten den Logenplatz und sahen, wie Mick Allison erreichte. So<br />

schnell er konnte, tauchte er mit der jungen Frau auf, die in seinen Armen heftig zappelte und<br />

dann hatte er sie an der Oberfläche. Keuchend und hustend jappte Allison nach Luft. Und<br />

House sank fix und fertig auf den Stuhl nieder und stöhnte: „Ich bin zu alt für solche Scheiße.“<br />

„Oh, Gott, das machen wir nicht wieder, das halte ich kein zweites Mal aus.“, stöhnte<br />

Mulder entsetzt. Sie hatten ebenso angespannt wie alle <strong>Anderen</strong> zugeschaut, wie Mick Allison<br />

aus dem Wasser zog und die junge Ärztin dann wieder auf die Plattform zurückkehren musste,<br />

nachdem man ihr einige Minuten Zeit gegeben hatte, sich zu fangen. „Komm schon Jake, es<br />

bringt nichts, es heraus zu zögern, davon wird es nicht besser, okay?“ Ziva sah Jake mitleidig<br />

an. Ihre Ausbildung und Einstellung Schmerzen gegenüber hätten es ihr leichter gemacht, die<br />

mehr als unangenehme Aufgabe der Schläge zu übernehmen, aber das war den Entführern<br />

natürlich klar. Sie hatten gezielt das in der Beziehung jeweils schwächste Glied aus der Gruppe<br />

mit dieser Aufgabe betraut. Jake hatte Tränen in den Augen, als er wieder nach der Peitsche<br />

greifen musste. Und Mulder konnte nicht verhindern, dass er anfing zu Zittern. Ziva stand auf,<br />

griff nach Mulders Kittel und drehte diesen zu einer Rolle zusammen. <strong>Die</strong>se hielt sie Mulder<br />

hin und der nickte dankbar. „Gute Idee.“ Er ließ sich die Stoffrolle von Ziva zwischen die<br />

Zähne schieben und dann fing Jake an. Da die ersten Striemen noch zu sehen waren und<br />

brannten, war die zweite Runde schmerzhafter. Als der letzte Hieb auf seinen Rücken<br />

klatschte, wurde Mulder nur noch von den Fesseln aufrecht gehalten. Jake sank schluchzend<br />

auf die Knie. Und Ziva und Locke war klar, dass sie die letzten Fragen wohl mehr oder<br />

weniger alleine würden beantworten müssen.<br />

In den anderen Kabinen hatte man versucht, nicht zu Mulder hinüber zu schauen.<br />

House hatte sich gefangen und die Vier machten sich an die nächsten Fragen. „Den ersten<br />

Literaturnobelpreis hat ein Franzose Namens René Sully Prudhomme bekommen, und zwar<br />

1901. Für seine Verdienste als Schriftsteller und besonders seiner Dichtungen, die hohen<br />

Idealismus, künstlerische Vollendung und eine seltene Vereinigung von Herz und Geist be-<br />

zeugen.“ Booth war sich seiner Sache sicher und House stimmte ihm zu. Abby trug ein und<br />

gab dann ein A an Heather weiter. „’Arms and the man’ ist von Shaw, 1894.“ Kate sah die<br />

326


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

anderen an und diese nickten. Abby tippte gleich weiter. „Kipling, das ist ’Das Dschungel-<br />

buch’, der Kerl wurde in Bombay geboren, und zwar ...“ „30.12.65 und er starb in London,<br />

18.01.36.“ vervollständigte Kate. „Tolkien. Ich liebe die Bücher.“, schwärmte Abby. „Er<br />

wurde in Bloemfontein geboren, und zwar am 3 Januar 1892. Sein Name ist John Ronald<br />

Reuel. Und das Gedicht ist ein Gedicht. Three rings for the elven-kings under the sky, seven<br />

for the dwarf-lords in their halls of stone, nine for mortal men doomed to die, one for the Dark<br />

Lord on his dark throne, in the Land of Mordor where the shadows lie. One ring to rule them<br />

all, one ring to find them, one ring to bring them all and in the darkness bind them. In the Land<br />

of Mordor where the shadows lie.“ „Toll, Abby, aus dem Kopf hätte ich es so nicht mehr zu-<br />

sammen bekommen.“ Kate nickte anerkennend und Booth atmete erleichtert auf, er hätte es<br />

auch nicht mehr gewusst. Komischerweise kam ihnen allen die eigenartige Assoziation, selbst<br />

im Lande Mordor, wo die Schatten drohen, festzustecken.<br />

„So, Shakespeare, Leute, 26.04.1564, in Stratfort-upon-Avon, ab 1599 das Londoner<br />

Globe Theatre. Stimmt ihr mir zu?“ Alle nickten und Abby erhielt ein B. „Oh, je, die Maler ...<br />

Ich hasse das, ich kann mir die einfach alle nicht merken.“, stieß sie nun genervt hervor. „Mit<br />

welchem geht es los?“, wollte Booth wissen. „Renoir. Wann lebte er gleich?“ Alle sahen auf-<br />

fordernd Kate an und diese konnte sofort mit Daten dienen. „1841 - 1919. Wann das Bild ent-<br />

stand ... Himmel, das weiß ich im Augenblick auch nicht mehr. Lassen wir mal offen, die<br />

Nächste?“ „’El tres de Mayo’ ... Das bedeutet: ’<strong>Die</strong> Erschießung der Aufständischen’. Das ist<br />

von Goya, und er hat es 1814 gemalt, das weiß ich sicher. Und ich weiß sicher, dass es im<br />

Prado in Madrid hängt. Weiß einer noch die Größe?“ „Ja, ich: 266 x 345 cm.“ House atmete<br />

erleichtert auf. Und Abby erhielt ein A. Dann ging es weiter. „<strong>Die</strong> Eremitage in St. Petersburg.<br />

Der Bau begann um 1711. Und die Gemälde Rembrandts, die bekanntesten dort, sind ...“ „’<strong>Die</strong><br />

Rückkehr des verlorenen Sohnes’, ’Flora’ und ...“ „’Danae’.“ Abby grinste triumphierend und<br />

tippte fleißig ein. A. „Wir haben es bald geschafft.“, freute Kate sich und schielte zu Sawyer<br />

und den anderen in die Nachbarkabine hinüber. Hoffentlich wussten die alles. Sie wollte nicht<br />

zusehen müssen, wie Gibbs Sawyer schlug.<br />

„El Greco ist die nächste Antwort. Er hat von 1541 - sechzehn14 gelebt. Das Bild ...“<br />

Hilflos prustete Abby und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Erst mal das letzte, Spitz-<br />

weg. <strong>Die</strong> Bilder, das sind ’Der arme Poet’, dann ’Der abgefangene Liebesbrief’ und das Letzte<br />

...“ House wusste es. „’Der Bücherwurm’. Das hängt in der Krankenhausbibliothek in<br />

Princeton. Finden die wohl lustig, so einen billigen Kunstdruck da hin zu hängen.“ „Der<br />

stammt aus Deutschland, das war so ein Kaff mit einem albernen Namen ... Unter ... Unter ...“<br />

„Unterpfaffenhofen.“ Kate stöhnte auf. „Blödsinniger Name.“ „Stimmt. Und wann wurde er<br />

...“ Auch das wusste Kate noch. Ihr Zahlengedächtnis war wirklich einzigartig. „15 Februar<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

1808.“ Abby gab ein und erhielt ein B. „So, kommt schon, strengen wir uns noch einmal<br />

richtig an. Renoir und El Greco, die Fragen müssen wir einfach noch schaffen.“ Booth seufzte<br />

und versuchte, sich etwas bequemer hinzustellen. Sein Rücken brannte noch von den ersten<br />

zehn Schlägen. „Das finde ich auch, da habt ihr meine volle Unterstützung.“<br />

Mulder kämpfte mit seiner Schwäche, Jake war am Ende, noch einmal wäre er nicht in<br />

der Lage, zuzuschlagen, egal, womit die Entführer drohen würden. Ziva und Locke ließen ihre<br />

Mitstreiter in Ruhe und lasen sich die letzten Fragen noch einmal durch. „’El tres de Mayo’,<br />

das bedeutet ‚<strong>Die</strong> Erschießung der Aufständischen’ das war leicht. Und die Größe war ... 345 x<br />

266 cm, ach, anders herum, 266 x 345 cm. Und es hängt in Madrid, im Predo und ist von<br />

Goya.“ Ziva wollte Tippen, aber Locke unterbrach sie. „Prado, nicht Predo, Ziva.“ Ziva nickte.<br />

„Ja, stimmt, ein A.“ Sie gab Allison den Buchstaben durch und dann hatten sie die Eremitage<br />

zu fassen. „Da wurde 1711 mit dem Bau begonnen, in St. Petersburg, und die Bilder sind ...“<br />

Mit zitternder und vor Schmerzen gepresst klingender Stimme meinte Mulder „’Danae’,<br />

’Flora’ und ’Der Liebesbrief’, oder?“ „’Der abgefangene Liebesbrief’.“, verbesserte Locke und<br />

Ziva gab die Antwort ein. „Halt. Warte. ’Der Liebesbrief’ ist verkehrt. Der ist von Spitzweg.<br />

Das Bild ist ’<strong>Die</strong> Rückkehr des verlorenen Sohnes’.“, keuchte Jake plötzlich erschrocken. „Oh,<br />

Gott, danke. Das stimmt.“, stotterte Mulder entsetzt. Ziva gab mit zitternden Händen die<br />

Antwort ein und bekam ein B. „Theotokopoulos, das war El Greco, kein Wunder, dass der den<br />

Namen geändert hat.“ Ziva schüttelte den Kopf. Das hatte sie sich gemerkt, weil keiner den<br />

schwierigen Namen ohne zu stolpern hatte aussprechen können. „Der hat von 1541 -<br />

sechzehn14 gelebt. Und das Bild ...“ „’<strong>Die</strong> Verkündigung’.“, sagte Locke ruhig. Sie erhielten<br />

ein A.<br />

„Was fehlt jetzt noch?“ „Spitzweg, den Namen des Gemäldes hatten wir ja gerade: ’Der<br />

abgefangene Liebesbrief’.“ „Richtig, und die anderen sind ’Der arme Poet’ und ’Der Bücher-<br />

wurm’ und er wurde in Deutschland geboren. In ... 1808, im Februar, am 15.ten. Das Dorf hieß<br />

... Unterpfaffenhofen.“ Ziva gab die Daten ein und erhielt ein B. Allison machte den letzten<br />

Schritt und war in Sicherheit. „Gott sei Dank.“ Ziva eilte zusammen mit Jake zu Mulder und<br />

gemeinsam befreiten sie diesen aus seiner schmerzhaften Zwangslage. Jake stützte den FBI<br />

Agent und führte ihn zum Stuhl, auf den Spooky sich aufstöhnend sinken ließ. „Geschafft.“,<br />

ächzte dieser. Locke überlegte nicht lange. Er trat hinter Mulder und legte diesem seine Hände<br />

auf den schmerzenden Rücken. Mulder zuckte stöhnend zusammen. Dann aber spürte er er-<br />

staunlich schnell, wie die Schmerzen deutlich nach ließen. Und schließlich sagte er entspannt:<br />

„Du wirst mit jedem Tag besser, John. Ich danke dir.“<br />

328


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

In der ersten Kabine, bei Booth und House, wurde heftig darüber diskutiert, wann denn<br />

nun das Renoir Bild entstanden war. „Bloß kein Ratespielchen. Dann stirbt Jake, wenn Heather<br />

ins Wasser fällt.“, erklärte House genervt. „Na, prima, Doc, dir tut es ja nicht weh.“, knurrte<br />

Booth, stimmte dem Arzt aber im Stillen zu. Er würde nie um diesen Preis versuchen, sich vor<br />

Schmerzen zu drücken. Schließlich mussten sie sich geschlagen geben. Weder der Titel des<br />

Gemäldes von El Greco noch das Entstehungsjahr des Gemäldes von Renoir fiel ihnen ein.<br />

Abby liefen Tränen über die Wangen, als sie sich also an Mick wenden musste. Der Vampir<br />

schüttelte entsetzt den Kopf. „Wisst ihr es wirklich nicht? Kommt schon, Leute, denkt an<br />

Booth ...“ Abby fluchte. „Ja, weißt du, Mick, wir sehen es nach all der Zeit einfach so gerne,<br />

wenn einer von uns vor Schmerzen schreit. Natürlich wissen wir es wirklich nicht, du ... Blut-<br />

sauger. Sonst würden wir bestimmt nicht fragen.“ Mick zuckte zusammen. „War eine dumme<br />

Frage, ist schon klar. Tut mir leid. Okay, pass auf: Das Bild heißt ’<strong>Die</strong> Verkündigung’ und das<br />

Jahr ist 1876.“ Abby taten ihre harten Worte schon wieder leid und sie sagte: „Tut mir leid,<br />

Mick, ich wollte nicht so ... Es tut mir leid.“ „Schon in Ordnung, wir sind alle angespannt. Viel<br />

Glück.“ Abby nickte zu Mick hinüber, dann gab sie die beiden Antworten ein und erhielt die<br />

letzten Buchstaben.<br />

Heather erreichte als Zweite das sichere Ufer und Booth steckte als Zweiter zwanzig<br />

Peitschenhiebe ein. Er bat: „Kate, gibst du mir auch meinen Kittel, bitte? Ich weiß nicht, ob ich<br />

sonst ... Gib ihn mir einfach.“ Kate nickte und wischte sich ärgerlich die Tränen weg. Sie<br />

drückte Booth den Stoff zwischen die Zähne und blieb dann einfach bei ihm stehen, legte ihm<br />

eine Hand auf den linken Arm. Schon dieses bisschen menschlicher Kontakt half dem Agent<br />

über die nächsten Minuten hinweg. Als der zwanzigste Schlag seinen ungeschützten Rücken<br />

traf und er vor Schmerzen heftig auf gekeucht hatte, machte sie ihn sofort los und er sackte<br />

zitternd in ihre Arme. Zusammen mit Abby schaffte Kate ihn zum Stuhl und er sank stöhnend<br />

darauf nieder. „Das war schön ...“, keuchte er und fuhr sich mit den Händen über sein blasses<br />

Gesicht, um Schweiß und Tränen gleichermaßen fort zu wischen. Dann sah er Kate an, griff<br />

nach ihren Händen und sagte leise: „Danke.“ Kate lächelte traurig und ließ es zu, dass Booth<br />

müde seinen Kopf gegen sie sinken ließ. Kate legte sanft die Arme um den jungen Mann. „Ich<br />

wünschte, ich hätte mehr tun können.“<br />

Bones hatte weinend zugesehen, wie House die Strafe an Booth vollzog. Sie drehte sich<br />

zu ihren Leidensgenossen herum und erklärte unter Tränen: „Du nicht. Und wenn wir hier bis<br />

morgen sitzen, du kriegst keine Schläge. Ich hasse diese Bastarde. Ich hasse sie so sehr.“<br />

Sawyer, Gibbs und Dana waren einigermaßen erstaunt über den Ausbruch. Dann aber erklärte<br />

Gibbs: „Bones hat Recht. <strong>Die</strong> sollen nicht wieder gewinnen. Ich werde <strong>mich</strong> hier nicht zum<br />

Folterknecht degradieren lassen. Wir werden uns jetzt konzentrieren und diese idiotischen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fragen beantworten.“ Er sah Sawyer an und dieser konnte nur nicken, er hatte einen Kloß im<br />

Hals, der jedes Wort abwürgte. „’Turandot’. Wir hatten das erst. Wann war die Uraufführung.<br />

Es war in den Zwanzigern ... Mitte ... 1926.“ Vor Konzentration wurde Dana ganz still. Dann<br />

stieß sie hervor: „Ich hab’s. Das war 25.04.1926. Das war es. Ich bin sicher. 25 April 26.“ Sie<br />

gab ohne noch zu Zögern die Daten ein und bekam ein A. Aufgeregt sagte sie: „Weiter. Der<br />

Name des Gemäldes. Es war etwas mit Bekanntmachung, Erklärung ...“ Sawyer zuckte zu-<br />

sammen. „Verkündigung. ’<strong>Die</strong> Verkündigung’.“, stieß er hervor. Dana nickte hektisch. „Ja, das<br />

war es.“ Sie tippte aufgeregt und ein B leuchtete auf dem Monitor auf.<br />

„Beth, du gehst weder Baden noch werden wir fragen müssen. Und du, mein Freund,<br />

wirst die elende Peitsche nicht wieder zu Schmecken bekommen, das schwöre ich dir. <strong>Die</strong> ver-<br />

fluchte Dresdner Oper, das schaffen wir auch noch.“, meinte Gibbs verbissen. „Es waren drei<br />

Starts. Ich weiß, beim ersten Mal ist sie abgebrannt, das war ... im September 1869.“ Bones<br />

starrte abwesend zu Booth hinüber, der vor Erschöpfung in Kates Arme gesunken war.<br />

„21.September ... 1838 - 1841, und 69 ist das Haus abgebrannt.“, sagte sie leise. Dana tippte<br />

mit zitternden Fingern mit. „Bombenangriff. Das zweite Mal wurde sie im zweiten Weltkrieg<br />

während eines Bombenangriffes zerstört. Das war im Februar 45, an einem 13.ten.“ Sawyer<br />

nickte heftig. „Genau. <strong>Die</strong> Bauphase war 71 - 78. Tipp ein, Dana, das ist richtig, vertrau mir, es<br />

ist mein Rücken.“ Dana tippte. „So, und weiter, Sawyer, wir schaffen das.“ Bones wandte den<br />

Blick von Booth ab und trat zu dem hilflos dastehenden Südstaatler hinüber, legte ihm freund-<br />

schaftlich eine Hand auf die Schulter. „Wir schaffen das. Es fehlt nicht mehr viel. <strong>Die</strong> Grund-<br />

steinlegung für die heutige Oper war 1977.“ „Im Juni, am 14.06.77, das ist es.“ Gibbs erinnerte<br />

sich jetzt genau. „<strong>Die</strong> haben von 46, gleich nach dem Krieg, bis 55 Sicherungsarbeiten an der<br />

Ruine gemacht und dann Aufbaustudien, von 68 - 76. Da habe ich <strong>mich</strong> noch gefragt, was die<br />

so lange Planen. Und dass das Teil mit dem Freischütz eingeweiht wurde, hatten wir schon.<br />

Dana.“ Dana tippte und als sie mit zitternden Fingern Enter drückte, hielten nicht nur die vier<br />

die Luft an. A.<br />

„Beth, hör zu: AAABBABBAABAAABBABBB.“ Beth machte vorsichtig die an-<br />

gegebenen Schritte und dann war sie drüben. Kate hatte nervös zugesehen, als sie sah, dass<br />

alles gut ging, schrie sie begeistert auf. „Ja.“ Bones und Gibbs befreiten Sawyer von den<br />

Fesseln. Lachend umarmte der seine Mitstreiter. „Ihr habt es wirklich geschafft. Ihr seid groß-<br />

artig. Ich danke euch, wirklich.“ Er beachtete dabei gar nicht, dass er genau so an der Lösung<br />

der Fragen mit gearbeitet hatte. Und er merkte nicht, dass es ihm ganz von selbst von der Hand<br />

ging, die Leidensgenossen und inzwischen guten Freunde zu umarmen und ihnen zu danken.<br />

Dana lächelte still. Sie alle hier hatten sich verändert im Laufe der Monate, und so schrecklich<br />

es war, die Veränderungen waren teilweise zum Guten. Sawyer war an die Trennwand getreten<br />

330


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und sah in die Nachbarkabine zu Kate hinüber. Und in diesem Moment knackte es im Laut-<br />

sprecher und die Stimme ertönte. „Das habt ihr gut gemacht, der Unterricht hat erstaunliches<br />

gebracht. Und weil es so gut lief, machen wir gleich weiter. Fünfzig weitere Fragen.“ <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen, die sich eben noch gefreut hatten, wurden steif vor Schreck. Ungläubig starrten sie in<br />

die Halle. Und dann fuhr die Stimme gehässig fort: „War ein Scherz. Ihr seid gut gewesen und<br />

für heute erlöst. Und: Nicht nur die schnellste Gruppe bekommt eine Belohnung, der Boss hat<br />

gerade entschieden, dass auch die Langsamsten eine Belohnung bekommen, für vollkommene<br />

Fehlerfreiheit ohne Nachfragen.“<br />

<strong>Die</strong> Türen öffneten sich und Kate und Sawyer, der sich seinen Kittel über gestreift<br />

hatte, eilten zu einander und fielen sich in die Arme. Bones hetzte zu Booth hinüber und fragte<br />

besorgt: „Hey, du Held, geht es dir gut?“ Booth lachte sarkastisch. „Und wie. <strong>Die</strong>se<br />

Peitschenkur war sicher gut für meinen Teint. Fördert die Durchblutung. Ach, und ich möchte<br />

jetzt gerne weg hier.“ Dana war ebenso schnell zu Mulder geeilt, der sich auf die Beine ge-<br />

rappelt hatte. „Mulder, ist alles in Ordnung?“ Sie legte ihm vorsichtig den Arm um die Taille<br />

und stützte ihn. „Es geht mir gut, John hat mir geholfen.“, sagte er sehr leise. „Noch ein wenig<br />

Salbe und es wird kaum noch zu spüren sein.“ <strong>Die</strong> Gefangenen wurden aus der Schwimmhalle<br />

geführt und durften in ihre Zellen zurückkehren. Hier bekamen Bones und Dana tatsächlich<br />

Heilsalbe für Booth und Mulder in die Hand gedrückt, sie durften die Männer verarzten, dann<br />

mussten sie in ihre eigenen Zellen zurück. Und man ließ sie für den Rest des Tages in Frieden.<br />

Eine Sache war Thema bei allen: Was sie in der kurzen Zeit, die sie jetzt den intensiven Unter-<br />

richt bekamen, dazu gelernt hatten und wie gut sie alle sich die vielen Jahreszahlen und Namen<br />

merken konnten. Sawyer, der bequem auf dem Bett lag, erklärte: „Ich hätte nie für möglich<br />

gehalten, dass ich im Stande bin, so was zu lernen, zu behalten ... Wenn ich das vor achtzehn<br />

Jahren schon gewusst hätte, Kate, ich hätte die Schule garantiert nicht geschmissen ...“<br />

Verblüffende Erkenntnisse<br />

Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgendetwas, das der menschliche Geist<br />

erfinden könnte.<br />

Sir Arthur Conan Doyle<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zwei Tage später waren die Gefangenen gerade von einigen Unterrichtsstunden in die<br />

Zellen zurück gebracht worden. Auch Beth und Mick hatten an dem Unterricht teilnehmen<br />

müssen. Mick, durch seine fünfundachtzig Lebensjahre bedingt, hatte einen unglaublichen<br />

Schatz an Allgemeinwissen. Er hatte schulterzuckend erklärt: „Wisst ihr, wenn ich keine Auf-<br />

träge habe, bin ich tagsüber oft sehr gelangweilt. Aus bekannten Gründen kann ich <strong>mich</strong> ja<br />

nicht <strong>mich</strong> sonnend an der Beach liegen ... Also habe ich das gemacht, was ich gut kann:<br />

Lesen und mir das Gelesene merken. Und in fünfundachtzig Jahren schnappt man ohnehin so<br />

einiges auf.“ Selbst ihre Entführer hatten gestaunt, wie gut Mick sich beispielsweise mit<br />

Kunst, Literatur und Musik auskannte. Außerdem sprach er neben Englisch auch noch<br />

Französisch und Spanisch. So brauchte er am Sprachunterricht nicht teil zu nehmen. Als die<br />

Gefangenen nun in ihre Zellen zurück verfrachtet worden waren, und grünes Licht hatten,<br />

meinte Jake sinnierend: „Ist euch eigentlich klar, dass durch die nette Einlage mit dem<br />

Wasserentzug vor dem Fragen-Test … Naja, dass die damit locker erreicht haben, dass wir in<br />

Zukunft jedes Mal mehr als dankbar sein werden, wenn sie sich um uns kümmern, egal, wie<br />

das aussehen mag?“ Er lachte resigniert. „Wir werden sogar froh sein, wenn sie uns ... wenn<br />

sie wieder kommen, um uns zu Quälen.“<br />

Nach dem überraschenden Wiederauftauchen ihrer Entführer hatte man die fast ver-<br />

dursteten und erstickten Gefangenen mit Sauerstoff, Volumenzufuhr und ausreichender<br />

Flüssigkeitsversorgung schnell wieder auf die Beine gebracht. Warum man sie hatte fast<br />

sterben lassen, darüber verloren die Entführer natürlich kein Wort, aber das hatten die Ge-<br />

fangenen auch nicht erwartet. Kaum, dass es allen wieder gut ging, war der normale Betrieb<br />

wieder aufgenommen worden, als wäre nie etwas gewesen. Man holte sie zu ihren Schieß-<br />

übungen, zum Sprach- und Bildungsunterricht, dann der Fragen -Test, nur den Sport ließen<br />

die Entführer noch ruhen. <strong>Die</strong> zum Teil noch immer regelrecht unter Schock stehenden Ge-<br />

fangenen hatten bislang kein Wort darüber verloren, was geschehen war. Jake war der Erste,<br />

der das Thema anschnitt. <strong>Die</strong> anderen reagierten erst einmal gar nicht auf seine Worte. Dann<br />

aber meinte Allison: „Jake hat Recht ... Auch, wenn es Irrsinn ist, aber ich bin jedes Mal froh<br />

und dankbar, wenn einer von diesen ... Leuten bei uns auftaucht. <strong>Die</strong>ses Gefühl, hier hilflos<br />

herum zu stehen und auf den Tod zu warten, war schlimmer als alles andere bisher, fand ich.“<br />

Heather stimmte Allison sofort leise zu. „Und nicht mal bei Jake sein zu dürfen war das<br />

allerschlimmste ...“, sagte sie leise. Jetzt mischte sich auch Kate ein. „Ja, das Gefühl, zu<br />

sterben und ... Sawyer in Sichtweite und doch so weit weg, als wäre ich auf der Erde und er<br />

auf dem Mond ...“ Bones erklärte gepresst „Ich hätte alles, wirklich alles getan, um<br />

wenigstens bei Booth sein zu dürfen.“<br />

332


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wie viel länger hättest du durch gehalten?“, wollte Dana von Mick wissen. „Einen<br />

Tag, höchstens. Erstickt wäre ich natürlich nicht, aber wir brauchen ... Nahrung wie ihr, wenn<br />

wir sie nicht bekommen ... Naja, auch eine Art, einen Vampir zu killen, dauert nur länger.<br />

Und außerdem wurde der Freezer zusehend wärmer. Das hätte <strong>mich</strong> vermutlich noch<br />

schneller umgebracht als das Verdursten.“ Mick dachte darüber nach, wie es gewesen wäre,<br />

zusehen zu müssen, wie nach und nach alle um ihn herum gestorben wären und innerlich<br />

schüttelte es ihn. Dana wollte noch etwas erwidern, kam jedoch nicht mehr dazu, denn das<br />

rote Licht ging nun an und es hatte Ruhe zu herrschen. Und schon kam auch die Durchsage:<br />

„In die Betten.“ Es war ein anstrengender Tag gewesen und so legten sich die Gefangenen<br />

gerne ins Bett. Minuten später kamen zwei Wachen und fesselten sie nacheinander an die<br />

Betten, dann ging das Licht aus. Allmählich gewöhnten sich alle wieder daran, sich im Bett<br />

nicht bewegen zu können und die meisten schliefen halbwegs gut. Vor dem Einschlafen ging<br />

ihnen noch durch den Kopf, was wohl der kommende Tag wieder an Schrecken oder<br />

sonstigem bereithielt.<br />

Erst einmal gab es eine <strong>Über</strong>raschung am folgenden Morgen. Der Weckruf riss die<br />

meisten der Eingesperrten aus dem Schlaf. Dann geschah eine ganze Weile nichts, man ließ<br />

sie liegen, erlaubte ihnen auch nicht, sich zu unterhalten. Bestimmt eine Stunde verging, dann<br />

kamen Wachen in den Kerker, befreiten die Gefangenen von ihren Fesseln und schlossen<br />

ihnen unmittelbar die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann bekamen sie den Befehl, sich<br />

paarweise zusammen zu stellen und wie gut erzogene Schulkinder gehorchten sie. - Mein<br />

Gott, was ist nur aus uns geworden? - fuhr es Sawyer durch den Kopf. Als sie brav neben-<br />

einander standen, wurden sie aufgefordert: „So, mitkommen.“, und setzten sich in Bewegung.<br />

Beth und Mick sahen einander mit gemischten Gefühlen an. Mick zuckte die Schultern. Es<br />

ging zum Fahrstuhl, einige Etagen nach oben und dann waren die Alteingesessenen ziemlich<br />

sicher, wieder in der Etage zu sein, wo sie zusammen in den winzigen Wohnungen hatten sein<br />

dürfen. Den Paaren schlugen die Herzen buchstäblich bis in den Hals. <strong>Die</strong> letzten Tage waren<br />

entsetzlich gewesen und die vage Aussicht, vielleicht wieder zusammen sein zu dürfen, ließ<br />

sie Zittern vor Freude. - Bitte, bitte, bitte. - flehte Kate in Gedanken und sah Sawyer an, der<br />

sich vor Anspannung auf die Lippe biss.<br />

Schließlich kam der Befehl: „Halt.“ Sie standen im Flur, in Reih und Glied neben-<br />

einander, und starrten erwartungsvoll die Wachen an. Man ließ sie stehen. Eine Stunde, zwei<br />

Stunden, die Beine fingen an heftig zu schmerzen, die Füße, der Rücken, aber sie durften sich<br />

nicht rühren. Von ihren übervollen Blasen, die sie in der Zelle ja nicht mehr hatten leeren<br />

333


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dürfen ganz zu schweigen. <strong>Die</strong> Wachen waren lange schon verschwunden, keiner kümmerte<br />

sich um sie und keiner der Gefangenen, einschließlich Beth und Mick wagte, sich zu be-<br />

wegen, auch nur den Kopf zu drehen, oder etwas zu sagen. House hatte man einen ziemlich<br />

unbequemen Schemel hin gestellt, auf den er sich setzen konnte, aber auch er wagte nicht,<br />

sich zu rühren. Obwohl sein Bein höllisch schmerzte in der verkrampften Haltung, saß er ab-<br />

solut bewegungslos da und harrte der Dinge, die kommen würden. Als die ersten anfingen,<br />

vor Schmerzen gepresst zu atmen und sich immer mehr verkrampften, tat sich endlich etwas.<br />

Am Ende des Flures ging eine Tür auf und zwei Weißkittel näherten sich langsam und lässig<br />

miteinander plaudernd. Als sie bei den Gefangenen anlangten, blieben sie stehen und<br />

musterten diese, abfällig, als sähen sie sie das erste Mal. Dann fing einer der beiden Ärzte,<br />

Wissenschaftler, was immer sie darstellen mochten, an zu Reden.<br />

„Gefangene. <strong>Die</strong> Eingewöhnungsphase der Neuzugänge ist gut verlaufen, unser<br />

Ehrengast hat sich brav verhalten und ihr dürft zurück in eure Appartements. Es gibt ein paar<br />

Neuerungen, die ihr euch einzuprägen habt. Wir haben eure Räumlichkeiten aus gegebenem<br />

Anlass ein wenig verändert. Ihr habt einen großen Wohntrakt für euch. Bad, Schlafzimmer<br />

und Wohnraum gehören euch paarweise alleine. Essen werdet ihr in einem großen Raum ge-<br />

meinsam. Der Tagesplan sieht wie folgt aus: Wecken, Frühstück, Sprachunterricht für die-<br />

jenigen, die noch Mängel aufweisen, Sport, Bildungsunterricht für alle, jedoch abhängig von<br />

eurem Wissen zu unterschiedlichen Themen, Schießübungen für die Betroffenen, für den Rest<br />

von euch entsprechend andere Übungen, abends werden wir kleine Prüfungen vornehmen, ob<br />

ihr dem Unterricht folgen konntet. Wenn ja, werdet ihr dafür kleine Belohnungen erhalten.<br />

Wenn nicht, werdet ihr dementsprechend gestraft. Es liegt also in eurem eigenen Interesse,<br />

euch anzustrengen. Noch etwas: <strong>Die</strong>se Räume sind mit verschiedenen Sicherheitsmechanis-<br />

men geschützt, ihr braucht also erst gar nicht auf die Idee zu kommen, irgendwas zu ver-<br />

suchen. Und jetzt, ab zu euren Zimmern und vor den Türen stehen bleiben.“<br />

Ächzend setzten sich die mehr als überraschten Gefangenen in Bewegung, durch eine<br />

Tür vor ihnen. Bei jedem Schritt schossen Schmerzwellen durch ihre inzwischen ge-<br />

schwollenen Füße und Beine. Sie kamen in einen sehr großen Raum, sahen an der gegenüber<br />

liegenden Wand acht Türen und rechts von ihnen stand ein großer Tisch, groß genug, um sie<br />

alle bequem sitzen zu lassen. An den Türen vor ihnen standen ihre Nummern, sodass sie<br />

wussten, welche Räumlichkeit für wen vorgesehen war. Ganz links ging es mit Kate und<br />

Sawyer los. Dann folgten Bones und Booth, Mulder und Scully, Locke und Gibbs, Beth und<br />

Mick, Heather und Jake und den Abschluss bildeten Allison und House sowie Abby und Ziva.<br />

Gehorsam blieben alle vor den Türen ihrer Räume stehen und wieder vergingen einige<br />

334


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Minuten, bevor Wachen in den Raum kamen und endlich ihre Handgelenkfesseln lösten.<br />

„Rein jetzt, Pause und in einer Stunde geht es los.“ <strong>Die</strong> Zähne zusammen beißend, betraten<br />

die Gefangenen ihre Zimmer. Links stand ein Esstisch mit sechs Stühlen, rechts an der Wand<br />

eine Sitzecke mit Tisch, gegenüber davon eine Anrichte mit Fernseher und DVD Player sowie<br />

CD Player. DVDs und CDs standen bereit. Eine weitere Tür führte in das kleine Schlaf-<br />

zimmer, in dem außer den Doppelbetten, auf denen, oh Wunder, Hosen und T-Shirts lagen,<br />

keine weiteren Möbel standen. Dafür ging es links in das Badezimmer. <strong>Die</strong> Raumeinteilung<br />

war fast identisch mit der aus den Räumen vor der Zurücksiedelung in den Kerker, nur hatten<br />

alle das Gefühl, diese Räume wären ein bisschen größer.<br />

Als die Türen hinter ihnen zu fielen, standen die Gefangenen einen Moment stumm da<br />

und waren wie paralysiert. Dann griff Sawyer nach Kates Hand und zog sie ächzend hinter<br />

sich her zum Bett. Stöhnend vor Schmerzen fielen die Beiden hinein und lagen einfach eine<br />

Weile still. Mit dem allmählichen Abklingen der Schmerzen kamen dann aber andere<br />

Empfindungen hoch. Kate war es, die sich zu Sawyer herum drehte. Eng, so eng es ging,<br />

kuschelte sie sich an ihn. „Ich habe dich so sehr vermisst.“ Ein paar Türen weiter hatte Mick<br />

Beth kurzerhand auf den Arm genommen und zum Bett hinüber getragen. Ihm hatte die<br />

Steherei nichts ausgemacht. Sanft legte er die junge Frau auf das Bett und bemerkte beiläufig,<br />

dass es hier keinen Freezer gab. Beth machte sich ächzend lang und stöhnte: „Meine Güte,<br />

mir tut alles weh ... Oh, Gott, wie halten die anderen es hier bloß schon so lange aus ...“ Mick<br />

lächelte. Dann kniete er sich zu Beth und begann sanft, ihre Füße und Beine zu massieren. Als<br />

er spürte, dass die Verspannungen nachließen, legte er sich zu ihr und nahm sie in den Arm.<br />

Leise sagte er: „Ich habe nicht erwartet, so schnell aus diesem elenden Käfig heraus zu<br />

kommen.“ Sein Blick glitt durch den Raum und seine geschulten Augen entdeckten die kleine<br />

Kamera an der Zimmerdecke neben der Lampe sofort. Im Wohnzimmer drüben war mit<br />

Sicherheit ebenfalls eine angebracht und Mick vermutete, dass auch Mikrofone in den<br />

Räumen verteilt waren. Da half nur eines: Ignorieren.<br />

Alle hatten das Gefühl, keine zehn Minuten Zeit gehabt zu haben, als sie schon wieder<br />

raus zitiert wurden. Sie hatten die Kittel gegen die Shorts und T-Shirts getauscht und hofften,<br />

die Kittel nie wieder tragen zu müssen. House, Allison und Dana wurden einige Etagen nach<br />

oben gebracht, in eines der kleinen Labore, die sie schon zur Genüge kennen gelernt hatten.<br />

Wie sie es gewohnt waren, erhielten sie ihre Anweisungen, was sie tun sollten, an Hand eines<br />

Zettels auf dem Schreibtisch. „Ihr werdet die genaue Auswirkung von Rizin auf den<br />

Organismus von Ratten testen.“ Kurze, klare Anweisungen, mehr gab es nicht. Was sie für<br />

ihre Versuche und Untersuchungen benötigten, lag bereit. „Rizin ... Na, wie überaus schön.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kann es sein, dass die hier einen unbegrenzten Vorrat an biologischen Kampfmitteln lagern<br />

haben?“ House sah die beiden Frauen an. „Was wisst ihr über Rizin?“ Allison zuckte die<br />

Schultern. „Spezifisch? Nicht viel. Es ist ein beinahe hundertprozentig tödliches Gift, dass<br />

auch blitzschnell wirkt, soweit ich weiß.“ Dana nickte. In ihrer Tätigkeit beim FBI mussten<br />

die Agenten über derartige Kampfstoffe genau Bescheid wissen. So konnte sie erklären: „Bei<br />

oraler Einnahme werden vor allem Zellen des Verdauungstraktes in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Magen, Darm, Leber, Nieren werden innerhalb kürzester Zeit irreparabel geschädigt. Letztlich<br />

führt eine Vergiftung mit Rizin auch zu einer Zerstörung der roten Blutkörperchen. Nach der<br />

Aufnahme einer tödlichen Dosis tritt der Tod nach sechsunddreißig bis zweiundsiebzig<br />

Stunden ein. Nach einer Latenzzeit von mehreren Stunden bis Tagen können folgende<br />

Symptome auftreten: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwäche, Tachykardie, Abdominal-<br />

schmerzen und akuter Flüssigkeitsverlust. In schweren Fällen kommen Mydriasis 23 , Krämpfe<br />

an Händen und Beinen, Fieber sowie die Symptome einer Lebernekrose 24 und eines akuten<br />

Nierenversagens dazu. Der Tod erfolgt durch Lähmung medullärer 25 Zentren, besonders des<br />

Atemzentrums. Das Gift kann auch inhaliert oder injiziert werden. <strong>Die</strong> Symptome ändern sich<br />

dementsprechend, es kommt zu Lungenödem und Atemstillstand. Bekannte Symptome treten<br />

etwa vier bis acht Stunden nach dem Verzehr der Samen auf und sind in erster Linie hohes<br />

Fieber, Übelkeit, Erbrechen bis blutiges Erbrechen, blutiger Durchfall, Kolik, Kreislauf-<br />

kollaps, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Leukozytose 26 .“ „Es ist doch gut zu<br />

wissen, wie wir Sterben, wenn wir hier Mist bauen, was?“ House sah säuerlich zu Allison und<br />

Dana herüber. Allison nickte. „Ob die noch mehr so nette <strong>Über</strong>raschungen auf Lager haben?<br />

Na, wir kommen doch nicht drum herum. Dann lasst uns doch einfach mal anfangen.“<br />

*****<br />

Der Tag verging ohne Besonderheiten. Beim Abendbrot, dass wie alle anderen Mahl-<br />

zeiten jetzt am großen Tisch stattfand, durften sich die Gefangenen ungestört unterhalten. Sie<br />

saßen schon bei Tisch, auf diesem jedoch stand nur Wasser, keine Teller, nichts, was auf<br />

Essen hindeutete. „Was ist, gibt es heute nichts mehr zu Beißen?“, fragte Jake erstaunt.<br />

23 Mydriasis ist der medizinische Begriff für die ein- oder beidseitige Weitstellung der Pupille.<br />

24 Lebernekrose: krankhafte Zerstörung der Zellstruktur, oft hervor gerufen durch Gifte.<br />

25 Medullär: <strong>Die</strong> medullären Zentren im Hirnstamm regulieren unter anderem hauptsächlich die Atmung.<br />

26 Leukozytose: Krankhafter Anstieg der weißen Blutkörperchen.<br />

336


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder sah demonstrativ an sich herunter. „Also, ich habe mein Gewicht noch lange nicht<br />

wieder. Daran kann es nicht liegen.“ Mick saß lässig auf seinem Stuhl, das obligatorische<br />

Glas Blut in der Hand, ein Anblick, an den sich die <strong>Anderen</strong> bereits gewöhnt hatten, und<br />

grinste. „Tja, Freunde, was immer ihr auch angestellt habt, ich bin davon ganz offensichtlich<br />

nicht betroffen.“ Beth war die Einzige, die etwas zu essen bekommen hatte. Sie schmunzelte<br />

und meinte dann: „Na, ich wohl auch nicht.“ Etwas verlegen begann die junge Frau zu Essen.<br />

House wollte gerade etwas erwidern, da ging die Tür auf und Major Garreau betrat die Arena.<br />

Sie hatte einen Stuhl in der einen Hand, zwei dünne Schnellhefter in der <strong>Anderen</strong> und ging,<br />

nachdem sie den Stuhl an der Zimmerwand abgestellt hatte, zielstrebig auf Beth und Mick zu.<br />

Beide bekamen einen Hefter in die Hand gedrückt, dann sah Garreau Beth kalt an. „Nicht,<br />

dass wir dich benötigen, aber du wirst diese Fragen trotzdem beantworten. Ihr dürft in euer<br />

Zimmer gehen und habt dreißig Minuten. Ihr anderen dürft eure fertig ausgefüllten Frage-<br />

bogen holen. Jetzt.“ „Ja, Ma’am.“ Ohne zu zögern erhoben sich alle, aber Garreaus kalte, vor<br />

Sarkasmus regelrecht tropfende Stimme hielt sie noch einmal zurück. „Ihr braucht euch sicher<br />

nicht Händchen halten beim Heranschaffen einiger einfacher Zettel. Es reicht, wenn einer von<br />

euch geht.“ So setzte sich die Hälfte der Gefangenen schnell wieder hin, während die andere<br />

Hälfte in die Zimmer eilte und Augenblicke später mit den schon vor dem überraschenden<br />

Auftauchen von Beth und Micks fertig ausgefüllten Fragebögen wieder an den Tisch zurück-<br />

kam.<br />

Da der Major im Raum blieb, sie hatte sich auf den mitgebrachten Stuhl gesetzt und<br />

beobachtete die nervösen Gefangenen, kam keine Unterhaltung auf. Einige, wie Sawyer oder<br />

auch House starrten verbissen vor sich hin. Hier wieder einmal gezwungen zu sein, sich<br />

seelisch zu entblättern, machte ihnen ziemliche Schwierigkeiten. <strong>Die</strong> halbe Stunde, bis Mick<br />

und Beth wieder an den Tisch zurückkamen, schien wie im Fluge zu vergehen. Als sie sich<br />

still wieder an ihren Platz gesetzt hatten, sah Major Garreau sich um. „Ihr seht nicht sehr be-<br />

geistert aus. Nun, das ändert nichts an der Tatsache, dass wir einen netten Abend verbringen<br />

werden. Wir werden ausgiebig über euch, eure Ängste, eure Hoffnungen sprechen. Nummer<br />

3, lies bitte die Fragen noch einmal vor, und dann geht es fröhlich los.“ Sawyer nickte. „Ja,<br />

Ma’am.“ Dann fing er an, die Fragen laut vorzulesen.<br />

„Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden:<br />

Zähle alle Unfälle auf, die du hattest:<br />

Nenne alle Krankheiten, die du hattest:<br />

Nenne deine fünf hauptsächlichen Ängste:<br />

337


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nenne in deiner Ausbildung erworbene Fertigkeiten, Stärken und Schwächen:<br />

Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt:<br />

Gewinnst du leicht Freunde:<br />

Sind deine Freundschaften von Dauer:<br />

Informationen über dein Sexualleben<br />

Einstellung deiner Eltern Sexualität gegenüber:<br />

Wann und wie bist du sexuell aufgeklärt worden:<br />

Hattest du im Zusammenhang mit Sex oder Masturbation jemals irgendwelche Angst<br />

- oder Schuldgefühle: (wenn "ja" bitte näher ausführen).<br />

Gibt es irgendwelche Besonderheiten bezüglich deiner ersten sexuellen Erfahrung:<br />

Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden:<br />

Bist du sexuell in irgendeiner Hinsicht gehemmt:<br />

In welchem Alter hattest du die erste Periode:<br />

Hast du dabei Schmerzen:<br />

Beeinflusst die Periode deine Stimmung:<br />

Daten über deine Familie<br />

Beziehung zu deinen Geschwistern früher und heute:<br />

Beschreibe die Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber:<br />

Beschreibe die Persönlichkeit deiner Mutter und ihre Einstellung dir gegenüber:<br />

In welcher Form wurdest du von deinen Eltern bestraft, als du noch ein Kind warst:<br />

Schildere die Atmosphäre in deinem Elternhaus (wie vertrugen die Eltern sich mit-<br />

einander und mit den Kindern):<br />

Konntest du deinen Eltern vertrauen:<br />

Haben deine Eltern Verständnis für dich gezeigt:<br />

Was haben deine Eltern beruflich gemacht:<br />

Ich bin ein Mensch, der...<br />

Mein ganzes Leben lang...<br />

Von der Zeit an, als ich noch ein Kind war...<br />

Eine Sache auf die ich stolz bin, ist...<br />

Ich gebe ungern zu...<br />

Eine Sache, die ich nicht verzeihen kann, ist...<br />

Eine Sache, bei der ich <strong>mich</strong> schuldig fühle, ist...<br />

Was ich von meiner Mutter benötigte und was sie mir niemals gab, war...<br />

Was ich von meinem Vater benötigte und was er mir niemals gab, war...<br />

338


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibt es in deinem gegenwärtigen Verhalten etwas, das du gerne ändern würdest:<br />

Welche Gefühle möchtest du verändern (zum Beispielintensivieren oder abbauen):<br />

Welche Empfindungen sind besonders angenehm für dich:<br />

Welche Empfindungen sind besonders unangenehm für dich:<br />

Beschreibe eine für dich sehr angenehme Phantasievorstellung:<br />

Beschreibe eine für dich sehr unangenehme Phantasievorstellung:<br />

Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude bringt:<br />

Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt:“<br />

Der Major nickte zufrieden. „Na, dann, Freiwillige vor.“ Heather wurde rot, machte<br />

keine Anstalten, den Reigen zu beginnen, aber Dana hatte weniger Probleme. Nach Dana fing<br />

Abby verlegen an, vorzulesen, dann fasste Beth sich ein Herz und las ihren ausgefüllten<br />

Bogen vor. Bei der Frage: „Bist du mit deinem gegenwärtigen Sexualleben zufrieden?“,<br />

wurde die junge Frau rot und sah erst Bones, dann Mick an. Dann las sie ihre Antwort vor.<br />

„Ja, mehr als zufrieden.“ Der Major sah sie scharf an. „Details darfst du uns gerne ersparen.“<br />

Als Beth schließlich fertig war, machte Locke weiter, dann kam Gibbs und dann Mick an die<br />

Reihe. „Nenne alle chirurgischen Eingriffe, die bei dir durchgeführt wurden: Als Kind wurden<br />

mir die Mandeln entfernt. Im Krieg habe ich einen Bauchschuss abbekommen, wurde operiert<br />

und lag über einen Monat im Lazarett. Dann war erst mal nichts mehr, bis ich zum Vampir<br />

wurde. Danach habe ich mir ungefähr dreihundert Kugeln mit einer Zange oder einem Messer<br />

entfernt, oder entfernen lassen, wenn ich nicht alleine dran kam, zählt das als chirurgischer<br />

Eingriff? Messer und andere stechende Gegenstände heraus zu ziehen dann wohl auch.“<br />

schlagen.“<br />

„Bin ja gespannt, wie weit Patty diese frechen Antworten zulässt.“<br />

„Na, wie ich unseren Drachen kenne, wird sie demnächst um sich<br />

„Dann möchte ich nicht einer der armen Schweine da unten sein.“<br />

„Ach, nun übertreib mal nicht. So schlimm ist Patty gar nicht. Ich war vor<br />

kurzem mit ihr Essen.“<br />

„Du warst was? Essen? Mit Patty Deluca?“<br />

„Jepp.“<br />

„Man, Alter. Erzähl. Hat sie dich ran gelassen?“<br />

„Das werde ich dir bestimmt nicht unter die Nase reiben.“<br />

Sawyer, House und Mulder grinsten. Der Major schien das weniger erheiternd zu<br />

finden. „Wir können jederzeit dafür sorgen, dass zu den bisherigen Stichwunden noch ein<br />

339


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

paar mehr kommen.“, sagte sie kalt. „Weiter.“, befahl sie dann. Mick las weiter vor und kam<br />

schließlich zur Frage: „Wurdest du jemals hereingelegt oder ernsthaft gehänselt: Zählt gegen<br />

meinen Willen zum Monster gemacht zu werden als Hereinlegen?“ Der Major fixierte Mick<br />

kalt, sagte aber nichts weiter. So machte der Vampir weiter. Schließlich kam er zur letzten<br />

Frage. „Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt: Sonst habe<br />

ich keine Beziehungen. Und was ich über die Beziehung zu euch denke, wollt ihr nicht wissen<br />

...“ Beth zog unwillkürlich den Kopf ein, aber es erfolgte keine Strafe oder Tadel. Ohne Pause<br />

ging es gleich weiter. Kate und Booth waren die Nächsten. Der junge Agent blieb an der<br />

Frage nach der Beziehung mit seinen Eltern hängen. Major Garreau sah ihn scharf an und<br />

sagte dann mit klirrender Kälte in der Stimme: „Du möchtest sicher nicht, dass wir dein Ge-<br />

dächtnis auffrischen, was das Befolgen von klaren Befehlen betrifft, oder? Lass uns alle Teil-<br />

haben an deiner Kindheit und kläre deine Freunde hier über einen Punkt in deinem Leben auf,<br />

den du bisher geschickt vermieden hast, anzusprechen.“ Bones warf Booth einen fragenden<br />

Blick zu. Gab es etwas, was sie nicht wusste? Booth wand sich vor Verzweiflung, dann aber<br />

fing er leise an vorzulesen: „Mein Vater ... ist Alkoholiker. Mein Bruder und ich ...“ Er<br />

stockte, und konnte zu seinem großen Ärger nicht verhindern, dass ihm Tränen über die<br />

Wangen kullerten. „Wir wurden als Kinder und Jugendliche ... Er hat uns regelmäßig ...<br />

Verdammt, wir wurden misshandelt ... Er hat uns geschlagen ... Nicht gerade krankenhausreif,<br />

aber stark genug, dass wir oft nicht in die Schule gehen konnten, da die blauen Flecken auf-<br />

gefallen wären.“<br />

Vollkommen verzweifelt schwieg Booth. Bones, aber auch Kate, House und Locke<br />

sahen den FBI Agent mitleidig an. Und Bones legte ihm einen Arm um die schlanke Taille.<br />

„Ist schon gut, Schatz. Das ist nichts Schlimmes und du kannst nichts dafür. Du brauchst dich<br />

nicht zu schämen.“ Booth brauchte ein paar Minuten, um sich zu fangen, dann las er seine<br />

restlichen Antworten schnell zu Ende vor. Jetzt sah der Major Bones scharf an. <strong>Die</strong>se nickte.<br />

Dann begann sie, ihre Einträge vorzulesen. Auf die Frage: „Zähle alle Unfälle auf, die du<br />

hattest.“ antwortete Tempe „Ich stürzte als Kind vierzehn Meter in die Tiefe.“ House kniff<br />

die Augen zusammen. Bisher hatte jeder einzelne, abgesehen von Beth und Mick, von einem<br />

fast tödlichen Unfall in der Kindheit berichtet. Bei Booth war es ein Unfall im Pool gewesen,<br />

Dana hatte von einem fast tödlichen Stromschlag berichtet. Kate, das wussten ja alle bereits,<br />

war als Kind verschüttet worden. Heather hatte angegeben, einen Absturz in den Bergen<br />

nahezu unverletzt überlebt zu haben, Locke wäre nach dem Stich einer Wespe in den Hals fast<br />

erstickt. Bei Allison war es Abflussreiniger gewesen, bei Abby der Biss des Hundes mit an-<br />

schließender Tollwuterkrankung und bei Gibbs ebenfalls ein Badeunfall. House lauschte an-<br />

gespannt, was noch folgen würde.<br />

340


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nach Tempe war Ziva an der Reihe. <strong>Die</strong> junge Agentin las ihre Antworten ruhig vor.<br />

„Ich wäre als Kind fast ertrunken. Und ich hatte ein paar Autounfälle. Okay, fünfzehn Auto-<br />

unfälle. Aber mindestens vier davon waren überhaupt nicht meine Schuld.“ <strong>Die</strong> Frage nach<br />

den Beziehungen zu ihren Geschwistern beantwortete sie mit: „Mit meinem Halbbruder kam<br />

ich gut klar, bis ich ihn umgebracht habe. Zu meiner Schwester hatte ich ein sehr enges Ver-<br />

hältnis, bis sie umgebracht wurde.“ Beth schauderte. Was diese junge Frau mit gemacht hatte<br />

überstieg ihre Vorstellungskraft. <strong>Die</strong> letzte Frage beantwortete Ziva auch sehr deutlich: „Da<br />

wären etliche Terroristen, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen sind (die sind<br />

aber fast alle tot) mein Vater und natürlich ihr.“ Verbissen schwieg Ziva, halb und halb damit<br />

rechnend, bestraft zu werden, aber es erfolgte keine Maßregelung.<br />

Jake war der Nächste, den der Major scharf anschaute und zähneknirschend las der<br />

junge Mann seine Antworten vor. „Minderwertigkeitsgefühle, kann keine Entscheidungen<br />

treffen, kann keine Arbeitsstelle behalten.“ „So schätzt du dich selbst ein? Das finde ich sehr<br />

interessant.“ Major Garreau taxierte Jake und sagte dann: „Weiter, 2.“ Und Nummer 2 las<br />

weiter. „Wertlos, ein Niemand, unzulänglich, Schuldgefühle, gehetzt, feige, deprimiert, ruhe-<br />

los.“ Heather konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Wenn sie doch<br />

nur irgendetwas hätte tun können, um Jake ein besseres Bild von sich zu vermitteln. <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen schauten betroffen auf den Tisch und vermieden es, Jake anzuschauen. <strong>Die</strong>ser<br />

machte leise weiter. Schließlich kam er zur letzten Frage. „Beschreibe jede zwischenmensch-<br />

liche Beziehung, die dir Kummer bringt: <strong>Die</strong> zu meinem Vater und zu meinem Bruder. Meine<br />

Gefühle sind da ambivalent. Ach, und ehe ich es vergesse, die Beziehung mit euch macht<br />

auch nicht viel Spaß.“ Auch bei ihm erfolgte keine Ermahnung. House war aufgefallen, dass<br />

auch Jake ein Nahtod-Erlebnis gehabt hatte. Ertrinken. Er war gespannt, was bei Sawyer und<br />

Mulder kommen würde.<br />

Sawyer musste jetzt in den sauren Apfel beißen und starrte verbissen auf den Frage-<br />

bogen, las dann leise vor. „Nächtliche Ängste, Ängste, Bettnässen, unglückliche Kindheit.“<br />

Er konnte seinen Leidensgenossen nicht in die Augen schauen und las weiter. „Krankheiten,<br />

die ich hatte: Als Kind hatte ich eine sehr schwere Angina, danach sind die Mandeln entfernt<br />

worden, ich kann <strong>mich</strong> nicht erinnern, außer nach Boxkämpfen im Knast noch was gehabt zu<br />

haben. Okay, als junger Mann hab ich mir mal einen Tripper geholt. Und natürlich die kleinen<br />

Späße, die ich hier so einstecken musste.“ Unwillkürlich zog er den Kopf ein. Hastig las er<br />

weiter vor. „Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Müdigkeit, Albträume, Gespanntheit, Selbst-<br />

mordgedanken, will keine Freunde gewinnen, Minderwertigkeitsgefühle, Einsamkeit, wertlos,<br />

ein Niemand, das Leben ist ... war leer, Schuldgefühle, verworfen, feindselig, voller Hass,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aggressiv, ruhelos, deprimiert, einsam, ungeliebt, voller Vorwürfe.“ Er schwieg, musste einige<br />

Male tief durch atmen. Bei der Frage nach „Ich bin ein Mensch der ...“, warf er Kate einen<br />

entschuldigenden Blick zu. Der jungen Frau standen, wie Heather, Tränen in den Augen. „...<br />

Angst vor Bindungen hatte und immer noch hat ...“ Als er auf die Frage, worauf er stolz sei,<br />

vorlas: „Nichts, absolut nichts.“, konnte Kate die Tränen nicht mehr zurück halten. Leise las<br />

Sawyer die Antwort auf die Frage nach den Beziehungen, die ihm Freude bereiteten vor. „Das<br />

Zusammensein mit Kate. Ich mag Mulder, und alle anderen hier ...“ Schließlich hatte er alles<br />

vorgelesen und schwieg, erschöpft, fertig.<br />

Nun musste House vortragen, Garreau sah ihn auffordernd an. Schnell und ohne<br />

Pausen las der Arzt seine Antworten vor. Er stockte allerdings an einer Stelle. „Beschreibe die<br />

Persönlichkeit deines Vaters und seine Einstellung dir gegenüber: Er ist ein Arschloch.<br />

Dominant, hatte Spaß daran <strong>mich</strong> zu quälen. Ihr würdet ihn mögen.“ Erschrocken sog Allison<br />

die Luft ein, aber selbst jetzt erfolgte kein Verweis. House machte weiter und schloss mit der<br />

Frage nach den Beziehungen, die ihm Kummer bereiteten. „<strong>Die</strong> zu allen anderen Menschen.<br />

Menschen nerven. Okay, einige von den anderen Gefangenen hier nerven weniger als andere<br />

Leute. Einige sind ganz okay.“ Er warf seinen Fragebogen angewidert auf den Tisch. Und<br />

wartete gespannt auf Mulder. Hatte auch der FBI Agent einen schweren Unfall in der Kind-<br />

heit gehabt, war das eine weitere Verbindung, die sie alle hatten. Mulder ließ sich auch nicht<br />

lange bitten. Er las nun als Letzter seine Antworten vor. House war nicht mehr überrascht,<br />

dass Mulder angab, als Kind um Haaresbreite ertrunken zu sein. Auf die Frage zu Angst oder<br />

Schuldgefühlen in Bezug auf Sex grinste Mulder wie ein Junge. „Ich habe eine Porno-<br />

sammlung, die Beate Uhse neidisch machen würde. Scully weiß das. Nein, ich habe weder<br />

Angst noch Schuldgefühle.“ Scully verdrehte die Augen. Wie so oft dachte sie - Du hast zwei<br />

Söhne, Dana. - und sah Mulder verliebt an. Und dieser machte weiter. Schließlich war er bei<br />

der letzten Frage angelangt. „Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Freude<br />

bringt. Nun, abgesehen von Scully habe ich hier einige Menschen getroffen, die mir sehr<br />

wertvoll sind. Beschreibe jede zwischenmenschliche Beziehung, die dir Kummer bringt. Ich<br />

habe hier aber auch sehr viele Menschen getroffen, die ich gerne umbringen möchte, wenn ich<br />

das so sagen darf.“<br />

Erst einmal herrschte Schweigen. In Mulders und House’ Gesichtern arbeitete es. Dem<br />

Major entging das nicht. Sie trat hinter Mulder und legte diesem leutselig eine Hand auf die<br />

Schulter. Angewidert verzog Spooky das Gesicht. Er musste sich mit aller Kraft beherrschen,<br />

um die Hand nicht einfach abzuschütteln. „Nun, FBI Special Agent Fox William Mulder,<br />

<strong>Die</strong>nstmarken Nummer JTT04701111, lass uns an deinen geistigen Ergüssen teilhaben. Ich<br />

sehe dir an, dass dein überragendes Hirn etwas ausbrütet.“ Mulder überlegte kurz, dann bat er<br />

342


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ma’am, darf ich mir Notizen machen, bitte?“ Garreau lachte. Sie drückte Mulder einen Stift<br />

in die Hand und dieser legte mit einigen Strichen eine Liste auf der Rückseite der letzten Seite<br />

seines Fragebogens an. Bei einigen wenigen musste er noch einmal nachfragen, aber dann<br />

war seine Liste fertig.<br />

Name Vater<br />

Booth US Army Pilot: Captain<br />

Jake US Marine: First Leutnant<br />

Sawyer Ehem. US Army: Private First<br />

Class<br />

House US Army: Colonel<br />

Ziva Ehem. <strong>Die</strong>nst US Navy: Petty<br />

Officer 3.rd Class,<br />

Bones Ehem. US Army: Staff Sergeant<br />

Dana US Navy: Leutnant Commander<br />

Kate US Army: Sergeant<br />

Heather Ehem. US Army: Private First<br />

Class<br />

Allison US Army: Sergeant Major<br />

Locke Ehem. US Army: Corporal<br />

Abby Ehem. US Army Ranger: Corpo-<br />

ral<br />

Mulder Ehem. US Navy: Captain<br />

Gibbs US Navy: Leutnant Commander<br />

„Deine Erkenntnis, 15?“ Garreau fragte lauernd. Mulder sah ungläubig auf die Liste<br />

herunter. Dann erklärte er leise: „Der Vater jedes Einzelnen von uns war in der Army. Ist das<br />

ein Zufall?“ House fuhr dazwischen. „Lege eine zweite Liste an, Meister. Mach schon.“<br />

Garreau ließ sie gewähren ...<br />

Name Unfall<br />

Booth Fast ertrunken<br />

Jake Fast ertrunken<br />

343


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer Fast ertrunken<br />

House Kobrabiss<br />

Ziva Fast ertrunken<br />

Bones Tiefer Sturz<br />

Dana Schwerer Stromschlag<br />

Kate Verschüttet<br />

Heather Tiefer Sturz<br />

Allison Vergiftung mit Ab-<br />

flussreiniger<br />

Locke Wespenstich, fast er-<br />

stickt<br />

Abby Tollwut<br />

Mulder Fast ertrunken<br />

Gibbs Fast ertrunken<br />

Sprachlos starrten alle Gefangenen, einschließlich Beth und Mick, die von dieser<br />

überwältigenden Neuigkeit nicht betroffen waren, vor sich hin. Und House setzte noch einen<br />

drauf. „Ist euch je aufgefallen, dass ihr ... <strong>Über</strong>legt mal, wem von euch allen wird gute Heil-<br />

haut nachgesagt?“ Er selbst hob die Hand, Allison folgte und nach und nach reckten sich<br />

zwölf weitere Hände in die Höhe. Sprachlosigkeit herrschte erst einmal am Tisch. Major<br />

Garreau stand immer noch hinter Mulder und erklärte gut gelaunt: „Na, da haben wir ja etwas,<br />

worüber wir nachdenken können, was? Nun aber, da wir gerade so schön aufgeschlossen sind,<br />

machen wir mal weiter. Ich möchte, dass jeder von euch seine Ängste mit eigenen Worten<br />

beschreibt, die Physischen, also die Ängste vor realen Gefahren ebenso wie die rein<br />

Psychischen, verstanden? Und weil ihr alle so schön zählen gelernt habt, machen wir es<br />

wieder wie gehabt, den Nummern nach.“<br />

<strong>Über</strong> die Angst<br />

Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: wovor?<br />

Frank Thieß<br />

344


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Garreau ließ den Gefangenen kurz Zeit, über das Gefragte nachzudenken, dann sah sie<br />

Booth an. <strong>Die</strong>ser senkte den Blick auf den Tisch vor ihm, schloss kurz die Augen und seufzte.<br />

Dann fing er leise an zu Reden. „Das ich ... Was soll’s, dass ich eine höllische Angst vorm<br />

Zahnarzt habe, ist wohl keinem von euch entgangen. <strong>Die</strong> ... sanften Behandlungsmethoden<br />

hier waren da sicher hilfreich ...“ Bevor Booth es noch verhindern konnte, waren ihm die<br />

Worte schon heraus gerutscht. Er zog den Kopf ein und redete hastig weiter. „Ich mag keine<br />

Clowns ... Ob das, wie Bones meint, schon ... naja, eine Phobie ist, weiß ich nicht, wie<br />

definiert man Phobie? Wenn man schreiend vor etwas weg läuft? Das tue ich sicher nicht,<br />

aber ich hab die bunten Kameraden einfach nicht gerne in meiner unmittelbaren Nähe.“ Er<br />

machte erneut eine kurze Pause, dann fuhr er fort: „Ich weiß nicht, ob es hier nur um die wirk-<br />

lich schlimmen Ängste geht.“ Er warf Garreau einen fragenden Blick zu. <strong>Die</strong>se schüttelte den<br />

Kopf und erklärte: „Nicht zwangsläufig, nicht jeder hier hat ausgewachsene Phobien. Ich<br />

möchte alles hören, was euch ängstigt.“ Booth biss sich auf die Lippe, dann meinte er: „Ich<br />

habe große Angst davor, dass meinem Sohn oder Bones etwas zustößt. Dank unserer lieben<br />

Gastgeber dürften wir wohl alle den Begriff Verlustangst für uns neu definieren. Ich muss<br />

leider auch zugeben, dass ich inzwischen eine nicht unwesentliche Angst davor habe, keine<br />

Luft mehr zu bekommen ...“ Verlegen verstummte Booth und sah Jake herausfordernd an.<br />

Garreau jedoch war noch nicht ganz zufrieden.<br />

„Nummer 1, ich möchte, dass du uns etwas über die Tatsache erzählst, dass du es<br />

hasst, die Kontrolle über Situationen zu verlieren.“ Booth nickte ergeben. „Ich glaube, das<br />

haben wohl inzwischen viele von uns, ich konnte es allerdings auch vorher schon nicht leiden.<br />

Ich ... Meine Ex meinte immer, ich sei ein Kontrollfreak, allerdings habe ich daran hart ge-<br />

arbeitet. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht alles in meiner Umgebung unter Kontrolle habe,<br />

zu versagen. Ach, und ehe ich es vergesse, ich habe ziemliche Panik davor, rückfällig zu<br />

werden ... Spielsucht, okay.“ Der Major nickte zufrieden. Sie sah zu Jake hinüber und meinte<br />

dann beinahe sanft: „Nun, Nummer 2, und denke daran, wie ihr alle hier übrigens, dass ich<br />

eure Ängste kenne, also versucht gar nicht erst, etwas zu verheimlichen, ihr wisst, wir sind<br />

durchaus im Stande, euren teilweise erheblichen Ängsten noch ein paar weitere hinzu zu<br />

fügen ...“ Sie ließ diese Drohung im Raum schweben.<br />

Jake malte mit dem linken Zeigefinger unbewusst auf der Tischplatte herum. Leise<br />

fing er an zu sprechen. „Wie Booth schon sagte, sind hier natürlich einige Ängste gefördert<br />

worden. Allen voran die Angst, Heather zu verlieren. Das ist wohl aber normal, in einer<br />

Situation wie dieser hier. Ich ... Während eines Einsatzes wäre ich fast mal erfroren. Ich habe<br />

seit dem eine ziemliche Angst davor, großer Kälte ausgesetzt zu sein. Dann ... Seit meiner<br />

345


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kindheit schon habe ich ...“ Er wurde feuerrot und verstummte hoffnungslos verlegen.<br />

Garreau sah ihn streng an und schaute dann wie zufällig zu Heather hinüber. Jake beeilte sich,<br />

fortzufahren „Ich habe ... Oh, man, ich habe eine ausgewachsene Schlangenphobie.“ Jake saß<br />

mit hochrotem Kopf am Tisch und wand sich vor Verlegenheit. „Schon seit ich ein Kind war<br />

... Ich kann nicht sagen, warum. Ich weiß verstandesmäßig selbst, dass die meisten Schlangen<br />

einem nichts tun, wenn man sie in Frieden lässt, aber mein Körper macht beim Anblick einer<br />

Schlange genau das Gegenteil von dem, was er sollte ...“ Garreau fixierte Jake. „Dem werden<br />

wir uns noch widmen, erzähle erst einmal von deiner Angst, zu erfrieren.“<br />

Jake war bei dem Hinweis auf das Widmen blass geworden und sein Herz raste plötz-<br />

lich. Atemlos sagte er: „Was soll ich da groß sagen ... <strong>Die</strong>ses Gefühl, nichts dagegen machen<br />

zu können, dass man immer benommener, immer müder wird und schließlich den Wunsch<br />

hat, einfach nur noch einzuschlafen in dem sicheren Bewusstsein, nie wieder aufzuwachen ist<br />

eine ganz andere Art von Bedrohung, als zum Beispiel beschossen zu werden. Man fühlt sich<br />

irgendwie hilfloser.“ Garreau sah Bones an. „Definiere Kältetod, Nummer 6.“ Leise erklärte<br />

diese: „Ja, Ma’am. Der Nucleus preopticus im Hypothalamus ...“ Garreau unterbrach die<br />

junge Frau. „Nummer 6, so, dass alle es verstehen, klar?“ Bones nickte. „Entschuldigung, ja,<br />

natürlich, Ma’am. Also, aufgrund des Wärmeregulationszentrums im Gehirn kann der<br />

menschliche Körper die Körpertemperatur konstant bei 37ºC halten, allerdings nicht für un-<br />

begrenzte Zeit. Wenn der Wärmeverlust bei einem Aufenthalt in heftiger Kälte größer wird<br />

als die vom Körper mögliche Wärmeproduktion kommt es zur Unterkühlung. Von all-<br />

gemeiner Unterkühlung spricht man bei einer Körpertemperatur unter 35ºC. Ein Absinken der<br />

Körperkerntemperatur unter 26ºC bis 28 ºC führt neben einer deutlichen Verlangsamung der<br />

Stoffwechselvorgänge schließlich zur Atemlähmung und Herzrhythmusstörungen, und dann<br />

zum Exitus. Eine Abnahme der Herzleistung und der Sauerstoffversorgung der Körpergewebe<br />

führt unter anderem zu Hirnfunktionsstörungen, geminderte Kritikfähigkeit, Benommenheit<br />

und Bewusstlosigkeit. Bei einer Unterkühlung treten Sinnestäuschungen und euphorische<br />

Zustände auf, was infolge eines paradoxen Wärmegefühls vor Eintritt der Bewusstlosigkeit<br />

dazu führt, dass sich Unterkühlte oft entkleiden. <strong>Die</strong>s kann beim Auffinden von Kälteopfern<br />

leicht den Eindruck erwecken, dass es sich um ein Sexualdelikt handelt.“ Bones schwieg.<br />

Garreau schien zufrieden. Sie wandte sich Sawyer zu.<br />

„Nicht, dass es nicht schon zur Sprache gekommen ist ... Ich habe extreme Verlust-<br />

angst, gepaart mit Bindungsängsten. Allerdings kann ich sagen, dass es dank des Kuraufent-<br />

haltes hier besser geworden ist. Jedenfalls die Bindungsangst. Als Kind habe ich große Angst<br />

vor lauten Knalls gehabt. Nach den tödlichen Schüssen meines Vaters kein Wunder. Ich<br />

346


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

reagiere etwas empfindlich auf Kopfschmerzen, habe eine Heidenangst davor, einen Hirn-<br />

tumor zu bekommen. Soll ja erblich sein ...“ Sawyers Stimme wurde immer leiser, er schämte<br />

sich wie Jake, seine Ängste hier so offen legen zu müssen. Aber er redete weiter. „Sehr große<br />

Angst, die größte Angst überhaupt, habe ich davor, Kate zu verlieren. Mein eigenes Leben<br />

war mir nie wichtig und wenn Kate nicht wäre, nun, wie soll ich es ausdrücken ... Dann wäre<br />

ich schon lange nicht mehr hier.“ Garreau grinste gemein. „Den Wunsch verspürst du jetzt<br />

nicht mehr? Das ist doch sehr schön zu wissen. Du hast, wie 1 und 2, keine übermäßige Angst<br />

vor Schmerzen?“ Sawyer zuckte die Schultern. „Wer mag schon Schmerzen, abgesehen von<br />

ein paar wenigen, kranken Menschen? Ich mag sie jedenfalls auch nicht, und ein gewisses<br />

Maß an Angst hat wohl jeder, der nicht einen Knall hat. Aber ich ... Ich gerate nicht in Panik<br />

bei dem Gedanken, dass etwas wehtun könnte, nein.“ Garreau sah Sawyer scharf an.<br />

Gnadenlos erklärte sie: „Komm schon, Nummer 3, da gibt es noch etwas, dass du bisher<br />

keinem verraten hast, nicht mal deinem Betthäschen.“ Sawyer lief dunkelrot an. Dann<br />

flüsterte er: „Ich habe ... panische Angst vor ... Spinnen ...“ „Auch damit werden wir uns be-<br />

schäftigen.“ Garreau sah Sawyer lange an und nickte.<br />

„Das sieht bei dir genau anders herum aus, Nummer 4, richtig?“ Garreau zuckte zu<br />

House herum. Ertappt und überrascht stieß dieser hervor „Ja, Ma’am, scheint wohl so, ich<br />

habe keine Arachnophobie, dafür ... Ich habe Angst vor Schmerzen, ja, sonst wäre ich nicht<br />

Vicodin süchtig geworden. Wenn ich auch einen gewissen Selbstzerstörungstrieb mein Eigen<br />

nennen könnte, resultiert diese Selbstzerstörung nicht zwangsläufig in Schmerzen. Wer wie<br />

ich die Schmerzen eines Muskelinfarktes kennen lernen durfte, wird nachvollziehen können,<br />

dass es deutlich angenehmeres im Leben gibt. Ich habe kein Problem damit, zuzugeben, dass<br />

ich höllische Manschetten vor Schmerzen habe. Und ich habe ebenfalls starke Bindungs-<br />

ängste, das streite ich nicht ab. Keiner sollte jedoch den Fehler machen, meine Angst vor Ver-<br />

lusten und Schmerzen mit einem Mangel an Mut in Verbindung zu bringen.“ Keiner in der<br />

Runde lachte oder verzog auch nur die Lippen. Alle hatten kennen gelernt, dass House sehr<br />

wohl Mut hatte. Garreau sah Ziva an. <strong>Die</strong>se nickte unmerklich. Ruhig sagte sie: „Ich leide an<br />

extremer Klaustrophobie. Ich weiß nicht, warum ich das tue, ich weiß nur, dass es so ist. Ich<br />

werde wahnsinnig, wenn man <strong>mich</strong> in enge, kleine Räume sperrt. Das war bei der Kiste ja<br />

sicher überdeutlich zu sehen. Ansonsten wüsste ich nicht, dass mir irgendetwas so viel Angst<br />

macht, dass es hier erwähnenswert wäre.“<br />

Garreau schien das ähnlich zu sehen, denn sie sah bereits Bones an. „Ich ... Okay, ich<br />

weiß von keinen physischen Ängsten, abgesehen davon, dass ich irrationaler weise eine ge-<br />

wisse Abneigung gegen große Mengen von Schlangen habe. Andererseits kann ich problem-<br />

347


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

los einzelne Schlangen in meiner Nähe ertragen, habe kein Problem, sie anzufassen. Da man<br />

nun im Allgemeinen nicht auf größere Ansammlungen von Schlangen trifft, empfinde ich die<br />

Angst vor großen Mengen dieser Tiere nicht als Belastung. Auch eine gewisse Verlustangst<br />

gestatte ich mir, ohne deswegen in Depressionen zu verfallen, niemand möchte Menschen, die<br />

lieb und teuer sind, verlieren. <strong>Die</strong>se Angst resultiert also eindeutig aus einem gesunden<br />

Selbstschutz heraus und ist daher nicht unnormal. Sie beeinträchtigt mein Leben nicht. Echte<br />

Phobien tun dies. Dadurch, dass ich zugebe, dass ich Booth liebe und dadurch, dass ich ge-<br />

merkt habe, dass mir viele meiner Mitgefangenen sehr am Herzen liegen, habe ich einen<br />

großen Schritt in Richtung normaler sozialer Kontaktknüpfung getan. Somit muss ich zu-<br />

geben, dass mir der Aufenthalt hier nicht nur Negatives gebracht hat.“<br />

Booth musste sich weg drehen, damit Bones sein Grinsen nicht sah. Sie war einmalig.<br />

Nicht genug, dass sie sich selbst präzise analysierte, nein, sie therapierte sich auch noch<br />

gleich selbst und bewertete diese Therapie obendrein auch noch selbstständig. Der Major<br />

schien aber mit Bones Analyse durchaus zufrieden zu sein, denn die Frau wandte sich Dana<br />

zu. „Nun, Nummer 7, abgesehen von deiner ständigen, durchaus verständlichen Angst um<br />

Nummer 15, der ja bekannter maßen ein wenig ... unfallgefährdet ist, worin liegen deine<br />

Ängste?“ Dana war klar, dass sie unter einer deutlichen Ophiophobie, der heftigen Angst vor<br />

Schlangen, egal, wie viele, litt, wie Jake. Verlegen erklärte sie: „Im Gegensatz zu Temperance<br />

habe ich eine ausgewachsene Schlangenphobie, ich nehme an, wie Jake. Mein älterer Bruder<br />

hat es als Jugendlicher einmal sehr witzig gefunden, mir eine harmlose Kornnatter in mein<br />

Bett zu legen. Ich habe einen hysterischen Schreikrampf bekommen, mein Bruder vier<br />

Wochen Hausarrest und ich durfte <strong>mich</strong> danach mit der panischen Angst vor allem, was keine<br />

Beine hatte, herum schlagen. Glücklicherweise bin ich sonst kein ängstlicher Mensch, das<br />

könnte ich in meinem Job auch nicht gebrauchen.“ Dana schwieg verschämt und wie schon<br />

bei Jake, sowie bei Sawyer und den Spinnen meinte Garreau leise, aber klar vernehmlich: „Da<br />

werden wir uns drum kümmern ... Nun, Nummer 8, lass uns Einblick in deine Ängste be-<br />

kommen.“<br />

Kate nickte. „Ja, also, ich habe wohl, wie Ziva, akute Platzangst. Seitdem ich als Kind<br />

unter dem Sand verschüttet war ... Naja, und dann das ständige eingesperrt sein im Keller, im<br />

Schrank, stundenlang, bei ziemlicher Dunkelheit ... Ich ertrage enge Räume nicht, dunkle<br />

enge Räume noch weniger. Am Schlimmsten ist es, wenn ich in meinen Bewegungen zusätz-<br />

lich eingeschränkt bin. Ohne Sawyer hätte ich die Kiste nicht unbeschadet überstanden. Sonst<br />

habe ich glaube ich nur normale Ängste, wie jeder Mensch. <strong>Die</strong> Angst davor, Sawyer zu ver-<br />

lieren ... Sie ist ... sie ist das Schlimmste überhaupt. Ich würde wirklich alles tun ... alles.“<br />

348


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate sah Sawyer an und griff unbewusst nach seiner Hand. „<strong>Die</strong> Gelegenheit bekommst du<br />

vielleicht noch. Okay, Nummer 9?“ Heather zuckte zusammen und stotterte: „Ich habe keine<br />

... Ich glaube nicht, dass ... Eine richtige Phobie habe ich bestimmt nicht. Mich ängstigen<br />

Dinge, die jeden Menschen ängstigen. Aber nichts davon so, dass ich ... naja, wirklich eine<br />

Belastung ist nichts davon. <strong>Die</strong> größte Angst ist ... wie bei Kate, dass Jake etwas ... Das<br />

könnte ich nicht ... Aber sonst habe ich keine übertriebenen Ängste.“ Verlegen schwieg sie<br />

und Garreau machte gleich weiter.<br />

„Nummer 10?“ Allison stieß hervor „Ja, Ma’am. Höhenangst. Ich leide an<br />

Akrophobie. Das ist manchmal sehr unangenehm. Wenn ich sehen kann, wie tief es runter<br />

geht ... Davor habe ich entsetzliche Angst.“ Garreau nickte nur und sah dann Beth an. <strong>Die</strong>se<br />

erklärte: „Ich weiß, eigentlich bin ich nicht wichtig, oder? Aber wenn Sie <strong>mich</strong> schon Fragen,<br />

Ma’am: Nadeln. Ich verabscheue und fürchte alles, was wie eine Nadel aussieht, die man in<br />

<strong>mich</strong> pieksen kann. Sonst habe ich meines Wissens keine Angststörungen.“ Garreau musterte<br />

Beth abfällig. „Wenn du wüsstest, wie Recht du hast. Du bist tatsächlich unwichtig und über-<br />

flüssig, im Gegensatz zu Mr. Magic hier.“ Beth war, wie Mick, unter den kalten Worten zu-<br />

sammen gezuckt. Mit Tränen in den Augen starrte sie auf die Tischplatte. Es war nicht zu<br />

fassen, wie erniedrigend und demütigend es war, ständig gesagt zu bekommen, dass man<br />

vollkommen bedeutungslos, wertlos war. <strong>Die</strong> Journalistin, die sonst nie über Mangel an<br />

Selbstbewusstsein zu Klagen gehabt hatte, musste sich zwingen, nicht in Depressionen zu<br />

verfallen. Verzweifelt stieß sie hervor: „Ich bin nicht überflüssig.“ Sie spürte Micks Hand auf<br />

ihrer eigenen und hörte Garreau lachen.<br />

Locke hatte die kleine Szene bedrückt beobachtet und um Beth weitere Er-<br />

niedrigungen zu ersparen, fing er hastig an, zu Reden. „Ich habe Zeit Lebens darunter gelitten,<br />

dass man <strong>mich</strong> wegen meiner seltsamen Fähigkeiten ausgelacht hat. Ich hatte entsetzliche<br />

Angst davor, sie zu zeigen, weil ich genau wusste, es würde nur Hohn und Spott hervorrufen.<br />

Erst bei den Aborigines in Australien habe ich gelernt, stolz auf meine ... Gabe zu sein. Ich<br />

glaube, heute könnte ich es unbeeinträchtigt ertragen, wenn man <strong>mich</strong> verhöhnt. Physisch<br />

habe ich ziemliche Angst davor, bewegungsunfähig gemacht zu werden. Es ist ... Als ich nach<br />

dem Angriff meines ... Erzeugers gelähmt war, im Rollstuhl sitzen musste, war es die Hölle<br />

für <strong>mich</strong>. Bewegungsunfähig sein, durch äußere Umstände, assoziiere ich immer mit der<br />

Lähmung und es verursacht mir nackte Panik.“ Locke schwieg, Major Garreau machte eine<br />

weitere Notiz in ihr PDA und sah dann unmittelbar Mick an. „13, die Frage, ob du vor<br />

Vampiren Angst hast, erübrigt sich bei dir, also sei so nett, und teile deinen menschlichen<br />

Mitgefangenen mit, wovor ein Untoter wohl Angst haben könnte.“<br />

349


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Innerlich frustriert den Kopf schüttelnd über die Gemeinheit, zu der Garreau so locker<br />

fähig war, erklärte Mick: „Ich fürchte, die meisten meiner Ängste haben wenig mit der Tat-<br />

sache zu tun, dass ich untot bin. Sie sind nur zu menschlich. Ich empfinde Schmerzen zum<br />

Beispielwie ein Mensch, und mag sie daher genau so viel oder eher wenig wie jeder normale<br />

Mensch. Einige Dinge, die mir als Mensch große Angst gemacht haben, sind mit meiner<br />

Umwandlung vollkommen verschwunden. So hatte ich als Mensch ebenfalls unter starker<br />

Höhenangst zu leiden. Das ist nach der Wandlung natürlich verschwunden. Ich ... Heute ist<br />

meine einzige und größte Angst die ...“ Er schwieg kurz, dann stieß er hervor: „Ich könnte es<br />

nicht ertragen, einen Unschuldigen zu verletzen. Ich habe panische Angst davor, die Kontrolle<br />

über <strong>mich</strong> zu verlieren und Beth anzugreifen. Deshalb habe ich so lange gezögert, eine Be-<br />

ziehung mit ihr anzufangen. Ich hasse und verfluche meine Ex-Frau für das, was sie aus mir<br />

gemacht hat. Ich hasse nichts mehr als das, was ich bin.“ Garreau und die Mitgefangenen<br />

hatten aufmerksam zu gehört. Den <strong>Anderen</strong> tat der junge Mann unendlich leid. Garreau<br />

jedoch sah ihn an und kniff die Augen zusammen. Dann sagte sie sehr leise etwas in ihr<br />

Headset und befahl Mick, aufzustehen und neben sie zu treten.<br />

Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch erhob Mick sich und ging zu Major<br />

Garreau hinüber. Er stellte sich neben die Frau und in diesem Moment ging die Tür auf und<br />

ein Wachposten kam herein, gefolgt von einigen weiteren Wachen, die eigenartigerweise<br />

automatische Waffen in den Händen hielten. Mick beobachtete, wie der erste Wachmann<br />

Garreau einen länglichen Kasten in die Hand drückte und dann hinter Mick trat. Er griff nach<br />

dessen Handgelenken und ließ die Karabiner ineinander schnappen. Garreau nickte und der<br />

Wachposten trat zurück. <strong>Die</strong> Frau erhob sich und trat mit dem Kasten in der Hand hinter<br />

Mick. Im Raum herrschte eisiges Schweigen, fast schienen die Gefangenen das Atmen ein-<br />

gestellt zu haben. In die herrschende Stille hinein schoss der Major die nächsten Worte an<br />

Mick ab. „Geh auf die Knie.“ Beth stöhnte entsetzt auf, Mick spürte eine Gänsehaut über<br />

seinen Rücken krabbeln. Langsam ging er auf die Knie nieder. Immer verängstigter be-<br />

obachteten die <strong>Anderen</strong>, was weiter geschah. Garreau öffnete den Kasten und Beth entfuhr ein<br />

entsetztes Wimmern, als sie nun sah, was der Kasten beinhaltete. Aber nicht nur Beth konnte<br />

einen Laut des Entsetzens nicht mehr unterdrücken. Ein kollektives Ächzen ging durch die<br />

Gefangenen. Mick brauchte kein Hellseher sein, um zu wissen, was der Major aus dem<br />

Kasten gezogen hatte. <strong>Die</strong> Frau hielt ein schmales, sehr scharf aussehendes Schwert in der<br />

Hand.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ruhig sagte sie: „Nun, Mick St. John, wenn du es so sehr verabscheust, zu sein, was<br />

du nun einmal bist, ein Monster, ein Untoter, der nie wieder ein normales Leben wird führen<br />

können, verdammt dazu, dich von Blut lebender Wesen zu ernähren, warum, so frage ich<br />

<strong>mich</strong>, hast du dann deinem Dasein nicht schon lange ein Ende gesetzt?“ Mick wurde un-<br />

willkürlich steif und Beth schluchzte vollkommen hysterisch auf. Der Vampir starrte blicklos<br />

vor sich hin. Dann sagte er leise: „Ich weiß es nicht, Ma’am.“ „Hast du vielleicht Angst, es<br />

selbst zu tun? Ich nehme dir diese Arbeit gerne ab.“ Kalt kamen diese Worte und Mick er-<br />

starrte förmlich. Garreau trat seitlich neben Mick, der nun das Schwert als japanisches Soshu<br />

Kitae Katana Schwert identifizieren konnte. Er kannte sich mit japanischen Schwertern aus,<br />

dieses hier war eine Meisterarbeit, sicher einige tausend US Dollar wert und absolut geeignet,<br />

jemandem den Kopf von den Schultern zu holen. Hätte Micks Herz noch geschlagen, es hätte<br />

jetzt einen wilden Trommelwirbel von sich gegeben. Am Tisch herrschte, bis auf Beth‘ ver-<br />

zweifeltes Schluchzen, Totenstille. Und dann fragte Garreau nach: „Nun, wie sieht es aus?<br />

Soll ich das gute Werk vollbringen und dich von deinen Qualen erlösen?“ Mick sah starr<br />

geradeaus. Dann sagte er leise: „Habe ich noch eine Wahl?“ Garreau lachte kalt. Kalt sagte<br />

sie: „Nein, nicht wirklich.“, und holte mit dem Schwert aus.<br />

Mick sah mit panisch aufgerissenen Augen die Klinge auf sich zu kommen, hörte<br />

Beth’ gellenden Schrei, der sich mit Entsetzensschreien der anderen Gefangenen vermischte<br />

und keuchte auf, als die Klinge unmittelbar vor seinem Hals zitternd in der Luft stehen blieb.<br />

Er spürte den rasiermesserscharfen Stahl an seiner Haut und konnte nicht verhindern, dass<br />

sein Oberkörper sich unwillkürlich zurück lehnte, in der Hoffnung, der Schneide entkommen<br />

zu können. <strong>Die</strong>se folgte ihm jedoch, als wäre sie mittels Magneten mit seiner Haut verbunden.<br />

Schließlich konnte er nicht weiter zurück, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und stoppte<br />

resigniert die Bewegung. Ergeben schloss er die Augen und wartete. Und zuckte heftig zu-<br />

sammen, als er die kalte Stimme des Majors hörte: „Nun, Mr. Vampir, so stark scheint die<br />

Abneigung gegen deine Daseinsform nicht zu sein, dass du nicht Angst hättest, diese auch<br />

noch zu verlieren, was?“ Sie packte Mick an den Haaren und zwang ihn so, zu ihr aufzusehen.<br />

„Scheint wohl so, Ma’am, ja.“, zwang Mick sich, zu antworten. Mit einer verächtlichen Geste<br />

ließ Garreau seine Haare los und befahl dem Vampir: „Sieh bloß zu, dass du auf deinen Platz<br />

zurück kommst, du elender Heuchler. Nicht gerade eine beruhigende Vorstellung, dass noch<br />

nicht einmal der Tod das Heucheln der Menschen beendet.“<br />

Mick wäre rot geworden, wäre er noch dazu im Stande gewesen. Er stemmte sich auf<br />

die Beine und zögerte sekundenlang, wartete, dass seine Handfesseln gelöst würden, aber<br />

nichts dergleichen geschah, und so ging er mit gefesselten Händen an seinen Platz zurück.<br />

351


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beth fiel ihm weinend um den Hals und klammerte sich an ihm fest. <strong>Die</strong> Wachen, die die<br />

ganze Zeit über die Gefangenen scharf im Auge behalten hatten, entspannten sich und ver-<br />

ließen dann den Raum. Garreau wartete einen Moment, dann wandte sie sich leutselig an<br />

Abby. Als säßen sie in einer gemütlichen Teerunde, fragte sie die hoffnungslos geschockte<br />

junge Frau: „Nun, Nummer 14, wo liegen denn deine Ängste?“ Abby musste erst einmal in<br />

die Realität zurück finden. Dann stotterte sie vollkommen fertig: „Hunde, Ma’am ... Ich ... ich<br />

sterbe, wenn sich mir ein Hund nähert. Ich ... Ihr seid ... Oh, Gott.“ Ungeduldig fuhr der<br />

Major sie an. „Wir? Ich wüsste nicht, dass ich dich um eine kuriose Meinung über uns ge-<br />

beten habe, Nummer 14. Wenn du nicht sofort von deinen Ängsten berichtest, sehe ich <strong>mich</strong><br />

gezwungen, diesen noch eine Weitere hinzu zu fügen.“ Entsetzt stammelte Abby: „Aber ich ...<br />

Es sind nur Hunde ... Ich hatte einige Zeit Angst, in den Obduktionsraum zu gehen und Ducky<br />

... Aber das ist vorbei. Ich habe sonst keine ...“ Sie verstummte. Und Garreau schien erstaun-<br />

licherweise zufrieden, denn sie sah jetzt nicht Mulder an, sondern Gibbs.<br />

„Gunny, wovor hat ein Killer wie du Angst?“ Gibbs sah etwas überrascht auf. Er hatte<br />

mit Mulder gerechnet, der nicht minder erstaunt guckte. Er war sich sicher, dass Garreau ihn<br />

bestimmt nicht vergessen würde. Gibbs sah den Major ruhig an. „Ich bin in wenigen Jahren<br />

sechzig, meine Frau und meine einzige Tochter wurden brutal ermordet, was denken Sie<br />

denn, was mir noch Angst machen könnte?“ Garreau schmunzelte wie ein Krokodil. „Das<br />

sollst du mir erzählen, Gibbs.“ Dass sie den NCIS Agent mit Namen ansprach, fiel sofort<br />

allen auf, aber selbstverständlich reagierte keiner darauf, auch Gibbs selbst nicht. Gelassen<br />

erklärte er: „Ihr wisst selbstverständlich, dass ich keine Phobien und auch keine anderen<br />

Ängste habe, die ich hier aufzählen könnte. Meine Hauptsorge gilt meinen Mitarbeitern. Aber<br />

auch das ist glaube ich keine ... Ich bin besorgt, aber ich gerate nicht in Panik, wenn sie in<br />

Gefahr sind. Ich denke, ich bin in der glücklichen Lage, keine Ängste zu haben, die <strong>mich</strong> be-<br />

einträchtigen.“ Garreau nickte. „Zu dem Ergebnis sind wir auch gekommen. Glücklicher<br />

Mensch, der du bist, Gunny. Bei dir, Nummer 15, sieht das schon ganz anders aus, richtig?“<br />

Da Mulder damit gerechnet hatte, noch an die Reihe zu kommen, war er nicht unan-<br />

genehm überrascht. Er atmete tief durch, dann erklärte er beherrscht: „Auf Grund meiner Er-<br />

fahrungen, die ich während meiner Entführung gemacht habe, selbst, wenn ich <strong>mich</strong> an<br />

selbige gar nicht mehr erinnere, kann ich es nicht ertragen, bewegungsunfähig gemacht zu<br />

werden. Ich neige dann wirklich zu Panikattacken. Und noch mehr Angst habe ich, das wisst<br />

ihr genau, vor Feuer. Da weiß ich allerdings nicht genau, woher diese Angst stammt.“ Mulder<br />

sah den Major ruhig an. Er hatte keine Probleme damit, zuzugeben, dass er vor bestimmten<br />

Dingen einfach eine panische Angst hatte. Er war so oft verlacht worden, dass es ihm nichts<br />

352


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mehr aus machte. Sollten sie alle lachen, er und Dana wussten vieles besser. Und Lachen<br />

würde hier von den Freunden ohnehin keiner.<br />

Garreau schwieg einen Moment, dann erklärte sie: „Gut, für heute sind wir fertig. Wir<br />

werden uns in der nächsten Zeit einigen eurer Ängste intensiv widmen, denn wir wollen nicht,<br />

dass beispielsweise im ungünstigsten Moment Nummer 3 einen hysterischen Anfall kriegt,<br />

weil irgendwo eine Spinne rum krabbelt, oder Nummer 10 eine Panikattacke bekommt, weil<br />

sie auf eine Leiter steigen muss. Morgen ... habt ihr frei. Jedenfalls, was den Unterricht be-<br />

trifft. Stattdessen werden wir morgen einige noch ausstehende Untersuchungen vornehmen,<br />

wo ihr doch alle wieder gesund und munter seid. Daher gibt es auch kein Abendbrot. So,<br />

Herrschaften, und jetzt, ab ins Bettchen mit euch. Angenehme Träume. Ach, bevor ich es ver-<br />

gesse, außer Schnarchgeräuschen wollen wir heute nichts mehr aus euren Zimmern hören,<br />

haben wir uns verstanden?“ Nicken und vereinzeltes hm antwortete dem Major. Das reichte<br />

Garreau nicht. Herrisch fragte sie nach: „Habt ihr das verstanden, Gefangene?“ Erschrocken<br />

beeilten sich alle, fast im Chor: „Ja, Ma’am, verstanden.“, zu antworten. Das ihnen das aber<br />

auch immer wieder unterlief. <strong>Die</strong> Gefangenen hätten sich selbst in den Hintern treten mögen.<br />

Mick wurden nun die Handfesseln gelöst. Augenblicke später schlossen sich hinter jedem<br />

Paar die Zimmertüren und an den <strong>Über</strong>wachungsmonitoren beobachteten die Wachen ge-<br />

spannt, was sich in den Zimmern abspielte. Aber es gab nichts zu beobachten. Alle hielten<br />

sich an das Schweigegebot und legten sich in die Betten. Das viele der Gefangenen noch bis<br />

in die Morgenstunden wach lagen, war nicht zu verhindern, dafür saß bei einigen die Angst<br />

vor dem kommenden Tag zu tief. Einer der Letzten, der in einen unruhigen Schlaf fiel, war<br />

Sawyer.<br />

„Der macht sich vor Angst fast in die Hose.“<br />

„Ja, er hat wirklich extreme Panik vor dem Schlauch schlucken.“<br />

„Weißt du von der Geschichte mit seiner Tante?“<br />

„Hab davon gehört. Hätte ich so was erlebt, hätte ich vermutlich ähnlich<br />

viel Panik. Das wird nicht leicht für ihn, morgen.“<br />

„Das wird es für alle nicht. Sie wissen, dass wir keine Betäubungsmittel<br />

verschwenden. Was sie nicht umbringt ...“<br />

„Meine Meinung dazu kennst du ja, aber die zählt hier nicht. Ich halte das<br />

für überflüssig, weder werden sie davon nützlicher, noch bringt es irgend-<br />

welche Erkenntnisse. Das ist bei Mitchell doch eindeutig nur Befriedigung<br />

seiner sadistischen Gelüste.“<br />

353


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Was auch immer es ist, er ist derjenige, der den Ton angibt. Also wird<br />

es für unsere Freunde da unten morgen ein harter Tag.“<br />

External World 9) Suche eingestellt<br />

Hoffnung ist das, was bleibt, wenn man nichts mehr hat.<br />

Jerome Anders<br />

<strong>Die</strong>nstag, 9.30 Washington, NCIS Hauptquartier<br />

Direktorin Jenny Shepard stand einen Moment lang am Geländer der Empore, von der<br />

aus sie das hektische Treiben im Großraumbüro des NCIS überblicken konnte. Wie sollte sie<br />

ihren Agents beibringen, was sie gerade gehört hatte? Sie hatte nicht viel Zeit darüber nachzu-<br />

denken, da einer der beiden Agents, mit denen sie gleich ein schwieriges Gespräch führen<br />

musste, sie bereits gesehen hatte. „Direktor Shepard. Gibt es irgendetwas Neues von Abby,<br />

Ziva und Gibbs?“, fragte McGee begierig und vergaß einen Moment, dass ihn hier jeder seiner<br />

Kollegen hören konnte. „Tim, Tony, könnte ich Sie beide bitte in meinem Büro sprechen?“ <strong>Die</strong><br />

beiden angesprochenen Agenten runzelten besorgt die Stirn. Wenn die Direktorin ihre Vor-<br />

namen benutzte war das nie ein gutes Zeichen. Sie erhoben sich und stiegen die Treppe nach<br />

oben, folgten ihrer Direktorin in deren Büro. Sobald er die Tür hinter sich und Tim geschlossen<br />

hatte, fragte Tony besorgt: „Was gibt es, Direktor? Sie sind doch nicht... Ich meine, man hat<br />

doch nicht ...“ Tony schaffte es nicht die Frage auszusprechen, ob man die Leichen seiner<br />

Kollegen gefunden hatte.<br />

„Nein, Tony, man hat sie nicht gefunden.“ Auch Jenny brachte es nicht über sich, das<br />

Wort Leichen in Verbindung mit ihren Kollegen auszusprechen. „Und nein, es gibt keine<br />

neuen Spuren. Wie Sie beide wissen, gibt es seit Monaten keine neuen Spuren. Das ist es,<br />

worum es geht. Ich habe gerade einen Anruf vom SecNav bekommen. Er hat sich gestern mit<br />

dem Direktor der Homeland Security, dem Direktor des FBI und dem CIA-Direktor zu einem<br />

vertraulichen Gespräch getroffen, um über das weitere Vorgehen bei der Suche nach den Ver-<br />

missten zu sprechen. Sie stellen die Suche ein.“ Jennys Stimme war deutlich anzumerken, dass<br />

die Information sie viel mehr mitgenommen hatte als ihre sachlichen Worte vermuten ließen.<br />

Einen Moment lang herrschte im Raum fassungslose Stille. Schließlich war es Tony, der das<br />

Schweigen brach. „Das können die nicht machen. Wie kommen die überhaupt dazu so ein Ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

spräch ohne uns zu führen? Wir ermitteln in diesem Fall. Unsere Kollegen sind verschwunden.<br />

Wir haben ja wohl mehr verdient als die beiläufige Information, dass die Ermittlungen ein-<br />

gestellt wurden.“ „Wir können nicht aufhören nach unseren Leuten zu suchen.“, stimmte<br />

McGee sofort zu. „Sie können immer noch am Leben sein. Abby, Gibbs und Ziva haben immer<br />

alles in ihrer Macht stehende getan um zu helfen, wenn einer von uns in Schwierigkeiten war.<br />

Sie würden uns niemals aufgeben, wenn wir vermisst würden und nicht sie. Wir sind es ihnen<br />

schuldig das Gleiche für sie zu tun.“ „Genau das habe ich dem SecNav auch gesagt. Auch<br />

wenn die Ermittlungen offiziell eingestellt wurden, hören wir nicht auf nach unseren Leuten zu<br />

suchen. Wenn es sein muss, führe ich die Ermittlungen in meiner Freizeit weiter und ich gehe<br />

davon aus, dass ich dabei auf sie zählen kann.“ „Jederzeit.“, bestätige McGee sofort. „Und ob<br />

Sie das können.“, stimmte auch Tony zu.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 9.40, Las Vegas, CSI Gebäude<br />

„Sie wollten <strong>mich</strong> sprechen, Sir?“, fragte Catherine Willows ihren Vorgesetzten Conrad<br />

Ecklie. <strong>Die</strong> CSI Agentin fragte sich, was Ecklie von ihr wollte. Es kam selten vor, dass er sie in<br />

sein Büro rief. Meistens war der Grund, dass sie oder einer ihrer Leute gegen Vorschriften ver-<br />

stoßen hatte. <strong>Die</strong>smal war sie sich allerdings keiner Schuld bewusst. „Ja. Bitte nehmen Sie<br />

Platz.“, forderte Ecklie sie höflich und bedrückt auf. Catherine gehorchte und wartete bis ihr<br />

Vorgesetzter fort fuhr. „Es geht um die Ermittlungen im Fall der verschwundenen Maschine.“<br />

Catherine sah alarmiert auf. Das hatte sie nicht erwartet. „Gibt es neue Erkenntnisse?“, fragte<br />

die CSI Ermittlerin hoffnungsvoll. „Nein, leider ist das Gegenteil der Fall. Ich habe heute einen<br />

Anruf von Assistent Direktor Skinner vom FBI erhalten. Er hat heute erfahren, dass die Suche<br />

nach den Vermissten eingestellt wird und wollte uns informieren, bevor wir es aus den Nach-<br />

richten erfahren.“<br />

„Sie geben die Suche einfach auf? Das kann doch nicht wahr sein. Wer hat das ent-<br />

schieden?“, fragte Catherine aufgebracht. „<strong>Die</strong> Direktoren von CIA, FBI und Homeland<br />

Security und der SecNav.“ „Das können wir nicht zulassen. Gil und Sara könnten noch leben.<br />

Wir können sie nicht einfach aufgeben.“ „Ich befürchte, wir haben nicht die Möglichkeit die<br />

offizielle Wiederaufnahme der Suche zu veranlassen.“, erwiderte Ecklie sachlich. „Allerdings<br />

teilt Assistent Direktor Skinner vom FBI und wie er sagte auch Direktor Shepard vom NCIS<br />

ihre Auffassung. Sie lassen ihre Teams weiter nach den vermissten Passagieren fahnden. Ich<br />

habe Direktor Skinner zugesichert, dass auch wir uns weiterhin an den Ermittlungen beteiligen<br />

werden, solange sichergestellt ist, dass die reguläre Arbeit nicht darunter leidet. Denken Sie,<br />

dass Sie das sicherstellen können?“ „Selbstverständlich. Wir werden unsere Fälle nicht ver-<br />

nachlässigen. Nach Spuren im Fall der verschwundenen Passagiere werden wir in unserer Frei-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zeit suchen. Ich bin sicher, dass es im Team niemanden gibt, der nicht bereit ist, seine Freizeit<br />

für die Suche nach Gil und Sara zu opfern.“<br />

<strong>Die</strong>nstag, 10.00, Washington, Jeffersonian Institut<br />

Dr. Camille Saroyan betrat den großen Saal, in dem Jack Hodgins und Zack Addy<br />

gerade damit beschäftigt waren, das Alter eines Skelettes zu bestimmen, das am Vortag bei<br />

einer Ausgrabung gefunden worden war. „Dr. Hodgins, Dr. Addy, kann ich Sie einen Moment<br />

in meinem Büro sprechen?“ <strong>Die</strong> Beiden sahen überrascht auf. Sie waren es nicht gewohnt in<br />

das Büro ihrer Chefin gebeten zu werden. Wenn Camille sie sonst sprechen wollte sagte sie<br />

ihnen direkt an Ort und Stelle was sie wollte. „Worum geht es denn?“, fragte Jack miss-<br />

trauisch. „Das würde ich gerne in meinem Büro mit Ihnen besprechen. Miss Montenegro wird<br />

auch da sein. Ich möchte gerne mit ihnen allen in Ruhe sprechen.“ Zehn Minuten später saßen<br />

Jack, Angela und Zack im Büro ihrer Chefin und warteten nervös darauf zu erfahren, was Dr.<br />

Saroyan ihnen zu sagen hatte. „Assistent Direktor Skinner vom FBI hat <strong>mich</strong> angerufen und er<br />

wiederum hat heute einen Anruf von seinem Vorgesetzten bekommen. <strong>Die</strong> Direktoren von<br />

FBI, CIA und Homeland Security und der SecNav haben entschieden, dass die Suche nach den<br />

Vermissten eingestellt wird.“ „<strong>Die</strong> können Tempe und die anderen doch nicht einfach so auf-<br />

geben.“, rief Angela aufgebracht. „Es sind schließlich drei FBI Agenten an Board und Tempe<br />

hat auch oft genug für das FBI gearbeitet. Und auch der NCIS hat Agenten an Bord gehabt. Ich<br />

fasse es nicht, dass die ihre eigenen Leute einfach so aufgeben.“<br />

„Wir können nicht einfach hinnehmen, dass diese Bürokraten die Suche einstellen.<br />

Unsere Leute sitzen irgendwo da draußen und verlassen sich auf uns.“, erklärte Jack empört.<br />

„Das ist statistisch gesehen äußerst unwahrscheinlich.“, widersprach Zack. „Es ist vier Monate<br />

her, dass die Passagiere entführt worden. <strong>Die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass die Entführer sie so<br />

lange am Leben gelassen haben geht gegen null.“ Jack und Angela starrten ihren Kollegen<br />

fassungslos an. „Wie kannst du so etwas nur sagen?“, fuhr Angela ihn an. „Solange es keinen<br />

Beweis dafür gibt, dass Tempe und Booth tot sind, glaube ich, dass sie noch leben.“ „Das sehe<br />

ich genauso. Ich will so etwas nie mehr hören, ist das klar.“ Jack war genauso aufgebracht wie<br />

seine Verlobte. Zack sah seine Kollegen verwundert an. „In Ordnung, ich werde das Thema<br />

nicht mehr anschneiden. Aber eure Reaktion ist nicht rational.“ Bevor Jack oder Angela wieder<br />

anfangen konnten Zack anzuschreien, schaltete Camille sich ein. „Dr. Hodgins und Miss<br />

Montenegro haben Recht. Wir werden Dr. Brennan und Agent Booth nicht einfach aufgeben.<br />

Solange noch eine Chance besteht, dass die Beiden leben, werden wir die Suche nicht auf-<br />

geben. Assistent Direktor Skinner und Direktor Shepard vom NCIS teilen unsere Auffassung,<br />

auch wenn ihre Vorgesetzten das anders sehen. Sie werden die Ermittlungen fortführen und ich<br />

356


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

habe Assistent Direktor Skinner meine Hilfe angeboten. Ich habe ihm gesagt, dass meine Leute<br />

und unser Labor ihm jederzeit zur Verfügung stehen. Ich war mir sicher, dass das in Ihrem<br />

Sinne ist.“<br />

<strong>Die</strong>nstag, 10.15 Uhr, Washington, FBI Gebäude<br />

Monica Reyes und John Doggett ahnten nichts Gutes, als sie die Mitteilung bekamen,<br />

dass Skinner sie sehen wollte. Wenn ihre Kollegen wieder aufgetaucht wären, hätte Skinner<br />

ihnen das sicher schon am Telefon gesagt. Nachrichten, die ihr Boss ihnen nur persönlich mit-<br />

teilen wollte, waren gewöhnlich schlechte Nachrichten. „Was gibt es, Sir?“, fragte Doggett<br />

ohne Umschweife, sobald sie Skinners Büro betreten hatten. Auch Skinner kam direkt auf den<br />

Punkt. „Ich habe einen Anruf vom Direktor bekommen. <strong>Die</strong> Suche nach den Vermissten wird<br />

eingestellt.“ „<strong>Die</strong> wollen einfach aufgeben?“, fragte Monica entsetzt. „<strong>Die</strong> Chefetage<br />

interessiert sich nur für Ergebnisse und wenn es in einem Fall keine Ergebnisse gibt, gehen sie<br />

zur Tagesordnung über.“, stellte Doggett wütend fest. „Aber dass der Direktor seine eigenen<br />

Leute so einfach abschreiben würde, habe ich nicht erwartet.“ „Was sagen denn die Vor-<br />

gesetzten der anderen Agenten dazu?“, wollte Monica wissen.<br />

„Der SecNav unterstützt die Einstellung der Suche, aber Direktor Shepard ist über die<br />

Entscheidung genauso empört wie wir, ich habe eben mit ihr telefoniert. Conrad Ecklie vom<br />

CSI und Dr. Saroyan vom Jeffersonian haben uns Unterstützung angeboten, falls wir neue<br />

Hinweise finden und ein Laborteam brauchen. NCIS, CSI und Jeffersonian lassen ihre Leute<br />

genauso wenig im Stich wie wir.“ „Das heißt also, wir haben die Genehmigung weiter zu er-<br />

mitteln?“, vergewisserte Doggett sich. „Selbstverständlich haben Sie die. Ich betrachte Mulder<br />

und Scully als Freunde und auch Agent Booth schätze ich sehr. Unsere Leute können auf uns<br />

zählen. Superintendent Cullen sieht es genau so, er befürwortet meine Entscheidung.“ „Danke,<br />

Sir.“, antworteten Monica und Doggett einstimmig.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 20 Uhr, Princeton, Lisa Cuddys Haus<br />

Cuddy war nicht ernsthaft überrascht, als sie in den Nachrichten von der Einstellung der<br />

Suche nach den Vermissten hörte. Sie war immer Realistin gewesen, egal wie schmerzhaft die<br />

Realität war und ihr war klar, dass es mehr als unwahrscheinlich war, dass die Vermissten noch<br />

lebten. Das einzige, was Cuddy überraschte war, dass die Meldung trotzdem weh tat. Es tat<br />

weh, weil es in wenigen Tagen offiziell sein würde. House, Cameron und die anderen sollten<br />

dann für tot erklärt werden. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Trauerfeier spürte Cuddy<br />

erst das volle Ausmaß des Verlustes. Sie hatte Cameron nicht sehr nahe gestanden, aber mit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House hatte sie eine schwierige, aber enge Beziehung gehabt. Er fehlte ihr und der Gedanke<br />

ihn nie wieder zu sehen war schmerzlich. Trotzdem mischte sich in die Trauer jetzt auch ein<br />

anderes, schwer zu definierendes Gefühl. Es war beinahe so etwas wie Erleichterung. Er-<br />

leichterung darüber, dass sie abschließen konnte, dass sie eine Gelegenheit bekam House und<br />

Cameron die letzte Ehre zu erweisen und sich zu verabschieden. So mussten sie die An-<br />

gehörigen von Patienten fühlen, die lange im Koma gelegen hatten, wenn sie sich schließlich<br />

entschieden hatten die Maschinen abzustellen.<br />

Cuddy schaltete schließlich den Fernseher aus und griff zum Telefon. Sie wollte heute<br />

nicht allein sein. Sie wollte den Abend mit dem einzigen anderen Menschen verbringen, von<br />

dem sie wusste, dass er um House trauerte. „Ich bin’s, Cuddy. Haben Sie es auch gerade in den<br />

Nachrichten gesehen?“, fragte sie, als Wilson den Hörer abhob. „Ja, habe ich. Ich weiß nicht,<br />

was ich sagen soll. <strong>Die</strong> Nachricht kommt nicht unerwartet, sie konnten nicht ewig weiter<br />

suchen. Es ist über vier Monate her und es besteht praktisch keine Hoffnung mehr, die Ver-<br />

missten noch lebend zu finden. Trotzdem ist die Nachricht irgendwie ein Schock. Mir wird erst<br />

jetzt richtig klar, dass wir House und Cameron nie wieder sehen werden.“ „Ja, mir geht es<br />

genauso. Möchten Sie heute Abend vorbeikommen? Vielleicht wird es leichter, wenn wir heute<br />

nicht allein zuhause sitzen.“ „Das ist eine gute Idee. Ich wäre wirklich nicht gerne allein. Ich<br />

bin in einer halben Stunde da.“<br />

<strong>Die</strong>nstag, 20.00 Uhr, Jericho, Kansas, Haus der Familie Green<br />

„Das ist unglaublich. Erst wagen diese Leute es, zu behaupten, Jake wäre an der Ent-<br />

führung beteiligt und jetzt geben sie einfach die Suche auf.“, rief Gail Green entrüstet und ver-<br />

zweifelt, während sie zusammen mit ihrem Mann die Nachrichten anschaute. „Kein Wunder,<br />

dass sie die Vermissten nicht finden, die haben ja ihre ganze Zeit damit verschwendet, gegen<br />

die Opfer zu ermitteln, statt gegen die Täter. Wenn die glauben, die könnten Jake einfach so für<br />

tot erklären lassen, dann haben die sich geirrt.“, verkündete Johnston Green wütend. „Eric kann<br />

uns sicher sagen, welche juristischen Möglichkeiten wir haben. <strong>Die</strong> Regierung kann nicht ein-<br />

fach die Angehörigen übergehen und alle Passagiere für tot erklären lassen. Einige der anderen<br />

vermissten Passagiere haben bestimmt auch Angehörige, die damit nicht einverstanden sind.“,<br />

stimmte Gail zu. „Vielleicht ist Heathers Vater auch bereit, dagegen vorzugehen, dass seine<br />

Tochter für tot erklärt wird.“<br />

„Ich weiß nicht viel über ihn, Heather hat selten über ihren Vater gesprochen, aber<br />

einen Versuch ist es sicher wert. Vielleicht schließen sich ja einige andere Familien an, wenn<br />

sie von der Beschwerde erfahren.“ Zehn Minuten später hatte Gail Heathers Vater am Telefon.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Mr. Lisinski, hier ist Gail Green, die Mutter von Jake.“ „Sie sind die Mutter von dem Kerl,<br />

mit dem meine Heather abgehauen ist? Was wollen Sie?“, fragte Lisinski brüsk. Gail musste<br />

sich bemühen die Beherrschung nicht zu verlieren. „Heather ist nicht mit Jake abgehauen, Mr.<br />

Lisinski. Jake ist nach Australien gefahren, um dort zu leben und Heather wollte ihn zurück<br />

holen. Sie war diejenige, die Jake davon überzeugt hat, dass abhauen keine Lösung ist. Wegen<br />

ihr wolle er zurück nachhause kommen. Jake liebt ihre Tochter sehr und sie liebt ihn. Und<br />

wenn wir die Beiden wiedersehen, dann wird es meinem Mann und mir eine Freude sein,<br />

Heather in unsere Familie aufzunehmen.“ „Wenn Sie sie wiedersehen?“, fragte Mr. Lisinski<br />

erstaunt. „Das ist der Grund, warum ich anrufe. Ich glaube nicht, dass mein Sohn tot ist und ich<br />

finde es unerhört, dass die Suche einfach so eingestellt und die Passagiere für tot erklärt<br />

werden sollen. Mein Mann und ich werden Beschwerde einlegen. Normalerweise wird eine<br />

vermisste Person erst nach sieben Jahren für tot erklärt und wir werden nicht zulassen, dass<br />

man dies bei Jake schon nach fünf Monaten tut, nur weil die Behörden unfähig sind neue<br />

Spuren zu finden. Wir hoffen, dass sich uns noch Angehörige anderer Vermisster anschließen.<br />

