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Die Anderen - Über mich

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

1


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Man kann einem Menschen nicht den Boden unter den Füßen weg ziehen und dann erwarten,<br />

dass er sich normal benimmt.<br />

John Steinbeck (1902-1968)<br />

<strong>Über</strong> das Buch<br />

Sechzehn Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, sind in Sydney unterwegs.<br />

Sie nehmen den gleichen Flug zurück in die Staaten, ohne sich zu kennen. Doch bevor sie<br />

viele Monate später endlich ihr Zuhause erreichen, lernen sie sich kennen. Sehr viel besser als<br />

ihnen lieb ist!<br />

Das Flugzeug, welches sie eigentlich sicher zurück in die Staaten bringen soll, wird entführt.<br />

Sechzehn Menschen befinden sich plötzlich in einer Ausnahmesituation, wie sie schlimmer<br />

nicht sein kann. Entführt und Gefangen gehalten von Leuten, die keinerlei Skrupel kennen,<br />

werden sie durch die Hölle gejagt. Sie werden grausamen Tests und Versuchen unterzogen,<br />

die alle physisch und psychisch an ihre Grenzen und weit darüber hinaus treiben. Wie lange<br />

wird es dauern, bis einer von ihnen auf der Strecke bleibt?<br />

<strong>Die</strong> Autorin<br />

Schon immer sagte man mir eine blühende Fantasie nach. Und ich hatte schon immer einen<br />

Hang zum Schreiben. Aufsätze, Diktate, später seitenlange Reiseberichte über unsere<br />

Urlaubsreisen. Meine erste Fanfiktion schrieb ich mit 26. Nicht, dass ich gewusst hätte, dass<br />

es eine Fanfiktion ist! Erst 2007 machte ich Bekanntschaft mit dieser ganz besonderen Art der<br />

Literatur. Und sah plötzlich eine Chance, meine kreative Seite mit anderen zu teilen. Ich legte<br />

los und veröffentlichte meine Ergüsse auf einer Website für Gleichgesinnte. <strong>Die</strong> ersten Leser<br />

stellten sich ein und ich schrieb wie im Rausch weiter. So ist es bis heute geblieben. Ich liebe<br />

das Schreiben und es macht <strong>mich</strong> süchtig, Kommentare von zufriedenen Lesern zu erhalten!<br />

2


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

1<br />

3


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Alle Charaktere aus der Serie gehören dem jeweiligen TV Sender. <strong>Die</strong>se Fanfiktion dient<br />

der reinen Unterhaltung und ist ohne jedes finanzielle Interesse geschrieben<br />

und veröffentlicht worden.<br />

Verantwortung und Copyright für den Inhalt der Geschichte entspringen meiner Fantasie<br />

und sind daher mein Eigentum. Eine Verletzung von Urheberrechten ist nicht beabsichtigt.<br />

4


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong>.<br />

Phase 1: Eingewöhnung und Erziehung ............................................................................... 9<br />

Maximen beim Handeln sind notwendig, um der Schwäche des Augenblicks Widerstand leisten zu können. .............. 9<br />

Wo sind wir? ............................................................................................................................ 10<br />

Frei ist, wer in Ketten tanzen kann. ....................................................................................................................................................... 10<br />

Eingewöhnungsphase .......................................................................................................... 18<br />

Mensch: ein vernunftbegabtes Wesen, das immer dann die Ruhe verliert, wenn von ihm verlangt wird, dass es nach<br />

Vernunftgesetzen handeln soll. ...................................................................................................................................................................... 18<br />

Gehorsamsübungen .............................................................................................................. 26<br />

Jeder Mensch macht Fehler. Das Kunststück liegt darin, sie dann zu machen, wenn keiner zuschaut. .......................... 26<br />

Testreihen ............................................................................................................................... 34<br />

<strong>Die</strong> Leistungen der Menschen sind bemerkenswerter, wenn man die Beschränkungen betrachtet, unter denen sie sich<br />

mühen. .................................................................................................................................................................................................................. 35<br />

Doktorspielchen ..................................................................................................................... 42<br />

<strong>Die</strong> Angst ist unerträglicher als der Schmerz; die Angst schärft die Empfindungen, während der Schmerz sie<br />

Abstumpft. ......................................................................................................................................................................................................... 42<br />

Wartezeiten ............................................................................................................................ 49<br />

Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel. ............................. 49<br />

<strong>Über</strong>legungen ........................................................................................................................ 57<br />

Im Reiche der Wirklichkeit ist man nie so glücklich wie im Reiche der Gedanken. ............................................................... 57<br />

Psychotests ............................................................................................................................. 62<br />

Mensch: das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige was Grund dazu hat. ................................ 62<br />

Durst ........................................................................................................................................ 70<br />

Du hast die Wahl. Du kannst dir Sorgen machen, bis du davon tot umfällst. Oder du kannst es vorziehen, das bisschen<br />

Ungewissheit zu genießen. .......................................................................................................................................................................... 70<br />

Zwei Türen ............................................................................................................................. 80<br />

Es gibt keinen Ausweg, den ein Mensch nicht beschreitet, um die tatsächliche Arbeit des Denkens zu vermeiden. ......... 81<br />

Ruhe vor dem Sturm............................................................................................................. 94<br />

Ein Irrtum zu glauben, durch die Nichterzeugung von Lärm Ruhe produzieren zu können. ................................................. 95<br />

Grausame Bestrafung .......................................................................................................... 98<br />

Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht<br />

man nicht. ........................................................................................................................................................................................................... 98<br />

<strong>Die</strong> Chance ............................................................................................................................ 108<br />

Ein Mensch, der für nichts zu sterben gewillt ist, verdient nicht zu leben. ....................................................................................108<br />

Trügerische Ruhe ................................................................................................................ 114<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist der einzige Weg, auf dem selbst die Dummen zu einer gewissen Größe gelangen. ........................................114<br />

Phase 2: Zermürbung und Gehorsam .............................................................................. 125<br />

Gewalt zwingt uns zum Gehorsam. Das ist das Bitterste für einen Menschen: bei allem Wissen keine Macht zu<br />

haben. .................................................................................................................................................................................................................. 125<br />

Sawyer in Not ...................................................................................................................... 125<br />

Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität. ............................................................................... 125<br />

Unter Druck ......................................................................................................................... 133<br />

Meist belehrt erst der Verlust über den Wert der Dinge. ................................................................................................................ 133<br />

Geschafft ............................................................................................................................... 142<br />

5


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Starke kann fallen, aber er strauchelt nicht. .................................................................................................................................. 142<br />

Tintenkleckse ....................................................................................................................... 151<br />

Wir fliehen vor der Selbsterkenntnis, um das Bild, das wir uns von uns gemacht haben, nicht zerstören zu müssen. ....... 151<br />

Jake auf Entzug ................................................................................................................... 155<br />

Mit dem Geist ist es wie mit dem Magen: Man kann ihm nur Dinge zumuten, die er verdauen kann. ...................... 155<br />

Am Ende ............................................................................................................................... 162<br />

Wenn die Leiden kommen, so kommen sie nicht wie einzelne Späher, nein - sie kommen in Geschwadern. ................... 162<br />

Abbruch ................................................................................................................................ 170<br />

In einem Tag kann man die Schrecken der Hölle erleben; es ist reichlich genug Zeit dazu. .............................................. 170<br />

External World 1: Vermisst .................................................................................................. 178<br />

Gewissheit ist die Grundlage, nach der die menschlichen Gefühle verlangen. ................................................................................. 178<br />

Lockes Teststrecke ............................................................................................................... 189<br />

Ich rate, lieber mehr zu können als man macht, als mehr zu machen als man kann. ................................................................ 189<br />

Piranhas ............................................................................................................................... 196<br />

Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie<br />

auch ist. ............................................................................................................................................................................................................. 196<br />

Rorschach und Co. .............................................................................................................. 203<br />

Alles, was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen. ................................................... 204<br />

Vae victis. ............................................................................................................................. 209<br />

Das Gute und das Böse, Belohnung und Strafe, sind die einzigen Motive eines rational denkenden Lebewesens; sie<br />

stellen die Sporen und Zügel dar, mit der die gesamte Menschheit zur Arbeit veranlasst und angeleitet wird. .............. 209<br />

Akt 1: Jakes Schuld ........................................................................................................................................................... 210<br />

<strong>Die</strong> Unwahrheiten liegen oft nicht in dem, was man sagt, sondern in dem, was man nicht sagt. ......................................... 210<br />

Akt 2: Sawyer zerbricht ............................................................................................................................................. 214<br />

Wie tief ein Mensch leidet, kann der andere nie erfahren. ............................................................................................................ 214<br />

Akt 3: Atrax robustus ..................................................................................................................................................... 225<br />

Der Tod begeht keine Fehler, wenigstens macht er keinen wieder gut. .......................................................................................... 225<br />

Akt 4: Gibbs’ Rache ............................................................................................................................................................ 235<br />

Wer die Spielregeln aufstellt, gewinnt auch. Das ist der Sinn der Spielregeln. ......................................................................... 235<br />

Akt 5: Blut und Knochen ............................................................................................................................................ 239<br />

Drei können ein Geheimnis wahren wenn zwei von ihnen tot sind. ............................................................................................... 239<br />

Akt 6: Saras Demütigung......................................................................................................................................... 245<br />

Keine Wunde ist in mir so vernarbt, dass ich sie ganz vergessen könnte ..................................................................................... 245<br />

Akt 7: Lockes Ängste ....................................................................................................................................................... 249<br />

Wenn die Wunde nicht mehr wehtut, schmerzt die Narbe ........................................................................................................... 249<br />

Akt 8: X Files ................................................................................................................................................................................ 256<br />

Ein Mensch ohne Aufrichtigkeit ist wie ein Gefährt ohne Achse, unbeweglich und unverwendbar. .................................. 257<br />

Akt 9: Mossad .............................................................................................................................................................................264<br />

Treue hat nur Wert als ein Gegengeschenk, sonst ist sie die größte Verschwendung. ................................................................264<br />

Akt 10: Erlösung .....................................................................................................................................................................270<br />

Trösten ist eine Kunst des Herzens. Sie besteht oft nur darin, liebevoll zu schweigen und schweigend mit zu Leiden. 270<br />

External World 2: Nachforschungen .................................................................................... 281<br />

Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen, sondern eine Wirklichkeit, die es zu erfahren gilt. ...................................... 281<br />

The day after ........................................................................................................................ 292<br />

Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion. .............. 292<br />

6


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Das Halsband ...................................................................................................................... 299<br />

Schämt euch zu sterben, ehe ihr einen Sieg für die Menschheit errungen habt.......................................................................... 299<br />

Draußen ................................................................................................................................ 304<br />

Wir sind nur dadurch erfolgreich, dass wir uns im Leben oder im Krieg oder wo auch immer ein einzelnes beherrschendes<br />

Ziel setzen, und diesem Ziel alle anderen <strong>Über</strong>legungen unterordnen. ........................................................................................ 304<br />

Schmerzgrenzen .................................................................................................................. 313<br />

Nichts in der Welt versteht sich so gut wie zwei Träger gleicher Schmerzen. ............................................................................. 313<br />

External World 3: Princeton Plainsboro ............................................................................... 321<br />

<strong>Die</strong> Erfahrung hat keinerlei ethischen Wert. Sie ist nur ein Name, den die Menschen ihren Irrtümern verleihen. .. 321<br />

Heilung ................................................................................................................................. 330<br />

Leiden liegt in der menschlichen Natur; aber wir leiden nie, oder zumindest sehr selten, ohne die Hoffnung auf Heilung<br />

zu nähren; und die Hoffnung selbst ist eine Freude. ........................................................................................................................ 330<br />

Heimkehr .............................................................................................................................. 339<br />

Heimat ist nicht immer dort, wo man wohnt, sondern dort, wo man liebt und geliebt wird. ....................................................... 339<br />

Phase 3: Begreifen und Akzeptieren ................................................................................. 348<br />

Hoffnung ist das Band zwischen Verzweiflung und Akzeptanz. .............................................................................................. 348<br />

Lernefekt ............................................................................................................................... 348<br />

Manche brauchen zwei Jahre um sprechen zu lernen und fünfzig, um schweigen zu lernen. .............................................. 348<br />

External World 4: Spurlos .................................................................................................... 358<br />

Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt. ........................................................................................... 358<br />

<strong>Die</strong> Kiste ................................................................................................................................ 364<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist irgendwo da draußen. ................................................................................................................................................ 364<br />

Beyond the sea ..................................................................................................................... 372<br />

Schon immer beruhten die meisten menschlichen Handlungen auf Angst oder Unwissenheit. ........................................... 372<br />

Bettruhe ................................................................................................................................ 378<br />

Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen: <strong>Die</strong> Hoffnung, das Lachen und der Schlaf. ......... 378<br />

Fangschuss ........................................................................................................................... 386<br />

Auf die bösen Menschen ist Verlass, sie ändern sich wenigstens nicht. ...................................................................................... 386<br />

Den Letzten beißen die Hunde .......................................................................................... 391<br />

Schlaf und Hoffnung sind die beiden Beruhigungsmittel, welche die Natur der Menschheit gab, um ihr die<br />

Mühseligkeiten, welches sie erfährt, erträglicher machen. ................................................................................................................... 391<br />

External World 5: Verzweifelte Suche.................................................................................. 400<br />

Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt. ...................................................................................................................................... 400<br />

Ask him for it. ...................................................................................................................... 404<br />

<strong>Die</strong> Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man es einem Chirurgen und<br />

einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise. .................................................................................................................. 405<br />

Contrary to the end ... ........................................................................................................ 414<br />

Wer je in das Auge eines leidenden oder sterbenden Tieres geblickt hat, fühlt das Verwandtschaftliche alles Leidens und<br />

aller Qual dieser Erde.................................................................................................................................................................................... 414<br />

Rebound ................................................................................................................................ 423<br />

Oh wie trügerisch ist die Hoffnung der Menschen, wie gebrechlich ihr Glück, wie nichtig all unser Streben. .................. 423<br />

<strong>Die</strong> Wassertanks.................................................................................................................. 431<br />

Wenn auch die Fähigkeit zu täuschen ein Zeichen von Scharfsinn und Macht zu sein scheint, so beweist doch die<br />

Absicht zu täuschen ohne Zweifel Bosheit und Schwäche. ............................................................................................................. 431<br />

Funeral Pile .......................................................................................................................... 439<br />

7


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lieber stehend sterben als kniend leben. .................................................................................................................................................. 439<br />

Der Galgen ........................................................................................................................... 449<br />

Fürchtet doch nicht so den Tod und mehr das unzulängliche Leben. ............................................................................................ 449<br />

Der Kampf ............................................................................................................................ 454<br />

Es ist keine Schande hinzufallen, aber es ist eine Schande, einfach liegen zu bleiben. ................................................................ 454<br />

External World 6: Aufbruch .................................................................................................. 461<br />

Es scheint ein typisch menschlicher Fehler zu sein, dass wir den Wert einer Person oder einer Sache meistens erst dann<br />

erkennen, wenn wir sie verloren haben. .................................................................................................................................................... 461<br />

<strong>Die</strong> Säge ................................................................................................................................ 470<br />

Sterben kann gar nicht so schwer sein - bisher hat es noch jeder geschafft. ................................................................................... 470<br />

<strong>Die</strong> Eiserne Jungfrau.......................................................................................................... 476<br />

Niemand meint alles was er sagt, und nur wenige sagen alles was sie denken. ............................................................................ 476<br />

Fröhliche Weihnachten ...................................................................................................... 483<br />

Man muss zum Sterben bereit sein. Wahre Liebe findet sich nur dort, wo des Opferns bis zum Tode kein Ende ist. 483<br />

Acht Stunden ........................................................................................................................ 495<br />

Es ist sinnlos zu sagen, wir tun unser Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun, was erforderlich ist. ...................................... 495<br />

Suffocatio .............................................................................................................................. 501<br />

Wie wichtig Luft für den Menschen ist weiß er erst dann, wenn er zu ersticken droht, und wie schön es ist, atmen zu<br />

können, weiß er erst, wenn er stirbt. .......................................................................................................................................................... 501<br />

<strong>Die</strong> Brücke ............................................................................................................................ 510<br />

Mut steht am Anfang des Handels, Glück am Ende. .................................................................................................................. 510<br />

Der Sumpf ............................................................................................................................ 517<br />

Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dort hin wo kein Weg ist und hinterlasse eine Spur. .............................. 517<br />

Hindernisparkur ................................................................................................................. 527<br />

Man kann einem Menschen nicht den Boden unter den Füßen wegziehen und erwarten, er werde sich normal<br />

benehmen. ......................................................................................................................................................................................................... 527<br />

Endspurt ............................................................................................................................... 537<br />

Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen. .....................................................................537<br />

External World 7) Stadt der Engel .................................................................................. 544<br />

Man darf Menschen nicht wie ein Gemälde oder eine Statue nach dem ersten Eindruck beurteilen, die haben ein<br />

Inneres, ein Herz, das ergründet sein will. .......................................................................................................................................... 544<br />

Rehabilitatio ........................................................................................................................ 553<br />

Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele behandeln. ............................................................................................... 554<br />

Oh holy night ....................................................................................................................... 561<br />

Lasse gehen was du liebst. Kehrt es zurück, gehört es dir für immer. ............................................................................................ 561<br />

Linderung ............................................................................................................................. 574<br />

Selbstaufopferung ist das eigentliche Wunder, aus dem alle anderen Wunder entspringen. .................................................... 574<br />

Phase 4: Am Boden ............................................................................................................. 587<br />

Das ist so im Leben der Heiligen und Helden: es gibt Stunden der Verblendung, der Verwirrung, des Unterliegens.<br />

............................................................................................................................................................................................................................ 587<br />

Happy New Year ................................................................................................................ 587<br />

Jeder hat Grund, den Beginn des neuen Jahres zu feiern, er hat ja das Alte überlebt. ......................................................... 587<br />

Front yard to hell ................................................................................................................ 597<br />

Sei dazu entschlossen und die Sache ist getan. ....................................................................................................................................... 597<br />

Deprivation .......................................................................................................................... 609<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Von allen Gefühlen ist die Angst dasjenige, das die Urteilskraft am meisten schwächt. ...................................................... 609<br />

Ende Part 1 ............................................................................................................................. 618<br />

Phase 1: Eingewöhnung und Erziehung<br />

Maximen beim Handeln sind notwendig, um der Schwäche des<br />

Augenblicks Widerstand leisten zu können.<br />

Artur Schoppenhauer<br />

9


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wo sind wir?<br />

Frei ist, wer in Ketten tanzen kann.<br />

Friedrich Nietzsche<br />

Dr. Temperance Brennan, die überragende Anthropologin des Jeffersonian Institutes<br />

in Washington DC, wachte übergangslos auf. Sie lag auf kaltem Betonboden, soviel<br />

realisierte sie. <strong>Über</strong> sich sah sie eine nackte, weiß getünchte Decke mit einer eingelassenen,<br />

kalten Neonröhre. Sie schloss die Augen, öffnete sie erneut, aber der Anblick blieb der<br />

Gleiche. Langsam setzte die junge Doktorin sich auf. Ihr wurde schwindelig und Wellen von<br />

Übelkeit schossen durch ihren Magen. Tief atmete sie ein. Um sich herum erkannte sie jetzt<br />

Gitterstäbe. Und urplötzlich wurde der jungen Frau klar, dass sie nackt war. Sie versuchte<br />

unsinniger Weise sofort, ihre Blößen mit den Händen zu bedecken. Was, um alles in der Welt,<br />

war geschehen? Sie bemühte sich krampfhaft, sich zu erinnern, was passiert war. Das Letzte,<br />

an das die Wissenschaftlerin sich erinnerte war ein eigenartig vertrauter Geruch, der sich im<br />

Flugzeug urplötzlich ausgebreitet hatte. Sie hatte sich kurz gewundert, was dieser Geruch in<br />

einem Flugzeug zu suchen hatte und wollte sich darüber bei ihrem Begleiter, FBI Special<br />

Agent Seeley Booth, beschweren … Das war dann auch das Letzte, dass Bones, wie sie liebe-<br />

voll und ein wenig ironisch von Freunden und Kollegen genannt wurde, erinnerte. Wie war<br />

sie hier in diese äußerst prekäre Lage gekommen? Wo war sie überhaupt? Wo war Booth?<br />

Der Gedanke an ihren Freund und Partner elektrisierte sie. Taumelnd kam sie auf die Beine.<br />

Mit zittrigen Beinen trat die junge Frau an die Tür ihrer Zelle, in der sie jetzt ein vielleicht<br />

dreißig Mal dreißig Zentimeter großes Loch bemerkte. Der Blick nach rechts und links war<br />

ihr durch Wände verwehrt. <strong>Die</strong> junge Frau versuchte, außerhalb ihres Käfigs etwas zu er-<br />

kennen.<br />

Als erstes stellte sie fest, dass ihre Zelle nur eine in einer kreisförmig angeordneten,<br />

ganzen Reihe von Zellen in einem sehr großen, runden Raum war. Rechts neben ihrer Zelle<br />

und genau gegenüber gab es zwei stabil aussehende Türen. Da sie nicht direkt in ihre Nach-<br />

barkäfige gucken konnte, versuchte sie, die Personen in den Zellen ihr gegenüber zu er-<br />

kennen. Sie konnte sich noch so sehr den Hals verrenken, wer in den Zellen lag und ob Booth<br />

unter den Personen war, war für sie nicht zu ermitteln. Also drehte sie sich herum und sah<br />

sich in ihrem Gefängnis um. Zwei Mal drei Meter, größer war dieser Käfig nicht. An der<br />

10


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

rechten Wand war offensichtlich eine Liege befestigt, die allerdings hoch geklappt war. Bones<br />

machte ein paar Schritte und versuchte, die Liege von der Wand zu klappen, was ihr jedoch<br />

nicht gelang. Irgendwie schien da etwas verriegelt zu sein. Bones sah sich weiter um und ent-<br />

deckte erst jetzt ein WC, ungeschützt und frei einsehbar, an der linken Wand der Zelle,<br />

daneben ein winzig kleines Waschbecken, mit einer Zahnbürste und Zahncreme in einer<br />

Halterung an der Wand. Neben dem Waschbecken an der Wand hing ein Handtuch. Sie<br />

wankte auf das Waschbecken zu, betätigte den Hahn und ließ sich kühles Wasser in die<br />

Hände laufen. Damit spülte sie ihr Gesicht, in der Hoffnung, dann etwas klarer zu werden. Sie<br />

sah sich weiter um und plötzlich blieb ihr Blick wie elektrisiert an einer Kameralinse in der<br />

Ecke ihrer Zelle hängen. Reflexartig zuckten ihre Hände nun doch wieder vor ihre Blößen, als<br />

ihr schlagartig klar wurde, dass man sie offensichtlich überwachte.<br />

Nach der ersten Schrecksekunde trat Bones dichter an die Linse der Kamera heran. Sie<br />

sagte laut: „HEY. Wer seid ihr? Zeigte euch gefälligst, ich will wissen, wer ihr seid. Was habt<br />

ihr mit uns vor? Was soll das alles hier?“ Sie wartete, erhielt aber keine Antwort. Noch ein-<br />

mal versuchte Temperance, eine Reaktion zu erhalten. „Verdammt noch mal, meldet euch<br />

gefälligst. Was soll das hier? Wo sind wir?“ Sie hatte noch einmal an Stimmvolumen zu-<br />

gelegt, erwartet halb und halb, eine Lautsprecherstimme zu hören, die ihr ausreichende Aus-<br />

kunft bezüglich der Fragen, die die Anthropologin hatte, gab. Und zuckte erschrocken erneut<br />

zusammen, als tatsächlich eine knurrige Stimme antwortete, jedoch mitnichten aus einem<br />

Lautsprecher, sondern aus einer der Nachbarzellen. „Muss das sein, dass hier so gebrüllt<br />

wird? Mein Kopf hämmert auch ohne deinen Lärm schon genug.“ Bones wirbelte herum und<br />

trat erneut an die Tür. „Wer sind sie?“ „Jemand mit Kopfschmerzen aus der Suite gegenüber.<br />

Hast du zufällig Vicodin dabei? “ Bones schüttelte genervt den Kopf und dachte im Stillen -<br />

Was für ein Idiot. - Laut und in einem leicht belehrenden Tonfall sagte sie: „Hören Sie, mein<br />

Name ist Doktor Temperance Brennan. Ich arbeite am Jeffersonian Institute für Anthropo-<br />

logie in DC.“ „Wie schön für dich.“, kam die prompte, genervte Antwort. „Schwachkopf.“,<br />

entfuhr es der Wissenschaftlerin. Bevor die vielversprechende Unterhaltung weiter geführt<br />

werden konnte, hörte man eine verängstigt klingende, weibliche Stimme aus einer der anderen<br />

Zellen. „House? Sind Sie das? Sind Sie in Ordnung? Wo sind wir hier? Was ist passiert?“<br />

„Ich habe <strong>mich</strong> selten besser gefühlt. Wie sieht es bei ihnen aus, Cameron? Und wo wir sind?<br />

Hyatt Regency?“ „Wie sind wir hier her gekommen?“ Bones meldete sich erneut zu Wort,<br />

nachdem scheinbar ein durchaus vernünftiger Mensch zu ihren Mitgefangenen gehörte. „Ent-<br />

schuldigung, dass ich <strong>mich</strong> in Ihre Kommunikation mische. Darf ich erfahren, wer Sie sind?“<br />

Sofort kam die erstaunte Antwort: „Mein Name ist Allison Cameron, wer sind Sie?“ Tempe<br />

wiederholte ihren Namen und fragte dann: „Gehört dieser Ausbund an Intelligenz hier zu<br />

11


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ihnen?“ Empört schallte die Stimme der Ärztin zu Bones herüber. „Dr. House ist mein Vor-<br />

gesetzter am Princeton Plainsboro Teaching Hospital in Princeton, New Jersey. Er ist eine<br />

Koryphäe auf dem Gebiet der Diagnostik. Ich arbeite in seiner Abteilung, Schwerpunkt<br />

Immunologie.“<br />

Bones schüttelte entnervt den Kopf. „<strong>Die</strong>ser Mensch ist Arzt?“ „Wer ist hier Arzt?“,<br />

kam eine weitere männliche Stimme aus einer der Nachbarzellen. Es schien noch mehr Mit-<br />

gefangene zu geben, die jetzt langsam zu sich kamen. <strong>Die</strong> obligatorische Frage: „Wer sind<br />

sie?“ kam diesmal von Dr. Cameron. <strong>Die</strong> Antwort erfolgte sofort. „Der Weihnachtsmann,<br />

Honey, und du? Bist du auch nackt? Dann würde ich dich gerne kennen lernen, du klingst<br />

sehr sexy.“ „Haben Sie keine anderen Probleme, Mister?“, empörte sich die junge Immuno-<br />

login. „Nein, derzeit nicht …“, erfolgte die lakonische Antwort. „Würde es Ihnen viel aus-<br />

machen, ihre Verabredungen zu einem späteren Zeitpunkt zu treffen?“ „GIL? Bist du das?“<br />

Ein Mann und eine weitere weibliche Stimme. Der mit Gil angesprochene antwortet sofort:<br />

„Ja, ich bin es. Sara? Ist bei dir alles in Ordnung? Geht es dir gut?“ <strong>Die</strong> knurrige Stimme des<br />

Diagnostikers schallte dazwischen. „Wie rührend.“ „Stellen Sie sich doch bitte auch kurz<br />

vor.“, forderte Bones die zuletzt dazu gekommenen Stimmen auf. Bevor diese jedoch<br />

Antworten konnten meldete sich die Stimme zu Wort, die Bones zum Teil erhofft, zum Teil<br />

aber auch Angst davor gehabt hatte, sie zu hören, bewies es doch, dass ihr Freund ebenfalls<br />

hier gefangen war. „Bones? Wer ist denn so dämlich, dich zu entführen?“ Kurz zuckte ein<br />

Lächeln über Tempes Gesicht. „Booth? Geht es dir gut?“ Booth klang leicht nörgelig. „Ja,<br />

soweit man nackt in einer Gitterzelle aufzuwachen als gut bezeichnen kann.“ Bones lächelte<br />

befreit. Dann setzte sie noch einmal nach. „Wir wurden unterbrochen. Dürfen wir erfahren,<br />

wer sich hinter Gil verbirgt?“ „Mein Name ist Gil Grissom und meine Partnerin ist Sara Sidle,<br />

wir sind vom CSI Las Vegas. Mit wem haben wir das Vergnügen?“ Abgesehen von House<br />

und dem sexistisch veranlagte, offensichtlich jüngeren Mann, der es in keiner Weise für nötig<br />

hielt, sich vorzustellen, machten sich erneut alle bekannt. Bones Bekannter erklärte: „Seeley<br />

Booth, FBI Special Agent aus DC.“ „Na toll …“, kam die gegrunzte abfällige Bemerkung des<br />

Sexisten. Dafür antwortet eine weitere männliche, fast sanft und sehr sympathisch klingende<br />

Stimme: „Gibt es einen Ort auf dieser Welt, an dem man nicht auf einen Kollegen trifft? FBI<br />

Special Agent Fox Mulder, ebenfalls DC. Ich fürchte, meine Partnerin, Special Agent Dana<br />

Scully könnte ebenfalls hier sein?“ „Mulder, ich bin hier, ist bei dir alles in Ordnung?“,<br />

schallte eine weitere, leicht besorgt klingende, weibliche Stimme dazwischen. „Ich komme<br />

klar, mach dir keine Sorgen. Bist du in Ordnung?“, erfolgte die Antwort umgehend. „Ja, mir<br />

geht es soweit gut, nichts passiert.“ Dana Scully klang ruhig und beherrscht. „Was für eine<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

illustre Gesellschaft von unterbezahlten Staatsdienern.“, kam ein weiterer One Liner aus Dr.<br />

House‟ Zelle.<br />

Booth‟ Stimme erschallte wieder. „Fox Mulder? Spooky? Ich habe schon erstaunliches<br />

von Ihnen gehört.“ Das klang halb ironisch, halb bewundernd. Aus der Richtung des jungen<br />

Mannes ohne Namen kam ein abfälliges Schnaufen. Und in dieses Schnaufen hinein meldete<br />

sich nun eine weitere weibliche Stimme zu Wort, in der deutlich Angst lag. „Sawyer? Sawyer,<br />

bist du das? Bist du hier?“ Erstmals klang die Stimme des jungen Mannes alarmiert. „Kate?<br />

Du auch hier? Scheiße, was soll der Mist? Geht es dir gut?“ Sehr offensichtlich schwang Be-<br />

sorgnis und Ernst in der bisher so frechen, ironischen Stimme. Man brauchte kein Genie sein,<br />

um zu erkennen, dass da zwei waren, die sich viel bedeuteten. „Mach dir keine Sorgen,<br />

Sawyer, mir geht es soweit gut. Wie sind wir hier her geraten und wer sind die anderen? Was<br />

soll das alles?“ <strong>Die</strong> mit Kate angesprochene Frau klang verwirrt. Bones meldete sich erneut<br />

zu Wort. „Wie es scheint, wurden wir im Flugzeug durch ein Gas betäubt und hier her ge-<br />

schafft. Und ganz offensichtlich sind wir recht viele.“ „Wo immer dieses hier auch sein<br />

mag.“, schoss Special Agent Mulder dazwischen. Eine weitere, diesmal wieder männliche<br />

Stimme ertönte. „Hallo. Mein Name ist Jake Green. Ich komme aus Jericho, Kansas. Wo sind<br />

wir hier?“ Genervtes Stöhnen aus Zelle Dr. House. „Wenn wir so weiter machen, ist es<br />

Ostern, bevor sich alle vorgestellt haben …“ „Jake?“ Eine junge Frau stieß aufgeregt den<br />

Namen hervor. „Jake? Geht es dir gut?“ Der junge Mann erwiderte besorgt: „Heather?<br />

Verflucht noch mal. Was soll das alles hier?“ „Das wüsste ich durchaus auch gerne.“ <strong>Die</strong><br />

männliche Stimme klang ruhig und überlegen. „Gibbs? Gibbs. Du bist hier.“ Eine hibbelig<br />

und jetzt deutlich erleichtert klingende junge Frau meldete sich nun aufgeregt zu Wort. Der<br />

mit Gibbs angesprochene sagte beruhigend: „Abby. Ich bin hier, mach dir keine Sorgen.<br />

Weißt du, ob Ziva …“ Er beendete den Satz nicht, brauchte er auch nicht, denn eine weitere<br />

Frauenstimme knurrte ziemlich genervt: „Ich bin auch hier, danke der Nachfrage, Gibbs.“ Ein<br />

leises Lachen. „Ziva. Schön, dass es dir gut geht.“ Booth mischte sich ein. „Dürften wir er-<br />

fahren, wer Sie sind?“ „Special Agent Leroy Jethro Gibbs, NCIS, Officer Ziva David, Mos-<br />

sad, und Abby Sciuto, ebenfalls NCIS, Washington.” „NC … Was?“ Dr. House Stimme tönte<br />

genervt dazwischen. „Naval Criminal Investigative Service. Komisch, selbst hier gibt es<br />

Idioten, die uns nicht kennen.“ Gibbs Stimme klang immer noch vollkommen gelassen und<br />

ruhig. Bones Verstand registrierte durchaus, dass dieser NC ... was auch immer Agent vom<br />

Mossad sprach. „Was hat denn bitte der Mossad mit einer amerikanischen Behörde zu tun?“<br />

Jake Green in seiner Zelle verdrehte die Augen. „Lady, was ist so wichtig daran, was Mossad<br />

und NCIS miteinander verbindet? Meinen Sie nicht, wir haben im Moment andere Sorgen?“<br />

„Na Bravo.“, kam es sarkastisch aus House‟ Ecke. Bones erwiderte pikiert: „Es ist immer gut,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

alle Variablen zu kennen, Mister Green. Welche signifikanten Qualifikationen haben Sie bei-<br />

spielsweise vorzuweisen, um uns in unserer prekären Lage von Nutzen zu sein?“<br />

Jake Green gab ein erstauntes: „Wie bitte?“, von sich. Aus der Zelle House‟ kam ge-<br />

nervt: „Kumpel, sie will wissen, womit du deine Brötchen verdienst. Am besten sagst du es<br />

ihr, dann ist sie vielleicht mal still.“ Jake gab ein: „Ach so.“, von sich. „Ma‟am, ich mach so<br />

dies und das …“, kam dann die mehr als vage Antwort. „Welch überaus erschöpfende Aus-<br />

kunft …“, erfolgte postwendend die Erwiderung des Diagnostikers. Aus der Ecke Sawyers<br />

kam ein ironisches: „Klingt nicht sonderlich legal, Han.“ Heather warf ein: „Jake, du hast<br />

durchaus eine Menge Qualitäten, die uns hier helfen könnten.“ „Na, dann lass mal hören,<br />

Baby.“, tönte Sawyer. „Mein Name ist Heather, Mister.“ Ein sarkastisches Lachen aus der<br />

Zelle House. „Wie du meinst, Sugar.“, erwiderte Sawyer unbeeindruckt. „Bleib mal höflich,<br />

du Arsch, es gibt keinen Grund, sie zu beleidigen.“ „Ach Gottchen, mach dir nicht gleich ins<br />

Hemd.“, höhnte House. „Ach, hast ja ohnehin keins an.“, vollendet er dann den Satz. Aus<br />

Mulders Zelle kam ein leicht sarkastisches: „Du Arsch ist in meinen Augen beleidigender als<br />

Sugar.“ Mehrere Lacher. „Sagen Sie, Heather, richtig? Welche Fähigkeiten, außer beleidigt zu<br />

sein, haben Sie denn vorzuweisen?“, mischte sich Bones jetzt wieder ein. Stolz kam es<br />

zurück: „Ich bin Grundschullehrerin.“ Erneut mehrfaches, höhnisches Auflachen. „Oh, Mann,<br />

das hat uns hier wirklich gefehlt. Ich brauche Englisch Nachhilfeunterricht.“, klang erneut<br />

Sawyers Stimme auf. „So hörst du dich auch an, Freundchen. Grundschullehrerin?“ Man<br />

konnte die hochgezogene Augenbraue Dr. House‟ regelrecht sehen. „Das wird uns hier sehr<br />

helfen.“ Jake mischte sich nun wieder ein. „Heather kann uns durchaus von großem Nutzen<br />

sein, sie hat ein fotografisches Gedächtnis und ist im Stande, alle technischen Geräte zu<br />

reparieren.“ Höhnisch kam Sawyers Stimme: „Wo wir auch so viele davon haben …“ House<br />

meldete sich erneut zu Wort. „Er muss so was sagen, er schläft mit der Kleinen …“ Zwei<br />

parallel ertönende Antworten: „Tut er nicht …“<br />

<strong>Die</strong> Stimme Leroy Gibbs erklang nun wieder. „Es ist nur zu verständlich, dass wir alle<br />

in dieser Ausnahmesituation ein wenig gereizt reagieren. Es ist erfreulich, dass wir hier viel-<br />

seitige Begabungen haben, die uns helfen könnten, unsere derzeitige Lage zu verbessern.“ <strong>Die</strong><br />

junge Frau Namens Kate warf erstaunt ein: „Sawyer ist keineswegs gereizt, er ist immer so<br />

…“ Allison Cameron bemerkte fast zeitgleich: „Dr. House ist für seine Verhältnisse aus-<br />

gesprochen umgänglich …“ Gil Grissom bemerkte nun, mühsam um Beherrschung ringend:<br />

„Ihre kleinlichen Streitereien sind in unserer Situation wirklich fehl am Platze. Wir sollten uns<br />

lieber Gedanken machen, wie wir hier mit heiler Haut heraus kommen.“ Er machte eine kurze<br />

Pause, dann fuhr er fort: „Kann irgendjemand von Ihnen sich an Details erinnern, die erklären<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

würden, wie wir und vor allem warum wir hier gelandet sind?“ Brennan meldete sich zu<br />

Wort: „Zu dem wie kann ich sagen, dass wir im Flugzeug mit … ich vermute, Trichlor-<br />

methan, betäubt wurden.“ <strong>Die</strong> NCIS Angehörige Abby warf ein: „Ja, das war eindeutig Tri-<br />

chlormethan. Als ich es roch, war ich auch schon weg … Gibbs, was soll dass alles?“ Angst<br />

und Verwirrung schwang auch in ihrer Stimme mit. Aus Sawyers Zelle kam die Frage:<br />

„Tricklo ... Was?“ Kurz erwiderte die Agentin Dana Scully: „Chloroform.“ „Betäubt und<br />

unter nicht unerheblichem Aufwand hierher in einen offensichtlich sehr funktionellen und<br />

modernen Zellentrakt geschafft.“, sinnierte Grissom weiter. „Jemand Vermutungen, warum?“<br />

Urplötzlich ertönte eine weitere, ruhige, männliche Stimme. „<strong>Die</strong> Frage nach dem warum<br />

werden wir auch mit weiteren Diskussionen nicht erläutern können. Wir werden warten<br />

müssen, bis unsere Gastgeber uns hierzu Informationen liefern. Mein Name ist übrigens John<br />

Locke. Und bevor Sie fragen, ich habe im australischen Outback gelebt, die letzten 12<br />

Monate, bevor diese nette Einladung hier erfolgte. Davor habe ich in einem Betrieb für Ver-<br />

packungen gearbeitet.“ „Verpackungen?“ Sawyers Stimme triefte vor Hohn. „Hast du Um-<br />

zugskartons im Gepäck? Dann könnten wir unsere Entführer verpacken.“ „Bye the way, was<br />

sind deine Qualifikationen?“, wollte House jetzt wissen. „Doc, ich könnte dir ein Holzbein als<br />

moderne Prothese verkaufen, und du würdest es nicht mal merken.“ „Darauf sind Sie wohl<br />

auch noch stolz, was?“ Empört klang Camerons Stimme dazwischen. Lachen. „Ich finde<br />

immer noch, dass du sexy klingst, Baby Doc.“<br />

Völlig unerwartet erklang ein unangenehmer, schriller Pfeifton, laut und aufdringlich.<br />

Jede Unterhaltung erstarb augenblicklich, die meisten Gefangenen hielten sich erschrocken<br />

die Hände vor die Ohren. Als es wieder leise wurde, füllte eine kalte Stimme jeden Winkel<br />

des hallenartigen Raumes aus. „Zuhören, Gefangene. Ihr werdet jetzt an die Türen eurer<br />

Zellen treten und die Hände rückwärts durch die Öffnung strecken, verstanden?“ Keiner<br />

rührte sich und die kalte Stimme befahl lauter: „Jetzt.“ Noch immer zögerten die verwirrten<br />

Menschen. Sie waren nackt, gefangen, wussten nicht, wo sie sich warum befanden und sollten<br />

sich unbekleidet an die Türen bewegen. Nur sehr langsam setzten sich die Ersten in Be-<br />

wegung. Dann aber keuchten alle 16 kollektiv schmerzerfüllt auf. Ein heftiger Stromschlag<br />

war durch den Boden ihrer Zellen gezuckt und hatte alle kalt und schmerzhaft erwischt. Jetzt<br />

beeilten sie sich sicherheitshalber doch, an die Türen zu treten und die Hände vorsichtig durch<br />

die Löcher zu strecken. Unruhig und gespannt, was nun geschehen würde, standen sie da und<br />

warteten. Sie hörten, wie eine Tür geöffnet wurde und dann näherten sich Schritte jeder<br />

einzelnen Zelle. Augenblicke später schnappten fast zeitgleich um 16 Paar Handgelenke<br />

Handschellen. Erschrocken und verängstigt waren hauptsächlich Kate, Heather, Allison und<br />

Abby. Bones, Ziva, Dana und Sara waren kritische Situationen eher gewohnt und warteten ab,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

was passieren würde. Es gab ein metallisches Klicken, dann sprangen die Zellentüren auf und<br />

via Lautsprecher kam der Befehl: „Raus aus den Zellen und mit den Gesichtern zur Zelle<br />

stehen bleiben. <strong>Die</strong> Abgebrühteren unter ihnen traten mit zusammen gebissenen Zähnen aus<br />

den Zellen, waren aber auch froh, sich sofort mit den Rücken zur Raummitte hinstellen zu<br />

dürfen. Kate, Heather, Abby, Allison, House und Booth hatten erhebliche Schwierigkeiten<br />

damit, sich hier nackt präsentieren zu müssen. Aber als sie nicht sofort gehorchten, wurden<br />

sie rücksichtslos an den Oberarmen gepackt und aus den Zellen gezerrt. Brutal stieß man sie<br />

in der vorgeschriebenen Haltung an die Gitter. Booth und House verkniffen sich wütend jedes<br />

Geräusch, die Frauen konnten ein erschrockenes Keuchen nicht unterdrücken.<br />

Man ließ sie einige Minuten so stehen, dann spürten sie, wie die Handschellen gelöst<br />

wurden und schon kam der nächste Befehl. „Umdrehen.“ Entsetzt stöhnten Kate, Heather,<br />

Allison und Abby auf. Aber auch Booth und House glaubten, sich verhört zu haben. Booth<br />

konnte ein schockiertes: „Was?“, nicht zurückhalten. Bones sah zu ihm hinüber. Sie wusste,<br />

das Booth sehr schamhaft war und sich hier jetzt anstarren lassen zu müssen, würde ihm sehr<br />

schwer fallen. Sie selbst hatte sich bereits herum gedreht, sie empfand kein solch aus-<br />

geprägtes Schamgefühl. Zögernd drehten sich nun auch Dana, Sara, Sawyer, Mulder, Gibbs,<br />

Gil, Jake, Locke und Ziva herum. Kate war wie gelähmt, Heather, Allison und Abby ging es<br />

nicht besser und Booth und House rührten sich ebenfalls nicht. Ohne zu zögern packten die<br />

Wachen bei ihnen zu und drehten sie brutal herum. Blitzschnell wurden nun allen die Hände<br />

vor dem Körper wieder mit den Handschellen zusammen gefesselt und dann ertönte der Be-<br />

fehl: „Ihr werdet jetzt die Arme heben.“ Offensichtlich waren die Wachen nun der Meinung,<br />

auch dieser Befehl wurde nicht schnell genug ausgeführt, denn schon packten sie zu und<br />

drückten den schockierten Menschen die Arme über den Kopf und ließen die Handschellen in<br />

eigens zu diesem Zweck außen an den Zellen angebrachten Haken einschnappen. Sawyer sah,<br />

das Kate aufschluchzte und zischte wutentbrannt: „Hey, Finger weg ...“ Weiter kam er nicht.<br />

Eine schallende Ohrfeige riss ihm den Kopf herum und er sah sekundenlang Sterne. Kate<br />

schluchzte entsetzt auf. Heather weinte ebenfalls verzweifelt vor sich hin. Vollkommen<br />

schutzlos, gedemütigt, nackt und wehrlos standen die 16 Menschen nun an den Zellen. Ziva<br />

starrte hasserfüllt vor sich hin. Keiner wagte jedoch, etwas zu sagen. Man ließ sie stehen, die<br />

Wachen bauten sich in der Mitte auf und beobachteten die verängstigten Menschen ruhig.<br />

Besonders die vier Frauen wanden sich vor Verlegenheit. House schämte sich weniger seiner<br />

Nacktheit als der Tatsache, dass alle jetzt die hässliche Narbe an seinem rechten Oberschenkel<br />

sehen konnten. Und Booth machte die Tatsache schwer zu schaffen, dass Bones ihn nackt sah.<br />

Er konnte ein unruhiges Zucken nicht verhindern. Schließlich fragte er wütend: „Was soll das<br />

hier, wie lange sollen wir so hier rum stehen?“ Wortlos trat eine der Wachen zu ihm und gab<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihm, wie schon vorher Sawyer, eine schallende Ohrfeige. Verbissen unterdrückte er jeden<br />

Schmerzlaut und schwieg. Und dann endlich ertönte erneut die Lautsprecherstimme.<br />

„Gefangene, ihr werdet jetzt sehr aufmerksam zuhören. Hier die Regeln für euren<br />

Aufenthalt, haltet euch daran. 1) Reden ist von nun an nur bei grünem Licht gestattet oder<br />

wenn euch direkte Fragen gestellt werden.“ An der Decke außerhalb der Zellen leuchtete ein<br />

grelles, grünes Licht auf. „2) Jeder Anordnung seitens des Personals ist unverzügliche Folge<br />

zu leisten. 3) Das Personal ist mit Sir beziehungsweise Ma‟am anzusprechen. 4) Jede nicht<br />

befolgte Anweisung wird unverzüglich geahndet. 5) Ihr werdet keinem unserer Aufseher in<br />

die Augen sehen. 6) Ihr erhaltet jetzt Kleidung, die mit Nummern versehen ist. <strong>Die</strong>se<br />

Nummer ist während eures Aufenthaltes hier euer Name.“ Es gab ein Klacken und die Liege<br />

in den Zellen hinter den Gefangenen klappten automatisch auf. „7) Wenn eure Nummer ge-<br />

nannt wird, tretet ihr wie eben mit den Händen auf dem Rücken zur Tür und streckt die Hände<br />

durch die Öffnung.“ Ohrenbetäubende Stille folge dieser Durchsage. <strong>Die</strong> Wachposten traten<br />

dicht an die gefesselten Menschen heran und aus dem Lautsprecher kam: „Habt ihr das alle<br />

kapiert?“ Das eine oder andere Kopfnicken, ein paar leise: „Ja.“ Offensichtlich nicht genug,<br />

denn alle, die nur genickt hatten, wurden jetzt brutal am Hals gepackt und mit den Köpfen<br />

gegen die Gitter gestoßen. „Habt ihr das kapiert?“ Gepresst kam von allen Gefangenen aus-<br />

nahmslos: „Ja, Sir.“<br />

Booth wurde los gemacht und bekam den direkten Befehl, sich auf den Boden zu<br />

knien. Stumm starrte er der Wache vor sich in die Augen und zögerte. Als jedoch in der<br />

nächsten Sekunde Temperance erschrocken aufstöhnte, weil sie eine Ohrfeige bekommen<br />

hatte, keuchte Booth entsetzt: „Ist ja gut, ich tu‟s ja schon.“ Eilig ging er auf die Knie und<br />

senkte den Blick zu Boden. Jetzt wurden Zivas Hände von dem Haken gelöst und sie bekam<br />

den gleichen Befehl. Zähneknirschend gehorchte sie. Der Nächste, der sich hinzuknien hatte,<br />

war Sawyer, und auch dieser gehorchte hasserfüllt. Scheinbar reichte dies den Wachen, denn<br />

sie lösten allen anderen die Hände und auch die Handschellen. Dann durften sie in die Zellen<br />

zurück treten, die sich hinter ihnen wieder verriegelten. Booth, Ziva und Sawyer mussten<br />

noch minutenlang knien bleiben, dann endlich durften sie sich erheben, die Fesseln wurden<br />

auch ihnen gelöst und sie durften in ihre Zellen treten. Erst jetzt erhielten alle die Erlaubnis:<br />

„Ihr dürft euch die Kittel anziehen.“ Alle Gefangenen griffen nach den lächerlichen Kitteln,<br />

die mit einem Bändchen im Nacken geschlossen wurden. Der Rücken wurde nur unzulänglich<br />

bedeckt und die Kittel reichten kaum bis zu den Oberschenkeln. Sawyer schüttelte den Kopf.<br />

Niemand sollte sich einbilden, dass er das Teil anziehen würde. Er schlang sich den Kittel um<br />

die Hüften und Booth, House, Jake und Mulder folgten seinem Beispiel ohne zu Zögern. Zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Reden wagte keiner, denn das rote Licht blieb an und sie hatten nicht vergessen, wie<br />

schmerzhaft der Stromschlag durch den Fußboden gewesen war. Jeder einzelne konnte sich<br />

gut vorstellen, dass bei Zuwiderhandlung der Schweigepflicht erneut mit dem Strom eine<br />

Strafe erfolgen würde.<br />

Eingewöhnungsphase<br />

Mensch: ein vernunftbegabtes Wesen, das immer dann die Ruhe verliert, wenn<br />

von ihm verlangt wird, dass es nach Vernunftgesetzen handeln soll.<br />

Oscar Wilde<br />

Je nach Temperament mussten die gehörten Worte und gespürten Aktionen erst einmal<br />

in die Hirne der Gefangenen sickern. Ein paar Minuten lang geschah nichts, dann ertönte er-<br />

neut die Lautsprecherstimme. „Nummer 7.“ Dana Scully zuckte leicht zusammen, als die<br />

Nummer, die auf ihrem Krankenhausnachthemd prangte, ertönte. Sie hatte an ihren Sohn<br />

William gedacht, der in Washington bei ihrer Mutter in Obhut war. Sie machte sich heftige<br />

Sorgen. Immerhin bestand durchaus die Möglichkeit, dass bestimmte Leute mit bekommen<br />

könnten, dass sie und Mulder durch Abwesenheit glänzten und zu der <strong>Über</strong>zeugung kamen,<br />

ein Versuch, den Kleinen doch noch in ihre Gewalt zu bringen, wäre lohnenswert. Als ihre<br />

Nummer erklang, schob sie den Gedanken an ihr Kind energisch zurück. Ihr analytisch ge-<br />

schulter Verstand erwog in Sekundenschnelle alle möglichen Optionen und kam zu dem<br />

Schluss, dass Widerstand die Lage nur verschlechtern konnte und keinerlei Aussicht auf<br />

Erfolg hatte. Dass ihre Kehrseite durch das im Rücken offene Hemdchen präsentiert wurde,<br />

konnte die beherrschte FBI Beamtin weg ignorieren. Mit unbewegter Miene und gesenktem<br />

Kopf trat die studierte Ärztin an die Gittertür, drehte dieser den Rücken zu und legte wie von<br />

ihr erwartet, die Hände auf den Rücken. Dann fädelte sie die Hände durch das rechteckige<br />

Loch in der Zellentür. Wenn ihre Entführer sich einbildeten, sie könnten eine Dana Scully mit<br />

so profanen Mitteln demütigen, waren sie auf dem Holzweg. Im Übrigen war die hoch-<br />

intelligente Frau sehr neugierig auf den ersten Kontakt mit ihren Kidnappern. Jede<br />

Information, die sie zwangsläufig erhalten würde, schmälerte den Vorteil der Gegenseite.<br />

Schritte näherten sich, zwei Männer traten an die Käfigtür, kalter Stahl legte sich um Danas<br />

Handgelenke, dann wurde die Tür nach außen geöffnet. Wortlos und mit ordnungsgemäß ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

senktem Kopf wurde die Frau aus dem Zellentrakt geführt. Sara Sidle konnte sich nicht<br />

zurück halten und fragte empört: „Was haben Sie mit der Frau vor, wo bringen …“ Weiter<br />

kam die Kriminalistin nicht, denn Greg House fluchte schmerzerfüllt auf: „Halt dein Maul,<br />

verflucht.“ Kaum hatte er diese Worte hervor gestoßen, hörte man ein erschrockenes Keuchen<br />

aus der Zelle Heathers. Dann herrschte Stille.<br />

Dana wurde wortlos in einen Laborraum geführt. Man nahm ihr die Handschellen ab,<br />

dann hörte sie hinter sich die Tür ins Schloss fallen. Etwas frustriert und verwirrt sah sie sich<br />

um. Das erste, was die erfahrene Ermittlerin bemerkte, war die Linse einer <strong>Über</strong>wachungs-<br />

kamera. Also auch hier Dauerbeobachtung. Auf einem Labortisch lag ein Briefumschlag, auf<br />

dem eine große 7 zu lesen war. Ohne Zögern öffnete Scully den Umschlag. Ein Zettel. Darauf<br />

die knappe Anweisung: „Vorliegende Proben analysieren.“ Schulterzuckend ging sie ans<br />

Werk. Eine Stunde später war Scully mit der Analyse der Blutproben fertig. Demonstrativ<br />

drehte Dana sich zur Kamera und legte die Hände auf den Rücken. Dann wartete sie ruhig,<br />

was nun geschehen würde. Aus einem Lautsprecher tönte: „Nummer 7.“ Sofort wandte Dana<br />

sich um, drehte den Rücken zur Tür. Sie hörte, wie diese geöffnet wurde und der kalte Stahl<br />

einer Handschelle ihre Handgelenke erneut umschloss. Mit brav gesenktem Kopf wurde sie<br />

ohne ein Wort in den Zellentrakt zurück gebracht. Alle beobachteten sie aufmerksam, be-<br />

sonders Mulder wartete auf eine Reaktion. Kurz schaute sie ihm in die Augen und nickte be-<br />

ruhigend. Vor ihrer Zelle blieb sie stehen und wartete, bis diese geöffnet wurde. Wortlos trat<br />

sie ein, reichte ihren Bewachern die gefesselten Hände und wurde von den Handschellen be-<br />

freit. <strong>Die</strong> zwei Wachleute verschwanden so wortlos, wie sie gekommen waren.<br />

<strong>Die</strong> nächste Nummer, die aufgerufen wurde, war die 11. Sara Sidle erstarrte. Alles in<br />

ihr schrie danach, sich nicht kommentarlos zu unterwerfen. Bei Gil Grissom in seiner Zelle<br />

verkrampfte sich ebenfalls alles. Er kannte seine temperamentvolle Freundin. Er wusste, dass<br />

sie extreme Probleme mit Autorität hatte. Er trat selbst ans Gitter und versuchte, die Partnerin<br />

in einer der Nachbarzellen auszumachen. Sara kämpfte mit sich. Es widerstrebte ihr, sich der<br />

Gewalt zu beugen. Als sie hörte, wie sich Schritte näherten, trat sie ans Gitter, dachte aber<br />

nicht im Traum daran, sich herum zu drehen. Provozierend starrte sie den Wächtern in die<br />

Augen. <strong>Die</strong> Strafe folgte auf den Fuß. <strong>Die</strong> Zellentür wurde geöffnet. Wortlos packten die Be-<br />

wacher sie an den Oberarmen, drückten ihre Arme auf den Rücken und legten Handschellen<br />

um ihre Handgelenke. Sie zogen sie in die Mitte des freien Raumes innerhalb des Zellen-<br />

zirkels. Sara erkannte jetzt, dass hier eine Art runde Plattform installiert worden war. Auf dem<br />

Boden der Plattform befanden sich verschiedene Löcher und einige Metallösen, an denen<br />

Fesseln befestigt werden konnten. Außerdem sah das Ganze aus, als wäre es beweglich. Sara<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurde in die Mitte der Plattform dirigiert und erhielt den Befehl: „Hinknien.“ Wütend fuhr<br />

die junge Frau auf: „Ihr könnt <strong>mich</strong> mal …“ Grissom, der die Hände um die Gitter der Zelle<br />

verkrampfte, lief eine Gänsehaut über den Körper. Verzweifelt schüttelte er den Kopf und<br />

versuchte Augenkontakt mit Sara herzustellen. <strong>Die</strong>se sträubte sich weiterhin, dem Befehl<br />

Folge zu leisten. Doch gegen ihre zwei kräftigen Bewacher hatte sie keine Chance. Ehe die<br />

CSI Ermittlerin sich versah, war sie auf die Knie herunter gedrückt worden. Ihre Handfesseln<br />

wurden gelöst und stattdessen vor dem Bauch wieder zusammen genommen. Nun wurden sie<br />

an einem Haken am Boden befestigt. In dieser demütigen Haltung spürte Sara verzweifelt,<br />

wie der hinten offene Kittel auseinander rutschte. Dann wurde sie alleine gelassen. Ein<br />

mechanisches Geräusch ertönte und die Plattform begann sich langsam zu drehen.<br />

Wutentbrannt fluchte und tobte die junge Frau und schrie: „Macht <strong>mich</strong> sofort los, ihr<br />

Bastarde!“<br />

Der nächste, der los fluchte, war Sawyer, der einen schmerzhaften Elektroimpuls zu<br />

spüren bekam. „Verflucht. Kannst du vielleicht mal die Klappe halten.“ „Au.“, ertönte die<br />

keuchende Stimme Kates. Sofort verkniff Sawyer sich jeden weiteren Laut. Auch Sara<br />

schwieg verbittert, hatte sie doch begriffen, dass Andere unter ihrem Wutanfall leiden<br />

mussten. Alle Gefangenen waren an die Türen ihrer Zellen getreten und hatten beobachtet,<br />

was mit dieser Sara geschah. Jeder machte sich so seine eigenen Gedanken über das System<br />

der Bestrafung. Leichter Ungehorsam wurde ganz offensichtlich damit geahndet, einem der<br />

Mithäftlinge zu einer Elektromassage zu verhelfen. Keiner der Entführten hatte die geringsten<br />

Zweifel, dass das bisher verspürte bestenfalls unangenehme Kribbeln eine Steigerung nach<br />

oben erfahren konnte. Ernsthaftere Vergehen dagegen wurden scheinbar direkt an dem Be-<br />

treffenden und anscheinend auch dem Vergehen angemessen bestraft. <strong>Die</strong>se runde Plattform<br />

in der Mitte des Zellentrakts diente dabei augenscheinlich als Bühne.<br />

Jeder einzelne der Gefangenen sollte in allen Details mit bekommen, was geschah,<br />

wenn man groben Ungehorsam zeigte. <strong>Die</strong> junge Frau, die dort erniedrigt dargestellt wurde,<br />

würde es sich in Zukunft sicher zwei Mal überlegen, ob sie erneut Anweisungen ignorieren<br />

würde. Sawyer stellte sich Kate in dieser demütigenden Haltung, dargestellt und wehrlos, vor,<br />

und eine Gänsehaut lief ihm über den nackten Rücken. Er hatte sich, wie alle anderen auch,<br />

nach verklingen der Lautsprecherdurchsage die Liege und das Kleidungsstück angeschaut.<br />

Ein weißer, lächerlicher Krankenhauskittel, mit einem Bändchen im Nacken zu schließen,<br />

knapp über den Hintern reichend und die Rückenpartie mehr oder weniger ungeschützt<br />

lassend. Eine große 3 zierte sein Hemd auf der Brust. Kurz sah Sawyer an sich herunter, dann<br />

schüttelte er entschieden den Kopf. Bevor er sich das Teil antat, müsste schon einiges<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

passieren. Nicht ahnend, dass Seeley Booth und dieser Jake Green, sowie Spooky Mulder<br />

gerade genau das Gleiche versuchten, begann Sawyer damit, sich den Kittel wie einen<br />

Lendenschutz um den Unterleib zu wickeln. Es klappte einigermaßen. Der junge, blonde<br />

Mann setzte sich auf seine Liege und grübelte über seine Lage nach. Vor wenigen Stunden<br />

hatte er noch in Sydney auf dem Kingsford Smith Airport zusammen mit Kate Kaffee ge-<br />

trunken und auf den Rückflug nach LA gewartet. Das schien ihm jetzt so fern wie der Mond.<br />

21<br />

*****<br />

James Ford sah sich suchend um. Er hatte Lust auf ein oder auch mehrere kühle<br />

Biere oder noch besser ein paar Glas Whisky. Er hatte den Tag grübelnd an der be-<br />

rühmten Bondi Beach verbracht und war gegen Abend in sein kleines Motelzimmer im<br />

Budget Inn in Darlinghurst zurückgekehrt. Nach dem Duschen war er los marschiert, um<br />

Kings Cross, die Vergnügungsmeile der australischen Metropole, unsicher zu machen.<br />

Ford hatte Geschäfte zu erledigen gehabt, die ihn nach Down Under geführt hatten. Er<br />

wollte weiter gehen, als eine junge Frau in ihn hinein rannte. Verlegen sah diese auf.<br />

„Upps, tut mir Leid, Mister.“, stieß sie kichernd hervor. Ford musterte sein Gegenüber<br />

und grinste. „Mir nicht.“ <strong>Die</strong> junge Frau schaute ihn genauer an. Faszinierende grüne<br />

Augen musterten sie aus einem sehr attraktiven Gesicht. Auf den Wangen des jungen<br />

Mannes zuckten Grübchen bei jedem Grinsen auf. Ein drei Tage Bart zierte seine<br />

Wangen. Blonde Haare hingen dem Mann frech in die Stirn. Schneeweiße Zähne<br />

funkelten zwischen den zu einen frechen Grinsen verzogenen Lippen. <strong>Die</strong> junge Frau<br />

konnte ein Lächeln nicht verhindern. - Nette Erscheinung. - dachte sie bei sich. James<br />

gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Sein Unfallgegner war schlank und hatte<br />

taillenlange, dunkle, leicht gewellte Haare, große, dunkle Augen und feine Sommer-<br />

sprossen im hübschen Gesicht. Er zog anerkennend eine Augenbraue hoch. <strong>Die</strong> junge<br />

Frau lachte. „Da ich Sie nicht verletzt zu haben scheine, werde ich mein Glück bei einem<br />