Möchten Sie auch dagegen vorgehen, dass Heather für tot erklärt wird?“<br />

Heathers Vater schwieg einen Moment und als er wieder sprach, klang seine Stimme<br />

weniger feindselig als zuvor. „Ich kann einfach nicht glauben, dass meine Heather tot ist. In<br />

den letzten Jahren hatten wir so wenig Kontakt und erst jetzt ist mir klar geworden, dass ich<br />

meine Tochter kaum kenne. Ich hoffe sehr, dass Sie Recht haben und ich sie eines Tages<br />

wieder sehe, um das zu ändern. Ja, ich möchte <strong>mich</strong> ihrer Beschwerde anschließen.“ Gail war<br />

überrascht und ein wenig besänftigt, als sie den traurigen Klang in Mr. Lisinskis Stimme hörte.<br />

„Das freut <strong>mich</strong>. Möchten Sie in den nächsten Tagen einmal bei uns vorbei kommen, um sich<br />

über die Einzelheiten zu unterhalten?“ Gail fand Heathers Vater zwar alles andere als<br />

sympathisch, aber er war der Vater der Frau, die ihr Sohn liebte und sie würde lernen müssen<br />

mit ihm auszukommen, falls sie Jake und Heather wieder sehen würde. Wenn, nicht falls, ver-<br />

besserte sie sich im Geist. Sie würde die Hoffnung nicht aufgeben. „Ja, ich komme gerne.“ Mr.<br />

Lisinski klang überrascht und zögerlich, aber immerhin hatte er die Einladung angenommen.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 20 Uhr, Los Angeles, Büro von Josef Kostan<br />

Josef Kostan schaltete den Fernseher aus, als es an der Tür klopfte. Es lief sowieso nur<br />

ein Bericht über die vermissten Passagiere dieses Qantas-Fluges, die vor Monaten spurlos ver-<br />

schwunden waren. Irgendetwas darüber, dass die Suche eingestellt worden war. Josef hatte nur<br />

mit halbem Ohr hingehört. Wenn ihm alles so egal gewesen wäre wie diese Leute, würde er ein<br />

sorgenfreies Leben führen. Ihn beschäftigte im Moment das Verschwinden von zwei Leuten,<br />

welches keinen Wirbel ausgelöst hatte wie das des Flugzeugs. Nicht, dass er ernsthaft erwarten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

würde, dass es Polizei oder FBI gelingen würde Mick und Beth zu finden, aber sie könnten<br />

wenigstens ein bisschen Engagement zeigen. Stattdessen hatte es als Reaktion auf seine Ver-<br />

misstenanzeige nur ein gelangweiltes: „Wir kümmern uns drum.“, gegeben. Als ob ein Mann<br />

wie Josef Kostan sich darauf verlassen würde, dass andere sich um irgendwas kümmerten.<br />

Wenn man wollte, dass etwas richtig gemacht wurde, dann musste man es selbst erledigen.<br />

„Herein.“, sagte er knapp. Zwei Vampire, die aussahen als wären sie um die vierzig, be-<br />

traten den Raum und nahmen auf Josefs Aufforderung hin Platz. Josef kam gleich zur Sache.<br />

Er war kein Mann, der seine Zeit damit verschwendete um den heißen Brei herumzureden.<br />

„Zwei meiner Freunde werden vermisst. Mick St. John und seine Verlobte Beth Turner. Sie<br />

haben sich letzte Woche auf die Suche nach einem abtrünnigen Vampir gemacht, seitdem habe<br />

ich nichts mehr von ihnen gehört. Ich will, dass Sie die beiden finden. Geld spielt keine Rolle,<br />

ich übernehme die Kosten. Sie kriegen von mir heute eine Anzahlung auf die großzügige<br />

Summe, die sie im Erfolgsfall erhalten werden. Aber dafür erwarte ich Ergebnisse und zwar<br />

schnell, ist das klar?“ „Ja, Mr. Kostan, Sir.“, erwiderten beide Männer wie aus einem Mund.<br />

„Das wäre alles. Gehen Sie, Sie haben zu tun.“, verlangte Josef gereizt.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 21.00 Uhr, Royal Diners, nahe Jeffersonian Institute, Washington<br />

Das Jeffersonian Team hatte beschlossen, den Abend in ihrem Stammlokal zu ver-<br />

bringen. Heute hatten die Wissenschaftler alle das Bedürfnis, ihren vermissten Kollegen und<br />

Freunden nahe zu sein und dieser Ort schien ihnen dafür am besten geeignet. Angela Monte-<br />

negro war sich allerdings nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war hierher zu<br />

kommen. Obwohl außer Zack keiner von ihnen bereit war sich mit dem Gedanken abzufinden,<br />

dass Tempe und Booth womöglich tot waren, fühlte sich dieses Beisammensein an wie eine<br />

Trauerfeier. „Es kommt mir ganz unwirklich vor, dass wir vor vier Monaten noch mit Tempe<br />

und Booth hier gesessen haben.“, sagte Angela. „Ja, es kommt einem vor, als wäre das in<br />

einem anderen Leben gewesen.“, stimmte Hodgins zu. „Wisst ihr noch, wie wir hier beinahe<br />

rausgeschmissen wurden, weil Bones Fotos von entstellten Leichen auf dem Tisch ausgebreitet<br />

hat?“, fragte Angela mit einem traurigen Lächeln. „Ja, die Leute reagieren wirklich merk-<br />

würdig, wenn wir so was tun.“, bemerkte Zack verständnislos. „Zack, nicht die Leute sind<br />

merkwürdig, sondern ihr. Oder wir, sollte ich wohl inzwischen sagen. Immerhin kann ich in-<br />

zwischen auch mein Abendessen auf einem Tisch voller Leichenfotos einnehmen ohne dabei<br />

zu kotzen. Tempe hatte Recht, als sie sagte man gewöhnt sich an so was.“, sagte Angela nach-<br />

denklich.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Dr. Brennan war es also, die Sie dazu gebracht hat, diesen Job anzunehmen?“, fragte<br />

Camille, die als neustes Mitglied des Teams noch nicht alle alten Geschichten kannte. „Ja,<br />

genau. Zuerst dachte ich, das ist nichts für <strong>mich</strong>. Ich bin Künstlerin, keine Wissenschaftlerin.<br />

Aber Tempe hat <strong>mich</strong> davon überzeugt, dass ich mit dieser Arbeit etwas bewirken kann. Es hat<br />

sogar angefangen mir Spaß zu machen, aber jetzt wo Tempe nicht mehr da ist, ist es nicht mehr<br />

dasselbe.“ Niemand wusste darauf etwas zu sagen. Hodgins hätte Angela gerne getröstet, aber<br />

nichts was er sagte, konnte etwas daran ändern, dass Bones‘ Verschwinden bei ihnen allen eine<br />

Lücke hinterlassen hatte, ganz besonders bei Angela, die ihr besonders nahe stand. Statt etwas<br />

zu sagen nahm Hodgins stumm Angelas Hand. <strong>Die</strong> vier Kollegen saßen noch eine Weile<br />

schweigend da und hingen ihren eigenen Gedanken an Bones und Booth nach. Aber obwohl<br />

niemand von ihnen etwas sagte, tat es allen gut diesen Abend nicht allein zu verbringen.<br />

Mittwoch, 5.00 Uhr, eine Bar in Las Vegas<br />

„Ich kann nicht fassen, dass sie die Suche einfach so aufgeben.“, schnaufte Warrick<br />

empört. Er saß mit seinen Kollegen zusammen in einer kleinen Bar außerhalb der Touristen-<br />

gegend. Keiner aus dem Team hatte nach der Schicht den Wunsch gehabt nachhause zu fahren.<br />

Sie alle wussten, dass sie heute trotz der anstrengenden Nachtschicht nicht würden schlafen<br />

können. „Langsam kann wohl niemand mehr vor der Chefetage rechtfertigen, warum immer<br />

weiter Geld in die Suche gesteckt wird, obwohl es schon seit Monaten keine brauchbaren Hin-<br />

weise mehr gibt. Ab jetzt müssen wir auf eigene Faust und mit eigenen Mitteln weiter<br />

machen.“, stellte Catherine ernüchtert fest. „Und genau das werden wir tun. Als man <strong>mich</strong><br />

damals entführt hat, hat keiner von euch aufgegeben. Catherine, du warst sogar bereit, das<br />

Lösegeld von deinem Vater zu besorgen. Gil hat dem Fall höchste Priorität eingeräumt. Wir<br />

sind es Gil und Sara schuldig, für sie das Gleiche zu tun, egal wie die offizielle Position ist.“,<br />

erklärte Nick entschlossen und seine Kollegen nickten zustimmend. Eine Weile sagte niemand<br />

etwas, bis schließlich Greg, der bisher ungewöhnlich still gewesen war, das Schweigen brach.<br />

„Ich frage <strong>mich</strong> gerade, wie sie reagieren würden, wenn sie von der Einstellung der Suche<br />

wüssten. Wie werden Sara und Gil und die anderen sich wohl fühlen, wenn sie wüssten, dass<br />

man sie für tot erklären will? Dass sie einfach aufgegeben werden.“ „Ich weiß nicht, wie viel<br />

Vertrauen die anderen Agents in ihre Teams haben, aber ich glaube, dass Gil und Sara wüssten,<br />

dass wir sie nicht aufgeben.“, antwortete Warrick, mit so viel Zuversicht wie er im Moment<br />

aufbringen konnte. „Trotzdem wäre es sicher hart für sie zu hören, dass die Suche offiziell ein-<br />

gestellt wurde und dass eine Trauerfeier für sie stattfindet.“, warf Nick ein. „Ja, davon gehe ich<br />

auch aus.“, stimmte Catherine zu. „Nur gut, dass sie, wo auch immer sie sind, bestimmt keine<br />

Zeitung lesen oder Nachrichten gucken werden.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong>nstag, 22.00 Uhr, John Doggetts Haus, Washington<br />

John Doggett war überrascht, als es an seiner Tür klingelte. - Wer kommt denn um diese<br />

Zeit her? - fragte er sich. Nicht, dass es eine Rolle spielte wie spät es war, er konnte ohnehin<br />

nicht schlafen. John schaltete den Fernseher aus und öffnete die Tür. Als er sah, wer ihn um<br />

diese Zeit besuchte, lächelte er. Das hätte er sich denken können. „Ich dachte, du möchtest<br />

heute Abend vielleicht nicht allein sein. Ich weiß, wie nahe Dana dir steht.“, erklärte Monica<br />

ihren Besuch. „Und ich könnte auch etwas Gesellschaft gebrauchen.“, fügte sie schnell hinzu.<br />

Sie wusste, wie sehr ihr Partner es hasste, Schwäche zuzugeben. „Außerdem habe ich Pizza<br />

mitgebracht.“ „Na, wenn das so ist…“, erwiderte Doggett und nahm seiner Partnerin den<br />

Pizza-Karton aus der Hand. „Wollen wir uns eine DVD ansehen? Ich habe allerdings nicht sehr<br />

viel Auswahl. Ich hoffe du magst Western und Action-Filme.“ „Einige schon. Such einfach<br />

etwas aus.“ Eigentlich mochte Monica weder Western noch Action-Filme, aber das war egal.<br />

Sie wusste, dass Johns Vorschlag einen Film zu gucken nur ein Vorwand war, um nicht reden<br />

zu müssen. Ihr wäre es zwar lieber gewesen, wenn ihr Partner bereit wäre darüber zu reden,<br />

wie besorgt er um Scully war, aber wenn John das nicht wollte, würde sie das akzeptieren.<br />

Immerhin hatte er ihr Angebot ihm Gesellschaft zu leisten angenommen.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 22.00 Uhr, Princeton, Lisa Cuddys Haus<br />

„Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?“, fragte Cuddy plötzlich. Wilson war<br />

vor einer Stunde vorbeigekommen und seitdem saßen sie zusammen und erzählten sich alte<br />

Geschichten über ihre Zeit mit House. „House hätte es geliebt, Ihnen diese Geschichte zu<br />

erzählen. Er fand sie urkomisch. Wir haben uns auf einem Ärztekongress kennengelernt. Am<br />

Abend des ersten Kongresstages bin ich noch in eine Bar gegangen. Meine erste Frau hatte mir<br />

gerade die Scheidungspapiere geschickt und ich war ziemlich deprimiert. Und dann hat dieser<br />

Typ am Klavier immer und immer wieder unser Lied gespielt, das, zu dem wir auf der Hoch-<br />

zeit getanzt haben. Er wollte einfach nicht aufhören. Irgendwann habe ich die Beherrschung<br />

verloren und einen antiken Spiegel demoliert. Ich wurde verhaftet und House hat <strong>mich</strong> auf<br />

Kaution rausgeholt. Er sagte, er würde jemanden suchen, mit dem er sich vor den restlichen<br />

Vorträgen drücken könnte und alle außer mir fand er langweilig.“ Cuddy lachte. „Ja, das klingt<br />

nach ihm.“ „Wie haben Sie sich kennen gelernt?“, fragte Wilson. „Das hat House Ihnen nie<br />

erzählt?“, fragte Cuddy überrascht. Wilson schüttelte den Kopf.<br />

„Wir kennen uns schon von der Uni. Ich war in meinem ersten Jahr an der Michigan<br />

und House hatte gerade sein praktisches Jahr begonnen. Er war zwar noch Student, aber eine<br />

Legende an der Uni. Seine Diagnosen waren oft besser als die der Professoren. <strong>Die</strong> haben ihn<br />

362


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

natürlich gehasst, aber das war House egal, schon damals. Das war es, was mir als erstes an<br />

ihm aufgefallen ist. Dass es ihm egal war, was andere von ihm denken. Ich habe mir oft ge-<br />

wünscht, ich könnte genauso damit umgehen. Ich habe mir immer gedacht, dass es ein unheim-<br />

lich befreiendes Gefühl sein muss, nur nach seinen eigenen Regeln zu leben und nie zu ver-<br />

suchen, es anderen recht zu machen.“ „Ja, House hat bestimmt ein sehr freies Leben geführt.<br />

Aber auch ein sehr einsames. Ich habe immer wieder versucht, ihn dazu zu bringen sich<br />

anderen Menschen zu öffnen, aber er hat sich nie dazu durchringen können.“, sagte Wilson<br />

nachdenklich. „Er hat immer gelebt als gäbe es kein Morgen. Aber er hat wohl nicht gedacht,<br />

dass sein Leben wirklich so plötzlich vorbei sein würde. Ich wünschte, ich wüsste, was mit ihm<br />

passiert ist. Ich würde gerne wissen, ob er gelitten hat.“ Cuddy hatte Mühe, die Tränen zurück<br />

zu halten. „Ja, das frage ich <strong>mich</strong> auch jeden Tag. Ich hoffe für House und Cameron, dass es<br />

schnell ging.“<br />

<strong>Die</strong>nstag, 23.00 Uhr, Tony DiNozzos Apartment, Washington<br />

Tony hatte das Telefon ausgestöpselt, sein Handy ausgeschaltet und anders als an den<br />

meisten Abenden lief der Fernseher nicht. Heute Abend wollte Tony keine Ablenkungen. Er<br />

saß auf dem Sofa, ein Glas Wein in der einen und eine Schachtel in der anderen Hand. In der<br />

Zeit seit der Entführung hatte er die Schachtel kein einziges Mal hervorgeholt. Er hatte ver-<br />

sucht, sich von den ständigen Gedanken an Ziva abzulenken. Aber heute Nacht konnte und<br />

wollte er seine Kollegin nicht aus seinem Kopf verbannen. Gerade jetzt, wo sie offiziell für tot<br />

erklärt werden sollte, während die Welt zum Alltag überging, sollte es jemanden geben der an<br />

sie dachte. Jemanden, für den erst wieder alles beim Alten sein würde, wenn sie wieder zu-<br />

hause war. Langsam öffnete Tony die Schachtel und holte die Fotos heraus, die er im Laufe der<br />

Jahre von Ziva gesammelt hatte. Er hatte Ziva einmal damit aufgezogen, dass der Charakter in<br />

McGees Büchern, der so offensichtlich ihr nachempfunden war, ein geheimes Fotoalbum von<br />

ihrem Partner - eindeutig Tonys Alter Ego - besaß. In Wirklichkeit war er derjenige, der alle<br />

Schnappschüsse, die er an diversen Tatorten von Ziva gemacht hatte, aufbewahrte. Im Laufe<br />

der Jahre war einiges zusammengekommen. In der Zeit vor Zivas Entführung waren die<br />

Bikini-Fotos, die er während seines <strong>Die</strong>nstes auf der Seahawk an seinem Spint gehabt hatte,<br />

seine liebsten Fotos gewesen. Aber jetzt, wo er nicht sicher sein konnte, ob er Ziva jemals<br />

wiedersehen würde, hatte er drei andere Favoriten. Das erste Bild war eine Profilaufname. Ziva<br />

hatte gar nicht gemerkt, dass er dieses Foto von ihr gemacht hatte. Sie stand über ein Beweis-<br />

stück gebeugt und betrachtete es interessiert. Es war ihr typischer Gesichtsausdruck, wenn ihr<br />

eine Ungereimtheit auffiel, der Blick, mit dem sie auch ihn immer ansah, wenn sie etwas nicht<br />

glaubte, was er erzählte. Das zweite Bild hatte er gemacht, als Ziva sich gerade wieder über<br />

einen seiner dummen Scherze aufgeregt hatte. Sie rollte auf diesem Bild genervt die Augen,<br />

363


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wie so oft, wenn Tony sie neckte. Das dritte Bild war Tonys Lieblingsbild. Auf dem Bild hatte<br />

er Zivas herzliches Lachen eingefangen. Das Lachen, das er so vermisste. Tony hielt das Bild<br />

eine Weile in den Händen, bevor er aufstand und begann in der Schublade seiner Kommode zu<br />

kramen, in der er noch ein paar alte Bilderrahmen hatte. Er fand einen Rahmen in der<br />

passenden Größe, in den er das Bild steckte und es anschließend auf seinen Nachttisch stellte.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 23.45 Uhr, Timothy McGee’s Apartment, Washington<br />

McGee saß vor seiner alten Schreibmaschine und versuchte sich auf seinen neuen<br />

Roman zu konzentrieren. Seine Lektorin saß ihm schon im Nacken. Der Abgabetermin rückte<br />

immer näher und er schaffte es einfach nicht einen vernünftigen Handlungsstrang auf die Beine<br />

zu stellen. Seit Abbys Verschwinden handelten alle Szenen, die er schrieb von Amy, der<br />

Kriminaltechnikerin, die Abby nachempfunden war. Anfangs hatte die Figur in seinen Büchern<br />

eine eher kleine Rolle gehabt, aber im Moment war ihre Handlung größer als die seiner Haupt-<br />

figur. - Vielleicht sollte ich einfach ein Spin-Off von meiner Serie schreiben, mit Abby/Amy in<br />

der Hauptrolle. - dachte er beiläufig. Was ihn aber mehr störte als das Nörgeln seiner Lektorin<br />

und der Abgabetermin im Rücken, war, dass er auch oder gerade mit den Amy-Szenen nicht<br />

zufrieden war. Wie konnte er Abby so beschreiben, dass er ihr gerecht wurde? Wie konnte er<br />

ihre Energie, ihren Humor und ihre Warmherzigkeit so beschreiben, dass jemand, der sie nicht<br />

kannte, Abby vor sich sah? Alles, was er schrieb wirkte wie ein blasser Abklatsch von der<br />

echten Abby. Seufzend zerknüllte McGee einen weiteren Entwurf und schaltete den Platten-<br />

spieler aus. Stattdessen suchte er in seiner CD Sammlung nach der CD, die Abby ihm ge-<br />

schenkt hatte. Eine Sammlung ihrer liebsten Musikstücke. McGee hatte das, was Abby als<br />

Musik bezeichnete, immer furchtbar gefunden. Aber jetzt merkte er, wie sehr es ihm fehlte, im<br />

Labor nicht mehr Abbys üblichen Krach zu hören. Es fehlte ihm sosehr, dass er Abbys CD<br />

zuhause immer und immer wieder hörte. <strong>Die</strong> Musik machte ihn traurig, aber es war eine gute<br />

Art von Traurigkeit. Wenn er die CD spielte, fühlte er sich Abby nahe und gleichzeitig war<br />

ihm in diesen Momenten ganz besonders schmerzlich bewusst, dass sie nicht in der Nähe war<br />

und es vielleicht auch nie mehr sein würde.<br />

<strong>Die</strong>nstag, 23.30 Uhr, Jenny Shephards Haus, Washington<br />

Jenny saß in ihrem Arbeitszimmer. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Licht<br />

einzuschalten. Sie sah sowieso nichts von dem, was sie vor Augen hatte. Sie war so tief in Ge-<br />

danken, dass sie Gibbs beinahe sehen konnte, eine jüngere Version von Gibbs in einem Hotel-<br />

zimmer in Paris. Jenny ließ sich von den Erinnerungen an den Undercover-Einsatz treiben, bei<br />

dem sie und Gibbs zum ersten Mal die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben überschritten<br />

364


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatten. Sie war damals so viel jünger und sorgloser gewesen. Als sie die Stelle der NCIS<br />

Direktorin angenommen hatte, hatte sie sich geschworen, nicht den gleichen Fehler zu machen<br />

wie damals. Sie hatte sich geschworen, ihren Job als Direktorin nicht zu riskieren und nichts zu<br />

tun, was sie später bereuen würde. Aber jetzt, Monate nach Gibbs‘ Verschwinden und mit der<br />

quälenden Frage im Kopf, ob sie ihn jemals wiedersehen würde, bereute sie nur, dass sie ihrer<br />

Beziehung nicht noch eine Chance gegeben hatte.<br />

*****<br />

The worst case<br />

Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie.<br />

Erich Kästner<br />

Der Hinweis, dass man sich ihrer Ängste annehmen würde, hatte neben dem Wissen,<br />

am kommenden Tage zu einigen sicher nicht ganz angenehmen Untersuchungen geholt zu<br />

werden, nicht dazu beigetragen, dass die Gefangenen eine ruhige Nacht mit erholsamem<br />

Schlaf verbracht hatten. Als der Weckruf durch die Zimmer hallte, hatten einige von ihnen zu<br />

Recht das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Zum einen hatte die völlig unerwartete<br />

Befragung sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Dass sie sich nicht über all das Gehörte hatten<br />

unterhalten dürfen, hatte das Ganze nicht gerade einfacher gemacht. Zum anderen machte<br />

vielen die Angst vor einigen der ausstehenden Untersuchungen schwer zu schaffen. Sawyer<br />

war hochgefahren, als wäre unter seinem Hintern eine Bombe explodiert. Jetzt saß er zu-<br />

sammen gesunken auf der Bettkante, stützte die Ellbogen auf seine Knie und vergrub die<br />

Hände in seinen Haaren. Kate rutschte neben ihn und legte dem jungen Mann sanft einen Arm<br />

um die Taille. „Schatz, es wird alles gut gehen. Mach dich nicht verrückt, dass es zu<br />

Problemen kommt, ist doch extrem selten.“ Sawyer sah Kate an, mit einem Ausdruck in den<br />

Augen, dass der jungen Frau eine Gänsehaut über den Rücken lief. Als dann über Laut-<br />

sprecher der Befehl kam: „Auf geht’s, Freunde, der Onkel Doktor wartet. Alle, bis auf<br />

Nummer 11 raus aus den Zimmern.“, erhoben sich die Beiden und gingen langsam zur Tür.<br />

Ein paar Zimmer weiter war Beth erstaunt, sah Mick verzweifelt an und fiel ihm um den Hals.<br />

„Ich habe Angst. Was haben die mit euch vor?“ Mick zuckte frustriert die Schultern. Er hatte<br />

die Nacht in der Dusche verbracht, in Ermangelung des Freezers. Er fühlte sich nicht sehr gut<br />

und machte sich Sorgen, was heute auf ihn und seine Mitgefangenen zukommen mochte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dass man Beth ganz ausschloss, wertete er nicht unbedingt positiv. Wenn sie so überflüssig<br />

war, dass sich nicht einmal die Untersuchungen lohnten ... Mick gab der jungen Frau einen<br />

Kuss und sagte: „Wird schon nicht so schlimm werden. Bis später.“ Er beeilte sich, zur<br />

offenen Tür hinaus zu treten.<br />

Auf dem Flur warteten die <strong>Anderen</strong> bereits. Begeistert sahen sie alle nicht aus. Mick<br />

wusste nicht, welche Untersuchungen gemeint waren, daher hielt sich sein Unbehagen in<br />

Grenzen. Als er jedoch die Gesichter der <strong>Anderen</strong> sah, wurde ihm mulmig. Besonders Sawyer<br />

sah aus, als müsse man ihn vor einer riesigen Dummheit bewahren. „Was ist mit ihm?“, fragte<br />

er Kate leise, die Sawyer genau im Auge behielt. Ebenso leise erwiderte Kate: „Todesangst<br />

vor der Magenspiegelung. Seine Tante ... Sie wäre nach einer Magenspiegelung fast verblutet,<br />

er war dabei, als sie einen Blutsturz bekam ...“ Mick nickte verstehend. „Magenspiegelung?<br />

Okay, was noch?“ „Keine Ahnung, es ist ja noch genug offen.“, sagte Kate verzweifelt. „Was<br />

denn zum Beispiel?“ „Meine Güte, was weiß ich, die wollen eine Knochenmarkpunktion<br />

machen und Nervenwasser entnehmen und verschiedene Spiegelungen, und ... Ich weiß doch<br />

nicht, was heute anliegt.“ Sie schwieg verängstigt und Mick sagte auch nichts mehr. Dass die<br />

Wachen sie nicht unterbrochen hatten, war schon erstaunlich genug. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> schwiegen.<br />

Sie hingen alle ihren ausgesprochen trüben Gedanken nach. Und dann hatten sie scheinbar die<br />

Untersuchungsräume erreicht. Sekunden später allerdings stellten sie fest, dass es nicht<br />

mehrere kleine Räume, sondern ein großer Saal war. Vier Liegen, mit Beinhaltern am unteren<br />

Ende, standen in der Mitte, mit den schon hinlänglich bekannten Fixierungsmöglichkeiten<br />

ausgestattet. Und an der Wand, wie bei der zahnärztlichen Untersuchung, standen fünfzehn<br />

Stühle. Auf diese Stühle wurden sie gesetzt.<br />

<strong>Die</strong> Paare durften zusammenbleiben, allerdings wurde sicherheitshalber bei allen ein<br />

Arm am Stuhl befestigt. „Nur zu eurer Sicherheit.“, grinste einer der Wachposten. Als alle<br />

Gefangenen an die Stühle gefesselt waren, kamen mehrere Ärzte in den Raum, zusammen mit<br />

Pflegern, die assistieren würden, wie House vermutete. Einer der Ärzte baute sich vor den<br />

verängstigten Gefangenen auf. „So, da sind wir also, um ein paar kleinere Untersuchungen zu<br />

eurer eigenen Sicherheit und Gesunderhaltung vorzunehmen. Ich möchte euch kurz mit dem<br />

Prozedere heute bekannt machen. Wir werden heute alle noch ausstehenden großen Unter-<br />

suchungen abarbeiten. Das wird nicht schön für euch, aber dann sind wir durch damit und ihr<br />

könnt halbwegs entspannt in die nähere Zukunft blicken. Immer vier von euch werden, je<br />

nach Untersuchung mehr oder weniger fixiert, auf den Liegen Platz nehmen. Wir haben keine<br />

Zeit, uns mit Albernheiten wie Betäubungen aufzuhalten, daher werdet ihr die Zähne zu-<br />

sammen beißen und uns zeigen, dass ihr es wert seid, dass man euch hier aufbaut. Wir gehen<br />

366


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Einfachheit halber nach euren Nummern vor. Wir werden mit der Blasenspiegelung an-<br />

fangen. Eine kleine Neuerung gibt es, denn wir wollen doch ausnutzen, dass wir gerade die<br />

Beinstützen an den Liegen haben, oder? <strong>Die</strong> Damen werden heute schon ihrer gynäko-<br />

logischen Untersuchung unterzogen, und bekommen von uns kostenlos und unverbindlich<br />

eine Spirale eingesetzt. Wir wollen ja nicht, dass unvorhergesehene Schwangerschaften bei<br />

unseren wertvollen Investitionen auftreten. Okay, danach habt ihr kurz Pause, da wir die<br />

Beinstützen anschließend entfernen werden, die stören nur. Dann folgt die Magenspiegelung,<br />

anschließend gibt es einen kleinen, unbedeutenden Pieks an der Hüfte, dann werden wir eure<br />

Raucherlungen, Entschuldigung, Raucherbronchien spiegeln und als krönenden Abschluss<br />

entnehmen wir euch ein wenig Nervenwasser. Nummer 4, warum das als Letztes?“ Gepresst<br />

erklärte House: „Weil wir danach eine längere Zeit liegen müssen ... Wenn dann noch einer<br />

von uns auf seinen Beinen stehen kann.“<br />

Inzwischen schlug jedem einzelnen Gefangenen das Herz bis in den Hals und nicht<br />

nur Sawyer sah aus, als würde er jeden Moment zusammen brechen. Mulder war grün im Ge-<br />

sicht, alle anderen weiß. Keiner von ihnen steckte diese Eröffnungen so weg. <strong>Die</strong> Ärzte<br />

wussten, wie unangenehm bis extrem schmerzhaft die angekündigten Untersuchungen waren,<br />

die anderen konnten es sich nur zu gut ausmalen. Und bei Mulder machte sich bei dem Wort<br />

Fixierung die absolute Panik breit. Sawyers ganzes Denken war auf die Magenspiegelung<br />

fokussiert. Er konnte an nichts anderes mehr denken und war einem Zusammenbruch so nahe<br />

wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und die Frauen dachten mit Schrecken daran, hier in<br />

aller Öffentlichkeit vor den anderen Gefangenen gynäkologisch untersucht zu werden. Als es<br />

jetzt hieß: „Nummer 1 bis 4 auf die Liegen und Hosen runter.“, und die Wachen bei Booth,<br />

Jake, Sawyer und House die Fesseln lösten, erhoben sich die Vier und versuchten, ohne<br />

großes Zögern zu den Liegen herüber zu gehen.<br />

Sie schoben ihre Shorts herunter, legten sich hin und der Arzt, der die einführende<br />

Rede gehalten hatte, beschrieb aufgeräumt: „Tja, meine Herren, auf Grund unserer ana-<br />

tomischen Bauweise ist die kleine Untersuchung bei uns schmerzhaft, erheblich schmerz-<br />

hafter als bei einer Frau. Aber wie ich schon eingangs erwähnte: Ihr seid ja alle ganze Kerle<br />

und daher werdet ihr das locker weg stecken. Da wir hier nicht von weiterführenden Ein-<br />

griffen ausgehen, erlauben wir uns, das flexible Zystoskop 27 zu benutzen, was die Herren<br />

sicher zu schätzen wissen. Nun, dann wollen wir mal anfangen.“<br />

27 Zystoskop: Ein spezielles Endoskop in der Urologie, dient der Betrachtung der Harnröhre und der Harnblase.<br />

367


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zu jedem der Männer, die angespannt still lagen, trat ein Arzt und man erklärte ihnen,<br />

dass sie versuchen sollten, möglichst ruhig und so entspannt wie möglich zu bleiben, da jede<br />

unnütze Verkrampfung nur weiteres Unbehagen verursachen würde. Giftig verzogen alle vier<br />

Männer die Gesichter. Dann begann die Untersuchung. <strong>Die</strong> Ärzte arbeiteten zügig, um die<br />

Angelegenheit wenigstens nicht unnütz in die Länge zu ziehen. Unter Zuhilfenahme von<br />

Gleitmittel wurde den Männern das Zystoskop in die Harnröhre eingeführt. Alle vier konnten<br />

nicht verhindern, dass sie sich vor Schmerzen doch verkrampften. Das ständige Zuführen der<br />

Spülflüssigkeit machte die Sache noch unangenehmer, denn es führte dazu, dass sich die<br />

Blasen recht schnell ziemlich unangenehm füllten. Alles in allem dauerte die Untersuchung<br />

jedoch nur wenige Minuten. <strong>Die</strong> Ärzte arbeiteten schnell und gründlich. <strong>Die</strong> Befunde wurden<br />

von den Pflegern gleich in Computer eingegeben und dann war es vorbei. Als letzten Arbeits-<br />

schritt saugten die Ärzte die zugeführte Flüssigkeit wieder ab und die Zystoskope wurden<br />

vorsichtig entfernt. Man gab den Männern, denen der Schweiß auf der Stirn stand, ein paar<br />

Momente, dann hieß es: „So, wenn wir dann mal mit den ersten vier Ladys tauschen<br />

möchten.“ Daraufhin wurden Ziva, Bones, Dana und Kate von den Stühlen los gemacht.<br />

Gnadenlos wurden sie zu den Liegen hinüber geführt, mussten die Shorts ausziehen und<br />

hatten sich hinzulegen. Anders als die Männer, wurden die Frauen aufgefordert, ans Ende der<br />

Liegen zu rutschen und die Beine rechts und links auf die Halteschienen zu legen. Der Ver-<br />

such, auszublenden, wo sie waren, gelang nur Ziva und Bones einigermaßen. Kate und Dana<br />

empfanden neben der Angst auch die extreme Demütigung und mussten sich mehr als<br />

Zwingen, zu tun, was man ihnen sagte. Heather, die wusste, dass sie als nächstes an der Reihe<br />

war, schluchzte vor Scham ununterbrochen vor sich hin.<br />

Während die Männer unendlich verlegen zu Boden starrten, um nur keinen Blick auf<br />

die Liegen und die Frauen zu werfen, begannen die Ärzte mit den Untersuchungen. <strong>Die</strong><br />

Blasenspiegelung selbst war bei den Frauen durch die deutlich kürzere Harnröhre in kürzester<br />

Zeit und deutlich weniger unangenehm, erledigt. Dann jedoch kam die gynäkologische Unter-<br />

suchung. Dabei wurde zuerst das röhrenförmige Spekulum eingeführt, um die Scheidenwände<br />

zu spreizen. <strong>Die</strong> Scheide und der Muttermund am Gebärmutterhals waren auf diese Weise für<br />

die Ärzte gut einzusehen. Abstriche wurden gemacht, dann wurde mit einem Kolposkop,<br />

einem Untersuchungs-Mikroskop, dass eine 6 - 40 fache Vergrößerung lieferte, die Ober-<br />

Endoskop: Ein Gerät, mit dem das Innere von lebenden Organismen, aber auch technischen Hohlräumen durch Bildgebung<br />

untersucht werden kann. Ursprünglich für die humanmedizinische Diagnostik entwickelt, wird es heute auch für minimal-invasive<br />

operative Eingriffe an Mensch und Tier sowie in der Industrie zur Sichtprüfung schwer zugänglicher Hohlräume eingesetzt.<br />

368


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fläche des Muttermundes sowie die Scheidenhaut einer genauen Untersuchung unterzogen.<br />

Dann erklärte der untersuchende Arzt: „Nun zu der Spirale. Der beste Zeitpunkt zum Ein-<br />

setzen ist natürlich das Ende der Periode, aber das werden wir mal nicht so eng sehen. Ich<br />

erkläre euch, was genau passiert. Mit einer speziellen Einführhülse werden wir die Spirale<br />

durch den Muttermund bis in die Gebärmutter fädeln. Das Einführen geht schnell, wird aber<br />

einen kurzen, krampfartigen Schmerz verursachen. Ihr solltet so entspannt wie möglich<br />

bleiben. Unter Umständen werdet ihr ein paar Tage leichte Unterleibschmerzen haben, das ist<br />

nicht tragisch. Sollte es bei einer von euch zu ungewöhnlich starken Schmerzen oder starken<br />

Blutungen kommen, dürft ihr das melden. So, genug geredet, dann wollen wir mal weiter<br />

machen, wir haben ja schließlich noch mehr vor.“<br />

<strong>Die</strong> Ärzte griffen nach den Einführhülsen und die Frauen schlossen die Augen. Kate<br />

zuckte heftig zusammen und wimmerte ganz leise, als sie spürte, wie der Fremdkörper in ihrer<br />

Gebärmutter verankert wurde. Ziva und Dana seufzten mit zusammen gebissenen Zähnen auf<br />

und Bones entfuhr ein überraschtes: „Aua ...“ Der Sitz der Spiralen wurde überprüft, der<br />

Rückholfaden gekappt und schließlich wurden die Spekulums entfernt und die bimanuelle<br />

Untersuchung begann. Dabei wurde durch Fingerdruck sowohl von innen als auch von außen<br />

Lage, Form und Größe der Gebärmutter und der Eierstöcke, deren Beweglichkeit im Körper<br />

und eventuelle Schmerzempfindlichkeiten untersucht. Dann endlich hatten die Frauen es<br />

hinter sich. Sie durften sich kurz erholen, dann erheben, anziehen und nun wurden Heather,<br />

Allison, Locke und Mick aufgefordert, sich zu den Liegen zu begeben. Heather wankte mehr<br />

als dass sie ging, und Jake hätte alles getan, um ihr diese Demütigung und den offensicht-<br />

lichen Schmerz zu ersparen, konnte jedoch nicht das Geringste tun. Als sie die Beine auf die<br />

Schienen legen musste, schluchzte die Lehrerin verzweifelt auf. Scheinbar hatte der Arzt, der<br />

den kleinen Eingriff und die Untersuchung bei ihr vornahm, ein Einsehen und arbeitete sehr<br />

zügig, um die junge Frau schnell zu Erlösen. Beide Frauen keuchten schmerzerfüllt auf, als<br />

sie die Spiralen eingesetzt bekamen. Heather musste festgehalten werden, sie hatte heftige<br />

Schmerzen und lag schließlich zitternd und fertig auf der Liege, ließ die restliche Unter-<br />

suchung apathisch über sich ergehen. Allison war schließlich ebenfalls fertig und durfte sich<br />

erheben. Bei Locke und Mick dauerte die Blasenspiegelung selbst wieder deutlich länger als<br />

bei den Frauen. Allerdings waren diese dann fertig, während bei den Frauen die Untersuchung<br />

erheblich insgesamt dauerte. Schließlich waren alle Gefangenen durch und es ging sofort in<br />

die zweite Runde.<br />

Sawyer war immer nervöser geworden und als jetzt an den Liegen die Beinstützen ent-<br />

fernt wurden und der Zeitpunkt für die Magenspiegelung immer näher kam, breitete sich ein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

heftiges Zittern in ihm aus. Panisch sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, wohl<br />

wissend, dass er keine Chance hatte. Schließlich waren die Umbaumaßnahmen fertig und<br />

gnadenlos kam die Aufforderung: „So, meine Herren, wenn ich dann mal bitten dürfte, 1 bis<br />

4, ihr kennt die Bequemlichkeit der Liegen ja schon.“ Booth, Jake und House erhoben sich<br />

ergeben, sie waren nicht wieder an die Stühle fixiert worden. Sawyer erstarrte förmlich. Kate<br />

nahm keinerlei Rücksicht mehr darauf, ob es erlaubt war oder nicht. Sie griff nach Sawyers<br />

Händen und sagte beruhigend: „Schatz, bitte, es wird alles gut gehen, hab nicht so viel<br />

Angst.“ Sawyer sah sie hoffnungslos an und in seinen Augen lag eine solche Panik, dass Kate<br />

ganz schlecht wurde. Kaum fähig, alleine zu gehen, stemmte er sich ohne ein Wort hoch und<br />

wankte mehr als dass er ging zur Liege hinüber. <strong>Die</strong> Leidensgenossen schauten betreten zu<br />

Boden. Sie hatten nur ein mulmiges Gefühl vor der Untersuchung selbst, bei Sawyer war es<br />

die nackte Todesangst, die er seit seiner Kindheit mit sich herum schleppte. Und dann ge-<br />

schah etwas wirklich Unerwartetes.<br />

Der Arzt, der an Sawyers Liege stand, sah diesen ruhig an und erklärte dann: „Hör zu,<br />

Nummer 3, das, was vor dreißig Jahren mit deiner Tante geschehen ist, kann heute nicht mehr<br />

passieren. <strong>Die</strong> Instrumente sind erheblich verbessert worden und Perforationen, wie sie vor<br />

dreißig Jahren noch passieren konnten, sind heute ... ausgeschlossen.“ Nur House, Dana und<br />

Allison merkten die winzige Pause, die der Arzt einlegte. Natürlich war eine Gastroskopie ein<br />

unkompliziertes Routineverfahren, aber wie jeder invasive Eingriff barg sie auch heute noch,<br />

wenn auch nur minimale, Risiken. Aber Sawyer hatte die Worte des Arztes aufgesaugt wie<br />

ein Schwamm und beruhigte sich tatsächlich ein wenig. Der leitende Arzt übernahm das<br />

Reden. „Ich erkläre euch kurz, wie die Untersuchung ablaufen wird, dann werden keine<br />

weiteren Erklärungen mehr gegeben, also hört gut zu.“ Er sah die Gefangenen an und diese<br />

lauschten bis auf die drei Ärzte angespannt. „Ihr werdet euch gemütlich auf die linke Seite<br />

legen. Ihr bekommt einen Beißring zwischen die Zähne, um nicht in einem Reflex auf das<br />

Gastroskop zu beißen. Das Instrument wird bis zum Kehlkopf vorgeschoben. Dann werdet ihr<br />

den Befehl erhalten zu Schlucken. Das ist der Moment, wo es etwas unangenehm wird.“<br />

„Etwas ...“, kam es sarkastisch von House‘ Liege. „Wenn ihr einen Brechreiz verspürt, was<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit passieren wird, versucht, so ruhig und gleichmäßig wie möglich<br />

einzuatmen. Eure Atmung wird zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung beeinträchtigt sein.<br />

Schlucken könnt ihr nicht mehr, wenn der Schlauch eingeführt ist, daher wird euer Speichel<br />

seitlich aus dem Mund laufen. Darüber braucht ihr euch keine Gedanken zu machen. Eure<br />

Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz wird die ganze Untersuchung über automatisch über-<br />

wacht. Dafür bekommt ihr einen Pulsoxymeter auf den Finger.“<br />

370


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nachdem die vier Männer sich nun also auf die linke Seite gerollt hatten und mit den<br />

Gesichtern zu ihren Leidensgenossen lagen, bekamen sie den Beißring zwischen die Zähne<br />

gedrückt. Dann zogen sich die Ärzte Hocker heran und die Pfleger steckten den Männern die<br />

Pulsoxys auf die Zeigefinger der rechten Hand. Nun wurde es ernst. Nervös fühlten die<br />

Männer, wie die Schläuche langsam in ihren Mund geschoben wurden. „Ruhig atmen und<br />

Schlucken.“, kam die knappe Anweisung. House gelang es am Besten und er schaffte es auch,<br />

ruhig und gleichmäßig weiter zu Atmen. Sawyer, Booth und Jake würgten heftig und waren in<br />

Sekundenschnelle schweißnass. Unwillkürlich zuckten ihre Hände an den Mund, um den<br />

extrem störenden Gegenstand zu entfernen, aber die Helfer waren zur Stelle und hielten die<br />

Handgelenke fest. Ganz langsam wurden die Gastroskope tiefer und tiefer geschoben. Und<br />

ganz langsam gelang es den drei Männern auch, ruhiger zu Atmen. Normalerweise wurde für<br />

eine Magenspiegelung der Rachenraum betäubt, darauf hatten ihre Gastgeber selbstverständ-<br />

lich verzichtet und so war der Würgereiz für die Gefangenen sehr groß. Endlich waren die<br />

Instrumente an Ort und Stelle und die eigentliche Untersuchung begann. Noch einmal wurden<br />

die Schläuche ein Stück tiefer geschoben, was erneut zu starkem Würgereiz führte, dann<br />

wurde auch der Zwölffingerdarm, der tiefste Punkt, der von oben mit einem Endoskop ein-<br />

gesehen werden konnte, gründlich untersucht. Auch hier wurde sehr vorsichtig Luft ein ge-<br />

blasen, um die Umgebung deutlich erkennen zu können. Das verursachte ein unangenehmes<br />

Völlegefühl. Als die Untersuchung nach fast zwanzig Minuten beendet war, wurde die Luft<br />

genau so vorsichtig wieder abgesogen. Das Herausziehen der Schläuche war noch einmal<br />

ziemlich unangenehm und die Männer würgten wieder heftig, dann hatten sie es geschafft.<br />

Ziemlich fertig durften sie noch ein paar Minuten liegen bleiben, dann hieß es: „So,<br />

auf geht’s, die Nächsten können es gar nicht abwarten.“ Vorsichtig schwangen die Vier die<br />

Beine von der Liege. Dann marschierten sie zu ihren Stühlen zurück. Sawyer zitterten derart<br />

die Knie, dass er um Haaresbreite zusammen gesackt wäre. Kate sprang auf und lief zu ihm<br />

und auch Booth eilte an Sawyers Seite. Zusammen schafften sie ihn auf den Stuhl zurück,<br />

dann musste Kate bereits auf die Liege. <strong>Die</strong> junge Frau war so fixiert darauf, wieder zu<br />

Sawyer zu kommen, dass sie die Magenspiegelung ungeduldig hinnahm. Sie hatte das große<br />

Glück, dass sie keine so ausgeprägten Würgereflexe hatte und somit das Einführen des<br />

Schlauches als nicht so quälend empfand. Ziva konnte das unangenehme Gefühl durch<br />

Konzentrationsübungen fast weg ignorieren. Dana und Bones jedoch kämpften heftig gegen<br />

den ekelhaften Würgereiz an. Allerdings hätte Dana lieber noch fünf weitere Magen-<br />

spiegelungen vornehmen lassen, als die Bronchoskopie und die Knochenmarkentnahme. So<br />

nahm sie diese Untersuchung gelassen hin, wohl wissend, dass es noch das Harmloseste war,<br />

was sie heute erwartete.<br />

371


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung ging zügig voran, alle hatten mehr oder weniger große Probleme<br />

dabei. Bei Mulder, der erstaunlich ruhig zur Liege gegangen war, erklärte der ausführende<br />

Arzt: „Na, das wundert <strong>mich</strong> aber gar nicht. Da haben wir ja nette, kleine Polypen. Dann<br />

haben wir die Untersuchung ja nicht ganz umsonst gemacht, was?“ Mulder wurde blass. Er<br />

konnte wegen des Schlauches ja nichts sagen, aber seine Augen irrten nervös zu Dana<br />

hinüber. „Mach dir keine Sorgen, Mulder, Polypen sind nichts Schlimmes, die werden gleich<br />

entfernt, bleibe bitte ruhig.“, sagte die Agentin hastig und ungeachtet der Tatsache, dass<br />

Unterhaltungen eigentlich nicht gestattet waren. Der Arzt, der die Untersuchung bei Mulder<br />

vornahm, nickte zustimmend. „Genau, Nummer 15, ich werde die zwei Knötchen entfernen.<br />

Davon wirst du nichts spüren, also höre auf deine Partnerin und bleibe ruhig.“ Mulder vergaß<br />

vor Nervosität, ruhig und gleichmäßig zu Atmen, was prompt zu heftigem Brechreiz führte.<br />

Dana sah das und redete weiter beruhigend auf den Partner ein. „Beruhige dich wieder,<br />

Mulder, du machst es dir nur selbst schwer. Du musst unbedingt wieder gleichmäßig und tief<br />

atmen.“ Mulder würgte heftig, zwang sich aber mit aller Macht, sich ausschließlich auf seine<br />

Atmung zu Konzentrieren. Und tatsächlich bekam er sich langsam wieder unter Kontrolle.<br />

Der Arzt hatte gewartet, bis Mulder sich ein wenig beruhigt hatte. Nun aber ließ er sich eine<br />

Schlinge geben und führte diese durch den Arbeitskanal des Gastroskops in den Magen<br />

Mulders ein. „Immer ruhig weiter atmen.“, bekam dieser die Anweisung. Schnell und präzise<br />

entfernte der Arzt die zwei kleinen Polypen, harmlose Wucherungen. Es entstanden nicht<br />

einmal Blutungen und Mulder hatte außer einem kaum merklichen Ziehen nichts gespürt.<br />

Gibbs saß bereits wieder an seinem Platz, als auch Mulder endlich von dem Instrument befreit<br />

werden konnte. Er durfte sich einige Minuten erholen, dann wurde auch er auf den Stuhl<br />

zurück geschickt.<br />

Jetzt wurden an allen vier Liegen Operationstücher und Laborwagen mit Nadeln,<br />

Tupfern, Desinfektionsmittel und Pflastern platziert. Was die Gefangenen besonders be-<br />

unruhigte war die Tatsache, dass an jeder Liege auch eine Notfalleinrichtung, also ein De-<br />

fibrillator, platziert wurde. Allison sah das Erschrecken ihrer Leidensgenossen und erklärte<br />

ruhig: „Das ist Vorschrift ... Nicht, dass ich damit gerechnet hätte, dass sich hier ...“ Sie ver-<br />

stummte sicherheitshalber. Der leitende Arzt sah sie kalt an. „Na, wer wird uns denn so viel<br />

Schlechtigkeit zutrauen? Wir wollen doch unsere Investitionen gesund erhalten.“ House und<br />

einige andere konnten ein abfälliges Schnaufen nicht unterdrücken. Der Arzt grinste gemein<br />

und sagte dann: „Na, wenn wir dann mal weiter machen wollen? Auf geht’s.“ <strong>Die</strong>smal waren<br />

es Sawyer, Booth und Jake, die sich recht entspannt erhoben, während House, der wusste, was<br />

kam, sich zwingen musste. <strong>Die</strong> Helfer legten in Beckenhöhe kleine Polster auf die Liegen und<br />

372


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erklärten: „Auf den Bauch, Hosen ein Stück runter, Becken hier auf das Polster, na los.“ <strong>Die</strong><br />

Männer legten sich in der angegebenen Haltung auf die Liegen und harrten der Dinge, die da<br />

kommen würden. Zuerst einmal steckte man ihnen erneut die Pulsoxys auf die rechten Zeige-<br />

finger. Dann spürten sie, wie die Umgebung ihres Beckenrandes gründlich desinfiziert wurde.<br />

Noch lagen, bis auf House, die Männer ganz entspannt da. Man deckte sie mit einem sterilen<br />

OP Tuch ab, welches nur die Stelle am Becken sowie Schulter und Kopf frei ließ. Als dann<br />

zwei Halteriemen über ihre Körper gelegt und sehr fest gezogen wurden, einer über der Taille,<br />

ein zweiter über den Po, konnten sie nicht verhindern, dass ihnen langsam mulmig wurde.<br />

Der Arzt erklärte: „Wir werden euch nun Knochenmark entnehmen. Dazu wird eine<br />

Hohlnadel in euren Beckenkamm gestoßen und durch leichtes Drehen der Nadel gelangen<br />

ausreichende Gewebemengen in die Nadelspitze. <strong>Die</strong> Gurte sind zur Sicherheit, damit ihr uns<br />

nicht an der schönsten Stelle von der Liege springt.“ House stieß ein frustriertes Lachen aus<br />

und meinte dann: „Jungs, versucht, so entspannt wie möglich zu bleiben, jedes zusätzliche<br />

Verkrampfen erhöht die Schmerzen.“ Der leitende Arzt nickte. „Hört auf euren Hausarzt, er<br />

weiß, wovon er spricht.“ Er zog sterile Handschuhe an, legte einen Mundschutz an und die<br />

anderen Ärzte taten es ihm gleich. Dann spürten die Männer Hände an ihrem Becken und den<br />

Einstich der Nadel. Abgesehen von der Tatsache, dass die Nadel sich anfühlte, als wäre sie<br />

mindestens 5 cm im Durchmesser, war bisher alles im grünen Bereich. Spritzen hatten keinem<br />

der Männer bisher je etwas ausgemacht. Dann aber traf besagt Spritze auf die Beckenknochen<br />

und ein heißer Schmerz zuckte durch ihre Körper. Sich krampfhaft die Worte House‘ ein-<br />

hämmernd, entspannt zu bleiben, lagen die Männer keuchend und zitternd da, die Hände um<br />

die oberen Liegenkanten gekrallt, und kämpften gegen den Impuls, aufzuschreien vor<br />

Schmerzen. Ohne etwas dagegen machen zu können, schossen ihnen Tränen in die Augen.<br />

Und dann spürten sie, wie die Nadel in ihrem Knochen hin und her gedreht wurde und nicht<br />

nur Jake entwich ein gequältes Stöhnen. Endlich aber wurden die Nadeln zurück gezogen und<br />

fix und fertig sackten die vier Männer in sich zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Leidensgenossen hatten immer entsetzter zu geschaut und ihnen brach der<br />

Schweiß aus bei der Vorstellung, dass sie als Nächstes diese offensichtliche Tortur würden<br />

über sich ergehen lassen müssen. <strong>Die</strong> Männer jedoch wurden von den Halteriemen befreit, die<br />

OP Tücher wurden von ihren Körpern genommen und sie bekamen Pflaster auf die Einstich-<br />

stellen. Sie durften noch einige Minuten liegen bleiben, die alle vier auch dringend be-<br />

nötigten, dann ließ man sie sich vorsichtig und langsam aufsetzen. Leicht zittrig gingen sie zu<br />

ihren Stühlen zurück und hielten die Blicke starr auf den Boden gerichtet. Keiner von ihnen<br />

mochte die wartenden Leidensgenossen anschauen. Ziva, die zusammen mit Dana, Kate und<br />

373


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bones als nächstes an der Reihe war, biss wütend die Zähne zusammen. Sie legte sich in die<br />

vorgeschriebene Position und ließ die Punktion ohne einen Laut von sich zu geben über sich<br />

ergehen. Sie hatte schon sehr früh gelernt, Schmerzen zu ertragen und sie als etwas durchaus<br />

Notwendiges und teilweise Sinnvolles zu akzeptieren. <strong>Die</strong> anderen Frauen jedoch hatten diese<br />

pragmatische Einstellung nicht von Kindesbeinen an eingeimpft bekommen und nicht nur<br />

Kate wimmerte leise vor Schmerzen. Den Männern zerriss es fast das Herz, als sie ihre<br />

Partnerinnen tränenüberströmt schließlich wieder neben sich sitzen hatten. Kate zitterte am<br />

ganzen Leib und sank, kaum, dass sie saß, in Sawyers Arme. Und nun hatten sich Heather,<br />

Allison, Locke und Mick zu erheben.<br />

... und kein Ende<br />

Hass ist eine zu große Last, als dass man sie alleine tragen könnte.<br />

Martin Luther King<br />

Mick hätte fast selbst gerne gewusst, was bei seinen Untersuchungen an Erkenntnissen<br />

zu gewinnen war. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie es beispielsweise in<br />

seinem Magen nach der Umwandlung aussah, oder wie die Zusammensetzung seines Blutes<br />

und seines Knochenmarks war. Als er festgeschnallt auf der Liege lag, musste er zugeben,<br />

dass ihm selbst noch einige andere Untersuchungen einfielen, die skrupellose Wissenschaftler<br />

mit einem Vampir durchziehen konnten. Als die Nadel in seinen Körper glitt, verdrängte<br />

jedoch der Schmerz schnell alle klaren <strong>Über</strong>legungen und Mick sog scharf die Luft ein.<br />

Hinter sich hörte er Heather und Allison aufwimmern. Locke hatte, ähnlich wie Ziva, die<br />

Gabe, Schmerzen bis zu einem gewissen Grad zu Ignorieren. Er hatte in seinem Leben schon<br />

erheblich schlimmere Qual über sich ergehen lassen müssen als diese. Ihm gelang es, wirklich<br />

entspannt zu bleiben und so hielten sich die Schmerzen bei ihm auch in einem halbwegs er-<br />

träglichen Rahmen. Allerdings räumte er durchaus ein, genau so froh wie alle anderen auch zu<br />

sein, als die Nadel heraus gezogen wurde und er auf seinen Platz zurückkehren konnte.<br />

Als letzte waren Abby, Mulder und Gibbs an der Reihe. Mulder erzitterte, als er die<br />

Riemen, die ihn auf der Liege hielten, spürte, zwang sich aber, die Zähne zusammenbeißend,<br />

möglichst ruhig zu bleiben. Als er die Nadel in seinen Körper eindringen spürte, schloss er die<br />

374


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Augen und versuchte verzweifelt, an etwas Schönes zu denken und gleichmäßig weiter zu<br />

Atmen. Dana. Dana war etwas Schönes. Er drehte den Kopf so, dass er zu ihr hinüber sehen<br />

konnte und ließ seine Augen während der weiteren Prozedur auf sie gerichtet. Schließlich<br />

hatten auch die drei es hinter sich und gnädig wurde ihnen allen nun eine Stunde Pause vor<br />

den beiden letzten Untersuchungen eingeräumt. Sie wurden in einen Nachbarraum gebracht,<br />

in dem neben einem Tisch mit Stühlen drum herum sogar einfache Liegen standen, auf denen<br />

sie sich ausruhen konnten. Sawyer ging gesenkten Hauptes zu der Liege ganz am anderen<br />

Ende des Raumes und rollte sich regelrecht auf dieser zusammen, den Mitgefangenen den<br />

Rücken zu drehend. Eine Unterhaltung kam nicht auf, dafür waren alle schon zu fertig. Aus-<br />

nahmsweise hatte auch keiner ein Auge für den <strong>Anderen</strong>, jeder war zu sehr mit sich selbst,<br />

seinen Schmerzen oder Ängsten vor dem, was noch kommen würde, beschäftigt. Locke,<br />

Gibbs, Ziva und Booth hatten sich schweigend an den Tisch gesetzt und die Köpfe auf die<br />

Arme sinken lassen. Jake lief unruhig auf und ab, Heather hatte sich in einer Raumecke auf<br />

den Boden gehockt, zog die Knie ganz dicht an den Körper und starrte vor sich hin. Alle<br />

anderen hatten sich wie Sawyer auf die Liegen geworfen. Mick war der einzige, der nicht<br />

wirkte, als wäre er am Ende seiner Kräfte. Er stand an der Tür und ließ seine Augen über die<br />

vollkommen desolaten Mitgefangenen wandern. An Sawyer blieben sie hängen und er kniff<br />

die Augen zusammen. Dann ging er zu Kate hinüber, die sich auf die Kante einer Liege<br />

gesetzt hatte und gedankenverloren auf den Boden vor sich schaute. Er trat zu ihr und sprach<br />

sie leise an.<br />

„Kate?“ <strong>Die</strong> junge Frau sah müde auf. „Was?“ Mick lächelte und machte nur eine<br />

Kopfbewegung in Richtung Sawyer. Erschrocken bemerkte Kate, was mit dem geliebten<br />

Mann los war, sprang auf und eilte zu ihm. Sawyer schämte sich seiner Angst, die er nicht<br />

hatte verbergen können. Er hatte das Gefühl, seinen Leidensgenossen nie wieder in die Augen<br />

schauen zu können. Er bildete sich ein, die verächtlichen Blicke aller auf seinem Rücken zu<br />

spüren und schloss verzweifelt die Augen. Was musste Kate von ihm denken. Gequält stöhnte<br />

der junge Mann auf. Und zuckte heftig zusammen, als er plötzlich eine Hand auf der Schulter<br />

spürte und Kates leise Stimme hörte. „Sawyer? Ist alles in Ordnung?“ Verzweifelt stieß<br />

Sawyer hervor: „Lass <strong>mich</strong> in Ruhe, okay, mir ist nicht nach Reden ...“ Kate ließ sich nicht<br />

abwimmeln. Sie kannte Sawyer inzwischen mehr als gut genug, um zu wissen, dass er die<br />

Worte nicht so meinte wie sie sich anhörten. „Baby, bitte, sag mir, was los ist, friss es nicht in<br />

dich hinein.“ Ohne sie anzusehen, stieß Sawyer genervt hervor: „Warum kannst du <strong>mich</strong> nicht<br />

einfach in Frieden lassen?“ Kate konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen<br />

schossen. „Weil ich dir helfen möchte.“ „Mir braucht keiner zu helfen. Ich komm schon klar.“<br />

Kate hockte sich hin und brachte ihr Gesicht ganz nah an Sawyer heran. Leise sagte sie:<br />

375


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Genau so siehst du auch aus, als ob du schon alleine klar kommen würdest.“ Müde öffnete<br />

der junge Mann jetzt doch die Augen und sah Kate hoffnungslos an. Und sofort wurde dieser<br />

klar, was mit ihm los war. Erschüttert sagte sie: „Du schämst dich?“ Sawyers Augen weiteten<br />

sich. „Woher ...?“ Kate strich ihm sanft eine Haarsträhne aus der Stirn und antwortete: „Weil<br />

ich dich inzwischen sehr gut kenne. Du hast keinen Grund dazu, das weißt du, oder?“<br />

„Findest du?“ Verzweifelt stieß Sawyer ein kurzes Lachen aus. „Ich habe <strong>mich</strong><br />

komplett lächerlich gemacht. <strong>Die</strong> werden <strong>mich</strong> auslachen ... Ich komme mir so ...“ Hier<br />

unterbrach Kate ihn energisch. „Erstens wird garantiert niemand über dich lachen, Baby. <strong>Über</strong><br />

Booth hat beim Zahnarzt auch niemand gelacht. Du hast auch keinen Grund, dir dumm vor zu<br />

kommen, oder so was. Zweitens haben alle Angst. Du bildest hier keine unrühmliche Aus-<br />

nahme, hast du verstanden? Ich habe da auf der verdammten Liege gelegen und geheult wie<br />

ein Kind. Also müsste ich <strong>mich</strong> auch schämen. Bilde dir nur nicht ein, du wärest etwas Be-<br />

sonderes.“ Sawyer kam nicht umhin, Kate zuzuhören. Ihm waren bei ihren leidenschaftlichen<br />

Worten Tränen in die Augen geschossen, die er verzweifelt versuchte, zu unterdrücken.<br />

„Meinst du ...?“ Kate nickte. „Ja, das meine ich. Wir haben noch zwei ... Ich habe solche<br />

Angst. Und so geht es allen. Bitte, halt <strong>mich</strong> einfach fest, dann ...“ Sie verstummte und<br />

Sawyer setzte sich auf, zog die junge Frau an sich. Sie kuschelte sich an ihn und so blieben sie<br />

still sitzen, bis die Tür auf ging und die Aufforderung kam: „So, es geht weiter, ihr habt euch<br />

genug ausgeruht. Na, los.“ Resigniert schloss Sawyer kurz die Augen, dann erhoben er und<br />

Kate sich und gingen den Leidensgenossen hinterher zurück in den Untersuchungsraum.<br />

Der Arzt, der die Untersuchung leitete, begrüßte die Gefangenen mit den Worten: „So,<br />

dann wollen wir mal sehen, was einige von euch mit ihrer Raucherei in ihren Bronchien an-<br />

gerichtet haben. Und da ihr uns zu Recht nach sagt, dass man bei uns nichts vorher sehen<br />

kann, wollen wir die Reihenfolge ein wenig verändern. Bisher durften sich 13, 14, 15 und<br />

sechzehn am längsten freuen, diesmal fangen wir mit euch an. Auf geht’s, die Liegen rufen.“<br />

Erschrocken zuckten die vier Angesprochenen zusammen. Noch mehr jedoch zuckten Booth,<br />

Jake, Sawyer und House zusammen. Wenn es auch nicht angenehm war, der Erste zu sein,<br />

dem etwas Unangenehmes angetan wurde, war es doch noch erheblich schlimmer, erst lange<br />

dabei zuzusehen, wie dieses Unangenehme anderen angetan wurde und man genau wusste,<br />

einem selbst stand dies auch noch bevor. Nun mussten sich Gibbs, Mulder, Abby und Mick<br />

also zuerst erheben und zu den Liegen hinüber gehen. „Legt euch in Rückenlage hin.“,<br />

wurden sie kurz angewiesen. Nachdem alle vier lagen, erklärte der leitende Arzt: „Also, wir<br />

werden euch kurz wieder erläutern, was nun passiert. 4, 7 und 10 wissen selbstverständlich,<br />

was eine Bronchoskopie ist. Für alle anderen: Wir werden euch ein Bronchoskop, ein etwa<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bleistiftdickes, flexibles Sichtgerät ähnlich dem Gastroskop, welches ihr ja schon kennen ge-<br />

lernt habt, durch die Nase in den Rachen und dann tiefer bis in die Bronchien schieben. Ihr<br />

werdet die ganze Zeit völlig normal atmen können, aber nicht Reden, da das Instrument auf<br />

eurer Stimmritze liegt. Versucht also erst gar nicht, zu Plaudern. Wenn notwendig, können<br />

wir durch einen Arbeitskanal ein Instrument zur Gewebeentnahme einführen. <strong>Die</strong> Spiegelung<br />

selbst sowie eine mögliche Biopsie ist schmerzlos, ihr braucht euch also nicht vor Angst in<br />

die Hose machen. Das Einführen des Schlauches ist ziemlich unangenehm, aber ihr werdet es<br />

überleben, da bin ich sicher. Ihr habt die Wahl, freiwillig still zu halten, oder fixiert zu<br />

werden.“<br />

Mehr oder weniger nervös warteten also Mulder, Abby, Gibbs und Mick, dass es los-<br />

ging. Mulder hatte erhebliche Probleme, still zu liegen. Man legte ihnen eine dünne Nacken-<br />

rolle unter den Nacken und dann fingen die Ärzte an, die dünnen Schläuche sehr vorsichtig<br />

einzuführen. Das Gefühl, dass dabei entstand, reichte von unangenehm über schmerzhaft bis<br />

hin zu ziemlich unerträglich. Es kostete alle vier all ihre Beherrschung, auch nur halbwegs<br />

ruhig liegen zu bleiben. Wie lange die Tortur dauerte, hätte keiner von ihnen sagen können,<br />

alles zwischen einer Stunde und einem Jahr schien ihnen möglich. Ohne auch nur das<br />

Geringste dagegen machen zu können, stürzten ihnen Tränen über die Wangen und immer<br />

wieder zuckten ihre Hände, nur noch mühsam zurück gehalten, auf ihr Gesicht zu. Endlich<br />

spürten sie, wie die Schläuche langsam und vorsichtig zurückgezogen wurden. Und vor Er-<br />

leichterung den Tränen näher als ihnen lieb war, spürten sie schließlich die Schläuche ganz<br />

aus ihren Nasen heraus gleiten. Jetzt durften sie auch endlich mit den Händen an ihre Ge-<br />

sichter fahren und sich Schweiß und Tränen fort wischen. Selbst Mick war nach dieser Unter-<br />

suchung ziemlich am Ende. Und die anderen Gefangenen, die das Vergnügen gehabt hatten<br />

zuzugucken, konnten nur schwer den Impuls unterdrücken, aufzuspringen und wenigstens den<br />

Versuch zu unternehmen, die Flucht zu ergreifen.<br />

Als nach einer geduldeten Erholungszeit schließlich Locke, Allison, Heather und Kate<br />

aufgefordert wurden, sich auf die Liegen zu begeben, wurde diesen fast schlecht. Dreißig<br />

Minuten später hatten sie es hinter sich und wankten zu ihren Stühlen zurück. Auch bei Dana,<br />

Bones, Ziva und House verlief die Untersuchung schnell und problemlos. Dann waren als<br />

letztes die drei jungen Männer an der Reihe. Sawyer ertrug die Untersuchung relativ problem-<br />

los und auch Jake hatte keine größeren Probleme. Als jedoch der Schlauch bei Booth in die<br />

Luftröhre eindrang und langsam tiefer geschoben wurde, hatte dieser urplötzlich das unan-<br />

genehme Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Panisch riss er den Mund auf und seine Hände<br />

fuhren haltlos an den Schlauch, um diesen störenden Gegenstand aus seiner Luftröhre zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

reißen. Blitzschnell waren die Helfer von den anderen Tischen da und Sekunden später schon<br />

lag Booth bewegungsunfähig fixiert und verzweifelt nach Luft röchelnd da. Bones wurde von<br />

Ziva und Jake zurück gehalten, zu Booth zu eilen. Man hatte ihr einen mehr als eindeutigen<br />

Blick zu geworfen, sich ja nicht zu rühren. An der Liege bekam Booth inzwischen Sauerstoff<br />

über eine Maske zugeführt, die zwar nicht richtig passte wegen des Schlauches, ihm aber<br />

doch half, und die Untersuchung ging weiter, als wäre nichts gewesen. Der Arzt, der die<br />

Untersuchung bei ihm vornahm, arbeitete mit der Präzision eines Roboters weiter, ohne sich<br />

im Geringsten um die Leiden seines wehrlosen Opfers zu kümmern. Und fast schien es, als<br />

wäre dies die beste Option, denn dadurch war er schnell mit der Untersuchung fertig und<br />

Booth konnte endlich von dem Schlauch befreit werden.<br />

Vollkommen am Ende lag er da und war bemüht, einfach wieder zu atmen. Es dauerte<br />

Minuten, die man ihm sogar zugestand, bis er sich soweit beruhigt hatte, um aufzustehen und<br />

sich an seinen Platz zu schleppen. Sawyer und Jake saßen schon lange wieder und kämpften,<br />

wie alle anderen, inzwischen mit ziemlichen Halsschmerzen. Innerhalb so kurzer Zeit zwei<br />

Mal einen Schlauch durch den Rachen geschoben zu bekommen, war sehr invasiv und House,<br />

Allison und Dana war klar, dass sie alle mit zwei bis drei schmerzhaften Tagen rechnen<br />

konnten. Als Booth mit zitternden Knien seinen Stuhl erreicht hatte, sank er leise stöhnend<br />

darauf nieder, lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Er war fertig. Und noch<br />

stand eine Untersuchung aus. Und diese wurde auch ohne Zögern von den Ärzten in Angriff<br />

genommen. Wieder wurde von hinten begonnen und Gibbs, Mulder, Abby und Mick auf-<br />

gefordert, zu den Liegen zu kommen. Sie wurden angewiesen, sich an die Längsseite der<br />

Liegen zu setzen und sich leicht vor zu beugen. T-Shirts und Hosen wurden soweit hoch, be-<br />

ziehungsweise herunter geschoben, dass der jeweilige Arzt problemlos an die Lendenwirbel<br />

heran kam. Jetzt ertastete der Arzt die Stelle zwischen dem 4.ten und 5.ten Lendenwirbel und<br />

markierte sie. Dann erhielten die Vier die Aufforderung, sich in Seitenlage auf die Liege zu<br />

legen und sich leicht zusammen zu krümmen. Während die Stelle an ihren Lendenwirbeln<br />

gründlich desinfiziert wurde, wurden sie erneut darüber aufgeklärt, was passieren würde.<br />

„Ich wiederhole <strong>mich</strong>, aber leider sind nur drei von euch medizinisch bewandert, daher<br />

erkläre ich auch noch, was bei der Lumbalpunktion gemacht wird.“ Er sah die vollkommen<br />

erschöpft auf den Stühlen mehr hängenden als sitzenden Gefangenen an und grinste. „Obwohl<br />

ihr nicht den Eindruck macht, als wäret ihr noch in der Lage, mehr als die Beschreibung eines<br />

Ostereis zu begreifen.“ Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht und er sagte plötzlich<br />

kalt und laut: „Ich erwarte, dass ihr euch anständig hin setzt und aufmerksam zu hört, wenn<br />

euch etwas erklärt wird, verstanden?“ Erschrocken rappelten die Gefangenen sich auf, be-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mühten sich mit zusammen gebissenen Zähnen um eine vernünftige Haltung und antworteten<br />

fast im Chor: „Verstanden, Sir.“ Zufrieden nickte der Arzt. „Und jetzt hört zu. Wir haben die<br />

Einstichstelle ertastet und markiert. Sie wurde bereits desinfiziert und gleich werden wir eine<br />

mit einem Stift verschlossene Hohlnadel zwischen den Wirbeln hindurch in einem 15° Winkel<br />

von unten nach oben bis ins Nervenwasser einführen. Vor einer versehentlichen Verletzung<br />

des Rückenmarks braucht ihr dabei keine Angst zu haben, wie euch die Fachleute hier sicher<br />

gerne bestätigen werden. In dem Bereich befindet sich kein Rückenmark mehr. Stimmt ihr<br />

mir da zu, 4, 7 und 10?“ Müde klangen Danas, Allisons und House’ Stimmen. „Ja, das stimmt<br />

wohl, Sir.“ Der Arzt sah die Gefangenen weiter sehr genau an. „Wenn die Nadel beim Ein-<br />

stechen gegen eine der einzelnen Nervenwurzeln in diesem Bereich stößt, passiert was,<br />

Nummer 7?“<br />

Dana riss sich zusammen und erklärte: „Ihr werde dann ein Gefühl in einem Bein<br />

haben wie nach einem leichten Stromschlag, nichts schlimmes.“ Der Arzt nickte zufrieden.<br />

„Wenn die Nadel an der richtigen Stelle steckt, wird der Stift aus der Hohlnadel gezogen und<br />

wir werden einige Tropfen des austretenden Nervenwassers auffangen, es wird nicht an-<br />

gesaugt.“ Er sah Allison scharf an. „Nummer 10, was muss noch gesagt werden?“ Allison<br />

verdrehte frustriert die Augen. „Der Vorgang ist nicht schmerzlos und wird normalerweise<br />

unter einer Lokalanästhesie durchgeführt. Versucht, ruhig liegen zu bleiben und euch ... zu<br />

entspannen.“ Tränen kullerten ihr über die Wangen und sie fuhr fort „Ich weiß, dass das in-<br />

zwischen keinem von uns mehr gelingen wird ...“ Verzweifelt schwieg sie. Der Arzt nickte.<br />

„Gut, dann ist alles gesagt und wir werden anfangen. Nach dieser Untersuchung werdet ihr<br />

unmittelbar auf eure Zimmer gebracht, wo ihr 24 Stunden in Ruhe gelassen werdet. Ihr werdet<br />

gut versorgt und solltet eine ganze Weile liegen.“ Er drehte sich zu den wartenden vier Ge-<br />

fangenen herum und gab seinen Ärzten ein Zeichen. „Auf geht’s.“ Und dann wurde es noch<br />

einmal sehr unangenehm. Keiner der vier konnte Schmerzlaute unterdrücken, nicht einmal<br />

Mick. Vor Schmerzen verkrampften sie sich immer mehr und forcierten dadurch ungewollt<br />

die Schmerzen selbst noch. Abby liefen Tränen über die Wangen, alle waren Schweiß gebadet<br />

und Gibbs hatte das Gefühl, jeden Moment von der Liege zu rutschen. Und die Zuschauer<br />

saßen auf ihren Stühlen und ihnen wurde schlecht vor Angst. Kate liefen schon jetzt Tränen<br />

über das blasse Gesicht, ebenso Heather, und sie klammerten sich an die Hände ihrer Partner.<br />

Und dann war es für die ersten vorbei. Vier Wachen kamen in den Raum und führten Gibbs,<br />

Mick, Mulder und Abby sofort weg. Kaum noch fähig, alleine zu Gehen, verschwanden sie<br />

und Locke, Allison, Heather und Kate wurden aufgefordert, sich auf die Liegen zu begeben.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Panisch spürten sie, wie die Einstichstellen ertastet und markiert wurden, dann wurde<br />

gründlich Desinfektionsmittel aufgetragen. Sie erhielten ebenfalls die Aufforderung, sich zu<br />

legen. Der Einstich war fast schmerzhafter als bei der Knochenmarkpunktion und Kate und<br />

Heather schafften es in ihrem ohnehin völlig desolaten Zustand nicht mehr, einen<br />

Schmerzensschrei zu unterdrücken. Jake und Sawyer erwachten dabei noch einmal aus der<br />

Starre, in die sie vor Erschöpfung und Angst gefallen waren und schauten aus verquollenen,<br />

rot geränderten Augen zu den Frauen hinüber, die sie liebten und wieder einmal so sehr<br />

Leiden sehen mussten. Und dann waren die vier ebenfalls fertig und wurden sofort aus dem<br />

Raum geschafft. Mit zitternden Beinen schlurften nun Dana, Bones, Ziva und House zu den<br />

Liegen und diesmal war es Booth, der fast verrückt wurde, weil Bones gequält auf wimmerte,<br />

als die Nadel Minuten später in ihren Körper geschoben wurde. Selbst Ziva entwich ein<br />

schmerzerfülltes Keuchen, dass sie nicht mehr zurück halten konnte. Für Jake, Sawyer und<br />

Booth war es nun am Schlimmsten, da sie alle anderen Leiden sahen und als letzte auf die<br />

Liegen mussten. Als Sawyer dann schließlich auf der Liege lag, biss er wütend die Zähne zu-<br />

sammen und dachte - Ihr blöden Arschlöcher bringt <strong>mich</strong> nicht wieder zum Wimmern. - Er<br />

schloss die Augen und wartete verbissen auf den Einstich, der auch prompt erfolgte. Er biss<br />

die Zähne so fest zusammen, dass er das Gefühl hatte, sie sich abzubrechen, aber es gelang<br />

ihm, jeden Laut zu unterdrücken. Nur hartes Atmen war von ihm zu hören. Und dann war es<br />

vorbei. Plötzlich und fast unerwartet ließ der Schmerz nach und man half ihnen auf die Beine.<br />

Und Minuten später lag er neben Kate im Bett.<br />

Fertig, am Ende, nicht einmal fähig, ein tröstendes oder Mut machendes Wort zu Kate<br />

zu äußern. Sawyer rollte sich zusammen, schloss die Augen und wünschte sich nur noch, ein-<br />

schlafen zu können. Er hatte rasende Kopfschmerzen, die Einstichstellen der Nadeln<br />

pulsierten und brannten, Nase, Rachen und Hals schmerzten von den eingeführten Schläuchen<br />

heftig, Sawyer fror und fühlte sich einfach furchtbar. Er hätte sonst was für etwas Eiskaltes zu<br />

Trinken gegeben, hatte aber das unbestimmte Gefühl, es nicht zum Kühlschrank und zurück<br />

zu schaffen. Er presste die Hände an die hämmernden Schläfen und stöhnte leise auf.<br />

Vier Räume weiter war Beth fast vergangen vor Angst und Sorge. Alleine in dem<br />

Zimmer eingesperrt, hatte sie verzweifelt versucht, sich irgendwie abzulenken, aber das war<br />

ihr nicht geglückt. Immer wieder fuhr ihr durch den Kopf, dass, wenn Mick nicht in abseh-<br />

barer Zeit endlich wieder in einen Freezer dürfte, er erneut akute Probleme bekommen würde.<br />

Wo war er hin geschafft worden? Wo waren die Mitgefangenen? Warum ließ man sie hier<br />

alleine zurück? Immer panischer wurde die junge Frau. Und dann fuhr sie entsetzt zusammen,<br />

als die Tür ihrer winzigen Wohnung geöffnet wurde und mit Hilfe eines Hubwagens der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Freezer aus dem Zellentrakt in ihr Schlafzimmer geschafft wurde. Unendlich erleichtert<br />

seufzte Beth auf. Wenigstens das gestand man Mick zu. Wieder vergingen Stunden, in denen<br />

die Journalistin fast eine Furche in den Teppich im Wohnzimmer lief, bis die Tür erneut ge-<br />

öffnet wurde und in der nächsten Sekunde stieß eine Wache Mick in den Raum. Entsetzt fing<br />

Beth den Vampir auf und erschrak fast zu Tode, als sie sah, in welch miserabler Verfassung er<br />

war. „Komm schon, Baby, du musst unbedingt in den Freezer. Komm, das schaffen wir.“,<br />

stieß sie verzweifelt hervor und schaffte den glühenden, zitternden jungen Mann ins Schlaf-<br />

zimmer. Mit einer Hand hielt sie Mick fest, mit der anderen Hand hob sie den Deckel der<br />

Kühltruhe und half Mick schließlich hinein. Als er am ganzen Leib zitternd in der Truhe lag,<br />

liefen Beth Tränen über die Wangen. „<strong>Die</strong>se Schweine. Was haben sie nur mit dir gemacht?“<br />

Mick sah aus glasigen Augen zu ihr auf und stieß keuchend und heiser hervor: „Das Gleiche<br />

wie mit den <strong>Anderen</strong> ... Nur Untersuchungen ... nichts Schlimmes ... Mach den Deckel zu,<br />

bitte ...“ Unter Tränen nickte Beth, streichelte Mick noch einmal zärtlich über die Wange,<br />

dann schloss sie den Deckel. Sie hatte ihn lebend wieder.<br />

*****<br />

Mulder lag auf dem Bett, starrte die Decke an und versuchte, möglichst wenig zu<br />

Schlucken. Sein Hals tat höllisch weh und er hatte im Augenblick das Gefühl, als würde der<br />

Schmerz nie wieder aufhören. <strong>Die</strong> hämmernden Kopfschmerzen, die er unmittelbar nach der<br />

Lumbalpunktion gehabt hatte, waren zum Glück schnell verschwunden. Abgesehen von den<br />

brennenden Halsschmerzen fühlte er sich wieder halbwegs wie ein Mensch. Man hatte sie<br />

lange ganz in Frieden gelassen, sie hatten kalte Getränke und leichte Speisen bekommen.<br />

Dana war, kaum, dass sie in die kleine Wohnung geschafft worden war, eingeschlafen. Es<br />

hatte fast einer Ohnmacht geglichen. Auch Mulder war fast unmittelbar in einen Schlaf der<br />

absoluten Erschöpfung gefallen. Wie lange sie geschlafen hatten, konnten beide nur schätzen,<br />

hatten aber das Gefühl, sehr lange. Wie sich wohl die <strong>Anderen</strong> fühlten? Mulder gab sich<br />

selbst die Antwort. - Auch nicht besser als du, du Trottel. - Er verzog das blasse Gesicht zu<br />

einem Grinsen. Und dann erschrak er, als plötzlich eine Lautsprecherdurchsage durchs<br />

Zimmer klang. „Alle hoch und an den Esstisch.“ Dana, die vor sich hin gedöst hatte, fuhr auf.<br />

„Was soll das, können die uns nicht in Frieden lassen?“, krächzte sie heiser. Sie hatte immer<br />

noch leichte Unterleibschmerzen und wünschte, sie könne noch einen weiteren Tag in Ruhe<br />

regenerieren. Mulder zuckte die Schultern. „Vielleicht Essen? Wird auch Zeit, ich habe<br />

tierischen Hunger.“, meinte er ähnlich heiser. Gemeinsam traten die Beiden vor die offene<br />

Tür und sahen die Mitgefangenen aus den Zimmern kommen und an den Tisch treten. Beth,<br />

381


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Mick geweckt hatte, sah erst jetzt, dass die anderen Gefangenen in ähnlich schlechtem<br />

Zustand gewesen sein mussten wie dieser.<br />

Kaum saßen alle an dem großen Tisch, öffnete sich die Tür und Wachen mit Servier-<br />

wagen kamen herein. Es wurden Teller und Löffel vor den Gefangenen verteilt und sie er-<br />

hielten eine kräftige Gemüsesuppe. Das Schlucken verursachte allen, bis auf Beth, die ja nicht<br />

untersucht worden war, und Mick, der keine Nahrung erhielt, heftige Schmerzen, und so zog<br />

sich die Mahlzeit ein wenig in die Länge. Aber trotz der heftigen Halsschmerzen waren alle<br />

dankbar, wieder etwas Warmes zu Essen zu bekommen. Als auch der Letzte fertig war, und<br />

die Teller abgeräumt worden waren, kam der Arzt, der die Untersuchungen geleitet hatte, zur<br />

Tür herein. Unwillkürlich verkrampften sich die Gefangenen und sahen ihm nervös entgegen.<br />

Er grinste und erklärte dann gelassen: „Keine Bange, auch, wenn noch ein paar Unter-<br />

suchungen ausstehen, wie ihr ja sicher selbst nach einem Blick auf den Untersuchungszettel<br />

feststellen konntet, braucht ihr nicht mehr in Panik geraten. Was <strong>mich</strong> her treibt ist die Be-<br />

sorgnis. Ich möchte <strong>mich</strong> davon überzeugen, dass es euch gut geht und ihr alles einigermaßen<br />

überstanden habt. Schließlich liegt mir euer Wohl sehr am Herzen.“ Aus jedem seiner Worte<br />

tropfte mehr Sarkasmus, als selbst House zustande gebracht hätte. Der Arzt fuhr fort:<br />

„Morgen müsst ihr alle wieder einsatzfähig sein, denn wir haben schließlich noch so einiges<br />

auf dem Zettel. Was machen denn eure Rachen? Ich denke mir, die müssten ziemlich<br />

schmerzen, oder?“ Als keine Antwort erfolgte, alle nur genervt auf den Tisch vor sich<br />

starrten, kniff der Arzt die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und taxierte die am Tisch<br />

Sitzenden wie eine Schlange ein Kaninchen. „Daran müssen wir noch arbeiten ...“, meinte er<br />

dann gefährlich leise. Und den Gefangenen wurde urplötzlich klar, dass sie gerade einen<br />

schwerwiegenden Fehler gemacht hatten.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> schlanken, gepflegten Finger des jungen Mannes hinter dem teuren Mahagoni-<br />

Schreibtisch trommelten einen genervten Takt auf das wunderschöne, tiefrot schimmernde<br />

Holz. „Und ihr beiden Idioten meint also, dies sei die Antwort, die ich von euch zu erhalten<br />

gehofft habe?“ <strong>Die</strong> beiden erheblich älteren Männer auf den mit teurem Leder bezogenen Be-<br />

suchersesseln vor dem Schreibtisch zuckten unter den beinahe sanften, ironischen Worten des<br />

noch sehr jungen Mannes unmerklich zusammen. So sanft ihr Gegenüber aber auch wirken<br />

mochte, so gefährlich, tödlich, konnte es werden, wenn man ihn verärgerte. Der rechts<br />

sitzende der Männer beeilte sich zu erwidern: „Mr. Kostan, Sir, das war selbstverständlich<br />

noch nicht alles, dass Mr. St. John und seine Verlobte verschwunden sind, ist Ihnen natürlich<br />

382


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

klar.“ „Genau.“, fuhr der zweite Mann dazwischen. „Was wir damit sagen wollten ist, dass ...“<br />

„... ihr absolut keinen Schimmer habt, wo Miss Turner und Mr. St. John sich derzeit auf-<br />

halten.“, unterbrach Kostan die beiden Älteren sarkastisch. Dann schlug seine Linke verärgert<br />

auf die Tischplatte und er zischte leise, gefährlich leise: „Ich hoffe für euch, dass ihr mir noch<br />

ein paar Informationen zukommen lassen könnt, von denen ich bisher nichts weiß. Ich habe<br />

euch eine ganze Menge meines schwer erarbeiteten Geldes in den Rachen geschmissen und<br />

erwarte von euch entsprechende Leistungen, sonst war dies euer letzter Auftrag.“<br />

Plötzlich lag Gefahr in der Luft. <strong>Die</strong> beiden Männer waren zu blass, als dass noch auf-<br />

gefallen wäre, dass sie unter der unverhohlenen Drohung die Farbe verloren. Hastig stotterte<br />

der Eine: „Mr. Kostan, Sir, wir haben heraus gefunden, dass ihr Freund zusammen mit Miss<br />

Turner dem Abtrünnigen Yassir Hakim auf den Fersen waren.“ Kalt sah Kostan die Männer<br />

vor sich an. Seine dunklen Augen fixierten den Sprecher, und mit einer Eiseskälte, die den<br />

Männern einen Schauer über den Rücken jagte, erklärte Josef Kostan: „Auch das weiß ich<br />

bereits.“ Der zweite Mann beeilte sich, auszuführen: „Wir haben die Spur der Beiden von LA<br />

nach New York, von dort hinüber nach Europa, genauer nach Lissabon, und weiter nach<br />

Kairo und Bangkok verfolgt. Dort hätten sie Hakim fast erwischt. Im letzten Moment gelang<br />

es diesem jedoch, eine Maschine nach Indonesien zu erwischen. Nach Jakarta. Ihr Freund und<br />

Miss Turner konnten die Spur erneut aufnehmen und wir haben zuverlässige Informationen,<br />

dass es Mr. St. John in Jakarta letztlich gelang, Hakim zu vernichten. Wir wissen, dass die<br />

Beiden ins Hotel zurückkehrten. Der Portier hatte zweifelsfrei den Eintrag im Gästebuch, dass<br />

die Beiden gegen 0.45 Uhr ihren Zimmerschlüssel an der Rezeption entgegen nahmen. Das<br />

Park Lane ist keine billige Absteige, sondern ein Sternehotel, daher kann man sich auf die<br />

Aussage verlassen. Wir haben vor Ort mit dem Zimmerservice gesprochen. Als diese am<br />

kommenden Morgen das Zimmer reinigen wollten, fanden sie geringe Blutspuren, einige<br />

Hinweise darauf, dass ein kurzer Kampf stattgefunden haben muss, aber keine Spur von den<br />

Vermissen. Kleidung, Papiere, alle persönlichen Gegenstände waren noch im Zimmer. Ob<br />

und wie einer oder beide von ihnen das Hotel wieder verlassen haben, ist nicht zu erfahren<br />

gewesen. <strong>Die</strong> <strong>Über</strong>wachungskameras haben jedenfalls nichts Verdächtiges aufgezeichnet.“<br />

Josef Kostan hatte ruhig zugehört. Er kniff die Augen zusammen und schien zu über-<br />

legen. Dann griff er geistesabwesend nach einem Glas mit einem dunkelroten, leicht dick-<br />

flüssigen Inhalt und nahm einen Schluck. Kurz zuckte ein zufriedenes Grinsen über sein<br />

jugendliches Gesicht. „AB positiv, ein Genuss, ganz frisch gezapft ...“, erklärte er in Ge-<br />

danken. <strong>Die</strong> beiden Männer vor ihm hatten urplötzlich einen gierigen Ausdruck in den Augen.<br />

Gönnerhaft erklärte Kostan: „Dort in der Karaffe, nehmen Sie sich ein Glas.“ Einer der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Männer erhob sich, trat an die kleine Bar in dem riesigen Büro und schenkte aus der Karaffe<br />

für sich und seinem Begleiter je ein Glas mit der roten Flüssigkeit ein. Er setzte sich wieder<br />

und drückte dem anderen Mann ein Glas in die Hand. Dann nahmen beide einen Schluck und<br />

seufzten zufrieden. „Danke, Sir. Sie haben einen exquisiten Geschmack, Sir, das Blut ist<br />

exzellent.“ Unterwürfig hechelten die beiden deutlich älteren Männer den Jüngeren an.<br />

Kostan nahm ebenfalls noch einen tiefen Schluck des Lebenselixiers, dann sagte er ge-<br />

dankenverloren: „Jakarta ...“ Er überlegte, dann fragte er besorgt: „Wurden Hinweise in dem<br />

Zimmer gefunden, dass dort eine Vernichtung stattgefunden hat?“ Beide Männer schüttelten<br />

den Kopf. „Nein Sir, definitiv nicht. Es deutet nichts darauf hin, dass Mr. St. John dort ...<br />

eliminiert wurde.“<br />

Kostan atmete unmerklich erleichtert auf. Ihn und Mick St. John verband eine tiefe<br />

Freundschaft, wie es sie unter Vampiren selten gab. Der über vierhundert Jahre alte Vampir<br />

mit dem jungenhaften Aussehen eines höchstens fünfundzwanzigjährigen, der es mit Wert-<br />

papierhandel zum Milliardär gebracht hatte, überlegte. Dann erklärte er: „Sie beide werden<br />

nach Jakarta zurückkehren und von dort aus die Suche wieder aufnehmen. Sie haben un-<br />

begrenzte Mittel zur Verfügung. Aber ich verlange Resultate. Ich erwarte einmal pro Woche<br />

genaue Berichte von Ihnen, habe ich <strong>mich</strong> klar ausgedrückt? Und kommen Sie mir nicht mit<br />

der Ausrede, Sie könnten keine Spuren finden. Mr. St. John ist mir sehr wichtig, ich kann<br />

<strong>mich</strong> nicht mit der Erklärung zufrieden geben, er wäre spurlos verschwunden. Tun Sie ihr<br />

Bestes, geben Sie mir Bescheid, wenn Sie Hilfe benötigen, ich habe weltweite Verbindungen,<br />

die ich spielen lassen werde. Schaffen Sie mir Mick und Beth wieder her, egal, wen Sie dafür<br />

killen müssen.“ <strong>Die</strong> beiden älteren Männer wurden unter den klaren Worten ihres Bosses<br />

immer kleiner. Ihnen war durchaus klar, wozu der erfolgreiche Aktienhändler vor ihnen fähig<br />

war und sie spürten einen Schauer über ihre untoten Körper huschen. „Mr. Kostan, Sir, wir<br />

werden unser Bestes tun.“ Kalt lächelte Kostan. „Das ist mir klar. Und jetzt raus und bringen<br />

Sie mir Resultate.“<br />

*****<br />

„Wenn ihr noch genügend Widerstandskraft habt, auf eine direkte Frage keine<br />

Antwort zu geben, haben wir euch bisher wohl zu sehr verwöhnt. Bis auf 4 und 11 alle hoch.“<br />

Als die Reaktion nicht schnell genug erfolgte, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch<br />

und fragte laut: „Braucht ihr eine schriftliche Einladung? Noch mal sage ich es nicht. Hoch.“<br />

Erschrocken sprangen alle, bis auf House und Beth, auf. „Und Abmarsch.“ Der Arzt und<br />

mehrere Wachen, die dazu kamen, trieben die Gefangenen zur Tür hinaus und Minuten später<br />

384


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stolperten sie in die Sporthalle. „So, Probanden, ich will 20 Bahnen sehen und zwar pronto.“<br />

„Das sind 8 Kilometer.“, entfuhr es Mulder krächzend. „Ach, rechnen kannst du Genie also<br />

auch? Noch so eine geistreiche Bemerkung von einem von euch, und ich runde auf 25 Bahnen<br />

auf. Los jetzt.“, herrschte er die frustrierten Gefangenen an. Und diesen blieb nichts übrig, als<br />

sich in Bewegung zu setzen. „Schlaft nicht ein.“, brüllte einer der Wachposten die Leute an<br />

und sicherheitshalber legten diese nun richtig los.<br />

Runde um Runde liefen sie in strammem, nichts desto weniger Kräfte sparenden<br />

Tempo, immer angetrieben von den Wachen, die sich an verschiedenen Punkten der Bahn<br />

verteilt hatten. Nur das harte Training der letzten Zeit machte diese Leistung von allen über-<br />

haupt möglich. Fiel einer zurück, wurde er gnadenlos vorangetrieben. <strong>Die</strong> Gefangenen ver-<br />

suchten, ein Tempo zu finden, in dem sie möglichst lange durchhalten würden. 10 Runden<br />

schafften sie, dann fielen die Ersten wirklich zurück. Heather, Allison und Abby hielten ein-<br />

fach das hohe Tempo nicht mehr mit. Sie hatten, wie Dana, ziemlich Unterleibkrämpfe und<br />

wurden langsamer, ob die Wachen sie nun anbrüllten oder nicht. Kurz darauf wurde auch<br />

Dana zusehends langsamer. Heather war stehen geblieben und hielt sich keuchend die Seiten<br />

und wünschte, eine weitere Hand zu haben, die sie sich auf den Unterleib legen könnte. Der<br />

Arzt trat an die junge Frau heran und packte sie am Kinn. Er zwang sie, ihm ins Gesicht zu<br />

sehen und zischte gefährlich leise: „Wenn du deinen hübschen Arsch nicht wieder in Be-<br />

wegung setzt, Nummer 9, werden wir Nummer 2 zwanzig Schläge mit einem Kabel auf die<br />

Fußsohlen geben. Vielleicht fragst du Nummer 1 einmal, wie schön das ist.“ Heather wurde<br />

blass. Und raffte noch einmal ihr letztes bisschen Kraft zusammen, um weiter zu laufen.<br />

Schließlich ging nichts mehr. In der 12.ten Runde brach die junge Frau einfach zusammen<br />

und blieb keuchend liegen. Jake wollte sofort zu ihr laufen, aber die Stimme des Arztes hielt<br />

ihn zurück. „Wenn du auch nur daran denkst, langsamer zu werden, Nummer 2, wirst du<br />

Nummer 9 für den Rest eures Aufenthaltes hier nicht wieder sehen, verstanden?“ Jake rannte<br />

panisch weiter.<br />

Allison, Abby und Dana waren die Nächsten, die einfach in sich zusammen sanken.<br />

Und auch hier durfte keiner der <strong>Anderen</strong> helfen. Mulder hätte sonst was dafür gegeben, nach<br />

Dana sehen zu dürfen, aber er wagte nicht, auch nur kurz inne zu halten. Verbissen kämpften<br />

die Verbliebenen mit jedem Meter. Längst pfiffen sie alle aus dem letzten Loch. <strong>Die</strong> unglaub-<br />

lichen Strapazen der Untersuchungen machten sich mehr als deutlich bemerkbar. Bones und<br />

Gibbs, aber auch Kate und Locke mussten schließlich aufgeben. Auf der 17.ten Bahn sackten<br />

sie keuchend zusammen und regten sich nicht mehr. Nun schleppten sich nur noch Ziva,<br />

Mick, Booth, Jake, Sawyer und Mulder dahin. Booth, Jake und Mulder waren schließlich auf<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bahn 18 die Nächsten, die einfach keinen Schritt mehr vor den anderen setzen konnten. Sie<br />

sanken auf die Knie und dann wie in Zeitlupe zu Boden. Jetzt kämpften Sawyer, Ziva und<br />

Mick darum, die 20 Bahnen zu schaffen. Und die drei schafften es. Mit allerletzter Kraft und<br />

einer gehörigen Portion verzweifelten Hasses schleppten sie sich auch noch die letzte Runde<br />

dahin. Und sie schafften es, auch auf den Beinen zu bleiben, als sie die Zielgerade über-<br />

schritten. Sich gegenseitig stützend und mit weichen Knien standen sie da und jappten ver-<br />

zweifelt nach Luft. Der Arzt trat auf sie zu und fragte ruhig: „Ihr habt sicher Halsschmerzen,<br />

oder?“ Es dauerte ein paar Sekunden, dann aber stießen die Drei: „Ja, ... Sir .... ziemlich ...“,<br />

hervor. „Ich werde euch Lutschtabletten bringen lassen. Und jetzt zurück in eure Zimmer.“<br />

<strong>Die</strong> Wachen sammelten die Zusammengebrochenen auf und zehn Minuten später waren alle<br />

wieder in ihren Räumen. Kaum lagen sie auf den Betten, schliefen sie auch schon tief und<br />

fest.<br />

Therapie<br />

Jeder Mensch befindet sich ständig in einem Wachstumsprozess, daher darf<br />

niemand je aufgegeben werden.<br />

Leo Tolstoi<br />

„Was ist nur mit dir, du wirkst so abwesend.“ <strong>Die</strong> bildschöne, junge Frau räkelte sich<br />

nackt auf dem Bett und sah den jungen Mann neben sich genervt und verwirrt an. „Hallo.<br />

Erde an Josef. Ich bin hier.“ Kostan reagierte gar nicht auf die Worte der jungen Frau.<br />

Stattdessen erhob er sich, trat an die Bar in seinem Schlafraum und schenkte sich einen<br />

Scotch ein. Abwesend vor sich hin starrend nahm er einen Schluck. Dann wandte er sich der<br />

jungen Frau zu. „Hör zu, Candy, du warst lecker, aber ich bin nicht mehr in Stimmung. Zieh<br />

dich an und verschwinde. Ich melde <strong>mich</strong>.“ Gekränkt verzog sich der Mund der Frau und sie<br />

schmollte „Das glaube ich nicht. Du kannst <strong>mich</strong> doch nicht einfach raus werfen.“ Kostan<br />

fixierte sie kalt. Dann erklärte er: „Ich kann noch viel mehr. Nerv <strong>mich</strong> nicht und schau, dass<br />

du deinen Knackarsch aus meiner Wohnung schaffst.“ Jetzt eindeutig verängstigt raffte die<br />

junge Frau hastig ihre im Zimmer verteilten Sachen zusammen, kleidete sich an und beeilte<br />

sich, den Raum und gleich darauf die Wohnung zu verlassen. Kostan sah ihr kalt hinterher.<br />

Dann trat er auf den breiten Balkon hinaus, der seine Penthouse Wohnung von drei Seiten<br />

386


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

umschloss. Gedankenverloren starrte er auf das überwältigende Lichtermeer hinaus, dass sich<br />

vor seinen Augen bot.<br />

Er trat an die Brüstung und schaute auf die Stadt der Engel hinunter. Plötzlich schlug<br />

er wütend mit der Linken auf die Brüstung vor sich und fluchte: „Verdammt noch mal, Mick,<br />

wo steckst du bloß.“ Heute war schon der 28.te März, Mick und Beth waren seit dem 3.ten<br />

März wie vom Erdboden verschluckt. Josef hatte alle seine Verbindungen spielen lassen, aber<br />

er hatte nichts herausgefunden. Seine Privatdetektive meldeten sich alle paar Tage bei ihm,<br />

nur, um ihm mitzuteilen, dass jeder Hinweis, den sie mühsam zu Tage förderten, immer in<br />

eine weitere Sackgasse führte. Josef war fair genug, anzuerkennen, dass die Männer ihr<br />

Bestes gaben. Sein Ruf in Vampirkreisen verschaffte ihm uneingeschränkten Respekt, viele<br />

fürchteten ihn und wussten, dass er mit Versagern kurzen Prozess machte. Er hatte mehr als<br />

400 Jahre überlebt, war hochintelligent, ein eiskalter Geschäftsmann und hatte als ältester<br />

Vampir in Los Angeles, in ganz Kalifornien, eine unangefochtene Führungsrolle. Er war der<br />

Kopf eines der größten Vampirringe der Vereinigten Staaten. Sein Wort war unter Brüdern<br />

und Schwestern Gesetz und er war autorisiert, als Richter über straffällig gewordene Mit-<br />

glieder der versteckt unter den Menschen lebenden Vampirgemeinde Urteile zu fällen, die<br />

nicht hinterfragt wurden. Mit Mick verband ihn seit dessen Umwandlung eine im Laufe der<br />

Jahre immer tiefer gewordene Partnerschaft und Freundschaft. Dass er keinen noch so kleinen<br />

Hinweis darauf bekam, was mit dem Freund und dessen Verlobter geschehen war, machte den<br />

Vampir rasend.<br />

Er trank sein Glas leer, dann wollte er in sein Schlafzimmer, das die Ausmaße einer<br />

kleinen Wohnung hatte, zurückkehren. Plötzlich jedoch nahmen seine übernatürlichen<br />

Vampirsinne Geräusche wahr, die eindeutig nicht in die normale Geräuschkulisse seiner<br />

Penthouse Wohnung passten. Alle seine Sinne waren in Sekundenschnelle auf Alarm ge-<br />

schaltet und Josef lauschte angespannt. Er hatte im Laufe der Jahrhunderte einen sechsten<br />

Sinn für Gefahren entwickelt und wusste sofort, dass eine Gefahrensituation vorlag. Zwar<br />

hatte er zu seinem Schutz Bodyguards auf dem Flur, die für seine Sicherheit zu sorgen hatten,<br />

aber darauf verließ sich der erfahrene Vampir nicht vollkommen. So eilte er ins Schlaf-<br />

zimmer, fuhr in Hose und Hemd und wollte zur Haustür gehen, um nachzuschauen, was sich<br />

vor seiner Wohnung tat. Soweit kam er jedoch gar nicht. Plötzlich und unerwartet gellte auf<br />

dem Flur ein entsetzter Schrei auf, der schnell verklang. Eindeutige Kampfgeräusche verrieten<br />

Josef, dass es Zeit war, sich in Sicherheit zu bringen. Er wollte herum wirbeln, als bereits<br />

seine Wohnungstür aufgebrochen wurde. Acht Männer in schwarzen Kampfanzügen stürmten<br />

in seine Wohnung und verteilten sich blitzschnell. Einer sah den Vampir und schrie: „Hier ist<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

er.“ Gegen acht schwer bewaffnete und offensichtlich kampferprobte Männer hatte Josef<br />

keine Chance und so trat er ohne zu Zögern den Rücktritt an. Er wirbelte endgültig herum und<br />

wollte Richtung Balkon fliehen. Zwar würde er sämtliche Knochen tagelang spüren, aber das<br />

hielt ihn nicht davon ab, auf die Balkonbrüstung zuzuhetzen. „Der Kerl haut ab.“, hörte er<br />

hinter sich einen lauten Ruf. Josef hetzte weiter und hatte fast die Brüstung erreicht, als er in<br />

Höhe seines Herzens auf dem Rücken einen harten Schlag verspürte. Aufschreiend vor<br />

Schmerzen wurde er vorwärts geschleudert und spürte, wie ihn augenblicklich die so be-<br />

kannte und verhasste Lähmung überwältigte.<br />

*****<br />

Zwei Tage. Man ließ sie zwei Tage nach Entführerzeitrechnung in Frieden. Dank der<br />

während der Gefangenschaft mehr als geschulten Regenerationsfähigkeit waren dann alle<br />

wieder so gut wie fit. Nur leichter Muskelkater und bei einigen wenigen von ihnen noch ganz<br />

leichte Halsschmerzen deuteten darauf hin, was sie durch gemacht hatten. Man holte sie zu<br />

drei Mahlzeiten an den Esstisch, und immer waren mindestens zwei der Wissenschaftler an-<br />

wesend. <strong>Die</strong>se stellten den Gefangenen immer wieder gezielte Fragen, simple, peinliche,<br />

informative, unwichtige Fragen. Und alle beeilten sich, jede Frage zügig zu beantworten.<br />

Beim Abendessen des zweiten Tages kam erneut der Arzt, der die Untersuchungen geleitet<br />

hatte und befahl den Gefangenen, sich den Nummern nach an der linken Wand des großen<br />

Raumes aufzubauen. Eilig gehorchten alle. Dann wurden sie aufgefordert, die Hände hinter<br />

dem Rücken zu verschränken. Erneut wurde gehorcht. Dabei hielten alle den Blick zu Boden<br />

gesenkt, wie man es ihnen beigebracht hatte. „Nummer 5, wann hattest du deine letzte<br />

Periode?“ Ziva biss die Zähne zusammen. Dann antwortete sie gepresst: „Vor ... ich denke,<br />

zehn Tagen, Sir.“ „Nummer 11, wie lange hat es gedauert, bis Nummer 13 bereit war, mit dir<br />

zu schlafen?“ Beth wurde feuerrot und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann aber sagte<br />

sie fest: „Es hat fast acht Monate gedauert, Sir.“ „Nummer 10, wie lange liebst du Nummer 4<br />

schon?“ Allison schluckte. „Das weiß ich nicht genau, Sir. Schon sehr lange.“ „Nummer 13,<br />

wenn du wählen müsstest, ohne Nummer 11 zu berücksichtigen, mit welcher der Frauen<br />

würdest du gerne Sex haben?“ Mick glaubte, sich zu verhören. Aber angesichts der Tatsache,<br />

dass Beth keinen Meter entfernt stand und sicher für sein Schweigen gestraft werden würde,<br />

beeilte er sich zu sagen: „Darüber habe ich aus verständlichen Gründen noch nicht nach-<br />

gedacht, Sir. Meinem Geschmack entspricht wohl am ehesten He ... Nummer 9, Sir.“<br />

Heather wurde genau so rot wie Augenblicke vorher Beth und hätte sich am liebsten in<br />

die Wand verkrochen. Der Arzt sah sie an und fragte dann: „Warum wirst du so rot, Nummer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

9?“ „Weil ... mir das peinlich ist, Sir.“ „Weiß einer von euch, welche Untersuchungen noch<br />

ausstehen? Nummer 12?“ „Nein Sir, ich habe nicht nach geschaut.“ Der Arzt sah die Ge-<br />

fangenen an und schüttelte den Kopf. „Keiner von euch?“, fragte er noch einmal nach. „Ich<br />

kann <strong>mich</strong> an MRTs und CTs erinnern, Sir.“, erklärte Dana. „Nummer 1, was macht dein<br />

Zahn?“ „Er tut noch ab und zu weh und ...“ Bevor Booth es verhindern konnte, hatte er bereits<br />

überrumpelt auf die Frage geantwortet. - Scheiße-Scheiße-Scheiße. - dachte er panisch und<br />

verzweifelt, kaum, dass er es ausgesprochen hatte. Der Arzt grinste. „Nummer 3, bei dir wird<br />

die Magenspiegelung wiederholt werden müssen, die Aufnahmen sind nichts geworden.“<br />

Augenblicklich raste Sawyers Herz und er schloss kurz verzweifelt seine Augen. „Ich kann es<br />

wohl kaum verhindern, Sir.“, erklärte er dann gezwungen ruhig. „Nummer 4, wie geht es dem<br />

Bein?“ House starrte verbissen zu Boden. „Wie soll es dem Bein gehen? So, wie in den ver-<br />

gangenen Jahren seit der OP. Der Kuraufenthalt bei euch hat daran nichts geändert. Es<br />

schmerzt und das wird es bis ans Ende meines Lebens tun, Sir.“ Der Arzt nickte zufrieden.<br />

„Ihr habt es scheinbar endlich alle kapiert, was? Ich bin zufrieden. Ihr solltet euch hinlegen,<br />

denn morgen stehen wieder einige anstrengende Aufgaben auf dem Programm.“ Er drehte<br />

sich herum und die Gefangenen gingen ohne zu Zögern zu ihren Zimmertüren.<br />

*****<br />

Unmittelbar nach dem Frühstück am kommenden Morgen wurden Sawyer, Jake, Dana<br />

und Abby, sowie Mulder, Gibbs, Mick und Locke gemeinsam abgeholt. Abby und Locke<br />

wurde im Flur separiert und man verfrachtete sie in einen der Fahrstühle. Es ging nach unten,<br />

und dann wurde Abby in einen Raum gebracht, Locke bekam die Order, zu warten. Als Abby<br />

den Raum betreten hatte, erklärte eine der Wachen, die die beiden Gefangenen hierher be-<br />

gleitet hatten, dem erstaunten Locke: „Wir werden ab heute mit einigen von euch eine kleine<br />

... nennen wir es einmal Schocktherapie beginnen. In den Raum hier werden gleich Hunde<br />

gebracht, zehn Hunde, um genau zu sein. Deine Aufgabe ist es, Nummer 14 zu unterstützen,<br />

ihre Angst zu überwinden. Es ist uns egal, wie du es machst. <strong>Die</strong> Hunde sind alle absolut lieb<br />

und harmlos, es besteht auch bei akuter Panik keine Gefahr für Nummer 14. Ihr kommt erst<br />

aus dem Raum heraus, wenn es Nummer 14 gelingt, sich ungezwungen unter den Hunden zu<br />

bewegen. Hast du alles verstanden?“ Locke hatte äußerst konzentriert zu gehört. Nun nickte<br />

er. „Ja, Sir, das habe ich. Ich kann alles tun, was mir richtig erscheint?“ Der Wachposten<br />

nickte. „Solange du keine Hypnose anwendest ... Und jetzt rein da.“ <strong>Die</strong> Tür ging auf und<br />

Locke hatte den Raum zu betreten. Abby stand ein wenig ratlos in dem vielleicht vier mal vier<br />

Meter großen, vollkommen leeren Raum. Sie sah Locke an, als dieser zu ihr trat. „Was soll<br />

denn das hier werden?“, fragte sie verwirrt. <strong>Die</strong> Antwort erhielt sie postwendend, als durch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

eine kleine, sich automatisch öffnende Klappe an der gegenüber liegenden Wand Abbys<br />

schlimmster Alptraum in zehnfacher Ausführung in den Raum kam. Genau eine Sekunde<br />

dauerte es, bevor Abbys Hirn den unfassbaren Anblick verarbeitet hatte. Entsetzt wich die<br />

junge Frau an die Wand hinter ihr zurück und dort blieb sie stehen und schrie hysterisch:<br />

„Weg. Verschwindet. <strong>Die</strong> sollen verschwinden ....“<br />

*****<br />

Jake und Dana wurden zusammen mit Gibbs und Mick ebenfalls mit dem Fahrstuhl in<br />

eine andere Etage gebracht. Hier wurden nun Dana und Jake in einen gänzlich leeren, kleinen,<br />

höchstens zwei mal zwei Meter großen Raum gebracht. Verwirrt blieben die Beiden stehen<br />

und sahen sich an. Vor der Tür erhielten Mick und Gibbs im selben Moment ähnliche An-<br />

weisungen wie zuvor Locke. „Wir werden gleich eine große Anzahl ungefährlicher Schlangen<br />

in den Raum hier schaffen. Eure Aufgabe besteht darin, Nummer 2 und 7 am Leben zu er-<br />

halten. Wir würden es äußerst zu schätzen wissen, wenn sie die Therapie überleben würden.<br />

Was und wie ihr die Beiden beruhigt, ist uns vollkommen gleichgültig. Ihr habt die Erlaubnis,<br />

zu tun, was immer nötig ist, außer die Tiere zu verletzen. Ihr kommt erst wieder aus dem<br />

Raum heraus, wenn die Beiden sich halbwegs entspannt in mitten der Schlangen bewegen<br />

können und in der Lage sind, einzelne Tiere in die Hände zu nehmen.“ <strong>Die</strong> Tür ging auf, und<br />

ohne noch die Chance zu bekommen, sich irgendwie zu Besprechen, wurden Gibbs und Mick<br />

in den Raum getrieben. Dana und Jake sahen ihnen verwirrt entgegen. „Was ...“ Jake wollte<br />

Gibbs fragen, was das werden sollte, aber soweit kam er nicht mehr. Aus einer Luke in der<br />

Wand links von ihnen fiel etwas in den kleinen Raum, was Dana und Jake erstarren ließ vor<br />

Entsetzen. Dutzende Schlangen klatschten auf den Boden und schlängelten sich verängstigt<br />

durch den Raum. Während Dana vor Entsetzen wie gelähmt da stand, sprang Jake keuchend<br />

zur Tür und fing an, schreiend gegen diese zu hämmern. „Lasst uns raus hier. Raus. Ich will<br />

hier raus!“<br />

*****<br />

Mulder und Sawyer wurden zusammen in einen dritten, ähnlichen Raum geschafft.<br />

Außer einem Tisch und zwei sehr stabiler Stühle war der Raum leer. Der Tisch, mit einer gut<br />

zehn Zentimeter hohen Kante rundherum, und einer der Stühle, auf den Sawyer sich setzen<br />

musste, waren fest mit dem Boden verschraubt. Auf dem Tisch waren zwei Ledermanschetten<br />

montiert. Der Stuhl selbst war ebenfalls mit einer Lederschlinge versehen. Der Wachmann<br />

drückte Sawyer auf den Stuhl, dann wurde er mit Hilfe der Lederschlinge fest an diesem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fixiert. Mit einem mehr als miesen Gefühl ließ er nun auch seine Hände mit den Manschetten<br />

an den Tisch fesseln. Beunruhigt sah er Mulder an, der verständnislos zu gesehen hatte. „Was<br />

...?“, stieß Sawyer nervös hervor. Mulder zuckte die Schultern. „Frage doch <strong>mich</strong> nicht. Seh<br />

ich aus, als hätte ich eine Kristallkugel unter dem T-Shirt?“ Mulder schaffte es, Sawyer ein<br />

kurzes Grinsen zu entlocken, bevor dieser wieder mit gelinder Panik in den Augen den<br />

Wachposten anschaute und wartete, dass sich etwas tat. Und dann tat sich wirklich etwas,<br />

allerdings etwas, auf das Sawyer mehr als gerne verzichtet hätte. Ein Weißkittel kam in den<br />

Raum, mit einem Kasten in der Hand. „Wir werden heute eine kleine Therapie starten.<br />

Nummer 15, du bist dafür verantwortlich, dass Nummer 3 nicht tot umfällt. Außer drauf<br />

hauen und Fesseln lösen darfst du machen, was immer dazu nötig ist. Raus kommt ihr hier<br />

erst, wenn Nummer 3 still halten kann. Viel Glück.“ Er öffnete den Kasten und leerte diesen<br />

aus. Mindestens zehn großer Vogelspinnen ergossen sich auf den Tisch. Sawyers Augen<br />

weiteten sich, dann fing er an, panisch an den Fesseln zu zerren und als die erste Spinne<br />

seinen linken Arm erreichte, schrie er entsetzt los.<br />

Mulder hatte den Worten des Wissenschaftlers erstaunt, dann betroffen gelauscht. Als<br />

die zum Teil recht hübschen Vogelspinnen auf den Tisch purzelten und Mulder das un-<br />

gläubige Entsetzen in den Augen seines Freundes sah, überlegte er hektisch, was er machen<br />

könnte, um dem Südstaatler eine Herzattacke zu ersparen. <strong>Die</strong> Tiere waren beeindruckend<br />

groß. Erst einmal musste der Agent selbst tief durchatmen. Dann aber griff Mulder über den<br />

Tisch hinweg und erfasste Sawyers Hände. Er versuchte den Blick des vor Angst schreienden<br />

jungen Mannes zu fokussieren. So ruhig wie möglich, aber laut und deutlich, sagte er: „Sieh<br />