<strong>Anderen</strong> versuchen.“, erklärte sie und wollte weiter eilen. James überlegte blitzschnell,<br />

dass ein Abend an der Seite einer so hübschen Frau sicher angenehmer verlaufen würde,<br />

als ein Abend alleine mit einem Bier in einer Kneipe. Er wusste sehr wohl um seine<br />

Wirkung auf Frauen, verdiente er doch als Betrüger zum Teil sein Geld damit. Er lächelte<br />

und sagte dann einschmeichelnd: „Vielleicht darf ich <strong>mich</strong> bei einem Bier davon über-<br />

zeugen, dass Sie wirklich keinen Schaden davon getragen haben?“ <strong>Die</strong> junge Frau über-<br />

legte nicht weniger schnell. Sie hatte weiter nichts vor gehabt, als nach einem arbeits-<br />

reichen Tag den Abend in einem Kino oder einer Bar ausklingen zu lassen. Warum das<br />

Ganze nicht mit einem netten Mann an ihrer Seite? Spontan streckte sie dem Blonden die<br />

Hand entgegen. „Ich bin Kate. Ein Bier wäre nicht schlecht.“ Ford ergriff die angebotene<br />

Hand und erwiderte: „Sawyer. Wo wollen wir hin?“


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> nächsten zwei Tage verbrachten er und Kate zusammen an der Beach, beim<br />

Bummeln oder abends in einer Bar. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, stellten<br />

fest, dass sie den gleichen Musikgeschmack hatten und auch in Sachen Filme ähnliche<br />

Genres bevorzugten. Sie schlenderten am zweiten Abend Arm in Arm im Shopping Center<br />

von Darling Harbour herum. Unterbewusst registrierte Sawyer einen grauhaarigen,<br />

älteren Typen, der in Begleitung zweier auffallender Frauen aus einem Geschäft kam. <strong>Die</strong><br />

Eine war groß, schlank, schwarzhaarig und an ihr fielen diverse Tattoos und sehr ex-<br />

zentrische Kleidung im Goth-Stil auf. <strong>Die</strong> zweite Frau war nicht viel größer als Kate und<br />

eine echte Schönheit. Lange, gelockte Haare rahmten ein zartes Gesicht mit großen,<br />

dunklen Augen ein. Sawyer hatte einen Blick für Frauen, diese war wirklich hübsch. Er<br />

grinste, dann jedoch wandte er sich wieder Kate zu. Er war von ihr wirklich fasziniert, sie<br />

von ihm nicht minder. Am Abend des zweiten Tages nahm sie ihn mit in ihr Motel und die<br />

Beiden schliefen miteinander. Danach konnte Kate nur noch zugeben, dass sie sich in<br />

Sawyer verliebt hatte. Er fragte sie, ob sie Lust hätte, ihn nach LA zu begleiten. Nur kurz<br />

zögerte die junge Frau, dann sagte sie sich - Was soll’s. - So kam es, dass die Beiden<br />

vier Tage später zusammen am Flughafen in einem Café saßen und auf den Abflug ihrer<br />

Maschine nach LA warteten. Es war eine kleine Linienmaschine und diese war zu allem<br />

<strong>Über</strong>fluss auch noch sträflich unter belegt, wie Kate und Sawyer feststellten, als sie<br />

bordeten. Kopfschüttelnd nahmen sie ihre Plätze ein. Der Flug verlief ruhig und lang-<br />

weilig. Bis zu dem Moment, an dem sich unerwartete ein eigenartiger Geruch in der<br />

Kabine ausbreitete. Kate hustete und bemerkte erschrocken, dass Sawyer neben ihr auch<br />

hustete und dann keuchend nach Luft schnappte. „Sawyer ….“ Das war das Letzte, das<br />

die junge Frau erinnerte.<br />

*****<br />

In ihrer Zelle wurde Kate Austen schnell unruhig. Sie hatte es nicht gerne, auf engem<br />

Raum eingepfercht zu sein. In dem kleinen Raum gab es keine Möglichkeiten, sich abzu-<br />

lenken. Sie hätte so gerne mit Sawyer gesprochen, wollte, dass er sie beruhigte, ihr erklärte,<br />

dass schon alles wieder in Ordnung kommen würde. Plötzlich zuckte sie heftig zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Wände ihres Käfigs fuhren langsam nach oben. Keine zwei Minuten später waren alle<br />

Wände in der Decke verschwunden und endlich konnte Kate durch Gitterstäbe in die Nach-<br />

barzellen blicken und ihre Mitgefangenen genauer betrachten. Links ein Mann in den Fünf-<br />

zigern, graublauen Augen, der ihr freundlich zunickte. Sie vermutete, dass es dieser Special<br />

Agent Gibbs war. Rechts hockte ein zerknittert aussehender grauhaariger Mann mit auffallend<br />

blauen Augen auf der Liege, ebenfalls um die fünfzig, und rieb sich mit schmerzverzerrtem<br />

Gesicht seinen rechten Oberschenkel. Kate erkannte, dass die Liegen nicht an den Wänden,<br />

sondern an einer Halterung, die aus dem Boden ragte, befestigt waren. Sie bemühte sich ver-<br />

zweifelt, Sawyer auszumachen. Da. Vier Zellen weiter links. Dort stand er und war ebenso<br />

22


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bemüht, sie zu erspähen. Als er Kate erblickte, lächelte er beruhigend und hob die Hand. Alle<br />

anderen Gefangenen waren ebenfalls aufgesprungen und bemühten sich, ihre Leidens-<br />

genossen anzusehen und die Menschen, die sie kannten, zu erblicken. Jeder einzelne von<br />

ihnen schaffte es schließlich, sich einen <strong>Über</strong>blick über die Anordnung der Zellen zu ver-<br />

schaffen.<br />

Heather hatte Jake in einer Zelle ihr gegenüber schon vorher bemerkt. Sie war unend-<br />

lich dankbar, Augenkontakt zu dem Mann, in den sie verliebt war, herstellen zu können. Als<br />

die junge CSI Mitarbeiterin zur Strafe auf die Plattform geschafft wurde, hatte Heather sich<br />

vorgestellt, wie es sein musste, derart zur Schau gestellt zu werden. Spontan empfand sie un-<br />

glaubliches Mitleid mit der gedemütigten jungen Frau. Als die Wände unerwartet ver-<br />

schwanden, sah Heather sich, wie alle anderen auch, neugierig um. <strong>Die</strong> Zellenaufteilung<br />

wurde schnell deutlich. Kurz zählte Heather durch und kam auf sechzehn Gefangene. Als sie<br />

nackt an die Zelle gefesselt gewesen war hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, sich<br />

genauer umzusehen. Das tat sie erst jetzt. Abwechselnd, immer eine Frau gefolgt von einem<br />

Mann, hockten die Häftlinge in den kleinen Zellen. Wenn sie den Blick in die Mitte der Halle<br />

richtete, saß in der Zelle links von ihr ein dunkelhaariger junger Mann, der sich den Kittel wie<br />

einen Lendenschurz um die Hüfte geschlungen hatte. Er musterte Heather aufmerksam und<br />

nickte ihr freundlich lächelnd zu. Zu ihrer Rechten hockte ein ebenfalls dunkelhaariger, ziem-<br />

lich gut aussehender Mann um die vierzig mit auffallend grünen, melancholischen Augen auf<br />

der Liege. Er schaute interessiert in die Zelle rechts neben sich. Hier tigerte eine bildschöne,<br />

junge, schlanke, durchtrainierte Frau mit langen, dunklen, gelockten Haaren und tiefdunklen<br />

Augen in ihrer winzigen Zelle hin und her. Sie warf dem Mann einen Abschätzenden,<br />

flüchtigen Blick zu und nickte kurz. Ziva David hasste es, eingesperrt zu sein. <strong>Die</strong> Kontrolle<br />

zu verlieren machte die junge Mossad Agentin wahnsinnig. Um sich abzulenken, starrte sie in<br />

die Zelle neben sich. Der blonde, sehr gut aussehende und gut gebaute Mann dort war dieser<br />

Sawyer, da war sie sich sicher. Er hatte sich den Krankenhauskittel um die Lenden ge-<br />

schlungen und musterte Ziva genau so aufmerksam wie sie ihn. Ziva wusste um ihre Wirkung<br />

auf Männer. Ähnlich wie Sawyer hatte sie ihren Körper nicht selten als Instrument eingesetzt,<br />

wenn ihre Beweggründe auch vollkommen anders gelagert waren als bei dem Betrüger. Sie<br />

hob den Kopf ein wenig und warf Sawyer einen berechnenden Blick zu. <strong>Die</strong>ser hob an-<br />

erkennende die Augenbrauen und grinste, dass die Grübchen auf seinen Wangen zuckten. Er<br />

schaute jetzt in die andere Richtung und was er dort sah, gefiel ihm durchaus auch. Es gab<br />

sicher schlechteres, als zwischen zwei so hübschen jungen Frauen eingesperrt zu sein.<br />

23


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Abby Sciuto zappelte unruhig herum. Sie fühlte sich so unwohl wie nur möglich. Das<br />

technische Multitalent und Forensikspezialistin des NCIS war es nicht gewohnt, aktiv in das<br />

Geschehen gezogen zu werden. Normalerweise arbeitet sie in ihrem Labor, hatte ein fast<br />

erotisches Verhältnis mit ihren Computern, Mikroskopen, Massenspektrometern und Labor-<br />

geräten. Sie wusste diese Situation hier nicht einzuschätzen und hatte Angst. Halb nackt in<br />

einer winzigen Zelle eingepfercht, keine Vorstellung, was sie hier sollte, mit wildfremden<br />

Menschen zusammen. Abby hätte so gerne mit ihrem Vorgesetzten und väterlichen Freund<br />

Gibbs oder ihrer Kollegin Ziva gesprochen, aber sie hatte sofort kapiert, dass das nicht ging,<br />

ohne einem der Mitgefangenen Schmerzen zuzufügen. Sie sah sich um. Der ältere Mann in<br />

der Zelle links neben ihr lächelte sie freundlich an. Er war Mitte fünfzig, hatte eine Glatze und<br />

aufmerksame, dunkle Augen. Trotz seines schon fortgeschrittenen Alters war er durchtrainiert<br />

und wirkte topfit. Ihr Nachbar in der Zelle zu ihrer Rechten war schlank, durchtrainiert, groß,<br />

mindestens 1,85 m, wie Abby mit geschultem Blick feststellte, und sah gut aus. Seeley Booth<br />

schaute sich seinerseits Abby genau an. Schulterlange, schwarze Haare, blasse Haut und<br />

diverse Tattoos, die den schlanken Körper zierten. Schwarzer Nagellack bedeckte die Finger-<br />

nägel. Booth lächelte der jungen Frau beruhigend zu. Dann wandte er sein Augenmerk in die<br />

andere Richtung.<br />

<strong>Die</strong> junge Frau in der anderen Zelle neben sich war brünett, hatte große, blaue Augen<br />

und wirkte sehr zierlich. Sie war der Typ Frau, die in einem Mann sofort den Beschützer-<br />

instinkt weckte. Wenn er sich nicht verhört hatte, war sie die Grundschullehrerin. Heather war<br />

der Name gewesen. Neben der jungen Frau erkannte Booth einen Mann, der ihm vage<br />

bekannt vorkam. Das musste Fox „Spooky„ Mulder sein. Seeley trat an die Tür und versuchte,<br />

die Zellen gegenüber zu erkennen. Der älterer, zerknittert aussehende Mann ihm fast direkt<br />

gegenüber musste der sarkastische Diagnostiker aus Princeton sein, dieser Dr. House. Der<br />

hatte sich ebenfalls erhoben und sah sich nun auch um. <strong>Die</strong> Frau neben ihm mit langen,<br />

dunklen Haaren wirkte ein wenig unsicher und verängstigt. House warf einen Blick durch die<br />

leere Zelle, in der eigentlich die Frau, die auf der Plattform kniete, stecken sollte und sah<br />

einen jungen, durchtrainierten Mann. Dunkle, ziemlich kurz geschnittene Haare, Bartschatten,<br />

ein für einen Mann eher ungewöhnlicher, leicht melancholischer Gesichtsausdruck. Es kostete<br />

den Arzt <strong>Über</strong>windung, nichts zu sagen, aber so gleichgültig er auch tat, wollte er doch nichts<br />

weniger, als dass einer der Mitgefangenen seinetwegen Schmerzen ertragen sollte. Eine Zelle<br />

weiter hatte House seine junge Assistenzärztin entdeckt, die jetzt ebenfalls zu ihm herüber<br />

schaute. Anerkennend musste House zugeben, dass die junge Frau sogar in dem albernen<br />

Kittel noch sehr dekorativ aussah. <strong>Die</strong> langen Haare hingen ihr wirr den Rücken herunter. Sie<br />

war bemüht, den Kittel nicht aufklaffen zu lassen und schaute in eben diesem Moment zu ihm<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hinüber. Sie hatte sich mit den Nachbarn rechts von ihrer Zelle vertraut gemacht. Der Mann in<br />

den Fünfzigern hatte kurze, angegraute, leicht gelockte Haare und extrem gütige Augen. Er<br />

hatte ihr freundlich zugelächelt, bevor seine Blicke sich wieder seiner Partnerin zugewendet<br />

hatten. Neben ihm in der letzten Zelle war die Frau untergebracht, die zuerst weg geführt<br />

worden war. Wenn Allison sich recht erinnerte, musste dies die FBI Agentin Scully sein. <strong>Die</strong><br />

Agentin war sehr klein, extrem zierlich und hatte rote, schulterlange Haare und blaue Augen.<br />

Sara begannen der Rücken und die Knie zu schmerzen. Sie konnte nicht im Geringsten<br />

schätzen, wie lange sie schon so kniete. Alles zwischen dreißig Minuten und Stunden schien<br />

ihr wahrscheinlich. Sie musste sich immer wieder zwingen, nicht vor Wut und Scham in<br />

Tränen auszubrechen. Für ihr Leben gerne hätte sie den Kittel auf dem Rücken zusammen<br />

genommen. Dass sie von allen genau betrachtet werden konnte, trieb die junge Frau fast in<br />

den Wahnsinn. Endlich näherten sich Schritte. <strong>Die</strong> zwei Männer, die sie her gebracht hatten,<br />

holten sie jetzt auch wieder ab. Sie lösten die Fesseln und herrschten Sara an: „Steh auf.“ Steif<br />

kam die Frau auf die Füße, senkte zähneknirschend den Blick und zitternd vor Wut streckte<br />

sie die Hände auf den Rücken. Sie spürte, wie die Handschellen um ihre Handgelenke gelegt<br />

wurden, dann wurde sie an den Oberarmen gepackt und aus dem Zellentrakt geführt. Man<br />

brachte sie in einen hell erleuchteten Raum mit Laboreinrichtung. <strong>Die</strong> Handschellen wurden<br />

ihr abgenommen und die Bewacher verließen den Raum. Sara sah sich um. Auf einem der<br />

Tische lag ein verschlossener Briefumschlag. Ihre Nummer 11 prangte auf dem Papier. Neben<br />

dem Briefumschlag fielen ihr mehrere verschiedene Tabletten auf. Sie öffnete dem Umschlag<br />

und las die Worte: „Analysiere die Tabletten.“ Sara zuckte die Schultern und begann die<br />

Arbeit. Als sie es geschafft hatte, setzte sie sich auf einen der Labortische und dachte darüber<br />

nach, was es sollte, sie diese Aufgabe erfüllen zu lassen. Sie hatte schnell entdeckt, dass es<br />

sich bei den Tabletten um simple Vitamin und Mineralstoff Präparate handelte. Sie hatte nur<br />

ein paar Minuten auf dem Tisch gesessen, als die Tür aufging. Mit verdrehten Augen ließ sie<br />

sich vom Tisch gleiten, drehte sich herum und legte widerwillig die Hände auf den Rücken.<br />

Nun brachte man sie zurück in ihre Zelle.<br />

*****<br />

Gil eilte von einem Terrarium zum <strong>Anderen</strong>. Sara beobachtete den Freund<br />

amüsiert. Kaum hatte er vor zwei Monaten die Einladung zu der dreitägigen Konferenz in<br />

Sydney erhalten, hatte er Sara auch schon erklärt, dass sie Urlaub einreichen müsse. Als<br />

anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der Entomologie war Gil immer bereit, seinen Job<br />

beim CSI Las Vegas stehen und liegen zu lassen und in der ganzen Welt herum zu reisen,<br />

um neue Erkenntnisse zu erlangen. Aber gerade Sydney hatte es dem Insektenfanatiker<br />

25


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

angetan. Stundenlang hatte er Sara von den Vorzügen der Atrax robustus, der Sydney<br />

Funnel Webspider, der Red Back Spider, Latrodectus hasselti oder der Dinoponera<br />

quadriceps, der australischen Riesenameise, vorgeschwärmt. Nie wurde er es müde, die<br />

Gifte zu bewundern, die die Funnel Web und die Red Back weltweit in Verruf gebracht<br />

hatten. <strong>Die</strong>se Tiere jetzt sehen, untersuchen zu können, erfüllte Gil mit wirklicher Be-<br />

geisterung. Er hatte durchgesetzt, einige Exemplare dieser hochgiftigen Insekten mit in<br />

die Staaten zu nehmen, zu Forschungszwecken. Sara wusste es besser. Er wollte diese<br />

Tiere, vor denen Sara sich noch immer schüttelte, schlicht als Haustiere halten. Während<br />

Sara tagsüber Sight Seeing gemacht hatte, hatte Gil die Worte der Redner der Konferenz<br />

und ihre neuen Erkenntnisse in sich aufgesogen. Abends hatte er ihr dann haarklein<br />

erzählt, was er tagsüber gelernt hatte. An ihrem letzten Abend in Sydney waren sie in<br />

Darling Harbour gewesen. Gil hatte einen Tisch in dem bekannten Restaurant Jordans<br />

bestellt. Während sie auf die Speisekarte schauten, bat Sara ihren Freund: „Gil, wäre es<br />

dir möglich, mir mal einen Abend nicht das Essen zu vermiesen, in dem du mir pausenlos<br />

von Giftviechern vor schwärmst?“ Gil hatte gelacht. „Natürlich. Aber diese Tiere sind so<br />

faszinierend, Schatz.“ Sara sah ihn an und immer noch lachend verstummte er. Sie sah<br />

sich im Restaurant um. An einem der Nachbartische hockte ein knitterig aussehender<br />

Mann mit einer hübschen jungen Frau. Sara schnappte auf, wie der Mann grantig von<br />

sich gab: „Was für ein Idiot. Wetten, der nimmt die Spinnen mit ins Bett, nicht die Frau?“<br />

Sara grinste. Am nächsten Tag waren sie früh unterwegs zum Airport. In einer Spezial-<br />

tasche hatte Gil kleine, sichere Behälter mit einigen hochgiftigen australischen Spinnen,<br />

für deren Ausfuhr er eine Sondergenehmigung mit sich führte. Im Flieger, der erstaunlich<br />

leer war, hatte Gil die Tasche im Handgepäck bei sich. Er war es, dem der eigenartige<br />

Geruch, der sich plötzlich in der Kabine ausbreitete, zuerst bemerkte. Er sah Sara über-<br />

rascht an. „Was ist …?“ Mehr brachte er nicht mehr heraus. Bevor er den Satz noch zu<br />

Ende führen konnte, sank sein Kopf bereits auf seine Brust. Sara spürte noch, wie ihr<br />

schwindelig wurde, dann war auch sie weg getreten.<br />

*****<br />

Gehorsamsübungen<br />

Jeder Mensch macht Fehler. Das Kunststück liegt darin, sie dann zu machen,<br />

wenn keiner zuschaut.<br />

Peter Ustinov<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Alle hatten aufgeatmet, als die CSI Beamtin wieder unversehrt in ihre Zelle gebracht<br />

worden war. Als die Bewacher, die durch die Bank weg blaue Arbeitskleidung und Headsets<br />

trugen, den Zellentrakt verlassen hatten, herrschte erwartungsvolle Stille. Inzwischen hatte<br />

auch der Letzte von ihnen mitbekommen, dass genau gegenüber dem Ausgang des Zellen-<br />

traktes noch eine verschlossene Tür lag. Was immer hinter dieser Tür war, teilte den Zellen-<br />

trakt in zwei Hälften, rechts und links, auf. Das rote Licht, hatte inzwischen auch der Sturste<br />

begriffen, bedeutete Schweigen unter allen Umständen. Keiner der Gefangenen wagte es<br />

mehr, sich dem Redeverbot zu widersetzten. Ein ganz anderes Problem machte sich aber nach<br />

und nach bei einigen der Häftlinge bemerkbar. Allison spürte mehr und mehr, dass ihre Blase<br />

zum Platzen voll war und sie gerne auf die Toilette gegangen wäre. Nur die Vorstellung, hier<br />

mehr oder weniger vor allen Augen das WC aufzusuchen, war der Ärztin zuwider. Immer<br />

unruhiger versuchte sie, den Harndrang durch Sitzen auf der Liege zu unterdrücken. Immer<br />

öfter schaute sie sehnsüchtig auf die Toilette. <strong>Die</strong> Minuten zogen sich zäh dahin und Cameron<br />

wusste, dass sie nicht mehr sehr lange aushalten würde. Sie hoffte verzweifelt, dass sich die<br />

Wände wieder Absenken würden. Nichts dergleichen geschah. Schließlich hatte die junge<br />

Frau keine Wahl mehr. Mit zusammen gepressten Beinen und Tränen der Scham in den<br />

Augen, wankte sie zu der Toilette hinüber. Sich wünschend, plötzlich unsichtbar zu sein, ließ<br />

sie sich nieder und erlöste sich selbst von dem quälenden Gefühl, jeden Moment platzen zu<br />

müssen. Durch die herrschende Stille kamen ihr die entstehenden Geräusche, die nun einmal<br />

nicht zu vermeiden waren, überlaut vor. Sie bildete sich ein, dass aller Augen auf ihr ruhten<br />

und merkte nicht einmal, dass die beiden Männer zu ihrer Rechten und Linken verschämt die<br />

Köpfe abgewandt hatten. Und als wäre Allisons Aktion ein Aufruf, erhoben sich auch Kate<br />

und Heather und benutzten ihre WCs. <strong>Die</strong> Männer hatten damit nicht solche Probleme. Locke<br />

war der Erste, der das WC benutzte. Er ignorierte, dass eine Frau in der Zelle neben ihm<br />

steckte. Nach und nach waren alle Entführten gezwungen, die Toilette aufzusuchen.<br />

Dr. House hatte bei dem Häftling zwei Zellen weiter gesehen, wie dieser sich den<br />

albernen Kittel um die Lenden geschlungen hatte, statt ihn anzuziehen. House zögerte keine<br />

Sekunde, diese gute Idee aufzugreifen. Er schlüpfte aus dem Hemdchen und wickelte es sich<br />

ebenfalls um die Hüften, allerdings so, dass es lang genug an seinen Beinen herab reichte, um<br />

die hässliche, große Narbe an seinem Oberschenkel zu bedecken. Auch der FBI Special Agent<br />

Mulder hatte dieses Beispiel aufgegriffen. Gelangweilt hockte er auf seiner Liege und wartete,<br />

was weiter geschehen würde. Einige Zeit passierte gar nichts. Alle warteten, dass das rote<br />

Licht ausgehen würde, dass vielleicht jemand mit Nahrungsmitteln oder Getränken oder ein-<br />

fach neuen Anweisungen erscheinen würde. Nichts der Gleichen geschah. Stattdessen ging<br />

irgendwann das Licht ganz aus. Alle waren müde und so herrschte bald Ruhe. Geweckt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurden die Gefangenen durch ein lautes Tröten, das sie senkrecht von ihren Liegen hoch-<br />

schießen ließ. Das Licht ging an, blieb rot, aber weiter geschah nichts. Wie viel Zeit ver-<br />

gangen war, konnte keiner schätzen, als plötzlich doch etwas passierte. Es knackte im Laut-<br />

sprecher und die Durchsage: „1, 2, 3, 4, 15.“ erscholl. <strong>Die</strong> fünf Männer, denen die Nummern<br />

galten, sahen überrascht auf, traten mehr oder weniger genervt langsam an die Türen und<br />

legten die Arme ordnungsgemäß auf den Rücken. <strong>Die</strong> Tür zu ihrem Zellentrakt wurde ge-<br />

öffnet und ein ganzes Rudel Bewacher kam herein. Je zwei platzierten sich vor der be-<br />

treffenden Zellentür. Dann kam über Lautsprecher der Befehl: „Zieht eure Kittel in der vor-<br />

gesehenen Weise an.“ Man konnte förmlich sehen, wie die Rücken der betreffenden Männer<br />

sich strafften. Sawyer war es, der aussprach, was er darüber dachte. „Leckt <strong>mich</strong> doch am<br />

Arsch.“ Er bewegte nicht einen Finger, um den Kittel von seinen Hüften zu entfernen. Booth,<br />

Mulder und Jake nickten entschieden mit dem Kopf. House konnte sich nicht verkneifen, zu<br />

sagen: „Du sprichst mir aus der Seele, Hillbilly.“ Wieder knackte es in den Lautsprechern und<br />

weitere Nummern wurden aufgerufen: „6, 7, 8, 9 und 10.“ <strong>Die</strong> Frauen schraken zusammen<br />

und erhoben sich mit mehr oder weniger zitternden Knien. Bones und Dana traten als Einzige<br />

der Genannten ohne groß Zögern an die Tür und verhielt sich den Anweisungen entsprechend.<br />

<strong>Die</strong> Bewacher legten nun den Männern die Handschellen an, traten dann zu den Zellen der<br />

Frauen hinüber und diese wurden ebenfalls gefesselt. Es klickte und zehn Zellentüren<br />

öffneten sich.<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen beobachteten gespannt, was sich Abspielen würde. Zuerst<br />

wurden die fünf Männer auf die Plattform gebracht. Sie wurden nebeneinander mit den Ge-<br />

sichtern zur Mitte auf die Plattform gestellt. Ein leises, mechanisches Knacken erklang und<br />

dann wurden aus dem Boden der Plattform kräftige Metallstangen ausgefahren. Unsanft<br />

wurden den Männern die gefesselten Arme um die Stangen gefädelt und als diese voll aus<br />

dem Boden gefahren waren, standen die Fünf an die Stangen gefesselt wehrlos da. Ihre Füße<br />

wurden mit Ledermanschetten um die Knöchel, die mit Karabinerhaken versehen waren, zu-<br />

sätzlich an Metallösen am Boden fixiert, sodass sie sich an den Stangen nicht drehen konnten.<br />

Nun wurden die Frauen dazu geholt. Keine machte sich übermäßig Sorgen, eine Weile so<br />

gefesselt da zu stehen war nicht gerade ein Grund zur Panik. Zwei Minuten später standen sie<br />

in der Tat genau so an Stangen gefesselt auf der Plattform. Auch ihre Beine wurden zusätzlich<br />

an den Ösen am Boden gefesselt. Sie schauten zu den Männern herüber und nickten be-<br />

ruhigend. Kate war die Erste, die erschrocken zusammen zuckte, als einer der Bewacher eine<br />

Schere aus der Tasche zog und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, ihren Kittel aufschnitt<br />

und diesen von ihrem Körper riss. Sawyer tobte los. „Ihr elenden Dreckskerle. Lasst sie …“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Weiter kam er nicht. Einer der Wachleute trat kommentarlos zu ihm und in der nächsten<br />

Sekunde bereits wurde dem jungen Mann ein breiter Klebestreifen über den Mund geklebt.<br />

Kate hatte schon alleine damit genug Schwierigkeiten, sich nicht bewegen zu können.<br />

Dass sie nun nackt vor den Mitgefangenen stehen musste und wusste, dass sie zusätzlich auch<br />

noch von den Kameras beobachtet wurde, machte die Situation um ein vielfaches schlimmer.<br />

Sawyer sah maßlos entsetzt zu Kate herüber und signalisierte ihr mit den Augen verzweifelt,<br />

wie Leid ihm das Ganze tat. Cameron und Heather schluchzten ebenfalls verzweifelt, nach-<br />

dem sie der gleichen Behandlung unterzogen worden waren. Als letztes wurden Bones und<br />

Scully die Kittel vom Leib geschnitten. <strong>Die</strong> Wissenschaftlerin nahm das gelassen hin, Dana<br />

biss die Zähne zusammen und schluckte zornig alles, was sie von sich geben wollte, hinunter.<br />

Jake war bei den Männern der Zweite, der mit einem Klebestreifen über dem Mund endete.<br />

„Ihr verdammten Schweine …“ Nachdem die Frauen nackt an ihren Stangen standen, traten<br />

die Bewacher zu den Männern und Augenblicke später waren auch diese nackt und den<br />

Blicken der Mitgefangenen ausgesetzt. Ruhig und geordnet verließen die Bewacher ihre Ge-<br />

fangenen und die Kerkertür schloss sich. Kate und Allison beruhigten sich jetzt schnell und<br />

spürten nur noch hilflose Wut in sich. Heather zerrte irrationaler Weise an den Fesseln, gab<br />

ihre sinnlosen Bemühungen aber schnell auf, als sie merkte, dass sie ihr nur Schmerzen und<br />

Hautabschürfungen einbringen würden. Sawyer und Jake sahen die Frauen Weinen und hätten<br />

schon da alles getan, um ihnen zu helfen. House hatte mehr Probleme damit, dass sein<br />

krankes Bein schnell anfangen würde, stark zu Schmerzen. Dass Allison so verzweifelt ge-<br />

weint hatte, ließ jedoch auch ihn nicht kalt. Booth knirschte vor Wut mit den Zähnen, wusste<br />

aber instinktiv, dass Tempe keine allzu großen Probleme mit dem Nacktsein hatte. Scully<br />

jedoch warf Mulder einen vernichtenden Blick zu, welchen dieser mit einem ergebenen<br />

Schließen der Augen und dem verzweifelten hängen lassen des Kopfes beantwortete. Scully<br />

in diese demütigende Situation gebracht zu haben, tat dem so oft verlachten FBI Mann unend-<br />

lich leid.<br />

<strong>Die</strong> Mitgefangenen hatten mit wachsendem Entsetzen der Bestrafung zugesehen. Ziva<br />

verstand das Geheule der drei Frauen nicht. Herrje, alle waren hübsch, sie hatten doch nichts<br />

zu verbergen. <strong>Die</strong> Israelin hatte früh gelernt, Schamgefühle zu unterdrücken. Sie waren nur<br />

hinderlich. Natürlich war es nicht schön, aber bestimmt kein Grund, so ein Theater zu<br />

machen. Kate sah stur in Sawyers Gesicht und blendete auf diese Weise alles andere aus. Sie<br />

versuchte ein beruhigendes, aufmunterndes Lächeln, als sie sah, dass er unter der Situation<br />

um ihretwillen fast schlimmer litt als sie. Allison sah besorgt auf das kranke Bein ihres Chefs,<br />

wandte ihren Blick aber schnell wieder seinem Gesicht zu, als ihr klar wurde, wie unan-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

genehm es ihm sein musste, dass sie nun seine Narbe sehen konnte. Heather versuchte<br />

wütend, ihre Tränen herunter zu schlucken. Sie sah, wie Kate, dass Jake unglaublich darunter<br />

litt, sie in diese Situation gebracht zu haben. <strong>Die</strong> Männer hätten sich inzwischen Arme und<br />

Beine ausgerissen, um den Frauen aus ihrer misslichen Lage zu helfen. Selbst House vergaß<br />

sein schmerzendes Bein angesichts der anfänglichen Verzweiflung seiner Assistenzärztin.<br />

Wie lange die zehn Gefangenen dort standen, und sich gegenseitig anschauen mussten, hätten<br />

sie nicht sagen können. Allen kam es ausnahmslos wie Tage vor. <strong>Die</strong> Beine schmerzten allen,<br />

House stöhnte und hatte Angst, jeden Moment zusammen zu brechen. Er litt so sehr, dass ihm<br />

der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. Schließlich hörten sie, wie die schwere Tür zu<br />

ihrem Kerker geöffnet wurde. Vier der Bewacher betraten das Verlies. Zwei steuerten auf<br />

Booth, zwei weitere auf Bones zu. <strong>Die</strong> Stangen der Beiden wurden wieder in den Boden ge-<br />

fahren. <strong>Die</strong> Fußfesseln wurden den Beiden gelöst und dann wurden sie in ihre Zellen zurück<br />

gebracht. Man nahm ihnen die Handschellen ab und dann kehrten die Männer zur Plattform<br />

zurück. <strong>Die</strong> Nächsten, die befreit wurden, waren House und Cameron. House musste von den<br />

Bewachern gestützt werden. Sein krankes Bein konnte ihn kaum noch tragen. In seiner Zelle<br />

sank er stöhnend auf die Liege und seine Hände verkrallten sich um den rechten Ober-<br />

schenkel. Allison vergaß angesichts der Qual ihres Chefs ihre eigenen Probleme und wagte,<br />

zu fragen: „Darf ich ihm bitte helfen?“ Aus der Zelle Grissoms kam ein scharfes Einatmen.<br />

Sofort biss Allison sich auf die Lippen und zwang sich, zu Schweigen. Als nächstes wurden<br />

nun Mulder und Scully aus der misslichen Lage befreit und Mulder warf der Partnerin noch<br />

einen um Verzeihung flehenden Blick zu, den Dana Augen verdrehend zur Kenntnis nahm.<br />

Kate und Heather waren die Nächsten, die von ihren Fesseln befreit wurden. Als sie<br />

wieder in ihren Zellen standen und die Handschellen gelöst waren, hätte Kate am liebsten<br />

gegen die Wand getreten. Sie beherrschte sich jedoch und trat an die Tür, um zu beobachten,<br />

wie Sawyer und dieser Jake ebenfalls befreit werden würden. Das geschah jedoch nicht. <strong>Die</strong><br />

Wachleute verließen den Keller und ließen die beiden Männer an ihren Stangen. Sawyer und<br />

Jake war klar, dass sie die Verlängerung ihres Aufenthaltes auf der Bühne durch ihre un-<br />

bedachten Bemerkungen provoziert hatten. Beide Männer machten sich nicht sehr viel daraus,<br />

hier zur Schau gestellt zu werden. Beiden wäre es sehr viel wichtiger gewesen, die Frauen<br />

wieder bekleidet zu sehen. Doch diese erhielten keine Kittel. Es tat sich nichts. Allmählich<br />

taten den jungen Männern Rücken, Schultern und Beine ziemlich weh. Beide hätten gerne<br />

ihre Haltung verändert. Nach einer Ewigkeit wurde die Kerkertür schließlich erneut geöffnet<br />

und endlich wurden auch Jake und Sawyer befreit. Zurück in ihren Zellen dehnten und<br />

streckten sich die Männer, um die steifen Gelenke zu lockern. Sie hätten sich liebend gerne<br />

bei den Frauen entschuldigt, wagten aber nicht, etwas zu sagen. Für heute hatten sie genug<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schaden angerichtet. Sawyer trat ans Gitter und sah sehnsüchtig zu Kates Zelle herüber. <strong>Die</strong><br />

junge Frau hatte den gleichen Gedanken. Sie trat dicht an die Tür, die einzige Möglichkeit für<br />

sie und Sawyer, sich überhaupt zu sehen. Sie sahen einander in die Augen und Kate hob den<br />

Daumen, was Sawyer mit einem Lächeln registrierte. Auch Heather und Jake hatten den<br />

Blickkontakt zu einander aufgenommen. Beide signalisierten sich ebenfalls zu, dass es dem<br />

jeweils <strong>Anderen</strong> gut ging.<br />

<strong>Die</strong>smal dauerte es nicht lange und die Kerkertür wurde erneut geöffnet. Zwei Wach-<br />

leute kamen in den Kerker, einen Rollwagen schiebend. Nacheinander klapperten sie jede<br />

einzelne Zelle ab, reichten den Gefangenen zwei Literflaschen Wasser, einen Laib Brot sowie<br />

ein Schälchen mit vier Tabletten. <strong>Die</strong> fünf Männer erhielten zusätzlich ein neues Hemd.<br />

Grimmig streiften sie die Kittel ordnungsgemäß über. Erst dann bekamen auch die Frauen<br />

neue Hemdchen gereicht und durften sich anziehen. Als alle Gefangenen Essen erhalten<br />

hatten, verließen die Bewacher den Zellentrakt. Und so plötzlich, dass einige zusammen<br />

zuckten, wechselte jetzt das rote Licht zu grün. Gil Grissom war der Erste, der los legte.<br />

„Sara, geht es dir gut? Was haben sie mit dir gemacht?“ Sara stand am Gitter und versuchte,<br />

zu Gil herüber zu sehen. „Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Ich musste … Pillen ana-<br />

lysieren, keine Ahnung, was das sollte. Es könnten dieselben gewesen sein, die man uns hier<br />

gerade gegeben hat. Vitamin und Mineralpräparate.“ Mulder redete dazwischen. „Mineralen?<br />

Was für ein Blödsinn. <strong>Die</strong> können uns hier sonst was unter jubeln.“ Er wendete sich an<br />

Scully. „Es tut mir wahnsinnig leid, Scully. Geht es dir gut?“ Scully konnte Mulder, der völlig<br />

zerknirscht wirkte, nicht mehr böse sein. Sie nickte. „Mach dir bitte keine Sorgen um <strong>mich</strong>.“<br />

„Was haben sie mit dir vor gehabt?“, wollte Mulder wissen. Ruhig antwortet die Agentin:<br />

„Ich habe Blutproben analysiert. Simple Tests. Nichts Außergewöhnliches. Und ohne<br />

interessante Befunde.“ Sawyer war das alles egal. Er war an die Tür getreten und fragte Kate:<br />

„Hey, ist alles klar bei dir? Geht es dir gut?“ Kate antwortete beruhigend: „Ist schon in<br />

Ordnung, ich werde es überleben.“ „Es tut mir so leid, Freckles, ich hab wirklich nicht damit<br />

gerechnet, dass sie dich für meine Sturheit bestrafen würden.“, sagte Sawyer zerknirscht.<br />

„Das hättet ihr euch denken können, oder?“, kam es ruhig und überlegen von Gibbs. „<strong>Die</strong>se<br />

Leute sind intelligent.“ Jake hatte Heather ebenfalls sofort gefragt: „Geht es dir gut? Es tut<br />

mir leid. Ich habe es nicht kommen sehen. Das war idiotisch. Tut mir so leid.“ Heather<br />

antwortete beruhigend: „Mach dir deswegen bitte keine Vorwürfe. Es geht mir gut. Du<br />

konntest das doch nicht wissen …“ „Bitte.“, machte Ziva gedehnt. „Das war doch offensicht-<br />

lich. Wie könnt ihr nur so naiv sein?“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison hatte sich inzwischen ebenfalls wieder beruhigt. Sie rief aufgeregt zu House<br />

herüber: „House, geht es Ihnen gut? Kann ich irgendwas für Sie tun?“ „Ja, kommen Sie her<br />

und massieren <strong>mich</strong>.“, kam die genervte Antwort ihres Chefs. „Hat hier jemand eine Vicodin<br />

für <strong>mich</strong>?“ House hatte sich auf seiner Liege aufgerichtet und sah durch die Gitterstäbe zu<br />

seiner Kollegin hinüber. „Hören Sie, Cameron, es tut mir leid, ich hatte nicht vor, Sie vor<br />

allen anderen nackt zu zeigen. Vor mir hätte gereicht.“ Allison schnaufte empört. „Okay,<br />

okay, es tut mir leid.“ Booth meldete sich jetzt zu Wort. „Was ist das hier eigentlich für ein<br />

delikates Menü? Sollen wir uns davon ernähren, oder wie sieht es aus?“ Sara Sidle erwiderte:<br />

„Wir sollten uns vielleicht darauf einstellen, dass es durchaus denkbar wäre. Zumindest würde<br />

das die Vitaminpillen erklären.“ Erneut meldete sich Mulder zu Wort: „Von wegen Vitamine.<br />

Wer sagt Ihnen, dass es die gleichen Tabletten sind, die Sie analysiert haben? Es können<br />

genauso gut Halluzinogene oder Gift sein.“ „Natürlich. <strong>Die</strong> werden sich die Mühe machen,<br />

uns hier her zu schaffen, ein wenig mit uns zu spielen und uns dann möglichst auffällig ver-<br />

giften.“, warf House sarkastisch ein. „Für einen FBI Agenten sind Sie erschreckend dämlich.“<br />

Mulder wollte antworten, wurde aber von John Locke unterbrochen. „Wenn auch nicht so<br />

drastisch, muss ich dem lieben Doktor doch zustimmen. Man hat sich sicher nicht die Mühe<br />

gemacht, uns hier her zu schaffen, nur, um uns dann so auffällig zu vergiften.“ Abby sah ihren<br />

Zellennachbarn an. „Wozu mögen wir wohl überhaupt her geschafft worden sein?“<br />

Aus Bones Zelle kam endlich auch eine Wortmeldung. „Haben Ihre Bewacher etwas<br />

zu Ihnen gesagt, Dana und Sara? Haben Sie etwas gesehen, was uns hier weiter helfen<br />

könnte?“ Sara gab Auskunft: „Kein Wort. Meine Anweisungen erhielt ich auf einem Zettel.<br />

Das Labor, in das ich gebracht wurde, ist sehr gut und auf dem neuesten Stand ausgestattet.<br />

Weitere Leute habe ich nicht gesehen. Aber alles wird Kameraüberwacht.“ Scully stimmte zu.<br />

„Das Labor, in dem ich die Analyse machen musste, ist ebenfalls hervorragend ausgestattet.<br />

<strong>Die</strong> Tests, die ich machen musste, waren so simpel, dass auch ein Labortechniker sie hätte<br />

ausführen können. Ich vermute, die ganze Aktion diente ausschließlich dazu, den Gehorsam<br />

zu testen.“ Grissom fragte langsam: „Haben die Labore Fenster? Konntet ihr etwas erkennen,<br />

was Hinweis auf unseren Aufenthaltsort gibt?“ Beide Frauen verneinten. „Keine Fenster.“<br />

„Vielleicht irgendwelche Geräusche? Autolärm, Flugzeuge? Sirenen?“, wollte Ziva wissen.<br />

„Nein, nicht das kleinste Geräusch.“, gab Scully Auskunft. „Ich vermute, die Labore sind<br />

schallisoliert.“, fügte Sara hinzu. Während der Unterhaltung hatten die Gefangenen an-<br />

gefangen zu Essen. Locke und House waren die Einzigen, die die Pillen schluckten. Keiner<br />

der anderen Gefangenen widmete den Tabletten mehr als einen flüchtigen Blick. Niemand sah<br />

die Notwenigkeit ein, irgendwelche Medikamente zu sich zu nehmen. Man kaute auf dem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trocknen Brot herum und jeder dachte darüber nach, was ihn in diese Situation gebracht hatte.<br />

Ziva erinnerte sich an die Festnahme in Sydney vor … ja, wie lange war es eigentlich her?<br />

*****<br />

Als Gibbs die Anweisung erteilt hatte, den Koffer zu packen, hatte Abby gedacht,<br />

er würde sie auf den Arm nehmen. Nach Australien. Was sollte sie mit Ziva und Gibbs in<br />

Australien? Aber Gibbs hatte es durchaus ernst gemeint. So hatte Abby einen Koffer ge-<br />

packt und saß vierundzwanzig Stunden später in der Australischen Metropole in einem<br />

Polizeilabor und untersuchte eine Revolverkugel, die aus einem toten Master Chief Petty<br />

Officer geholt worden war, der in einer Kneipe in Darlinghurst regelrecht hingerichtet<br />

worden war. Gibbs und Ziva hatten die Ermittlungen vor Ort aufgenommen, zusammen<br />

mit einem Spezial Agent der Außenstelle Sydney des NCIS. Abby war schnell klar ge-<br />

worden, warum Gibbs sie dabei haben wollte. Das Muster auf der Kugel ähnelte keinem<br />

Riefenmuster irgendeiner bekannten Waffe. Abby als Ballistik Genie konnte eine solche<br />

Niederlage nicht auf sich sitzen lassen. Nachdem sie einen akzeptablen Ersatz für ihr ge-<br />

liebtes Caf Pow gefunden hatte, machte sie sich verbissen ans Werk. McGee in<br />

Washington kam gar nicht mehr zur Ruhe, so viele Anweisungen erhielt er von seiner<br />

Kollegin. Abby arbeitet Stunde um Stunde, bis sie sicher war, die Waffe identifiziert zu<br />

haben. „Gibbs. Gibbs, ich hab was für dich.“ Abby fuhr mit den Händen durch die Luft<br />

und zog ihren Vorgesetzten aufgeregt zu ihrem Computer. „Westley Richards & Co., Bau-<br />

jahr 1867. Gezogener, runder Lauf im Kaliber 11,5 mm. Gibbs, danach müsst ihr suchen.<br />

Ich habe hier eine Liste mit Namen für euch, die offiziell in Sydney eine solche Waffe be-<br />

sitzen. Hier. Sucht unter diesen Leuten euren Killer. Und dann lasst uns nachhause<br />

fliegen“<br />

Gibbs und Ziva hatten die Liste fast abgearbeitet. Nur noch ein paar Namen waren<br />

nach. Im Augenblick näherten sich die beiden Beamten einem Haus in Caringbah, in der<br />

Bulwarra Street. Hier wohnte ein gewisser Keith Adams, der seit einiger Zeit eine der<br />

gesuchten Waffen besaß. Gibbs und Ziva näherten sich dem Haus und wollten gerade<br />

klingeln, als sie die Hintertür klacken hörten. „Er ist hinten raus.“, rief die temperament-<br />

volle Mossad Agentin und hetzte los, bevor Gibbs noch reagieren konnte. <strong>Die</strong>ser<br />

schüttelte genervt den Kopf und folgte seiner Kollegin, bevor es zu einer Katastrophe<br />

kommen konnte. Als er in den Backyard hetzte, sah er Ziva gerade noch in einem Ge-<br />

büsch am Ende des Gartens verschwinden. Dann erklangen Schreie und Kampf-<br />

geräusche. Augenblicke später tauchte Ziva grinsend und mit verstrubbelten Haaren aus<br />

dem Gebüsch auf, einen etwas angeschlagen wirkenden Kerl vor sich her schubsend.<br />

Wieder einmal zeigte es sich, dass es schwer war, gegen Ziva zu Bestehen. Ein letzter<br />

Stoß, und der Verdächtige klatschte Gibbs vor die Füße. „Hier hast du den Kerl. Lass uns<br />

nachhause fliegen.“ Am Abend des Tages führte Gibbs seine beiden Begleiterinnen in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Darling Harbour zum Essen aus. Ziva hatte sich in einigen Geschäften noch ein paar<br />

Kleidungsstücke gekauft. Als sie mit Abby schwatzend aus einem der Läden kamen, wäre<br />

sie fast in einen jungen Mann gestolpert. Ziva grinste den Typen anerkennend an. Sie<br />

konnte nicht abstreiten, dass sein Aussehen ihr gefiel. Groß, blond, schlank, grüne, tief-<br />

gründige Augen, Grübchen, die jetzt, als er sie ebenfalls angrinste, zuckten. Sie zog eine<br />

Augenbraue hoch, dann marschierten sie weiter.<br />

*****<br />

Als Ziva sich an diese kleine Begebenheit erinnerte, sah sie kurz überrascht in die<br />

Nachbarzelle. Grüne Augen und Grübchen. Sie grinste, zog eine Augenbraue hoch und<br />

schaute Sawyer herausfordernd an. Und in diesem Moment erkannte er die bildhübsche junge<br />

Frau ebenfalls. Er grinste zurück und sagte dann: „So trifft man sich wieder.“ Ziva nickte.<br />

„Was habt ihr in Sydney getrieben?“, fragte sie Sawyer. <strong>Die</strong>ser musterte Ziva und sagte dann<br />

gelassen: „Geschäfte, Curley Sue, nichts Spannendes. Und was treibt den NCIS nach<br />

Australien?“ Ziva setzte sich auf ihre Liege und nahm einen Schluck Wasser. „Ach, Ge-<br />

schäfte, weißt du.“, erwiderte sich grinsend. Sawyer lachte. Der Umstand, dass sie etwas zu<br />

essen erhalten hatten und in Frieden gelassen wurden, lockerte die Stimmung ein wenig auf.<br />

Allison fragte in die Runde: „Hat irgendjemand hier eine Vorstellung, was das alles soll? Was<br />

mögen die von uns wollen? Was wird hier mit uns passieren?“ Eine Weile herrschte<br />

Schweigen. Dann sagte Special Agent Mulder ruhig: „Man kann davon ausgehen, dass eine<br />

Reihe verschiedener Tests mit uns gemacht werden, die die physischen und psychischen Be-<br />

reiche abdecken.“ „Was denn für Tests?“, wollte Heather nervös wissen. „Nun, ich denke,<br />

vom Belastungs-EKG bis zu Intelligenz- und Persönlichkeitstests kann theoretisch alles dabei<br />

sein.“ Abby fragte zaghaft: „Du meinst nicht, dass die uns hier voller Nadeln stecken<br />

werden?“ „Wenn sie uns etwas tun wollten, hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, uns her-<br />

zuschaffen, da waren wir uns doch schon drüber einig, Abby.“, beruhigte Gibbs seine Mit-<br />

arbeiterin. „Sehr wahrscheinlich brauchen diese Leute, wer auch immer sie sind, einige<br />

unserer Fähigkeiten. Darauf deutet auch hin, dass die beiden Damen bereits kleineren Tests<br />

unterzogen wurden.“ „Gehören große Klappen auch zu speziellen Fähigkeiten?“, warf Sara<br />

sarkastisch ein.<br />

Testreihen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Leistungen der Menschen sind bemerkenswerter, wenn man die Beschränkungen<br />

betrachtet, unter denen sie sich mühen.<br />

Thornton Wilder<br />

Nach dem Frühstück kamen erneut Bewacher in den Zellentrakt. Sie gingen von Zelle<br />

zu Zelle und reichten den Gefangenen einfache Shorts, den Frauen zusätzlich simple Sport<br />

BHs. Durch den Lautsprecher kam dann die Durchsage: „Anziehen und Oberkörper frei<br />

machen.“ <strong>Die</strong> Frauen zuckten, bis auf Ziva und Bones, denen solche Kleinigkeiten völlig egal<br />

waren, erschrocken zusammen, gehorchten aber zähneknirschend. Ziva sprach aus, was alle<br />

dachten: „Was soll das werden? Wollen die die Körpchengröße vergleichen?“ Heather wurde<br />

rot. Schließlich hatten alle die grauen Shorts und die Frauen zusätzlich die Sport BHs an und<br />

die Hemdchen ausgezogen. Nun beobachteten die Gefangenen erstaunt, wie auf der Plattform<br />

zwei Laufbänder installiert wurden. Ferner schafften die Bewacher zwei EKG <strong>Über</strong>-<br />

wachungsgeräte heran. Als alles aufgebaut war, ertönte aus dem Lautsprecher die Ansage<br />

„Nummer 5 und Nummer 8.“ Kate und Ziva standen auf. Sie traten an die Türen und ließen<br />

sich die Hände obligatorisch auf den Rücken fesseln. Dann wurden die Frauen an die Lauf-<br />

bänder geführt. Hier wurden ihnen die Fesseln gelöst. Sie wurden verkabelt, was Kate sehr<br />

unangenehm war. Sich von diesen Typen begrapschen zu lassen, war das Letzte. Ziva stand<br />

ruhig und entspannt still, als die Elektroden für das EKG an ihrer linken Körperseite und auf<br />

der Brust und am Hals befestigt wurden. Als dies erledigt war, hieß es für die Frauen: „Aufs<br />

Band.“ Geradezu erleichtert, endlich Bewegung zu bekommen, traten beide auf die Lauf-<br />

bänder. <strong>Die</strong> Geschwindigkeit wurde bei 8 km/h eingestellt und dann ging es los. <strong>Die</strong> anderen<br />

Häftlinge kamen nicht umhin, recht gespannt zuzuschauen, wie die Frauen, die keinerlei<br />

Probleme zu haben schienen, ruhig und entspannt liefen und liefen. Bei beiden zeigte sich<br />

keinerlei Anstrengung. Nach einiger Zeit wurde das Tempo auf 13 km/h gesteigert und eine<br />

leichte Steigung von 12 % eingestellt. Wieder verging eine ganze Weile, in der die Frauen<br />

langsam anfingen, schneller zu atmen. Sawyer schaute gebannt zu, wie Kate langsam aber<br />

sicher der Schweiß ausbrach und auch bei Ziva sich erste Zeichen von Anstrengung zeigten.<br />

Was die EKG Geräte anzeigten, konnten die anderen Gefangenen natürlich nicht sehen.<br />

Er sah zu Booth hinüber und bemerkte: „Was glaubst du, Kumpel, wer wird hier aufs<br />

Treppchen kommen?“ Booth sah zu Bones hinüber. „Sie jedenfalls nicht.“ Er grinste, wohl<br />

wissend, dass seine hochintelligente Kollegin keinerlei Veranlassung sehen würde, sich hier<br />

irgendwie anzustrengen. Sawyer rief zu Kate herüber: „Hey, Freckles, du schaffst das.“ Abby<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

feuerte Ziva an. „Ziva, halt dich ran. Du steckst doch diese Kerle hier alle locker in die<br />

Tasche.“ Booth grinste. „Hey, ich habe nicht die Absicht, <strong>mich</strong> hier von einer Frau eintopfen<br />

zu lassen.“ Sawyer lachte. „Lass uns das nur machen, Hoover. Das schaffen wir ja wohl<br />

locker.“ Gibbs sagte ruhig: „Ich setze alles, was ich habe, auf Ziva.“ Sawyer grinste. „Ist ja<br />

nicht viel, was? Krieg ich dein Hemdchen, wenn Kate gewinnt?“ „Klar, wenn Kate gewinnt,<br />

ja. Und ich kriege deines.“ <strong>Die</strong> Männer grinsten.<br />

Auf dem Band wurde die Geschwindigkeit noch einmal erhöht. Sie lag jetzt bei 16<br />

km/h und die Steigung wurde auf 16 % hoch gesetzt. Jetzt wurde es allmählich wirklich<br />

schwer. Beide Frauen liefen mit aller Kraft. Sie keuchten vor Anstrengung und der Schweiß<br />

lief ihnen in Strömen über die Körper. Sawyer versuchte noch, Kate anzufeuern, in dem er ihr<br />

zu rief: „Komm schon, Freckles, dass schaffst du. Halt durch.“ Aber Kate war es schließlich,<br />

die Kapitulieren musste. Sie kämpfte verbissen, hatte den Ehrgeiz, mitzuhalten, musste aber<br />

schließlich einsehen, dass sie der durchtrainierten Mossad Agentin neben sich nicht das<br />

Wasser reichen konnte. <strong>Die</strong>se hielt noch eine ganze Weile durch. Selbst die Bewacher<br />

schienen erstaunt, wie lange die junge Frau dieses anstrengende Tempo noch durchhielt.<br />

Gibbs kam nicht umhin, ein stolzes Grinsen auf dem Gesicht zu haben, als er seine Agentin<br />

beobachtete. Ziva war die mit Abstand fitteste in seinem ganzen Team. Nach schier endlos<br />

langer Zeit gab auch sie schließlich auf. Kate hatte sich inzwischen ein wenig erholt und<br />

reichte der jungen Israelin die Hand. „Meine Herren, du bist wirklich fit.“ <strong>Die</strong>se versuchte, zu<br />

Atem zu kommen und grinste Kate an. Den Frauen wurden die Elektroden abgenommen,<br />

dann wurden sie in ihre Zellen zurück gebracht.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Nummern, die aufgerufen wurden, waren Sawyer und Booth. Auf dem<br />

Weg zu den Laufbändern frotzelte Sawyer: „War nicht schlecht, Nikita, aber jetzt kommen<br />

echte Männer.“ <strong>Die</strong> Beiden ließen sich ruhig präparieren und stiegen dann mit recht sieges-<br />

sicheren Gesichtsausdrücken auf die Laufbänder. Wieder begannen die Bewacher bei 8 km/h<br />

und beide Männer hatten keinerlei Probleme, diese Geschwindigkeit ähnlich locker zu be-<br />

wältigen wie vor ihnen Kate und Ziva. Gemütlich trabten sie auf den Bändern vor sich hin,<br />

ein gelangweiltes Grinsen auf den Lippen, und waren überzeugt, mit den Frauen mithalten zu<br />

können. Booth war schließlich im Training und auch Sawyer hielt sich für durchaus fit und<br />

durchtrainiert. Keinem der Beiden kam der Gedanke, dass sie es nicht schaffen würden.<br />

Zweifel kamen beiden Männern jedoch recht schnell, als nach der gleichen Zeit wie vorher<br />

bei den Frauen die Geschwindigkeit und Steigung erhöht wurde. Zuerst kamen die Beiden<br />

noch verhältnismäßig gut klar. Dann aber dämmerte es langsam Beiden, dass sie eventuell<br />

Schwierigkeiten bekommen könnten. Das dumme Grinsen war ihnen aus dem Gesicht ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

waschen. Jetzt waren die anderen Häftlinge wirklich sehr gespannt. Sawyer war schließlich<br />

der Erste, der wirklich zu kämpfen hatte, noch mitzuhalten. Ziva grinste Sawyer an. „Brauchst<br />

du ein Sauerstoffzelt?“ Kate konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als sie sah, wie<br />

er verbissen weiter lief, obwohl er kaum noch Luft bekam. Sehr viel besser ging es Booth auf<br />

dem Band neben ihm allerdings auch nicht. Keuchend und verbissen schleppten sich die<br />

Beiden weiter. Sawyer war es schließlich, der aufgab. Er konnte einfach keinen Schritt mehr<br />

vor den anderen setzen und sank jappsend auf die Knie. „So viel zu den echten Männern.“<br />

Wütend warf Sawyer Ziva einen kurzen Blick zu, während er nach Atem ringend beobachtete,<br />

wie Booth es noch mit Ach und Krach schaffte, die letzte Geschwindigkeitserhöhung zu er-<br />

reichen. Kaum jedoch hatte die Steigung 16 % erreicht, musste auch der FBI Agent erschöpft<br />

aufgeben. Cameron hatte bemerkt, wie frustriert Sawyer über sein schlechtes Abschneiden<br />

war und sah ihre Chance, ihm seine Flirtversuche heimzuzahlen. „Du klingst nicht sehr sexy,<br />

wenn du so keuchst.“ Bones hatte natürlich darauf geachtet, was ihr Freund leistete. Jetzt sah<br />

sie Ziva bewundernd an und hob den Daumen. Auch Jake konnte sich einen kleinen Seiten-<br />

hieb in Richtung Sawyer nicht verkneifen. „Deine Beine können offensichtlich mit deinem<br />

Mundwerk nicht mithalten, Sportsfreund.“ Kate kicherte. Sawyer hatte viel zu wenig Luft, um<br />

zu kontern.<br />

Ausnahmsweise ohne Fesseln wurde Booth und Sawyer in ihre Käfige zurück ge-<br />

bracht. Außer nach Atem zu ringen würden die Beiden in den kommenden Minuten ohnehin<br />

zu nichts anderem mehr im Stande sein. <strong>Die</strong> nächsten Nummern, die aufgerufen wurden,<br />

waren 7 und 14. Abby und Dana ließen sich zu den Bändern führen und erneut ging es los.<br />

Abby war nicht sonderlich trainiert und hielt ab 13 km/h nur noch kurze Zeit durch. Dana, die<br />

regelmäßig leichtes Lauftraining machte, schaffte es eine ganze Weile länger als Abby, aber<br />

eine Chance, es bis zur 16 km/h Marke zu schaffen, hatte auch die FBI Agentin nicht. Nun<br />

waren wieder zwei der Männer an der Reihe. Mulder und Jake mussten aufs Band. Mulder<br />

war zwangsläufig im Lauftraining, aber kein übermäßig ehrgeiziger Typ dabei. Ihm war es<br />

herzlich gleichgültig, ob er hier den Streckenrekord brechen würde oder nicht. Er sah keiner-<br />

lei Veranlassung, sich hier irgendwie zu verausgaben und gab auf halber Strecke bereits auf,<br />

obwohl er genau wusste, dass er noch sehr viel länger durch gehalten hätte. Jake jedoch hatte<br />

durchaus den Ehrgeiz, die 16 km/h zu erreichen. Es wurde sehr hart für ihn, der Schweiß lief<br />

ihm in Strömen über den Körper, aber immerhin gelang es dem jungen Mann, eine kurze Zeit<br />

die Geschwindigkeit zu halten. Dann jedoch war seine Grenze erreicht. „Na, Cowboy, noch<br />

steht die Lady auf dem Treppchen, was?“, kam natürlich die Retourkutsche von Sawyer in<br />

Richtung Jake. <strong>Die</strong>ser hatte keine Luft für eine Bemerkung und schnaufte nur genervt.<br />

Minuten später standen sich Bones und Sara gegenüber. Beide Frauen trieben nur wenig<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sport. Allerdings waren es beide gewöhnt, anstrengende Fußmärsche, auch in unwegsamem<br />

Gelände und mit recht schwerer Ausrüstung, zu machen. <strong>Die</strong> Bänder gingen an und die<br />

Frauen trabten los. Bones hatte keinerlei Ambitionen, sich hier allzu sehr anzustrengen. Sie<br />

lief gelangweilt daher, während Sara das Ganze schon ein wenig ehrgeiziger aufnahm. Bones<br />

wurde es schließlich zu dumm und sie gab auf. Sara bemerkte, dass Bones auf dem Band<br />

neben ihr aufgab und war nun auch nicht mehr sonderlich motiviert, an ihre Grenzen zu<br />

gehen. Verhältnismäßig schnell nach Bones gab sie ebenfalls auf.<br />

Jetzt wurden Gil und Gibbs geholt. <strong>Die</strong> Beiden waren vom Alter her zusammen<br />

passend. Sara sah zu Gil herüber. Sie wusste, dass der Freund kolossal unsportlich war. Er<br />

vermied körperliche Anstrengung, wo immer es sich vermeiden ließ. Sie grinste und rief ihm<br />

zu: „<strong>Über</strong>anstrenge dich nur nicht.“ Das ließ Grissom sich natürlich nicht zweimal sagen.<br />

Hechelnd und schwitzend gab er schon auf halber Strecke der 8 km/h erschöpft auf. So wurde<br />

einfach Locke dazu geholt. Sawyer bemerkte bissig: „Ladys und Gentlemen, willkommen in<br />

der Seniorenliga. Hat zufällig jemand Herztabletten dabei?“ Gibbs war fit, er joggte und<br />

machte immer noch Krafttraining. Und auch John Locke war durchtrainiert und fit. <strong>Die</strong><br />