<strong>mich</strong> an, Sawyer. Dir kann nichts passieren, hörst du, atme ruhig und tief mit mir zusammen<br />

ein und aus, komm schon.“ Sawyer reagierte in keiner Weise auf Mulders ruhige Worte.<br />

Panisch zerrte er an den Fesseln, atmete viel zu schnell und flach und war binnen weniger<br />

Sekunden am ganzen Körper schweißgebadet. Verzweifelt versuchte er, den Spinnen, die sich<br />

seinen Händen und Armen näherten, irgendwie auszuweichen. Gefesselt hatte er jedoch kaum<br />

eine Chance. Wieder turnte eines der großen Tiere, ein wunderschönes, schwarzes Exemplar<br />

mit rostrotem Hinterleib, Mulder wusste nicht, dass es sich um eine ’Brachipelma vagans’,<br />

eine Schwarz-Rote Vogelspinne, handelte, an Sawyers Hand hoch. Wie gelähmt vor Ent-<br />

setzen bohrten Sawyers Augen sich in das große Tier. Er riss den Mund auf und versuchte<br />

verzweifelt, Luft zu bekommen, aber in seiner Panik konnte er kaum atmen. Mulder musste<br />

etwas unternehmen.<br />

Hastig ließ er Sawyers Hände los und griff stattdessen nach dem Kopf des Süd-<br />

staatlers. Energisch drückte er ihn in die Höhe, löste auf diese Weise Sawyers Augen von den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Spinnen, zwang ihn so, ihn, Mulder anzuschauen. „Hör mir zu, Sawyer. Hör zu. Du musst<br />

versuchen, ruhig zu bleiben. Du ... Hör mir zu und sieh <strong>mich</strong> an. Du musst unbedingt ruhig<br />

atmen. Sonst klappst du zusammen. Hörst du <strong>mich</strong>?“ Mulder hatte nicht das Gefühl, schon in<br />

den von nackter, irrationaler Panik vernebelten Verstand des Freundes vorgedrungen zu sein.<br />

Noch energischer erklärte er: „Sawyer. Komm schon, reiß dich zusammen. Sieh <strong>mich</strong> an,<br />

komm, sieh <strong>mich</strong> an. Sawyer. Du hast hier schon ganz andere Sachen überstanden.<br />

Zusammen schaffen wir das hier auch. Ich helfe dir. Du schaffst das. Du musst doch aufrecht<br />

zu Kate zurückkehren. Sie wartet auf dich. Komm schon.“ Und erstmals seit die Spinnen auf<br />

den Tisch geturnt waren, hatte Mulder das Gefühl, wenigstens ansatzweise zu Sawyer durch-<br />

zudringen. Wie viel Zeit mochte bereits vergangen sein? Mulder erinnerte sich, was er<br />

während des Studiums gelernt hatte. Eine ausgewachsene Panikattacke hielt nicht länger als<br />

zehn bis maximal fünfzehn Minuten an, dann hatte der Betreffende schlicht keine Kraft mehr,<br />

die Panik noch länger aufrecht zu halten. Mulder konnte nicht abschätzen, wie viel Zeit hier<br />

schon vergangen war. Er redete weiter beruhigend auf Sawyer ein, hielt dessen Blick ge-<br />

fangen. Der junge Mann musste sich jeden Moment beruhigen. Er war nicht der Typ, der ein-<br />

fach in Ohnmacht fiel.<br />

*****<br />

Abby starrte die Hunde an und schrie vollkommen hysterisch: „Weg. Haut ab.<br />

Verschwindet. Lasst <strong>mich</strong> in Ruhe. Lasst <strong>mich</strong> raus hier!“ <strong>Die</strong> Tiere, von Schäferhund bis<br />

Jack Russell war alles vertreten, sahen die schreiende Frau verwirrt und verängstigt an und<br />

wedelten verunsichert mit dem Schwanz. Locke eilte zu Abby hinüber und stellte sich vor der<br />

jungen Frau hin. „Abby, du bist nicht in Gefahr. Beruhige dich, sieh doch hin, keines der<br />

Tierchen kommt näher. Abby. Sieh <strong>mich</strong> an. Komm schon, schau mir in die Augen.“ Er<br />

packte Abby an den Schultern und schüttelte sie sehr sanft, schaffte es wirklich, ihre Auf-<br />

merksamkeit zu erregen. <strong>Die</strong> junge Frau hob zitternd und schluchzend den Kopf und sah<br />

Locke an. Und Locke nahm nun vorsichtig ihren Kopf in seine Hände, sah der jungen Frau<br />

tief in die dunklen Augen und versuchte, Zugang zu ihrem Geist zu finden. Er konzentrierte<br />

sich und erklärte dann ruhig: „Abby, du brauchst keine Angst zu haben. <strong>Die</strong>se Tierchen hier<br />

sind das bislang Harmloseste von allem, was uns hier widerfahren ist. Sieh sie dir an. Sie sind<br />

ganz brav, siehst du, sie trauen sich nicht einmal, näher zu kommen. Schau sie dir an. Der<br />

Kleine dort, er freut sich so sehr, dass sein Schwänzchen fast weg fliegt. Sieh nur.“ Und das<br />

unfassbare geschah. Beeinflusst von Lockes vollkommen entspannter Stimme und seinen<br />

mentalen Fähigkeiten, wurde Abby ruhiger. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. Das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zittern und Schluchzen ließ nach und sie entspannte etwas. Sich an Locke klammernd wagte<br />

sie einen Blick auf die freundlichen Tiere.<br />

<strong>Die</strong>se standen wirklich in einiger Entfernung still und wedelten verhalten mit den<br />

Ruten. Sie waren deutlich verunsichert, weil sie keine Erklärung dafür hatten, warum das<br />

Menschenweibchen so laut war. Verlegen wandten sich die Ersten um und untersuchten ge-<br />

schäftig den leeren Raum. Nur ein entzückender kraushaariger Jack Russell Terrier be-<br />

obachtete Abby und Locke frech. Locke, der Hunde sehr liebte, behielt den kleinen Frech-<br />

dachs im Auge, redete aber weiter beruhigend mit Abby. „Kannst du sehen, dass die Tiere<br />

ganz unsicher sind, weil sie nicht wissen, warum einer der Bosse so schreit? Siehst du, sie<br />

wollen gar nichts von uns, sie warten, bis wir sie heran rufen. Du bist wirklich nicht in Ge-<br />

fahr.“ Seine mentalen Fähigkeiten bewirkten, dass Abby sich die Hunde wirklich näher be-<br />

trachtete und Lockes aufmerksamen Augen entging nicht, dass ein winziger Funken Interesse<br />

in Abbys dunklen Augen aufflackerte, als sie den kleine Jacky bemerkte, der jetzt stolz näher<br />

kam. Er sah Abby herausfordernd an und machte dann einmal kurz: „Wuff“ Sie erschrak nicht<br />

einmal, sondern ganz im Gegenteil, betrachtete sie den Frechling aufmerksamer und Locke<br />

wusste, dass er gewonnen hatte. Zwar konzentrierte er sich weiter auf die junge Frau, warf<br />

aber dem Russell einen Blick zu und fragte Abby dann: „Na, wollen wir ihn mal heran<br />

rufen?“ Abby verspannte sich wieder ein wenig, aber dann nickte sie unsicher.<br />

*****<br />

Dana stand vollkommen erstarrt da, wie paralysiert, und sah nur die Schlangen, die<br />

sich unruhig über den Boden wanden. Mick eilte zu ihr, während Gibbs zu Jake eilte. <strong>Die</strong>ser<br />

trommelte immer noch brüllend gegen die Tür. „Ich will hier raus! Macht die Tür auf. Bitte.“<br />

Gibbs erreichte den jungen Mann und war für einen Moment ratlos, was er tun sollte. Dann<br />

aber reagierte er instinktiv und sein Instinkt sagte ihm, dass er Jake unbedingt beruhigen<br />

musste, sonst würde dieser in Kürze kollabieren. Er trat neben Jake an die Tür und packte<br />

dessen Handgelenke, fest und unnachgiebig. „Hey. Jake. Jake. So wird das nichts, mein<br />

Junge. Sieh <strong>mich</strong> an. Los, sieh <strong>mich</strong> an.“ Ruhig versuchte Gibbs, die Aufmerksamkeit des<br />

Panischen auf sich zu lenken, erreichte aber nur, das Jake heftig versuchte, seine Handgelenke<br />

aus Gibbs’ Griff zu entwinden. - Okay, mein Junge, du willst es so - dachte Gibbs und wurde<br />

energisch. „Private Green. Sieh <strong>mich</strong> gefälligst an, wenn ich mit dir rede.“ Kalt und hart<br />

kamen diese Worte, obwohl es Gibbs in der Seele leid tat, den vollkommen verängstigten<br />

jungen Mann auch noch anzuschnauzen. Aber der Erfolg gab ihm Recht. Jake hörte auf zu<br />

schreien und atmete keuchend tief ein, wandte sich überrascht Gibbs zu. Durch viele Jahre<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Drill entwich ihm unwillkürlich ein deutliches: „Ja, Sir.“ Gibbs hatte es geschafft. Jakes Auf-<br />

merksamkeit war von der Tatsache, dass sich an die vierzig Schlangen im Raum befanden,<br />

abgelenkt.<br />

Jetzt konnte Gibbs daran gehen, mit dem Beruhigen zu beginnen. Er packte Jake an<br />

den bebenden Schultern und zwang diesen so weiterhin, seine Augen auf seinem Gegenüber<br />

zu lassen und nicht wieder die Schlangen anzusehen. „Jake, komm schon, mein Junge, du<br />

musst dich beruhigen, du hast schon ganz andere Situationen gemeistert.“ Sanft dirigierte<br />

Gibbs Jake von der Tür weg in eine Zimmerecke, die noch weit weg von den ersten<br />

Schlangen lag. „Wir werden uns hier hin setzen und du wirst dich beruhigen, hast du ver-<br />

standen?“ Jake schluckte schwer. Er wollte nach den Schlangen schielen, aber Gibbs hinderte<br />

ihn konsequent daran. „Sieh <strong>mich</strong> an. Wir setzen uns hin, du wirst weiter <strong>mich</strong> anschauen,<br />

klar?“ Jake nickte angstvoll. Gibbs wechselte blitzschnell seinen Griff, hatte jetzt wieder<br />

Jakes Handgelenke umfasst. Langsam ließen sich die Männer zu Boden sinken, der NCIS<br />

Agent zog zur Unterstützung sanft an Jakes Armen. Als sie saßen erklärte Gibbs: „Lehn dich<br />

an die Wand, versuche, dich zu entspannen, das wirst du schaffen, ich bin davon überzeugt.<br />

Hier ist nichts, was dich in Gefahr bringt, außer deiner Angst.“ Jake versuchte krampfhaft,<br />

Gibbs Worten zu folgen. Er schloss verzweifelt die Augen, dann lehnte er sich zurück, bis er<br />

die Wand im Rücken spürte. Immer noch Gibbs festen Griff an seinen Handgelenken spürend,<br />

versuchte Jake, seine hastige, viel zu flache Atmung unter Kontrolle zu bekommen.<br />

Angestrengt atmete er tief und gleichmäßig ein. „Oh, Gott, Gibbs, ich ...“ Gibbs unterbrach<br />

ihn sanft. „Ich weiß, du hast schreckliche Angst. Aber das brauchst du nicht, Jake. Schau doch<br />

mal, die interessieren sich gar nicht für uns.“<br />

Gibbs erlaubte Jake, einen Blick auf die Tiere zu werfen. Augenblicklich spürte er,<br />

wie sich erneut Spannungen in Jake aufbauten. Gelassen erklärte er: „Siehst du? Es ist nichts<br />

los, die wollen nichts von uns.“ Jake wandte seinen Blick wieder Gibbs zu. „Ich will hier weg<br />

...“, flüsterte er erschöpft. „Das wollen wir alle, aber das wird vorerst ein frommer Wunsch<br />

bleiben.“ Gibbs spürte, dass Jake sich nach und nach ein klein wenig entspannte und meinte<br />

ruhig: „Du machst das sehr, sehr gut, Jake. Versuche, ganz tief und ruhig zu atmen, das wird<br />

dir helfen.“ Minuten vergingen und Jake wurde aus purer Erschöpfung immer ruhiger. <strong>Die</strong><br />

Schlangen hatten zum Teil Ruhepositionen eingenommen, andere schlängelten sich noch im<br />

Raum herum. Gibbs zögerte kurz, dann griff er sehr vorsichtig nach einem der Tiere, einer<br />

vielleicht drei Fuß langen Kornnatter, und hielt das Tier sanft in der Hand. Er dachte an die<br />

kalten Worte der Wache und wusste, dass er Jake mit dem Tier konfrontieren musste, um die<br />

Anforderungen ihrer Gastgeber zu erfüllen. Ganz langsam und vorsichtig brachte er das Tier<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

in Jakes Sichtweite. Sofort verspannte dieser sich wieder und Gibbs sagte ruhig: „Es passiert<br />

gar nichts, Jake, siehst du? Sie ist ganz friedlich. Sieh sie dir nur an, sie kann dir nichts tun.“<br />

Zitternd starrte Jake die Schlange an, die glücklicherweise ganz entspannt um Gibbs Hand<br />

geschlungen still hielt. „Oh Gott ...“ Jake keuchte wieder vor Angst und Gibbs redete weiter<br />

beruhigend auf ihn ein. Da das Tier ganz ruhig blieb, ließ Jakes Zittern schließlich ein wenig<br />

nach. Gibbs nutzte die Gunst der Stunde und brachte die Schlange dichter an Jake heran.<br />

Minuten vergingen, in denen Jake die Schlange angespannt beobachtete. Er wurde<br />

immer ruhiger, was aber einfach einer totalen geistigen Erschöpfung entsprang. Gibbs nutzte<br />

schließlich die Gunst der Stunde und sagte locker: „Versuche doch mal, die Hand auszu-<br />

strecken, Jake, es nützt ohnehin nichts, bevor du sie nicht anfassen kannst, kommen wir hier<br />

nicht raus.“ Jake zitterte wieder heftiger, nickte aber ergeben und streckte sehr langsam und<br />

zögernd seine Linke aus. Gibbs brachte seine eigene Hand mit der Schlange ganz langsam an<br />

Jakes Hand heran und als ob das Tier wüsste, worauf es ankam, hob sie den Kopf und be-<br />

wegte sich vorsichtig sichernd auf Jakes Hand zu. Und dann berührte der Schlangenkörper<br />

Jakes Hand. Kurz sah es aus, als würde der junge Mann seine Hand panisch zurück reißen,<br />

doch er schaffte es unter Aufbietung aller noch verbliebenen Kraft, still zu halten. Das Tier<br />

tastete sich vorsichtig auf die zitternde Hand vor und Gibbs erklärte: „Das machst du sehr,<br />

sehr gut, Jake. Siehst du, es passiert dir nichts.“ Im Stillen betete Gibbs, dass das Tier keine<br />

aggressive Bewegung machte. Aber als wäre die Schlange abgerichtet, blieb sie völlig ruhig<br />

und glitt langsam weiter auf Jakes Hand. Und wenn auch zitternd, schaffte der junge Mann es,<br />

still zu halten. Gibbs redete die ganze Zeit weiter ruhig auf ihn ein und schließlich hatte Jake<br />

das Tier ganz auf seiner Hand. Er behielt die Schlange genau im Auge und stotterte verblüfft:<br />

„Es geht ... Gibbs, es geht ...“<br />

Mit kleinen Schritten<br />

Am Mute hängt der Erfolg.<br />

Theodor Fontane<br />

Einen Meter entfernt hatte Mick versucht, Kontakt zu Dana aufzunehmen, die immer<br />

noch vollkommen erstarrt vor Angst mitten im Raum stand und den Blick nicht von den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schlangen nehmen konnte. Krampfhaft überlegte Mick, was er tun konnte. Er trat zu Dana<br />

und nahm die Agentin schützend in die Arme. Panisch klammerte sie sich an ihn und<br />

wimmerte leise: „Ich will hier weg, bitte, ich will raus.“ Mick zog die zierliche Frau an sich<br />

und sagte besänftigend: „Dana, versuche, ganz ruhig zu bleiben. Dir kann gar nichts<br />

passieren, das sind alles harmlose Schlangen, sie werden dir nichts tun. Komm, wir stellen<br />

uns an die Wand, dann kannst du sie alle im Auge behalten.“ Mit sanfter Gewalt schob er<br />

Dana zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand. Er spürte sie am ganzen Leib<br />

zittern. Noch immer war sie starr vor Schrecken. Dadurch, dass er vor ihr stand, nahm er ihr<br />

im Augenblick die Sicht auf die Reptilien. Leise und beruhigend, Mut machend, redete er<br />

endlose Minuten lang auf sie ein. Endlich spürte er, wie ihre Verkrampfung sich ganz lang-<br />

sam etwas lockerte. Sie hatte sich eng an den Vampir gedrückt in der Hoffnung, so Schutz vor<br />

dem Grauen zu finden. Mick strich ihr immer und immer wieder beruhigend über den<br />

bebenden Rücken und nach einer kleinen Ewigkeit merkte er, dass sie wirklich begann, sich<br />

zu entspannen. Ein kurzer Blick zu Gibbs und Jake hinüber bestätigte Mick, dass auch Jake<br />

die schlimmste Panik hinter sich hatte. Gibbs hatte den jungen Mann dazu gekriegt, sich in<br />

eine Zimmerecke zu setzen und redete dort beruhigend auf ihn ein.<br />

Vorsichtig versuchte der Vampir, sich ein wenig von Dana zu lösen, aber sofort wurde<br />

deren Griff um seinen Körper fester. „Nein, oh Gott, lass <strong>mich</strong> nicht los, bitte.“, flehte die<br />

Agentin verängstigt. „Das habe ich nicht vor, keine Angst. Du musst wirklich keine Angst<br />

haben, die Tiere wollen gar nichts von uns. <strong>Die</strong> sind froh, wenn wir sie in Frieden lassen.<br />

Schau sie dir doch einfach mal an.“ Entsetzt schüttelte Dana den Kopf. „Nein.“ Aber Mick<br />

erklärte: „Das solltest du aber tun, damit du siehst, dass sie uns nicht fressen wollen. Komm<br />

schon, du schaffst das, ich bin ganz dicht bei dir und wenn doch eine zu nahe kommt, werde<br />

ich ihr das ausreden, versprochen.“ Bei diesen Worten hob Dana langsam den Kopf und sah<br />

Mick an. „Versprochen?“ „Versprochen.“ Heftig atmend löste Dana nun vorsichtig ihre Um-<br />

klammerung ein wenig und wagte einen zögernden Blick an Mick vorbei. Der Vampir spürte<br />

die Agentin erschauern, aber sie krallte sich wenigstens nicht gleich wieder panisch an ihn.<br />

Sie behielt den Blick auf die Reptilien gerichtet und stotterte dann: „Das ... das ist eine ... eine<br />

Kornnatter ... So eine war es, die Charles in mein Bett gelegt hat ...“ Mick nickte ruhig. „Ja, es<br />

sind ein paar Kornnattern dabei, Dana, absolut harmlose, wunderschöne Tiere. <strong>Die</strong> sind alle<br />

froh, wenn wir sie in Ruhe lassen, glaube mir.“ Er versuchte, an Danas logischen Verstand zu<br />

appellieren. „Weißt du, die wollen, dass du sie dir richtig anschaust und dich hier unter ihnen<br />

bewegen kannst, vorher lassen sie uns nicht raus. Du solltest sie dir daher wirklich einmal in<br />

Ruhe ansehen. Ich bleibe ganz dicht bei dir und passe auf dich auf.“ Dana seufzte auf. „Oh<br />

Gott, das schaffe ich niemals.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mick schüttelte den Kopf. „Doch, das schaffst du, Dana, weil du es schaffen musst,<br />

sonst hocken wir nächstes Jahr noch hier drinnen.“ Neben ihnen in der Zimmerecke war<br />

Gibbs gerade dabei, Jake eines der Tiere ganz langsam auf die Hand zu setzen. Dana sah das<br />

ebenfalls und zitterte wieder stärker. Dann aber straffte sie die Schultern und erklärte leise:<br />

„Ich will zu Mulder, also werde ich versuchen, <strong>mich</strong> zusammen zu reißen.“ Vorsichtig löste<br />

sie sich noch weiter von Mick und sah dann an ihm vorbei auf die Schlangen im Raum. Mick<br />

trat etwas zur Seite, hielt aber weiterhin Körperkontakt zu Dana. Und dann hatte die FBI<br />

Agentin, die Mörder und Monster gleichermaßen kalt gejagt hatte, freien Blick auf die im<br />

Gegensatz dazu harmlosen Schlangen. Mick hörte sie hart schlucken. Mehrere Minuten lang<br />

beobachtete Dana mit angstvoll geweiteten Augen die Tiere, die sich bis auf zwei Exemplare<br />

zusammen gerollt hatten. Als sie begriff, dass die Tiere friedlich herum lagen, atmete sie<br />

einige Male tief durch. Dann sagte sie mit dünner Stimme: „Ich werde versuchen, an die<br />

andere Wand hinüber zu gehen. Bleibst du ganz dicht bei mir, bitte.“ Mick nickte.<br />

„Selbstverständlich. Ganz langsam, Schritt für Schritt, lass dir alle Zeit, die du brauchst.<br />

Wenn wir etwas haben, dann wohl das.“ Und mit zitternden Knien durchquerte Dana langsam<br />

und vorsichtig den Raum.<br />

*****<br />

Mulder behielt Sawyer scharf im Auge. Langsam wirkte der Südstaatler, der sonst so<br />

furchtlos war, etwas entspannter. Weiter redete Mulder auf ihn ein und schließlich schloss<br />

Sawyer kurz die Augen, atmete entschlossen durch und sagte dann mit leicht zitternder<br />

Stimme: „Man, Mulder, ich mach mir gleich in die Hose.“ Verzweifelt grinste er. Eines der<br />

achtbeinigen Tiere hatte es sich ganz entspannt auf Sawyers linkem Unterarm gemütlich ge-<br />

macht. Mulder sah den Freund scharf an. Er wirkte erschöpft, aber einigermaßen gefasst und<br />

so wagte der FBI Mann etwas, von dem er nicht sicher war, ob es ihm überhaupt gestattet<br />

war. Er griff über den Tisch und löste nacheinander die Manschetten. Sawyer starrte ihn ent-<br />

setzt an, nickte dann aber ergeben. „Okay ...“ Mulder zögerte nur ganz kurz, dann fasste er<br />

Sawyer einfach an den Händen. „Siehst du, du kannst es.“ Man merkte deutlich, dass Sawyer<br />

sich mit aller Kraft beherrschen musste, die Hände nicht vom Tisch zu nehmen, aber er<br />

schaffte es. Und er schaffte es sogar, still zu bleiben, als Augenblicke später eine zweite<br />

Spinne auf seinen rechten Arm turnte. Zwar zitterten seine Hände, aber er hielt tapfer still.<br />

Langsam krabbelte das Tier, Gil hätte den Männern erklären können, dass es eine<br />

’Brachipelma Smithi’, eine Rotknievogelspinne war, auf seinem Arm herum. Ein beachtliches<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Exemplar, gute fünf Zentimeter Körpergröße, wunderschön gemustert, mit leuchtend orangen<br />

Flecken auf den langen, kräftigen Beinen und feinen Haaren am ganzen Körper.<br />

Geradezu sanft bewegten sich die Beine langsam über Sawyers nackte Haut. Als sie<br />

seine Armbeuge erreicht hatte, spürte Mulder Sawyers Hand in seiner Zucken und sagte<br />

ruhig: „Du machst das wirklich großartig. Atme nur ruhig tief und gleichmäßig weiter. Sie tut<br />

dir nichts, mach ihr keine Angst.“ Ein etwas hysterisches, kurzes Lachen entwich Sawyers<br />

Lippen. „Klar, ey, ich werde dem armen Tier doch keine Angst machen ...“ Mulder grinste.<br />

Minutenlang beobachtete Sawyer die große Spinne, dann drehte das Tier gelassen um und<br />

suchte sich einen Weg von dem Arm herunter, blieb schließlich auf der Tischplatte stehen.<br />

Eine andere Spinne versuchte, Sawyers Hand zu ersteigen und Mulder sagte gelassen: „Leg<br />

deine Hand mal flach auf den Tisch, komm schon, das schaffst du jetzt auch.“ Angespannt<br />

legte der Südstaatler seine Hand flach auf den Tisch. Seine Brust hob und senkte sich unter<br />

kurzen, schnellen Atemzügen. Kurz zuckte die Spinne, eine rostrote, sehr hübsche Martinique<br />

Baumvogelspinne, ebenfalls gute fünf Zentimeter groß, was bedeutete, mit ausgestreckten<br />

Beinen so groß wie ein Kuchenteller, zusammen, dann nutzte sie die Gunst der Stunde und<br />

krabbelte auf die dargebotene Hand. Fast wirkte es, als betrachte sie den Mensch, der da an-<br />

gespannt auf sie herunter starrte, genau so interessiert. Und Sawyer stieß hervor: „Es geht. Ich<br />

schaffe es. Gott, das hätte ich nie gedacht.“ Ganz langsam und vorsichtig hob er die Hand mit<br />

der Spinne darauf und schaute sich das Tier genauer an. Er sah die gut ein Zentimeter langen<br />

Chelizeren, die Giftklauen, und schluckte. Mulder bemerkte das sehr wohl und sagte:<br />

„Sawyer, sie wird dich nicht beißen, und selbst wenn, das Gift verursacht nicht mehr Un-<br />

behagen als ein Bienenstich.“ Sawyer sah Mulder kurz an, dann nickte er verstehend. Und in<br />

diesem Moment ging die Tür auf. Eine Wache kam herein, mit dem großen Kasten in der<br />

Hand und erklärte: „Ihr könnt die Tiere einsammeln und in den Kasten stecken.“<br />

Fragend sah Mulder den Mann an und dieser erklärte: „Vorsichtig in der Körpermitte<br />

anfassen, und nicht drücken.“ „Okay, Sir. Dann wollen wir mal Spinnen fangen.“ Mulder griff<br />

sehr vorsichtig nach der Spinne auf Sawyers Hand und hob das Tier sanft herunter, setzte sie<br />

in den Kasten. Dann entfernte er die zweite Spinne, die noch immer auf Sawyers Arm saß.<br />

Und schließlich wagte Sawyer mit zitternder Hand selbst, eines der Tiere zu fassen. Nach und<br />

nach sammelten die Männer so die Spinnen ein und setzten sie in den Kasten zurück. Als<br />

dieser schließlich von der Wache verschlossen wurde, sackte Sawyer mit dem Oberkörper<br />

vollkommen fertig auf den Tisch und stöhnte leise. „Mann ...“ „Na, das ging doch ganz gut.<br />

Dann kommt, ihr habt eine Stunde Pause.“ Er machte Sawyer vom Stuhl los und führte die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Männer zusammen in den Raum, den Sawyer und Kate bewohnten. Fix und fertig sank<br />

Sawyer dort auf das Sofa und erklärte: „Oh, man, was würde ich für einen Scotch alles tun.“<br />

*****<br />

Abby hielt die Luft an, als Locke den Jacky heran lockte. Das freche, kleine Tier kam<br />

schwanzwedelnd angetrippelt und stellte sich vor Locke auf die Hinterbeine, reichte Locke so<br />

gerade knapp bis zum Oberschenkel. Grinsend tätschelte der Mann den Hund liebevoll. Abby<br />

behielt das Tier scharf im Auge. Locke versuchte einen Befehl. „Sitz.“ Brav setzte sich das<br />

Kerlchen hin und Locke sagte zu Abby: „Geh doch einfach mal in die Hocke und schau, was<br />

passiert.“ Zögernd hockte die junge Frau sich hin. Der kleine Hund beobachtete das genau.<br />

„Strecke deine Hand aus und lass ihn an dir schnuppern.“ Leicht zitternd tat Abby, was Locke<br />

gesagt hatte. Der kleine Hund streckte sich ein wenig und schnupperte dann interessiert an der<br />

ihm dargebotenen Hand. Freundlich schleckte er an Abbys Fingern. Und ganz leise und<br />

zögernd erklärte Abby: „Er ist ganz niedlich ...“ Locke wartete ruhig ab, bis Abby die Hand<br />

ein wenig weiter ausstreckte, und sie zögernd über den kleinen Kopf gleiten ließ. Begeistert<br />

wackelte der Schwanz des Tierchens hin und her. Das machte Abby Mut. Sie ließ die Hand<br />

auch über den Rücken des Hundes gleiten. Bestimmt zehn Minuten lang schaffte sie so einen<br />

vorsichtigen Kontakt. Und dann kam langsam und interessiert ein großer Deutscher Schäfer-<br />

hund näher. Locke konzentrierte sich noch einmal sehr, und gab Abby mentale Unterstützung.<br />

Sie richtete sich langsam auf und dann streckte sie sehr zögernd und vorsichtig die Hand nach<br />

dem erheblich größeren Hund aus. Freundlich sah dieser sie an und kam näher. Und Abby<br />

schaffte es. Sie legte dem Hund die Hand auf den Kopf und ließ sie zwischen dessen seiden-<br />

weich befellte Ohren gleiten. Schließlich sagte Locke: „Jetzt lass uns doch einfach mal die<br />

anderen Hunde genauer anschauen.“<br />

Abby griff unsicher nach Lockes Arm, dann aber setzte sie sich in Bewegung und sie<br />

gingen reihum zu jedem der Hunde hinüber. Abby schaffte es, jeden einzelnen zu streicheln.<br />

Und als sie schließlich alle berührt und einige sogar mehrfach gestreichelt hatte, ging die Tür<br />

auf. Ein Wachposten kam und erklärte: „So, das war schon sehr zufrieden stellend für die<br />

erste Sitzung. Auf geht’s. Ihr habt eine Stunde Pause, dann geht der Ernst des Lebens los.“<br />

Erschöpft, aber erleichtert, ließen Locke und Abby sich aus dem Zimmer führen und wurden<br />

zusammen in den Raum von Locke und Gibbs geschafft. Hier fiel Abby dem älteren Mann<br />

dankbar um den Hals. „John, ohne dich hätte ich das nicht geschafft, ich weiß nicht, wie ich<br />

dir danken soll. Ich wäre da drinnen gestorben vor Angst. Jetzt habe ich fast das Gefühl, ich<br />

könnte <strong>mich</strong> doch noch an Hunde gewöhnen. Ich dachte, ich falle sofort tot um, als die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ganzen Hunde da rein kamen. Mein Gott, wenn die die <strong>Anderen</strong> auch solcher Schocktherapie<br />

unterziehen, dann möchte ich nicht wissen, wie es Dana, Jake oder Sawyer geht. Ob da auch<br />

jemand von uns bei sein durfte um zu helfen?“<br />

*****<br />

Dana hatte sich in Micks Arm mehrmals durch die Schlangen hindurch bewegt. Doch<br />

noch schienen die Entführer nicht zufrieden, denn die Tür öffnete sich nicht, keiner kam, um<br />

nach erfolgreicher Therapie die vier Gefangenen aus dem Raum zu holen. Jake saß mit Gibbs<br />

immer noch in der Ecke am Boden und hielt inzwischen die dritte Schlange in der Hand.<br />

Gibbs hatte das Gefühl, vom begütigend auf den Jüngeren einreden schon Fransen an den<br />

Lippen zu haben, aber er ließ nicht nach. Und Jake dankte es damit, dass er selbst nach einer<br />

in Reichweite sitzenden Schlange griff und diese in die Hand nahm. Er betrachtete sie in aller<br />

Ausführlichkeit und erklärte dann: „Wenn man die Tiere mal ohne ... naja, ohne Panik be-<br />

obachtet, sind einige wirklich ziemlich ... hübsch.“ Dana hörte diese Worte und sah zu Jake<br />

und Gibbs hinüber. „Du hast eigentlich recht.“, sagte sie leise und betrachtete eine leuchtend<br />

kupferrot, schwarz und weiß gemusterte Dreiecksnatter. Das vielleicht vier Fuß lange Tier<br />

hob gerade den schönen, schwarz und weiß geringelten Kopf und sah Dana an. Ihre Zunge<br />

testete die nichtflüchtigen Duftstoffe, die aus Richtung Mick und Dana zu ihr getragen<br />

wurden und analysierte diese, in dem sie die Zungenspitzen in das so genannte Jacobsen-<br />

Organ, zwei kleine Vertiefungen im Gaumen, drückte. Mick hatte unterschwellig die ganze<br />

Zeit befürchtet, dass auch die Schlangen auf sein Anderssein aggressiv reagieren könnten,<br />

aber zum Glück zeigte diesmal keines der Tiere die sonst eigentlich üblichen Reaktionen auf<br />

ihn. Zufrieden, da keine Gefahr zu drohen schien, schob die Dreiecksnatter sich näher an<br />

Dana heran und richtete sich neben der Agentin ein wenig auf. Mick bückte sich, nahm die<br />

Schlange vorsichtig in die Rechte und hob sie in Danas Augenhöhe. „Sie sind wirklich<br />

hübsch. Und, Dana, kein bisschen kalt oder glitschig. Fass sie doch mal an.“ Und von den<br />

völlig selbstverständlich klingenden Worten Micks wie eingelullt, ließ Dana ihre Linke sanft<br />

und zögernd über die warme, geschmeidige Schuppenhaut der Schlange gleiten.<br />

Und endlich ging auch die Tür hier auf und zwei Wachen betraten den Raum. Sie<br />

hatten zwei große Körbe in der Hand und erklärten den vier Gefangenen: „Das war nicht<br />

schlecht. Für heute reicht es. Einsammeln, und dann habt ihr eine Stunde Pause.“ Zögernd<br />

und vorsichtig beteiligten sich auch Dana und Jake an der Einsammlung der Schlangen und<br />

atmeten sichtlich auf, als auch das letzte Tier in einem der Körbe verstaut war. Wortlos<br />

folgten sie den Wachen und wurden gemeinsam auf Heather und Jakes Zimmer gebracht. Hier<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sanken Dana und Jake gleichermaßen fix und fertig auf das Sofa und brauchten ein paar<br />

Minuten, um sich zu fangen. Dann sagte Dana fassungslos: „Dass ich mal eine Schlange be-<br />

rühren würde, hätte ich nie für möglich gehalten.“ Jake nickte heftig. „Glaub mal nicht, dass<br />

ich das für möglich gehalten hätte. Mein Grandpa würde sich freuen, wenn er das sehen<br />

könnte ...“ Mick lächelte. „Das kann er, Jake, davon bin ich überzeugt. Genau wie dein Dad.<br />

Sie werden stolz auf euch sein. Das gelingt noch lange nicht jedem, sich seiner Angst so zu<br />

stellen. Und nach so kurzer Zeit bereits in der Lage zu sein, die Schlangen zu berühren war<br />

eine reife Leistung von euch.“ „Ob die <strong>Anderen</strong> auch durch einen solchen Horror durch<br />

müssen? Sawyer? Mulder? Abby? Allison? Gott, und Kate und Ziva mit ihrer Platzangst?“<br />

Dana sah Gibbs und Mick fragend an.<br />

*****<br />

„Weißt du was, Mulder? Wenn du nicht ... hör zu, wenn du nicht vorhin dabei ge-<br />

wesen wärest, hätte ich da drinnen einen Anfall gekriegt und wäre vermutlich sprichwörtlich<br />

vor Angst gestorben. Ich danke dir. Ich danke dir wirklich. Ich dachte, <strong>mich</strong> trifft auf der<br />

Stelle der Schlag, als die die Viecher auf den Tisch kippten. Es ist so peinlich, als Kerl Angst<br />

vor Spinnen zu haben.“ Mulder schüttelte milde lächelnd den Kopf. „<strong>Die</strong> panikartige Angst<br />

vor Spinnen ist die am weitesten verbreitete spezifische Phobie, also eine chronische Angst<br />

mit unangemessenen und unerklärbaren Reaktionen. <strong>Die</strong> macht keine Unterschiede zwischen<br />

Männlein und Weiblein. <strong>Die</strong> Anteile der weltweiten Arachnophobiker sind ziemlich fifty-fifty<br />

aufgeteilt. Du hast absolut keinen Grund, dich zu schämen, Sawyer, du bist in guter Gesell-<br />

schaft. Und du hast dich heute sehr gut gehalten. Ich bin nicht sicher, ob ich, mit Feuer<br />

konfrontiert, genauso schnell Ruhe bewahren würde.“ „Ruhe bewahren? Willst du <strong>mich</strong> auf<br />

den Arm nehmen? Ich habe da gerade gebrüllt wie ein kleines Kind.“, schnaufte Sawyer<br />

frustriert. „Ja, ein paar Minuten lang, und dann hast du Spinnen auf dir herum krabbeln<br />

lassen, ohne hysterisch zu werden.“ Sawyer ließ müde den Kopf gegen die Sofalehne sinken.<br />

„Ja, großartig. Als ob ich eine andere Wahl gehabt hätte.“, knurrte er. Mulder lachte. „Naja,<br />

am Anfang vielleicht nicht, aber nachdem ich dich los gemacht habe, hättest du die rein<br />

theoretisch schon gehabt, ab da war es dein Wille, still zu halten, und nicht mehr die Fesseln.“<br />

Sawyer sah den Freund an. „Meinst du wirklich? Meinst du, ich könnte meine Phobie auf<br />

Dauer überwinden?“ „Auf jeden Fall. Anders wird die unter ärztlicher Aufsicht vor-<br />

genommene Therapie auch nicht gemacht, mal abgesehen von der Tatsache, dass dort natür-<br />

lich jeder Schritt freiwillig ist. Hier geht es schneller.“<br />

*****<br />

401


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jake und Dana wären vor Erschöpfung fast eingeschlafen. Gibbs und Mick unter-<br />

hielten sich leise und behielten den jungen Mann und die Agentin im Auge. „Man kann das<br />

gar nicht nachvollziehen, wenn man selbst keine Phobie hat, finde ich. Etwas, dass mir so viel<br />

Angst macht, dass ich wirklich zu keiner vernünftigen Reaktion mehr fähig bin, kann ich mir<br />

wirklich nicht vorstellen. Eine einzeln auftretende Situation vielleicht, aber keine ständig<br />

wieder kehrende Sache.“ Mick sah versonnen auf den Tisch vor sich. Dann erklärte er ruhig:<br />

„Eine Phobie ist eine krankhafte, das heißt unbegründete und anhaltende Angst vor<br />

Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten oder Personen. Sie äußert sich im übermäßigen, un-<br />

angemessenen Wunsch, den Anlass der Angst zu vermeiden. <strong>Die</strong>se Angst ist der Situation<br />

erkennbar nicht angemessen, die entsprechenden Angstreaktionen halten deutlich länger an,<br />

als nötig wäre. <strong>Die</strong>se besonders geartete Angst ist durch die Betroffenen weder erklärbar, be-<br />

einflussbar noch zu bewältigen und führt zu deutlichen Beeinträchtigungen des Lebens der<br />

Betroffenen, wenn es sich zum Beispiel um eine Phobie handelt, der man ständig ausgesetzt<br />

ist, wie bei Abby mit den Hunden, oder bei Sawyer mit den Spinnen. Das sind alltägliche<br />

Situationen, die man kaum vermeiden kann, und daher sind Phobien dieser Art schon wirklich<br />

beeinträchtigend.“ Müde warf Dana ein: „Das war es, was bei mir eben nicht so schlimm war,<br />

wo trifft man schon auf Schlangen in DC ... Daher habe ich <strong>mich</strong> nie darum gekümmert.<br />

Natürlich müssen die Bastarde hier darauf herum reiten. Aber, soll ich euch etwas sagen?<br />

Wenn es hilft, bin ich auch nicht böse.“ „Oh ja, da stimme ich dir allerdings absolut zu.“,<br />

mischte sich Jake ein. „Wenn ich dadurch die Angst vor Schlangen ein wenig verliere, oder<br />

wenigstens auf ein vernünftiges Maß reduziere, sage ich auch Danke.“<br />

*****<br />

Nach einer Stunde, in der man sie zufriedengelassen hatte, kam der nächste Akt des<br />

Dramas. <strong>Die</strong>smal wurde Mulder, der noch bei Sawyer saß, zusammen mit Kate abgeholt, und<br />

Allison und Booth brachte man ebenfalls zusammen und führte sie in den Fahrstuhl. Es ging<br />

nach ganz oben, auf das Dach, und hier erklärte die Wache, die sie her gebracht hatte: „Los,<br />

weiter, da vorne hin.“ Booth und Cameron stolperten verwirrt weiter und dann starrte Allison<br />

entsetzt auf einen sehr stabil aussehenden Balkon, der von einer höchstens kniehohen<br />

Brüstung umschlossen über das Dach hinaus ragte. Ohne Gnade wurde die junge Ärztin zu-<br />

sammen mit Booth auf diesen Balkon hinaus getrieben. Eine stabile Gittertür schloss sich<br />

hinter den Beiden und der Wachposten erklärte: „Ihr bleibt so lange hier, bis Nummer 10<br />

alleine in die Tiefe schauen kann.“ Sprachs, drehte sich herum und verschwand. Allison wich<br />

wimmernd vor Angst bis an das Gitter zurück, Booth stand ein wenig hilflos da und wusste<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht, was er tun sollte. Allison stand mit Anzeichen heftigster Angst an der Tür, krallte sich<br />

fest und schrie verzweifelt: „Lasst <strong>mich</strong> hier runter. Bitte. Holt <strong>mich</strong> hier weg!“ Booth beeilte<br />

sich, zu ihr zu treten und nach nur kurzem Zögern nahm er sie einfach fest in den Arm. „Hey,<br />

Allison, du musst dich beruhigen. Ich bin bei dir, es kann dir nichts passieren. Ich habe zwar<br />

keine Ahnung, was man bei Angstzuständen macht, aber zusammen kriegen wir das schon<br />

hin.“<br />

Allison schluchzte panisch. Sie klammerte sich an Booth, als wäre sie bereits am Ab-<br />

stürzen und Booth wäre das Einzige, was sie am Fallen hindern könnte. Ihr Herz raste,<br />

Schweiß war ihr ausgebrochen und sie fühlte sich schwindelig und benommen. Ihr Atem kam<br />

keuchend und flach und sie hatte ein erschreckendes Engegefühl in der Brust. Typische<br />

Zeichen einer Panikattacke. Sie wollte nur weg hier, dass sie alleine in die Tiefe schauen<br />

sollte, war vollkommen illusorisch. Wäre sie alleine gewesen, sie wäre schon lange ab-<br />

gestürzt. Sie würde abstürzen. Auch Booth wäre nicht im Stande, das zu verhindern. Sie<br />

würde fallen. Hysterisch wimmerte die junge Ärztin auf. „Ich werde runter fallen ... Ich ...“<br />

Booth unterbrach Cameron energisch. „Hey, Doc, psst, ganz ruhig. Du wirst nicht abstürzen.<br />

Siehst du, ich halte dich ganz fest und ich habe wirklich nicht die Absicht, hier runter zu<br />

fallen, also wirst du auch nicht abstürzen.“ Booth zermarterte sich das Hirn darüber, was er im<br />

Psychologiekurs in der Highschool und in West Point später über Phobien gelernt hatte.<br />

Körperkontakt halten, beruhigen, längstens fünfzehn Minuten akute Schübe ... Er verdrehte<br />

genervt die Augen. Wie lange standen sie hier schon? Wie lange war Allison nun schon voll-<br />

kommen außer sich? Es kam dem jungen Special Agent wie Stunden vor, aber es konnten<br />

kaum zehn Minuten vergangen sein. Allison machte nicht die mindesten Anstalten, sich schon<br />

zu beruhigen. Und Booth tat das Einzige, was ihm blieb: Er redete beruhigend auf die junge<br />

Frau ein, hielt sie weiter im Arm und versuchte, ihr so irgendwie Halt und Unterstützung zu<br />

geben. Wie sollte sie hier bitte alleine stehen und in die Tiefe schauen? Wie stellten die<br />

Bastarde sich das nur vor.<br />

*****<br />

Mulder hatte ein sehr mieses Gefühl im Bauch, als man ihn zusammen mit Kate ab-<br />

holte. Entweder war Kate dran, oder, was in diesem Falle wahrscheinlicher war, er selbst.<br />

Beides behagte dem Agent nicht. Kate sah Mulder beunruhigt an. <strong>Die</strong>ser lächelte auf-<br />

munternd, obwohl ihm nicht nach Lachen zu Mute war. Als sie schließlich vor einer Tür<br />

stehen bleiben mussten und der Wachmann anfing, zu reden, war Mulder schlagartig klar,<br />

dass er auch keinen Grund hatte, zu Lachen. „Ihr werdet in dem Raum eine Wand sehen, die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

einen langen Flur verbirgt. <strong>Die</strong>se Wand ist mit spitzen Nadeln besetzt, die in Curare getaucht<br />

wurden. Sobald ihr euch hinter der Wand befindet, werden zwei Mechanismen ausgelöst. Der<br />

Erste bewirkt, dass die Wand sich langsam in den Flur hinein schiebt. Der Zweite löst in den<br />

Wänden des Flures beidseitig Flammenzungen aus. Ihr müsst den Gang durchqueren, sonst<br />

werdet ihr von den Nadeln verletzt und Curare ist absolut tödlich, deshalb solltet ihr euch be-<br />

eilen. Nummer 8, du hast zwanzig Minuten Zeit, Nummer 15 soweit zu beruhigen, dass er den<br />

Flur durchqueren kann. Wenn du es in der Zeit nicht geschafft hast, wirst du dich alleine auf<br />

den Weg machen. Ihr seid zu keinem Zeitpunkt von den Flammen gefährdet, wir haben das<br />

genau kalkuliert. <strong>Die</strong> Flammen werden euch zu keiner Zeit treffen, die Wand mit den Nadeln<br />

schon. Haltet euch in der Mitte des Flures, dann werdet ihr es schaffen, gesetzt den Fall,<br />

Nummer 15 überwindet seine Panik.“ Der Wachmann trieb Mulder und Kate in den Raum<br />

und führte sie hinter die bewusste Wand. Kate warf einen besorgten Blick auf die Nadeln, die<br />

im Abstand von vielleicht zehn Zentimetern angebracht waren. Dann sah sie den Flur entlang.<br />

Er war lang. Mindestens acht Meter, schätzte die junge Frau. Alle zwanzig Zentimeter<br />

schossen von beiden Seiten Flammenzungen in den Flur hinein, aber es war deutlich zu sehen,<br />

dass sie eine sichere Gasse in der Mitte vollkommen unbehelligt ließen. Sie wusste nicht, was<br />

der Wachmann gemeint hatte, als er sagte, es hinge alles davon ab, ob sie Mulder würde be-<br />

wegen können, mit ihr den Flur zu durchqueren. Sie hatte die ganze Zeit den Wachposten<br />

angeschaut. Als sie erstmals Mulder anschaute, um ihn verwirrt aufzufordern, schnell mit ihr<br />

durch den Flur zu gehen, ahnte Kate, was los war.<br />

Mulder sah den Flur entlang, sah die Flammen, schluckte und wollte zurück weichen.<br />

Das ging jedoch nicht mehr, da die Wand den Flur komplett abdeckte. Er starrte den Gang<br />

entlang, in die in Abständen von wenigen Sekunden aus der Wand züngelnden Flammen und<br />

wurde starr vor Entsetzen. Und Kate wusste schlagartig, was los war. Sie kannte die Zeichen<br />

nur zu gut, ging es ihr doch genau so, wenn sie enge Räume sah. Sehr genau darauf achtend,<br />

ja nicht gegen die Nadeln zu kommen, trat Kate auf Mulder zu. „Hey. Hey, Mulder, bitte. Das<br />

kannst du mir jetzt nicht antun. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich hier zurück lasse.<br />

Wir werden zusammen den Flur durchqueren und uns in Sicherheit bringen, verstanden?“<br />

Mulder war kurz davor, zu Hyperventilieren. Sein Atemrhythmus war flach, schnell, ihm<br />

drehte sich alles und er wankte. Erschrocken griff Kate zu, als der Agent Gefahr lief, rück-<br />

wärts zu taumeln. „Mulder.“, stieß sie erschrocken hervor und legte die Arme um den<br />

schwankenden Mann. „Kipp mir hier bloß nicht um. Sieh <strong>mich</strong> an, hörst du, starr nicht auf die<br />

blöden Flammen. Sieh <strong>mich</strong> an.“ Energisch forderte Kate Mulder auf, den Blick von den<br />

Flammen im Flur zu nehmen und sie anzusehen. „Mulder, komm schon, du darfst nicht<br />

schlapp machen, hörst du? Was soll ich denn Dana und Sawyer erzählen, wenn ich dich hier<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zurück lassen müsste. Du siehst nur <strong>mich</strong> an und dann werden wir gemeinsam tief durch<br />

atmen, komm, bitte. Bitte.“<br />

Sie hatte es geschafft. Mulder wandte tatsächlich seinen Blick von den Flammen-<br />

zungen weg auf die junge Frau. „Kate. Ich hab ...“ Kate unterbrach ihn. „Ich weiß, Mulder, du<br />

hast schreckliche Angst vor Feuer. So, wie ich vor der Kiste gehabt habe. Aber das nützt<br />

nichts. Wir müssen da zusammen durch. Ich lasse dich hier nicht zurück, verstehst du. Sawyer<br />

hat dich sehr, sehr gerne, das kann ich ihm nicht antun. Und du kannst es Dana und William<br />

nicht antun. Bitte, Mulder, versuche, ruhiger zu atmen. Mit mir zusammen, okay?“ Kate hielt<br />

Mulders Hände fest und zwang ihn sanft, sie weiter anzusehen. Wenn er wieder in den Flur<br />

schauen wollte, schüttelte sie seine Hände und er konzentrierte sich wieder auf sie. Kate<br />

atmete bewusst ruhig und tief ein und forderte Mulder auf, es ihr gleich zu tun. Mulder<br />

schloss verzweifelt die Augen, dann zwang er sich, ruhig und gleichmäßig ein und aus zu<br />

atmen. Kate behielt die Wand hinter ihnen im Auge, irgendwann würde diese anfangen, sich<br />

auf Mulder und sie zu zubewegen. Noch jedoch rührte sie sich nicht. Sie sah wieder zu<br />

Mulder auf, der sie aus Augen, ganz dunkel vor Grauen, anschaute. Leise sagte er: „Das<br />

schaffe ich niemals.“ „Doch, Babe, das wirst du schaffen. Und zwar bald schon, denn dann<br />

wird die verdammte Wand uns in den Flur jagen. Und ich werde dich mit mir nehmen, ver-<br />

standen? Es ist mir egal, wie viel Angst du hast. Ich habe die Kiste auch überlebt, du wirst<br />

diesen bescheuerten Flur mit mir zusammen auch überleben. Ich habe es so satt, dass diese<br />

Dreckkerle uns immer wieder in Angst und Schrecken versetzen. Wir werden da durch gehen.<br />

Los doch. Du schaffst das.“<br />

Und das kleine Wunder geschah. Unter Kates eindringlichen Worten schluckte Mulder<br />

hart, dann strafften sich seine Schultern. „Wenn du mir hilfst ...“ Kate nickte.<br />

„Selbstverständlich tue ich das. Wir werden zusammen da durch gehen, komm, immer einen<br />

Schritt vor den anderen ... Sieh <strong>mich</strong> an dabei, schau nicht auf die Flammen. Nur <strong>mich</strong> an-<br />

schauen. Schritt für Schritt.“ Kate achtete darauf, dass sie in der Flurmitte blieben und zwang<br />

Mulder mit sanfter Gewalt, weiter seine Augen auf ihr zu lassen. Sie ging rückwärts und<br />

wenn sie merkte, dass Mulders Blick von ihr wich, holte sie ihn sofort zurück. „Hey. Hier her<br />

schauen, Schätzchen. Weiter, du machst das großartig. Dana wäre so stolz auf dich. Wir<br />

haben es schon zur Hälfte geschafft, komm schon, den Rest schaffst du auch noch.“ Weiter<br />

und weiter redete Kate auf den Agent ein, die rettende Tür kam immer näher, und dann hatten<br />

sie es geschafft! <strong>Die</strong> Tür vor ihnen öffnete sich und der Wachmann, der sie in den Raum ge-<br />

bracht hatte, wartete schon auf sie. Bevor er sie jedoch fesseln und zurückführen konnte, riss<br />

Mulder Kate an sich und drückte die junge Frau dankbar. „Du ahnst nicht, was du heute für<br />

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by Frauke Feind<br />

<strong>mich</strong> getan hast, Kate. Ich danke dir unendlich.“ Der Wachmann unterbrach die Beiden brüsk.<br />

„Jaja, du kannst der Tante später danken, jetzt geht es ab aufs Zimmer. Eine Stunde Pause.“<br />

Kate und Mulder störte der abfällige Ton nicht, sie waren einfach froh und dankbar, dass sie<br />

es geschafft hatten. Sie wurden auf Mulder und Danas Zimmer gebracht und hier zog Mulder<br />

Kate noch einmal herzlich an sich. Kate ließ sich die Umarmung lachend gefallen. „Denen<br />

haben wir es aber gezeigt.“<br />

*****<br />

Einige Etagen höher stand Allison zusammen mit Booth immer noch wimmernd vor<br />

Entsetzen auf dem Balkon. Jedoch schwanden die Kräfte der jungen Frau schnell. Und<br />

irgendwann hatte sie einen Punkt erreicht, an dem sie für die Panik einfach nicht mehr genug<br />

Kraft über hatte. Sie wurde zusehends apathisch und wäre in sich zusammen gesackt, hätte<br />

Booth sie nicht fest gehalten. Spontan entschied Seeley sich, genau das zu machen: Sich mit<br />

Cameron zusammen auf den Boden sinken zu lassen, und dort zu versuchen, sie zu beruhigen.<br />

So saß er gleich darauf mit der jungen Ärztin fest in seinen Armen am Gitter angelehnt am<br />

Boden. Er hielt Cameron erst einmal weiter einfach nur in den Armen und irgendwann be-<br />

gann er, ganz leise auf sie einzureden. Er sprach von House, davon, wie es sein würde,<br />

irgendwann frei zu kommen, schilderte leise, wie in ihren Jobs die Leute gucken würden, dass<br />

er mit Bones und sie mit House zusammen war, und schaffte auf diese Weise, was er kaum<br />

für möglich gehalten hatte. „Wilson und Chase werden ... sie werden ziemlich dumm aus der<br />

Wäsche gucken.“<br />

Müde und zögernd hob Allison den Kopf von Seeleys Brust und sah den Agent an.<br />

„Schwörst du mir, dass du nicht zulässt, dass ich da runter falle?“ Booth lächelte. „Hey, Doc,<br />

sehe ich aus, als würde ich eine Frau fallen lassen?“ Unter Tränen lachte Allison, kurz und<br />

verzweifelt. „Nein, so siehst du wirklich nicht aus. Okay, ich will ... hier weg, also, lass uns ...<br />

Hilf mir bitte, wenn ich da schon runter schauen muss, dann jetzt.“ Booth nickte. „Weißt du,<br />

was wir machen? Wir krabbeln da erst mal hin, okay? Dann wirst du langsam anfangen, über<br />

den Rand zu schauen und wenn du es erträgst, werden wir irgendwann aufstehen. Ich habe<br />

heute nichts mehr vor, also ...“ Wieder huschte ein kurzes Grinsen über Allisons Gesicht und<br />

sie nickte erschöpft. Dann rutschte sie, eng an Booth gedrückt, Stück für Stück an die<br />

Balkonkante heran. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie den ersten Blick in die Tiefe wagte.<br />

Erschrocken sog sie die Luft ein und stammelte: „Oh, Gott.“ Unwillkürlich musste Booth<br />

grinsen, er konnte es gar nicht verhindern. „Booth reicht, oder einfach Seeley.“ Allison sah<br />

ihn an und dann schüttelte sie mit einem verzweifelten grinsen den Kopf. Und schaute plötz-<br />

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by Frauke Feind<br />

lich entschlossen nach unten, in die Tiefe. Booth hielt die Luft an vor Spannung. Würde die<br />

junge Frau es wagen, aufzustehen?<br />

Cameron starrte nach unten und schließlich sagte sie: „Wenn du <strong>mich</strong> ganz doll fest<br />

hältst, können wir langsam aufstehen ...“ Ihre Stimme brach fast vor Angst, aber sie ließ sich<br />

von Booth langsam und vorsichtig auf die Beine ziehen und schließlich stand sie, eng an ihn<br />

geschmiegt, zitternd da und trat dann ans Balkongitter. Schließlich schaute sie nach unten.<br />

Booth hielt sie so fest er konnte, ohne ihr weh zu tun. Minutenlang standen die beiden<br />

Menschen, die sich unter normalen Umständen wahrscheinlich nie getroffen hätten, still und<br />

eng aneinander geschmiegt da und sahen in die Tiefe. Und dann meinte Cameron plötzlich,<br />

vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen „Zwischen House und Cuddy war mal was ...“<br />

Booth war völlig verwirrt. „Bitte, was?“ Allison starrte weiter in die Tiefe und meinte leise:<br />

„Ich versuche, an etwas anderes zu denken als an die hunderte von Metern, die es hier runter<br />

geht.“ „Fünfzig bis sechzig, höchstens, und wer ist Cuddy?“ Booth beschloss, auf das Ge-<br />

spräch einzugehen, um Allison die Ablenkung zu ermöglichen. „Unsere Chefin. Kannst du ...<br />

kannst du vielleicht ... Ich will es alleine versuchen. Hältst du <strong>mich</strong> irgendwie ...“ Camerons<br />

Hände lösten sich von Booth und krallten sich um das Geländer. Booth selbst löste seine<br />

Arme ganz langsam von Allison und stellte sich hinter sie, die Arme nur noch locker um ihre<br />

Taille geschlungen. „So geht es ...“, stammelte Allison. „Lass <strong>mich</strong> nur nicht fallen ...“<br />

Minutenlang stand sie so fast alleine am Gitter und sah in die Tiefe. Und dann näherten sich<br />

plötzlich Schritte und der Wachposten kam. Kühl sagte er: „Lass sie los, Nummer 1.“ Booth<br />

schüttelte langsam den Kopf. Dann fragte er Allison: „Geht es?“ Zitternd nickte diese. „Du<br />

kriegst nur Ärger ... Ich schaffe es ...“ Ganz langsam ließ Booth die junge Frau ganz los und<br />

blieb hinter ihr stehen. Und Cameron stand alleine am Geländer und schaute weiter nach<br />

unten. „Okay, das reicht für heute. Hilf ihr, mach schon.“<br />

Sofort trat Booth wieder an Allison heran und legte ihr einen Arm um die Schultern.<br />

„Komm, du hast es geschafft, du warst echt gut. Ich wünschte, ich wäre beim Zahnarzt genau-<br />

so gut.“ Cameron sank vollkommen erschöpft gegen Booth und so wurden die Beiden in den<br />

Raum von Booth und Bones gebracht. Vollkommen fertig sank Allison auf das Sofa und<br />

flüsterte: „Ich hatte Todesangst ... Booth, darf ich dich was fragen?“ Booth hatte sich und<br />

Cameron eine Dose Cola aus dem Kühlschrank gegriffen und drückte ihr diese in die Hand.<br />

„Klar, was ist denn?“ „In der ... Dunkelkammer ... Wie hast du es nur so lange ausgehalten?“ -<br />

Soll einer die Gedankengänge von Frauen verstehen. - dachte Booth und schüttelte unmerk-<br />

lich den Kopf. Dann sagte er entwaffnend ehrlich: „Eigentlich gar nicht. Ich habe irgendwann<br />

gebettelt und gefleht raus gelassen zu werden, glaube ich. Ich hatte üble Halluzinationen, und<br />

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by Frauke Feind<br />

alles, was ich noch denken konnte war: Holt <strong>mich</strong> hier raus.“ Er schauderte. „Und irgendwann<br />

bin ich wohl einfach zusammen gebrochen, hab dabei zielsicher das Klo mit dem Kopf ge-<br />

troffen und so haben sie <strong>mich</strong> da raus holen müssen ...“ Cameron hatte erschüttert zugehört.<br />

Dann sagte sie leise: „<strong>Die</strong> treiben uns an die Grenzen unserer Leistungsfähig so oft es ihnen<br />

Spaß macht ...“ Sie sah Booth an. „<strong>Die</strong> spielen mit uns, mit unserer Gesundheit, unserem<br />

Leben, und wir spielen mit, um wenigstens das zu retten. Ich hätte niemals für möglich ge-<br />

halten, dass ich einmal sagen würde, ich wünsche Menschen den Tod, aber ich kann es tat-<br />

sächlich sagen. Ich wünsche diesen Dreckskerlen den Tod, langsam und qualvoll.“<br />

*****<br />

„Du musstest was?“ Kate sah Sawyer entsetzt an. „Oh, Gott, Baby, das tut mir so un-<br />

endlich leid. Dann war das heute für einige von uns kein schöner Tag.“ Nach dem Abend-<br />

essen hatten die Gefangenen in ihren Räumen endlich Zeit und Ruhe, mit den Partnern über<br />

die Ereignisse des Tages zu reden. Gerade hatte Sawyer Kate von seiner Begegnung mit den<br />

Spinnen berichtet. Kate hatte schockiert gelauscht. „Weißt du, Freckles, ganz ehrlich, wenn ...<br />

wenn ich nicht am Stuhl und am Tisch fixiert gewesen wäre, ich wäre abgehauen, und ich<br />

schwöre dir, ich hätte die scheiß Tür eingetreten und wäre gerannt, bis mir das verdammte<br />

Halsband den Kopf weg gesprengt hätte.“ Er schluckte schwer. „Nur Mulders Anwesenheit<br />

hat verhindert, dass ich ... dass ich komplett durchdrehte. Ich hätte es ohne ihn nicht ge-<br />

schafft.“<br />

*****<br />

„Weißt du, wenn Gibbs nicht bei mir geblieben wäre, ich hatte das Gefühl, dann hätte<br />

ich den Verstand verloren.“ Jake lag auf dem Bett und erzählte Heather von den Schlangen.<br />

<strong>Die</strong> junge Frau lauschte genau so entsetzt wie Kate ein paar Zimmer weiter. „Gott, Jake, das<br />

ist ... grausam. Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest.“ Heather zog Jake an<br />

sich und spürte, dass er immer noch ziemlich angeschlagen wirkte. „Ich komme mir so blöde<br />

vor, unzulänglich, albern, dass ich beim Anblick einer Schlange fast in Ohnmacht falle. Ich<br />

weiß nicht, was schlimmer ist, die Angst oder ...“ „Jake, du hast keinen Grund, dich zu<br />

Schämen. Du hast es gehört, hier sind noch viel mehr Leute mit echten Phobien. Das ist<br />

nichts, was man mit dem Verstand lenken kann. Selbst Bones hat etwas, vor dem sie ir-<br />

rationale Angst hat. Keiner von uns ist dagegen gefeit. Dafür braucht sich wirklich niemand<br />

schämen. Denke doch nur einmal an Booth bei Zahnarzt ...“ Jake hatte Heather zu gehört und<br />

schnaufte. Er machte sich sanft los und verschränkte die Arme unter dem Kopf.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gedankenverloren starrte er zur Decke über sich. „Du hast leicht reden, du hast ja auch keine<br />

Phobie. Du gerätst nicht bei Anblick einer kleinen Schlange völlig außer dich.“ Heather sah<br />

Jake ruhig an. „Nein, das gerate ich sicher nicht, aber dafür versinke ich im Erdboden, wenn<br />

ich einen Mann auch nur mit freiem Oberkörper sehe. Erinnerst du, wie extrem blöde ich<br />

<strong>mich</strong> angestellt habe, als ich Booth nur den Verband entfernen sollte.“ Heather wurde feuerrot<br />

und Jake konnte ein liebevolles Schmunzeln nicht unterdrücken. „So eine Situation möchte<br />

ich nie wieder erleben.“ Jake sah die junge Frau an und sagte dann verliebt: „Das war süß.“<br />

*****<br />

„Dann hast du Sawyer geholfen und Kate dir? <strong>Die</strong> wissen wirklich, was sie tun ... Bei<br />

uns waren es Mick und Gibbs. Ich war noch nie einem kompletten Zusammenbruch so nahe.“<br />

Dana schüttelte es noch nachträglich. Mulder hatte ihr von Sawyer und seinem eigenen<br />

Horrortrip erzählt, im Gegenzug hatte Dana ihm von dem entsetzlichen Ausflug in die<br />

Schlangenhölle berichtet. „Ja, das wissen diese Mistkerle wirklich. Gott, Dana, du hättest<br />

Sawyer erleben müssen, als dieser Wachmann die Spinnen auf den Tisch kippte. Wir konnten<br />

uns ja noch frei bewegen, dem armen Sawyer haben sie nicht mal das zugestanden. Ich dachte<br />

wirklich, ihn trifft der Schlag. Ich habe ihn in all den schrecklichen Situationen hier noch nie<br />

so ... Er war vollkommen fertig, neben sich, und ich wusste zu Anfang nicht, wie ich ihm<br />

überhaupt helfen konnte. Ich habe <strong>mich</strong> an nichts erinnert. Dann aber kamen die Bruchstücke<br />

langsam zurück. Am Ende hat er sogar die Spinnen mit eingesammelt. Ich musste zu Anfang<br />

auch schlucken, diese Viecher sind wirklich zum Teil extrem groß. Ich übertreibe nicht,<br />

Scully, mit ausgestreckten Beinen groß wie Untertassen, da muss jeder Arachnophobiker<br />

durchdrehen. Ich habe nun wirklich weder Angst noch Ekel vor Spinnen, aber selbst ich<br />

musste erst mal tief durch atmen.“<br />

*****<br />

Bones kuschelte sich an Seeley. „Ich hasse Psychologie. Hoffentlich kommen die<br />

nicht auf die Idee, <strong>mich</strong> bei einer solchen Aktion einzusetzen. Das wäre für den Betreffenden<br />

eine Katastrophe.“ Booth lachte leise. „Das stimmt gar nicht, Bones, als ich da auf dem Zahn-<br />

arztstuhl gehockt habe, hab ich es schon als beruhigend empfunden, dass du bei mir sein<br />

durftest.“ Bones stutzte. „Was, wirklich? Ich dachte, ich hätte überhaupt kein Gefühl für so<br />

etwas. Wenn du das Angela erzählst, wird sie dir kein Wort glauben. Außerdem bist du kein<br />

Maßstab, du bist parteiisch.“ Kurz überlegte sie. „Meinst du, die werden nach und nach alle<br />

Angststörungen auf ihre Art therapieren?“ Booth schauderte. „Steht zu vermuten.“ Er dachte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

an den Zahnarzt und ihm wurde schlecht. „Allison hat sich jedenfalls zum Schluss ziemlich<br />

gut gehalten. Ob die <strong>Anderen</strong> auch dran glauben mussten? Sind ja offensichtlich genug von<br />

uns mit Angststörungen hier ...“ Bones nickte versonnen. „Darauf wird es hinaus laufen.<br />

Wenn man alles in einem Kontext sieht, ist es nur logisch, dass sie versuchen, Störungen bei<br />

uns, die zu Behinderungen ihrer Pläne führen, auszumerzen. Da kommt vermutlich noch<br />

einiges auf uns zu.“ Booth schüttelte sich. „Danke, Baby, ich werde gleich viel besser<br />

schlafen. Bis eben hätte ich vielleicht nur von Clowns geträumt, jetzt werden es Clowns mit<br />

Bohrern sein.“<br />

Erkenntnisse<br />

Es ist durchaus nicht dasselbe, die Wahrheit über sich zu wissen oder sie von<br />

anderen hören zu müssen.<br />

Aldous Huxley<br />

Nach dem Frühstück am kommenden Morgen, bei dem auch über die Therapieansätze<br />

gesprochen worden war, wurden Gibbs und Booth zusammen abgeholt. Man brachte die<br />

beiden Männer in nebeneinander liegende Räume, die stark an Verhörräume erinnerten. Ein<br />

Tisch, zwei Stühle, das war die ganze Einrichtung. Vollkommen perplex erhielten sie hier<br />

Anzüge, Strümpfe, Schuhe, weiße Hemden und jeder einen Schlips. Sie hatten sich die in-<br />

zwischen schon vollkommen ungewohnte Kleidung anzuziehen. Dann deutete der Wach-<br />

posten, der die Männer her begleitet hatte, auf den Tisch. Ein Stapel Akten lag vor ihnen auf<br />

diesem und man erklärte ihnen über die Lautsprecheranlage „Vor euch liegen zehn Akten, die<br />

ihr der Reihe nach abarbeiten werdet. Es sind echte Fälle und echte Verdächtige, nur, damit<br />

das klar ist. Eure Aufgabe ist es, heraus zu finden, wer von den euch zugeteilten zehn Ver-<br />

dächtigen lügt.“ Erstaunt sahen Booth und Gibbs sich durch die trennenden Glasscheiben hin-<br />

durch an. Dann aber griffen sie sich die erste Akte, arbeiteten sie durch und warteten.<br />

Nacheinander wurden zehn Männer und Frauen zu Booth und Gibbs gebracht und die Auf-<br />

gabe der beiden Ermittler war es nun, durch ihre jeweiligen Verhörtechniken herauszufinden,<br />

wer log und wer die Wahrheit sagte. <strong>Die</strong> Befragungen waren interessant und beide Männer<br />

gingen mit vollem Einsatz an die mehr als ungewöhnliche Aufgabe heran. Nach vielen<br />

Stunden, in denen sie nur ab und zu eine Tasse Kaffee zwischen zwei Verhören gereicht be-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kommen hatten, hatten sie alle zehn Fälle abgearbeitet. Gibbs war einige Zeit vor Booth fertig<br />

und erhielt tatsächlich die Erlaubnis, beim letzten Verhör des FBI Mannes zuzuhören. Am<br />

Ende wurden die Akten mit den eingetragenen Ergebnissen eingesammelt und man brachte<br />

die Männer, natürlich wieder im Sportdress, in die Räume zurück.<br />

*****<br />

Ziva hatte neben all den anderen Aufgaben, die neuerdings auf ihrem Programm<br />

standen, zusätzlich Unterricht in Mandarin Chinesisch bekommen. Nachdem sie acht Doppel-<br />

stunden erhalten hatte, brachte man sie zusammen mit House, der ja fließend Mandarin<br />

sprach, in einen separaten Raum und erklärte dem Arzt „Du wirst dich jetzt zwei Stunden lang<br />

mit Nummer 5 auf Mandarin unterhalten, hier hast du Themen, die du abarbeiten wirst. Ein<br />

Mitarbeiter wird euch beide überwachen, er ist Chinese, Mandarin ist seine Muttersprache. Er<br />

wird uns über jede Schummelei, die ihr eventuell versucht, umgehend informieren. Solltest du<br />

dich nicht an die Themen halten, wird das kein schöner Tag für Nummer 10 werden, ist das<br />

klar?“ House hatte erstaunt zu gehört. Jetzt nickte er. „Vollkommen klar, Sir.“ Er sah sich die<br />

Themen durch, die er mit Ziva abzuarbeiten hatte und zeigte den Entführern insgeheim einen<br />

Vogel. <strong>Die</strong> junge Israelin hatte gerade ein paar Stunden Unterricht erhalten, wie sollte sie sich<br />

über Politik, Literatur oder Technik unterhalten können? Er sah Ziva an und fragte dann:<br />

„Bist du soweit?“ Ziva saß locker auf ihrem Stuhl, House gegenüber, und nickte. „Natürlich,<br />

Doc, lass uns anfangen.“ House konzentrierte sich kurz, dann begann er die Unterhaltung.<br />

Und begriff immer weniger, was vorging. Ziva sprach Mandarin so gut, als habe sie nicht acht<br />

Stunden, sondern acht Jahre Unterricht gehabt. Schließlich fragte er sie vollkommen verwirrt:<br />

„Du hast vorher kein Mandarin gesprochen?“ <strong>Die</strong> bildhübsche junge Mossad Agentin<br />

schüttelte den Kopf. „Nein, warum fragst du?“ Ihr war nicht bewusst, dass sie etwas Außer-<br />

gewöhnliches gemacht hatte. „Weil es ganz unmöglich ist, dass du Mandarin in acht Doppel-<br />

stunden so gut gelernt hast. Vollkommen unmöglich. Ich bin kein kleiner Doofer, ich habe<br />

angeblich einen IQ von 145 aber ich kann keine so derart komplizierte Sprache in sechzehn<br />

Stunden lernen.“<br />

*****<br />

Sawyer legte das M24 an und zielte sorgfältig. Dann atmete er aus und zog sanft und<br />

gleichmäßig den Abzug durch, wie er es gelernt hatte. Er fing den Rückstoß mit der Schulter<br />

ab und wartete auf das Ergebnis. „8.“ Sawyer grinste. Auf eintausendfünfhundert Meter traf er<br />

inzwischen fast immer ins Schwarze. Booth sah zu ihm herüber. „Man, Alter, du bist gut.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer grinste noch breiter. Doch dann verging ihm das Grinsen. Eine der Wachen trat zu<br />

ihnen. „Ja, du Held, du bist gut. Und jetzt hiev deinen Hintern hoch, du hast ein Date. Los,<br />

los.“ Kommentarlos stemmte Sawyer sich auf die Beine, legte das M24 ab und ließ sich vom<br />

Schießplatz führen. - Wenn man doch bloß nicht jedes Mal Angst bekommen würde. - dachte<br />

er wütend. Er wurde in ein Büro gebracht. Das bedeutete wenigstens nicht schon wieder<br />

Spinnen, so hoffte er jedenfalls. Vollkommen verwirrt bekam er die Aufforderung, sich zu<br />

setzen und ließ sich zögernd auf einen recht bequemen Stuhl vor einem großen, schweren<br />

Mahagonischreibtisch sinken. Der Wachposten verließ das Büro und Sawyer sah sich nervös<br />

und zögernd um. Ein modern ausgestattetes Büro, inklusive PC, Faxgerät, Telefon, Akten-<br />

schränken an der Wand, Papiere auf dem Schreibtisch verteilt. Er verzog das Gesicht. Wenn<br />

das hier ein Test werden sollte, ob er etwas versuchen würde, würde das Ergebnis ihre Gast-<br />

geber sicher enttäuschen. Er hatte nicht die Absicht, auch nur den Blick länger als sehr<br />

flüchtig auf den Kommunikationsgeräten ruhen zu lassen.<br />

Man ließ ihn warten, was seine Nervosität erheblich steigerte. Sawyer musste sich<br />

zwingen, nicht unruhig mit dem Fuß zu dippen oder mit den Fingern hektisch auf der Stuhl-<br />

lehne einen unruhigen Takt zu trommeln. Als endlich die Tür schwungvoll aufgerissen wurde,<br />

hätte nicht mehr viel gefehlt, und der junge Mann wäre vor Schreck aufgesprungen. Mit wild<br />

klopfendem Herzen starrte er die Frau an, die zur Tür herein gestürzt war und sich lässig<br />

hinter den Schreibtisch setzte. Um die 50, lange, dunkle Haare, kalte Augen, die ihn ab-<br />

schätzend musterten. Sie hatte einen relativ dicken Aktenordner in der Hand und schlug<br />

diesen auf. Einige Minuten lang, in denen Sawyer immer nervöser und unsicherer wurde, las<br />

sie in dem Aktenordner herum. Dann musterte sie den vollkommen verunsicherten jungen<br />

Mann kalt. „Dein Strafregister liest sich sehr interessant: Beleidigung, Telefonbetrug, Identi-<br />

tätsdiebstahl, Bankbetrug, Telemarketingbetrug, du hast viel geleistet in deinem Leben, was?“<br />

Sawyer starrte verbissen auf seine Hände und schwieg. Was hätte er auch erwidern sollen.<br />

„Sag mir eins, Nummer 3, wie kommst du mit dir selbst klar?“ Erstaunt sah Sawyer doch kurz<br />

auf, nur, um den Blick sofort wieder zu senken. Dann sagte er leise: „Nicht mehr so gut wie<br />

vor Ihrer ... Einladung, Ma’am.“ <strong>Die</strong> Frau stieß ein kurzes Lachen aus. „Du bist ein Parasit,<br />

ein Aasfresser, ein Betrüger, der sich rücksichtslos bei den Schwachen bedient hat. Was<br />

meinst du, was wäre die gerechte Strafe für dich?“ Schwer atmete Sawyer ein. Dann sagte er<br />

fest: „Ich glaube, dass ich hier bei Ihnen gelandet bin, ist genau das, was ich verdiene.“<br />

<strong>Die</strong> Frau grinste kalt. „Was willst du eigentlich, Nummer 3? Du bekommst anständig<br />

zu Essen, wirst in den unterschiedlichsten Dingen, die dir sehr nützlich sein werden, aus-<br />

gebildet, du darfst dir ein Appartement mit Nummer 8 teilen, musst keine Angst haben, ver-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

haftet und ins Gefängnis gesteckt zu werden, bekommst kostenlos perfekte ärztliche Be-<br />

treuung.“ - Und werde gefoltert, lebensgefährlich verletzt, misshandelt, gequält, seit Monaten<br />

eingesperrt. - fügte Sawyer in Gedanken hinterher, hütete sich aber, etwas zu Antworten. <strong>Die</strong><br />

Frau schien auch keine Antwort zu erwarten. Sie blätterte weiter in der Akte herum und ließ<br />

Sawyer noch ein wenig Blut und Wasser schwitzen. Dann kam sie auf den Punkt. „Du wirst<br />

unauffällig Gelegenheit bekommen, mit Nummer 1 und sechzehn alleine zu sein. Du wirst<br />

diese Gelegenheit nutzen, um die Beiden darüber aufzuklären, dass Nummer 15 zu uns ge-<br />

hört, verstanden? Zeige uns, wie gut du wirklich bist.“ Sie schlug mit der Hand auf den Tisch<br />

und zischte: „Sieh <strong>mich</strong> an, wenn ich mit dir rede.“ Erschrocken zuckte Sawyers Blick hoch.<br />

Verständnislos sah er die Frau an. Was sollte das? „Ma’am? Warum ...?“, entschlüpfte ihm<br />

unwillkürlich. „Das hat dich nicht zu interessieren. Du solltest besser alles einsetzten, was du<br />

einzusetzen im Stande bist, um die Beiden zu überzeugen. Hast du das verstanden?“ „Ja, ja,<br />

ich habe verstanden, Ma’am. Ich brauche ein wenig Zeit, um ...“ „Du hast einen Tag, wenn<br />

das nicht reicht, improvisiere. Morgen beim Waffentraining, und mache deine Sache gut.<br />

Wenn du sie gut machst, darfst du 1 und sechzehn später aufklären, dass es dein Auftrag war,<br />

ihnen das weiß zu machen und darfst 15 auf diese Art voll entlasten. Wenn du versagst, wird<br />

es unangenehm für Nummer 8, das weißt du ja.“ Sawyer nickte. „Okay, Ma’am, ich habe ver-<br />

standen.“ <strong>Die</strong> Frau drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch und unmittelbar kam der<br />

Wachposten herein, der Sawyer her gebracht hatte. Er führte ihn ab und schaffte ihn zum<br />

Sprachunterricht, der inzwischen lief.<br />

Am Abend fiel Kate auf, dass Sawyer still, bedrückt und geistesabwesend wirkte.<br />

Darauf angesprochen, versicherte er sehr (un)glaubwürdig, dass alles okay sei. Kate wusste,<br />

zu diesem Zeitpunkt hatte es keinen Zweck, ihn zu drängen, er würde nur immer weiter dicht<br />

machen. Also tat sie das einzig sinnvolle und ließ ihn in Ruhe. Am folgenden Tag wurden<br />

beim Schießtraining zwei Gruppen gebildet. Booth, Sawyer und Gibbs blieben auf dem<br />

großen Platz, Mulder, Ziva und Bones wurden in eine Halle gebracht, wo sie mit Handfeuer-<br />

waffen üben mussten. Locke, Jake und Mick, der in das Waffentraining integriert worden<br />

war, bekamen theoretischen Unterricht. Das war schon öfter vorgekommen und so nichts Un-<br />

gewöhnliches. Sawyer hatte sich die halbe Nacht wach im Bett hin und her gewälzt, und<br />

darüber gegrübelt, wie er Gibbs und Booth davon überzeugen konnte, dass Mulder zu den<br />

Entführern gehörte. Dementsprechend kaputt sah er aus. Ränder unter den geschwollenen,<br />

roten Augen deuteten auf eine schlaflose Nacht hin. Als Booth ihn fragte: „Du siehst ver-<br />

schissen aus, Sawyer, ist was?“, ergriff er die Chance. Unauffällig sah er sich um und fragte<br />

dann leise, sich in Gedanken herzlich bei Mulder entschuldigend: „Ist euch in der Zeit, seit<br />

Mick und Beth bei uns sind, etwas an Mulder aufgefallen?“ Erstaunt und alarmiert sahen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth und Gibbs ihn an. „Was meinst du?“ Eine Stunde später war Sawyer sicher, die Beiden<br />

von dem Verrat Mulders überzeugt zu haben. Er brauchte gar keine Beweise mehr, zielsicher<br />

wusste er es. Er hatte es geschafft.<br />

*****<br />

„Nummer 1, mitkommen. Nummer 3, mitkommen. Nummer 7 und 10, mitkommen.“<br />

Das Frühstück am nächsten Tag war wieder einmal ausgefallen und die Gefangenen waren<br />

hungrig zu ihren üblichen Aufgaben geholt worden. Gegen Mittag erfolgte der Aufruf an<br />

Sawyer, Booth, Dana und Allison. Ohne zu Zögern, aber mit deutlich schlechtem Gefühl im<br />

Bauch folgten die Vier den Wachen, die kamen, um sie mit zu nehmen. Als sich vor Booth<br />

schließlich eine Tür öffnete und er erkannte, wo man ihn hin geführt hatte, wurde aus dem<br />

schlechten Gefühl in Sekundenschnelle Panik. Er kannte diesen Raum bereits. Wieder war er<br />

in der Zahnarztpraxis gelandet. „Nein. Bitte, ich habe keine Zahnschmerzen, wirklich nicht,<br />

ich ...“ Der Zahnarzt, der mit seiner Assistentin bereits auf Booth wartete, erklärte ruhig:<br />

„Nummer 1, du wirst dich hinsetzten und <strong>mich</strong> nach deinem Zahn schauen lassen.“ Booth<br />

schüttelte entsetzt den Kopf. „Ich kann nicht ...“ Der Arzt schüttelte beinah mitleidig den<br />

Kopf. „Wenn du nicht kannst, wir können umso besser. Und was dann mit Nummer 6<br />

passieren wird, wenn du dich nicht freiwillig hinsetzt, möchtest du nicht wissen, glaube mir.“<br />

Booth schluckte. Zitternd trat er an den Stuhl heran und seine Hände krampften sich um die<br />

Lehnen, dass seine Knöchel weiß hervor traten. Er ließ sich zurück gleiten, bis er angelehnt<br />

auf den Untersuchungsstuhl saß. „Mund auf.“ Tränen in den Augen und am ganzen Körper<br />

zitternd öffnete er seinen Mund. Und dann spürte er die Untersuchungsinstrumente an seinen<br />

Zähnen und hatte das Gefühl, gleich hysterisch schreiend aufspringen und wegrennen zu<br />

müssen. Wie lange das Ganze dauerte, konnte Booth hinterher nicht sagen. Aber plötzlich<br />

bekam er den Befehl: „Okay, aufstehen, das war es.“ Fassungslos richtete er sich auf. „Was<br />

...?“ „Das war es. Es ist alles in Ordnung. Das sind nur noch leichte Reizungen von der<br />

Wurzelbehandlung.“ Es hätte nicht mehr viel gefehlt und der harte FBI Mann hätte auf-<br />

geschluchzt vor Erleichterung.<br />

*****<br />

„Das ist kaum zu glauben. Nach Auswertung aller Ergebnisse lagen<br />

Gibbs und Booth nicht ein einziges Mal daneben.“<br />

„Das habe ich euch doch gleich gesagt. <strong>Die</strong> beiden haben diese Gabe,<br />

sie wissen einfach, wann jemand lügt.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Aber bei David lagst du voll daneben. Wie auch immer sie es macht,<br />

aber sie kann jede Sprache innerhalb kürzester Zeit erlernen. Und vollkommen<br />

unabhängig davon, wie kompliziert eine Sprache ist.“<br />

„Damit haben wir nachgewiesen, dass Booth und Gibbs jede Lüge er-<br />

kennen, David jede Sprache erlernen kann, und zwar in Rekordzeit, Mulder<br />

diese sagenhafte Regenerationsfähigkeit besitzt, besser noch als die <strong>Anderen</strong>,<br />

Lockes Fähigkeiten kennen wir ja schon, von House wissen wir, dass er im<br />

Stande ist, jede Krankheit zu erkennen, Cameron ist von uns mit derart vielen<br />

Viren in Verbindung gebracht worden, ohne dass sie es überhaupt gemerkt hat<br />

und ist nicht erkrankt. Also stimmt es, dass sie jede Infektion abwehren kann.“<br />

„Nicht zu vergessen, die unnatürliche technische Begabung Lisinskis,<br />

egal, was wir ihr gaben, sie hat alles wieder zum Laufen gebracht. Und Sciuto,<br />

sie ist wirklich fähig, jede Substanz zu finden, so unsinnig das Vorhandensein<br />

derselben auch sein mag.“<br />

„Ja, fast alle halten, was sie versprechen.“<br />

„Ich bin sehr gespannt, was bei Green raus kommt. Ford ist ja auch der<br />

Hammer. Ich habe 250 Bucks verloren, ich hätte nie gedacht, dass er es<br />

schafft, Booth und Gibbs zu überzeugen.“<br />

In einem anderen Raum hatte man Allison und Dana gerade erklärte, dass sie die not-<br />

wendige zweite Magenspiegelung bei Sawyer vorzunehmen hatten. „Sir? Wozu soll das gut<br />

sein? Warum tun Sie ihm das an?“, fragte die Allison schüchtern. Sie hatte, genau wie Dana,<br />

sehr wohl mit bekommen, dass die Bilder bei der ersten Gastroskopie gut gewesen waren.<br />

„Du hast keine Fragen zu stellen, sondern zu tun, was man dir befiehlt.“, wurde Allison kalt<br />

zu Recht gewiesen. „Ja, natürlich, Sir, was auch sonst. Ich ...“ Sie biss sich auf die Zunge, um<br />

nichts Verkehrtes zu sagen und wartete zusammen mit Dana. Dann wurde Sawyer herein ge-<br />

bracht. Er überblickte sofort, was los war und biss sich auf die Unterlippe. <strong>Die</strong> Wache, die<br />

Sawyer gebracht hatte, und der Arzt verließen gleichgültig den Raum und ließen die beiden<br />

Frauen und Sawyer alleine. Sawyer stand einen Moment still da und starrte vor sich hin. Dann<br />

schien er aus wie aus einem Traum zu erwachen und kam langsam zur Liege hinüber. „Dr.<br />

Quinn, Schwester Hathaway, was soll ich machen?“ „Es tut mir so leid, Sawyer, sie bestehen<br />

darauf. Du weißt ja sicher noch, leg dich bitte hin und dreht dich auf die linke Seite, okay?“<br />

Dana sah den blonden Mann an und dieser nickte ergeben. Eigentlich befahl ihm sein Selbst-<br />

erhaltungstrieb, sich zu weigern, aber er wusste, dass es ihm nicht das Geringste nützen und er<br />

damit den beiden Ärztinnen und mit Sicherheit auch Kate schaden würde. So legte er sich<br />

zitternd auf die Liege und drehte sich, wie Dana angeordnet hatte, auf die linke Seite. Allison<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes Decken und Kissen gesehen und holte zwei<br />

Decken, die sie lächelnd über Sawyers Körper ausbreitete, sowie ein Kissen, dass sie ihm<br />

sanft unter den Kopf schob. „Du musst ja nicht unbedingt frieren.“, sagte sie verlegen.<br />

„Außerdem hilft Wärme, entspannt zu bleiben.“ „Danke.“ Sawyer versuchte, zu lächeln, was<br />

ihm ziemlich missglückte. „Tut mir einen Gefallen, okay, macht schnell.“ Dana und Allison<br />

nickten.<br />

Allison lächelte Sawyer aufmunternd zu. Dann griff sie nach dem Gastroskop. Dana<br />

trat ans Kopfende der Liege und drückte Sawyers Kopf ein wenig in den Nacken. So hielt sie<br />

ihn sanft fest und nickte Allison zu. „Versuche, so entspannt wie möglich zu bleiben. Ich<br />

weiß, dass dir das schwer fällt, aber je mehr du dich verkrampfst, desto unangenehmer wird<br />

es. Ich werde dir weder wehtun, noch dich verletzen, das verspreche ich dir, hörst du. Hab<br />

einfach ein wenig Vertrauen, okay?“ Sawyers Augen suchten die der jungen Ärztin und er<br />

nickte. Dann schloss er die Augen. Er spürte, wie Cameron ihm den Beißring zwischen die<br />

Zähne drückte und sein Herz raste. Allison begann, vorsichtig das Gastroskop einzuführen.<br />

Als sie Sawyers Rachen erreichte, sagte sie sanft: „Jetzt kommt der Punkt, wo du wieder<br />

Schlucken musst, okay? Komm schon, Sawyer, dass schaffst du, immer schön Schlucken, ist<br />

gar nicht so schlimm. Und ganz ruhig weiter Atmen. Du hast am Anfang mal gesagt, du<br />

findest meine Stimme sexy, erinnerst du dich, ich hoffe, inzwischen findest du auch die Ver-<br />

packung sexy.“ Zügig, aber doch vorsichtig, schob Allison, während sie redete, das Gastro-<br />

skop immer tiefer. Und Sawyer, abgelenkt von ihrer Stimme, schaffte es erheblich besser als<br />

vor drei Tagen, zu Schlucken. Dana hielt seinen Kopf und hatte hierzu ihre rechte Hand an<br />

seiner Stirn, ein Körperpunkt, dessen Berührung laut Statistiken von den meisten Menschen<br />

als beruhigend empfunden wurde. Mit der anderen Hand griff sie über Sawyers Körper und<br />

hielt seine linke Hand. Allison redete die ganze Zeit weiter, gab locker Anweisungen, und<br />

schaffte es, Sawyer soweit abzulenken, dass er erheblich weniger Probleme hatte als bei der<br />

ersten Untersuchung. Und schließlich war die junge Ärztin fertig und zog das Gastroskop so<br />

schnell es möglich war heraus. Dana nickte erleichtert und nahm Sawyer den Beißring ab.<br />

Dann wischte sie ihm mit Zellstoff Speichelreste fort und räumte ein wenig auf, während<br />

Allison bei Sawyer stehen blieb und diesem weiterhin beruhigend zuredete. „Das war es, du<br />

hast es geschafft. Willst du etwas trinken? Du hast das ganz großartig gemacht. Du wirst noch<br />

ein perfekter Schlauchschlucker.“<br />

*****<br />

416


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

An diesem Abend wurden die Gefangenen nach dem reichhaltigen Abendbrot,<br />

welches für das ausgefallenen Frühstück und Mittag entschädigte, noch einmal abgeholt.<br />

„Alle hoch und aufstellen.“ Lieber wären sie auf ihre Zimmer verschwunden, denn die Tage<br />

waren anstrengen und alle waren abends froh, wenn sie sich hinlegen konnten, aber danach<br />

ging es selbstverständlich nicht. Sie wurden in einen Raum geführt, in dem sechzehn Stühle<br />

vor einem übergroßen Monitor verteilt waren. Sie bekamen den Befehl, sich zu setzen und<br />

verteilten sich auf die Stühle. „Ihr werdet heute Abend via Satellit Zeuge einer kleinen<br />

Demonstration unserer weit reichenden Verbindungen werden. Wir wünschen euch ein paar<br />

unterhaltsame Minuten.“ <strong>Die</strong> Wachen, die sie her geführt hatten, verließen den Raum und die<br />

Gefangenen waren alleine.<br />

Gelangweilt und müde starrten sie auf den Monitor. „Was jetzt wohl kommt.“, fragte<br />

Jake und gähnte verhalten. „Hast du doch gehört, eine Demonstration ihrer weit reichenden<br />

Verbindungen.“, ahmte Bones die arrogante Stimme des Lautsprechers nach. Booth grinste.<br />

Dann aber flackerte der Monitor kurz und sprang an. Erstaunt sahen die Gefangenen das Bild<br />

auf dem Monitor vor sich. Eine ziemlich belebte Straße, offensichtlich in einer typischen,<br />

amerikanischen Stadt, keiner Metropole, soviel war sicher. Menschen gingen ihren Ge-<br />

schäften nach, Erwachsene und Kinder schlenderten an der scheinbar versteckten Kamera, die<br />

diese Bilder jetzt lieferte vorbei, ohne diese zu bemerken. Dann kam ein älterer Mann in den<br />

Blickwinkel der Kamera und Locke keuchte erschrocken auf. Er kannte den Mann, ganz ein-<br />

deutig, ein Zweifel war ausgeschlossen. „Großer Gott, das ist ... mein Vater, mein Erzeuger ...<br />

<strong>Die</strong>ser Dreckskerl.“ Sawyer zuckte hoch. Er hatte bisher gelangweilt auf seinem Stuhl ge-<br />

sessen, jetzt fuhr er hoch, als wäre die Sitzfläche plötzlich glühend heiß. „Was sagst du da?“<br />

Locke sah den jüngeren Mann an. „Das ist mein Vater, das ist Anthony Cooper oder Michael<br />

Sawyer oder wie immer er sich auch noch genannt haben mag ...“ Hatten alle bisher ähnlich<br />

gelangweilt auf den Monitor geschaut, änderte sich dies schlagartig. Alle Aufmerksamkeit<br />

wandte sich plötzlich dem grauhaarigen, kräftigen Mann zu, der vor einem Schaufenster<br />

stehen geblieben war und die Auslagen betrachtete. Langsam schlenderte er weiter und dann<br />

schrien nicht nur die anderen Menschen auf der Straße plötzlich entsetzt auf. Auch einigen der<br />

Gefangenen vor dem Monitor entwich ein erschrockener Ausruf. Anthony Cooper blieb er-<br />

neut vor einem Schaufenster stehen und dann geschah es. Von irgendwo her kam eine Kugel<br />

geflogen, erwischte Cooper am Hinterkopf und Blut und Hirnmasse verteilten sich in einer<br />

unappetitlichen Lache über die Auslage des Schaufensters, als das Glas unter dem Kugelein-<br />

schlag zersprang.<br />

Vollkommen unfähig, sich zu rühren, starrte Sawyer gebannt auf den Monitor. Dort<br />

wichen die Menschen schreiend von dem zusammen gebrochenen Körper zurück und starrten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

in die Richtung, aus der die Kugel ganz offensichtlich gekommen war. Viele suchten hinter<br />

irgendwelchen Gegenständen Deckung. Aber keine weiteren Schüsse fielen. Schließlich<br />

fanden einige Passanten den Mut, zu dem reglosen Körper zu eilen und zu schauen, ob dort<br />

noch etwas zu machen war. Aber dem war definitiv nicht so, dafür brauchte man kein Arzt zu<br />

sein. Cooper war tot. <strong>Die</strong> großkalibrige Kugel hatte ihm das halbe Gesicht weg gerissen,<br />

nachdem sie seinen Schädel durchschlagen hatte. Toter konnte der Mörder und Betrüger nicht<br />

sein. <strong>Die</strong> Bilder auf dem Monitor zeigten die ersten Einsatzfahrzeuge der Polizei, dann brach<br />

die <strong>Über</strong>tragung ab. Im Raum herrschte Schweigen. Dann sagte Mulder leise: „Da hat euch<br />

jemand einen Gefallen getan, was?“, und sah dabei Sawyer und Locke an. Und in diesem<br />

Moment kam aus dem Lautsprecher die bekannte Stimme: „Nummer 3 und 12, ihr seid<br />

soeben Zeugen geworden, wie euer größter Feind von einem von uns bezahlten Auftragskiller<br />

eliminiert wurde. Wir haben das nicht aus Menschenfreundlichkeit getan, sondern lediglich,<br />

um einen gravierenden Störfaktor in eurem Leben zu neutralisieren. Anthony Cooper oder<br />

Michael Sawyer ist tot. Er wird niemanden mehr umbringen oder betrügen. Und ihr könnt<br />

euch ganz und gar euren kommenden Aufgaben widmen.“<br />

Man ließ die Gefangenen noch eine ganze Weile in dem Fernsehraum und gab ihnen<br />

Gelegenheit, über das Geschehene zu Reden. Locke wirkte eindeutig erleichtert, als wäre ihm<br />

eine große Last von den Schultern genommen worden. Der überraschende Tod seines Er-<br />

zeugers belastete den seltsamen Mann in keiner Weise. Er war, ganz im Gegenteil, froh, dass<br />

dieser grässliche Mensch sein wohlverdientes Ende gefunden hatte. Sawyer jedoch ... Der<br />

junge Mann war zerrissen in seinen Empfindungen. Einerseits war er unendlich froh, dass der<br />

Mörder seiner Eltern nach fast dreißig Jahren endlich auch seine gerechte Strafe erhalten<br />

hatte. Andererseits ... Er war seit nunmehr über zwei Jahrzehnten selbst hinter diesem Ver-<br />

brecher her und sein größter Wunsch war es gewesen, derjenige zu sein, der das gute Werk<br />

vollbrachte. Jetzt seiner so sehr herbei gesehnten Rache beraubt zu werden, war gelinde ge-<br />

sagt erschütternd. Kate aber war es, die begeistert meinte: „Honey, sei froh, dass du es nicht<br />

machen musst. Jetzt besteht nicht mehr die Notwendigkeit, dass du erneut zum Mörder wirst.<br />

Lass es dabei bewenden und sei zufrieden damit, direkter Zeuge geworden zu sein, wie der<br />

Dreckskerl die Birne weg gepustet bekam.“<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> stimmten Kate zu. „Kate hat recht, Kumpel, sieh es als Wink des<br />

Schicksals, dass du nicht auch in den Staaten zum Mörder werden musst. Lass es dabei be-<br />

wenden. Der Bastard hat seine verdiente Strafe bekommen, lass es gut sein.“ Sawyer hatte die<br />

Worte Mulders und Kates gehört. Jetzt starrte er grübelnd vor sich hin. Dann hob er langsam<br />

den Kopf und sah Locke an. Der ältere Mann sah Sawyer ruhig in die Augen und meinte<br />

dann: „Er wird in der Hölle schmoren. Ich werde garantiert keinen weiteren meiner wert-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vollen Gedanken an ihn verschwenden, James, und du solltest das auch nicht tun. Sollten<br />

unsere lieben Gastgeber uns irgendwann einmal Laufen lassen, hast du, frei von dem Zwang,<br />

den Tod deiner Eltern rächen zu müssen, ein wunderschönes Leben mit Kate an deiner Seite<br />

vor dir. Sei schlau und nutze die einmalige Chance.“ Sawyer ließ diese Worte in sich ein-<br />

sickern und nickte dann. Langsam sagte er: „Du hast Recht, John. Ich werde diesen Mistkerl<br />

für immer aus meinem Gedächtnis streichen. Er ist tot und kann <strong>mich</strong> nicht mehr behelligen,<br />

ebenso wenig wie dich. Dafür sollten wir dankbar sein.“<br />

*****<br />

Lebendig begraben<br />

Glück und Unglück sind Namen für Dinge, deren äußerste Grenzen wir nicht<br />

kennen.<br />

John Locke<br />

Sawyer hatte eine recht unruhige Nacht hinter sich. Auch, wenn er sich wirklich sagte,<br />

dass es gut war, dass Cooper/Sawyer tot war, kam er sich doch um seine Rache betrogen vor.<br />

Kate hatte zwar noch einmal deutlich gemacht, wie positiv es war, dass wenigstens er nun<br />

nicht in den Staaten wegen Mordes gesucht werden würde, aber die Vorstellung, nicht selbst<br />

Hand an den Mörder seiner Eltern legen zu können, reichte zumindest aus, Sawyer eine<br />

weitere mehr oder weniger durchwachte Nacht zu bescheren. Er erhob sich nach dem Weck-<br />

signal am Morgen, und wankte müde ins Bad. Kate folgte ihm und bekam einen Schreck, als<br />

sie ihn bei Licht betrachtete. „Gott, Schatz, du siehst schlimm aus. Was ist denn nur los?“<br />

Sawyer schüttelte frustriert den Kopf. „Mach dir keine Sorgen um <strong>mich</strong>, okay, ich muss nur<br />

erst mal verarbeiten, dass Sawyer wirklich tot ist.“ Kate verzog genervt das Gesicht. „Rede<br />

keinen Quatsch, du hast gestern Nacht genau so beschissen geschlafen. Da wusstest du noch<br />

gar nichts von Sawyer. Darfst du nichts sagen? Dann frage ich nicht mehr nach.“ Der Süd-<br />

staatler drehte das kalte Wasser auf und statt einer Antwort fragte er Kate: „Willst du auch<br />

kalt duschen, oder wartest du lieber ...“ Kate seufzte resigniert. Offensichtlich wollte Sawyer<br />

nichts sagen, also hatte es keinen Sinn, nachzuhaken, das wusste Kate inzwischen sicher. Sie<br />

stieg zu ihm in die Dusche und erklärte leise: „Kaltes Wasser macht mir nichts aus und in<br />

deinen Armen wird mir sowieso nicht wirklich kalt.“<br />

419


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen saßen noch beim Frühstück und unterhielten sich über die grausame<br />

Vorführung vom Abend zuvor, als sich die Tür öffnete und zwei Wachen herein kamen, die<br />

Mick und John ruhig aufforderten, aufzustehen und ihnen zu folgen. Das die Wissenschaftler<br />

John und Mick zusammen abholen ließen, war bisher noch nicht vorgekommen. So waren die<br />

beiden so unterschiedlichen Männer einigermaßen verwirrt, ebenso wie die zurückbleibenden<br />

Gefangenen. Fragende Blicke wurden getauscht und mit verstörtem Schulterzucken be-<br />

antwortet. <strong>Die</strong> Wachen führten sie zum Fahrstuhl und dann ging es abwärts. Locke hatte eine<br />

vage Vorstellung von dem riesigen Gebäude, in dem sie sich seit Monaten befanden und war<br />

sich ziemlich sicher, dass er in diesem Teil noch nie zuvor gewesen war. Als der Fahrstuhl<br />

schließlich stoppte, wurden Beide an den Oberarmen gepackt und durch einen weiteren,<br />

identisch aussehenden Flur geführt, an dessen Ende ein weiterer Fahrstuhl wartete. <strong>Die</strong>ser<br />

unterschied sich allerdings von denen, mit denen die Gefangenen sonst transportiert wurden.<br />

Es handelte sich offensichtlich um einen Wartungsfahrstuhl. Man schob Mick und Locke in die<br />

Kabine und dann ging es erneut abwärts. Und zwar einige Etagen tief. Locke fragte sich immer<br />

mehr, wie groß dieses Gebäude sein mochte und wie viele Kellergeschosse es hier nur gab. Als<br />

die Kabine schließlich mit einem Ruck zum Stehen kam, wurden seine <strong>Über</strong>legungen unter-<br />

brochen. Wieder wurden er und Mick, der sich unauffällig, nichts desto trotz aber aufmerksam<br />

umschaute, in einen schmalen Gang gedrückt, der mit riesigen Kabelschächten und Rohr-<br />

leitungen bestückt war. Anscheinend waren sie im Versorgungsbereich des Komplexes. Vor<br />

ihnen öffnete sich eine sehr schwere Tür und man führte sie in den dahinter liegenden Raum.<br />

Abgesehen von zwei äußerst stabilen Metallstühlen, die frappierende Ähnlichkeit mit<br />

elektrischen Stühlen hatten und einem großen Plasmabildschirm, sowie einer über-<br />

dimensionierten Stereoanlage war der Raum leer. Nackte Wände, eine kalte Neonröhre an der<br />

Decke, mehr gab es hier nicht zu sehen. <strong>Die</strong> Wachen führten John und Mick nun zu den beiden<br />

Stühlen. „Hinsetzen.“<br />

Beunruhigt und immer verwirrter ließen sich die Männer auf die Stühle gleiten. Man<br />

löste ihre Handfesseln, nur, um diese an den Armlehnen der Stühle zu befestigen. <strong>Die</strong> Fuß-<br />

gelenke wurden auf die gleiche Art ruhig gestellt. Gurte über Brust und Oberschenkel sowie<br />

ein weiterer Gurt, der ihre Köpfe an die Rückenlehnen der Stühle fixiert, vervollständigten die<br />

Fesselung. Vollkommen bewegungsunfähig, raste Johns Herz vor Unbehagen. Mick neben ihm<br />

wirkte genau so angespannt. Jetzt wurden sie aufgefordert, die Münder zu öffnen und sie be-<br />

kamen je einen der schon bekannten Schaumstoffbälle in den Mund gestopft. <strong>Die</strong> Wachen<br />

grinsten, verließen den Raum und überließen die beiden Männer ihren Ängsten. Absolut un-<br />

fähig, mehr als Finger und Zehen zu bewegen, durch die Bälle zum Schweigen verdammt,<br />

420


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hockten sie dort endlose Minuten nebeneinander. Beide hatten Angst. Angst vor dem, was man<br />

hier unten mit ihnen vorhatte. Zäh tropften die Minuten dahin. Und plötzlich öffnete sich die<br />

Tür und der Arzt oder Wissenschaftler, der schon viele Tests geleitet hatte, betrat den Raum.<br />

Er schlenderte entspannt zu den Wehrlosen hinüber und fixierte sie mit den Augen, kalt,<br />

emotionslos, interessiert. „Na, meine Herren, wie sitzt es sich hier so? Ihr seid sicher schon<br />

ganz gespannt, was das alles hier soll, oder? Nun, ich will euch nicht länger im Unklaren<br />

lassen. Ihr Beide habt einige besondere Fähigkeiten, die wir heute in einem kleinen Wett-<br />

bewerb einem wissenschaftlichen Test unterziehen wollen. Dafür bedarf es einiger Vor-<br />

bereitungen. Zu diesem Zweck seid ihr hier.“ Er machte eine künstlerische Pause, dann fuhr er<br />

geradezu vergnügt fort.<br />

„<strong>Die</strong>ser Raum hier ist ... wie soll ich sagen, isoliert. Er ist gegen jede bekannte<br />

Strahlenart abgeschottet. Hier dringt nichts hinein, was wir nicht erlauben. Wenn diese Tür<br />

geschlossen ist, seid ihr hier vermutlich im sichersten Raum auf der ganzen Welt. Keine<br />

Strahlung, kein Gift, kein Gas, keine bekannte Substanz durchdringt diese Wände. Heute<br />

jedoch wollen wir hier nichts heraus halten, ganz im Gegenteil, wir wollen etwas drinnen be-<br />

halten: Eure geistigen Fähigkeiten.“ Wieder machte er eine Pause. Er lehnte sich entspannt an<br />

die Wand vor den beiden Männern und beobachtete die Reaktion auf seine Worte. In den<br />

Augen der beiden Wehrlosen waren fast plastisch große Fragezeichen zu sehen. „Ihr versteht<br />

nichts, das ist mir klar. Ich werde es euch erklären. Wir beabsichtigen, eure Fähigkeiten heute<br />

unter erschwerten Bedingungen in einem groß angelegten Test zu prüfen. Um sicher zu gehen,<br />

dass ihr euch nicht schon in die Vorbereitungen einschaltet, seid ihr in diesen Raum gebracht<br />

worden. Gleich werden wir euch einer kleinen Ablenkung aussetzen, damit eure Gedanken<br />

wirklich von dem, was draußen gerade passiert, komplett abgeschottet sind. Eure Aufgabe wird<br />

es sein, zu ermitteln, was wir mit zwei eurer Compadres gemacht haben. Wie dies genau ab-<br />

laufen wird, werden wir euch später erklären. Jetzt muss ich euch leider erst einmal einer etwas<br />

unangenehmen Behandlung unterziehen, die aber unvermeidlich ist.“ Er gab in sein Headset<br />

den Befehl: „Bringt die Vorrichtungen herein.“ Fast unmittelbar öffnete sich die schwere Tür<br />

des Raumes und zwei Wachposten brachten eigenartige Apparaturen in den Raum. Der Arzt<br />

erklärte: „Wir werden dafür sorgen, dass ihr eure Augen im wahrsten Sinne des Wortes nicht<br />

vor dem Verschließen werdet, was wir euch gleich zeigen werden. Zu diesem Zweck werde ich<br />

euch eine Vorrichtung auf die Augen setzten, die verhindern wird, dass ihr dieselben schließt.“<br />

Er trat an Locke heran und kurze Zeit später hatte dieser auf beiden Augen Spreizer, wie sie bei<br />

Augenoperationen verwendet wurden. <strong>Die</strong> Lider wurden offen gehalten und der Arzt erklärte:<br />

„Damit eure Augäpfel nicht austrocknen, wird alle dreißig Sekunden ein Tropfen künstliche<br />

Tränen in eure Augen appliziert. <strong>Die</strong>ser feine Schlauch hier wird diese Aufgabe übernehmen,<br />

gesteuert von diesem kleinen Gerät.“ Er deutete auf die Apparaturen, die die Wachleute herein<br />

421


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gerollt hatten. Vorsichtig befestigte er an beiden Spreizern dünne Schläuche, dann wendete er<br />

sich Mick zu. Augenblicke später war auch der Vampir versorgt.<br />

<strong>Die</strong> beiden gefesselten Männer hatten mit wachsendem Unbehagen die Vorbereitungen<br />

über sich ergehen lassen müssen. Das sie nun die Augen nicht mehr schließen konnten, war ein<br />

mehr als unangenehmes Gefühl. <strong>Die</strong> Schaumstoffbälle in ihren Mündern waren inzwischen<br />

durch den Speichel stark aufgequollen und verursachten heftigen Würgereiz. Zu ihrem großen<br />

Erstaunen wurden diese aber tatsächlich entfernt. Erleichtert darüber atmete John auf. Auch<br />

Mick war froh, das äußerst unangenehme Teil abgenommen zu bekommen. Doch zu einer<br />

Unterhaltung sollte es trotzdem nicht kommen, denn jetzt stülpte man den Wehrlosen Kopf-<br />

hörer über, die an den Stühlen gehangen hatten. Der Arzt nickte den zur Reglosigkeit Ver-<br />

dammten noch einmal zu, dann verließ er mit den Wachposten den Raum. <strong>Die</strong> Tür schloss sich<br />

mit einem saugenden Geräusch und unmittelbar darauf wurde es stockdunkel. Aber nur für<br />

Sekunden, dann flackerte der große Plasmabildschirm auf und im selben Moment dröhnte es in<br />

den Kopfhörern. Ohrenbetäubender Krach ließ beide Männer zusammenzucken. Gleichzeitig<br />

begann auf dem Bildschirm eine wirre Abfolge von pausenlos wechselnden Bildern einzu-<br />

setzen. Filmsequenzen, zu kurz, um wirklich etwas Sinnvolles daraus zu erkennen, wechselten<br />

sich mit Standbildern, verwirrenden Mustern, Lichtblitzen, völlig sinnlosen Szenen, schrift-<br />

lichen Botschaften ab. Unfähig, die Augen zu schließen, waren die hilflosen Männer ge-<br />

zwungen, diese verwirrenden Bilder zu verfolgen und schon nach wenigen Minuten hatten<br />

Beide das Gefühl, ihre Hirne würden heiß laufen. Der Lärm aus den Kopfhörern vervoll-<br />

ständigte das verstörende Szenario. Verzweifelt bemühten sich St. John und Locke, sich auf<br />

irgendetwas zu konzentrieren, aber die Hirnwäsche, der man sie hier unterzog, war äußerst<br />

effektiv. Keine noch so geringe Konzentration auf irgendetwas anderes als die irre Abfolge der<br />

wechselnden Szenen auf dem Bildschirm war ihnen möglich und nach kürzester Zeit waren sie<br />

so verstört und ihre Hirne so überfordert mit den erzwungenen Informationen, dass sie<br />

wimmernd um Gnade baten, man möge sie von dieser Tortur befreien.<br />

*****<br />

Nachdem die Wachen Mick und John weg geschafft hatten, wurden die verbliebenen 14<br />

Gefangenen aufgefordert, sich zu erheben. Man fesselte ihnen die Hände auf den Rücken und<br />

dann wurden Booth und Sawyer von den <strong>Anderen</strong> separiert. Man brachte sie in einen der Be-<br />

handlungsräume und hier erhielten die beiden Männer den Befehl, sich auf bereit stehende<br />

Liegen zu legen. Vorher löste man ihnen die Fesseln, nur, um sie, kaum das sie lagen, an die<br />

Liegen zu Fixieren. Eine Ärztin trat zu ihnen und erklärte: „Wir haben heute etwas Besonderes<br />

mit euch vor, ein großer Test für Nummer 12 und 13. Ihr werdet ein leichtes Narkotikum ver-<br />

422


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

abreicht bekommen, damit ihr eine Weile selig schlafen könnt.“ Erschauernd hörten die Beiden<br />

diese Worte und wie schon so oft in den letzten Monaten ballten sich unwillkürlich eisige<br />

Fäuste in ihren Mägen. Angstvoll beobachteten sie, wie ihnen nacheinander eine klare Flüssig-<br />

keit injiziert wurde und Minuten später bereits wurde ihnen schwindelig und kurz darauf<br />

schliefen beide tief und fest und sie merkten nichts mehr. Bis es soweit war, hatten sie jedoch<br />

Zeit genug, panische Angst zu verspüren. Wach diesen Psychopathen ausgesetzt zu sein war<br />

schon schlimm genug, aber dann bekam man wenigstens mit, was mit einem geschah. Jetzt<br />

auch noch betäubt zu werden, machte das Ganze noch um ein vielfaches Schlimmer. Sawyers<br />

Herz raste vor Angst, er zitterte am ganzen Körper. Seinem Leidensgenossen ging es nicht<br />

besser. Booth spürte, wie ihm der Angstschweiß ausbrach, er war innerhalb von Sekunden<br />

schweißgebadet. Dann jedoch wirkte das Schlafmittel und er spürte panikerfüllt, wie er weg<br />

driftete.<br />

*****<br />

Besorgt hatten die verbliebenen Gefangenen den Männern hinterher geschaut. Wieder<br />

einmal hatten Kate und Bones nackte Panik in den Augen. Sie hatten jedoch keine Zeit, lange<br />

darüber nachzudenken, denn auch sie alle wurden nun abgeführt. Wie damals, als man sie zum<br />

Steineklopfen gebracht hatte, wurden sie in die Tiefgarage geschafft und in einen ge-<br />

schlossenen Kastenwagen verladen. Man gab ihnen den Befehl, sich auf den Boden zu hocken<br />

und zu Schweigen. Dann ging es los. Gespannt und verängstigt harrten sie so der Dinge, die<br />

kommen würden. Dass diesmal auch Beth mit von der Partie war, beunruhigte die junge<br />

Journalistin mehr, als sie zugeben wollte. Keiner von ihnen war mehr in der Lage, zu schätzen,<br />

wie lange man sie durch die Gegend fuhr. Lange jedenfalls. Dann stoppte der Wagen und die<br />

verängstigten Gefangenen rechneten damit, aus dem Fahrzeug geholt zu werden. Das geschah<br />

jedoch nicht. Man befahl ihnen im Gegenteil, sich auf den Bauch zu legen und nicht zu rühren.<br />

Hastig verteilten sie sich auf dem Boden der Ladefläche und wagten kaum zu Atmen. Man ließ<br />

sie liegen. Erneut lange. House fing nach einer Weile an, leise zu Ächzen vor Schmerzen. <strong>Die</strong><br />

Bauchlage war für sein kaputtes Bein absolut tödlich. Plötzlich meinten alle, draußen ein<br />

weiteres Auto zu hören, das in unmittelbarer Nähe zu ihnen stoppte. Türen wurden geöffnet,<br />

dann wieder zu geschlagen und plötzlich wurde die Tür zu ihrem Fahrzeug ebenfalls geöffnet<br />

und sie erhielten den Befehl: „So, Herrschaften, genug ausgeruht. Raus da und aufstellen.“<br />

Etwas steif und unbeholfen kamen die Gefangenen auf die Beine, House schaffte es<br />

nicht ohne Hilfe und wurde von einer Wache hoch gezogen. Sie traten aus dem Wagen und<br />

waren nicht weiter erstaunt, dass sie einmal mehr im Dschungel standen. Abgesehen von<br />

Gibbs, Heather, Jake, Mulder und Kate war es für alle <strong>Anderen</strong> außer Beth das erste Mal seit<br />

423


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dem Steineklopfen, dass sie sich weit weg von dem Gebäude, in dem sie seit Monaten ge-<br />

fangen gehalten wurden, in der freien Natur befanden. Bestürzt sahen sich alle um. Sie standen<br />

auf einer kleinen Lichtung und um sie herum war undurchdringlicher Dschungel zu sehen.<br />

Heather schlug das Herz vor Angst im Halse, als sie an die Hetzjagd dachte, die sie fast das<br />

Leben gekostet hatte. Auch Kate und Gibbs schluckten unwillkürlich. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> sahen sich<br />

verängstigt und verwirrt um. Was sollte das jetzt wieder werden? <strong>Die</strong> Antwort ließ nicht lange<br />

auf sich warten.<br />

*****<br />

Mick hatte das unangenehme Gefühl, jeden Moment den Verstand zu verlieren. Sein<br />

hoffnungslos überstrapaziertes Hirn war kaum noch in der Lage, die Fülle an vollkommen<br />

wirren Informationen irgendwie zu verarbeiten. Er hatte rasende Kopfschmerzen, seine Ohren<br />

schienen protestierend zu Wimmern. Er wusste, dass er, wenn er auch seine eigene Stimme<br />

über den Krach aus den Kopfhörern nicht hören konnte, um Gnade wimmerte. Locke einen<br />

Stuhl weiter ging es nicht besser. Er hätte alles getan, um diese Tortur zu beenden. Seine<br />

Hände zuckten krampfhaft und in seinem Schädel schienen sämtliche Ureinwohner Australiens<br />

einen wilden Trommelwirbel zu schlagen. Keuchend und um Erbarmen bettelnd hockte er auf<br />

dem Stuhl. Und dann ging so plötzlich das Licht an und der Bildschirm aus, dass die beiden<br />

Männer vor Schreck unwillkürlich aufschrien. Vollkommen erledigt hingen sie in den Fesseln<br />

und hörten sich jetzt betteln: „Nicht mehr ... bitte ... aufhören ...“ Der Arzt, der sie hier zurück-<br />

gelassen hatte, trat zu ihnen und erklärte: „Ihr habt es geschafft, leider war diese kleine<br />

Sonderbehandlung unvermeidlich. Ihr habt eine Weile Zeit, euch zu fangen.“ Er befreite die<br />

am ganzen Leib zitternden, scheißgebadeten Männer nun von den Augenspreizern und löste<br />

dann die Fesseln. Stöhnend sackten beide Männer im Stuhl zusammen und erstaunlicherweise<br />

ließ man ihnen tatsächlich Zeit, sich wenigstens ein klein wenig zu beruhigen. Minuten ver-<br />

gingen, in denen Mick und John sich verzweifelt bemühten, irgendwie ihre Gehirne wieder<br />

unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich hatten sich beide etwas erholt und zwei Wachposten<br />

erschienen. „So, kommt schon, hoch mit euch. Ihr könnt euch auf dem Weg zum Testgebiet<br />

weiter ausruhen.“<br />

<strong>Die</strong> Beiden wurden von den Stühlen gezogen, die Hände gefesselt und mit noch heftig<br />

zitternden Knien und brummenden Köpfen zum Fahrstuhl zurückgeführt. Es ging aufwärts<br />

schließlich stoppte die Kabine. Erstaunt registrierten die Männer, dass sie sich in der Tief-<br />

garage befanden. Man führte sie zu einem wartenden Kastenwagen und sie bekamen den Be-<br />

fehl, sich auf dem Bauch auf die Ladefläche zu legen. Hastig gehorchten sie und dann ging es<br />

auch schon los. Mick schätzte, dass sie eine gute Stunde durch die Gegend geschaukelt<br />

424


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurden. Erst über ebene Straßen, dann wurde es zusehends ruckelig und Locke war sicher,<br />

dass sie einmal mehr in den Dschungel gefahren wurden. Er selbst war das letzte Mal bei der<br />

grausamen Aufgabe, Sawyer, Booth, Jack und Mulder zu Retten, außerhalb des Gebäudes ge-<br />

wesen. Schließlich stoppte der Wagen und die Tür öffnete sich. „Hoch mit euch, na los.“<br />

Hastig rappelten sich die beiden Männer auf. Vorsichtig traten sie dann nach draußen. Und<br />

sahen sofort, dass bis auf Booth und Sawyer alle anderen Gefangenen ebenfalls hier waren.<br />

Und das sie, wie Locke vermutet hatte, mitten im Dschungel auf einer kleinen Lichtung<br />

standen. Der Arzt hatte sie begleitet und stellte sich vor die schweigenden und hoffnungslos<br />

verwirrt da stehenden Gefangenen. Er musterte sie und nickte zufrieden. „Da seid ihr ja. Wir<br />

haben einen kleinen Test für eure beiden mental begabten Freunde hier vorbereitet. Ihr werdet<br />

in zwei Gruppen eingeteilt: Nummern 2, 6, 7, 10, 11 und sechzehn zu Nummer 13, die<br />

Nummern 4, 5, 8, 9, 14 und 15 zu Nummer 12, na los.“ Hastig traten die Gefangenen in den<br />

Gruppen zusammen. Dann erklärte der Arzt: „Es geht um folgendes: Wie ihr bereits bemerkt<br />

haben dürftet, fehlen Nummer 1 und 3 in eurer trauten Mitte. Da ihr ja zwei überragende<br />

Mentalisten unter euch habt, wird es nicht schwer sein, in Erfahrung zu bringen, was mit euren<br />

Freunden geschehen ist. Ihr werdet sie mit Hilfe der Fähigkeiten eurer beiden Fachleute sicher<br />

schnell genug finden, um zu verhindern, dass ihnen ... nun, etwas nicht wieder rückgängig zu<br />

machendes zustößt.“<br />

Nach diesen Worten wurden den geschockten Gefangenen die Fesseln gelöst und der<br />

Arzt fuhr mit seiner Erklärung fort. „Es wäre möglich, dass ihr gewisse Hilfsmittel benötigt,<br />

um Nummer 1 und 3 zu finden. <strong>Die</strong>se Hilfsmittel findet ihr dort hinten in der Hütte. Wir<br />

werden uns zurückziehen und euch in zwei Stunden mit oder ohne Nummer 1 und 3 wieder<br />

abholen. Ihr befindet euch auf dem gesicherten Gelände, Fliehen solltet ihr euch eurer Köpfe<br />

zu Liebe abschminken. Ihr habt ab jetzt zwei Stunden, hier hat jede Gruppe eine Stoppuhr.“ Er<br />

drückte Locke und St. John je eine Stoppuhr in die Hand. „Wenn ihr es in diesen hundert-<br />

zwanzig Minuten nicht geschafft habt, sind Nummer 1 und 3 tot, also, haltet euch lieber ran.<br />

Viel Spaß.“ Damit drehten der Arzt und die Wachen sich herum und bestiegen die parkenden<br />

Wagen. Eine Minute später standen die Gefangenen sprachlos und vollkommen verängstigt<br />

alleine mitten im Dschungel.<br />

*****<br />

Booth kam langsam zu sich. Mühsam versuchte er, die Augen auf zu bekommen. Ihm<br />

war speiübel, wohl eine Nachwirkung des Narkosemittels, dass man ihm und Sawyer injiziert<br />

hatte. Als es dem jungen FBI Special Agent endlich gelungen war, die Augen zu öffnen, stellte<br />

er erschrocken fest, dass es um ihn herum tief dunkel und totenstill war. Sofort überfiel ihn die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Erinnerung an die camera silens und er musste sich mächtig beherrschen, um nicht unmittelbar<br />

in Panik zu geraten. Er saß angelehnt aufrecht. Was war geschehen? Wo war er? Wo war<br />

Sawyer? Booth merkte, dass ihm etwas Schweres an einer Schnur um den Hals hing und griff<br />

danach. Mit zitternden Händen ertastete er, dass es eine Taschenlampe war, die ihm da vor der<br />

Brust baumelte. Hektisch suchte er nach dem Schalter, der die Lampe einschaltete. Endlich<br />

hatten seine bebenden Finger den Schalter gefunden und die kleine Lichtquelle leuchtete auf.<br />

Schwer atmend schloss Booth kurz die Augen, versuchte, sich zu beruhigen. Er zwang sich,<br />

mehrmals tief und gleichmäßig einzuatmen. Dann hatte er das Gefühl, sich wieder unter<br />

Kontrolle zu haben. Er öffnete die Augen, nahm die Taschenlampe von seinem Hals und<br />

leuchtete seine Umgebung ab. Was er sah, ließ ihn fast in Panik geraten. Entsetzt starrte er um<br />

sich. Er hockte am Boden einer Glasbox, vielleicht ein mal ein mal einen Meter groß. Das es<br />

um ihn herum dunkel war, lag daran, dass diese Glasbox, in der er hockte, ganz offensichtlich<br />

eingegraben worden war. Als Booth mit der Taschenlampe gegen die Wände der Box<br />

leuchtete, konnte er deutlich erkennen, dass er rund herum von Erde, von Waldboden, um-<br />

geben war. Panisch keuchte Booth auf. „Nein. Nein, bitte .... Das kann nicht sein, bitte.“ Er<br />

kniete sich hin, legte beide Hände an das kalte Glas und dann konnte der junge Mann sich nicht<br />

mehr beherrschen. Vollkommen verzweifelt schrie er auf. „NEIN!“<br />

*****<br />

Sawyer stöhnte leise auf. Er lag verkrümmt auf der Seite, der Boden unter ihm fühlte<br />

sich extrem hart und kalt an. Als er mühsam die Augen öffnete, stellte er erschrocken fest, dass<br />

es um ihn herum absolut finster war, er konnte nicht das geringste sehen. Totenstille umfing<br />

ihn, nur seine eigenen Geräusche waren zu hören. Langsam und vorsichtig versuchte er, sich<br />

aufzurichten. Dabei spürte er, dass er einen Gegenstand um den Hals hängen hatte. Mit heftig<br />

zitternden Händen griff er danach und spürte erleichtert, dass es scheinbar eine Taschenlampe<br />

war, die er zu fassen bekam. Hektisch suchten seine Finger den Schalter und plötzlich flammte<br />

Licht auf. „Gott sei Dank.“, stieß der Südstaatler erleichtert hervor. Er atmete tief durch, dann<br />

richtete er den Lichtstrahl an die Wand neben sich. Und die Erleichterung machte einem tiefen<br />

Entsetzen Platz. Was er sah, ließ ihn panisch aufwimmern. Er befand sich ganz offensichtlich<br />

in einer Box aus Glas, die ebenso offensichtlich vergraben worden war. Panisch keuchte<br />

Sawyer auf und kniete sich hin. Zu sehr viel mehr war er nicht in der Lage. <strong>Die</strong> Box, in der er<br />

hockte, war vielleicht einen Meter lang, und ebenso breit und hoch. Angsterfüllt ließ Sawyer<br />

den Lichtstrahl über die Glaswände huschen. Der Anblick blieb der Gleiche und trieb ihm den<br />

Angstschweiß aus allen Poren: Um sich herum war außerhalb der Box deutlich Boden, Erd-<br />

boden, zu erkennen. Sie hatten ihn in einen Glaskasten gesteckt und vergraben. Paralysiert vor<br />

Entsetzen hockte Sawyer da und starrte minutenlang unfähig irgendetwas zu tun, vor sich hin.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hektisch rechnete sein Hirn: ging er von einem Meter in der Länge, Höhe und Breite aus, hatte<br />

er einen Kubikmeter Luft, davon musste er seinen eigenen Körper abziehen. Er hatte mal<br />

irgendwo gelesen, dass bei sehr ruhiger Atmung ein Mensch zirka einen halben Liter Luft pro<br />

Atemzug einsaugte. Zwölf Atemzüge in der Minute waren im Ruhezustand normal. Bei einem<br />

Kubikmeter Luft machte das ... Sawyer rechnete hektisch und kam auf ungefähr 2,7 Stunden.<br />

Er atmete nur alles andere als ruhig! Wenn er sich nicht extrem zusammen riss, was er, das<br />

wusste er sicher, nicht schaffen würde in dieser Situation, hatte er vielleicht für 1,5 Stunden<br />

Luft. Sein Herz raste. „Oh Gott, bitte nicht. Ich will hier raus, bitte. Holt <strong>mich</strong> hier raus!“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen standen im Dschungel und starrten fassungslos vor sich hin. Dann<br />

stieß Kate hervor: „John. Weißt du, was mit Sawyer ist?“ Locke stand nicht weniger schockiert<br />

da als die <strong>Anderen</strong>. Erschüttert schüttelte er den Kopf. „Kate, ich habe keine Ahnung. Hört zu,<br />

gebt mir eine Weile, ich muss versuchen, <strong>mich</strong> zu Konzentrieren. Bitte, versucht, ruhig zu<br />

bleiben, wenn wir in Panik geraten, hilft das Booth und Sawyer überhaupt nicht. Mick, ist es<br />

dir Recht, wenn du dich vollkommen auf Booth, ich <strong>mich</strong> absolut auf Sawyer konzentriere? Es<br />

sei denn, einer von uns hat sofort eine Vision vom jeweils <strong>Anderen</strong>?“ Mick nickte. „Ja, es ist<br />

besser, wenn wir uns ganz auf einen der Beiden konzentrieren.“ Er sah Bones an und nickte<br />

aufmunternd. „Mach dir keine Sorgen, wir werden ihn schon finden. Lasst mir ein wenig Zeit,<br />

ich werde tun, was nur irgendwie in meiner Macht steht.“ Er trat ein wenig zur Seite und ver-<br />

suchte, die ziemlich panischen Mitgefangenen zu Ignorieren. Er spürte ihre Blicke im Rücken<br />

wie Berührungen und schüttelte den Kopf. Langsam setzte er sich in Bewegung und trat dicht<br />

an den Waldrand heran. Ohne den Dschungel wahr zu nehmen, stand er dann still und dachte<br />

an Booth. Er versuchte, sich den jungen Mann plastisch vorzustellen. Mick konzentrierte sich<br />

mit aller Kraft und plötzlich zuckten flüchtige Bilder durch seinen Verstand. Er sah Booth, auf<br />

einer Liege, eine Ärztin gab ihm eine Spritze --- Booth, der bei einer der Wachen über der<br />

Schulter lag und weg geschleppt wurde ... in einen Wagen --- Booth, wie die Wache den Agent<br />

in einen durchsichtigen Behälter gleiten ließ --- ein großes Loch im Boden --- Seile, die den<br />

Glaskasten in das ziemlich tiefe Loch versenkten --- Erde, die auf den Glasbehälter nieder<br />

prasselte. Entsetzt stöhnte Mick auf. Sie hatten Booth lebendig begraben. Er hatte plötzlich<br />

Angst, es den anderen zu sagen und drehte sich widerwillig herum.<br />

Locke hockte, ähnlich wie Mick, der nur stehen geblieben war, am gegenüberliegenden<br />

Waldrand und wirkte ungeheuer konzentriert. Mit geschlossenen Augen, die Hände locker auf<br />

den Knien, saß er da und schien weit weg zu sein. In seinem Gesicht arbeitete es. Und plötzlich<br />

riss er die Augen auf und keuchte erschrocken. Dann stemmte er sich schnell auf die Füße und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

eilte zu Kate, Mulder, Ziva, Heather, Abby und House hinüber, die ihm panisch und er-<br />

wartungsvoll entgegen starrten. Er blieb vor Kate stehen und wusste nicht, wie er der jungen<br />

Frau sagen sollte, was er gesehen hatte. Sie hatte schon so oft in den vergangenen Monaten um<br />

Sawyers Leben bangen müssen und nun sollte er ihr erklären, dass man Sawyer lebendig be-<br />

graben hatte. Locke hätte sich die Haare gerauft, wenn er welche gehabt hätte. „Kate ... Ich ...“<br />

Er brach ab und überlegte hektisch. Dann setzte er neu an. „Hört zu, ich ... ich weiß, was mit<br />

Sawyer passiert ist. Ihr müsst versuchen, ruhig zu bleiben. Wir haben noch über hundert<br />

Minuten Zeit, also kein Grund, in Panik zu geraten.“ Mulder unterbrach Locke sanft: „Bitte,<br />

John, es nützt uns nichts, wenn du um den heißen Brei herum redest, sage uns einfach, was du<br />

gesehen hast.“ Locke nickte entschlossen. Er sah, dass auch die andere Gruppe, gefolgt von<br />

Mick, näher trat und holte tief Luft. „Sawyer wurde ...“ Mick unterbrach den älteren Mann: „...<br />

genau wie Booth lebendig begraben.“ Man hörte Kate und Bones entsetzt Aufkeuchen.<br />

„Großer Gott.“ Locke nickte. „Ja, das ist genau das, was auch ich sah. Wenn es bei Booth<br />

genau so ist, sitzt er irgendwo hier draußen in einem Glasbehälter unter der Erde. Ich muss<br />

versuchen, heraus zu finden, wo. Das wird unsere Aufgabe sein, Mick.“ Der Vampir nickte.<br />

Mulder war an Kate heran getreten und hatte der jungen Frau den Arm um die Schultern ge-<br />

legt. Das Gleiche machte Gibbs gerade bei Bones, die wie erschlagen da stand und apathisch<br />

vor sich hin starrte. Jake fluchte haltlos: „<strong>Die</strong>se elenden Bastarde.“ Ziva stieß ebenso hass-<br />

erfüllt hervor: „Wenn ich bloß Gelegenheit bekomme, ein paar von diesen Schweinen zu<br />

killen.“<br />

In letzter Sekunde<br />

Der Tod entsetzt uns, selbst wenn wir wissen, dass er kommen wird.<br />

John Steinbeck<br />

House versuchte, Ruhe zu bewahren. „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“ Mick sah auf die<br />

Stoppuhr. „Wir haben noch 97 Minuten.“ Er sah sich um. Verzweifelt versuchte er, zu er-<br />

gründen, wo in dieser grünen Hölle die Stelle sein mochte, die Booth oder Sawyer verbarg.<br />

Ganz langsam drehte er sich herum, versuchte gleichsam, das Grün mit den Augen zu durch-<br />

dringen. Keiner störte ihn, alle warteten auf eine Reaktion. Locke tat es Mick gleich. Langsam,<br />

konzentriert, ließ er seine Augen über die Blätterwand vor ihnen gleiten. Er sah Sawyer<br />

plastisch vor sich, am Boden der Glasbox kniend, verzweifelt gegen die Wand schlagend. Er<br />

konnte förmlich die Todesangst spüren, die Sawyers Körper schüttelte. Energisch schob er<br />

diesen Gedanken zur Seite. Er durfte sich nicht von Emotionen ablenken lassen. Weiter ließ er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seine Blicke huschen, dann zuckte er zusammen. „Da lang.“, stieß er angespannt hervor. „Ich<br />

bin mir sicher, da müssen wir lang, um zu Sawyer zu gelangen.“ Abby und Heather hatten sich<br />

unbemerkt abgesetzt und waren zum Schuppen hinüber geeilt. Sie hatten die Tür geöffnet und<br />

starrten auf Spitzhacken, Schaufeln und andere Gerätschaften. Hektisch griffen sie sich sechs<br />

Schaufeln und eine Hacke, damit eilten sie zu ihrer Gruppe zurück. Sie hörten die Worte, die<br />

Locke hervor stieß und Abby erklärte hektisch: „Hier sind Schaufeln und eine Spitzhacke,<br />

kommt, lasst uns Sawyer ausgraben.“<br />

Allison und Beth hatten in der anderen Gruppe beobachtet, wie Abby und Heather in<br />

dem kleinen Schuppen verschwunden waren. Sie eilten auch dort hin und bewaffneten sich<br />

ebenfalls mit Schaufeln und Spitzhacken. Damit kehrten sie zu ihrer Gruppe zurück. Mick<br />

hatte noch keine Schwingung empfangen und war verzweifelt. Beth spürte das und trat dicht an<br />

den geliebten Mann heran. „Baby, du musst nicht versuchen, es zu erzwingen, du weißt, dass<br />

das nicht klappt. Lass dich einfach treiben, du kannst das. Stell dir Booth vor und lass deine<br />

Gedanken in den Dschungel treiben. Setze dich nicht unter Druck, dann wird das niemals<br />

etwas.“ Mick sah Beth an und seufzte. „Du hast Recht, erzwingen lässt es sich nicht.“ Er ver-<br />

suchte, sich von allen Emotionen, die er um sich herum deutlich spürte, frei zu machen. Ruhig<br />

sah er nur noch in eine wahllos gewählte Richtung in den Wald vor ihnen und konzentrierte<br />

sich auf Booth. Booth, in dem Glassarg eingesperrt, unter der Erde. Und so plötzlich und<br />

überwältigend, dass der junge, alte Mann aufstöhnte, hatte er eine deutliche Vision des FBI<br />

Agents. Er wirbelte herum und starrte in die entgegen gesetzte Richtung in den Dschungel.<br />

„Dort. Ich bin mir sicher. Auf, los. Viel Glück.“ Das galt der anderen Gruppe, die sich eben-<br />

falls auf den Weg machte. Allison rief Mulder hinterher: „Bringt ihn ja lebend zurück, Mulder,<br />

hörst du.“<br />

*****<br />

Sawyer war verzweifelt bemüht, nicht vollends in Panik zu geraten. Wenn er in seinem<br />

Gefängnis vor Angst kollabierte, war niemand da, der ihm helfen würde. Und er verbrauchte<br />

mehr Sauerstoff, je hektischer und verzweifelter er wurde. Sicher wurde bereits nach ihm ge-<br />

sucht. <strong>Die</strong> Ärztin hatte von einer Aufgabe, einem Test gesprochen. Also hatte man sie nicht<br />

vergraben, um sie hier qualvoll sterben zu lassen, sondern um Mick und Locke zu testen.<br />

Krampfhaft bemühte Sawyer sich, ruhig zu überlegen. Sicher bestand die Aufgabe darin, ihn<br />

und Booth zu finden. Er hatte unbegrenztes Vertrauen in Locke, nach der Sache mit der Säge<br />

und bei dem Test mit der Leiter. Er hatte so viele von ihnen schon sprichwörtlich aus den<br />

Klauen des Todes gerettet, er würde es auch diesmal schaffen. Verzweifelt hockte Sawyer am<br />

Boden des Glasbehälters und schloss resigniert die Augen. Auf die Erde, die ihn umgab, zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

starren, war zu deprimierend. Leise, ganz leise flüsterte er: „Ich will hier raus, bitte, holt <strong>mich</strong><br />

doch hier raus ... Beeilt euch, bitte.“ Langsam ließ er sich auf den Boden sinken und rollte sich<br />

zusammen. <strong>Die</strong> Taschenlampe in seinen Händen haltend lag er still da. Er hörte seinen eigenen<br />

Herzschlag und wusste plötzlich, wie es Booth, Gibbs und Cameron in der camera silens er-<br />

gangen war. Es schüttelte den jungen Mann vor Angst. Er dachte an Kate, die wieder einmal<br />

gezwungen war, um ihn zu Bangen. Vielleicht wusste sie auch gar nicht, was mit ihm war und<br />

lachte vielleicht in diesem Moment über einen dummen Witz von House ... Sawyer konnte<br />

nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen schossen. „Ich will dich wieder in den Arm<br />

nehmen können ...“<br />

*****<br />

Booth war, wie Sawyer, verzweifelt bemüht, sich zu beruhigen. Nachdem er minuten-<br />

lang schreiend gegen das Glas getrommelt hatte, wurde dem Agent drastisch klar, dass er viel<br />

zu viel wertvollen Sauerstoff verbrauchte, wenn er hier ausflippte. Krampfhaft bemühte er sich,<br />

seine Fassung zurück zu gewinnen. „Du musst dich beruhigen, Meister, sonst hyperventilierst<br />

du wieder oder schlimmeres.“, herrschte er sich selbst an. Davor hatte er extreme Angst. Er<br />

neigte ja ganz offensichtlich dazu, in Paniksituationen Atemprobleme zu bekommen. Also<br />

durfte er es hier nicht so weit kommen lassen. <strong>Die</strong> ganze Situation erinnerte ihn entsetzlich an<br />

die Dunkelhaft und er spürte, wie sein Herz wieder anfing, zu Rasen. „Nein, du dämlicher<br />

Idiot, denke gefälligst an etwas anderes.“, schnauzte er sich selbst an. „Denke an Bones. Sie<br />

war auch schon lebendig begraben und hat Ruhe bewahrt. Das schaffst du blöder Hund auch.“<br />

Booth schüttelte es. Aber sie hatte die Möglichkeit gehabt, etwas an ihrer Situation zu ändern<br />

und sie war nicht alleine gewesen. Hodgins war bei ihr gewesen. Er steckte alleine in einer<br />

verdammten Glaskiste, ohne die geringste Möglichkeit, irgendetwas zu seiner Rettung beizu-<br />

tragen. „Lieber Gott, hilf mir bitte, ich will hier raus!“, keuchte der junge Mann vollkommen<br />

verzweifelt. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Glaswand und schloss die Augen. Zu<br />

sehen war schlimmer, als nichts sehen zu können. <strong>Die</strong> Taschenlampe umklammernd hockte er<br />

dort und Tränen kullerten ihm über die Wangen.<br />

*****<br />

Locke stapfte durch den Dschungel, führte die kleine Gruppe verängstigter Menschen<br />

immer tiefer in das Gewirr aus Lianen, Büschen, Bäumen hinein. Einmal wechselte er die<br />

Richtung, dann war er sich wieder sicher. <strong>Die</strong> Stoppuhr zeigte ihm, dass sie noch siebenund-<br />

sechzig Minuten hatten. Locke eilte weiter, nicht mehr darauf achtend, ob die <strong>Anderen</strong> hinter-<br />

her kamen. Und dann hatte er plötzlich das Gefühl, an der richtigen Stelle zu sein. Hektisch sah<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

er sich um. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor Kurzem gegraben worden war. Und doch<br />

war der seltsame Mann sicher, an der richtigen Stelle zu stehen. Er sah sich um. Kleine ab-<br />

gebrochene Ästchen, Blätter, die am Boden lagen, Erde, die hier ein wenig weicher schien ...<br />

Er war sich sicher. „Hier ist es. Los, wir müssen Platz schaffen, schnell.“ Ohne zu Fragen und<br />

ohne zu Zögern begannen alle, Geäst, Blätter, Büsche, morsches, zerfallendes Holz beiseite zu<br />

schaffen. Auch House arbeitete hektisch mit, er nahm keine Rücksicht mehr auf die Schmerzen<br />

in seinem Bein. Kate riss und zerrte an einem großen, halb vermoderten Baumstamm herum<br />

und Heather eilte ihr zur Hilfe. Zu zweit gelang es den jungen Frauen, den Baumstamm aus<br />

dem Weg zu schaffen. Zweiundfünfzig Minuten. Endlich lag eine kleine Lichtung vor ihnen,<br />

alles Geäst und Gebüsch war aus dem Wege geschafft worden. Vierundvierzig Minuten.<br />

Mulder griff nach der Spitzhacke, alle anderen schnappten sich Schaufeln und dann begannen<br />

sie, hektisch zu Graben. Sie wussten nicht, wie groß sie das Loch machen mussten und so<br />

legten sie es von vornherein größer an. Dreißig Minuten und keine Spur von irgendetwas Ver-<br />

grabenem. „Locke, bist du sicher?“, wimmerte Kate panisch und wischte sich Schweiß und<br />

Tränen aus dem Gesicht. Locke nickte. „Vertrau mir, Kate, ich bin ganz sicher. Wir werden<br />

Sawyer hier finden. <strong>Die</strong> Schweine haben ihn tief vergraben.“ Kate nickte verzweifelt. „Okay,<br />

ich vertraue dir.“ Verbissen buddelten sie weiter. Und dann keuchte Mulder plötzlich: „Hier ist<br />

was. Hier.“ Er warf die Spitzhacke aus dem Loch, ging in die Knie und kratzte mit den Händen<br />

Erde beiseite. Und da war es. Glas. „Schnell, weiter, das Scheißding ist größer als unser Loch.“<br />

*****<br />

Sawyer hatte langsam das unangenehme Gefühl, dass ihm das Atmen schwerer fiel. Er<br />

war immer noch krampfhaft bemüht, irgendwie Ruhe zu bewahren, merkte aber, dass es ihm<br />

schwerer und schwerer fiel. Er fühlte sich so unendlich hilflos. Sein T-Shirt klebte ihm an<br />

seinem nass geschwitzten Körper und er zitterte unkontrolliert am ganzen Leib. Er lag auf dem<br />

Rücken, die Beine angezogen und starrte an die Decke seines Gefängnisses, in der ver-<br />

zweifelten Hoffnung, dass sich dort etwas tun würde. Ihm war schwindelig, ein Zeichen, dass<br />

der Sauerstoff sich dem Ende zu neigte. Todesangst presste sein Herz zu einem kalten<br />

Klumpen zusammen. Und dann erstarrte er plötzlich. Irgendetwas hatte er gesehen. Mühsam<br />

richtete er sich auf und starrte angestrengt nach oben. Und dann durchfuhr ihn wilde Hoffnung<br />

wie ein Blitz. Er hatte sich nicht geirrt. Irgendetwas tat sich dort, über ihm. Dort wurde ge-<br />

graben, und dann drang plötzlich ein winziger Lichtpunkt zu ihm herunter. Aber gleichzeitig<br />

mit der verzweifelten Hoffnung spürte er, wie er immer weniger Luft bekam. „Oh, Gott, beeilt<br />

euch, bitte ...“, wimmerte er panisch. Größer wurde der Lichtfleck und im gleichen Maß die<br />

letzte Luft immer weniger. Er versuchte panisch, den Deckel aufzudrücken, alles verschwamm<br />

vor seinen Augen, er sah nicht, wer dort oben stand und versuchte, ihn auszugraben. „Keine<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Luft ...“, keuchte er verzweifelt und merkte, wie er langsam in sich zusammen sank. Er riss den<br />

Mund weit auf, aber es war keine Luft mehr da, die er hätte einsaugen können. Er erstickte ...<br />

*****<br />

Panisch begannen alle, das Loch zu erweitern. Zehn Minuten. Immer wieder rieselte<br />

Erde nach und sie hatten noch nicht alle Kanten der Kiste frei gelegt. Kate schluchzte<br />

hysterisch vor sich hin und konnte vor Tränen kaum noch sehen, wo sie grub. Endlich, endlich<br />

lagen alle Kanten frei. Sie konnten in den Glaskasten sehen. Dort unten lag Sawyer und starrte<br />

wie gelähmt aus Augen, dunkel vor Grauen, zu ihnen hoch. <strong>Die</strong> Zeit war um und sie hatten<br />

noch keine Möglichkeit gefunden, den Kasten zu öffnen. Auf Händen und Knien hockten<br />

Mulder, Ziva, Locke, Kate und Abby da und tasteten die Kanten nach einem Öffnungs-<br />

mechanismus ab, aber sie fanden nichts. Es war, als wäre die Kiste zugeschweißt worden.<br />

Sawyer hatte irgendwann angefangen, verzweifelt gegen den Deckel zu drücken, offensichtlich<br />

hatte er kaum noch Atemluft. Kate schrie hysterisch: „Sawyer!“ Sie schlug hilflos mit den<br />

Fäusten auf den Deckel ein. Entsetzt und hilflos mussten sie zuschauen, wie Sawyer sich er-<br />

stickend am Boden der Kiste wand. Er versuchte noch einen Moment vollkommen verzweifelt,<br />

den Deckel aufzudrücken, dann aber sank er langsam in sich zusammen, den Mund weit auf-<br />

gerissen in dem nutzlosen Bemühen, noch Luft zum Atmen zu finden. Hilflos, weinend, ratlos<br />

starrten alle zu ihm herunter. Als der junge Mann unter ihnen schließlich still lag, fluchte<br />

House los: „Das kommt nicht in Frage, hörst du? Du wirst uns hier nicht wegsterben.“ Er stand<br />

auf dem Glasdeckel und hatte die Hacke in der Hand. Er schwenkte diese über seinen Kopf und<br />

dann schlug er ohne zu Zögern mit aller Kraft zu. Es knirschte und dann zeigte sich tatsächlich<br />

ein kleines Loch im Deckel. Noch einmal, und noch einmal drosch der Arzt mit aller Kraft auf<br />

das Loch ein, dass er bereits verursacht hatte und erweiterte es so. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> waren auf den<br />

Waldboden zurück gestiegen und sahen wie gelähmt zu, was House tat. Was auch immer es für<br />

eine Art Glas war, aus dem die Kiste gemacht war, aber endlich gab es nach und zerbröselte<br />

wie Sicherheitsglas unter House‘ Füßen. Ungefährliche Splitter regneten auf den reglosen<br />

Sawyer herunter und der Diagnostiker stand plötzlich eine Etage tiefer in dem Kasten, miss-<br />

achtete die Schnitte, die er sich an den Füßen zuzog, warf die Spitzhacke achtlos zu Boden und<br />

kniete in den Splittern neben Sawyer nieder. Er legte diesem zwei Finger an den Hals und<br />

tastete nach dem Puls. Schwach, aber doch noch spürbar. „Er lebt.“ Hektisch beugte House<br />

sich herunter und fing an, Sawyer zu beatmen. Immer wieder blies er ihm, in mitten der<br />

Scherben kniend, Luft in die Atemwege. Und endlich hustete dieser auf. Kate hatte gelähmt<br />

vor Angst in die Kiste gestarrt, jetzt wimmerte sie auf. „Schaff ihn da raus.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House richtete Sawyer auf und Mulder und Locke beugten sich herunter, packten<br />

Sawyers Arme und zogen den jungen Mann aus den Splittern heraus und zu sich auf den<br />

Waldboden. Hustend und krampfhaft nach Luft schnappend lag er schließlich da, in Kates<br />

Armen und dann überschwemmte ihn die Erleichterung wie eine Woge und er schluchzte auf<br />

wie ein kleines Kind. Mulder und Locke halfen House aus dem Kasten und dann zogen sich<br />

alle ein wenig zurück, ließen Kate und Sawyer alleine. Erschöpft und seelisch einmal mehr am<br />

Ende sanken die Gefangenen am Rande der kleinen Lichtung zu Boden und beobachteten<br />

schweigend Sawyer und Kate. <strong>Die</strong> junge Frau kniete auf dem Waldboden und hielt Sawyer in<br />

ihren Armen. Dass man sie noch nicht eingesammelt hatte, verwirrte die Gruppe ein wenig,<br />

andererseits waren sie froh, ein paar Minuten Ruhe zu bekommen. Und wie erwartet, hielt<br />

diese Ruhepause, die sie alle dringend zum Durchatmen benötigten, nicht lange vor. Schon<br />

hörten sie einen Wagen sich nähern und Minuten später stiefelten Wachposten auf die kleine<br />

Lichtung. „Gut gemacht, Nummer 12, dann lasst uns euch mal nachhause schaffen, auf geht’s.“<br />

Müde erhoben sich die Gefangenen. Kate zog Sawyer auf die Füße. Eng umschlungen kamen<br />

die Beiden bei den Wachen an und das große Wunder geschah. Sie durften ungefesselt zum<br />

Wagen, der nur ein paar Meter entfernt auf einem schmalen Pfad parkte, laufen. Auch im Fahr-<br />

zeug durfte Kate Sawyer im Arm halten, während allen <strong>Anderen</strong> gnadenlos die Hände auf den<br />

Rücken gefesselt wurden. Schweigend hockte die Gruppe auf dem Boden des Fahrzeuges und<br />

als eine ganze Zeit später der Wagen endlich stoppte, und sie in der Tiefgarage ausgeladen<br />

wurden, herrschte immer noch Schweigen. Sie wussten nicht, was mit der anderen Gruppe und<br />

Booth war. Das belastete die zu Freunden gewordenen Gefangenen schwer. Und der Anblick<br />

Sawyers, der immer noch von Kate im Arm gehalten und gestützt wurde, machte allen immer<br />

wieder klar, dass ihre Leben nach wie vor an einem seidenen Faden hingen.<br />

*****<br />

Mick führte die kleine Menschengruppe zielstrebig durch den Dschungel. Sie beeilten<br />

sich, so gut es das Gelände zuließ. Bones stolperte neben den <strong>Anderen</strong> her und lernte einmal<br />

mehr das Gefühl hilfloser Panik kennen. So rational die Anthropologin sonst auch gedacht<br />

hatte, so beherrscht sie Zeit Lebens gewohnt gewesen war zu handeln, so hilflos fühlte sie sich<br />

erneut in diesen Situationen, wo sie um Booth’ Leben bangen musste. Sich vorzustellen, dass<br />

der geliebte Mann hier irgendwo in einem Glassarg verscharrt auf Hilfe hoffte, Gefahr lief,<br />

jämmerlich zu Ersticken, wenn sie ihn nicht rechtzeitig fanden, machte die junge Frau fast<br />

wahnsinnig. Mick warf gerade einen prüfenden Blick auf die Stoppuhr in seiner Hand. Sieben-<br />

undvierzig Minuten nur noch. Und dann stutzte der Vampir plötzlich. Er blieb abrupt stehen,<br />

sodass Jake fast gegen ihn gestolpert wäre. „Was?“, fragte der junge Mann erschrocken. „Es<br />

muss hier sein.“, stieß Mick bestürzt hervor und ließ seine Augen über den Boden gleiten. Man<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sah nicht die geringste Spur davon, dass hier gegraben worden war, aber der Vampir war sich<br />

sicher. „Es ist hier. Los, wir müssen uns beeilen, wir wissen nicht, wie tief die Schweine Booth<br />

vergraben haben.“ Hektisch fingen alle an, Buschwerk und Geäst zur Seite zu schaffen, bis ein<br />

Platz von vielleicht drei Metern im Durchmesser frei geschafft worden war. Jetzt stürzten sich<br />

alle mit den Schaufeln und der Spitzhacke auf den fest gestampften Boden und fingen an,<br />

hektisch zu Graben. Sie hatten nur noch achtundzwanzig Minuten Zeit.<br />

*****<br />

Booth hockte mit geschlossenen Augen in dem Glaskasten und zwang sich, ruhig und<br />

gleichmäßig zu Atmen. Jedes Gefühl dafür, wie lange er hier schon eingeschlossen war, fehlte.<br />

Er hatte überschlagen, wie lange er in etwa Luft zum Atmen hatte und war auf vielleicht zwei<br />

Stunden gekommen. Zwei Stunden. Erschreckend wenig. Seine Zähne klapperten aufeinander,<br />

ohne, dass er es verhindern konnte. Er dachte an Bones. Ob sie überhaupt wusste, was mit ihm<br />

war? „Lieber Gott, ich will nicht jämmerlich ersticken, okay? Kannst du nicht irgendetwas<br />

dagegen tun?“, flüsterte der Agent leise. Er starrte an die gegenüberliegende Glaswand und<br />

fragte sich, ob sie ihn überhaupt schon suchten. Bestimmt taten sie das. Immerhin hatte die<br />

Ärztin von einer Aufgabe, einem Test gesprochen. <strong>Die</strong> Zeit verging langsam, zäh. Irgendwann<br />

merkte Seeley, dass ihm das Atmen zusehends schwerer fiel und er wusste, dass, wenn nicht<br />

ein Wunder geschah, die letzten, qualvollen Minuten seines Lebens tickten. Er hatte keine<br />

Angst vor dem Tod an sich, dem hatte er, unter anderem hier während der Gefangenschaft,<br />

schon zu oft ins Auge geschaut. Aber, das gab er vor sich selbst zu, er hatte panische Angst,<br />

qualvoll zu ersticken. Ohne es kontrollieren zu können krallten sich seine Finger um den<br />

Kragen des T-Shirts und zerrten es in dem hoffnungslosen Bemühen, so doch noch mehr Luft<br />

zu bekommen von seinem Hals weg. Sein Verstand sagte ihm durchaus, dass das nicht helfen<br />

würde, aber sein Selbsterhaltungstrieb übernahm die Kontrolle. Keuchend jappste er das letzte<br />

bisschen verbliebene Luft in seine empört aufschreienden Lungen. Und dann glaubte er, seine<br />

Augen würden ihm einen Streich spielen. Plötzlich und überwältigend hell tauchte über ihm<br />

ein Lichtschein auf, der schnell größer wurde. Dort oben, auf dem Deckel des Glaskastens,<br />

standen Leute und kratzten den Boden fort. Booth starrte nach oben und sah Gesichter, die zu<br />

ihm herunter blickten. Alles verschwamm vor seinen Augen, er konnte nicht mehr erkennen,<br />

wer dort zu ihm herein blickte. „Bitte ...“ Tränen stürzten ihm über das blasse Gesicht, er be-<br />

kam jetzt überhaupt keine Luft mehr. Sein Herz raste in wildem Trommelwirbel schmerzhaft in<br />

seiner Brust. Das Ende ...<br />

*****<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Langsam wurde das Loch tiefer. Bones arbeitete so schnell es ihr nur möglich war. Sie<br />

stand zusammen mit Mick, Jake und Gibbs in dem langsam tiefer werdenden Loch, während<br />

Dana und Allison den ausgehobenen Boden oben vom Loch weg kratzten. <strong>Die</strong> Gruppe<br />

arbeitete so schnell es nur ging. Nur noch fünf Minuten blieben ihnen und wenn Booth in<br />

seinem grausamen Gefängnis in Panik geraten war, konnte man sicher davon ausgehen, dass er<br />

vielleicht schon seit Minuten keine Luft mehr hatte. Hysterisch schluchzend schaffte Bones<br />

Schaufel um Schaufel Erde aus dem Loch und plötzlich stieß ihr Spaten auf einen Widerstand.<br />

Im selben Moment spürten auch Mick, Gibbs und Jake, wie ihre Schaufeln auf etwas Glattes,<br />

Hartes trafen. So schnell sie konnten, schafften sie die letzte Erde vom Deckel des Glaskastens<br />

und konnten schließlich Booth erkennen. Reglos und in sich zusammen gesackt hockte dieser<br />

in der Kiste und Bones schrie entsetzt auf. „Nein, Booth!“ Mick riss Jake rücksichtslos die<br />

Spitzhacke aus der Hand und hieb dann mit aller Kraft auf den Deckel ein. Sofort bildete sich<br />

ein faustgroßes Loch. Wieder holte der Vampir aus und trieb die Hacke erneut in das bereits<br />

entstandene Loch und im selben Moment zersplitterte das Glas unter ihm in abertausende<br />

kleine, relativ harmlose Splitter und mit einem erschrockenen Keuchen stürzte Mick in die<br />

Kiste. Er federte den Fall geschickt ab und war schon bei Booth, bevor alle Splitter den Boden<br />

erreicht hatten. Er zerrte Booth hoch und Gibbs und Jake packten zu, zogen den Agent aus der<br />

Kiste. Dana und Allison beugten sich bereits über diesen, Gibbs hielt die hysterisch weinende<br />

Anthropologin in seinen Armen und Mick sprang geschmeidig aus der Kiste, um Dana und<br />

Allison zu helfen.<br />

Cameron hatte bereits Booth Kopf in den Nacken gedrückt und fing jetzt sofort an, ihn<br />

zu beatmen. Dana kniete neben ihm und wartete zwei Atemzüge ab, dann begann sie mit<br />

energischer Herzdruckmassage. Wieder und wieder blies Allison dem reglos da liegenden<br />

Agent Luft in die Lungen und Dana hielt sein Herz am Schlagen. Bones schluchzte hoffnungs-<br />

los in Gibbs Armen und war kaum noch fähig, auf ihren Füßen zu stehen. Und als Allison<br />

schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, nur noch mechanisch weiter arbeitete, zuckte Booth<br />

plötzlich zusammen und fing an, krampfhaft zu Husten. Seine Hände fuhren haltlos durch die<br />

Luft und er sog röchelnd und hustend Luft ein. Beth, die bei Mick im Arm hing, schluchzte vor<br />

Erleichterung jetzt ebenfalls auf. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Dana und Cameron<br />

es schaffen würden, Booth zurück zu holen. Bones riss sich aus Gibbs’ Armen los und warf<br />

sich neben Booth auf die Knie. Unfähig, auch nur ein vernünftiges Wort heraus zu bringen zog<br />

sie in an sich und wiegte ihn sanft in ihren Armen. Dana und Allison stemmten sich müde auf<br />

die Beine und traten zurück. Sie wollten Bones und Booth nicht stören. Zusammen mit den<br />

Männern und Beth wankten sie erschöpft ein paar Schritte fort und sanken dort erledigt auf den<br />

Waldboden.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bones hielt Seeley in ihren Armen, flüsterte zusammenhanglos irgendwelche Worte vor<br />

sich hin und weinte, dass es sie schüttelte. Booth lag still in ihren Armen und war bemüht, erst<br />

einmal nur zu Atmen, tief und keuchend. Ihm liefen ebenfalls Tränen über die Wangen,<br />

Tränen, derer er sich nicht schämte. Irgendwann stammelte er vollkommen fertig: „Tempe ...“<br />

„Du bist ... in Sicherheit ...“, wimmerte die junge Frau fassungslos. „Wir haben dich gefunden<br />

...“ Ihre Lippen küssten wahllos Seeleys Gesicht, seine Augen, seine Wangen, seine Lippen<br />

und sie stammelte immer wieder wie eine Aufziehpuppe: „Wir haben dich gefunden ...“ Und<br />

dann war plötzlich in der Nähe ein Wagen zu hören und Augenblicke später kamen mehrere<br />

Wachen auf die kleine Lichtung. Sie befahlen der Gruppe, sich zu erheben und fesselten wort-<br />

los allen, bis auf Bones und Booth die Hände auf den Rücken. Booth brauchte Hilfe beim Auf-<br />

stehen und stand schließlich mit heftig zitternden Knien neben Bones, hielt sich regelrecht an<br />

dieser fest. Jetzt wurden die Gefangenen aufgefordert, den Wachen zu folgen und stumm<br />

setzten sich alle in Bewegung. Eine Minute später hockten sie bereits in dem etwas entfernt<br />

geparkten Kastenwagen und dann ging es auch schon los, nachhause. Bones hatte sich an-<br />

gelehnt und Booth lag halb auf ihrem Schoß, die Augen geschlossen, am Ende seiner Kräfte.<br />

Er wollte nur noch fort von hier, wollte in ihr Zimmer, wollte sich ins Bett legen und an nichts<br />

mehr denken.<br />

Während der Rückfahrt kam kein Gespräch auf, zu fertig waren alle und keiner hatte<br />

Interesse an einer Unterhaltung. Als der Wagen schließlich in die Tiefgarage fuhr und stoppte,<br />

atmeten alle auf. Man ließ sie aussteigen und schaffte sie zu den Fahrstühlen. Minuten später<br />

waren alle in ihren Räumen. Kurze Zeit später wurde auch die zweite Gruppe in ihre Zimmer<br />

zurück gebracht und ohne Ausnahme verschwanden alle schleunigst unter den Duschen.<br />

Sawyer hatte ebenfalls während der gesamten Rückfahrt kein Wort gesagt, er hatte wie tot in<br />

Kates Armen gelegen und nur am ruhigen Heben und Senken seiner Brust war überhaupt zu<br />

sehen gewesen, dass er noch lebte. Kate hatte ihn einfach nur fest gehalten, hatte ihm ohne es<br />

zu merken, immer wieder sanft über die verschwitzten Haare gestreichelt und ihn beobachtet.<br />

Erneut grenzte es an ein Wunder, dass er überlebt hatte. Als sie eng an ihn gedrückt unter der<br />

Dusche stand und das warme Wasser aufdrehte, wurde ihr bewusst, so sehr bewusst, dass er<br />

noch bei ihr war, dass er überlebt hatte, dass sie ihn nicht doch noch verloren hatte. Sie griff<br />

nach der Seife und begann sanft, ihn einzuschäumen. Still ließ er es geschehen und sagte noch<br />

immer keinen Ton. Schnell seifte Kate sich selbst ein und in der Zeit wusch Sawyer sich<br />

geistesabwesend die Haare. Schließlich stiegen sie zusammen aus der Duschkabine und weil<br />

Sawyer keine Anstalten machte, sich abzutrocknen, griff Kate nach einem Handtuch und<br />

rubbelte ihn trocken. Dann erst trocknete sie sich selbst ebenfalls ab. Mit den Gedanken immer<br />

noch ganz woanders stand Sawyer da und starrte vor sich hin. Kate legte ihm einen Arm um<br />

die Taille und führte ihn mit sanfter Gewalt in das Schlafzimmer hinüber. Dann dirigierte sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihn zum Bett und er ließ sich langsam darauf nieder. „Leg dich hin, Baby, du zitterst.“, sagte<br />

Kate leise, als sie sah, dass ihm ein Kälteschauer über den Körper huschte. Widerstandslos ließ<br />

sich der junge Mann in die Waagerechte drücken und Kate glitt zu ihm ins Bett, zog die Zu-<br />

decke über ihre Körper. Sie kuschelte sich so eng es ging an ihn und legte den Arm über<br />

Sawyer. So lagen sie lange schweigend nebeneinander. Und plötzlich sagte der Südstaatler<br />

ganz leise: „Ich hab nicht damit gerechnet, dass ich es überlebe.“<br />

*****<br />

In den anderen Zimmern herrschte einige Zeit auch Schweigen, aber als die ersten<br />

frisch gewaschen bei einer Dose Cola auf den Sofas hockten, kamen langsam wieder Ge-<br />

spräche auf. Ziva stieß gerade hasserfüllt hervor: „Hast du Sawyers Augen gesehen? Das wird<br />

er nie wieder loswerden. Und ich wette, Booth geht es genauso beschissen. Das werden die<br />

Beiden bis an ihr Lebensende mit sich herum schleppen und auch Kate und Tempe werden<br />

das.“ Abby hatte sich neben Ziva gesetzt und nickte. „Ja, das ist der ... das ist die grausamste<br />

Art zu sterben, die ich mir denken kann. Ich bin sicher, ich hätte nicht einmal die zwei Stunden<br />

überlebt, ich wäre vor Angst schon vorher eingegangen. <strong>Die</strong> beiden Jungs tun mir so unendlich<br />

leid, Ziva. Ich glaube, Sawyers Augen werde ich nie wieder vergessen können. So viel Angst,<br />

so viel Grauen war in ihnen. Er lag da unten und erstickte, und sah die Rettung über sich.“<br />

Erschüttert schwieg Abby und auch Ziva sagte nichts mehr. Ein paar Zimmer weiter fragte<br />

Allison gerade: „War er noch bei Bewusstsein, als ihr die Kiste frei gelegt hattet?“ House<br />

nickte. „Ja, er war noch ... Er bekam mit, dass wir keine Möglichkeit fanden, die scheiß Kiste<br />

zu öffnen. Er sah die Rettung vor sich und dann ging ihm die Luft endgültig aus ...“ House<br />

schwieg erschüttert und Allison liefen Tränen über die Wangen. „Wie unendlich grausam muss<br />

das sein. Zu sehen, dass die Rettung da ist und gleichzeitig zu wissen, dass sie zu spät kommen<br />

wird?“ Tränen kullerten der jungen Frau über die Wangen und sie schüttelte sich.<br />

*****<br />

Booth lag im Bett, zugedeckt bis zur Nasenspitze, und hatte einen Arm unter den Kopf<br />

gelegt. Er starrte schon seit vielen Minuten zur Decke hoch, stumm, ohne den Blick abzu-<br />

wenden. Bones setzte sich zu ihm auf das Bett und sprach ihn leise an. „Schatz, wie fühlst du<br />

dich?“ Wie aus tiefem Schlaf erwachend zuckte Booth zusammen und sah Tempe an. „Was?“<br />

Das war das erste Wort, das er überhaupt von sich gab. Leise wiederholte Bones: „Wie fühlst<br />

du dich?“ Booth starrte wieder zur Decke. „Ich weiß nicht. Ich fühle irgendwie gar nichts.“<br />

Bones schüttelte besorgt den Kopf. Dann glitt sie zu Booth unter die Decke und kuschelte sich<br />

an seinen warmen, nackten Körper. „Das war eine furchtbare Erfahrung, ich weiß es ja selbst,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wie man sich in einer solchen Situation fühlt. Nur, dass ich nicht alleine gewesen bin und das<br />

Hodgins und ich etwas tun konnten. Du konntest nicht das Geringste machen, um dir selbst zu<br />

helfen. Booth, du musst versuchen, darüber zu Reden und es dann zu vergessen.“ „Irgendwann<br />

...“, erklärte Booth leise.<br />

Von Laborratten und Versuchskaninchen<br />

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten.<br />

Berthold Brecht<br />

Mühsam versuchte Kostan, die Augen zu öffnen. Er hatte das unangenehme Gefühl,<br />

keinen heilen Knochen mehr im Leib zu haben. Gequält stöhnte er auf. Das erste, was er<br />

merkte war, dass er sich bewegen konnte. Dann hörte er eine vertraute Stimme. „Mr. Kostan,<br />

Sir, da sind Sie ja wieder.“ Jetzt öffnete Josef endgültig die Augen. Er sah direkt in das Ge-<br />

sicht des Portiers des Gebäudes, in dem er wohnte. Wo er sich jedoch befand, konnte Josef so<br />

schnell nicht lokalisieren. „Wo bin ich ...“, ächzte er mühsam. „Sir, Sie sind mir gestern Nacht<br />

direkt vor die Füße gestürzt, einen Pflock von der Größe eines Baseballschlägers im Rücken.<br />

Ich habe mir erlaubt, Sie aufzusammeln und in Sicherheit zu bringen. Sie werden sich schnell<br />

besser fühlen, ich habe Ihnen mehrfach AB positiv injiziert. Sie sind in meiner Wohnung, Sir.<br />

Ihre Angreifer hatten scheinbar das Pech, dass Sie unter dem Treffer in Ihrem Rücken über<br />

die Brüstung geschleudert wurden. Wir haben Ihre Bodyguards, oder, so muss ich leider<br />

sagen, dass, was von ihnen übrig war, auf dem Flur und im Eingangsbereich ihrer Wohnung<br />

gefunden, Sir. Sie wurde ... vernichtet.“ Josef hatte aufmerksam zu gehört. Jetzt knurrte er<br />

genervt: „Was waren das für Typen, die <strong>mich</strong> überfallen haben, Kevin?“ Der Portier zuckte<br />

die Schultern und half Josef, sich vorsichtig aufzusetzen. Er drückte dem schwer an-<br />

geschlagenen Vampir ein Glas mit Blut in die Hand und sagte ruhig: „Hier, Sir, trinken Sie,<br />

das wird Ihnen gut tun.“ Josef griff dankbar nach dem angebotenen Blut und leerte das Glas<br />

auf einen Zug. Er spürte die angenehme Wärme, die ihn durchflutete, bildete sich ein, spüren<br />

zu können, wie seine zerschmetterten Knochen sich in Sekundenschnelle wieder re-<br />

generierten. Erleichtert atmete er auf.<br />

„Hat jemand meinen Sturz mitbekommen, Kevin?“, fragte er dann besorgt. „Nein, Sir.<br />

Wie durch ein Wunder war die Straße zu dem Zeitpunkt vollkommen menschenleer. Nur<br />

438


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jules, der Nachtportier und ich selbst haben Ihre unfreiwillige Landung mitbekommen. Er<br />

half mir, Sie schnellstens fort zu schaffen, bevor die Männer, die Sie offensichtlich überfallen<br />

haben, die Straße erreichten. Wir haben den Pflock auf der Straße liegen lassen und die<br />

Männer äußerten die Vermutung, dass dieser bei dem Aufprall aus Ihrem Körper geschleudert<br />

wurde und Sie sich somit aus eigener Kraft in Sicherheit bringen konnten.“ Kevin grinste ver-<br />

halten. „Leider mussten wir Sie kurz in der Besenkammer zwischen lagern, da wir abwarten<br />

mussten, dass die Männer verschwanden.“ Josef nickte. „Das sei Ihnen verziehen, Kevin. Ich<br />

weiß Ihre sofortige Hilfe sehr zu schätzen und werde <strong>mich</strong> dafür selbstverständlich verbind-<br />

lich zeigen.“ Kevin schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig, Sir, dafür bezahlen Sie uns<br />

schließlich. Es war uns eine Freude und Ehre, Ihnen helfen zu können. Wenn Sie sich besser<br />

fühlen, sollte ermittelt werden, was das für Männer waren, die versucht haben, Sie zu über-<br />

wältigen.“<br />

Josef sah sich in dem Raum, in dem er lag, um. „Wenn ich <strong>mich</strong> eine Weile in ihre<br />

Kühltruhe legen könnte, wäre mir das sehr angenehm.“ Er hatte die große, weiße Kiste in<br />

einer Zimmerecke lokalisiert. Kevin grinste. „Selbstverständlich, Sir. In ihre Wohnung sollten<br />

Sie erst einmal nicht zurückkehren. Machen Sie es sich gemütlich. Bevor Sie sich allerdings<br />

zur Ruhe begeben, sollten Sie noch wissen, dass es uns gelungen ist, einen der Männer, die<br />

Sie überfallen haben, zu erwischen. Er war besinnungslos und seine Freunde hielten ihn wohl<br />

für Tod.“ Josef war plötzlich wie elektrisiert. „Wo ist er?“, fragte er gespannt. Kevin grinste.<br />

„Bei einer guten Freundin im Keller. Sie können sich später ausgiebig mit dem Kerl befassen,<br />

Sir.“ In Josefs Augen war plötzlich ein grausames Funkeln. „Das werde ich tun.“ Sein<br />

jungenhaftes Gesicht wirkte plötzlich wie eine eiskalte Fratze. Er richtete sich langsam und<br />

vorsichtig auf. Der Portier half Kostan, sich zu erheben und zur Kühltruhe hinüber zu<br />

wanken. Aufstöhnend ließ Josef sich in die Truhe gleiten und Kevin schloss den Deckel über<br />

seinem Arbeitgeber.<br />

*****<br />

Irgendwann war Sawyer in Kates Armen vor Erschöpfung eingeschlafen. Er hatte kein<br />

Wort mehr gesagt und Kate war vor Sorge krank. Sie selbst hatte kaum geschlafen in dieser<br />

Nacht. Sie lag in der Dunkelheit und lauschte auf Sawyers ruhige, gleichmäßige Atemzüge.<br />

Einmal wurde er kurz etwas unruhig, aber bevor Kate etwas unternehmen konnte, beruhigte er<br />

sich von ganz alleine und schlief ruhig weiter. Kate versuchte sich vorzustellen, was er da in<br />

der Glasbox hatte durch machen müssen, aber es überstieg ihre Vorstellungskraft. Sie hatte<br />

seine Augen gesehen, unmittelbar bevor er endgültig keine Luft mehr bekommen hatte und<br />

439


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte das unermessliche Grauen, die Angst in ihnen erkannt. Es musste die Hölle gewesen<br />

sein. Sie würde alles daran setzen, ihm über diese Sache hinweg zu helfen. Kurz dachte sie an<br />

Booth und Bones. Wie es den Beiden wohl ging? Irgendwann döste sie schließlich doch noch<br />

ein und wachte davon auf, dass der Weckton durch das Zimmer dröhnte. Sawyer wälzte sich<br />

seufzend auf den Rücken und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Dann sah er Kate<br />

an. Er holte tief Luft, sagte leise: „Hey.“ Kate schossen Tränen in die Augen. <strong>Die</strong>ses kleine<br />

Wort drückte mehr über Sawyers Seelenzustand aus, als es tausend Worte getan hätten.<br />

„Hey.“, erwiderte sie leise. „Wie fühlst du dich?“ Sawyer seufzte leise. „Keine Ahnung, ehr-<br />

lich. Ich hab gut geschlafen, erstaunlich gut. Kate, ich ... Wie sollen wir bloß jemals mit all<br />

dem fertig werden?“ <strong>Die</strong> junge Frau beugte sich über ihn und gab ihm einen sanften Kuss.<br />

„Ich weiß es nicht, aber wir schaffen das, wir beide werden es schaffen, Honey, da bin ich<br />

sicher. Wenn wir nur lange genug am Leben bleiben.“<br />

*****<br />

Nach dem Frühstück wurden die Gefangenen verteilt. House und Mick wurden zu-<br />

sammen fort gebracht. In einem Raum, der einem Untersuchungszimmer glich, musste Mick<br />

sich auf eine Liege niederlassen. Er wurde fest geschnallt und wartete nervös darauf, was sie<br />

mit ihm vorhatten. House hatte man vor der Tür stehen lassen, er wurde scheinbar nicht be-<br />

nötigt. Jetzt betraten mehrere Weißkittel, Ärzte, das wusste Mick inzwischen zur Genüge, den<br />

Raum. Sie traten an die Liege und betrachteten Mick wie ein Insekt, dass es zu analysieren<br />

galt. „Wie reagierst du auf Gifte?“, fragte einer der Ärzte ihn ruhig. Verblüfft überlegte Mick.<br />

„Was? Ich habe keine Ahnung, Sir. Ich kann <strong>mich</strong> nicht erinnern, je mit Giften in Berührung<br />

gekommen zu sein.“ Der Arzt nickte. „Nun, wir haben die Absicht, dies genau jetzt heraus zu<br />

finden, mein spitzzähniger Freund. Wir werden dich einer ganzen Reihe von biologischen und<br />

chemischen Toxinen aussetzen. Dabei werden wir deine Intoxikation, sofern denn eine auf-<br />

tritt, sehr genau beobachten. Solltest du negativ reagieren, werden wir uns Ersatz holen, was<br />

dank dir ja kein Problem mehr ist.“ Der Arzt beugte sich über Mick und legte diesem einen<br />

Venenzugang. Dann holte er aus einem verschlossenen Schrank eine Reihe von aufgezogenen<br />

Spritzen und legte diese auf einen Laborwagen, den er zu Mick hinüber rollte. „Wir werden<br />

alphabetisch vorgehen, das erschien uns am sinnvollsten. Bringt Nummer 4 herein.“ <strong>Die</strong> Tür<br />

ging auf und eine Wache führte nun doch House herein. „Du wirst an dem Intoxikationstest<br />

teilnehmen, du wirst ihn sogar durchführen, klar? Du wirst dir sehr genau aufschreiben wie<br />

Nummer 13 auf die einzelnen Substanzen reagiert, hast du verstanden?“ „Ja, ich habe ver-<br />

standen, Sir.“ House bekam einen Stuhl und einen kleinen Schreibtisch gegenüber der Liege<br />

zugeteilt. Dann nahm der Arzt die erste Spritze und erklärte: „Das ist Toxin Nummer 1,<br />

440


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Arsentrioxid.“ <strong>Die</strong> Spritze wurde an die Kanüle angesetzt und der Arzt injizierte Mick das<br />

Gift in die Blutbahn.<br />

House beobachtete angewidert, wie der Arzt Mick das Gift injizierte. Er sah dem<br />

jungen Mann an, dass dieser sich unbehaglich fühlte. Der Vampir wusste nicht, wie Gifte auf<br />

seinen veränderten Organismus wirkten und hatte daher verständlicherweise ein ungutes Ge-<br />

fühl. <strong>Die</strong> anderen Ärzte hatten die Injektion genau beobachtet und wirkten sehr zufrieden.<br />

„Wir werden das Experiment über Monitore beobachten. Du wirst hier bei Nummer 13<br />

bleiben und für die weitere Ausführung verantwortlich sein. Wir werden dir per Lautsprecher<br />

Anweisungen geben.“ House nickte frustriert. „Ja, Sir.“ Und schon war er mit dem ge-<br />

fesselten Vampir alleine. „Stimmt das? Hast du keinerlei Erfahrungen mit Giften?“ Mick lag<br />

da, fest geschnallt an den Armen, Beinen und über Brust und Hüfte und schüttelte den Kopf.<br />

„Nein, hab ich nicht. Ich kann dir Vorträge darüber halten, welche Auswirkungen ver-<br />

schiedene Kalibertypen an verschiedenen Punkten meines Körpers haben, welche Wirkungen<br />

verschiedenartige Steckwerkzeuge und Waffen haben, aber Gifte ... Keinen Schimmer.<br />

Theoretisch sollte nichts passieren, aber was ist schon Theorie. Genau so kann es passieren,<br />

dass es zu paradoxen Wirkungen kommt. Ich habe <strong>mich</strong> nie gefragt, was in meinem Körper<br />

seit der Umwandlung alles anders funktioniert. <strong>Die</strong>se .... Unsere Gastgeber dürften in-<br />

zwischen über meine Körperfunktionen mehr wissen als ich selbst. Ganz ehrlich, House, ich<br />

habe ... Angst. Ich weiß nicht, was geschehen wird.“ House hatte aufmerksam zu gehört. „Da<br />

du nicht weißt, ob es zu Reaktionen kommen wird, erübrigt sich natürlich auch die Frage nach<br />

dem welche Reaktionen. Und da du darüber auch nichts weißt, ist auch die nächste Frage,<br />

nämlich die, was zu tun ist, wenn Reaktionen auftreten, denkbar sinnlos, was?“ Mick lag da<br />

und lauschte in sich hinein. „Völlig sinnlos.“, sagte er leise.<br />

*****<br />

Ohne Rücksicht auf das, was mit Sawyer und Booth passiert war, nahmen die Ent-<br />

führer am folgenden Tag die Ausbildung wieder auf. Beth war zusammen mit Kate, Bones,<br />

Ziva, Heather und Abby abgeholt worden. Man brachte die Frauen in die Sporthalle und ver-<br />

teilte sie paarweise auf große Matten. Bones und Kate hatten die Gelegenheit genutzt, sich zu<br />

Bedanken für die Hilfe bei der Suche nach Booth und Sawyer, waren aber von den Wachen<br />

brüsk unterbrochen worden. Kate und Heather, Bones und Abby und Ziva und Beth wurden<br />

zusammengestellt. <strong>Die</strong> Frauen bekamen Kopfschutze, dann erklärte man ihnen: „5, 6 und 8,<br />

ihr werdet den Ladys ein wenig Selbstverteidigung beibringen. 9, 11 und 14, ihr passt besser<br />

sehr genau auf, denn selbstverständlich werden wir euch Testen. Ein bis zwei Stunden täglich.<br />

441


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Auf geht’s.“ Verblüfft bemühten Bones, Kate und Ziva sich in den nächsten zwei Stunden,<br />

Heather, Beth und Abby Grundlagen der Selbstverteidigung beizubringen. Kate hatte das<br />

Kämpfen auf der Straße gelernt. Bones und Ziva waren richtig ausgebildet worden. Aber alle<br />

drei konnten durchaus auch von einander noch einiges lernen und hatten aufmerksame<br />

Zuseherinnen. Nach zwei Stunden waren die drei Frauen in der Lage, gewisse Griffe zur Ab-<br />

wehr eines nicht zu brutalen Angriffes anzuwenden. „Ihr seid gut.“, lobte Ziva und Beth<br />

grinste. „Vielleicht zeigst du mir bei Gelegenheit mal ein paar Methoden, mit Büroklammern<br />

jemanden zu töten?“, fragte sie leise und fixierte dabei unauffällig einen der Wachposten.<br />

Ziva grinste.<br />

*****<br />

Sawyer wurde zu aller Erstaunen nach dem Frühstück aufs Zimmer zurück geschickt.<br />

Gleichgültig und geistesabwesend kehrte er also in den Raum zurück. Er legte sich auf das<br />

Bett und dachte darüber nach, dass er nichts lieber getan hätte, als Locke für die erneute<br />

Rettung zu danken, Booth und Gibbs über seine Lüge aufzuklären und Mulder zu erzählen,<br />

was sie ihn gezwungen hatten zu tun. Sie hatten ihm versprochen dass er, wenn er es schaffte,<br />

die beiden Agents zu überzeugen, sie dann aufklären durfte. Der Test gestern war über-<br />

raschend dazwischen geschoben worden, das war Sawyer klar. Er versuchte, nicht an den<br />

gestrigen Tag zu denken, zu entsetzlich waren die Erinnerungen an den Glassarg. Er ver-<br />

suchte, den normalen Alltag wieder aufzunehmen. Er hatte beobachtet, dass beide Agents<br />

Mulder seit seiner falschen Information mieden. Es tat dem jungen Mann unendlich leid, dass<br />

er seinen Mitgefangenen das hatte antun müssen. <strong>Die</strong> Gedanken daran halfen ihm, nicht<br />

ständig an die Glasbox zu denken. Als er nach einiger Zeit doch abgeholt wurde, brachte man<br />

ihn in einen kleinen Raum mit einem Tisch und vier Stühlen. Erstaunt, was das nun wieder zu<br />

bedeuten hatte, ließ Sawyer sich müde auf einen der Stühle fallen. Minuten später wurden,<br />

den blonden Mann riss es fast vom Hocker, Booth, der noch ziemlich neben sich wirkte,<br />

Mulder und Gibbs herein gebracht. Mulder grinste Sawyer an und ließ sich auf einen der<br />

Stühle fallen. Erwartungsvoll sah er sich um. Der Wachposten, der die drei Männer brachte,<br />

sah Sawyer scharf an. „Du hast eine halbe Stunde, Meister, verstanden?“ Sawyer nickte.<br />

„Verstanden, Sir. Ich darf alles sagen?“ Der Wachposten nickte. „Das darfst du, ja.“ Der<br />

Mann drehte sich herum und verließ den kleinen Raum. Booth und Gibbs sahen misstrauisch<br />

auf Mulder und dann auf Sawyer. „Was soll das hier?“, fragte Gibbs ruhig. Sawyer seufzte.<br />

„Setzt euch hin, es macht <strong>mich</strong> ganz zappelig, wenn ihr da rum steht.“ Zögernd ließen Booth<br />

und Gibbs sich ebenfalls auf Stühle sinken. Sawyer seufzte erneut, dann fuhr er sich in einer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hilflosen Geste mit den Fingern durch die sehr lang gewordenen Haare. Leise fing er an:<br />

„Hört mir bitte einfach zu, okay, ich muss euch etwas erklären.“<br />

Der junge Mann redete eine ganze Weile und Mulder, Gibbs und Booth, dem die Ab-<br />

lenkung scheinbar ebenso gut tat wie Sawyer selbst, hörten ungläubig zu. Mulder blieb cool,<br />

er zuckte die Schultern und meinte dann gelassen: „Weißt du, Sawyer, mach dir da bloß<br />

keinen Kopf, okay? Das war nicht deine Schuld. Was die verlangen, müssen wir machen,<br />

egal, ob es uns schmeckt oder nicht, das ist uns allen mehr als klar. Wenn du es geschafft hast,<br />

Booth und Gibbs zu überzeugen, bist du gut.“ <strong>Die</strong> beiden Genannten nickten überein-<br />

stimmend. „Er hat es geschafft. Selten zuvor war ich von etwas so überzeugt. Sawyer, du bist<br />

ehrlich gut.“ Gibbs sah den jüngeren Mann grinsend an und fuhr fort: „Ich fasse es nicht, dass<br />

du <strong>mich</strong> so eingewickelt hast. Dir glaube ich in Zukunft nichts mehr.“ Er schmunzelte und<br />

Sawyer fiel ein Stein vom Herzen. Er sah Booth geradezu flehend an. „Ich muss erst mal mit<br />

der Tatsache fertig werden, dass <strong>mich</strong> ein Rebell so vorgeführt hat, das fasse ich ja wohl<br />

nicht. Wenn das Bones zu Ohren kommt ...“ Der Agent verzog genervt das Gesicht. Mulder<br />

grinste. „Freunde, ich glaube, wir haben Booth in der Hand, was meint ihr?“ Unendlich er-<br />

leichtert atmete Sawyer auf.<br />

*****<br />

House griff nach der dritten Spritze. Botulinum. Arsen hatte keinerlei Wirkungen ge-<br />

zeigt, ebenso nicht der Bazillus für Anthrax, besser bekannt als Milzbrand. Botulinum war<br />

nun wieder ein echtes Gift, ein Neurotoxin, produziert von der Bazillenart Clostridium<br />

botulinum, welches unter anderem Lähmungen hervor rief. Mehr als genervt verabreichte<br />

House Mick bereits die dritte Substanz. Auch dieses Gift zeigte keinerlei Wirkungen und<br />

langsam entspannte Mick sich ein wenig. Besonders, als nach dieser dritten Spritze irgend-<br />

wann eine Wache herein kam und Mick von seinen Fesseln befreite. „Schluss für heute,<br />

morgen geht es weiter.“ Der Wachposten führte die beiden Männer in die Wohnungen zurück<br />

und beide stellten leicht beunruhigt fest, dass die Frauen nicht anwesend waren. Doch schon<br />

Minuten später wurden Allison und Beth gebracht. Erleichtert zog Mick Beth an sich. „Hey,<br />

wie war dein Tag?“ Beth grinste. „Du wirst es nicht glauben, Ziva bringt mir Selbstver-<br />

teidigung bei.“ Mick sah Beth erstaunt an. Und bemerkte nun an ihren Armen und Beinen<br />

kleine Blutergüsse. „Hm, das sieht man. Und, klappt es?“ Beth zog Mick hinüber zum Sofa<br />

und ließ sich darauf fallen. „Wie man es nimmt. Ich habe zwei Griffe gelernt, die nicht allzu<br />

ernst gemeinte Angriffe abwehren können. Ich soll jeden Tag zwei Stunden trainieren, die<br />

wollen uns testen.“ „Uns?“, fragte Mick und sah Beth erstaunt an. „Ja, uns, Heather und Abby<br />

443


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werden von Kate und Bones unterwiesen. Mick, die sind verdammt gut. Ziva und Bones<br />

haben zusammen einen richtigen Kampf ausfechten müssen, gegen Jake und Booth. Und stell<br />

dir vor, die Männer haben verloren. Gegen Ziva und Tempe hättest du auch keine Chance.“<br />

Mick grinste. „Ich sollte wohl auch mal richtig zum Training gehen, was?“ „Würde dir gut<br />

tun, du kommst mir viel zu oft lädiert nach Hause.“ Beth grinste. Mick wollte antworten,<br />

wurde aber von einer Lautsprecherdurchsage unterbrochen. „Abendbrot.“<br />

Minuten später saßen alle Gefangenen am Tisch und unterhielten sich. Sie waren<br />

alleine, hatten das Essen auf dem Tisch vor gefunden und konnten sich ungezwungen unter-<br />

halten. Das Thema Glassärge wurde gezielt vermieden, um Sawyer und Booth, die sehr<br />

schweigsam waren, die Möglichkeit zu geben, dass schnell hinter sich zu lassen. Dass sie be-<br />

ständig beobachtet und belauscht wurden, ignorierten sie inzwischen gänzlich. Was sie alle<br />

über ihre Gastgeber dachten, war diesen ohnehin klar, Fluchtpläne wurden nicht geschmiedet,<br />

da allen klar war, dass schon der Gedanke daran lächerlich war. Und alles andere konnten die<br />

Entführer gerne hören. Gerade grinste Mick, der sein Glas A positiv vor sich stehen hatte,<br />

Ziva an und fragte: „Bist du wirklich so gut wie Beth sagt?“ Bevor noch Ziva dazu kam, zu<br />

antworten, stießen Booth und Jake wie aus einem Mund hervor: „Ist sie ...“ Alle lachten. „Ich<br />

tue ungern Männern weh, weißt du, sonst würde ich es dir gerne demonstrieren.“ Ziva grinste<br />

Mick herausfordernd an. „Einen Vampir habe ich bisher noch nicht auf meiner Liste.“ Mick<br />

winkte lachend ab. „Muss auch nicht sein. Ich wurde heute mit Gift vollgepumpt, ich brauche<br />

nicht noch eine Prügelei.“ „Gift?“, fragte Beth erschrocken. „Keine Sorge, es geht mir gut.“,<br />

beruhigte Mick die junge Frau. Beth und auch einige andere wollten Nachhaken, wurden aber<br />

unterbrochen, als die Tür auf ging und eine Wache herein kam. Der Mann hatte einige Zettel<br />

in der Hand und reichte Gibbs, der am Kopfende des Tisches saß, diese Zettel mit den<br />

Worten: „Weiter reichen.“ Gibbs nahm erstaunt die Zettel entgegen und sagte: „Natürlich,<br />

Sir.“ Dann reichte er an jeden der Gefangenen einen Zettel weiter. Erst dann warf er einen<br />

Blick darauf und erstarrte.<br />

Suche offiziell eingestellt.<br />

Washington/Los Angeles, 11.04.2006 - Wie die<br />

amtliche Nachrichtenagentur AP am Nachmittag in<br />

einer öffentlichen Pressekonferenz mitteilte, wurde<br />

444


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Suche und die Ermittlungen im Falle der am 11.<br />

November 2005 spurlos verschwundenen 22<br />

Passagiere des Qantas Fluges 815 von Sydney nach<br />

Los Angeles heute von CIA Direktor Michael Hayden<br />

sowie Minister Michael Chertoff, Homeland Security,<br />

offiziell für beendet erklärt. Hayden erklärte, dass die<br />

Chancen, die Verschwundenen noch lebend wieder<br />

zu finden, nach 5 Monaten nahe Null liegen. „Wir<br />

können unsere Ermittler nicht länger mit einer nahezu<br />

hoffnungslosen Suche von ihren eigentlichen Aufgaben,<br />

dem Schutz unseres Landes, abhalten.“<br />

Chertoff betonte jedoch, dass sollten sich neue Hinweise<br />

oder Spuren ergeben die Ermittlungen in eingeschränktem<br />

Maße wieder aufgenommen werden.<br />

FBI Direktor Robert S. Mueller und SecNav Donald<br />

C. Winter erklärten übereinstimmend, dass sie für<br />

ihre verschwundenen Agents alles nur menschenmögliche<br />

getan hätten, um diese wieder zu finden.<br />

<strong>Die</strong> Einstellung der Suche sei in Absprache mit den<br />

Angehörigen der vermissten Personen geschehen.<br />

Für die verschwundenen Agenten ist am 20. April<br />

eine offizielle Beisetzungsfeier vorgesehen, der<br />

neben den Angehörigen der Verschwundenen auch<br />

Vertreter aller betroffenen Behörden beiwohnen<br />

werden. Ging man anfangs noch davon aus, dass<br />

die Entführung politische Hintergründe haben müsse,<br />

scheint jetzt sicher zu sein, dass lediglich den Ermittlungsbehörden<br />

ein herber Verlust außergewöhnlicher<br />

Agenten zugefügt werden sollte. <strong>Die</strong> <strong>Über</strong>legungen,<br />

dass die ebenfalls verschwundenen<br />

Zivilisten an der Entführung beteiligt waren, scheint<br />

die Ermittler der Behörden in zwei Lager geteilt zu<br />

haben. Einige sind fest davon überzeugt, dass die<br />

Zivilpersonen, es handelt sich um 11 Personen,<br />

deren Namen bekannt sind, an der Entführung beteiligt<br />

waren. Andere, wie Agent Monica Reyes, FBI,<br />

sind absolut sicher, dass wenigstens 5 der 11<br />

Zivilisten mit der Entführung nicht das Geringste zu<br />

tun haben.<br />

<strong>Die</strong> Einstellung der Ermittlungen hat bei den direkten<br />

Vorgesetzten der Vermissten, wie zum Beispielbei<br />

FBI Assistent Direktor Walter Skinner, Unverständnis<br />

und Empörung ausgelöst. Auch Direktor Jennifer<br />

Shepard, Naval Criminal Investigative Service, sagte<br />

mehr als deutlich „Wenn auch die offizielle Suche<br />

445


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nach meinen drei Mitarbeitern eingestellt wurde,<br />

werden unsere Agenten zur Not in ihrer Freizeit<br />

weiter alles Menschen mögliche tun, um die vermissten<br />

Kollegen und Freunde wieder zu finden. Das<br />

Special Agent Gibbs, Officer David und Miss Sciuto<br />

für tot erklärt werden, ist inakzeptabel.“ Der leitende<br />

Direktor des Crime Scene Investigation Las Vegas,<br />

Conrad Ecklie, betonte, dass auch er gewillt sei,<br />

seine Ermittlungsbeamten weiterhin an der Suche<br />

nach den vermissten Kollegen Sara Sidle und Dr. Gil<br />

Grissom arbeiten zu lassen, solange die eigentliche<br />

Arbeit nicht darunter leide. CSI Warrick Brown erklärte<br />

„Solange wir nicht die Leichen unserer<br />

Kollegen vor uns liegen haben, wird es für uns alle<br />

hier keine Einstellung der Suche geben. Sara und Gil<br />

sind nicht einfach Kollegen, sie sind im Laufe vieler<br />

gemeinsamer Jahre Freunde geworden.“<br />

<strong>Die</strong> Leiterin der Forensischen Abteilung des<br />

Jeffersonian Institute Washington, Dr. Camille<br />

Saroyan, erklärte in einer amtlichen Pressemitteilung,<br />

dass sie jede Initiative ihrer Wissenschaftler<br />

zur Auffindung der Kollegin Dr. Temperance Brennan<br />

befürworte. Sie betonte jedoch, dass sie nicht das<br />

Risiko von Kündigungen auf Grund von Insubordination<br />

eingehen würde. Dr. Lisa Cuddy, die<br />

Leiterin des Princeton Plainsboro, des Krankenhauses,<br />

aus dem die beiden ebenfalls verschwundenen<br />

Ärzte Dr. Gregory House und Dr.<br />

Allison Cameron stammen, sprach von einem<br />

schweren Verlust, glaube aber nicht mehr daran, die<br />

beiden Ärzte lebend wieder zu sehen. „Wir, dass<br />

heißt, das verbleibende Team unserer<br />

diagnostischen Abteilung, Dr. Robert Chase und Dr.<br />

Eric Foreman, sowie unser Onkologe Dr. James<br />

Wilson und ich selbst, werden zu der Beisetzungsfeier<br />

gehen, um unseren Kollegen die letzte Ehre zu<br />

erweisen.“<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass einige<br />

großartige Ermittler, Wissenschaftler und Menschen<br />

höchstwahrscheinlich für immer verschwunden sind.<br />

In dem wir hier ihre Namen nennen, wollen wir ihre<br />

Arbeit im <strong>Die</strong>nste der Menschen in unserem Lande<br />

ehren und den Angehörigen unser tiefstes Beileid<br />

und Bedauern über den tragischen Verlust aussprechen.<br />

446


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Special Agent Fox Mulder, 13.10.1961 - 11.11.2006<br />

Special Agent Dana Scully, 23.02.1964 - 11.11.2006<br />

Special Agent Seeley Booth, sechzehn.05.1969 -<br />

11.11.2006<br />

Special Agent Jethro Gibbs, 02.09.1951 - 11.11.2006<br />

Officer Ziva David, 19.11.1979 - 11.11.2006<br />

Abigail Sciuto, 27.03.1969 - 11.11.2006<br />

Supervisor Gilbert Grissom, 17.08.1956 - 11.11.2006<br />

CSI L3 Sara Sidle, sechzehn.09.1971 - 11.11.2006<br />

Dr. Gregory House, 11.06.1959 - 11.11.2006<br />

Dr. Allison Cameron, 12.04.1979 - 11.11.2006<br />

Dr. Temperance Brennan, 11.10.1976 - 11.11.2006<br />

Alles hat seine Zeit.<br />

Es gibt eine Zeit der Stille;<br />

eine Zeit der Schmerzen,<br />

eine Zeit der Trauer und<br />

eine Zeit der dankbaren Erinnerung.<br />

(James Connolly, USA Today)<br />

<strong>Die</strong> Folter<br />

Der Wunsch nach dem Geständnis war die Grundlage für die Folter.<br />

Russell Bertrand<br />

„Entführen? Das ist ja verrückt. Wer sollte dich entführen wollen?“ Josef saß bei<br />

einem Bekannten auf der Couch und starrte wütend vor sich hin. „Na, was glaubst du wohl,<br />

die haben sich mir vorgestellt und, bevor sie mir einen Pflock in den Rücken schossen, ihre<br />

Intentionen genau unterbreitet.“ Er starrte sein Gegenüber an und fuhr dann fort:<br />

„Selbstverständlich weiß ich nicht, wer sie waren und was sie wollten. Mich, ganz offensicht-<br />

lich, aber warum und wofür? Ich habe keine Ahnung. Eins weiß ich sicher: Es waren<br />

Menschen.“ Er schwieg erneut und sagte dann gedankenverloren: „Ich könnte mir fast ... Ob<br />

es mit dem spurlosen Verschwinden Micks zu tun haben könnte?“ Er erhob sich und erklärte:<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ich bin wieder absolut fit, dank einiger Helfer. Ich werde <strong>mich</strong> mal ganz ausführlich mit dem<br />

Typen unterhalten, den Kevin und Jules erwischt haben. Kannst du <strong>mich</strong> zu Juliet fahren?“<br />

Zwanzig Minuten später stand der Vampir vor einem großen, alten Haus am Rande von Santa<br />

Monica und klingelte. Eine hübsche, brünette Frau in einem knappen Lederkostüm mit einer<br />

Peitsche in der Linken öffnete ihm die Tür und sagte dann erfreut: „Josef, ich habe dich schon<br />

erwartet. Mein Ehrengast ist in Behandlungsraum 11 untergebracht. Es geht ihm den Um-<br />

ständen entsprechend gut. Du hast dort unten alle Annehmlichkeiten eines Folterkellers und<br />

kannst sie gründlich nutzen.“ Josef grinste die Frau an. „Na, wie deine Folterkeller aus-<br />

gestattet sind, ist mir ja hinlänglich bekannt, liebste Juliet. Hast du viele Kunden heute?“<br />

Juliet schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nur in den oberen Räumen zahlende Gäste, du hast<br />

dort unten im Keller niemanden, der dich stören wird. Versuche nur bitte, keine allzu große<br />

Schweinerei zu machen, das Blut geht aus den Steinen immer so schlecht raus. Viel Ver-<br />

gnügen und viel Erfolg.“<br />

Josef war der Weg in den Folterkeller bekannt. Er selbst suchte dieses Etablissement<br />

zwar nicht auf, hatte es aber für Juliet eingerichtet. Daher waren ihm sämtliche Räumlich-<br />

keiten vertraut. Er stieg in den Keller hinab und ging zielstrebig zur Tür mit der Nummer 11<br />

hinüber. Als er den relativ großen Raum betrat, sah er sofort in der Mitte des Kellers zwischen<br />

zwei Säulen den Gefangenen, nur noch mit Boxershorts bekleidet, hängen. <strong>Die</strong>ser hob den<br />

Kopf und sah dem eintretenden Vampir kalt entgegen. „Na, wen haben wir denn da? Du<br />

blöder Arsch hast doch wohl deutlich mehr Glück als Verstand, was? Fällst über die<br />

Brüstung, es ist nicht zu fassen. Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend.“ Josef trat langsam<br />

näher. Er taxierte den wehrlosen Mann, dessen Hand und Fußgelenke an die Säulen gekettet<br />

waren, mit einem langen Blick und wusste sofort, dass der Kerl ein knallharter Söldner war.<br />

Leicht würde es nicht sein, ihn zum Sprechen zu bringen, das war Josef sofort klar. Er zog<br />

sich einen einfachen Stuhl heran, der an der Wand stand und sagte dann leutselig: „Und du<br />

bist der noch blödere Arsch, der versucht hat, <strong>mich</strong> mit seinen kleinen Ninja-Freunden zu<br />

entführen. Nun, wenn ich mir so anschaue, dass ich hier sitze, während du dort hängst, mein<br />

Freund, stellt sich mir die Frage, wer von uns beiden wohl dämlicher ist.“ Kostan lehnte sich<br />

gemütlich zurück und blickte sein wehrloses Opfer entspannt an. „Wir werden uns mal in<br />

aller Freundschaft ein wenig unterhalten. Wie heißt du?“ Der Kerl grinste. „Gut bezahlter<br />

Söldner.“, erklärte er dann kalt.<br />

Kostan lächelte. „Das ist doch schon mal ein Anfang. Also, gut bezahlter Söldner ...<br />

Söldner alleine tut es auch, du wirst mir sicher nicht freiwillig verraten, wer deine Auftrag-<br />

geber sind, oder?“ Der Kerl lachte. „Doch, sicher. An dem Tag, an dem du deinen Kumpel<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

von ganz alleine findest. Den suchst du doch, oder? Zu schade, dass es uns nicht gelungen ist,<br />

dafür zu sorgen, dass du elender Blutsauger ihm in seinen Qualen Gesellschaft leistest. Wir<br />

durften uns übrigens alle mit seinem blonden Flittchen amüsieren, Kostan. <strong>Die</strong> Puppe war<br />

herzerfrischend. Bis wir sie geschlachtet haben.“ Josef lächelte träge. Kein noch so kleines<br />

Zucken in seinem Gesicht, keine noch so winzige Spur in seinen dunklen Augen verriet dem<br />

Söldner, ob seine Worte den Vampir getroffen hatten. Josef hatte sich vollkommen unter<br />

Kontrolle, zumal er Beth zwar halbwegs erträglich fand, solange sie halbwegs den Mund<br />

hielt, jedoch weit entfernt davon war, für sie freundschaftliche Gefühle zu hegen. Milde<br />

lächelnd erwiderte er: „Das freut <strong>mich</strong> für euch. Hoffentlich hattet ihr viel Spaß. Für dich<br />

kann es durchaus der letzte Spaß in deinem Leben gewesen sein.“ Er sah sich scheinbar<br />

interessiert im Keller um. An einer Wand hingen verschiedene Peitschen, säuberlich an Haken<br />

arrangiert. Daneben stand ein Regal mit Zangen, Haken, Messern, Stechwerkzeugen aller Art,<br />

alles sauber sortiert. Neben den Säulen stand ein mit rot glühenden Kohlen gefülltes Becken.<br />

In ihm steckte bereits ein Brenneisen und einige lange Stahlnägel, alles ebenfalls schon rot<br />

glühend. Juliet hatte alles perfekt vorbereitet.<br />

Der Gefesselte hatte Josefs Blicke durchaus mitbekommen. Wenn er Angst hatte, ließ<br />

er es sich jedoch genau so wenig anmerken wie Kostan Minuten vorher seine Betroffenheit.<br />

Der Vampir stand auf und trat langsam vor den Gefangenen hin. Ruhig erklärte er: „Ich habe<br />

nicht ewig Zeit, schließlich muss ich Geld verdienen. Um es dir noch einmal klar zu machen:<br />

Ich will von dir wissen, warum ihr Spatzenhirne versucht habt, <strong>mich</strong> zu entführen, und wo<br />

Mick St. John steckt. <strong>Die</strong> Reihenfolge ist mir dabei vollkommen gleichgültig.“ Er legte sein<br />

teures Dolce and Gabbana Jackett über den Stuhl und rückte diesen langsam zurück an die<br />

Wand. „Wir wollen das teure Stück doch nicht einsauen.“, sagte er ruhig, als spräche er über<br />

das Wetter. „Ich nehme an, dich tüchtig zu verdreschen wird keinen Erfolg bringen und ich<br />

werde <strong>mich</strong> dabei nur schmutzig machen und unnütz ins Schwitzen kommen.“ Josef lächelte<br />

den Mann freundlich an. Dann erklärte er: „Ich denke, ich werde gleich richtig anfangen, denn<br />

wir wollen doch vor Ostern wieder zu Hause sein.“ Beiläufig griff er nach dem Brenneisen,<br />

zog es am Griff aus den glühenden Kohlen. Sein wehrloses Opfer sah ihn kalt an. „Viel<br />

Spaß.“ Kostan grinste. „Oh, den werde ich haben.“<br />

Er hielt das Brenneisen in der Linken und drückte es geradezu lässig dem Kerl auf den<br />

linken Oberschenkel. Der Mann zuckte zusammen und biss die Zähne aufeinander, dass es<br />

knirschte, das war aber auch die einzige Reaktion. Josef seufzte innerlich. Zwar sagte ihm<br />

sein Verstand, dass es vermutlich keinen Unterschied machte, ob er in einer oder erst in vier<br />

Stunden heraus bekam, wo sein Freund steckte, andererseits ... Sollte es stimmen, was der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kerl da behauptet hatte, wäre Mick vermutlich in höchster Not und es kam sehr wohl auf jede<br />

Minute an. Ihm war klar, dass er den Mann über kurz oder lang zum Reden bringen würde.<br />

Kostan hatte in seinem Jahrhunderte währenden Leben schon ganz andere Kaliber zum<br />

Sprechen gebracht. Unter anderem auch immer wieder mal andere Vampire, deren Körper<br />

erheblich belastbarer waren als die vergleichsweise zerbrechlichen Körper von Menschen.<br />

Trotzdem konnte es auch bei diesen manchmal erstaunlich lange dauern, bis sie zu Reden<br />

bereit waren. Letztlich hatte aber jeder Mensch eine Grenze dessen, was er ertragen konnte.<br />

Josef brauchte nur ein wenig Geduld. Und genau das war es, was der Vampir nicht gerade im<br />

<strong>Über</strong>fluss hatte.<br />

Seufzend drückte er das immer noch glühende Eisen erneut gegen den Körper seines<br />

Gefangenen. <strong>Die</strong>smal auf den Bauch. Wieder und wieder berührte Josef in den folgenden<br />

Minuten an empfindlichen Stellen den Körper, doch außer Zähneknirschen kam kein Ton<br />

über die zu Strichen zusammen gepressten Lippen. Bereits jetzt spürte Josef Ungeduld in sich<br />

aufsteigen. Er legte das Brandeisen ins Feuer zurück und griff mit einer bereit gelegten Zange<br />

nach dem ersten glühenden Nagel. Er betrachtete den Stahlnagel interessiert, sah erstmals ein<br />

schwaches Unbehagen über das Gesicht seines Opfers gleiten und grinste innerlich. Jeder<br />

Mensch hatte seine Grenzen, da bildete dieser Söldner hier keine Ausnahme. Langsam trat er<br />

an den Gefesselten heran und stieß diesem ohne zu Zögern den Nagel in den Oberarm. Und<br />

endlich entrang sich dessen Lippen ein gequältes Zischen. Es stank inzwischen Übelkeit er-<br />

regend nach verbranntem Fleisch. Josef zog den zweiten Nagel aus dem Feuer und diesen<br />

rammte er dem Mann langsam in den Oberschenkel. Gequält keuchte dieser auf. Freundlich<br />

fragte der Vampir: „Erinnerst du dich schon an Details?“ Schwer atmend zischte der Söldner:<br />

„Leck <strong>mich</strong> am Arsch.“<br />

Kostan nickte. Und griff zum nächsten Nagel. <strong>Die</strong>smal war wieder der Oberarm an der<br />

Reihe. Beim zehnten Nagel konnte der Söldner sich erstmals nicht mehr beherrschen und<br />

brüllte gequält auf. Sofort gab Josef dem Mann eine neue Chance. Doch außer Stöhnen kam<br />

kein Ton über dessen Lippen. Nach einigen Minuten stieß er sogar hervor: „Sind dir die ...<br />

Nägel ausgegangen, du dämlicher Bastard?“ Kostan lächelte milde. „Ich möchte dir nur ein<br />

wenig Abwechslung bieten, weißt du.“ Er überlegte. Der Kerl hatte mit Sicherheit keine<br />

Angst vor dem Tod, da hatte Josef Erfahrungen gesammelt. Aber vielleicht ... Wenn er ihm<br />

zusicherte, ihn laufen zu lassen, legte der Kerl vielleicht Wert auf seine Augen. Vielleicht<br />

konnte man dort später ansetzen ... Kostan begann, langsam und mit viel Gewackel die Nägel<br />

nacheinander wieder aus dem Fleisch zu ziehen, was dem Kerl erneut kurze Schmerzens-<br />

schreie entlockte. Dann legte er sie zurück in die glühende Kohle. Er sah sich um und sah in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

einer Ecke auf einem Tisch, was er gesucht hatte. Ein Taser lag dort und wartete auf seinen<br />

Einsatz. Josef schaltete das leistungsstarke Gerät ein und begann, dieses immer wieder an<br />

besonders empfindliche Stellen am Körper seines Gefangenen zu drücken. Unter den Strom-<br />

stößen zuckend hing der Kerl in den Fesseln und als Josef schließlich eine Pause einlegte,<br />

machte der Söldner den Eindruck, als wäre er für den Moment ziemlich fertig.<br />

Wieder fragte Josef ihn: „Nun, ich gebe dir eine neue Chance, mir ein paar<br />

Informationen zukommen zu lassen. Wo ist St. John?“ Keuchend und nach Atem ringend<br />

hing der Söldner in den Fesseln. Schweiß und Blut aus den Stichwunden vermengte sich auf<br />

seiner Haut. Er stieß schließlich, jetzt eindeutig leicht verzweifelt, hervor: „Du ... killst <strong>mich</strong><br />

ohnehin ... Warum soll ich dir also noch etwas verraten ...“ Josef witterte in Sekundenschnelle<br />

seine Chance. Er erklärte ruhig: „Ich bin kein Killer. Ich gebe dir die Chance, mir zu sagen,<br />

was ich wissen will, dann lasse ich dich möglicherweise laufen, sobald ich meinen Geschäfts-<br />

partner gefunden habe. Redest du nicht, werde ich ihn irgendwann von alleine finden, dann<br />

wirst du aber schon lange von Maden zerfressen sein und bis du endlich tot bist, wirst du<br />

tagelang durch die Hölle gehen. Du wirst <strong>mich</strong> noch anbetteln, dich endlich zu Töten, mein<br />

Junge, glaube mir das bitte. Jetzt will ich nur Antworten von dir, aber ... Wir sind un-<br />

berechenbare Monster, weißt du? Mein Wissensdurst kann schnell in reine Blutgier und<br />

Mordlust umschlagen und dann willst du nicht hier sein, das kannst du mir gerne glauben. Der<br />

letzte Held, der ... Nun, er hat sich irgendwann selbst auf meinen Wunsch alle Finger ab-<br />

geschnitten, weil ich versprach, ihn danach endlich von seinen unerträglichen Leiden zu be-<br />

freien. Er hat elf Tage durch gehalten und war erheblich widerstandsfähiger, als du den Ein-<br />

druck machst.“ Josef verwandelte sich beiläufig in den Vampir und sah den Söldner gierig an.<br />

„Es war ein Gemetzel, wie es seinesgleichen sucht ...“<br />

Der gefesselte Killer vor ihm hatte ihm zusehends entsetzt gelauscht. Jetzt stieß er ein-<br />

deutig mehr trotzig als mutig: „Fick dich.“, hervor. Josef, immer noch mit Vampirfratze,<br />

lachte fröhlich. „Nun, dafür nehme ich lieber brünette Frauen mit AB positiv. Okay, du willst<br />

es nicht verraten, kann ich verstehen.“ Er seufzte schwer, dann ging er zu dem Regal mit den<br />

Messern und vielen anderen Gerätschaften hinüber. Langsam ließ er seinen Blick über die<br />

verschiedenen Messer, Skalpelle, Zangen, Krokodilklemmen und was noch so zu finden war,<br />

gleiten. Auf den Zangen ruhten seine Augen einen Moment und er suchte sich eine kleine,<br />

spitz zulaufende Zange heraus. Damit trat er an den Söldner heran, der schwer atmend in den<br />

Fesseln hing. Ruhig packte er dessen rechte Hand und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern,<br />

begann er, dem Killer den Daumennagel zu ziehen. Sich in den Fesseln windend, hing der<br />

Kerl da, gab aber außer einem gequälten Keuchen keinen Ton von sich. Minuten später hatte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Josef dem Kerl alle Nägel der rechten Hand heraus gerissen. Tränen und Schweiß ver-<br />

mischten sich auf dem Gesicht des Söldners zu einer schmierigen Schicht. Freundlich fragte<br />

der Vampir: „Nun, mein Freund, hat deine Erinnerung wieder eingesetzt? Weißt du wieder,<br />

wo Mick ist und wer deine Auftraggeber sind?“ Keuchend schüttelte der Mann den Kopf.<br />

„Meine Güte, die müssen dich wirklich gut bezahlen, dass du derart hartnäckig unter Ge-<br />

dächtnisverlust leidest.“ Kostan hatte schon Erfahrungen mit Söldnern gemacht. Irgendwie<br />

hatten diese Männer einen ganz eigenen Ehrenkodex. Sie waren in der Regel wirklich schwer<br />

zu Knacken. Kostan zuckte die Schultern und sagte dann kalt: „Ich werde deine linke Hand<br />

erst einmal verschonen, ich will dir schließlich Abwechslung bieten.“<br />

Er ließ seinen Blick erneut über die Gerätschaften wandern. An einer Rolle Klebeband<br />

blieb sein Blick schließlich hängen und ihm fiel plötzlich eine sehr, sehr schmerzhafte<br />

Fesselung ein. Er ging zu dem Söldner zurück, die Rolle mit dem Klebeband in den Händen,<br />

und trat vor diesen hin. Er gab dem Kerl einen gezielten Faustschlag ans Kinn und der Mann<br />

wurde unmittelbar besinnungslos. Kostan löste die Arretierung der Ketten und ließ den Kerl<br />

unsanft zu Boden gleiten, bis dieser vor ihm auf dem Bauch lag. Jetzt löste er die Hand und<br />

Fußfesseln. Schnell und gekonnt fesselte er nun die Handgelenke auf dem Rücken zusammen.<br />

Einen weiteren Streifen Klebeband wickelte der Vampir in Höhe der Ellenbogen um die<br />

Arme des Mannes. Er ging hierbei wenig rücksichtsvoll vor. <strong>Die</strong> Fußgelenke umwickelte er<br />

ebenfalls stramm mit Klebeband. Nun ließ er von der Decke zwischen den Säulen eine<br />

weitere Kette mit Karabinerhaken am Ende herab und hakte diese an das Klebeband zwischen<br />

den Handgelenken seines Gefangenen. <strong>Die</strong>ser kam bereits wieder zu sich.<br />

Er stöhnte gequält auf, schon die Art der Fesselung an sich war extrem schmerzhaft.<br />

Josef hockte sich vor sein Opfer und fragte freundlich: „Na, mein Junge, ausgeschlafen?<br />

Manchmal hilft ein wenig Schlaf ja, die Erinnerungen zu beflügeln. Konzentriere dich doch<br />

mal und stell dir vor, du siehst Mick vor dir ...“ „Als ... ah ... Haufen Asche?“ Josef verdrehte<br />

die Augen. Der Dreckskerl war wirklich hart im Nehmen. Liebenswürdig beugte Kostan sich<br />

über den Söldner und erklärte: „Komm, ich helfe dir auf die Füße, du wirst ja ganz kalt auf<br />

dem Steinboden.“ Er zog den Kerl auf die Füße. Stöhnend und Schweiß überströmt stand der<br />

Gefangene dann da und schwankte leicht hin und her. Seine Beine wollten ihn kaum noch<br />

tragen. Hilfsbereit meinte Josef: „Hey, du kannst ja kaum stehen, warte, ich helfe dir.“ Und<br />

dann begann er, langsam und genüsslich, die Kette, die er an den Handgelenkfesseln befestigt<br />

hatte, zu straffen. Allmählich wurde auf diese Weise Zug auf die Arme ausgeübt und dem<br />

Kerl blieb keine Wahl, als sich immer weiter nach vorne zu beugen. Noch gab er nur dem<br />

sanften Zug nach, aber schon kurz darauf hatte er die maximalen Möglichkeiten des Vor-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

beugens erreicht. Noch einmal fragte Josef: „Wirst du mir meine Fragen beantworten, oder<br />

muss es erst wirklich hart werden?“ „Leck <strong>mich</strong> ...“ Noch einmal versuchte der Söldner,<br />

Kontenance zu bewahren, aber seine Stimme klang nicht mehr annähernd so fest wie am An-<br />

fang. Er musste die Zähne zusammen beißen, damit diese nicht aufeinander klapperten.<br />

Schweiß lief ihm unaufhaltsam am Körper herunter, die Wunden schmerzten heftig, eigent-<br />

lich konnte er nicht mehr. Aber er war durch eine verdammt harte Schule gegangen, noch war<br />

er nicht am Ende. Er würde diesem dreckigen Blutsauger nicht verraten wo ...<br />

Bevor er noch den Satz zu Ende denken konnte, gab es einen Ruck in seinen Schulter-<br />

gelenken, der ihn aufheulen ließ vor Schmerzen. Josef hatte kräftig an der Kette gezogen und<br />

der Söldner verlor brüllend vor Schmerzen den Bodenkontakt. Er hing an den gefesselten<br />

Armen, die Schmerzen waren absolut unerträglich. Bei dem Ruck hatte er sich augenblicklich<br />

beide Schultern ausgekugelt und war in Sekundenschnelle nur noch ein brüllendes Häufchen<br />

Qual. Josef ließ ihn drei, vier Minuten hängen, dann senkte er den Mann langsam wieder<br />

abwärts. Als dessen Füße wieder Bodenkontakt hatten, ließen die Schmerzen ein klein wenig<br />

nach und er konnte zu Atem kommen. Zitternd, bebend, keuchend vor Qual, versuchte er, sich<br />

auf den Beinen zu halten. Josef fragte ruhig: „Und, schon Erinnerungsfetzen?“ Viel zu an-<br />

geschlagen war der Söldner, als dass er hätte antworten können. Josef wartete, bis der Mann<br />

wieder in der Lage war, Worte hervor zu bringen. Sanft fragte Kostan dann noch einmal nach:<br />

„Wie sieht es aus, wieder in die Hängeposition, oder magst du mir etwas erzählen?“ Erst<br />

machte es den Anschein, als wolle der Mann erneut den Kopf schütteln. Josef seufzte und<br />

deutete einen sanften Zug an der Kette an, den der Söldner sofort in seinen Schultergelenken<br />

spürte. Geradezu panisch wimmerte er auf. „Nein ... bitte ...“<br />

*****<br />

„Wie willst du jetzt vorgehen?“ Eine gute Stunde später saß Kostan bei Juliet im Büro<br />

und hatte ihr erzählt, was er von dem Söldner alles erfahren hatte. Der Mann hatte letztlich<br />

alles ausgeplaudert, was Kostan hatte wissen wollen. Als er alle Infos aus dem Söldner heraus<br />

gekitzelt hatte, hatte der Vampir diesen auf seine ganz eigene Art von seinen Schmerzen er-<br />

löst. Er hatte dem Mann kurzerhand mit einer schnellen Bewegung das Genick gebrochen.<br />

„Tja, mein Freund, traue niemals einem 400 jährigen ...“ Erst hatte er kurz überlegt, ihn aus-<br />

zusaugen, die Idee aber wieder verworfen. Er hatte den Toten im Keller hängen lassen und<br />

wusste, Juliet würde dafür sorgen, dass die Leiche auf nimmer Wiedersehen verschwand. Nun<br />

saß er mit der Bordellbesitzerin in deren Privatbereich, hatte ein Glas exzellenten Scotch in<br />

der Hand und erwiderte gerade auf ihre Frage: „Darüber muss ich erst einmal nachdenken. Ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werde meine Mitarbeiter in Jakarta informieren, damit sie nach Borneo übersiedeln können<br />

und ich werde <strong>mich</strong> noch heute auf den Weg machen. Irgendwie werde ich Mick und Beth da<br />

raus bekommen und wenn ich die ganze Vampirgemeinde aktivieren müsste. Wenn die<br />

Beiden oder einer von ihnen noch leben, werde ich sie da raus holen. Vielen Dank für deine<br />

Hilfe. Ich melde <strong>mich</strong> bei dir, sobald ich Mick befreit habe.“<br />

Das Grauen hat einen Namen<br />

<strong>Die</strong> Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.<br />

Winston Churchill<br />

Heather lag auf dem Bett und weinte. Seit sie in die Zimmer zurück geschickt worden<br />

waren, tat die junge Lehrerin dies. Jake hatte ein paar Mal versucht, sie zu beruhigen, hatte<br />

aber keinen Erfolg gehabt. Der Zeitungsartikel hatte alle bis ins Mark getroffen. Keiner von<br />

ihnen konnte sich der deprimierenden Wirkung dieses Artikels entziehen. Auch Kate ein paar<br />

Räume weiter schluchzte hoffnungslos vor sich hin. Sawyer saß neben ihr auf dem Sofa und<br />

hielt die junge Frau in seinen Armen. Ihn selbst hatten die Worte vielleicht am wenigsten ge-<br />

troffen. Er machte sich keine Illusionen über den weiteren Verlauf seines Lebens. Aber Kate<br />

war vollkommen zusammengebrochen. Auch Allison lag weinend zusammen gerollt auf<br />

ihrem Bett. „<strong>Die</strong> haben uns aufgegeben ...“, wimmerte sie leise. House hockte hilflos neben<br />

ihr und wusste nicht, wie er sie trösten sollte. „Das gibt es doch nicht ...“ Allison wollte ein-<br />

fach nicht wahr haben, dass die Suche nach ihnen eingestellt worden war. „Das können die<br />

doch nicht machen ...“ Mulder und Dana saßen neben einander auf dem Sofa und versuchten,<br />

das Gelesene zu verarbeiten. „Bei dir haben sie auch nach hundert Tagen die Suche offiziell<br />

eingestellt. Das war zu erwarten.“, erklärte Dana mit zitternder Stimme. „<strong>Die</strong> anderen waren<br />

vollkommen geschockt. Hast du Heather und Kate gesehen? Und Allison? <strong>Die</strong> Ärmsten ...<br />

Aber es war wirklich zu erwarten.“ Ein ähnliches Gespräch lief bei Bones und Booth ab.<br />

„Mich wundert fast, dass sie überhaupt so lange offiziell gesucht haben. Skinner musste schon<br />

einmal die Suche nach Mulder einstellen. Er wird damit zu kämpfen haben.“ Bones versuchte,<br />

sich selbst von der Tatsache, dass niemand mehr nach ihnen suchte, abzulenken. „Wer ist<br />

dieser Walter Skinner? Ich habe ihn noch nicht kennen gelernt.“ Sie fuhr sich ärgerlich mit<br />

der Hand über die Augen. Booth nahm sanft ihre Hände. „Hey, wir werden hier raus kommen,<br />

gib die Hoffnung nicht auf.“ „Booth ....“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Mühsam schleppte sich die dunkelhaarige, junge Frau dahin. Ihr Begleiter, ein kräftig<br />

gebauter Mann um die 50, der aussah, als hätte er in kurzer Zeit recht viel Gewicht verloren,<br />

kämpfte ebenfalls mit jedem weiteren Schritt. Vor einigen Meilen hatten sie das letzte Wasser<br />

getrunken und wussten beide, dass ihr <strong>Über</strong>leben sehr unwahrscheinlich war. Der Mann warf<br />

einen Blick nach oben, in den strahlend blauen Himmel, von dem die Sonne heiß und un-<br />

barmherzig auf sie nieder brannte. Dann sah er sich aus rot geränderten, geschwollenen<br />

Augen um und schloss resigniert die Lider. Er hatte die Geier, die ihnen bereits seit den<br />

frühen Morgenstunden folgten, schon wesentlich eher gesehen als seine Begleiterin. <strong>Die</strong><br />

beiden Menschen wussten nicht, wo sie waren, noch wie sie her gekommen waren. Genau<br />

genommen wussten sie nicht einmal, wer sie waren. <strong>Die</strong> extrem blasse Haut der Beiden war<br />

nach dem nun zwei Tage währenden Marsch ohne Schutz in der prallen Sonne verbrannt und<br />

an vielen Stellen feuerrot. <strong>Die</strong> Sonnenbrände schmerzten heftig. Ihre aufgerissenen nackten<br />

Füße spürten sie kaum noch. Irgendwann sank die Frau auf die Knie und wimmerte: „Ich ...<br />

ich kann nicht mehr ... Bitte ... Ich brauche eine Pause.“ Der Mann drehte sich zu seiner er-<br />

schöpften Begleiterin herum. Er nickte. „Lass uns da vorne in den Baumschatten gehen ...“ Er<br />

half der jungen Frau noch einmal auf die Füße, zog sie hinter sich her zu einem einzeln<br />

stehenden Mesquite-Baum. Im dürftigen Schatten des Baumes sanken die Beiden auf den<br />

Boden und schlossen erschöpft die Augen.<br />

„Wir werden es nicht schaffen ...“, flüsterte die Frau hoffnungslos. Der grauhaarige<br />

Mann sah ihr ins Gesicht. „Doch, Sara, das werden wir.“ „Wir wissen nicht, wo wir sind ...<br />

Wir haben kein Wasser mehr und ... Wir wissen nichts ... Wie sollen wir es schaffen?“ Der<br />

Mann zog Sara an sich. „Wir wussten bis heute Morgen auch unsere Namen nicht. <strong>Die</strong> wissen<br />

wir jetzt wieder. Wir hatten bis vor wenigen Stunden Wasser. So schnell verdurstet man nicht,<br />

Sara. Du darfst nur die Hoffnung nicht aufgeben. Wir werden es schaffen.“ Der Mann ver-<br />

suchte, Zuversicht und <strong>Über</strong>zeugung in seine Stimme zu legen. Sie befanden sich in einer<br />

Halbwüste, am Horizont türmten sich rechts und links von ihnen Bergketten auf. Wenn er<br />

nicht seinen Orientierungssinn vollkommen verloren hatte, bewegten sie sich, seit dem sie vor<br />

zwei Tagen hier aufgewacht waren, dem Sonnenstand nach zu urteilen in Richtung Süden. Sie<br />

hatten besprochen, in welcher Richtung sie es versuchen wollten und sich auf Süden geeinigt.<br />

<strong>Die</strong> Richtung war so gut wie jede andere, sogar besser, denn nach Norden, Osten und Westen<br />

waren die steilen Berghänge zu erkennen gewesen. Wie in jeder Pause, die sie eingelegt<br />

hatten, versuchte der Mann, sich an irgendetwas zu erinnern, das ihnen helfen konnte,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dahinter zu kommen, wer sie waren, wo sie waren, was mit ihnen geschehen war. Er war<br />

überzeugt, dass die Erinnerungen zurückkommen würden. Dass sie inzwischen wieder ihre<br />

Namen wussten, war ihm deutliches Zeichen dafür, dass man ihnen die Erinnerungen mittels<br />

irgendwelcher Drogen wohl nur kurzfristig genommen hatte. Gil hatte an seinem rechten<br />

Oberarm eine ziemlich frische, verheilte Verletzung entdeckt, wie von einer Stichwunde, die<br />

den Arm ganz durchbohrt hatte. So sehr er sich aber den Kopf zermarterte, keine noch so<br />

kleinen Erinnerungsfetzen sagten ihm, woher die Wunde stammte, was los war, was er hier<br />

machte, warum er und Sara mitten in der Wüste aufgewacht waren.<br />

Als die Sonne anfing, hinter den Bergen unter zu gehen, hatte Sara sich ein wenig er-<br />

holt. Es wurde kühler und die Lebensgeister kehrten noch einmal in die müden Körper<br />

zurück. „Lass uns versuchen, noch ein wenig weiter zu kommen, Sara, solange es dunkel und<br />

kühler ist.“ <strong>Die</strong> junge Frau nickte. Unter Qualen rappelten sie sich auf die zerschundenen<br />

Füße und schleppten sich weiter. Jeder zurückgelegte Meter war schwerer als der Voran-<br />

gegangene. Nur die Nachtkühle sorgte dafür, dass sie sich überhaupt noch bewegen konnten.<br />

Nach einiger Zeit, der Mann schätzte, es waren drei Stunden seit ihrem Aufbruch vergangen,<br />

mussten sie erneut eine Pause einlegen, Sara konnte einfach nicht weiter und Gil musste sich<br />

eingestehen, dass auch er keinen Schritt mehr vor den anderen setzen konnte. Keuchend<br />

sanken die beiden verzweifelten Menschen zu Boden und starrten in das mit Sternen übersäte<br />

Firmament über ihnen. Irgendwie kam Sara der Anblick vertraut vor. Als hätte sie die Sterne<br />

so schon unzählige Male gesehen. „Pegasus ...“ Gil stöhnte. „Was ...“ „Das ist ... Pegasus ...“<br />

Sara war sich plötzlich sicher. „Gil ... Ich ... Las Vegas ...“ Als Sara den Namen der Stadt aus-<br />

sprach, machte im Kopf Gils irgendetwas klick. „Las Vegas ... Las Vegas ... Sara Sidle. Gil ...<br />

Grissom. Sara.“ <strong>Die</strong> junge Frau zuckte hoch. Glasklar standen die Namen plötzlich vor ihr.<br />

Sidle, Grissom. „Gil. Las Vegas ... Warum kennen wir das?“ Gil konzentrierte sich. „Weil wir<br />

dort Leben ... Was haben wir gemacht?“ Sara schüttelte den Kopf. Sie wusste es nicht. Sie<br />

konnte sich nicht erinnern. Verzweifelt schlug sie mit der Faust auf den Boden. „Ich weiß es<br />

nicht ...“<br />

Sie ruhten sich einige Zeit aus, dann quälten sie sich weiter. Als es im Osten<br />

dämmerte, hatten sie kaum zwei Meilen geschafft, schätzte Gil. Er hatte Angst. Einen<br />

weiteren Tag in der glühenden Sonne würden sie nicht überleben, das war ihm klar. Und auch<br />

Sara wusste das. Ohne Wasser überlebte man nicht länger als maximal zwei Tage in der<br />