Beiden lieferten sich ein interessantes Duell, das schließlich wirklich in einem recht harten<br />

Kampf Locke für sich entscheiden konnte. Verbissen hatte er gekämpft und Gibbs hatte sich<br />

irgendwann einfach gesagt, dass es das nicht wert war, sich hier aufzureiben, nur, um noch<br />

ein paar Minuten länger durchzuhalten. House meldete sich zu Wort. „Sieht fast so aus, als<br />

hätten die Senioren besser abgeschnitten als du, Redneck. Soll ich dir ein Rezept für Viagra<br />

ausstellen? Schließlich bist du soeben ehrenhalber in die Seniorenliga aufgenommen<br />

worden.“ Sawyer warf House einen giftigen Blick zu. Dann jedoch zuckte ein gehässiges<br />

Grinsen über sein Gesicht. „Na, Smart Ass, vielleicht hast du ja Glück, und die Paralympics<br />

werden mal in Amerika abgehalten.“<br />

Als Letztes wurden Heather und Allison geholt. Allison hatte in ihrer Wohnung ein<br />

Laufband, sie war es gewohnt, darauf zu trainieren. Und Heather war durch den Umgang mit<br />

den Schülern im Dauertraining. Außerdem war sie immer ein Mensch gewesen, der sich gerne<br />

bewegte. Lauftraining hatte sie zwar nie gemacht, aber sie hielt trotzdem lange durch. Für die<br />

beiden Frauen war es auch eine Frage des Ehrgeizes. Beide waren es gewöhnt, alles zu geben,<br />

um eine Aufgabe zu bewältigen. Doch Heather musste sich schließlich der laufband-<br />

gewohnten Ärztin geschlagen geben. Das machte der jungen Frau allerdings keine Probleme.<br />

Nachdem nun alle auf dem Laufband gewesen waren, wurden diese von dem Wachpersonal<br />

mit der Plattform wieder in den Boden versengt. Anschließend erhielten die Gefangenen den<br />

Befehl: „Kittel wieder anziehen.“ Murrend und genervt gehorchten alle. <strong>Die</strong> Sportbekleidung<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurde eingesammelt. Nun ertönte aus dem Lautsprecher „1, 2, 3, 5, 8, 9, 10, 12, 16.“ Wortlos<br />

traten die Aufgerufenen in die vorgeschriebene Haltung. <strong>Die</strong> Handschellen klickten um ihre<br />

Handgelenke und dann wurden sie erneut zur Plattform geführt. Sie mussten sich in der Mitte<br />

zusammenstellen und plötzlich senkte sich dieser Teil des Fußbodens wie ein Fahrstuhl ab.<br />

Eine Etage tiefer fanden sie sich in einem gefliesten, breiten Flur wieder, von dem einige<br />

Türen abzweigten. Man führte sie zu einer dieser Türen, die jetzt geöffnet wurde. Alle<br />

mussten in den dahinter liegenden Raum eintreten. <strong>Die</strong> Handschellen wurden gelöst, und die<br />

Gefangenen staunten nicht schlecht, als sie hinter einer weiteren Tür diverse Duschen er-<br />

kannten. Ohne auch nur einen Moment zu Zögern, stürzten alle in den Duschraum und<br />

standen eine Minute später unendlich erleichtert unter dem warmen Wasserstrahlen der<br />

Duschen.<br />

Wände gab es nicht, die die einzelnen Duschen abgetrennt hätten, alles war frei ein-<br />

sehbar. <strong>Die</strong> Frauen, bis auf Ziva, hatten erhebliche Probleme damit, sich vor aller Augen<br />

duschen zu müssen, aber angesichts der Wahl, sich zu reinigen oder total verschwitzt zu<br />

bleiben, entschieden sich schließlich alle für die Dusche. Seife, Shampoo, sogar Haarspülung<br />

standen griffbereit. Man ließ ihnen Zeit, sich gründlich zu waschen, dann ging es zurück in<br />

die Zellen. Nun verließen die Bewacher den Kerker. Sofort wurden die Zurückgekehrten von<br />

den anderen bestürmt. „Was? Haben sie euch etwa duschen lassen?“ Ziva grinste breit, als sie<br />

sah, dass Sara sehr empört war. Sawyer grinste in Saras Richtung: „Tja, Lemon, wenn du dich<br />

etwas mehr angestrengt hättest, wärest du jetzt auch sauber.“ Sara schaute wirklich sauer. Und<br />

nicht nur sie. Auch Dana, Bones und Abby waren schwer genervt. Bones fluchte: „Das ist ja<br />

wohl das allerletzte. Wenn die denken, sie könnten <strong>mich</strong> auf diese Weise zu ihren albernen<br />

Spielchen zwingen, haben die sich geirrt.“ Abby nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit ein<br />

wenig mehr zu tun. Nach dieser Schwitzerei ungeduscht zu sein, war ihr ein Gräuel. Gil sah<br />

das Ganze nicht so eng, er machte sich mehr Gedanken darüber, wie es hier wohl weiter<br />

gehen würde. Eventuell lägen als nächstes für sie alle möglicherweise medizinische Tests an.<br />

Bevor noch weiter über das Thema Duschen diskutiert werden konnte, ging jetzt das rote<br />

Licht an. Ein paar Minuten später knisterte es im Lautsprecher und: „Nummer 4.“, ertönte.<br />

House stand mit deutlich erkennbarem Widerwillen auf und humpelte zur Tür. Ihm ging es<br />

überhaupt nicht gut. Sein Bein schmerzte und er begann den Verlust seiner Vicodin-Tabletten<br />

zu spüren. Als zwei der Bewacher vor seiner Tür standen, hielt er ordnungsgemäß seine<br />

Hände auf den Rücken. Doch nichts geschah. <strong>Die</strong> Tür ging auf und er durfte seine Zelle ohne<br />

Handschellen verlassen. <strong>Die</strong> beiden Wachleute packten House mehr Stützend als Führend an<br />

den Oberarmen und schafften ihn auf diese Weise aus dem Zellentrakt hinaus. Nach der<br />

Kerkertür kam ein kahler, langer Gang, von diversen Kameras überwacht. Am Ende dieses<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ganges war eine weitere, schwere Stahltür, die automatisch geöffnet wurde. House sah sich<br />

interessiert um. Ein Flur, von dem drei Türen abgingen, keine Fenster, kahle, weiße Wände.<br />

Er wurde von seinen Bewachern zu der ersten Tür links im Flur geführt. Auch diese war<br />

elektronisch verriegelt und ging nun auf. Er wurde in den Raum geführt, dann verließen seine<br />

Bewacher den Arzt. House erkannte genervt, dass er sich in einem medizinischen Unter-<br />

suchungsraum befand. Er setzte sich schwerfällig auf die Untersuchungsliege und dachte<br />

darüber nach, was ihn überhaupt in diese missliche Situation gebracht hatte.<br />

*****<br />

Dr. Gregory House war einer der brillantesten Diagnostiker des Landes, was wohl<br />

der einzige Grund war, warum seine Vorgesetzte ihn nicht schon längst gefeuert hatte.<br />

Mit seinen eigenwilligen Methoden und seiner beeindruckenden Erfolgsquote hatte House<br />

sich auch über die Grenzen der USA hinaus einen Namen gemacht. Trotzdem war Allison<br />

Cameron überrascht über den Anruf gewesen, den sie entgegen nahm als sie – wie jeden<br />

Morgen – die E-Mails ihres Chefs durchsah, der vermutlich noch friedlich schlief, während<br />

sie seinen Papierkram erledigte und Kaffe kochte. Nachdem sie alle Spams gelöscht und<br />

alle Anfragen an House einen Gastvortrag zu halten in seinem Namen höflich abgelehnt<br />

hatte, wandte sie sich den verbleibenden Mails zu. Wie jeden Tag waren mehrere<br />

Schreiben von Leuten dabei, die wollten dass der berühmte Diagnostiker sie oder ihre<br />

Angehörigen untersuchte. Cameron schrieb die Symptome der Personen heraus, die<br />

House interessieren konnten, während sie den anderen einfühlsam versicherte, dass sie<br />

auch bei einem anderen Arzt in guten Händen sein würden. Sie war fast fertig mit dem<br />

Beantworten der Mails, als das Telefon klingelte. „Büro Dr. House, Dr. Cameron am<br />

Apparat.“, meldete Cameron sich. „Guten Tag, Dr. Cameron. Mein Name ist John<br />

Howard, ich bin der Australische Premierminister.“ Cameron war im ersten Moment zu<br />

verblüfft, um etwas zu sagen. „Es geht um meine Tochter, sie ist sehr krank. Ihre Ärzte<br />

wissen nicht mehr weiter. Im Internet habe ich von Dr. House gelesen, er soll einer der<br />

besten Diagnostiker weltweit sein. Ich möchte, dass er meine Tochter behandelt. Bitte,<br />

Dr. Cameron, Dr. House muss uns einfach helfen, meiner Tochter geht es von Tag zu Tag<br />

schlechter.“ Cameron empfand sofort Mitleid mit dem Mann, dessen Stimme so klang als<br />

wäre er den Tränen nahe. „Am besten schildern Sie mir erst mal die Symptome Ihrer<br />

Tochter und ich werde mit Dr. House sprechen und ihn fragen, ob er in seinem Termin-<br />

kalender noch etwas Platz hat.“<br />

Als House gegen halb elf endlich in seinem Büro auftauchte, saß Cameron immer<br />

noch an seinem Schreibtisch und wartete auf ihn. „Seit wann sitzen Sie untätig herum,<br />

wo es doch so viel Krankheit und Leid auf dieser Welt gibt?“, fragte er sarkastisch. „Es<br />

gibt bestimmt irgendeine Abteilung, in der sie aushelfen können, solange wir keinen Fall<br />

haben.“ „Wir haben einen Fall.“, antwortete Cameron und House zog die Augenbraue<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hoch. „32 Jahre, weiblich, hat vor zwei Monaten ihr erstes Kind entbunden. Wurde ein-<br />

geliefert mit Lähmungen und Taubheitsgefühl an Armen und Beinen. Außerdem hat sie<br />

Herzrhythmus Störungen. Gestern trat auch eine Atemlähmung auf, die Patientin wird<br />

seitdem künstlich beatmet.“ House sah seine Assistenzärztin einen Moment prüfend an<br />

und fragte dann: „Was verschweigen Sie mir?“ Cameron seufzte. „<strong>Die</strong> Patientin ist in<br />

Sydney. Sie ist die Tochter des australischen Premierministers und er hat heute persön-<br />

lich angerufen. Er will, dass Sie seine Tochter behandeln.“ „Ich weiß nicht, wie es um<br />

Ihre Geographiekenntnisse bestellt ist, aber Australien ist ziemlich weit weg.“ „House, es<br />

geht ihr sehr schlecht und die australischen Ärzte sind ratlos. Cuddy wird bestimmt er-<br />

lauben, dass wir fliegen.“ „Wir?“ fragte House amüsiert. „Nach der Beschreibung der<br />

Symptome könnte es sich um eine Autoimmunkrankheit handeln und das ist mein Fach-<br />

gebiet.“, argumentierte die junge Frau.<br />

„Ah, ich verstehe. Sie haben sich nett mit dem Chef - Wombat unterhalten und er<br />

hat gejammert und Ihnen erzählt wie sehr er sein kleines Mädchen liebt, bla-bla. Und<br />

jetzt kriegen sie das Bild von den weinenden Eltern, dem verzweifelten Ehemann, für den<br />

die Frau natürlich die Liebe seines Lebens ist und dem halb Waisenkind in spe nicht mehr<br />

aus dem Kopf.“ Das kam der Wahrheit ziemlich nahe, aber Cameron zog es vor, diese<br />

Bemerkung nicht zu kommentieren. Stattdessen sah sie ihren Boss listig an. „In<br />

Australien kann Cuddy sie nicht überwachen. Sie wird es nie erfahren, wenn wir bei<br />

unserem Aufenthalt noch ein paar Tage Urlaub dranhängen.“ Das erweckte das Interesse<br />

des Diagnostikers. <strong>Die</strong> Klinikchefin war ständig damit beschäftigt zu überwachen, ob<br />

House auch wirklich arbeitete, statt seine Zeit mit Gameboy spielen oder Fernsehen zu<br />

verbringen. Einige Tage im sonnigen Australien, weit weg von ihrem Regime klangen ver-<br />

lockend. „Packen sie einen Bikini ein, vorzugsweise einen möglichst knappen.“, warf er<br />

Cameron im vorübergehen zu, als er losging, um seine Chefin von der Notwendigkeit der<br />

Reise zu überzeugen.<br />

House benötigte gerade einmal 2 Stunden, um die Krankheit von Melanie Howard<br />

als das Guillain-Barré-Syndrom zu diagnostizieren. Da die Krankheit früh erkannt wurde,<br />

waren die Chancen der Patientin auf eine vollständige Heilung gut. Auf diese Weise<br />

hatten House und Cameron plötzlich 4 Urlaubstage zur Verfügung. Allison nutzte die Zeit,<br />

um ihre Garderobe aufzufüllen. Sie gab eine Menge Geld im Queen Victoria Building aus.<br />

House hockte lieber in Bondi in Straßencafés und beobachtete leicht bekleidete junge<br />

Mädchen, die in ihren kurzen Röcken auf dem Weg zum Strand an ihm vorbei<br />

promenierten. Nachdem Cameron ihre Einkäufe erledigt hatte, fuhr sie mit der Magnet-<br />

schwebebahn zum Sydney Opera House und sah sich diese Gebäude gründlich an. Sie<br />

besichtigte das Gebäude, dann ging sie zur Harbour Bridge. Von dort aus machte sie<br />

einen Abstecher nach Darling Harbour und besuchte das berühmte Sydney Aquarium. An<br />

ihrem letzten Abend war Allison ziemlich überrascht, als ihr Vorgesetzter sie zum Essen<br />

ins Jordans, einem weit über die Grenzen Sydney hinaus bekannten Restaurant, zum<br />

41


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Essen einlud. House war quengelig wie immer. An einem der Nachbartische saß ein Pär-<br />

chen. Der Mann schwärmte seiner Begleiterin begeistert von irgendwelchen Spinnen vor,<br />

was House schließlich zu der Bemerkung „Was für ein Idiot. Wetten, der nimmt die<br />

Spinnen mit ins Bett, nicht die Frau?“, veranlasste. Cameron sah ihren Chef an. „Wie eine<br />

schwarze Witwe sieht die Frau nicht gerade aus.“<br />

Am anderen Morgen standen Cameron und House am Flughafen und warteten auf<br />

das Boarden. Als sie die Maschine schließlich betreten durften, fiel ihnen auf, dass das<br />

Flugzeug relativ leer war. Cameron rutschte ans Fenster, damit House sein Bein im Gang<br />

ausstrecken konnte. Nach dem Essen, das überraschend gut gewesen war, wollte sie ein<br />

wenig die Augen schließen. Nach LA würden sie 17 Stunden in der Luft sein. Sie war<br />

dabei, einzudösen, als sie eindeutig Chloroformgeruch wahrnahm. House schien es im<br />

selben Moment ebenfalls zu Riechen. Erstaunt sah sie ihn an, aber bevor sie noch etwas<br />

sagen konnte, verlor Allison die Besinnung.<br />

*****<br />

Doktorspielchen<br />

<strong>Die</strong> Angst ist unerträglicher als der Schmerz; die Angst schärft die<br />

Empfindungen, während der Schmerz sie Abstumpft.<br />

Carmen Sylva<br />

House wurde immer ungeduldiger. Was sollte das, ihn hier hocken zu lassen? Wenn<br />

die sich einbildeten, dass er sich hier durchchecken lassen würde, waren die Herrschaften auf<br />

dem Holzweg. Endlich ging die Tür auf. Zwei Personen in weißen Kitteln betraten den Raum.<br />

Der ältere der Beiden sagte kühl: „In den Röntgenraum.“ Knurrend und sehr langsam betrat<br />

House den kleinen Röntgenraum an der hinteren Wand des Zimmers. Hier musste er sich auf<br />

den Röntgentisch legen. Nun wurde eine Hohlnadel in seinen Oberschenkel gesteckt, was<br />

House fluchend hinnahm. „Meint ihr Deppen ihr findet noch was, was ich nicht gefunden<br />

habe?“, maulte er gereizt. Mittels der Hohlnadel wurde ein Kontrastmittel in das Gewebe ge-<br />

spritzt. Dann wurde House‟ Bein geröntgt. Anschließend musste er in den Untersuchungs-<br />

raum zurückkehren. Vor die Liege blieb er stehen. „Nummer 4, hinlegen.“ House grinste.<br />

„Das erwarten Sie nicht wirklich von mir, meine Herren?“ <strong>Die</strong> beiden Männer erwiderten<br />

nichts. Einer von ihnen sagte in das Mikro seines Headsets: „Zwei Wachleute bitte in Unter-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

suchungsraum 1.“ Augenblicke später öffnete sich die Tür und zwei der blau gekleideten<br />

Wachleute betraten den Raum. Sie erhielten ähnlich knappe Anweisung wie House. „Legt ihn<br />

hin.“ Ohne Zögern traten sie an House heran und zwei Minuten später war dieser an die Liege<br />

gefesselt. So sehr er sich auch gesträubt und geflucht hatte, er hatte keine Chance gehabt. Jetzt<br />

lag er festgeschnallt und schäumend vor Wut da. <strong>Die</strong> Wachleute verließen den Raum und die<br />

beiden Ärzte kümmerten sich um ihren fluchenden Patienten. Als erstes wurde House Blut<br />

entnommen. Seine Armbeuge wurde desinfiziert, ein Stauriemen um seinen Oberarm gelegt<br />

und dann wurde die Blutentnahmenadel in House‟ Vene geschoben. Zähneknirschend musste<br />

Greg die Entnahme über sich ergehen lassen. Als die Ärzte genug Blut für alle nötigen Unter-<br />

suchungen abgezapft hatten, entfernten sie die Nadel und House bekam ein Pflaster auf die<br />

Einstichstelle geklebt.<br />

Der jüngere der beiden Ärzte legte House eine Blutdruckmanschette an. <strong>Die</strong> Ärzte<br />

notierten sich die Werte. Dann wurde seine rechte Hand von der haltenden Manschette befreit,<br />

nur, um über dem Kopf erneut fixiert zu werden. Nun kam ein Ultraschallgerät zum Einsatz.<br />

Mit dessen Hilfe wurde die Einstichstelle für eine Leberbiopsie gesucht. House erkannte<br />

durchaus, was nun geschehen sollte, hatte er doch das Gleiche schon unzählige Male bei<br />

seinen eigenen Patienten angeordnet. Er knurrte: „Ich hoffe, einer von euch Armleuchtern ist<br />

gut mit der Nadel.“ Er erhielt keine Antwort. Als die Ärzte die Einstichstelle lokalisiert<br />

hatten, wurde der Bereich großzügig desinfiziert. Dann schob der ältere Arzt eine lange,<br />

dünne Hohlnadel in seinen Körper. House knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen. Tränen<br />

schossen ihm in die Augen. Ohne darüber nachzudenken, atmete er aus und hielt automatisch<br />

die Luft an. Schnell setzte der Arzt nun eine Spritze auf die Hohlnadel und durch den ent-<br />

stehenden Sog beim Aufziehen der Spritze wurde das winzige Gewebestück aus der Leber<br />

entnommen. Nachdem dies geschehen war, zog der Arzt die Hohlnadel langsam und vor-<br />

sichtig aus dem Diagnostiker heraus. Dann wurde die Einstichstelle verbunden. House konnte<br />

nicht verhindern, dass seine Hände ein wenig zitterten. Aber anscheinend waren ihre Ent-<br />

führer jetzt fertig mit ihm. Er wurde los gebunden und in einen bereitstehenden Rollstuhl ge-<br />

schafft. Einer der Wachleute kam in das Zimmer und schob House wortlos in den Zellentrakt<br />

zurück. Als er an den Zellen seiner Leidensgenossen vorbei gerollt wurde, schauten diese er-<br />

schrocken auf den Arzt. Besonders Allison wurde blass. In seiner Zelle wurde House auf die<br />

Liege gepackt und einer der Wachmann fragte ihn gefährlich leise: „Bleibst du freiwillig<br />

liegen oder soll ich dich fesseln?“ House warf dem Typen einen vernichtenden Blick zu. „Ich<br />

bin nicht blöde, weißt du.“ Der Typ nickte. „Darüber ließe sich diskutieren.“ Er stellte House<br />

eine Stoppuhr hin. „Acht Stunden. Viel Spaß.“<br />

43


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Wachmann verließ mit dem Rollstuhl den Zellentrakt. House ließ sich leise<br />

stöhnend in die Waagerechte sinken, legte sich auf die rechte Seite und presste die Hand auf<br />

die Einstichstelle. Er war ziemlich fertig, auch, wenn er es nie zugegeben hätte. Sein Bein tat<br />

nach der Untersuchung heftig weh. Außerdem machte sich immer mehr der Vicodinentzug<br />

bemerkbar. House vermisste seine Schmerztabletten im wahrsten Sinne des Wortes schmerz-<br />

lich. Seit so vielen Jahren schluckte er die opiumhaltigen Tabletten schon in rauen Mengen.<br />

Hier nun wurde er auf kalten Entzug gesetzt. Nicht genug, dass die Schmerzen zunahmen,<br />

kamen nun auch langsam eindeutige Entzugserscheinungen dazu. House war speiübel, ihm<br />

war schwindlig, er schwitzte heftig und zitterte am ganzen Leib. Allison sah durch die Gitter-<br />

stäbe zu ihrem Chef hinüber. Sie machte sich erhebliche Sorgen um ihn. <strong>Die</strong>ser Entzug, der<br />

ihm hier aufgezwungen wurde, würde ihm zwar nicht schaden, aber die Entzugs-<br />

erscheinungen waren alles andere als angenehm. Außerdem fragte sich die junge Frau, was<br />

man wohl mit ihm gemacht hatte, dass er im Rollstuhl zurück gebracht worden war. Sie hoffte<br />

verzweifelt auf grünes Licht, um wenigstens den Versuch unternehmen zu können, House zu<br />

fragen, was los war. Viel versprechen tat sie sich nicht von dem Versuch.<br />

Es verging nicht viel Zeit, dann erscholl die Durchsage: „Nummer 12 und 13.“ Gil und<br />

Locke erhoben sich friedlich und traten an die Tür. Sie wurden von vier Wachleuten abgeholt<br />

und ebenfalls aus dem Zellentrakt geführt. In dem Flur vor den Untersuchungsräumen wurden<br />

wurde sie getrennt. Gil wurde in denselben Raum gebracht wie vorher House. Locke führte<br />

man in den Raum daneben. Gil wartete geduldig darauf, dass sich jemand um ihn kümmerte.<br />

Er brauchte nicht lange zu warten. <strong>Die</strong> Tür ging auf und ein Arzt kam herein. Auf einem<br />

Rollwagen wurde ein zylindrischer, mit einer Flüssigkeit gefüllter Behälter vor Gil platziert.<br />

In der Flüssigkeit schwamm eine luftgefüllte Glocke. In dieser Glocke steckte ein langes<br />

Rohr, an dessen Ende ein Mundstück angebracht war. Gil wurde eine Klemme auf die Nase<br />

gesetzt und dann bekam er die Anweisung: „In das Mundstück atmen.“ Gil tat, wozu man ihn<br />

aufforderte und atmete in das Mundstück hinein. Das Gerät, ein Spirometer, zeichnete nun<br />

elektronisch die Kraft, mit der er ein- und ausgeatmet hatte, sowie die Menge der geatmeten<br />

Luft pro Zeit auf. Das Gerät bildete die Luftmenge, die bei den Atemzügen bewegt wurde,<br />

grafisch ab. Nach dem Lungenvolumentests musste er noch einen Hörtest machen. Er<br />

wunderte sich, wie gut die Entführer scheinbar über alle Gefangenen informiert waren. Im<br />

Raum nebenan wurde John Locke inzwischen einer gründlichen Röntgenuntersuchung unter-<br />

zogen. Er machte selbstverständlich keine Schwierigkeiten und durfte nach der Untersuchung<br />

zusammen mit Gil zurück in den Zellentrakt. Sara kam nicht umhin, erleichtert aufzuatmen,<br />

dass Gil unbeschadet und auf eigenen Füßen zurück gebracht wurde.<br />

44


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kurz bevor Gil und Locke in die Zellen zurück gebracht worden waren, war die Laut-<br />

sprecherdurchsage: „Nummer 3.“, ertönt. Seufzend erhob Sawyer sich, trat an die Tür und<br />

wartete. Nachdem Gil und Locke zurück gebracht worden waren, kamen die Wachleute zu<br />

ihm. Seine Hände wurden gefesselt, die Tür ging auf und er wurde am Oberarm Richtung<br />

Ausgang geführt. Aufmerksam sah er sich um, aber die leeren, kahlen, weißen Flure gaben<br />

nichts her, was man sich hätte merken müssen. Sawyer wurde ebenfalls in den Unter-<br />

suchungsraum gebracht. Dort wurde als erstes ein Sehtest gemacht. Dann musste er den<br />

Lungenfunktionstest ebenfalls machen. Dabei erinnerte er sich daran, dass seine letzte<br />

Zigarette schon verflucht lange zurück lag. Nachdem er den Lungenvolumentest hinter sich<br />

hatte, bekam er die Anweisung, sich hinzulegen. Schulterzuckend gehorchte er. Ein wenig<br />

beunruhigt musste er zulassen, dass er mittels dreier breiter Gurte über Brust, Hüfte und<br />

Knien an die Liege fixiert wurde, der linke Arm an den Körper gepresst, der rechte Arm unter<br />

zu Hilfenahme der Handschelle eigenartiger Weise über dem Kopf. Dann ließ man ihn alleine.<br />

Er konnte nicht verhindern, dass sein Herz raste und seine Atmung sich automatisch be-<br />

schleunigte. Wohl fühlte er sich absolut nicht dabei, hier hilflos herum zu liegen. Er war sich<br />

aber darüber im Klaren, dass, hätte er sich geweigert, er eine Minute später gewaltsam ge-<br />

fesselt gewesen wäre. Also konnte er es auch freiwillig hinnehmen, verhindern konnte er<br />

ohnehin nichts. Man ließ ihn eine ganze Weile schmoren, eine Zeit, in der langsam, aber<br />

sicher wirklich Angst in ihm hoch kroch. Dann kamen zwei Ärzte herein. Beide legten sich<br />

einen Mundschutz an. Einer der Ärzte streifte sich Gummihandschuhe über. Jetzt nahm er ein<br />

Abstrichröhrchen und zog den Wattetupfer daraus hervor. Er zog Sawyers Kittel unter den<br />

Gurten so zur Seite, dass dessen Körper auf der rechten Seite unbedeckt war, und machte bei<br />

diesen, ohne auf das sofort einsetzende, heftige Fluchen des Wehrlosen zu achten, einen<br />

Penisabstrich.<br />

Dann wurde auch bei Sawyer mittels des Ultraschallgerätes die Einstichstelle für eine<br />

Leberbiopsie ermittelt. Als die Einstichstelle markiert und desinfiziert wurde, bekam Sawyer<br />

ein wirklich mulmiges Gefühl. „Was soll das werden, Freunde?“, fragte er nervös und mit<br />

leicht zitternder Stimme. Keine Antwort. Als er die lange, dicke Nadel sah, die auf seinen<br />

Körper zielte, packte ihn richtige Angst. Er spürte panisch Finger auf seiner Haut und dann,<br />

wie die Nadelspitze in sein Fleisch eindrang. <strong>Die</strong> Hände zu Fäusten ballend, biss er sich<br />

stöhnend auf die Lippen. <strong>Die</strong> dicke Hohlnadel wurde langsam zwischen zwei Rippen durch<br />

die unteren Hautschichten und die Zwischenrippenmuskulatur immer tiefer in seinen Körper<br />

geschoben und Sawyer zuckte heftig zusammen vor Schmerzen. Er atmete schnell, flach und<br />

keuchend. Plötzlich erhielt er den harschen, knappen Befehl: „Tief ausatmen und Luft an-<br />

halten.“ Erschrocken und ohne lange nachzudenken hielt er sich an die knappe Anweisung.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Im Gegensatz zu House wusste er ja nicht, was man hier mit ihm machte und Panik schlug<br />

über ihm zusammen. Nach einigen Sekunden war glücklicherweise alles vorbei. Heftig<br />

zitternd und keuchend lag Sawyer da und der Arzt verband die Einstichstelle. Dann erklärte er<br />

dem jungen Mann: „Wir haben eine Leberbiopsie bei dir gemacht. Zu deiner eigenen Sicher-<br />

heit wirst du acht Stunden stramm liegen, verstanden? Wenn du zu früh aufstehst, riskierst du<br />

im schlimmsten Fall innere Blutungen, eine Bauchfellentzündung oder Infektionen.“ Jetzt<br />

wurde der junge Mann von den Fesseln befreit und vorsichtig in einen Rollstuhl gesetzt. Man<br />

rollte ihn zurück in den Zellentrakt und als er in seiner Zelle vorsichtig auf der Liege Platz<br />

genommen hatte, bekam er nur noch die Anweisung: „Leg dich auf die rechte Seite. Du<br />

bleibst so lange liegen, bis wir dir erlauben, aufzustehen.“<br />

Allison hatte diese Anweisung gehört und plötzlich war ihr klar, was erst House und<br />

nun auch Sawyer über sich hatten ergehen lassen müssen. Sie hoffte, dass die Männer eine<br />

örtliche Betäubung erhalten hatten. Aber angesichts der Tatsache, dass beide ziemlich fertig<br />

waren, lag die Vermutung nahe, dass das nicht gemacht worden war. Sie kam jedoch nicht<br />

dazu, länger darüber nachzudenken, da erneut eine Lautsprecherdurchsage ertönte. „Nummer<br />

7 und 10.“ Hastig stand Allison auf und trat, wie einige Zellen weiter Dana, an die Tür. <strong>Die</strong><br />

beiden Frauen wurden nun ebenfalls zu einem Sehtest geholt. Als sie wieder in ihren Zellen<br />

war, wurden Jake und Ziva abgeholt. Man brachte sie in die Untersuchungsräume und erklärte<br />

erst Ziva, dann Jake, dass ein Abstrich gemacht werden würde. Ziva ließ diesen mit stoischer<br />

Ruhe auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl über sich ergehen. Jake sah aus, als<br />

würde er den Arzt am liebsten erwürgen, hielt dann aber zähneknirschend still. Sekunden<br />

später hatte er es hinter sich. Nun wurden die beiden Gefangenen zurück in ihre Zellen ge-<br />

bracht. Kate hatte äußerst besorgt zu Sawyer herüber geschaut, als dieser, offensichtlich ziem-<br />

lich angeschlagen, in einem Rollstuhl zurück in die Zelle geschafft worden war. Zitternd vor<br />

Angst und voller Sehnsucht stand sie an der Tür und starrte zu seiner Zelle hinüber. Sie wäre<br />

für ihr Leben gerne bei ihm gewesen. Allison ging es genauso. Immer wieder flogen ihre<br />

Blicke zu ihrem Boss hinüber. Und dann wurden plötzlich erneut Kates und Camerons<br />

Nummern aufgerufen. <strong>Über</strong>rascht standen die Frauen sofort mit dem Rücken zur Tür. Als<br />

letzten Tagespunkt brachten die Wachleute nun in einem überraschenden Anfall von Groß-<br />

zügigkeit Allison zu House in die Zelle und Kate zu Sawyer. Dann wurde das Licht gedämpft<br />

und die Gefangenen waren alleine.<br />

Kate eilte zu Sawyer und kniete sich neben ihn. Sie legte ihm zärtlich eine Hand auf<br />

die Seite, mit der <strong>Anderen</strong> griff sie seine Hand. Sehr leise fragte sie: „Hey, ist alles okay?<br />

Was ist mit dir?“ Genau so leise antwortete Sawyer: „Mach dir keine Sorgen, alles in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ordnung. Kannst du mir Wasser geben, bitte?“ „So sieht das aber nicht aus.“: flüsterte Kate<br />

besorgt. Sie ging zum Waschbecken, wo Sawyers Wasser stand und kehrte mit der Flasche zu<br />

ihm zurück. Sanft hielt sie seinen Kopf. Dann gab sie ihm vorsichtig zu Trinken. Sie sah sich<br />

um. Bones und Ziva in den Nachbarzellen schienen zu Schlafen und so beugte Kate sich zu<br />

Sawyer herunter und gab ihm einen Kuss. „Was haben sie mit dir gemacht?“, flüsterte sie<br />

weiterhin sehr leise. „Sehtest und eine Leberbiopsie.“, antwortete er, bemüht, genau so leise<br />

zu sprechen. „Schlimm?“, hauchte Kate. Sie hörte seiner Stimme überdeutlich an, dass er<br />

ziemliche Schmerzen hatte. Sawyer verzog genervt das Gesicht. „Es reicht. Tat ziemlich<br />

weh.“ Kate strich ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn und flüsterte: „Versuch zu<br />

Schlafen. Ich pass auf, dass du dich nicht bewegst.“ Er nickte dankbar. Noch einmal gab Kate<br />

ihm einen Kuss, dann sagte sie, sich am Kopfende auf die Liege setzend: „Leg deinen Kopf<br />

auf meinen Schoss, Baby.“ Ächzend hob Sawyer den Kopf und ließ ihn dann zurück sinken.<br />

Kate streichelte zärtlich durch seine Haare und ließ ihre Finger dann tiefer, in seinen Nacken,<br />

gleiten. Sie massierte sanft seine Muskulatur, bis sie spürte, dass er sich ein wenig entspannte.<br />

Müde schloss er die Augen. Als er eingeschlafen war, achtete Kate darauf, dass er sich im<br />

Schlaf nicht bewegte. Nach längerer Zeit kam einer der Wachleute zu ihnen an die Zelle und<br />

erklärte: „Er kann sich jetzt liegend bewegen, klar?“ Kate nickte dankbar. Sawyer war von der<br />

Stimme kurz wach geworden und hatte die Worte mit bekommen. Erleichtert rollte er sich auf<br />

den Rücken. Er presste die Hand leise stöhnend auf die Einstichstelle, die immer noch heftig<br />

wehtat. Kate lehnte sich an das Gitter, strich Sawyer ganz unbewusst durch die Haare und<br />

spürte, wie er sich jetzt, bequemer auf dem Rücken liegend, sichtlich entspannte. Er schloss<br />

erneut die Augen und war Augenblicke später wieder eingeschlafen.<br />

*****<br />

Sobald sie die Zelle betreten hatte, ließ Cameron sich vorsichtig auf der Kante der<br />

Liege nieder. „Möchten Sie etwas zu trinken?“, fragte sie besorgt. Am liebsten hätte sie<br />

House in den Arm genommen oder wenigstens seine Hand gehalten, aber sie wusste nur zu<br />

gut, dass ihr ruppiger Boss das niemals zulassen würde. „Ein Röhrchen Vicodin, ein Glas<br />

Scotch und eine Nutte wäre mir lieber, aber das steht wohl nicht zur Debatte.“, erwiderte er<br />

mürrisch. Cameron schüttelte den Kopf, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen.<br />

Typisch House. Sie stand auf und griff eine der Wasserflaschen am Zelleneingang. Dann<br />

setzte sie sich wieder zu ihrem Boss und half ihm sanft, seinen Oberkörper etwas aufzu-<br />

richten, während sie ihm die Flasche an die Lippen hielt. Als House genug getrunken hatte,<br />

stellte sie die Flasche schweigend zurück und setzte sich auf den kalten Steinboden neben der<br />

Liege. House beobachtete ein paar Minuten, wie Cameron versuchte ihren Kittel so auszu-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

richten, dass ihre nackte Haut nicht mit dem kalten Boden in Berührung kam. Schließlich<br />

seufzte er entnervt und sagte: „Nun setzen Sie sich schon auf die Liege. Sonst erkälten Sie<br />

sich noch und stecken <strong>mich</strong> an und das hat mir gerade noch gefehlt.“ <strong>Die</strong> junge Ärztin<br />

lächelte glücklich und machte es sich neben ihrem Boss bequem.<br />

*****<br />

In ihrer Zelle lag Dana Scully wach und starrte die Decke an. Lange hatte sie an ihren<br />

Sohn gedacht. Ihre Mutter würde sich zu Tode ängstigen. Hoffentlich ging es dem Kleinen<br />

gut. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was mochten das für Leute sein, die sie entführt<br />

hatten? Es wunderte die FBI Agentin, dass ihr Partner noch nicht von einer Verschwörung<br />

sprach. Wenn er nicht wieder irgendwelchen UFO-Fotos hinterher geflogen wäre, säßen sie<br />

jetzt in DC und nicht halb nackt in irgendwelchen winzigen Zellen. Dana ließ die letzten Tage<br />

noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren.<br />

*****<br />

Dana Scully fuhr herum, als die Tür zu ihrem Büro aufgerissen wurde und ihr<br />

etwas spleeniger Partner Fox Mulder, der sich energisch verbat, bei seinem Vornamen<br />

genannt zu werden, hereinstürmte. Aufgeregt wedelte er mit einem Stapel Papier vor<br />

ihrem Gesicht herum. „Wir fliegen nach Sydney, Dana. Schau dir das an, die besten UFO<br />

Fotos, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Der Mann ist ein anerkannter Physik-<br />

professor, keiner den man als Spinner abtun kann, er will uns treffen.“ Das jungenhafte<br />

Gesicht des FBI Agenten, der davon besessen war, die Existenz von Außerirdischen nach-<br />

zuweisen, seitdem er im Alter von zwölf Jahren hilflos hatte ansehen müssen, wie seine<br />

Schwester Samantha von Aliens entführt worden war, strahlte vor Begeisterung. <strong>Die</strong><br />

Pathologin wusste nur zu genau, dass es völlig aussichtslos war, den Psychologen auf-<br />

halten zu wollen, wenn es um seine Obsession ging. Außerdem hatte sie in etlichen<br />

Jahren der Zusammenarbeit an den mysteriösen X Akten so einiges gesehen, für das sie<br />

beim besten Willen keine wissenschaftliche Erklärung finden konnte und längst aufgehört,<br />

ihren Partner als den Spinner zu betrachten, der ihm den Nickname Spooky eingebracht<br />

hatte. Der Umstand, dass die beiden Agenten seit geraumer Zeit eine mehr als freund-<br />

schaftliche Beziehung verband, tat ein Übriges, die rassige rothaarige Frau zu der<br />

Antwort zu veranlassen: „Wann geht unser Flug? Wir müssen ein paar Sachen für William<br />

zusammen packen, damit Mum alles da hat, was sie für mehrere Tage braucht.“ Seit ihr<br />

gemeinsamer Sohn geboren worden war, 7 Monate war es jetzt her, brauchte sie ein<br />

wenig mehr Vorlaufzeit, als sie vor der Geburt benötigt hatte. <strong>Die</strong> Arbeit mit Mulder hatte<br />

sehr bald dazu geführt, dass sie seinem Beispiel folgend ständig einen gepackten Koffer<br />

bereithielt. Mulder lachte aufgeregt: „<strong>Die</strong> Maschine geht in vier Stunden, Skinner und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Doggett wissen Bescheid, deine Mutter auch, dass wir kommen und William bringen.<br />

Komm, beeil dich.“<br />

So saßen die beiden Agenten vier Stunden später im Flieger und Scully bemühte<br />

sich, so gut oder eher schlecht sie das eben vermochte, sensibel auf den Lebens-<br />

gefährten einzugehen und vorsichtig zu versuchen, ihn auf eine wahrscheinliche weitere<br />

Enttäuschung vorzubereiten. Wie erwartet gelang es der Wissenschaftlerin in Sydney<br />

ziemlich zügig auch diese viel versprechenden Fotos als geschickte Fälschung zu ent-<br />

larven und so konnten sie schnell den Rückflug nach DC buchen. Am Abend lud Scully<br />

den sichtlich enttäuschten Partner auf ein Glas Bier ein. Während sie sich unterhielten,<br />

wurde Scully auf eine junge Frau am Nachbartisch aufmerksam, die ihrem männlichen<br />

Begleiter gerade erklärte: „Wie unfähig kann ein einzelner Mensch eigentlich sein. Es<br />

weiß doch jeder Pathologe, dass das spezifische Reliefmuster, dass ein Skalpell auf einem<br />

menschlichen Knochen hinterlässt sich signifikant von dem eines Jagdmessers unter-<br />

scheidet.“ Ein leises Grinsen huschte angesichts der dozierenden Stimmlage der Frau<br />

über Scullys Gesicht. Sie schüttelte den Kopf. Sie freute sich auf ihren Sohn. Am<br />

nächsten Morgen waren sie früh auf dem Weg zum Flughafen. Im Flugzeug war es er-<br />

staunlich leer. Scully wollte es sich gerade gemütlich machen, als sie einen eigenartigen<br />

Geruch wahrnahm. Bevor sie diesen seltsamen Geruch identifizieren konnte, wurde es<br />

dunkel um sie …<br />

*****<br />

Wartezeiten<br />

Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in<br />

Bezug auf das Ziel.<br />

Friedrich Nietzsche<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen lagen noch in tiefem Schlaf, als urplötzlich das sehr laute, nervende<br />

Röhren durch den Zellentrakt drang. Jeder Einzelne zuckte erschrocken hoch. Cameron hatte<br />

sich wie Kate an die Gitterstäbe gelehnt und war in dieser Haltung eingeschlafen. Sawyer<br />

brachte verschlafen auf den Punkt, was alle in diesem Moment dachten. „Immer wieder ein<br />

schönes Geräusch. Das weckt Tote auf.“ Zum Glück wurde in diesem Augenblick das grüne<br />

Licht angeschaltet, sodass seine unbedacht hervor gestoßenen Worte keine schmerzhaften<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Folgen hatten. Kate streckte sich ächzend und versuchte, ihre steifen Glieder zu entspannen.<br />

Sawyer drehte sich vorsichtig zu ihr herum und massierte ihr sanft den Nacken. Nach ein paar<br />

Minuten fragte er leise: „Besser?“ „Ja, danke. Wie fühlst du dich?“ Sawyer antwortete nicht,<br />

sondern lächelte nur beruhigend. In House‟ Zelle war Allison ebenfalls dabei, sich zu Dehnen<br />

und zu Strecken, um ihre vom langen Sitzen ganz verspannte Muskulatur zu lockern. Sie hatte<br />

aus dem Augenwinkel beobachtet, wie Sawyer Kate massiert hatte und verspürte ein wenig<br />

Neid. House würde natürlich nicht im Traum darauf kommen, ihr den gleichen Gefallen zu<br />

tun. <strong>Die</strong> Tür zu ihrem Kerker ging auf und die Essenslieferung erfolgte. Brot, Wasser, Pillen.<br />

Zu Sawyer sagte der Wachmann, der das Essen verteilte: „Noch liegen bleiben, Nummer 3.“<br />

Sawyer machte sich also wieder lang. Erstaunlicherweise lagen für House zwei Paracetamol<br />

in dem Schälchen mit Vitamintabletten. Das es schon wieder nur Wasser und Brot gab, ver-<br />

anlasste die Gefangenen, doch noch einmal über die Vitamine und Mineralien nachzudenken,<br />

die ihnen bereits das dritte Mal angeboten wurden. Cameron und House zögerten nicht mehr,<br />

die Pillen zu schlucken. Angesichts der Tatsache, dass sie ganz offensichtlich bei Wasser und<br />

Brot gehalten werden sollten, mussten sie wichtige Mineralstoffe und eben Vitamine auf<br />

andere Weise zu sich nehmen.<br />

Kate hatte das Wasser und Brot für Sawyer entgegen genommen. Sie setzte sich<br />

wieder auf die Liege, nahm seinen Kopf erneut auf ihren Schoss und in dieser Haltung konnte<br />

der junge Mann auf seinen Brot herum kauen, ohne sich zu verschlucken. Kate brachte<br />

schließlich die Sprache ebenfalls auf die Pillen. „Was meinst du, sollen wir die Dinger vor-<br />

sichtshalber schlucken?“ Sawyer dachte nur noch kurz nach, dann nickte er. „Ich glaub, das<br />

wäre wohl das Beste, was? Obst und Gemüse scheint hier ja Mangelware zu sein. Okay, her<br />

mit den Dingern. Sag mal, Freckles, haben die zufällig ne Kippe dabei gelegt?“ Kate grinste.<br />

„Ich fürchte nicht, Honey. Du wirst dir wohl das Rauchen abgewöhnen müssen.“ Sie konnte<br />

nicht ganz verbergen, dass dies ein Aspekt ihrer Lage war, der ihr durchaus gefiel. Sawyer<br />

verzog genervt das Gesicht. „Verdammt …“ Ein paar Zellen weiter überlegt Dana, dass die<br />

Pillen vielleicht wirklich für sie alle von Nöten sein könnten. Laut sagte sie: „Ich würde euch<br />

allen dringend empfehlen, die Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, ansonsten sind recht<br />

bald Mangelerscheinungen zu befürchten.“ Sofort ergriff ihr Freund und Partner das Wort.<br />

„Scully, kannst du sicher sein, dass es sich hier lediglich um Nahrungsergänzungsprodukte<br />

handelt? Es könnten sehr wohl auch Halluzinogene oder schlimmeres sein.“ Dana schüttelte<br />

ungerührt den Kopf und sagte ironisch: „Ja doch, Mulder, ich weiß, traue niemandem. Wenn<br />

wir hier länger als gedacht fest sitzen, werde ich deinen Sohn informieren, dass sein Vater aus<br />

Paranoia leider Mangelerscheinungen zeigte und schließlich aus Vitaminmangel an Skorbut<br />

eingegangen ist.“ Sie griff nach den Pillen und schluckte sie, ohne noch eine Silbe an ihren<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

paranoiden Freund zu verschwenden. Mulder verzog genervt das Gesicht. Scully war einfach<br />

zu leichtsinnig. Wenn es nun wirklich Drogen waren? Wie sollte er das seinem Sohn später<br />

einmal erklären? Jake starrte ebenfalls mit äußerstem Misstrauen auf die kleinen, harmlos<br />

aussehenden Tabletten. „Ich nehme die nicht. Was wissen wir schon, was diesen Irren ein-<br />

fällt.“ Heather wagte schüchtern einzuwerfen „Was sollte es für einen Sinn haben, uns heim-<br />

lich Drogen oder Gifte zu verabreichen? Wenn die so was vorhätten, könnten sie es jedem<br />

von uns jederzeit problemlos gewaltsam verabreichen.“ Aus der Zelle John Lockes kam<br />

dessen scheinbar immer vollkommen ruhig und gelassen klingende Stimme. „Vieles deutet<br />

darauf hin, dass unsere Gastgeber uns gesund und fit erhalten wollen.“ Abfälliges Schnaufen<br />

aus den Zellen von House und Sawyer. Unbeirrt fuhr Locke fort: „Bei dieser unzureichenden<br />

Ernährung sind Vitamine zwingend erforderlich, um unsere Leistungsfähigkeit zu erhalten.<br />

<strong>Die</strong>se liegt den Herrschaften scheinbar sehr am Herzen.“<br />

Dana konnte den Worten Lockes nur zustimmen. „Wenn die uns vergiften wollten,<br />

würden sie sicher eher das Wasser dafür nutzen. Das müssen wir schließlich alle zu uns<br />

nehmen.“ Mulder und Jake warfen augenblicklich misstrauische Blicke auf die Wasser-<br />

flaschen. Sofort beschlossen die beiden Männer, die Aufnahme des Wassers einzustellen.<br />

Beide dachten nicht darüber nach, wie schnell sie Durst bekommen würden. Abby hatte für<br />

sich entschieden, die angebotenen Pillen zu sich zu nehmen. Sie wandte sich an ihren Boss:<br />

„Es ist natürlich kein Ersatz für mein Caf Pow, aber die Pillen sollten uns wohl einigermaßen<br />

fit halten.“ Gibbs brummte: „Kaffee würde <strong>mich</strong> sicher fitter halten, aber da es keine Kaffee-<br />

pillen gibt, nehmen wir doch erst mal die.“ Bevor weitere paranoide Anwandlungen bei<br />

anderen Gefangenen auftauchen konnten, ertönte aus dem Lautsprecher: „Nummer 13 und<br />

15.“ Gil und Mulder erhoben sich und ließen sich kurze Zeit später von ihren Bewachern<br />

wiederum zur Plattform schaffen. Hier wurden die Laufbänder erneut installiert. Mulder ver-<br />

drehte die Augen. Okay, sollten sie ihren Willen kriegen. „Bevor ich hier jeden Tag ein<br />

Trimm dich Programm durchlaufe, werde ich den Herrschaften wohl den Gefallen tun.“<br />

Sawyer ärgerte sich, dass er sich noch nicht aufrichten durfte. Zu gerne hätte er dem<br />

Spektakel zugesehen. <strong>Die</strong> anderen, außer House, der zunehmend mit Entzugserscheinungen<br />

kämpfte, konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die Plattform. <strong>Die</strong>se Gelegenheit nutzte<br />

Cameron sofort, um sich ihrem Chef zu widmen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, um<br />

seine Aufmerksamkeit zu erregen. Leise flüsterte sie: „House, wie geht es Ihnen?“ House<br />

wendete den Kopf. Er stellte fest, dass alle sich auf Gil und Mulder konzentrierten und Kate<br />

sowieso nicht in ihrer Zelle war. So antwortete er: „Auch, wenn ich davon ausgehen darf, dass<br />

Sie als Ärztin wissen sollten, wie es mir geht, erkläre ich es Ihnen gerne noch mal. Ich<br />

schwitze wie ein Schwein, ich habe Gliederschmerzen und Muskelkrämpfe, ich zittere, was<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sie kaum übersehen können, mein Blutdruck ist auch ohne Laufband höher als der von den<br />

beiden Idioten da, ich habe kaum geschlafen und mir ist kotzübel. Zufrieden?“<br />

Allison konnte den Impuls, House in ihre Arme zu schließen, kaum unterdrücken. Da<br />

sie aber wusste, dass sie dann mit wesentlich schlimmeren Symptomen zu Rechnen hatte,<br />

verkniff sie sich das lieber. Stattdessen antwortete sie: „Es ist Ihnen sicher kein Trost, aber in<br />

ein paar Tagen wird es Ihnen besser gehen als vor dem Entzug.“ Sie stand auf, ging zum<br />

Waschbecken und machte etwas Toilettenpapier nass. Damit kehrte sie zu House zurück und<br />

nach einem weiteren, prüfenden Blick in die Runde legte sie ihrem Chef das Papier auf die<br />

Stirn. Dann gab sie ihm einen Schluck Wasser aus der Flasche. Auf den Laufbändern<br />

arbeiteten inzwischen Gil und Mulder daran, ihre Leitungen vom ersten Test zu verbessern.<br />

Mulder fiel dies im Prinzip nicht schwer, da er ja regelmäßig aktiv joggte, beim FBI musste<br />

man einfach fit sein. Ihm fehlte lediglich der Ehrgeiz. Bei Gil sah die Sache schon anders aus.<br />

Nachdem er mühsam die Stufe 2 der Geschwindigkeit erreicht hatte, befürchtete er, jeden<br />

Moment rückwärts vom Band zu rutschen. Ziva hatte sich das Drama kopfschüttelnd an-<br />

geschaut. Dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen. „Und so was arbeitet für US Be-<br />

hörden. Meine Herren, wie kann man nur so untrainiert sein.“<br />

Empört hob Sara die Stimme. „Es arbeitet nicht jeder mit Körpereinsatz. Es gibt<br />

durchaus auch Menschen, die ihren Verstand einsetzten und dafür von den Kollegen geschätzt<br />

werden.“ Ziva grinste abfällig. „So weit her kann es mit Grissoms Verstand nicht sein, wenn<br />

er seinen Körper so vernachlässigt.“ Aus Abbys Zelle kam ein zustimmendes Kichern, dann<br />

fügte sie der Debatte hinzu: „Du solltest nicht den Fehler machen, Zivas Verstand zu unter-<br />

schätzen. Ich fürchte, sie steckt dich drei Mal in die Tasche.“ Sara wandte ihre Aufmerksam-<br />

keit wieder Gil zu, mit dem es schnell zu Ende ging. Mit leicht blau angelaufenen Lippen<br />

sank er keuchend auf die Knie. Zu keiner Reaktion mehr fähig, kniete er am Boden und ver-<br />

sucht verzweifelt, die lebenswichtige Luft irgendwie in seine pfeifenden Lungen zu be-<br />

kommen. Mulder wünschte sich fast, ebenfalls zusammen zu brechen, aber wenn er ehrlich<br />

war, hatte er noch lange nicht die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht. <strong>Die</strong> Aussicht,<br />

nach dieser albernen Rennerei in Frieden gelassen zu werden, motivierte ihn, weiter zu laufen.<br />

Sawyer auf seiner Liege platzte fast vor Wut, dass er nichts sehen konnte. <strong>Die</strong> Bemerkungen<br />

Zivas hatten ihm ein Grinsen entlockt. Kate berichtete ihm ironisch: „Grissom ist fertig, der<br />

braucht eine Wiederbelebung.“ Sie war selbst topfit und konnte, wie Ziva, nicht verstehen,<br />

wie man sich so gehen lassen konnte. Sie fuhr fort: „Mulder sieht eigentlich nicht so aus, als<br />

bräuchte er auch Sauerstoffzufuhr. Der ist wesentlich fitter als er tut.“ Ziva lachte. „Vielleicht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sollten wir gegen die Kerle mal ein paar Runden auf einer richtigen Bahn drehen. Dann<br />

würden die nette Anblicke unserer Hintern zu sehen bekommen.“<br />

Booth stand lässig an die Tür seiner Zelle gelehnt und sah zu Ziva herüber. „Du magst<br />

ja mehr Kondition haben als wir, aber schneller als du bin ich allemal.“ Ziva lachte. „Selbst<br />

wenn, dein Hintern ist auch nicht schlecht. Außerdem würde ich nicht darüber wetten.“ Auf<br />

dem Laufband musste Mulder sich, nachdem er unter großer Anstrengung die 16 km/h eine<br />

Weile durchgehalten hatte, ebenfalls geschlagen geben. Er wankte rückwärts von dem Band<br />

herunter und hielt sich keuchend die stechenden Seiten. - Hoffentlich sind die jetzt zufrieden. -<br />

dachte er jappsend. Ihre Bewacher schafften die Männer in die Zellen zurück. Gil brauchte<br />

Hilfe dabei. <strong>Über</strong> die Lautsprecher kam nun: „11 und 14.“ <strong>Die</strong> beiden Frauen hatten sich<br />

bereits die ihnen gereichte Sportbekleidung wieder angezogen. Sie hatten geahnt, dass sie<br />

ebenfalls noch einmal aufs Band müssten. Sich giftige Blicke zuwerfend, stellten sich die<br />

Frauen wieder auf die Bänder. Und dann legten sie los. Ziva feuerte Abby an: „Mach uns<br />

keine Schande, Abby, die CSI Tante schaffst du locker.“ Abby grinste nur. Sie hatte wirklich<br />

den Ehrgeiz, die junge Frau vom CSI zu schlagen. Als die Geschwindigkeit auf 13 km/h er-<br />

höht wurde, fingen beide Frauen schnell an, heftig zu keuchen. Abby biss die Zähne zu-<br />

sammen und kämpfte. Gibbs feuerte seinen Schützling stürmisch an. „Abby, dass packst du.<br />

Halt durch. Du bist besser. Mach schon. Komm, Kleines, du hältst durch. Du bist bei der<br />

Navy. Marines geben nicht auf.“ Gil lag immer noch jappsend auf der Liege. Er hätte Sara zu<br />

gerne ebenfalls angefeuert, aber das lag natürlich nicht drin. Sara lief inzwischen der Schweiß<br />

in Strömen über den Körper. Sie wollte sich nicht geschlagen geben. Ziva trieb Abby voran.<br />

Gibbs spürte, dass Abby wirklich nicht mehr konnte und trieb sie mit seinen Worten noch ein<br />

kleines Bisschen weiter: „Komm, mach weiter. Nur noch ein wenig.“ <strong>Die</strong> Anfeuerung war es<br />

letztlich, die Abby den kleinen Moment länger durchhalten ließ, als die junge CSI Beamtin.<br />

Keuchend standen beide Frauen schließlich wieder in ihren Zellen.<br />

Dafür durften sich nun Dana und Bones wieder auf das Band stellen. Nach einiger Zeit<br />

begann Bones leicht zu Keuchen und Booth rief: „Komm schon Bones, japps nicht jetzt<br />

schon.“ Genervt zischte Bones zurück: „Nenn <strong>mich</strong> nicht Bones.“ Sawyer registrierte<br />

grinsend, dass Bones es offensichtlich nicht mochte, so genannt zu werden. Für so was hatte<br />

er immer ein Ohr, selbst, wenn er halb tot gewesen wäre. Mulder hatte inzwischen wieder<br />

genug Luft, um Dana ein: „Blamier das FBI nicht.“, zuzurufen. Er warf einen unauffälligen<br />

Blick auf seine Wasserflasche, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. „Hey, Bones ist<br />

auch fast FBI.“, lachte Booth. „Wie kann man fast FBI sein? Kannst du mir das mal er-<br />

klären?“, grinste Mulder. „Bones kann.“, erwiderte Booth. „Wenn ich fast FBI bin, warum<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

habe ich dann keine Waffe?“, keuchte Bones dazwischen. Sawyer konnte sich, wenn auch<br />

immer noch brav liegend, nicht mehr zurück halten. Laut warf er ein: „Hey, Bones, dein<br />

Mundwerk ist doch schon waffenscheinpflichtig.“ Booth lachte, während von Temperance ein<br />

verwirrtes: „Ich weiß nicht, was das bedeutet.“, kam. Booth konnte kaum noch an sich halten.<br />

Nun wurde die Geschwindigkeit eine Stufe höher gesetzt. Und damit erstarben auch die<br />

Kommentare Bones‟. Am Ende war es Dana, die länger durch hielt. Bones gab sich ohne<br />

Probleme geschlagen. Sie hatte keinerlei Ehrgeiz, bei derart trivialen Sachen die Bessere zu<br />

sein.<br />

Nachdem die Beiden auch in ihre Zellen zurückgekehrt waren, wurden ihnen, wie<br />

auch Sara und Abby, die Sportkleidung wieder abgenommen. Gil war inzwischen so weit,<br />

dass er auch wieder in seinen Kittel schlüpfen konnte. Seine Beine zitterten noch ein wenig,<br />

aber er hatte das Gefühl, berechtigte Hoffnung auf ein <strong>Über</strong>leben zu haben. Nachdem nun alle<br />

eine Weile in Ruhe gelassen wurden, ertönten schließlich aus dem Lautsprechern die Durch-<br />

sage: „6, 15, 14, 11, 13, 7“ Verzweifelt hoffend, auch endlich unter die Dusche gelassen zu<br />

werden, standen die Genannten auf. Langsam traten sie an die Gitter und streckten die Hände<br />

raus. Und ihre Hoffnung wurde erfüllt. Kurze Zeit später standen auch sie unter der lange<br />

schmerzlich vermissten Dusche und konnten sich gründlich waschen. Sara fragte Gil, der<br />

unter der Brause neben ihr stand: „Bist du in Ordnung?“ Gil knurrte leicht genervt: „Noch<br />

mal auf das Ding, und ich kollabiere endgültig. Ich hoffe wirklich, die lassen <strong>mich</strong> jetzt mit<br />

dem Quatsch zufrieden.“ Sara entfuhr ein Lacher. „<strong>Die</strong> werden uns sicher mit weiterem Lauf-<br />

training in Frieden lassen.“ „Das die physiologischen Tests bereits abgeschlossen sind, halte<br />

ich für unwahrscheinlich. Sicher haben die noch nicht alle für sie relevanten Daten zu-<br />

sammen.“, grübelte Bones.<br />

Schließlich waren die sechs mit Duschen fertig und wurden wieder in die Zellen hoch<br />

gebracht. Hier hatte inzwischen der Arzt, der bei Sawyer und House die Biopsie gemacht<br />

hatte, nach den Beiden gesehen. Dass House Dank des Entzuges in einem ziemlich erbärm-<br />

lichen Zustand war, war für den Mann irrelevant. Er nahm den Verband von der Einstichstelle<br />

und tastete den ganzen Bereich gründlich ab. House zeigte keine Empfindlichkeiten und<br />

knurrte selbst: „Sieht so aus, als hättet ihr mir meine Leber nicht zerstört.“ Der Arzt erwiderte<br />

nichts. Er ordnete nur in das kleine Mikro, das er trug, an: „Nummer 10 in ihre Zelle zurück.“<br />

Dann verließ er House‟ Zelle und ging zu Sawyer. Unmittelbar nachdem er die Zelle ver-<br />

lassen hatte, brachte eine Wache Cameron in ihre eigene Zelle zurück. Der Arzt nahm in-<br />

zwischen auch Sawyer den Verband ab und Kate sah, dass sich auf dessen Haut ein ziemlich<br />

großer Bluterguss gebildet hatte. Sie verzog besorgt das Gesicht. Der Arzt tastete auch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer ab und dieser zuckte mehrfach heftig zusammen. „Halt ihn fest.“, wurde Kate an-<br />

gewiesen und sie hielt Sawyers Oberkörper auf der Liege fest. Nun drückte der Arzt etwas<br />

stärker, um zu Erkunden, ob eventuell innere Blutungen vorlagen. Sawyer biss stöhnend die<br />

Zähne aufeinander. Schweiß brach ihm aus. Doch der Arzt war zufrieden. Er legte keinen<br />

neuen Verband an, klebte lediglich ein Pflaster über den Einstich, und ordnete an: „Weiter<br />

liegen, bis du eine andere Meldung bekommst, verstanden. Sie bleibt noch hier.“ Ein kurzer<br />

Blick in Kates Richtung. Dann verließ er die Zelle und ordnete über sein Mikro an: „Nummer<br />

8 bleibt noch. Bringt Eis für Nummer 3.“<br />

Kurze Zeit später wurde ein Kühlbehälter voll Eis in Sawyers Zelle gebracht. Ein<br />

kleiner Plastikbeutel, der außen eine weiche Stoffumhüllung hatte, lag dabei. „Kühl den Blut-<br />

erguss.“ <strong>Die</strong>ser Befehl erging an Kate. Auf diese glorreiche Idee wäre die junge Frau nun<br />

auch ohne Anweisung gekommen. Ironisch entfuhr ihr: „Ach was?“ Sie tat ein paar Eiswürfel<br />

in den Stoffbeutel und setzte sich wieder zu Sawyer auf die Liege. Vorsichtig platzierte sie<br />

den Beutel auf Sawyers Seite und hielt ihn an Ort und Stelle. Als die Gefangenen wieder<br />

alleine waren, fragte Allison zu Kate und Sawyer hinüber: „Was ist mit ihm? Gibt es<br />

Probleme?“ Kate erwiderte laut und besorgt: „Keine Ahnung. Er hat einen ziemlichen Blut-<br />

erguss, wo sie die Nadel rein gestochen haben.“ Allison antwortete: „Das kann schnell<br />

passieren, ist aber kein Grund zur Sorge. Scheinbar hat er keine inneren Blutungen, sonst<br />

müsste er schnellsten auf den OP Tisch.“ <strong>Die</strong> Worte jagten Kate einen Schauer über den<br />

Rücken und auch Sawyer selbst wurde blass. Genervt sagte Kate: „Prima, jetzt bin ich doch<br />

gleich viel ruhiger.“ „Nein, Kate, entschuldige, ich wollte dich nicht beunruhigen. Der Arzt<br />

hat ihn ja sehr gründlich abgetastet, wenn irgendwas auf innere Blutungen hindeuten würde,<br />

dann hätte er Sawyer nicht hier gelassen. Er hat einen schmerzhaften Bluterguss, das ist alles.<br />

Immer schön kühlen, dann ist das ganz schnell weg.“, erklärte Cameron. Kate seufzte und<br />

lächelte Sawyer verlegen an. <strong>Die</strong>ser schmunzelte erleichtert zurück. Er kam nicht darum hin,<br />

sich über die Sorge Kates zu freuen. Es war schon sehr, sehr lange her, dass sich überhaupt<br />

irgendjemand um ihn geschert hatte. Er hatte mit vielen Frauen Affären gehabt, hatte alle da-<br />

zu gebracht, sich in ihn zu verlieben und hatte sie dann eiskalt ausgenommen. Ein Schatten<br />

huschte über sein Gesicht. Jetzt in dieser beschissenen Lage zu stecken kam Sawyer wie aus-<br />

gleichende Gerechtigkeit vor. Wenigstens für ihn. Das war genau das, was er verdient hatte.<br />

Nur Kate und ihre Liebe zu ihm war kein Bestandteil dieser Einsicht. Sie hätte nicht hierher<br />

gehört und er hätte sie nicht verdient.<br />

Nach dem Laufband und der damit verbundenen Ablenkung wurde es allen Ge-<br />

fangenen schnell wieder sehr langweilig. Das grüne Licht war ausgeschaltet worden, nur bei<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate und Sawyer in der Zelle leuchtete eine kleine, erst jetzt bemerkte grüne Lampe über der<br />

Tür, was die beiden zu Recht als Erlaubnis betrachteten, sich weiter zu Unterhalten. Sawyer<br />

hatte Kate gebeten, ihm hoch zu helfen, da er zur Toilette musste. Als er anschließend er-<br />

leichtert und die Hand auf die Seite pressend, wieder auf seiner Liege ausgestreckt lag, sagte<br />

er leise: „Verdammt. Das fühlt sich an, als ob der Bluterguss innerlich drei Mal so groß<br />

wäre.“ Kate grinste. „Das ist wie mit den Eisbergen.“ „Bitte?“ „Na, von denen guckt doch<br />

bekanntlich auch immer nur ein Zipfel aus dem Wasser.“ Kate strich Sawyer wieder einmal<br />

zärtlich die Haare aus der Stirn. „Sollten wir hier lebend … Wenn wir hier raus kommen,<br />

solltest du wirklich mal zum Friseur gehen.“, sagte sie leise. Ihre Stimme zitterte. „Hey,<br />

Freckles, mach dir keine Sorgen, okay, wir kommen hier raus. Zusammen schaffen wir das.<br />

<strong>Die</strong> haben uns nicht entführt, um uns umzubringen.“ Er war sich dessen nicht annähernd so<br />

sicher wie er tat.<br />

In ihrer Zelle wurde Ziva schon wieder unruhig. <strong>Die</strong>ses zur Untätigkeit verdammt sein<br />

trieb sie die Wände hoch. Ziva war immer ein Mensch gewesen, der Aktivität brauchte wie<br />

die Luft zum Atmen. Sie versuchte, sich damit abzulenken, dass sie Kate und Sawyer in der<br />

Nachbarzelle beobachtete. Gerne hätte sie den gut aussehenden Südstaatler unter anderen Be-<br />

dingungen kennen gelernt. Ziva grinste still vor sich hin. Sie hätte ihn sicher nicht von ihrer<br />

Bettkante gestoßen. Ziva dachte an Jen, Ducky, Tony und McGee. <strong>Die</strong> Kollegen in<br />

Washington würden mit Sicherheit schon lange Himmel und Hölle in Bewegung setzen, sie,<br />

Abby und Gibbs zu finden. Und höchstwahrscheinlich würde auch der Mossad bereits Be-<br />

scheid wissen, dass eine seiner Spitzenagenten und Führungsoffiziere wie vom Erdboden ver-<br />

schluck war. Ziva konnte sich gut vorstellen, wie ihr Vater toben würde. Ähnliche Gedanken<br />

gingen auch Gibbs und Abby durch den Kopf. Gibbs machte sich Vorwürfe, dass Abby in<br />

diese Situation geraten war. Sie war keine Außeneinsätze und damit Situationen, in denen es<br />

gefährlich werden konnte, gewöhnt. Gibbs war sich sicher, dass ihre Entführer wussten, dass<br />

sie Abby als Druckmittel gegen ihn benutzen konnten. Gibbs dachte an die Anthropologin<br />

vom Jeffersonian Institute, diese Dr. Brennan. Bones, wie ihr Partner sie nannte. In welchem<br />

Verhältnis die beiden zueinander standen, ließ sich schwer einschätzen. Klar war für den<br />

NCIS Agent, dass die junge Ärztin Allison sehr viel mehr für ihren grantigen Chef empfand,<br />

als sie zu zeigen bereit war. Warum sich eine so hübsche, junge Frau in einen solchen Mann<br />

verlieben konnte, erschloss sich Gibbs allerdings nicht. Was sich zwischen den beiden FBI<br />

Agenten Scully und Mulder tat, war nach Scullys Äußerung über den gemeinsamen Sohn<br />

klar. Anscheinend gehörten sie ganz offiziell zusammen. Eindeutig und unzweifelhaft ein<br />

Paar waren auch Kate und Sawyer. Und auch bei Heather, der jungen Lehrerin und dem<br />

jungen Mann Jake bestand für Gibbs kein Zweifel. Ihre Gefühle zueinander gingen über das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Verhältnis von einfachen Freunden weit hinaus. Dass sie ständig den Blick des anderen<br />

suchen, war dem erfahrenen Beobachter nicht entgangen. Der Ermittler vom CSI und seine<br />

Partnerin, Sara, daran bestand für Gibbs auch kein Zweifel, gehörten ebenfalls zusammen.<br />

Gils Gesichtsausdruck, als Sara auf der Plattform ausgestellt worden war, hatte Bände ge-<br />

sprochen. Seufzend stemmte sich der Special Agent von der Liege hoch, auf der er die ganze<br />

Zeit gesessen hatte und begann, sit ups zu machen.<br />

<strong>Über</strong>legungen<br />

Im Reiche der Wirklichkeit ist man nie so glücklich wie im Reiche der Gedanken.<br />

Artur Schopenhauer<br />

Heather saß auf ihrer Liege und fixierte sehnsüchtig die Zelle, in der Jake genervt mit<br />

den Fingern auf der Liege herum trommelte. Noch fiel Heather nicht auf, dass Jake<br />

konsequent sein Wasser mied. <strong>Die</strong>ser hatte langsam ein wenig Durst, war aber viel zu stur,<br />

um nachzugeben. Heather konnte sich vorstellen, was in Jake vorging. <strong>Die</strong>se Untätigkeit, die<br />

ihm hier aufgezwungen wurde, war für ihn nicht leicht zu verkraften. Immer wieder stand er<br />

auf und versuchte, sich in der winzigen Zelle die Füße zu Vertreten. Dabei suchte sein Blick<br />

auch immer wieder die Frau, die ihn so beeindruckt hatte. Jake Green war kein Mann, der sich<br />

leichtfertig auf eine Frau einließ. Er hatte genügend lockere Bekanntschaften gehabt, aber nur<br />

wenige feste Bindungen. <strong>Die</strong> Wochen in Sydney mit Heather hatten ihm klar gemacht, dass er<br />

die junge Frau wirklich liebte. Dass es ihr genau so ging, hatte Jake bereits gemerkt. Heather<br />

beschäftigte sich gedanklich auch gerade auch mit ihrer ersten Begegnung mit Jake und mit<br />

dem, was danach passiert war.<br />

*****<br />

Heather kannte Jake erst seit wenigen Monaten, aber es kam ihr vor als kenne sie<br />

ihn schon viel länger. Sie war vom ersten Moment an von dem jungen Mann fasziniert<br />

gewesen. Heather hatte sich gerade auf dem Rückweg von einem Ausflug mit ihrer 3ten<br />

Klasse befunden, als der Busfahrer am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hatte. Der Bus<br />

war von der Straße abgekommen, einen Abhang hinunter gerast und schließlich heftig<br />

mit einer großen Eiche kollidiert. Heather hatte sich bei dem Unfall ein Bein gebrochen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und eine ihrer Schülerinnen war unglücklich mit dem Hals gegen den Sitz vor ihr ge-<br />

stoßen und bekam keine Luft mehr. <strong>Die</strong> junge Lehrerin hatte zwei ihrer Schüler los-<br />

geschickt um Hilfe zu holen und sie waren mit Jake wieder gekommen. Heather konnte<br />

sich nicht erklären warum, aber in dem Moment als der Fremde sie anlächelte hatte sie<br />

sich augenblicklich ruhiger gefühlt. Er hatte den Puls des ohnmächtigen Fahrers geprüft.<br />

„Lebt er?“, hatte Heather besorgt gefragt. „Ja. Sind sie okay?“ wollte der Fremde<br />

wissen. „Ich glaube, mein Bein ist gebrochen.“ „Können Sie ihre Zehen fühlen?“ „Ja.<br />

Kümmern Sie sich nicht um <strong>mich</strong>, sehen Sie nach den Kindern.“ „Ist einer von euch ver-<br />

letzt?“, erkundigte der junge Mann sich bei den Kindern. „Stacey hat was, Mister, sie<br />

kann nicht atmen.“, rief eines der Kinder besorgt. Der Mann kniete neben dem Mädchen<br />

nieder und sagte so ruhig wie möglich: „Es ist okay, Stacey, lass <strong>mich</strong> mal sehen.“ Er<br />

untersuchte das Mädchen und fragte dann: „Gibt es hier eine kalte Kompresse? Wir<br />

müssen die Schwellung stoppen.“ Heather sprach einen anderen Schüler an: „Lucas, der<br />

erste Hilfe-Kasten ist unter dem Sitz da vorne.“ In dem Moment wurde die kleine Stacey<br />

ohnmächtig. Der fremde Mann atmete einen Moment tief durch und sagte dann zu den<br />

verängstigten Kindern: „In Ordnung, ich brauche jetzt eure Hilfe. Hat einer von euch<br />

einen Kugelschreiber?“ „Wir haben Bleistifte, Mister.“, antwortete eines der Kinder. „Nein,<br />

ich brauche eine Röhre, etwas hohles, so etwas wie einen Strohhalm.“ „Ich habe einen<br />

Strohhalm.“, rief eines der Kinder und reichte dem Mann einen leuchtend roten Trink-<br />

halm. Der junge Mann sagte zu einem der Jungen: „Du musst mir jetzt helfen, okay. Du<br />

musst Staceys Schultern ganz fest halten, falls sie aufwacht. Guck einfach nicht hin, was<br />

ich jetzt mache.“ Der Fremde zog ein Taschenmesser hervor und Heather sah gebannt<br />

zu, wie er einen Schnitt in Staceys Hals machte und den Strohhalm hinein steckte. Er<br />

blies Luft hinein und Heather atmete erleichtert auf als ihre Schülerin die Augen öffnete.<br />

Eines der Kinder fasste in Worte was Heather dachte und fragte beeindruckt: „Wow! Wo<br />

haben Sie das gelernt?“ „Beim Militär.“, antwortete Staceys Retter knapp. „Waren Sie<br />

Soldat?“, fragte der Junge nach. „Nein, nur ein Loser.“, antwortete der Mann. Heather<br />

entschied sich, nicht auf diese merkwürdige Selbstbeurteilung einzugehen und fragte<br />

stattdessen: „Wie geht es ihr?“ „Sie wird wieder gesund.“, antwortete der Mann. „Wie ist<br />

Ihr Name?“, fragte er dann. „Heather.“ Er lächelte. „Jake.“<br />

Jake setzte sich ans Steuer und fuhr den Bus zurück nach Jericho, der kleinen<br />

Stadt, aus der er kam und in der Heather seit einigen Jahren lebte. Unterwegs unter-<br />

hielten sie sich und Jake erzählte, dass er schon einige Jahre nicht mehr in seiner<br />

Heimatstadt gewesen war. <strong>Über</strong> die Gründe sagte er nichts und Heather stellte keine<br />

Fragen. Jake erzählte, dass er nach Jericho gekommen war um das Grab seines Groß-<br />

vaters zu besuchen. Er hatte sich schon wieder auf dem Rückweg befunden, als Heathers<br />

Schüler ihn um Hilfe gebeten hatten. „Ich weiß, es geht <strong>mich</strong> nichts an, aber vielleicht<br />

würde es Ihnen gut tun, eine Weile in Jericho zu bleiben. Was auch immer vorgefallen ist,<br />

kann doch nicht so schlimm sein, dass Sie dafür den Kontakt mit ihrer Familie abbrechen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sie sind ein bemerkenswerter Mann, Jake, geben Sie ihrer Familie und ihren Freunden<br />

die Gelegenheit das zu sehen. Ich bin sicher, sie werden sehr stolz sein, wenn sie er-<br />

fahren was Sie heute getan haben.“ sagte Heather mit <strong>Über</strong>zeugung.<br />

Nach einigen Wochen in seiner Heimatstadt beschloss Jake, Jericho und den un-<br />

angenehmen Erinnerungen erneut den Rücken zu kehren und einen Neuanfang in<br />

Australien zu wagen. Heather war selbst überrascht gewesen, wie sehr sie Jake nach<br />

seiner Abreise vermisst hatte. Sie hatten nur wenige Wochen miteinander verbracht und<br />

trotzdem fühlte sie sich ihm näher als jedem anderen Menschen. Schließlich hatte sie<br />

ihren Mut zusammen genommen und war in den Schulferien zu Jake nach Australien ge-<br />

flogen. „Heather. Was machst du denn hier?“, fragte er überrascht, als er die Tür seines<br />

Apartments öffnete und die junge Lehrerin vor ihm stand. „Ich wollte dich sehen.“,<br />

antwortete sie und strich sich nervös das Haar aus der Stirn. „Komm doch rein.“, bat<br />

Jake und trat zur Seite. Heather trat ein und Jake führte die junge Frau in das kleine<br />

Wohnzimmer. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt, als Heather zu Boden sah und<br />

offensichtlich nicht wusste was sie sagen sollte. „Nein, ist es nicht.“, antworte Heather<br />

leise. „Ich vermisse dich.“ „Ich vermisse dich auch.“, antworte Jake ehrlich. „Wie lange<br />

wirst du bleiben?“ „Ich weiß es nicht. Wie lange möchtest du <strong>mich</strong> hier haben?“, fragte<br />

sie zurück. „Musst du das wirklich fragen?“, entgegnete Jake und sah sie zugleich liebe-<br />

voll und traurig an. „Wenn ich dir so viel bedeute, warum bist du dann gegangen?“<br />

„Unter anderem, weil du mir so viel bedeutest, Heather. Es gibt einige Dinge, die du nicht<br />

über <strong>mich</strong> weißt. Dinge, die ich getan habe, nachdem ich Jericho vor fünf Jahren ver-<br />

lassen habe.“ „Deine Vergangenheit ist mir egal, Jake. Ich sehe in dir den Mann, der du<br />

jetzt bist, nichts, was früher war, kann das ändern.“ „Einige Menschen sehen das<br />

anders.“, antwortete Jake und Heather wusste, dass er von seiner Familie sprach. „Sie<br />

können lernen, zu sehen, was ich in dir sehe.“ „Lass uns jetzt nicht darüber reden, okay?<br />

Du machst hier Urlaub, lass <strong>mich</strong> dir etwas von Sydney zeigen.“<br />

Heather blieb noch einige Wochen bei Jake. Während der ganzen Zeit war er ein<br />

perfekter Gentleman gewesen und hatte ihr sein Bett abgetreten, während er selbst auf<br />

der Coach schlief. Heather war nicht bereit, sich auf eine Beziehung mit ungewissem<br />

Ausgang einzulassen und Jake verstand sie. Heather war nicht die Art von Frau, die sich<br />

auf eine Affäre einlassen würde. Aus diesem Grund hatte sich zwischen Jake und Heather<br />

während der ganzen Zeit nicht mehr ereignet als ein paar Küsse und Umarmungen. Als<br />

sich die Schulferien dem Ende näherten und Heather sich allmählich auf die nahende<br />

Heimreise einstellte, hatte Jake beschlossen, sie zu begleiten. In den vergangenen<br />

Wochen waren er und Heather sich sehr nahe gekommen und Jake fing an, ihr zu<br />

glauben, dass sie ihm helfen konnte, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Als<br />

Heather ihr Rückflugticket im Internet bestellte, hatte er kurz entschlossen eine Be-<br />

stellung für ein zweites Ticket hinzugefügt. Am Vorabend ihres Abfluges gingen Jake und<br />

Heather in „The Rocks“ zum Essen. Als Heather in den Waschraum gehen wollte, lief eine<br />

59


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

junge Frau frontal in sie hinein. Heather schüttelte den Kopf und wollte sich nach ihrer<br />

Handtasche bücken, die ihr bei dem Zusammenstoß aus der Hand gefallen war. Doch ein<br />

kahlköpfiger, älterer Mann war schneller. Er bückte sich, lächelte Heather freundlich an<br />

und reichte ihr kommentarlos ihre Tasche. Heather lächelte freundlich zurück und be-<br />

dankte sich.<br />

*****<br />

Eigenartigerweise hatte sie das Gefühl, den Mann, der ihr so nett die Tasche auf-<br />

gehoben hatte, danach noch einmal wieder gesehen zu haben. Und plötzlich schlug sich die<br />

junge, zierliche Frau mit der Hand vor die Stirn. Sie konnte es sich nur mit dem Schock der<br />

Entführung erklären, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatte. Der Mann, der ihr die Tasche auf-<br />

gehoben hatte, war dieser Locke drei Zellen weiter. Daher war er ihr so bekannt vor-<br />

gekommen. Locke selbst hatte die junge Frau ziemlich schnell als seine Zufallsbekanntschaft<br />

aus dem Restaurant wieder erkannt. Er hatte ein gutes Gedächtnis für Menschen. Dass er<br />

Heather schon einmal flüchtig gesehen hatte, hielt er nur nicht für relevant. Warum aus-<br />

gerechnet diese Menschen hierher geschafft worden waren, beschäftigte den geheimnisvollen<br />

Mann viel mehr. Er hatte sich schon seine Gedanken gemacht. Dass es unter den Mit-<br />

gefangenen einige gab, die bei hohen Regierungsbehörden arbeiteten, war mit Sicherheit kein<br />

Zufall. Wie die vier jungen Leute in dieses Spiel passten, diese Kate mit ihrem Freund<br />

Sawyer und die junge Lehrerin mit Jake, war Locke bisher noch ein Rätsel, welches er aber zu<br />

Lösen gedachte. Der Job, aus dem Jake so ein Geheimnis gemacht hatte, konnte ein Schlüssel<br />

für seinen Aufenthalt hier sein. Der smarte Südstaatler schien sein Geld auf nicht ganz legale<br />

Weise zu verdienen. Welche Fähigkeiten mochten für diese Leute, die sie Gefangen hielten,<br />

von Bedeutung sein? <strong>Die</strong> einzige mögliche Erklärung dafür, selbst ausgewählt worden zu<br />

sein, war für Locke die Tatsache, dass er nach einer schweren Wirbelsäulenfraktur vor vier<br />

Jahren, die ihn an den Rollstuhl gefesselt hatte, von einem Tag auf den <strong>Anderen</strong> wieder hatte<br />

laufen können.<br />

*****<br />

Locke hatte das Gebiet um den Uluru, den heiligen Berg der Anangu, der an-<br />

sässigen Aborigines, aufgesucht, weil eine innere Stimme ihm gesagt hatte, dass die dort<br />

herrschenden Energien ihm zu geistiger und körperlicher Erneuerung verhelfen könnten.<br />

<strong>Die</strong> Anreise war für den an den Rollstuhl gefesselten Mann sehr anstrengend gewesen.<br />

Dass sein eigener Vater ihn vor vier Jahren aus dem achten Stock eines Hochhauses ge-<br />

stoßen hatte, um ihn daran zu hindern, einen geplanten Betrug zu durchkreuzen, hatte<br />

den Mann seelisch zerrüttet. Locke hatte sich sein ganzes Leben lang danach gesehnt,<br />

60


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seine leiblichen Eltern zu finden und von ihnen anerkannt zu werden. Als Kind und<br />

Jugendlicher war er von einer Pflegefamilie zur <strong>Anderen</strong> weiter gereicht worden. Durch<br />

das unstete Leben hatte Locke nie die Möglichkeit gehabt, eine vernünftige Schulaus-<br />

bildung zu Absolvieren. Den Mangel hatte er dadurch wettgemacht, dass er alles gelesen<br />

hatte, was er bekommen konnte, von Trivialliteratur bis zum schwersten Sachbuch. Statt<br />

eine Berufsausbildung zu machen hatte Locke sich immer mit Gelegenheitsjobs über<br />

Wasser gehalten und aus jedem Job wichtige Erkenntnisse mitgenommen. Locke hatte<br />

sich, solange er sich zurück erinnern konnte, für Mystik und übersinnliche Phänomene<br />

interessiert. Der junge John hatte schon früh gemerkt, dass er zu Zeiten Vorahnungen<br />

hatte. <strong>Die</strong>se zu Äußern hatte ihm nur Misstrauen und Verständnislosigkeit eingebracht.<br />

Als Erwachsener hatte er es dann gelernt, seine Fähigkeiten vor anderen zu Verbergen.<br />

Irgendwann war er auf die Idee gekommen, den Aufenthaltsort seiner leiblichen Eltern<br />

mit Hilfe eines Privatdetektivs heraus zu finden. Tatsächlich gelang es ihm auf diese<br />

Weise, seine Mutter ausfindig zu machen. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass<br />

diese von seinem leiblichen Vater dafür bezahlt worden war, den Kontakt zu John herzu-<br />

stellen.<br />

Anthony Cooper zeigte genau so lange Interesse an seinem Sohn, bis es ihm ge-<br />

lungen war, diesen dazu zu bewegen, ihm eine dringend benötigte Niere zu spenden.<br />

Danach ließ er John einfach fallen, womit dieser sich nie ganz abfinden konnte. Locke<br />

hängte sich seinem Erzeuger an die Fersen und fand auf diese Weise heraus, dass Cooper<br />

seinen Lebensunterhalt mit Heiratsschwindel und anderen Betrügereien bestritt. Eines<br />

Tages bat ein junger Mann Locke um Hilfe. Es stellte sich heraus, dass dessen Mutter<br />

Coopers nächstes Betrugsopfer werden sollte. John entschied sich, der Bitte zu ent-<br />

sprechen, was dann in der schrecklichen Attacke seines Vaters endete. Als John im<br />

Krankenhaus aufwachte, erfuhr er, dass seine Wirbelsäule gebrochen und er fortan an<br />

den Rollstuhl gefesselt war. <strong>Die</strong> Ärzte machten ihm von Anfang an klar, dass es an ein<br />

Wunder grenzte, dass er den furchtbaren Sturz überhaupt überlebt hatte und dass er sich<br />

keinerlei Illusionen auf eine Genesung machen brauchte. Es dauerte Jahre, bis John seine<br />

Depressionen so weit überwand, dass seine spirituellen Energien für ihn wieder spürbar<br />

wurden. Vor nun fast einem Jahr hatte er dem inneren Drängen, ins Australische Outback<br />

zu fahren, nachgegeben. Er hatte sofort die mystischen Schwingungen des heiligen Ortes<br />

gespürt und sich meditativ mit ihnen verbunden. Schon nach kürzester Zeit spürte er,<br />

wie Gefühl in seine tauben Beine zurückkehrte. <strong>Die</strong> Aborigines wurden natürlich auf die<br />

starke Schwingung des Amerikaners aufmerksam und luden ihn daraufhin ein, eine Weile<br />

bei ihnen zu verbringen. <strong>Die</strong>se Monate bei den Australischen Ureinwohnern, weit ab von<br />

jeder Zivilisation, im Outback, wurden für John zur schönsten Zeit seines Lebens.<br />

Er trainierte gezielt seine Beinmuskulatur, bis er seinen eingeborenen Freunden<br />

auf ihren Streifzügen problemlos folgen konnte. Locke entschied sich schließlich, bei den<br />

Aborigines zu bleiben. Er würde noch einmal in die Staaten zurückkehren, um seine An-<br />

61


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gelegenheiten dort zu regeln, seine Wohnung aufzulösen und dann alle Brücken hinter<br />

sich abbrechen. So hatte er sich eines Tages auf den Weg nach Sydney gemacht. Ein<br />

paar Tage hielt er sich in der Australischen Metropole auf, dann buchte er einen Flug<br />

nach Los Angeles. Der Rest war Geschichte.<br />

*****<br />

Psychotests<br />

Mensch: das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige<br />

was Grund dazu hat.<br />

Mark Twain<br />

Locke fragte sich immer mehr, was die Gruppe zusammen geführt hatte. Er fragte sich<br />

auch, ob er selbst gezielt diesen Flug gewählt hatte, konnte sich aber nicht erinnern, was ihn<br />

dazu veranlasst hatte. Seine Beobachtungen der Gruppe führten ihn zu dem Schluss, dass er<br />

versuchen würde, in den nächsten Grünphasen mit seinen Mithäftlingen intensiver zu<br />

Kommunizieren. Locke schaute zu der Zelle des jungen Südstaatlers herüber. Kate durfte bei<br />

diesem bleiben, weil Sawyer nicht aufstehen durfte. <strong>Die</strong>se kleinen Hinweise, dass sie es nicht<br />

mit Unmenschen zu tun hatten, waren bei Lockes <strong>Über</strong>legungen ein wichtiger Faktor. <strong>Die</strong>se<br />

Leute zogen gnadenlos ihre Test durch, waren aber auch bereit, den Probanden im Falle von<br />

Schäden im Rahmen der Gefangenschaft Hilfe zukommen zu lassen. John ließ seinen Blick<br />

weiter schweifen. <strong>Die</strong> Leute vom FBI und dem NCIS wirkten alles in allem relativ ruhig und<br />

gelassen. Locke schmunzelte. Mulder hatte offensichtlich einen Hang zu Verschwörungs-<br />

theorien, was seine Kollegin und laut eigener Aussage Mutter seines Kindes aber nicht zu<br />

beunruhigen schien. Dass die beiden Männer, Mulder und Jake, ihr Wasser verweigerten, ließ<br />

John kalt. Sobald der Durst groß genug wurde, würden sie schon trinken. Heather und Jake.<br />

Wo kamen die beiden doch gleich noch her? Irgendwo aus der finstersten Provinz. Er hatte<br />

den Namen des Kaffs vergessen. Irgendwo in Kansas, daran glaubte er sich zu erinnern. Kate<br />

und Sawyer hatten überhaupt noch nicht erwähnt, wo sie her kamen. Dass Sawyer gebürtig<br />

aus dem Süden kam, war nicht zu überhören. Er musste unbedingt mehr über die anderen Ge-<br />

fangenen herausfinden.<br />

<strong>Über</strong> Lautsprecher ertönte in diesem Moment die knappe Durchsage: „Nummer 11<br />

und 13.“ Sara und Gil traten langsam an die Gitterstäbe und fragten sich, was die Entführer<br />

jetzt schon wieder von ihnen wollten. <strong>Die</strong> Zellentüren wurden aufgeschlossen und die Wach-<br />

62


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

leute fesselten die Hände der Gefangenen. Grissom und Sara wurden in einen kleinen Raum<br />

geführt, der an das Wartezimmer einer Arztpraxis erinnerte. „Nummer 13, hier warten.<br />

Nummer 11, mitkommen.“ Gil nahm auf einem der Stühle Platz und sah besorgt zu, wie die<br />

Wachleute Sara in den Nebenraum führten. In dem Raum befand sich ein Tisch, auf dem ein<br />

Laptop stand. Neben dem Tisch waren zwei Metall-Stühle so platziert worden, dass sie<br />

einander gegenüber standen. Auf einem dritten Stuhl am Kopfende des Tisches saß ein Mann<br />

vor dem Notebook. „Setzen.“ wurde Sara aufgefordert. <strong>Die</strong> CSI Beamtin gehorchte zähne-<br />

knirschend. Als sie sich gesetzt hatte, stand der Mann, der bisher vor dem Laptop gesessen<br />

hatte, auf und legte Sara dehnungsfähige Gurte um die Brust. Anschließend wurde ihr eine<br />

Oberarmmanschette zur Blutdruckmessung angelegt. Zuletzt wurden Ihre Finger mit zwei<br />

Elektroden versehen. Sara hatte sofort die Vorbereitungen für einen Lügendetektortest erkannt<br />

und war nun sehr beunruhigt. Was konnten diese Leute von ihr wissen wollen? Als Sara vor-<br />

bereitet war, setzte der unbekannte Mann sich wieder auf seinen Stuhl.<br />

„Nummer 11, du wirst alle Fragen mit Ja oder Nein beantworten.“, erklärte er knapp.<br />

Sara antwortete nicht, aber der Experimentator schien auch keine Antwort zu erwarten. „Ist<br />

dein Name Sara Sidle?“ „Ja.“, antwortete Sara. Ihr war klar, dass die Frage nur eine Kontroll-<br />

frage war und sie nicht damit rechnen konnte, dass die Fragen so harmlos blieben. „Wurdest<br />

du am 16. September 1971 geboren?“ Wieder bejahte Sara die Frage. „Hast du in Harvard<br />

Physik studiert?“ Ein weiteres: „Ja“. „Hast du schon einmal Drogen genommen?“ Sara<br />

schluckte. Jetzt war es also vorbei mit den harmlosen Fragen. Sara hatte während ihres<br />

Studiums hin und wieder auf Partys Hasch geraucht, aber das ging diese Leute nichts an.<br />

„Nein.“, log sie und bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. „Bist du schon ein-<br />

mal unter Alkoholeinfluss Auto gefahren?“ Auch das hatte Sara schon einmal getan und sie<br />

bereute diese Dummheit. <strong>Die</strong>sen Leuten würde sie das jedenfalls nicht auf die Nase binden.<br />

„Nein.“ „Hast du schon einmal während des Geschlechtsverkehrs an eine andere Person ge-<br />

dacht?“ „Wie bitte?“, entfuhr es Sara entsetzt angesichts dieser äußerst intimen Frage.<br />

„Antworte mit Ja oder Nein, Nummer 11.“ „Nein.“, log Sara empört. In den sechs Jahren, in<br />

denen sie mit Gil zusammen gearbeitet und ihn geliebt hatte, ohne mit ihm zusammen zu sein,<br />

hatte sie oft an ihn gedacht, während sie mit einem anderen Mann zusammen war. Zu ihrer<br />

<strong>Über</strong>raschung stand der Polygraphist nun auf und befreite Sara von den Gurten und<br />

Elektroden. - Das war es schon? - dachte die junge Frau verblüfft. Dafür haben sie <strong>mich</strong> ge-<br />

holt? Völlig verwirrt ließ sie sich zurück ins Wartezimmer führen, wo sie angewiesen wurde,<br />

sitzen zu bleiben, während Grissom in den Verhörraum geführt wurde.<br />

63


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Auch er wurde an den Lügendetektor angeschlossen und angewiesen alle Fragen mit<br />

Ja oder Nein zu beantworten. „Ist dein Name Gilbert Grissom?“ Gil bejahte die Frage ruhig.<br />

„Wurdest du am 17. August 1956 geboren?“ Wieder antwortete er mit: „Ja.“ „Wurdest du in<br />

Santa Monica, Kalifornien, geboren?“ Auch das bestätigte er. Jetzt ging der Polygraphist zu<br />

den unangenehmeren Fragen über. „Hast du schon einmal Filme mit pornografischem Inhalt<br />

angesehen?“ Gil schluckte. Natürlich hatte er, er war auch mal ein Teenager gewesen. Aber<br />

das vor diesen Leuten zuzugeben war ihm äußerst unangenehm. Trotzdem kam der Wissen-<br />

schaftler zu dem Schluss, dass es wohl besser war ehrlich zu antworten, er wusste schließlich<br />

nicht, wie diese Leute auf eine Lüge reagieren würden. „Ja.“, antwortete er schließlich. „Du<br />

arbeitest als Supervisor beim CSI Las Vegas?“ „Ja.“, antwortete Gil, überrascht über die er-<br />

neute harmlose Frage. „Hast du schon einmal wissentlich Informationen über das Fehlver-<br />

halten von Untergebenen zurück gehalten?“ <strong>Die</strong> Frage behagte Grissom noch erheblich<br />

weniger als die erste. Er dachte an den Vorfall als Sara wegen Trunkenheit am Steuer an-<br />

gehalten worden war. An die Spielsucht seines Kollegen Warrick Brown. An einige Fälle, in<br />

denen einer seiner Leute eigenmächtig ermittelt hatte. Nichts davon hatte Gil gemeldet, er<br />

hatte es immer vorgezogen, so etwas intern zu regeln. Wenn er die Frage bejahte, würde die<br />

Sprache bald auf Sara kommen und das wollte er auf jeden Fall verhindern. „Nein.“,<br />

antwortete Grissom. Selbst wenn der Lügendetektor die Lüge erkannte wussten seine Ent-<br />

führer somit nicht, wen er gedeckt hatte und warum. „Hast du selbst jemals gegen die Regeln<br />

des CSI verstoßen?“ - Ja, einmal, als ich <strong>mich</strong> auf die Beziehung mit Sara eingelassen habe. -<br />

Gil hoffte inständig, dass seine Entführer noch nicht wussten, dass er und Sara mehr als<br />

Kollegen waren. Wenn sie davon wussten, würden sie Sara sicherlich als Druckmittel gegen<br />

ihn einsetzten und das würde für seine Freundin äußerst unangenehm werden. „Nein.“,<br />

antwortete Gil ruhig. „Bringt Nummer 11 wieder rein.“, befahl der Mann, der den Lügen-<br />

detektor-Test durchgeführt hatte. <strong>Die</strong> beiden Wachleute, die Gil in den Raum geführt hatten,<br />

öffneten die Nebentür und brachten Sara herein. „Setzten.“, wurde sie angewiesen und der<br />

Experimentator wies auf den Stuhl gegenüber von Grissom. Er und Sara schauten sich besorgt<br />

an. - Was sollte das hier werden? - Sobald Sara sich auf den Stuhl gesetzt hatte wurden ihre<br />

Handgelenke an die Armlehnen gefesselt.<br />

Der Polygraphist wandte sich wieder Grissom zu, der immer noch an den Lügen-<br />

detektor angeschlossen war. „Hast du eine sexuelle Beziehung mit Nummer 11?“ Das war<br />

genau die Frage die Gil gefürchtet hatte. „Nein.“, antwortete er und hoffte dass der Lügen-<br />

detektor nicht so verlässlich war wie allgemein angenommen. Im nächsten Moment zuckte<br />

Sara zusammen. „Au.“, rief sie überrascht, als sie an ihrem nackten Po und Rücken einen<br />

schmerzhaften Stromschlag spürte. Grissom keuchte. Offensichtlich wurde Sara gequält,<br />

64


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wenn er eine Frage nicht wahrheitsgemäß beantwortete. Er sah seine Freundin entschuldigend<br />

an, aber sie achtete nicht auf ihn, sondern warf dem Experimentator giftige Blicke zu, die<br />

dieser allerdings ignorierte. „Hast du eine sexuelle Beziehung mit Nummer 11, Nummer 13?“<br />

„Ja.“, antwortete er widerwillig und sah Sara wieder mit einem um Verzeihung bittenden<br />

Blick an. <strong>Die</strong>smal nickte sie ihm zu. - Es ist okay, du hattest keine Wahl. - sagte ihr Blick.<br />

„Hattest du schon mal eine sexuelle Beziehung mit einer Domina?“ Grissom war entsetzt.<br />

Woher wussten die das? „Antworte, Nummer 13.“ „Ja.“, antwortete Grissom schließlich, ohne<br />

Sara in die Augen zu sehen. Sein Verhältnis mit Lady Heather war zwar gewesen, bevor er<br />

mit Sara zusammen gekommen war, aber er wusste, dass Sara ihn zu dem Zeitpunkt schon<br />

geliebt hatte. Grissom hatte keine Ahnung, ob sie von der Sache wusste, vermutete aber, dass<br />

sie Gerüchte über ihn und Lady Heather gehört hatte. Er erkannte sehr wohl die Ironie der<br />

Situation. Gil hatte nur die Möglichkeit ehrlich zu antworten und Sara emotional zu verletzten<br />

oder zu lügen und ihr damit physische Schmerzen zuzufügen. Er sah seine Lebensgefährtin an<br />

und erkannte den Schmerz in ihren Augen.<br />

„Hattest du Gefühle für diese Person?“ <strong>Die</strong>se Frage hatte Grissom absolut nicht er-<br />

wartet. Nicht genug, dass er vor der Frau, die er liebte, eine Beziehung mit einer Domina zu-<br />

geben musste, aber jetzt musste er auch noch bestätigen, dass es mehr als Sex gewesen war.<br />

Und das war es gewesen. Gil wusste selbst nicht, ob er Lady Heather geliebt hatte, aber er<br />

hatte sich definitiv nicht nur körperlich zu ihr hingezogen gefühlt. „Ja.“, antwortete er, un-<br />

fähig Sara in die Augen zu sehen. „Hast du mit dieser Person sexuelle Aktivitäten ausgeübt,<br />

die du mit deiner Partnerin nie ausprobiert hast?" „Ja.“, antwortete er beschämt. „Hast du<br />

diese Erfahrung genossen?“ Wieder musste Grissom zähneknirschend bejahen. Gil hoffte in-<br />

ständig, dass er nach dieser Befragung wenigstens einen Moment mit Sara reden können<br />

würde. Er wollte ihr sagen, dass er sie liebte und dass, was auch immer er für Lady Heather<br />

gefühlt hatte, der Vergangenheit angehörte. Er wollte Sara versichern, dass er mit ihrem<br />

Liebesleben absolut zufrieden war und dass er die Nächte mit Lady Heather nicht halb so sehr<br />

genossen hatte wie jede einzelne Nacht mit ihr. Endlich wurde Gil von den Gurten und<br />

Manschetten befreit. Auch Sara wurden die Fesseln abgenommen und die beiden wurden auf-<br />

gefordert die Plätze zu tauschen. Sara wurde an den Lügendetektor angeschlossen und Gil<br />

wurde an den Stuhl gegenüber gefesselt. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen waren<br />

fragte der Experimentator: „Hast du jemals an der Treue deines Partners gezweifelt?“ Sara<br />

dachte an ihre Eifersucht auf ihre Kollegin Sofia. Sie hatte sich immer gut mit Gil verstanden<br />

und Sara hatte die Freundschaft der Beiden immer misstrauisch beobachtet. Sie hatte sich für<br />

ihr mangelndes Vertrauen in Gil geschämt, hatte sich immer wieder gesagt, dass er nicht so ist<br />

wie ihre früheren Freunde. Aber nach dem was er gerade über Lady Heather gesagt hatte, war<br />

65


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sie nicht mehr sicher. Vielleicht hatte er sie in der Zeit, in der sie zusammen waren, nie<br />

körperlich betrogen, aber wer wusste, wie oft er an Lady Heathers Künste gedacht hatte, wenn<br />

er mit ihr im Bett lag.<br />

Sein Eingeständnis, dass er mit dieser Frau Fantasien ausgelebt hatte, von denen er ihr<br />

nicht einmal erzählt hatte, hatte Sara tief verletzt. Dass er Gefühle für die Domina gehabt<br />

hatte, machte das, was er mit ihr geteilt hatte noch viel intimer. Sara zweifelte plötzlich daran,<br />

dass Gil ihr wirklich vertraute. Wenn er das täte hätte er mit ihr über seine Wünsche ge-<br />

sprochen. Sara war verletzt und wütend und sie fühlte den irrationalen Wunsch Gil ebenfalls<br />

zu verletzten. Sie sah auf und blickte ihm direkt in die Augen, als sie mit fester Stimme: „Ja.“,<br />

antwortete. Nach diesem Eingeständnis sah Gil genauso verletzt und enttäuscht aus wie Sara<br />

sich fühlte und in diesem Moment tat es ihr beinahe schon wieder leid, dass sie genau das<br />

gewollt hatte. Sara erwartete weitere Fragen und war sehr überrascht, als sie nach nur einer<br />

Frage wieder von den Gurten und Manschetten befreit wurde. Wortlos legten die Wachleute<br />

ihr und Gil die Handfesseln wieder an. <strong>Die</strong>smal wurden sie jedoch nicht gleichzeitig aus dem<br />

Raum gebracht. Zuerst wurde Sara in ihre Zelle zurückgeführt, eine Minute später folgte Gil.<br />

Offensichtlich wollten die Wachleute jeden Kommunikationsversuch der Beiden unterbinden.<br />

Im Zellentrakt hatte die ganze Zeit das rote Licht gebrannt. <strong>Die</strong> gelangweilten Ge-<br />

fangenen hingen in ihren kleinen Zellen herum und dösten vor sich hin oder versuchten, sich<br />

irgendwie zu beschäftigen. Jake schaute immer öfter auf seine Wasserflasche. Es war ziem-<br />

lich warm und stickig im Kerker und er hatte unglaublichen Durst. Er hätte sich ohrfeigen<br />

können für seine voreilige Aussage, das Wasser nicht mehr anzurühren. <strong>Die</strong> Entführer hatten<br />

es noch nicht einmal nötig, darauf irgendwie zu reagieren. Sie wussten, wenn er nur genug<br />

Durst hatte, würde er schon trinken. Mulder hatte ebenfalls noch keinen Schluck zu sich ge-<br />

nommen. Jake war sicher, genau so lange durchzuhalten wie der FBI Mann. Er hatte keine<br />

Lust, sich hier vergiften zu lassen. Gil und Sara waren vor einer Weile abgeholt worden. Sie<br />

wurden sicher für irgendwelche Tests benötigt. Jake hoffte fast, selbst auch abgeholt zu<br />

werden. Nur, um irgendetwas tun zu können. <strong>Die</strong>ses tatenlose Herumsitzen machte ihn wahn-<br />

sinnig. Er sah zu Heather hinüber, die in diesem Moment auch zu ihm schaute. Sie lächelte<br />

und machte mit den Händen das Zeichen für Däumchen drehen. Booth in der Zelle neben ihr<br />

stand an der Tür und schaute sich im Zellentrakt um, in der Hoffnung, doch noch irgendwas<br />

zu sehen, was nützlich sein könnte. <strong>Die</strong> Untätigkeit machte ihn langsam aber sicher irre. Und<br />

wenn er sich so in den Zellen umsah, war er nicht der Einzige, alle zappelten mehr oder wenig<br />

unruhig herum. Booth schoss durch den Kopf, wie er und Bones in diese bescheidene Lage<br />

geraten waren.<br />

66


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Booth stürmte in Bones Büro im Jeffersonian Institute in Washington und erklärte<br />

der verblüfften Anthropologin, dass sie ihn unbedingt nach Sydney begleiten müsse.<br />

Bones schaute den Freund und Kollegen an, als hätte er den Verstand verloren. „Ich habe<br />

drei Skelette im Labor, die darauf warten, von uns untersucht zu werden. Ist dir klar,<br />

dass Sydney in Australien liegt und nicht in den Vereinigten Staaten?“ Booth winkte ab.<br />

„<strong>Die</strong> haben eine Leiche gefunden, die deutliche Merkmale aufweist, die darauf hindeuten,<br />

dass sich mein alter Freund Robert Cauldron an ihr vergriffen hat. Du erinnerst dich<br />

sicher an ihn. Er hat seinen Opfern mit einem Jagdmesser seine Initialen in den Ober-<br />

armknochen geschnitten. Alles deutet darauf hin, dass die Knochen, die in Parramatta<br />

gefunden wurden, seine Initialen tragen. Komm schon, Bones, ein kleiner Kurztrip nach<br />

Down Under, ein wenig Arbeit, ein wenig Nightlife.“ Bones sah immer noch skeptisch und<br />

verständnislos aus. „Ich weiß nicht, was das bedeutet. Aber wenn es um Cauldron geht,<br />

werde ich dich begleiten. <strong>Die</strong> Skelette im Labor können warten.“ Robert Cauldron war vor<br />

Monaten kurz vor seiner Festnahme nach Australien geflohen, das hatten die Behörden<br />

jedenfalls damals vermutet. Als Booth von der Leiche gehört hatte, war ihm klar ge-<br />

wesen, dass er nach Down Under musste, um sich davon zu überzeugen, dass es wirklich<br />

ein Opfer Cauldrons war.<br />

Bones hatte ihre Koffer gepackt und vierundzwanzig Stunden später stand sie<br />

bereits im Labor des Macquarie Hospitals in Sydney und starrte auf den Haufen Knochen<br />

vor ihr auf dem Labortisch. Sie hatte einem der Angestellten den Auftrag erteilt, die<br />

Knochen gründlich von Haut und Fleischrückständen zu reinigen. Als sie nun die gänzlich<br />

sauberen Knochen begutachtete, kam die Anthropologin schnell zu der Erkenntnis, dass<br />

es sich bei den Schnitten im Knochen weder um Initialen noch um die Spuren eines<br />

Jagdmessers handelte. <strong>Die</strong> Wissenschaftlerin fuhr entnervt den Pathologen an, der die<br />

Erstuntersuchung gemacht hatte. „Wo haben Sie eigentlich studiert? Im Busch? Für ein<br />

Jagdmesser sind diese Schnitte viel zu schmal. Das war ein Skalpell. Und damit haben<br />

Sie <strong>mich</strong> vollkommen umsonst hierher geholt.“ Sie drehte sich auf dem Absatz herum,<br />

warf Booth einen vernichtenden Blick zu und schwirrte zur Tür hinaus. <strong>Die</strong> Tatsache, dass<br />

Booth sie am Abend zum Essen einlud, trug wenig dazu bei, sie zu versöhnen. Noch<br />

während des Essens am Tisch beschwerte sie sich über die Unfähigkeit des Pathologen.<br />

Sie konnte es am folgenden Tag gar nicht abwarten, endlich im Flugzeug zurück nach LA<br />

zu sitzen. Sie war im Flugzeug schon mit den Gedanken bei ihren Knochen im heimat-<br />

lichen Labor. Bis zu dem Augenblick, als sie den durchdringenden Chloroformgeruch wahr<br />

nahm ….<br />

*****<br />

67


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth seufzte. Wenn er Bones nicht überredet hätte, ihn zu begleiten, wäre sie sicher<br />

in DC. Booth schaute zu seiner Kollegin herüber und stellte fest, dass sie gerade Stretching<br />

Übungen machte. Ihr musste das hier auch furchtbar auf den Geist gehen. <strong>Die</strong> erzwungene<br />

Langeweile machte allen zu schaffen. Selbst House, der sicher keine sportlichen Aktivitäten<br />

unternahm, schien sich gerne bewegen zu wollen. Vielleicht tat das viele Sitzen seinem Bein<br />

auch gar nicht so gut. Booth fand es ziemlich heftig, dass man ihm keine Gehhilfe zugestand.<br />

Der Arzt hatte erhebliche Schwierigkeiten, sich ohne einen Stock zu bewegen. Booth ließ<br />

seine Blicke weiter schweifen. Seine Augen blieben an Kate hängen, die immer noch bei<br />

Sawyer in der Zelle war, weil der noch nicht aufstehen durfte. Was die Entführer mit ihm und<br />

House genau gemacht hatten, war noch nicht zur Sprache gekommen. <strong>Die</strong> junge Frau war<br />

sehr hübsch. Booth konnte Sawyer durchaus verstehen. So kaltschnäuzig und schnodderig er<br />

sich auch gab, wenn es um Kate ging, wurde der Südstaatler sehr sanft und besorgt. <strong>Die</strong> junge<br />

Frau war offensichtlich ziemlich verliebt in den blonden Mann. Das konnte Booth allerdings<br />

auch verstehen. Ohne Neid konnte der selbst sehr gut aussehend FBI Special Agent zugeben,<br />

dass Sawyer verdammt attraktiv war. <strong>Die</strong> Grübchen kamen bei Frauen sicher gut an. In der<br />

Zelle rechts von Sawyer, die junge Mossad Angehörige, Ziva, hatte die Attraktivität Sawyers<br />

durchaus auch schon bemerkt. Sie selbst war bildhübsch und sicher gewohnt, ihren Körper<br />

einzusetzen. Ziva saß genervt auf ihrer Liege und starrte Löcher in die Luft. Das Eingesperrt<br />

sein machte sie wahnsinnig und die Langeweile war noch schlimmer. Sie sah, dass Booth zu<br />

ihr rüber schaute und grinste anzüglich. Zu schade, dass die ganze Zeit Redeverbot herrschte.<br />

In diesem Moment kam die Lautsprecherdurchsage: „Nummer 2 und 15.“<br />

Jake und Mulder standen auf und traten langsam an die Tür. Dass es besser war, zu<br />

gehorchen, war ihnen inzwischen allen klar, aber das hieß ja nicht, dass man es freudig erregt<br />

schnell machen musste. Als eine Wache auftauchte, wunderten sich die Gefangenen ein<br />

wenig. Nur eine Wache? Das waren sie nicht gewohnt. Der Wachmann trat erst an Jakes Zelle<br />

und sagte ruhig und bestimmt: „Dein Wasser, Nummer 2.“ Jake sah überrascht auf. Dann<br />

schüttelte er genervt den Kopf und reichte seine Wasserflaschen durch das Gitter nach<br />

draußen. Der Wachmann marschierte hinüber zu Mulder und dieser hatte sein Wasser eben-<br />

falls auszuliefern. Wieder knackte es im Lautsprecher. „Wenn einer von euch wagt, 2 und 15<br />

Wasser zu geben, wird Nummer 14 für jeden Versuch drei Tage Isolationshaft im camera<br />

silens bekommen.“ <strong>Die</strong> Stimme verstummte und gleichzeitig ging das grüne Licht an. „Was,<br />

zum Geier, ist camera silence?“, fragte Sawyer verblüfft. Kate hockte immer noch so auf der<br />

Liege, dass Sawyer seinen Kopf auf ihrem Schoss platzieren konnte. Schweigen antwortete<br />

ihm. Dann machte Ziva betroffen den Mund auf. „Camera silens, nicht silence, das ist Latein,<br />

Sawyer, ist ein vollständig dunkler, schallisolierter Raum. Ein längerer Aufenthalt dort kann<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu Halluzinationen und anderen Beeinträchtigungen der Wahrnehmungsfähigkeit führen. <strong>Die</strong><br />

camera silens wird als Folter verwendet, wobei die bloße Androhung oft schon reicht, um<br />

jemanden zum Reden zu bringen, da die Auswirkungen bekannt sind. Wenn einer von euch es<br />

wagt, diesen beiden Idioten da Wasser zu geben, werde ich denjenigen höchstpersönlich um-<br />

bringen.“ „Wenn ich nicht schneller bin.“, knurrte Gibbs gefährlich leise. Abby war zu-<br />

sammen gezuckt, als die Lautsprecherdurchsage kam. Jetzt sah sie erschrocken zu Gibbs<br />

hinüber. „Gibbs. Das halte ich nicht aus.“ „Keine Angst, Abbs, niemand wird dich da hin-<br />

bringen. Niemand hier wird diese beiden paranoiden Schwachköpfe mit Wasser versorgen,<br />

das schwöre ich dir.“ Heather in der Zelle neben Mulder sah erschrocken zu Jake hinüber.<br />

„Wir können doch nicht zusehen ...“ „Doch. Wir können. <strong>Die</strong>se Schlauberger haben selbst<br />

Schuld. Sollen sie doch Durst schieben.“ Ziva war wirklich schwer genervt über so viel<br />

Dummheit. Dana hatte stumm zugehört und im Stillen konnte sie Ziva nur zustimmen. Laut<br />

sagte sie: „<strong>Die</strong> werden euch nicht verdursten lassen, also ist diese Debatte überflüssig. Und,<br />

Abby, mache dir keine Sorgen, du wirst ganz bestimmt nicht in die Camera silens gehen.<br />

Mulder, du hast wirklich selbst Schuld. Du und dein Verfolgungswahn.“ „Aber Jake muss<br />

doch ...“, fing Heather noch einmal an. „NEIN. Muss er nicht. Er muss sich mal nicht ganz so<br />

bescheuert benehmen, das ist auch alles.“, fuhr Ziva ihr wütend über den Mund. „Hey, hörst<br />

du vielleicht mal auf, Heather anzuschnauzen?“, giftet Jake jetzt empört los.<br />

„Hallo, könnt ihr mal alle wieder runter kommen? Meint ihr, das gegenseitige<br />

Angeschnautze hilft uns hier weiter? Auch der dümmste von uns hat es kapiert, Ziva, dass<br />

Jake und Mulder kein Wasser bekommen. Wir haben nur eine Chance, hier mit heiler Haut<br />

raus zu kommen, wenn wir zumindest irgendwie im Rahmen unserer Möglichkeiten zu-<br />

sammen halten. Wenn die es schaffen, schon nach so kurzer Zeit einen Keil zwischen uns zu<br />

treiben, können wir das hier vergessen.“ Gil sah der Reihe nach alle Mitgefangenen an.<br />

Beschämt sagte Ziva: „Du hast Recht. Okay, lasst uns ruhig bleiben. Mulder, Jake, tut mir<br />

leid, aber ihr habt wirklich selbst Schuld, reißt nicht Unschuldige da mit rein.“ Jake nickte.<br />

„Du hast Recht. Das hilft uns nicht weiter. Heather, es ist okay, ich habe mir das selbst zuzu-<br />

schreiben. Tut mir leid.“ Mulder hatte den ganzen Tumult gelassen auf seiner Liege hockend<br />

angehört. Jetzt sagte er sehr ruhig und freundlich: „Ich habe niemanden gebeten, mir Wasser<br />

zu geben, oder? Ich weiß wirklich nicht, worüber ihr euch so aufregt. Ich habe entschieden,<br />

nichts zu Trinken und ich bin durchaus in der geistigen Verfassung, das für <strong>mich</strong> selbst zu<br />

entscheiden. Ich würde kein Wasser annehmen, selbst, wenn es mir einer von euch anbietet.<br />

Also beruhigt euch alle mal wieder.“ Sawyer hatte grinsend zugehört. Jetzt hob er den Kopf<br />

von Kates Oberschenkel und sah zu Jake hinüber. „Mal sehen, Cowboy, wie lange du so<br />

durch hältst.“ „Was willst du Arsch eigentlich? Länger, als du aushalten würdest, denke ich.“,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

giftete Jake kolossal genervt los. Sawyer lachte über den Wutausbruch ironisch. Kate<br />

schüttelte den Kopf. „Warum legt ihr sie nicht auf den Tisch und vermesst sie? Ihr habt ja<br />

einen Knall.“ „Amen.“ House sah vage in Richtung Jake und zeigte ihm einen Vogel. „Zwei<br />

Tage. Länger geb ich dir nicht, du paranoider Waschlappen, dann winselst du um Wasser, da<br />

verwette ich mein ... Ach, hab ja nichts, scheiße.“<br />

Durst<br />

Du hast die Wahl. Du kannst dir Sorgen machen, bis du davon tot umfällst. Oder<br />

du kannst es vorziehen, das bisschen Ungewissheit zu genießen.<br />

Norman Mailer<br />

„House, nun seien Sie doch nicht immer so schrecklich unsensibel.“ Allison sah ver-<br />

ständnislos zu ihrem Chef hinüber. „Was denn? Denken Sie, der Penner hält länger aus?<br />

Wetten Sie auf ihn?“, fragte House genervt und höhnisch grinsend. Jetzt konnte sich auch<br />

Bones nicht mehr zurück halten. „Euer kontraproduktives Gerede ist unerträglich. Es ist doch<br />

in unserer derzeitigen Lage wirklich nur destruktiv, uns selbst durch solchen Blödsinn zu<br />

schwächen. Sicher lachen unsere Entführer sich gerade kaputt über eure Dämlichkeit. Mit<br />

eurer Weigerung zu Trinken schadet ihr euch nur selbst. Der Volumenverlust wird schnell zu<br />

Muskelkrämpfen, Schwächegefühl, Schwindel, Tachykardie, Verwirrtheit, Bewusstseins-<br />

störungen und Kollaps führen, aber ihr könnt dann wenigstens sagen: Hey, denen haben wir<br />

es gezeigt.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf und setzte sich auf ihre Liege. Sawyer sah<br />

zu ihr rüber und fragte mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck: „Sag mal, Schwester<br />

Hathaway, was ist bitte Tachykardie? Lohnt es sich, dafür auf Wasser zu verzichten?“ „Unser<br />

wandelndes Gesundheitslexikon spricht von beschleunigtem Pulsschlag auf über 100 Schläge<br />

die Minute, Hillbilly. Das kann sie nur nicht sagen, dann würde ja jeder sie verstehen.“ House<br />

war gereizt vom Vicodinentzug, hatte das wüste Verlangen, jemanden anzumachen. Ihm war<br />

immer noch speiübel und er hätte dringend eine Dusche benötigt, da er von dem<br />

Vicodinentzug teilweise heftige Schweißausbrüche gehabt hatte. Bones würde vermutlich von<br />

Tremor sprechen, House hätte schlich gesagt, er zitterte immer wieder heftig am ganzen<br />

Körper. Von den Schmerzen in seinem Bein lenkten ihn die Entzugserscheinungen leider<br />

nicht stark genug ab. <strong>Die</strong> Paracetamol, die er bekam, halfen ihm gerade mal vor dem Schlafen<br />

über das Schlimmste hinweg.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer hatte die Erklärung des Arztes gehört und sah zu Kate auf, die gedankenver-<br />

loren ihre Finger durch seine Haare gleiten ließ. Er grinste auf diese unnachahmlich freche<br />

Weise, die Kate schon vom ersten Abend an so fasziniert hatte, zu ihr hoch. „Dafür brauche<br />

ich keinen Wasserentzug.“ Kate wusste, was Sawyer meinte und verdrehte lächelnd die<br />

Augen. Sie hatte Angst vor dem Moment, an dem der dunkelhaarige Arzt, der Sawyer über-<br />

wachte, beschloss, dass er wieder alleine sein könnte. Zurück in ihre Zelle gebracht zu<br />

werden, Sawyer alleine lassen zu müssen, jagte der jungen Frau einen Schauer über den<br />

ganzen Körper. Sawyer spürte sie erschauern und griff nach ihrer Hand. Er lächelte ihr liebe-<br />

voll zu. Sie sah zu ihm herunter und biss sich auf die Lippen. Gerade wollte sie etwas sagen,<br />

als das rote Licht wieder anging. Schulterzuckend formten ihre Lippen: „Ich liebe dich.“<br />

Sawyer erwiderte auf die gleiche Weise: „Ich dich auch.“ Er deutete auf die Wasserflasche.<br />

Kate nickte und reichte sie ihm. Dabei dachte sie an Jake und Mulder und die Diskussion, die<br />

ihretwegen gerade stattgefunden hatte. <strong>Die</strong> beiden Männer waren in den Augen aller hier<br />

wirklich nur dämlich. <strong>Die</strong> Einzige, die wirklich Mitleid hatte, war natürlich Heather. In ihren<br />

verliebten Augen war Jakes Verhalten zwar auch dumm, aber sie hätte ihm das nie gesagt.<br />

Dass er sich selbst damit am meisten schadete, sah die junge Frau genauso. Sie sah immer<br />

wieder zu Kate und Sawyer herüber und wünschte sich, sie könnte auch so bei Jake sein.<br />

Gerade tauschte Kate den inzwischen wieder mal geschmolzenen Eisbeutel auf Sawyer Seite<br />

aus. Sie öffnete den Eiswürfelbehälter und nahm eine Hand voll Würfel, stopfte sie in den<br />

kleinen Stoffbeutel und verschloss den Eisbehälter wieder gründlich. Dann drückte sie den<br />

Beutel sanft auf Sawyers Seite.<br />

Sich nicht wenigstens unterhalten zu können, war für alle eine wirkliche Strafe. Wenn<br />

man sich schon körperlich langweilte, war Schweigen umso schlimmer. Selbst die genervten<br />

Plänkeleien waren immerhin dazu gut, sich abzulenken. <strong>Die</strong>ses Schweigen, das auf dem<br />

Kerker lastete, war für alle schwer zu ertragen. Geräusche, die nun einmal entstanden, wenn<br />

sechzehn Menschen auf engem Raum zusammen hockten, wurden durch die Stille überlaut.<br />

Das ungeschützte benutzen des WCs fiel besonders den Frauen immer noch schrecklich<br />

schwer. Es war erniedrigend und machte jedem einzelnen Häftling immer wieder klar, wie<br />

verletzlich und hilflos sie alle waren. Dass sie außerhalb der Zellen nicht einmal Herr be-<br />

ziehungsweise Frau über ihre Hände waren, machte dies noch deutlicher. Selbst, wenn sich<br />

Widerstand in ihnen regen würde, wären sie alleine diejenigen, die darunter würden Leiden<br />

müssen. Was sie auch taten, die Verlierer waren IMMER sie. Wehrten sie sich, litten nicht<br />

nur sie selbst, sondern auch noch die jeweiligen Kollegen, Partner oder Lebensgefährten unter<br />

harten Bestrafungen, wehrten sie sich nicht, standen offensichtlich häufig genug schmerz-<br />

hafte, gefährliche oder bestenfalls sehr unangenehme Sachen auf dem Programm ihrer Ent-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

führer. Sich absolut ungeschützt den Leuten, die sie gefangen hielten, hingeben zu müssen,<br />

ohne den geringsten Einfluss auf zugefügte Schmerzen und ähnliches nehmen zu können, war<br />

blanker Horror. Alle hatten das unangenehme Gefühl, dass, was die Tests und Versuche an-<br />

ging, bisher gerade mal ansatzweise zu Spüren gewesen war, wozu die Entführer fähig waren.<br />