Wüste. Entweder, sie fanden heute Menschen beziehungsweise wurden gefunden, oder sie<br />

würden heute hier in der Wüste sterben. Je höher die Sonne stieg, desto qualvoller wurde<br />

jeder weitere Schritt. Sara ertappte sich dabei, wie sie sich wünschte, es möge vorbei sein.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wenn es etwas gab, das man als Hölle auf Erden beschreiben konnte, dann das hier. Wie<br />

Feuer brannte die Sonne auf sie herab, der Boden, über den sie sich mit nackten Füßen<br />

schleppten, glühte. Immer häufiger mussten sie anhalten und am frühen Nachmittag kam der<br />

Punkt, an dem Sara nicht mehr weiter konnte. Es ging einfach nicht mehr. Sie hatte keine<br />

Tränen mehr, keinen Speichel im Mund, jeder Atemzug schmerzte, als würde sie brennendes<br />

Gas einatmen, sie war am Ende und wünschte nur noch, endlich sterben zu dürfen. <strong>Die</strong><br />

Qualen beenden. Nichts mehr spüren müssen. Ganz eng kuschelte sie sich an Gil, der<br />

schützend die Arme um die junge Frau gelegt hatte. Und dann wurde Sara schwarz vor Augen<br />

und sie spürte tatsächlich nichts mehr. Gil warf noch einen letzten Blick in den blauen<br />

Himmel. Dort oben kreisten die Geier und würden sich in Kürze auf sie stürzen. Höhnisch<br />

schienen sie auf ihn und Sara herunter zu grinsen. Gil schloss die Augen.<br />

*****<br />

Der junge Mann auf dem großen Schecken warf einen Blick in den Himmel. „Das<br />

kann nicht weit weg sein, vielleicht ist dort jemand in Gefahr. Komm schon, Glen, lass uns<br />

nur einen Blick darauf werfen. Auf die halbe Stunde kommt es nun auch nicht mehr an.“ Sein<br />

Begleiter, ein braun gebrannter, Wetter gegerbter Mann mittleren Alters mit kurzen, braunen<br />

Haaren hatte seinen Fuchswallach zum Stehen gebracht und schüttelte genervt den Kopf. „Du<br />

gibst ja ohnehin keine Ruhe, bis wir nachgeschaut haben.“, knurrte er. <strong>Die</strong> beiden Männer<br />

hatten die Geier vor ungefähr einer Stunde entdeckt. Da sie fast in dieser Richtung unterwegs<br />

waren, waren sie dem Punkt, über dem die Aasvögel kreisten, erheblich näher gekommen.<br />

Der junge Mann auf dem Schecken grinste. „Wenn es eines unserer ausgebrochenen Pferde<br />

ist, wird der Boss sich freuen, zu erfahren, was mit ihm geschehen ist. Und wenn nicht, haben<br />

wir höchstens sechzig Minuten verloren.“ Er trieb seinen Schecken mit energischem<br />

Schenkeldruck voran. Sein Begleiter trieb sein Reittier ebenfalls wieder an. „Dann gib<br />

wenigstens Bescheid, dass die wissen, wo wir stecken, Billy.“ Der mit Billy angesprochene<br />

nickte. Er zog ein Sprechfunkgerät aus der Satteltasche und betätigte die Sende-Taste. „Hier<br />

Billy. Wir haben nördlich von Logans Point Geier gesichtet und werden uns da mal umsehen.<br />

Over.“ Es knackte im Gerät und eine verzerrte, weibliche Stimme antwortete. „Hier Sue.<br />

Habe verstanden. Seid vorsichtig. Bis nachher. Over.“<br />

<strong>Die</strong> beiden Männer trieben ihre Pferde an und kaum zwanzig Minuten später hatten sie<br />

die Stelle erreicht, wo die Geier kreisten. Sie sahen sich um und dann rief der jüngere, Billy,<br />

seinem Freund zu: „Glen. Schnell. Hier drüben. Hier liegt ein Pärchen ... Mein Gott.“ Glen<br />

trieb seinen Fuchs zu Billys Standort hinüber. Der junge Mann war aus dem Sattel ge-<br />

457


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sprungen und eilte mit seiner Wasserflasche in der Hand zu den beiden reglosen Menschen,<br />

die am Boden lagen. Glen hetzte zu ihm und fragte schon von weitem: „Leben sie noch?“<br />

Billy kniete neben den Reglosen und tastete bei der Frau nach dem Puls. „Ganz schwach ...“<br />

Er beugte sich über den Mann und ertastete auch dort noch ganz schwach einen Restpuls.<br />

„Gib Bescheid.“ Billy versuchte, den Besinnungslosen Wasser einzuflößen, aber der<br />

Schluckmechanismus funktionierte nicht mehr, zu tief war die Besinnungslosigkeit. Glen<br />

rannte zum Schecken hinüber und riss das Funkgerät aus Billys Satteltasche. „Hier Glen.<br />

Sue?“ Es knackte und die weibliche Stimme meldete sich, klang alarmiert. „Glen? Ist was<br />

passiert? Ist was mit Billy?“ „Sue, hör zu, Billy geht es gut. Wir haben hier zwei Leute ge-<br />

funden, einen Mann und eine Frau. <strong>Die</strong> sind halb tot, wir benötigen dringend Hilfe, schick<br />

einen Rettungshubschrauber. Wir sind vielleicht eine Meile westlich von Sogobia Range,<br />

unsere Koordinaten sind 36°27’02.13“ N und 115°17’59.76“ W. <strong>Die</strong> sollen sich beeilen, die<br />

Beiden hier haben nicht mehr viel Zeit.“ Sue hatte alles notiert und antwortete „<strong>Die</strong> sind<br />

schon so gut wie bei euch. Over.“<br />

*****<br />

Gil schlug langsam und schwerfällig die Augen auf. Er stöhnte leise auf. Sein Schädel<br />

schien in einem Amboss zu stecken und jemand machte sich einen Spaß daraus, mit einem<br />

Vorschlaghammer auf denselben einzuschlagen. Er schloss die Augen deutlich schneller<br />

wieder als er sie geöffnet hatte. Ein paar Minuten lang atmete er einfach nur tief und gleich-<br />

mäßig ein. Dann wagte er einen zweiten Versuch. Und diesmal schaffte er es, die Augen ganz<br />

zu öffnen. Und hätte sie um Haaresbreite sofort wieder geschlossen, weil er glaubte, zu<br />

Träumen. „Catherine ... Warrick ...“ Fassungslos starrte er in die Gesichter der beiden Be-<br />

sucher an seinem Bett. „Gil. Endlich. Wir sind fast verrückt geworden.“ Catherine griff nach<br />

Gils Hand und drückte diese fest. Warrick grinste seinen Vorgesetzten an und sagte dann mit<br />

leicht zitternder Stimme: „Erst sechs Monate Urlaub nehmen und dann auch noch vier Tage<br />

schlafen. Was denkst du dir bloß dabei?“ Grissom musste erst einmal sortieren. Fast sechs<br />

Monate Urlaub? Wovon sprach Warrick da bloß? „Wo sind wir hier?“, waren die ersten<br />

Worte, die Gil zu Stande brachte. „Das ist das Mountain View.“, erklärte Catherine ruhig.<br />

„Wo ist Sara?“ „Mach dir keine Sorgen um sie, sie ist vor zirka zwei Stunden zu sich ge-<br />

kommen, es geht ihr soweit gut. Sie wird gerade untersucht, dann wird sie wieder hier her<br />

gebracht. Ihr werdet abgeschirmt.“ Gil verstand nichts. „Abgeschirmt? Vor wem? Warum?<br />

Was ist mit uns?“ Langsam dämmerte es Warrick und Willows, dass Grissom genau wie Sara<br />

keine Ahnung hatte, was passiert war. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie Gil und sah ihn be-<br />

sorgt an. „Körperlich ganz gut, aber ich ... ich habe keine Ahnung, was los ist.“ Catherine<br />

458


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nickte. „Wir werden es dir erklären, okay. Aber erst mal soll der Arzt nach dir sehen. Du hast<br />

immerhin vier Tage im Koma gelegen.“ Gil schüttelte ungläubig den Kopf. Und erst jetzt<br />

wurde ihm klar, dass er sich an die Namen seiner Mitarbeiter sofort erinnert hatte. Ein<br />

weiterer Lichtblick.<br />

Eine Stunde später lagen Gil und Sara wohl versorgt in dem kleinen Zimmer und<br />

waren von ihren Kollegen umringt. Greg Sanders, Nick Stokes, Catherine Willows, Warrick<br />

Brown und Jim Brass, Captain beim Las Vegas Police Department, saßen bei den Beiden und<br />

Willows erklärte, was los gewesen war. „Ihr seid am 11. November auf dem Rückweg von<br />

Sydney mit der Qantas Maschine Flug 815 spurlos verschwunden. Heute ist der 28. April.“<br />

Sara und Gil hörten fassungslos zu. „Das gibt es nicht. Wo waren wir denn?“ Jetzt waren es<br />

die Kollegen, die verständnislos schauten. „Ihr könnt euch an nichts erinnern?“ Gil schüttelte<br />

den Kopf und Sara erklärte genervt: „Wir konnten uns zuerst nicht einmal an unsere Namen<br />

erinnern. Als wir in der Wüste aufwachten, wussten wir noch nicht einmal, wer wir waren.<br />

Was ist bloß passiert? Habt ihr gar keine Hinweise?“ Nick schüttelte den Kopf. „Sämtliche<br />

Behörden Amerikas haben euch gesucht. Seit dem 11.11. wurde wohl alles unternommen,<br />

was nur menschenmöglich war, um euch zu finden. Nicht die kleinste Spur.“ „Eure Blässe<br />

deutet darauf hin, dass ihr lange nicht in der Sonne wart.“ warf Greg ein. „Warum, zum<br />

Teufel, können wir uns nicht erinnern? Haben wir Kopfverletzungen?“ Sara sah Catherine an.<br />

„Nein, die habt ihr nicht. Ihr wart nahezu verdurstet, als ihr gefunden wurdet. Eure Ver-<br />

letzungen deuten auf mindestens zwei bis drei Tage Wüste hin. Aber ihr habt definitiv keine<br />

Kopfverletzungen, die einen Gedächtnisverlust erklären könnten.“ „Der Arzt meint, ihr habt<br />

Drogen bekommen, die euer Gedächtnis durcheinander gebracht haben. Ihr scheint euch ja<br />

inzwischen an mehr als nur eure Namen zu erinnern, also wird vielleicht auch der Rest mit<br />

der Zeit wiederkommen. Erst mal sind wir froh, euch wieder zu haben. Was mit den anderen<br />

Verschwundenen ist, werden wir frühestens erfahren, wenn ihr euch wieder erinnern könnt.“<br />

Hoffnungslos verwirrt starrten Gil und Sara Catherine an. „Welche <strong>Anderen</strong>?“ Jetzt meldete<br />

sich Jim Brass zu Wort. „Zusammen mit euch sind drei FBI Agents, sowie drei Angehörige<br />

des NCIS, zwei Ärzte und eine Anthropologin des Jeffersonian Institute in Washington ver-<br />

schwunden, außerdem elf Zivilisten.“ Verständnislosigkeit sprang Captain Brass aus den<br />

Augen Gils und Saras entgegen.<br />

*****<br />

„Shepard.“ <strong>Die</strong> NCIS Direktorin meldete sich verschlafen am Telefon. „Wissen Sie,<br />

wie spät ...“ Weiter kam die Direktorin nicht. „Mein Name ist Ecklie, Conrad Ecklie, ich bin<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Assistent Direktor des CSI Las Vegas. Spreche ich mit Jennifer Shepard, der Direktorin<br />

des NCIS?“ „Das tun Sie allerdings und zwar um 1 Uhr Nachts.“ „Sie werden sofort erfahren,<br />

warum ich Sie zu dieser späten Stunde störe. Unsere verschwundenen Ermittler Dr. Grissom<br />

und Miss Sidle wurden heute am frühen Abend gefunden. Sie befinden sich im Mountain<br />

View Hospital hier in Vegas.“ Jenny saß aufrecht. „Was? Wo wurden sie gefunden? Wie geht<br />

es ihnen? Irgendeine Spur von den anderen Vermissten?“ „Es tut mir außerordentlich leid,<br />

nein, von weiteren Vermissten war keine Spur zu finden. Wenn Sie das FBI informieren<br />

mögen?“ Jenny nickte. „Selbstverständlich. Sie können morgen mit dem Erscheinen unserer<br />

Leute rechnen.“ „Leider muss ich Ihnen sagen, dass Dr. Grissom und Miss Sidle in einem<br />

tiefen Koma liegen, Eile ihrerseits wird nicht Not tun.“ Erschüttert hörte Jenny diese Worte.<br />

„Das tut mir sehr leid. Ich werde sofort von hier alles Notwendige in die Wege leiten. Haben<br />

Sie recht vielen Dank für ihren Anruf.“ Shepard drückte das Gespräch weg, nur um sofort<br />

Tonys Nummer zu wählen. Ein Grunzen ertönte, nachdem es fünf, sechs Mal geklingelt hatte.<br />

„... noso.“ „Tony, man hat Grissom und Sidle gefunden. Ich will Tim und Sie in einer Stunde<br />

im Büro sehen.“<br />

*****<br />

Walter Skinner tastete verschlafen zum Telefon. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihm,<br />

dass es kurz vor halb 2 Uhr nachts war. Was sollte das, um diese Zeit hier anzurufen?<br />

„Skinner.“, meldete er sich verschlafen. „Shepard. Hören Sie zu: Man hat Grissom und Sidle<br />

gefunden. Lebend.“ Skinner fuhr hoch. „Kommen Sie zu uns oder sollen wir zu Ihnen<br />

kommen?“ „Kommen Sie hier her zu uns, das geht schneller.“ „Ich bin schon unterwegs.“<br />

Skinner drückte das Gespräch weg und wählte unmittelbar die Kurzwahl 6. Er stellte auf<br />

Lautsprecher und schlüpfte bereits in seine Socken, als sich am Telefon träge eine männliche<br />

Stimme meldete. „Ja.“ „Doggett, ich bin es, Skinner. Unterrichten Sie Reyes und kommen Sie<br />

dann so schnell wie möglich zum NCIS. Man hat Grissom und Sidle gefunden, lebend!<br />

Packen Sie für ein paar Tage, Sie werden einen Ausflug nach Las Vegas machen. Bis gleich.“<br />

Skinner wartete die Antwort seines Agenten gar nicht ab, sondern drückte das Gespräch weg.<br />

Dann wählte er erneut. Nach wiederholtem Klingeln ertönte die erstaunlich frisch klingende<br />

Stimme einer Frau. „Camille Saroyan, wer wagt es, <strong>mich</strong> zu stören?“ „Walter Skinner. Man<br />

hat Grissom und Sidle gefunden. Wir treffen uns mit dem NCIS in dessen Hauptquartier.“<br />

Camille glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Ich werde meine Leute informieren und wir<br />

werden schnellstens zu Ihnen stoßen.“<br />

*****<br />

460


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wir sollten uns beeilen, Reyes, kommen Sie schon.“ Ungeduldig dippe Doggett einen<br />

schnellen Takt mit den Fingern auf das Lenkrad. Endlich stieg die Kollegin in den Wagen und<br />

warf die Tür zu. „<strong>Die</strong> Beiden laufen uns nicht weg, John, und sie erinnern sich an nichts, da<br />

wird auch unser schnelles Erscheinen nicht das Geringste dran ändern.“ Monica Reyes<br />

lächelte den Kollegen freundlich an. „Woher nehmen Sie nur ihre Ruhe? Es ist immerhin<br />

möglich, dass Grissom und Sidle sich doch an etwas erinnern werden und uns somit endlich<br />

Klarheit über das Schicksal Mulders und Scullys geben können.“ Dass dem Kollegen weniger<br />

an Mulder als vielmehr an Scully gelegen war, wusste Monica. „Außerdem …“, fuhr John<br />

fort: „… sind DiNozzo und McGee schon vor einer Stunde verschwunden und ich finde, wir<br />

sollten den Beiden Gesellschaft leisten.“ Monica lachte. „Ja, ich kann es auch kaum erwarten,<br />

DiNozzo endlich wieder zu sehen.“ Johns Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Was für ein<br />

Idiot. Der Kerl hält sich für den Nabel des NCIS. Wenn er wirklich die Vertretung dieses<br />

Special Agent Gibbs ist muss man doch an dessen Verstand zweifeln.“ Monica lachte. „Na,<br />

kommen Sie, Doggett, so schlimm ist der junge Mann nun auch nicht.“ Sie sah auf den<br />

Rainbow Boulevard hinaus. Sie hatten alle im Marriott Courtyard Zimmer genommen, um<br />

nahe am Mountain View zu wohnen, solange sie sich in Vegas aufhielten. Der Weg vom<br />

Hotel zum Hospital war kurz, kaum drei Kilometer. So waren sie schnell vor Ort. Doggett<br />

parkte den Leihwagen nahe dem Eingang und Minuten später klopften sie bereits an Zimmer<br />

Nummer 524. <strong>Die</strong> etwas arrogante Stimme Agent DiNozzos ertönte und ließ Doggett säuer-<br />

lich das Gesicht verziehen. „Wer da?“ Genervt antwortete John: „Hier sind Luke Skywalker<br />

und Prinzessin Leia.“ Er riss die Tür auf und beachtete den empörten DiNozzo gar nicht<br />

weiter. „Morgen, Grissom, Miss Sidle, wie geht es Ihnen heute?“<br />

Gil und Sara saßen bekleidet beim Frühstück. DiNozzo lümmelte auf einem der Sessel<br />

herum, während McGee am Fenster stand und in die Stadt hinunter schaute. Gil begrüßte die<br />

beiden FBI Beamten freundlich. „Guten Morgen. Wir haben auf Sie gewartet. Miss Sidle und<br />

ich haben neue Erinnerungsfetzen zu Tage gefördert. Wir haben Bilder und die Namen der<br />

Agents, die mit uns verschwunden sind, angefordert und haben diese spät gestern Abend noch<br />

bekommen.“ Er deutete an die rechte Wand, wo an einer großen Magnettafel Fotos der ver-<br />

missten Beamten zu sehen waren, unter denen die Namen standen. Auch die verschwundenen<br />

Ärzte House und Cameron sowie die Anthropologin Dr. Temperance Brennan hingen als<br />

Fotos dort an der Wand. Und eben war Catherine damit beschäftigt, Fotos weiterer Personen<br />

aufzuhängen: Ford, James, Locke, John, Austen, Kate, Lisinski, Heather, Green, Jake, sowie<br />

weitere sechs Personen. Sara und Gil sahen sich die Fotos und Namen an, jeden einzelnen,<br />

und an dem Foto, unter dem Mulder, Fox stand, blieben die Beiden schließlich stehen. Man<br />

461


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sah ihnen an, dass sie sich das Hirn zermarterten. Und plötzlich sagte Sara leise und geistes-<br />

abwesend: „Spooky … Sie nennt ihn nie Fox …“ Gil nickte vage. <strong>Die</strong> anderen waren still und<br />

störten die CSI Beamten nicht in ihrer Konzentration. Gil starrte unverwandt das Foto eines<br />

blonden, gut aussehenden jungen Mannes mit auffallend Grübchen und grünen Augen an,<br />

unter dem Ford, James stand. Sein Blick irrte zu der jungen Frau Kate Austen und dann<br />

zuckte er zusammen. „Sawyer, Freckles. Mein Gott. Sara. Ich weiß es wieder. Sawyer.“ Er<br />

fuhr zu seiner Freundin herum und packte diese aufgeregt an der Schulter. „Der Kerker und<br />

die Zellen. Ich weiß es wieder, Sara, ich weiß wieder alles. Denke nach. Der runde Kerker mit<br />

den sechzehn Zellen … <strong>Die</strong> Tests … Immer wieder haben sie uns gequält.“ Und urplötzlich<br />

huschte ein Schatten über Saras Gesicht und sie stammelte entsetzt: „Mein Gott … Gil.“ Man<br />

sah ihr mehr als deutlich an, dass in eben diesem Moment auch bei der jungen Frau die Er-<br />

innerung mit Macht wieder einsetzte.<br />

Aufgeregt fragte Tony, der seine immer noch bestehende These von der Beteiligung<br />

Greens, Austens und Fords an der Entführung endlich bestätigt haben wollte: „<strong>Die</strong> Zivilisten<br />

… <strong>Die</strong>ser Green, hat er die Maschine geflogen?“ Sara sah den NCIS Agent an. „Blödsinn.<br />

Heather, Kate, Sawyer, Locke und Jake gehörten zu uns, die anderen …“ Sie deutete auf die<br />

sechs Fotos: „ … Gesichter kenne ich nicht. Aber die fünf gehören zu uns.“ DiNozzo und<br />

auch Doggett starrten Sara ungläubig an. „Das kann nicht sein. Es steht für <strong>mich</strong> fest, dass<br />

dieser Söldner, dieser Jake Green, die Maschine geflogen hat.“, stieß Tony hervor. Aber<br />

sofort sprang Gil seiner Freundin bei. „Natürlich kann es das. Ich weiß wieder alles. Wir<br />

wurden im Flugzeug betäubt und wachten alle sechzehn in einem Kerker ähnlichen Raum auf,<br />

rund, mit sechzehn kleinen, drei mal drei Meter großen Zellen. Dort waren wir wochenlang<br />

eingesperrt, ich erinnere <strong>mich</strong> jetzt sogar an die Zellenverteilung.“ Sara nickte hektisch. „Ich<br />

auch. Uns gegenüber waren Bones, Sawyer, Ziva, Mulder, Heather, Booth, Abby und Locke<br />

untergebracht und auf unserer Seite Gibbs, Kate, House, ich, Jake, Allison, dann du und<br />

Dana.“ <strong>Die</strong> nächste Frage schoss Doggett ab. „Wo? Wo wurden Sie gefangen gehalten?“ Sara<br />

erstarrte. „Ich habe keine Ahnung …“, sagte sie unglücklich. „Aber ich, jedenfalls eine grobe<br />

Richtung. Das Versteck muss auf Borneo sein.“ <strong>Die</strong> Anwesenden starrten Gil an als hätte er<br />

den Verstand verloren. „Auf Borneo …“, wiederholte Tony ironisch. „Ja, auf Borneo. Wir<br />

wurden … Ich wurde nur ein einziges weiteres Mal aus dem Gebäude gelassen, als man uns<br />

durch den Dschungel hetzte. Und dabei haben wir Orang-Utans beobachtet.“ „Stimmt. Das<br />

fällt mir auch gerade wieder ein. Wir haben die zwar nicht gesehen, aber darüber gesprochen<br />

...“ Jetzt schauten alle Gil und Sara an. „Durch den Dschungel gehetzt? Was, um alles in der<br />

Welt hat man mit euch gemacht?“, fragte Catherine entsetzt. Sara sank neben Gil auf das Bett.<br />

„Also, wir wachten in den kleinen Zellen auf, vollkommen entkleidet und …“<br />

462


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> nächsten zwei Stunden berichteten Sara und Gil abwechselnd, was man ihnen und<br />

den Mitgefangenen angetan hatte. Erschüttert hörten die anwesenden Beamten den beiden<br />

CSI Ermittlern zu. Schließlich hatten die Beiden alles Wissenswerte erzählt. Wo auf Borneo<br />

sich das Gebäude, in welchem sie die schlimmste Zeit ihres Lebens verbracht hatten, befand,<br />

konnten sie nicht sagen. Nun lag es in den Händen der Ermittler und Behörden, mehr heraus<br />

zu finden. Doggett und Monica und auch McGee und Tony hatten sich bei Gil und Sara mit<br />

dem Versprechen verabschiedet, alles Menschenmögliche zu tun, um auch die <strong>Anderen</strong> zu<br />

befreien. Sie schworen, die Beiden über jede Neuigkeit auf dem Laufenden zu halten. Dann<br />

fuhren die Ermittler ins Hotel zurück und orderten noch für denselben Tag einen Rückflug<br />

nach DC. Im Flugzeug unterhielten sich die vier Ermittler über das, was sie von Gil und Sara<br />

erfahren hatten. „Was sind das nur für Menschen?“, fragte Monica immer noch ganz er-<br />

schüttert. Wenn sie sich vorstellte, was man den Kollegen und den anderen Entführten schon<br />

angetan hatte, wurde ihr schlecht. Wie sollten die Gepeinigten das jemals überwinden?<br />

Schulden<br />

Durch ein Unterlassen kann man genau so schuldig werden wie durch Handeln.<br />

Konrad Adenauer<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen brauchten einige Tage, um sich von dem erneuten Schock zu erholen.<br />

Tage, in denen Mick immer wieder zu Versuchen geholt wurde, in denen der Unterricht<br />

weiter ging, das Training, mit anderen Worten, der inzwischen normale Alltag der Ge-<br />

fangenen lief weiter. Der Unterricht war abwechslungsreich und interessant. Ohne es eigent-<br />

lich zugeben zu wollen, waren alle Gefangenen eifrig bei der Sache. <strong>Die</strong> Themen wechselten<br />

sich stetig ab: Mal ging es um Numismatik, mal um Philatelie, das Wissen um Münzen und<br />

Briefmarken, dann wieder um Kunst oder Literatur. Sie lasen literarisch wertvolle Bücher und<br />

besprachen diese, beschäftigten sich mit großartigen Gedichten und lernten, diese zu Inter-<br />

pretieren. Sie mussten sich mit Shakespeare und seinen Werken auseinander setzen, mit<br />

großen Dichtern wie Schiller, Goethe, James Joyce und vielen <strong>Anderen</strong>. Dann wieder ging es<br />

um große Musikgenies, Bach, Händel, Korsakov, um große musikalische Werke, Opern,<br />

Operetten. Immer wieder beschäftigten sie sich mit Kunstmalern und ihren Werken. Aber<br />

auch die Moderne wurde nicht ausgelassen. Aktuelle Musicals, wie Cats, The Phantom of the<br />

463


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Opera oder The Lion King wurden unter die Lupe genommen. Eins war allen Gefangenen zu<br />

Eigen: Sie saugten das neue Wissen wie Schwämme in sich auf. Wieder und wieder wurden<br />

sie schriftlichen Prüfungen unterzogen, die von alle Gefangenen mit Bravour abgelegt<br />

wurden. Das Schießtraining zahlte sich mehr und mehr aus, Sawyer, Kate, Mulder und Locke<br />

trafen die 2.000 m Zielscheibe inzwischen mit der Präzision einer Maschine. Schon seit<br />

einiger Zeit wurden sie auch im Treffen mit Handfeuerwaffen unterrichtet und machten große<br />

Fortschritte. Und sie alle genossen die ihnen zu Teil werdende Ausbildung.<br />

Beunruhigend war die Tatsache, dass das Gefangen sein inzwischen wirklich normal<br />

war. Das stellten alle fest, auch Beth und Mick, die ja erst so kurze Zeit in Gefangenschaft<br />

waren. Keiner konnte sich mehr vorstellen, wie es war, frei zu sein. Man hatte sie inzwischen<br />

zum Hirn und Wirbelsäulen MRT 28 geholt, hatte eine CT der Herzkranzgefäße gemacht, eine<br />

Röntgenuntersuchung des Thorax, bei allen noch einmal die Augen mehr als gründlich unter-<br />

sucht, sowie eine HNO Vorsorgeuntersuchung und einen mehr als gründlichen Hautcheck<br />

vorgenommen. Bei der Augenuntersuchung hatte sich ein klarer Hinweis gefunden, warum<br />

Sawyer immer wieder speziell nach dem Unterricht Kopfschmerzen hatte. Er bekam eine<br />

Lesebrille, es wurde Weitsichtigkeit diagnostiziert. Außerdem war bei allen eine komplette<br />

orthopädische Vorsorgeuntersuchung und ein Allergietest vorgenommen worden.<br />

Mulder, Kate, Ziva, Sawyer, Jake, Dana, Allison und Booth wurden so gut wie jeden<br />

Tag abgeholt, um mit ihren Phobien konfrontiert zu werden. Besonders bei Sawyer, Dana und<br />

Jake zeigten sich Erfolge, Jake und Dana bekamen häufig eine Kornnatter in die Hand ge-<br />

drückt und hatten diese im Unterricht mit sich zu führen. Ebenso lief Sawyer sehr oft mit<br />

einer der großen Rotknievogelspinnen aus seiner ersten Therapiesitzung herum. Als er nach<br />

der dritten Sitzung, immer zusammen mit Mulder, das erste Mal mit der Spinne, er hatte sie in<br />

einem Anfall von Verwegenheit Spooky getauft, bei den <strong>Anderen</strong> auftauchte, wusste Dana,<br />

was Mulder gemeint hatte. Das Tier war nahezu acht Zentimeter groß, nur der Körper. Mit<br />

Beinen erreichte sie Untertassengröße. Nicht nur Dana schluckte trocken, als der Südstaatler<br />

mit der riesigen Arachnida auf der Hand beim Abendessen erschien. Booth lachte etwas ver-<br />

kniffen und stieß dann: „Oh, scheiße, man.“ hervor. Kate wurde leichenblass, riss sich dann<br />

aber mit aller Macht zusammen. „Heb dir nur keinen Bruch.“ House kam näher und be-<br />

28 MRT: Magnetresonanztomographie ist ein bildgebendes Verfahren, das vor allem in der medizinischen Diagnostik zur Dar-<br />

stellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird. Mit der MRT kann man Schnittbilder des<br />

menschlichen (oder tierischen) Körpers erzeugen, die eine Beurteilung der Organe und vieler krankhafter Organveränderungen er-<br />

lauben.<br />

464


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trachtete das Tier eingehend. „Großer Gott, was ist das für ein ... Monster. Kannst du nicht<br />

eine Phobie vor ... Hamstern haben?“, kicherte Heather leicht hysterisch. John und Mick<br />

sahen sich die große Spinne ebenfalls interessiert an, ebenso Bones und Ziva. Sawyer selbst<br />

hätte das Vieh immer noch am liebsten an die Wand geschmissen, aber er schaffte es, soviel<br />

Beherrschung aufzubringen, dies nicht zu tun. Wie bei Dana und Jake war deutlich zu sehen,<br />

dass die Schocktherapie Früchte trug. Abby folgte seit der ersten Sitzung ständig einer der<br />

Hunde. Das wiederum wirkte sich auch positiv auf die anderen Gefangenen aus, denn die<br />

Tiere sorgten für gute Stimmung und gaben oft genug Anlass zum Lachen. Dass sie Mick<br />

mieden wie die Pest, machte dem Vampir nichts aus.<br />

*****<br />

House hatte Micks Giftliste einige Eintragungen hinzufügen müssen. Gnadenlos<br />

wurde der Intoxikationstest fortgesetzt. Das nächste Gift, welches House dem jungen Mann<br />

verabreichen musste, war ein biologischer Kampfstoff, ein Filoviridae Virus. Filoviridae<br />

waren eine Virusfamilie, zu der meist fadenförmige, manchmal auch bazillusförmige, behüllte<br />

Einzel-Strang-RNA-Viren gehören. In Micks Fall zwangen die Entführer House, Mick mit<br />

dem zu dieser Virenfamilie gehörenden Ebola-Virus zu infizieren. House trug einen Schutz-<br />

anzug und beobachtete den gefesselten Vampir genau. Er merkte schon nach verhältnismäßig<br />

kurzer Zeit, dass Mick unruhig wurde. Er zuckte immer wieder heftig zusammen, seine Hände<br />

ballten sich zu Fäusten und er bekam schließlich heftige Krämpfe, die seinen Körper<br />

malträtierten. Auf Micks Haut im Bauchbereich bildeten sich Hämatome, die auf heftige,<br />

innere Blutungen hindeuteten. Zwei Stunden lang wand sich der junge Mann, der gar nicht so<br />

jung war, in Krämpfen und Schmerzen auf der Liege, dann ließen die Symptome so schnell<br />

nach, wie sie aufgetreten waren. House stand vollkommen hilflos daneben, er konnte und<br />

durfte nichts machen, um es dem Vampir irgendwie zu erleichtern. Das Einzige, was man ihm<br />

erlaubte, war, Mick ab und an den Schweiß vom Gesicht zu tupfen. Man gestand dem ziem-<br />

lich erschöpften und angeschlagenen Vampir nach Abklingen der Symptome zwei Stunden<br />

Pause zu, dann hatte House das nächste Gift, diesmal ein Hämotoxin, zu verabreichen. Als<br />

Blutgifte oder Hämotoxine wurden Substanzen bezeichnet, deren chemische Beschaffenheit<br />

das Blutgerinnungs- oder Blutbildungssystem so stark veränderte, dass die Stoffwechsel-<br />

funktion eingeschränkt oder ganz unterbunden wurde. House hatte ein Mukrotoxin gestellt<br />

bekommen, ein Schlangengift, das heftige Veränderungen der Gefäßwände induzierte und wie<br />

schon beim Ebola-Virus bei Mick zu starken inneren Blutungen führte. Als schließlich ein<br />

starker Fieberschub dazu kam, wurde der Test für diesen Tag beendet.<br />

465


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Entführer wussten nun schon ziemlich sicher, dass Mick auf bestimmte<br />

Schlangengifte, die die Blutgerinnung beeinträchtigten, anzusprechen schien und dass sein<br />

Immunsystem auf hämorrhagische Viren negativ reagierte. Gnadenlos wurden die Tests am<br />

folgenden Tag fortgesetzt. House tat der Vampir inzwischen genau so leid wie die anderen<br />

Leidensgenossen. St. John empfand die Schmerzen wie ein Mensch und hatte wie ein Mensch<br />

Angst vor ihnen. Wenn er auch wusste, dass es immer nur kurzfristige Qualen waren und er<br />

schon Stunden später nichts mehr spürte, war es doch auch für ihn auf Dauer mehr als zer-<br />

mürbend, jeden Tag zu neuen Gemeinheiten abgeholt zu werden. Auch Beth litt Höllen-<br />

qualen, wusste sie doch morgens nie, in welch schlechtem Zustand sie Mick abends wieder<br />

bekam. House hasste, was er tun musste und hätte viel dafür riskiert, Mick weitere Tests<br />

dieser Art zu ersparen, aber am Ende hatte er eine komplette Liste von Giften und ihren<br />

Wirkungen auf Mick zusammen, die er den Entführern auszuhändigen hatte.<br />

Gift Intoxikation Mortalität Wirkung auf<br />

13<br />

Arsentrioxid Akute Vergiftungen äußern sich 70 - 80 % Keine<br />

nach wenigen Stunden durch<br />

massive Durchfälle und Erbrechen.<br />

Starke Schmerzen<br />

kommen hinzu, zunächst im<br />

Magen-Darm-Bereich, später,<br />

nach einer Scheinbesserung,<br />

treten in den Extremitäten<br />

Krämpfe auf. <strong>Die</strong> körperliche<br />

Schwäche nimmt beständig zu,<br />

Bewusstseinstrübungen, Sehstörungen<br />

und langsames Erkalten<br />

bereits einen Tag vor Eintritt<br />

des Todes werden registriert.<br />

Wirkung<br />

Anthrax Fieber, Schüttelfrost und Atem- bis 80 % Keine<br />

not, septischer Schock ist die<br />

Todesursache<br />

Wirkung<br />

Batrachotoxin <strong>Die</strong> fast sofort eintretenden zirka80% Keine<br />

Konsequenzen einer Vergiftung<br />

mit Batrachotoxin sind Atemlähmung<br />

und Herzstillstand.<br />

Wirkung<br />

Botulinum Lähmungen, Tod tritt gewöhnlich bis 90 % Keine<br />

nach Atemlähmung auf.<br />

Wirkung<br />

Filoviridae: Symptome ähnlich einer Grippe nahehundert- Krämpfe,<br />

Hier Ebola auf. Dann hohes Fieber (> 38,5 prozentig heftige<br />

°C), Leber- und Nierenfunktions-<br />

Blutungen,<br />

störungen mit Ödemen, innere<br />

die haupt-<br />

Blutungen, Blutungen ins Gesächlich<br />

466


Hämotoxin:<br />

Hier<br />

Mukrotoxin<br />

Latrotoxin<br />

(Spinnengift)<br />

Myotoxin: Hier<br />

Krotamin<br />

Nervengas<br />

VX<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

webe, blutiger Stuhl und Urin,<br />

Schockzustände und Kreislaufzusammenbrüche,<br />

Krämpfe und<br />

Lähmungserscheinungen und<br />

Übelkeit mit Erbrechen, Durchfall,<br />

Haut- und Schleimhautblutungen.<br />

<strong>Die</strong> Infektion breitet sich auf den<br />

ganzen Organismus aus und zerstört<br />

die kapillaren Blutgefäße.<br />

Insbesondere führen Blutungen<br />

im Magen-Darm-Kanal, der Milz<br />

und in der Lunge zum Tode.<br />

Induzieren Veränderungen der<br />

Gefäßwand und lösen dadurch<br />

schwere Blutungen aus<br />

Das Gift breitet sich über das<br />

Lymphsystem aus. Symptome<br />

sind daher starke lokale<br />

Schmerzen und Muskelstarre;<br />

auch Todesfälle sind bekannt.<br />

Interaktion mit einem<br />

spannungsabhängigen Na+-<br />

Kanal; lösen Muskeldegeneration<br />

aus.<br />

Ein kleiner Tropfen, aufgenommen<br />

durch die Haut, verursacht<br />

Brechreiz und Krämpfe,<br />

um danach schnell zum Tod zu<br />

führen.<br />

Rizin Stärkste Vergiftungserscheinungen<br />

bis zur Atem-<br />

lähmung<br />

Senfgas Es wird von der Haut gut absorbiert<br />

und führt schnell zu<br />

folgenden Vergiftungserscheinungen:<br />

innere Blutungen,<br />

verminderte Herzleistung, Entzündungen<br />

der Schleimhäute des<br />

Magen-Darm-Traktes.<br />

467<br />

innerlich auftraten.<br />

60 - 70% Innere<br />

Blutungen mit<br />

damit verbundenen<br />

Schmerzen<br />

und starkes<br />

Fieber<br />

50 - 60% Keine<br />

Wirkung<br />

70 - 90% Ähnliche<br />

Wirkungen<br />

wie bei einem<br />

Menschen,<br />

nur sehr viel<br />

nahe hundertprozentig<br />

nahe hundertprozentig<br />

kürzer<br />

Keine<br />

Wirkung<br />

Keine<br />

Wirkung<br />

60 - 70% Leichte<br />

Blutungen,<br />

Austritt aus<br />

Mund und<br />

Nase.


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Entführer zeigte sich mit den Tests zufrieden und eröffneten House und Mick<br />

gleich die nächste Testreihe. Ungläubig hörte Greg, dass er Mick nun mit verschiedenen<br />

Waffen verletzen sollte, und genau Buch zu führen hatte, wie die jeweiligen Wunden ver-<br />

heilten. Mick starrte die Wissenschaftler entsetzt an. Der leitende Arzt erklärte: „Du wirst<br />

fixiert bleiben, mein Freund, damit du uns keine Scherereien machst, dafür wirst du sicher<br />

Verständnis aufbringen. Wir haben hier eine Reihe von Stich- und Schneidewaffen, aus unter-<br />

schiedlichen Materialien. Nummer 4, du wirst Nummer 13 jeweils einen zehn Zentimeter<br />

langen und zwei Zentimeter tiefen Schnitt am Oberschenkel und quer über dem Bauch zu-<br />

fügen, beziehungsweise die Stichwaffen auch genau dort ansetzen. <strong>Die</strong> Stichwaffen ver-<br />

bleiben je fünf Minuten im Körper, dann darfst du sie wieder heraus ziehen. Am besten fangt<br />

ihr gleich an, länger als zwei Tage haben wir für den Test nicht vorgesehen.“ House und Mick<br />

waren geschockt. Sie starrten beide auf den Rollwagen, der gebracht wurde. Dort lagen ver-<br />

schiedene Waffen, ein Messer, Skalpell, ein Holzpflock, ein am unteren Ende angespitztes<br />

Kruzifix ... Fassungslos stotterte House: „Ich ... weiß nicht, ob ... Hallo, ich bin Arzt. Ich<br />

bringe das nicht fertig. Ich kann doch nicht ...“ Der Weißkittel sah House kalt an. Dann griff<br />

er nach dem Holzpflock und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern rammte er Mick diesen<br />

leicht nach rechts versetzt neben dem Bauchnabel in den Körper. Der Gefesselte schrie auf<br />

vor Schmerzen, wand sich in Qualen auf der Liege und der Arzt erklärte dem schockierten<br />

House: „Siehst du, ist ganz einfach, du bist doch ein Genie, du schaffst das schon. Denn die<br />

Auswirkungen einer Weigerung wirst du dir sicher auch vorstellen können.“ Ohne eine Er-<br />

widerung abzuwarten drehte der Kerl sich herum und verließ den Raum.<br />

Mick lag keuchend vor Schmerzen da, House starrte kreidebleich auf den jungen<br />

Mann herunter und sank dann erschüttert auf den Stuhl. Es war dem Arzt im Augenblick voll-<br />

kommen unmöglich, die Tatsache auszublenden, dass er Mick nicht töten konnte. Allzu<br />

menschlich war das, was da keuchend und zuckend vor Schmerzen vor ihm lag, als das House<br />

sich hätte sagen können, dass Mick bereits tot und so nicht zu Töten war. Als plötzlich eine<br />

Stoppuhr los bimmelte, die House auf dem Rollwagen vollkommen übersehen hatte, zuckten<br />

beide Männer vor Schreck heftig zusammen. Scheinbar waren die fünf Minuten um, die die<br />

Stichwaffen auf Befehl der Entführer in Micks Körper zu verbleiben hatten. „Oh, Scheiße,<br />

wie soll ich ... Langsam? Schnell? Mick?“ „Vorsichtig ...“, keuchte dieser und wappnete sich<br />

gegen die Schmerzen, die beim Herausziehen einer Waffe entstanden. Mit zitternden Händen<br />

packte House den Holzpflock und biss sich auf die Unterlippe. Dann zwang er sich, diesen<br />

vorsichtig, aber zügig aus Micks Körper zu ziehen, was diesem einen erneuten, kurzen<br />

Schmerzensschrei entlockte. Angewidert schleuderte House den Pflock an die Wand, dann<br />

starrte er verbissen auf die Wunde und drückte die Stoppuhr erneut. Nach dem Entfernen des<br />

468


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Pflockes trat eine leichte Blutung auf, die aber schnell versiegte. Kaum zehn Minuten später<br />

hatte die Wunde sich ganz geschlossen und Mick bestätigte, dass er keine Schmerzen mehr<br />

hatte. Und er war es auch, der House schließlich deutlich machte, dass Zögern keinen Zweck<br />

hatte. „Du kannst <strong>mich</strong> nicht Töten, House, aber wenn du nicht bald anfängst, wird Allison es<br />

sicher büßen müssen. Komm schon, es wird nicht angenehmer, je länger ich darauf warten<br />

muss, okay? Schmerzen bin ich durchaus gewohnt ...“<br />

Innerlich fluchte Mick, denn seine Stimme zitterte mehr als ihm lieb war. House<br />

schluckte trocken. Dann prustete er verzweifelt. „Das ist das Schlimmste, was ich je machen<br />

musste. Elende Bastarde.“ Unglücklich sah er den wehrlos gefesselten Vampir an und packte<br />

den Holzpflock fest mit der Rechten. Er holte aus ... und seine Hand blieb in der Luft hängen,<br />

als er sah, wie Mick unwillkürlich angstvoll die Augen schloss. „Ich kann das nicht. Hört ihr,<br />

ihr Mistkerle? Ich kann das nicht. Ich bin Arzt, kein Schlächter. Lasst es an Allison und mir<br />

aus, am besten nur an mir, aber ich kann es nicht.“ Dem Zyniker liefen Tränen über die<br />

Wangen, ihm war schlecht vor Angst um Cameron, aber er war nicht fähig, zuzustechen.<br />

Mick hatte auf den Stich gewartet, öffnete aber erstaunt die Augen, als nichts dergleichen<br />

geschah. Entsetzt hörte er House’ Weigerung und schüttelte frustriert den Kopf. Er wollte<br />

nicht indirekt Schuld daran sein, dass diese Schweinepriester sich an Cameron und House<br />

austoben würden. „House, mach dich nicht unglücklich. Du weißt, was du dir und Allison<br />

antust?“ House nickte. „Ja, das weiß ich, ich bin nicht blöde, aber ich weiß, dass Allison das<br />

versteht. Ich habe nicht Medizin studiert, um <strong>mich</strong> hier als Schlächter verheizen zu lassen. Ich<br />

kann es nicht, fertig.“<br />

„Er scheint es wirklich nicht zu machen.“<br />

„Das überrascht <strong>mich</strong>, ich hielt ihn wirklich für feige.“<br />

„Er weiß, was das für Konsequenzen haben wird, es ist ihm klar, dass wir uns<br />

an Cameron halten werden, und trotzdem tut er es nicht. Damit habe ich nicht ge-<br />

rechnet.“<br />

„Ich glaube, damit hat keiner von uns gerechnet.“<br />

„Was sollen wir jetzt machen? Er wird seine Meinung nicht ändern, denke ich.<br />

Er nimmt das Risiko auf sich. Also wird er sich nicht überreden lassen, nur weil das<br />

passiert, was er schon weiß.“<br />

„Hm, ich habe da eine Idee. Cameron ist uns ja noch etwas schuldig. Schafft sie<br />

ran, aber schnell.“<br />

House zuckte zusammen und wirbelte herum, als Minuten später plötzlich die Tür auf<br />

gerissen wurde und ein Wachposten mit Allison am Arm in den Raum trat. <strong>Die</strong> junge Ärztin<br />

469


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wirkte verängstigt und sah sich erschrocken um. „Oh, Gott, was soll das?“, entfuhr ihr nach<br />

einem Blick auf die Waffen und den gefesselten Vampir entsetzt. House war in sich zu-<br />

sammen gesunken und harrte resigniert der Dinge, die nun unweigerlich kommen würden.<br />

Was dann jedoch kam holte den Arzt fast von den Füßen. Cameron wurden die Fesseln gelöst<br />

und der Arzt erklärte ihr: „Nummer 10, es ist dir sicher klar, dass wir keine Menschen sind,<br />

die vergeben und noch weniger, die vergessen, oder?“ Verständnislos starrte Allison den<br />

Mann an. Ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Diabolisch grinste der Kerl. „Nun,<br />

vielleicht muss ich dein Gedächtnis ein wenig auffrischen? Du wirst ganz sicher die niedliche,<br />

kleine Box erinnern, in der du das Vergnügen hattest, dich aufhalten zu dürfen?“ Cameron<br />

wurden die Knie weich. „Nun, dann erinnerst du dich sicher auch an dein Versprechen, alles,<br />

aber auch alles zu tun, wenn wir dich nur da raus lassen, oder?“ Tränen traten der Immuno-<br />

login in die Augen, Tränen der Angst und der Scham. Sie starrte zu Boden. Und zuckte er-<br />

schrocken zusammen, als der Arzt sie mit kalter, erhobener Stimme anfuhr: „Erinnerst du<br />

dich, Nummer 10?“ Verzweifelt und hastig stieß sie hervor „Ja, Sir, ja, ich erinnere <strong>mich</strong>.“<br />

Der Arzt nickte zufrieden. House und Mick hörten verständnislos zu.<br />

„Gut, denn du wirst heute dein Versprechen einlösen. Quit pro quo. Dein Boss weigert<br />

sich, eine ihm gestellte Aufgabe zu erledigen.“ Cameron sah House entsetzt an. - Wie kannst<br />

du nur. - schien ihr Blick zu sagen. Der Arzt fuhr fort: „Daher wirst du das für ihn über-<br />

nehmen. Und nur, für den Fall, dass du auch der Meinung bist, du müsstest dich unseren An-<br />

weisungen widersetzen ...“ Der Arzt gab der noch anwesenden Wache einen Wink und diese<br />

wandte sich House zu. Rücksichtslos zerrte der Wachmann den Arzt hoch und stieß ihn hart<br />

gegen die rückwärtige Wand. Er gab House den Befehl, die Hände vor den Körper zu nehmen<br />

und fesselte sie dort zusammen. Dann drückte er dem Arzt die Arme über den Kopf und ließ<br />

die Fesseln in einen an der Wand befestigten Kleiderhaken einrasten. Allison hatte diese<br />

Aktion mit schreckgeweiteten Augen beobachtet, ebenso wie Mick. Der Typ vor ihr erklärte<br />

kalt: „Du wirst diesen Test hier fortsetzen. Deine Aufgabe ist es, Nummer 13 hier die Waffen<br />

jeweils in den Bauch und in den Oberschenkel zu stoßen, beziehungsweise über Bauch und<br />

Oberschenkel zehn Zentimeter lange und zwei Zentimeter tiefe Schnitte auszuführen, genau<br />

zu dokumentieren, wie die Verletzungen reagieren und den Heilungsverlauf zu Protokollieren.<br />

Sollte Nummer 13 schlapp machen, ist hier Blut für ihn. Dort hast du eine Stoppuhr. <strong>Die</strong><br />

Stichwaffen verbleiben je fünf Minuten in den Wunden. Wenn du uns wütend machst, in dem<br />

du auch den Befehl verweigerst, werden wir nach und nach alle Waffen in Nummer 4<br />

platzieren, hast du das kapiert?“ Tränen stürzten Allison über die Wangen und sie starrte ent-<br />

setzt abwechselnd Mick und House an, dann nickte sie. „Ja, ich ... ich habe es ... verstanden<br />

..., Sir.“<br />

470


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heftig zitternd drehte sie sich zu Mick herum. „Oh, Gott, es tut mir so unendlich leid<br />

...“ Mick schüttelte resigniert den Kopf. „Vergiss es, okay, das ist wohl kaum deine Schuld.<br />

Mach House und dich nicht unglücklich, und tue, was man dir sagt. Du weißt, dass du <strong>mich</strong><br />

nicht umbringen kannst. Mache es.“ Allison schluchzte hysterisch auf. „Aber du wirst<br />

Schmerzen haben ...“ Mick biss sich auf die Unterlippe. „Ja, die schnell, ganz schnell wieder<br />

vergehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich Schmerzen habe und ganz sicher nicht das letzte<br />

Mal. Bei mir verheilt so was innerhalb von Minuten, bei House nicht. Bitte, Cameron, fange<br />

endlich an, hier zu liegen und darauf zu warten ist nicht sehr angenehm. Mach es einfach.“<br />

Mick hatte Angst, ganz besonders, weil einige der Waffen eindeutig aus Silber waren, aber<br />

die Angst wurde nicht weniger, je länger er hier hilflos herum lag. Er wollte es endlich hinter<br />

sich haben und nicht noch ewig hier herum liegen und darauf warten. „Der Pflock, in den<br />

Oberschenkel.“, bemerkte der Arzt, und erklärte dann weiter: „Ich überlasse jetzt mal dir das<br />

Feld. Nummer 10.“ Sprachs, und verließ den Raum. Der Wachposten blieb kalt grinsend<br />

neben House stehen und sah Allison auffordernd an. „Du hast den Vampir gehört. Ich bin<br />

kein geduldiger Mensch, ich gebe dir genau zwei Minuten, dann hat dein Lover hier den<br />

Pflock im Bein.“ Allison erstarrte. „Nein, bitte ...“ Mit zitternder Hand griff sie nach dem<br />

Holzpflock. Sie drehte sich zu Mick herum und dieser nickte. „Mach schon ... Bitte ... Lass<br />

<strong>mich</strong> hier nicht ... Ich möchte es auch hinter mir haben, verstehst du das?“ Verzweifelt sah er<br />

Allison an. „Mach die Augen zu, okay ...“, flüsterte diese und dann machte sie entschlossen<br />

Micks rechte Hand los. Sie hielt diese in ihrer eigenen Linken, dann stach sie entschlossen zu.<br />

Mick hatte überrascht gespürt, wie Allison seine Hand los machte. Er tat ihr den Ge-<br />

fallen, die Augen zu schließen und spürte, wie sie nach seiner Hand griff. Dankbar hielt er<br />

sich an dieser fest und dann zuckte er mit einem Aufschrei zusammen, als er spürte, wie das<br />

Holz in seinen Oberschenkel eindrang. Sein Aufschrei vermischte sich mit dem leisen, ver-<br />

zweifelten Keuchen Allisons. Den Wachposten ignorierend drückte Cameron die Stoppuhr<br />

und legte dann ihre Rechte in einer sanften Geste auf Micks Stirn. „Ich verspreche dir, ich<br />

mache schnell ... Wenn ... wenn es nicht mehr geht, musst du mir das sagen, dann machen wir<br />

eine Pause und ich gebe dir Blut ... Okay.“ In Micks Gesicht arbeitete es heftig, aber er nickte.<br />

„Okay ...“ Allison wartete die vorgeschriebenen fünf Minuten ab, dann zog sie den Pflock<br />

angewidert aus Micks Bein und hätte ihn am liebsten dem Wachposten an den Kopf ge-<br />

schmissen. Stattdessen aber beobachtete sie, wie sich die Wunde schloss. Sie trug das Ergeb-<br />

nis in die bereit liegende Liste und griff dann nach dem Dolch. Während House krampfhaft<br />

bemüht war, sein Gewicht auf das gesunde Bein zu verlagern, arbeitete Allison sich ver-<br />

zweifelt durch die vorgegebenen Waffen.<br />

471


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Waffe Material Krankheitsbild Heilungsprozess<br />

Pflock Holz Keine äußere<br />

Blutung, aber<br />

starke Schmerzen<br />

im Bauchbereich,<br />

geringe Schmerzen<br />

im Bein<br />

Dolch Stahl Leichte Blutungen,<br />

erträgliche<br />

Schmerzen,<br />

Silber Kräftige Blutungen,<br />

sowohl am Bauch<br />

als auch am Bein,<br />

sehr starke<br />

Schmerzen,<br />

Messer Metall Mäßige Blutung,<br />

Ge-<br />

zahntes<br />

Messer<br />

Kruzifix,<br />

an-<br />

gespitzt<br />

erträgliche<br />

Schmerzen,<br />

sauberer Wund-<br />

rand.<br />

Metall Stärkere Blutung,<br />

Wundränder aus-<br />

gefranst, starke<br />

Schmerzen<br />

Gold Keine übermäßigen<br />

Schmerzen, kleine<br />

saubere Stich-<br />

472<br />

Bauch<br />

Nach Entfernen des<br />

Pflockes leichte<br />

Blutung, Heilung tritt<br />

innerhalb von zehn<br />

Minuten ein.<br />

Blutungen nach Ent-<br />

fernung der Waffe,<br />

Heilung nach 5<br />

Minuten.<br />

Blutungen, Heilung<br />

verläuft langsam,<br />

nach zwanzig<br />

Minuten Zufuhr von<br />

Blut, danach schnelle<br />

Wundheilung.<br />

Schnitt heilt schnell,<br />

keine Nach-<br />

blutungen, Wunde<br />

nach 3 Minuten ver-<br />

schwunden<br />

Kaum Nach-<br />

blutungen,<br />

Schmerzen lassen<br />

bald nach, Wunde<br />

nach 7 Minuten ver-<br />

schlossen.<br />

Keine Nachblutung,<br />

kleine Wunde nach<br />

kaum 3 Minuten ge-<br />

Heilungsprozess<br />

Bein<br />

Keine sichtbare<br />

Blutung, nach<br />

Entfernen tritt<br />

Heilung schon<br />

nach 3 Minuten<br />

ein.<br />

Unmittelbare<br />

Heilung, kaum<br />

Schmerzen, keine<br />

Blutung.<br />

Starke<br />

Schmerzen,<br />

Heilung verläuft<br />

langsam, aber<br />

nach 15 Minuten<br />

hat sich die<br />

Wunde ge-<br />

schlossen.<br />

Wunde schließt<br />

sich fast unmittel-<br />

bar, bereits nach<br />

einer Minute ist<br />

nichts mehr zu<br />

sehen.<br />

Schmerzen<br />

lassen schnell<br />

nach, Wunde ver-<br />

schießt sich nach<br />

4 Minuten.<br />

Kaum<br />

Schmerzen,<br />

Wunde in weniger


Kruzifix,<br />

an-<br />

gespitzt<br />

Silber,<br />

geweiht<br />

wunde, Gold hat<br />

offensichtlich<br />

keinen Einfluss<br />

Sehr starke<br />

Schmerzen, heftige<br />

Blutung, Reaktion<br />

auf Silber sehr<br />

heftig<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

473<br />

schlossen. als 1 Minute ver-<br />

Wunde blutet stark<br />

nach, Heilung tritt<br />

erst nach Zufuhr von<br />

Blut ein. Wunde<br />

schließt sich erst<br />

nach über 30<br />

Minuten. Weiterhin<br />

Schmerzen.<br />

heilt.<br />

Auch hier starke<br />

Nachblutungen,<br />

Heilung erst nach<br />

erneuter Blut-<br />

zufuhr, Wunde<br />

nach zwanzig<br />

Minuten verheilt,<br />

auch hier weiter<br />

Schmerzen.<br />

Am Ende ihrer Kraft hatte Allison die letzten Eintragungen in der Liste gemacht. Dann<br />

endlich erhielt sie die Erlaubnis, Mick die Fesseln zu lösen. Mit fliegenden Fingern öffnete sie<br />

die Ledermanschetten, die den Vampir nun schon stundenlang auf der Liege gehalten hatten.<br />

Unendlich erleichtert, aber ebenfalls mehr als am Ende, rollte der junge Mann sich auf die<br />

Seite. Er war heiser vom Schreien, schämte sich seiner Schwäche und wollte eigentlich nur<br />

noch in den Freezer. Das jedoch ließen die Entführer noch nicht zu. Der Wachposten befreite<br />

nun auch endlich House aus seiner Zwangslage und es hätte nicht viel gefehlt, und dieser<br />

wäre einfach zusammen gesackt. Einmal mehr verdammte und verfluchte er sein kaputtes<br />

Bein. Mühsam, und ein Stöhnen vor Schmerzen nicht mehr unterdrücken könnend schleppte<br />

er sich zu dem Stuhl hinüber und sank auf diesem nieder. Er knirschte vor Wut mit den<br />

Zähnen, rieb sich das Bein und fragte Mick besorgt: „Hey, geht es dir gut?“ Allison stand<br />

vollkommen fertig neben der Liege mit dem Vampir, sah House an und wusste nicht, was sie<br />

tun sollte oder durfte. Sie hatte Mick liebevoll eine Hand auf die Schulter gelegt und als<br />

House ihr aufmunternd zu nickte, beugte sie sich zu Mick herunter und fragte leise: „Mick, ist<br />

alles in Ordnung? Kann ich dir irgendwie helfen?“ Der junge Mann rappelte sich langsam auf.<br />

Aus müden Augen sah er Allison an und lächelte beruhigend. „Abgesehen von meinem Stolz<br />

geht es mir mit Sicherheit besser als House.“ <strong>Die</strong>ser lachte sarkastisch auf. „Wollen wir<br />

tauschen?“ Der Wachposten fuhr dazwischen. „Genug geschwafelt, Hände auf den Rücken,<br />

los.“<br />

<strong>Die</strong> Belohnung


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren<br />

Wert.<br />

Oscar Wilde<br />

Minuten später waren die drei Gefangenen auf ihren Zimmern. Mick wurde von Beth<br />

erwartet, die hochgradig entsetzt und verängstigt wirkte. Sie waren keine zwanzig Minuten<br />

auf dem Zimmer, als sie bereits wieder heraus geklingelt wurden. Es gab Abendbrot. Müde<br />

fanden sich die Gefangenen am Tisch ein. Wenn auch Mick der Einzige war, der an dem Tage<br />

gequält worden war, waren doch alle Gefangenen abends ziemlich am Ende. Was sie an<br />

Tagespensum zu leisten hatten, war unglaublich anstrengend. Und immer steckte auch allen<br />

die psychische Erschöpfung in allen Gliedern. Recht schweigsam verlief das gemeinsame<br />

Essen, und eigentlich wären alle froh gewesen, sich zurückziehen zu dürfen. Aber man ließ<br />

sie noch sitzen. Dann tönte aus dem Lautsprecher die kalte Stimme, die sie alle schon so gut<br />

kannten und hassten. „Alle mal zugehört.“ Das war die klare Aufforderung, sich gerade zu<br />

setzen und aufmerksam zuzuhören. Keiner ignorierte das mehr. Alle machten sich gerade,<br />

egal, wie müde und erschöpft jeder war. <strong>Die</strong> Stimme fuhr fort: „Nummer 10 hat heute einen<br />

interessanten Test gemacht. Sie wird euch jetzt davon erzählen.“ Allison wurde abwechselnd<br />

rot und blass. Dann bekam sie den Befehl: „Hoch mit dir.“ Sie stand auf und wagte nicht, den<br />

Blick zu heben. Auf ihren leeren Teller starrend begann sie zu Sprechen.<br />

„Ich musste ... Mick mit verschiedenen Waffen verletzen ... Stichwaffen und Messern.<br />

Ich sollte genau ... beschreiben, was ... Ich musste aufschreiben, wie die Wunden heilten.“<br />

Beth war nicht die Einzige, die erschrocken die Luft ein sog. Mick hatte ihr noch nicht<br />

erzählt, was los gewesen war, nur, dass einige Tests gemacht worden waren. „Weiter,<br />

Nummer 10.“ Allison zuckte zusammen, dann fuhr sie fort: „Eigentlich sollte ... Ho...<br />

Nummer 4 das machen.“ <strong>Die</strong> Stimme unterbrach Allison. „Nummer 4, warum hast du es nicht<br />

gemacht?“ Resigniert stand House ebenfalls auf und erklärte klar und deutlich: „Ich bin Arzt,<br />

kein Schlächter. Ich habe <strong>mich</strong> geweigert. Ja, guckt nur, ich habe Allisons und meine eigene<br />

Gesundheit aufs Spiel gesetzt, aber ich hätte es nicht gekonnt. Ich habe nicht Medizin studiert,<br />

um einen Menschen absichtlich zu verletzen. Und jetzt kommt mir nicht mit dem Argument,<br />

Mick wäre kein Mensch, sein Körper reagiert auf Schmerzen genau wie jeder Körper hier. Er<br />

empfindet sie wie wir und hat wie wir Angst vor ihnen. Ja, ich habe <strong>mich</strong> geweigert, habe die<br />

Konsequenzen in Kauf genommen. Und wisst ihr was? Ich würde es wieder machen.“<br />

474


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison hatte zu gehört und erfuhr so überhaupt erst, warum genau House den klaren<br />

Befehl verweigert hatte. Und sie nickte langsam. „Ich verstehe das und ich hätte genauso<br />

reagiert. Leider habe ich, um aus der camera silens heraus zu kommen, das unsinnige Ver-<br />

sprechen gegeben, alles zu tun. Ich war feige und schwach und habe nicht wie Booth und<br />

Gibbs durch gehalten. Ich habe <strong>mich</strong> verkauft, um dem zu entgehen. Und als sie auch noch<br />

drohten, House die Waffen nach und nach in den Körper zu rammen, hatte ich keine andere<br />

Wahl mehr. Ich hoffe, Mick wird mir das verzeihen können.“ Tränen kullerten über Allisons<br />

Wangen und sie sank auf ihren Stuhl zurück. Auch House hatte sich wieder gesetzt. Mick<br />

erklärte ruhig: „Mach dir keine Sorgen, Allison, es gibt nichts zu verzeihen. Du hattest keine<br />

Wahl. Wir alle hier haben keine Wahl.“ <strong>Die</strong> anderen Gefangenen hatten still zu gehört und<br />

wenn auch Beth erst so etwas wie leise Wut empfunden hatte, musste sie sich eingestehen,<br />

dass alle anderen wesentlich länger schon hier waren und keinerlei Widerstandskraft mehr<br />

hatten. Und die Entführer verstanden es, die Ängste, die sie alle um einander hatten, kalt und<br />

präzise auszunutzen. Keiner hier hatte wirklich eine Chance, irgendetwas zu verweigern.<br />

*****<br />

Am darauf folgenden Tag lief alles ab wie immer. Nach dem Frühstück ging es in die<br />

Sporthalle. Dort wurden die Gefangenen zwei Stunden lang bearbeitet. Neben den Geräten<br />

und Herz-Kreislauftraining stand nicht nur für Heather, Beth und Allison Kampfsporttraining<br />

auf dem Programm. Auch die Männer, bis auf House, wurden immer wieder trainiert. Das war<br />

nach wie vor etwas, das ohne Ausnahme alle Gefangenen genossen. Genau wie die ver-<br />

schiedenen Unterrichte, die dann auf dem Programm standen. Warum sollte man nicht mit-<br />

nehmen, was man kriegen konnte? Und lernen war allemal besser, als tagein, tagaus in einer<br />

drei mal drei Meter großen, leeren Zelle vor sich hin zu vegetieren. Inzwischen sprachen alle<br />

fast fließend Spanisch und Französisch, sie kannten sich in den Gebieten klassische Musik,<br />

Maler und Künstler, Literatur, Politik, Technik, Geografie, im Bereich Tier und Pflanzenwelt<br />

und in vielen anderen Bereichen sehr gut aus. Dank des Sportes waren alle inzwischen sehr<br />

fit. Es gab nur noch eine Leistungsgruppe, und natürlich House, der sich aber in seinen<br />

Möglichkeiten auch extrem gesteigert hatte. <strong>Die</strong> Treffsicherheit beim Schießen hatte sich für<br />

die Betroffenen unglaublich verbessert, und auch das Kampftraining zeigte gerade bei den<br />

Frauen, die ja schon länger dabei waren, deutliche Erfolge. Und es schien noch lange nicht so<br />

zu sein, dass den Entführern nichts mehr einfiel. Das merkte Jake, als er an diesem Tage statt<br />

zum Schießen nach dem Sport in einen Raum gebracht wurde, in dem ein großer Flug-<br />

simulator stand.<br />

475


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jake saß staunend in dem Simulator und hatte die knappe Anweisung bekommen, den<br />

Airbus 350, der hier offensichtlich simuliert wurde, auf dem Flughafen von Hongkong zu<br />

landen. Jake war bekannt, dass der Airport als schwer anzufliegen galt. Er fragte sich ernst-<br />

haft, was der Quatsch sollte. Er hatte nie eine so große Maschine geflogen und war sicher,<br />

keine Chance zu haben, auch nur halbwegs in einem Stück die Landung hin zu bekommen.<br />

Genervt verschaffte er sich einen <strong>Über</strong>blick über die Instrumente vor sich. Dann wurde der<br />

Simulator gestartet. Er musste aus 10.800 Meter den Landeanflug beginnen und dann die<br />

Landung schaffen. Ergeben seufzte Jake. Er war froh, nur in einem Simulator, nicht in einem<br />

wirklichen Flugzeug zu sitzen. Allerdings musste er zugeben, dass dieser Simulator der Beste<br />

war, in dem er je gesessen hatte. Und dreißig Minuten später musste er noch etwas ganz<br />

anderes zugeben. Er hatte es geschafft. Nicht nur so eben und eben, nein, er hatte eine<br />

perfekte Landung hin bekommen. Er konnte es selbst nicht fassen. Dass er auch bei einem<br />

zweiten Versuch, mit schlechten Wetterverhältnissen, eine ebenso perfekte Landung hin be-<br />

kam, verwirrte den jungen Mann vollends.<br />

Am Tag darauf wurde er erneut in den Simulator gesteckt. Der war inzwischen um-<br />

gearbeitet und umprogrammiert worden. <strong>Die</strong>smal war es ein Kampfjet, den er landen sollte.<br />

Eine russische Jakowlew Jak-141. Er bekam wieder einige Minuten Zeit, sich mit den<br />

Instrumenten vertraut zu machen, dann hatte er die Maschine, die sowohl senkrecht gestartet,<br />

als auch gelandet werden konnte, auf Kurs zu bringen und auf einem Flugzeugträger zu<br />

landen. Jake lachte mutlos. - Ihr habt ja alle einen Knall. - dachte er. Er schaffte es, die<br />

Maschine zu übernehmen, hatte nach wenigen Minuten bereits das Gefühl, sie unter Kontrolle<br />

zu haben und nach einigen Testrunden landete er den Bomber sanft auf dem Flugzeugträger.<br />

„Ich begreife das nicht. Verstehst du? Ich habe nie etwas anderes als kleine Frachtmaschinen<br />

geflogen. Heather, ich kann das nicht können. Ich bin echt total verwirrt.“, erklärte er am<br />

Abend in ihrem Raum der jungen Lehrerin. <strong>Die</strong>se nickte. „Ich weiß, was du meinst. <strong>Die</strong><br />

Geräte, die ich hier schon reparieren oder zusammen bauen musste, hätte ich eigentlich auch<br />

nie schaffen können. Jake, wie es aussieht, haben wir gewissen Fähigkeiten, die wir selbst<br />

nicht kennen, aber die Entführer scheinen darüber genau Bescheid zu wissen. Mir wird das<br />

alles hier immer unheimlicher. Ich fühle <strong>mich</strong> wie ein Alien. Unsere Väter haben alle eine<br />

Zeitlang gedient, wir alle hatten einen schweren Unfall in der Kindheit, müssten eigentlich tot<br />

sein, alle haben wir extrem gute Regenerationsfähigkeiten, und jetzt das. Jake, was sind wir?“<br />

*****<br />

476


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

An diesem Abend erlebten die Gefangenen eine angenehme <strong>Über</strong>raschung, die<br />

allerdings, wie sollte es anders sein, unangenehm begann. Als es eigentlich Zeit war für das<br />

Abendbrot, wurden alle Gefangenen aus den Zimmern zitiert und hatten auf dem Gang vor<br />

dem Wohntrakt Aufstellung zu nehmen. Beunruhigt, und genau darüber genervt, nahmen die<br />

Wehrlosen die Haltung ein, die sie einzunehmen hatten: Blick auf die Füße, Hände auf den<br />

Rücken, gerade stehen. Sie hatten diese Haltung inzwischen vollkommen verinnerlicht.<br />

Wachposten traten zu ihnen, ließen die Karabiner an den Handgelenkfesseln einschnappen<br />

und dann geschah etwas, dass den Gefangenen eine Gänsehaut der Angst über den Rücken<br />

jagte. Man stülpte ihnen schwarze Säcke über die Köpfe und schnürte diese am Hals so fest<br />

zu, dass kein noch so schwacher Lichtschein in die Hüllen drang. Ganz kurz spürten Gibbs<br />

und Booth heftige Panik in sich aufwallen, überflutete doch die Schwärze, die plötzlich um<br />

sie herrschte, ihren Hirne mit den Erinnerungen an die Zeit in der camera silens. <strong>Die</strong> ziemlich<br />

geschockten Gefangenen spürten nun, wie sie an den Oberarmen gepackt und einzeln ab-<br />

geführt wurden. - Oh Gott, hilf. Was wird das jetzt wieder.?- fuhr es Allison durch den Kopf.<br />

Ihre Beine zitterten so stark, dass sie das Gefühl hatte, nicht mehr weiter gehen zu können. Es<br />

ging mit dem Fahrstuhl nach oben. Soviel war sicher. Sie hörte, wie die Fahrstuhltür sich<br />

öffnete. Man führte sie weiter, dann klickte vor ihr wieder eine Tür. Und als Nächstes spürte<br />

sie geradezu überwältigen stark feuchte Wärme, den Geruch von Wald, Wasser, Abgasen,<br />

Wind ...<br />

Auch die <strong>Anderen</strong> wurden im Fahrstuhl nach oben gebracht und auch sie hörten das<br />

charakteristische Klicken einer Tür, bevor ihnen die gleichen Empfindungen bewusst wurden:<br />

Luft, frische Luft, draußen-Luft. Verängstigt und angespannt standen sie da, und zuckten<br />

kollektiv zusammen, als sie Hände spürten, die sich an den Säcken über ihren Köpfen zu<br />

schaffen machten. Dann endlich wurden diese von ihren Köpfen gezogen und im nächsten<br />

Moment spürten sie, wie ihre Handfesseln gelöst wurden. Blinzelnd sahen sie sich um und<br />

glaubten, nicht richtig zu sehen. Sie standen auf dem Dach des Gebäudes, es war finstere<br />

Nacht und vor ihnen in der Dunkelheit standen acht gedeckte Tische, Kerzen flackerten im<br />

sanften Wind, von irgendwo ertönte leise Musik, ein paar Fackeln erhellten die Szenerie mit<br />

ihrem Feuerschein. Fassungslos standen die Gefangenen da und starrten auf das Bild vor<br />

ihnen. Einer der Wachleute erklärte: „Wenn auch eigentlich nicht alle von euch die Be-<br />

lohnung erhalten sollten, haben sich die großzügigen Leiter des Projektes entschieden, dass<br />

ihr alle sie verdient habt. Ihr habt gute Fortschritte gemacht und die Bosse sind halbwegs zu-<br />

frieden mit euren Leistungen. Ihr habt drei Stunden, dann werden wir euch wieder abholen.<br />

Drei Stunden, in denen ihr nicht beobachtet, nicht belauscht werdet, drei Stunden, in denen ihr<br />

hier oben machen könnt, was immer ihr wollt. Ihr befindet euch im 35.ten Stockwerk,<br />

Nummer 10 und 13 werden das bestätigen können, einen Fluchtweg gibt es von hier oben<br />

477


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht, vergeudet also eure Zeit nicht damit, etwas zu suchen, was es nicht gibt. Auf den<br />

Tischen wartet ein erstklassiges Dinner und ihr habt Scotch, Wein, Wasser, Eis, nutzt die<br />

Zeit.“ Wie auf Stichwort zogen sich die Wachposten zurück und die vollkommen verwirrten<br />

Gefangenen standen einige Minuten lang starr und staunend da. Dann sagte House leise:<br />

„Carpe diem.“, griff nach Allisons Hand und zog sie sanft zu einem der acht Tische hinüber.<br />

Sawyer war der Nächste, der sich aus der Starre löste und den rechten Arm um Kate<br />

legte, sie sanft zu einem weiteren Tisch dirigierte. Jetzt gelang es auch den <strong>Anderen</strong>, sich aus<br />

der Starre zu lösen und sich an die weiträumig verteilten Tische zu begeben. Kleine Paravents<br />

trennten diese sogar vor den Mitgefangenen ab, sodass erstmals seit Monaten ein Gefühl der<br />

Privatsphäre in den Entführten aufkam. <strong>Die</strong> Tische standen weit genug auseinander, dass auch<br />

Unterhaltungen nicht an den Nachbartisch drangen. Als sich nun schnell alle Paare, bis auf<br />

Locke, der es von ganzem Herzen genoss, das erste Mal seit Monaten vollkommen alleine zu<br />

sein, und den NCIS Ermittlern, die selbstverständlich an einem Tisch zusammen blieben, an<br />

den Tischen eingefunden hatten, stellten sie fest, dass der Wachmann nicht übertrieben hatte.<br />

Das Dinner war erstklassig und Mick hätte sich ein weiteres Mal in den Hintern beißen<br />

können, dass er nichts Essen konnte. Neben einer köstlichen Pilzrahmsuppe, die als Vorspeise<br />

bereit stand, gab es Entenbrustfilets, zarte Schweinemedaillons, Kartoffelkroketten, ge-<br />

mischtes Gemüse, eine hervorragende Soße zu allem und als Nachspeise stand eine große<br />

Schüssel mit frischem, reichhaltigem Obstsalat auf den Tischen. Kate vergaß einmal mehr,<br />

dass sie Fleisch nicht wirklich gerne aß und alle anderen genossen das sehr gute Essen eben-<br />

falls.<br />

Alle tranken zum Dinner den exzellenten französischen Rotwein. Nach dem Essen<br />

gönnten sich die meisten der Gefangenen den Luxus, einen Scotch zu sich zu nehmen, sogar<br />

Sawyer, obwohl Kate besorgt das Gesicht verzog. „Komm schon, Freckles, sei nicht so<br />

streng, ein Scotch wird <strong>mich</strong> schon nicht gleich umbringen.“, grinste er. Kate seufzte. „Da<br />

hast du schon Recht. House hat auch nicht gesagt, dass du gar nichts mehr Trinken darfst, du<br />

sollst es einfach nur einschränken. Also, Cheers.“ Sie stießen an, dann stand Sawyer auf und<br />

auch Kate erhob sich. Arm in Arm wanderten die Beiden zum anderen Ende des sehr großen<br />

Daches. Das gesamte Gebäude unter ihnen lag in vollkommener Dunkelheit, sicher eine<br />

Aktion, um den Gefangenen die Möglichkeit zu nehmen, in der Dunkelheit mehr als ferne<br />

Lichtpunkte wahr zu nehmen. Eng aneinander gekuschelt hockten Sawyer und Kate sich auf<br />

die Dachbalustrade. Selbst wenn es nicht stockdunkel gewesen wäre, weder Sawyer noch<br />

Kate hätte die Höhe etwas ausgemacht, da beide vollkommen schwindelfrei waren. Hier nur<br />

zu sitzen, für Sawyer war es ja das erste Mal seit der Steinesammelaktion, dass er außerhalb<br />

des Gebäudes war, und frische Luft zu Atmen, den Geruch der Natur zu riechen, Sterne zu<br />

478


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sehen, Wind auf der Haut zu spüren, den fernen Duft vom Meerwasser zu schnuppern, war so<br />

überwältigend, dass nicht nur Kate Tränen über die Wangen liefen. Erst jetzt wurde allen Ge-<br />

fangenen, sogar Beth und Mick, bewusst, wie sehr ihnen die frische Luft fehlte. Ganz leise<br />

sagte Kate: „Wenn wir jetzt springen, haben wir es hinter uns ...“<br />

Jake zog Heather nach dem Essen ebenfalls hoch und Hand in Hand schlenderten sie<br />

zu einem Sendemast am Rande des Daches. Jake ließ sich auf den Boden sinken und zog<br />

Heather neben sich. Vorsichtig machte er sich lang und die junge Frau machte es sich in<br />

seinem Arm bequem. Dann schauten sie in den Sternen übersäten Himmel hinauf und nach<br />

einiger Zeit merkte Jake, das Heather leise schluchzte. „Was ist denn los?“, fragte er er-<br />

schrocken. „Ich weiß nicht, wie lange ich das alles noch ertrage, ohne den Verstand zu ver-<br />

lieren. Ich möchte zu meinem Vater, ich möchte hier weg, ich ... Schau dir nur diesen<br />

wunderschönen Sternenhimmel an, wer weiß, ob und wann wir ihn wieder sehen werden ...“<br />

Jake zog Heather an sich und gab ihr einen Kuss. „Das werden wir, daran musst du einfach<br />

weiter glauben. Wenn wir die Hoffnung verlieren, sind wir wirklich verloren.“<br />

Sawyer erschrak bei Kates Worten sichtlich. Dabei waren ihm Sekunden vorher ähn-<br />

liche Gedanken durch den Kopf gegangen. Einfach springen ... Kurze, heftige Angst, und<br />

dann nur noch Frieden, Ruhe, nie mehr Angst und Schmerzen. Aber das so unvorbereitet aus<br />

Kates Mund zu hören, war erschreckend. „So was dürfen wir nicht mal denken, Freckles. Ich<br />

meine, nachdem der echte Sawyer jetzt weg ist, haben wir alle Möglichkeiten offen, uns<br />

irgendwann ein wirklich schönes Leben zu machen. Und darum müssen wir hier durch halten,<br />

verstehst du? Wir müssen einfach.“ Kate seufzte. Sie kuschelte sich eng an Sawyer und spürte<br />

seine warme Haut, spürte seine wieder im Aufbau befindlichen Muskeln, und fühlte sich ein-<br />

fach und völlig irrational, sicher und geborgen.<br />

Beth und Mick hatten sich, nachdem Beth satt und zufrieden war, ebenfalls erhoben<br />

und waren an einer anderen Stelle an die Dachkante getreten. Eng umschlungen standen sie<br />

dort und genossen selbst den warmen, feuchten Mief, der zu ihnen hoch wehte. Beth streckte<br />

sich und gab Mick einen Kuss. „Wie schön wäre es, wenn du dich wirklich in eine Fleder-<br />

maus verwandeln könntest. Dann könntest du jetzt verschwinden und Hilfe holen.“ Mick<br />

lächelte sanft. „Als ob ich dich hier auch nur eine Sekunde alleine zurück lassen würde,<br />

Schatz.“ Beth lachte leise. „Das weiß ich doch. Wäre aber eine schöne Vorstellung. Da ist<br />

man schon mit Graf Dracula zusammen und kann noch nicht einmal Nutzen und Vorteil<br />

daraus ziehen.“ Mick verzog das Gesicht. „Vielleicht hätten die vor Dracula mehr Respekt ...“<br />

Er sah in die Dunkelheit hinaus. „Wie es Josef wohl geht. Ich hoffe so sehr, dass mein Verrat<br />

ihm und den <strong>Anderen</strong> nicht zum Verhängnis wird. Normalerweise müsste ich dafür vor das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gericht.“ Beth erschrak. Sie wusste um die strengen Regeln im Gesetz der Vampire. Auf Ver-<br />

rat stand der Tod. Aber ganz sicher wollte sie nicht hier überleben, um dann zuzusehen, wie<br />

Mick vor dem Vampirgericht vernichtet wurde.<br />

Booth und Bones hatten schweigend gegessen. Nach dem Essen hatte Booth die junge<br />

Frau vom Stuhl hoch gezogen und war vom Tisch weg getreten. Schließlich blieb er stehen<br />

und erklärte leise: „Weißt du, was ich mir schon lange vorstelle? Genau genommen seit<br />

Aurora?“ Bones überlegte krampfhaft. Aurora ... „Ach, du meinst die Sache mit dem Bären ...<br />

Nein, was ...“ Booth nickte. „Ja, der Fall dort mit dem Menschen fressenden Arzt ... Damals<br />

haben wir das erste und einzige Mal zusammen getanzt.“ Booth wurde rot, das war sogar im<br />

schwachen Licht der Kerzen zu sehen. „Seither stelle ich mir vor, wie es wäre, mit dir zu<br />

tanzen, und zwar nicht als Kollegen, sondern als Paar.“ Bones spürte eine wohlige Gänsehaut<br />

ihren Rücken herunter kriechen und sagte leise: „Dann sollten wir das einfach mal versuchen.<br />

Anthropologisch gesehen ...“ „Halt den Mund, Bones.“ Booth zog die junge Frau an sich und<br />

verschloss ihr die Lippen, indem er sie einfach küsste. Dann sagte er: „Du wirst jetzt mal ganz<br />

gefühlsmäßig denken, nicht anthropologisch.“ Er zog sie fester an sich und dann begann er<br />

sich im Takt der leisen Musik zu bewegen. Und Bones genoss es.<br />

Am Tisch des NCIS stopfte Ziva das letzte Stück Filet in ihren Mund. Gibbs war noch<br />

mit den Schweinemedaillons beschäftigt und Abby nahm die zweite Portion Obstsalat.<br />

„Kinder, ist das herrlich, mal wieder frische Luft zu atmen. Man weiß immer erst zu schätzen,<br />

was man als selbstverständlich erachtet, wenn man es verloren hat.“ Sie sah Gibbs und dann<br />

Ziva an. „Was Tim und Tony wohl gerade machen ...“, sinnierte sie gedankenverloren. „Tja,<br />

was sollen sie schon machen? Sie jagen Bösewichter und werden unter dem Arm versuchen,<br />

etwas über unseren Verbleib zu erfahren.“ Gibbs nickte. „So was in der Art, ja. Ich fürchte<br />

nur, darauf, dass man uns nicht außer Landes geschafft hat, kommt keiner. Und selbst, wenn<br />

wir uns jetzt hier weg beamen könnten, wir wären nicht in der Lage, konkrete Angaben zu<br />

machen, wo wir hier sind. Auf Borneo oder Sumatra. Beides ist groß. Sehr groß. Uns hier zu<br />

finden, entspricht dem Fund der Nadel um Heuhaufen. Ziva, unter der Hand, okay.“ „Pffft,<br />

Arm, Hand, eure Sprache ist ... nerv tötend.“<br />

„Wer hätte das gedacht. <strong>Die</strong> können ja richtig großzügig sein. Warum habe ich nur das<br />

ungute Gefühl, dass wir schnell dafür werden bezahlen müssen?“ Mulder schenkte Dana noch<br />

ein Glas Wein ein. „Weil du ein elender Pessimist bist?“, fragte die Agentin lächelnd. „Ach,<br />

und weil du an unheilbarer Paranoia leidest.“ Mulder lachte leise. „Jaja, nimm <strong>mich</strong> nur auf<br />

den Arm, aber merke dir meine Worte. <strong>Die</strong> sind noch nicht am Ende mit ihren netten <strong>Über</strong>-<br />

raschungen, glaube mir, Scully.“ Er griff nach seinem Glas, streckte Dana die Hand hin, sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nahm ebenfalls ihr Glas in die Hand und ließ sich dann von Mulder an den Dachrand ziehen.<br />

Vorsichtig setzten sich die Beiden hin und ließen die Beine über den Rand baumeln. „In der<br />

letzten Zeit geht es doch. Sie lassen uns ja einigermaßen in Frieden.“ Dana sah in die Dunkel-<br />

heit hinaus. „Ich bete zu Gott, dass es dabei bleibt. Wir alle könnte so dringend ein klein<br />

wenig Ruhe vertragen, ohne Angst. Nicht einmal im <strong>Die</strong>nst musste ich mir so viele Sorgen<br />

um dich machen. Und das will schon was heißen.“ Mulder schüttelte ungläubig den Kopf.<br />

„Sag mal, genießt du unsere Arbeit nicht? Weißt du nicht zu schätzen, dass du mit dem besten<br />

Alien-Jäger arbeiten darfst?“ Scully lachte ebenfalls. „Oh, das weiß ich sehr wohl zu<br />

schätzen. Auch die vielen, unbekannten Krankheiten, die ich schon an dir erforschen durfte ...<br />

Nicht zu vergessen ...“ Weiter kam die Agentin nicht. Mulder zog sie an sich und verschloss<br />

alles Weitere mit einem Kuss in ihrem Mund.<br />

<strong>Die</strong> Zeit verging wie im Fluge und ehe die Gefangenen, die emotional alle stark an-<br />

geschlagen waren, sich dessen bewusst wurden, waren die drei Stunden Freiheit vorbei. <strong>Die</strong><br />

Wachen kamen und forderten die verzweifelten Menschen auf, die Hände wieder auf den<br />

Rücken zu legen. Säcke bekamen sie nicht wieder über den Kopf. Sie wurden nun zügig in<br />

ihre Zimmer zurück geführt und als sich die Türen ihrer Räume hinter ihnen schlossen und<br />

die Gefangenschaft wieder wie eine Woge über ihnen zusammen brach, schluchzten nicht nur<br />

Heather, Kate und Allison einmal mehr untröstlich vor sich hin.<br />

Nur drei<br />

Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde.<br />

Anselm von Canterbury<br />

Und dann kam ein Morgen, der allen lange im Gedächtnis bleiben sollte. <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen saßen nach dem aufrüttelnden Abend auf dem Dach am Frühstückstisch und unter-<br />

hielten sich über einen gut verlaufenen Spanischtest am Tage zuvor, bei dem alle Betroffenen<br />

gut abgeschnitten hatten und vermieden den Gedanken an die kurz gespürte Freiheit. Selbst<br />

Abby, Allison und Locke, die keinerlei Grundkenntnisse gehabt hatten, hatten den Test mehr<br />

als befriedigend absolviert. Der Leiter des Unterrichts war zufrieden gewesen und hatte sich<br />

zu einem kurzen: „Nicht schlecht.“, hinreißen lassen. Gerade meinte Sawyer: „Mir ist nie klar<br />

gewesen, dass meine Spanischkenntnisse so weitreichend sind. Ich ... Naja, ich brauchte es<br />

bei einigen Betrügereien und hatte in der Schule Spanisch. Aber ich glaube, auf der Straße<br />

habe ich viel mehr gelernt. Ob ich allerdings jemals apprenne la langue française wage ich zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bezweifeln.“ Kate lachte. „Honey, du bist erheblich leistungsfähiger als du denkst.“ Mulder<br />

grinste „Stimmt, Honey. Du musst es dir dringend abgewöhnen, dich kleiner zu machen als<br />

du bist. Du bist im Stande, Infos aufzusaugen wie ein Schwamm, schade, dass du deine<br />

Intelligenz bisher so nutzlos verschwendet hast.“ Sawyer lief zart rot an und zeigte Mulder<br />

einen Vogel. Bevor er jedoch dazu kam, dem FBI Mann eine passende Antwort zu geben,<br />

ging die Tür auf und vier Wachen betraten den Raum. Aus dem Lautsprecher kam die An-<br />

sage: „Nummern 1, 2, 3 und 15, auf geht es.“<br />

Booth stopfte sich den letzten Bissen Rührei in den Mund, dann sprang er auf und<br />

folgte Jake, Sawyer und Mulder, die schon auf dem Weg zur Tür waren. „Bis später.“, sagte<br />

er im Vorbeigehen leise zu Bones. Vor der Tür fesselte man den vier Männern die Hände auf<br />

den Rücken, was abgesehen vom Abend zuvor bei den normalen Wegen innerhalb des Ge-<br />

bäudes lange nicht passiert war, und zog ihnen dann erneut die dunklen Säcke über den Kopf.<br />

Leicht beunruhigt spürten sie die Hände der Wachen an ihren Oberarmen und wurden ab-<br />

geführt. Alle vier machten sich Gedanken, was das wieder werden würde. Es ging mit dem<br />

Fahrstuhl nach unten, dann durch einen ziemlich kühlen, leicht unebenen Gang weiter, bis es<br />

hieß: „Stehen bleiben.“ Ein leichter Ruck an den Armen zeigte, dass sie scheinbar ihr Ziel<br />

erreicht hatten. Sie spürten, wie die Handfesseln gelöst wurden, dann bekamen sie nach-<br />

einander einen leichten Stoß in den Rücken und machten ein paar Schritte vorwärts. Sie<br />

hörten, wie hinter ihnen eine Tür zu fiel und griffen nach den Säcken über ihren Köpfen, die<br />

ihnen die Sicht nahmen. Als sie sehen konnten, hatten sie das Gefühl, einen Eimer Eiswasser<br />

über den Kopf zu bekommen. Sie fanden sich in einem vielleicht vier mal vier Meter großen,<br />

aus groben Steinen gemauerten Raum wieder. Feuchtigkeit lief in Bahnen von den kahlen<br />

Wänden. Der Boden war dreckig und feucht, aus rauem Beton gegossen. Eine funzelige<br />

Lampe an der Decke beleuchtete den Raum gerade genug, um seine Schäbigkeit in aller Deut-<br />

lichkeit zu zeigen. Irgendwelche Einrichtung gab es nicht, nur in einer Ecke lagen, voll-<br />

kommen deplaciert an diesem Ort, drei funkelnagelneue Baseballschläger am Boden.<br />

Verständnislos sahen sich die Männer um. „Was, zum Teufel, soll das werden?“,<br />

sprach Jake schließlich aus, was alle dachten. Und entwaffnend ehrlich erwiderte Mulder:<br />

„Ich habe keine Ahnung.“ Booth prustete genervt. „Da finde ich die sauberen Räume aber<br />

einladender.“ „Frag <strong>mich</strong> mal, Hoover.“ Sawyer sah sich angewidert um. Plötzlich vernahmen<br />

sie eine Stimme. Auch hier, in diesem Dreckloch, gab es offensichtlich irgendwo unter dem<br />

Schimmel an den Wänden einen Lautsprecher. „Probanden, ihr werdet euch fragen, wo ihr<br />

seid und was das soll. Nun, wir werden einen abschließenden Test mit euch vornehmen.<br />

Empfindet ihr Freundschaft für einander?“ Wohl wissend, was geschehen konnte, wenn man<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht antwortete, sah Mulder die anderen Männer an und diese nickten zustimmend.<br />

Stellvertretend für alle antwortete der FBI Mann: „Ja, Sir, ich denke, das tun wir alle in-<br />

zwischen.“ „Gut, denn diese Grundeinstellung ist ausschlaggebend für diesen letzten Test. Es<br />

geht um folgendes, und merkt euch meine Worte genau, denn ich werde sie nicht wieder-<br />

holen, verstanden?“ Alle vier beeilten sich, laut und deutlich „Verstanden, Sir.“, zu erwidern.<br />

„Gut, dann hört mir zu: Ihr werdet in diesem Raum bleiben. Nur drei von euch werden<br />

ihn lebend verlassen. Ihr selbst werdet entscheiden, wer sterben wird. Dort in der Ecke liegen<br />

Baseballschläger. Mit denen werdet ihr das auserkorene Opfer erschlagen. Solltet ihr euch<br />

entscheiden, alle vier hier zu krepieren, werden eure Frauen niemals erfahren, was mit euch<br />

geschehen ist und für den Rest ihres Lebens mit dem Zweifel über euren Verbleib leben<br />

müssen. Ihr werdet nicht Videoüberwacht, nur einmal am Tag wird nach euch gesehen<br />

werden.“ Es knackte statisch im Lautsprecher, dann herrschte Stille. Lange, tiefe Stille. Kein<br />

Laut war zu hören. Hätte man jedoch den Herzschlag der Männer hörbar gemacht, der Krach<br />

hätte vermutlich das Verließ gesprengt. Wie lange keiner von ihnen einen Ton von sich gab,<br />

war nicht zu Schätzen. Irgendwann drehte Booth sich herum und trat an die hintere Wand.<br />

Langsam sank er zu Boden und blieb so hocken. Dass seine Hose dabei nass wurde, ignorierte<br />

er. Jake hatte die gleiche Idee gehabt und trat an die rechte Wand, wo er sich langsam zu<br />

Boden gleiten ließ. Mulder und Sawyer hockten sich ihm gegenüber und dann sagte Sawyer<br />

leise: „Na, Jungs, hat einer Karten bei sich?“<br />

Jake sah ihn an. „Ich nicht, hatte nicht mit einem längeren Aufenthalt gerechnet.“<br />

„Auch keiner einen Ball? Wo wir hier doch schon Schläger haben.“ Booth deutete auf die drei<br />

Baseballschläger und fuhr dann ergeben fort: „Ich denke, das war es dann wohl, oder? Wie<br />

seht ihr das?“ Nur ruhiges Nicken antwortete ihm. „<strong>Die</strong> Frauen ...“, meinte Jake versonnen.<br />

Booth seufzte. „Bones ist stark. Sie wird es irgendwie verarbeiten. Und noch leben wir auch.“<br />

Mulder sah den jüngeren Mann an. „Dana wird es ebenfalls schaffen. Da bin ich mir sicher.<br />

Sie wird auch irgendwie herausfinden, was aus uns geworden ist.“ Er verhielt kurz, dann<br />

sagte er leise: „Kate und Heather?“ Jake senkte frustriert den Kopf. Und Sawyer sagte ruhig:<br />

„Ich habe schon einen Unschuldigen gekillt, ich werde es garantiert kein zweites Mal tun, und<br />

schon gar nicht einen von uns, das wird Kate verstehen.“ „Wie lange wird es dauern?“ Jake<br />

sah Mulder an. Der zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, ehrlich. Wir werden schneller ver-<br />

dursten als verhungern, soviel ist sicher. Im Kerker war es heiß und stickig, hier ist es kalt und<br />

feucht. Ich würde denken, vier bis fünf Tage ...“ Sawyer hatte zu gehört und fragte jetzt:<br />

„Sollten wir nicht wenigstens mal die Tür und das Verließ untersuchen? Und wenn es nur<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zum Zeitvertreib ist?“ Mulder überlegte. Dann nickte er. „Vielleicht hat einer unserer Vor-<br />

gänger irgendwo eine Ausgabe des „Playboy“ hinterlassen.“<br />

*****<br />

Beim Abendbrot wunderten sich alle, wo Sawyer, Mulder, Booth und Jake steckten,<br />

aber natürlich wurden die Gefangenen nicht aufgeklärt. Als man sie schließlich in die Zimmer<br />

schickte, ohne, dass die Männer wieder dazu gestoßen waren, wurden Dana, Kate, Bones und<br />

Heather unruhig. <strong>Die</strong> Nacht verging und keiner der Männer war zurückgebracht worden. Der<br />

Tag verlief wie immer, keiner der Wachen oder Trainer ging auch nur ansatzweise auf das<br />

Fehlen der vier Männer ein. Beim Mittag fragte Allison nervös: „Wo mögen sie nur sein?“<br />

Dana sah die junge Ärztin an. „Was glaubst du, was ich dafür geben würde, das zu erfahren.<br />

Ich werde hier noch verrückt.“ Verzweifelt schwieg die Agentin. Kate hatte kaum etwas ge-<br />

gessen. Nichts über den Verbleib Sawyers zu erfahren, machte die junge Frau fast wahn-<br />

sinnig. Sie musste sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht ihren Teller an die Wand zu<br />

schmeißen und nach Sawyer zu schreien. Heather und Bones ging es nicht einen Deut besser.<br />

Nichts zu erfahren, keine Ahnung zu haben, was mit den Männern geschehen war, machte die<br />

Frauen krank. Als auch der Nachmittag verging, ohne dass die vier Männer wieder zur<br />

Gruppe zurück gebracht wurden, hielt Kate es beim Abendessen nicht mehr aus. „Bitte, bitte<br />

... Warum sind Nummer ...“ „Das geht euch überhaupt nichts an. Noch eine Frage nach ihnen,<br />

und ihr werdet es bitter bereuen.“, wurde sie kalt unterbrochen. Kate schwieg erschrocken und<br />

Tränen kullerten über ihre Wangen.<br />

*****<br />

Booth hatte Durst. Er hätte einiges für ein Glas Bier gegeben. Ein Blick in die Ge-<br />

sichter der <strong>Anderen</strong> machte ihm klar, dass es den Freunden genau so ging. Sie hatten das<br />

Verließ gründlich untersucht, aber es gab keinerlei Möglichkeiten, heraus zu kommen. Da<br />

brauchten sie sich keine Hoffnungen zu machen, das war den Männern klar geworden. Sie<br />

hatten die Stunden mit Unterhaltungen verbracht, vermieden aber, über die Frauen zu<br />

sprechen oder über das, was sie hier erwartete. Als beim Sprechen der Durst irgendwann<br />

stärker wurde, versiegten die Unterhaltungen nach und nach etwas. Als die Männer müde<br />

wurden, hatten sie sich angewidert auf den dreckigen Boden gelegt und versucht, zu Schlafen.<br />

Sawyer war der Erste, der leise wieder auf die Beine kam. Er konnte nicht schlafen, zu sehr<br />

kreisten seine Gedanken um Kate. Er war nicht sicher, hatte aber das Gefühl, dass sie daran<br />

zerbrechen würde, wenn die Entführer diesmal ernst machten. Er setzte sich an eine Wand des<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Verlieses und versuchte, an etwas anderes zu Denken. Er hatte keine Angst mehr. Wenn man<br />

zu oft mit dem Tode bedroht wurde, verlor er irgendwann in der Tat seinen Schrecken. Sie<br />

hatten hier noch nicht darüber gesprochen, das brachte ohnehin nichts. Wenn die Entführer es<br />

diesmal ernst meinten, wären sie alle vier in zwei bis drei Tagen tot und die Frauen ... Nein.<br />

Sawyer schob den Gedanken an Kate energisch von sich weg.<br />

Seine Gedanken schweiften nach draußen. Dass die Suche nach ihnen eingestellt<br />

worden war, hatte Sawyer erschreckend klar und deutlich gemacht, dass niemand da draußen<br />

ihn vermissen würde. Er lehnte den Kopf an die feuchte Wand und schloss müde die Augen.<br />

Seine Großeltern väterlicherseits lebten nicht mehr, sie waren vor vier Jahren bei einem<br />

schweren Autounfall in Detroit ums Leben gekommen. Aber die Eltern seiner Mutter lebten<br />

noch und erfreuten sich bester Gesundheit. Sie hatten ihn als 8 jährigen damals zu sich ge-<br />

nommen, zähneknirschend. Er hatte den Kontakt abgebrochen, weil er selbst als junger Er-<br />

wachsener das Gefühl gehabt hatte, überflüssig zu sein. Sie hatten seinem Vater nie ver-<br />

ziehen, was dieser der Familie angetan hatte. Der kleine James war eine ständige, lebende<br />

Erinnerung an Warren gewesen und so an das, was er getan hatte. Irgendwann hatten Rose<br />

und Leonard Colby es nicht mehr ertragen, den kleinen, blonden Jungen mit den grünen<br />

Augen seines Vaters zu sehen und Tag für Tag daran erinnert zu werden, dass Warren ihre<br />

Mary umgebracht hatte. Sie hatten den vollkommen verstörten Jungen, mit dem sie ohnehin<br />

nichts anfangen konnten, zu anderen Verwandten weitergereicht. Später, als Sawyer älter<br />

wurde, hatten sie ab und zu Kontakt gehabt. Aber immer hatte James das Gefühl, angeschaut<br />

zu werden, als wäre er der Mörder seiner Mutter. So hatte er als Heranwachsender den<br />

Kontakt schließlich ganz abgebrochen. Nachdem sein Onkel an dem Hirntumor gestorben<br />

war, wurde er auch dort nur noch zähneknirschend geduldet und mit 17 schließlich hatte er es<br />

endgültig satt gehabt und verschwand. Er verdiente sich, was er zum Leben brauchte, mit<br />

Aushilfsjobs. Seine Tante versuchte nicht einmal, ihn wiederzufinden. All das ging Sawyer<br />

durch den Kopf und das Gefühl, vollkommen überflüssig zu sein überwältigte ihn mit Macht.<br />

Ohne es verhindern zu können, füllten sich seine Augen mit Tränen und er merkte nicht ein-<br />

mal, wie diese über seine Wangen kullerten.<br />

*****<br />

Tim saß an seinem Schreibtisch und hatte den Telefonhörer in der Hand. „Sicher, Mr.<br />

Austen, ich kann verstehen, dass sie Dr. Grissom und Miss Sidle gerne selbst sprechen<br />

möchten. Sie möchten von Ihnen etwas über ihre Tochter erfahren. Das ist mir durchaus klar.<br />

<strong>Die</strong> Angehörigen aller Entführten wollen das. Aber Dr. Grissom und Miss Sidle sind derzeit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

absolut nicht in der Verfassung, sich einer so großen Anzahl besorgter Angehöriger zu<br />

stellen.“ Tim prustete leise. Er konnte Austen so gut verstehen, am liebsten wäre er ja selbst<br />

in Vegas geblieben, um alles über die vergangenen Monate zu erfahren, was mit Abby ge-<br />

schehen war, wie es Gibbs und Ziva ging ... Nach ihrer Rückkehr aus Vegas hatten Tony und<br />

Tim die Angehörigen Austens, Greens und Lisinskis angerufen, und darüber informiert, dass<br />

die Vermissten noch lebten und man die Ermittlungen wieder aufgenommen hatte. <strong>Die</strong><br />

Greens hatten sofort den nächsten Flug nach DC gebucht und waren zusammen mit Richard<br />

Lisinski, dem Vater der verschwundenen Heather, im NCIS Hauptquartier aufgeschlagen.<br />

Und am Nachmittag desselben Tages war auch Sam Austen, der Stiefvater Kate Austens, auf-<br />

getaucht. Tony und Tim hatten sich auf Geheiß Jennys mit den Angehörigen zusammen-<br />

gesetzt und diese über den neusten Stand der Ermittlungen aufgeklärt.<br />

Erst einmal hatten sich alle damit zufrieden gegeben, von ihren Liebsten zu hören.<br />

McGee und DiNozzo gingen zwar nicht ins Detail, machten aber schon klar, dass die Ent-<br />

führer skrupellose Verbrecher waren, und dass es den Entführten nicht gut ergangen war.<br />

Nachdem die Angehörigen diese Neuigkeiten verarbeitet hatten, wurden von allen die<br />

Forderung danach, persönlich mit Grissom und Sidle zu sprechen, hartnäckiger. <strong>Die</strong> Beiden<br />

jedoch waren in eine Kurklinik in Texas gebracht worden, um sich von den Strapazen und<br />

dem seelischen Trauma ein wenig zu erholen. Nur CSI, CIA, FBI und NCIS wussten, wo sich<br />

die beiden CSI Ermittler aufhielten. <strong>Die</strong> Ermittlungen selbst waren mit Hochtouren wieder<br />

aufgenommen worden. Man hatte sich mit den Behörden auf Borneo und Sumatra in Ver-<br />

bindung gesetzt und die unterschiedlichsten Möglichkeiten durch gearbeitet, war dabei aber<br />

keinen Schritt weiter gekommen. Grissom hatte keine genauen Angaben machen können. Der<br />

Dschungel, durch den man ihn, Gibbs und die Frauen gehetzt hatte, konnte überall auf Borneo<br />

oder Sumatra sein. Das bot keinerlei Anhaltspunkte. Das Gebäude hatten weder Gil noch Sara<br />

von außen gesehen. Sie waren nach einem schönen Abendbrot eingeschlafen und in einer Art<br />

Miniaturausgabe ihrer Zellen alleine und ohne Kontakt zu einander wieder aufgewacht. Wie<br />

lange sie dort vollkommen verängstigt, alleine, nur einmal am Tag versorgt von einem Wach-<br />

posten, gehockt hatten, nicht wissend, was mit ihnen geschah, was mit den <strong>Anderen</strong> geschah,<br />

wussten sie nicht zu sagen. Schon hier hatte man angefangen, ihnen bewusstseinsverändernde<br />

Drogen zu geben. Schließlich, nach Tagen, hatte man sie innerhalb der Zellen betäubt.<br />

Aufgewacht waren sie in einem Auto, festgeschnallt auf Liegen. Erneut betäubt, schwache<br />

Erinnerungen an verschiedene Fortbewegungsmittel, wieder betäubt, dann einige Zeit, viele<br />

Schlafphasen lang, in kleinen Räumen, wieder alleine, aber besser versorgt, verwirrt, ver-<br />

ängstigt, mit Medikamenten vollgepumpt. Erneut betäubt und dann wieder aufgewacht waren<br />

sie schließlich in der Wüste nördlich von Las Vegas. DiNozzo und McGee mussten sich ein-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gestehen, dass sie nun ansatzweise wussten, wo sie suchen mussten, aber trotzdem keinen<br />

Schritt weiter waren.<br />

*****<br />

„Scheiße, ich habe elenden Durst, da bin ich inzwischen wirklich schon Profi drin.“<br />

Jake seufzte. Sein Hals fühlte sich rau an. Er fror erbärmlich, die Feuchtigkeit und Kälte in<br />

ihrem Verließ machte den Männern mehr und mehr zu schaffen. Zweimal hatte man nach<br />

ihnen geguckt, hatte sie gefragt, ob sie sich entschieden hatten, und beide Male hatten sie den<br />

Fragensteller geflissentlich ignoriert. Mulder hockte an der gegenüber liegenden Wand, hatte<br />

die Beine an den Körper gezogen und beide Arme darum geschlungen, um sich warm zu<br />

halten. Er hatte Kopfschmerzen und war sicher, leichtes Fieber zu haben. Ihre Immunsysteme<br />

waren so gut wie nicht mehr existent, da änderten auch die Vitamine und die gute Versorgung<br />

der letzten Zeit nicht viel dran, und die kalte Feuchtigkeit hier unten griff ihre schwachen<br />

Abwehrkräfte an. Sawyer, der ja durch die Milzentfernung zusätzlich immungeschwächt war,<br />

hatte eindeutig Fieber. Und zwar nicht ganz niedriges. Er hatte sich zähneklappernd auf dem<br />

feuchten Boden zusammen gerollt und hustete ab und zu trocken. Es ging ihm eindeutig nicht<br />

gut. Mulder machte sich keine Illusionen mehr, in Kürze würde es allen nicht mehr gut gehen.<br />

Der Hunger, der anfangs in ihren Eingeweiden gewütet hatte, ließ nach, dafür wurde der Durst<br />

mit jeder Minute stärker. Es war nur der Tatsache zu verdanken, dass es hier so kalt und nass<br />

war, dass sie nicht vor Durst schon erheblich schlimmer dran waren.<br />

Booth sah zu Sawyer hinüber. Er schüttelte resigniert den Kopf. <strong>Die</strong> Feuchtigkeit, die<br />

an den Wänden und am Boden schimmerte, war nicht feucht genug, um daraus Flüssigkeit zu<br />

ziehen. So war der Durst das Schlimmste, gefolgt von der Kälte. Allen klebten T-Shirt und<br />

Hose inzwischen nass an den klammen Körpern. Booth konnte teilweise ein Zähneklappern<br />

vor Kälte auch nicht mehr unterdrücken. Aber Sawyer ging es mit Abstand am Schlechtesten.<br />

Mulder stand gerade mühsam auf und ging zu dem Südstaatler hinüber. „Hey, wie fühlst du<br />

dich?“ Sawyer sah ihn müde an. „Soll das ... ein Witz sein? Wie das blühende Leben. Am<br />

besten, ihr schlagt mir den Schädel ein, dann kommt ihr hier wenigstens raus.“ Mulder<br />

grinste. „Ja, wäre sicher das Beste.“ Kurz überlegte der FBI Agent, ob es sinnvoll war, was er<br />

plante, dann aber nickte er sich selbst zu. Er streifte sein T-Shirt über den Kopf und legte es<br />

Sawyer über. Nicht mehr die Kraft, abzuwehren, wickelte dieser es dankbar um sich. Jake und<br />

Booth hatten Mulder beobachtet. Jetzt stemmten sie sich hoch und zogen ihre T-Shirts eben-<br />

falls aus. Sie deckten Sawyer so gut es ging zu und setzten sich dann wieder an die nasse<br />

Wand. Mulder blieb noch einen Moment neben Sawyer hocken. Der döste vor sich hin.<br />

487


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder zögerte kurz, dann legte er dem Südstaatler die Hand auf die Stirn, was dieser mit<br />

heftigem Zusammenzucken quittierte. Mulder erschrak. Sawyer glühte vor Fieber. Besorgt<br />

schüttelte Mulder den Kopf. Sawyer sah dies sehr wohl. Schwach und von Husten unter-<br />

brochen sagte er: „Hör mal zu, Mulder, wenn ... wenn du gezielt zuschlägst ... Dann bin ich<br />

nach ... dem ersten Schlag weg und ... und ihr könnt hier raus. Ich ... meine das ernst.“ Mulder<br />

sah auf den jungen Mann herunter und schüttelte den Kopf. „Vergiss es, Mann. Alle oder<br />

keiner.“ Sawyer schloss kurz müde die Augen. Dann sagte er verzweifelt: „Ich kratze sowieso<br />

... zuerst ab. Also kannst du ... du das auch genauso gut beschleunigen ... Mulder. Denk an<br />

Dana.“ Mulder schüttelte überzeugt den Kopf. Dann sagte er: „Vergiss es. Gerade, weil ich an<br />

sie denke, mein Freund. Wir werden das gemeinsam durchziehen, okay. Versuch zu schlafen,<br />

das wird dir gut tun.“ „Wofür denn ... noch ...“<br />

*****<br />

Kate lag auf dem Bett und weinte still vor sich hin. <strong>Die</strong> dritte Nacht ohne zu wissen<br />

was mit Sawyer war. Sie glaubte, es keinen Tag länger auszuhalten. Wenn sie gewusst hätte,<br />

dass er tot war, sie hätte eine Möglichkeit gefunden, sich ebenfalls umzubringen. Aber sie<br />

wusste es nicht. Er konnte leben, tot sein, erneut verletzt, gesund, alles war möglich. Heather,<br />

Dana und Bones waren in genau so schlechter Verfassung. Sie hatten den Tag in einer Art<br />

Trance verbracht, waren immer wieder von den Wachen oder den Trainern angefahren<br />

worden und hatten alles kommentarlos ertragen. Bis schließlich Ziva sie angeschnauzt hatte,<br />

beim Mittagessen. „Ist euch eigentlich klar, dass ihr mit eurem Verhalten unter Umständen<br />

den Männern noch zusätzliche Scherereien bereitet? Ihr solltet doch wirklich begriffen haben,<br />

dass das Wohlergehen anderer von dem Verhalten jedes einzelnen von uns abhängig ist. Reißt<br />

euch doch einfach mal ein wenig zusammen.“ Geschockt wurde sie angestarrt, dann aber<br />

sagte Locke ruhig: „Ziva hat selbstverständlich Recht. Unter Umständen ist das ein Test, wie<br />

ihr euch getrennt voneinander verhaltet und so gebt ihr wirklich die schlimmsten Beispiele.“<br />

Mick erwiderte ruhig: „Das stimmt wohl. Auch, wenn wir noch nicht annähernd so lange hier<br />

sind wie ihr, aber dass unsere Gastgeber ihr Verhalten stark von unserem Verhalten abhängig<br />

machen, ist offensichtlich. Ich bin natürlich kein Hellseher, aber was Locke und Ziva sagen,<br />

trifft absolut zu. Wir sollten versuchen, ruhig zu bleiben und nicht das Schlimmste anzu-<br />

nehmen, vielleicht beeinflussen wir damit positiv, was mit Sawyer, Booth, Jake und Mulder<br />

geschieht.“ Kate fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ihr habt Recht. Ich werde ver-<br />

suchen, <strong>mich</strong> zusammenzureißen.“, sagte sie entschlossen. Auch Heather, Dana und Bones<br />

wischten sich entschlossen die Tränen fort. Sie wussten zwar nicht, wie lange sie eine halb-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wegs aufrechte Haltung einnehmen konnten, wollten aber sicher gehen, dass ihr Verhalten die<br />

Lage der verschwundenen Männer nicht noch verschlimmerte.<br />

*****<br />

Jake hockte in der Ecke rechts neben der Tür und schaute blicklos ins Leere. Seit er<br />

sein T-Shirt Sawyer übergelegt hatte, waren Stunden vergangen, Stunden, in denen sie alle<br />

immer schneller abbauten. <strong>Die</strong> Kälte war quälend, ebenso wie der entsetzliche Durst und die<br />

ständige Feuchtigkeit um sie herum. Jake spürte diesen gnadenlosen Durst nun schon zum<br />

dritten Mal und er hatte das sichere Gefühl, dass es diesmal auch zum letzten Mal war. Er<br />

bereute nicht, sich klar gegen die Tötung eines von ihnen ausgesprochen zu haben. Er wusste,<br />

wenn Heather davon erfahren würde, sie würde seine Entscheidung unter allen Umständen<br />

befürworten und verstehen. Heather ... Er hätte so gerne sein Leben mit ihr verbracht.<br />

Vielleicht war das hier aber die gerechte Strafe dafür, dass er das Leben eines Kindes beendet<br />

hatte. Er stöhnte leise auf und dann wurde ihm plötzlich und vehement schwindelig und mit<br />

einem leisen Seufzen rutschte Jake Green in sich zusammen, landete auf der linken Seite und<br />

merkte nichts mehr.<br />

„Wo ist Mitch?“<br />

*****<br />

„Wo soll er sein? Er überwacht das Experiment.“<br />

„Welches Experiment denn bitte?“<br />

„Na, den Test mit Booth, Ford, Mulder und Green.“<br />

„Sehe ich aus, als wüsste ich, wovon Sie reden?“<br />

„Aber, Sir, der drei von vier Test. Mitch sagte, Sie hätten ihn genehmigt.“<br />

„Wie bitte? <strong>Die</strong>sen Test habe ich Mitchell schon vor vielen Wochen ge-<br />

strichen. Er hat ihn trotzdem angefangen?“<br />

„Ja, Sir, vor drei Tagen schon, Sir. Ich hatte keine Ahnung, Sir, dass Sie<br />

ihn nicht genehmigt hatten.“<br />

„Brechen Sie den Test sofort ab und beten Sie zu Gott, dass alle vier<br />

Männer noch leben, sonst werden hier Köpfe rollen. Und schicken Sie Mitchell<br />

sofort zu mir.“<br />

*****<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Endlich eine Spur<br />

Alle großen Dinge sind einfach und viele können mit einem einzigen Wort ausgedrückt<br />

werden: Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre, Pflicht, Gnade, Hoffnung.<br />

Winston Churchill<br />

Dass die Tür geöffnet wurde, bekam Booth nur noch unterbewusst mit. Er hörte<br />

Stimmen, konnte aber keine Worte verstehen. Es war, als sprächen die Gestalten um ihn<br />

herum eine Sprache, die er nicht verstand. Er war müde. Sein ganzes Sein drehte sich nur<br />

noch um den Gedanken, endlich schlafen zu können um nie wieder zu erwachen. Durst, Kälte,<br />

Hunger, das alles hatte ihn zu dem Punkt gebracht, an dem er sich jetzt befand. Einschlafen,<br />

nie wieder aufwachen, nie wieder Durst, Angst und Schmerzen verspüren ... Booth schloss die<br />

Augen. Statt dunkel aber wurde es hell. Er sah ein wunderschönes Licht, wünschte, er könne<br />

hin gehen, für immer in diesem Licht verschwinden. Es musste großartig sein, dort drüben. Er<br />

ging los, auf das Licht zu ... „Verdammt noch mal, wenn die uns hier weg sterben, können wir<br />

uns gleich mit beerdigen. Beeilt euch. Ford zuerst, der Junge liegt im Koma. Verdammter<br />