Jeder machte sich Gedanken, in wieweit er für ihre Gastgeber wohl entbehrlich war. <strong>Die</strong><br />

außerordentlich demütigende Art der Bekleidung tat ihr übriges, die Probanden zu entmensch-<br />

lichen. Ständig mit entblößten Hinterteilen herum zu laufen, war fast demütigender, als ganz<br />

nackt zu sein. <strong>Die</strong> meisten empfanden es sehr entwürdigend, ständig mehr oder weniger un-<br />

verhüllte Pos zu haben.<br />

Ein weiterer, sehr belastender Faktor war für die Paare natürlich der Umstand, dass sie<br />

jederzeit bei Ungehorsam damit rechnen mussten, dass man den Partnern etwas antat. Und die<br />

Tatsache, dass sie alle ohnehin vollkommen hilflos waren, wenn den Freunden zum Beispiel<br />

Schmerzen zugefügt wurden, machte die psychische Belastung fast unerträglich. Dass ihre<br />

Entführer sie konsequent verbal ignorierten, unterstrich das Laborrattengefühl ebenfalls.<br />

Keine Erklärungen, keine Reaktionen, nichts davon zu bekommen, war unheimlich, be-<br />

ängstigend und entmenschlichend. Für die Entführer nur Nummern zu sein, gab einen Hin-<br />

weis darauf, dass sie zum Teil sicher entbehrlich waren. Und dieses Wissen schürte beständig<br />

Angst und Unsicherheit. Dass man davon ausgehen konnte, dass man, ging mal ein Test oder<br />

Versuch daneben, einfach entsorgt wurde, ließ auch hart gesottene Kämpfer wie Gibbs oder<br />

Booth nicht kalt. Bei allen Frauen kam die dauernde Sorge vor sexuellen <strong>Über</strong>griffen hinzu.<br />

Bei ihnen wirkten sich die ständig auf den Rücken gefesselten Hände außerhalb der Zellen<br />

extrem auf die Psyche aus. Ziva sah es nicht ganz so eng, ebenso Bones. Dafür war es aber für<br />

Allison und Heather jedes einzelne Mal der blanke Horror, sich gegen eventuelle <strong>Über</strong>griffe<br />

nicht einmal wehren zu können. Man merkte erst, wie viel psychologischen Schutz Hände<br />

boten, wenn man dieses Schutzes beraubt war. Alle hatten sie schon genau die Zellentüren<br />

untersucht. Es gab absolut keine Möglichkeit, diese zu öffnen. Das war ein weiterer Faktor,<br />

der stark belastend war. Man brauchte ihnen nichts zu tun, sondern sie einfach hier unten ein-<br />

gesperrt lassen und jeder einzelne von ihnen würde innerhalb kürzester Zeit qualvoll ver-<br />

hungert und verdurstet sein. Ein Entkommen war unmöglich. Das Wasser aus der Leitung, das<br />

hatten alle schnell heraus gefunden, war Salz versetzt und daher ungenießbar, wenn man nicht<br />

schwere körperliche Probleme riskieren wollte. Im Notfall des verlassen Werdens würden alle<br />

es irgendwann trinken, das war sicher, und damit die Qualen für sich nur noch erhöhen.<br />

<strong>Die</strong> Zeit verging und schließlich wurde das Licht gedämpft. Kate konnte langsam<br />

nicht mehr Sitzen und rollte sich auf dem Boden neben Sawyer Liege zusammen, was dieser<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

selbstverständlich unterbinden wollte. Kate machte ihm jedoch schnell unmissverständlich<br />

klar, dass er auf der Liege zu bleiben hatte. <strong>Die</strong> Nacht, oder besser die Schlafenszeit verging<br />

ohne Störungen und alle fuhren erschrocken hoch, als der Weckruf den nächsten Tag ihrer<br />

Gefangenschaft einleitet. Alle kamen gespannt hoch und warteten, was wohl passieren würde.<br />

Sawyer stellte fest, dass der Schmerz in seiner Seite deutlich nachgelassen hatte. Einerseits<br />

war er erleichtert, dass die heftigen Schmerzen so gut wie weg waren, andererseits war ihm<br />

klar, dass dies das Ende von Kates Aufenthalt bei ihm einläuten würde. Das Wissen, dass er<br />

sie in absehbarer Zeit wieder nur noch von weitem sehen würde, schnürte ihm die Kehle zu.<br />

Er lächelte ihr zu und half ihr auf die Füße. Sie musste sich Strecken und Dehnen, um die<br />

Glieder zu entspannen. Sawyer zog sie zu sich auf die Liege und sie las in seinem Gesicht,<br />

dass es ihm besser ging. Erleichterung und Angst kämpften in ihren Augen miteinander. <strong>Die</strong><br />

Gewissheit, dass es ihm deutlich besser ging, machte Kate froh. Dass dies bedeuten würde,<br />

dass sie in ihre eigene Zelle zurück musste, zerriss ihr fast das Herz. Sie lehnte sich an ihn<br />

und schloss die Augen.<br />

Jake und Mulder wachten mit heftigem Durst auf. Jake verfluchte seine Sturheit<br />

bereits jetzt. Wie hatte er sich nur so hinreißen lassen können? Vermutlich hatte House Recht<br />

und er war spätestens morgen so weit, auf Knien um Wasser zu betteln. Verfluchter Mist.<br />

Jake stand auf und ging an sein Waschbecken, um sich Wasser ins Gesicht zu klatschen. Er<br />

putzte sich die Zähne und stellte sich dann an die Gittertür. Komischerweise hatte er das Ge-<br />

fühl, von allen beobachtet zu werden. Und noch etwas fiel Jake auf: Es war heute unnatürlich<br />

warm in ihrem Kerker. - <strong>Die</strong>se elenden Schweine. - <strong>Die</strong> Mitgefangenen hatten ebenfalls schon<br />

gemerkt, dass es heute sehr warm in ihrem Gefängnis war. Als die Kerkertür geöffnet wurde<br />

und die Wache mit dem Essen kam, war nicht zu übersehen, dass der Typ ein leichtes Grinsen<br />

auf den Lippen hatte. Jake kostete es <strong>Über</strong>windung, seinen Mund zu halten. Am liebsten hätte<br />

er dem Mann ins Gesicht gespuckt, gesetzt den Fall, er hätte genug Spucke zusammen be-<br />

kommen, was er stark bezweifelte. Alle bekamen die übliche Wasser und Brotzuteilung sowie<br />

ihre Pillen. Jake und Mulder erhielten selbstverständlich kein Wasser. Als die Wache alle be-<br />

dient hatte, verließ sie immer noch leicht grinsend den Kerker. Etwas später öffnete sich die<br />

Kerkertür bereits wieder und der Arzt, der Sawyer und House behandelte, betrat das Gefäng-<br />

nis. Kates Herz pochte plötzlich wie wild. Sie ahnte, was jetzt kam. Verzweifelt griff sie nach<br />

Sawyers Hand. - Ich will nicht fort. - schrien ihre Augen und Sawyer hatte plötzlich einen<br />

Kloß im Hals. Der Arzt blieb vor House Käfig stehen und die Tür wurde geöffnet. Er unter-<br />

suchte noch einmal die Einstichstelle, gab dann in sein Mikro durch: „Alles klar bei 4.“ Er<br />

verließ die Zelle und ging zu Sawyer hinüber. Dessen Zellentür wurde nun ebenfalls geöffnet.<br />

Der Arzt riss wenig rücksichtsvoll das Pflaster von der Einstichstelle, sah sich diese genau an<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und fing dann an, Sawyers Seite gründlich abzutasten. Nur noch an zwei Stellen tat es wirk-<br />

lich weh und der Arzt sagte in sein Mikro: „Alles klar bei 3, 8 zurück in ihre Zelle.“<br />

Kate schossen Tränen in die Augen. Sie wollte bei Sawyer bleiben, wollte nicht von<br />

ihm getrennt werden. Der Arzt wartete, bis eine Wache eintraf, dann forderte er Kate kalt auf:<br />

„Mach schon.“ Schluchzend trat diese zu Sawyer, gab ihm einen Kuss und stand dann er-<br />

geben still, sich die Hände fesseln lassend. Eine Minute später stand sie in ihrer eigenen Zelle<br />

und schluchzte so verzweifelt, dass selbst House ihr einen tröstenden Blick zuwarf. Kate<br />

zitterte. Das Eingesperrt sein machte sie wahnsinnig. Solange sie bei Sawyer in der Zelle war,<br />

konnte sie es ertragen, weil sie nicht alleine war. Hier, zurück in ihrer Zelle, schlug die Ge-<br />

fangenschaft erst wieder richtig über ihr zusammen. <strong>Die</strong> zitternden Hände vor das Gesicht<br />

schlagend, rutschte sie in der Ecke ihrer Zelle zu Boden und schluchzte heftig.<br />

Sawyer hatte hilflos zusehen müssen, wie man Kate wieder von ihm trennte. Jetzt<br />

stand er mit zusammen gebissenen Zähnen an der Tür und starrte in hilfloser Wut zu ihrer<br />

Zelle hinüber. Der Arzt hatte kommentarlos seine Zelle verlassen und war zu Mulder getreten.<br />

Er hatte diesen kalt gemustert und war dann weiter gegangen zu Jake. <strong>Die</strong>ser ignorierte, dass<br />

sie keinem ins Gesicht schauen sollten und starrte den Arzt grimmig an. Prompt kam aus<br />

Heathers Zelle ein erschrockener Aufschrei. Jakes Hände krallten sich um die Gitterstäbe und<br />

er senkte schnell den Blick. Der Arzt machte sich auf einem PDA, den er in der Kitteltasche<br />

hatte, eine Notiz, dann nickte er befriedigt und verließ den Zellentrakt. Jetzt waren die Ge-<br />

fangenen wieder alleine. Dana hatte scharf beobachtet, dass der Arzt Mulder begutachtete<br />

hatte. Gibbs sah besorgt zu Kate hinüber. Es schien fast, als würde die junge Frau kurz vor<br />

einem Zusammenbruch stehen. Er wartete auf grünes Licht, um sie trösten zu können. Ziva<br />

hätte Sawyer gerne ein paar aufmunternde Worte gesagt, denn sie merkte, wie nahe dem<br />

jungen Mann Kates Tränen gingen, aber das grüne Licht wurde nicht angeschaltet. Sara<br />

konnte Kates Verzweiflung so gut verstehen. Sie hätte alles getan, um endlich mit Gil zu-<br />

sammen sein zu können, über das reden zu können, was während der Befragung geschehen<br />

war. Aber sie erhielt nicht die Möglichkeit. <strong>Die</strong> Gefangenen dösten vor sich hin. Es war un-<br />

erträglich warm in Kerker. Natürlich wussten alle, warum das so war. Jake und Mulder sollten<br />

unter dem Wassermangel leiden. Mulder hatte sich auf seiner Liege gemütlich ausgestreckt<br />

und ließ seine Gedanken schweifen. Er dachte an Fälle, die er nicht hatte lösen können. <strong>Die</strong><br />

Hitze wurde langsam unerträglich und das Wasser, das die Gefangenen zugeteilt bekommen<br />

hatten, wurde rapide weniger. Relativ schnell hatte keiner von ihnen mehr etwas zu trinken.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jake und Mulder ging es inzwischen nicht mehr so gut. Mulder fühlte sich<br />

schwindelig, genau wie Jake. Beide Männer wussten, dass diese Tortur hier ihre Schuld war<br />

und dass ihre Leidensgenossen ihretwegen dieser Behandlung unterzogen wurden. Jake fühlte<br />

sich furchtbar, körperlich genauso wie psychisch. Immer wieder stand er von seiner Liege auf<br />

und trat an die Gittertür, um zu Heather hinüber zu sehen. Als schließlich das grüne Licht<br />

anging, herrschte erst mal seit ihrer Gefangennahme weiterhin Schweigen. Keiner hatte noch<br />

die Kraft, etwas zu sagen. Sawyer wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem<br />

Gesicht. Mühsam erhob er sich von seiner Liege und trat an die Gittertür. „Kate.“ Leise und<br />

stockend kam die Antwort von irgendwo aus der Zelle. „Ja ...“ „Hey, Freckles, geht‟s dir<br />

gut?“ Keine Antwort. „Kate.“ Wieder ein leises „Ja. Ja, mir geht‟s gut, mach dir keine<br />

Sorgen.“ Selbstverständlich machte Sawyer sich die. Abby sah durch Heathers und Booth‟<br />

Zelle zu Mulder hinüber. „Hoffentlich ist dir schön warm ...“, sagte sie müde. Dana rappelte<br />

sich auf und versuchte, Mulder zu erspähen. „Hey, Mulder, ist alles in Ordnung?“ „Mir ist<br />

warm ... ach ja, und ich habe Durst.“, kam es lakonisch aus Mulders Zelle. „Stell dir vor, uns<br />

allen ist warm.“, antwortete Ziva genervt. Angesichts der Temperaturen, die sie aus Tel Aviv<br />

gewohnt war machte ihr die Hitze hier von allen am wenigsten aus. Jetzt meldete sich auch<br />

Jake zu Wort. „Leute, es tut mir so leid. So was wird nie wieder passieren, nicht von meiner<br />

Seite, das schwöre ich.“ Heather schluckte, als sie die Verzweiflung in Jakes Stimme hörte.<br />

„Dich trifft keine Schuld, Jake, es ist ...“ „So, wen dann? Natürlich haben er und Mulder<br />

Schuld. Junge Frau, du bist verliebt in Jake, das ist in Ordnung, aber verliere dabei nicht den<br />

Sinn für die Realität aus den Augen.“ Erstmals seit langer Zeit meldete sich Locke wieder zu<br />

Wort. Er beteiligte sich im Allgemeinen nicht an den Gesprächen, da er lieber seine geistigen<br />

Fähigkeiten einsetzte, um über ihre Situation nachzudenken. Jetzt, nach diesem Tag voller<br />

unerträglicher Hitze, konnte selbst der so besonnene und überlegene Locke nicht mehr an sich<br />

halten. Als die junge Lehrerin Jake, der nun eindeutig zusammen mit Mulder die Schuld an<br />

der derzeitigen Situation trug, immer noch in Schutz nehmen wollte, musste er einfach da-<br />

zwischen fahren.<br />

Heather verstummte erschrocken und senkte den Kopf. Natürlich hatten die <strong>Anderen</strong><br />

Recht, Jake war Schuld, genau so, wie der FBI Mann, aber Heather konnte ihn doch nicht<br />

auch noch angreifen. Seine Stimme hatte eben so verzweifelt geklungen. <strong>Die</strong> junge Frau war<br />

vor Mitleid ganz ergriffen. Sie wusste, dass Jake sich ungeheure Vorwürfe machte. Sie wollte<br />

ans Gitter treten und ihm sagen, dass sie ihm keine Vorwürfe machte, als sie plötzlich merkte,<br />

dass ihr schwindelig wurde. <strong>Die</strong>se Hitze. Seufzend wollte sie sich noch auf die Liege sinken<br />

lassen, aber es war zu spät. Ihr wurde schwarz vor Augen und sie sackte in sich zusammen,<br />

fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. Jake schrie entsetzt auf. „Heather!“ Booth und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder stürzten an die trennenden Gitter, wobei Mulder selbst fast zusammen gesackt wäre,<br />

und sahen erschrocken auf die junge Frau. „HEATHER!“ Jake war außer sich. „Was ist mit<br />

ihr?“, schrie er Booth zu. „Warum hilft ihr denn keiner. Es tut mir leid. Bitte. Helft ihr doch.<br />

Ich tue alles, aber helft ihr.“, schrie er aufgelöst in Richtung der Kamera in seiner Zelle.<br />

Booth konnte Heather mit Mühe erreichen und schaffte es, sie ein Stück zu sich zu zerren.<br />

Dann sah er, dass sie schon wieder zu sich kam. „Es geht ihr gut, beruhige dich.“, rief er zu<br />

Jake hinüber. „Das war nur eine kleine Kreislaufschwäche. Sie kommt schon wieder zu sich.“<br />

„Scheiße, Booth, geht es ihr gut? Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“ „Das hättest du dir vorher<br />

überlegen sollen, du Spinner.“, fuhr House gepresst dazwischen. „Schuldzuweisungen<br />

bringen nichts, ich denke, die Beiden machen sich schon genug Vorwürfe.“, erklärte Locke<br />

jetzt wieder ruhig und entspannt. „Wie fühlt ihr euch, Jake, Mulder?“, wollte Allison mit<br />

schwerer Zunge wissen. Mulder war bei Heathers Zusammenklappen genau so erschrocken<br />

gewesen wie Jake. Als er sah, dass die junge Frau schon wieder zu sich kam, sank er er-<br />

leichtert auf seine Liege zurück.<br />

Ihm war schwindelig, er merkte, dass sein Blutdruck absackte, er fühlte sich matt und<br />

wirr im Kopf. Jake ging es nicht einen Deut besser. Er stand immer noch an der Zellentür und<br />

sah zu Heather hinüber, die sich mühsam aufrappelte und auf ihre Liege sank. „Jake, es ... es<br />

geht mir gut ... mach dir keine Sorgen. Mein Blutdruck ... Ich habe manchmal Probleme bei<br />

solcher Hitze.“ Sie legte sich leise stöhnend hin. Allison rief zu ihr rüber: „Leg die Beine<br />

hoch, stütze sie am Gitter ab, okay.“ Zum Glück hatte Heather sich bei dem Sturz nichts ge-<br />

tan. Jake stöhnte erleichtert auf und sank dann ebenfalls auf seine Liege zurück. Er hätte sonst<br />

was für einen Schluck Wasser gegeben. Allison sah sich den jungen Mann durch die Gitter-<br />

stäbe genau an und sagte in Richtung House: „Lange geht das nicht mehr gut, dann<br />

kollabieren die Beiden.“ Zu Jake, der schwer atmend auf seiner Liege lag, sagte sie: „Lass<br />

<strong>mich</strong> mal deinen Puls fühlen.“ Jake streckte müde den rechten Arm zu Cameron hinüber, die<br />

Liegen waren alle so angebracht, dass sie vom Kreis aus gesehen an der linken Zellenwand<br />

angebracht waren. Daher konnte Allison Jake berühren, wenn er auf seiner Liege lag. <strong>Die</strong><br />

junge Ärztin fühlte seinen Puls und stellte fest, dass dieser schnell und flach war. Sie<br />

schüttelte besorgt den Kopf. „Ziva, kannst du bei Mulder den Puls fühlen?“, bat sie die junge<br />

Israelin. „Klar, kein Problem.“ Ziva stemmte sich von der Liege hoch und ging zur anderen<br />

Seite ihres Käfigs. Mulder streckte ihr wortlos den Arm hin und sagte entkräftet und heiser:<br />

„Wird nicht gut sein ...“ Ziva griff nach Mulders Handgelenk und ohne Fachmann zu sein,<br />

merkte sie, dass sein Puls ebenfalls viel zu schnell und flach war. Sich die nass geschwitzten<br />

Haare aus dem Gesicht wischend sagte sie: „Hast Recht, Mr. FBI, ist nicht gut.“ Sie sank an<br />

Ort und Stelle auf den kühlen Boden und legte seufzend den Kopf ans Gitter.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron war bei Jake geblieben und versuchte, diesem Mut zuzusprechen. „Du darfst<br />

nicht schlapp machen, hörst du? Wir werden bestimmt bald Wasser bekommen und du machst<br />

so einen Blödsinn nie wieder, okay. Hörst du <strong>mich</strong>? Jake. Nicht abschalten, Jake.“ Sie sah,<br />

dass Jake dabei war, weg zu driften und sprang wütend auf. Sie drehte sich zur Kamera herum<br />

und sagte laut und deutlich: „Ihr habt erreicht, was ihr wolltet, warum macht ihr nicht einfach<br />

Schluss? Wollt ihr die Beiden unbedingt zusammen brechen sehen? Okay, gebt ihnen weiter-<br />

hin kein Wasser, aber dreht wenigstens die Temperaturen runter.“ „Geben Sie es auf,<br />

Cameron, denen ist es doch völlig egal, ob wir hier alle abkratzen.“, knurrte House schwer-<br />

fällig. Cameron ließ mutlos den Kopf hängen und setzte sich wieder auf den Boden bei Jakes<br />

Liege. <strong>Die</strong>ser fragte leise: „Was ist mit Heather?“ „Mach dir keine Sorgen um sie, es geht ihr<br />

gut. Nur eine kleine Kreislaufschwäche. Du musst jetzt durch halten, hörst du?“ „Durst ...“,<br />

nuschelte Jake „Tut mir so leid ...“ Sein Kopf sackte auf die Seite und Cameron wusste, dass<br />

der junge Mann das Bewusstsein verloren hatte. Sie griff durch die Gitterstäbe und tätschelte<br />

ihm die Wangen. „Jake. Jake, komm schon, nicht schlapp machen. Nur, weil es warm ist und<br />

du Durst hast, wirst du hier nicht ohnmächtig.“ In diesem Moment ertönte aus dem Laut-<br />

sprecher die Worte: „Nummer 10 und 14.“ Mühsam kamen Allison und Abby auf die Füße.<br />

Sie traten ans Gitter und reckten die Arme auf den Rücken. Wachen betraten den Kerker und<br />

fesselten den beiden Frauen die Hände zusammen. Dann gingen die Zellen auf. Zu ihrer<br />

großen Verblüffung wurde Abby zu Jakes und Allison zu Mulders Zelle gebracht.<br />

Abby stand einigermaßen verunsichert da und sah auf Jake herunter, der gerade wieder<br />

zu sich kam. Doch siegte ihr Mitleid und sie ging neben ihm auf die Knie. „Jake, hallo, komm<br />

schon, wach auf, du darfst doch Heather nicht so einen Schrecken einjagen.“ Cameron war an<br />

Mulders Seite geeilt und kniete bei ihm nieder. Er war ähnlich fertig wie Jake und Cameron<br />

fragte sich, was dass jetzt sollte. Sie kniete bei dem FBI Beamten, sah ihm in das Schweiß<br />

überströmte Gesicht und konnte nichts machen. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> unterhielten sich kaum, alle<br />

waren viel zu erschossen von der Hitze. Kate hatte sich irgendwann einfach auf den Boden<br />

gelegt, das war am Kühlsten. Sie träumte von einem riesengroßen, eiskalten Victoria Bitter,<br />

ihrem australischen Lieblingsbier. Wie gerne hätte sie mit Sawyer in Manly an der Beach ge-<br />

sessen und den frischen Wind genossen, dabei das VB getrunken und den Wellen zugeschaut.<br />

Sie wären Schwimmen gegangen und sie hätte seinen schlanken, durchtrainierten Körper im<br />

Wasser an sich gedrückt … Sie verlor sich in der Erinnerung und merkte gar nicht mehr, wie<br />

sehr sie schwitzte. Sara dachte an den kühlen Pool, der zu ihrer Wohnanlage in Las Vegas<br />

gehörte. Sie hatte nach harten Arbeitstagen immer gerne ein paar Runden dort gedreht. Gil<br />

sah noch immer recht frisch aus. Ihm machte Hitze in keiner Weise zu schaffen. Aber er war<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neben Gibbs, dem die Hitze überhaupt nicht zu stören schien, und der jungen Israelin der Ein-<br />

zige im ganzen Zellentrakt, der noch einen halbwegs frischen Eindruck machte. Alle anderen<br />

hingen mehr oder weniger durch.<br />

Bones lag ebenfalls jappsend vor Hitze auf ihrer Liege. Aber irgendwie hatte sie plötz-<br />

lich das Gefühl, dass es etwas kühler wurde. Aus den Lüftungsschlitzen in der Decke strömte<br />

keine warme Luft mehr in die Zellen, sondern eindeutig kühlere. „Es wird kühler.“, sagte sie<br />

unendlich erleichtert. Jetzt merkte es auch Booth. „Sie hat Recht, die Luft wird etwas kühler.“<br />

Kate rappelte sich mühsam auf die Füße und trat unter die Lüftungsschlitze. Tatsächlich kam<br />

kühlere Luft heraus. Kate reckte ihr Gesicht der frischen Luft entgegen. Und nun merkten es<br />

auch die anderen Gefangenen. Alle rappelten sich hoch und stellten sich unter die Luftzufuhr.<br />

Relativ schnell sanken die Temperaturen auf ein durchaus angenehmes Maß. Bis auf Mulder<br />

und Jake erholten sich die <strong>Anderen</strong> etwas, als es kühler wurde. Sie hatten aber auch alle an<br />

diesem Tag noch genug Wasser gehabt. Mulder und Jake waren seit fast vierzig Stunden ohne<br />

Flüssigkeit. Jake dämmerte nur noch am Rande der Besinnungslosigkeit vor sich hin. Mulder<br />

ging es nicht besser. Allison hatte ein wenig Toilettenpapier nass gemacht und dieses dann<br />

auf Mulders Stirn gelegt, mehr konnte sich nicht tun. Und dann endlich ging die Kerkertür auf<br />

und Wachpersonal mit einem Rollwagen voller Wasserflaschen betrat den Kerker. Jeder<br />

zweite Gefangene bekam eine kleine 0,2 Liter Flasche in die Hand gedrückt. Dann ver-<br />

schwanden die Wachleute wieder. „Verflucht, gilt das Verbot jetzt immer noch für die<br />

Beiden?“, fragte Sara genervt. Abby sah auf Jake herunter, der kaum noch bei Besinnung war.<br />

Sie holte tief Luft und dann dachte sie - Scheißegal. Und wenn schon, er braucht Hilfe, genau<br />

wie Mulder. - Sie hob ihren linken Mittelfinger zur Kamera und beugte sich dann über Jake.<br />

Fürsorglich hob sie seinen Kopf und es hätte nicht des Hinweises von House bedurft:<br />

„Ganz langsam, nur ein paar Schlucke, okay.“, um ihr klar zu machen, dass sie dem Jungen<br />

nur langsam nach und nach Wasser einflössen durfte. Ganz vorsichtig ließ Abby Wasser in<br />

Jakes Mund laufen. Er wollte nach der Flasche greifen, aber Abby wehrte ab. „Nein, Jake, so<br />

nicht. Ganz langsam, okay. Du kriegst ja Wasser, aber langsam.“ Nach vier kleinen Schlucken<br />

setzte Abby die Flasche ab. Gibbs sagte jetzt leise: „Bist du dir sicher, Abbs? Du weißt, was<br />

das unter Umständen für dich bedeutet?“ „Ja, Gibbs, ist mir klar, aber es ist mir egal. <strong>Die</strong><br />

Beiden sind fertig.“ Cameron fragte zaghaft: „Abby, wie ist es, darf ich Mulder auch was<br />

geben?“ Abby pustet kurz, dann sagte sie klar und deutlich: „Ja, natürlich, gib ihm auch<br />

Wasser.“ Cameron nahm sorgsam Mulders Kopf und hob ihn an. Dann flößte sie ihm sehr<br />

vorsichtig Wasser ein. Auch er bekam nur wenige, kleine Schlucke. Jetzt tranken alles ein<br />

paar Schlucke, reichten dann aber ausnahmslos die Flaschen weiter, bis alle bei Jake und<br />

78


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder angekommen waren. Dana und Heather sahen aufs Äußerste besorgt zu den Zellen der<br />

beiden Männer hinüber und warteten auf Nachrichten von Allison und Abby, die ihnen ihre<br />

mehr als berechtigte Sorgen ein wenig nehmen würde. House sagte gerade zu Abby: „Kannst<br />

ihm jetzt die nächsten Schlucke geben.“ Abby nahm erneut Jake Kopf hoch und gab ihm die<br />

nächsten Schlucke zu Trinken. „Hoffentlich bist du es wert, dass ich für dich hier gerade<br />

meinen Arsch riskiere und unter Umständen in diesen komischen Raum muss. Man, wenn<br />

nicht, überlasse ich dich Gibbs. Dann wird dir der Durst hier wie ein Geschenk vorkommen,<br />

dass sage ich dir aber.“ Jake schluckte gierig das angebotene Wasser und als Abby die<br />

Flasche wieder absetzte flüsterte er mühsam: „Ich bin es sicher nicht wert, aber trotzdem<br />

danke ...“<br />

Er schloss die Augen und Abby fragte sich, ob er die Besinnung erneut verloren hatte.<br />

Aber da öffnete Jake diese schon wieder. Er sah Abby an und seine Augen schimmerten<br />

feucht. „Das hättest du wirklich nicht riskieren sollen, Abby ... Nicht für <strong>mich</strong> ...“ „Rede<br />

keinen Quatsch. Spar dir deine Kräfte für was sinnvolleres, okay.“ Vorsichtig gab Abby Jake<br />

erneut ein paar kleine Schlucke. Dann war die Flasche leer. Leise sagte Jake noch einmal:<br />

„Danke, Abby.“ <strong>Die</strong>se nickte verlegen. Cameron hatte Mulder ebenfalls die erste Flasche<br />

ganz gegeben. Nun wartete sie, damit sie ihm mehr geben konnte. House hatte ein Auge auf<br />

Abby, damit diese Jake nicht zu schnell zu viel Wasser gab. Heather fragte alle paar Augen-<br />

blick nach, wie es Jake ging, was Dana sich bei Mulder verkniff, bis Abby der Kragen platzte<br />

und sie Heather anschrie: „Himmel, kannst du nicht einfach mal den Rand halten und <strong>mich</strong><br />

machen lassen? Es geht ihm nicht besser, wenn du <strong>mich</strong> alle zehn Sekunden anquatscht.“<br />

Heather verstummt erschrocken und Ziva konnte, wie Gibbs, ein Grinsen nicht unterdrücken.<br />

Wenn Abby mal in Fahrt war, war sie nicht zu bremsen. Jake hatte die kleine Auseinander-<br />

setzung natürlich auch mit bekommen. Er wollte etwas sagen, aber da ging die grüne Lampe<br />

aus. Das Licht wurde gedämmt und damit hatte Ruhe zu herrschen. Abby fragte sich, warum<br />

man nicht Heather zu Jake gelassen hatte. Irgendwas wollten ihre Entführer damit schon er-<br />

reichen. Sie blieb neben Jake und beobachtete ihn genau. Wenn etwas wäre, würde sie auch<br />

das Redeverbot brechen und House fragen. Aber Jake schien es langsam etwas besser zu<br />

gehen. Sie gab ihm in Abständen immer wieder ein wenig Wasser und er erholte sich zu-<br />

sehends. Er wollte sich auf den Boden legen und Abby die Liege frei machen, aber diese<br />

zeigte ihm einen Vogel und drückte ihn zurück auf das Lager.<br />

Sie hockte sich so bequem wie möglich auf den Boden und lehnte sich an die Liege.<br />

„Versuch zu schlafen und weck <strong>mich</strong>, wenn was ist.“, hauchte sie Jake ins Ohr. Der nickte<br />

erschöpft. Abby hatte selbst noch heftigen Durst, aber sie trank nichts. Jake hatte es deutlich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nötiger. Bevor er erschöpft einschlief, gab Abby ihm noch einen Schluck. Dann fielen ihm<br />

endgültig die Augen zu. Abby legte die Arme auf die Liege und dann den Kopf darauf. So<br />

schlief sie schließlich auch ein. Selbst Heather schlief irgendwann ein. <strong>Die</strong> Hitze hatte alle<br />

erschöpft und sie schliefen tief und fest durch. Jake wachte einige Male auf und Abby bekam<br />

es jedes Mal mit. Sie gab ihm dann immer wieder Wasser und er schlief schnell wieder ein.<br />

Cameron verfuhr in Mulders Zelle nicht anders. Der FBI Mann hatte ebenfalls immer wieder<br />

schluckweise Wasser bekommen. Er hatte kaum etwas gesagt, sondern schweigend da ge-<br />

legen und vor sich hin gedämmert. Gerne hätte er Scully etwas Beruhigendes gesagt, er<br />

wusste, dass die Lebensgefährtin sich Sorgen um ihn machte. Viel zu oft seit sie ihm zugeteilt<br />

worden war musste sie sich um ihn Sorgen, das war Mulder klar. Er war in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder in haarsträubende, lebensgefährliche Situationen geraten. Daher nahmen<br />

er und Scully die Lage hier noch relativ gelassen hin, sie hatten gemeinsam schon schlimmere<br />

Situationen gemeistert. Das einzige, was ihnen ernsthafte Sorgen bereitete, war die Tatsache,<br />

wie lange das hier dauern würde. <strong>Die</strong> ständige Sorge um William bedrückte sie beide. Mulder<br />

fühlte sich müde und zerschlagen und schließlich fielen ihm die Augen zu, nachdem er<br />

Cameron noch einmal dankbar zugelächelt hatte. Als der grässliche Weckton dröhnte, fuhren<br />

alle hoch. Jake brauchte ein paar Sekunden, um richtig zu sich zu kommen. Dann merkte er,<br />

dass er sich sehr viel besser fühlte, obwohl er immer noch ziemlichen Durst hatte. Abby sah<br />

kaputt und müde aus und er schämte sich entsetzlich. Er stemmte sich hoch und zog die junge<br />

Frau zu sich auf die Liege. Sie streckte sich ächzend und sah ihn fragend an. Er hob den<br />

Daumen. Abby nickte erleichtert. Heather war sofort an die Tür getreten und sah zu Jake<br />

hinüber. Er stand ebenfalls auf und trat noch leicht zittrig an die Zellentür. Dann deutete er<br />

Heather ebenfalls an, dass alles in Ordnung war. <strong>Die</strong> Kerkertür öffnete sich und ein Wach-<br />

mann kam herein, verteilte große Wasserflaschen, Brot und Pillen. House sah zu Jake und<br />

Abby hinüber und deutete an - Nicht zu hastig. - Jake und Abby nickten gleichzeitig. <strong>Die</strong><br />

anderen hatten schon die Wasserflaschen an den Lippen. Erleichtert tranken alle das frische,<br />

kühle Wasser. Dann ertönte aus den Lautsprechern: „10 und 14.“ Abbys Herz klopfte bis in<br />

den Hals. Jake wurde blass und sah sie an. Abbs lächelte verkniffen und trat ans Gitter. Sie<br />

wartete auf die Wachleute, die ihre Hände in Fesseln legten und sie dann, genau wie Allison,<br />

kommentarlos in ihre eigene Zelle zurück brachten. Dann verließen die Wachen den Kerker.<br />

Zwei Türen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Es gibt keinen Ausweg, den ein Mensch nicht beschreitet, um die tatsächliche<br />

Arbeit des Denkens zu vermeiden.<br />

Thomas Alva Edison<br />

Abby hatte unheimlich erleichtert aufgeatmet. Anscheinend wurde sie nicht in diesen<br />

Isolationsraum geschafft. Sie sah zu Jake herüber, der sie erleichtert anlächelte und den<br />

Daumen hob. Abby nickte. Dann streckte sie sich auf ihrer Liege aus und dachte - Wenn die<br />

<strong>mich</strong> nicht wecken, hole ich mal ein wenig Schlaf nach. - Sie döste ein. Mulder in seiner Zelle<br />

fühlte sich fast wieder normal. Seine legendäre Regenerationsfähigkeit kam ihm einmal mehr<br />

zu Gute. Er hatte nach dem Aufwachen Dana signalisiert, dass er in Ordnung war. Dann hatte<br />

er sich stumm bei Allison bedankt. Als sie in ihre eigene Zelle zurück gebracht worden war,<br />

sank er auf die Liege und dachte über seine Paranoia nach. Immer wieder trank er kleine<br />

Schlucke Wasser. Einige Zeit geschah nichts. Man ließ sie in Ruhe. Offensichtlich gehörte es<br />

zur Taktik dieser Leute, angeschlagenen Gefangenen die Möglichkeit zu geben, sich zu er-<br />

holen. Jake und Mulder nutzten die Zeit, um sich auszuruhen und sich von dem<br />

Durchstandenen zu erholen. Eine Lautsprecherstimme riss alle Gefangenen schließlich aus dem<br />

gelangweilten Halbschlaf: „1, 2, 3, 4, 12, 13, 15, 16.“ Erstaunt darüber, dass diesmal alle<br />

Männer gleichzeitig aufgerufen wurden, traten die Genannten zögernd an ihre Zellentüren.<br />

Etliche Wachen erschienen, fesselten die Gefangenen und führten sie ab. „Eine reine Männer-<br />

runde. Da steht wohl ein Kneipenbesuch auf dem Programm oder ein Besuch im Striptease-<br />

club?“, witzelte Sawyer und wurde sofort durch den scharfen Befehl: „Keine Unterhaltungen.“,<br />

gestoppt. <strong>Die</strong> Männer wurden wieder einmal durch lange Gänge geführt und vor zwei neben-<br />

einander liegenden Türen angehalten. Nun ertönte die Ansage: „1, 2, 3 und 16 nach links, der<br />

Rest nach rechts.“ „Dass die anderen Clowns in die Restgruppe gehören, überrascht <strong>mich</strong><br />

nicht, aber ich habe eindeutig einen Platz in der Alpha Gruppe verdient.“ Sawyer konnte ein-<br />

fach nicht kommentarlos eintreten. Das wäre wider seine Natur gewesen.<br />

<strong>Die</strong> linke Tür wurde geöffnet und Booth, Sawyer, Jake und Gibbs verschwanden<br />

dahinter. Nun öffnete sich auch die rechte Tür und Locke, Mulder und Gil traten ein. Etwas<br />

zögernd folgte House ihnen. Das erste, was er bemerkte, war eine Glaswand, die den Raum<br />

teilte und den Blick auf die andere Gruppe im Nebenraum gestattete. An der Stirnwand des<br />

Raumes sah Greg eine schwere Eisentür. <strong>Die</strong> einzige Einrichtung bestand aus einem runden<br />

Tisch mit vier Stühlen, so dass jeder den Monitor sehen konnte, der auf diesem stand. <strong>Die</strong> ver-<br />

schlossene Tür war mit einem großen Rad versehen, wie in alten Filmen an Tresoren. Neben<br />

der Tür befand sich ein Schaltkasten mit Tasten, mit denen man eine Zahlenkombination ein-<br />

81


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geben konnte. Bevor die Männer Gelegenheit hatten, ihre Vermutungen über den Zweck dieser<br />

Apparatur auszutauschen, ertönte die nächste Lautsprecherdurchsage: „Hinter dieser Tür be-<br />

finden sich Gutscheine für Belohnungen für jeden von euch und eine Person eurer Wahl. Es<br />

gibt zwei Möglichkeiten, die Tür zu öffnen. Einmal durch Drehen des Rades, zum anderen<br />

durch Eingabe der korrekten, zehnstelligen Zahlenkombination. <strong>Die</strong> richtigen Zahlen könnt ihr<br />

dadurch Ermitteln, dass ihr die zehn Fragen, die ihr auf dem Monitor sehen werdet, richtig be-<br />

antwortet. Für jede beantwortete Frage bekommt ihr eine Zahl, ob es die richtige ist, hängt von<br />

der Richtigkeit eurer Antwort ab. Wenn ihr alle zehn Zahlen habt, könnt ihr sie mit den<br />

Zifferntasten neben der Tür eingeben. Ist die Kombination richtig, geht die Tür auf. <strong>Die</strong> andere<br />

Gruppe hat die gleiche Aufgabe. Nur die Gruppe, die zuerst in dem Raum ist, erhält die Be-<br />

lohnungskarten.“<br />

Kaum war die Ansage verklungen, stürzte Jake entschlossen auf das Rad zu. „So<br />

schwer kann das nicht sein. Das Ding ist groß genug, dass wir zu zweit drehen können. Fass<br />

doch mal einer mit an. Dann ist das in einer Minute erledigt.“ Booth war sofort an seiner Seite<br />

und griff entschlossen zu. <strong>Die</strong> Beiden drehten mit aller Kraft, aber nach einer Minute hatte das<br />

Rad sich gerade ein paar Millimeter bewegt und Jake und Booth wirkten völlig erschöpft.<br />

Sawyers Geduld war am Ende. Er trat hinter Booth und sagte großspurig: „Lass mal einen<br />

richtigen Kerl ran, Maximus.“ Sofort trat Booth einen Schritt zurück, Jake machte ebenfalls<br />

Platz. „Na dann zeig mal, ob hinter deiner großen Klappe auch etwas Kraft steckt.“, forderte<br />

Jake ihn heraus. Das ließ Sawyer sich nicht zweimal sagen. „Willst du mit anpacken oder nur<br />

blöd rum stehen, Columbo?“, wandte er sich an Gibbs. <strong>Die</strong>ser brauchte keine weitere Ein-<br />

ladung und fasste entschlossen mit zu. Nur zu schnell mussten die Beiden feststellen, dass sie<br />

auch nicht mehr erreichten als Jake und Booth. „Gar nicht so einfach, wie es aussieht, was?“,<br />

kommentierte Seeley trocken. „Zeit, zu Plan b überzugehen.“, entgegnete Gibbs und ließ sich<br />

vor dem Computer nieder. „Welcher Dichter legte einer seiner Figuren folgende Worte in den<br />

Mund: Das also war des Pudels Kern?“ „So ein Schwachsinn. Wer soll denn so was wissen?“,<br />

empörte sich Booth. „Jemand, der liest, Quantico. Johann Wolfgang von Goethe, in seinem<br />

Faust.“, entgegnete Sawyer triumphierend. Seine Gruppenmitglieder starrten den Südstaatler<br />

verblüfft an. „Das letzte, was ich von dir erwartet hätte, ist, dass du ein Bücherwurm bist.“ Jake<br />

klang mehr als verwundert. „Ich bin ein vielschichtiger Typ, Cowboy.“, grinste Sawyer sieges-<br />

gewiss. Gibbs gab die Antwort ein und notierte die Nummer 3. „Lass mal sehen, ob du bei<br />

allen Fragen so gut bist.“ „Welcher Philosoph sinnierte über Menschliches, allzu mensch-<br />

liches?“ Sawyer dachte einen Moment nach und antwortete dann: „Nietzsche.“ „Bist du<br />

sicher?“ fragte Booth. „So gut wie.“, entgegnete Sawyer und Gibbs gab die Antwort ein. <strong>Die</strong> 7<br />

wurde notiert. Gibbs las die nächste Frage vor: „Was ist der wissenschaftliche Name der<br />

Pflanzengattung Zwergmispel?“ <strong>Die</strong> Männer tauschten ratlose Blicke. Erwartungsvoll ruhten<br />

82


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

alle Augen auf Sawyer. „Ehrlich Männer, haltet ihr <strong>mich</strong> jetzt für allwissend? Von diesem<br />

Schwachsinn habe ich nicht die geringste Ahnung.“ Gibbs drückte Enter, um zur nächsten<br />

Frage überzugehen. Er überlegte laut: „Wenn wir nur diese Frage falsch haben, bleiben nur 9<br />

mögliche Kombinationen, die haben wir schnell durch probiert.“ Er las weiter: „Welche beiden<br />

Erzengel werden in der Bibel namentlich erwähnt?“ <strong>Die</strong>smal antwortete Booth sofort:<br />

„Michael und Gabriel.“ „So kann man sich irren. Dich hätte ich nun wirklich nicht für einen<br />

Kirchgänger gehalten.“, bemerkte Sawyer amüsiert. „Nicht nur du bist ein vielschichtiger<br />

Typ.“, entgegnete Booth grinsend. Gibbs schrieb die 9 auf.<br />

„Welcher Wissenschaftler betätigte eine Glocke, damit Hunde zu sabbern anfingen?“<br />

„Was soll denn der Schwachsinn schon wieder?“, stöhnte Jake genervt. „Ich bin dafür, dass wir<br />

es noch mal mit dem Rad versuchen. Wir sind vier kräftige Kerle, das muss doch gehen.“ „Das<br />

ist erst die zweite Frage, die wir nicht wissen. Wenn wir die anderen wissen, haben wir 81<br />

Möglichkeiten. Wie ich das sehe, geht das immer noch schneller als diese verdammte Tür<br />

manuell zu öffnen.“ Jake kommentierte Gibbs´ Aussage mit einem Seufzen und verdrehte die<br />

Augen. „Wie heißt die Figur von William Shakespeare, dessen letzte Worte lauteten: Der Rest<br />

ist Schweigen?“ „Hamlet.“ Schnell und sicher kam Sawyers Antwort und Gibbs zögerte nicht,<br />

diese einzugeben. Nummer 4 wurde notiert. „Wie heißt die Schauspielerin der Figur ‘Carly‘,<br />

mit der sich der Bodybuilder Zeke in dem Thriller ‘Sliver‘ vergnügte?“ Froh, auch endlich<br />

etwas beitragen zu können, antwortete Jake: „Sharon Stone.“ Gibbs schrieb Nummer 2 auf.<br />

„Den hast du doch gesehen, bevor du deine keusche Freundin kennen gelernt hast. Mit ihr<br />

guckst du bestimmt nur künstlerisch wertvolle Filme mit hässlichen Frauen und Untertiteln.“<br />

Sawyer grinste. Jake machte Anstalten, auf ihn loszugehen, wurde aber von Seeley fest-<br />

gehalten. „Komm, Kumpel, das ist es nicht wert und wir haben Wichtigeres zu tun.“ Sichtlich<br />

gereizt knurrte Gibbs: „Wenn ihr endlich damit fertig seid, euer Revier zu markieren, können<br />

wir vielleicht zur nächsten Frage übergehen.“ „Wie heißt die indische Glaubensgruppe, deren<br />

Männer ein Schwert und ungeschnittenes Haar tragen?“ Sawyers ironische Antwort kam<br />

prompt: „Samurai.“ „Bist du sicher, Mann?“, fragte Booth mit milder Skepsis. Eigentlich ver-<br />

traute er Sawyer inzwischen, aber diese Antwort kam ihm doch etwas merkwürdig vor. „Klar,<br />

Hoover, und Napoleon war der Kaiser von China. Ich hab´ keine Ahnung, okay?“ „Das war„s<br />

dann wohl, 729 Möglichkeiten.“, kommentierte Jake trocken. „Können wir endlich mit diesem<br />

Schwachsinn aufhören und die Tür auf meine Art öffnen?“ Sawyer und Jake wandten sich<br />

wieder dem Rad zu, während Gibbs einen Blick in den Nebenraum warf, wo die vier anderen<br />

Männer immer noch um den Computermonitor herum saßen und in eine lebhafte Unterhaltung<br />

vertieft zu sein schienen.<br />

*****<br />

83


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gil sah durch die Scheibe zu, wie Jake und Booth sich ohne erkennbaren Erfolg mit<br />

dem Rad mühten und nach einer Minute aufgaben. „Wenn die Beiden das nicht schaffen,<br />

brauchen wir es gar nicht erst versuchen und sollten uns lieber auf unseren Verstand ver-<br />

lassen.“, sagte er. Nach allgemeiner Zustimmung versammelten sich die Männer um den<br />

Tisch, an dem House sich bereits die Herrschaft über die Tastatur gesichert hatte. Er las die<br />

erste Frage vor: „Welcher Dichter legte einer seiner Figuren die Worte in den Mund: Das<br />

also war des Pudels Kern?“ Zur allgemeinen <strong>Über</strong>raschung war es der unauffällige John<br />

Locke, der prompt antwortete: „Goethe.“ „Bist du sicher?“, fragte Gil. „Ja, ich habe viel Zeit<br />

und ich lese gern.“, kam die ruhige Antwort, die so überzeugend wirkte, dass House sie ohne<br />

zu Zögern eingab und die Nummer 3 notierte. „Welcher Philosoph sinnierte über Mensch-<br />

liches, allzu Menschliches?“ „Nietzsche.“, antwortete wieder Locke und House zögerte nicht,<br />

die Antwort einzugeben und die 7 aufzuschreiben. „Was ist der wissenschaftliche Name der<br />

Pflanzengattung Zwergmispel?“ <strong>Die</strong>smal antwortete Gil wie aus der Pistole geschossen:<br />

„Cotoneaster.“ „Warum überrascht es <strong>mich</strong> nicht, dass du das weißt?“, sagte House, nachdem<br />

er die Antwort eingetippt und die 1 eingetragen hatte. „Hast du eigentlich auch ein Leben?“<br />

„Ich mag meinen Beruf und bin auch mit meinem Privatleben sehr zufrieden.“, entgegnete<br />

Gil, obwohl er nicht danach aussah. Er dachte an Sara und fragte sich, ob er jemals die Ge-<br />

legenheit bekommen würde, mit ihr über das zu sprechen, was beim Lügendetektortest vor-<br />

gefallen war.<br />

„Welche beiden Erzengel werden namentlich in der Bibel erwähnt?“, las House jetzt<br />

vor. Wieder war es Gil, der prompt antwortete: „Michael und Gabriel.“ <strong>Die</strong> 9 wurde ein-<br />

getragen, bevor Greg zynisch kommentierte: „Es spricht nicht gerade für deine Freundin, dass<br />

du die Zeit, die du nicht mit Spinnen oder Pflanzen verbringst, lieber in der Kirche als in<br />

ihrem Bett verbringst.“ Gil dachte nicht daran, den Diagnostiker einer Antwort zu würdigen.<br />

„Welcher Wissenschaftler betätigte eine Glocke, um Hunde zum Sabbern zu bringen?“<br />

„Pawlow.“, antwortete diesmal Mulder ohne zu Zögern. „Genau so siehst du aus, wie einer,<br />

der sich auch für sabbernde Hunde interessiert.“, war Gregs Kommentar und er notierte die 6.<br />

„Ich habe kein besonderes Interesse an Hunden, habe aber im Psychologiestudium etwas über<br />

Lerntheorien erfahren.“, antwortete Mulder ruhig. „Wie heißt die Figur von William<br />

Shakespeare, dessen letzte Worte waren: Der Rest ist Schweigen?“ „Hamlet.“, kam die<br />

Antwort zweistimmig von Mulder und Locke. <strong>Die</strong> 4 wurde hinzugefügt. „Wie heißt die<br />

Schauspielerin der ‘Carly‘, mit der sich der Bodybuilder Zeke in dem Thriller ‘Sliver‘ ver-<br />

gnügte?“ „Sharon Stone.“ House tippte schon und trug die 2 ein. „Mir gefiel sie in Basic<br />

Instinct besser, besonders in der Szene, in der sie im Minikleid und ohne Slip zum Verhör<br />

erschienen ist.“ „Jetzt wissen wir auch, womit du deine Freizeit verbringst.“, setzte Gil den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

überfälligen Gegenschlag. „Es soll Männer geben, die eine leicht bekleidete, sexy Frau einer<br />

Spinne vorziehen.“ „Wie heißt die indische Glaubensgruppe, deren Männer ein Schwert und<br />

ungeschnittenes Haar tragen?“ House überraschte seine Mitstreiter, indem er auch diese<br />

Frage selbst beantwortete: „Sikhs.“ <strong>Die</strong> 8 wurde hinzugefügt. „An welchem Wochentag wurde<br />

sowohl Abraham Lincoln als auch John F. Kennedy erschossen?“ „Ist es etwa das, was diese<br />

Psychopathen unter Allgemeinbildung verstehen?“, fragte House sichtlich entnervt. „<strong>Die</strong><br />

Antwort lautet, an einem Freitag. Es gibt Theorien, die dahinter ein Komplott sehen dass von<br />

den Freimaurern eingefädelt wurde.“, erwiderte Mulder ruhig. „Bist du sicher, dass du dein<br />

Fachwissen nicht als Patient einer psychiatrischen Anstalt erworben hast?“, kommentierte<br />

House und trug die 5 ein.<br />

<strong>Die</strong> nächste Frage überraschte die Männer. Alle anderen Fragen waren Wissensfragen<br />

gewesen, diese war eine Denk-Frage. „Man hat 4 Karten: D, A, 4 und 7. <strong>Die</strong> Hypothese<br />

lautet: Wenn auf der einen Seite ein Konsonant steht, steht auf der anderen eine gerade Zahl.<br />

Welche Karten müssen umgedreht werden, um diese Hypothese zu überprüfen?“ „<strong>Die</strong> nahe-<br />

liegendste Antwort wäre D und 4, aber so einfach kann es nicht sein.“, kommentierte Gil. „4<br />

ist Schwachsinn.“, meinte House sofort. „Dass hinter einem Konsonanten eine gerade Zahl<br />

stehen muss heißt nicht, dass hinter einer geraden Zahl auch ein Konsonant stehen muss.“<br />

„Das ist schlüssig.“, stimmte Gil zu. „Das D muss aber auf jeden Fall umgedreht werden um<br />

die Hypothese zu überprüfen.“ „<strong>Die</strong> Lösung ist D und 7.“, erklärte House ungeduldig und<br />

wollte die Zahlen schon eingeben, als er von Locke gestoppt wurde. Er warf einen Blick<br />

durch die Glasscheibe und sagte: „<strong>Die</strong> Herren da drüben haben die Tür erst weniger Zenti-<br />

meter geöffnet. Uns bleibt genug Zeit diese Frage auszudiskutieren, bis wir alle sicher sind,<br />

dass unsere Antwort richtig ist.“ Gil schaltete sich wieder ein. „Es besteht kein Grund, bei der<br />

Antwort auf diese Frage übertrieben vorsichtig zu sein. Wir sind uns sicher, dass unsere<br />

anderen Antworten richtig sind. Es geht wahrscheinlich schneller, die 9 verbleibenden<br />

Möglichkeiten auszuprobieren als diese Frage auszudiskutieren.“ Mulder erklärte geduldig.<br />

„Woher willst du wissen, ob wir mehrere Versuche haben? Das würde nicht zu unseren Gast-<br />

gebern passen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass nach der ersten Eingabe der Kontakt<br />

unterbrochen wird.“ „… oder die Tür explodiert.“, fügte House ironisch hinzu. „Mulder hat<br />

Recht. Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.“, stimmte Locke zu. House war entnervt.<br />

Er wollte dieses dämliche Spiel hinter sich bringen. „Wir gehen kein Risiko ein, meine<br />

Antwort ist richtig.“, erklärte er von sich überzeugt. „Würde es dir etwas ausmachen, die<br />

<strong>Über</strong>legungen, die dich zu diesem Schluss gebracht haben mit uns zu teilen?“, fragte Gil jetzt.<br />

„Wenn hinter der 7 ein Konsonant steht ist die Regel verletzt, klar?“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Er hat Recht.“, stimmte Mulder leise zu. „Hinter der 7 darf kein Konsonant stehen,<br />

weil hinter Konsonanten nur gerade Zahlen stehen dürfen. Und was hinter der 4 steht ist egal.<br />

Entweder ist es ein Konsonant, dann wäre das ein Indiz für die Gültigkeit der Regel. Oder es<br />

ist ein Vokal. Darüber, was hinter Vokalen stehen muss wurde nichts gesagt. Deswegen muss<br />

weder die 4 noch das A umgedreht werden.“ Während Mulder noch erklärt hatte, hatte House<br />

die Antwort unbemerkt von seinen Teammitgliedern eingegeben und sich die 2 notiert. <strong>Die</strong><br />

anderen sahen ihn missbilligend an, sagten aber nichts, weil mittlerweile alle von der Logik<br />

seiner Antwort überzeugt waren. House humpelte zur Tür hinüber und um den Code einzu-<br />

geben, nicht, ohne noch einmal einen zufriedenen Blick in den Nebenraum geworfen zu<br />

haben, in dem sich im Moment Booth und Sawyer mit der höchstens fünf Zentimeter weit<br />

geöffneten Tür abmühten. Sein Blick traf den von Jake, der auch gerade zu ihnen rüber sah<br />

und House machte das Victory Zeichen. Jake warf ihm einen finsteren Blick zu. House gab<br />

den Code ein und die Tür öffnete sich tatsächlich. „Sesam öffne dich.“, sagte der Diagnostiker<br />

triumphierend.<br />

In dem kleinen Raum stand ebenfalls ein Tisch mit vier Stühlen. Auf dem Tisch lagen<br />

vier Briefumschläge. „Zeit zum Geschenke auspacken.“, verkündete House und setzte sich.<br />

<strong>Die</strong> anderen Männer folgten ihm und setzten sich ebenfalls. Jeder nahm einen der Umschläge<br />

zur Hand und öffnete ihn. „Wahlweise italienisches oder chinesisches Büffet für dich und eine<br />

Person deiner Wahl.“, las House vor. „Dafür hat es sich beinahe gelohnt, dreißig Minuten mit<br />

euch Idioten fest zu sitzen.“ „Nicht so schnell.“, schaltete Gil sich ein. „Nur weil du zufällig<br />

diesen Umschlag geöffnet hast, heißt das nicht, dass diese Belohnung automatisch dir gehört.<br />

Wir sollten erst alle Umschläge öffnen und uns dann einigen, wer was bekommt.“ „Das sehe<br />

ich anders. Ohne <strong>mich</strong> würdet ihr immer noch über die letzte Frage grübeln und darüber dis-<br />

kutieren ob euch der Himmel auf den Kopf fallen wird, wenn ihr den Code falsch eingebt.“,<br />

konterte House. „Außerdem bist du derjenige, dem unsere Zwangsdiät am besten bekommen<br />

wird.“ „Gil hast Recht.“, schaltete sich jetzt Locke ein. „Wir sollten erst alle Umschläge<br />

öffnen und dann diskutieren. Was hast du?“, fragte er jetzt Gil. „Einen Gutschein für einen<br />

Kino-Abend zu zweit.“ Grissom klang wenig begeistert. „Wenn du den nicht willst, tausche<br />

ich gern.“, bot Mulder an. „Mit meinem Gutschein kann man selbst und eine Person seiner<br />

Wahl eine Woche lang Bücher mit in die Zellen nehmen. Ich bin mehr der Filmtyp.“ Kein<br />

anderer zeigte ausgesprochenes Interesse an dem Kino-Gutschein, als wurde er Mulder ge-<br />

reicht. „Was hast du?“, frage er Locke. „Einen Gutschein für einen Nachmittag zu zweit im<br />

Sportzentrum, mit Gymnastikraum, Schwimmbad, Whirlpool und Dampfbad. Klingt nicht<br />

schlecht, allerdings würde ich den Buchgutschein bevorzugen. Es kann ziemlich langweilig<br />

werden in den Zellen.“ „Ja, das stimmt.“, stimmte Gil zu. „Trotzdem wäre mir ein gutes Essen<br />

ehrlich gesagt lieber.“ „Fassen wir zusammen.“, schaltete Mulder sich ein. Er hatte was er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wollte und versuchte zu vermitteln. „Locke hätte gern den Buchgutschein und House und Gil<br />

wollen das Essen. Übrig ist das Sportzentrum.“ „Geniale Beobachtungsgabe. Dich könnte ich<br />

in meinem Team gebrauchen, Einstein.“, erklärte House ironisch. Mulder grinste ungerührt.<br />

„An deiner Stelle würde ich das Sportzentrum bevorzugen.“ House zog die Augenbraue hoch<br />

und deutete auf sein Bein. „Oh, ich spreche nicht von den Geräten. Es wurde doch auch ein<br />

Schwimmbad, eine Sauna und ein Whirlpool erwähnt, richtig? Gewöhnlich trägt man an allen<br />

drei Orten nicht allzu viel. Und der Gutschein gilt für Zwei. Ich bin zwar in festen Händen,<br />

aber nicht blind…“ House sah den jüngeren Mann interessiert an. Dann reichte er Gil<br />

kommentarlos den Essensgutschein und streckte die Hand nach Lockes Gutschein aus. <strong>Die</strong>ser<br />

gab ihn bereitwillig ab und nahm von Gil den Buchgutschein entgegen.<br />

In dem zweiten Raum sahen die vier anderen Männer mehr oder weniger frustriert zu,<br />

wie ihre Kontrahenten hinter der schweren Eisentür verschwanden. „Wenn wir es gleich auf<br />

meine Art versucht hätten, hätten wir die Tür vielleicht inzwischen auch auf.“, schimpfte<br />

Jake. „Das glaubst du doch nicht ernsthaft?“, erwiderte Sawyer sarkastisch. „Aber wenn einer<br />

von euch auch etwas zur Lösung der Aufgaben beizutragen gehabt hätte, wäre das hilfreich<br />

gewesen.“ „Genauso hilfreich wäre es gewesen, wenn ihr beide euch auf die Aufgabe<br />

konzentriert hättet, statt auf eure Revierkämpfe.“ „Revierkämpfe?“, frage Sawyer amüsiert.<br />

„Du verbringst entschieden zu viel Zeit mit deiner Anthropologen-Freundin.“ Bevor Booth<br />

Zeit hatte, sich eine Antwort zu überlegen wurden die Nummern der vier Männer aufgerufen<br />

und sie wurden zurück in ihre Zellen geführt.<br />

Ausnahmsweise war den Gefangenen nicht untersagt worden, über die gerade voll-<br />

endete Aufgabe zu sprechen. So hob Mulder den Daumen, als er den Kerker betrat und rief<br />

Dana strahlend zu: „Hey, Scully, wir haben einen ganzen Abend ohne Langeweile gewonnen.<br />

Wir dürfen Filme unserer Wahl gucken.“ „Na großartig, eine bessere Option gab es nicht?“<br />

Scully hatte die Filmbegeisterung ihres Partners nie so recht teilen können. In der gegen-<br />

wärtigen Lage war allerdings jede Abwechslung willkommen. <strong>Die</strong> Monotonie, der die Ge-<br />

fangenen über weite Strecken ausgesetzt waren, wurde mit jedem Tag belastender für die<br />

Agentin, die als Workaholic das Wort Langeweile bisher nicht gekannt hatte. <strong>Die</strong>s und das<br />

strahlende Gesicht des Mannes, der gerade wieder wie ein großer Junge aussah, veranlasste<br />

die Ärztin, versöhnlich hinzuzufügen: „Naja, ein unterhaltsamer Abend hört sich sehr gut an.<br />

Es muss ja nicht gerade wieder Star Wars sein.“ Schon die Aussicht, eine Weile mit dem<br />

Mann, den sie liebte allein zu sein, erschien ihr durchaus verlockend.<br />

Spooky grinste auf seine jungenhafte Art, der sich seine Partnerin nie entziehen<br />

konnte. „Von mir aus können wir gern Love Story gucken.“ Nur zu genau wusste der Psycho-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

loge, dass seine analytisch denkende Partnerin mit Romantik nicht viel im Sinn hatte und<br />

ganz sicher keinen Liebesfilm auswählen würde. Dana musste tatsächlich lachen, dieser un-<br />

glaubliche Mensch schaffte es immer wieder, erheblich mehr Gefühlsäußerungen aus ihr<br />

heraus zu kitzeln, als es ihrer Art entsprach. Schon dafür, dass er sie in den unmöglichsten<br />

Situationen zum Lachen bringen konnte, liebte Dana den exzentrischen Kollegen. „Heißt das,<br />

ich darf wählen? Du bist überaus großzügig.“ Mulder hatte ein wahnsinnig schlechtes Ge-<br />

wissen, weil seine Alienbegeisterung letztlich der Grund war, warum sich die geliebte Frau in<br />

dieser unangenehmen Lage befand. Das würde er aber auf keinen Fall vor den Mitgefangenen<br />

zugeben. Was auch immer er tun konnte, um Dana Erleichterung zukommen zu lassen, er<br />

würde es tun. „Das könnte dir so passen, Scully. Mehr als zwei Filme werden wir nicht<br />

schaffen, also schlage ich vor, jeder wählt einen, einverstanden?“<br />

Dana überlegte kurz. „Einverstanden. Ich möchte die Unheimliche Begegnung der<br />

dritten Art.“ Mulder gab sich Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie gerührt er darüber<br />

war, dass seine Partnerin einen seiner absoluten Lieblingsfilme ausgesucht hatte. Fieberhaft<br />

überlegte er, welchen Film Dana besonders mochte. Sie war nicht gerade ein Filmfreak,<br />

mochte anspruchsvolle Filme oder zum Entspannen nach besonders stressigen Tagen<br />

Komödien. Ihr Lieblingsschauspieler war Dustin Hoffman, in der jetzigen Situation Rain Man<br />

zu schwere Kost. Mulder entschied sich für Exorzist, er wusste, dies war einer von Danas<br />

absoluten Lieblingsfilmen, und ihr Lächeln zeigte ihm, dass er gut gewählt hatte. Offenbar<br />

waren beide Filme vorrätig, denn es dauerte nicht lange, bis das Paar in einen kleinen Kino-<br />

saal gebracht wurde, nachdem Mulder ihre Entscheidung bekannt gegeben hatte.<br />

Zunächst waren beide weniger an den Filmen als an ihrem ersten Beisammensein seit<br />

der Entführung interessiert. Der FBI Mann schloss seine Freundin unendlich erleichtert in die<br />

Arme, sobald sie allein waren. Scully leistete sich einen schwachen Moment, in dem sie sich<br />

in die tröstliche Umarmung fallen ließ. „Es tut mir so leid, Dana, nur wegen meiner UFO-<br />

Besessenheit bist du in diese beschissene Lage geraten.“, klagte Spooky sich an. „Jetzt mach<br />

aber mal einen Punkt.“, erwiderte Dana. „<strong>Die</strong>se Leute wissen genau, was sie wollen. Aus<br />

irgendeinem Grund wollten die uns. <strong>Die</strong> hätten uns zu jeder anderen Zeit an einem anderen<br />

Ort entführt, wenn wir nicht diesen Flug genommen hätten.“ Es war nicht nur Scullys ana-<br />

lytischer Verstand, sondern auch ihre Liebe zu diesem Mann, der zwar oft wie ein großer<br />

Junge wirkte, aber absolut fähig und unbedingt loyal war, der Dana diese Worte eingab. Was<br />

interessierte sie, welcher Film gerade lief. <strong>Die</strong>se Unbekannten, in deren Gewalt sie sich be-<br />

fanden, waren absolut skrupellos. Gut möglich, dass sie nicht lebend da raus kamen und dies<br />

die letzte Gelegenheit sein würde, zusammen zu sein. Fox kannte die manchmal etwas spröde<br />

und kühl wirkende Partnerin vielleicht besser als jeder andere Mensch, abgesehen von ihrem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verstorbenen Vater. Er sah die Angst in ihren Augen, die sie nicht einmal sich selbst ein-<br />

gestehen würde. Er schob sie gerade so weit weg, dass er ihr in die Augen sehen konnte. Leise<br />

sagte Scully: „Mulder, ich habe Angst, dass William etwas zustoßen könnte.“<br />

„Dana, wir kommen hier raus. Wir haben schon so viel durchgemacht, das schaffen<br />

wir auch. Skinner setzt garantiert Himmel und Hölle in Bewegung, um uns zu finden und<br />

einige der <strong>Anderen</strong> haben auch Kontakte, die alle Hebel in Bewegung setzen, um uns aus-<br />

findig zu machen. Wir müssen einfach nur eine kleine Weile durchhalten und versuchen, uns<br />

so unauffällig wie möglich zu verhalten, um uns keine Sanktionen einzuhandeln. Dann<br />

kommen wir unbeschadet hier raus. Und sollte deine Mutter irgendetwas bemerken, dass nicht<br />

in die Nähe ihres Enkelkindes gehört, wird sie zur Furie. Nicht einmal Kryzcek würde sich<br />

dann an sie heran trauen.“ Scully hoffte so sehr, dass er Recht hatte, also entspannte sie sich,<br />

so gut es ging und genoss eng an ihren Gefährten geschmiegt die Filme so gut es ging.<br />

Ruhig wie immer hatte John Locke verfolgt, wie der FBI Agent mit seiner Partnerin<br />

Absprach, welche Filme sie sehen wollten. Das Kontingent an Filmen schien recht umfang-<br />

reich zu sein, das ließ Rückschlüsse auf die Bibliothek zu. Außerdem waren Absprachen<br />

offensichtlich erlaubt. Also wandte er sich an die junge Lehrerin, von der er am ehesten an-<br />

nahm, dass sie Bücher genauso schmerzlich vermisste wie er. „Heather, nicht wahr? Ich kann<br />

mir und dir eine Woche lang Bücher verschaffen. Welche möchtest du am liebsten?“ <strong>Die</strong><br />

junge Frau war ebenso verblüfft wie erfreut, dass der schweigsame ältere Herr seine Be-<br />

lohnung mit ihr teilen wollte. Bücher reizten sie sehr. Wie viele würde sie in einer Woche<br />

schaffen? Je nach Dicke las sie in einer Urlaubswoche mit Leichtigkeit drei bis vier Bücher.<br />

Hier hatte sie nichts zu tun, würde eher mehr schaffen. Das erste, was ihr einfiel, war die<br />

schmerzlich vermisste Bibel, in der sie gewohnt war, täglich zu lesen. Was noch? Technik<br />

oder Naturwissenschaften würden ihr hier nicht helfen, also eher geliebte, vertraute Bücher,<br />

die ihr ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln konnten. Bücher, die ihr Vater ihr vorgelesen<br />

oder später geschenkt hatte. Kinderbücher würden kaum verfügbar sein, Klassiker wahr-<br />

scheinlich. Heathers Vater hatte sie früh an anspruchsvolle Literatur heran geführt. So zählte<br />

sie auf „Hemingway, Der alte Mann und das Meer. Shakespeare, Hamlet, König Lear,<br />

Richard der Dritte, Othello.“ Locke lächelte anerkennend. Bis auf die Bibel mochte er die<br />

Auswahl auch, würde sie aber selbstverständlich der zarten jungen Frau überlassen, die seinen<br />

Beschützerinstinkt deutlicher weckte als die anderen Gefangenen. „Bekommst du, kein<br />

Problem.“, antwortete er väterlich. „Ich nehme alles, was an philosophischen Werken verfüg-<br />

bar ist, am liebsten Sartre und Nietzsche.“ Eine halbe Stunde später störte ihn und Heather das<br />

Rotlicht nicht mehr.<br />

89


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sara hatte beobachtet, wie die drei anderen Paare abgeholt worden waren um ihre Be-<br />

lohnungen zu erhalten. Sie sah zu Gil rüber. Würde seine Belohnung bedeuten, dass sie Zeit<br />

mit ihm allein verbringen könnte? Würde er das nach dem, was beim Lügendetektortest<br />

passiert war, überhaupt wollen? Ihre Frage wurde beantwortet, als ihre und Gils Nummern<br />

aufgerufen wurden und vier Wachen sie durch die Tür aus dem Zellentrakt führten. Sara und<br />

Gil schwiegen den ganzen Weg und vermieden es, einander anzusehen. Was Sara in dem<br />

Raum, in den sie geführt wurden, sah, überraschte sie. In der Mitte des Raumes stand ein für<br />

zwei Personen gedeckter Tisch. Auf der Stirnseite des Raumes erkannte Sara eine lange<br />

Theke, auf der viele Warmhalte-Behälter standen. Am Ende der Theke war ein Schild auf-<br />

gestellt worden, das Sara überflog.<br />

Suppen<br />

Chop-Suey vegetarisch<br />

Fuyung-Suppe vegetarisch - mit Sojasprossen gebackenes Rührei<br />

Peking-Suppe, sauer-scharf<br />

Vorspeisen<br />

Frühlingsrolle vegetarisch<br />

Satee - Spieß: Lamm-, Huhn- oder Schweinefleisch mit Erdnuss-Soße<br />

Krabbenbrot<br />

Hauptgerichte<br />

Schweinefleisch mit Paprika, Bambusstreifen, pikant<br />

Rindfleisch mit aromatischen Tongu-Pilzen & Bambus<br />

Geröstete Rindfleischstreifen mit Möhren & Sellerie, scharf<br />

Hühnerbrust mit Tongu-Pilzen & Bambussprossen<br />

Ente "Orange" - knusprig geröstete Ente mit Mandeln & Orange<br />

In Teighülle frittierte Fischfiletstücke mit süß-saurer Soße<br />

Vegetarische Gerichte<br />

In Eierhülle frittierter Broccoli mit Soja-Meerrettich-Soße<br />

Frittierte Auberginen<br />

Doufu Omelette - mit Sojakeimlingen, Doufu<br />

Mayishangshu: gedünstetes, feinwürziges Glasnudelgericht mit Gurken, Sellerie, Möhren<br />

Curry-Kokos-Reis mit Zuckerschoten<br />

Dessert<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gebackene Banane & Ananas<br />

„Ich hatte gehofft, dass du etwas weniger wütend sein wirst, wenn wir uns bei einem<br />

guten Essen unterhalten.“, erklärte Gil entwaffnend ehrlich, nachdem die Wachen den Raum<br />

verlassen hatten. „Wollen wir uns setzen?“, fragte er vorsichtig und Sara nickte. „Sara, es tut<br />

mir leid, dass du auf diese Art von mir und Heather erfahren musstest.“, begann Grissom, als<br />

sie sich gesetzt hatten. „Hattest du vor, mir davon zu erzählen?“, fragte Sara. Sie gab sich<br />

keine Mühe ihre Wut zu verbergen. „Nein.“, antwortete Gil ehrlich. Er sah Sara in die Augen<br />

und fuhr fort: „Was zwischen mir und ihr war, ist vor unserer Zeit gewesen. Seit ich mit dir<br />

zusammen bin habe ich keinerlei Interesse mehr an anderen Frauen.“ Sara wollte Gil glauben,<br />

aber sie war in der Vergangenheit von zu vielen Männern enttäuscht worden, um keine<br />

Zweifel an Gils Gefühlen für sie zu hegen. „Hast du sie geliebt?“<br />

Grissom zögerte. „Ich weiß es nicht. Ich war von ihr fasziniert. Mein Leben lang war<br />

ich der rationale Wissenschaftler ohne Privatleben. Sie hat mir gezeigt, dass ich auch noch<br />

eine andere Seite habe.“ „Und das konntest du mit mir nicht haben?“ Sara hatte Mühe die<br />

Tränen zurück zu halten. „Ich hatte Angst <strong>mich</strong> auf eine Beziehung mit dir einzulassen, weil<br />

du mir schon damals viel mehr bedeutet hast, als je ein Mensch zuvor. Ich hatte Angst davor,<br />

dass ich irgendetwas falsch machen und dadurch unsere Beziehung ruinieren würde. Ich habe<br />

befürchtet, dass du dann kündigen und wegziehen würdest. Ich wollte dich nicht als Freundin<br />

verlieren, weil ich mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen kann.“ Sara hatte den<br />

Kampf gegen die Tränen verloren. Gil trat hinter ihren Stuhl und legte ihr sanft eine Hand auf<br />

die Schulter. Sara stand auf und ließ es zu, dass Gil sie in seine Arme zog. Er küsste ihre Stirn<br />

und streichelte zärtlich ihren nackten Rücken. „Ich liebe dich.“, sagte er leise, aber deutlich.<br />

Sara sah überrascht auf. „Das hast du noch nie zu mir gesagt.“ „Das habe ich noch nie zu<br />

irgendjemandem gesagt.“, korrigierte Gil. Sara lächelte. Dass sie die einzige Frau war, die<br />

diese Worte jemals aus Gil Grissoms Mund gehört hatte, erfüllte Sara mit Stolz. „Ich liebe<br />

dich auch.“, erwiderte sie und küsste Gil zärtlich. Schließlich löste Sara sich aus Grissoms<br />

Umarmung. Es gab noch etwas, das sie ihn fragen musste. „Gil, du hast gesagt, dass du mit<br />

dieser Frau Dinge getan hast, die wir nie probiert haben. Warum hast du mir nie von deinen<br />

Wünschen erzählt?“ Gil zögerte. Er wusste nicht, wie viel er Sara erzählen sollte. Schließlich<br />

erklärte er: „Bei den Dingen, die ich mit Heather ausprobiert habe, ging es um Vertrauen,<br />

darum, sich fallen zu lassen. Mit dir brauche ich dafür keine ungewöhnlichen Praktiken. Ich<br />

weiß, dass ich dir vertrauen kann und mit dir habe ich kein Problem damit, <strong>mich</strong> fallen zu<br />

lassen. Glaube mir bitte, kein Nacht, die ich mit Heather oder irgendeiner anderen Frau ver-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bracht habe, habe ich je so genossen, wie jede Nacht mit dir.“ Sara lächelte. Sie war zufrieden<br />

mit der Antwort und sie glaubte Gil.<br />

Auch Gil musste noch eine letzte Frage loswerden. „Sara, du hast gesagt, dass du an<br />

meiner Treue gezweifelt hast. Warum? Habe ich dir jemals Grund gegeben an meinen Ge-<br />

fühlen für dich zu zweifeln?“ Sara sah Gil in die Augen. Sie konnte sehen, wie sehr ihre Aus-<br />

sage ihn verletzt hatte. „Es liegt nicht an dir, Gil. Ich war einfach schon mit zu vielen<br />

Männern zusammen, die <strong>mich</strong> betrogen haben. Und sie haben mir alle beteuert, wie sehr sie<br />

<strong>mich</strong> lieben und dass ich die einzige Frau in ihrem Leben bin.“, erklärte Sara bitter. „<strong>Die</strong>se<br />

Männer waren Idioten, Sara. Wenn sie nicht gesehen haben, dass sie keine schönere, klügere<br />

und loyalere Frau hätten finden können, hatten sie dich nicht verdient.“ Sara strahlte. Gil war<br />

kein Mann vieler Worte und er machte ihr nicht oft Komplimente. Umso mehr freute sie sich<br />

jedes Mal, wenn er es tat. Sie wusste, dass Gil niemals aus Höflichkeit ein Kompliment<br />

machen würde, dass er nicht so meinte. Sara küsste Grissom noch einmal und sagte dann:<br />

„Wir sollten essen, wer weiß, wie lange wir hier bleiben dürfen.“ Gil stimmte ihr zu und sie<br />

genossen das Büfett. Sara war angenehm überrascht, dass bei dem Büfett so viele<br />

vegetarische Sachen dabei waren. Grissoms eigenwillige Verwesungsexperimente mit<br />

Schweinen hatten ihr den Appetit auf Fleisch vor Jahren verdorben. Er selbst hatte keine der-<br />

artigen Probleme und probierte möglichst viele der leckeren Fleischgerichte.<br />

„Was war das eigentlich für eine Aufgabe, die ihr erledigen musstet? Und warum<br />

haben nur vier von euch Belohnungen gekriegt?“, fragte Sara während des Essens. Gil<br />

lächelte. Typisch Sara, sie war nie zufrieden, solange es noch ein ungelöstes Rätsel gab. „Wir<br />

wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die gegeneinander gespielt haben. <strong>Die</strong> Gruppe, die sich<br />

als erstes Zugang zum angrenzenden Raum verschaffen konnte, hat die Gutscheine be-<br />

kommen. Wir konnten wählen, ob wir eine schwergängige Tür mit Hebelkraft oder einem<br />

Zahlencode öffnen wollen. Um den Zahlencode zu kriegen mussten wir Fragen beantworten.“<br />

„Ich muss nicht lange darüber nachdenken, für welche Methode du dich entschieden hast.“,<br />

neckte Sara. „In der Beziehung waren wir uns glücklicherweise alle einig. <strong>Die</strong>ser House ist<br />

clever, wenn auch etwas schwierig im Umgang. Und Locke und Mulder wissen auch ziemlich<br />

viel.“ „Etwas schwierig im Umgang ist wohl eine ziemliche Untertreibung. Allison tut mir<br />

Leid, für den Kerl zu arbeiten kann nicht einfach sein.“ „Sie scheint gerne mit ihm zusammen<br />

zu sein.“, meinte Gil nur. „Schwer vorstellbar.“, kommentierte Sara. „Also, erzähl mir mehr<br />

über die Aufgaben. Und über die Gesichter der anderen, als ihr die Tür aufbekommen habt.“,<br />

verlangte Sara grinsend. Gil erzählte Sara alles über die Fragen und wer von ihnen sie be-<br />

antwortet hatte. Als er zu dem Teil mit der Belohnungsaufteilung kam und erzählte, wie<br />

Mulder House dazu gekriegt hatte, auf das Essen zu verzichten, lachte sie herzlich. Gil genoss<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es, Sara zum ersten Mal seit der Entführung fröhlich und unbeschwert zu sehen. Das Essen<br />

verging wie im Flug und beide waren enttäuscht als ihr ungestörtes Beisammen sein unter-<br />

brochen und sie zurück in ihre Zellen gebracht wurden.<br />

*****<br />

„Und, was bekommen wir?“, frage Cameron ihren Boss. „Wir?“, fragte House und<br />

hob die Augenbraue. „Wie kommen Sie darauf dass ich meine Belohnung mit Ihnen teile?“<br />

Cameron sah ihn überrascht und enttäuscht an. „Andererseits möchte ich nicht dafür ver-<br />

antwortlich sein, dass einer der Herren hier einen Herzinfarkt kriegt, weil ich mit seinem<br />

Mädchen im Whirlpool verschwinde. <strong>Die</strong> Israelin ist heiß, aber ich weiß nicht ob ich mit einer<br />

ausgebildeten Killerin in einem mit Dampf gefüllten Raum allein sein will. Also werden wohl<br />

wir beide zusammen schwimmen gehen.“ Cameron sah House verwirrt an. „Wir gehen<br />

schwimmen?“ „Unter anderem. <strong>Die</strong> haben hier ein Sport-Zentrum mit Whirlpool, Dampfbad<br />

und Schwimmbecken.“ Cameron Blick wechselte von besorgt zu misstrauisch. „Es gab vier<br />

Wahl-Möglichkeiten und Sie entscheiden sich für Sport?“ „Ich habe dabei nur an Sie gedacht.<br />

Sie sind aus dem Training. Wenn Sie beim nächsten Laufband-Marathon aufs Treppchen<br />

wollen, müssen Sie noch viel trainieren.“ Cameron rollte die Augen, lächelte aber. Sie freute<br />

sich auf etwas Abwechslung. House und Cameron mussten nicht lange darauf warten, ab-<br />

geholt und in das hauseigene Sportzentrum geführt zu werden. Cameron war beeindruckt.<br />

Was sie hier sah, konnte mit einem durchschnittlich großen Fitnesscenter durchaus mithalten.<br />

In dem Raum, in dem sie sich befanden gab es einen Ergometer, ein Laufband, eine<br />

Hantelbank, ein Rudergerät, einen Bauchtrainer, zwei Boxsäcke und zwei an der Decke be-<br />

festigte Seile zum Klettern. House hatte all dem nur einen flüchtigen Blick gegönnt; er war<br />

bereits im Nebenraum verschwunden. Cameron folgte ihm durch die Tür. Der größte Teil des<br />

Raumes wurde von einem Schwimmbecken eingenommen, links davon befanden sich eine<br />

Sauna und eine Infrarot-Licht Kabine, groß genug für zwei Personen. Auf der rechten Seite<br />

des Raumes befanden sich ein großer Whirlpool und zwei Solarien-Bänke. Am Ende des<br />

Raumes entdeckte Cameron zwei Umkleidekabinen. House ging auf die erste Kabine zu und<br />

öffnete den Vorhang. „Ich glaube, das ist Ihre Kabine.“ House hielt grinsend einen einfachen<br />

schwarzen Sport-Bikini hoch. Es war zwar nicht das schickste Modell, aber er war sicher,<br />

dass Cameron darin trotzdem großartig aussehen würde. Cameron ging auf House zu und griff<br />

nach dem Kleidungsstück. Ihre Hand berührte flüchtig die von House und ihr Blick blieb an<br />

seinen Augen hängen. Einen Moment verharrten die beiden in ihrer Position und sahen sich in<br />

die Augen. Dann drehte Cameron sich um und verschwand in ihrer Kabine. Als sie um-<br />

gezogen war, sah sie sich im Raum um, auf der Suche nach House. Sie musste nicht lange<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

suchen. Ihr Chef hatte es sich schon im Whirlpool gemütlich gemacht. Als sie näher trat<br />

nickte House anerkennend. „Netter Bikini. Sehr schöner Stoff, vor allem so wenig davon.“<br />

Cameron wusste nicht, ob sie wütend sein oder sich geschmeichelt fühlen sollte. Es gefiel ihr,<br />

dass House sie attraktiv fand, aber sie wollte, dass er mehr in ihr sah als ein „Kunstwerk für<br />

die Eingangshalle„, wie er es einmal so nett formuliert hatte. Während die junge Frau noch<br />

überlegte ob und wie sie auf die Bemerkung ihres Chefs antworten sollte, fragte er: „Wollen<br />

Sie mir Gesellschaft leisten?“ Cameron lächelte herausfordernd. Das Spiel konnte sie auch<br />

spielen. „Vielleicht später.“, antwortete sie vage und legte sich stattdessen auf die Solarien<br />

Bank direkt gegenüber dem Whirlpool. Sie legte sich auf den Rücken, um sicher zu stellen,<br />

dass House einen guten Blick auf ihren spärlich bekleideten Körper hatte und schloss ent-<br />

spannt die Augen.<br />

House begann daran zu zweifeln, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Er hatte<br />

Cameron einmal als „Kunstwerk für die Eingangshalle„ bezeichnet, um sie zu ärgern. Im<br />

Moment fielen ihm allerdings eine ganze Reihe von Dingen ein, die er außer ansehen gerne<br />

mit ihr machen würde. Das Lächeln auf Camerons Gesicht sagte ihm, dass sie genau diese<br />

Reaktion erhofft hatte. Ihm war klar, dass Cameron ganz und gar nicht abgeneigt war, was<br />

eine Beziehung mit ihm anging. Aber genau das war das Problem. House wollte keine Be-<br />

ziehung, seit seiner letzten – und einzigen – ernsthaften Beziehung hatte er davon genug.<br />

Einen belanglosen One-Night-Stands konnte er mit Cameron nicht haben, auch das war ihm<br />

klar. Und im Grunde wollte er das auch gar nicht, dazu bedeutete Allison ihm zu viel, auch<br />

wenn er das nie zugeben würde. Mit Cameron konnte er nur alles oder nichts haben. Und da<br />

alles auch das gesamte Risiko beinhaltete entschied er sich für nichts. House beobachtete<br />

Cameron weiterhin, achtete aber darauf nicht zu interessiert auszusehen, wenn sie zu ihm<br />

rüber sah. „Ich werde eine Runde schwimmen gehen, wollen Sie mitkommen?“, fragte<br />

Cameron schließlich, enttäuscht von seinem scheinbaren Desinteresse. „Schwimmen gehen?<br />

Sehe ich so aus als wäre ich zum Sport treiben hierhergekommen?“, antwortete House.<br />

Sichtlich enttäuscht schwamm Cameron ein paar Runden und entschied dann, die restliche<br />

Zeit, bis sie von den Wachen abgeholt würden im Nebenraum bei den Fitnessgeräten zu ver-<br />

bringen, während House sich an Whirlpool und Sauna hielt. Beide versuchten die Zeit, die<br />

man ihnen ließ so gut es ging zu genießen und die Frustration, die sie beim Gedanken an den<br />

jeweils anderen empfanden, aus ihren Köpfen zu verbannen.<br />

Ruhe vor dem Sturm<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ein Irrtum zu glauben, durch die Nichterzeugung von Lärm Ruhe produzieren<br />

zu können.<br />

Helmut Lamprecht<br />

Nachdem die Männer zurück gebracht worden waren, herrschte Friede. Zu viel Friede,<br />

wie es schien. „Nummern 7, 11, 13 und 15.“ <strong>Die</strong> genannten Nummern erhoben sich er-<br />

wartungsvoll und ließen sich die Hände auf den Rücken fesseln. Man brachte sie aus dem<br />

Kerker und führte sie durch die kahlen Flure. Sara, Grissom, Scully und Mulder wurden in<br />

einen Laborraum geführt. An beiden Seiten des Raums befanden sich je zwei kleine, schall-<br />

dichte Kabinen. <strong>Die</strong> Kabinen-Türen standen offen, sodass die vier das Innere der zirka 1 x 2<br />

Meter großen Räume sehen konnten. <strong>Die</strong> Kabinen waren in klinischem Weiß gestrichen. <strong>Die</strong><br />

einzigen Möbelstücke waren ein Bürostuhl und ein winziger Schreibtisch, auf dem ein<br />

Computer stand. „Nummer 11, Kabine 1.“ kam die knappe Anweisung an Sara. Sie warf Gil<br />

einen besorgten Blick zu und er versuchte, sie mit einem beruhigenden Lächeln aufzu-<br />

muntern. Sara erwiderte sein Lächeln halbherzig und betrat die wenig einladende Kabine.<br />

„Nummer 7, Kabine 2.“ Dana kam der Aufforderung nach und verschwand in der Kabine<br />

neben Sara. „Nummer 13, Kabine 3. Nummer 15, Kabine 4.“ Grissom und Mulder betraten<br />

die Kabinen auf der anderen Seite des Raumes und schlossen die Türen.<br />

Kurz nachdem Sara die Tür hinter sich geschlossen und auf dem Stuhl Platz ge-<br />

nommen hatte, betrat ein Mann den Raum, der ihr schweigend zwei Blätter und einen Bleistift<br />

reichte. Der erste Zettel enthielt eine kurze Instruktion. Streiche alle d’s mit zwei Strichen<br />

(entweder 2 Striche oben, zwei Striche unten oder je ein Strich oben und unten) durch. Es<br />

sollen möglichst viele Zeilen geschafft und möglichst wenig Fehler gemacht werden. Als<br />

Fehler zählt jedes ausgelassene d mit 2 Strichen und jeder falsch durchgestrichene Buch-<br />

stabe. 20 Sekunden Zeit pro Zeile. Wenn ein Pfeifton ertönt, gehe zur nächsten Zeile über.<br />

Sara sah sich nun das zweite Blatt an. Es enthielt zirka 100 Zeilen mit d‟s, b‟s und p‟s. <strong>Über</strong><br />

und unter einigen der Buchstaben waren dünne Striche zu sehen. Sara hatte das 2te Blatt<br />

kaum angesehen als aus einem über ihrem Kopf angebrachten Lautsprecher die Ansage: „An-<br />

fangen.“, kam. <strong>Die</strong> CSI Agentin nahm den Bleistift zur Hand und strich so schnell wie mög-<br />

lich alle d‟s mit zwei Strichen durch. Ihr war klar, dass sie auch diese Aufgabe ein zweites<br />

Mal machen müsste, wenn die Entführer zu dem Schluss kamen, dass sie sich nicht bemüht<br />

hatte. Nach zwanzig Sekunden kam ein Pfeifton und Sara hörte auf, die erste Zeile zu be-<br />

arbeiten und ging zur nächsten Zeile über. Nach etwa einer halben Stunde war Sara mit der<br />

stumpfsinnigen Aufgabe fertig und schob das Blatt genervt an den Rand des Schreibtisches.<br />

95


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Einen Moment später kam einer der Wachleute herein, nahm den Zettel mit und reichte Sara<br />

einen neuen Stapel Papier. Bei diesem Test schien es sich um einen Persönlichkeitstest zu<br />

handeln. - Na, klasse - dachte Sara. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Der Gedanke, ihren<br />

Entführern tiefere Einblicke in ihren Kopf zu geben, behagte der jungen Frau überhaupt nicht.<br />

Zähneknirschend griff sie erneut nach dem Bleistift und begann den Fragebogen auszufüllen.<br />

<strong>Die</strong> erste Frage lautete: „Ich habe mehr Stimmungsschwankungen als die meisten<br />

Leute, die ich kenne.“ Sara wollte auf der Skala, die von stimmt über stimmt eher und stimmt<br />

eher nicht bis zu stimmt nicht reichte, spontan verärgert stimmt nicht ankreuzen, zögerte dann<br />

aber. <strong>Die</strong> Forensikerin galt unter ihren Kollegen als schwierig und hatte auch schon einige<br />

Male gehört, wie sie von Kollegen als zickig bezeichnet worden war. Auch wenn sie selbst<br />

und auch ihr Chef und Lebensgefährte Gil Grissom das anders sahen, war an den Be-<br />

merkungen vielleicht doch etwas dran. Zähneknirschend kreuzte Sara stimmt eher an. <strong>Die</strong><br />

nächste Frage lautete: „Ich bin manchmal ärgerlich, wenn ich meinen Willen nicht bekomme.“<br />

Und diesmal kreuzte Sara ohne zu zögern stimmt an. Sie wusste, dass sie ziemlich stur sein<br />

konnte und sie war unter ihren Kollegen für ihre gelegentlichen Temperamentsausbrüche<br />

bekannt. <strong>Die</strong> nächste Frage brachte Saras Entschluss ehrlich zu antworten ins Wanken. „Wenn<br />

ich durch irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt, innerlich erregt oder aus dem<br />

Gleichgewicht gebracht worden bin, finde ich meine Ruhe immer noch schneller wieder als<br />

andere.“ Sara war sensibler als sie zugeben wollte. Häufig nahmen die Fälle, die sie be-<br />

arbeitete, sie erheblich mehr mit als ihre Kollegen. Aber das würde sie diesen Leuten nicht auf<br />

die Nase binden. Stimmt nicht kreuzte sie an. „Mich wirft so leicht nichts aus der Bahn.“<br />

Wieder log Sara und kreuzte Stimmt an. „Für einige bin ich ein unbequemer Querdenker.“<br />

Das traf wohl auf sie zu, zumindest teilweise. Aber Sara wollte das ihren Entführern gegen-<br />

über ungern zugeben. Sie würden das wahrscheinlich zu ihrem Nachteil benutzen. Sara<br />

kreuzte wieder Stimmt nicht an.<br />

Währenddessen beschäftigte sich auch Gil mit einem Persönlichkeitstest. Wie Sara<br />

war auch er zu dem Schluss gekommen, dass er besser ehrlich antworten sollte, um unan-<br />

genehme Konsequenzen zu vermeiden. <strong>Die</strong> erste Frage traf absolut auf ihn zu, sodass er über<br />

seine Antwort nicht lange nachdenken musste. „Eine Spezialistentätigkeit ist mir lieber als<br />

eine Führungsaufgabe.“ Gil war nun schon seit etlichen Jahren Teamleiter, dennoch tat er<br />

sich mit den Pflichten, die diese Position mit sich brachte, immer noch schwer. Es war ihm<br />

viel lieber, mit seinen Insekten zu arbeiten und die Entscheidungen und den Papierkram<br />

anderen zu überlassen. <strong>Die</strong> nächste Frage konnte Grissom nicht bejahen. „Ich bemerke mit<br />

großer Sicherheit, wie sich mein Gegenüber fühlt.“ Grissom war immer bemüht, auf andere<br />

Menschen einzugehen und war im Laufe seiner Karriere beim CSI besser darin geworden,<br />

96


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aber er war kein Naturtalent im Umgang mit Menschen. Es kam vor, dass er jemanden un-<br />

absichtlich verletzte und es nicht mal bemerkte. Schließlich kreuzte der Entomologe stimmt<br />

eher nicht an. Als Grissom schließlich alle Fragen beantwortet hatte wurde das Blatt abgeholt<br />

und durch ein anderes ersetzt, das Instruktionen und eine Tabelle enthielt.<br />

<strong>Über</strong> Lautsprecher wird gleich ein kurzer Text vorgelesen, der diverse Zahlen enthält.<br />

Anschließend ertönt ein Pfeifton. <strong>Die</strong>ser Ton ist das Signal, die gehörten Zahlen in die bei-<br />

liegende Tabelle einzutragen. Nun hörte Gil die Lautsprecherdurchsage und konzentrierte<br />

sich auf den Text. „In der Eichenstraße 43 wohnen 126 Menschen, davon 27 erwachsene<br />

Frauen, 56 erwachsene Männer und 43 Kinder. In der Eichenstraße 45 wohnen 94 Menschen,<br />

davon 41 erwachsene Frauen, 35 erwachsene Männer und 18 Kinder. In der Eichenstraße 47<br />

wohnen 106 Menschen, davon 51 erwachsene Frauen, 32 erwachsene Männer und 23 Kinder.<br />

In der Eichenstraße 49 wohnen 99 Menschen, davon 32 erwachsene Frauen, 25 erwachsene<br />

Männer und 42 Kinder.“ Der Lautsprecher verstummte und Gil beeilte sich alle Zahlen einzu-<br />

tragen, die er behalten hatte, was sich als schwieriger erwies als er gedacht hatte.<br />

In der Kabine nebenan hatte Mulder gerade per Lautsprecher die Anweisung be-<br />

komme, den Computer anzuschalten und das einzige File auf dem Desktop zu öffnen. Auf<br />

dem Bildschirm erschien eine Instruktion: „Fixiere das Kreuz in der Mitte des Bildschirms. In<br />

einem der beiden Kästchen an den Seiten des Monitors wird ein Lichtreiz erscheinen. Drücke<br />

die linke Maustaste, wenn der Reiz links erscheint und die Rechte, wenn er rechts erscheint.<br />

Reagiere so schnell wie möglich.“ Ein Reaktionszeittest, dachte Mulder. Keine große <strong>Über</strong>-<br />

raschung. Mulder hatte einen Abschluss in Psychologie und war somit mit den klassischen<br />

Leistungs-, und Persönlichkeitstests gut vertraut. Der FBI Agent legte die Finger auf die<br />

Maustasten und bemühte sich so schnell wie möglich zu reagieren. Er sah keinen Grund dafür<br />

seine Leistung absichtlich zu verschlechtern. Nach mehreren Hundert Durchgängen war<br />

Mulder erleichtert, dass der stupide Test endlich zu Ende war. Es folgte ein Test, den er als<br />

Leistung - Motivationstest erkannte. Er überflog die Fragen. „Auch wenn ich vor schwierigen<br />

Aufgaben stehe bin ich immer guten Mutes.“ „Wenn ich vor anderen etwas vorführen soll,<br />

habe ich Angst <strong>mich</strong> zu blamieren.“ „Manchmal ist es mir lieber, anderen die Entscheidung<br />

zu überlassen.“ Mulder überlegte einen Moment, ob er etwas davon hatte, zu lügen. Wenn er<br />

sich als unsicherer darstellte als er war, würden die Experimentatoren an seinen Antworten<br />

zweifeln. Schließlich war er es als FBI Agent gewöhnt, schwierige Aufgaben zu lösen und<br />

sich wenn nötig durchzusetzen. Letzteres tat er allerdings eher mit Argumenten und Charme,<br />

als mit Dominanz. Schließlich antwortete Mulder ehrlich und bejahte die erste Frage, während<br />

er die anderen beiden verneinte.<br />

97


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Während Mulder den Rest des Fragebogens ausfüllte war seine Partnerin mit einem<br />

Intelligenztest beschäftigt. Derartige Tests waren ihr aus dem FBI Auswahlprogramm bekannt<br />

und fielen ihr daher recht leicht. <strong>Die</strong> Anweisung für die erste Aufgabe lautete: Von den<br />

folgenden 5 Worten haben jeweils 4 eine Gemeinsamkeit. Finde das Wort, das nicht in die<br />

Reihe passt. Scully las die erste Reihe: Wasser, Eis, Wein, Milch, Bier und kreuzte ohne zu<br />

zögern „Eis“ an. Nach einigen weiteren Wortreihen kam der zweite Teil des Tests. Gesucht<br />

wird das vierte Wort, das zum dritten im selben Verhältnis steht wie das zweite zum ersten.<br />

Leiter: Sprosse = Buch: … Dana wählte aus den vier vorgegeben Antwortalternativen „Seite“<br />

aus. Nach ein paar weiteren sprachlichen Tests kam der mathematische Teil, mit dem Scully<br />

ebenfalls keine Schwierigkeiten hatte. Wie lautet die nächste Zahl in der Reihe? 5 – 8 – 12 –<br />

17 – 23 Nach kurzer <strong>Über</strong>legung durchschaute Scully das System und schrieb „30“ in das<br />

leere Kästchen. Nachdem alle vier Probanden mit allen Leistungs- und Persönlichkeitstests<br />

fertig waren, wurden sie aus ihren Kabinen geholt. Ihre Hände wurden auf ihrem Rücken ge-<br />

fesselt und die Gruppe wurde zurück in ihre Zellen geführt. Alle atmeten erleichtert auf, als<br />

die Leidensgenossen unversehrt und guter Dinge in die Zellen zurück gebracht worden waren.<br />

Ziemlich bald wurde das Licht gelöscht und nach und nach schliefen alle Gefangenen ein.<br />

<strong>Die</strong> nächste Wachperiode wurde mit dem unvermeidlichen Tröten des Weckers ein-<br />

geleitet. Brot, Wasser und Pillen wurden gebracht, dann waren die Gefangenen wieder sich<br />

selbst überlassen. Lange passierte nichts, außer, dass die aktiveren unter ihnen wieder an-<br />

fingen, in ihren winzigen Zellen irgendwie zu versuchen, sich zu Bewegen. Schließlich<br />

rechnete jeder wieder damit, dass bald etwas geschehen würde. Und es geschah. <strong>Die</strong><br />

Nummern aller Frauen wurden aufgerufen. Schon vorher waren sie ein oder zwei Mal alle<br />

zusammen in den Duschraum gebracht worden. Jetzt hofften sie, dass es wieder so kommen<br />

würde. Tatsächlich wurden sie auf die Plattform geführt und eine Etage tiefer gebracht. Den<br />

Weg zum Duschraum hätten sie schon alleine gefunden, wurden aber selbstverständlich hin<br />

geführt. Unter Bewachung die Kittel abzulegen, fiel immer noch sehr schwer, aber der<br />

Wunsch, zu Duschen, war größer.<br />

Grausame Bestrafung<br />

Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet<br />

die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.<br />

Berthold Brecht<br />

98


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Unendlich erleichtert spürte Kate das warme Wasser an ihrem verschwitzten Körper<br />

herunter laufen. Dass sie bei jeder Bewegung von den anwesenden Wachen beäugt wurde,<br />

machte die junge Frau zwar nach wie vor verrückt, aber sie versuchte, genau wie die anderen<br />

Frauen, diesen Gedanken auszublenden. <strong>Die</strong> Wahl zu haben, beim Duschen beobachtet zu<br />

werden oder gar nicht zu Duschen machte die Entscheidung leicht. Da alle sich geeinigt hatte,<br />

den Männern nicht zu sagen, dass sie nur unter Aufsicht Duschen durften, war Kate unendlich<br />

erleichtert. Sawyer würde es nicht erfahren und hatte somit keinen Grund, sich aufzuregen.<br />

Sie wusste, er würde durchdrehen, wenn er ahnte, dass sie hier beim Duschen gezwungen<br />

war, sich den Wachleuten nackt zu präsentieren. Heather einige Duschen weiter dachte<br />

genauso. Jake würde ausflippen, wenn er davon erfuhr. Sie war so froh, dass er es nicht ahnte.<br />

Der Lehrerin fiel es extrem schwer, sich hier vor diesen Männern zu entblößen, aber die<br />

Alternative, gar nicht zu Duschen, war schlimmer. Ziva spülte gerade ihre langen, lockigen<br />

Haare aus. Sie dachte an Tony und McGee. <strong>Die</strong> würden alles aktivieren, was es gab, CIA,<br />

FBI, DIA (Defense Intelligence Agency), NSA (National Security Agency), Homeland Security (Heimatschutz), um<br />

Abby, Gibbs und sie zu finden. <strong>Über</strong> kurz oder lang musste es irgendwo einen Hinweis auf<br />

ihren Verbleib geben. So viele Regierungsbeamte konnten nicht einfach verschwinden, ohne<br />

dass alles Erdenkliche getan wurde, um sie wieder zu finden. Ziva fuhr sich mit den Händen<br />

durchs Haar. Sie überlegte, wie lange sie nun schon hier waren. Sie konnte sich an mindesten<br />

... 6 - 7 Schlafphasen erinnern. Oder waren es bereits mehr gewesen? Frustriert schüttelte sie<br />

den Kopf. Keine Chance, das zu behalten. Kate gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf.<br />

Sie hatte sich die Haare gespült und stand mit dem Gesicht zur Tür da und ließ sich das<br />

Wasser auf die langen Haare laufen. Gedankenverloren massierte sie mit den Händen noch<br />

einmal ihre Kopfhaut. Und in dem Moment hörte sie die Tür klicken. Kate sah gelangweilt<br />

hinüber. Vier Wachen reichten wohl nicht. <strong>Die</strong> Tür ging auf und Kate hätte es fast aus der<br />

Dusche gehauen. In der geöffneten Tür standen die Männer.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Frauen waren zum Duschen geholt worden und die Männer freuten sich nicht<br />

weniger darauf, hinterher hoffentlich auch wieder Duschen zu dürfen. Leider war ihnen kein<br />

grünes Licht zugeteilt worden und so konnten sie die Zeit nicht nutzen, sich einmal in Ruhe<br />

von Mann zu Mann zu unterhalten. Ein wenig erstaunt hörten die Männer dann, noch während<br />

die Frauen weg waren, ihre Nummern aus dem Lautsprecher. Sie erhoben sich jedoch und<br />

traten an die Zellentüren. <strong>Die</strong> Handschellen schlossen sich stramm um ihre Handgelenke,<br />

dann öffneten sich die Zellen und die Männer wurden nun ebenfalls zur Plattform geführt.<br />

Ruhig ließen sie sich nach unten fahren und wurden zum Duschraum geführt. <strong>Die</strong> Tür wurde<br />

99


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geöffnet und man ließ sie eintreten. Jake und Sawyer waren mit Mulder und Booth zusammen<br />

die ersten, die den Duschraum betraten. Und was sie dort sahen, trieb ihnen augenblicklich<br />

die Zornesröte ins Gesicht.<br />

******<br />

Kate wurde leichenblass, genau wie Heather, Dana, Sara und Allison. Das konnte doch<br />

nicht sein. „Sawyer ...“, stotterte die junge Frau entsetzt. Fast zeitgleich keuchte Heather er-<br />

schüttert: „Jake, oh Gott ...“ <strong>Die</strong> Männer erfassten mit einem Blick, dass die Frauen hier unter<br />

Aufsicht standen. Gil starrte entsetzt zu Sara hinüber, die wie gelähmt unter dem Wasserstrahl<br />

stand. In Mulders Augen machte sich eine seltene, gerechte Wut breit, genau wie in den Ge-<br />

sichtern von Booth und Gibbs. Aber Sawyer und Jake vergaßen bei diesem Anblick voll-<br />

kommen, dass sie wehrlos waren. Den beiden jungen Männern brannten im wahrsten Sinne<br />

die Sicherung durch. Wutentbrannt fuhr Sawyer herum und dachte nicht mehr daran, dass<br />

seine Hände auf den Rücken gefesselt waren. Blind vor Zorn stürzte er sich auf die Wache,<br />

die ihm am nächsten stand und rammte dieser seine Schulter in den Körper. Hinter ihm<br />

reagierte Jake ähnlich. Er sprang auf einen anderen Wachmann zu und trat diesem mit aller<br />

Kraft zwischen die Beine. Beide Männer wussten im Grunde genau, dass es sinnlos war,<br />

mussten aber einfach reagieren. Kate und Heather schrien entsetzt auf. „NEIN.“ Und dann<br />

ging alles sehr schnell. <strong>Die</strong> anderen Männer wurden blitzschnell eingekreist und am Ein-<br />

mischen gehindert, sonst hätten Booth, Mulder und auch Gibbs fröhlich bei dem sinnlosen<br />

Unterfangen mitgemischt. Sawyer bekam von einem anderen Wachmann die Faust gezielt in<br />

den Solar Plexus gedroschen. Als er sich keuchend zusammen krümmte, riss der Wachmann<br />

brutal sein Knie hoch und rammte es dem Wehrlosen ins Gesicht. Sawyer ging mit einem<br />

erstickten Aufschrei zu Boden. Kate schrie erneut gellend auf: „SAWYER!“, und wollte zu<br />

ihm laufen, aber ein weiterer Wachposten erwischte im letzten Moment ihre langen Haare und<br />

riss sie an diesen brutal zurück. Jetzt vor Schmerz aufschreiend verlor Kate die Balance und<br />

stürzte hart zu Boden. Jake hatte währenddessen einen brutalen, gezielten Handkantenschlag<br />

in den Nacken bekommen und dabei fast augenblicklich die Besinnung verloren. Das Letzte,<br />

was er sah, war Heather, die nackt in den Armen einer der Wachen strampelte und dann rück-<br />

sichtslos zu Boden geworfen wurde. Sawyer hörte wie durch Watte Kates Schmerzensschrei.<br />

Aus Mund und Nase blutend lag er stöhnend auf den Fliesen und sah sie zu Boden stürzen.<br />

Dann wurde auch ihm schwarz vor Augen und er wusste nichts mehr.<br />

<strong>Die</strong> anderen Männer waren während der Auseinandersetzung rücksichtslos aus dem<br />

Duschraum gedrängt worden und standen Minuten später wieder in ihren Zellen. Man hatte<br />

ihnen die Handschellen um gelassen und dann waren alle Wachen wieder zur Plattform<br />

100


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zurück geeilt. <strong>Die</strong> anderen Frauen erhielten den knappen Befehl, sich sofort anzuziehen.<br />

Besonders Ziva und Bones mussten sich mit aller Kraft beherrschen, sich nicht ebenfalls auf<br />

die Wachen zu stürzen. Aber ein Blick zu den vier am Boden liegenden Leidensgenossen<br />

reichte, um sie zur Vernunft zu bringen. Kate und Heather wurden von den Wachen, auf dem<br />

Bauch liegend, brutal am Boden gehalten, in dem man ihnen einfach einen Fuß auf den<br />

Rücken presste. Mit tränenüberströmten Gesichtern lagen sie da und mussten zu den beiden<br />

besinnungslosen Männern gucken. <strong>Die</strong> anderen Frauen wurden gefesselt, schnell und grob aus<br />

dem Duschsaal geführt und standen Minuten später wieder in ihren Zellen, ebenfalls noch mit<br />

den Handschellen. Kate und Heather wurden erst jetzt los gelassen und bekamen den harschen<br />

Befehl: „Anziehen. Ein falsches Zucken und die beiden Idioten da werden es bereuen.“<br />

Zitternd erhoben sich die Frauen und schlüpften in ihre Kittel. <strong>Die</strong> Hände wurden ihnen ge-<br />

fesselt, sie wurden gepackt und zur Plattform geführt. Sie erschraken, als man sie neben-<br />

einander auf die Plattform stellte und die Stangen wieder aus dem Boden fuhren, an die man<br />

sie schon einmal gefesselt hatte. Gleich darauf waren sie erneut an dieses Metallstangen ge-<br />

fesselt. Jetzt wurden ihnen die Augen verbunden. Panisch wimmerte Kate auf. Neben sich<br />

hörte sie Heather heftig schluchzen. Sie hörten Geräusche, die sie nicht einordnen konnte.<br />

Irgendetwas tat sich. Heftig zitternd vor Angst, weniger um sich selbst als um die beiden<br />

Männer, hingen die Frauen an den Stangen. Minuten vergingen. Weitere, undefinierbare Ge-<br />

räusche. Schwere Gegenstände wurden scheinbar heran geschafft. Dann keuchten die Beiden<br />

vor Schreck auf, als sich unerwartet die Plattform hob. Sie spürten, wie sie nach oben ge-<br />

fahren wurden. Es gab einen Ruck und die Plattform hielt. Erschrockenes Einatmen aus den<br />

umliegenden Zellen ließen Heather und Kate erschauern. Und jetzt wurden ihnen die Augen-<br />

binden abgenommen. Was sie sahen, ließ sie entsetzt aufschreien.<br />

Ihnen gegenüber war eine Art Reck installiert worden. Aus stabilem Metall, gute 2,50<br />

Meter hoch und mit einer vielleicht 1,50 Meter langen Querstange. An dieser Querstange<br />

hingen Sawyer und Jake, an den Handgelenken gefesselt und in die Höhe gezogen, ohne<br />

Bodenkontakt. Beiden Männern hatte man einen Schaumstoffball in den Mund gestopft, der<br />

so gut wie jeden Laut unterband. Beide waren wieder bei Bewusstsein und schauten mit<br />

schmerzverschleierten Augen auf die gefesselten Frauen. Zwischen ihnen und den Frauen<br />

standen zwei sargähnliche, große Kisten. <strong>Die</strong> Kerkertür ging auf und zwei Wachen kamen<br />

herein. Nacheinander wurden alle Zellen geöffnet, ihre Insassen herausgeholt. Man öffnete<br />

ihnen kurz die Handschellen, um sie von außen an die Querstreben der Zellentüren zu fesseln.<br />

Nachdem dies geschehen war, verließen die Wachleute den Kerker wieder. Und nun erscholl<br />

die Lautsprecherstimme, kalt, herzlos. „Gefangene. Ihr habt noch immer nicht begriffen, dass<br />

ihr vollkommen in unserer Gewalt seid. Zwei von euch haben heute unser Personal an-<br />

gegriffen. Das ist inakzeptabel. Wir werden an den Beiden ein Exempel statuieren, welches<br />

101


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

euch allen ein für allemal klar macht, dass ihr, eure Körper, euch nicht mehr selbst gehören,<br />

sondern uns. Sobald die beiden Bestraften bereit sind, Nummer 8 und 9 für eine von uns be-<br />

stimmte Zeit in die vor ihnen stehenden Kisten zu sperren, werden sie aus ihrer jetzigen Lage<br />

befreit. Merkt es euch: IHR GEHÖRT UNS! Nummer 2, Nummer 3, seid ihr bereit, Nummer<br />

8 und 9 in die Kisten zu sperren?“ Schwer atmend, aber überzeugt, schüttelten Jake und<br />

Sawyer die Köpfe.<br />

*****<br />

Jake und Sawyer wurden, kaum, dass die Frauen aus dem Raum gebracht worden<br />

waren, die Handschellen gelöst und dann die Handgelenke mit breiten, stabilen Leder-<br />

manschetten, die ihre Handgelenke zirka fünfzehn Zentimeter breit umschlossen, vor dem<br />

Körper zusammen geschnürt. In den Ledermanschetten waren starke Metallringe ein-<br />

gearbeitet. Als das geschehen war, wurden die Beiden, noch ohne Besinnung, rücksichtslos<br />

zur Plattform gezerrt, auf der andere Wachleute inzwischen Kate und Heather an die schon<br />

einmal verwendeten Stangen gefesselt und ihnen die Augen verbunden hatten. Weitere<br />

Wachen hatten auf der Plattform mit wenigen Handgriffen eine Art Reck installiert, äußerst<br />

stabil aussehend, über das zwei Seile geworfen wurden. Man zerrte Jake und Sawyer unter<br />

dieses Reck und befestigte die Seile an den Metallringen. Nun wurden ihnen die Münder ge-<br />

öffnet und rücksichtslos jedem ein recht großer Schaumstoffball so zwischen die Zähne ge-<br />

stopft, dass die Zungen fest an den Unterkiefer gepresst wurden. So konnten sie diese<br />

Knebelbälle nicht selbst ausspucken. Jetzt erst wurden die beiden Männer mittels einiger<br />

Schläge auf die Wangen wieder zu sich gebracht. Hart wurden sie auf die Beine gezerrt und<br />

spürten mit wachsendem Entsetzen, wie sie an den Handgelenken mit Hilfe der Seile immer<br />

mehr in die Höhe gezogen wurden, bis erst Jake, weil etwas kleiner, Sekunden später auch<br />

Sawyer den Bodenkontakt verloren. Hätten die Bälle nicht so gut wie jeden Laut geschluckt,<br />

hätten beide Männer wohl gestöhnt vor Schmerzen. So war nur sehr keuchendes Atmen zu<br />

vernehmen. <strong>Die</strong> Beiden konnten sehen, wie zwischen sie und die Frauen zwei sargähnliche<br />

Kisten gestellt wurden. Sie registrierten, dass die Plattform nach oben fuhr. Oben an-<br />

gekommen wurden Kate und Heather die Augenbinden abgenommen. Vollkommen entsetzt<br />

schrien die beiden Frauen gleichzeitig auf. Indessen wurden die Mitgefangenen außen an ihre<br />

Zellentüren gefesselt. <strong>Die</strong> Wachleute verließen den Kerker. Und dann kam einen kalte Laut-<br />

sprecherdurchsage.<br />

*****<br />

102


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer und Jake lief eine Gänsehaut über den Rücken. Sawyer wusste um Kates<br />

Klaustrophobie und schwor sich in diesem Moment, lieber hier zu sterben, als sie in diese<br />

Kiste zu sperren. Als die Frage ertönte: „Nummer 2, Nummer 3, seid ihr bereit, Nummer 8<br />

und 9 in die Kisten zu sperren?“, schüttelte Sawyer sofort den Kopf. Jake neben ihm zögerte<br />

keine Sekunde, ebenfalls heftig den Kopf zu schütteln. Der Lautsprecher verstummte, dafür<br />

ging überraschend das grüne Licht an. Kate schrie panisch los: „Sawyer, bitte. Egal, was mit<br />

mir ist, du musst es machen. Du musst es tun, bitte. <strong>Die</strong> bringen dich um.“ Auch Heather<br />

stammelte entsetzt: „Bitte, Jake. Das ist doch nicht schlimm, tu es, bitte.“ Kate zitterte am<br />

ganzen Körper, als sie die Kiste anstarrte. „Doch, ist es ...“, wimmerte sie sehr leise. Heather<br />

sah erstaunt zu Kate herüber und erkannte die panische Angst in deren Augen. Angst um<br />

Sawyer, aber auch ... - Ach du Schreck. - dachte sie - Kate hat Platzangst. - Kate zitterten bei<br />

der Vorstellung, in diese Kiste gesperrt zu werden, die Beine so heftig, dass es jeder sehen<br />

konnte. Und nicht nur Heather zog den richtigen Schluss daraus.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Mitgefangenen waren von den Geschehnissen der letzten Minuten regelrecht über-<br />

rollt worden. Als Sawyer und Jake so leidenschaftlich die Wachen angegriffen hatten, hatten<br />

Booth, Gibbs und auch Mulder sekundenlang die gleichen Ambitionen gehabt. Dass man sie<br />

sofort zurück getrieben hatte, machte Gibbs klar, dass die ganze Situation von ihren Ent-<br />

führern bewusst provoziert worden war. Denn auch, wenn die beiden angegriffenen Wachen<br />

nicht mehr schnell genug hatten reagieren können, alle waren ziemlich offensichtlich auf die<br />

Situation vorbereitet gewesen. Das sofortige Separieren der restlichen Männer bewies ihm<br />

das. Als sie wieder in ihren Zellen standen, überlegten sie krampfhaft, was nun geschehen<br />

würde. Klar war, dass Jake und Sawyer eine Strafe erhalten würden, aber welche? Das man<br />

ihnen die Handschellen nicht abnahm, war ein Beweis dafür, dass noch irgendwas geschehen<br />

würde. Minuten später waren bis auf Kate und Heather auch alle Frauen wieder in den Zellen,<br />

nass, aber bekleidet und auch noch gefesselt. Und dann kam die Plattform hochgefahren und<br />

schlagartig wussten alle, was man mit den beiden Männern gemacht hatte.<br />

*****<br />

Allison und Abby entfuhr unwillkürlich ein entsetztes Ächzen, als sie sahen, wie man<br />

Jake und Sawyer bestrafte. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> konnten ein scharfes Einatmen ebenfalls nicht unter-<br />

drücken. House schoss sofort durch den Kopf - Das muss schon nach kurzer Zeit ungeheuer<br />

wehtun. - In den Augen der meisten Gefangenen glomm abgrundtiefer Hass auf die Entführer<br />

auf. Nachdem die Lautsprecherdurchsage erfolgt war und beide Männer entschieden den Kopf<br />

103


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schüttelten, wurde erstaunlicherweise das grüne Licht angeschaltet. Kate und Heather flehten<br />

die beiden Männer sofort an, dem Befehl Folge zu leisten, aber die so grausam Gefesselten<br />

schüttelten entschieden den Kopf. Kate hing an ihrer Stange, ihre Augen saugten sich ab-<br />

wechselnd an dem geliebten Mann und der Kiste fest, und ihr zitterten so heftig die Beine,<br />

dass jeder es sehen konnte. Ziva hatte selbst die Kisten mit Entsetzen angestarrt und wusste<br />

untrüglich, was Kates heftiges Zittern bedeutete. Ziva litt selbst unter Klaustrophobie und<br />

wusste, was in Kate vorgehen musste. Auch House, der es gewohnt war, Menschen genau zu<br />

beobachten, wusste augenblicklich, was mit der jungen Frau war. Dass sie trotzdem sofort<br />

und ohne zu Zögern Sawyer angefleht hatte, es zu tun, um diesen von seinen Qualen zu er-<br />

lösen, nötigte dem Arzt einigen Respekt vor der jungen Frau ab.<br />

Gil, gewohnt, vernünftig und praktisch zu reagieren, sagte so ruhig wie möglich: „Hört<br />

zu, ihr beiden, seid nicht dumm. Tut, was man von euch will, und ihr habt es hinter euch. In<br />

dieser Lage ist Nachgeben kein Zeichen von Schwäche.“ Einige andere nickten zu Gils<br />

Worten. „Sie haben Recht, bitte, Baby.“, schluchzte Kate verzweifelt. Sie starb fast vor Angst,<br />

wenn sie an die Kiste dachte, aber noch größer war ihre Angst und Sorge um Sawyer. Heather<br />

nickte heftig. „Jake. Du musst es machen. Hörst du. Du musst.“ <strong>Die</strong> so grausam gefesselten<br />

Männer schüttelten den Kopf. - Niemals. - machte diese Geste allen klar. Bones hatte sich die<br />

Lage Jakes und Sawyers genau angeschaut. Sie überlegte, wie lange die Männer wohl durch-<br />

halten würden, bevor sie vor Schmerzen und Kreislaufschwäche einfach die Besinnung ver-<br />

lieren würden. Dann wurde es für beide Männer schnell lebensgefährlich. Wie weit würden<br />

die Entführer gehen? Würden sie zwei ihrer Gefangenen opfern, nur um ihre Macht zu<br />

demonstrieren? Da sie nicht wussten, was sie überhaupt hier sollten, war das durchaus mög-<br />

lich. „Hört zu. Ihr wisst nicht, wie weit diese Bastarde gehen. Bringt euch nicht um Kopf und<br />

Kragen, nur um ihnen zu Trotzen. Sie sitzen ohnehin am längeren Hebel. Ihr erreicht gar<br />

nichts, wenn ihr euch widersetzt.“ Ausnahmsweise stimmten ihr alle anderen zu. „Bones hat<br />

Recht, Kumpels, seid keine Idioten.“ Booth sah Jake und Sawyer an. Kopfschütteln.<br />

House kämpfte mit widerstreitenden Gedanken. Zum einen nötigte ihm die Haltung<br />

der beiden jungen Männer nur ein verständnisloses Kopfschütteln ab, zum anderen kam er<br />

nicht umhin, sie irgendwie für ihre Sturheit zu bewundern. Er überlegte, wie lange diese<br />

Marter für einen gesunden jungen Mann auszuhalten war. Sawyer war größer und mit Sicher-<br />

heit etwas schwerer als Jake. House schätzte ihn auf zirka 80 kg. Jake wog seiner Schätzung<br />

nach etwas weniger, da er kleiner war als Sawyer, vielleicht zwischen 72 und 74 kg. Nach<br />

einer Stunde, maximal 1,5 Stunden würden die Beiden dankbar für die Knebel sein, wenn sie<br />

es nicht ohnehin schon waren. House war sich nicht sicher, ob er selbst überhaupt durchhalten<br />

würde, so lange zu stehen. Ihm war aufgefallen, dass die Wachleute seine Hände unterhalb<br />

104


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Querstrebe der Zellentür an einen der Gitterstäbe gefesselt hatten. Er konnte sich also hin-<br />

setzen, was die anderen Gefangenen nicht konnten. Er würde sich nicht unnütz Quälen und<br />

sich setzten, wenn sein krankes Bein zu sehr schmerzte. Er versuchte, in den Gesichtern<br />

seiner Mitgefangenen zu lesen. <strong>Die</strong> meisten dachten wohl wie er. Sollten die Beiden doch<br />

nachgeben. Kate hatte offensichtlich Klaustrophobie, aber auch sie würde es überleben, dort<br />

in der Kiste für einige Zeit zu liegen. Wenn sie sich jetzt schon so schwächten, schadeten Jake<br />

und Sawyer sich für die weitere Zeit ihrer Haft nur selbst.<br />

<strong>Die</strong> Minuten verstrichen. Booth schätzte, dass eine viertel Stunde vergangen war, als<br />

die Lautsprecheranlage erneut knackte. „Gehorcht ihr?“ Kopfschütteln. Sawyer und Jake<br />

hingen hilflos in ihren Fesseln. Sie waren dankbar, dass sie geknebelt waren. Schon das<br />

Hochgezogen werden hatte in den Armen und Schulter ungeheuer wehgetan. Wenn auch<br />

beide Männer durchaus mit körperlichen Schmerzen vertraut waren, ihr Leben am Rande der<br />

Legalität hatte das einfach mit sich gebracht, waren diese Art Schmerzen doch etwas ganz<br />

neues. Bisher hatten für beide Schmerzen in erster Linie aus Schlägereien resultiert. Und sich,<br />

während man Schmerzen erlitt, bewegen und wehren zu können, machte das Aushalten der<br />

Selben sehr viel einfacher. In ihrer jetzigen Lage kam die unglaubliche Hilflosigkeit, das<br />

Ausgeliefert sein, extrem verstärkend dazu. Zu wissen, die konnten mit ihnen machen was<br />

immer sie wollten, sie skrupellos Foltern bis zum Exitus, trieb den jungen Männern den<br />