Mist. Ich spüre kaum noch Puls. Oh, man, verfluchter Scheiß. Mitchell, dieser elende Sadist.“<br />

Ein Mann in der blauen Uniform der Wachposten half einem <strong>Anderen</strong>, Sawyer auf eine<br />

Rollbahre zu legen. Vorsichtig, fast behutsam. Sie deckten den Reglosen mit mehreren<br />

Decken zu, dann wurde er im Laufschritt fort gerollt, dicht gefolgt von weiteren Bahren mit<br />

Jake, Mulder und Booth. Es ging durch einen langen Gang zu den Fahrstühlen und zehn<br />

Minuten später wurden die Bahren mit den Männern in die Notaufnahme der kleinen, perfekt<br />

ausgestatteten Intensivstation gerollt, wo schon Ärzteteams bereitstanden.<br />

„<strong>Die</strong> nassen Klamotten runter und dann erst einmal in die warmen Badewannen mit<br />

ihnen.“ Der Arzt, der die Untersuchungen geleitet hatte, schien auch hier das Kommando zu<br />

haben. Pfleger, Wachen, Ärzte, alle halfen, die reglosen Männer zu entkleiden. Minuten<br />

später wurden sie sehr vorsichtig in Wannen mit lauwarmem Wasser gelegt. Man reinigte sie<br />

gründlich und legte allen vieren Venenverweilkanülen. Noch während sie in den Badewannen<br />

lagen wurden sie schon mit Volumenzufuhr und Antibiotika versorgt. Mulder und Sawyer<br />

hatten hohes Fieber und waren in der schlechtesten Verfassung. „Ob wir die durchkriegen ...“,<br />

meinte einer der Ärzte skeptisch. „Sollten wir, sonst werden unsere Köpfe rollen.“ Verbissen<br />

kämpften die wirklich fähigen Ärzte in den nächsten Stunden um das Leben der vier Männer.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und nach Stunden wurde ersichtlich, dass alle es vermutlich schaffen würden. Booth und Jake<br />

waren stabil, hatten recht gut auf die Flüssigkeitszufuhr reagiert und ihre Körpertemperatur<br />

war normal. Sawyer hatte es nur der Kälte in dem Verlies zu verdanken, dass er überhaupt<br />

noch am Leben war. Wäre es dort unten wärmer gewesen, sein Fieber wäre über die Exitus-<br />

grenze von 42,6° hinausgegangen. So lag es bei 40,4° und begann jetzt, unter der Zufuhr von<br />

hoch dosierten Antibiotika ganz langsam zu sinken. Mulders Fieber war bereits auf 39,5°<br />

runter und er sprach auf die Flüssigkeitszufuhr gut an. So war nur noch Sawyers Zustand als<br />

kritisch anzusehen.<br />

handeln?“<br />

*****<br />

„Wie konntest du es wagen, gegen meinen ausdrücklichen Befehl zu<br />

„Das kann ich dir sagen: Du hast mir nichts zu Befehlen. Ich bin unent-<br />

behrlich für euch und wenn ich Versuche durchziehen will, wird <strong>mich</strong> niemand<br />

daran hindern.“<br />

„So? Du hältst dich also für unentbehrlich? Nun, dann werde ich dich<br />

jetzt eines Besseren belehren. Du bist raus aus dem Projekt. Ich hätte von An-<br />

fang an auf Patty hören und um dich perversen Sadisten einen großen Bogen<br />

machen sollen.“<br />

„Das kannst du nicht. Du kannst <strong>mich</strong> nicht feuern.“<br />

„Du hast ja gar keine Ahnung, was ich alles kann.“<br />

„Ich verlange, meine Unterlagen mitnehmen zu dürfen.“<br />

„Du hast überhaupt nichts mehr zu verlangen. Wenn du nicht in zehn<br />

Minuten das Gebäude verlassen hast, wirst du es nur noch in einem schwarzen<br />

Leichensack verlassen.“<br />

„Das ... Das ist ungeheuerlich. Ich bin unentbehrlich für euch. Das wirst<br />

du noch bereuen.“<br />

„Das glaube ich nicht. 9 Minuten.“<br />

*****<br />

Kate sah aus wie ein Gespenst. Dunkle Ringe unter den fast ständig rot geweinten<br />

Augen, mindestens vier Kilo Gewicht verloren, kreideweiß im Gesicht, strähnige Haare, die<br />

junge Frau war am Ende. Nicht besser ging es Dana, Heather und Bones. Sie funktionierten<br />

alle vier, schafften mit Müh und Not ihr Tagespensum, um nicht für schlechte Stimmung bei<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

den Entführern zu sorgen, und fielen abends weinend auf die Betten, um sich mehr oder<br />

weniger schlaflos herumzuwälzen. Es war inzwischen die siebte Nacht, die sie alleine ver-<br />

brachten und keine von ihnen rechnete damit, den geliebten Mann lebend wiederzusehen.<br />

Heather war in einen unruhigen Schlaf der völligen Erschöpfung gefallen. Sie bekam nicht<br />

mit, dass sich mitten in der Nacht die Tür zu ihrem Raum öffnete. Erst, als eine Hand sanft<br />

über ihre eingefallene Wange streichelte, fuhr sie keuchend hoch. Und konnte nicht fassen,<br />

was sie sah. Da saß Jake auf ihrem Bett und lächelte sie zärtlich an. „Jake ...“ Mehr brachte<br />

die junge Lehrerin nicht hervor, dann lag sie heftig schluchzend in den Armen Jakes und er<br />

hielt sie an sich gedrückt, als wolle er sie nie wieder loslassen.<br />

Ein paar Türen weiter ging es Bones gerade genauso. Sie war davon aus einem un-<br />

ruhigen Schlaf aufgeschreckt, dass sie Lippen auf ihren spürte. Als sie erschrocken die müden<br />

Augen aufriss, sah sie direkt in die liebevollen Augen Seeleys. „Hey, Bones. Hast du <strong>mich</strong><br />

vermisst?“ Booth war erschrocken, wie schlecht Bones aussah. <strong>Die</strong> Anthropologin seufzte,<br />

dann hing sie auch schon schluchzend an seinem Hals, krallte sich an ihn und zitterte am<br />

ganzen Leib. Booth hielt sie fest und konnte es selbst kaum fassen, dass er wirklich lebte und<br />

die geliebte Frau wieder in seinen Armen spüren konnte. „Wo wart ihr? Was ist mit euch<br />

passiert? Oh, Gott, Booth, ich hatte noch nie ... Ich liebe dich!“<br />

Dana wachte davon auf, dass die Tür knackte. Sie schlug panisch auf den Lichtschalter<br />

an der Wand und die Deckenbeleuchtung flammte auf. Und dann schrie sie leise auf.<br />

„Mulder!“ Sie flog förmlich aus dem Bett und Mulder schaffte es im letzten Moment, sie auf-<br />

zufangen. Sie standen minutenlang eng umschlungen da, dann bat Mulder mit zitternder<br />

Stimme: „Können wir uns hinlegen, bitte ...“ Dana nickte unter Tränen. „Natürlich. Was ist<br />

mit dir? Was haben die euch angetan? Ich bin fast verrückt geworden.“ Sie führte Mulder,<br />

dem die Beine leicht zitterten, zum Bett und als er sich gelegt hatte, deckte sie ihn sorgsam<br />

zu, dann kuschelte sie sich an ihn.<br />

„Fühlst du dich fit genug, in euer Zimmer zu kommen?“ Sawyer sah den Arzt erstaunt<br />

an. „Ich weiß nicht, denke schon. Ich bin noch ziemlich schlapp, aber das würde bei Ka ... bei<br />

Nummer 8 sicher genauso und schneller besser werden.“, erwiderte er verlegen. „Gut, dann<br />

darfst auch du zurück aufs Zimmer.“ Der Arzt winkte einen der Wachposten heran und<br />

ordnete an: „Bring einen Rollstuhl und schaff Nummer 3 ins Zimmer, okay.“ Der Wachmann<br />

nickte. Er verließ den Raum, um kurz darauf mit einem bequemen Rollstuhl zurück zu<br />

kommen. Vorsichtig half er Sawyer, sich in diesen zu setzen und fuhr den jungen Mann dann<br />

stumm durch die Gänge bis zur Zimmertür. „Schaffst du es alleine?“, fragte er. Sawyer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stemmte sich langsam hoch und wartete kurz, bis der Schwindel fort war. Dann nickte er.<br />

„Auf jeden Fall, Danke.“ <strong>Die</strong> Tür vor ihm sprang auf und leicht zitternd trat Sawyer ein. Kate<br />

lag zusammen gerollt auf dem Bett, das konnte er in der trüben Dunkelheit erkennen. Er ging<br />

mit wackeligen Knien zum Bett hinüber und sank auf die Bettkante. Kate fuhr mit einem<br />

leisen Schrei des Erschreckens hoch. „Hey, keine Panik, Freckles, ich bin es nur und ...“<br />

Weiter kam Sawyer nicht. Kate fiel ihm mit einem leisen Schrei aufschluchzend in die Arme<br />

und so saßen sie lange still zusammen. Irgendwann ließ Sawyer sich in die Waagerechte<br />

sinken.<br />

Am kommenden Morgen fehlten nicht nur die vier Männer weiterhin, nun waren auch<br />

noch die Frauen verschwunden. „Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“, fragte<br />

Allison panisch. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, mein Schatz.“ House warf Gibbs und<br />

Ziva fragende Blicke zu. Mick schloss die Augen und konzentrierte sich. Er sah Dana, die<br />

Mulder am Hals hing ... „Ich glaube, wir sollten das als gutes Zeichen werten.“, meinte er<br />

ruhig und hoffte, dass die <strong>Anderen</strong> seinen versteckten Hinweis verstanden. Beth begriff<br />

sofort, was ihr Partner damit andeuten wollte. Sie schloss die Augen und pustete unendlich<br />

erleichtert auf. - Gott sei Dank. - dachte die Journalistin. Wenn sie auch noch nicht so lange<br />

hier in Gefangenschaft waren, hatten Mick und sie selbst doch schon eine starke Bindung zu<br />

diesen Menschen entwickelt, die hier schon so lange eingesperrt waren und so unmenschliche<br />

Dinge hatten ertragen müssen. Scheinbar hatten auch die meisten <strong>Anderen</strong> Micks Andeutung<br />

verstanden. <strong>Die</strong> Stimmung am Tisch wurde deutlich entspannter. Und auch der anschließende<br />

Unterricht, das Training und alles, was an diesem Tag anlag, wurde sehr viel entspannter vor-<br />

genommen.<br />

*****<br />

In der Zentrale des NCIS klingelte das Telefon. <strong>Die</strong> junge Frau, die die Zentrale be-<br />

setzte, meldete sich freundlich: „Sie sind Verbunden mit dem Naval Criminal Investigative<br />

Service, mein Name ist Jasmine Horner, was kann ich für Sie tun?“ „Du kannst mir mal einen<br />

Ermittler geben, der für die Suche nach den verschwundenen Agenten zuständig ist, Puppe.“<br />

Jasmine Horner war augenblicklich alarmiert. „Selbstverständlich, Sir, ich werde Sie sofort<br />

durchstellen.“ Hastig drückte sie die Nummer Timothy McGees. „McGee.“, erklang die<br />

Stimme des jungen Agents. „Tim, hier ist Jasmine, ich habe einen Anrufer in der Leitung, der<br />

einen der Ermittler im Fall der Entführten sprechen will.“ Tim war sofort hoch konzentriert.<br />

„Stell ihn durch, Jasmine, mal sehen, was er will.“ Es knackte leise in der Leitung, dann sagte<br />

Tim: „Special Agent Timothy McGee, was kann ich für Sie tun?“ „Du kannst mir zuhören<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und den Arsch deiner Leute retten. Hör genau zu, ich sag‘s nur ein Mal. Im Old Post Office<br />

Pavillon gibt es ein Postamt. Im Postfach 4815/162342 findet ihr eine DVD, die euch<br />

interessieren könnte.“ Es knackte in der Leitung und der Anrufer hatte auf gelegt. Tim sah auf<br />

den Schmierzettel vor sich. Sein Instinkt sagte ihm, dass an diesem Anruf etwas dran war.<br />

„Wir sollten mal ins Old Post Office fahren.“ „Was soll das, McShoppingfrenzy, willst du<br />

Einkaufen?“ „Nein, Tony, ich will eine DVD aus einem Postfach holen, die uns bei der Suche<br />

nach Gibbs und den Mädels hilfreich sein könnte.“ Tim stand auf und griff sich seine Waffe<br />

und seine <strong>Die</strong>nstmarke aus der Schreibtischschublade. „Was soll das heißen, Probie, weißt du<br />

was, was ich noch nicht weiß?“ Tim grinste. Er eilte zum Fahrstuhl, nicht weiter darauf<br />

achtend, ob DiNozzo ihm folgte oder nicht. Laut sagte er: „So ziemlich alles, Tony.“<br />

Fünfunddreißig Minuten später standen die beiden Agents mit einem Postbeamten vor<br />

dem Schließfach 4815/162342 und ließen es sich öffnen. Außer einer DVD enthielt das<br />

Schließfach nichts. Fingerabdrücke zu nehmen war, dass wussten die Agents aus Erfahrung,<br />

vollkommen hoffnungslos. Zu viele Menschen fassten diese öffentlichen Anlagen an. So<br />

hatten sie gar nicht erst der Spurensicherung Bescheid gegeben. Vorsichtig nahm Tim die<br />

DVD aus dem Fach und untersuchte sie kurz, aber es war eine ganz normale Sony DVD, in<br />

einer Plastikhülle. Der Postbeamte hatte inzwischen in seinen Unterlagen nach gesehen, wer<br />

das Postfach gemietet hatte, aber der angegebene Name, Michael Weatherly, half ihnen auch<br />

nicht weiter. „Menschenskinners, Bambino, das ist ein Schauspieler. Der hat die männliche<br />

Hauptrolle in Dark Angel gespielt, Jessica Alba, die wirst wohl selbst du kennen, oder?“ Tony<br />

machte ein schnalzendes Geräusch. „Ja, ja, die kenne sogar ich. Okay, der Typ verarscht uns<br />

also. Dann wollen wir doch mal sehen, was die DVD enthält.“ <strong>Die</strong> beiden Agenten eilten zu<br />

ihrem <strong>Die</strong>nstwagen zurück und informierten auf dem Rückweg zum Hauptquartier Doggett<br />

und Reyes über die DVD. <strong>Die</strong> beiden FBI Beamten machten sich sofort auf den Weg, um sich<br />

zusammen mit den Kollegen vom NCIS den Datenträger anzusehen.<br />

Eine Stunde später saßen McGee, DiNozzo, Direktor Shepard, Doggett und Reyes im<br />

Besprechungszimmer und starrten ungläubig und zusehends entsetzt auf den Monitor vor sich.<br />

„Das ist eine detaillierte Beschreibung des Gebäudes und aller Sicherheitseinrichtungen.<br />

Wenn das alles stimmt, dürfte es mehr als schwierig werden, die Entführten dort heraus zu<br />

holen.“, meinte Tim erschüttert. „Schwierig ist wohl gelinde untertrieben, McGee, fast un-<br />

möglich trifft es eher. Egal, was wir machen, die sind in jedem Falle vor uns bei den Ent-<br />

führten und werden sie umbringen.“ Tony war wirklich fassungslos. Tim hatte ihn noch nie so<br />

ratlos erlebt. „Wir brauchen einen generalstabsmäßigen Plan, wenn wir die 14 Entführten dort<br />

herausholen wollen und zwar in einem Stück. Es fängt schon mit den Halsbändern an. Wie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sollen wir ...“ Doggett stutzte und starrte auf den Monitor. „... bedarf es eines<br />

simplen Magnetimpulses, um den Verschluss zu öffnen. Der Ver-<br />

schluss beruht auf einer einfachen Verriegelungseinheit und<br />

ist mit einem Impulsgeber gefahrlos zu öffnen.“ Tony zuckte die<br />

Schultern. „Wenn sich alle unsere Probleme so schnell lösen ...“ Jenny schüttelte frustriert<br />

den Kopf. „Ich fürchte, so einfach wird es nicht weiter gehen. Wir sollten Experten hinzu<br />

ziehen, die die beigefügten Baupläne genau untersuchen. Vielleicht finden sie Schwach-<br />

stellen, durch die Einheiten in das Gebäude eindringen können. Ihr werdet bitte die DVD<br />

weiter auswerten, ich informiere das CSI und Saroyan.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen waren erstmals seit Verschwinden Mulders, Booth‘, Jakes und<br />

Sawyers wieder alle am Frühstückstisch vereint. „Du siehst wieder wie ein Mensch aus.“,<br />

bemerkte Mulder mit einem Seitenblick auf Sawyer. Sawyer grinste. „Naja, Kate ist irgend-<br />

wie doch besser als Pflegerin geeignet als ihr.“ Booth schnaufte. „Undank ist der Welt Lohn.<br />

Da reißt man sich für den Kerl buchstäblich die Klamotten vom Leib, und das ist der Dank<br />

dafür.“ Sawyer wurde plötzlich ernst. „Hört zu, ich hatte noch keine Gelegenheit, <strong>mich</strong> dafür<br />

zu bedanken, okay. Wenn ihr nicht gewesen wäret, hätte ich es wohl nicht bis zum Ende ge-<br />

schafft. Ich möchte <strong>mich</strong> dafür in aller Form bedanken.“ Er sah Jake, Booth und Mulder an.<br />

„Rede keinen Quatsch, was wir machen konnten, war ja nicht gerade viel.“, erwiderte Jake<br />

verlegen. Sawyer biss sich auf die Lippe. Dann sagte er leise: „Mehr, als du denkst.“ „Könnte<br />

uns zurückgebliebene Dummköpfe vielleicht mal einer aufklären, was überhaupt geschehen<br />

ist?“, fragte House mit einem Seitenblick auf die vier Männer, denen man die Strapazen doch<br />

noch sehr deutlich ansah. Nervös warfen die Vier Blicke zur Tür und warteten auf eine Laut-<br />

sprecherdurchsage, dass sie das nicht erzählen durften. Nichts dergleichen geschah, und so<br />

begann Booth stockend zu berichten. „Wir sollten selbst entscheiden, wer von uns stirbt und<br />

der Test sah ernsthaft vor, dass wir den Auserkorenen auch noch eigenhändig mit Baseball-<br />

schlägern umbringen sollten.“, schloss endlich Mulder den Bericht. Er hielt es nicht für extra<br />

erwähnenswert, dass sie diese Entscheidung selbstverständlich nie und nimmer getroffen<br />

hätten.<br />

Jeder der vier Männer hatte diesen Test mit der Partnerin besprochen und wenn auch<br />

Kate und Heather geweint hatten, hatten sie doch sofort zu gestimmt, dass die Männer sich<br />

richtig entschieden hatten. Dana und Bones hatten erschüttert zugehört und keinen Zweifel<br />

daran gelassen, dass sie diese Entscheidung ebenfalls für richtig befanden. „Ich weiß nicht,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

was ich gemacht hätte, wenn ihr nicht wieder ... Wenn ich dich nie wieder gesehen hätte.<br />

Noch einmal durch eine solche Ungewissheit zugehen ... Booth, ich bin nicht sicher, ob ich<br />

das ertragen hätte. Aber ich weiß sicher, dass du es nicht ertragen würdest, einen Freund zu<br />

töten, nur um selbst weiter leben zu können. Deine Entscheidung war absolut richtig.“ Sie<br />

zögerte, dann fragte sie: „Wie kam es, dass sie euch schließlich doch alle geborgen haben?“<br />

Booth schüttelte den Kopf. „Kann ich dir nicht sagen. Ich bin erst auf der Intensivstation<br />

wieder zu mir gekommen, ich weiß nicht, was sie veranlasst hat, uns raus zu holen. Ich weiß<br />

nur noch, dass Sawyer irgendwann, als es ihm immer schlechter ging, darum bettelte, dass wir<br />

ihn töten sollen, damit wir überleben könnten.“ Bones nickte ruhig. „Er hat sich verändert,<br />

genau wie wir alle, Booth. Wir werden nie wieder die sein, die wir vor der Entführung<br />

waren.“<br />

*****<br />

Nach dem Frühstück an diesem Morgen wurden die Gefangenen, bis auf Beth und<br />

Mick, abgeholt. Man brachte sie in einen der Schulungsräume. Nach den letzten Vorkomm-<br />

nissen wieder ein wenig angespannt, saßen sie dort und warteten, was nun kommen würde.<br />

<strong>Die</strong> allgegenwärtige Angst, die jeder von ihnen ständig im Nacken hatte, machte allen erheb-<br />

lich zu schaffen. Es war inzwischen gar nicht mehr die Angst vor dem Tod, als vielmehr die<br />

Angst vor immer wieder kehrenden Schmerzen. Wenige, seelisch kranke Menschen brauchten<br />

Schmerz wie Lebenselixier, aber keiner der Gefangenen gehörte zu diesen Menschen. Sie<br />

waren alle normal veranlagt und hatten einfach Angst vor Schmerz. Als sie nun wieder einmal<br />

herumsaßen, ohne zu wissen, was kam, waren sie nervös. Als schließlich die Tür des Raumes<br />

geöffnet wurde, und Major Garreau, der Arzt, der die Untersuchungen geleitete hatte, und ein<br />

ihnen bislang unbekannter Mann mittleren Alters herein kamen, zuckten alle heftig zu-<br />

sammen. <strong>Die</strong> Drei hatten Akten in den Händen. Sie setzten sich an einen Tisch am Kopfende<br />

des Zimmers und taxierten die Gefangenen eine Weile schweigend. <strong>Die</strong>se wurden unter den<br />

lauernden Blicken immer unruhiger. Man hatte sie angewiesen, gerade und vernünftig zu<br />

sitzen, und unter den kalt musternden Blicken wurden alle automatisch noch aufrechter in der<br />

Haltung. Minuten vergingen, in denen die Gefangenen immer nervöser wurden. Und dann<br />

fing der unbekannte Mann an zu reden.<br />

*****<br />

496


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Befreiungsplan<br />

<strong>Die</strong> Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden.<br />

Abraham Lincoln<br />

<strong>Die</strong> Auswertung der DVD hatte vier Tage gedauert. Vier Tage, in denen die An-<br />

gehörigen immer wieder versucht hatten, näheres über den Aufenthaltsort Gils und Saras zu<br />

erfahren. Tage in denen die Ermittler vor Ungeduld genervt im Planungsteam saßen und auf<br />

konkrete Ergebnisse warteten. James Wilson und Lisa Cuddy hatte es nicht mehr in Princeton<br />

gehalten. Sie hatten sich frei genommen und waren nach DC geflogen, saßen zusammen mit<br />

der Familie Green im The Courtyard Marriott Hotel beim Frühstück. Das Hotel, in der 140 L<br />

Street Southeast gelegen, war nur etwas mehr als einen Kilometer vom NCIS Hauptquartier<br />

entfernt. <strong>Die</strong> Ermittlungsbehörden hatten allen Angehörigen, die den Wunsch geäußert hatten,<br />

in DC zu bleiben, dort Zimmer zur Verfügung gestellt. <strong>Die</strong> Mutter von Booth, Marlene, sowie<br />

sein jüngerer Bruder Jared, waren inzwischen aus Pittsburgh und Los Angeles eingetroffen<br />

und wollten nicht eher wieder nach Hause fliegen, bevor sie ihren Sohn und Bruder nicht in<br />

den Arm geschlossen hatten. Nicht anders ging es der Familie Allisons, ihre Eltern Jonathan<br />

und Rachel waren eingetroffen und ihr Bruder, Andrew, wurde erwartet. Eli David war in<br />

regelmäßigen Abständen immer wieder nach DC geflogen, um sich vor Ort davon zu über-<br />

zeugen, dass die Ermittlungen nicht vollkommen einschliefen. Er selbst hatte von Tel Aviv<br />

aus seine umfangreichen Fühler ausgestreckt, hatte die besten Mossad Agenten mit der Suche<br />

nach seiner Tochter, seinem letzten, lebenden Kind, betraut, aber auch er musste sich schließ-<br />

lich geschlagen geben. Als er erfuhr, dass sich seine Ziva immer noch auf Borneo aufhielt,<br />

und man die anderen Passagiere damals im November nicht, wie immer angenommen, zum<br />

Verwischen etwaiger Spuren ausgerechnet auf Borneo abgesetzt hatte, bot er sofort seine<br />

Hilfe an.<br />

Danas Mutter war jeden Tag von morgens bis abends bei den Angehörigen im Hotel,<br />

um immer auf dem neusten Stand zu sein. Sie hatte stehst den kleinen William bei sich und<br />

das Kleinkind hatte sich schnell in die Herzen der Wartenden gelacht. Margaret Scully hatte<br />

es nicht fassen können, als die Nachricht kam, dass Dana und Mulder lebten. Sie hatte ihr<br />

Enkelkind in die Karre gesetzt und war sofort zu Skinner gefahren. <strong>Die</strong> Beiden kannten sich<br />

seit Jahren. „Ist es wahr, Walter? Leben Dana und Fox wirklich?“ Skinner nickte. „Ja,<br />

497


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Margaret, sie leben laut Aussage der Beamten Grissom und Sidle, genau wie die anderen Ent-<br />

führten. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut. Und sobald die uns zugestellte DVD<br />

mit Gebäudeplänen und Beschreibungen der Sicherheitseinrichtungen des Gebäudekomplexes<br />

ausgewertet ist, werden wir sie, so Gott will, da raus holen.“<br />

Am späten Nachmittag des vierten Tages seit Auffinden der DVD saßen alle An-<br />

gehörigen bei einer Tasse Kaffee zusammen in einem der Konferenzräume des Hotels. Sie<br />

unterhielten sich und warteten ungeduldig und phasenweise verzweifelt darauf, dass sich end-<br />

lich etwas tun würde. Das die Tür sich öffnete und ein Mann um die 50 zusammen mit einer<br />

dunkelhaarigen Frau Mitte 30, die beide von erheblichen körperlichen und seelischen<br />

Strapazen gezeichnet und ungewöhnlich blass waren, zur Tür herein kamen, bemerkte keiner.<br />

Erst als die Beiden an den großen Tisch traten, schauten einige der Anwesenden erstaunt auf.<br />

„Ladys und Gentlemen, mein Name ist Gil Grissom. Meine Begleiterin ist, wie Sie sich sicher<br />

denken können, Sara Sidle. Wir haben es in Odessa, wo man uns hin verfrachtet hat, nicht<br />

mehr ausgehalten. Ihre Angehörigen sind uns in den Monaten der Gefangenschaft gute<br />

Freunde geworden und wir wollen dabei sein, wenn sie endlich nachhause zurück können.“<br />

Minutenlang redete alles durcheinander, bis Gil sich Ruhe verschaffte. „Hören Sie, wir<br />

möchten Ihre Fragen gerne beantworten, aber wenn alle durcheinander reden, können wir das<br />

nicht. Vielleicht ist es das Beste, wenn Miss Sidle und ich selbst erst einmal erzählen?“<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden verbrachten Sara und Gil damit, die entsetzten Angehörigen<br />

über die Dinge aufzuklären, die ihnen als erwähnenswert erschienen, und die sie erzählen<br />

konnten, ohne die Eltern, Geschwister, Freunde in noch größere Schrecken zu versetzen. Als<br />

die beiden CSI Ermittler schließlich erschöpft schwiegen, saßen Rachel Cameron und<br />

Marlene Booth fassungslos schluchzend am Tisch, während alle anderen entsetzt vor sich hin<br />

starrten. Sam Austen fragte leise: „Wie heißt der junge Mann, der meiner Tochter so sehr ge-<br />

holfen hat?“ Sara sah Austen an und erklärte dann: „Ford, James Ford.“ Austen sah sich um.<br />

„Von ihm sind keine Angehörigen hier, oder?“ Alle schüttelten den Kopf. Sergeant Austen<br />

erhob sich und verließ kurz den Raum. Auf dem Flur griff er nach seinem Handy und rief<br />

beim NCIS an, bat, mit Timothy McGee sprechen zu dürfen. „Agent McGee? Hier ist Sam<br />

Austen. Sagen Sie, Agent, könnten Sie mir einen großen Gefallen tun?“ Tim befürchtete, dass<br />

wieder die Frage nach dem Aufenthaltsort Grissoms und Sidles kommen würde und wappnete<br />

sich gegen die Frage. Doch stattdessen kam etwas ganz anderes. „Sind sie in der Lage, zu<br />

überprüfen, ob James Ford, dieser Sawyer, noch lebende Angehörige hat?“ Tim war über-<br />

rascht. „Sicher, das sollte mir gelingen. Warum fragen Sie danach, Sergeant Austen?“ „Nun,<br />

Mr. Grissom und Miss Sidle haben uns erzähl, dass ...“ Tim glaubte, nicht richtig zu hören.<br />

498


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Grissom und Sidle? Wieso ... Ich meine, woher ... Wieso haben die Ihnen ... Ich verstehe<br />

nicht ...“ Austen lachte leise. „Ja, sehen Sie, Agent McGee, manchmal erledigen sich Dinge<br />

von ganz alleine. Dr. Grissom und Miss Sidle hat es nicht in ihrem Versteck gehalten, sie sind<br />

heute Nachmittag bei uns eingetroffen.“<br />

*****<br />

„Gefangene. Ihr werdet euch sicher seit Monaten fragen, warum unsere Einladung an<br />

euch alle erfolgte. Ihr habt in den letzten Wochen gut mitgearbeitet und eure Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten zufriedenstellend erweitert. Leider sind ein paar Dinge vorgekommen, die nicht<br />

geplant waren. Das lässt sich aber nicht vermeiden in einem so umfangreichen Projekt. Ihr<br />

werdet uns für skrupellose Bastarde halten. Das kann ich euch nicht einmal verdenken. Aber<br />

seid versichert, dass uns allen hier vollkommen gleichgültig ist, was ihr von uns denkt.“ Der<br />

Mann machte eine Pause, um die Worte bei den Gefangenen sacken zu lassen. Dann fuhr er<br />

fort: „Ihr bekommt heute eine umfangreiche Aufklärung und werdet erfahren, wie euer Leben<br />

in Zukunft aussehen wird. Ich kann euch versichern, es wird nie wieder sein wie es war.“ Er<br />

ließ seinen Blick mitleidlos über die zutiefst verunsicherten Menschen vor ihm gleiten. „Dass<br />

eure Väter alle eine Zeitlang unserer großartigen US Army gedient haben, habt ihr schon<br />

herausgefunden. Auch, dass ihr alle die Fähigkeit habt, Verletzungen schneller als gewöhn-<br />

liche Menschen zu überwinden. Und dass ihr als Kinder alle um ein Haar ums Leben ge-<br />

kommen seid, ist einigen von euch bei den Befragungen auch klar geworden. Es wird euch<br />

jetzt sicher schockieren, aber an euren Vätern wurde ohne deren Wissen genetisch herum<br />

manipuliert und ihr alle hier seid die lebenden Beweise, dass es funktioniert hat.“<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen starrten den Mann an, als spräche er marsianisch. Dann stotterte<br />

Allison geschockt: „Genmanipuliert? Mein Gott, was sind wir? Monster?“ Der Mann grinste.<br />

„Nein, Nummer 10, ganz soweit würde ich nicht gehen. Außergewöhnlich und Prototypen,<br />

aber keine Monster. Heutzutage ist schon viel mehr machbar. Und wie ihr an den doch zum<br />

Teil erheblichen Altersunterschieden merkt, zog sich eure Testserie über mehrere Jahrzehnte<br />

dahin. 4, 12, 16 und die verstorbene Nummer 13 sind die Resultate der ersten Testreihen, bei<br />

denen es zufrieden stellend geklappt hat. In die zweite Testreihe fallen 7 und 15, die dritte<br />

Phase ergab 1, 3 und 14, tja, und 2, 5, 6, 8, 9, 10 und eure ebenfalls verstorbene Kollegin 11<br />

sind die modernsten Ausgaben, allerdings auch die mit den größten Mängeln.“ Erneut machte<br />

der Mann eine Pause und bat eine der Wachen, die im Raum standen, etwas zu Trinken zu<br />

besorgen. Mulder starrte vor sich hin, dann sagte er langsam: „Da siehst du es, Scully, wie ich<br />

immer gesagt habe, eine groß angelegte Verschwörung.“ Dana war zu geschockt, um ihrem<br />

499


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebensgefährten zu widersprechen. House hatte einen Arm um Allison gelegt und sagte<br />

sarkastisch: „Das erklärt natürlich, warum dieser Schwachkopf ein Genie wie <strong>mich</strong> zusammen<br />

gerührt bekommen hat.“ Und Abby fragte beunruhigt: „Wir sind Mutanten?“<br />

*****<br />

„Wenn wir erst so weit sind, schaffen wir auch den Rest.“, erklärte Tony überzeugt.<br />

„Zum Glück sind ihre Zimmer im ersten Stock, so dass wir nicht durch das ganze verdammte<br />

Gebäude müssen.“ „Wenn sie zum Zeitpunkt unseres Eintreffens in ihren Zimmern sind.<br />

Scheinbar gibt es ja so etwas wie einen festen Tagesrhythmus bei denen nicht. Es ist also<br />

genau so gut möglich, dass die Gefangenen in einem Dutzend verschiedener Räume verteilt<br />

sind, und wir alle verlieren, bevor wir auch nur in ihre Nähe kommen.“, warf Monica ein.<br />

„Ich finde die Idee mit der Unterwanderung praktikabel.“ „Das dauert nur zu lange, dann<br />

haben wir unsere Leute da Weihnachten 2020 noch nicht raus. Wenn man dem Glauben<br />

schenkt, was Grissom und Sidle erzählt haben, kann jederzeit einer von ihnen umgebracht<br />

werden.“ „Was sollen wir dann machen, bei den Sicherheitsvorkehrungen haben wir kaum<br />

eine reelle Chance.“ Monica sah Tony genervt an. „Es gibt vielleicht eine Chance ...“ Zögernd<br />

meldete sich Angela Montenegro, eine Mitarbeiterin Brennans aus dem Jeffersonian Institute<br />

zu Wort. Ihr Verlobter, Dr. Jack Hodgins sah Angela erstaunt an. „Was geht dir durch den<br />

Kopf, Ange?“, fragte er gespannt. Auch die <strong>Anderen</strong> sagen Angela aufmerksam an. „Was<br />

haben Sie denn für eine Idee, Miss Montenegro?“ fragte Tim ruhig. Angela fing an zu<br />

Sprechen.<br />

*****<br />

„Ihr seid weder Monster noch Mutanten. Aber ihr seid schon etwas Besonderes. Ihr<br />

alle habt gewisse Eigenschaften, die euch selbst gar nicht bewusst sind. Unsere<br />

rechtschaffenden Nummern 1 und 16 zum Beispiel jagen Verbrecher, halten sich für grund-<br />

solide, moralisch unantastbare Polizisten, haben aber keine Skrupel, schießender weise über<br />

das Leben anderer zu entscheiden. Beide haben als Scharfschützen, als bloße Tötungs-<br />

maschinen, die auf simple Befehle hin Morden, gearbeitet für unser ach so überlegenes<br />

Regime. Sie haben beide die Eigenschaft, jede Lüge zu erkennen. Wusstet ihr nicht, weil es<br />

euch nie jemand gesagt hat, weil es außer uns keiner weiß. Nehmen wir einmal Nummer 2<br />

genauer unter die Lupe. Du bist ein jämmerlicher Versager, jemand, der seit vielen Jahren am<br />

Rande der Legalität lebt, der seit seiner Jugend vor seinen Problemen davon läuft, nicht im<br />

Stande ist, sein Leben auch nur für 5 Cent in den Griff zu kriegen. Du ziehst in den Krieg, um<br />

500


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dich zu bestrafen, dich umzubringen, aber wenn es so weit sein könnte, bist du feige und<br />

schießt auf das erstbeste Kind, das dir helfen will. Dabei hast du eine einmalige Gabe, die du<br />

aus Unwissenheit verschwendet hast: Du bist im Stande, jedes Flugzeug, egal, ob klein oder<br />

groß, zu fliegen.“ Jake war bei den harten Worten des Mannes sichtbar zusammen gezuckt. Er<br />

saß da, starrte den Mann an und Tränen liefen ihm unaufhaltsam über die Wangen.<br />

Schließlich aber fragte er den Mann fassungslos: „Ist das wahr? Das im Simulator ... Das war<br />

kein Zufall?“<br />

Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, Nummer 2, das war es nicht.“ Der Mann<br />

wandte sich Bones zu. „Nummer 6 hier, die bei ihrer ganzen überragenden Intelligenz fast<br />

drei Jahre braucht, um zu merken, dass sie Nummer 1 liebt, die sich aus lauter Frust über das<br />

unmoralische Verhalten ihrer Eltern, für die sie sich schämt und denen sie nie vergeben hat, in<br />

ein Schneckenhaus jenseits der menschlichen Gesellschaft zurück zieht, aus Angst, wieder<br />

enttäuscht zu werden, hat ein echtes eidetisches Gedächtnis. Unser Paranoiker hier ...“, er<br />

grinste Mulder an: „... der sein Leben mit der Suche nach einer lange schon Toten vergeudet,<br />

ist im Stande, wirklich jede Verschwörung zu erkennen. Nummer 7 sollte sich für die Zukunft<br />

merken, ihrem Partner, zu dem sie genetisch bedingt eine untrennbare Beziehung der ganz<br />

besonderen Art hat, zu glauben, wenn dieser behauptet, etwas wäre eine Verschwörung.“<br />

Dana starrte den Mann an. „Was denn für eine genetische Verbindung? Wir sind nicht ver-<br />

wandt ... Nein, das meinen Sie nicht!“ Panik schwang in ihrer Stimme mit. „Nein, ich meine<br />

selbstverständlich keine verwandtschaftliche Bindung, Nummer 7, sonst hätten wir eure<br />

Paarung natürlich unterbunden. Du hast ganz einfach die Fähigkeit, dass du immer im<br />

richtigen Moment spürst, wenn dein Partner deine Hilfe braucht. Das war all die Jahre kein<br />

Zufall. Das ist deine Berufung. Nicht die, selbst nach seinem Tode immer noch zu versuchen,<br />

deinem Daddy zu beeindrucken. Das hast du zu seinen Lebzeiten nicht geschafft und wirst es<br />

auch nicht mehr schaffen.“ Dana schossen Tränen in die Augen.<br />

Kurz sah der Mann die Gefangenen an, dann fuhr er fort: „Nehmen wir jetzt Nummer<br />

5 und Nummer 14 an die Reihe. Ziva David, die keine Hemmungen hatte, ihren eigenen<br />

Halbbruder umzubringen. <strong>Die</strong> von Daddy dazu erzogen wurde, gnadenlos zu Töten, die<br />

skrupellos Foltern kann wie kein Zweiter. Nummer 4. Wie meintest du doch gleich? Dein IQ<br />

beträgt 146, aber du könntest Mandarin nicht in sechzehn Stunden lernen? Nun, lass dir ge-<br />

sagt sein, dass kann kein Mensch auf der Welt ... Nur unsere kleine Killerin hier. Du hast die<br />

Gabe, jede Sprache in Rekordgeschwindigkeit zu lernen, darauf ist dein überlegenes Gehirn<br />

ausgerichtet. Und Nummer 14. Goth ... Alberne Kleidung, auffallen um jeden Preis, statt<br />

dahinter zu kommen, dass es keine Substanz gibt, die du nicht erkennen kannst, finden, nach-<br />

501


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

weisen kannst.“ Abby sah Gibbs an. „Gibbs ... Das ist ... gruselig.“ Der Mann aber sah jetzt<br />

Locke an. „Nummer 12. Wenigstens einer, der angefangen hat, seine überragenden, einzig-<br />

artigen Fähigkeiten zu erkennen und sinnvoll einzusetzen, nachdem er sein jämmerliches<br />

Selbstmitleid über den ach so bösen Daddy endlich halbwegs überwunden hat. Lässt die Frau<br />

gehen, die ihn geliebt hat wie keinen Zweiten. Und wofür? Um von einem kranken Ego-<br />

manen, der nur immer an sich selbst gedacht hat, zu hören, dass Daddy ihn liebt. Nur einer<br />

von sechzehn, der sein unfassbares Potential zu erkennen beginnt.“ Er wandte sich Allison zu.<br />

„Unsere menschenfreundliche Immunologin. Sie ist ihr Leben lang damit beschäftigt, ihrem<br />

Chef, ihrer Umgebung, ihren Eltern, der ganzen Welt zu gefallen. Sie übt sich in Mitleid für<br />

alle, läuft ihrem Chef nach wie ein getretener Hund, statt sich endlich zu wehren. Sie studiert<br />

Immunologie, und merkt dabei gar nicht, dass sie selbst im Stande ist, jede Infektionskrank-<br />

heit abzuwehren. Oder Nummer 9, unsere kleine, langweilige Miss ’Rühr <strong>mich</strong> nicht an’, die<br />

27 Jahre alt werden muss, um ihre Unschuld an einen verkommenen Söldner zu verlieren, in<br />

einem Raum, von dem sie wusste, dass er Videoüberwacht wird. Ist das nicht nett? Deine Ent-<br />

jungferung war ein Quell der Ergötzung für das halbe Team. Was wohl der bibelfeste Vater<br />

dazu sagen würde? Du bist in der Lage, ohne es je gelernt zu haben, jedes je von Menschen<br />

erfundene Gerät, das mittels Motor angetrieben wird, zu reparieren.“ Heather wand sich vor<br />

Verlegenheit, schluchzte verzweifelt vor sich hin unter den harten Worten, war aber von<br />

dieser Mitteilung trotzdem gefangen.<br />

Und schon zählte der Mann weiter auf. „Unser ewig missgelaunter Misanthrop, der<br />

vor sich selbst nicht eingestehen will, warum er Medizin studiert hat, weil er nämlich den<br />

inneren Zwang hat, Menschen, die er ja angeblich so sehr verachtet, zu Retten, ihnen zu<br />

helfen. Der Nummer 10 in Gefahr bringt, weil er nicht mal einem Untoten, einem Vampir,<br />

einem Monster, eine Waffe in den Körper stechen kann. Der den einzigen Freund, den er je<br />

hatte, immer und immer wieder versucht, von sich zu stoßen, weil er es nicht erträgt, dass es<br />

noch jemanden gibt, der ihn mag. Der denkt, er verdiene es nicht, gemocht zu werden. Der<br />

viel zu feige ist, eine menschliche Bindung einzugehen. Der es nicht im Mindesten begreift,<br />

dass sein alberner Sarkasmus niemanden mehr beeindruckt, sondern nur noch mitleidiges<br />

Kopfschütteln hervorruft. Der sich in seinem Selbstmitleid über den bösen Dad, die böse Ex<br />

und die böse Welt im Allgemeinen wälzt, statt den Mut aufzubringen, zu sagen: Alter, du<br />

blöder Idiot hast meine Kindheit ruiniert, den Rest meines Lebens wirst du mir nicht mehr<br />

ruinieren. Der lieber für all die Bitternis in seinem Leben die einzige Frau, die ihn je so ge-<br />

sehen hat wie er ist und trotzdem genau so geliebt hat, Stacy Warner, für das Leid, an dass er<br />

sich so klammert, verantwortlich macht. Der zum lächerlichen, drogensüchtigen Junkie wird<br />

und erst hier begriffen hat, dass er ohne sein geliebtes Vicodin genauso gut über die Runden<br />

502


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kommt. Er hat keinen blassen Dunst, dass er im Stande ist, jede Krankheit zu erkennen, egal,<br />

wie versteckt sie auch sein mag.“<br />

Wieder legte der Mann eine Kunstpause ein. Und dann fuhr er fort: „Und nun noch<br />

meine beiden absoluten Lieblingskandidaten, die das Zeug hatten, es ganz weit zu bringen,<br />

und die beide aus Selbstmitleid beziehungsweise Egoismus ihr Leben weg geworfen haben.<br />

Nummer 8, die sich einredet, sie hätte ihren Erzeuger getötet, um ihre arme Mutter, die es<br />

ihrerseits nie für nötig hielt, ihre Tochter vor dem brutalen Dad zu schützen, vor dessen<br />

Attacken zu beschützen. Sie gibt bis heute nicht zu, dass sie ihn einzig aus dem Grunde ge-<br />

grillt hat, weil er sie schlecht behandelt hat, weil er sie eingesperrt hat, weil er kein guter<br />

Vater war. Und Nummer 3, ein Kindheitsschicksal, wie man es seinem ärgsten Feind nicht<br />

wünscht. Zeuge, wie die Eltern sich gegenseitig umbringen, von den geschockten Verwandten<br />

hin und her geschubst, beschießt, mit 17 dem anständigen Leben den Rücken zu kehren, weil<br />

keiner ihn lieb hat. Er wird zu einem Betrüger, zu einem Mann wie dem, der sein eigenes<br />

Leben so grausam und nachhaltig zerstört hat, nimmt sogar aus Buße darüber dessen Namen<br />

an. Er wird zu einem elenden Schmarotzer und Parasiten der Gesellschaft, der seine unglaub-<br />

liche Energie und Intelligenz darin verschwendet, Menschen um ihr hart erarbeitetes Hab und<br />

Gut zu bringen. Dabei sollte er doch wohl am besten wissen, welche katastrophalen Dramen<br />

damit angerichtet werden können.“ Kate und Sawyer saßen fassungslos still, sie starrten auf<br />

den Tisch vor sich und beiden liefen Tränen über die Wangen. „Ist euch klar, dass ihr über-<br />

ragende IQs habt? Dass ihr alles hättet erreichen können? Nummer 3 liegt bei 158, Nummer 8<br />

bei 156 und was machen sie? Leben von der Hand in den Mund, niederen Jobs oder fremdem,<br />

unrechtmäßig angeeignetem Geld, werden zu Mördern und werden von der Polizei gesucht.<br />

Nummer 3, deine Gabe entspricht wohl deinem Charakter, denn du bist im Stande, selbst<br />

lebende Lügendetektoren wie Nummer 1 und 16 zu betrügen, und du, Nummer 8, was glaubst<br />

du, warum du bisher noch nie verhaftet wurdest? Weil du so ein hübsches Mädchen bist?<br />

Nein. Weil du ein absolut überragendes Gespür dafür hast, jeder Falle zu entgehen.“<br />

*****<br />

Alle hörten mehr als aufmerksam zu, als Angela ihre Idee erläuterte. „Wenn wir eine<br />

Möglichkeit hätten, uns in ihr <strong>Über</strong>wachungssystem zu hacken, ihre <strong>Über</strong>wachungskameras<br />

zu manipulieren und dann zuzuschlagen?“ Tony verzog das Gesicht. „Ist ja toll, Schätzchen,<br />

nur leider ist unsere Computerexpertin nicht da und ob Probie hier so was hin bekommt ...“<br />

„Nicht alleine, dafür brauche ich einen weiteren Fachmann zur Unterstützung.“, warf McGee<br />

auch sofort ein. „Tja, und den habe ich für euch. Eine gute Freundin.“ „Das ist ja schön und<br />

503


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gut, aber Außenstehende ...“ „Wer sagt denn, dass sie Außenstehende ist? Meine Freundin<br />

arbeitet beim BAU in Quantico.“ Tony war ein wenig schwer von Begriff. „Beim Bau?“ Tim<br />

grinste. „Nein, Tony, nicht beim Bau, beim BAU, Behavioral Analysis Unit. Wie heißt sie?<br />

Ich rufe sofort an und frage, ob sie uns helfen kann.“ Angela lächelte. „Ich mache das, ich<br />

kenne auch ihren Chef.“<br />

Sie stand auf und ging ins angrenzende Büro. Angela griff zum Telefon. Sie wählte<br />

eine Nummer und nach kurzem Klingeln meldete sich eine männliche Stimme: „Aaron<br />

Hotchner, Behavioral Analysis Unit, was kann ...“ Angela ließ den Mann nicht zu Ende reden.<br />

„Hotch, ich bin es, Angie. Hör zu, es ist wirklich sehr wichtig, ich brauche Garcia. Wir haben<br />

hier einen echten Notfall und ich brauche den besten Hacker, den es gibt.“ Aaron Hotchner,<br />

der Supervisor der Abteilung, fragte: „Jetzt sofort? Darf ich wissen, um was es geht, oder<br />

muss ich euch schon mal Anwälte besorgen?“ Angela grinste. „Setze sie in dein Auto und<br />

fahre sie zum NCIS Headquarter, dann erkläre ich dir alles. Und, Hotch, es brennt, wirklich.“<br />

Aaron Hotchner hörte der Stimme seiner Bekannten an, dass es wirklich dringend war. Und<br />

dass sie ihn zum NCIS Hauptquartier bestellte, machte ihm klar, dass es um etwas wichtiges,<br />

etwas sehr wichtiges ging. „Wir sind schon so gut wie bei dir. Bis gleich.“ Er legte auf und<br />

eilte in den mit hochwertigen Computern vollgestopften Raum, in dem Penelope Garcia<br />

arbeitete. <strong>Die</strong> füllige, blonde Frau sah erstaunt auf, als die Tür sich öffnete und ihr Supervisor,<br />

vor dem sie extremen Respekt hatte, ihr Arbeitsfeld betrat. „Agent Hotchner, Sir, welch<br />

seltener Besuch.“, stotterte sie verlegen. Hotch sah die PC Spezialistin an. Garcia galt als der-<br />

zeit beste Spezialistin des FBI. „Kommen Sie mit, Penelope, Sie werden dringend gebraucht,<br />

ich hatte gerade einen Anruf von Angela. Sie erwartet uns im NCIS Hauptquartier.“ Garcia<br />

machte große Augen, dann raffte sie ihre Handtasche auf und erhob sich.<br />

Auf dem Weg zum Fahrstuhl liefen die beiden FBI Ermittler Jennifer Jareau, der PR<br />

Managerin des BAU, in die Arme. Kurz unterrichtete Hotch die bildhübsche blonde Frau: „JJ,<br />

wir sind bis auf weiteres abwesend, eine gute Freundin benötigt Garcias Hilfe. Falls etwas<br />

Dringendes anliegt, erreichst du <strong>mich</strong> im Hauptquartier des NCIS.“ JJ nickte. „Alles klar.<br />

Hotch, weißt du, um was es geht?“ Hotchner schüttelte den Kopf. „Ich weiß es wirklich nicht,<br />

habe aber eine Ahnung. Wir müssen uns beeilen, ich gebe euch Bescheid, sobald ich Näheres<br />

weiß.“ Und schon eilte er weiter. <strong>Die</strong> verwirrte Garcia, die JJ einen Hilfe suchenden Blick zu<br />

geworfen hatte, hetzte ihm nach. Auf dem Weg nach DC, knappe dreißig Meilen Fahrt, über-<br />

legte Garcia, was Angie von ihr wollte. „<strong>Die</strong> haben doch beim NCIS sicher eigene<br />

Spezialisten. Warum fragt Angie ausgerechnet nach mir?“ „Ich weiß es nicht, Penelope, wir<br />

werden uns gedulden müssen, bis wir bei ihr sind.“ Hotchner bog auf die Interstate 495 ab<br />

504


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und überquerte auf dieser den Potomac River. Dann fädelte er sich auf die Interstate 295 ein<br />

und erreichte fünfzehn Minuten später in starkem Verkehr die Brücke über den Anacostia<br />

River. Wenige Minuten später parkte er den schwarzen FBI Chevy Suburban SUV auf dem<br />

Parkplatz des NCIS und eilte mit Garcia dem Haupteingang zu. <strong>Die</strong> beiden FBI Angehörigen<br />

wurden bereits erwartet. Ein Agent nahm sie in Empfang und führte sie zu einem Konferenz-<br />

raum, in dem einige Personen mehr oder weniger nervös auf ihre Ankunft warteten.<br />

*****<br />

Sawyer und Kate litten bei den harten Worten, die hier an sie gerichtet wurden,<br />

Höllenqualen. Nie zuvor war ihnen allen so deutlich gesagt worden, dass sie ihr Leben ver-<br />

schwendet, zum Teil verpfuscht hatten. Dass beide einen derart hohen IQ hatten, überraschte<br />

sie selbst am meisten. Beide hatten sich seit der Highschool für dumm und nutzlos gehalten.<br />

In der ganzen Runde herrschte betroffenes Schweigen. Ihre Fehler und Unzulänglichkeiten<br />

derart kalt und emotionslos um die Ohren gehauen zu bekommen, hatte sie alle schwer er-<br />

schüttert. Nie zuvor hatte jemand mit ihnen so offen darüber geredet, wer oder was sie waren.<br />

Das jemand ihnen so klar die Augen über sich selbst öffnete, war schockierend und schwer zu<br />

verdauen. Und es war noch nicht vorbei. Der Mann ließ ihnen nur eine kurze Pause, dann<br />

redete er weiter. „Es gibt noch andere Fähigkeiten, die in euch verborgen liegen. Nummer 12<br />

ist nicht der Einzige von euch, der mentale Fähigkeiten habt. <strong>Die</strong> schlummern in euch allen,<br />

wurden nur noch nicht aktiviert. Darum werden wir uns in der kommenden Zeit ausgiebig<br />

kümmern. Außerdem werdet ihr auf eure künftigen Aufgaben genauestens vorbereitet. Noch<br />

etwas: Ihr alle habt sehr hohe IQs, die Staatsbeamten und Ärzte wusste dies, diejenigen, die<br />

nie einen IQ Test gemacht haben, hatten davon keine Ahnung. Ich will euch nicht auf die<br />

Folter spannen und teile euch die Ergebnisse der Tests jetzt mit.“<br />

Normbereich 90 - 110<br />

<strong>Über</strong>durchschnittlich 110 - 130<br />

Genie > 130<br />

House 178<br />

Bones 175<br />

Sawyer 158<br />

Kate 156<br />

Abby 143<br />

Ziva 141<br />

505


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder 141<br />

Dana 134<br />

Locke 132<br />

Gibbs 132<br />

Booth 129<br />

Jake 128<br />

Allison 128<br />

Heather 128<br />

Fassungslos lauschten die Gefangenen. Für viele von ihnen waren diese Ergebnisse<br />

überraschend. Der Mann sprach weiter. „Ihr alle seid eigentlich zu Höherem berufen. Und<br />

diesem Höheren werden wir euch zuführen. Eure Ausbildung hier ist noch lange nicht zu<br />

Ende. Ihr habt noch viel zu lernen, um den Aufgaben, die euch zugedacht sind, gerecht zu<br />

werden.“ Hier wagte Gibbs, den Redner zu unterbrechen. „Dürfen wir erfahren, worin diese<br />

Aufgaben bestehen, Sir?“ Der Mann sah Gibbs an und sagte ruhig: „Ihr werdet es zu ge-<br />

gebener Zeit erfahren, Nummer 16. <strong>Die</strong> meisten von euch sind noch nicht annähernd<br />

diszipliniert genug, diesen Aufgaben gewachsen zu sein. Es liegt noch vieles vor euch, in den<br />

nächsten Wochen und Monaten. Wir haben alle Werte über euch, die wir benötigten, zu-<br />

sammen. Ich möchte euch nicht verheimlichen, dass ihr alle in erstklassigem Zustand seid.<br />

Keiner von euch weist irgendwelche gesundheitlichen Mängel auf.“ Jetzt war es Ziva, die eine<br />

Frage hatte. „Warum jetzt, Sir? Warum wurden wir zu diesem Zeitpunkt geholt?“ Booth<br />

schickte noch hinterher: „Es war für Sie ja ein unglaublicher Zufall, dass wir alle zu diesem<br />

Zeitpunkt in der Maschine saßen.“ Der Mann sah Ziva an und erklärte: „Dass wir so lange<br />

gewartet haben, hat seinen Grund darin, dass bei einigen von euch die Fähigkeiten erst sehr<br />

spät zu Tage traten. Wir hatten gehofft, es würde schneller gehen. Und zum Thema Zufall,<br />

Nummer 1. So etwas wie Zufall gibt es nicht in eurem Leben. Als wir beschlossen, euch zu<br />

holen, wurdet ihr nach Australien bestellt und auch wieder heim geschickt. Es war kein Zu-<br />

fall, dass ihr alle in dem Flugzeug saßt.“<br />

*****<br />

Auf Borneo<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wir sind nur dadurch erfolgreich, dass wir uns im Leben oder im Krieg oder wo<br />

auch immer ein einzelnes beherrschendes Ziel setzen, und diesem Ziel alle anderen<br />

<strong>Über</strong>legungen unterordnen.<br />

Dwight D. Eisenhower<br />

Angela übernahm es, Hotchner und Garcia den Anwesenden vorzustellen. „Wenn ich<br />

euch bekannt machen darf: Vom NCIS Direktor Jennifer Shepard, Special Agent Timothy<br />

McGee und Special Agent Anthony DiNozzo. Vom FBI Assistent Direktor Walter Skinner,<br />

den ihr ja kennt, Agent Monica Reyes und Agent John Doggett. Aus dem Jeffersonian<br />

Institute sind hier noch Kollegen von mir, meinen Verlobten kennt ihr, das hier ist unser<br />

Genie Dr. Zack Addy und unsere Chefin, Dr. Camille Saroyan. Ladys, Gentlemen, das ist die<br />

derzeit beste PC Spezialistin des FBI, Penelope Garcia und ihr Supervisor Special Agent<br />

Aaron Hotchner, vom Bureau of Behavioral Analysis Unit in Quantico.“ Nach der Begrüßung<br />

fragte Hotch: „Um was genau geht es denn?“ DiNozzo übernahm es, die neu dazu ge-<br />

kommenen Ermittler aufzuklären. Hotchner und Garcia hörten zu und schließlich stellte Tony<br />

die alles entscheidende Frage: „Miss Montenegro hatte die verrückte Idee, dass wir uns in das<br />

Computersystem dieser Organisation ein hacken und ... was genau machen, Bambino?“<br />

Garcia ließ Tim nicht zu Wort kommen. „Wir müssen das <strong>Über</strong>wachungssystem<br />

manipulieren, heraus finden, wo sich die Entführten wann aufhalten, eine Schleife in das<br />

<strong>Über</strong>wachungssystem einspeisen und dann muss eine größere Einheit in das Gebäude ein-<br />

dringen und die Gefangenen heraus holen. Ich brauche dafür das beste Equipment. Ich<br />

brauche alle Angaben, die ihr über das Gebäude habt. Ferner Angaben über die Sicherheits-<br />

systeme, Videoüberwachung ect. Und wenn ihr wollt, dass die Gefangenen vor Weihnachten<br />

wieder hier sind, sollten wir uns beeilen.“<br />

Tim übernahm es, Garcia in die Computerzentrale zu bringen. Er sah sich mit der<br />

blonden Frau zusammen noch einmal die wichtigsten Stellen der DVD an, dann machte<br />

Garcia sich mit dem Computersystem des NCIS vertraut. Gemeinsam machten sie sich via<br />

Satellit ein genaues Bild von der Ortschaft Labanka, in der Provinz Kalimantan Timur im<br />

indonesischen Teil Borneos an der Ostküste gelegen, wo das Gebäude der Entführer lag.<br />

Labanka lag mitten im Dschungel an der Küste, war eine kleine Ortschaft und bot außer<br />

Fischern nichts aufregendes. Nach Palangkaraya, wo die Maschine und die anderen<br />

Passagiere gefunden worden waren, waren es zirka 300 Kilometer. Zur Hauptstadt der<br />

507


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Provinz Kalimantan Selatan, Banjarmasin, waren es ebenfalls gute 300 Kilometer. Zur Haupt-<br />

stadt der Provinz Timur, gleichzeitig die nächstgelegene Großstadt, Samarinda, waren es zirka<br />

130 Kilometer. All das brachten Garcia und McGee in ihre Berechnungen ein.<br />

Während Garcia und McGee einen Plan ausarbeiteten, klärten Skinner, Booth’ direkter<br />

Vorgesetzter Sam Cullen und Shepard in einer Konferenzschaltung mit dem CIA Direktor<br />

Michael Hayden, SecNav Donald Winter, FBI Direktor Robert Mueller und Minister Michael<br />

Chertoff von der Homeland Security, das weitere Vorgehen der US Behörden ab. Winter ver-<br />

sprach, sich sofort mit den Behörden auf Borneo in Verbindung zu setzen, um die weitere<br />

Befreiungsaktion von dort zu leiten. Kurze Zeit später schon rief Winter zurück und be-<br />

richtete, dass der örtliche Polizeichef, Jalan Permata, seine volle Unterstützung zugesichert<br />

hatte. <strong>Die</strong> ganze Operation ‘Free Willy‘ sollte von Banjarmasin aus geleitet werden. <strong>Die</strong> US<br />

Agents wurden erwartet, man hatte bereits Zimmer im Swiss-bel Borneo Hotel gebucht. Den<br />

Behörden war die Amerikanische Firma in Labanka ein Begriff. Es hatte immer wieder Be-<br />

schwerden und Vorwürfe gegen die Geschäftsleitung gegeben, aber es war nie zu einer An-<br />

klage gegen Personal Future gekommen. <strong>Die</strong> Firma lieferte Arbeitsplätze, nicht nur für US<br />

Bürger, sondern in erster Linie auch für Indonesier, sie brachte hochmoderne Technik nach<br />

Labanka, kurbelte durch Einkäufe im Land die indonesische Wirtschaft an, tätigte großzügige<br />

Spenden, unter anderem an die Tsunami-Opfer, kurz, tat alles, um einen positiven Eindruck<br />

zu hinterlassen.<br />

*****<br />

Waren die Gefangenen vorher schon geschockt gewesen, so übertraf diese Eröffnung<br />

alles. „Wie, Zufall gibt es nicht ... Was müssen wir uns unter der Aussage bitte verstehen,<br />

Sir?“ Jake sah den Mann an. <strong>Die</strong>ser grinste. „Ihr wurdet vom Tage eurer Geburt, eigentlich<br />

sogar schon vom Tage eurer Zeugung an locker überwacht. Wir haben selten aktiv in euer<br />

Leben eingegriffen, waren aber immer über alles informiert. Oder habt ihr gedacht, unser In-<br />

siderwissen stammt aus einer Kristallkugel? So naiv könnt ihr doch nicht sein. Ich könnte<br />

euch sagen, wann ihr den ersten Zahn verloren habt, wann ihr die ersten Pickel bekamt, wann<br />

die Jungs das erste Mal heimlich auf Klo masturbiert haben. Natürlich habe nicht ich das<br />

Experiment von Beginn an geleitet, ich bin nicht wie euer neuer Vampir-Freund mit ewigem<br />

Leben gesegnet. Aber ich werde es zusammen mit euch eine ganze Weile weiter führen.“<br />

„Wenn Sie ... Wann haben Sie denn ... Ich meine, wo haben Sie aktiv ...“ Bones war so<br />

fassungslos wie nie zuvor in ihrem Leben. „Wenn Sie aktiv eingegriffen haben, warum haben<br />

Sie dann bestimmte Sachen nicht verhindert?“, fragte Sawyer tonlos. „Du meinst, warum<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

haben wir nicht verhindert, dass deine Mutter mit einem Betrüger vögelt und dein Vater deine<br />

Mutter und sich deswegen killt? Weil wir euer Leben nicht beeinflussen wollten. Wir haben<br />

nur hier und da einen Schubs in die richtige Richtung gegeben, bei denen, wo es sich zu<br />

Schubsen lohnte.“<br />

„Sie hätten verhindern können, dass meine Schwester entführt wird?“, fragte Mulder<br />

hasserfüllt. „Oder dass meine Eltern sterben.“, stieß Sawyer verzweifelt hervor. „Dass man<br />

mir den Muskel stiehlt?“ House wirkte erstmals ebenfalls vollkommen konsterniert. „Das<br />

meine Eltern uns im Stich ließen, ihr elenden Bastarde.“ Bones zitterte am ganzen Leib. Ganz<br />

ruhig und gänzlich unbeeindruckt hörte sich der Mann die verzweifelten Vorwürfe an. Dann<br />

erklärte er: „Wir sind Wissenschaftler und Ärzte, aber ganz bestimmt keine Schicksalsengel<br />

und Kindermädchen. Unsere Aufgabe war es nicht, euer Leben zu bestimmen, wir haben nur<br />

aktiv eingegriffen, wenn ihr dabei wart, euch umzubringen. Und alles weitere lag und liegt<br />

nicht in unserer Hand. Damit habt ihr euch abzufinden. Was ihr aus eurem Leben gemacht<br />

habt, lag einzig bei euch. Dafür könnt ihr nur euch selbst verantwortlich machen. Ihr alle<br />

hattet und habt immer noch die Intelligenz, alles zu erreichen.“ Kalt sah der Kerl die Ge-<br />

fangenen an und fuhr dann fort: „Wenn ihr Glück habt und euch weiterhin so entwickelt, dass<br />

wir beschließen, euch weiter gebrauchen zu können, werdet ihr eine perfekte Ausbildung bei<br />

uns erhalten. In Kürze werdet ihr alle mit einem Chip versehen, der uns erlaubt, euch jederzeit<br />

überall auf der Welt orten zu können und der es uns ermöglicht, euch ebenso jederzeit zu<br />

Töten, solltet ihr auf irgendeine dumme Idee kommen. <strong>Die</strong>ser Chip ist im Stande, durch einen<br />

Impuls euer Atemzentrum im Hirnstamm zu paralysieren. Wird er aktiviert, werdet ihr inner-<br />

halb von drei Minuten erstickt sein und nichts und niemand kann das verhindern.“<br />

Fassungsloses Entsetzen zeichnete sich in den Gesichtern vor ihm ab. „Da ihr später<br />

natürlich Einsätze zu erledigen haben werdet, und wir nicht riskieren können, dass man euch<br />

wieder erkennt, werdet ihr in den kommenden Wochen einigen plastischen Operationen<br />

unterzogen. Wir werden euer Aussehen so gründlich verändern, dass selbst eure Mütter euch<br />

nicht wieder erkennen werden. Je eher ihr euch damit abfindet, dass ihr uns gehört, ganz und<br />

gar, desto eher werdet ihr wieder ein weitgehend normales Leben führen können, nach<br />

unseren Regeln. Ihr müsst begreifen, dass ihr nie wieder in eure alten Leben zurückkehren<br />

werdet und vom Tag eurer Gefangennahme an uns gehört habt, mit allen Konsequenzen.“ Der<br />

Mann fixierte die völlig geschockten Gefangenen kalt und sagte dann: „Abschließend möchte<br />

ich euch noch folgendes auf den Weg geben. Auch, wenn es uns am liebsten wäre, jeden von<br />

euch optimal benutzen zu können, oder, um es freundlicher zu formulieren, einzusetzen, ist es<br />

nach wie vor so, dass wir letztlich nicht alle brauchen. Solltet ihr auf die dumme Idee<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kommen, Schwierigkeiten zu machen, sieht unser Gesamtkonzept weiterhin vor, nicht den<br />

Betreffenden selbst, sondern den Partner für Fehlverhalten zu strafen. Bisher war alles, was<br />

wir unternommen haben, Kinderkram im Vergleich zu dem, was auf euch zukommen könnte,<br />

wenn ihr anfangt, aufzumucken. Habt ihr das begriffen?“ Alle erwiderten laut und deutlich.<br />

„Ja, Sir.“ „Gut, dann ... habt ihr noch Fragen?“ „Warum können Sie uns nicht sagen, worin<br />

unsere Aufgaben später liegen werden, Sir?“ Gibbs sah den Mann resigniert an. <strong>Die</strong>ser<br />

antwortete: „Nun, ihr habt gut mitgearbeitet und es euch verdient, wenigstens einen Anhalts-<br />

punkt zu bekommen. Ihr werdet irgendwann wichtige Persönlichkeiten ersetzen. Darum sind<br />

auch die plastischen Operationen notwendig. Ihr werdet dem Aussehen derer, deren Ämter<br />

oder Posten ihr einmal übernehmen werdet, aufs Haar angeglichen.“ Erschlagen saßen die<br />

Gefangenen da. Das alles war zu unbegreiflich, als dass sie es so schnell hätten begreifen<br />

können. Leise fragte Heather: „Dürfen wir erfahren, was mit Sara und Gil passiert ist, Sir?“<br />

Der Man grinste. „Wir sind keine Unmenschen. Wir haben sie selbstverständlich frei ge-<br />

lassen. Mitten in der Wüste, mit einer Flasche Wasser. Es war nie Bestandteil der Entführung,<br />

dass wir alle von euch brauchen, denkt immer daran.“ Damit stand er auf und verließ zu-<br />

sammen mit dem Arzt und Major Garreau den Raum. <strong>Die</strong> Gefangenen wurden unmittelbar<br />

danach in ihre Zimmer zurück gebracht.<br />

*****<br />

Unruhig rutschte Garcia auf ihrem Platz hin und her. Sie saßen seit sieben Stunden in<br />

dem elenden Blechsarg und hatten noch zwei Mal so lange Flugzeit vor sich. <strong>Die</strong> blonde Frau<br />

hatte das Gefühl, jetzt schon keine Sekunde länger mehr sitzen zu können. <strong>Die</strong> Gulfstream V<br />

des FBI, in der ihre Teamkollegen immer zu den jeweiligen Einsatzorten geflogen wurden,<br />

würde in Lagos, Nigeria, und dann noch einmal in Mumbai, dem ehemaligen Bombay, Indien,<br />

zwischen landen. Dann hatten sie noch einmal fast 5.200 Kilometer vor sich, bis sie<br />

Banjarmasin erreicht hatten. Garcia seufzte. Bis Lagos waren es noch fast fünf Stunden. Wie,<br />

um alles in der Welt, sollte man so was aushalten? Wenn wenigstens einer ihrer Kollegen<br />

dabei gewesen wäre. JJ, oder Derek Morgan. Ihr Gesicht wirkte plötzlich verklärt. Derek ...<br />

Sie war in den frechen, gut aussehenden Agent verknallt, da gab es kein herum Gerede. Alle<br />

wussten es, einschließlich Morgan selbst. Aber keiner machte sich etwas daraus. Penelope<br />

wusste genau, dass Derek und sie immer nur gute Freunde bleiben würden. Sie hatte auch gar<br />

nicht ernsthaft die Absicht, daran etwas zu ändern. Sie war glücklich so, wie es war. Garcia<br />

hatte ihren Laptop vor sich auf dem Schoss und schrieb noch eifrig an dem Programm, mit<br />

dessen Hilfe sie sich in das System der Entführer einhacken wollte. Gerade blinkte die An-<br />

zeige „you’ve got mail“ auf. Garcia öffnete die Mail und grinste „Hallo, Zuckerpuppe,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

du fehlst uns. Hotch hätte mit dem Arsch hier bleiben und <strong>mich</strong><br />

statt seiner mit dir schicken sollen. Dein Vertreter ist eine<br />

hohle Nuss. Kein Vergleich mit meinem blonden Engel. Falls ihr<br />

jemals ankommt, gebe uns Bescheid, damit wir wissen, dass es<br />

euch gut geht.“<br />

Garcia lächelte glücklich. Sie fehlte den Kollegen ... Und dann hörte sie ihren Chef<br />

neben sich räuspern. „So, meinen Arsch hätte ich also zuhause lassen sollen? Und dann aus-<br />

gerechnet Morgan mit schicken? Sagen Sie ihm, wenn er nicht will, dass ich seinen Arsch bis<br />

auf den Mond trete, soll er aufhören, Mails zu schicken und lieber etwas Sinnvolles tun für<br />

sein Geld.“ Hoffnungslos verlegen stotterte Garcia „Aber, Sir, das war privat ... ich meine,<br />

nicht ... ich ... Er hat nicht ... Jawohl, Sir.“ Hotch musste sich weg drehen, damit seine Mit-<br />

arbeiterin das Grinsen auf seinem Gesicht nicht sah. Er hatte sich lange mit Doggett und<br />

Reyes unterhalten. Tim McGee hatte sich ebenfalls in seinen Laptop verbissen und DiNozzo<br />

war nicht unbedingt der Gesprächspartner, den Hotchner sich für einen so langen Flug<br />

wünschte. Aber mit John Doggett und Monica Reyes hatte Hotch sich gut unterhalten. Sie<br />

hatten sich über die Befreiungsaktion, die ja mit Hilfe der indonesischen Polizeikräften von<br />

Statten gehen würde, unterhalten. Das Hotch mit geflogen war, geschah im Sonderauftrag des<br />

FBI Direktors und des SecNav. Hotchner war der ranghöchste Agent und sollte somit positiv<br />

auf die Zusammenarbeit mit den indonesischen Behörden einwirken. Er hatte entschieden<br />

abgelehnt, aber Hayden hatte darauf bestanden. Doggett, Reyes und McGee hatten sich erfreut<br />

geäußert, einen so verhandlungserfahrenen Agent bei sich zu haben. Tony war schlicht an-<br />

gepisst, dass er sich von einem FBI Ermittler etwas sagen lassen sollte. Jenny hatte ihn kalt<br />

abgewiesen, als er sich bei ihr beklagen wollte. „Sie sind leider noch nicht annähernd so weit,<br />

eine solche Aktion auch nur ansatzweise zu leiten, Tony. Das ist eine sehr heikle Angelegen-<br />

heit, die schnell das Interesse der Weltöffentlichkeit erregen wird. Ebenso schnell kann es zu<br />

diplomatischen Verwicklungen kommen. Für die Aktion braucht es einen ruhigen, be-<br />

sonnenen Leiter. Davon sind Sie weit entfernt. Sie werden sich, genau wie Agent McGee,<br />

dem sehr erfahrenen Special Agent Hotchner unterordnen. Sollte mir auch nur die kleinste<br />

Klage zu Ohren kommen, werden Sie die Konsequenzen tragen, habe ich <strong>mich</strong> klar aus-<br />

gedrückt?“ Zähneknirschend hatte Tony genickt. „Glasklar, Ma’am Director.“<br />

*****<br />

„Ich habe schreckliche Angst, was werden die mit uns machen? Was soll das für ein<br />

Chip sein? Und ... Ich will nicht, dass an mir herum geschnitten wird, bitte.“ Kate schluchzte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verzweifelt. Sie lag zitternd und bebend in Sawyers Armen und war nicht zu beruhigen.<br />

Allerdings ging es Sawyer nicht besser. Als er gehört hatte, dass sie sich plastischen<br />

Operationen unterziehen mussten, war ihm das Herz ebenfalls in die Hose gerutscht. Und die<br />

Vorstellung, gechipt wie ein Hund herum zu laufen, noch dazu mit einem Chip, der ihr Leben<br />

so qualvoll beenden konnte, machte auch Sawyer schwer zu schaffen. Er wusste einmal mehr<br />

nicht, wie er Kate trösten sollte. Leise sagte er: „Hey, ich habe genau so viel Angst, und ich<br />

verwette meine Hose, dass es allen anderen genau so geht. Ich war bisher mit meinem Aus-<br />

sehen sehr zufrieden. Ich will so wenig wie du, dass es verändert wird.“<br />

Ein Zimmer weiter versuchten Bones und Booth, sich ihre Angst nicht zu zeigen.<br />

„Vielleicht finden sie uns ja doch noch rechtzeitig ...“, meinte Bones in einem Tonfall, der<br />

deutlich zeigte, dass sie nicht die geringsten Zweifel hatte, dass dem nicht so sein würde.<br />

Booth trank einen Schluck Cola. Hätte er nur etwas Alkoholisches gehabt, er hätte sich sinn-<br />

los betrunken. Ihm wurde schlecht bei der Vorstellung, dass sie alle vom Aussehen her ver-<br />

ändert werden sollten. Was war das für ein Horror. Nicht allein die Operationen selbst, die<br />

damit verbundenen Schmerzen, sondern das, was man ihnen allen damit auch seelisch antat.<br />

Würden sie sich noch lieben können, wenn sie einander nicht mehr wieder erkannten? Er<br />

konnte nicht verhindern, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Was muss das für<br />

ein Chip sein, mit dem sie uns nicht nur Orten, sondern jederzeit Töten können.“, überlegte er<br />

laut. Bones hatte sich da ebenfalls schon Gedanken drüber gemacht. Sie schüttelte den Kopf.<br />

„Es gibt so viele Möglichkeiten ... ich habe keine Ahnung, Booth. Ich habe keine Ahnung ...“<br />

Sie verstummte und die ersten Tränen kullerten ihr über die Wangen. Dann stieß sie kläglich<br />

hervor: „Booth, ich habe solche Angst.“<br />

Auch in den anderen Zimmern herrschte regelrechter Schockzustand. Heather saß reg-<br />

los auf dem Sofa und hatte noch kein Wort von sich gegeben. Jake hatte sie ein paar Mal an-<br />

gesprochen, aber keinerlei Reaktion bekommen. Schließlich gab er auf und setzte sich zu ihr<br />

auf das Sofa. Er konnte sich im TV gegenüber spiegeln sehen und schluckte trocken. Seine<br />

Hände glitten, ohne das er es eigentlich wollte, an seine Wangen, seine Stirn. Er schauderte.<br />

Abgesehen von der Tatsache, dass er wirklich Angst vor den Operationen an sich hatte, war er<br />

mit seinem Aussehen durchaus sehr zufrieden, vielleicht das Einzige an ihm, das ihm an sich<br />

selbst gefiel. Wenn sie ihnen das nahmen, waren sie ... nicht mehr sie selbst. Sie würden dann<br />

ihrer Individualität endgültig beraubt sein und nur noch Marionetten, Roboter der Entführer<br />

sein. Als ob es nicht schon reichte was man ihnen bisher angetan hatte! Sie konnten ja jetzt<br />

schon nichts mehr alleine bestimmen, wenn man ihnen nun auch noch ein anderes Aussehen<br />

aufzwang ... Jake überlegte, wann er das letzte Mal irgendetwas für sich selbst entschieden<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte. Definitiv vor der Entführung. Ihre Gastgeber bestimmten nach wie vor alles. Wann und<br />

was sie aßen, tranken, wann sie schliefen, wann das Badzimmer benutzt werden konnte,<br />

dieses war nämlich seit einiger Zeit verschlossen und wurde nur zu bestimmten Zeiten, die<br />

natürlich variierten, geöffnet. Somit hatten die Entführer auch das wieder vollkommen unter<br />

Kontrolle. Sie schalteten abends den Strom in den Zimmern ab, sodass es dunkel wurde, der<br />

TV aus ging und sie nichts weiter tun konnten, als sich in die Betten zurück zu ziehen.<br />

Lediglich, was dann kam, wurde nicht immer vorgeschrieben. Oft genug aber hieß es auch:<br />

„Ruhe im Zimmer.“ Jake hatte es so verzweifelt satt.<br />

*****<br />

„Bitte kehren Sie auf Ihre Sitzplätze zurück, stellen Sie bitte ihre Rückenlehnen in eine<br />

aufrechte Position, klappen die Tische hoch und legen Sie den Sicherheitsgurt an. Wir landen<br />

in Kürze auf dem International Airport Syamsuddin Noor, Banjarmasin, Borneo. <strong>Die</strong> aktuelle<br />

Ortszeit ist 15.40 Uhr, Temperatur im Augenblick 28,4 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von<br />

87%. Viel Glück bei Ihrer Aktion.“ Unendlich erleichtert hörte Tim die Durchsage und<br />

schloss den Sicherheitsgurt. Er hatte, wie das ganze Team, die Nase mehr als voll vom<br />

Fliegen. Einundzwanzig Stunden in der Luft, zwei Zwischenlandungen, Reisezeit insgesamt<br />

mehr als vierzig Stunden, es reichte. Garcia hatte bereits angekündigt, zurück schwimmen zu<br />

wollen und Monica hatte ihr begeistert zugestimmt. Alle waren genervt, Tony unausstehlich.<br />

Er hatte sie alle mit seinen Film- und Fernsehgeschichten verrückt gemacht, bis Hotch und<br />

Doggett fast gleichzeitig der Kragen geplatzt war. Doggett hatte ihm kalt erklärt, dass für<br />

Tony kein Rettungsteam mehr notwendig wäre, wenn er nicht endlich den Mund hielt, weil<br />

Tote nicht mehr gerettet werden konnten. Und Hotch hatte ihm angeboten, zu Fuß weiter zu<br />

gehen, wenn er nicht endlich aufhören würde, sie mit Szenen aus Star Wars, Indiana Jones<br />

und anderen Filmen zu belästigen. Als alle, bis auf Monica Reyes, die einfach für jeden Ver-<br />

ständnis aufbrachte, geklatscht hatten, war Tony beleidigt aufgestanden und kam erst jetzt zur<br />

Landung an seinen Platz zurück. Wortlos setzte er sich auf seinen Sitz und schloss den<br />

Sicherheitsgurt. Tim grinste. Es war so wundervoll, einmal nichts von Tony zu hören.<br />

Zwei sehr schweißtreibende Stunden später saßen sie alle in einem großen,<br />

klimatisierten Büro der Hauptpolizeistation Banjarmasins. Sie waren von Jalan Permata, dem<br />

Polizeichef, und Rasuna Said, dem Direktor des Staatssicherheitsschutzes empfangen worden.<br />

Said hatte ihnen noch einmal die volle Unterstützung zugesichert. Sie bekamen alle Kräfte zur<br />

Seite gestellt, die sie benötigten. Man versicherte ihnen, dass nur Beamte ausgewählt worden<br />

waren, die Englisch sprachen, um keine Missverständnisse bei der Aktion zu verursachen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und nur diese wussten überhaupt, was Operation ‘Free Willy‘ war. <strong>Die</strong> auserwählten<br />

Beamten hatten eine sehr gründliche <strong>Über</strong>prüfung des Geheimdienstes unter der Leitung von<br />

Direktor Pangeran Antasari über sich ergehen lassen müssen, um sicher zu stellen, dass sie<br />

nicht für Personal Future arbeiteten. Alle waren dem Ermessen nach sauber und fieberten der<br />

Befreiungsaktion ähnlich nervös entgegen, wie die US amerikanischen Kollegen dies taten.<br />

Garcia und McGee hocken an hochmodernen Rechnern und schrieben an den letzten<br />

Resten für das Programm, mit welchem sie in den Zentralrechner der Firma Personal Futur<br />

eindringen wollten. Zwischen den Beiden herrschte konzentrierte Stille. Schließlich erklärte<br />

Garcia erleichtert: „Ich habe es geschafft, wie sieht es bei dir aus?“ Sie und Tim waren<br />

während des endlos langen Fluges schnell zum vertraulichen Du übergegangen. Tim machte<br />

ein Handzeichen, noch einen Moment zu warten. Dann erklärte er zufrieden: „So, ich denke,<br />

das müsste es gewesen sein. Sollen wir die anderen informieren?“ Garcia nickte. „Wir wollen<br />

die armen Menschen da so schnell es geht raus holen, also, worauf warten wir noch. <strong>Die</strong> sind<br />

schon sechs Monate in Gefangenschaft. Das sind sechs Monate zu viel. Man mag gar nicht<br />

daran denken, in welcher Verfassung sie sein mögen. Scheinbar sind die ja mit den beiden frei<br />

gelassenen CSI Beamten noch verhältnismäßig gut umgegangen.“ Tim nickte. „Was Grissom<br />

und Sidle erzählt haben ... Da wird mir ganz schlecht. Abby ist ... Naja, ich mag sie sehr,<br />

weißt du. Und zu wissen, dass sie so sehr leiden muss ... Es hat Stunden gegeben in den<br />

letzten Monaten, da war ich am Ende. Wirklich am Ende. Ich wusste nicht, wie ich noch einen<br />

Tag weiter arbeiten soll ohne Abbys Schicksal zu kennen.“ Garcia nickte. „Ja, die Ungewiss-<br />

heit ist das Schlimmste. Nicht zu wissen, was geschehen ist. Ich habe die ganze Story auf-<br />

merksam verfolgt. Wir haben ja auch oft mit Entführungen zu tun, allerdings bekommen wir<br />

unsere Vermissten zu neunzig Prozent nicht lebend zurück.“ Tim nickte. „Ja, bei euch ist es<br />

keine so große Erfolgsstory, gegenüber jedem Geretteten stehen Dutzende Tote, die kein<br />

Mensch mehr retten konnte.“ Er stand auf. „Ich suche deinen Boss und gebe Bescheid, dass<br />

wir so weit sind.“<br />

*****<br />

Beth war froh, dass sie wenigstens am Sport und an dem Selbstverteidigungstraining<br />

teilnehmen durfte. Man ignorierte sie, sperrte sie stundenlang alleine in ihrem Zimmer ein,<br />

und das machte die junge Frau wahnsinnig. Zum einen, nie zu wissen, was mit Mick oder den<br />

anderen geschah, zum anderen das Gefühl, vollkommen überflüssig zu sein, nur als Druck-<br />

mittel gegen Mick hier zu sein. Sie langweilte sich in den endlosen Stunden alleine in ihrem<br />

kleinen Raum fast zu Tode. An diesem Morgen hatte man sie zusammen mit Mick abgeholt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und in die große Sporthalle geschafft, wo sie nun am Schuften waren: Erst aufwärmen, dann<br />

Laufen, anschließend Muskelaufbau an den Geräten. Dann stand für alle paarweise Selbstver-<br />

teidigung auf dem Programm. Da House natürlich aus verständlichen Gründen hierbei nicht<br />

mit machen konnte, wurde einer der Wachleute als Partner für Sawyer hinzu gezogen.<br />

Professionell ausgebildet war der jungen Mann natürlich nicht, aber sein Leben jenseits der<br />

Gesetze hatte zwangsläufig dazu geführt, dass er Kämpfen gelernt hatte. Er hatte sich in den<br />

letzten Trainingsrunden stark verbessert. Heute jedoch war er, wie alle, bis auf Mick und<br />

Beth, nicht bei der Sache. Unkonzentriert und mit den Gedanken ganz woanders fing er sich<br />

von seinem Trainingspartner, der keine Rücksicht darauf nahm, dass Sawyer offensichtlich<br />

abgelenkt war, immer wieder schmerzhafte Treffer ein. Beth, die heute Bones als Partnerin<br />

hatte, gelang es, die Anthropologin mehrmals locker zu überwinden und Mick, der gegen<br />

Gibbs antrat, schaffte das Gleiche ebenso locker bei dem Ex Marine.<br />

Sawyer hatte sich gerade wieder einen schmerzhaften Hieb in den Körper eingefangen.<br />

Keuchend hielt er sich die rechte Seite und fand sich im nächsten Moment von einem Kick an<br />

das Kinn getroffen, am Boden wieder. Der Wachmann sah kalt auf den blonden Mann<br />

herunter, dann meinte er: „Du bist ja heute großartig in Form. Möchtest du lieber gegen meine<br />

Großmutter antreten, oder schaffst du es, deinen Arsch in die Höhe zu hieven und anständig<br />

zu kämpfen?“ Sawyer hatte nach dem Treffer ans Kinn kurzfristig Sterne gesehen. Jetzt<br />

wurde sein Blick wieder klar und er rappelte sich mühsam auf. Genervt versuchte er, sich<br />

besser zu Konzentrieren, aber es blieb bei dem frommen Wunsch. Zu sehr schwirrten die Er-<br />

klärungen und Ankündigungen des unbekannten Mannes noch in ihrer aller Köpfe herum.<br />

Sawyer dachte an die plastischen Operationen, die man ihnen angekündigt hatte und bekam<br />

im nächsten Moment, ohne es noch verhindern zu können, einen harten Tritt in den Körper.<br />

Ihm blieb die Luft weg und er blieb zusammen gekrümmt am Boden liegen. Kate, die von<br />

einer anderen Matte aus beobachtet hatte, dass Sawyer zu Boden gegangen war, bemerkte zu<br />

spät, dass ihre Partnerin, an diesem Morgen Allison, zu einem Schlag ausgeholt hatte, dem<br />

Kate normalerweise spielen ausgewichen wäre.<br />

So aber erwischte Allison Kate voll an der rechten Kopfseite. Erschrocken sah<br />

Cameron, dass sie Kate mit ihrem unbeabsichtigten Treffer eine kleine, leicht blutende Platz-<br />

wunde am rechten Wangenknochen zugefügt hatte. Kate schüttelte genervt den Kopf. „Kein<br />

Problem.“, sagte sie gereizt. „So lohnen sich die Operationen wenigstens.“ Allison schossen<br />

bei Kates resignierten Worten Tränen in die Augen und sie biss sich auf die Lippe. „Hast du<br />

auch so schreckliche Angst davor? Ich will nicht alles verlieren, einschließlich meiner Identi-<br />

tät. <strong>Die</strong> Vorstellung ist entsetzlich. House und ich haben überlegt, ob es nicht besser wäre, tot<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu sein ...“ Kate hatte ebenfalls feuchte Augen. „Geht uns nicht anders. Weißt du, wir waren<br />

keine Engel, und der Typ hatte wohl Recht mit dem, was er über Sawyer und <strong>mich</strong> gesagt hat,<br />

aber das hier ... Das haben nicht einmal wir verdient. Wenn wir die Möglichkeit finden<br />

würden, zu Sterben ... Ich weiß nicht, ob wir sie noch ablehnen würden ... Auf dem Dach an<br />

dem Abend haben wir kurz überlegt, weißt du. Hätten wir da schon gewusst, was auf uns zu<br />

kommt ... Wir wären zusammen gesprungen.“<br />

*****<br />

Garcia starrte auf den überdimensionalen Bildschirm vor sich. Sie war innerlich am<br />

Zittern, äußerlich Schweiß gebadet. Jetzt würde sich zeigen, ob der Aufwand der letzten Tage<br />

sich gelohnt hatte. Wenn das Sicherheitssystem der Firma Personal Future ihr Hacker-<br />

programm erkennen würde, wären sie gewarnt, dass etwas im Busch war. Penelope sah Tim<br />

an. Dann drehte sie sich herum und schaute in die erwartungsvollen Gesichter Hotchners,<br />

DiNozzos, Reyes, Doggetts und der indonesischen Polizeibeamten. „Tja, entweder, es klappt,<br />

oder wir haben ein großes Problem. Wenn es so was wie einen Computergott gibt, sollten wir<br />

diesem ein paar Kerzen spenden, Freunde. Ich will nicht diejenige sein, die die Taste drückt.“<br />

Hotch nickte. „Das kann ich verstehen, Penelope, lassen Sie <strong>mich</strong> das machen. Wenn dann<br />

etwas schief geht, wovon ich bei Ihrer Fachkompetenz nicht ausgehe, trage wenigstens ich die<br />

Verantwortung.“ Tim und Garcia sahen Hotch an. Tim schüttelte den Kopf. „Ist gut gemeint,<br />

Agent Hotchner, aber wenn ich Scheiße gebaut habe, stehe ich auch dafür gerade.“ McGee<br />

beugte sich über die Tastatur und drückte Enter. Der Rechner fing an zu summen, alle starrten<br />

gebannt und hochgradig nervös auf den Monitor und dann ... Erst flackerte es ein wenig, dann<br />

aber zeigte der Monitor das Bild eines vollkommen schmucklosen, weißen Flures, von dem<br />

links und rechts einige Türen ab gingen. McGee drückte auf die Pfeiltaste aufwärts, und das<br />

Bild auf dem Monitor änderte sich. Weitere Flure, Räume, irgendwann Zimmer, die bewohnt<br />

aussahen, aber zurzeit ohne ihre Bewohner leer waren. Und dann keuchte Tony erschrocken<br />

auf. Das Bild auf dem Monitor wechselte erneut, und plötzlich waren die heimlichen Zu-<br />

schauer in einer großen Sporthalle. Atemlos stießt Tim hervor: „Da ist Abby. Mein Gott,<br />

Abby.“ Und Tony keuchte im gleichen Atemzug: „Ziva. Gibbs.“<br />

Vollkommen verwirrt meldete sich Doggett zu Wort. „Das gibt es doch wohl nicht.<br />

Reyes, schauen Sie sich die blonde Frau dort an ... Kommt die Ihnen nicht auch bekannt vor?<br />

Tim? Tony?“ <strong>Die</strong> Angesprochenen schauten sich die junge Frau genauer an und dann stieß<br />

Tim erstaunt und ungläubig hervor: „Das kann unmöglich sein. <strong>Die</strong> kennen wir. Das ist diese<br />

… Wie hieß sie doch gleich noch ... <strong>Die</strong>se Reporterin von dem Internetmagazin, die uns<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

damals am Flughafen in LA wahnsinnig gemacht hat. Ich komme nicht auf den Namen.“<br />

Monica nickte aufgeregt. „Ja, genau. Wie hieß sie gleich ... Das Magazin hieß Buzz Wire,<br />

daran erinnere ich <strong>mich</strong>.“ Garcia hatte der Unterhaltung gelauscht. Jetzt tippte sie in einen der<br />

anderen PCs Buzz Wire ein und Monica sah auf einen kleinen Monitor, wo Infos über das<br />

Boulevard Magazin erschienen. Sie suchte gezielt unter Mitarbeiter und dann stieß Monica<br />

hervor „Da, Beth Turner, genau, dass ist sie. Was steht da? - Unsere Mitarbeiterin,<br />

Beth Turner, die seit dem 1.ten März zusammen mit ihrem Ver-<br />

lobten, dem Privatdetektiv Mick St. John vermisst wird ... - Das ist<br />

ja unfassbar. Wie, um alles in der Welt, ist diese Turner in die Hände der Entführer gefallen?“<br />

Der Angriff<br />

Courage is not the absence of fear, but the strength to do what is right in the face of it.<br />

<strong>Die</strong> nächsten zwei Tage verbrachten die Befreier damit, von früh morgens bis in die<br />

späte Nacht hinein am Monitor zu kleben, um einen gewissen Rhythmus in den Aktionen der<br />

Entführer zu erkennen, aber schon bald mussten sie einsehen, dass es etwas wie einen festen<br />

Rhythmus nicht gab. Weder hatte der Tag eine feste Anzahl an Stunden, noch die Nacht. Ein<br />

vollkommen verwirrendes Zeitgefüge schien den Alltag innerhalb des Gebäudes zu be-<br />

stimmen. In der ersten Schlafphase, die von 15 Uhr bis 20 Uhr ging, schliefen die Gefangenen<br />

tief und fest. Wenn die Schlafphasen immer so kurz waren, erschien es den heimlichen Be-<br />

obachtern kein Wunder, dass sie alle in ihre Betten fielen und schliefen wie die Toten. Nach<br />

dem Wecken, welches mittels des lauten Trötens vorgenommen wurde, von dem Gil und Sara<br />

berichtet hatten, durften die Eingesperrten nicht etwa ins Badezimmer. Sie hatten aufzustehen<br />

und zu warten, bis man ihnen die Badezimmerbenutzung erlaubte. Dass die heimlichen Be-<br />

obachter die Privaträume bei ihren Beobachtungen in der weiteren Folge fast vollständig<br />

ignorierten, kam besonders Mick zu Gute, dem es nach einer eventuellen Befreiung sonst sehr<br />

schwer gefallen wäre, zu erklären, warum er die halbe Nacht in einer Kühltruhe verbrachte.<br />

Nach der Badbenutzung hatten die Gefangenen offensichtlich in T-Shirt und Trainingshose<br />

bekleidet am großen, gemeinsamen Frühstückstisch zu erscheinen. Auch der Ablauf nach dem<br />

Frühstück war vollkommen unkalkulierbar. Am ersten Beobachtungstag war unmittelbar nach<br />

dem Frühstück Unterricht, bei dem die Gefangenen in verschiedene Räume verteilt wurden.<br />

Am zweiten Tag wurden sie nach dem Frühstück in die Sporthalle geschafft. Scheinbar war<br />

dass die einzige Aktivität außer den Mahlzeiten, die wirklich alle betraf.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wann wir zuschlagen, hat sich damit wohl von alleine geklärt. Es geht nur während<br />

des Sportes, da offensichtlich nur zu dem Zeitpunkt alle geschlossen in einem Raum sind.<br />

Garcia, wo ist die Sporthalle untergebracht?“ Garcia durchsuchte die DVD und erklärte: „Da<br />

haben wir Glück. <strong>Die</strong> ist im Erdgeschoss untergebracht, es sollte nicht so schwer sein, die zu<br />

finden.“ „Gut. Dann sollten wir einen ernsthaften Plan ausarbeiten. Das mit der eingespeisten<br />

Endlosschleife ist unter diesen Umständen natürlich nicht machbar.“ Hotchner warf noch<br />

einen Blick auf den Monitor. Leise sagte er: „<strong>Die</strong> sehen alle so aus, als würden sie nicht mehr<br />

lange durchhalten.“ Damit hatte er allerdings Recht. Tony, Tim und die beiden FBI Agents<br />

waren erschüttert, wie schlecht die Kollegen aussehen. Blass, tiefe Schatten unter den Augen,<br />

die vollkommen hoffnungslos und leer wirkten, sehr schlank, fast schon dünn geworden, ein-<br />

gefallene Wangen, die Haare ungepflegt lang. Selbst auf den Videobildern konnte man sehen,<br />

dass das freche Funkeln der Augen zum Beispiel bei Mulder oder Abby vollkommen fehlte.<br />

<strong>Die</strong> Kollegen wirkten nicht nur körperlich sondern auch seelisch erschöpft und am Ende. Sie<br />

wirkten alle, als hätten sie kürzlich eine wirklich niederschmetternde Nachricht erhalten.<br />

Irgendwas schien vorgefallen zu sein. Hotchner, mit einem mehr als geschulten Auge für die<br />

Psyche, den seelischen Zustand eines Menschen ausgestattet, meinte: „Sie wirken, als hätten<br />

sie vor Kurzem eine wirklich schlechte Nachricht erhalten. Irgendetwas macht ihnen schwer<br />

zu schaffen. Sie wirken alle, bis auf diese Beth Turner und ihr Lebensgefährte, vollkommen<br />

verzweifelt, desillusioniert und resigniert. Sie haben aufgegeben. Ich fürchte, wenn sie eine<br />

Möglichkeit finden würden, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, brauchen es die Entführer<br />

nicht zu machen.“<br />

*****<br />

Beim Abendessen kam der bereits hinlänglich bekannte Arzt zu den Gefangenen. Er<br />

erklärte ruhig: „Nummer 1 und 2, ihr werdet morgen früh vor dem Frühstück abgeholt zu<br />

einer vorbereitenden Untersuchung für die Vollnarkose bei der ersten Operation. Das Übliche,<br />

Blutdruck, Atmung, Blutbild, dafür müsst ihr nüchtern sein. Sobald das alles ausgewertet ist,<br />

werdet ihr die Ersten sein, die mit einen neuen Aussehen gesegnet sind. <strong>Die</strong> Auswertung wird<br />

in etwa zwei bis drei Tage beanspruchen. Ihr könnt euch also schon einmal von euch ver-<br />

abschieden.“ Der Arzt verließ zufrieden den Raum, nicht, ohne zu erklären: „Wir gehen der<br />

Einfachheit halber weiter der Nummern nach vor.“ Sawyer und House verloren, wie Augen-<br />

blicke vorher Booth und Jake, auch noch das letzte bisschen Farbe. Dass die Operationen, die<br />

man ihnen angekündigt hatte, so schnell kommen würden, hatten sie bei allem Schrecken nun<br />

wirklich nicht vermutet. Daher war die Mitteilung ein Schock. Jake und Booth hocken stumm<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

da und konnten ein unkontrollierbares Zittern nicht verhindern. Beth und Mick, die ver-<br />

ständnislos zugehört hatten, begannen gleichzeitig: „Was ist ...“ Bevor sie die Frage aus-<br />

sprechen konnten, erkläret Ziva unglücklich: „Man will uns alle operieren, plastische<br />

Chirurgie, versteht ihr? Wir sollen vom Aussehen her so verändert werden, dass ... Wie<br />

drückte der Dreckskerl sich aus? Das uns nicht einmal unsere Mütter wieder erkennen<br />

würden.“<br />

Entsetzt stöhnte Beth auf. „Oh, mein Gott, das ist unmenschlich. Was sind das nur für<br />

Monster?“ Vor Entsetzen, hilfloser Wut und Mitleid mit den <strong>Anderen</strong> traten Beth Tränen in<br />

die Augen. Und nicht nur Beth. 300 Kilometer weiter südlich in Banjarmasin zuckten Monica<br />

und Garcia, die <strong>Die</strong>nst am Monitor hatten, entsetzt zusammen. „Oh, mein Gott. Das muss<br />

Hotch erfahren, wir müssen vorher zuschlagen.“ Garcia hatte schon Hotchners Nummer ge-<br />

tippt. Augenblicke später hatte sie ihren Supervisor am Hörer. „Hören Sie, Sir, wir haben<br />

gerade erfahren, dass die Entführten in Kürze gesichtsverändernden plastischen Operationen<br />

unterzogen werden sollen. Bei Agent Booth und diesem Jake Green sollen schon in wenigen<br />

Stunden die vorbereitenden Untersuchungen gemacht werden. Wir müssen das verhindern,<br />

Sir, bitte. Das können wir nicht zulassen.“ Hotch hatte aufmerksam zu gehört. Nun erklärte er:<br />

„Sie haben selbstverständlich Recht, Penelope, dass dürfen wir auf gar keinem Fall zulassen.<br />

<strong>Die</strong> Untersuchungen sind nicht schlimm, aber wurde erwähnt, wann die Operationen vor-<br />

genommen werden sollen?“ Garcia nickte. „Ja, Sir. <strong>Die</strong> Auswertungen der Untersuchungen<br />

sollen zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen, dann soll es sofort losgehen. Sir?“ Hotch<br />

seufzte. Zwei bis drei Tage … „Ja?“ „Sir, die leiden Höllenqualen. Wir müssen etwas unter-<br />

nehmen.“ „Ich weiß.“ Hotch legte auf und Monica und Penelope sahen sich an. „<strong>Die</strong> Zeit läuft<br />

uns davon.“<br />

*****<br />

Am kommenden Morgen wurden, wie angekündigt, Jake und Booth, die in der Nacht<br />

kein Auge zu gemacht hatten, genau wie Heather und Bones, zur Voruntersuchung abgeholt.<br />

Müde und gebrochen schlurften sie mit gesenktem Kopf neben den Wachen her. Zwei bis drei<br />

Tage. Das war in dem Bewusstsein, was dann auf sie zukam, eine katastrophal kurze Zeit.<br />

Schließlich hatten sie den Untersuchungsraum erreicht und wurden bereits erwartet. Man<br />

nahm den beiden Männern Blut ab, dann wurde der Blutdruck gemessen. Nun mussten sie auf<br />

ein Fahrrad steigen und es wurde ein Belastungs-EKG gemacht. Beide wurden noch einmal<br />

gründlich abgehorcht, dann erklärte man ihnen: „<strong>Die</strong> Ergebnisse haben wir in zwei Tagen,<br />

dann wird für eure Bedürfnisse zusammen gestellt das Narkosemittel errechnet. Unmittelbar<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

danach werdet ihr abgeholt und in unsere OPs geschafft. <strong>Die</strong>se erste Operation selbst wird um<br />

die zwanzig Stunden in Anspruch nehmen. Danach werdet ihr zirka vier bis fünf Tage voll-<br />

kommen bewegungslos auf der Intensivstation liegen. Dann könnt ihr euch vorsichtig wieder<br />

bewegen. Der Verband bleibt zwei Wochen drauf, wird aber jeden Tag gewechselt. Nach<br />

zwei Wochen kommt ihr auf eure Zimmer zurück. Dann sind die Frauen auch bereits operiert.<br />

<strong>Die</strong>ses Mal bekommt ihr sogar Schmerzmittel, denn sonst würdet ihr die postoperativen<br />

Schmerzen nicht aushalten. Noch Fragen?“ Booth und Jake schüttelte den Kopf. Was sollten<br />

sie noch Fragen? Ob einer der Ärzte einen Revolver in der Tasche hatte, mit dem sie sich er-<br />

schießen konnten? Irgendwie hatten Booth und Jake das Gefühl, dass man es ihnen nicht so<br />

einfach machen würde.<br />

Als sie wieder im Frühstücksraum anlangten, waren die Leidensgenossen schon ab-<br />

geholt worden. „Ihr habt eine halbe Stunde, dann geht es ab in die Sporthalle, ihr werdet<br />

schon sehnsüchtig erwartet, die <strong>Anderen</strong> laufen nicht so gerne ohne euch. Haut rein.“ Der<br />

Wachposten verließ den Raum und ließ die beiden geschockten Männer zurück. Schweigend<br />

kauten sie an Rührei herum, ohne Appetit, und nach wenigen Bissen schoben beide die Teller<br />

zur Seite. Es herrschte Schweigen zwischen ihnen. Keiner der Männer wusste, ob er im<br />

Stande sein würde, die mühsam aufrecht gehaltene Beherrschung zu halten, wenn sie an-<br />

fangen würden, darüber zu reden, was auf sie zukam. Nicht einmal die Mitteilung ihres<br />

nahenden Todes hätte so viel Angst in ihnen ausgelöst. Da war zum einen die Operation an<br />

sich, aber erheblich schlimmer war die Vorstellung, sich danach nicht mehr im Spiegel zu<br />

erkennen. Booth stöhnte gequält auf. „Elende Scheiße, verdammte.“ Jake schwieg weiterhin.<br />

Er trank seinen Kaffee aus, dann sah er Booth fragend an. „Fertig?“ Booth nickte. Jake ging<br />

zur Tür, klopfte und sagte laut: „Wir sind fertig.“<br />

Solange sie etwas zu tun hatten, schafften die beiden Männer es, den Gedanken an die<br />

OP zu verdrängen. Sie waren dankbar, dass ihr Programm so voll war. Nicht, dass sie im<br />

Stande gewesen wären, dem Unterricht groß zu folgen, aber wenigstens brachte sie der Stress<br />

auf andere Gedanken. Doch als der Tag zu Ende ging und sie alle nach dem Abendbrot in die<br />

Zimmer geschickt wurden mit dem Hinweis, es habe Ruhe zu herrschen, konnte nichts Booth<br />

und Jake und deren Partnerinnen mehr ablenken. Weder Bones noch Heather wussten, was sie<br />

den Männern als Trost sagen sollten. Das sie sie immer lieben würden? Dass das Aussehen<br />

keine Rolle spielte? Sie wussten alle, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Wenn plötzlich<br />

völlig fremde Gesichter neben ihnen liegen würden, würden sie diese wirklich noch lieben<br />

können? Heather schüttelte sich innerlich. <strong>Die</strong>se extrem invasive Operation konnte unmöglich<br />

spurlos an Jakes Gemüt vorbei gehen. Das war gänzlich unvorstellbar. Er würde sich zwangs-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

läufig nicht nur äußerlich verändern. Und wie konnte sie daher kommen, und behaupten, sie<br />

würde ihn danach genau so lieben können? Was sollte sie ihm bloß sagen? Heather konnte<br />

nicht mehr verhindern, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten. Am Zucken des Körpers in<br />

ihren Armen wusste sie, dass es Jake nicht anders erging.<br />

*****<br />

Tim sah wohl zum hundertsten Male auf seine Armbanduhr. Angespannt lauschte er in<br />

sein Headset. Noch hatte Garcia kein Okay gegeben. Noch waren die Gefangenen nicht in die<br />

Sporthalle geschafft worden. Eine Einsatztruppe von hundert schwer bewaffneten Polizei-<br />

kräften stand für den Angriff bereit. Hotch hatte darauf bestanden, bei dem Einsatz aktiv<br />

dabei zu sein und so hatte er weiterhin die Leitung. Zusammen mit dem Polizeichef Jalan<br />

Permata sowie dem Polizeihauptmeister Labankas, Jenderal Sudirman, stand er bereit, das<br />

Gebäude stürmen zu lassen. Alle warteten angespannt darauf, dass Garcia endlich meldete:<br />

Gefangene in der Sporthalle eingetroffen. Aber nichts dergleichen geschah. Ausgerechnet an<br />

diesem Morgen hatten die Entführer das Programm wieder einmal geändert und ließen ihre<br />

Gefangenen erst einmal andere Aktivitäten zeigen. Morgen um diese Zeit würden Jake und<br />

Booth schon betäubt auf dem OP liegen. <strong>Die</strong> Beiden wirkten denn auch vollkommen neben<br />

sich. Sie hörten nicht zu, hatten Ränder unter den Augen, die denen während ihres Schlafent-<br />

zuges Konkurrenz machten und waren in einem derart desolaten Zustand, dass selbst die Aus-<br />

bilder ein Auge zudrückten und die Beiden nebst der Frauen mehr oder weniger in Ruhe<br />

ließen. Das Rettungsteam draußen wurde immer nervöser. Und dann endlich, sie hatten das<br />

Gefühl, es hatte Tage gedauert, kam die erlösende Meldung: „Sie werden zur Halle gebracht.“<br />

Hotchner seufzte erleichtert auf. Endlich war es so weit. Schließlich erklärte Garcia:<br />

„Alles klar, Boss, sie sind alle in der Halle. Holt sie da raus, lebend, wenn es geht. Und passt<br />

auf euch auf.“ Hotch schloss kurz die Augen, schickte ein Stoßgebet gen Himmel und gab<br />

dann den Befehl. „Operation Free Willy kann beginnen. Viel Glück euch allen.“ Von diesem<br />

Moment an lief alles generalstabsmäßig präzise ab. <strong>Die</strong> Ein- und Ausgänge des Gebäudes<br />

waren gesichert und wurden jetzt gleichzeitig angegriffen. <strong>Die</strong> US Ermittler stürmten, be-<br />

gleitet von einer Eliteeinheit indonesischer Polizisten, den Haupteingang. Hier stießen sie auf<br />

keinen Widerstand, die jungen Indonesierinnen hinter den Empfangstresen bedeuteten keine<br />

Gefahr. Sie wurde aus dem Gebäude geschafft und dann eilten die Befreier in Richtung der<br />

Sporthalle. Schon auf dem Flur dorthin wurden sie das erste Mal beschossen. Tim und Tony<br />

reagierten sofort und schossen auf die Angreifer. Einer ging getroffen zu Boden, der andere<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schrie in sein Headset: „Alarm! Wir werden angegriffen!“ Der Mann wirbelte herum und<br />

rannte Richtung Sporthalle davon.<br />

Dort war man inzwischen auf den Tumult im Gebäude aufmerksam geworden. Auch<br />

die Gefangenen bekamen natürlich mit, dass etwas geschah und eine wilde, verzweifelte<br />

Hoffnung keimte in ihnen auf. Was immer sich da abspielte, vielleicht gab es eine Möglich-<br />

keit, zu Fliehen, oder wenigstens getötet zu werden … Außer House, der ja nicht rennen<br />

konnte, waren alle im hinteren Rund der Laufbahn. House kämpfte bei den Geräten um eine<br />

Leistungssteigerung, als er Schüsse hörte. Er reagierte, in dem er sich so schnell es ging von<br />

der Hantelbank, auf der er gerade seine Übungen absolviert hatte, herunter schwang, diese mit<br />

einem kräftigen Stoß umwarf und hinter ihr sehr dürftige Deckung suchte. - Allison, geh in<br />

Deckung. - flehte er in Gedanken. Auf der Laufbahn waren die Schüsse selbstverständlich<br />

auch vernommen worden. Booth, Mulder und Mick sahen sich blitzschnell um und erfassten<br />

mit einem Blick einen Stapel dicke, blaue Turnmatten, die in einer Ecke am Boden lagen.<br />

„Los, sofort dahinter!“, schrie Mulder und Allison, Abby, Heather und Beth reagierten augen-<br />

blicklich und hechteten hinter die Matten in Deckung. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> duckten sich, versuchten<br />

aber, die Lage zu sondieren. Mulder bekam mit, dass Dana an seiner Seite geblieben war und<br />

zischte ihr zu: „Bring dich in Sicherheit.“ Dana lächelte. „Bei dir bin ich am sichersten.“<br />

Beth hatte mit bekommen, dass Mick ihr nicht gefolgt war, aber um ihn brauchte sie<br />

sich in einer Schießerei keine Sorgen machen. Heather jedoch wollte, kaum, dass sie mit-<br />

bekommen hatte, dass Jake keine Deckung suchte, sondern bei den <strong>Anderen</strong> blieb, um die<br />

Situation zu überblicken, sofort zu ihm eilen. Sie wollte sich aus der Deckung erheben, aber<br />

Allison und Beth hielten die junge Frau fest. „Sei nicht albern, bleib hier.“, zischte Abby.<br />

Panisch beobachtete sie, wie aus zwei weiteren Türen andere Wachposten in die Halle<br />

stürmten, alle bewaffnet. Und dann rannten die ersten Wachposten nicht auf die Angreifer,<br />

sondern auf die Gefangenen zu, um sie unter Waffengewalt aus der Halle zu schaffen. Es<br />

existierte ein Notfallplan, nachdem im Falle einer Befreiungsaktion, die zwar keiner für mög-<br />

lich hielt, aber auch niemand ganz ausgeschlossen hatte, die Gefangenen, in die man viel in-<br />

vestiert hatte, weg zu schaffen. <strong>Die</strong> Endlösung, nämlich alle zu Töten, war nur Plan B.<br />

Sieben, acht Wachen erreichten die Gefangenen, die keine Deckung gesucht hatten und noch<br />

unschlüssig, was sie tun sollten, auf der Laufbahn standen, zwei weitere erreichten die<br />

Matten, und damit die Frauen, die dahinter Deckung gesucht hatten. Mit vorgehaltenen<br />

Waffen wollten sie die Gefangenen nach links aus der Halle treiben, während Kollegen sich<br />

um die Angreifer kümmerten und sich mit diesen einen heftigen Schusswechsel lieferten.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mick bekam mit, dass zwei Wachposten bei Beth und den anderen Frauen standen und<br />

diese brutal hochjagten. Mit einem Riesensatz sprang er hinter die Matten, und hatte den<br />

einem Wachmann schon ausgeschaltet, bevor der zweite Posten überhaupt realisierte, dass der<br />

Vampir da war. Dann aber reagierte in der Schaltzentrale des Gebäudes jemand schnell und<br />

gezielt und aktivierte das Halsband. Aufbrüllend vor Schmerzen sank Mick auf die Knie und<br />

seine Hände krallten sich um das Halsband. Booth hatte derweil zusammen mit Bones einen<br />

der Wachleute attackiert, Ziva sich einen weiteren gegriffen. Sawyer rang ebenfalls mit einem<br />

und ein anderer hatte Kate brutal in den langen Haaren gepackt. Gibbs sah besorgt zu Abby<br />

hinüber und spurtete los, als er sah, dass Mick verteidigungsunfähig war. Und dann schrie er<br />

selbst auf vor Schmerzen, genau wie Bones, Booth, Sawyer und Mulder, der sich ebenfalls<br />

auf eine Wache gestürzt hatte. Auch bei ihnen waren die Halsbänder aktiviert worden.<br />

Hotchner sah dies sehr wohl und schrie über den Kampflärm hinweg: „Garcia, du musst un-<br />

bedingt die Frequenz für die elenden Halsbänder stören, mach schon.“ Er merkte gar nicht,<br />

dass er die Kollegin im Eifer des Gefechtes duzte. Penelope suchte hektisch, aber sie fand so<br />

schnell nichts. „Ihr müsst ihnen die Dinger abnehmen, Hotch, ich finde so schnell nichts. Bis<br />

ich es habe, haben sie denen die Köpfe abgesprengt.“ Hotch nickte. Dann gab er Doggett, der<br />

neben ihm stand, ein Zeichen. Und ohne auf die eigene Sicherheit zu achten, stürmten die<br />

beiden FBI Ermittler los, zu den Gefangenen hinüber, von denen immer mehr schreiend vor<br />

Schmerzen am Boden lagen.<br />

Wie durch ein Wunder unverletzt erreichten sie Jake und Dana, die noch unbehelligt<br />

waren und drückten den Beiden einen nach gebauten Schlüssel für die Halsbänder in die<br />

Hand. Dann hetzten sie weiter. Doggett erreichte Locke, dann Mulder und öffnete mit einem<br />

weiteren Magnetschlüssel deren Halsbänder, Hotchner war bei Mick angelangt und befreite<br />

diesen ebenfalls. Der Vampir lag zuckend am Boden und war erst einmal ausgeschaltet, genau<br />

wie alle anderen, bei denen die Halsbänder aktiviert worden waren. Hotchner erreichte<br />

Allison und befreite diese, dann wurde auch Abby endlich von dem Halsband erlöst. Als<br />

letztes öffnete er es bei Heather und Beth. Dann eilte er zu den anderen Gefangenen auf die<br />

Laufbahn zurück. Doggett hatte inzwischen auch Sawyer, Kate und Ziva befreit, Hotch über-<br />

nahm den Rest. Erstmals seit Monaten trugen die Entführten keine Halsbänder mehr. Als die<br />

Wachen das sahen, brüllten sie wutentbrannt auf und dann wurde blitzschnell die Freigabe für<br />

Plan B gegeben: Das konsequente Töten der Gefangenen.<br />

Dass es eine Änderung im Verhalten der Wachen gab, war sofort zu spüren, denn statt<br />

sich verstärkt den Angreifern zuzuwenden zielten die Wachen plötzlich auf die unbewaffneten<br />

und schutzlosen Gefangenen. Mick hatte sich etwas erholt und bekam mit, dass der Wach-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

posten, der noch immer bei den Frauen stand, plötzlich auf Abby zielte. Aufbrüllend stürzte er<br />

sich auf diesen und wurde von dem Schuss, der eigentlich Abby hatte töten sollen, voll in die<br />