Schweiß aus den Poren. Der Knebel, dieser Ball, den man ihnen in den Mund gestopft hatte,<br />

war im höchsten Maße unangenehm. Er hatte sich inzwischen so voll Speichel gesaugt, dass<br />

er auf das doppelte seiner Größe angeschwollen schien. Immer wieder wurde Sawyer von<br />

heftigen Würgereiz geschüttelt, der ihm Tränen in die Augen trieb, ohne, dass er es hätte ver-<br />

hindern können. <strong>Die</strong> Schultern taten entsetzlich weh. Aber beide hatten das wilde Verlangen,<br />

durchzuhalten. Sawyer hatte sich bereits geschworen, lieber hier zu hängen, bis er ver-<br />

schimmelt war, ehe er Kate in die Kiste sperrte. Er sah zu ihr hinüber und ihr tränenüber-<br />

strömtes Gesicht machte ihm klar, warum er hier hing und gegen seinen inneren Schweine-<br />

hund ankämpfte, der ihm zuflüsterte: gib auf.<br />

Jake spürte, wie ihm Schweiß über den Körper lief. Hatte er den Südstaatler bisher nur<br />

für ein Arschloch gehalten, wurde ihm jetzt klar, dass sehr viel mehr in dem Sprücheklopfer<br />

steckte. Dass er sich für Kate sofort und ohne an die Folgen zu denken, auf die Wachleute<br />

gestürzt hatte, machte ihn Jake sehr viel sympathischer. Dem jungen Mann lief Schweiß in die<br />

Augen und unwillkürlich schüttelte er heftig den Kopf und seine Beine zuckten. Das tat<br />

seinen Schultern überhaupt nicht gut. Er danke den Entführern im Geiste für den Knebel.<br />

Hätte er diesen nicht im Mund gehabt, wäre ihm ein Schmerzensschrei entschlüpft. Gequält<br />

schloss er die Augen. - Du gibst nicht nach. - hämmerte er sich selbst immer wieder ein. Sein<br />

105


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Atem kam ähnlich abgehackt wie Sawyers. Dass sie nur durch die Nase Luft holen konnten,<br />

machte das Ganze nicht leichter. Der Knebel war zwar auf der einen Seite hilfreich, auf der<br />

anderen Seite aber auch äußerst unangenehm. Er saugte sämtlichen Speichel auf und nahm<br />

dadurch an Volumen zu. Jake konnte immer wieder einen Würgereiz nur mühsam unter-<br />

drücken. Sein Mund fühlte sich schon jetzt wie Schmirgelpapier an, so trocken waren Rachen<br />

und Kehle. Das Gefühl absoluter Ohnmacht, irgendetwas zu tun, ließ Jake erschauern.<br />

Vorsichtig öffnete er die Augen und als sich der Tränenschleier vom Schweiß verzogen hatte,<br />

konnte er Heather wieder klar erkennen, die leichenblass und zitternd an ihrer Stange stand<br />

und verzweifelt zu ihm schaute.<br />

„Bitte Jake. Eine Weile in der Kiste ist für <strong>mich</strong> längst nicht so schlimm, wie dich so<br />

leiden zu sehen.“, schluchzte die Lehrerin. „Seid doch nicht so stur.“, mischte sich Scully ein.<br />

„Ihr werdet in absehbarer Zeit bewusstlos werden und dann wird es gefährlich.“ „Sie hat<br />

Recht, der orthostatische Druck wird nachlassen.“, sagte Bones. „Der was?“, fragte Booth.<br />

„Das Blut fließt in die Beine und kann nicht zurückgepumpt werden. Durch die Unterver-<br />

sorgung wird es bald zu Atembeschwerden und Blutleere im Gehirn kommen.“, erklärte<br />

Dana. „Wenn ihr das Bewusstsein verliert, habt ihr nur noch wenige Minuten bis zum Exitus,<br />

falls nicht sofort medizinische Hilfe eingeleitet wird.“, fügte House hinzu. „Ihr könnt das ver-<br />

zögern, indem ihr die Beine bewegt, aber vorsichtig, sonst kugelt ihr euch die Schultern aus.“,<br />

sagte Allison. „Seid doch vernünftig, Jungs.“, mischte sich Gil ein. „Ihr tut Kate und Heather<br />

keinen Gefallen mit eurem Verhalten.“ Locke sagte eindringlich: „Gil hat Recht. Hört zu, ihr<br />

seid zwar sehr tapfer, aber das wird den Frauen nicht helfen. Sie werden nur länger in den<br />

Kisten bleiben müssen, wenn ihr es nicht tut. Gebt nach und die Beiden sind in wenigen<br />

Minuten wieder draußen.“ „Das wäre folgerichtig. <strong>Die</strong>se Leute wollen uns zeigen, dass sie<br />

mit uns machen können, was immer sie wollen und Widerstand zwecklos ist.“, stimmte<br />

Mulder zu. Im Stillen dachte er - Das ich nicht auch da hänge habe ich nur dem schnellen<br />

Eingreifen der Wachen zu verdanken. - „<strong>Die</strong> Argumentation ist schlüssig, diese Schweine<br />

müssen die Frauen in die Kisten sperren, um nicht ihr Gesicht zu verlieren.“, sagte Gibbs<br />

ruhig. „Durch euren Widerstand habt ihr nichts zu gewinnen.“ Ziva überlegte laut: „Gibbs hat<br />

Recht. Langsam glaube ich, dass ihr zwei stur genug seid, um das durchzuziehen, bis ihr zu-<br />

sammenklappt. Wenn ihr Glück habt, pflücken sie euch ab und flicken euch wieder zu-<br />

sammen, damit ihr sehen könnt, wie eure Mädels den Preis für eure Sturheit zahlen. Mir fallen<br />

auf Anhieb ein halbes Dutzend Möglichkeiten ein, Frauen zu brechen, von denen sie sich ihr<br />

Leben lang nicht erholen.“<br />

Sawyer und Jake stand das nackte Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Im Gegensatz zu<br />

Kate, die zu sehr in Panik und Heather, die zu unverdorben war, hatten die Männer sehr wohl<br />

106


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verstanden, was Ziva gerade angedeutet hatte. Ganz so entschlossen wie vor einigen Minuten<br />

sahen sie nicht mehr aus, aber ein Blick in Kates verängstigtes Gesicht brachte Sawyer dazu,<br />

auch bei der nächsten Anfrage energisch den Kopf zu schütteln und Jake folgte seinem Bei-<br />

spiel. Wie alle anderen auch hatte Sara in den Gesichtern der Männer gelesen, dass sie sehr<br />

wohl begriffen hatten und war froh, dass die beiden Frauen genau dies nicht getan hatten.<br />

<strong>Die</strong>ses Thema zu vertiefen, war also ebenso unnötig wie nicht wünschenswert. Also ging sie<br />

auf den ersten Teil der Aussage ein: „Und wenn ihr Pech habt, lassen sie euch hier einfach<br />

hängen, bis ihr überhaupt keine Sorgen mehr habt. Ich bezweifle, dass es das ist, was Kate<br />

und Heather wollen.“ „Bitte Sawyer, eine Weile in der Kiste halte ich schon aus, aber ein<br />

Leben ohne dich nicht.“ „Jake bitte. So schlimm sieht diese Kiste wirklich nicht aus und sie<br />

werden <strong>mich</strong> nicht ewig da drin lassen.“ Sawyer achtete weniger auf Kates Worte als auf die<br />

Angst und das nackte Entsetzen in ihren Augen, die wie gebannt an der Kiste hingen. Jake<br />

schwankte in seiner Entschlossenheit und blickte zwischen Heather und Sawyer hin und her,<br />

der immer noch verbissen den Kopf schüttelte.<br />

Nach der sechsten Nachfrage, die die beiden Männer wieder mit einem Kopfschütteln<br />

beantwortet hatten, merkte House, dass ihm selbst vor Schmerzen immer mehr der Schweiß<br />

ausbrach. Er hatte das Gefühl, jeden Moment zusammen zu brechen. Das er überhaupt noch<br />

stand, grenzte für ihn schon an ein Wunder. Eigentlich hatte er nicht vor gehabt, sich das an-<br />

zutun. Allison beobachtete ihren Chef mindestens so besorgt, wie sie Jake und Sawyer be-<br />

obachtete. Sie sah, in welch schlechter Verfassung er war und sagte besorgt: „Um Himmel-<br />

willen, House, setzen Sie sich doch endlich hin.“ Das war das Letzte, was House jetzt ge-<br />

braucht hatte: Jemand, der ihn in dieser Situation auf seine Unzulänglichkeit aufmerksam<br />

machte. Er biss die Zähne zusammen. Dann knirschte er zu seiner eigenen <strong>Über</strong>raschung:<br />

„Wenn die beiden Jungs es aushalten, da zu hängen, werde ich es wohl aushalten, hier mal<br />

eine Weile zu stehen.“ <strong>Die</strong>se Worte aus dem Mund des so extrem misanthropischen<br />

wirkenden Zynikers zu hören, wirkte wie eine Initialzündung auf die Mitgefangenen. Hatten<br />

sie bis eben gedacht, Jake und Sawyer seien verrückt, sich das anzutun, wo sie ihre Qualen<br />

mit einem simplen Kopfnicken hätten beenden können, schlug die Stimmung nun voll-<br />

kommen um. Dass sogar der sarkastische Arzt so etwas wie Respekt für die jungen Männer<br />

empfand, die dort unter immer schlimmer werdenden Schmerzen für die Frauen, die sie<br />

liebten, kämpften, bewirkte bei den <strong>Anderen</strong> einen Sinneswandel. Hatten die Gefangenen<br />

bisher versucht, eine möglichst entspannte Haltung einzunehmen, um das unbequeme Stehen<br />

etwas bequemer zu machen, strafften sich plötzlich die Rücken der Gefesselten. Sie richteten<br />

sich einer nach dem anderen stolz auf und standen vollkommen grade da. Und ausgerechnet<br />

Gibbs war es letztlich, der laut und deutlich aussprach, was wohl fast alle in diesem Moment<br />

dachten: „Okay, Jungs, dann haltet durch.“<br />

107


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate und Heather glaubten ihren Ohren nicht zu trauen. Das konnte nicht Gibbs Ernst<br />

sein. Booth jedoch war der Nächste, der laut sagte: „Er hat Recht, ihr schafft das.“ Selbst<br />

Allison konnte sich der vollkommen umgeschlagenen Stimmung nicht mehr entziehen. „Ihr<br />

werdet es schaffen.“, rief sie, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Allmählich war<br />

unübersehbar, dass die Gefesselten schwächer wurden und immer weniger versuchten, ihre<br />

Handgelenke wenigstens dadurch zu entlasten, dass sie sich an den Seilen festhielten. Ihre vor<br />

Schmerz verzerrten Gesichter waren schweißüberströmt und die Ärzte bemerkten, dass auch<br />

die Beinbewegungen deutlich nachließen. „Ich weiß, dass das unheimlich wehtun muss, aber<br />

ihr müsst wirklich versuchen, eure Beine mehr zu bewegen, weil sonst das Blut nicht mehr in<br />

Herz und Gehirn zurück fließen kann.“, mahnte Allison. Es war deutlich zu erkennen, dass die<br />

Männer sich redlich bemühten, aber nicht mehr viel Kraft hatten. „Bitte, Jake. Du bringst dich<br />

noch um mit deinem Starrsinn. Ich will dich nicht verlieren. Gib endlich nach, tu es für<br />

<strong>mich</strong>.“, schluchzte Heather verzweifelt. <strong>Die</strong> Verzweiflung der geliebten Frau machte Jake<br />

langsam klar, dass er Heather mit seiner Sturheit größeres Leid zufügte, als ein Aufenthalt in<br />

der Kiste mit sich bringen würde. Aus dem Lautsprecher kam die siebte Nachfrage: „Gebt ihr<br />

nach?“ Jake suchte Blickkontakt mit Heather und mied Sawyers Blick. „Bitte, Jake.“, war<br />

alles, was die junge Frau unter Tränen heraus brachte. Jake zögerte noch einen Moment, dann<br />

nickte er, müde und resigniert.<br />

<strong>Die</strong> Chance<br />

Ein Mensch, der für nichts zu sterben gewillt ist, verdient nicht zu leben.<br />

Martin Luther King<br />

Sawyer öffnete mühsam die Lider, die er vor Schmerz und Erschöpfung geschlossen<br />

hatte. Alles verschwamm ihm ein paar Sekunden lang vor den Augen, dann war sein Blick<br />

wieder klar. Auf seinen blassen Wangen waren neben Schweiß und Blut Tränenspuren zu<br />

sehen. Das war bei Jake nicht anders. Immer wieder schossen beiden Männern, ohne, dass sie<br />

es hätten verhindern können, bei Würgereiz oder einem besonders schlimmen Ziehen in den<br />

Schultern Tränen in die Augen. Wütend darüber wurden diese weg geblinzelt. Sawyer spürte,<br />

dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Er wünschte sich sehnlichst, endlich die Be-<br />

sinnung zu verlieren. Ihm war schwindelig, sein Mund und Rachen war trocken wie Sand-<br />

papier, seine Augen waren vor Schmerzen glasig, sein Atem kam abgehackt und keuchend.<br />

108


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Seine Haare klebten ihm schweißnass auf der Stirn. Aber dass ihre Mitgefangenen sie an-<br />

feuerten, bekam Sawyer sehr wohl noch mit. Mit großer Anstrengung verdrehte er den Kopf,<br />

bis er Jake neben sich sah. Sawyer erschrak. Wenn er selbst auch so miserabel aussah, musste<br />

Kate denken, dass er jeden Moment Ex gehen würde. Jake schossen ähnliche Gedanken durch<br />

den Kopf, als er sich nun auch zu Sawyer umdrehte. Und dann kam die nächste Anfrage:<br />

„Gebt ihr nach?“ Sawyer hörte wie durch Watte Heather flehen: „Bitte, Jake.“ Und Sawyer<br />

sah, wie Jake nickte.<br />

Kate konnte nicht fassen, dass Sawyer derart stur war. Sie schluchzte immer wieder<br />

auf. „Bitte ... Sawyer. Wenn du hier ...“ Sie konnte das Wort nicht aussprechen. „Wie soll ich<br />

das hier ohne dich überstehen ... Bitte, gib nach.“ Vollkommen verzweifelt verstummte sie.<br />

Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Sicher, dass Sawyer nicht nachgeben würde, aber<br />

auch sicher, dass sie so oder so in die Kiste würde müssen ... Kate war sich absolut sicher,<br />

dass sie da drinnen einen irreparablen Schaden nehmen würde. Sawyer sah mindestens ebenso<br />

verzweifelt zu ihr herüber und schüttelte den Kopf. Seine Augen schienen zu sagen - Ich kann<br />

das nicht ... - Das Hängen wurde mit jeder Minute unerträglicher und auch, dass ihre Mit-<br />

insassen sie anfeuerten, machte keinen Unterschied mehr. Sawyer gestand sich ein, am Ende<br />

zu sein. Aber das änderte absolut nichts daran, dass er Kate das niemals antun würde. Er<br />

wusste, dass sie in der Kiste durchdrehen würde. Er hatte in Sydney einen kleinen Eindruck<br />

davon erhalten, wie schlimm ihre Platzangst war. Er war vollkommen hoffnungslos, denn ...<br />

Er wusste nicht, wie er ihr helfen sollte, denn irgendwie war klar, dass die Entführer sie auf<br />

jedem Fall in die Kiste stecken würden. Nackte Verzweiflung hielt ihn umklammert. Gab er<br />

doch noch nach, würde er sie in die Kiste sperren müssen und sie drehte durch. Gab er nicht<br />

nach, würden die Entführer es für ihn machen und Kate drehte genau so durch. Als Sawyer<br />

sah, dass Jake zu der nächsten Nachfrage nickte, sank sein Kopf langsam auf seine Brust und<br />

er schloss unendlich verzweifelt die Augen.<br />

Wachleute betraten den Kerker. Als erstes wurde Jake aus seiner Zwangslage befreit.<br />

Er konnte sich nicht auf den Beinen halten und sank zu Boden. Der Knebel wurde ihm aus<br />

dem Mund genommen und die Ledermanschetten von den Handgelenken gelöst. Stöhnend<br />

vor Schmerzen versuchte Jake, die Arme zu bewegen. Er konnte nicht schlucken, sein Mund<br />

und Hals war hoffnungslos ausgetrocknet. Als er nach einigen Minuten das Gefühl hatte, die<br />

Arme ein wenig bewegen zu können, ohne vor Schmerzen zu schreien, versuchte er, auf die<br />

Beine zu kommen. Jeden Blick auf Sawyer vermeidend, taumelte er zu Heather hinüber.<br />

<strong>Die</strong>se sah so erleichtert aus, dass Jake ein Stein vom Herzen fiel. Heather wurde von ihren<br />

Fesseln befreit. Ohne zu Zögern trat sie zu der Kiste hin. Mit zitternden Händen öffnete Jake<br />

diese und erschrak ein wenig. <strong>Die</strong> Kiste war innen mit schwarzem Leder beschlagen und sah<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sehr schalldicht aus. Heather stieg ruhig in die Kiste und sah Jake ebenso ruhig an. „Mach<br />

schon, Jake, es ist wirklich kein Problem.“ Jake biss die Zähne zusammen und legte den<br />

Deckel auf die Kiste, verriegelte die Verschlüsse. Anschließend wurde er von zwei Wachen<br />

ebenfalls an seine Zellentür gefesselt. „Das können die nicht machen.“, rief Cameron empört.<br />

„Jake ist fertig, die müssen ihm doch erlauben sich hinzulegen.“ „Ich bin nicht fertig.“,<br />

protestierte Jake halbherzig. Seine Stimme war kaum zu erkennen, so heiser klang er. „Wenn<br />

es nur um <strong>mich</strong> gegangen wäre, hätte ich das spielend noch ein paar Stunden durchgehalten.<br />

Ich habe nur nachgegeben, weil Heather mehr darunter gelitten hat als unter der Kiste. Das<br />

sollte dieser Volltrottel auch tun. Sieht er nicht, wie Kate leidet?“ „Wenn du Volltrottel nicht<br />

nur Augen für deine kleine Nonne gehabt hättest, wäre dir auch aufgefallen, dass Kate unter<br />

extremer Platzangst leidet.“, zischte House wutentbrannt. Sichtlich erschrocken wandte Jake<br />

seine Aufmerksamkeit Kate zu und er sah mit einem Blick, dass House Recht hatte. „Oh, ver-<br />

dammt.“<br />

Als Jake den Deckel der Kiste verschlossen hatte, kam ein Arzt in den Kerker. Er trat<br />

zu Sawyer und sah sich diesen genau an. Er gab zwei der Wachen den Befehl, den Ge-<br />

fesselten so weit herunter zu lassen, dass er bequem an Sawyers Augen kam. Sawyer bekam<br />

das kaum noch bewusst mit. Seine Beine gaben nach und er hing wie ein nasser Sack in den<br />

Fesseln. Mit einer kleinen Augenlampe überprüfte der Arzt Sawyers Pupillenreflex. Dann zog<br />

er eine Blutdruckmanschette aus der Kitteltasche und maß den Blutdruck. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

und besonders Kate sahen gebannt zu. So sehr wünschte Kate sich, dass der Arzt die ganze<br />

Sache beenden würde und anordnen würde, sie, Kate, einfach in die Kiste zu stecken, aber<br />

nichts dergleichen geschah. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie, wie er Befehl gab,<br />

Sawyer wieder hoch zu hieven. Auch die <strong>Anderen</strong> waren schockiert. Sie hatten ebenfalls ge-<br />

dacht, der Junge hätte es endlich hinter sich. Dass sie ihn wirklich wieder hoch zogen, konnte<br />

keiner fassen. Der Arzt winkte die Wachen raus und folgte ihnen. Schweigen herrschte.<br />

Keiner konnte glauben, was sich hier abspielte. Was keiner ahnen konnte, war eine hitzige<br />

Diskussion in einem Büro des Gebäudes.<br />

*****<br />

„Er hält nicht mehr viel länger durch.“<br />

„Dann eben nicht, wir haben gesagt, einige sind über.“<br />

„Das ist richtig, aber nicht jetzt schon und nicht, bevor wir wissen, ob<br />

wir seine Fähigkeiten noch brauchen werden.“<br />

„Wir wissen ja noch nicht einmal, ob er wirklich geeignet ist.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Nun, das werden wir sicher auch nicht herausfinden, wenn wir ihn jetzt<br />

schon Ex gehen lassen.“<br />

„Er hat Recht. Wir müssen einfach sicher gehen, gerade bei ihm. Dann<br />

können wir ihn immer noch entsorgen.“<br />

„Sicher. Wie kommen wir da raus?“<br />

„Das lass mal meine Sorge sein, ich mache das schon. Sind wir uns<br />

einig? Noch wird er gebraucht?“<br />

„.... Okay, diesmal geht er noch nicht Ex.“<br />

*****<br />

Plötzlich knackte es in den Lautsprechern. „Nummer 3. Wenn du nicht endlich nach-<br />

gibst, wirst du Nummer 8 in die Kiste begleiten.“ Wohl jeder im Kerker hielt die Luft an.<br />

Sawyer erhielt hier, warum auch immer, eine einmalige Chance. Es dauerte ein paar<br />

Sekunden, bis die Worte und vor allem deren Bedeutung in Sawyers schmerzumnebeltes Ge-<br />

hirn vordrangen. In seinem Kopf war nur noch Platz für: Ich kann nicht mehr. <strong>Die</strong>ser Ge-<br />

danke kämpfte ununterbrochen damit, die Herrschaft über: Ich geb nicht auf. zu bekommen.<br />

Krampfhaft versuchte er, sich noch einmal zu Konzentrieren. Und dann ging ihm auf, was<br />

diese Drohung bedeutete. Kate erstarrte in ihren Fesseln und sah zu Sawyer hoch. „Bitte.“<br />

Sawyer legte den Kopf in den Nacken und versuchte krampfhaft, sich zu Konzentrieren.<br />

Wenn er mit in die Kiste musste, war es möglich, dass Kate es eine kleine Weile ertragen<br />

würde ... „Wirst du jetzt gehorchen?“ Sawyer schloss kurz die Augen. Dann sah er Kate an.<br />

Entschlossen schüttelte er den Kopf.<br />

Kate schluchzte auf vor Erleichterung. Sie hatte keine Ahnung, ob sie es in seinen<br />

Armen ertragen würde, dort zu liegen. Aber sie wusste, alleine würde sie es nicht überstehen.<br />

Jetzt ging die Kerkertür auf und zwei Wachen betraten den Raum. Zielstrebig gingen sie zu<br />

dem Gestänge, an dem Sawyer hing und lösten das Seil, das den jungen Mann in seiner<br />

hängenden Position hielt. Langsam ließen sie ihn zu Boden gleiten und nahmen ihm den<br />

widerlichen Knebel aus dem Mund. Dann griffen sie rücksichtslos Sawyers gefesselte Hand-<br />

gelenke. <strong>Die</strong> Bewegung ließ Sawyer aufschreien vor Schmerz. Er wünschte, sie hätten den<br />

Knebel länger in seinem Mund gelassen. Kate schnitt Sawyers Aufschrei ins Herz. Sie be-<br />

obachtete, wie man ihm die Ledermanschetten abnahm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ver-<br />

suchte er, seine Arme ganz vorsichtig zu bewegen. Einer der Wachen drückte ihm eine<br />

Flasche Wasser in die Hand und Sawyer trank gierig ein paar Schlucke. Dann wurde er auf<br />

die Beine gezerrt, was ihm erneut einen leisen Schmerzensschrei entlockte. Krampfhaft biss<br />

er die Zähne zusammen und hielt sich an dem Reck fest, um nicht sofort wieder zusammen zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sacken. <strong>Die</strong> Wachen traten zu Kate und machten sie los. Sie wurde zu der Kiste gezerrt und<br />

diese wurde von einer der Wachen geöffnet. Panisch wollte Kate zurück weichen. Sawyer sah<br />

ihre Reaktion und wankte zu ihr hinüber. Kate sank weinend in seine Arme. „Ich kann nicht<br />

...“, wimmerte sie hysterisch.<br />

*****<br />

Sobald Jake die Kiste verschlossen hatte, bemerkte Heather, dass die Kiste wirklich<br />

absolut schalldicht und lichtundurchlässig war. Sie konnte nichts sehen und das einzige Ge-<br />

räusch, das sie hörte, war ihr eigener Herzschlag, der nun deutlich beschleunigt war. Das Ge-<br />

fühl völliger Isolation war beängstigender als Heather erwartet hatte. Sie schloss die Augen<br />

und bemühte sich, ruhig und tief zu atmen. Sie versuchte sich mental an einen anderen Ort zu<br />

versetzen. Vor ihrem geistigen Auge sah Heather Jakes Gesicht. Sie erinnerte sich an die<br />

Wochen, die sie mit ihm in Sydney verbracht hatte, an das Gefühl der Ruhe und Sicherheit,<br />

die jede seiner Berührungen in ihr auslöste. Heather fühlte bald, wie ihr Herzschlag sich be-<br />

ruhigte.<br />

*****<br />

„Ganz ruhig, Freckles.“, sagte Sawyer heiser, aber sehr sanft. Er erkannte kaum seine<br />

Stimme wieder. Kratzig, erschöpft, vor Schmerzen ganz gepresst. Seine Beine zitterten heftig,<br />

sie waren kaum fähig, ihn zu tragen. Er legte mit zusammengebissenen Zähnen die Arme um<br />

Kate und drückte sie an sich. „Wir schaffen das, du schaffst das, okay, ich bin bei dir.“ <strong>Die</strong><br />

Kiste war jetzt offen. Wimmernd starrte Kate hinein. Sawyer holte tief Luft, dann griff er ihre<br />

Hand. Er stieg selbst in die Kiste und legte sich aufstöhnend hin. Da er Kates Hand nicht los-<br />

ließ, musste sie ihm folgen. Heftig schluchzend und am ganzen Körper zitternd stieg sie eben-<br />

falls hinein. Als sie dann neben ihm lag, schlang Sawyer stöhnend die Arme um sie und zog<br />

sie ganz dicht an sich. Kate schloss verzweifelt die Augen und vergrub ihr tränenüberströmtes<br />

Gesicht an Sawyers Brust. Als der Deckel aufgelegt wurde, keuchte sie vor panischem Ent-<br />

setzen. Sawyer spürte, wie sie sich vollkommen verkrampfte vor Angst. „Hey, Süße, ganz<br />

ruhig, ich bin bei dir, dir kann gar nichts passieren. Komm schon, versuch, ruhig und gleich-<br />

mäßig zu Atmen.“ Er hielt Kate fest und streichelte ihr trotz der Schmerzen in seinen<br />

Schultern und Armen sanft über den Rücken. Sie wimmerte leise vor sich hin. Aber<br />

wenigstens wurde sie nicht hysterisch. Sie klammerte sich an ihn, immer noch heftig zitternd<br />

und stotterte: „Wie ... wie geht ...“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende, zu sehr hielt die Panik<br />

sie umfangen. Ohne Sawyer, das wusste sie genau, wäre sie schon ein schreiendes Bündel<br />

gewesen, bevor sie auch nur in der Kiste gelegen hätte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wird es ihr helfen, dass Sawyer bei ihr ist? Wie lange kann sie das aushalten?“,<br />

fragte Abby besorgt. „Es wird Kate ganz sicher sehr helfen, dass Sawyer bei ihr ist.<br />

Langfristig könnte ihre Klaustrophobie sogar deutlich positiv beeinflusst werden, wenn sie<br />

diese Enge ab mit einer angenehmen Erfahrung verknüpft. Dafür wird Sawyer schon sorgen,<br />

wahrscheinlich wird die Erfahrung umso angenehmer, je länger sie da drin bleiben.“,<br />

antwortete Mulder beruhigend. „Woher nimmst du deine Weisheiten? Lernt man so was beim<br />

FBI?“, fragte Bones genervt. „Nein, aber im Psychologiestudium.“, entgegnete Spooky ruhig.<br />

„Na großartig. Ich hasse Psychologie.“ „<strong>Über</strong>rascht <strong>mich</strong> nicht. Dir ist wahrscheinlich klar,<br />

dass jeder Psychologe, der dich in die Finger kriegt, dich in die geschlossene Abteilung ein-<br />

weisen würde.“, kommentierte House grantig. Er sah elend aus, sein Gesicht war schweiß-<br />

überströmt und schmerzverzerrt. Das lange Stehen machte ihm deutlich zu schaffen.<br />

*****<br />

Ganz allmählich merkte Sawyer, dass Kate ein klein wenig ruhiger wurde. In seinen<br />

Armen liegend, das Gesicht immer noch an seine Brust gedrückt, ließ ihr Zittern ein wenig<br />

nach. Leise redete er auf sie ein. Es war egal, was er sagte, wichtig war nur, dass sie seine<br />

Stimme, die er selbst kaum wieder erkannte, in der vollkommenen Dunkelheit hörte. „Hey,<br />

Kleines, alles wird wieder gut. Wir schaffen das hier gemeinsam. Du bist so stark, du schaffst<br />

das spielend.“ Er hörte sie in der Dunkelheit kurz und viel zu schnell atmen. „Versuch, lang-<br />

samer und tiefer zu Atmen, Freckles, sonst hyperventiliert du. Hey, komm, gib dir Mühe,<br />

sonst lass ich <strong>mich</strong> wieder aufhängen.“ Er spürte erleichtert, wie Kate sich noch enger an ihn<br />

klammerte, sofern das überhaupt noch möglich war, und tatsächlich tief Luft holte. Dann<br />

atmete sie etwas ruhiger weiter. „So ist es viel besser.“ Kates Kopf bewegte sich, aber Sawyer<br />

hielt ihn fest an sich gedrückt. „Bleib einfach so liegen, Baby, dann merkst du gar nicht, wo<br />

wir sind. Streich einfach aus deinem Kopf, wo wir liegen, okay.“ Zaghaft nickte Kate.<br />

Endlich schaffte sie es, ganz leise und angstvoll zu fragen: „Wie ... wie geht es dir?“ „Ich bin<br />

okay, mach dir keine Sorgen um <strong>mich</strong>. Ich werde es überleben.“ Er dachte daran, dass es ver-<br />

dammt knapp gewesen war. - <strong>Die</strong>smal - fügte er in Gedanken hinzu.<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen wurden langsam unruhig und beobachteten besorgt die<br />

beiden Kisten. Sawyer und Kate waren noch nicht sehr lange eingesperrt, aber auch die kurze<br />

Zeit musste für Kate die Hölle sein. Heather war nun schon eine Weile in ihrer Kiste und Jake<br />

machte sich zunehmend Sorgen. Auch wenn sie nicht unter Klaustrophobie litt, musste der<br />

Aufenthalt in der engen, dunklen und anscheinend völlig schallisolierten Kiste mehr als unan-<br />

genehm sein. Genau in dem Moment kamen zwei Wachen herein und öffneten die Kiste, in<br />

der Heather lag. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen hofften, dass sie auch Kate und Sawyer befreien<br />

113


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

würden, aber die Männer ignorierten die zweite Kiste. Stattdessen fesselten sie Heather nun<br />

auch an ihre Käfigtür. <strong>Die</strong>se schien erleichtert, aus der engen Kiste befreit zu sein, sah aber<br />

nicht sonderlich verängstigt aus. „Geht es dir gut?“, fragte Jake besorgt. „Ja, alles okay bei<br />

mir. Was ist mit dir?“ „Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. War halb so wild.“,<br />

antwortete Jake großspurig, obwohl seine Stimme vor Schmerzen und Erschöpfung ganz ge-<br />

presst klang und er bemühte sich möglichst entspannt auszusehen, obwohl ihm alles wehtat.<br />

Sawyer hatte die Augen geschlossen, zu sehen gab es außer absoluter Dunkelheit<br />

ohnehin nichts. So fühlte er Kates Nähe noch intensiver. Ihr warmer Körper, der sich zitternd<br />

an ihn drängte, ihre weiche Haut unter seinen Händen. Ihm tat alles weh. Er hatte das Gefühl,<br />

die Arme nie wieder schmerzfrei bewegen zu können. Sein Hals war rau und trocken. Ihm<br />

war schwindelig. Er hätte sonst was für eine Massage der Schultern und des Rückens ge-<br />

geben. Wie es weiter gehen würde machte ihm Sorgen. So ein Ausrutscher durfte ihm einfach<br />

nie wieder passieren. Er hatte sich und viel, viel schlimmer, auch Kate in höchste Gefahr ge-<br />

bracht. Das durfte ihm nicht wieder passieren. Aber als er gesehen hatte, dass Kate den<br />

gierigen Blicken der Wachen ausgesetzt gewesen war, da in der Dusche, hatte bei ihm einfach<br />

etwas ausgesetzt. Er hätte die Dreckskerle am liebsten alle getötet. Und wenn es nicht um<br />

Kate gegangen wäre, er hätte dort an dem Reck gehangen bis zum bitteren Ende. Das wusste<br />

er. Zu verlieren hatte er außer Kate ohnehin nichts. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er<br />

dort an dem verfluchten Reck dieser ganzen Sache hier ein Ende gemacht. Sawyer bewegte<br />

sich in eine etwas andere Position und konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. <strong>Die</strong><br />

Schmerzen in seinen Schultern waren wirklich heftig. Irgendwann fiel ihm auf, dass Kate in<br />

den letzten Minuten sehr still gewesen war. Er fragte erschrocken: „Freckles, ist alles in<br />

Ordnung?“ Verzagt antwortet sie: „Ja, ja, es geht. Sawyer, ich will hier raus.“ Leises<br />

Schluchzen. „Pscht, wir werden sicher bald hier heraus gelassen. Hey, den Rest schaffst du<br />

auch noch.“ Kate holte tief Luft. Sie wollte noch etwas sagen, aber in diesem Moment wurde<br />

der Deckel der Kiste geöffnet. Unendlich erleichtert atmete Sawyer auf. Kate hatte es hinter<br />

sich.<br />

Trügerische Ruhe<br />

<strong>Die</strong> Liebe ist der einzige Weg, auf dem selbst die Dummen zu einer gewissen<br />

Größe gelangen.<br />

114


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Honore de Balzac<br />

Sie wagte nicht, ihn loszulassen, immer noch klammerte sie sich an ihm fest, das Ge-<br />

sicht an seine Brust gepresst. So sagte Sawyer ruhig und liebevoll: „Hey, Freckles, du hast es<br />

geschafft. Komm schon, lass uns aussteigen.“ Ganz langsam schien Kate zu begreifen, dass<br />

sie es wirklich geschafft hatte. Ihr Griff lockerte sich etwas und Sawyer richtete sich vor-<br />

sichtig auf. Er hatte keinen Blick für seine Mitgefangenen, die angespannt den Atem an-<br />

hielten. Was war mit Kate? Sie hing an Sawyer wie eine Klette. Er strich ihr sanft über die<br />

verschwitzten Haare und den Rücken. „Komm schon, Süße, beruhig dich. Das war hammer-<br />

hart, ich weiß, aber du hast es geschafft.“ Und erst jetzt löste Kate den Griff langsam und sah<br />

sich um. Sawyer nutzte die Gelegenheit, sich hochzustemmen, was ihm den Schweiß auf die<br />

Stirn trieb. Seine Gelenke fühlten sich an, als wären sämtliche Bänder und Sehnen in ihnen<br />

gerissen. Er hätte Kate so gerne aus der Kiste gehoben, aber das konnte er vergessen. Schon,<br />

ihr die Hand zu reichen und sie hoch zu ziehen kostete ihn ungeheure <strong>Über</strong>windung. Aber er<br />

unterdrückte die Schmerzen und zog sie aus der Kiste. Als sie mit zitternden Knien aus dem<br />

engen Kasten stieg und wieder in Sawyers Arme wankte, jubelten die anderen Gefangenen<br />

erleichtert auf. Wenn auch ziemlich angeschlagen, schien es Kate soweit gut zu gehen.<br />

Eng aneinander geschmiegt standen Kate und Sawyer immer noch neben der Kiste.<br />

Aus dem Lautsprecher kam ein statisches Knistern, dann: „Nummer 2 und 3.“ <strong>Die</strong> Genannten<br />

zuckten leicht zusammen. Sawyer schüttelte resigniert den Kopf. - Was denn jetzt noch ... - Er<br />

hatte das Gefühl, jeden Moment zusammen zu brechen. Er wollte nur noch auf seine Liege.<br />

„Habt ihr begriffen, dass ihr zu tun habt, was wir befehlen?“ Jake und Sawyer zitterten<br />

gleichermaßen vor Wut, aber Sawyer ließ schließlich, nach einem Blick in Kates immer noch<br />

blasses, verweintes Gesicht, den Kopf hängen. Desillusioniert und vor allem resigniert nickte<br />

er. Auch Jake nickte. „HABT IHR ES KAPIERT?“ Laut und ungeduldig hallte die Stimme<br />

durch den Kerker. „Ja, ja, verdammt, ich habe es kapiert.“ Sawyer gab endgültig auf. Leise, so<br />

leise, dass nur Kate es hören konnte, stieß er: „Ach, leckt <strong>mich</strong> doch ...“ hervor. Auch Jake<br />

hatte keine andere Wahl mehr. „Ja, ist ja gut, ich habe es auch kapiert.“, brachte er gequält<br />

hervor. Im Stillen dachte er: - Ihr könnt <strong>mich</strong> mal am Arsch lecken. - Jetzt betraten Wachen<br />

den Kerker. Nacheinander befreiten sie die gefesselten Gefangenen und stießen sie in ihre<br />

Zellen zurück. Zu ihrer <strong>Über</strong>raschung wurde Heather in Jakes Zelle gestoßen. Als sich die<br />

Gittertür hinter den Beiden schloss, drückte eine der Wachen Heather kommentarlos eine<br />

Tube mit Salbe in die Hand. Als alle Gefangenen in ihren Zellen waren, wurden schließlich<br />

auch Kate und Sawyer, ausnahmsweise ohne gefesselte Hände, in Sawyers Zelle zurück ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trieben. Kate bekam ebenfalls eine Tube mit der gleichen Salbe in die Hand gedrückt, dann<br />

verließen die Wachen den Kerker. Und als diese kaum die Tür hinter sich zu hatten, brach in<br />

den Zellen Beifall aus. Ziva rief: „Ihr wart großartig.“, und alle applaudierten begeistert.<br />

Sawyer wurde tatsächlich rot. Verlegen und vor Schmerzen leise stöhnend ließ er sich<br />

auf seine Liege sinken. Kate wachte wie aus einer Trance auf. Sie ging neben Sawyer in die<br />

Knie und stammelte: „Wenn du nicht ... mit in die Kiste ... Ich hätte es allein nicht ...“ „Wenn<br />

ich nicht gewesen wäre, Kate, wäre es gar nicht erst zu dieser Situation gekommen.“, stieß<br />

Sawyer heftig hervor. Er drehte sich herum und schloss die Augen. Kate erschrak. „Nein,<br />

Sawyer, rede kein dummes Zeug. Du hast es für <strong>mich</strong> getan. Das ist ... Das war ... Es ist mir<br />

egal, was daraus geworden ist, du hast es für <strong>mich</strong> getan, so was hat noch nie jemand für <strong>mich</strong><br />

getan.“ Sie griff nach seiner Schulter und zwang ihn, sich wieder zu ihr herum zu drehen.<br />

„Sawyer, bitte. Du hast keinen Grund, dir Vorwürfe zu machen, okay. Ich ... Es war nicht die<br />

klügste Idee deines Lebens, aber eine deiner Besten.“ Sie beugte sich über ihn und ohne die<br />

Blicke der <strong>Anderen</strong> zu beachten, küsste sie Sawyer, lange und leidenschaftlich. Er reagierte<br />

erst nicht, aber schließlich konnte er sich nicht mehr wehren und erwiderte Kates Kuss mit<br />

derselben Leidenschaft. Als sie sich endlich von einander lösten, fragte Kate sanft: „Wie<br />

fühlst du dich? Kannst du dich auf den Bauch drehen, damit ich dir den Rücken und die<br />

Schultern massieren kann?“ Sawyer sah sie erstaunt an. „Kannst du so was?“ Kate lächelte<br />

sanft. „Zieh den Kittel aus, dreh dich um und ich werde dir beweisen, dass ich einiges drauf<br />

habe.“ Ächzend und mit zusammen gebissenen Zähnen sowie Kates Hilfe schlüpfte Sawyer<br />

aus dem Kittel, ließ ihn achtlos zu Boden fallen, und drehte sich auf den Bauch. „Leg die<br />

Arme ganz entspannt am Körper herunter, okay.“ Sie griff nach seinen Händen und zog sie<br />

sanft an seine Seiten.<br />

Nun sah Kate sich die Salbentube genauer an. Durchblutungsfördernde Massagesalbe.<br />

Sie nickte anerkennend und legte die Salbe erst einmal beiseite. Stattdessen fing sie an, ganz<br />

sanft ihre Hände und Finger über Sawyers Körper gleiten zu lassen. Sie begann an den Armen<br />

und ließ ihre Hände streichelnd über Sawyers Haut gleiten, von außen nach innen zur<br />

Körpermitte arbeitend. Ihre Finger fühlten die vielen Verspannungen unter seiner warmen,<br />

weichen Haut und sie schüttelte besorgt den Kopf. Es gab kaum einen Muskel in Sawyers<br />

Körper, der nicht total verkrampft war. Ganz allmählich wurden Kates Berührungen fester<br />

und dann war sie mit der Vorbereitung auf die eigentliche Massage fertig. Jetzt öffnete Kate<br />

die Salbe und drückte einen großen Strang auf Sawyers Rücken Dann fing sie ernsthaft an zu<br />

Arbeiten. Von den äußersten Punkten zum Herzen hinarbeitend, knetete sie die Muskulatur<br />

durch und Sawyer ächzte ab und zu auf, wenn sie eine besonders verspannte Stelle erwischte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Aber ganz allmählich spürte er, dass sich die ersten, schmerzhaften Verspannungen lösten.<br />

Kate arbeitet an seinen Schultergelenken, bis Sawyers schmerzhaftes Stöhnen immer mehr in<br />

wohliges Seufzen überging. Schließlich fragte sie ihn: „Na, geht es wieder etwas besser?“<br />

Sawyer hob den Kopf und sah Kate an. „Du bist hervorragend. Wenn du noch ein paar Tage<br />

so weiter machst, wird es mir wieder ganz gut gehen.“ Sie lächelte. „Ich fürchte, die Gelegen-<br />

heit werden wir nicht bekommen. Ich muss sicher bald in meine Zelle zurück.“ In ihrem Ge-<br />

sicht war deutlich Angst zu sehen. Sawyer setzte sich vorsichtig auf und stellte erstaunt fest,<br />

dass die Schmerzen deutlich nachgelassen hatten. Er legte sich achtlos den Kittel über den<br />

Schoss und zog Kate neben sich auf die Liege. Sie ließ sich an ihn sinken und sagte leise: „Ich<br />

habe Angst. Ich habe Angst, dass nicht alle von uns hier lebend raus kommen.“<br />

*****<br />

Inzwischen hatten sich Heather und Jake auf die Liege gesetzt. „Geht es dir wirklich<br />

gut?“, fragte sie Jake besorgt. „Ich stelle es mir ziemlich beängstigend vor, in dieser dunklen<br />

Kiste zu liegen.“, versuchte dieser ungeschickt, Heather abzulenken. „Am Anfang hatte ich<br />

wirklich ziemliche Angst. Aber dann habe ich an dich gedacht und <strong>mich</strong> sofort sicher ge-<br />

fühlt.“, erklärte Heather mit ihrem unwiderstehlichen, schüchternen Lächeln. „Gut, jetzt habe<br />

ich zugegeben, dass ich Angst hatte. Dafür könntest du aufhören, so zu tun, als wärest du un-<br />

verwundbar und zugeben, dass dir alles weh tut.“ Jake sah sich kurz im Zellentrakt um und<br />

vergewisserte sich, dass niemand ihnen besondere Aufmerksamkeit schenkte. <strong>Die</strong> meisten<br />

anderen waren damit beschäftigt, lauthals über die Entführer zu schimpfen. „Na ja, ich hab<br />

<strong>mich</strong> schon besser gefühlt, aber so ein kleiner Muskelkater vergeht auch wieder.“ „Er würde<br />

schneller vergehen, wenn du mir erlaubst, dich zu massieren.“, bot Heather an und biss sich<br />

nervös auf die Lippen. „Das musst du nicht tun, wirklich.“ „Ich weiß. Aber ich möchte dir<br />

helfen. Zieh einfach den Kittel aus und leg dich auf den Bauch. Ich meine natürlich nicht ganz<br />

ausziehen.“ Heather errötete. „Nur so, dass ich an deine Arme und Schultern komme.“ Jake<br />

verkniff sich ein Grinsen und stand auf. Er löste das Band, welches den Kittel zusammenhielt<br />

und schlüpfte aus den Armlöchern. Sorgfältig bemüht, den Kittel nicht fallen zu lassen, was<br />

ziemlich schwierig war, schob er das Kleidungsstück an seinem Körper herunter und be-<br />

festigte es an seiner Taille, wie er es schon am ersten Tag ihres Aufenthaltes getan hatte.<br />

House hatte diese akrobatische Aktion zwei Zellen weiter amüsiert beobachtet. „Ich<br />

nehme meine Erstdiagnose mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Der arme Junge schläft<br />

ganz sicher nicht mit der Kleinen und wird das vermutlich auch in den nächsten zehn Jahren<br />

nicht tun.“ „House.“, rief Cameron entsetzt, während Heather noch tiefer errötete und zu<br />

Boden sah. Jake schluckte alles, was ihm auf der Zunge lag, herunter, um Heather nicht noch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mehr in Verlegenheit zu bringen, und begnügte sich mit einem Blick in Richtung House, der<br />

jeden anderen augenblicklich zum Schweigen gebracht hätte. Nicht so den Arzt. „Jetzt ver-<br />

stehe ich, woher Jakes ganze überschüssige Energie kommt. Wenn du mal in Jersey bist kann<br />

ich dir die Nummern von ein paar Damen geben, die dir gegen eine kleine Aufwands-<br />

entschädigung bei deinem Problem helfen könnten.“ „Nun halt doch mal die Klappe und<br />

kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.“, fuhr Sara House wütend an. „Oder<br />

wollen wir das Thema vertiefen, dass du offensichtlich für Sex bezahlen musst?“ „Wann hat<br />

er das denn gesagt?“, fragte Bones verwirrt. „Weißt du überhaupt, wie das mit den Bienchen<br />

und den Blümchen funktioniert?“, fragte House die Anthropologin. Bones runzelte die Stirn.<br />

„Ich bin sowohl mit den Mechanismen der sexuellen Reproduktion beim Menschen als auch<br />

mit dem Bestäubungsvorgang zwischen Bienen und Blumen vertraut. Allerdings habe ich nie<br />

verstanden, warum letzterer Vorgang als Analogie für ersteren verwendet wird.“ Nun sah<br />

House auch Booth mitleidig an. „Soll ich dir auch ein paar von den Nummern geben und ein<br />

gutes Wort für dich einlegen? Wenn ich denen deine Freundin vorstelle, kriegst du bestimmt<br />

Mitleidsrabatt.“ Ehe Booth eine Chance hatte, House zu erklären, dass er und Bones nur<br />

Kollegen waren, fragte Tempe: „Kann mir mal jemand erklären, von welchen Nummern ihr<br />

hier sprecht? Der Zusammenhang von menschlicher Reproduktion, Bestäubungsvorgang und<br />

Numerologie, die übrigens ohnehin wissenschaftlich nicht relevant ist, erschließt sich mir<br />

nicht.“ Inzwischen kam aus so ziemlich jeder Zelle schallendes Gelächter, nur Bones sah<br />

immer noch sehr verwirrt aus. Booth hielt sich am Gitter fest und lachte Tränen.<br />

Währenddessen waren Jake und Heather äußerst erleichtert über die Verlagerung der<br />

allgemeinen Aufmerksamkeit. Jetzt, wo sie unbeobachtet waren, hatte Heather weniger<br />

Hemmungen Jake zu massieren. Auch sie begann sanft über Jakes Rücken zu streicheln, um<br />

vorsichtig die schlimmsten Verspannungen zu lösen. Dann trug sie eine großzügige Portion<br />

Salbe auf Jakes Rücken auf und begann ihn kräftiger zu massieren. Langsam spürte sie, wie<br />

die Knoten sich lösten und Jake begann, sich unter ihren Händen zu entspannen. Heather<br />

arbeitete ähnlich lange wie Kate, bis sie ebenfalls merkte, dass Jake vollkommen entspannt<br />

war. Erleichtert atmete die junge Frau auf. Es war ihr erstaunlich schwer gefallen, Jakes<br />

nackte Haut zu berühren. Aber er brauchte dringend Hilfe. Ihre strenge Erziehung schlug in<br />

solchen Momenten immer wieder durch und sie wünschte sich, sie könne bestimmte Sachen<br />

einfach auch lockerer sehen, wie andere junge Frauen. Jake wollte sich erheben, aber sie<br />

schüttelte den Kopf. „Bleib ruhig liegen. Du hast es dir verdient. Dass du das für <strong>mich</strong> getan<br />

hast ...“ Sie wurde rot und schwieg. Jake hatte sich vorsichtig herum gedreht und war bemüht,<br />

seinen Kittel ja nicht verrutschen zu lassen, um Heather nicht noch mehr in Verlegenheit zu<br />

bringen. Leicht neidisch war er sicher, dass bei Kate und Sawyer keinerlei Probleme dieser<br />

Art vorlagen. Erschrocken zuckte er zusammen, als plötzlich: „Nummer 8 und 9.“, aus dem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lautsprecher ertönte. Ein paar Zellen weiter war auch Kate zusammen gezuckt. Hastig beugte<br />

sie sich über Sawyer, gab diesem noch einen leidenschaftlichen Kuss und erklärte: „Ich liebe<br />

dich, vergiss das nie.“ Dann trat sie an die Zellentür und Augenblicke später kamen Wachen<br />

und schafften sie und Heather in ihre Zellen zurück. Dann wurde das Licht gelöscht und nach<br />

und nach kamen die Gefangenen zur Ruhe.<br />

*****<br />

Das Tröten des Weckrufes erklang und nicht nur Booth hatte das eigenartige Gefühl,<br />

als wären die Intervalle kürzer als gewöhnlich. Schulterzuckend nahm er es hin, genau wie<br />

Ziva und Scully, denen die verkürzte Ruhephase auch aufgefallen war. Während einige der<br />

Gefangenen noch dabei waren, sich in den kleinen Waschbecken wenigstens das Nötigste zu<br />

Waschen kam schon die Lieferung des Brotes, Wassers und der Pillen. Jake starrte minuten-<br />

lang das kleine Schälchen mit Pillen an, dann verdrehte er die Augen und entschloss sich<br />

spontan, die elenden Dinger zu nehmen. Er war kein Arzt und seine medizinischen Kennt-<br />

nisse erschöpften sich fast darin, blaue Augen und Blutergüsse nach Schlägereien zu be-<br />

handeln, aber dass ein Mensch nicht von Brot und Wasser gesund bleiben konnte, war selbst<br />

ihm klar. Mit Todesverachtung schluckte er nun also die Pillen und spülte sie mit Wasser<br />

gründlich nach. Er kaute noch auf einem Stück Brot herum, als die Ansage: „Nummer 15.“,<br />

ertönte. Mulder stopfte sich noch einen Bissen Brot in den Mund, dann stand er langsam auf<br />

und trat an die Tür. Zwei Wachen und ein Arzt betraten den Kerker. Sofort waren alle<br />

alarmiert. <strong>Die</strong> drei gingen zu Mulders Zelle, fesselten dem FBI Agenten die Hände auf den<br />

Rücken, aber statt ihn aus der Zelle zu holen, traten sie zu ihm hinein und drückten ihn dann<br />

blitzschnell hart auf seine Liege, hielten ihn so brutal fest. Scully holte erschrocken Luft, als<br />

sie dies sah. Mulder versuchte, sich loszureißen. Panik flackerte in seinen Augen auf, als er<br />

sah, wie der Arzt eine Spritze aus der Kitteltasche zog, aus der <strong>Anderen</strong> ein Desinfektions-<br />

spray. Entsetzt keuchte Mulder: „Warten Sie ... Bitte, warten Sie doch ....“ Ohne jedoch auch<br />

nur eine Sekunde inne zu halten sprühte der Doktor Mulder eine Stelle auf dem Hintern mit<br />

dem Spray ein, dann entlüftete er die Spritze und stieß sie in Mulders Muskel. Sawyer war,<br />

wie alle anderen, aufgestanden und sah zu Mulder hinüber. Als er die Spritze in dessen<br />

Pomuskel eindringen sah, verzog er das Gesicht. Der Arzt aspirierte die Spritze, dann erst<br />

drückte er den Kolben durch und injizierte, was auch immer es war, in den Muskel. Dann<br />

wurde die Nadel heraus gezogen und Mulders Handschellen gelöst. <strong>Die</strong> drei Leute verzogen<br />

sich, ohne noch einen Blick auf Mulder oder die anderen Gefangenen zu werfen.<br />

Mulder musste vor Wut und Panik tief durchatmen. Er hatte keine Angst vor Spritzen,<br />

da war er andere Schmerzen gewohnt aus seiner Laufbahn, aber er hatte eine geradezu ir-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

rationale Angst davor, was man ihm via Spritze verabreichen könnte. House, Scully und<br />

Allison waren sich sicher, dass es sich nur um die längst überfälligen Vitamine handelte, die<br />

Mulder wohl von nun an auf diese Weise injiziert bekommen würde. Scully war wirklich er-<br />

leichtert. Sie hatte einen ziemlichen Schreck bekommen. Nun trat sie ans Gitter und konnte<br />

ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Sie sah zu Mulder hinüber und hätte gerne etwas ge-<br />

sagt, aber leider dachte das grüne Licht gar nicht daran, anzugehen. Stattdessen kam nach<br />

einiger Zeit wieder eine Durchsage für die gelangweilten Gefangenen. „Nummern 5, 14, 16,<br />

12.“ Ziva, Abby, Gibbs und Locke traten an die Zellentüren und ließen sich gelangweilt<br />

fesseln. <strong>Die</strong> vier wurden aus dem Kerker geführt. Gibbs ging, als er hinter den beiden Frauen<br />

her geführt wurde, peinlich berührt durch den Kopf, dass es sehr unangenehm war, seine<br />

beiden Mitarbeiterinnen hier ständig so gut wie nackt ansehen zu müssen. Auch in diesem<br />

Moment, als beide mit entblößten Pos vor ihm her liefen. Wobei er Mann genug war, beim<br />

Anblick speziell von Zivas Rückansicht leichte Hitzewallungen zu verspüren. Abby war ihm<br />

zu sehr Tochter, als dass er ernsthaft auf einen solchen Gedanken gekommen wäre, aber Ziva<br />

war eine erwachsene, ungemein attraktive Frau, auch, wenn sie seine Untergebene war. Er<br />

konnte nicht ahnen, dass Abby ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen. Ihren väterlichen<br />

Freund in diesem erniedrigenden Kittel sehen zu müssen, machte die junge Frau sehr ver-<br />

legen. <strong>Die</strong> Kittelchen waren kurz und verbargen nicht gerade viel.<br />

Sie erreichten eine Tür und wurden nun in einen Untersuchungsraum geführt. Hier<br />

wurden sie angewiesen, sich auf die dort vorhandenen Einzelkabinen zu verteilen. „Nummer<br />

5, Kabine 1, Nummer 14 Kabine 2, Nummer 16 Kabine 3, Nummer 12, Kabine 4.“ Alle be-<br />

traten die Kabinen. Ziva setzte sich und wartete gespannt, was nun kommen würde. <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen, die vor ihr abgeholt worden waren, hatten nichts darüber gesagt, was mit ihnen ge-<br />

macht worden war. Vermutlich hatte man es ihnen verboten. Als eine Wache hereinkam und<br />

ihr einen Stapel Papier vor die Nase legte, sah sie sich die Blätter misstrauisch an. Es handelte<br />

sich um unscharfe schwarz-weiß Zeichnungen, die mehrdeutige Szenen zeigten. <strong>Die</strong> knappe<br />

Instruktion lautete: Was siehst du auf diesen Bildern? Ziva betrachtete das erste Bild. Es<br />

zeigte ein Hochhaus hinter einer Brücke. Unter der Brücke konnte Ziva Wasser erkennen, auf<br />

der Brücke stand eine Person, die sich über das Geländer zu lehnen schien. Vor dem Hoch-<br />

haus waren weitere Personen zu erkennen. In der rechten Ecke des Bildes sah sie etwas, das<br />

sowohl eine Sonne als auch die abstrakte Darstellung eines Sturms sein konnte. Kurzum, eine<br />

Szene, die auf unzählige Arten zu interpretieren war. Ziva sah genauer hin. <strong>Die</strong> Personen vor<br />

dem Hochhaus schienen in einer Reihe zu stehen, ihre Haltung war leicht gebückt, als würden<br />

sie schwere Lasten tragen. Ziva interpretierte das Bild schließlich als die Darstellung eines<br />

Unwetters, das Hochwasser ausgelöst hatte. <strong>Die</strong> Personen vor dem Hochhaus stapelten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vielleicht Sandsäcke und die Person auf der Brücke verschaffte sich einen <strong>Über</strong>blick über das<br />

Ausmaß des Schadens.<br />

Das zweite Bild zeigte eine nackte, zum Teil zugedeckte Frau, die leblos im Bett lag,<br />

ihr linker Arm hing schlaff über die Bettkante hinaus. Neben ihr stand ein vollständig be-<br />

kleideter Mann, der sein Gesicht mit dem Arm verdeckte und sich von der Frau abwendete.<br />

Ziva vermutete aufgrund der Haltung, dass die Frau tot war. Aber etwas an dem Bild machte<br />

sie stutzig. Menschen, die friedlich im Bett starben, waren normalerweise nicht nackt. Und<br />

wenn der Mann ein trauernder Angehöriger wäre, würde er sich der toten Frau zuwenden, sie<br />

vielleicht in den Arm nehmen. <strong>Die</strong>se Reaktion wäre die Normale. Nur jemand, der sich<br />

schuldig fühlte, wandte sich von einem Toten ab. Also kam Ziva zu dem Schluss, dass der<br />

Mann auf dem Bild die Frau ermordet hatte und sich fassungslos fragte, was er getan hatte.<br />

Das nächste Bild zeigte einen Jungen im Teenageralter. Er saß am Schreibtisch und hielt<br />

einen Stift in der Hand. Vor ihm lag ein aufgeschlagener Block und ein geschlossenes Buch.<br />

Das Gesicht des Jungen erinnerte Ziva an Tony, wenn er so tat als würde er arbeiten, während<br />

er in Wahrheit mit einer seiner diversen Liebschaften E-Mails austauschte. Sie vermutete,<br />

dass der Junge auf dem Bild so tat, als würde er seine Hausaufgaben machen, aber irgendwo<br />

unter seinem Block einen Comic oder ein Pornoheft versteckt hatte. Bild Nummer 4 zeigte<br />

zwei Frauen, die schnell zu gehen schienen. Sie hatten Gegenstände in der Hand, die Ziva<br />

nicht erkennen konnte. Von der Umgebung konnte sie ebenfalls nicht viel erkennen, nur dass<br />

der Boden steinig aussah. Ziva zuckte mit den Schultern und schrieb ihre erste Assoziation<br />

nieder: <strong>Die</strong> Frauen fliehen aus einem Kriegsgebiet.<br />

Nachdem Ziva sechs weitere Bilder interpretiert hatte, wurde ihr ein Testbogen ge-<br />

reicht, den sie sofort als Intelligenztest erkannte. <strong>Die</strong> Instruktion zum ersten Aufgabenteil<br />

lautete: Was haben die beiden Begriffe gemeinsam? Das erste Begriffspaar war Papier –<br />

Baum. Das war leicht, beides besteht aus Holz. Das nächste Paar war schon schwieriger.<br />

Schmerz – Sirene. Ziva überlegte einen Moment, dann hatte sie es: beides sind Warnzeichen.<br />

Das nächste Paar war wieder leicht: Vogel – Luftballon. Beides kann fliegen. Im nächsten Teil<br />

des Tests sollte Ziva aus fünf Wörtern das heraussuchen, das nicht in die Reihe passte. Der<br />

nächste Teil des sprachlichen Tests verwirrte Ziva. <strong>Die</strong> Aufgabenstellung war: Erkläre das<br />

Sprichwort: „Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht.“ Der Satz machte überhaupt<br />

keinen Sinn. Seit wann konnten Krüge gehen? Ziva wählte aus den vorgegebenen Antwort-<br />

alternativen die einzige, die überhaupt mit dem Thema Krug und Brunnen zu tun hatte: Krüge<br />

eignen sich wegen ihrer Bruchgefahr nicht zum Wasserholen. Aus dem nächsten Sprichwort<br />

wurde sie genauso wenig schlau. „Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.“ Wer<br />

schüttete denn bitte Kinder aus? Ziva verstand die Amerikaner immer weniger. Anschließend<br />

121


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

folgte der mathematische Teil, mit dem Ziva keine Probleme hatte. Welche Zahl folgt als<br />

nächstes? 24 – 22 – 25 – 21 – 26 - ? Ziva trug die 20 in das leere Kästchen ein. Bei der<br />

nächsten Zahlenreihe musste sie einen Moment nachdenken und rechnen. 2 – 10 – 38 – 154 –<br />

614 - ? Schließlich trug Ziva 2458 ein.<br />

Währenddessen war Abby mit der Interpretation der schwarz-weiß Bilder beschäftigt.<br />

Das erste Bild, das sie beurteilen sollte, war das mit dem Hochhaus, der Brücke und den un-<br />

deutlich zu erkennenden Menschen, das Ziva als Darstellung einer Hochwasser-Katastrophe<br />

gesehen hatte. Abby sah sich die rechte obere Ecke des Bildes genauer an. <strong>Die</strong> Sonne war<br />

schwarz dargestellt. Ganz klar: Eine Sonnenfinsternis. Und die Menschen auf dem Bild<br />

wollten sich das Spektakel näher ansehen. Der Mann auf der Brücke hatte sich den Platz mit<br />

dem besten Ausblick gesichert. Das nächste Bild zeigte einen dunkel gekleideten Mann in<br />

Mitten von Grabsteinen. Der Mann rieb sich die Hände und sah Abbys Meinung nach ziem-<br />

lich zufrieden aus. Er war bestimmt ein Goth, der sich mit seinen Freunden auf dem Friedhof<br />

verabredet hatte um eine Party zu feiern. Jetzt fehlten nur noch die Gäste. Das 3te Bild zeigte<br />

einen unglücklich aussehenden kleinen Jungen, der vor aufgeschlagenen Büchern an einem<br />