Brust getroffen. Fauchend griff er den Posten an und hatte diesen in Sekundenschnelle über-<br />

wältigt. Er riss dem Mann die Waffe aus der Hand und drückte diese Beth in die Hand.<br />

„Bleibt in Deckung und schieß auf alles, was nicht FBI auf den Westen stehen hat.“ Jetzt<br />

stürzte er sich über die Matten hinweg auf einen weiteren Wachposten, der soeben auf Booth<br />

anlegte. Sekundenbruchteile zu spät erreichte er den Mann und schaffte es nur noch, den<br />

Schützen zu stören, nicht, den Schuss zu verhindern. Nicht Booth erwischte es, sondern Jake,<br />

der unmittelbar neben Booth stand, wurde am linken Oberarm erwischt. Von der Wucht des<br />

Einschlages wurde der junge Mann herum gerissen und stürzte zu Boden. House hatte aus<br />

seiner mehr als dürftigen Deckung heraus beobachtet, was sich abspielte. Als unmittelbar<br />

nach Jake auch Bones unter einem Treffer zusammen zuckte und zu Boden stürzte, fluchte er<br />

los und schnauzte sich selbst an: „Du bist doch bescheuert, Kerl.“ Dann humpelte er los.<br />

Bones spürte einen harten Schlag und einen brennenden, heißen Schmerz, der sie auf-<br />

schreien ließ, am rechten Oberschenkel. Wimmernd presste sie die Hände auf die heftig<br />

blutende Wunde. Dana bekam mit, dass Bones getroffen wurde und warf sich neben ihr auf<br />

die Knie. „Bleib ruhig liegen. <strong>Die</strong> Schlagader ist angekratzt.“, schrie sie gegen den Lärm an.<br />

Tim hatte währenddessen mehrere Gegner ausgeschaltet und erreichte endlich den Stapel<br />

Matten, hinter denen sich Abby versteckt hielt. Er rollte sich über die Matten ab und landete<br />

keuchend bei den vollkommen verängstigten Frauen. Abby stieß mit zitternder Stimme: „Tim<br />

... Oh, Gott.“, hervor. <strong>Die</strong>ser nickte nur kurz, dann feuerte er einen Schuss auf einen weiteren<br />

Gegner ab, traf jedoch nicht. Dafür traf der Gegner umso besser. Auf Zivas Brust bildete sich<br />

in Sekundenschnelle ein Blutfleck, der schnell größer wurde und die Israelin ging mit einem<br />

mehr erstaunten als schmerzerfülltem Seufzen zu Boden. Tony, Gibbs und Abby schrien wie<br />

aus einem Mund auf. „Ziva!“ Abby wollte losrennen, wurde aber energisch von Tim zurück<br />

gerissen. Gibbs und Tony aber kamen fast zeitgleich bei Ziva an. House, der zwischenzeitlich<br />

Jake erreicht hatte, ebenfalls von seinem Halsband befreit worden war und sah, dass der junge<br />

Mann nicht gefährlich verletzt war, keuchte entsetzt auf, als er Ziva zusammen brechen saß.<br />

So schnell es sein Bein zuließ, humpelte er, die immer noch fliegenden Kugeln nicht achtend,<br />

zu der jungen Frau hinüber. Gibbs hatte sich kurz über seine Agentin gebeugt, dann fuhr er<br />

hasserfüllt hoch. Er stürmte auf eine in der Nähe stehende Wache zu und überwältigte diese<br />

mit zwei heftigen Schlägen.<br />

Nun war er im Besitz einer Waffe. Und stürzte sich in den Kampf. Tony kniete bei<br />

Ziva und hielt diese in seinen Armen. „Kleines, es wird alles gut. Du musst durchhalten. Wir<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werden dich hier raus schaffen. Du musst einfach durchhalten.“ House schnauzte den un-<br />

bekannten jungen Mann an. „Lass <strong>mich</strong> an sie ran, du Trottel, sonst wirst du sie in einem<br />

schwarzen Sack hier raus schaffen.“ Tony sah den grauhaarigen Mann an und erkannte in<br />

diesen Dr. Gregory House. Er ließ Ziva schweren Herzens los und überließ sie den hoffentlich<br />

fähigen Händen des Arztes. Viel machen konnte House natürlich nicht, er konnte nur ver-<br />

suchen, die Blutung zu dämmen. Bei Bones hatte Dana dies geschafft, in dem sie einer der<br />

toten Wachen kurzerhand das blaue Hemd vom Körper gerissen und um Bones’ Oberschenkel<br />

geschlungen hatte. Mulder und Kate hatten inzwischen Jake auf die Beine geholfen und<br />

diesen hinter die Matten in Sicherheit gebracht. Immer noch kamen Wachen in die Halle und<br />

das Feuergefecht war noch lange nicht beendet. Wo Reyes, Doggett und Hotchner hin ver-<br />

schwunden waren, war nicht auszumachen. Sawyer hatte einem der verletzten Wachleute eine<br />

Waffe entrissen und Booth hatte das Gleiche getan. Tim schoss hinter der Deckung hervor<br />

weiter auf die Gegner, Tony kniete an Zivas Seite und beobachtete verzweifelt, wie House<br />

versuchte, mittels seines T-Shirts die Blutung zu stoppen. Heilloses Chaos herrsche in der<br />

Halle. Mulder hatte hinter einem Stapel Sprungbretter Deckung gesucht und behielt eine der<br />

in die Halle führenden Türen im Auge. Er hatte einen Streifschuss an der rechten Seite ab<br />

bekommen, der heftig blutete, aber nicht gefährlich war.<br />

Sawyer hatte Kate inzwischen in die dürftige Deckung einiger in einer Nische ge-<br />

lagerter Punchingbälle gestoßen. Gerade hatte er eine Wache in die Seite getroffen, als er<br />

plötzlich zusammen zuckte. Er sah einen Posten hinter Kate und sich selbst auftauchen, der<br />

auf Kate zielte. Herumwirbeln konnte er nicht mehr, also warf er sich blitzschnell auf Kate,<br />

um ihr mit seinem Körper Deckung zu geben. Im selben Moment keuchte er gequält auf. Ein<br />

brennend heißer Schmerz zuckte durch seinen Rücken knapp unterhalb des rechten Schulter-<br />

blattes. <strong>Die</strong> Kugel, die Kate gegolten hatte, hatte ihn erwischt und das Schulterblatt durch-<br />

schlagen, um in der Lunge stecken zu bleiben. Der Einschlag der Kugel fühlte sich an, als<br />

hätte ihm jemand einen Vorschlaghammer ins Kreuz geknallt. Er wurde nach vorne ge-<br />

schleudert und blieb, verzweifelt nach Atem ringend, auf dem Bauch liegen. Kate hatte<br />

gellend vor Entsetzen auf geschrien. Sie hatte überdeutlich gespürt, wie Sawyer unter einem<br />

Treffer zusammen gezuckt war. Allison hörte den Schrei und zögerte keine Sekunde. Sie<br />

schoss aus der Deckung hoch und rannte zu Kate und Sawyer hinüber. Und dann herrschte<br />

plötzlich Stille. Eine laute Stimme rief: „Gebäude gesichert.“ <strong>Die</strong> letzten Schüsse verklangen<br />

irgendwo in den Fluren. Abgesehen von schwerem Atmen und dem Keuchen und Ächzen der<br />

Verletzten herrschte fast gespenstische Stille. - <strong>Die</strong> Stille des Todes. - dachte Allison und<br />

schüttelte sich. Und dann tönte Gregs Stimme in die Stille hinein: „Hey, wir brauchen hier<br />

dringend Rettungswagen.“ Als wäre das ein Startschuss, gab einer der Einsatzleiter über sein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Headset den Befehl: „<strong>Die</strong> Notärzte können kommen, schnell!“ Sekunden später schon kamen<br />

mehrere Notärzte in die Halle gehetzt. Sie nahmen sich der Verletzten an. Allison hatte<br />

Sawyer, der auf der linken Seite lag und noch bei Besinnung war, das T-Shirt ausgezogen und<br />

presste es fest auf die Schusswunde. Aber er verlor weiter viel Blut. Und er bekam kaum Luft,<br />

was auf eine Verletzung der Lunge hindeutete. Heftig zitternd lag er da und versuchte<br />

krampfhaft, zu Atmen. Immer wieder hustete er gequält auf und immer mehr blutiger Schaum<br />

trat dabei auf seine Lippen. Kate hielt weinend seine Hand und redete beruhigend auf Sawyer<br />

ein. „Kate ... Ich ...“ Und endlich verlor dieser die Besinnung.<br />

Hotchner war zusammen mit Doggett und Reyes in einen Flur eingedrungen. Dass<br />

auch Gibbs sich ihnen anschloss, bekamen die FBI Ermittler zuerst gar nicht mit. Im Flur<br />

wurden sie sofort beschossen und gingen in verschiedene Richtungen in Deckung. Sie ver-<br />

loren sich aus den Augen. Kämpfend drangen sie weiter vor und als die Meldung kam: „Ge-<br />

bäude gesichert.“, waren sie in verschiedenen Etagen verteilt. Hotchner befand sich in der<br />

Etage, in der die Zimmer untergebracht waren. Zusammen mit indonesischen Beamten hatte<br />

er die komplette Etage unter Kontrolle. Aus den anderen Etagen bekam er nach und nach<br />

gleich lautenden Meldungen. <strong>Die</strong> Gegner waren verletzt, tot oder hatten sich ergeben. Hotch<br />

gab Garcia Bescheid. „Wir haben es geschafft. Aber bevor du zu Hause Bescheid sagst,<br />

müssen wir erst sehen, was passiert ist. So lange wird die Nachricht noch warten müssen.“ Er<br />

blieb bei dem vertrauten du. „Gut, ich werde noch keine Meldung weiter geben. Sag Be-<br />

scheid, wenn du näheres weißt.“ Penelope benutzte nun auch die persönliche Anrede. Dann<br />

wartete sie gespannt, was sie in die USA melden konnte.<br />

Hotch gab den Befehl, das Gebäude von oben bis unten gründlich zu durchsuchen, alle<br />

Toten und Verletzten erst einmal in die Sporthalle und die Ex-Gefangenen schnellstens weg<br />

zu schaffen. Dann machte er sich auf den Weg zurück in die Halle. Bevor er sie betrat, atmete<br />

er kurz tief ein. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Zögern machte das Endergebnis aber auch<br />

nicht besser, und so stieß er schließlich die Tür auf und betrat die Sporthalle. Er verschaffte<br />

sich einen groben <strong>Über</strong>blick. Er kannte zwar keinen der Entführten persönlich, aber er hatte<br />

sie nun drei Tage lang beobachtet, und wusste, wer jeder war. Er merkte sofort, dass nicht alle<br />

da waren. In einer Ecke bei einigen Sportmatten sah er Tim und Abby Sciuto am Boden<br />

knien. Vor ihnen am Boden lag NCIS Special Agent Leroy Jethro Gibbs, und so, wie Abby<br />

schluchzte, befürchtete Hotch das Schlimmste. Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Dann glitt<br />

sein Blick weiter. <strong>Die</strong> junge Ärztin, Allison Cameron, kniete neben der dunkelhaarigen Kate<br />

Austen am Boden und war offensichtlich bemüht, einen jungen Mann, der am Boden lag und<br />

sich nicht rührte, zu retten. Das war James Ford, Sawyer. Etwas weiter waren Tony DiNozzo<br />

526


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und der Arzt, Dr. Gregory House, verzweifelt bemüht, der jungen Israelin, Ziva David, das<br />

Leben zu retten.<br />

*****<br />

Der große Video-Konferenzraum des NCIS war selten so voll gewesen. Nicht nur<br />

Jenny Shepard und die beiden Pathologen, Donald Mallard, Ducky, und dessen Assistent<br />

Jimmy Palmer saßen dort und starrten angespannt auf den riesigen Bildschirm. Außerdem war<br />

aus Tel Aviv Eli David, Zivas Vater, eingetroffen. Walter Skinner und FBI Agent Tobias<br />

Fornell, ein sehr guter Freund von Agent Gibbs, saßen dort. Außerdem hatten sich Gil und<br />

Sara nicht abhalten lassen, zuzusehen, wie hoffentlich alle Leidensgenossen endlich gerettet<br />

wurden. Und auch die Besatzung des BAU sowie des Jeffersonian hatten sich nicht abhalten<br />

lassen, dabei zu sein, wenn die Freunde befreit wurden. Angela saß fast auf Jacks Schoß. Sie<br />

war derart nervös, dass sie hektisch an den Fingernägeln kaute. Zack und Camille waren nicht<br />

weniger nervös. Jennifer Jareau, Emily Prentiss, Dr. Spencer Reid sowie Special Agent Derek<br />

Morgan vom BAU leisteten ihnen nicht minder angespannt Gesellschaft. Sie hatten gerade<br />

ihren Gruppenleiter, Jason Gideon, durch dessen überraschende Kündigung verloren, sie<br />

wollten jetzt nicht Zeuge werden müssen, wie der sehr beliebte Supervisor Aaron Hotchner<br />

wohlmöglich im Kugelhagel starb. <strong>Die</strong> Angehörigen der Entführten waren nicht darüber<br />

informiert worden, dass die Befreiungsaktion via Satellit direkt ins NCIS Hauptquartier über-<br />

tragen wurde, sonst wäre es unmöglich gewesen, diese davon abzuhalten, ebenfalls dabei zu<br />

sein, wenn die Liebsten endlich befreit wurden.<br />

Als die Beamten das Gebäude stürmten und die Schießerei losging, klammerte Angela<br />

sich an Jacks Hand, als könne das verhindern, dass Bones, Booth oder auch Hotch getroffen<br />

würden. Sie war kreidebleich und starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm vor sich. Sie alle<br />

wurden so Zeugen, wie erst Jake, dann Augenblicke später Bones unter einem Treffer zu<br />

Boden gingen. Angela keuchte entsetzt auf. „Bones, um Himmelswillen.“ <strong>Die</strong> Bilder<br />

sprangen hin und her, mal waren Flure zu sehen, in denen gekämpft wurde, dann Räume,<br />

dann wieder die Sporthalle. Und hier konnten die entsetzten Zuschauer dann geschockt be-<br />

obachten wie Gibbs unter mehreren Treffern zu Boden ging. Jenny erstarrte. Ducky stieß<br />

vollkommen verstört: „Oh, Gott, nein … Jethro …“, hervor und Fornell fluchte resigniert:<br />

„Verdammter Mist, Gibbs.“ Jenny liefen Tränen über die Wangen. Sie konnte nicht fassen,<br />

was sie da sah. Langsam stand sie auf und ohne die Blicke der anderen Zuschauer zu be-<br />

achten, stolperte sie aus dem Konferenzraum und in ihr Büro hoch. Und dort fand Ducky sie<br />

Minuten später, weinend hinter dem Schreibtisch hockend, nicht mehr die Direktorin des<br />

527


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

NCIS, sondern nur noch eine Frau, die soeben einen Mann verloren hatte, der ihr erheblich<br />

mehr bedeutet hatte, als irgendjemand wusste.<br />

*****<br />

Dana Scully kniete bei der Anthropologin Temperance Brennan, der sie ein blaues<br />

Hemd um den Oberschenkel geknotet hatte, um die Blutung einer Schusswunde am Ober-<br />

schenkel zu stoppen. Agent Seeley Booth war bei ihnen und hielt Brennan in seinen Armen,<br />

so dass sie bequem lag. Fox Mulder stand dabei und hielt sich die blutende Seite, wo er offen-<br />

sichtlich einen Streifschuss ab bekommen hatte. An einige Punchingbälle gelehnt hockte ein<br />

junger Mann, der eine Schusswunde im linken Oberarm hatte und hielt eine junge Frau in den<br />

Armen, die hysterisch schluchzte. Das waren Jake Green und die Lehrerin Heather Lisinski.<br />

<strong>Die</strong> junge Journalistin, Beth Turner, saß am Boden bei den Matten und ihr Lebensgefährte,<br />

der Detektiv Mick St. John war gerade bei Allison angekommen. Er fragte die junge Ärztin<br />

etwas, dass Hotch nicht versehen konnte, und diese erwiderte irgendetwas. Monica Reyes und<br />

ihren Kollegen, John Doggett, sah Hotch im Augenblick nicht. Und wenn ihn nicht alles trog,<br />

konnte er den letzten Entführten, John Locke, nirgends sehen. Hotchner sah erneut zu Mick<br />

und Beth hinüber. Im T-Shirt des Privatdetektivs war ein Einschussloch zu erkennen, aber<br />

kein Blut. Verwirrt blieb Hotchners Blick an dem jungen Mann hängen. <strong>Die</strong>ser spürte den<br />

Blick und wandte sich zu Beth herum. „Er sieht das Einschussloch ... Was soll ich machen?“<br />

Aber etwas zu unternehmen war nicht nötig, denn Hotch wandte sich schon wieder ab. Wer<br />

wusste, wo das Loch her rühren mochte.<br />

Nachdem Hotch sich so einen groben <strong>Über</strong>blick verschafft hatte, ging er als Erstes zu<br />

McGee hinüber. Schon einige Schritte vorher erkannte er, dass er sich nicht geirrt hatte. <strong>Die</strong><br />

Blutflecke direkt über dem Herzen und auf der Brust des Agents sagten deutlicher als alle<br />

Worte, dass hier nichts mehr zu machen war. McGee hielt Abby im Arm und weinte selbst. Er<br />

konnte nicht fassen, dass sein Boss wirklich tot war. Abby schluchzte vollkommen aufgelöst<br />

in seinen Armen. Hotch ging nun zu DiNozzo hinüber, der nicht wieder zu erkennen war. Von<br />

dem großspurigen, blasierten Maulhelden war nichts mehr über. Nur noch ein verzweifelter<br />

junger Mann kniete neben Ziva und flehte diese an, nicht aufzugeben. Und House kämpfte<br />

zusammen mit einem inzwischen eingetroffenen Notarzt um Zivas Leben. Sie war nicht mehr<br />

bei Besinnung, was sicher gut war. Minuten später bereits wurden die ersten schwer Ver-<br />

letzten abtransportiert. Zu ihnen gehörten Sawyer, Ziva, Bones, jeweils von den Partnern be-<br />

gleitet, und die ersten verletzten Polizeibeamten. Jake wurde erst einmal ambulant versorgt, es<br />

war ein glatter Durchschuss, der nicht eine sofortige Einlieferung ins Krankenhaus erforderte.<br />

528


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allerdings wurden die Geretteten nun auch nach und nach aus dem Gebäude geschafft.<br />

Mulder hatte einen Verband um die Seite und sah sich gerade suchend um. Dana stand bei<br />

ihm, einen Arm um Mulders schlanke Taille gelegt. Hotch ging zu den beiden FBI An-<br />

gehörigen hinüber und sprach sie an.<br />

„Mein Name ist Aaron Hotchner. Ich habe die Leitung der Aktion gehabt. Sie sollten<br />

sich auch von hier weg bringen lassen.“ Mulder schüttelte den Kopf. „Wo sind Reyes und<br />

Doggett? Und wo, zum Teufel, ist Locke?“ Gerade wurde Gibbs an ihnen vorbei getragen,<br />

Tim und die immer noch heftig weinende Abby liefen neben der Bahre her. Dana schüttelte<br />

fassungslos den Kopf. „Oh, nein … Nicht Gibbs. Oh, Gott.“ Sie sah Mulder an. „Kommst du<br />

klar?“ Mulder nickte frustriert. „Natürlich. Bleibe du bei Abby.“ Dana gab Mulder einen<br />

Kuss, dann eilte sie Abby hinterher. Mulder sah sich weiter um. „Helfen Sie mir, meine<br />

Kollegen und John Locke zu finden?“ Hotch nickte. <strong>Die</strong> Aufräumarbeiten gingen schnell<br />

voran. Von den Entführten hielt sich bereits keiner mehr in der Halle auf, außer Mulder. So<br />

marschierte er mit diesem los. Weit brauchten sie nicht zu gehen. Auf dem Flur kamen ihnen<br />

einige Beamte mit Monica Reyes im Schlepptau entgegen. <strong>Die</strong> junge Beamtin lächelte unter<br />

Tränen. „Mulder. Gott sei Dank. Geht es Ihnen und Scully gut?“ Aufschluchzend fiel sie in<br />

Mulders Arme. „Er hat es nicht geschafft … John … Er ist … Mulder, er ist tot.“<br />

*****<br />

Beth und Mick klärten noch am selben Tag alles Notwendige mit Hotch ab. Der Ein-<br />

fachheit halber und um sich zu überzeugen, dass es Ziva und Sawyer den Umständen ent-<br />

sprechend gut ging, waren sie zusammen mit den anderen Befreiten in die Klinik mit ge-<br />

fahren. Man hatte den Unverletzten versprochen, Kleidung zu besorgen. <strong>Die</strong>ses Versprechen<br />

wurde erstaunlich schnell eingelöst und so trugen Mick und Beth bereits Jeans, T-Shirts und<br />

erstmals seit der Entführung wieder Schuhe. Aus verständlichen Gründen wollten die Beiden<br />

natürlich so schnell wie möglich verschwinden. Sie erklärten Hotchner, wo man sie erwischt<br />

hatte und dass sie nur vergleichsweise kurz gefangen gehalten worden waren. Sie machten<br />

dem FBI Agent klar, dass sie die Spur eines Mörders bis Jakarta verfolgt hatten und bei<br />

dessen Festnahme überfallen worden waren, niedergeschlagen und sehr viel später im Kerker<br />

wieder zu sich gekommen waren. Zum Glück hinterfragte Hotchner nicht, warum man sie<br />

wohl auch entführt hatte. Dafür hatte der Agent den Kopf im Augenblick einfach zu voll.<br />

Nachdem Beth ihm eindringlich gesagt hatte, dass sie aus den Medien heraus gehalten werden<br />

wollten, da sonst ihr eigener und auch Micks Job in Gefahr waren, hatte er sein Okay ge-<br />

geben, dass Beth und Mick sich absetzen konnten. Sie versprachen, sich schnellstmöglich in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Washington zu melden und suchten dann Mulder auf, der gerade zu Ziva und Sawyer gehen<br />

wollte. Er war ebenfalls schon vernünftig bekleidet und hatte sich mit Hotch über das weitere<br />

Vorgehen unterhalten. Jetzt sprach Mick ihn an. „Mulder, hör zu, Beth und ich setzen uns<br />

schleunigst ab. <strong>Die</strong>ser Hotchner hat in der Sporthalle gesehen, dass ich ein Einschussloch im<br />

T-Shirt, jedoch keinen Treffer ab bekommen hatte. Noch ist es ihm nicht ganz klar, was er da<br />

gesehen hat, und bevor es ihm zu klar werden könnte, werden wir weit weg sein. Es dürfte<br />

ihm auch ungewöhnlich vorkommen, wenn ich zum Schlafen um eine Tiefkühltruhe bitten<br />

würde.“ Mulder grinste müde. „Klar, wenn ihr alles geklärt habt, seht bloß zu, dass ihr ver-<br />

schwindet, bevor zu intensive Fragen gestellt werden. Wir werden bei Nachfragen schon<br />

etwas Plausibles erzählen.“ Mick nickte dankbar. „Wir sehen uns in DC, Beth und ich werden<br />

auf jedem Fall kommen.“<br />

Mulder reichte dem Vampir die Hand und nickte. „Wir sehen uns.“ Und schon machte<br />

St. John sich davon. Er nahm Beth, die auf ihn wartete, bei der Hand und zog sie vor die Tür<br />

und dann die Auffahrt des Krankenhauses hinunter. Und dann glaubte er, nicht richtig zu<br />

gucken. „Josef?“ Beth folgte seinem Blick und riss die Augen auf. Da stand der junge, uralte<br />

Vampir, wie immer im schicken Dolce and Gabbana Anzug und grinste lässig. „Ich komme<br />

zu spät, was? Und dabei hatte ich so einen schönen Plan.“ Mick und Beth eilten zu dem mehr-<br />

fachen Milliardär hinüber. Fassungslos stieß Mick hervor: „Woher ... Wie kommst du ... Was<br />

machst du hier?“ Scheinbar verständnislos machte Josef Mick nach. „Woher ... Wie ... Was ...<br />

Du warst auch schon geistreicher. Ich habe seit eurem etwas übereilten Verschwinden alle<br />

Hebel in Bewegung gesetzt, um euch zu finden. Vorgestern habe ich es dann von so einem<br />

Penner, der doch tatsächlich auch <strong>mich</strong> entführen wollte, zusammen mit ein paar seiner<br />

zweifelhaften Freunde, heraus bekommen, wo ihr gefangen gehalten werdet. Er hat nicht<br />

gerade freiwillig geredet, ich musste nachhelfen, aber dann war er sehr gesprächig.“ Josef sah<br />

sich um und meinte dann: „Es ist ein wenig sonnig hier, lass uns verschwinden. Meine<br />

Limousine wartet auf uns, kommt schon.“<br />

Als die drei in der wartenden Limo saßen, liefen Beth plötzlich vor Erschöpfung,<br />

durchgestandener Angst, einfach davon, nervlich am absoluten Limit angekommen zu sein,<br />

Tränen über die Wangen. Sie schluchzte, dass es sie schüttelte. Und das tat sie eine ganze<br />

Weile. Josef hatte den Fahrer angewiesen, gleich bis Banjarmasin zu fahren, damit sie das<br />

Land schnell verlassen konnten. Der Polizeichef, Jalan Permata, sowie Staatssicherheitschef<br />

Rasuna Said hatten versprochen, auf dem Banjarmasin Airport anzurufen und die Sache mit<br />

den fehlenden Papieren zu klären. Daher konnten Beth und Mick sicher sein, am Flughafen<br />

nicht unnütz aufgehalten zu werden. Als Beth nun von dem überfälligen Weinkrampf durch<br />

530


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geschüttelt wurde, saßen die beiden Vampire etwas betroffen daneben. Mick legte den Arm<br />

um die Freundin und zog sie an sich. Fragend sah er Josef an und dieser zuckte hilflos die<br />

Schultern. So fing Mick nach einer Weile an, leise und beruhigend auf Beth einzureden. Und<br />

nachdem sie Labanka schon lange hinter sich gelassen hatten und bereits eine wenig be-<br />

fahrene Straße durch den indonesischen Dschungel entlang fuhren, fing die Reporterin sich<br />

langsam wieder ein wenig. <strong>Die</strong> letzten Wochen und dann die Schießerei während der Be-<br />

freiung, die Toten und Schwerverletzten, all das war einfach zu viel gewesen.<br />

Nachdem sie sich beruhig hatte, schwieg sie erschöpft, was beide Männer noch mehr<br />

irritierte wie der Zusammenbruch. Dass die junge Frau zur Abwechslung mal den Mund hielt,<br />

waren sie nicht gewohnt. Beth jedoch schwieg auch weiterhin. Sie lehnte sich eng an Mick<br />

und schloss die Augen. Und kurze Zeit später verrieten ruhige Atemzüge, dass sie vor Er-<br />

schöpfung eingeschlafen war. Mick sah Josef an. Dann sagte er leise, um Beth nicht zu stören:<br />

„Seit wann bist du hier?“ Josef grinste. „Seit wenigen Stunden. Ich wollte eigentlich meine<br />

Fühler ausstrecken, als ich hörte, dass unsere wundervollen Ermittler bereits einen Angriffs-<br />

plan hatten. Ich war eindeutig zu langsam.“ Kostan öffnete das Barfach und reichte Mick<br />

wortlos eine Flasche gekühltes Blut. „Weiß ja nicht, wann du das letzte Mal Nahrung hattest.“<br />

Mick grinste dankbar. „Keine Ahnung, ist Stunden her, soviel ist klar. Stimmt es? Haben die<br />

versucht, auch dich zu schnappen?“ Josef nickte. „Das ist meine Schuld.“, erklärte Mick ge-<br />

nervt. „Wie kommst du darauf?“, wollte Kostan wissen. „Ganz einfach. Sie haben damit ge-<br />

droht, Beth zu Grillen, wenn ich ihnen nicht inklusive dir, zwanzig Brüder und Schwestern<br />

verrate.“ Mick schluckte. „Ich weiß, dass ich <strong>mich</strong> dafür werde verantworten müssen.“<br />

Josef hatte dem Freund still zu gehört. Jetzt sagte er leise: „Du hattest keine Wahl. Das<br />

mit den anderen Adressen ... Weißt du noch, wen du alles genannt hast?“ Mick nickte.<br />

„Natürlich.“ Josef überlegte kurz, dann meinte er: „<strong>Die</strong> werden umziehen müssen, ganz ein-<br />

fach. Ich hätte genauso gehandelt, wenn jemand gedroht hätte, Sarah zu Grillen. Mach dir<br />

deswegen keinen Kopf. Wir werden das irgendwie gerade rücken. Was sind das für Arsch-<br />

löcher gewesen? Was wollten die von dir und Beth, und was waren dies <strong>Anderen</strong> für Leute?“<br />

Mick lehnte sich gemütlich in die weichen Polster. Dann fing er leise an zu berichten. Selbst<br />

Josef war erschüttert über die Skrupellosigkeit, mit der die Entführer vor gegangen waren.<br />

Mick berichtete von den grausamen Versuchen an den Mitgefangenen, von den Tests, denen<br />

er sich hatte unterziehen lassen müssen, von der ständigen Bedrohung Beth’ und Josef<br />

lauschte geschockt. „Waren das Menschen?“, fragte er zwischendurch irritiert. „Hört sich<br />

mehr nach unseresgleichen an.“ Mick schüttelte müde den Kopf. „Nein, es waren alles<br />

Menschen. Ich bin nur dankbar, dass sie Beth nur als Druckmittel gegen <strong>mich</strong> verwendet<br />

531


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

haben, sie haben sie sonst aus allem ausgeklammert. Wie die anderen Gefangenen das alles je<br />

verarbeiten sollen ... Keine Ahnung.“<br />

*****<br />

Mulder sah Mick nach und eilte dann in den Warteraum, wo schon Dana, Allison und<br />

House warteten. Jake und Heather hatte man in die Klinik gebracht, um Jakes Arm vernünftig<br />

zu versorgen. Booth und Kate waren selbstverständlich ohnehin bei ihren Liebsten geblieben<br />

und Abby und Tim hatte man ebenfalls in die Klinik gebracht, um Abby mittels Tranquilizer<br />

zur Ruhe zu bringen. Sie war nicht mehr in der Verfassung, Gibbs Tod ohne medizinische<br />

Hilfe zu verarbeiten, zu sehr war sie angeschlagen durch die Gefangenschaft. Als Mulder<br />

Minuten später mit den drei Ärzten, die genau so erschöpft und orientierungslos wirkten wie<br />

er selbst, auf der Intensivstation ankamen, fanden sie dort Booth und Bones vor. Kurz er-<br />

kundigten sie sich, wie es Bones ging, dann aber wandten sie sich den Betten mit Sawyer und<br />

Ziva zu. Ziva war bereits operiert worden, bei Sawyer steckte die Kugel noch im Körper.<br />

Beiden ging es sehr schlecht und die Prognosen der Ärzte sahen nicht gut aus. Mulder und die<br />

drei Ärzte setzten sich stumm zu Kate und dem NCIS Agent, diesem Tony DiNozzo, der still<br />

und unendlich verzweifelt am Bett seiner Kollegin saß. Dem manchmal so nervigen jungen<br />

Mann war dramatisch klar gemacht worden, dass er Ziva schon lange liebte, ohne es vor sich<br />

selbst zugegeben zu haben. Sein freches Mundwerk war verstummt. Er bestand nur noch aus<br />

Angst.<br />

*****<br />

Gerettet alle, nur zwei fehlen<br />

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen<br />

wenn wir fort gehen.<br />

Albert Schweitzer<br />

<strong>Die</strong> Lazarettmaschine der US Regierung schwebte langsam der Landebahn des<br />

Washington Dulles International Airport zu. An Bord befanden sich zwölf gerettete Entführte,<br />

532


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

drei Särge und fünf US Ermittler. In einem speziell abgeteilten Intensiv-Pflegebereich<br />

kümmerten sich vier Ärzte und drei Pfleger um Sawyer und Ziva, die immer noch mit dem<br />

Tode kämpften. <strong>Die</strong> Lazarettmaschine war mit einer kleinen Intensivstation für bis zu acht<br />

Schwerstverletzte ausgestattet. Daneben beherbergte sie Betten für fünfzig weitere Verletzte<br />

und vierzig Sitzplätze. Bones, der es den Umständen entsprechend gut ging, hatte darauf be-<br />

standen, bei den <strong>Anderen</strong> im Passagierbereich zu sitzen. Sie humpelte zwar stark und sollte<br />

das Bein hoch legen, aber das konnte sie auch im Passagierbereich machen. Kate und Tony<br />

hielten sich selbstverständlich bei ihren schwer verletzten Partner auf. Alle anderen saßen<br />

bedrückt und meist schweigend da und hingen ihren Gedanken nach. Abby stand regelrecht<br />

unter Schock, sie konnte es einfach nicht fassen, dass Gibbs wirklich tot war. Das konnte ein-<br />

fach nicht sein. Nicht ihr geliebter Jethro. Ihr Gibbs. Der ihr während der Gefangenschaft so<br />

sehr geholfen hatte. Und dann auch noch Locke, der ihnen fast allen das Leben gerettet hatte.<br />

Tim versuchte alles, um Abby zu helfen, aber im Moment konnte nichts und niemand der<br />

jungen Frau Trost spenden. Apathisch hockte sie da und wusste nicht, wie es weiter gehen<br />

sollte.<br />

Monica Reyes hatte sich halbwegs gefangen. Der Tod John Doggetts hatte die Er-<br />

mittlerin schwer getroffen, sie hatte über zwei Jahre intensiv mit ihm zusammen gearbeitet.<br />

Aber sie war realistisch genug, um zu wissen, dass es in ihrem Job nun einmal jederzeit jeden<br />

von ihnen treffen konnte. <strong>Die</strong>ses Mal hatte es Doggett erwischt, beim nächsten Mal schon<br />

konnte es sie selbst treffen. Mulder und Scully hatten ihrer Kollegin, so gut es im Augenblick<br />

in ihrer Macht lag, Trost und Hilfe zukommen lassen. Mulder jedoch war mit den Gedanken<br />

mehr bei Sawyer als bei Doggett, mit dem ihn nur mäßige, von Konkurrenzsticheleien über-<br />

schattete Kollegialität verbunden hatte. Der junge Mann aber, mit dem er die Monate der<br />

grausamen Gefangenschaft geteilt hatte, war ihm ein mehr als guter Freund geworden. <strong>Die</strong><br />

Ärzte im Islam Samarinda Hospital, in welches die Verletzten mit Rettungshubschraubern<br />

gebracht worden waren, hatten die Kugel bei Ziva entfernen können. Bei Sawyer steckte sie<br />

immer noch im Körper. Um sie zu entfernen bedurfte es eines Spezialisten, den das Kranken-<br />

haus nicht besaß. Sie war nach dem Einschlag, der von schräge rechts hinten gekommen war,<br />

durch Sawyers Schulterblatt hindurch gegangen, dort ungünstig abgelenkt worden, hatte die<br />

Lunge durchschlagen und war in der Nähe des Herzens stecken geblieben. Der junge Mann<br />

war, so gut es ging, stabilisiert worden.<br />

533


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Perforation der Lunge konnte behoben werden, dann hatte man ihn in eine Lang-<br />

zeitnarkose, allgemein künstliches Koma 29 genannt, versetzt, um seine Körperfunktionen<br />

weitestgehend herunter zu fahren und dem gestressten Körper Gelegenheit zur Erholung zu<br />

geben. <strong>Die</strong> Ärzte in Samarinda hatten sich mit dem Bethesda Hospital, dem National Naval<br />

Medical Center, in Washington in Verbindung gesetzt. Dort war man auf die Ankunft<br />

Sawyers und Zivas vorbereitet. Ein Team von Chirurgen stand bereit, um die Kugel aus<br />

Sawyer zu entfernen.<br />

Kate war nicht von seiner Seite gewichen. Sie sah schlechter aus als während der<br />

ganzen Gefangenschaft. Sie schlief nicht, sie aß kaum etwas, selbst ans Trinken mussten<br />

Mulder und House sie ständig erinnern. Sie saß bei Sawyer, hielt seine Hand, redete mit ihm,<br />

und konnte nicht fassen, dass er die Befreiung nun nicht miterlebt hatte. Dass Gibbs und<br />

Locke nicht mehr lebten, hatte sie überhaupt nicht realisiert. Sie war seit dem Schusswechsel<br />

und Sawyers Verletzung gefangen in ihrer eigenen kleinen Welt, die nur aus Angst bestand.<br />

House versuchte, ihr Mut zu machen, ebenso Allison und Dana, die viel bei den Verletzten<br />

saßen während des langen Fluges. Aber es schien manchmal so, als würden ihre Worte Kates<br />

Hirn gar nicht erreichen. Sawyer erneut an die vielen <strong>Über</strong>wachungsgeräte, die eine Intensiv-<br />

station ausmachten, angeschlossen zu sehen, erneut künstlich beatmet, erneut künstlich er-<br />

nährt, nur diesmal in wirklich lebensbedrohlichem Zustand, überstieg Kates Kräfte. Sawyer<br />

hatte während der Behandlung im Hospital zwei Mal Kammerflimmern gehabt, musste re-<br />

animiert werden. <strong>Die</strong> notwendige Operation, um die Kugel zu entfernen, war extrem invasiv<br />

und konnte dem geschwächten Körper durchaus den Rest geben. Kate würde erst auf atmen,<br />

wenn es hieß: OP gut verlaufen, außer Lebensgefahr.<br />

*****<br />

29 Künstliches Koma: Beim künstlichen Koma handelt es sich um einen Medikamentenschlaf des Körpers, der einer Voll-<br />

narkose entspricht. Er wird gewöhnlich nach einem schweren Unfall oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung eingesetzt, um<br />

den Organismus zu entlasten. Der Patient wird künstlich beatmet, alle wichtigen Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck<br />

etc. werden rund um die Uhr überwacht. Hintergrund: Bei schweren Krankheiten oder Unfällen reagiert der Körper oft panisch.<br />

Es schrillen sozusagen alle Alarmglocken auf einmal. Körpereigene Rettungssysteme werden völlig überfordert. Es kommt zu<br />

schwerem Stress. Dadurch kann ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten. In solchen Momenten werden Patienten oft bewusstlos.<br />

Damit schützt der Körper sich selbst. Schwere Schmerzen und Todesangst werden nicht mehr wahrgenommen. Das künstliche<br />

Koma erfüllt die gleiche Aufgabe. Ärzte und Apparate schalten die panischen Angstreaktionen aus und übernehmen die Kontrolle<br />

über alle Grundfunktionen im Organismus.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

John Locke war von Mulder und Hotch in einem der Flure gefunden worden. An einen<br />

Wachmann gefesselt, der offensichtlich den Auftrag gehabt hatte, ihn weg zu schaffen. Was<br />

genau geschehen war, ließ sich nur noch erraten. Scheinbar war der Wachmann gestellt<br />

worden und hatte im allgemeinen Chaos seinen Auftrag, dafür zu sorgen, dass Locke nicht<br />

entkam, durch einen gezielten Schuss in den Kopf ausgeführt, bevor er selbst von mehreren<br />

Kugeln tödlich getroffen worden war. Mulder war bei dem Anblick des Mannes, dem er und<br />

so viele der Leidensgenossen ihr Leben verdankten, weinend zusammen gebrochen. Er war<br />

bei ihm geblieben, als der Tote aus dem Gebäude gebracht worden war. Zusammen mit Gibbs<br />

und Doggett war er in das Krankenhaus von Samarinda geschafft worden. Neben Sawyer,<br />

Bones und Ziva, die hier sofort in den OP kamen, wurden auch alle anderen Geretteten ärzt-<br />

lich behandelt. Jake wurde noch einmal untersucht und neu verbunden, Mulders Streifschuss<br />

versorgt. Dann saßen die Befreiten lange bei Ziva und Sawyer, bis man sie kurzerhand auf<br />

eine Ruhestation schaffte, und allen Valium 30 gab. Sie hatten sechzehn Stunden geschlafen,<br />

am Rande der seelischen und körperlichen Erschöpfung. Nach dem Aufwachen waren sie mit<br />

weiterer Kleidung versorgt worden. Dann hatte man sie wieder zu den verletzten Freunden<br />

gelassen. Tim war bei Abby geblieben, Tony hatte die Stunden an Zivas Krankenbett ver-<br />

bracht. Kate hatte fast einen Anfall bekommen, als sie mit bekam, wie lange man sie hatte<br />

Schlafen lassen und wie lange Sawyer dementsprechend alleine gewesen war. Es bedurfte<br />

einiger harter Worte seitens Gregs, bis die junge Frau sich halbwegs beruhigt hatte. Danach<br />

war sie dann in den geistesabwesenden Zustand gefallen, in dem sie sich seither befand.<br />

Man ließ die Befreiten in Frieden, sie konnten zusammen sein, konnten bei Sawyer<br />

und Ziva sitzen, die nebeneinander auf der Intensivstation untergebracht waren, oder hatten<br />

die Möglichkeit, sich mit Therapeuten, Geistlichen oder einfach nur Betreuern zu unterhalten.<br />

<strong>Die</strong> meiste Zeit saßen sie allerdings einfach bei einander, versuchten, mit der Tatsache fertig<br />

zu werden, dass sie zwei ihrer Freunde in der Not verloren hatten und zwei weitere immer<br />

noch mit dem Tode kämpften und begriffen erst langsam die Tatsache, dass sie frei waren.<br />

Monica, Tim und Hotch, sowie Garcia, die allen vorgestellt worden war, saßen bei ihnen und<br />

leisteten seelischen Beistand. <strong>Die</strong> Ermittler merkten schnell, dass es den Befreiten unendlich<br />

schwer fiel, zu fassen, dass sie sich erheben durften, wann immer sie wollten, dass sie von<br />

allen, nicht nur von ihren Leidensgenossen, mit Namen angesprochen wurden, dass sie simple<br />

Dinge wie den Gang zur Toilette selbst bestimmen konnten. Teilweise wagten sie an diesem<br />

ersten freien Tag seit Monaten kaum, sich zu unterhalten. Sie zuckten zusammen, wenn man<br />

30 Valium: Diazepam ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der langwirksamen Benzodiazepine. Es wird insbesondere als Psycho-<br />

pharmakon zur Behandlung von Angstzuständen, in der Therapie epileptischer Anfälle und als Schlafmittel angewendet.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sie ansprach, mussten sich Zwingen, Ärzten oder den Ermittlern in die Augen zu sehen, wenn<br />

diese etwas von ihnen wollten. Und mehr als einmal zuckten Hände unwillkürlich auf den<br />

Rücken, wenn man sie ansprach. Schon die Tatsache, das erste Mal seit Monaten feste Schuhe<br />

und richtige Kleidung zu tragen war vollkommen ungewohnt und allen taten die Füße weh.<br />

Abby war untröstlich und bekam zu ihrer eigenen Sicherheit weiterhin ein leichtes Be-<br />

ruhigungsmittel. Keiner der Leidensgenossen wusste, wie man ihr Trost spenden konnte.<br />

Gibbs war für Abby mehr als ein Vater gewesen. Dass er nun nicht mehr da sein würde, war<br />

mehr, als die Laborantin im Augenblick verkraften konnte. Lediglich Tims Anwesenheit ver-<br />

hinderte, dass sie vollkommen zusammen brach. Ziva wusste noch gar nicht, dass ihr Mentor<br />

nicht mehr lebte. Tony war am Boden zerstört wie nie zuvor in seinem Leben. Schon die Tat-<br />

sache, zu realisieren, dass er Ziva liebte, hatte den Ermittler fast umgeworfen. Sie in diesem<br />

Zustand zu sehen, kratzte schwer an seinem Nervenkostüm. Und im Hinterkopf den Ge-<br />

danken zu haben, dass Gibbs tot war, gab ihm den Rest. Bones, die erfolgreich operiert<br />

worden war, war von der Nachricht, dass John Locke den Tod gefunden hatte, vollkommen<br />

erschlagen gewesen. Booth hatte lange gebraucht, um die geliebte Frau auch nur halbwegs zu<br />

beruhigen. Auch Dana hatte haltlos geschluchzt, als sie erfuhr, dass der Mann, dem sie<br />

Mulders Leben verdankte, selbst nicht mehr am Leben war. Nicht anders ging es Heather und<br />

Booth. Kate bekam auch das nicht mit, sie war für nichts anderes als Sawyer offen.<br />

Am zweiten Tage nach der Befreiung war die AirMedEvac 31 aus Washington an-<br />

gekommen, wurde gewartet, betankt und war dann wieder abflugbereit. <strong>Die</strong> Reporter, die in-<br />

zwischen von der Befreiungsaktion Wind bekommen hatten, wurden vollkommen ab-<br />

geschirmt. Sie erfuhren nichts. <strong>Die</strong> Befreiten und die US Ermittler wurden unter höchsten<br />

Sicherheitsvorkehrungen zum Airport geschafft und ohne, dass auch nur ein Reporter eine<br />

Nasenspitze von ihnen zu sehen bekommen hatte, hob der umgebaute Airbus A310 ab. Sie<br />

flogen diesmal über Mogadischu und Lissabon, um aufzutanken und die Besatzung zu<br />

wechseln. Da genügend Betten frei waren, konnten sich alle immer wieder hinlegen. So an-<br />

gespannt die Befreiten auch waren, forderte doch alles, was sie in den letzten Monaten hatten<br />

ertragen müssen, heftig und nachhaltig Tribut. Abgesehen von Kate verschliefen die meisten<br />

den langen Heimflug und waren, als die Maschine auf dem Dulles Airport aufsetzte, immer<br />

31 Unter MEDical EVACuation (MEDEVAC) versteht man den Abtransport verletzter Personen aus unsicheren Gebieten oder<br />

Verbringung derselben in qualifizierte medizinische Versorgung. <strong>Die</strong>s kann sowohl über Land oder See oder aber mittels Luft-<br />

transport (AirMedEvac) erfolgen. Beim AirMedEvac werden Patienten meist mit Einsatzmitteln des Such- und Rettungsdienstes<br />

über lange oder kurze Strecken verlegt. Genutzt werden flexibel einsetzbare Hubschrauber und auch Flugzeuge für internationale<br />

oder interkontinentale Einsätze.<br />

536


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

noch müde. Sie hatten das Gefühl, eine ganze Woche schlafen zu können. Vom Airport<br />

wurden Ziva und Sawyer sofort via Rettungshubschrauber in das knapp zwanzig Meilen ent-<br />

fernte Bethesda Hospital gebracht. Kate, Mulder und Tony durften in dem großen<br />

Armyhubschrauber mit fliegen, während die anderen Befreiten zusammen mit den Ermittlern<br />

in eine VIP Lounge des Airports gebracht wurden. Und hier, unter Ausschluss der Öffentlich-<br />

keit, sahen sie nach Monaten endlich ihre Angehörigen wieder.<br />

*****<br />

Ziva wurde auf die Intensivstation geschafft und dort wieder an die engmaschige<br />

<strong>Über</strong>wachung angeschlossen. Tony bekam die Erlaubnis, bei ihr zu bleiben. Noch wurde die<br />

junge Agentin künstlich beatmet, da sie für den Flug ebenfalls eine Narkose erhalten hatte.<br />

<strong>Die</strong>se wurde nun langsam abgesetzt und sobald die Spontanatmung wieder einsetzte, konnte<br />

Ziva auch extubiert werden. Sawyer kam sofort in den OP. Ein Ärzteteam stand bereit und<br />

nahm den Patienten entgegen. Kate wurde in einen Warteraum gebracht. Mulder war bei ihr<br />

geblieben, auf ihn warteten ohnehin keine Angehörigen und Scully hatte darauf bestanden,<br />

dass er bei Sawyer und Kate blieb. Man konnte die junge Frau nicht vollkommen alleine<br />

lassen, immerhin war es möglich, dass Sawyer die Operation nicht überleben würde. Als<br />

Mulder und Kate sich gerade gesetzt hatten, ging die Tür erneut auf und ein Mann in der<br />

Uniform eines US Sergeant betrat den Raum. Kate sah erst auf, als der Mann unmittelbar vor<br />

ihr stand und sie ansprach. „Hallo, Kleines.“ Kates Kopf ruckte hoch und dann riss sie die<br />

Augen auf. „Daddy.“ Im nächsten Moment hing sie schluchzend in den Armen des Mannes.<br />

Als sie sich ein wenig gefangen hatte, stellte sie Mulder und ihren Stiefvater einander vor.<br />

Dann jedoch verfiel sie wieder in die Starre, die sie die ganze Zeit umfasst hatte. Sie warteten,<br />

nun zu dritt, die Zeit schien still zu stehen. Mulder und Sergeant Austen unterhielten sich<br />

leise, Kate bekam das nicht mit, sie fieberte nur einer Nachricht aus dem OP entgegen. Und<br />

nach drei Stunden endlich kam einer der Ärzte ins Zimmer. Kate schoss hoch. „Was ist ...?“<br />

Der Arzt sah Kate ruhig an. „<strong>Die</strong> Operation ist gut verlaufen, Miss Austen, Sie können<br />

gleich zu ihm, er wird auf die Intensiv gebracht. <strong>Die</strong> Kugel hatte die Trikuspidalklappe 32 an-<br />

gekratzt. Mr. Ford hatte während der OP drei Mal Kammerflimmern und wir mussten ihn<br />

32 Trikuspidalklappe: In den rechten Vorhof münden die obere und untere Hohlvene. Sie führen das sauerstoffarme Blut aus<br />

Körperkreislauf dem Herzen zu. Zwischen rechtem Vorhof und rechter Kammer befindet sich die Trikuspidalklappe, die bei der<br />

Kammerkontraktion einen Rückstrom des Blutes in den Vorhof verhindert. Von der rechten Herzkammer aus fließt das Blut über<br />

einen gemeinsamen Stamm in die beiden Lungenarterien. Der Rückfluss in die rechte Kammer wird durch die taschenförmige<br />

Pulmonalklappe verhindert.<br />

537


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

reanimieren. Aber jetzt ist er stabil. Ich glaube, ich kann behaupten, er wird sich ganz er-<br />

holen.“ Kate seufzte, dann sackte sie einfach in sich zusammen und wenn der Arzt nicht blitz-<br />

schnell zugegriffen hätte, wäre sie zu Boden gestürzt.<br />

*****<br />

Mit zitternden Beinen näherten sich die Befreiten der VIP Lounge. Sie konnten es<br />

kaum noch erwarten, ihre Eltern, Geschwister, Freunde wieder zu sehen. House stützte sich<br />

auf einen schönen, neuen Stock und blieb an Allisons Seite. Auch Bones humpelte auf<br />

Krücken neben Booth her. Auf sie würde niemand außer den Kollegen warten. Dana konnte<br />

nicht erwarten, ihren Sohn endlich wieder in die Arme zu schließen. Jake sah dem Wieder-<br />

sehen mit seinen Eltern und dem Vater Heathers mit gemischten Gefühlen entgegen. Abby<br />

war zusammen mit Tim sofort ins Hotel gebracht worden. Ihre Eltern und ihr Bruder warteten<br />

dort auf sie. Sie war dem Freudentrubel, der in Kürze ausbrechen würde, jetzt nicht ge-<br />

wachsen. Hotch und Garcia hatten sich bereits verabschiedet und Monica war bei John<br />

Doggetts sterblichen <strong>Über</strong>resten geblieben, um seine Angehörigen zu Informieren. Vor der<br />

Tür zur Lounge verabschiedete sich der Flughafenangestellte, der sie geführt hatte, mit den<br />

Worten: „Wenn Sie später soweit sind, steht ein Shuttlebus bereit, der Sie ins Bethesda<br />

Marriott bringt, wo Ihnen allen Zimmer zur Verfügung stehen. Das Bethesda Marriott ist nur<br />

etwas mehr als einen halbe Meile vom Hospital entfernt, wo Ihre Freunde untergebracht<br />

wurden.“ Natürlich hatten Mulder und Dana und auch Bones und Booth eigene Wohnungen<br />

in DC, aber erst einmal würden sie zusammen mit den <strong>Anderen</strong> im Hotel bleiben. <strong>Die</strong> Be-<br />

freiten standen nun also alleine vor der Tür und keiner wagte, sie zu öffnen. Schließlich sagte<br />

House ironisch: „Kinder, mein Bein tut weh. Nummer 1, wärest du bitte so gnädig, diese ver-<br />

dammte Tür da zu öffnen?“ Nummer 1 sah House an, dann biss er die Zähne zusammen und<br />

öffnete die Tür.<br />

<strong>Die</strong> nicht weniger nervösen wartenden Angehörigen fuhren herum und in den nächsten<br />

Minuten wurde es mehr als emotional. Man hatte die Angehörigen an Tische verteilt, so dass<br />

sie paarweise zusammen saßen. Mr. Lisinski saß bei Johnston, Gail und Eric Green am Tisch<br />

und Jake und Heather vergaßen alle Vorbehalte, eilten nur noch zu ihren Familienangehörigen<br />

und bekamen von ihrer Umgebung nichts mehr mit. Jake stieß, kaum, dass der erste Trubel<br />

sich gelegt hatte, hervor: „Mr. Lisinski, ich möchte Sie um die Hand ihrer Tochter bitten.“ Ein<br />

Tisch weiter saßen Jonathan, Rachel und Andrew Cameron und warteten zusammen mit Tom<br />

und Blythe House, James Wilson und Lisa Cuddy auf Allison und House. <strong>Die</strong> Begrüßung fiel<br />

auch hier unglaublich herzlich aus, selbst House konnte nicht verhindern, dass man ihm die<br />

538


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Freude, seine Mutter und Wilson und Cuddy wieder zu sehen, anmerkte. Sein Vater hielt sich<br />

zurück. Er wusste, dass sein Sohn ihn hasste. Aber er war viel zu uneinsichtig, um vor sich<br />

selbst zuzugeben, dass Gregory allen Grund hatte, ihn zu hassen.<br />

Dana wurde von ihrer Mutter sowie ihrem Bruder William empfangen. Der kleine<br />

William krähte vergnügt: „Mummy ...“, und die sonst so beherrschte Dana riss ihren Sohn<br />

schluchzend an sich. „Mein Liebling ... Dass Mummy dich wieder hat ...“ Margaret und<br />

William Scully Junior standen daneben und konnten nicht verhindern, dass ihnen ebenfalls<br />

Tränen über die Wangen kullerten. Bones hatte mit den Kollegen gerechnet, und damit,<br />

Booth’ Angehörige kennen zu lernen. Jedoch das Erste, das sie sah, waren Max, ihre Vater,<br />

und Russ, ihr Bruder. Auf Betreiben Walter Skinners hatten die Beiden Hafturlaub be-<br />

kommen. Der harte Max Keenan, der zwei Menschen eiskalt umgebracht hatte, nämlich einen<br />

ehemaligen FBI Agent Namens Garrett Delany und den ehemaligen Assistent Direktor des<br />

FBI, Robert Cerby, weil sie seine Kindern hatten töten wollen, brach in Tränen aus, als er<br />

seine Tochter in die Arme schließen durfte. Angela hatte Max und Russ im Gefängnis regel-<br />

mäßig besucht und über die Suche und den Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden ge-<br />

halten. So hatten die beiden Männer das Einstellen der Suche mit bekommen und Max<br />

Keenan war fast Amok gelaufen. Als er seine Tempe jetzt in den Armen hielt, war von dem<br />

harten Verbrecher nur noch ein glücklicher, erleichterter Vater über. Zack, Angela, Jack und<br />

Camille umarmten Bones ebenfalls und Angela heulte wie ein Schlosshund. „Das ich dich<br />

wieder habe, Schatz ...“, stotterte sie aufgelöst. Ähnliches stotterte Marlene Booth gerade<br />

ihrem Sohn entgegen, der sich Parker gegriffen und diesen an sich gedrückt hatte, als wolle er<br />

ihn nie wieder los lassen. Der kleine, fast sechs Jahre alte Sohn des Agents hatte seinen Vater<br />

gesehen und mit einem begeisterten: „Daddy!“, hing er Booth am Hals. Und Booth hielt den<br />

Kleinen fest und weinte. „Daddy ist wieder da. Ich werde nie wieder weg gehen.“ Booth’ Ex,<br />

Parkers Mutter, Rebecca, die ebenfalls anwesend war, wollte Booth um den Hals fallen, aber<br />

er blockte sie ab. „Tut mir Leid, Becky, die Zeiten sind vorbei. Bones und ich sind zusammen<br />

und zwischen uns Beiden wird nie wieder etwas laufen.“ Becky nickte verständnisvoll. „Kein<br />

Problem, Seeley.“<br />

Als sich die allgemeine Aufregung langsam ein wenig legte und die ersten ver-<br />

nünftigen Worte gesprochen wurden, war die Hauptsorge: „Wie geht es dir?“ Jeder der Ent-<br />

führten musste diese Frage wieder und wieder beantworten. Man hatte sich, nachdem man die<br />

Leidensgenossen den Angehörigen vorgestellt hatte, wieder an die Tische verteilt. Danas<br />

Mutter und ihr Bruder fragten nach Mulder. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.<br />

Er ist bei Sawyer im Krankenhaus und unterstützt Kate. Ihr wisst sicher, wer die Beiden<br />

539


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sind.“ Danas Mutter nickte. „Ja, mein Liebling, wir wissen von ihnen. Sara und Gil haben uns<br />

...“ Weiter kam Mrs. Scully nicht. „SARA? GIL?“ Dana schrie die Namen fast heraus. Alle<br />

drehten sich erstaunt zu ihr herum und die Entführten fragten wild durcheinander: „Sara und<br />

Gil ... Was ist mit ihnen?“ Einer Antwort bedurfte es nicht, denn die Besagten kamen in<br />

diesem Moment zur Tür herein. „Ihr lebt!“<br />

*****<br />

Man hatte Kate in einen Aufwachraum gebracht und auf ein Bett gelegt. Sie war fast<br />

eine Stunde weg, die letzten Tage forderten einfach Tribut. Ihr Körper hatte keine Kraft mehr.<br />

Als sie langsam zu sich kam, sah sie Mulder neben sich sitzen. „Was ist ... passiert. Wo ist<br />

mein Dad?“, fragte sie verwirrt und sah sich um. Mulder sah Kate besorgt an. „Du bist um-<br />

gekippt, Freckles, einfach zusammen gesackt. Und dein Vater sitzt bei Sawyer.“ Kate setzte<br />

sich vorsichtig auf. Ihr war speiübel, sie fror und alles drehte sich um sie. Fast wäre sie wieder<br />

in die Waagerechte zurück gesunken. Mulder schüttelte den Kopf. „Hör mal zu, Kate, du<br />

brauchst unbedingt Ruhe, sonst ist Sawyer schneller wieder auf den Beinen als du selbst.“<br />

Kate schüttelte müde den Kopf. „Ich muss zu ihm. Wenn er aufwacht ...“ Mulder nahm Kates<br />

Hände und erklärte eindringlich: „Kate, sie lassen ihn noch in der Langzeitnarkose. Der Arzt<br />

hat mir erklärt, dass sie frühestens in zwei Tagen damit beginnen wollen, die Narkotika und<br />

Barbiturate 33 langsam abzusetzen. Man nennt das den Patienten Ausschleichen lassen, das<br />

heißt, er wird ganz langsam geweckt, was auch noch einmal ein bis zwei Tage dauern kann, je<br />

nachdem, wie der Stoffwechsel des Betreffenden funktioniert. Seine lahm gelegten Körper-<br />

funktionen müssen langsam und gleichmäßig wieder anlaufen. Du kannst also theoretisch vier<br />

Tage am Stück schlafen. Ich habe mit den Ärzten ausgemacht, dass du hier im Krankenhaus<br />

bleiben darfst, quasi ein Zimmer zur Verfügung gestellt bekommst, aber nur, wenn du dich<br />

darauf einlässt, endlich zu Schlafen. Dein Vater, ich selbst und auch die <strong>Anderen</strong> werden auf<br />

Sawyer aufpassen, während du schläfst, das schwöre ich dir. Er wird keine Sekunde alleine<br />

sein.“ Kate liefen Tränen der Verzweiflung über die Wangen. Dann nickte sie langsam.<br />

Mulder atmete unendlich erleichtert auf. „Wir werden auf Sawyer aufpassen, verlass dich<br />

drauf. Komm, ich bringe dich ins Bett.“ Er half Kate in das Zimmer, dass man ihr zur Ver-<br />

fügung stellen würde. Es lag unmittelbar an die Intensivstation anschließend. Kate entkleidete<br />

sich bis auf BH und Slip und legte sich ins Bett. Sie schluckte sogar eine Schlaftablette, die<br />

33 Barbiturate sind Derivate der Barbitursäure, allerdings keine Salze oder Ester, wie der Name suggeriert. Das Barbitursäure-<br />

derivat Thiopental wird heutzutage bei der intravenösen Einleitung einer Vollnarkose beim unkomplizierten Patienten als Alter-<br />

native zu Propofol verwendet.<br />

540


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder ihr reichte und war Minuten später tief und fest eingeschlafen. Mulder wartete noch<br />

ein paar Minuten, dann erfüllte er sein Versprechen, und setzte sich zu Sawyer. Er nickte<br />

Sergeant Austen zu. „Sie hat sich überreden lassen, zu schlafen.“ Sam Austen atmete er-<br />

leichtert auf. Mulder sah Sawyer an. „Hey, Sawyer. Kate schläft endlich. Sie muss ja schließ-<br />

lich fit sein, wenn du aufwachst. Ich bin da, falls etwas ist.“<br />

541<br />

*****<br />

Ziva wachte ganz langsam auf. <strong>Die</strong> Barbiturate und Narkotika wurden bei ihr schon<br />

seit Ankunft in DC langsam abgesetzt. Sie hatte nie Schwierigkeiten gehabt, sich nach<br />

Narkosen zu erholen. Es war nicht die erste schwere Verletzung in Zivas Leben und sicher<br />

nicht die Letzte. Ihr Stoffwechsel funktionierte in Bezug auf die Verarbeitung von Medika-<br />

menten schnell und präzise. So konnte sie nach verhältnismäßig kurzer Zeit schon erkennen,<br />

dass Tony bei ihr am Bett saß. „Hey, meine Süße. Endlich hab ich dich wieder.“, flüsterte er<br />

verlegen und gerührt. Ziva versuchte, zu antworten, aber ihr Hals war wund und trocken, sie<br />

brachte kaum mehr als ein Krächzen zu Stande. „Tony ...“ „Möchtest du etwas trinken?“<br />

Tony beobachtete Ziva aufmerksam. <strong>Die</strong> junge Frau nickte müde. Vorsichtig flößte Tony ihr<br />

Wasser ein. Danach machte Ziva einen neuen Ansatz, zu Sprechen. „Abby und Gibbs ...?“<br />

Schnell antwortete Tony „Es geht ihnen gut. Sie waren viel hier, jetzt sind sie im Hotel, um<br />

sich auszuruhen.“ Ziva war noch zu Müde, um die Lüge zu bemerken. Ihr fielen die Augen<br />

immer wieder zu und Tony würde den Teufel tun und ihr jetzt sagen, dass Gibbs es nicht ge-<br />

schafft hatte.<br />

Am nächsten Morgen jedoch war Ziva bereits erheblich wacher und vor allem geistig<br />

fitter. Sie fragte nach Gibbs und Abby, sowie den <strong>Anderen</strong> und Tony versuchte die Ausrede<br />

erneut. „Sie ruhen sich aus, nachdem sie die ganze Nacht hier waren ...“ „Rede keinen Blöd-<br />

sinn, DiNozzo ... du konntest <strong>mich</strong> noch nie belügen ... Wo sind sie?“ Tony sah Ziva geradezu<br />

flehend an. Und Ziva bemerkte den Blick. „Tony ... Was ist los?“ Sie spürte, wie ihr ab-<br />

wechselnd heiß und kalt wurde. Was während der Gefangenschaft nicht passiert war, geschah<br />

jetzt: heftige Panik überrollte Ziva wie eine Woge. „Ist ... was mit ... mit Abbs ...?“ Tonys<br />

Augen wurden verdächtig feucht und dann schüttelte er den Kopf. „Ziva, bitte ... Nein, Abby<br />

ist ...“ Mit zitternder Stimme stieß Ziva hervor „Nicht Gibbs ...“ <strong>Die</strong> ersten Tränen stürzten<br />

ihr über die Wangen. „Nicht Gibbs ...“ Dass Tony jetzt selbst Tränen über die Wangen<br />

kullerten, war Ziva Antwort genug. „Nein. Nein ... Tony ... Nein. NEIN!“<br />

*****


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Warum ist er so schrecklich unruhig?“ Kate saß auf Sawyers Bett und hielt diesem<br />

die Hände. Der Arzt, der gerade nach Sawyer sah, erklärte Kate: „Wir wissen von Langzeit-<br />

narkose-Patienten, dass sie Handlungen an ihrem Körper in Träume integrieren. So wird zum<br />

Beispiel bei vielen das Waschen von ihrem Hirn als sexuelle Misshandlung umgesetzt.<br />

Andere verbinden die leichte Untertemperatur, die während der Narkose besteht, mit dem<br />

Aufenthalt an sehr, sehr kalten Orten. Wenn er zu unruhig wird, werden wir ihn fixieren um<br />

...“ „NEIN!“, stieß Kate entsetzt hervor. „Nein, das werden Sie ganz bestimmt nicht. Ich<br />

werde seine Hände so lange halten, bis er aufwachen darf. Er wird nicht fixiert.“ Der Arzt sah<br />

Kate verständnislos an. „Miss Austen, das ist eine völlig normale und übliche Methode um zu<br />

verhindern, dass sich Patienten ungewollt verletzen.“ Kate schüttelte erneut entschieden den<br />

Kopf. „Bei anderen Patienten vielleicht, nicht bei ihm. Wir wurden an die Betten gefesselt,<br />

verstehen Sie. Das mute ich ihm auf keinem Fall zu. Wir werden uns abwechseln und seine<br />

Hände halten, wenn es nötig ist, aber er wird nicht fixiert.“ Sie sah Sawyer an und sagte sanft:<br />

„Hab keine Angst, Baby, niemand wird dich fixieren, das schwöre ich dir.“ Der Arzt nickte<br />

jetzt verständnisvoll. „Oh. Ich verstehe. Das sind natürlich besondere Umstände. Ich denke<br />

sowieso, dass wir ihn langsam Ausschleichen lassen können.“ Kate sah den Arzt an. „Aus-<br />

schleichen?“ Sie erinnerte sich nicht daran, dass Mulder ihr das Prinzip bereits vor Tagen er-<br />

klärt hatte. Der Arzt nickte. „So nennt man das allmähliche Absetzen der Medikamente, bis<br />

die Körperfunktionen des Patienten wieder selbstständig arbeiten.“<br />

*****<br />

Drei Tage waren vergangen. Tage, in denen endlose Befragungen stattfanden. Tage, in<br />

denen eine Pressekonferenz abgehalten wurde, um die Reporter zu befriedigen. Tage, in<br />

denen festgelegt wurde, dass John Locke und Gibbs erst dann beerdigt werden würden, wenn<br />

Sawyer und Ziva soweit waren, an der Beisetzung teilzunehmen. Noch waren die Geretteten<br />

im Hotel untergebracht. Sara und Gil waren bei ihnen. <strong>Die</strong> Angehörigen waren zum Teil noch<br />

in DC. Cuddy und Wilson hatten sich jedoch verabschiedet, ebenso die Brüder Allisons,<br />

Jakes, Seeleys und Danas. Bones Vater und Bruder waren am Morgen nach der Ankunft in<br />

die Strafanstalt zurück gebracht worden. <strong>Die</strong> Teammitglieder aus dem Jeffersonian waren bis<br />

auf Angela, die bei Tempe blieb, wieder an die Arbeit gegangen. House’ Eltern waren ab-<br />

gereist. House saß, wie Allison, viel bei Sawyer. Mulder ebenfalls. Dana leistete ihm mit<br />

William zusammen oft Gesellschaft. Heathers Vater war nach New Bern zurückgekehrt mit<br />

dem Versprechen Heathers, dass diese so schnell es ging nachkommen würde. Gail und<br />

Johnston wollten bei Jake und Heather bleiben, sie hatten keine zwingenden Verpflichtungen.<br />

542


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allisons Vater war zusammen mit ihrem Bruder abgereist, nur ihre Mutter blieb noch. Abby<br />

war noch nicht bei den <strong>Anderen</strong> im Hotel aufgetaucht. Zusammen mit Tim brachte sie nun am<br />

dritten Tag ihre Eltern zum Flughafen und bat Tim dann leise: „Schatz, ich möchte bitte zu<br />

den <strong>Anderen</strong> ... Es ist so schwer zu ... Lass uns bitte zu ihnen gehen.“ Tim hatte kurz vorher<br />

von Tony Bescheid bekommen, dass alle Geretteten gerade im Krankenhaus waren, bei Ziva<br />

und Sawyer. So fuhr Tim statt zum Hotel ins Hospital. Im Zimmer Sawyers fanden sie nur<br />

Kate, und diese war in einer derart schlechten Verfassung, dass sie erst einmal zu Ziva<br />

gingen.<br />

Kate war vollkommen verzweifelt. Sawyers Narkose war vollständig abgesetzt, er<br />

atmete wieder selbstständig, die Wunde verheilte rapide, das einzige, was fehlte, war das<br />

Aufwachen. Er schien sich dagegen zu sträuben, richtig wach zu werden. Zwar kam er schon<br />

immer wieder zu sich, aber nur, um schnell wieder weg zu driften. Kates Stiefvater saß<br />

Stunden um Stunden bei seiner Tochter und betete mit ihr, dass der junge Mann, den seine<br />

Kate so offensichtlich unendlich liebte, und der ihr das Leben gerettet hatte, in dem er die<br />

Kugel, die ihr gegolten hatte, abfing, endlich wach werden würde. Tim hatte tatsächlich<br />

Sawyers Großeltern, Rose und Leonard Colby, ausfindig gemacht, nur, um festzustellen, dass<br />

diese schon seit September des vergangenen Jahres in Europa weilten. Austen machte sich<br />

Sorgen um seine Tochter. Wenn der junge Mann nicht bald wirklich aufwachen würde, be-<br />

stand die Gefahr, dass Kate zusammen brach. Gerade bat Kate: „Könntest du bitte Kaffee<br />

besorgen, Dad?“ Sam Austen stand auf. „Natürlich, Liebes.“ Er verließ das Zimmer und traf<br />

unterwegs zum Kiosk den Arzt. Er fragte diesen, was denn mit Sawyer los war und erhielt<br />

freundlich Auskunft.<br />

Währenddessen saß Kate auf Sawyers Bett und redete leise und zärtlich auf ihn ein.<br />

„Baby, wenn du <strong>mich</strong> noch lange warten lässt, verliere ich den Verstand, du muss jetzt ...“ Sie<br />

konnte den Satz nicht beenden, denn es klopfte. „Ja.“, sagte sie genervt und sah zur Tür.<br />

Erstaunt weiteten sich ihre Augen. Ein älteres Pärchen, in den späten 70gern, wie Kate<br />

schätzte, kam herein. Fragend sah Kate den beiden entgegen. „Kann ich Ihnen helfen?“ <strong>Die</strong><br />

Frau, die genau wie der Mann noch sehr rüstig wirkte, sah Kate an und sagte dann freundlich<br />

„Sie müssen Kate sein. Kindchen, wir sind Rose und Leo Colby. Jimmys Großeltern.“ Sie<br />

deutete auf Sawyer und fragte dann erschrocken: „Was ist mit ihm?“ Kate starrte die beiden<br />

fassungslos an. „Seine ... Großeltern? Wieso ...? Woher wissen Sie ...? Warum erst jetzt?<br />

Warum waren Sie nicht schon viel früher hier? Warum?“ Fassungslos stieß Kate diese Worte<br />

hervor. <strong>Die</strong> Frau blieb ruhig. „Weil wir es nicht wussten. Wir waren monatelang in Europa,<br />

sind schon hinüber geflogen, bevor die Entführung geschah. Und wir sind erst gestern wieder<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gekommen. Da haben wir erst erfahren, was geschehen ist. Wir sind sofort her geflogen. Was<br />

ist denn mit Jimmy passiert?“ <strong>Die</strong> Dame sah besorgt und liebevoll auf den reglosen Körper im<br />

Bett herunter. Kate hatte zu gehört. „Ich verstehe ... Er wurde ...“<br />

Sie erklärte den beiden genau, was mit Sawyer passiert war. Erschüttert hörten seine<br />

Großeltern zu. Unter Tränen berichtete Kate davon, dass er einfach nicht wirklich wach<br />

werden wollte. Sawyers Großmutter hatte still zugehört. Jetzt sah sie Kate fragend an und zog<br />

sich einen Stuhl an Sawyers Bett. Kate nickte. Sie verschwand ins Bad, um sich das verweinte<br />

Gesicht zu kühlen. Rose Colby sah das blasse, eingefallene Gesicht ihres Enkels und Tränen<br />

traten ihr in die Augen. Sie griff nach Sawyers linker Hand und hielt diese sanft fest. „Hallo,<br />

Jimmy, mein Liebling. Ich bin es, Grandma. Wir haben dich so lange nicht gesehen. Du hast<br />

uns jeden einzelnen Tag gefehlt. Wie deine Ma. Wir haben dir so sehr wehgetan, mein Schatz.<br />

Ich weiß das und auch Grandpa ist das klar. Wir haben nie mit dir darüber gesprochen. Erst<br />

warst du zu verängstigt und klein, dann waren wir nicht in der Lage ... Und dann bist du weg<br />

gewesen. Jimmy, es war so entsetzlich schwer für uns. Du hast keine Ahnung, wie ähnlich du<br />

deinem Dad schon als Kind gesehen hast. Du konntest nichts dafür, aber jedes Mal, wenn wir<br />

in deine Augen geschaut haben, sahen wir Warren’ Augen. Du hast seine wundervollen<br />

Augen geerbt, diese Augen, in die sich unsere Mary so sehr verliebt hatte. Und nicht nur die.<br />

Ich konnte es lange nicht ertragen, sie zu sehen. Ich habe immer deinen Dad statt deiner ge-<br />

sehen. Deinen Dad, der uns das Liebste nahm, was wir je hatten, unsere Mary. Aber es war<br />

nicht deine Schuld, mein Schatz. Es war nicht deine Schuld. Und jetzt liegst du hier und deine<br />

wunderhübsche Freundin sagt, du willst nicht aufwachen? Warum machst du das? Du bist<br />

unser Enkel, du darfst nicht aufgeben. Wir möchten einen neuen Anfang mit dir machen,<br />

wenn du uns lässt. Komm zu uns zurück, Liebling, bitte.“ Kate hatte das meiste von dem, was<br />

Mrs. Colby gesagt hatte, gehört. Und nicht nur sie. Sam Austen war mit dem Kaffee zurück-<br />

gekommen und hatte leise die Zimmertür geöffnet. Er wollte gerade eintreten, als Mulder da-<br />

zu kam. Beide Männer hatten die Worte der alten Dame gehört und Mulder trat zu Kate, die<br />

gerührt schluchzte. Und dann hörte sie plötzlich Sawyers schwache Stimme. „Grandma ...?“<br />

Beisetzungen und Trennungen<br />

Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern nur ein Zwischenereignis, ein<br />

<strong>Über</strong>gang aus einer Form des endlichen Wesens in eine andere.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wilhelm von Humboldt<br />

Bei Sawyer hatte, nachdem er endlich richtig wach geworden war, die Heilung so<br />

schnell eingesetzt, wie sie es inzwischen alle gewohnt waren. Kate hatte viel Zeit bei Ziva im<br />

Zimmer verbracht, um Sawyer und seinen Großeltern die Chance zu geben, einiges aufzu-<br />

arbeiten. Am dritten Tage schließlich hatte Kate ihm von Gibbs und Locke erzählt. Sawyer<br />

hatte es nicht glauben wollen. Weinend hatte er im Bett gelegen und versuchte, das Gehörte<br />

irgendwie umzusetzen. Dass gerade Locke, der ihm zwei Mal das Leben gerettet hatte, es<br />

nicht geschafft hatte, machte Sawyer schwer zu schaffen. Dass seine Großeltern in<br />

Washington blieben, half ihm jedoch ein wenig, damit klar zu kommen. Sie hatten wirklich<br />

vieles geklärt und Sawyer hatte sich mit den Eltern seiner Mum ausgesprochen. Sie lebten<br />

inzwischen in Santa Cruz und baten ihn und Kate, für eine Weile zu ihnen zu ziehen. Sie<br />

hatten ein Anwesen direkt am Meer und Platz genug. Sawyers Großmutter hatte gesagt:<br />

„Jimmy, mein Junge, was hältst du davon, wenn Kate und du mit uns nach Kalifornien<br />

kommen?“ Sawyer hatte betreten geschwiegen. Dann sagte er leise: „Ich weiß überhaupt<br />

nicht, was wird, ich weiß ja nicht einmal, was in den Tagen seit unserer Befreiung passiert ist.<br />

Kate und ich werden vermutlich verhaftet werden ...“<br />

„Nein, das werdet ihr nicht, gegen dich liegt in den Staaten ohnehin nichts Aktuelles<br />

vor und Kate ist voll entlastet worden.“ Mulder hatte den Raum betreten und Sawyers letzten<br />

Worte gehört. „Was? Natürlich läuft eine ...“ Mulder lachte und setzte sich schwungvoll auf<br />

das Fußende von Sawyers Bett, was diesem ein leicht gequältes Stöhnen entriss. „Ah ...<br />

Geht’s vielleicht noch schwungvoller?“ Mulder grinste. „Hör auf, herum zu Jammern. Passt<br />

auf: Es liegt nichts mehr gegen euch vor. <strong>Die</strong> Untersuchungen gegen dich wurden eingestellt,<br />

von Australien liegen keine Anzeigen vor und Kate wurde im Dezember bereits voll ent-<br />

lastet.“ Sawyer sah Mulder verständnislos an. „Was heißt das?“ Mulder grinste wie ein Schul-<br />

junge. „Das heißt, dass ihr nicht mehr verhaftet werdet, wenn euch ein Polizist erkennt.“<br />

Vollkommen verständnislos sah Kate Mulder an. „Mulder, was redest du für einen Quatsch?<br />

Wer sollte <strong>mich</strong> denn ...“ Mulder grinste immer noch zufrieden. Dann erklärte er: „Eine ge-<br />

wisse Diane Janssen hat ihre frühere Aussage, dass ihre Tochter Katherine ihr Haus mit ihrem<br />

Vater darin in die Luft gejagt hat, widerrufen und zugegeben, dass sie es selbst war, die die<br />

Explosion, die zum Tode Wayne Janssens geführt hat, verursachte. Sie sagte aus, dass sie<br />

seine ständigen, schweren Misshandlungen nicht mehr ertragen hat. Sie hat es beschworen,<br />

hat beschworen, dass du nur die Schuld zu ihrem Schutz auf dich genommen hast, und<br />

daraufhin wurden alle Anklagepunkte gegen dich fallen gelassen und Diane Janssen ver-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

haftet.“ Kate war fassungslos. „Meine Mutter .... Sie ist tot, Mulder. Sie ist an Krebs ge-<br />

storben. Was geht ...“ Mulder wurde jetzt ernster. „Nein, Freckles, sie ist damals nicht ge-<br />

storben, obwohl alles dafür gesprochen hat. Sie hat überlebt, es ging ihr sogar eine Weile sehr<br />

gut. Dann jedoch kehrte der Krebs machtvoll zurück. Als sie ihre Aussage machte, war sie<br />

bereits sterbenskrank. Sie ist im Februar im Staatsgefängnis von Birmingham gestorben. Sie<br />

gilt offiziell als die Mörderin Wayne Janssens und du bis voll rehabilitiert.“<br />

*****<br />

Auf dem Arlington National Friedhof hatte sich eine große Menschenmenge ver-<br />

sammelt. Neben den geretteten Entführten und deren Angehörigen waren Beamte des FBI,<br />

Ermittler des CSI Las Vegas, die Besetzung der anthropologischen Abteilung des Jeffersonian<br />

Institute, etliche Angehörige der Navy, der Marines, des NCIS und viele andere Personen<br />

anwesend. Eli David, der Vater Zivas, stand bei seiner Tochter, die im Rollstuhl zum Friedhof<br />

gebracht worden war. Tony stand auf der anderen Seite neben ihr und starrte abwesend zu<br />

Boden. Aus Los Angeles waren Beth und Mick herüber gekommen. Mick stand so weit im<br />

Schatten, wie es unauffällig ging und hielt Beth in seinen Armen. <strong>Die</strong> beiden Särge, die<br />

nebeneinander aufgebahrt im Schatten einer riesigen, uralten Eiche standen, waren vor<br />

Blumen kaum noch zu erkennen. Gerade stand ein zerknittert wirkender Mann um die 60 vor<br />

dem Sarg, in dem Jethro Gibbs seine letzte Ruhe finden würde. Mike Franks, der Mentor und<br />

älteste Freund Gibbs’ konnte nicht verhindern, dass seine Stimme belegt klang. „Gibbs war<br />

mein Untergebener. Ich kann <strong>mich</strong> damit rühmen, dass er sehr viel seines umfangreichen<br />

Wissens bei mir gelernt hat. Und doch habe ich, als sein Boss, so unendlich viel von ihm ge-<br />

lernt. Loyalität, absolute Zuverlässigkeit, Treue, Aufopferung für sein Land und seine<br />

Freunde, für die Menschen, die ihm etwas bedeutet haben. Er hat den täglichen Kampf um<br />

Recht und Ordnung als seine Lebensaufgabe angesehen und ist ihm letztlich zum Opfer ge-<br />

fallen.“<br />

Müde kehrte Franks an seinen Platz in der Menge zurück, neben Jenny Shepard, die<br />

ihre verweinten Augen hinter einer großen Sonnenbrille zu verbergen suchte. Ducky stand auf<br />

der anderen Seite neben der Direktorin und dem sonst so fröhlichen Briten standen Tränen in<br />

den Augen. Er hatte Gibbs so viele Jahre gekannt, vielleicht neben Mike Franks am besten<br />

von allen. Und Mallard wusste im Augenblick nicht, wie es ohne Gibbs weiter gehen sollte.<br />

Er hatte bereits ein paar Worte gesagt. Jetzt trat Jenny an den Sarg und legte sanft eine Rose<br />

auf ihm ab. „Leroy Jethro Gibbs ... Es gibt so viel zu sagen über dich, aber das meiste kam<br />

bereits zur Sprache. Wir kannten uns über zehn Jahre und unsere Beziehung war sehr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wechselhaft. Eines jedoch war nicht wechselhaft und das war meine ... meine Liebe zu dir.<br />

Erst war es die Liebe zu einem guten Partner, dann die Liebe zu einen Mann, und schließlich<br />

die Liebe zu einem Mann und zuverlässigen Freund in jeder Lebenslage. Wir waren nicht<br />

immer einer Meinung. Aber meine Meinung von dir, Gibbs, war all die Jahre die Gleiche. Ich<br />

habe dich immer bewundert. Du wusstest das Richtige zu tun, immer und in jeder noch so<br />

verzwickten Situation. Gibbs, ich weiß nicht, wie es ohne dich weiter gehen soll. Du wirst<br />

eine Lücke hinterlassen, die durch nichts und niemanden zu stopfen ist ....“ Weinend schlug<br />

Jenny die Hände vor das Gesicht und wankte an ihren Platz zurück. Sie hatte an einigen Be-<br />

erdigungen teilnehmen müssen, zuletzt an Caitlin Todds, aber diese hier überstieg eindeutig<br />

ihre Kräfte.<br />

<strong>Die</strong> Geretteten hatten Mulder auserkoren, etwas zu sagen und so trat dieser nun als<br />

letzter Redner an den Sarg. Mühsam beherrscht fing er leise an zu sprechen. „Wir alle kannten<br />

Special Agent Gibbs kaum länger als sechs Monate. Und doch kann es dank der Unmenschen,<br />

die uns entführt haben, uns gefangen gehalten, gedemütigt, gequält, gefoltert, fast getötet<br />

haben sein, dass wir Gibbs besser kennen gelernt haben in diesen sechs Monaten als Sie hier<br />

in vielen Jahren. Wir waren gezwungen, in die Leben jedes einzelnen von uns so tief einzu-<br />

dringen, wie es freiwillig niemand, außer vielleicht mit dem Menschen, den man liebt, zu-<br />

lassen würde. Wir wissen Dinge über Leroy Jethro Gibbs, die sicher nur sehr wenige<br />

Menschen wissen. So, wie er Dinge über uns alle erfahren hat, die genauso wenig Menschen<br />

wissen und auch nie erfahren werden. Eins haben wir alle schnell begriffen und werden es<br />

niemals wieder vergessen: Einen besseren und zuverlässigeren Freund in einer solchen<br />

Situation als Nummer 16 kann man sich nicht wünschen. Er hätte es genau wie wir verdient,<br />

weiter zu leben. Aber wenn uns die Zeit etwas gelehrt hat, dann die Tatsache, dass das Leben<br />

selten fair ist.“ Mulder machte eine kleine Pause, dann trat er ein paar Schritte nach rechts,<br />

zum Sarg John Lockes.<br />

„Wir haben jetzt vieles und viel Gutes über Leroy Jethro Gibbs gehört. Hier ist aber<br />

noch ein Mann, der unverdient gestorben ist. Keiner von uns kannte ihn vorher, viele von uns<br />

lieben ihn jetzt und werden ihn bestimmt nie vergessen. Er hat vielen von uns mehr als einmal<br />

das Leben gerettet und mehr, als Danke zu sagen, war uns dafür nicht vergönnt.“ Mulder<br />

musste tief durchatmen, dann fuhr er fort: „Ich selbst bin einer von denen, denen John sogar<br />

mehr als nur einmal das Leben rettete. Wäre er nicht gewesen, müsste Dana jetzt unseren ge-<br />

meinsamen Sohn alleine aufziehen. Unser William hätte sich nicht an seinen Daddy erinnert,<br />

weil er nie die Gelegenheit bekommen hätte, ihn richtig kennen zu lernen. Locke war ein<br />

außergewöhnlicher Mensch. Er war ruhig und zurückhaltend, so ruhig, dass man seine An-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wesenheit manchmal fast vergessen konnte. Nur wenn seine Hilfe benötigt wurde, war er<br />

nicht ruhig und nicht zurückhaltend. Dann war er voll da und er machte keinen Unterschied,<br />

ob der in Not geratenen über ihn lachte oder seine unwahrscheinlichen Fähigkeiten ernst<br />

nahm. John half. Wir alle haben schnell ... schnell zu schätzen gewusst, ihn an unserer Seite<br />

zu haben. John Locke hat ein hartes Leben großartig gemeistert und ich bin davon überzeugt,<br />

dass es ihm da, wo er jetzt ist, gut geht, keiner mehr ihn verlacht und er seinen Frieden finden<br />

wird.“<br />

Keiner der Geretteten konnte noch die Tränen zurück halten. Abby schluchzte schon<br />

seit vielen Minuten haltlos in Tims Armen vor sich hin. Tony hatte den Arm um Zivas Taille<br />

gelegt und stützte die junge Israelin, sonst wäre sie zusammen gesackt, als Mulder über Gibbs<br />

sprach. Sawyer weinte, von Kate mühevoll aufrecht gehalten, mit dieser um die Wette. Bones<br />

und Booth standen eng umschlungen zusammen, beiden liefen Tränen über die Wangen.<br />

Booth dachte an die entsetzliche Angst, die er um Bones gehabt hatte, als sie drohte, in das<br />

Becken mit den Raubfischen versenkt zu werden und zitterte. Heather hing mehr als dass sie<br />

stand in Jakes Armen und auch Jake liefen unaufhaltsam Tränen über die Wangen. Allison<br />

klammerte sich an House und sah vor ihrem geistigen Auge die tödlichen Nägel sich auf<br />

Gregs Körper nieder senken. Heftig schluchzte sie auf und flüsterte erschüttert: „Du warst der<br />

Beste, John ...“ Mulder, der zu Dana zurück getreten war, hielt die ebenfalls heftig<br />

schluchzende Partnerin im Arm, während ihm selbst Tränen über die Wangen kullerten. Und<br />

auch Gil und Sara, die als Einzige von den grausamen Versuchen ganz verschont geblieben<br />

waren, konnten die Tränen nicht zurück halten.<br />

Als jetzt zu Ehren der Toten von einer Einheit Marines mehrere Salut Salven ab-<br />

gefeuert wurden, standen unwillkürlich alle Trauergäste stramm, auch Ziva und Sawyer,<br />

denen inzwischen deutlich anzusehen war, dass ihre Wunden sie ziemlich quälten. Als die<br />

Schüsse verklungen waren, zerstreuten sich die Anwesenden nach und nach, bis nur noch die<br />

sechzehn überlebenden Entführten an den Särgen standen. Selbst Tim hatte sich zurück-<br />

gezogen und Abby bei Booth und Mulder gelassen. Still standen die auf so schreckliche<br />

Weise für immer miteinander verbundenen Menschen vor den beiden Särgen und nahmen<br />

noch einmal ganz still, jeder für sich, Abschied. Jeder dachte an die eine oder andere Szene,<br />

die sie mit den ermordeten Freunden durch gemacht hatten. Sawyer hatte die schrecklichen<br />

Minuten in dem Folterkeller vor Augen, als Gibbs die Söldner, um diese von Abby abzu-<br />

lenken, so sehr gereizt hatte, dass sie fast ihn umgebracht hätten. - Du hättest für Abby alles<br />

getan, Gunny. - dachte er traurig. Allison und Heather sahen die grässlichen Momente vor<br />

sich, als sie bei Gibbs das Waterboarding anwenden mussten. Ziva war ganz am Anfang ihrer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beziehung zu Gibbs, als er ihr bedenkenlos, ohne eigentlich Grund dafür zu haben, sein<br />

Leben anvertraut hatte, einfach aus dem Bauchgefühl heraus, dass es bei der jungen Mossad<br />

Agentin in guten Händen war. Sie trat an Gibbs Sarg heran und sagte leise: „Semper Fi.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Beerdigungen lagen drei Tage zurück. Beth und Mick waren nach Los Angeles<br />

zurück gekehrt, Sara und Gil zusammen mit den Kollegen Willows und Brown, die sie zu den<br />

Beerdigungen begleitete hatten, nach Las Vegas. Jake und Heather waren die Nächsten, die<br />

sich verabschiedeten. Heather wollte nur noch nach Hause. Sie würden in New Bern oder<br />

Jericho wohnen, das würde sich entscheiden, und sich dort Hilfe suchen, den Horror der<br />

letzten Monate zu verarbeiten. Unter Tränen verabschiedeten sie sich bei den Freunden und<br />

versprachen, sich regelmäßig zu melden. Heather schluchzte: „Ihr alle habt mir, habt uns, so<br />

sehr geholfen. House, Allison, Dana, was ihr für uns getan habt, können wir nie wieder gut<br />

machen. Ich weiß, dass ihr mit mir nicht viel anfangen konntet, ich weiß, dass ich euch<br />

einigermaßen suspekt war, aber ... Ich habe das Gefühl, die alte Heather wird nie wieder<br />

zurückkehren. Ich habe dort ... Nein, wir alle haben dort in der Hölle unsere Unschuld ver-<br />

loren. Wir werden in Kontakt bleiben. Sobald Jake und ich uns wieder eingelebt haben,<br />

werden wir uns melden. Wir haben eure Telefonnummern und wir werden uns melden. Passt<br />

auf euch auf.“ Hastig umarmte sie alle, dann stieg sie in das wartende Taxi. Jake biss sich auf<br />

die Lippe. „Okay, Heather hat im Grunde schon alles gesagt ... Es war gerade am Anfang<br />

nicht immer leicht mit einigen von uns, aber ... Ich habe dort während der Gefangenschaft<br />

vieles gelernt, und ich habe ganz besondere Menschen kennen gelernt. Dafür bin ich dankbar.<br />

Sobald Heather und ich ein Haus gefunden haben, würden wir uns freuen, euch alle wieder zu<br />

sehen ... Wenn es euch denn ins finsterste Kansas zieht.“ Booth reichte Jake die Hand. „Das<br />

wird es, Kumpel.“ Auch Sawyer und Kate versprachen, zu kommen. „Wir sind schließlich<br />

auch Landeier.“ Sawyer drückte Jake die Hand und Kate umarmte den jungen Mann herzlich.<br />

„Achte gut auf Heather.“<br />

Als auch Jake in die Taxe gestiegen war und diese davon fuhr Richtung Flughafen,<br />

sagte House ruhig: „Cameron und ich werden morgen in aller Frühe auch verschwinden. Es<br />

wird Zeit, dass wir das Krankenhaus mal wieder mit unserer, besonders natürlich mit meiner<br />

Anwesenheit beglücken. Ihr werdet jetzt wohl nicht mehr ständig Gefahr laufen, umgebracht<br />

zu werden. Also kommt ihr ohne uns aus.“ Er sah dabei speziell Sawyer an, der grinste. „Ich<br />

hoffe sehr, dass das aufhört.“, sagte Kate entschieden. Ihr Herz wurde schwer. So sehr sie den<br />

schlecht gelaunten Arzt am Anfang verachtet hatte, so sehr liebte sie ihn jetzt. Was er für<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer getan hatte, immer wieder, und ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten, war ver-<br />

mutlich mehr, als irgendwer sonst für den Südstaatler getan hatte. Kate wusste, dass Sawyer,<br />

Jim, der Abschied sehr schwer fallen würde. Erst einmal aber fuhren sie ins Marriott zurück,<br />

Sawyer konnte langsam nicht mehr, seine Kräfte waren noch nicht wieder voll da. Er hatte<br />

immer wieder Schmerzen und war noch ziemlich schlapp. Aber House hatte versichert, dass<br />

sich das in kurzer Zeit geben würde.<br />

Nachdem Sawyer und auch Ziva sich ausgeruht hatten, trafen sie sich alle zum Abend-<br />

essen im Hotelrestaurant. Ein letztes Mal saßen sie zusammen, denn auch Kate und Sawyer<br />

würden am nächsten Tag abreisen, allerdings ging ihr Flug erst am frühen Nachmittag. Sie<br />

würden bis Monterey fliegen und dann einen Wagen, der dort bereits auf sie wartete, nehmen<br />

und das letzte Stück bis Santa Cruz zirka vierzig Meilen an der Küste entlang fahren. Gegen<br />

22 Uhr würden sie es geschafft haben. Sawyers Großeltern freuten sich auf das Eintreffen der<br />

Beiden. Sie hatten das Gästehaus für ihren Enkel und seine Lebensgefährtin fertig gemacht<br />

und konnten es kaum erwarten, ihn wieder bei sich zu haben nach all den vielen Jahren, um so<br />

unendlich vieles wieder gut machen zu können.<br />

Das Essen verlief schweigsam. Es war ein eigenartiges Gefühl, dass nun bald alle in<br />

ihre eigenen Leben zurückkehren würden. Bones und Booth hatten bereits mit dem FBI<br />

Psychologen Lance Sweets die ersten festen Termine, um sich von ihm betreuen zu lassen.<br />

Bones konnte es kaum noch abwarten, zurück an die Arbeit zu kommen. Booth hatte sich<br />

ebenfalls für den kommenden Montag wieder zum <strong>Die</strong>nst zurück gemeldet. Auch Dana und<br />

Mulder hatten einen psychologischen Betreuer zur Seite gestellt bekommen und würden ihre<br />

Arbeit wieder aufnehmen können. Abby wollte wieder arbeiten, denn Tim hatte seinen<br />

<strong>Die</strong>nst, ebenso wie Tony, bereits wieder angetreten und Abby wurde alleine verrückt. Sie ver-<br />

brachte die Zeit zusammen mit Ziva, die wegen ihrer Verletzung noch nicht wieder arbeiten<br />

konnte, und mit den anderen Geretteten. Das Zusammensein spendete ihnen allen Trost. Sie<br />

redeten viel über Gibbs und Locke und gaben sich auf diese Weise gegenseitig Halt und<br />

Kraft. Sich nun wirklich bald trennen zu müssen, war für alle ein eigenartiges Gefühl.<br />

Ziemlich früh am kommenden Morgen standen die Verbliebenen in der Hotelhalle.<br />

House und Allison waren abreisefertig. Nur eine kleine Reistasche hatten sie bei sich. Das,<br />

was sie an Kleidung neu hatten kaufen müssen, um etwas zum Anziehen zu haben, hatten sie<br />

mit einem Kurier schon zum Airport bringen lassen. Bones und Booth, Abby und Ziva und<br />

auch Mulder und Dana hatten sich bereits verabschiedet. Sie zogen sich diskret zurück, um<br />

Kate und Sawyer den Abschied von den beiden Ärzten zu ermöglichen. Kate sah House an.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ihre Augen schwammen in Tränen. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Danke für alles drückt<br />

nicht annähernd aus, was ich empfinde. Ihr beide habt immer wieder so unermesslich viel für<br />

Sawyer und <strong>mich</strong> getan ... Ich weiß, du willst das nicht hören, House, aber ich werde dich<br />

immer lieben. Sei gut zu Allison, sie hat es verdient.“ Kate nahm den grantigen Arzt in die<br />

Arme und nach nur ganz kurzem Zögern erwiderte dieser die Umarmung herzlich.<br />

Währenddessen standen Allison und Sawyer zusammen. „Hätte mir das am Anfang<br />

jemand gesagt, ich hätte ihm nicht geglaubt. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich das je<br />

sagen würde. Du wirst mir schrecklich fehlen und ich werde in Princeton deine dummen<br />

Sprüche und Frechheit unglaublich vermissen. Du hast nicht nur den Südstaatenakzent, du<br />

hast auch die Südstaatennobles in dir ohne es zu wissen. Bei dir wäre jede Frau absolut sicher<br />

und in guten Händen. Deine Eltern wären stolz auf dich, ungeachtet dessen, was du angestellt<br />

hast. Ich bin jedenfalls stolz darauf, Kate und dich jetzt zu meinen besten Freunden zählen zu<br />

können.“ Sawyer hatte Allisons Worten verlegen gelauscht. Als die Immunologin jetzt anfing<br />

zu Weinen drückte Sawyer sie an sich und sagte dann mit belegter Stimme: „Wir sehen uns<br />

bald wieder. Lass dir von ihm nicht alles gefallen, Dr. Quinn. Wir melden uns bei euch,<br />

sobald wir uns eingelebt haben, versprochen.“ Er wandte sich an House und sagte leise: „Du<br />

hast mir so oft den Arsch gerettet in der kurzen Zeit, da bräuchten andere mehrere Lebens-<br />

zeiten für. Pass auf Allison auf und auch auf dich, Doc.“ <strong>Die</strong> beiden Männer sahen sich an<br />

und beide wussten, dass sie sich für den Rest ihres Lebens auf einander würden verlassen<br />

können.<br />

Am späten Nachmittag, nach einem sehr emotionalen Abschied von Mulder, Scully,<br />

Booth, Bones, Abby und Ziva, saßen Kate und Sawyer schließlich als Letzte aus der Gruppe<br />

selbst im Flieger. Sie hockten in den bequemen Sitzen der Business Class und hatten die<br />

Schuhe ausgezogen. Nach so vielen Monaten ausschließlich barfuß Laufens konnten ihre<br />

Füße sich nicht so schnell wieder an festes Schuhwerk gewöhnen. Selbst die Jeans und sogar<br />

die Blusen, bzw. Hemden wirkten noch einengend und ungewohnt. Sawyer war auffallend<br />

still. Zum einen quälte ihn die Wunde noch ab und zu und er hatte von den Ärzten im<br />

Bethesda die Order bekommen, sich in Santa Cruz sofort bei einem Arzt zu melden. Kate<br />

hatte daraufhin mit Sawyers Grandma telefoniert, die schon für den kommenden Tag einen<br />

Termin für Kate und Sawyer im örtlichen Dominican Hospital in Santa Cruz fest gemacht<br />

hatte. Zum anderen bedrückte Sawyer genau das, was er all die Jahre akribisch vermieden<br />

hatte: <strong>Die</strong> Trennung von Menschen, die ihm sehr viel bedeuteten. Kate hatte genau gespürt,<br />

wie schwer Sawyer die Verabschiedung gerade von Mulder fiel. Der FBI Agent war seit der<br />

Highschool Zeit der erste wirkliche Freund, den Sawyer zugelassen hatte. Sie hatte den Süd-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

staatler in Ruhe gelassen, Kate hatte mehr als gelernt, wann es besser war, ihn erst einmal<br />

nicht zu drängen. Sie hing ihren Gedanken nach, während das Flugzeug die Meilen fraß und<br />

sie Monterey immer näher brachte. Sie war mehr als gespannt, was die nächsten Monate<br />

bringen würden.<br />

*****<br />

12 Monate später<br />

Lass die Erinnerung uns nicht belasten mit dem Verdrusse, der vorüber ist.<br />

William Shakespeare<br />

Jake fuhr den Wagen in die Garage. Er war spät dran, es gab derzeit sehr viel zu tun.<br />

Sein Deputy hatte sich eine Woche frei genommen, weil seine Frau ein Baby bekommen<br />

hatte, und Jake schaffte es keinen Abend vor 20 Uhr zuhause zu sein. Heather hatte zwar Ver-<br />

ständnis, aber Jake ein deutlich schlechtes Gewissen. In zwei Wochen aber hatte er selbst ein<br />

paar Tage frei, dann würden Heather und er zusammen nach Washington fliegen, sie würden<br />

die Freunde wieder sehen, Gibbs und Locke besuchen, der FBI Agent Doggett war in seiner<br />

Geburtsstadt Atlanta beigesetzt worden. Jake und Heather freuten sich schon seit Wochen auf<br />

den Trip nach DC. Sie konnte es kaum erwarten, House, Allison, Sawyer und alle anderen<br />

wieder zu sehen. Das letzte Mal lag schon fast fünf Monate zurück, eine verflucht lange Zeit,<br />

wenn man sich vermisste.<br />

Jake eilte ins Haus und fand Heather in der Küche, bemüht, sein Abendessen nicht<br />

gänzlich verkochen zu lassen. „Hey, Süße. Es tut mir so leid. Morgen wird es nicht so spät ...“<br />

Heather lachte. „Ich weiß. Weil wir nämlich morgen wieder einen Termin bei Daniels haben.<br />

Und ich schwöre dir, mein Schatz, diesmal wirst du ihn nicht wieder versäumen.“ Sie gab<br />

Jake einen zärtlichen Kuss. Jake wurde rot. „Nein, ich verspreche es, diesmal kommt nichts<br />

dazwischen. Ich weiß ja, dass wir da hin müssen ...“ Heather und er hatten zufriedenstellende<br />

Fortschritte gemacht, ihr Therapeut war sehr zufrieden. Leider verpasste Jake immer wieder<br />

Termine, was Heather nicht unbedingt tolerierte. <strong>Die</strong>sen am kommenden Tag würde er ein-<br />

halten. Seit er vor vier Monaten das frei gewordene Amt des Sheriffs übernommen hatte,<br />

musste er insgesamt schon neun Termine absagen. Da er merkte, wie gut ihm und erst Recht<br />

Heather die Gespräche taten, war Jake darüber, immer wieder Absagen erteilen zu müssen,<br />

sehr unzufrieden. Er war gespannt, wie es den <strong>Anderen</strong> ergangen war. „Ich freue <strong>mich</strong> auf<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Washington, obwohl ich gar nicht daran denken mag, auf den Friedhof zu gehen und Gibbs<br />

und John zu Besuchen.“, erklärte Heather leise. „Geht mir genau so, Süße, kannst du mir<br />

gerne glauben. Übrigens, Mum und Dad kommen gleich, sie haben etwas für uns.“ Heather<br />

sah ihren Mann erstaunt an. „Was haben sie denn für uns?“ Jake zuckte die Schultern. „Das<br />

hat Mum am Telefon nicht gesagt. Lassen wir uns überraschen.“ Heather nickte. „Wo wir<br />

gerade bei <strong>Über</strong>raschungen sind ... Ich habe auch eine für dich.“ Jake sah Heather erstaunt an.<br />

„Was ist denn?“, fragte er neugierig. Heather strahlte. „Ich war heute bei Doktor Miles.“ Jake<br />

sah Heather fragend an. „Fühlst du dich nicht wohl? Warum hast du mir das nicht gesagt?“,<br />

fragte er besorgt und zog seine Frau an sich. „Nein, Schatz, keine Sorge, es geht mir gut. Wir<br />

können Mum und Dad nur sagen, dass sie sich langsam darauf vorbereiten sollen, Babysitting<br />

zu machen ...“<br />

*****<br />

House sah Foreman kalt an. „Halten Sie das für eine geeignete Methode, den Patienten<br />

zu Retten, Sie Trottel, oder wollen Sie ihrer Liste umgebrachter Patienten noch einen weiteren<br />

Namen hinzufügen?“ Eric Foreman dachte, wie schon so oft in den letzten Monaten, dass die<br />

Gefangenschaft seinen Chef keineswegs positiv beeinflusst hatte. Er öffnete den Mund, um<br />

eine harsche Erwiderung von sich zu geben, wurde aber unterbrochen. „Heulen Sie mir jetzt<br />

hier nicht die Ohren voll, sehen Sie zu, dass Sie ihren und den Hintern des Patienten<br />

schnellstens zum MRT schaffen. Und wenn ich Recht habe, was ich haben werde, werden Sie<br />

wie ein Schwachkopf aussehen und ich erneut glänzen.“ House wandte sich dem blonden<br />

jungen Arzt zu, der still zugehört hatte, wie Foreman zur Schnecke gemacht wurde. Ein etwas<br />

selbstzufriedenes Grinsen lag auf den Lippen Robert Chase’. House fuhr zu ihm herum. „Sie<br />

brauchen gar nicht so dümmlich vor sich hin zu Grinsen, Aussie. Ihre Differentialdiagnose ist<br />

genauso für den Arsch. Machen Sie ein komplettes Labor, Schwerpunkt Nieren und Leber.<br />

Und dann versuchen Sie, zu verhindern, dass Foreman den Mann doch noch umbringt.<br />

Cameron und ich sind am Montag wieder zurück, dann will ich Mr. Applegate lebend vor-<br />

finden, haben Sie Spatzenhirn das verstanden?“ Chase verzog genervt das Gesicht. „War ja<br />

nicht zu überhören.“ Er drehte sich, ebenso wie Foreman, wortlos herum und verschwand<br />

Richtung Station.<br />

Cameron hatte schweigend am Tisch gesessen und die Abfertigung der beiden<br />

Assistenzärzte beobachtet. Jetzt fragte sie ruhig: „Was ist eigentlich mit dir los? Du hast eine<br />

Laune in den letzten Tagen, da kann man es mit der Angst bekommen.“ House sah die junge<br />

Frau an und seine blauen Augen schauten sofort sanft und liebevoll. „<strong>Die</strong> Beiden können das<br />

ab. Wenn ich sie nicht rund mache, müsste ich dich anschnauzen, das wollen wir doch ver-<br />

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by Frauke Feind<br />

meiden.“ Cameron lachte. „Als ob ich <strong>mich</strong> von dir anschnauzen lassen würde, mein Schatz.<br />

Wir sollten zusehen, dass wir los kommen, sonst verpassen wir den Flieger. Ich freue <strong>mich</strong><br />

schrecklich auf die <strong>Anderen</strong>. Obwohl ... Naja, vielleicht hat Tony ja keine Zeit ...“ House<br />

grinste. „Vielleicht hat Ziva ihn ja auch inzwischen besser erzogen. Irgendwelche Qualitäten<br />

wird er haben, sonst hätte sie sich nicht in ihn verliebt.“ Allison sah House verliebt an. „So<br />

was ähnliches hat Chase neulich auch über dich gesagt ...“ House sah sich sichernd nach allen<br />

Seiten um, dann zog er Allison an sich. „Ist nicht wahr. Ich werde den Kerl feuern ...“, sagte<br />

er leise und küsste Allison leidenschaftlich. Dann sagte er genervt: „So, lass uns in drei<br />

Teufels Namen los, sonst verpassen wir das Flugzeug wirklich noch. Wie es Kate und Sawyer<br />

wohl ergangen ist ...“<br />

*****<br />

Von den Resten der Südtribüne aus hatte man einen hervorragenden Blick über die<br />

gesamte, riesige Ruine des Kolosseums. Der Besuch dieses einzigartigen Kulturdenkmals war<br />

der mehr als krönende Abschluss einer unvergesslichen Woche. Hier zu sitzen, in der warmen<br />

Abendsonne, und dieses wundervolle, selbst in diesem Zustand noch überwältigende Bauwerk<br />

zu sehen, war umwerfend. Kate kuschelte sich ganz eng an Sawyer und flüsterte ergriffen:<br />

„Weißt du, wie viele Menschen hier grausam gestorben sind?“ Sawyer hielt Kate sanft in<br />

seinen Armen. Ebenso leise erwiderte er: „Einige Historiker schätzen die Zahlen auf 300.000<br />

bis 500.000 Menschen und Millionen Tiere. Andere halten diese Zahlen für vollkommen<br />

überzogen. Wie auch immer, es waren sechsstellige Zahlen, da bin ich sicher.“ Sawyer<br />

schauerte leicht. Sicher schien zu sein, dass hier, an diesem Ort, mehr Blut vergossen worden<br />

war als an jedem anderen Ort der Erde von vergleichbarer Größe. Kate ließ ihre Blicke über<br />

die ellipsenförmige, fast fünfhundertdreißig Meter lange Arena gleiten und stellte sich vor,<br />

wie hier grausame Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen und besonders die extrem grausamen Hin-<br />

richtungen, damnatio ad bestias, bei denen die Verurteilten durch wilde Tiere zu Tode ge-<br />

bracht wurden, stattgefunden hatten. Wie viele Christen hier alleine gestorben waren.<br />

Leise sagte sie: „Was muss das für eine grausame Zeit gewesen sein ...“ Sawyer<br />

seufzte leise. „Man kann sich angesichts der täglich in den Medien verbreiteten Grausam-<br />

keiten und der Vernichtungsmechanismen, die unser Jahrhundert prägten, auch fragen, ob<br />

Norbert Elias und andere Soziologen recht hatten, wenn sie unsere Abscheu vor Gladiatoren-<br />

spielen im Sinne eines Fortschritts als Zivilisationserscheinungen werten. Richtiger dürfte<br />

wohl sein, die Grausamkeit als anthropologische Grundkonstante des Menschen zu werten,<br />

die durch unsere christliche Ethik von uns mit mehr oder weniger Erfolg verdrängt und durch<br />

mehr oder weniger mit Entrüstung getarnte Abscheu verschleiert wird. Denk doch nur einmal<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

daran, was wir erlebt haben. Sehr viel weniger grausam als dass, was damals von den Römern<br />

praktiziert wurde, ist das auch nicht gewesen.“ Kate sah zu Sawyer auf. Der Südstaatler hatte<br />

sich verändert in den letzten Monaten. <strong>Die</strong> Gefangenschaft hatte sie alle verändert. Allerdings<br />

war die Veränderung bei Kate und Sawyer besonders auffällig. Kate hatte noch immer die<br />

langen Locken, Sawyer noch immer die blonden Haare nackenlang, und auch der drei Tage<br />

Bart war noch vorhanden. Allerdings bekam Kate diesen nur noch an den Wochenenden oder<br />

wie jetzt, im Urlaub zu sehen. In der Uni, in der Kate und Sawyer hart daran arbeiteten, Ab-<br />

schlüsse in Jura zu bekommen, erschien der Südstaatler anständig rasiert und auch anständig<br />

gekleidet. Dank einiger Empfehlungsschreiben aus höchsten Kreisen hatten die Beiden un-<br />

mittelbar nach der <strong>Über</strong>siedlung nach Santa Cruz Zulassungen für die UCLA bekommen.<br />

Zuerst hatte man sie dort verlacht, doch schnell hatten die Beiden sich den Respekt und die<br />

Anerkennung durch die deutlich jüngeren Kommilitonen erarbeitet. Seither schufteten sie Tag<br />

für Tag, um den Juraabschluss zu bekommen. Wenn alles klappte, würden sie in zwei<br />

Monaten das erste Vordiplom erhalten.<br />

Kate stand jetzt langsam auf und zog Sawyer ebenfalls auf die Füße. „Wir sollten uns<br />

auf den Rückweg machen, sonst werden wir hier noch eingeschlossen.“ Sawyer grinste. „Ach,<br />

wäre das so schlecht? Man kann im Staub der Arena sicher noch andere Dinge machen, als<br />

nur zu Töten ...“ Kate schmunzelte. „Weißt du, Honey, diese Art Dinge verrichte ich lieber<br />

doch im Bett.“ Langsam, Arm in Arm, schlenderten sie dem Ausgang zu. Bevor sie das<br />

Amphitheater verließen meinte Sawyer, sinnierend auf einen schlichten, goldenen Ring an<br />

seinem linken Ringfinger schauend „Was die zuhause wohl sagen werden? Und morgen in<br />

Washington werden wir tierischen einen ausgeben müssen, Mrs. Ford, das ist dir doch wohl<br />

klar, oder?“ Kate schnurrte fast vor Zufriedenheit, als Sawyer sie jetzt an sich zog und küsste.<br />

„Ja, Mr. Ford, das ist mir klar. Wir werden uns den Kanal voll kippen müssen. Ich wette,<br />

Mulder wird uns den Kopf abreißen, dass wir das hier heimlich in Rom, statt in einer großen<br />

Feier zuhause gemacht haben.“ Sawyer grinste. „<strong>Die</strong> Feier werden wir aber nach holen, das ist<br />

klar. Da werden wir alle zusammen trommeln und bei Rose und Leo mit allen Freunden<br />

feiern. Ich freue <strong>mich</strong>, die ganze Bande morgen endlich wieder zu sehen. Das letzte Treffen<br />

ist viel zu lange her.“<br />

*****<br />

Bones grinste, als sie Booth’ Gesicht sah, der angewidert auf die von Maden über-<br />

zogene, stinkende Leiche starrte. „Männlich, um die 30, kaum länger als drei Tage tot. Eine<br />

Todesursache ist hier so unmöglich zu bestimmen. Bitte, Schatz, wenn du dich übergeben<br />

musst, mach es nicht hier, du zerstörst Spuren. Ich habe dich gewarnt. Aber du musstest ja<br />

555


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

unbedingt noch das Pesto löffelweise in dich hinein stopfen. Das ist nun einmal ein Dipp und<br />

nichts, um sich pfundweise den Bauch damit voll zu stopfen.“ „Danke Honey, jetzt ist mir erst<br />

richtig schlecht.“ Booth verzog das Gesicht noch mehr und wankte ein paar Schritte zurück.<br />

Er konnte alles vertragen, nur diesen süßlichen Verwesungsgestank nicht. Er würde nie ver-<br />

stehen, wie Bones und Camille das so vollkommen unbeeindruckt ertrugen. Aus sicherer Ent-<br />

fernung stellte er fest: „Ist dir klar, Baby, dass wir uns in weniger als zwei Stunden im Jaleo<br />

mit den Freunden treffen?“ Bones sah erstaunt auf. „Natürlich ist mir das klar, Booth.“ Sie<br />

hielt einen abgetrennten, verfaulenden Arm in den behandschuhten Händen und erklärte: „Der<br />

muss sehr vorsichtig gehandhabt werden, sonst zerfällt er noch weiter.“ Sie wandte sich<br />

wieder Booth zu. „Wo ist das Problem?“ Booth schüttelte den Kopf. „Das Problem bist du,<br />

Bones. Du stinkst bestialisch nach Leiche.“ Ehrlich erstaunt erhob Bones sich. Sie<br />

schnupperte an sich, aber da im Umkreis von mehreren Metern alles grässlich nach Ver-<br />

wesung stank, konnte sie nicht gezielt ausmachen, ob sie tatsächlich den Geruch so stark ver-<br />

strömte wie Booth behauptete.<br />

„Gut, ich werde hier ohnehin nicht mehr benötigt, es muss alles ins ...“ „Jeffersonian<br />

geschafft werden.“, vollendeten Camille und Booth wie aus einem Mund den Satz. Irritiert<br />

nickte Bones. „Ja, genau. Da muss es hin.“ Booth lachte vergnügt. „Komm schon, meine<br />

stinkende Schöne, ich werde dich zu Hause mit Zitronensaft schrubben ... Wieder mal.<br />

Vielleicht wird den <strong>Anderen</strong> dann nicht sofort schlecht, wenn du sie begrüßt.“ Bones kicherte<br />

nun ebenfalls. „Es hat nicht jeder so eine empfindliche Nase wie du. Aber du hast Recht, wir<br />

sollten uns auf den Weg machen. Cam, du passt auf, dass alles ordnungsgemäß ...“ „Nun ver-<br />

schwindet schon endlich, sonst kommt ihr noch zu spät. Seeley?“ „Camille?“ „Nenn <strong>mich</strong><br />

nicht Camille.“ „Dann nenn <strong>mich</strong> nicht immer Seeley. Was gibt’s denn?“ „Du stinkst eben-<br />

falls.“ Booth schnaufte. „Na, was für ein Wunder.“ Dann nahm er Bones bei der Hand und<br />

zog die Partnerin hinter sich her zum Wagen. „Ich fahre.“ Bones streckte die Hand nach dem<br />

Schlüssel aus. Booth grinste. „Du fährst nicht, wenn wir es eilig haben, mein Herz.“ Bones<br />

verdrehte die Augen. „Ich bin sehr gespannt, was Kate und Jim von Rom erzählen werden.<br />

Wir beide werden da irgendwann auch noch mal hin fliegen, Rom muss wundervoll sein.“<br />

Booth nickte. „Das werden wir. Ich möchte einiges in Europa sehen. Griechenland, einige<br />

Baudenkmäler in Deutschland, Schottland, Irland, es gibt so vieles, was es dort zu sehen<br />

gibt.“ Bones sah den Partner leicht verwirrt an. Dass er sich so für Europa begeisterte, über-<br />

raschte die Anthropologin doch ein wenig. „Es würde mir viel Spaß machen, dass alles einmal<br />

real zu sehen.“ „Erst einmal freue ich <strong>mich</strong> darauf, die Freunde wieder zu sehen.“<br />

*****<br />

556


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder hatte hinter einigen Müllcontainern Deckung gesucht. Auf der anderen<br />

Straßenseite machte Scully das Gleiche. Sie deutete hektisch auf einen schmalen Türdurch-<br />

gang einige Meter entfernt vor ihnen in dem Hinterhof. Mulder nickte und machte das Okay-<br />

Zeichen mit dem Daumen. Er gab sehr leise in ein Headset die Anweisung: „Links hinten in<br />

der Ecke, ein sehr schmaler Durchgang. Scully und ich können ihn im Auge behalten. Schickt<br />

eine Einheit von der anderen Seite. Ach, und beeilt euch, wir haben was vor.“ Kurze Zeit<br />

später waren Schüssen zu hören und dann hetzte eine vermummte Gestalt aus dem Durch-<br />

gang, genau auf Mulder und Scully zu. <strong>Die</strong> beiden Agents schossen aus ihrer Deckung hoch.<br />

Scully rief laut: „FBI. Bleiben Sie stehen oder wir machen von der Schusswaffe Gebrauch.“<br />

<strong>Die</strong> vermummte Gestalt blieb wie vom Donner gerührt stehen. Und dann kam bereits von<br />

Mulder der harte Befehl: „Auf den Bauch legen und die Hände in den Nacken, nun mach<br />

schon.“ Und der Vermummte gehorchte widerstandslos. Minuten später wurde er abgeführt<br />

und in das wartende Polizeifahrzeug gebracht. Mulder warf einen genervten Blick auf seine<br />

Armbanduhr. „Verflixt. Wir werden unter keinen Umständen noch einen Raum kriegen, das<br />

können wir vergessen.“ Sein Handy klingelte. „Mulder ...“ „Hey, Mulder, wo steckt ihr?“<br />

„Hallo, Ziva. Wir? In irgendeinen stinkenden Hinterhof in Manassas.“ „Na, was für ein<br />

großes Glück, dass wir den Raum im Jaleo gebucht haben, sonst würden wir uns vermutlich<br />

im nächsten McDonalds treffen müssen, was?“<br />

Mulder lachte erleichtert auf. „Ist nicht dein Ernst? Dafür bekommst du einen dicken<br />

Kuss.“ Scully konnte auch Mulders Worten entnehmen, dass Ziva die Buchung des Raumes<br />

vorgenommen hatte. Erleichtert seufzte die Agentin auf. Das wäre es gewesen: Sie waren für<br />

die Raumbuchung verantwortlich und schafften das nicht. Mulder verabschiedete sich gerade<br />

mit den Worten: „Wertgeschätzte Miss David, wir erlauben uns, Ihnen unsere Aufwartung in<br />

ein paar Stunden zu machen.“ Er lauschte auf die Antwort und lachte. „Okay, bis nachher.<br />

Wir freuen uns schon sehr.“ Er drückte das Gespräch weg und grinste erleichtert. „Ziva hat<br />

unseren Arsch gerettet, Dana. Sie hat den Raum reserviert. Wenn wir da jetzt angekommen<br />

wären, die hätten uns aus gelacht. So, dann lass uns mal zusehen, dass wir nach DC zurück<br />

kommen, es sind fünfzig Kilometer zu fahren und dass im Berufsverkehr.“ Er warf erneut<br />

einen Blick auf seine Uhr und meinte dann: „Es ist 16.15 Uhr, wir können uns freuen, wenn<br />

wir um 18 Uhr im Haus sind. Da müssen wir uns doch tatsächlich beeilen, um wenigstens<br />

rechtzeitig zu kommen.“ Er eilte, von Scully begleitet, zu ihrem <strong>Die</strong>nstwagen.<br />

Auf dem Heimweg, auf der Interstate 66, gab Mulder ein wenig mehr Gas. „Was Kate<br />

und Jimmy wohl von Rom erzählen werden. Ich beneide sie so sehr um die Reise. Wenn<br />

William alt genug ist, möchte ich ihm auch vieles in Europa zeigen. <strong>Die</strong> Kultur ist so viel<br />

älter und beeindruckender als unsere hier in den Staaten, ich wünsche mir, dass William dass<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

alles einmal live und in Farbe sehen kann.“ Scully sah gedankenvoll aus dem Fenster. Mulder<br />

nickte. „Ja, dafür werden wir uns viel Zeit nehmen, das alles ist zu umfangreich, um es in ein<br />

paar kurzen Urlaubswochen zu erleben. Aber bis es soweit ist, dass der Kleine das alles be-<br />

greift und schätzt, mein Schatz, wird es schon noch eine Weile dauern.“ „Das ist mir klar, und<br />

das ist gut so. Noch bin ich nicht bereit, alledem hier für sehr lange den Rücken zu kehren.“<br />

Sie schaute Mulder an. „Monica hat mir übrigens eine Mail geschickt. Sie lebt jetzt mit ihrem<br />

Verlobten in Dundee, Schottland, und arbeitet für New Scottland Yard und sie ist schwanger.<br />

Sie wird in vier Monaten Mutter.“<br />

*****<br />

Ziva kuschelte sich in Tonys Arme. „Dass ich das noch erleben darf, einen ge-<br />

meinsamen, freien Tag mit dir ...“ Tony schmunzelte. Es kam, abgesehen von den Wochen-<br />

enden oder Feiertagen, wirklich mehr als selten vor, dass Ziva und er einmal zusammen<br />

dienstfrei hatten. Aber heute hatte er bei Jenny darauf bestanden. Er hatte etwas besonders<br />

vor. Daher ließ er sich auch nicht auf eine lange Kuschelei ein. „Hör mal, Honey, ich habe<br />

eine <strong>Über</strong>raschung für dich, okay, dafür müssen wir aber ein klein wenig in Gange kommen.<br />

Daher, sieh zu, dass du deinen hübschen Hintern aus dem Bett hievst und dich anziehst.“ Ziva<br />

warf Tony einen mehr als fragenden Blick zu. „Das kommt auch nicht gerade häufig vor,<br />

mein Schatz, dass du <strong>mich</strong> aufforderst, <strong>mich</strong> anzuziehen.“ Sie rollte sich aus dem Bett und<br />

ging mit schwingenden Hüften Richtung Bad. Fast bereute Tony schon, sie gebeten zu haben,<br />

sich anzuziehen. Allerdings nur kurz, als seine Gedanken wieder zu der <strong>Über</strong>raschung, die er<br />

für Ziva hatte, drifteten. Etwas nervös stand der NCIS Agent ebenfalls auf und folgte der<br />

jungen Frau ins Bad. Ziva stand schon unter der Dusche und Tony spürte, wie ihm warm<br />

wurde. - Reiß dich zusammen, DiNozzo, dafür ist später Zeit. - dachte er und stellte sich zu<br />

Ziva unter den warmen Wasserstrahl.<br />

Zwanzig Minuten später saßen die Beiden im Auto. Tony steuerte den Wagen durch<br />

den starken Verkehr der Innenstadt, bis er die Massachusetts Avenue erreicht hatte. Auf dieser<br />

hielt er sich in nördlicher Richtung, bis Ziva schließlich frage: „Sag mal, wo wollen wir<br />

eigentlich hin?“ Tony grinste. „Das wirst du schon sehen.“ Kurze Zeit später hielt er am<br />

Straßenrand an und zog ein Tuch aus der Tasche, welches er Ziva reichte. „Hier Schätzchen,<br />

verbinde dir mal die Augen, sei so lieb.“ Knurrend tat Ziva, worum Tony sie gebeten hatte.<br />

<strong>Die</strong> Fahrt dauerte nur noch kurze Zeit, dann hielt der Wagen erneut und Ziva hörte, wie die<br />

Tür auf ihrer Seite geöffnet wurde. „Komm, ich helfe dir.“ Tony griff sanft nach Zivas<br />

Händen und half der jungen Frau vorsichtig aus dem Wagen. Sie fühlte, wie er sorgsam einen<br />

Arm um ihre schlanke Taille legte, dann führte er die Agentin ein kleines Stück einen mit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

etwas unebenen Steinen belegten Weg entlang. Schließlich hielt er sie an. „So, Miss David,<br />

bist du bereit?“ Ziva nickte. „Nun binde <strong>mich</strong> nicht so lange auf die Folter.“ Tony lachte un-<br />

sicher. „Ich habe nur Angst, dass du <strong>mich</strong> gleich folterst, Baby.“, sagte er unsicher, dann aber<br />

löste er die Augenbinde. Ziva blinzelte ins Sonnenlicht. Sie standen vor einen wunderschönen<br />

Haus und Tony zappelte hochgradig nervös neben ihr herum.<br />

Zwei Stunden später saßen sie wieder im Wagen und fuhren der City entgegen. „Der<br />

weite Fahrweg ist zwar ein klein wenig unangenehm, aber wir werden es überleben. Und alles<br />

andere ist wunderbar. Tony, das ist das schönste Haus, was ich je gesehen habe. Ich kann es<br />

nicht erwarten, dort einzuziehen. Zur Einweihung müssen alle kommen. Da ist ja so viel<br />

Platz, wir bringen alle im Hause unter. Ich fasse nicht, dass du das alles hinter meinem<br />

Rücken organisiert hast. Ich lasse nach.“ Sie lachte. Und dann fiel ihr siedenheiß ein: „Ich<br />

wollte im Jaleo angerufen haben, ob Mulder daran gedacht hat, den Raum zu buchen.“ Hastig<br />

zog sie ihr Handy aus der Jacke und suchte im Telefonregister die extra gespeicherte Telefon-<br />

nummer des fünf Sterne Restaurants heraus. „Guten Tag, mein Name ist David, NCIS, ein<br />

Freund wollte den Senatorenraum für heute Abend buchen, hat das geklappt?“ Der An-<br />

gestellte sah in seiner Liste nach. „Nein, Ma’am, der Raum ist nicht gebucht, aber es wenn Sie<br />

ihn für heute Abend brauchen, müsste ...“ Ziva schüttelte grinsend den Kopf. Dann unterbrach<br />

sie den Mann „Buchen Sie ihn bitte fest für achtzehn Personen, auf den Namen David. 19<br />

Uhr. Haben Sie vielen Dank.“ Ziva drückte das Gespräch weg und wählte stattdessen Mulders<br />

Nummer. Als der Freund sich meldete, erwiderte Ziva: „Hey, Mulder, wo steckt ihr?“<br />

*****<br />

Tim schloss mit Schwung den Deckel der Waschmaschine. Er grinste still vor sich hin.<br />

Wenn Tony wüsste, dass er Hausdienst hatte, würde der Kollege wieder nicht mit dummen<br />

Kommentaren sparen. Aber Abby hatte so viel zu tun, seit sie die Lehrtätigkeit in Quantico<br />

übernommen hatte, dass ihr für den Haushalt kaum Zeit blieb. Gerade kam die quirlige junge<br />

Frau ins Zimmer. Gegenüber früher war sie nicht wieder zu erkennen. Als man ihr vor sechs<br />

Monaten das Lehramt angeboten hatte, war die Bedingung daran verknüpft, die Wahl der<br />

Berufskleidung dem FBI Standard anzupassen. Das viele Geld und der interessante Job hatten<br />

Abby schließlich davon überzeugt, sich von einem Großteil ihrer bizarren Kleidung zu<br />

trennen. Stattdessen hingen nun schlichte, elegante Hosenanzüge und Kostüme in dem großen<br />

Kleiderschrank und an Stelle der vielen Plateau Schuhe standen elegante Pumps und<br />

ähnliches im Schuhschrank. Abbys Haare waren zu einer modischen Steckfrisur gestylt und<br />

sie war dezent geschminkt. „Baby, ich muss los, wir treffen uns heute Abend im Jaleo, ich<br />

muss es einfach bis 19 Uhr schaffen. Pass auf dich auf. Und hole bitte die drei Hosen von der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Reinigung, okay? Ich liebe dich.“ Sie gab Tim einen zärtlichen Kuss, dann wollte sie los<br />

hetzen. „Hey, denk daran, auf der 95 ist ab heute die riesige Baustelle, nimm lieber den<br />

Jefferson Davis Highway. Ich liebe dich auch, bis heute Abend.“<br />

Auf dem Weg zur Arbeit dachte Abby darüber nach, was sich in den vergangenen<br />

zwölf Monaten getan hatte. Schon nach kurzer Zeit hatte sie gemerkt, dass sie es beim NCIS<br />

nicht mehr aus hielt. Sie hatte sich bemüht, wirklich. Sie hatte die Therapiesitzungen besucht,<br />

zusammen mit Ziva. Sie hatte den neuen Gruppenleiter, einen gewissen Henry Lintock, zu<br />

akzeptieren versucht. Aber schnell merkte sie, dass es nicht ging. Ohne Gibbs war die Arbeit<br />

nicht mehr die Gleiche. Und ihr war klar, dass sie erst einmal Abstand brauchte, um alles zu<br />

überwinden. So ließ sie sich von Jenny beurlauben und nahm das Lehramt in Quantico an,<br />

nachdem sie die Sache gründlich mit Tim durchgesprochen hatte. Ihr Verlobter hatte Ver-<br />

ständnis dafür, zumal er selbst mit dem Verlust Gibbs’ zu kämpfen hatte. So fuhr Abby nun<br />

also seit sechs Monaten jeden Morgen nach Quantico und unterrichtete kriminologische<br />

Labortechnik. Der Job machte ihr viel Freude, auch wenn es ziemlich stressig war. Aber sie<br />

hatte geregelte Arbeitszeiten und freie Wochenenden, die sie mit Tim und Ziva und Tony,<br />

häufig auch mit Mulder und Dana oder Bones und Booth verbrachten. Immer wieder stellten<br />

sie alle fest, wie sehr ihnen House und Allison, Sawyer und Kate und Heather und Jake<br />

fehlten. Aber heute Abend würden sie sie wieder sehen. <strong>Die</strong> Freunde blieben volle vier Tage<br />

in DC und es würden tolle Tage werden. Bis auf den Besuch auf dem Arlington. Abby<br />

schluckte. Sie glaubte nicht an tote Körper, da war sie wie Bones. Aber zu Gibbs und Locke<br />

an die Gräber zu gehen würde ihr alle Kraft abfordern. Energisch verdrängte Abby den Ge-<br />

danken und konzentrierte sich auf die Vorfreude, die Freunde wieder in die Arme schließen<br />

zu können.<br />

*****<br />

Sara eilte in Richtung Gils Büro. Ein kurzer Blick sagte ihr, dass der Partner nicht an-<br />

wesend war. „Verdammt ...“ Sara sah sich suchend um. Im Labor war zurzeit nur David<br />

Hodges. <strong>Die</strong> junge Frau verdrehte genervt die Augen. Dann senkte sie ergaben den Kopf und<br />

öffnete die Tür zum Labor. „Hey, Hodges, wissen Sie, wo Grissom steckt?“ Der exzentrische,<br />

selbstverliebte Laborant hob träge den Kopf. „Sara, welch netter Besuch ... Nun, Dr. Grissom<br />

beliebt mir nicht mitzuteilen, wohin er sich wendet, wenn er sein Büro verlässt.“ Sara stöhnte<br />

innerlich. „Okay, Hodges, Sie wissen es also nicht.“ Der Laborant grinste schmierig. „Das<br />

habe ich nicht gesagt. Da Dr. Grissom seine Aufzeichnungen über die Bienenstöcke in der<br />

Hand hatte, als er davon eilte, könnte man durchaus Rückschlüsse ziehen, dass er auf dem<br />

Weg zum Gewächshaus ist, um ...“ Sara unterbrach Hodges. „Danke, Hodges, ich werde ...“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sie vollendete den Satz nicht, sondern ließ den Laboranten stehen und eilte zum Fahrstuhl. -<br />

<strong>Die</strong>ser Kerl hört sich selbst am liebsten zu. - dachte die Ermittlerin grinsend.<br />

Sie drückte auf die Erdgeschosstaste und eilte Minuten später bereits über den Hinter-<br />

hof zu den Außengebäuden. Durch die Scheiben des Gewächshauses 2 konnte sie eine ver-<br />

mummte Gestalt erkennen. Sara öffnete die Tür zur Schleuse und schlüpfte in einen der bereit<br />

liegenden Schutzanzüge. Dann betrat sie vorsichtig das Gewächshaus. Gil hörte sie kommen<br />

und drehte sich zu ihr herum. „Sara. Sieh dir nur diese wundervollen Tierchen an. Sie waren<br />

in den letzten Tagen sehr fleißig. Es sind Unmengen Eier dazu gekommen.“ Sara grinste.<br />

„Warum nur hast du keine Angst, dass die ... wundervollen Tierchen dich stechen?“, fragte sie<br />

Gil, als sie sah, dass er keine Schutzhandschuhe trug. Dann fiel ihr Blick auf tote Bienen am<br />

Eingang des einen Bienenstockes. „Was ist mit denen? Hat das was mit dem Bienensterben zu<br />

tun?“, fragte sie neugierig. „Das sind Drohnen, Sara, männliche Bienen, die aus unbe-<br />

fruchteten Eiern schlüpften. Sie begleiteten die Königin, befruchteten diese und wurden dann<br />

von den Wächterbienen am Eingang des Stockes abgewehrt und getötet.“ Sara hörte<br />

interessiert zu. Gil hielt eine der Waben in der Hand und diese wimmelte von Arbeiterbienen.<br />

Mit einer Hand streifte er Sara vorsichtig einen Handschuh aus und zog ihre Hand sanft zu<br />

den kleinen Tierchen hin. Schnell saßen drei, vier der Bienen auf ihrer Hand und krabbelten<br />

friedlich auf ihr herum. Sara sah Gil überrascht an. „Du musst einfach nur aufpassen, dass du<br />

die Tiere nicht bedrängst. Siehst du, sie sind ganz friedlich.“ Gil lächelte Sara unter der<br />

Schutzkappe hervor sanft an.<br />

Plötzlich und vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen meinte er beiläufig: „Wir<br />

sollten heiraten.“ Sara starrte ihn mit offenem Mund an. „Was?“ Gil wiederholte langsam:<br />

„Wir sollten heiraten, was meinst du?“ „Wie ... Das ist eine ... Ich ...“ Verwirrt und fassungs-<br />

los stammelte Sara herum. „Jetzt in Washington? Mit den Freunden zusammen? Was meinst<br />

du? Und später hier eine kleine Feier?“ Sara kicherte leicht hysterisch. „Wie? Das wäre ... Ich<br />

bin ganz ... Gil ...“ Sie stotterte herum. „Ich ... Eigentlich wollte ich nur Bescheid sagen, dass<br />

es langsam Zeit wird ... Gil, das das ist ... Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Gil<br />

schmunzelte. „Nun, JA wäre für den Anfang schon eine gute Idee.“ Sara lachte. „JA!“ <strong>Die</strong><br />

beiden beugten sich zu einander, um sich zu küssen und prallten mit den Schutzanzügen an-<br />

einander. „Draußen.“, meinte Gil lakonisch. Er stopfte die Wabe zurück in den Stock und<br />

griff dann nach Saras Hand. Sie hinter sich her ziehend verließ er die Halle und als sie sich in<br />

der Schleuse ihrer Schutzanzüge entledigt hatten, zog Gil Sara an sich und sagte: „Sara Sidle,<br />

ich liebe dich, willst du meine Frau werden?“ Und jetzt konnte Sara sinnvoll antworten. „Ja,<br />

das will ich.“ „Dann werden wir in Washington heiraten. Kate und Allison sollen deine Braut-<br />

jungfern sein.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Beth fragte genervt: „Kannst du mir mal verraten, wie wir das alles noch schaffen<br />

sollen? Der Flug geht um 9.20 Uhr. Wir fahren eine Stunde zum Flughafen. Jetzt ist es 6.30<br />

Uhr und du willst noch bei Josef vorbei, nur, weil der Spinner wieder mal in Schwierigkeiten<br />

steckt? Er kommt sonst auch alleine klar, und ich will den Flug auf keinem Fall verpassen.<br />

Was solltest du denn heute in der Frühe wohl groß für ihn tun können? Nichts, was nicht noch<br />

bis Montag warten könnte, oder? Also, sieh endlich zu, dass du deine Tasche gepackt be-<br />

kommst.“ Mick stand da und starrte Beth erstaunt an. Er war es ja gewohnt, dass sie nicht<br />

nach drei Worten den Mund schloss, aber ein solcher Redeschwall überraschte selbst den<br />

Vampir. „Liebes ...“ Beth war nicht in der Stimmung, zuzuhören. „Nein, Mick, diesmal nicht.<br />

Josef hat uns schon einmal zu oft dazwischen gefunkt. Ich sehe nicht ein, dass wir den Flug<br />

verpassen, nur, weil dein notgeiler Kumpel wieder Zoff mit einer seiner Freshies hat oder ...“<br />

Mick reichte es jetzt. Er trat auf Beth zu und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Als er<br />

sie los ließ, musste die blonde Frau erst einmal tief durch atmen. Und diese Zeit nutzte Mick,<br />

ihr zu erklären: „Er schuldet mir Geld, das wir in DC gut brauchen können. Ich möchte ein-<br />

fach nur die Bucks abholen, verstehst du? Wir kommen fast an seinem Büro vorbei, das ist ein<br />

Umweg von zehn Minuten, und dafür bekommen wir fast 20.000 Dollar.“ Beth wurde rot.<br />

„Oh.“, machte sie. „Lass uns zu Ende packen, okay.“ Mick grinste und Beth entfuhr ein<br />

weiteres: „Oh.“<br />

Als sie später nebeneinander im Flugzeug saßen, meinte Mick ruhig: „Ich habe das<br />

Gefühl, wir werden ein paar aufregende Neuigkeiten zu Hören bekommen.“ Beth wusste aus<br />

Erfahrung, dass Mick sein Gefühl selten trog. „Etwas negatives, oder etwas positives?“, fragte<br />

sie nach. Mick sah versonnen aus dem Fenster. „Eher positiv, glaube ich, naja, seit dem<br />

letzten Besuch wird sich sicher einiges getan haben. Lassen wir uns überraschen. Ich freue<br />

<strong>mich</strong> jedenfalls auf ein paar unbeschwerte Tage in DC und hoffe, Tim kommt nicht doch noch<br />

dahinter, dass bei mir nicht alles so ist, wie es sein sollte. Letztes Mal hat er schon ziemlich<br />

gezielte Fragen gestellt. Tony ist zum Glück nicht annähernd so aufmerksam. Der würde es<br />

nicht mal merken, wenn ich <strong>mich</strong> vor ihm verwandeln würde. Er würde dann nur sehr intensiv<br />

von ‘Tanz der Vampire‘ erzählen, oder von ‘Bram Stokers Dracula‘ oder von sonst einem<br />

Vampirfilm. Vermutlich kennt er auch diese neue Serie, wie hieß sie gleich ...“ Mick kam<br />

nicht auf den Namen der Serie, aber Beth fiel er ein. Lachend meinte sie: „Moonlight. Der<br />

Hauptdarsteller ist übrigens sehr attraktiv.“ Mick sah zu seiner Lebensgefährtin hinüber. „So?<br />

Findest du? Das werde ich mir merken, Miss Turner.“ Beth ließ sich gemütlich in den Sitz<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zurück rutschen. „Ich freue <strong>mich</strong> jedenfalls sehr, alle wieder zu sehen. Wir werden ein paar<br />

wundervolle Tage zusammen verbringen. Davon bin ich überzeugt.“<br />

Finis coronat opus<br />

Psychologisches Gutachten<br />

Auftraggeber: Staatsanwaltschaft Los Angeles<br />

Begutachtete Personen:<br />

Katherine Austen<br />

Seeley Booth<br />

Dr. Temperance Brennan<br />

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Dr. Allison Cameron<br />

Ziva David<br />

James Ford<br />

Heather Green, geborene Lisinski<br />

Johnston Jacob Green<br />

Dr. Gilbert Grissom<br />

Dr. Gregory House<br />

Abigail Sciuto<br />

Dr. Dana Catherine Scully<br />

Sara Sidle<br />

Fox William Mulder<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gutachterin: Dipl. Psych. Jade McGuire<br />

Untersuchungsanlass und Fragestellung<br />

564<br />

Datum: 30. Oktober 2008<br />

<strong>Die</strong> Staatsanwaltschaft Los Angeles beauftragte <strong>mich</strong> im Rahmen des Strafprozesses gegen<br />

die Entführer des Qantas Fluges 815 vom 11.11.2007, Sydney, Australien nach Los Angeles,<br />

als psychologische Sachverständige zu beurteilen, in wieweit die Entführung und Gefangen-<br />

schaft die <strong>Über</strong>lebenden beeinflusst hat.<br />

Vorgeschichte<br />

Am 11. November 2007 wurden die untersuchten Personen auf ihrem Flug von Sydney nach<br />

Los Angeles entführt. <strong>Die</strong> folgenden Monate bis zu ihrer Befreiung am 30.April 2008 ver-<br />

brachten sie in der Hand ihrer Entführer. Während der ersten Monate wurden die Gefangenen<br />

ihren Aussagen nach verschiedenen medizinischen, physischen und psychologischen Tests<br />

unterworfen und streng diszipliniert.<br />

Das Ziel der Entführer bestand darin, den Willen ihrer Gefangenen zu brechen und ihren Ge-<br />

horsam zu sichern. Um dies zu gewährleisten griffen sie zu drastischen Mitteln. <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen wurden gezielt gedemütigt. Sie waren die meiste Zeit über nur spärlich und


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

streckenweise gar nicht bekleidet, sie wurden gezwungen, sehr persönliche Gedanken und<br />

Erlebnisse öffentlich mitzuteilen und mussten ihre Entführer mit Sir oder Ma‘am ansprechen.<br />

Bei einem Verstoß gegen die Regeln wurde entweder der betreffende selbst oder deren<br />

Partner oder Partnerin von den Entführern abgestraft und nicht selten verletzt. Zu den<br />

Sanktionen gehörten beispielsweise Stromschläge oder ein mehrtägiges Einsperren in die so<br />

genannte camera silens, eine enge, licht- und schallundurchlässige Kammer.<br />

In den letzten Monaten ihrer Gefangenschaft wurden die Gefangenen einem harten und oft<br />

gefährlichen Training unterzogen.<br />

Psychologische Fragestellung<br />

Um die Frage der Staatsanwaltschaft sinnvoll beantworten zu können, muss sie zunächst<br />

konkretisiert werden. Konkret lautet die Fragestellung, ob die oben genannten Personen durch<br />

die Gefangenschaft psychische Störungen entwickelt haben, die zuvor nicht bestanden.<br />

Außergewöhnliche Belastungen können verschiedene Störungen zur Folge haben. Ein Groß-<br />

teil der Opfer von Bedrohung und Gewalt zeigt eine akute Belastungsreaktion und/oder eine<br />

posttraumatische Belastungsstörung.<br />

<strong>Die</strong> Abgrenzung dieser beiden Störungen ist in der psychologischen Fachliteratur nicht ein-<br />

deutig. Laut ICD-10 setzt eine akute Belastungsreaktion Minuten oder Stunden nach dem be-<br />

lastenden Ereignis ein und hält höchstens drei Tage an, wohingegen eine posttraumatische<br />

Belastungsstörung erst nach Wochen oder Monaten einsetzt und Monate bis viele Jahre an-<br />

hält. Laut DSM-4 ist eine Belastungsstörung auch dann noch eine akute Belastungsreaktion,<br />

wenn sie bis zu 28 Tage anhält. Eine Belastungsstörung, die länger als 28 Tage anhält wird als<br />

posttraumatische Belastungsstörung klassifiziert. Für das vorliegende Gutachten stütze ich<br />

<strong>mich</strong> auf die DSM Kriterien.<br />

<strong>Die</strong> Symptome einer akuten Belastungsreaktion und einer posttraumatischen Belastungs-<br />

störung sind weitgehend identisch. Es kommt bei beiden Störungen zu einem widerholten<br />

Wiedererleben der belastenden Situation in Form von quälenden Gedanken oder Albträumen.<br />

Häufig zeigen die Opfer ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten gegenüber Reizen, die sie an<br />

das traumatische Erlebnis erinnern. Viele Opfer erleben Schlafstörungen, Reizbarkeit,<br />

Konzentrationsstörungen, erhöhte Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit. Viele Opfer<br />

traumatischer Erlebnisse zeigen gerade in den ersten Wochen nach dem belastenden Ereignis<br />

sozialen Rückzug, eingeschränkte Affektivität und ein vermindertes Interesse an Aktivitäten.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Häufig entwickeln Opfer traumatischer Erlebnisse auch andere psychische Störungen.<br />

Besonders Depressionen und Substanzmissbrauch sind häufig zu beobachten.<br />

Untersuchungsmethoden<br />

<strong>Die</strong>ses Gutachten beruht auf je drei einstündigen Gesprächen mit jedem der begutachten<br />

Personen über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach ihrer Befreiung.<br />

Untersuchungsergebnisse<br />

<strong>Die</strong> Reaktionen der vierzehn überlebenden Gefangenen auf die Entführungserfahrung waren<br />

sehr unterschiedlich. Das ist aufgrund der Heterogenität der Gruppe nicht verwunderlich. Zu<br />

der Gruppe gehören Zivilisten, die in ihrem Leben zum Teil noch nie Gewalt erfahren haben,<br />

und Bundesagenten und ehemalige Militärangehörige, die schon viele Male mit Gewalt und<br />

lebensbedrohlichen Situation konfrontiert wurden. Auch in Bezug auf Persönlichkeitsmerk-<br />

male unterscheidet die Gruppe sich stark. Einige der untersuchten Personen waren schon vor<br />

der Entführung psychisch auffällig, während andere unauffällig und angepasst waren.<br />

Katherine Austen<br />

Katherine Austen machte während der Gespräche einen wachsamen Eindruck, verhielt sich<br />

aber freundlich und kooperativ.<br />

Miss Austen zeigte in den ersten Tagen nach ihrer Befreiung Anzeichen einer akuten Be-<br />

lastungsreaktion. Sie berichtet, sie habe die volle Tragweite des Erlebten erst vollständig<br />

realisiert, als feststand, dass ihr Lebensgefährte James Ford, der bei der Befreiung lebens-<br />

gefährlich verletzt worden war, sich von seinen Verletzungen erholen würde. Sie berichtet,<br />

sie sei „völlig zusammengebrochen“, nachdem es Mr. Ford besser ging. In den folgenden<br />

Tagen sei sie sehr schreckhaft gewesen und habe häufig Albträume gehabt. Nach einigen<br />

Tagen ging es ihr sichtlich besser. Von der Entführungserfahrung hat Miss Austen jedoch eine<br />

verstärkte Wachsamkeit zurückbehalten. Miss Austen ist es gewohnt, auf der Hut zu sein. Sie<br />

und ihre Mutter wurden Jahre lang von ihrem Stiefvater misshandelt. <strong>Die</strong> letzten Jahre hat<br />

Kate Austen auf der Flucht vor der Polizei verbracht. Sie ist ein wachsamer und vorsichtiger<br />

Mensch und tut sich schwer, Menschen zu vertrauen. <strong>Die</strong> Entführungserfahrung hat diese<br />

Tendenz noch verstärkt. Miss Austen wird vermutlich noch eine ganze Weile brauchen, bis<br />

unbekannte Geräusche und plötzliche Bewegungen sie nicht mehr erschrecken. Miss Austen<br />

566


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hat jedoch im Laufe ihrer Gefangenschaft gelernt, Hilfe anzunehmen und sich Menschen zu<br />

öffnen, die sich als vertrauenswürdig erwiesen haben. Das ist eine viel versprechende Aus-<br />

gangsbasis für eine erfolgreiche Therapie.<br />

Seeley Booth<br />

Special Agent Seeley Booth verhielt sich während der Gespräche sehr reserviert. Es war ihm<br />

offensichtlich unangenehm, mit einer Psychologin über das Erlebte zu sprechen. Auch Agent<br />

Booth neigt dazu, seine Gefühle für sich zu behalten. In den ersten Wochen versuchte er zum<br />

Alltag zurückzukehren. Nach einiger Zeit hatte er jedoch immer häufiger Albträume, die<br />

meistens vom Tod seiner Partnerin handelten. Agent Booth gehört zu denjenigen unter den<br />

Gefangenen, die mit den körperlichen Misshandlungen und der permanenten Lebensgefahr,<br />

in der sich die Entführten befanden, am besten zurechtkommt, da diese Erfahrungen für ihn<br />

als FBI Agent und ehemaliger Armyangehörigen nicht neu sind. Wie viele seiner Mit-<br />

gefangenen leidet Agent Booth mehr unter dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit<br />

während der Gefangenschaft. Es macht ihm stark zu schaffen, dass er keine Möglichkeit hatte<br />

sich und vor allem seine Partnerin zu schützen. Agent Booth versucht das erlebte Ohnmachts-<br />

gefühl zu kompensieren, indem er sich in Beruf und Privatleben noch mehr bemüht, von ihm<br />

als schwächer empfundene Personen zu schützen. Er zeigt seinem Sohn und seinen Kollegen<br />

gegenüber ein überbesorgtes und kontrollierendes Verhalten, was zu häufigen Konflikten mit<br />

Dr. Brennan führt. Agent Booth gehört zu den Personen, auf die die während der Gefangen-<br />

schaft erfahrene Entmündigung besonders große Auswirkungen hat. <strong>Die</strong> Gefangenen hatten<br />

kaum Entscheidungsfreiheit, sondern hatten zu tun, was ihnen befohlen wurde. <strong>Die</strong>se<br />

Situation kannte Agent Booth bedingt aus seiner Militärzeit. Er ist es gewohnt, Befehle zu<br />

befolgen, weswegen er besonders empfänglich für den Drill der Entführer war. Ihm fällt es<br />

immer noch schwer, Alltagsentscheidungen selbständig zu treffen und dieses Problem wird<br />

vermutlich noch einige Monate bestehen.<br />

Temperance Brennan<br />

Dr. Temperance Brennan verhielt sich im Gespräch höflich und kooperativ, zeigte aber eine<br />

starke Tendenz, das Erlebte und ihre eigenen Reaktionen darauf rationalisieren zu wollen. Dr.<br />

Brennan zeigt Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dr. Brennan empfindet<br />

ein ständiges Gefühl der Bedrohung, was in ihr eine unterschwellige Wut auslöst. Sie ist es<br />

gewohnt ihr Leben zu kontrollieren und es hat ihr schwer zu schaffen gemacht, dass sie diese<br />

Möglichkeit in den letzten Monaten nicht hatte. Dr. Brennan versucht nun mit aller Gewalt<br />

diese Kontrolle zurück zu gewinnen. Sie verlässt ihre Wohnung nie ohne Waffe und entgegen<br />

567


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihrer sonstigen Art kontrolliert sie ihre Mitarbeiter stark. Dr. Brennans größtes Problem ist der<br />

Umgang mit ihren eigenen Gefühlen. Sie ist ein sehr rationaler Mensch und ist es nicht ge-<br />

wohnt Gefühle zuzulassen. Es fällt ihr schwer, die Wut, die die Entführungssituation in ihr<br />

ausgelöst hat offen zu zeigen. Sie wird erst in der Lage sein die Erfahrung zu verarbeiten,<br />

wenn es ihr gelingt ihre Gefühle ungefiltert auszuleben statt sie zu rationalisieren.<br />

Allison Cameron<br />

Dr. Cameron war in allen Gesprächen offen, freundlich und kooperativ. In den ersten Wochen<br />

nach ihrer Befreiung zeigten sich bei ihr starke Anzeichen einer akuten Belastungsreaktion.<br />

Sie berichtet, sie habe unter Albträumen gelitten und Panikattacken erlebt, wenn sie ein un-<br />

bekanntes Geräusch oder eine plötzliche Bewegung wahrnahm. Dr. Cameron war unfähig, in<br />

einem komplett dunklen Raum zu schlafen und entwickelte eine starke Klaustrophobie. Dr.<br />

Cameron hatte – anders als viele ihrer Mitgefangenen – vor ihrer Entführung keine Er-<br />

fahrungen mit physischer Gewalt. Aus diesem Grund war die Belastungsreaktion bei ihr be-<br />

sonders stark ausgeprägt. Nach einigen Wochen klangen die Symptome jedoch nach und nach<br />

ab. Dr. Cameron ist ein sehr offener Mensch und hat keine Probleme damit, Gefühle zu<br />

zeigen. Dadurch war ihre posttraumatische Reaktion intensiv, aber vergleichsweise kurz. Bis<br />

auf die Klaustrophobie, die nach wie vor besteht, sind bei Dr. Cameron keine Langzeit-<br />

schäden durch die Entführung zu vermuten.<br />

Ziva David<br />

Ziva David zeigte sich im Gespräch misstrauisch und reserviert. Im Laufe der Gespräche<br />

zeigte sich, dass die ehemalige Mossad-Agentin schon als Kind zu Wachsamkeit erzogen<br />

wurde. In den vier Jahren, seit sie ihren <strong>Die</strong>nst beim Naval Criminal Investigative Service<br />

angetreten hat, hat sie ihre misstrauische Grundhaltung nach und nach aufgegeben. <strong>Die</strong> Ent-<br />

führungserfahrung hat zu deutlichen Rückschritten bei dieser positiven Entwicklung geführt.<br />

Officer David ist laut Aussagen ihrer Kollegen noch misstrauischer und reizbarer als zu<br />

Beginn ihrer Arbeit beim NCIS. Es kam wiederholt zu tätlichen Angriffen von Officer David<br />

auf Kollegen und Verdächtige, weil Officer David harmlose Gesten als Angriffe fehlinter-<br />

pretierte. Als Beispiel sei hier ein Vorfall genannt, bei dem Officer David ihrem Kollegen<br />

Anthony DiNozzo die Schulter ausgekugelt hat, nachdem er sich von hinten über sie gebeugt<br />

und ihr die Hand auf die Schulter gelegt hatte, während sie an ihrem Schreibtisch saß. Später<br />

zu dem Vorfall befragt gab Officer David an, dass sie ihren Kollegen zunächst nicht erkannt<br />

habe und bezeichnete ihr Verhalten als Reflex. Ziva David wurde daraufhin auf Empfehlung<br />

des psychologischen <strong>Die</strong>nstes des NCIS für zwei Monate beurlaubt.<br />

568


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wie ihre Mitgefangenen berichtet auch Officer David, dass sie in den ersten Tagen nach ihrer<br />

Befreiung Schwierigkeiten gehabt habe, eigenständig zu denken und zu handeln. Laut Aus-<br />

sage ihres behandelnden Arztes und mehrerer Krankenschwestern in dem Krankenhaus, in<br />

dem Officer David nach ihrer Befreiung eine Woche behandelt wurde, sprach Officer David<br />

nur, wenn sie angesprochen wurde. <strong>Die</strong>ses Verhalten entspricht in keiner Weise ihrer Grund-<br />

persönlichkeit. Aus diesem Grund begann Officer David bald sich gegen die Konditionierung<br />

durch ihre Entführer zu wehren und exzessiv auf ihren Recht auf freie Endscheidungen zu<br />

bestehen. Officer David akzeptiert auch bei Kleinigkeiten nicht, dass ein anderer ihr die Ent-<br />

scheidung abnimmt. <strong>Die</strong> Befehle ihres neuen Vorgesetzten akzeptiert Ziva David nur wider-<br />

willig. <strong>Die</strong>se Haltung führt zu häufigen Konflikten mit ihren Vorgesetzten. Officer David<br />

überkompensiert zurzeit die Beschränkungen, die ihr während der Gefangenschaft auferlegt<br />

wurden. Das ist ihre Art mit dem Erlebten umzugehen. Sie wird noch einige Zeit brauchen,<br />

um sich wieder in den Arbeitsalltag einzufinden und ihr unbekannten Menschen wieder mit<br />

Vertrauen zu begegnen. Ihre berufliche Anpassung und die Bereitschaft, Befehle zu befolgen<br />

wird dadurch erschwert, dass Officer David ihren neuen Vorgesetzten nicht vollständig als<br />

Ersatz für den verstorbenen Agent Gibbs akzeptiert.<br />

Miss David berichtet auf Nachfrage von Albträumen und verstärkter Nervosität. Somit erfüllt<br />

Miss David die Kriterien einer Posttraumatischen Belastungsstörung.<br />

James Ford<br />

James Ford neigt dazu, seine Gefühle zu unterdrücken und sich vor anderen zu verschließen.<br />

Auch in unseren Gesprächen verhielt er sich ablehnend und beantwortete Fragen nur sehr<br />

widerwillig. Er musste jedoch schließlich feststellen, dass sich diese Erfahrungen nicht auf<br />

Dauer verdrängen lassen. Er erlebte zunehmend Albträume und Verlustängste.<br />

James Fords Verhalten ist durch eine ausgeprägte Bindungs- aber auch Verlustangst geprägt.<br />

Er verlor seine Eltern in jungen Jahren und wuchs danach bei wechselnden Verwandten auf.<br />

<strong>Die</strong>se frühe Verlusterfahrung und das anschließende Fehlen einer stabilen Bezugsperson<br />

hatten zur Folge, dass James Ford sich mit dem Eingehen von Bindungen schwer tut. Er<br />

schottete sich als Selbstschutzmechanismus von anderen Menschen ab, um weitere Verlust-<br />

erlebnisse zu vermeiden. Kurz vor der Entführung lernte James Ford seine Lebensgefährtin<br />

Kate Austen kennen. Während der Gefangenschaft lernte James Ford allmählich, Hilfe und<br />

Trost von seiner Lebensgefährtin anzunehmen, auch wenn er dem ambivalent gegenüber-<br />

stand. Einerseits hat Mister Ford ein Defizit an Zuneigung, andererseits glaubt er keine Zu-<br />

569


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neigung zu verdienen. <strong>Die</strong>se Ambivalenz zeigt sich auch in seinem Verhalten nach der Ent-<br />

führung. Einerseits tut Mr. Ford sich oftmals schwer damit, Trost und Hilfe von seiner<br />

Lebensgefährtin anzunehmen, andererseits ist er geradezu panisch darum bemüht, Miss<br />

Austen zu beschützen und an sich zu binden. Es wird vermutlich noch Monate oder gar Jahre<br />

dauern, bis Mr. Ford nicht mehr jedes Mal das Schlimmste befürchtet, wenn seine Lebens-<br />

gefährtin sich verspätet.<br />

Heather Green<br />

Heather Green war während der Gespräche freundlich und kooperativ, tat sich aber schwer<br />

über einige ihrer Erfahrungen während der Gefangenschaft zu sprechen. Mrs. Green zeigte in<br />

den ersten Tagen nach ihrer Befreiung Anzeichen einer akuten Belastungsreaktion. Sie litt<br />

nach ihren Angaben unter Albträumen und Angstzuständen.<br />

Mrs. Green hat neben der Sorge um ihren Lebensgefährten am meisten unter den sexuellen<br />

Demütigungen und der permanenten Angst vor einer möglichen Vergewaltigung gelitten.<br />

Mrs. Green ist als Pfarrerstochter sehr behütet aufgewachsen und hat somit sehr unter der<br />

spärlichen Bekleidung – streckenweise auch komplettes Kleiderverbot – während der Ge-<br />

fangenschaf gelitten. Mrs. Green tut sich immer noch sehr schwer damit, sich einem anderen<br />

Mann als ihrem Ehemann leicht bekleidet zu zeigen. Sie sucht nur weibliche Ärzte auf und<br />

scheut sich davor Schwimmbäder zu besuchen. <strong>Die</strong>se Scheu wird vermutlich noch einige Zeit<br />

anhalten.<br />

Jacob Green<br />

Jacob Green war in unseren Gefühlen höflich, aber zurückhaltend und beantworte Fragen<br />

häufig knapp. Er tut sich offenbar schwer damit über seine Gefühle zu sprechen. Mister Green<br />

ist in seinem Leben schon oft mit Gewalt konfrontiert worden. Auch lebensbedrohliche<br />

Situationen sind ihm nicht fremd. Was ihm während seiner Gefangenschaft sehr zu schaffen<br />

gemacht hat, war das Gefühl der Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit. Er war während der Ge-<br />

fangenschaft der Willkür seiner Entführer ausgesetzt und hatte nur sehr begrenzte Möglich-<br />

keiten, sich und seine Lebensgefährtin zu schützen. Ein weiterer Punkt, der Jacob Green sehr<br />

belastet hat, ist die Konfrontation mit verdrängten Schuldgefühlen durch seine Entführer.<br />

Während der Gefangenschaft wurde er in dem Glauben verstärkt, er sei ein schlechter Mensch<br />

und eine Enttäuschung für seine Familie und seine Freunde. Seit seiner Befreiung versucht<br />

Mr. Green diese Erfahrungen zu kompensieren. Er hat den Beruf des Sheriffs in seiner<br />

Heimatstadt ergriffen und somit eine Beschäftigung gewählt, bei der er sowohl Kontrolle aus-<br />

570


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

üben, als auch Menschen schützen kann. <strong>Die</strong>se Kompensationsmethode ist eine effektive<br />

Möglichkeit das Erlebte zu verarbeiten. Es ist jedoch für Mr. Green sehr wichtig, seine<br />

Schuld- und Insuffizienzgefühle in einer Therapie zu verarbeiten. Nur so wird es ihm ge-<br />

lingen, Misserfolge zu verarbeiten ohne dass dadurch sein gesamtes Selbstbild von neuem in<br />

Frage gestellt wird. Momenten zeigt Mr. Green eine starke Tendenz zu <strong>Über</strong>-<br />

generalisierungen. Jeder Fehler bedeutet für ihn, dass er ein Versager ist und jede Situation, in<br />

der er einen geliebten Menschen nicht vor Schaden bewahren kann, ist für ihn eine Be-<br />

stätigung der Annahme, er sei ein schlechter Ehemann, Sohn, Bruder und Freund.<br />

Gilbert Grissom<br />

Dr. Gilbert Grissom verhielt sich freundlich und kooperativ. Von sich aus erzählte er wenig,<br />

beantwortete jedoch alle Fragen sehr offen. Dr. Grissom verarbeitet die Entführungserfahrung<br />

den Umständen entsprechend gut. Er zeigte in den ersten Tagen nach seiner Heimkehr An-<br />

zeichen einer relativ leicht ausgeprägten akuten Belastungsstörung wie Albträume und er-<br />

höhte Schreckhaftigkeit. Er erholte sich jedoch recht schnell. Zurzeit bereiten Mr. Grissom<br />

vor allem die schlechte Verfassung seiner Lebensgefährtin und die daraus resultierenden Be-<br />

ziehungsprobleme Sorgen.<br />

Gregory House<br />

Dr. Gregory House war während unserer Gespräche sehr sarkastisch und nur widerwillig dazu<br />

bereit Fragen ernsthaft zu beantworten. Dr. House gehört zu den Personen, die durch die Ent-<br />

führungserfahrung am tiefsten erschüttert wurden. Er zeigt Anzeichen einer posttraumatischen<br />

Belastungsstörung. Auch ihm machten der Kontrollverlust und das Gefühl der Hilflosigkeit<br />

während der Gefangenschaft schwer zu schaffen. Dr. House ist es gewohnt, seine eigenen<br />

Regeln aufzustellen und er ist geschickt darin, seine Umwelt zu manipulieren und auf diese<br />

Art seine Ziele zu erreichen. Das war ihm während seiner Gefangenschaft nicht möglich.<br />

Stattdessen wurde er von seinen Entführern manipuliert. Er wurde gezwungen, sich und<br />

seinen Mitgefangenen Schwächen einzugestehen, die er bislang verborgen hatte. Er wurde in<br />

einer Situation, in der er sich ohnehin schon schwach und ausgeliefert fühlte, gezwungen, sich<br />

seinen bisher unterdrückten Ängsten und Selbstzweifeln zu stellen. Unmittelbar nach seiner<br />

Befreiung versuchte Dr. House zunächst, sich seiner gewohnten Kompensationsmöglichkeiten<br />

zu bedienen. Fragen nach seinem Befinden beantwortete er mit sarkastischen Bemerkungen<br />

(„Ging mir nie besser. Es geht doch nichts über einen schönen langen Wellnessurlaub.“). Im<br />

Laufe der Zeit wurde es jedoch auch für ihn unmöglich, seine Reaktionen auf das Erlebte zu<br />

unterdrücken.<br />

571


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er hatte verstärkt Albträume und war besonders reizbar. Nach und nach kam Dr. House<br />

mithilfe seiner Lebensgefährtin und einer unterstützenden Psychotherapie zu dem Schluss,<br />

dass seine bisherigen Bewältigungsstrategien dysfunktional waren. Er erkannte, dass seine<br />

abweisende Haltung anderen Menschen gegenüber ein Schutzmechanismus war, um<br />

emotionale Verletzungen zu vermeiden. Während seiner Gefangenschaft ist Dr. House eine<br />

Beziehung zu seiner Kollegin Dr. Allison Cameron eingegangen. Nach der Befreiung wollte<br />

er diese Beziehung zwar fortführen und war bemüht Dr. Cameron bei der Verarbeitung der<br />

traumatischen Erlebnisse zu unterstützen, wollte sich jedoch seinerseits nicht öffnen. Erst die<br />

Erkenntnis, dass seine Weigerung über seine Gefühle zu sprechen seine Partnerin verletzt,<br />

führte dazu, dass Dr. House sich allmählich öffnete. Es wird lange dauern, bis Dr. House die<br />

Erfahrungen vollständig verarbeitet hat. Anders als die meisten seiner Mitgefangenen muss er<br />

gesunde Mechanismen zur Problembewältigung erst erlernen, was die Wiedereingliederung<br />

für ihn erschwert.<br />

Abigail Sciuto<br />

Abigail Sciuto zeigt sich im Gespräch sehr offen und lebhaft. Sie berichtete von sich aus von<br />

ihren Erfahrungen und musste nur selten zum Reden ermuntert werden. Miss Sciuto litt in<br />

den ersten Wochen nach ihrer Gefangenschaft unter Albträumen und Angstzuständen. Sie<br />

zeigte deutliche Anzeichen einer akuten Belastungsreaktion. Da Miss Sciuto ein sehr offener<br />

Mensch ist und ihre Gefühle deutlich zeigt ist die Prognose für sie jedoch eher günstig. Es ist<br />

zu erwarten, dass die Angstattacken und Albträume nach einigen Monaten abklingen werden.<br />

Miss Sciuto leidet jedoch sehr unter dem Verlust ihres Kollegen und väterlichen Freundes<br />

Leroy Jethro Gibbs. Sein gewaltsamer Tod stellt für Miss Sciuto einen schweren Verlust dar,<br />

unter dem sie noch lange leiden wird. Ihre enge Beziehung zu Agent Gibbs macht es für Miss<br />

Sciuto auch sehr schwer ihren neuen Vorgesetzten zu akzeptieren, was ihr einige berufliche<br />

Schwierigkeiten einbringt.<br />

Dana Scully<br />

Dr. Dana Scully war in unseren Gesprächen offen und kooperativ. Agent Scully gehört zu<br />

denjenigen, die am besten mit der Entführung fertig werden. Im Rahmen ihrer Arbeit beim<br />

FBI ist sie wiederholt mit lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert worden, was ihr hilft<br />

die gegenwärtige Erfahrung zu verarbeiten. Was Agent Scully am meisten zu schaffen ge-<br />

macht hat ist, dass sie während der Gefangenschaft wiederholt gezwungen war, ihren Partner<br />

und Lebensgefährten Agent Fox Mulder leiden zu sehen und keine Möglichkeit hatte, ihm zu<br />

572


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

helfen. <strong>Die</strong>se Erfahrung wirkt sich weiterhin auf Agent Scullys Leben und ihre Beziehung zu<br />

Fox Mulder aus. Sie ist bei gemeinsamen Einsätzen besonders besorgt um ihren Partner und<br />

empfindet ihm und ihrem Sohn gegenüber eine ausgeprägte Verlustangst.<br />

Sara Sidle<br />

Sara Sidle machte in unseren Gesprächen einen abweisenden und latent aggressiven Eindruck.<br />

Miss Sidle gehört zu denjenigen, die am stärksten unter der Entführungserfahrung leiden. <strong>Die</strong><br />

Entführung hat bei Miss Sidle eine Depression und eine Sinnkrise ausgelöst.<br />

Miss Sidle, ihr Bruder und ihre Mutter wurden als Kind von ihrem Vater schwer misshandelt.<br />

Als Erwachsene ging sie zum Crime Szene Investigation, in der Hoffnung ihre Arbeit könnte<br />

dazu beitragen Verbrecher dingfest zu machen und weitere Gewalttaten zu verhindern.<br />

Stattdessen empfand Miss Sidle ihre Arbeit im Laufe der Jahre mehr und mehr als einen<br />

Kampf gegen Windmühlen. Sie kam zu dem Schluss, dass sie die Welt mit dem, was sie er-<br />

reichen kann, nicht wirklich verbessern kann. Miss Sidle leidet sehr mit jedem Gewaltopfer,<br />

dem sie begegnet, da sie sich stark mit den Opfern identifiziert. <strong>Die</strong> erneute Erfahrung mit<br />

Gewalt und Demütigung während ihrer Gefangenschaft hat das permanente Gefühl der Hilf-<br />

losigkeit für Miss Sidle noch verstärkt. Das Erlebnis hat sie in eine tiefe Sinnkrise gestürzt.<br />

Miss Sidle fühlt sich ohnmächtig und empfindet eine starke Wut auf sich und die Welt. Sie<br />

wird höchstwahrscheinlich viel Zeit und eine intensive Therapie brauchen, um das Gefühl der<br />

Hilflosigkeit und die damit verbundene Verbitterung zu überwinden und einen neuen Lebens-<br />

sinn zu finden.<br />

Fox Mulder<br />

Agent Fox Mulder verhielt sich während der Gespräche weitgehend kooperativ, zeigt jedoch<br />

bei der Beantwortung einiger Fragen einen Hang zum Sarkasmus. Bei Agent Mulder hat die<br />

Gefangenschaft zu einer Verstärkung seiner paranoiden Neigungen geführt. Sein Misstrauen<br />

anderen gegenüber hat sich so weit gesteigert, dass er die klinischen Kriterien einer para-<br />

noiden Persönlichkeitsstörung erfüllt. Vor der Entführung erstreckte sich Agent Mulders<br />

Misstrauen hauptsächlich auf Regierungsangehörige und andere hochrangige Personen, von<br />

denen er davon überzeugt ist, dass sie Teil einer Verschwörung sind. Seit der Entführungs-<br />

erfahrung misstraut er jedoch grundsätzlich allen Fremden. Er benutzt beispielsweise keine<br />

Taxis mehr, weil er befürchtet, der Fahrer könnte zum Netzwerk der Entführer gehören und<br />

versuchen ihn erneut zu entführen. Wie seine Mitgefangenen hatte auch Agent Mulder an-<br />

fangs Schwierigkeiten, Alltagsentscheidungen selbständig zu treffen. Agent Mulder ist aber<br />

573


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

an sich ein sehr eigenständiger und willensstarker Mensch, sodass er diese Schwierigkeiten<br />

relativ schnell überwinden konnte, sobald er sich wieder in seiner vertrauten Umgebung be-<br />

fand.<br />

Beantwortung der Fragestellung<br />

Miss Austen, Dr. Cameron, Mrs. Green, Dr. Grissom und Miss Sciuto litten nach ihrer Be-<br />

freiung an einer akuten Belastungsreaktion. Agent Booth, Dr. Brennan, Miss David, James<br />

Ford und Dr. House erfüllen die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsreaktion.<br />

Agent Scully erfüllt zwar nicht alle klinischen Kriterien einer akuten Belastungsreaktion oder<br />

einer posttraumatischen Belastungsstörung, zeigt aber ebenfalls Anzeichen für eine Be-<br />

lastungsreaktion, die sich in verstärkter Sorge um ihren Lebensgefährten und ihren Sohn<br />

äußern. Miss Sidle leide seit ihrer Gefangenschaft an einer Depression. Bei Agent Mulder hat<br />

die Entführungserfahrung vorhandene Persönlichkeitseigenschaften verstärkt, sodass er jetzt<br />

die klinischen Kriterien einer paranoiden Persönlichkeitsstörung erfüllt. Bei Mr. Green konnte<br />

keine Störung diagnostiziert werden, die nicht mit großer Wahrscheinlichkeit schon vor seiner<br />

Entführung bestanden hat. <strong>Die</strong> Entführungserfahrung hat jedoch seine zuvor bestehenden<br />

Selbstwertprobleme verstärkt.<br />

<strong>Die</strong> Gefangenschaft hat ohne Zweifel allen Betroffenen sehr zu schaffen gemacht und die<br />

meisten von ihnen leiden noch heute unter der Erfahrung.<br />

Paradoxer Weise hat die Erfahrung aber auch einigen von ihnen geholfen, sich zuvor ver-<br />

drängten Konflikten zu stellen. Dr. House und Mr. Ford haben in dieser Extremsituation ge-<br />

lernt, anderen Menschen zu vertrauen und Nähe zuzulassen. Agent Booth, Dr. Brennan, Mr.<br />

Green und Mr. Ford, die immer großen Wert auf ihre Stärke und Unabhängigkeit gelegt<br />

hatten, haben gelernt, sich auf andere zu verlassen und Schwächen einzugestehen. Sie fallen<br />

zwar von Zeit zu Zeit in alte Verhaltensmuster zurück, haben aber prinzipiell ihr Verhaltens-<br />

spektrum erweitert und werden voraussichtlich auch in Zukunft eher bereit sein sich auf<br />

andere Menschen zu verlassen.<br />

574<br />

Los Angeles, 30.10.2008


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

___________________________________________________Anhänge<br />

Lebensläufe<br />

Lebenslauf Abigail Sciuto<br />

Name: Sciuto<br />

Vorname: Abigail<br />

176 Arlington Boulevard<br />

20002 Washington, DC<br />

Tel. (202) 487-2667<br />

Mail: Abbsci@aol.com<br />

Persönliche Daten<br />

Name: Sciuto, Abigail<br />

Geburtsdatum: 27.03.1969<br />

Geburtsort: New Orleans, Louisiana<br />

Eltern: Gloria Sciuto, geb. 12.12.1949, Illusionistin<br />

Leo Sciuto, geb. 01.07.1943, Illusionist<br />

575


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Geschwister: Jeremy, jüngerer Bruder, geb. 13.10.1958,<br />

Lehrer an Taubstummenschule<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 54 Beverley Garden Drive, New Orleans,<br />

Louisiana<br />

214 Laurel Street, Baton Rouge, Louisiana<br />

14 Pine Street Northwest, Atlanta, Georgia<br />

234 North Harwoodstreet, Dallas, Texas<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Bachelore in Psychologie, Soziologie, Forensik<br />

und Kriminologie.<br />

Master in Kriminologie<br />

Beschäftigt: Crime Scene Investigation, Las Vegas<br />

Berufstätigkeit<br />

01.08.1996 - 30.03.2001 Kriminaltechnisches Labor Dalls, Texas<br />

01.04.2001 - jetzt NCIS Washington., DC<br />

Ausbildung<br />

01.09.1975 - 31.08.1981 Elementary School, New Orleans, Louisiana<br />

07.09.1981 - 28.08.1987 Junior & Senior High, Baton Rouge, Louisiana<br />

05.10.1987 - 30.06.1990 Louisiana State University, Baton Rouge, Louisiana:<br />

Forensik mit Nebenfach Psychologie<br />

06.08.1990 - 30.11.1993 Louisiana State University, Baton Rouge, Louisiana:<br />

Kriminologie, Nebenfach Soziologie<br />

01.02.1994 - 29.02.1996 Georgia State University, Atlanta, Georgia, Master<br />

in Kriminologie<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

Bildbearbeitung<br />

Materialanalysen<br />

Ballistik<br />

Computerwissenschaft<br />

Blut und Gewebeanalysen<br />

DNA Analysen<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe B +<br />

576


Sonstiges<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Allison Cameron<br />

Name: Cameron<br />

Vorname: Allison<br />

125 Hamilton Avenue<br />

08542 Princeton, New Jersey<br />

Tel. (877) 392-3544<br />

Mail: AA@aol.com<br />

Persönliche Daten<br />

Masern<br />

Röteln<br />

Mumps<br />

Hundebiss als Kind mit anschließender Sepsis &<br />

Tollwut<br />

Bruder ist taubstumm.<br />

Kann Gebärdensprache.<br />

Anhängerin der Gothbewegung.<br />

Festnahme während eines Rock-Konzertes<br />

wegen Erregung öffentlicher Ärgernis. Wurde<br />

auch beschuldigt, sich außerhalb der Arbeit in<br />

fremde Computer gehackt zu haben.<br />

Name: Cameron, Allison<br />

Geburtsdatum: 12.04.1979<br />

Geburtsort: Newark, Ohio<br />

Eltern: Rachel Cameron, 21.09.1949, Krankenschwester<br />

Jonathan Cameron, 27.05.1945, US Army:<br />

Sergeant Major, später Apotheker<br />

Geschwister: Andrew, sechzehn.10.1971, Lehrer<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 34 Alford Drive, Newark, Ohio<br />

125 7th Avenue, Rochester, Minnesota<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Medizin, Fachgebiet Immunologie<br />

577


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beschäftigt: Princeton Plainsboro Teaching Hospital, Princeton,<br />

New Jersey<br />

Ausbildung<br />

02.09.1985 - 31.08.1991 Elementary School, Newark, Ohio<br />

01.09.1991 - 30.08.1997 Junior & Senior Highschool, Newark, Ohio<br />

03.11.1997 - 31.01.2004 University of Minnesota, Rochester, Minnesota<br />

01.02.2004 - jetzt Plainsboro Teaching Hospital, Princeton, New<br />

Jersey<br />

Berufstätigkeit<br />

Assistenz an der Mayo, Rochester, Minnesota<br />

Diagnostik, Fachgebiet Immunologie, Princeton<br />

Plainsboro Teaching Hospital, Princeton, New<br />

Jersey<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Als Kind mit Abflussreiniger schwere Vergiftung<br />

Masern<br />

Windpocken<br />

War von Ende 1999 - Mitte 2000 mit Colin<br />

Bennet verheiratet. Der Mann starb an Schilddrüsenkrebs.<br />

Hat ein Verhältnis mit ihrem<br />

Kollegen, Robert Chase, gehabt.<br />

Leistete dem Wissenschaftler Ezra Powell aktive<br />

Sterbehilfe.<br />

Grundkenntnisse Französisch<br />

578


Lebenslauf Beth Turner<br />

Name: Turner<br />

Vorname: Beth<br />

28 S Ogden Drive<br />

90019 Los Angeles, Kalifornien<br />

Tel. (323) 934-2667<br />

Mail: BTBW@gmx.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Turner, Beth<br />

Geburtsdatum: 23.11.1980<br />

Geburtsort: Los Angeles, Kalifornien<br />

Eltern: Lee Anne Turner, geb. 03.04.1956, Pianistin<br />

579


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Marcus Turner, geb. 01.07.1959, Nachrichtenredakteur<br />

Geschwister: keine<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 1426 N Redondo Ave, LA<br />

125 Lomita Str, LA<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Journalistik an der University of California, Los<br />

Angeles<br />

Beschäftigt: Reporterin Internet Magazin Buzz Wire<br />

Berufstätigkeit<br />

01.04.2002 - 30.03.2003 Journalistin bei Radio KABC, LA<br />

15.04.2003 - 24.06.2005 Journalistin bei Radio KKLA, LA<br />

25.06.2005 - jetzt Journalistin Buzz Wire, LA<br />

Ausbildung<br />

01.09.1986 - 31.08.1992 Elementary School, LA, Kalifornien<br />

07.09.1992 - 28.08.1998 Junior & Senior High, LA, Kalifornien<br />

30.10.1998 - 20.01.2002 Journalistik an der UCLA<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

Grundkenntnisse Spanisch<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe AB postitiv<br />

Masern<br />

Röteln<br />

Mumps<br />

Beinbruch als Jugendliche nach Skiunfall<br />

580


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Temperance Brennan<br />

Name: Brennan<br />

Vorname: Temperance<br />

415 Elmsworth NW<br />

20003 Washington, DC<br />

Tel. (703) 717-6900<br />

Mail: bones@gmx.com<br />

581


Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Brennan, Temperance (Joy Keenan)<br />

Geburtsdatum: 11.10.1976<br />

Geburtsort: Monterey, Kalifornien<br />

Eltern: Christine Brennan, geb. 10.08.1950, gest. um<br />

den 22.09.1993 (Ruth Keenan, tot), Bankangestellte<br />

Namenswechsel Juli 1978<br />

Matthew Brennan, geb. 12.05.1947 (Max<br />

Keenan, Gefängnis DC) ehem. US Army: Staff<br />

Sergeant<br />

Geschwister: Russell Brennan, geb. 18.01.1971(Kyle Keenan,<br />

Gefängnis DC)<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 17 Jefferson Street, Monterey, Kalifornien<br />

276 Miles Avenue, Canton, Ohio (Eltern) 1978<br />

4 Audiffred Lane, Woodside, Kalifornien (Eltern)<br />

74 Lookout Avenue, Akron, Ohio (Eltern)<br />

254 Hillard Boulevard, Westlake, Ohio (Pflegefamilie)<br />

78 Player Way, Pittsburgh, Pennsylvania<br />

(Großvater)<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Forensische Anthropologie, Summa cum laude<br />

Kinästhetik, Summa cum laude<br />

Beschäftigt: Jeffersonian Institut, Washington, DC<br />

Ausbildung<br />

01.09.1982 - 31.08.1988 Elementary School, Woodside, Kalifornien<br />

01.09.1988 - 15.10.1991 Junior Highschool, Akron, Ohio (Eltern verschwinden)<br />

20.10.1991 - 10.08.1994 Sen. Highschool, Westlake, Ohio (Pflegefamilie)<br />

02.02.1995 - 10.03.1998 Northwestern University, Evanston, Illinoise<br />

Berufstätigkeit<br />

September 1998 - jetzt Jeffersonian Institut, Washington, DC<br />

Auslandserfahrungen<br />

582


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Einsätze unter anderem in verschiedenen<br />

Kriegsgebieten in Südamerika, Asien und<br />

Afghanistan.<br />

Schusswaffengebrauch, eingetragenen Scharfschützin<br />

bei der NRA.<br />

Jagdlizens für 4 Bundesstaaten.<br />

Selbstverteidigung: Judo: Roku-dan<br />

Teakwondo: 3.ter Dan<br />

Karate: 1.ter Dan<br />

Spricht Chinesisch, fließend Spanisch<br />

Kann Tauchen<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A -<br />

Sonstiges<br />

Röteln,<br />

Mumps<br />

Masern<br />

Blinddarm OP<br />

Impfungen: Cholera, Typhus, Malaria, Hep A &<br />

B, Gelb Fieber,<br />

Freiwillige Helferin bei den Identifizierungsarbeiten<br />

der Tsunami-Opfer in Indonesien.<br />

Freiwillige Helferin bei den Arbeiten an den<br />

Opfern von Katrina, 2005.<br />

1978 ändern ihre Eltern ihre Identität, da ist<br />

Brennan 2, ihr Bruder 7. Ihre Eltern sind gesuchte<br />

Bankräuber (Schließfachspezialisierung)<br />

und tauchen spurlos unter im Dez. 91, als sie 15,<br />

Russ 19 Jahre alt ist. Ihr Auto wird 3 Tage nach<br />

ihrem Verschwinden 3.000 km südlich von<br />

Chicago gefunden. Kurz nach dem 22.09.1993<br />

stirbt Ruth Keenan an einem subduralen<br />

Hämatom von einer Verletzung, die ihr der Auftragskiller<br />

Vince McWicker zirka18 Monate<br />

vorher zugefügt hat. Ihre sterblichen <strong>Über</strong>reste<br />

werden von Arbeitern im September 1998 auf<br />

dem Sunset Memorys Cemetery in Salsisbury,<br />

Pennsylvania, gefunden. Sie werden etwa zur<br />

selben Zeit ins Jeffersonian Institut gebracht, wie<br />

Temperance dort als Anthropologin anfängt.<br />

583


Lebenslauf Seeley Booth<br />

Name: Booth<br />

Vorname: Seeley Joseph<br />

761 Zei Alley North West<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wurde von Booth einmal verhaftet, aber nicht<br />

angeklagt.<br />

584


20005 Washington, DC<br />

Tel. (202) 897-2658<br />

mail: SBFBI@gmx.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Booth, Seeley<br />

Geburtsdatum: sechzehn.05.1971<br />

Geburtsort: Pittsburgh, Pennsylvania<br />

Eltern: Marlene Booth, 23.11.1944, Werbedesigner<br />

Tom Booth, 18.12.1943, US Army Captain Pilot,<br />

dann Friseur in Pittsburgh<br />

Geschwister: Jared Booth, geb. 12.04.1976, LA PD,<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 675 Forbes Avenue, Pittsburgh, Pennsylvania<br />

3215 West Moyamensing Avenue, Philadelphia,<br />

Pennsylvania<br />

5th Avenue, Quantico, Virginia<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss:<br />

Beschäftigt: FBI Washington, DC<br />

Ausbildung<br />

01.09.1975 - 31.08.1981 Elementary School, Pittsburgh, Pennsylvania<br />

10.09.1981 - 15.08.1987 Highschool, Pittsburgh, Pennsylvania<br />

25.06.1989 - 18.11.1990 West Point Militär Academy, New York, kein<br />

Abschluss<br />

01.01.1991 - 01.10.1991 Infanterie-Training<br />

01.12.1991 - 09.05.1992 Scharfschützenbataillon, Rang Sergeant, Army<br />

Rangers, 75.tes Regiment, Fort Benning, Georgia<br />

01.10.1992 - 01.08.1995 Kriminologie-Studium an der Indiana State University<br />

01.09.1995 - 01.01.1998 Polizei, Washington DC<br />

11.10.1998 - 20.02.1998 FBI Academy, Quantico, Virginia<br />

Berufstätigkeit<br />

1995 Militäreinsatz Guatemala, Flores<br />

03.1998 - 04.1999 FBI Washington, DC<br />

04.1999 - 11.2001 Kosovo, Afghanistan<br />

585


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

01.01.2002 - jetzt FBI Washington, DC<br />

Auslandserfahrungen<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

Einsatz im Kosovo<br />

Guatemala<br />

Besitzt die Gabe, Körperzeichen, Körpersprache<br />

richtig zu deuten, erkennt instinktiv, wenn<br />

Menschen lügen.<br />

Scharfschütze<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe B +<br />

Sonstiges<br />

Lebenslauf Dana K. Scully<br />

Name: Scully<br />

Vorname: Dana Katherine<br />

1419 P Street Northwest, App. 35<br />

Als Kind fast im Pool ertrunken<br />

Windpocken<br />

Mumps<br />

Multiple Brüche an beiden Füße nach Folter<br />

Rippenanbrüche<br />

Schlüsselbeinanbruch<br />

Schussverletzung im Brustraum<br />

Spielsüchtig, war deswegen in Therapie<br />

Hat mit Rebecca Hunter Sohn Parker, geboren<br />

26.11.2002.<br />

Weiß von Brennans Vorgeschichte und hat ihren<br />

Vater verhaftet.<br />

Hatte eine Affäre mit der jetzigen Leiterin der<br />

Abteilung, Dr. Camille Saroyan<br />

Hat Dr. Brennan verhaftet.<br />

Gestörtes Verhältnis zu Besserprivilegierten.<br />

Kontrollsüchtig.<br />

Hat Bones verhaftet, es kam jedoch nicht zu<br />

einer Anklage.<br />

586


22206 Washington, DC<br />

Tel. (202)555 - 6431<br />

mail: Scullydq@web.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Scully, Dana Katherine<br />

Geburtsdatum: 23.02.1964<br />

Geburtsort: Annapolis, Maryland<br />

Eltern: Margarete Scully, 26.11.1935, Hausfrau<br />

William Scully Sen., 10.03.1931, gest. Dezember<br />

1993, US Navy: Captain<br />

Geschwister: William Jun., geb. 12.10.1958, Lieutenant-<br />

Commander der US-Navy, Wohnhaft San <strong>Die</strong>go,<br />

Ehefrau Tara, geb. Spencer, geb. 01.06.1960.<br />

Gemeinsamer Sohn Matthew, geb. 21.05.1998<br />

Melissa, geb. 19.04.1962, gest. 04.95<br />

Charles, geb. 13.10.1968, Redakteur, Anchorage,<br />

Alaska,<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 76 Lincoln Drive, Annapolis, Maryland<br />

23 Orion Drive, Miramar Naval Air Base, San<br />

<strong>Die</strong>go, Kalifornien<br />

324 McKinnley Avenue, Berkeley, Kalifornien<br />

98 Apache Street, College Park, Maryland<br />

12 Little Road, Quantico, Virginia<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Physik: Abgebrochen, UC Maryland,<br />

Medizin, Bachelor, UC Maryland, Fachgebiet<br />

Pathologie und Gerichtsmedizin<br />

Beschäftigt: FBI<br />

FBI ID: 2317-6sechzehn<br />

ID X Files: 73317<br />

Ausbildung<br />

01.09.1970 - 31.08.1976 Elementary School, San <strong>Die</strong>go, Kalifornien<br />

10.09.1976 - 31.08.1983 Highschool, Berkeley, Kalifornien<br />

10.10.1983 - 12.11.1984 UC Berkeley, Berkeley, Kalifornien<br />

01.12.1984 - 13.12.1989 University of Maryland<br />

Berufstätigkeit<br />

15.05.1989 - 30.01.1990 Ausbildung FBI Academy Quantico, Virginia<br />

01.02.1990 - 31.02.1992 Ausbilderin, FBI Academy Quantico<br />

06.03.1992 - jetzt FBI Washington DC, Abt. X Files<br />

587


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Grundkenntnisse Spanisch & Französisch<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Lebenslauf Leroy Jethro Gibbs<br />

Name: Gibbs<br />

Vorname: Leroy Jethro<br />

Als Kind eig. tödlichen Stromschlag erlitten<br />

Windpocken<br />

Masern<br />

Mumps<br />

Keuchhusten<br />

unheilbare Krebserkrankung 1996<br />

Schwangerschaft 2005<br />

<strong>Die</strong>nstwaffen: Sig Sauer P230<br />

Smith & Wesson 1076 & 1056<br />

Walther PPK 7.65<br />

Hat mit Mulder zusammen einen Sohn,<br />

geb.27.06.2006, William Scully<br />

Krebserkrankung auf ungeklärte Weise geheilt<br />

Schwester Melissa starb 1995 bei einem Anschlag,<br />

der Dana galt.<br />

Wird 1994 von Duane Barry entführt und später<br />

mit einem Micochip Implantat im Nacken, im<br />

Koma liegend, aufgefunden. Kehrt danach zu<br />

den X Akten zurück. Durch das Implantat erkrankt<br />

sie 1996 an inoperablem Krebs. Quasi im<br />

letzten Moment gelingt es Mulder, sie zu retten.<br />

588


45 G Street Southeast,<br />

20003 Washington DC<br />

Tel. (202) 488-0112<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Gibbs, Leroy Jethro<br />

Geburtsdatum: 02.09.1956<br />

Geburtsort: Stillwater, Pennsylvania<br />

Eltern: Embeth Gibbs, 13.09.1929, Sekretärin, gest.<br />

12.10.1966<br />

Jackson Gibbs, 17.10.1929, US Navy:<br />

Lieutenant Commander, dann Besitzer des<br />

Stillwater General Store<br />

Geschwister: keine<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: McHenry Str. 3<br />

Marine Corps Logistics Base, Albany, Albany,<br />

Georgia<br />

Marine Corps Air Station, Miramar, San <strong>Die</strong>go,<br />

Kalifornien<br />

Marine Corps Logistics Base, Barstow,<br />

Kalifornien<br />

Familienstand: Witwer, 3-mal geschieden<br />

Abschluss:<br />

Beschäftigt: Navy CIS, Washington, DC<br />

Ausbildung<br />

01.09.1957 - 31.08.1963 Elementary School, Syracuse, New York<br />

01.09.1963 - 31.08.1969 Highschool Syracuse, New York<br />

01.01.1970 - 30.05.1973 Columbia University, New York<br />

Berufstätigkeit<br />

12.07.1976 - 30.10.1992 Militärdienst<br />

13.05.1989 - 20.12.1989 Operation Nimrod Dancer, Panama<br />

17.01.1991 - 28.02.1991 Operation Desert Storm, Irak, Basislager Doha<br />

01.04.1991 - 23.06.1991 El Bagre, Kolumbien, Geheimauftrag, Boss des<br />

Cali Drogenkartells, Cesar Castillo zu<br />

eliminieren.<br />

10.08.1991 - jetzt NCIS<br />

Auslandserfahrungen<br />

589


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Einsätze in Kolumbien, Panama und Irak<br />

während seiner aktiven <strong>Die</strong>nstzeit beim Militär,<br />

div. Auslandseinsätze weltweit in seiner <strong>Die</strong>nstzeit<br />

beim NCIS, u.a. Europa, Asien, Südamerika<br />

ect.<br />

Scharfschütze<br />

Verhör und <strong>Über</strong>setzungsspezialist<br />

Spricht Spanisch, Japanisch und Russisch<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Als Kind im Schwimmbad fast ertrunken<br />

In Kolumbien während eines Auftrages durch<br />

eine Schusswunde schwer verletzt. Auf einem<br />

Minenfeld im Irak bei Desert Storm 1991 schwer<br />

verletzt, schweres Schädel-Hirn Trauma mit anschließendem<br />

Koma von 19 Tagen, lag in<br />

Kuwait im Krankenhaus. Wurde nach Frankfurt<br />

ausgeflogen und von dort ins Bethesda nach<br />

Washington.<br />

Während eines Einsatzes auf einem Frachter in<br />

eine Bombenexplosion geraten, Rippenanbrüche,<br />

Schädeltrauma, div. Prellungen, Verbrennungen<br />

2.ten Grades<br />

1980 Shannon geheiratet, die er schon seit 1976<br />

kannte, 1984 Kelly geboren<br />

War 4-mal verheiratet, erste Frau Shannon starb<br />

bei einem Mordanschlag 1991, zusammen mit<br />

der 7 jährigen Tochter Kelly. Pedro Hernandez<br />

war der Dealer, den Shannon bei einem Mord an<br />

einem Marine in Oceanside beobachtete und der<br />

den Fahrer der NIS (Das spätere NCIS), der<br />

Shannon und Kelly fuhr, durch einen Heckenschützen<br />

töten ließ. Auf der Beisetzung<br />

Shannons und Kelly sieht er seinen Vater bis<br />

heute zum letzten Mal.<br />

Scharfschützengewehr: M40A1<br />

Purple Heart (Verwundetenabzeichen)<br />

Silver Star (Besondere Tapferkeit vor dem<br />

Feind)<br />

6 zivile Auszeichnungen für besondere<br />

Leistungen.<br />

590


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

0311 Infanterie<br />

5811 Militär Polizist<br />

0251 Verhör- und <strong>Über</strong>setzungsspezialist<br />

0369 Anführer einer Infanterieeinheit<br />

5821 Kriminalermittler<br />

Ex US-Marine (Rang: Gunnery<br />

Sergeant) Reserve<br />

Beherrscht die Gebärdensprache.<br />

591


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Gilbert Grissom<br />

Name: Grissom<br />

Vorname: Gilbert<br />

7 Tulsa Circle<br />

89147 Las Vegas, Nevada<br />

Tel. (702) 523-6874<br />

Mail: GilbertGrissom@gmx.com<br />

Persönliche Daten<br />

Name: Grissom, Gilbert<br />

Geburtsdatum: 17.08.1956<br />

Geburtsort: Santa Monica, Kalifornien<br />

Eltern: Louise Grissom, 30.05.1932, Galerieleiterin,<br />

Robert Grissom, 11.11.1929, gest. 19.07.1965,<br />

Ehem. US Army: Master Sergeant, später<br />

Botaniker<br />

Geschwister:<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 2642 Montana Avenue, Santa Monica,<br />

Kalifornien<br />

2143 Wagner Street, Marina Del Ray, Kalifornien<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Biologie: Bachelor in Berkeley<br />

Master in Berkeley, Spezialgebiet<br />

Insektenkunde<br />

Beschäftigt: Crime Scene Investigation, Las Vegas<br />

Ausbildung<br />

03.09.1962 - 31.08.1968 Elementary School, Santa Monica, Kalifornien<br />

02.09.1968 - 13.09.1971 Junior Highschool, Marina Del Ray, Kalifornien<br />

20.09.1971 - 23.09.1974 Senior Highschool, Marina Del Ray, Kalifornien<br />

03.02.1975 - 19.05.1980 UCLA, Kalifornien, Schwerpunkt Insekten<br />

Berufstätigkeit<br />

24.11.1980 - 30.04.1986 Coroner, Los Angeles<br />

09.06.1986 - 07.07.1995 Field Service Office, Las Vegas<br />

10.07.1995 - jetzt CSI, Las Vegas<br />

592


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fachmann auf dem Gebiet der Entomologie<br />

(Spricht Zeichensprache)<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Als Kind von Mojave-Klapperschlange gebissen,<br />

eigentlich tödlich<br />

Masern<br />

Mumps<br />

Ohrenoperation 2002<br />

Vater starb an einem Schlaganfall, als Grissom 9<br />

Jahre alt ist. Er legte sich auf das heimatliche<br />

Sofa um auszuruhen und wachte nicht mehr auf.<br />

Mutter ist taub. Hat mit 22 als jüngster Coroner<br />

der Stadt Los Angeles angefangen. Fährt zur<br />

Entspannung Achterbahn.<br />

593


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Heather Lisinski<br />

Name: Lisinski<br />

Vorname: Heather<br />

10 Hillview Lane<br />

67548 Jericho, Kansas<br />

Tel. (785) 234-3598<br />

Persönliche Daten<br />

Name: Lisinski, Heather<br />

Geburtsdatum: 21.07.1980<br />

Geburtsort: New Bern, Kansas<br />

Eltern: Judith Lisinski, geb. 15.10.1958, gest.<br />

05.07.1988, Hausfrau<br />

Richard Lisinski, 24.04.1955, ehem. US Army:<br />

Privat First Class, dann Theologiestudium und<br />

Priesteramt<br />

Geschwister: Ryan, geb. 17.09.1984<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 2 Henderson Road, New Bern<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Grundschullehrerin<br />

Beschäftigt: Elementary School, Jericho<br />

Ausbildung<br />

01.09.1986 - 31.08.1992 Elementary School, New Bern, Kansas<br />

01.09.1992 - 31.08.1998 Junior & Senior Highschool, New Bern, Kansas<br />

01.01.1999 - 30.06.2002 Baker University, Baldwin City, Kansas<br />

Berufstätigkeit<br />

15.07.2002 - 31.03.2006 Elementary School, New Bern, Kansas<br />

01.04.2005 - jetzt Elementary School, Jericho, Kansas<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

extremes technisches Fachwissen<br />

594


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe 0 +<br />

Als Kind fast ertrunken<br />

Mumps<br />

Masern<br />

Röteln<br />

Beinbruch nach Reitunfall als 13 jährige<br />

595


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

596


Lebenslauf Gregory House<br />

Name: House<br />

Vorname: Gregory<br />

47 John Street, App. 221B<br />

08542 Princeton, New Jersey<br />

Tel. (877) 364-7568<br />

mail: Bossinthehouse@gmail.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: House, Gregory<br />

Geburtsdatum: 11.06.1959<br />

Geburtsort: Boston, Massachusetts<br />

Eltern: Blythe House, 12.08.1937, Hausfrau<br />

Biologischer Vater Colonel Nolan Jacobs,<br />

03.09.1947, gest. 23.08.1990<br />

Stiefvater: John House, 26.04.1935, US Marines<br />

Pilot: Captain<br />

Geschwister:<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 49 Holden Street, Boston, Massachusetts<br />

16 Rajendra Prasad Road, New Delhi, Indien<br />

276 Bepin Behari Ganguly Street, Kalkutta, Indien<br />

3 Al Rafiei Str. Doha, Katar, Ägypten<br />

198 West Saratoga Street, Baltimore, Maryland<br />

4 Pontiac Street, Collage Park, Maryland<br />

34 East Palmetto Street, Florence, South Carolina<br />

12 Farnum Ave., Concord, New Hampshire<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Medizin<br />

Beschäftigt: Princeton Plainsboro Teaching Hospital, Princeton,<br />

New Jersey<br />

Ausbildung<br />

06.09.1965 - 31.08.1971 Elementary School, New Delhi, Indien<br />

06.09.1971 - 31.08.1974 Junior High, Doha, Katar, Ägypten<br />

02.09.1974 - 02.09.1977 Highschool, Doha, Katar, Ägypten<br />

02.01.1978 - 15.06.1983 Medizinstudium an der Johns Hopkins, Baltimore,<br />

Maryland<br />

05.12.1983 - sechzehn.10.1985 Promoviert an der University of Maryland,<br />

Spezialgebiete: Infektionskrankheiten und<br />

Nephrologie, Abschluss Summa cum laude<br />

597


Berufstätigkeit<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

03.03.1986 - 31.07.1992 Mcleod Regional Medical Center, Florence,<br />

South Carolina<br />

07.09.1992 - 31.12.1997 Concord Hospital, Concord, New Hampshire<br />

05.01.1998 - jetzt Princeton Plainsboro Teaching Hospital, Princeton,<br />

New Jersey<br />

Auslandserfahrungen<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

von 1963 - 1977 Indien.<br />

Japan, China,<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe AB<br />

Sonstiges<br />

Fremdsprachen: Portugiesisch, Mandarin, Hindi,<br />

Japanisch und Spanisch. Geringe Grundkenntnisse<br />

Französisch,<br />

Als Kind von Brillenschlange gebissen, eig. tödlich<br />

Keuchhusten<br />

Röteln<br />

Muskelinfarkt im rechten Oberschenkel<br />

Herzstillstand nach Tachykardie<br />

Nach einem schweren Muskelinfarkt, ausgelöst<br />

durch ein schlecht behandeltes Blutgerinnsel,<br />

stark gehbehindert. Ist Vicodinsüchtig. Flog<br />

wegen Schummelns von der Johns Hopkins<br />

School of Medicine und musste an der University<br />

of Michigan promovieren.<br />

House spielt großartig Piano.<br />

598


Lebenslauf Jacob J. Green<br />

Name: Green<br />

Vorname: Johnston Jacob<br />

Adresse Eltern: 30 Longview Avenue<br />

67548 Jericho, Kansas<br />

Tel. (785) 234-1597<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Green, Johnston Jacob<br />

Geburtsdatum: 21.01.1977<br />

Geburtsort: Jericho, Kansas<br />

Eltern: Gail Green, 09.05.1954, Krankenschwester<br />

Johnston Green, 12.08.1951. Ehem. US Marines:<br />

First Lieutenant, Town Major<br />

Geschwister: Eric, 17.04.1969, Anwalt, Jericho, ver. mit April<br />

Green, geb. Hunter, 10.03.1972, gest. 28.09.2003<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 145 Euclid Avenue, San <strong>Die</strong>go, Kalifornien<br />

98 Salang Wat, Kabul, Afghanistan<br />

34 Al Falluja Street, Bagdad, Irak<br />

87 Avenida Paseo Colón, Puntarenas, Costa Rica<br />

23 East Gunnison Place, Aurora, Denver,<br />

Colorado<br />

35 Botany Street, Hurstville, Sydney, Australia<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Highschool<br />

Beschäftigt: letzter Arbeitgeber: Allied and Associates Private<br />

Investigations<br />

Ausbildung<br />

05.09.1983 - 31.08.1995 Elementary & Highschool, Jericho<br />

01.11.1995 - 31.08.1999 Embry Riddle Aeronautical University, Daytona<br />

Beach, Florida<br />

Berufstätigkeit<br />

10.09.2001 - 18.03.2002 Luftfrachtpilot, San <strong>Die</strong>go, Kalifornien<br />

01.05.2002 - 22.11.2002 Söldner, Kabul, Afghanistan<br />

01.12.2002 - 03.02.2004 Söldner, Bagdad, Irak<br />

15.05.2004 - 31.01.2005 Gelegenheitsjobs<br />

23.03.2005 - 14.11.2005 Luftfrachtpilot, Denver, Colorado<br />

12.2005 - 07.2006 Jericho<br />

07.2006 - 05.2007 Sydney, Australien<br />

599


Auslandserfahrungen<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Söldneraufträge in Afghanistan und im Irak<br />

Als Pilot in Costa Rica<br />

Security Guard in Sydney, Australien<br />

Spanisch, Grundkenntnisse Persisch, Arabisch<br />

und Kurdisch<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Als Kind im See fast ertrunken<br />

Windpocken<br />

Mumps<br />

Blinddarm OP<br />

Steckschuss Oberschenkel rechts<br />

Bänderanriss Knöchel links<br />

Impfungen: Typhus, Malaria, Cholera, Hep A &<br />

B<br />

In Afghanistan 3 Tage bei Minus 40° in den<br />

Bergen verirrt<br />

Hat als Jugendlicher in einer Bande mitgewirkt<br />

und stieg erst aus, als es darum ging, eine Bank<br />

zu überfallen. Sein bester Freund, Chris Prowes<br />

kam seinetwegen bei dem vermasselten <strong>Über</strong>fall<br />

ums Leben. Danach heftiger Streit mit seinem<br />

Vater. Green verlässt daraufhin Jericho für 5<br />

Jahre.<br />

Hat in Afghanistan ein kleines Mädchen erschossen.<br />

600


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lebenslauf Katherine A. Austen<br />

Name: Austen<br />

Vorname: Katherine Anne<br />

Letzte feste Adresse: 12 Saint Luke Drive<br />

51301 Spencer, Iowa<br />

Tel. (712) 262-0333<br />

Persönliche Daten<br />

Name: Austen, Katherine<br />

Geburtsdatum: 03.05.1977<br />

Geburtsort: Spencer, Iowa<br />

Eltern: Diana Janssen, 23.06.1958, Kellnerin<br />

Wayne Janssen, 15.06.1954, gest. 19.08.1995,<br />

ehem. US Army: Sergeant, später Automechaniker<br />

Stiefvater Sam Austen, geb. 19.01.1951, U.S.<br />

Army: Sergeant<br />

Geschwister:<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: Verschiedene Motels, keine feste Adresse, unter<br />

anderem in Nebraska und Ohio, Minnesota,<br />

Idaho, Missouri, Illinois, Michigan, North<br />

Dakota, Colorado und Wisconsin.<br />

187 Monticello Street, Deltona, Florida<br />

3 Weir Road, Warragamba, Australien c/o Ray<br />

Mullen<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Highschool Spencer, Iowa<br />

Beschäftigt: Keinen festen Job<br />

Berufstätigkeit<br />

1995 - 2004 Aushilfsjobs in Spencer, Iowa und Umgebung<br />

Ausbildung<br />

05.09.1983 - 31.08.1995 Elementary & High school, Spencer, Iowa<br />

Auslandserfahrungen<br />

Aushilfsjob auf einer Farm in Australien<br />

601


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Kann gut mit Waffen umgehen<br />

Spuren lesen<br />

Hat die Gabe, Männer zu umgarnen und für sich<br />

arbeiten zu lassen.<br />

Als Kind 12 Stunden unter Sandmassen verschüttet,<br />

eig. tödlich, Freundin überlebte nicht<br />

Masern<br />

Röteln<br />

Als Austen geboren wird, lebt ihre Mutter mit<br />

Sam Austen zusammen. Kate hält diesen für<br />

ihren leiblichen Vater. Als Kate 5 ist, haben Sam<br />

Austen und ihre Mutter sich getrennt und ihre<br />

Mutter hat Wayne Jansen geheiratet. Erst, als<br />

Kate ein Militärfoto Austens findet, das zirka4<br />

Monate vor ihrer Geburt aufgenommen wurde,<br />

merkt sie, dass nicht Austen, sondern Jansen ihr<br />

leiblicher Vater ist. Der misshandelt Diane<br />

immer wieder und schreckt auch vor Kate nicht<br />

zurück. Daraufhin rastet Kate irgendwann aus,<br />

schließt eine hohe Versicherung auf das Wohnhaus<br />

ab und tötet Wayne durch eine Gasexplosion,<br />

die das Hause zerstört.<br />

Ihre Mutter selbst zeigte sie daraufhin an. Seither<br />

ist Kate auf der Flucht vor der Polizei. Einer<br />

ihrer hartnäckigsten Verfolger ist Edward Mars.<br />

Er schafft es immer wieder, Kate zu stellen, aber<br />

ihr gelingt immer wieder die Flucht. Nachdem<br />

sie sich zu ihrer an Krebs erkrankten Mutter ins<br />

Krankenhaus schleicht, mit Hilfe ihres Freundes<br />

seit Kindheit, Tom Brennan, muss sie erneut<br />

fliehen. Brennan besteht darauf, sie zu begleiten<br />

und kommt im Kugelhagel ums Leben. Unter<br />

dem Namen Monica versucht sie in Florida ein<br />

neues Leben zu beginnen, heiratet dort den<br />

jungen Polizisten Kevin Callis. Als Mars ihr erneut<br />

auf die Spur kommt, verlässt sie Callis. Bei<br />

einem neuen Versuch, Kate zu stellen, behauptet<br />

Mars, ein für sie extrem wichtiges Erinnerungsstück<br />

aus ihrer Kindheit in einem Schließfach in<br />

einer Bank in Ruidoso, New Mexico, deponiert<br />

zu haben. Sie bändelt mit einem jungen<br />

602


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kriminelle an und überredet ihn und seine<br />

Bande, ihr bei dem <strong>Über</strong>fall auf die Bank zu<br />

helfen. Der <strong>Über</strong>fall verläuft für Kate erfolgreich,<br />

während die Bande verhaftet wird. Kate<br />

verlässt jetzt das Land und flieh nach Sydney.<br />

Sie arbeitet 4 Monate auf einer Farm. Dann läuft<br />

sie Ford über den Weg.<br />

603


Lebenslauf John Locke<br />

Name: Locke<br />

Vorname: John<br />

54 Yeo Street, Neutral Bay,<br />

2089 Sydney, NSW, Australia<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Locke, John<br />

Geburtsdatum: 30.05.1956<br />

Geburtsort: Tulsa, Oklahoma<br />

Eltern: Emily Annabeth Locke, geb. 11.08.1940, Hausfrau<br />

Anthony Cooper, geb. 8.11.1930, ehem. US<br />

Army: Corporal<br />

Geschwister: Keine leiblichen Geschwister<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 65 East Brady Street, Tulsa, Oklahoma<br />

32 Ogden Street, Medford, Wisconsin<br />

765 East Prospect Road, Fort Collins, Colorado<br />

64 Kondos Avenue, Sacramento, Kalifornien<br />

35 Monte Maria Avenue, Novato, Kalifornien<br />

sechzehn8 San Juan Street, Tustin, Kalifornien<br />

34 Beneta Way, Tustin, Kalifornien<br />

Familienstand: Ledig<br />

Berufstätigkeit<br />

Verschiedene Jobs, Poolreiniger, Hausmeister,<br />

Klempner, Tischler, Elektriker,<br />

1985 - 1993 Leiter Welcome Home Hausinspektionen,<br />

Novato, Kalifornien<br />

1993 - 1996 Betriebsassistent, Enderle Shopping Center,<br />

Tustin, Kalifornien<br />

2002 - 2006 Vertriebsassistent Verpackungsfirma, Tustin,<br />

Kalifornien<br />

Ausbildung<br />

01.09.1962 - 31.08.1968 Elementary School, Fort Collins, Colorado<br />

01.09.1968 - 10.01.1971 Highschool Sacramento,, Kalifornien<br />

15.01.1971 - 31.08.1974 Highschool Novato, Kalifornien<br />

Auslandserfahrungen<br />

604


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Krankheiten oder Unfälle 0 +<br />

Sonstiges<br />

Schon als Kind hat John gelegentlich Visionen,<br />

die ihm zukünftige Ereignisse zeigen. Sehr viel<br />

später entdeckt er die Fähigkeit, Menschen und<br />

Tiere mental zu beeinflussen.<br />

Als Kind nach Wespenstich im Hals fast erstickt<br />

Keuchhusten<br />

Nieren OP<br />

Wirbelsäulenfraktur<br />

Schweres Schädeltrauma<br />

Wächst bei Pflegefamilien auf<br />

zwischen 1974 & 1985 verschiedenste Jobs<br />

85 - 93 Hausinspektionen<br />

93 - 96 Vertriebsassistent, Shopping Center<br />

96 Mutter taucht auf, macht ihn mit Anthony<br />

Cooper bekannt.<br />

97 Nieren OP<br />

97 - 98 Selbsthilfegruppe Aggressionsbewältigung<br />

97 - 99 Mit Helen Sagal leiert<br />

00 Anthony Cooper bittet um Hilfe<br />

00 Helen verlässt Locke<br />

01 - 02 Sekte<br />

02 Depressionstherapie<br />

03 Fenstersturz mit Lähmung, geschieht in Tustin<br />

06 Verschwindet nach Australien<br />

605


Lebenslauf Mick St.John<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: St. John<br />

Vorname: Mick<br />

2110 Drexel Ave.<br />

90048 Los Angeles, Kalifornien<br />

Tel. 1 (310) 555-0186<br />

Mail: MickStJohn@AOL.com<br />

License no.420731-6632 gültig vom 15.06.2006-15.06.2009<br />

Persönliche Daten<br />

Name: St. John, Mick<br />

Geburtsdatum: 28.11.1922<br />

Geburtsort: Boise, Idaho<br />

Eltern: Penelope St. John, 21.10.1893, Krankenschwester<br />

Jefferson St. John, 03.10.1888, kleines Lebensmittelgeschäft<br />

Geschwister: Keine<br />

Staatsangehörigkeit: Untoter Amerikaner<br />

Frühere Adressen: Boise, Idaho<br />

Green Bay, Wisconsin,<br />

New York<br />

LA, Kalifornien<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Bachelor in Kriminalistik<br />

Beschäftigt: Mick St.John, Privat Investigations<br />

Berufstätigkeit<br />

10.10.1940 - 12.05.1944 US Army Corps, Sanitäter im Zweiten Weltkrieg<br />

1950 - 1952 Musiker<br />

1952 - 1964 keinen festen Job, lebt vom Geld seiner Frau<br />

1964 - jetzt Privat Investigation<br />

Ausbildung<br />

01.09.1928 - 30.08.1934 Grammar (Elementary) School, Boise, Idaho<br />

01.09.1934 - 30.08.1940 Highschool, Boise, Idaho<br />

10.10.1940 - 15.06.1941 Ausbildung zum Sanitäter im US Army Corps<br />

01.11.1946 - 12.10.1950 Kriminologie, Louisiana State University, Baton<br />

Rouge, Louisiana<br />

606


Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Extrem schnell<br />

Extrem gutes Gehör und Geruchssinn<br />

Kann sehr hoch, bzw. tief springen<br />

Kann nur durch Feuer, Köpfen, Silber oder<br />

langes dem Sonnenlicht ausgesetzt sein getötet<br />

werden<br />

Holzpflock ins Herz paralysiert ihn<br />

Muss sich innerhalb 24 Std. eine gewisse Zeit im<br />

Freezer aufhalten.<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe unwichtig<br />

Sonstiges<br />

Schwere Schussverletzung im Krieg, kommt<br />

1944 nach Hause.<br />

Lieblingsblutsorte A positiv.<br />

1952 lernt St.John in ihrer Villa in Hollywood<br />

auf einer von ihr organisierten Party Coraline<br />

Duvall kennen. Sie wird geb. zirka1756, ist<br />

Mätresse Ludwig des 14.ten, wurde mit dem<br />

Fleur de Lis gezeichnet, und um 1774 herum<br />

zum Vampir gemacht. St. John heiratet sie kurz<br />

darauf. Sie hatte die Band, in der St.John zu der<br />

Zeit gesungen hat, engagiert. In der Hochzeitsnacht<br />

macht sie ihn zum Vampir. Er ist darüber<br />

vollkommen entsetzt. In einer sehr von Hassliebe<br />

betonten Beziehung reiben sie sich auf. Sie<br />

bleiben bis Ende 1985 zusammen, dann trennt<br />

Mick sich endgültig von seiner Frau, nachdem<br />

diese die damals 4 Jahre alte Beth Turner in dem<br />

verzweifelten Versuch, ihre Ehe zu retten, entführt<br />

und diese zum Vampir machen will.<br />

St.John befreit Turner und verbrennt seine Frau<br />

anschließend.<br />

Es ist eng befreundet mit Josef Kostan, der auch<br />

sein Geschäftspartner ist. Kostan macht Wertpapiergeschäfte.<br />

Er ist zirka400 Jahre alt. St.<br />

John lernt Kostan nach der Hochzeit mit<br />

Coraline durch diese in New York kennen.<br />

Seine Frau und Josef kennen sich seit 1862, sie<br />

lernten sich ebenfalls in New York kennen. Josef<br />

Kostan, der sich auch Charles Fitzgerald nennt,<br />

und St. John können sich anfangs nicht leiden.<br />

607


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

St. John hält Kostan für ein aufgeblasenes Arschloch,<br />

Kostan St. John für eine Schande für die<br />

Vampire.<br />

Spricht fließend Französisch und Spanisch.<br />

Sachen wie Weihwasser und Kruzifixe oder<br />

Knoblauch sind kein Problem für Vampire.<br />

Bezieht seine Nahrung von einer Blutbank.<br />

Benötigt nach schweren Verletzungen Blut zur<br />

Regenerierung<br />

Er ist bei der Ardennenoffensive dabei und überlebt<br />

diese.<br />

Kann feste Nahrung nicht verdauen, und nicht<br />

schmecken.<br />

608


Lebenslauf Fox W. Mulder<br />

Name: Mulder<br />

Vorname: Fox William<br />

2630 Hegal Pl.<br />

23242 Alexandria, Virginia<br />

Tel. (202) 555-0sechzehn0<br />

Mail: FWMulder@AOL.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Mulder, Fox William<br />

Geburtsdatum: 13.10.1961<br />

Geburtsort: Chilmark, Massachusetts<br />

Eltern: Tena Mulder, geb. Kuipers, 12.09.1941, Hausfrau,<br />

gest. sechzehn.02.2003, Selbstmord<br />

William Mulder, geb. 27.10.1936, gest. 04.1995<br />

ermordet von Alex Krycek, geheiratet 1959, getrennt<br />

seit 1974, ehem. US Navy: Captain, später<br />

Regierungsbeamter<br />

(Leiblicher Vater: C.G.B. Spender, geb. 1933,<br />

verh. mit Cassandra Spender, Sohn Jeffrey<br />

Spender, geb. 17.04.1963, FBI Special Agent)<br />

Geschwister: Samantha, geb. 21.11.1965, entf. 27.11.1973<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 12 South Road, Chilmark, Massachusetts<br />

34 Fernwoodroad, North Falmouth, Massachusetts<br />

23 Bell Street, West Warwick, Rhode Island<br />

187 Norham Gardens, Oxford, GB<br />

3rd. Avenue, Quantico, Virginia<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Psychologie, Summa cum laude<br />

Beschäftigt: FBI, Washington, DC<br />

<strong>Die</strong>nstmarkennummer JTT04701111<br />

Ausbildung<br />

01.09.1967 - 31.08.1973 Elementary School, Chilmark, Massachusetts<br />

01.09.1973 - 31.08.1976 Junior Highschool, North Falmouth, Massachusetts<br />

01.09.1976 - 31.08.1979 Sen. Highschool, West Warwick, Rhode Island<br />

01.01.1983 - 11.10.1986 University Oxford, Oxford, GB<br />

609


Berufstätigkeit<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

01.12.1986 - 20.10.1988 Behaviorial Science Unit, FBI, Quantico, Virginia,<br />

Abschlußarbeit: „<strong>Über</strong> Serienkiller und<br />

Okkultismus“<br />

21.10.1988 - 31.05.1991 Feld Agent, Abt. Gewaltverbrechen, FBI,<br />

Quantico<br />

01.06.1991 - 30.03.1992 Abteilung Verhaltenskriminalität<br />

01.04.1992 - jetzt FBI, Abteilung X Files, Washington, DC<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe 0 -<br />

Als Kind fast ertrunken im Meer<br />

Impfpassnummer 378671 Pockenimpfung<br />

Masern<br />

Windpocken<br />

Div. Verletzungen im <strong>Die</strong>nst<br />

Sonstiges<br />

<strong>Die</strong>nstwaffe: 9 mm Taurus 92 Automatic<br />

Glock 19<br />

Sig Sauer 226<br />

Smith and Wesson, 1056 & 1076<br />

sechzehn.06.1989 Regressionshypnose bei Dr.<br />

Heinz Werber,<br />

Wird Seekrank<br />

Feuerphobie<br />

Angst vor Spritzen und Untersuchungen<br />

Kann nicht mit Mikrofiche arbeiten,<br />

Außer Dana Scully einzige längere feste Beziehung<br />

zu Diane Fowley.<br />

Allergisch gegen Autorität, daher immer wieder<br />

beruflich in Schwierigkeiten.<br />

Liebt Basketball, Joggen und Schwimmen.<br />

Große Pornosammlung<br />

Vorgesetzte Abteilung Gewaltverbrechen:<br />

Reggie Purdue & Section Chief Scott Blevins<br />

Vorgesetzter bei den X Files: Assistent Director<br />

Walter Skinner<br />

1993 Anhörung wegen Subordination, Fehlverhalten,<br />

Eindringen in militärische Quarantänezone,<br />

sowie nicht genehmigte Reisen in der<br />

610


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong>nstzeit, daraufhin Schließung der X Akten,<br />

jedoch nur kurz.<br />

Vater wird von Alex Krycek angeschossen und<br />

getötet.<br />

Drogentherapie in 1999, um Halluzinationen<br />

auszulösen, die ihm Aspekte seiner Erinnerung<br />

geben sollen mit fast tödlichem Ausgang.<br />

611


Lebenslauf Sara Sidle<br />

Name: Sidle<br />

Vorname: Sara<br />

15 Red Ruby Court<br />

89147 Las Vegas, Nevada<br />

Tel. (702) 487-2568<br />

Mail: sasi@aol.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Sidle, Sara<br />

Geburtsdatum: sechzehn.09.1971<br />

Geburtsort: Lodi, Kalifornien<br />

Eltern: Laura Sidle, geb. 09.10.1952, Hausfrau (25 Jahre<br />

Gefängnisstrafe wegen Mordes an gewalttätigem<br />

Ehemann)<br />

Peter Sidle, geb. 11.06.1947, gest. 15.05.1983,<br />

ehem. US Navy: Petty Officer 3rd Class, später<br />

Automechaniker<br />

Geschwister: Danny, geb. 18.09.1967, Aufenthalt unbekannt<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 54 Mariposa Way, Lodi, Kalifornien<br />

6 Ramblewood Way, Woodbrige, Kalifornien<br />

43 Summer Drive, Dixon, Kalifornien<br />

2 Story Street, Cambridge, Massachusetts<br />

76 Ward Street, Berkeley, Kalifornien<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Physik: Bachelor in Harvard<br />

Master in Berkeley<br />

Beschäftigt: Crime Scene Investigation, Las Vegas<br />

Ausbildung<br />

06.09.1976 - 03.09.1982 Elementary School, Lodi, Kalifornien<br />

06.09.1982 - 19.09.1986 Senior Highschool, Lodi, Kalifornien<br />

03.11.1986 - 22.12.1989 Bachelor in theoretischer Physik, Harvard,<br />

Cambridge, Massachusetts<br />

05.03.1990 - 06.04.1992 Master in Physik, Berkeley, Kalifornien,<br />

Berufstätigkeit<br />

612


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

01.07.1992 - 30.09.1997 Gerichtsmedizin San Francisco, Kalifornien<br />

03.11.1997 - jetzt CSI, Las Vegas<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

Spezialgebiet Materialanalysen<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe A +<br />

Sonstiges<br />

Als Kind fast an Kohlenmonoxyd Vergiftung<br />

gestorben.<br />

Alkoholmissbrauch<br />

Röteln<br />

Armbruch als 11 jährige, Fahrradunfall<br />

Mutter töte den Vater wegen ständiger Misshandlungen<br />

mit einem Messer, als Sara 12 ist.<br />

Anschließend lebt Sara bei verschiedenen<br />

Pflegefamilien. Highschool Abschluss bereits<br />

mit sechzehn. Sidle kennt Grissom von Berkeley,<br />

er war einer ihrer Lehrer. <strong>Die</strong> beiden haben seit<br />

geraumer Zeit eine heimliche Beziehung.<br />

613


Lebenslauf James Ford<br />

Name: Ford<br />

Vorname: James<br />

Letzte bekannte Adresse: 23 Jackson Street<br />

35502 Jasper, Alabama<br />

Tel. (205) 545-2398<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: Ford, James<br />

Geburtsdatum: 20.07.1969<br />

Geburtsort: Jasper, Alabama<br />

Eltern: Mary Ford, geb. 12.03.1948, gest. 30.06.1977,<br />

Hausfrau<br />

Warren Ford, geb. 04.11.1945, gest. 30.06.1977,<br />

ehem. US Army: Private First Class, Bauunternehmer<br />

Geschwister:<br />

Staatsangehörigkeit: USA<br />

Frühere Adressen: 18 Glenview Drive, Jasper, Alabama<br />

43 Hillside Road, Oak Ridge, Tennessee<br />

342 Westmoreland Street, Richmond, Virginia<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Highschool nicht beendet<br />

Beschäftigt:<br />

Ausbildung<br />

01.09.1975 - 21.04.1977 Elementary School, Jasper, Alabama<br />

01.05.1977 - 31.08.1981 Elementary School, Oak Ridge, Tennessee<br />

01.09.1981 - 15.05.1984 Highschool, Richmond, Virginia abgebrochen<br />

Spezielle Kenntnisse<br />

Sehr passabler Boxer<br />

Exzellentes Gedächtnis<br />

Sehr hohe Allgemeinbildung<br />

Hohes literarisches Fachwissen<br />

Hervorragender Betrüger<br />

Spricht Spanisch ziemlich gut<br />

614


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe 0 -<br />

Sonstiges<br />

Als Kind im Schwimmbad fast ertrunken<br />

mit 4 schwere Angina, anschließend Mandeloperation<br />

mehrfach nach Boxkämpfen im Gefängnis im<br />

Krankenflügel<br />

leichtes Schädelhirntrauma nach Autounfall<br />

Tripper<br />

Nach dem Tod seiner Eltern von einem Verwandten<br />

zum nächsten geschubst. Er bricht die<br />

Highschool mit 15 ab, nachdem sein Onkel, bei<br />

dem er zu dem Zeitpunkt lebt, an einem Hirntumor<br />

stirbt und verdient sich als Aushilfe in<br />

verschiedenen Geschäften Geld. Schnell geht er<br />

jetzt zu Kleinkriminalismus über. Kleinere Einbrüche,<br />

<strong>Die</strong>bstähle, Hehlerei, mit 19 dann der<br />

erste größere Betrug, um ein paar Typen zu bezahlen,<br />

denen Ford Geld schuldet, und die<br />

drohen, ihn umzubringen. Danach beginnt er zu<br />

lesen, was er in die Finger bekommt und zeigte<br />

dabei ein unglaubliches Merkvermögen. <strong>Über</strong><br />

allem immer an erster Stelle die Suche nach dem<br />

Mann, der sein Leben zerstörte, den wahren<br />

Sawyer.<br />

01.06.1976 - 31.05.1977 Offener Jugendstrafvollzug<br />

10.05.1997 - 20.11.2001 Strafvollzugsanstalt Augusta, South Carolina<br />

Im April 2007 benutzt ihn ein alter Bekannter für<br />

einen Mord, an dem vermeintlichen Betrüger<br />

Sawyer, der sich angeblich in Sydney aufhalten<br />

soll. Nachdem Ford den Mann erschossen hat,<br />

erfährt er, dass es der Falsche war.<br />

615


Lebenslauf Ziva David<br />

Name: David<br />

Vorname: Ziva<br />

75 Libery Court Southeast<br />

20001 Washington, DC<br />

Tel. (202) 377-8956<br />

Mail: DavidZiva@gmx.com<br />

Persönliche Daten<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Name: David, Ziva<br />

Geburtsdatum: 19.11.1979<br />

Geburtsort: Tel Aviv, Israel<br />

Eltern: Ester David, geb. 30.10.1956, Kunstprofessorin<br />

Eli David, geb. sechzehn.07.1953, Assistant<br />

Director, Mossad<br />

Geschwister: Tali, geb. 26.03.1984 gest. 21.08.2000<br />

Ari, 31.07.1967. gest. 27.10.2005<br />

Staatsangehörigkeit: Israeli<br />

Frühere Adressen: 87 Ben Gurion, Tel Aviv<br />

12 Hayarkon Street<br />

Familienstand: Ledig<br />

Abschluss: Sprachen an der Uni Tel Aviv<br />

Beschäftigt: Navy Criminal Investigative Service<br />

Ausbildung<br />

04.04.1985 - 31.03.1991 Primary & High school, Tel Aviv<br />

01.05.1991 - 30.11.1997 Universität Tel Aviv<br />

Berufstätigkeit<br />

01.01.1997 - 13.06.2005 Mossad, wechselnde Einsatzorte<br />

18.06.2005 - jetzt NCIS, Washington, DC<br />

Auslandserfahrungen<br />

Hat unter Anderem in Paris und im Irak an Anti-<br />

Terroreinsätzen teilgenommen. Seit 2005 Einsatz<br />

als Agentin in Washington, DC<br />

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Spezielle Kenntnisse<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sprachen: Hebräisch, Arabisch, Englisch,<br />

Französisch, Spanisch, Türkisch fließend, solide<br />

Kenntnisse: Deutsch, Italienisch, Russisch.<br />

Ausgebildet in allen Waffentechniken, Töten<br />

ohne Waffen, Selbstverteidigung, Verhörspezialistin,<br />

war in mehr als 2 Dutzend Botschaften<br />

auf der ganzen Welt stationiert.<br />

Krankheiten oder Unfälle Blutgruppe AB negativ<br />

Sonstiges<br />

Als Kind fast im Meer ertrunken<br />

Schussverletzung bei einem Anti-Terroreinsatz<br />

im Gaza am Unterschenkel<br />

Messerwunde an der linken Seite bei Einsatz in<br />

Tel Aviv<br />

Röteln<br />

Keuchhusten<br />

Kennt 18 Möglichkeiten, einen Menschen mit<br />

einer Büroklammer zu töten. War dabei, als ihre<br />

Schwester bei einem Selbstmordattentat starb.<br />

Musste in Ausübung ihrer Pflicht ihren Halbbruder<br />

töten. War jüngster Führungsoffizier bei<br />

Mossad. Leidet unter Klaustrophobie, hat vor<br />

ihrem Einsatz beim NCIS bereit mit der heutigen<br />

Direktorin, Jennifer Shepard, bei verschiedenen<br />

Anti-Terroreinsätzen zusammen gearbeitet.<br />

Schabtai David billigte einen Bombenangriff im<br />

Gazastreifen, bei dem Aris Mutter ums Leben<br />

kam, er hatte sie nicht gewarnt. Daraufhin will<br />

Ari den Mossad, seinen Vater und ganz Israel<br />

vernichten.<br />

Dad war eine Weile in den USA stationiert<br />

(vielleicht in der israelischen Botschaft) und<br />

seine Frau hat er mitgenommen. Da er mit der<br />

US Regierung zusammen gearbeitet hat wurden<br />

er und seine Familie auch von Militärärzten behandelt.<br />

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