Tisch saß. Der arme Junge sollte bestimmt seine Latein-Hausaufgaben machen, statt mit<br />

seinem Chemiebaukasten zu spielen. Abby hatte Latein auch immer gehasst, sie hatte immer<br />

die Fächer bevorzugt, in denen sie experimentieren konnte. Wenn es bei den Experimenten<br />

zischte und knallte: umso besser. Auch das vierte Bild zeigte einen Schüler. Er stand an der<br />

Tafel, auf der etwas geschrieben stand, das Abby nicht lesen konnte und sah ziemlich schuld-<br />

bewusst aus. Neben ihm stand sein Lehrer. Der Junge dachte bestimmt gerade: „Ich hätte die<br />

tabellarische Aufzählung der Primzahlen doch auswendig lernen sollen.“<br />

Als nächstes folgte ein Persönlichkeitstest. <strong>Die</strong> erste Aussage lautete „Ich gehöre eher<br />

zu den Menschen, die auf andere zugehen und den Kontakt mit anderen Menschen genießen.“<br />

Abby musste nicht lange über diese Frage nachdenken und kreuzte stimmt an. Sie war grund-<br />

sätzlich ein offener und kontaktfreudiger Mensch. Auch die zweite Aussage „Ich bin gerne in<br />

Mitten von Trubel und Aktivität“ bejahte sie spontan. Der dritten Aussage traf auf Abby nicht<br />

zu. „Wenn man zu viel von sich erzählt, nützen andere das zu ihrem Vorteil aus.“ Abby war<br />

bekannt dafür wild drauf los zu reden und sie erzählte ihren Kollegen bereitwillig persönliche<br />

Dinge. Sie hatte wenige Geheimnisse, es war ihr lieber mit offenen Karten zu spielen, was<br />

auch ein Grund dafür war, dass sie alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortete. Sollten diese<br />

Leute doch wissen, mit wem sie es zu tun hatten.<br />

Locke war wie Ziva mit einem Intelligenztest beschäftigt. „<strong>Die</strong> folgenden Aufgaben<br />

bestehen jeweils aus vier Gruppen von je vier Buchstaben. <strong>Die</strong> Buchstabengruppen sind<br />

122


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

immer nach einer bestimmten Regel zusammengesetzt. Wie lautet die fünfte Buchstaben-<br />

gruppe?“ NNOO AABB PPQQ CCDD .... Locke brauchte nicht lange um das System zu<br />

durchschauen und trug RRSS ein. AZBY CXDW EVFU GTHS …. Hier war das Prinzip ähn-<br />

lich einfach. IRJQ. <strong>Die</strong> Anweisung für die nächste Aufgabe lautete: Gesucht wird das vierte<br />

Wort, das zum dritten im selben Verhältnis steht wie das zweite zum ersten. Suppe: Salz =<br />

Krimi: ? Held b) Gift c) Kommissar d) Spannung Locke kreuzte d an. heiß: Temperatur =<br />

heute: gestern b) Gegenwart C) Zeit d) morgen Locke wählte c. Bei der nächsten Aufgabe<br />

musste er eine Weile nachdenken. Kuh: Eber = Henne: ? Pute b) Ferkel c) Stute d) Kater Er<br />

kreuzte schließlich d an, war aber nicht sicher, dass seine Antwort richtig war.<br />

Anschließend folgte auch für Locke ein Persönlichkeitstest. „Ich habe gerne viele<br />

Leute um <strong>mich</strong>“. Locke verneinte die Frage. Er war eher ein Einzelgänger. „Ich empfinde<br />

selten Furcht oder Angst“. Das traf nicht zu. Locke hatte Ängste, wie jeder andere Mensch<br />

auch. Besonders fürchtete er sich davor, abgelehnt zu werden. Aber das würde er nicht zu-<br />

geben. Stimmt kreuzte er an. „Ich ärgere <strong>mich</strong> oft darüber wie andere Leute <strong>mich</strong> behandeln.“<br />

Das stimmte. Locke hasste es, nicht ernst genommen zu werden. Er hatte seine Gefühle<br />

jedoch in der Regel gut unter Kontrolle und wollte sich nicht in eine schlechte Position<br />

bringen, indem er Schwächen zugab. Stimmt nicht, kreuzte er an. „Ich finde philosophische<br />

Diskussionen langweilig.“ <strong>Die</strong>se Frage beantwortete Locke ehrlich mit stimmt nicht.<br />

„Manchmal erscheint mir alles ziemlich düster und hoffnungslos.“ Locke hatte in der Ver-<br />

gangenheit unter Depressionen gelitten, aber das würde er nicht zugeben. Er kreuzte Stimmt<br />

nicht an.<br />

Auch Gibbs befasste sich gerade mit einem Persönlichkeitstest. Anders als Abby über-<br />

legte er sich jedoch sehr genau, auf welche der Fragen er wahrheitsgemäß antworten konnte<br />

und wo er die Wahrheit besser ein wenig dehnen sollte. <strong>Die</strong> wahrheitsgemäße Antwort auf die<br />

Frage „Für einige bin ich ein unbequemer Querdenker.“ hätte sicherlich Stimmt gelautet.<br />

Seine Chefin Jennifer Shepard sah ihn mit Sicherheit so, ebenso wie so ziemlich jeder an-<br />

gehörige des FBI und der Army, mit dem er in seiner Zeit beim NCIS zusammengearbeitet<br />

hatte. Allerdings war es ihm bis jetzt gelungen, hier nicht weiter aufzufallen. Wenn er auf<br />

diese Frage mit stimmt antwortete, würde man ihn verstärkt im Auge behalten. Also kreuzte<br />

Gibbs stimmt eher nicht an. <strong>Die</strong> nächste Frage: „Eine Spezialistentätigkeit ist mir lieber als<br />

eine Führungsaufgabe.“ verneinte Gibbs wahrheitsgemäß. Auch bei der nächsten Frage<br />

konnte Gibbs bedenkenlos ehrlich antworten. „Ich brauche eine Weile, bis ich Bekannt-<br />

schaften schließe.“ Gibbs war keineswegs schüchtern, aber er zeigte bei Fremden eine<br />

gesunde Zurückhaltung, bis sie sich sein Vertrauen verdient hatten. Also kreuzte er stimmt<br />

eher an.<br />

123


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der nächste Test war ein Reaktionszeittest. Gibbs saß vor einen Computermonitor und<br />

sollte so schnell wie möglich reagieren, wenn ein Kreuz auf dem Monitor erschien. Wenn das<br />

Kreuz links erschien sollte er die linke Maustaste drücken, wenn es rechts erschien die rechte.<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe fiel Gibbs leicht. Seine Militärzeit war zwar schon eine Weile her, aber seine<br />

schnellen Reaktionen hatte der Ex-Marine nicht verloren. Eine halbe Stunde lang drückte er<br />

also abwechselnd die Maustasten. Schließlich wurde der Bildschirm vor ihm dunkel. Da keine<br />

weiteren Aufgaben erfolgten und auch niemand erschien, um ihn abzuholen, sah Gibbs sich<br />

aufmerksam und interessiert um. Schnell musste er jedoch einsehen, dass es hier absolut<br />

nichts gab, dass eines Blickes würdig gewesen wäre. Kahle, hellgrau gestrichene Wände, der<br />

Tisch vor ihm vier Beine und eine Platte aus Metall, keine Schubladen. Kein Schrank, nichts.<br />

In zwei Ecken Kameras. Nichts, was in irgendeiner Weise wert gewesen wäre, sich zu<br />

merken. Frustriert schüttelte Gibbs den Kopf. In seinen Augen sah das alles sehr nach Militärs<br />

aus. <strong>Die</strong>se perfekte Organisation, nicht der geringste Hinweis, wo sie sich befanden, die<br />

konsequente Durchziehung von Strafaktion, Gibbs war sich sicher. <strong>Über</strong> das Warum war er<br />

sich jedoch in keiner Weise klar. Warum dieser extreme Aufwand? Warum so viele? Um eine<br />

größere Auswahl zu haben, um eventuell unpassende Objekte auszusondern?<br />

<strong>Die</strong> Angehörigen von Bundesbehörden, gut. Bones und Booth, Sara und Gil, Mulder<br />

und Scully, er und seine beiden Mädchen, eventuell sogar House und Cameron, sicher für<br />

einige nützlich. Aber was sollten Kate, Heather, Sawyer, Jake und Locke hier? Zivilisten ohne<br />

Spezialausbildung? Eine Grundschullehrerin mit Technikverstand? <strong>Die</strong> anderen hatten sich<br />

überhaupt nicht geäußert, was sie taten, um Geld zu verdienen. Was könnte sie für ihre Ent-<br />

führer wichtigmachen? Im schlimmsten Fall waren sie überflüssiger Ballast. Daran wollte<br />

Gibbs gar nicht denken. Er war sich sicher, dass Sawyer und Jake nicht das letzte Mal in<br />

Schwierigkeiten gesteckt hatten. <strong>Die</strong> beiden jungen Männer waren ganz offensichtlich Hitz-<br />

köpfe, impulsiv, die mit dem Kopf durch die Wand wollten und nie wirklich gelernt hatten,<br />

ihre Emotionen zu beherrschen. Nicht, dass Gibbs diese sonderlich gut beherrschte. Aber er<br />

wusste, wann es lebensnotwenig war, sich zu Kontrollieren. Ziva war es, die ihm in der Be-<br />

ziehung Sorgen bereitet. <strong>Die</strong> jungen Mossad Agentin war ebenfalls in mancher Beziehung<br />

unkontrollierbar und aufbrausend. Sie war kalt und überlegen, wenn es ums Töten ging,<br />

jedoch hitzköpfig, wenn es um gewisse Themen ging. Gibbs hoffte sehr, dass sie sich hier<br />

nicht allzu sehr in Schwierigkeiten bringen würde.<br />

Er wurde in seinen <strong>Über</strong>legungen durch das Eintreffen zweier Wachleute unter-<br />

brochen. Sie fesselten seine Hände wieder auf den Rücken und führten ihn dann auf den Flur<br />

hinaus, wo Augenblicke später auch Abby und Ziva, gleich darauf auch Locke, dazu kamen.<br />

124


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibbs signalisierte den beiden Frauen mit den Augen - Ist alles in Ordnung? - zu und erhielt<br />

von beiden ein kurzes Nicken als Antwort. Erleichtert atmete er auf und ließ sich widerstands-<br />

los zusammen mit den drei anderen in den Zellentrakt zurück bringen. Hier leuchtete das rote<br />

Licht und so herrschte Schweigen. <strong>Die</strong> drei NCIS Mitarbeiter und John Locke wurden in ihre<br />

Zellen gebracht und traten an die Zellentüren, kaum, dass die Wachen weg waren. Ziva hob<br />

den Daumen und deutete damit deutlich an, dass bei ihr alles okay war. Gibbs sah zu Abby<br />

hinüber. <strong>Die</strong> junge Frau, die der spröde Agent liebte wie eine Tochter, fuchtelte aufgeregt mit<br />

den Händen herum, als wäre sie sehr nervös. Gibbs achtete sehr genau darauf, was sie machte<br />

und erkannte aus einigen ihrer Gesten ganz klar Gebärdensprache. Sie signalisierte ihm -<br />

Psychologische Tests, nichts besonders - zu und Gibbs nickte verstehend. Er wandte sich<br />

interessiert Kate neben sich zu, um nicht zu verraten, dass er aus Abbys Gefuchtel irgend-<br />

etwas anderes deuten konnte als die Tatsache, dass seine Laborantin sehr nervös war. Keinem<br />

der anderen Gefangenen war etwas aufgefallen, außer Gil. Dessen Mutter war taub und Gil<br />

beherrschte die Gebärdensprache ebenfalls. - Sehr interessant. - dachte der Leiter der Nacht-<br />

schicht des CSI.<br />

Phase 2: Zermürbung und Gehorsam<br />

Gewalt zwingt uns zum Gehorsam. Das ist das Bitterste für einen<br />

Menschen: bei allem Wissen keine Macht zu haben.<br />

Herodot<br />

Sawyer in Not<br />

Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität.<br />

Alfred Hitchcock<br />

Als am Tage darauf das schon so vertraute statische Knacken des Lautsprechers er-<br />

tönte, sahen alle Gefangenen auf. Angespannt lauschten sie, wen es diesmal treffen würde.<br />

„Nummer 3.“ Kalt, unpersönlich, fast roboterhaft. Nichts Menschliches lag in dieser<br />

125


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

elektronisch verzerrten Stimme, das fiel immer wieder auf. Sawyer schloss kurz ergeben die<br />

Augen, erhob sich dann seufzend, trat an die Zellentür und drehte sich ordnungsgemäß herum.<br />

Wäre es doch nur um ihn alleine gegangen, sie hätten ihn zu jeder Handlung zwingen müssen.<br />

Aber die ständige Angst, dass sie sich an Kate vergreifen würden, hatte den jungen Mann<br />

rasant schnell zahm gemacht. Er wartete ruhig, bis er hörte, wie die Kerkertür aufsprang, dann<br />

näherten sich Schritte. <strong>Die</strong> Handschellen legten sich um seine Handgelenke, dann erst<br />

schwang die Zellentür, elektrisch entriegelt aus irgendeiner Schaltzentrale innerhalb des Ge-<br />

bäudekomplexes, nach außen auf. Sawyer fühlte sich an den Oberarmen gepackt und wurde<br />

auf die Plattform geführt. Er sah Kate mit nervös geweiteten Augen an der Zellentür stehen<br />

und zu ihm schauen. Beruhigend lächelte er ihr zu. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit<br />

wieder den Wachleuten zu. - Was sie wohl jetzt wieder vorhaben? - Ein leises Rauschen er-<br />

klang und ein Teil der Plattform senkte sich in den Boden. Sawyer kam nicht umhin, diese<br />

Plattform für ihre überwältigende Technik zu bewundern. Es schien, als gäbe es nichts, was<br />

man mit dieser runden Bühne nicht hätte machen konnte. In seinem Falle hob sich eine Liege<br />

mit diversen Fixierungsmöglichkeiten aus der Versenkung. Als sie ganz hochgefahren war,<br />

gab es ein leises Knirschen und Sawyer vermutete, dass die Bodenplatte, auf der die Liege<br />

fest installiert war, arretiert worden war.<br />

<strong>Die</strong> Handschellen wurden geöffnet, einer der Wachmänner machte eine Kopf-<br />

bewegung Richtung Liege und Sawyer war klar, dass er sich wortlos hin zu legen hatte. Mit<br />

zusammen gebissenen Zähnen tat er, was man von ihm erwartete. Bevor er sich hinlegen<br />

konnte, öffnete einer der Männer mittels eines Reißverschlusses eine kleine, in das Leder der<br />

Liege eingearbeitete Öffnung. Als Sawyer sich nun zurück sinken ließ, spürte er diese<br />

Öffnung in Höhe seiner Lendenwirbel auf dem nackten Rücken und fragte sich beunruhigt,<br />

was das werden sollte. Seine Bewacher griffen sich seine Arme, zogen sie hart über den Kopf<br />

und fixierten sie mit den in die Liege eingearbeiteten, gepolsterten Metallschellen. <strong>Über</strong> seine<br />

Brust wurde der schon von der Leberbiopsie bekannte, breite Ledergurt gelegt und straff ge-<br />

zogen, ein Weiterer spannte sich Augenblicke später über seine Hüften. Als letztes fixierten<br />

die Männer seine Fußgelenke an der Liege. Dann verschwanden sie, wortlos, emotionslos,<br />

schweigend. Keine Erklärung, kein Hinweis, was den so hilflos Gefesselten erwarten würde,<br />

nichts. - Also ob die alle stumm sind. - dachte Sawyer und schüttelte sich innerlich. Er konnte<br />

nicht verhindern, dass sich in seinem Magen eine eisige Faust ballte. Völlig bewegungsun-<br />

fähig diesen Psychopathen ausgeliefert zu sein, war absolut kein schönes Gefühl. Das letzte<br />

Mal, als er so da gelegen hatte, hatte Sawyer eine äußerst schmerzhafte Leberbiopsie über<br />

sich ergehen lassen müssen. <strong>Die</strong> Stelle, wo die dicke Nadel in seinen Körper eingedrungen<br />

126


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

war, tat immer noch etwas weh. Nie zu wissen, was den Entführern als nächstes einfiel, war<br />

auch für die hart gesottensten Männer auf Dauer Nerven zehrend.<br />

Sawyer lag also verspannt und bewegungsunfähig da. <strong>Die</strong> Plattform unter ihm drehte<br />

sich ganz langsam im Kreis, sodass er von allen Zelleninsassen gesehen werden konnte. Er<br />

wendete den Kopf, das Einzige, was er überhaupt bewegen konnte und suchte Kate. Sie stand<br />

an der Tür und schaute verängstigt zu ihm herüber. Er vorzog sein Gesicht zu einem auf-<br />

munternden Grinsen. - Hey, mach dir keine Sorgen. - sollte das heißen. <strong>Die</strong> Zeit verging und<br />

nichts passierte. Sawyer versuchte, sich etwas zu entspannen. Seine Schultern fingen an, un-<br />

angenehm zu ziehen. Er war bemüht, seine vollkommen verspannte Muskulatur ein wenig zu<br />

lockern. Er fragte sich, womit er diese Fesselung verdient hatte. Es war in den letzten Tagen<br />

nichts vorgefallen, was eine Bestrafung nötig gemacht hätte. Um nicht ständig die kahle,<br />

weiße Decke über sich anzustarren, suchte sein Blick immer wieder die Mitgefangenen,<br />

schweifte im Raum herum. Keine Ahnung habend, wie lange er nun schon so lag, fragte er<br />

sich immer öfter, was das hier werden sollte. Endlich tat sich etwas. Aber es waren nur die<br />

Essenszuteiler, die den Kerker betreten hatten. Jeder bekam sein Wasser, Brot und seine<br />

Vitamine. Einer der Wachleute kam auch zu Sawyer. Er flößte diesem einige Schluck Wasser<br />

ein. Mehr schien er nicht zu bekommen. - Leck <strong>mich</strong> doch. - dachte er im Stillen. Hunger<br />

hatte er ohnehin nicht. Kaum hatte das Wachpersonal den Kerker verlassen, ging das grüne<br />

Licht an. Kate fragte sofort: „Sawyer. Geht es dir gut?“ „Hey, Freckles, mach dir keine<br />

Sorgen um <strong>mich</strong>, okay? Mir geht es gut. Ich amüsiere <strong>mich</strong> glänzend.“, unkte Sawyer ver-<br />

kniffen, und erreichte, dass Kate ein kleines Lächeln über das Gesicht huscht. „Was sie wohl<br />

mit ihm vorhaben?“, fragte Abby besorgt. „Jake, wie geht es dir?“, rief Heather dazwischen.<br />

Bevor Jake noch antworten konnte, wechselte das Licht wieder auf rot. Keiner der Ge-<br />

fangenen hatte mit einer so kurzen Redezeit gerechnet. Was sollte das nun wieder? Jetzt<br />

wurde auch das Licht gedämmt, was nicht mehr und nicht weniger als Schlafen bedeutete.<br />

<strong>Die</strong> Häftlinge machten es sich auf ihren Liegen so bequem wie möglich. Sie ver-<br />

suchten, den Gedanken an den straff gefesselten Sawyer für den Moment zu unterdrücken.<br />

Sawyer sah noch einmal zu Kate hinüber, die immer noch am Gitter stand und voller Sehn-<br />

sucht zu ihm hinüber schaute. Er grinste aufmunternd, dann kniff er die Augen zusammen,<br />

um Kate zu signalisieren, dass sie schlafen sollte. Sie schüttelte abwehrend den Kopf. Sawyer<br />

nickte heftig. Kate formte mit den Lippen: „Ich liebe dich.“, ließ den Kopf hängen und<br />

streckte sich schließlich resigniert auf ihrer Liege aus. Einschlafen konnte sie jedoch lange<br />

nicht. Ihre Gedanken kreisten nur um das, was Sawyer wohl noch erwarten würde. <strong>Die</strong>sem<br />

taten inzwischen Rücken und Schultern höllisch weh und er hatte nicht das Gefühl, in dieser<br />

127


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Haltung überhaupt schlafen zu können. Er wünschte, er könnte sich ein klein wenig bewegen,<br />

aber sehr viel mehr, als verkrampfte Muskeln anzuspannen und wieder zu lockern blieb ihm<br />

nicht. Um sich herum in den Zellen waren ruhige Atemzüge und hier und da ein leises<br />

Schnarchen zu hören. Langsam wurde auch Sawyer müde. Er hatte Durst, inzwischen doch<br />

ein wenig Hunger und ein sehr mulmiges Gefühl, wie lange er hier wohl liegen sollte. Er hob<br />

seinen Kopf soweit es ging und drehte ihn hin und her, in der Hoffnung, seine Nacken-<br />

muskeln ein wenig zu lösen. Dann ließ er den Kopf sinken und schloss seufzend die Augen.<br />

Warum sollte er nicht wenigstens versuchen, auch ein wenig zu schlafen.<br />

Als ein scharfer Schmerz durch seine Lendenwirbel und den Rücken entlang fuhr,<br />

zuckte er heftig zusammen. Ein überraschtes und erschrockenes, keuchendes Zischen entrang<br />

sich seinem Mund. Er biss sich auf die Lippen, um ein Aufschreien zu unterdrücken.<br />

Verdammt, was war das? Es hatte sich wie ein kleiner Stromschlag angefühlt. Sawyer er-<br />

innerte sich wieder an die kleine Öffnung in Höhe seiner Lendenwirbel. Dort musste ein Im-<br />

pulsgeber installiert sein. Was sollte das? Was hatte er falsch gemacht? Er hatte nicht ge-<br />

sprochen, nichts gemacht. Warum erfolgte also eine Strafe? Vielleicht einfach nur willkür-<br />

lich? Der Schmerz ließ so schnell nach wie er aufgekommen war und Sawyer zuckte gedank-<br />

lich die Schultern. Es brachte ohnehin nichts, sich Gedanken über die Aktionen der Irren zu<br />

machen, in deren Händen sie sich befanden. Kopfschüttelnd schloss er erneut die Augen. Nur,<br />

um kurze Zeit später erneut hochzufahren. <strong>Die</strong>smal konnte er einen Schmerzlaut nicht mehr<br />

unterdrücken. „Ah.“ - Verdammt. Was soll das? - Langsam dämmerte es Sawyer. Sich gegen<br />

erneuten Schmerz wappnend, schloss er demonstrativ wieder die Augen. In Gedanken zählte<br />

er. Und richtig. Als er bei dreißig angekommen war, zuckte ein weiterer, heftiger Stromschlag<br />

seine Wirbelsäule entlang. <strong>Die</strong>smal war er vorbereitet und schaffte es zähneknirschend, jeden<br />

Schmerzlaut zu unterdrücken. Also Schlafentzug. Dem Wehrlosen lief eine Gänsehaut den<br />

Körper herauf. Das waren nicht die schönsten Aussichten.<br />

Der psychologische Nebeneffekt der neu erworbenen Erkenntnis war, dass Sawyer<br />

schnell ziemlich müde wurde. Es war unglaublich, wie das Wissen, nicht schlafen zu dürfen,<br />

Wellen von Müdigkeit auslösen konnte. <strong>Die</strong> Stille um ihn herum, die gleichmäßigen Atem-<br />

züge aus den Zellen, das gedämpfte Licht, die im Grunde friedlich Atmosphäre im Kerker, all<br />

das tat ein Übriges, den jungen Mann einzulullen. Er merkte nicht einmal, dass ihm die Augen<br />

irgendwann zufielen. Erst, als ein weiterer Schmerzimpuls durch seinen Körper zuckte, wurde<br />

ihm bewusst, dass er eingenickt war. Keuchend bäumte er sich in den Fesseln auf. „Scheiße,<br />

verdammte.“, fluchte er unhörbar. Nun zwang Sawyer sich, wach zu bleiben. Er war ja kein<br />

Masochist. Verzweifelt versuchte er, sich auf irgendetwas zu Konzentrieren, dass ihn wach<br />

128


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

halten würde. Wenn wenigstens die Mitgefangenen wach gewesen wären, dass hätte ihn ab-<br />

gelenkt. Herzhaft gähnte er und dachte dann krampfhaft an Kate. Der Gedanke an die hübsche<br />

junge Frau, in die er sich wirklich heftig verliebt hatte, half ihm, die Müdigkeit ein wenig ab-<br />

zuschütteln. <strong>Die</strong> Minuten zogen sich zäh dahin. Seit sie alle hier unten aufgewacht waren<br />

hatten sie kein Tageslicht mehr gesehen, noch ein Uhr oder irgendwas, an dem sie sich hätten<br />

orientieren können, welche Tageszeit gerade war. Da sie auch nicht im Entferntesten eine Idee<br />

hatten, wie lange sie betäubt gewesen waren, die meisten von ihnen hätten nicht einmal<br />

präzise die Zeit nennen können, zu der der Chloroformgeruch im Flugzeug aufgetreten war,<br />

war die Desorientierung von der ersten Minute an perfekt gewesen. Essenszeiten, Schlafens-<br />

zeiten, Zeiten, in denen Tests oder Versuche mit ihnen durchgeführt wurden, all das wechselte<br />

vollkommen willkürlich einander ab. Jeder Versuch, irgendeinen Rhythmus darin zu er-<br />

kennen, war sinnlos. Hier zu liegen, nicht zu wissen, wie lange dieser Zustand schon an-<br />

dauerte, oder wie lange er noch andauern würde, war an sich schon Folter.<br />

Nach einiger Zeit begann es Sawyer zu Dämmern, warum Schlafentzug als beliebte so<br />

genannte Weiße Folter sehr häufig eingesetzt wurde. Wenn er sich wenigstens hätte frei be-<br />

wegen können, wäre es wesentlich einfach gewesen. <strong>Die</strong>ses starre Liegen, die Ruhe um ihn<br />

herum, die angenehmen, warmen Temperaturen in ihrem Verließ, das alles trug dazu bei, die<br />

drückende Müdigkeit, die ihn gepackt hatte, zu verstärken. Immer häufiger riss er gewaltsam<br />

die Augen auf, um nicht einzudösen. Irgendwann spürte er dann ein anderes, unangenehmes<br />

Problem sich nähern. Er hätte dringend auf die Toilette gemusst. Allerdings half ihm der zu-<br />

nehmende Druck in seiner Blase, die Müdigkeit in seinen Knochen ein wenig zu verdrängen.<br />

Je schlimmer der Drang zu pinkeln wurde, desto weniger merkte er, dass er zum Umfallen<br />

müde war. Er lag zuckend und sich windend soweit es die Fesseln zuließen auf seiner Liege<br />

und knirschte mit den Zähnen. Sie würden ihn doch wohl nicht zwingen, sich hier nass zu<br />

machen.<br />

Gerade, als er dachte, es nicht mehr auszuhalten, hörte Sawyer das leise Klicken der<br />

Kerkertür. Ein Mann mit einem Metalltablett in der Hand näherte sich seiner Liege. Sawyer<br />

sah sehr skeptisch zu dem weiß gekleideten Mann auf. - Arzt - dachte er kurz. Was sollte das<br />

werden? Der Typ hatte dünne Gummihandschuhe an und würdigte Sawyer keines Blickes. Er<br />

stellte das Tablett auf Sawyers heftig sich hebenden und senkenden flachen Bauch ab, dann<br />

nahm er einen dünnen Schlauch, an dessen Ende ein Plastikbeutel baumelte, von dem Tablett.<br />

Er desinfizierte den Schlauch mit einer Flüssigkeit aus einer kleinen Flasche, trug ein anti-<br />

septisches Gleitmittel auf den Schlauch auf, tränkte einen Wattebausch ebenfalls mit dem<br />

Desinfektionsmittel, schlug Sawyers Kittel zurück, griff gleichgültig nach dessen Penis und<br />

129


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

tupfte dann mit stoischem Gesichtsausdruck Sawyers Eichel gründlich ab. Sawyer glaubte, in<br />

einem Albtraum zu stecken. Es kostete ihn alle <strong>Über</strong>windung, die er zusammen kratzen<br />

konnte, nicht loszutoben. Abgrundtiefen Hass, aber auch leichte Panik in den grünen Augen,<br />

beobachtete er, wie der Typ den Schlauch griff und anfing, diesen nicht übermäßig rück-<br />

sichtsvoll in Sawyers Harnröhre einzuführen. Etwas Schlimmeres hätte dieser sich kaum noch<br />

vorstellen können. Schwer atmend und am ganzen Körper zitternd vor Hass und Wut spürte<br />

er, wie der Schlauch immer tiefer in seinen Körper geschoben wurde. Es tat nicht wirklich<br />

weh, jedenfalls nicht körperlich, seelisch dafür umso mehr. Sawyer hatte nie zuvor etwas Un-<br />

angenehmeres und Demütigenderes gespürt. Schließlich hatte der Schlauch wohl die Blase<br />

erreicht, denn im nächsten Moment spürte Sawyer, wie der Druck dort rapide nach ließ.<br />

Leicht apathisch registrierte er schließlich, wie der Schlauch wieder entfernt wurde. Nun legte<br />

der Arzt ihm eine Blutdruckmanschette an und überprüfte seinen Blutdruck. Er notierte sich<br />

etwas auf einem Block, der ebenfalls auf dem Tablett lag. Anschließend trat er mit einer<br />

Nadel in der Hand ans Kopfende der Liege, griff sich Sawyers linken Mittelfinger und stach<br />

die Nadel leicht in die Fingerkuppe. Den kleinen, austretenden Bluttropfen nahm er vorsichtig<br />

auf einen Objektträger. Dann packte er alles zusammen und schwirrte, immer noch ohne einen<br />

Blick auf sein wehrloses Opfer zu werfen, mit dem Tablett wieder ab.<br />

Als Sawyer wieder alleine war, konnte er nicht verhindern, dass ihm vor Scham und<br />

vor allem hilfloser, rasender, nie zuvor empfundener Wut Tränen in die Augen schossen. Er<br />

biss die Zähne so fest aufeinander, dass es knirschte und sein Kiefer schmerzte. Hätte er nur<br />

die Möglichkeit gehabt, er hätte diesem Kerl den Hals umgedreht, der ihm das gerade angetan<br />

hatte. Schlimmer konnte nur noch eine Vergewaltigung sein. Es dauerte lange, bis der junge<br />

Mann sich wenigstens einigermaßen beruhigt hatte. Allerdings war durch diese Zwischenein-<br />

lage die Müdigkeit für den Moment völlig verflogen. Und kurze Zeit später tönte plötzlich der<br />

unangenehme Weckton durch den Raum, seine Mitgefangenen fuhren auf ihren Liegen zu-<br />

sammen und richteten sich schlaftrunken auf. Kate war sofort am Gitter und starrte zu Sawyer<br />

hinüber. Und genau in diesem Moment wechselte das Licht von rot zu grün. „Wie geht es dir?<br />

Hast du schlafen können?“, fragte Kate besorgt. Kurz überlegte Sawyer, zu lügen, aber dann<br />

sagte er sich, dass die <strong>Anderen</strong> es ohnehin schnell herausfinden würden, was mit ihm ge-<br />

schah. Also seufzte er leise und sagte kopfschüttelnd: „Nein. Unsere Freunde halten es für<br />

eine spaßige Idee, <strong>mich</strong> ein wenig auf Schlafentzug zu setzen.“<br />

Kate wurde blass. Sawyer sah Angst in ihren Augen aufflackern. Sie schien zu be-<br />

greifen, was das bedeutete. Auch die anderen Gefangenen hatten die Worte Sawyer gehört.<br />

Bones begann sofort, analytisch darüber nachzudenken, wie lange Sawyer das in der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fesselungshaltung wohl durchhalten würde und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht sehr<br />

lange gut gehen würde. Sie erklärte: „Das ist interessant. Im Augenblick müsste es dir besser<br />

gehen als zuvor. Schlafentzug ist ein beliebtes Therapieverfahren bei Depressionen, weil es<br />

anfänglich Euphorie auslöst.“ Sawyer gab ein abfälliges Schnaufen von sich: „Euphorie …<br />

Klar. Kann <strong>mich</strong> kaum halten vor Begeisterung.“ Ungerührt fuhr Bones fort: „Erst ab der<br />

zweiten Nacht wird es unangenehm. Da wirst du dann auch ein verstärktes Hunger- und<br />

Durstgefühl verspüren, weil der Stoffwechselprozess durch Schlafentzug beschleunigt wird.<br />

Dann dürfte es dir langsam schwer fallen, bei Bewusstsein zu bleiben. In der dritten Nacht<br />

dürften in dieser Situation, ohnehin gestresst, bereits heftiges körperliches Unbehagen und<br />

Halluzinationen zu erwarten sein.“ Kate fuhr entsetzt zu ihr herum. „Wie kannst du nur so<br />

ruhig dozieren, was mit ihm passieren wird.“, fuhr sie Bones an. „Weil unsere geniale<br />

Anthropologin es sonst nur mit Toten zu tun hat. Das lebende Menschen so was wie Gefühle<br />

und Empfindungen haben, entgeht ihrem funktionellen Gehirn dabei völlig.“, entfuhr es Jake<br />

ärgerlich. „Würde <strong>mich</strong> mal interessieren, ob sie sich selbst ebenfalls so präzise analysieren<br />

würde, läge sie auf der Liege dort.“, schlug jetzt Abby in die gleiche Kerbe. „Würde sie ...“,<br />

kam es trocken von Booth. Bones schüttelte verständnislos den Kopf. „Was denn? Sawyer<br />

sollte es doch schätzen, im Voraus zu wissen, was ihn erwartet.“<br />

<strong>Die</strong>ser lauschte der Diskussion zusehends entnervt. Aufgezählt zu bekommen, was<br />

ihm in den nächsten Stunden bevor stand, war nicht gerade dazu angetan, ihm seine Lage zu<br />

erleichtern. Kate ging es ähnlich. Tempe hatte wohl auf ihre ganz spezielle Art versucht, zu<br />

helfen, damit aber in Kate nur Panik ausgelöst. Und auch der Betroffene sah nicht gerade er-<br />

freut in die Zukunft. Er hoffte im Augenblick, falls es noch einmal zu einer derart er-<br />

niedrigenden Aktion wie vorhin kommen sollte, dass das keiner seiner Leidensgenossen mit-<br />

erleben würde. <strong>Die</strong> Kerkertür wurde geöffnet und einer der Wachleute kam in den Zellentrakt.<br />

Er ging direkt zu Sawyer und wollte diesem Wasser geben. Angesichts der <strong>Über</strong>legung, dass<br />

Trinken zwangsläufig wieder zu gefüllter Blase führte, schüttelte Sawyer entschieden den<br />

Kopf. Nützen tat ihm das jedoch nichts. Der Wachmann packte Sawyers lange Haare, um<br />

seinen Kopf ruhig zu halten. Ohne Rücksicht flößte der Typ ihm dann ziemlich brutal Wasser<br />

ein und dem Gefesselten blieb schließlich nichts übrig, als zu schlucken, wenn er nicht er-<br />

sticken wollte. Hustend und keuchend lag er da und musste sich wieder einmal mit aller Kraft<br />

beherrschen, um nicht wutentbrannt los zu Fluchen. Hasserfüllt starrte er dem Bewacher<br />

hinterher, als dieser verschwand.<br />

House hatte beobachtet, wie Sawyer das Wasser verweigern wollte und machte sich<br />

seine eigenen Gedanken. Er konnte sich vorstellen, was, während alle geschlafen hatten, vor-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gefallen sein mochte. Sich innerlich schüttelnd verkniff er sich jedoch ausnahmsweise jede<br />

Bemerkung. Das grüne Licht blieb noch eine Weile an und die Gefangenen versuchten, sich<br />

möglichst unbefangen zu unterhalten, um Sawyer von seiner üblen Lage abzulenken. <strong>Die</strong>ser<br />

fragte irgendwann House: „Hey, Doc, wozu haben die Arschlöcher mir Blut abgenommen,<br />

kannst du mir das mal erklären?“ House zog eine Augenbraue hoch. „Na, offensichtlich nicht,<br />

um deinen Blutalkoholwert zu messen, wir kriegen ja leider nichts, um uns zu Besaufen. Also<br />

liegt die Vermutung nahe, dass deine Blutzuckerwerte und dein Stresshormonpegel im Auge<br />

behalten werden. Mach dir also keine Sorgen, du scheinst in besten Händen zu sein.“ Allison<br />

wollte noch etwas Erklärendes hinzufügen, doch gnadenlos lief die Redezeit ab und das<br />

grelle, rote Licht leuchtete wieder kalt auf. Gedankenverloren starrte Sawyer an die Decke.<br />

Das Wissen, mit System und unter ärztlicher Aufsicht gefoltert zu werden, machte die Lage<br />

für den Wehrlosen auch nicht leichter. Gerne hätte er House noch gefragt, was es mit diesen<br />

Werten auf sich hatte, aber er würde das in die nächste Redephase verlegen müssen. Sawyer<br />

hatte nun keine Ablenkung mehr, als seine Augen schweifen zu lassen. Langsam machte sich<br />

wieder Müdigkeit in ihm breit. Seine Schultern und sein Rücken taten immer mehr weh.<br />

<strong>Die</strong> Zeit verging und durch die wieder eingekehrte Stille spürte Sawyer, wie er immer<br />

mehr gegen das Eindösen ankämpfen musste. Außerdem spürte der Gefesselte heftigen<br />

Hunger. Irgendwann passierte es dann. <strong>Die</strong> Augen fielen ihm zu und dreißig Sekunden später<br />

zuckte der Elektroimpuls durch seinen Körper. Völlig unvorbereitet erwischte ihn diesmal der<br />

Schmerz und er zuckte mit einem erschrockenen Aufschrei hoch. Kate stieß vor Schreck<br />

selbst einen Schrei aus und alle anderen zuckten kollektiv erschrocken zusammen. - Aha. -<br />

dachte Brennan. - Schmerzreize. Gute Idee. - Kate waren Tränen in die Augen geschossen.<br />

Sawyer brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu fangen, dann suchte sein Blick Kate und er<br />

versuchte, ihr beruhigend zuzulächeln, was ihm nicht mehr ganz gelingen wollte. Wieder be-<br />

mühte er sich krampfhaft, sich irgendwie wach zu halten. Seine Gedanken schweiften in seine<br />

Kindheit zurück. Seine Mutter war, als er gerade einmal acht Jahre alt gewesen war, auf einen<br />

Schwindler herein gefallen, der es geschafft hatte, sie vollkommen einzuwickeln. Sie war ihm<br />

auf den Leim gegangen und hatte ihm die gesamten Familienersparnisse überlassen. Mit<br />

diesen war der Betrüger spurlos verschwunden. Sein Vater hatte daraufhin vollkommen durch<br />

gedreht. In einem Anfall von rasender Wut war er nach einem Kneipenbesuch mit einer Waffe<br />

in der Hand nachhause gekommen und hatte seine Frau im Flur der Wohnung erschossen.<br />

Dann war er ins Kinderzimmer seines Sohnes gekommen und hatte sich auf dessen Bett<br />

gesetzt. Während Sawyer selbst sich zitternd vor Entsetzen unter seinem Kinderbett versteckt<br />

hatte, seine Mutter hatte ihm eingebläut, sich dort nicht weg zu rühren als sein Vater noch<br />

versuchte, die Haustür einzutreten, schoss dieser sich dann ebenfalls eine Kugel in den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schädel. Sawyer konzentrierte sich auf die Erinnerungen und schaffte es, sich damit wieder<br />

ein wenig wach zu bekommen. Wie immer, wenn er daran dachte, was sein Leben zerstört<br />

hatte, war er emotional so aufgewühlt, dass an Schlafen für eine Weile nicht zu denken war.<br />

In diesem Fall kam ihm das zu Gute.<br />

Unter Druck<br />

Meist belehrt erst der Verlust über den Wert der Dinge.<br />

Artur Schopenhauer<br />

Irgendwann jedoch reichte das nicht mehr. <strong>Die</strong> Luft in ihrem Kerker war sehr warm<br />

und stickig. Seine Mitgefangenen dösten selbst fast alle vor sich hin. Eine drückende Stille<br />

lastete über dem Zellentrakt. Es war, als wären alle Gefangenen unter den Einfluss von Be-<br />

ruhigungsmitteln gestellt worden. Sawyer hob den Kopf, soweit es die Fesseln zuließen und<br />

sah sich mit geschwollenen Augen um. In den Zellen dämmerten die <strong>Anderen</strong> mehr oder<br />

weniger reglos vor sich hin. Kate saß auf dem Boden ihrer Zelle an der Tür und ihr Ober-<br />

körper war gegen die Gitter gesunken. Wie, um alles in der Welt, sollte man sich bei diesem<br />

Anblick nur wach halten? Sawyer ließ seine Blicke unruhig durch den Zellentrakt gleiten. Nur<br />

nicht ruhig daliegen. Nach einiger Zeit konnte er den Kopf allerdings nicht mehr hoch halten<br />

und musste ihn auf die Liege zurück sinken lassen. <strong>Die</strong> weiße, kahle Decke über ihm schien<br />

in zu Verhöhnen. Seine Augenlider flatterten und ohne, dass er es überhaupt merkte, fielen<br />

ihm erneut die Augen zu. Aufschreiend vor Schmerz war er Sekunden später wieder hellwach.<br />

Und nicht nur er. Auch seine Mithäftlinge waren bei Sawyers gequältem Schrei wieder hoch-<br />

gefahren. - Wir müssen ihm irgendwie helfen. - dachte Gibbs und begann, in der Zelle herum<br />

zu tappen. Er machte mit den Händen Gesten, die anderen Gefangenen ebenfalls dazu zu<br />

bringen, aufzustehen. - Wenn wir hier alle vor uns hin dämmern, ist es für Sawyer wesentlich<br />

schwerer, wach zu bleiben. - durchfuhr es auch Heather und sie stemmte sich mühsam auf die<br />

Beine. Gil gingen ähnliche Gedanken durch das merkwürdig umnebelte Gehirn. Irgendetwas<br />

stimmte hier nicht. Alle waren viel zu müde, als dass es normal sein konnte. Auch er stand auf<br />

und schließlich schienen auch alle Andern zu begreifen, was damit erreicht werden sollte.<br />

Statt auf dem Boden oder der Liege vor sich hin zu dämmern, begannen die Entführten, im<br />

Rahmen ihrer wenigen Möglichkeiten Lärm und Aktivitäten in den winzigen Zellen zu<br />

zeigen.<br />

133


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Unendlich dankbar für die Ablenkung, aber auch völlig überrascht, dass seine Mit-<br />

gefangenen Schmerzen oder andere Bestrafung riskierten, um ihm zu helfen, ließ Sawyer von<br />

seiner Liege aus die Blicke schweifen. Dass sie ihm halfen, hatte er wirklich nicht erwartet.<br />

So war es wesentlich leichter, die Augen offen zu halten. Erleichtert atmete Sawyer auf. Doch<br />

seine Erleichterung hielt nicht lange vor. <strong>Die</strong> Kerkertür ging auf und einige Wachleute kamen<br />

herein, irgendwelche Gegenstände, die man im Augenblick noch nicht genau identifizieren<br />

konnte, unter den Armen. Sie gingen zur Plattform und dann erkannten alle, was sie bei sich<br />

hatten. Ruhig bauten sie um Sawyers Liege herum Sichtschutzwände auf, wie sie im<br />

Krankenhaus verwendet wurden. Als sie diese aufgestellt hatten, verließen sie den Kerker<br />

wieder. Nun war Sawyer der Blick auf seine Leidensgenossen verwehrt und damit eine<br />

wichtige Möglichkeit, sich ein wenig abzulenken. Kate musste sich beherrschen, um nicht los<br />

zu schreien, als ihr der Blick auf den geliebten Mann so versperrt wurde. Gibbs fluchte un-<br />

hörbar vor sich hin. Wenigstens Krach konnten sie aber weiterhin machen, um eine Ge-<br />

räuschkulisse aufrecht zu erhalten. Doch auch diese Hoffnung wurde im nächsten Augenblick<br />

zerstört, denn erschrocken zuckten alle Gefangenen zusammen, als plötzlich ein Elektro-<br />

impuls durch die Böden ihrer Zellen zuckte, der allen mehr als deutlich machte: „Seid lieber<br />

still.“ Gibbs sah sich um. Alle anderen schüttelten trotzig die Köpfe und nickten dann in<br />

Sawyers Richtung. Gibbs nahm den Daumen hoch und machte mit den Geräuschen weiter.<br />

<strong>Die</strong> nächste Stunde wurde eine Kraftprobe zwischen den Gefangenen und ihren Entführern.<br />

<strong>Die</strong>se klappten als erstes die Liegen in den Zellen hoch. So waren alle gezwungen, sich auf<br />

den Boden zu stellen. Und ganz allmählich wurde die Stärke der Stromschläger forciert.<br />

Nachdem besonders Cameron und Abby anfingen, wirklich unter den immer heftiger<br />

werdenden Stromschlägen zu leiden, mussten die Gefangenen schließlich resigniert aufgeben.<br />

Sawyer hatte schon vor einer Weile gefasst bemerkt: „Hört auf, das hat keinen Sinn.“ Alle<br />

Gefangenen hatten jedoch die Köpfe geschüttelt. <strong>Die</strong> Männer hätten sicher noch eine ganze<br />

Weile weiter gemacht, doch dann wurden die Impulse gezielt gegen die Frauen eingesetzt,<br />

und so gaben sich schließlich alle frustriert geschlagen. Kate liefen Tränen über das Gesicht<br />

und sie setzte sich hoffnungslos in die Ecke ihrer Zelle.<br />

Sawyer hatte den Versuch seiner Mitgefangenen, ihm zu ein wenig Ablenkung zu ver-<br />

helfen, dankbar aufgenommen. Nachdem sich aber die Schmerzlaute bei den Frauen verstärkt<br />

hatten, hatte er resigniert gesagt: „Hört auf, das hat keinen Sinn.“, und sich dafür prompt<br />

wieder einen Stromschlag eingehandelt. Als irgendwann nach einer erstaunlich langen Zeit<br />

wirklich auch die letzten Geräusche verstummten, war er sowohl erleichtert als auch bestürzt<br />

gewesen. Nun gab es nichts mehr, was ihn ablenken könnte. Immer schwerer fiel es ihm,<br />

134


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seine Gedanken auf irgendetwas zu konzentrieren. Er starrte an die weiße Decke, an die<br />

weißen Stoffwände um ihn herum und versuchte immer verzweifelter, irgendwie wach zu<br />

bleiben. Seine Schultern wurden langsam taub, der Rücken schien sich mit der Haltung immer<br />

mehr abzufinden, er hatte zu wenig getrunken, um seine Blase schon wieder zu spüren, nichts,<br />

was ihn so beschäftigte, dass er die Augen aufhalten konnte. Durst. Irgendwann machte sich<br />

durch die Wärme in ihrem Gefängnis heftiger Durst bemerkbar. Jetzt hätte Sawyer liebend<br />

gerne etwas getrunken. Doch keiner kam, um ihm Wasser zu geben. Seine Zunge fühlte sich<br />

trocken und steif an, sein Hals begann zu schmerzen. Doch irgendwie war er für diese<br />

Empfindungen beinah dankbar, gaben sie ihm doch die Möglichkeit, sich darauf zu<br />

konzentrieren. Und als würden ihre Entführer dies genau wissen, hörte er plötzlich Schritte<br />

sich nähern. Einer der Wachleute trat zu ihm und gab ihm zu Trinken. Gierig schluckte<br />

Sawyer das angebotene Wasser in sich hinein, an die Folgen nicht mehr denkend. Zu groß<br />

war der Durst inzwischen geworden. Ihm schoss urplötzlich und völlig zusammenhanglos der<br />

Gedanke durch den Kopf, dass es außerhalb des Gefängnisses niemanden gab, der überhaupt<br />

merken würde, dass er weg war. Das war auch kein Gedanke, der dazu beitrug, seine<br />

Stimmung zu heben.<br />

Als er wieder alleine war, drifteten seine Gedanken ab, beschäftigten sich mit der Er-<br />

innerung an ruhige, schöne Stunden in Sydney, Arm in Arm mit Kate im Bett verbracht ….<br />

Schmerzen durchzuckten seinen Körper und er schrie leise auf. <strong>Die</strong> Gefangenen fuhren<br />

kollektiv zusammen und Gibbs schlug wütend mit der Faust auf den Boden. <strong>Die</strong>ses hilflose<br />

Gefühl, den Jungen nicht unterstützen zu können, trieb Gibbs langsam die Wände hoch. Und<br />

es ging ihm nicht alleine so. <strong>Die</strong> Frauen empfanden immer mehr Mitleid mit dem hilflosen<br />

jungen Mann. Bones und Ziva dachten jedoch pragmatischer, sie kalkulierten ein, dass ihre<br />

Entführer Sawyer schon nicht umbringen würden, da gab es ganz andere Mittel. Und<br />

Schmerzen waren besonders der jungen Israelin durchaus vertraut, sowohl im Einstecken als<br />

auch im Verteilen. Bones rechnete nach, dass der junge Mann noch Zeit hatte, bevor es wirk-<br />

lich gefährlich werden würde. Jetzt war es einfach nur unangenehm. Okay, ziemlich unan-<br />

genehm, mehr jedoch nicht. Booth ging es wie Gibbs. Sie hatten das wilde Verlangen, vor<br />

Zorn gegen die Wand zu treten. Wie musste er sich fühlen? <strong>Die</strong>ses Gefühl, dort zur völligen<br />

Reglosigkeit verdammt, hilflos da liegen zu müssen, musste unglaublich belastend sein.<br />

Keiner konnte erahnen, wie weit diese Irren es treiben würden. Sawyer gingen ähnliche Ge-<br />

danken durch den Kopf. Wie weit würden seine Folterer gehen? Er kam zu dem Schluss, dass<br />

es stark abhängig davon war, was sie erreichen wollten. Wenn ihm auch inzwischen die<br />

Konzentration mehr und mehr schwer fiel, hatte er das unangenehme Gefühl, dass es denen<br />

135


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nur darum ging, ihn zu zermürben, fertig zu machen. <strong>Die</strong>ser Gedanke war nicht der Schönste,<br />

denn er implizierte, dass er nichts machen konnte, um seine Lage zu Erleichtern.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden wurden für Sawyer zunehmend unangenehmer. Immer öfter<br />

fielen ihm die übermüdeten, geschwollenen und stark brennenden Augen zu, was zwangs-<br />

läufig immer häufiger zu unterschiedlich starken Schmerzreizen führt. Immer wieder keuchte<br />

er auf vor Schmerzen. <strong>Die</strong> Intensität war irgendwann variabel geworden, vielleicht sogar von<br />

Anfang an gewesen, Sawyer konnte das nicht mit Bestimmtheit sagen. Nachdem er so einige<br />

Stunden auf der Liege verbracht hatte und immer verzweifelter wurde, kam eine neue<br />

Lebensmittelration. Auch Sawyer wurde aufgesucht, bekam jedoch nur reichlich Wasser zu<br />

Trinken. Er hatte inzwischen heftigen Hunger. Er hielt sich nicht mehr an die Anweisung,<br />

ihren Bewachern nichts direkt ins Gesicht zu blicken, sondern schaute dem Typen, der ihm<br />

Wasser brachte, aus verquollenen Augen hoffnungslos an. Er wollte einfach wissen, wie die<br />

Leute aussahen, die ihm das hier antaten. Kalt nickte der Bewacher in Richtung Kamera und<br />

unverzüglich folgte die Strafe auf den Fuß. Ein unerwartet heftiger Stromimpuls zucke durch<br />

Sawyers Körper und ließ diesen gequält aufschreien. Konvulsivisch wand er sich auf der<br />

Liege. Cameron konnte sich einfach nicht mehr beherrschen und schrie entsetzt los: „Hört<br />

doch endlich auf …“ Zu mehr Worten kam sie nicht, denn erneut hörten alle den jungen<br />

Mann aufschreien. Allison schlug sich weinend die Hände gegen die Ohren. Es war der<br />

jungen Ärztin unmöglich, ungerührt zu bleiben angesichts der Qualen, die dem Mit-<br />

gefangenen zugefügt wurden.<br />

Nach der Essenszuteilung wurde unmittelbar das Licht gedämmt und die meistens Ge-<br />

fangenen legten sich auf ihre inzwischen wieder heruntergeklappten Liegen. Kate war unruhig<br />

und verzweifelt. Sie hätte alles getan, um Sawyer zu helfen. Aber es gab nichts, was sie hätte<br />

tun können. Als es jetzt fast dunkel im Raum wurde, verschlechterte sich Sawyers Lage natür-<br />

lich noch einmal. Bei greller Beleuchtung wach zu bleiben war etwas anderes, als das Gleiche<br />

bei schummriger Dunkelheit zu versuchen. Sawyer hatte inzwischen heftige Kopfschmerzen,<br />

sein Blutdruck war vom langen Stillliegen viel zu niedrig und ihm war schlecht. Langsam<br />

machte ihn der Schlafmangel psychisch und physisch wirklich fertig. Er hatte inzwischen<br />

heftigen Hunger, sein Magen knurrte laut vor sich hin, er fror trotz der warmen Temperaturen<br />

in dem Verließ entsetzlich und konnte teilweise nicht mehr verhindern, dass seine Zähne auf-<br />

einander klapperten. Kalter Schweiß überzog seinen zitternden Körper. Er konnte sich nicht<br />

erinnern, sich je so mies gefühlt zu haben. Er wollte, dass es vorbei war, dass sie ihn los<br />

machten. Er döste immer häufiger weg und hatte nicht mehr die Kraft, Schmerzensschreie zu<br />

unterdrücken. <strong>Die</strong> Stelle an seinen Lendenwirbeln, an der ihn die Stromschläge permanent<br />

136


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trafen, schmerzte inzwischen heftig. Sawyer hatte unerträglichen Durst und war bereit, so<br />

ziemlich alles zu tun, um diese Tortur zu beenden. Seine Blase war mittlerweile wieder zum<br />

Bersten voll. Er zuckte und wand sich in den Fesseln, kämpfte geradezu panisch gegen den<br />

Drang, einfach los zu pinkeln, an.<br />

Sawyer hatte die Befürchtung, dass er in absehbarer Zeit wohl mit einer Wiederholung<br />

der unangenehmen Prozedur der Blasenentleerung rechnen musste. Er schüttelte sich. Eine<br />

schlimmerer Demütigung als sich hilflos gefesselt gefallen lassen zu müssen, von diesen<br />

Typen am Penis begrapscht zu werden konnte er sich nicht vorstellen. Kaum hatte Sawyer<br />

diesen Gedanken mühsam zu Ende geführt, hörte er, wie die Kerkertür geöffnet wurde.<br />

Schritte näherten sich. Dann trat der Typ mit dem Tablett in den Händen zu ihm. Sawyer war<br />

inzwischen schon zu fertig, als dass er noch psychisch in der Lage gewesen wäre, Gegenwehr<br />

zu zeigen. Als der Mann ihn wieder bloß legte, wand er sich in den Fesseln. Dann schüttelte<br />

er verzweifelt, fast hysterisch, den Kopf. „… nicht … lass <strong>mich</strong> … in Frieden. Verschwinde.<br />

Fass <strong>mich</strong> nicht an. … Lass <strong>mich</strong> … Macht <strong>mich</strong> endlich los.“ Kaum waren die Worte über<br />

seine Lippen gekommen, hasste er sich schon für seine Schwäche. Unbeeindruckt von<br />

Sawyers Betteln desinfizierte der Typ erneut Sawyers Eichel und begann dann, den dünnen<br />

Plastikschlauch wieder in dessen Harnröhre zu schieben. Aus irgendeinem unerklärlichen<br />

Grund tat es diesmal heftig weh, als der Arzt wenig vorsichtig den Schlauch wieder einführte.<br />

Zitternd, keuchend und sich windend musste der junge Mann auch diesmal die Prozedur über<br />

sich ergehen lassen. Anschließend wurde ihm noch erneut Blut angenommen und der Doktor<br />

überprüfte wieder seinen Blutdruck. Dann war er abermals alleine.<br />

Einzelne Tränen liefen ihm kurzfristig über die Wangen und er erstickte fast an seinem<br />

Schamgefühl und seinem Hass. Er hatte das Gefühl, etwas in ihm wäre zerbrochen. Bei einer<br />

Erkrankung von einem Arzt einer solchen Prozedur unterzogen zu werden, war eine Sache.<br />

Wehrlos gefesselt von einem wildfremden Typen … Sawyer zitterte vor Erschöpfung, Hass<br />

und Scham. Er war so müde. Niemals hätte er gedacht, dass Schlafentzug so schlimm wäre.<br />

Er fühlte sich furchtbar. <strong>Die</strong> Augen waren trocken und brannten heftig. Ihm war inzwischen<br />

speiübel. Sein Kopf hämmerte. Alles drehte sich. Er konnte nicht mehr gerade aus Denken.<br />

Seine Lendenwirbel fühlten sich an, als träfe der Impuls dort auf verbranntes Fleisch. Seine<br />

Augen schimmerten glasig und irrten unruhig hin und her, alles verschwamm, er konnte<br />

nichts mehr mit dem Blick fixieren. Er fror erbärmlich, zitterte heftig am ganzen Leib. Er<br />

musste sich mit aller Macht zwingen, nicht leise vor sich hin zu wimmern. Fast wäre er für<br />

einen Knebel dankbar gewesen, denn er merkte, dass ihm immer wieder leises Wimmern und<br />

137


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Stöhnen über die trocknen Lippen kam. Apathisch starrte er an die kahle Decke über sich.<br />

Und schrie gellend auf.<br />

Da war keine kahle Decke mehr. <strong>Über</strong> ihm türmte sich ein grünes, raschelndes<br />

Blätterdach. Und aus diesem Blätterdach starrten ihn kalte, gelbe Augen an, die immer näher<br />

kamen. Zu den Augen gehörte das befellte Gesicht eines sehr großen, aggressiv brüllenden<br />

Tigers. Weiße, riesige Fangzähne und scharfe Krallen blitzten auf und das gewaltige Tier<br />

setzte zum Sprung an. Sawyer schrie, wie er nie gedacht hatte, überhaupt schreien zu können.<br />

<strong>Die</strong> Mitgefangenen fuhren entsetzt hoch. Keiner von ihnen nahm mehr Rücksicht auf das<br />

Redeverbot. „Sawyer! Baby, was ist los?“, schrie Kate hysterisch. „Kumpel, was ist?“, brüllte<br />

auch Booth und Jake rief fast gleichzeitig: „Was ist los, Sawyer?“ Heather schrie entsetzt da-<br />

zwischen: „Was hat er denn?“ House, Scully und Bones brüllten gegen den Lärm an.<br />

„Halluzinationen.“ „Er halluziniert vermutlich.“ Kate schrie schluchzend erneut:<br />

„SAWYER!“ Und plötzlich verstummte dieser. Er hatte in Todesangst schreiend an den<br />

Fesseln gezerrt, als die Raubkatze zum Sprung ansetzte. Er wollte weg, weg, nichts als weg.<br />

Das Tier raste auf ihn zu und Sawyer schrie seine Todesangst hinaus. … Und dann war das<br />

mörderische Raubtier weg und er sah über sich nur weiße, kahle Decke, kein grünes Blätter-<br />

dach, aus dem ihn wilde Tiere ansprangen und gelbe Augen anstarrten. Weiße, friedliche<br />

Decke. Vollkommen erledigt sackte Sawyer schluchzend und zuckend in sich zusammen.<br />

Kaum lag er völlig erschöpft still, kam einer der Ärzte zu ihm und überprüfte<br />

kommentarlos seinen Blutdruck. Er nahm auch erneut Blut ab. Dann ließ er Sawyer wieder<br />

allein. Lange Zeit verging, in der er immer wieder, immer häufiger, von Stromstößen auf-<br />

geweckt werden musste. Er war endgültig am Ende seiner Kraft angelangt. Er hatte einen<br />

Punkt erreicht, an dem er wirklich glaubte, es nicht eine Sekunde länger mehr ertragen zu<br />

können. Er hatte das Gefühl, seit einer Ewigkeit auf der verhassten Liege, auf der noch ver-<br />

hassteren Plattform, gefesselt zu sein. Der allgegenwärtige Schmerz, der von dem Elektro-<br />

impulsgeber ausging, war inzwischen durch den langen Schlafmangel und der damit ver-<br />

bundenen Sensibilisierung unerträglich geworden. Sein Kopf drohte jeden Moment zu<br />

platzen. Schmerzen hämmerten in ihm und brachten Sawyer fast um den Verstand. Immer<br />

wieder wurde er auch von kurzen Halluzinationen heimgesucht, die ihn zum Teil erneut in<br />

helle Panik versetzten. Denken, welches über - Ich kann nicht mehr. - hinaus ging, war<br />

schon lange nicht mehr möglich. Alleine die Fixierung, die völlige Bewegungslosigkeit,<br />

würde eigentlich reichen, einen Menschen vollkommen fertig zu machen. <strong>Die</strong> Mitgefangenen<br />

fühlten mit Sawyer, auch, wenn sie ihn selbst nicht mehr sehen konnten, seit die Paravents<br />

aufgebaut worden waren. Kate litt natürlich besonders, sie war selbst nur noch ein Nerven-<br />

138


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bündel. Spätestens, wenn eine neue Schmerzwelle durch den Körper des Gefolterten fuhr,<br />

weil ihm wieder die Augen zugefallen waren, und er je nach Intensität stöhnte oder auf schrie<br />

vor Schmerzen, konnten die anderen Gefangenen sich seiner Leiden nicht mehr verschließen.<br />

Außerdem konnten sie ihre Ohren nicht gegen das verzweifelte Wimmern des Gefesselten<br />

verschließen, dass immer lauter wurde.<br />

Bones versuchte, Sawyers verzweifelte Lage mittels ihres pragmatischen Verstandes<br />

logisch zu analysieren, um nicht emotional darüber nachdenken zu müssen, was der junge<br />

Mann durch machte. Zu ihrem Bedauern gelang ihr dies nach der langen Zeit, die dieses<br />

brutale Experiment oder wie immer man es nennen wollte, nun schon dauerte, nicht mehr.<br />

Immer häufiger ertappte sie sich dabei, dass ihr Tränen in die Augen schossen, sobald ein<br />

neuer, verzweifelter Aufschrei Sawyers ertönte. House in seiner Zelle war krampfhaft be-<br />

müht, so zu tun, als wäre ihm das Ganze vollkommen egal, aber Grissom, der seinen Mit-<br />

gefangenen, um sich selbst abzulenken, genau beobachtete, wusste, dass House alles andere<br />

als gelassen war. Gil machte sich immer mehr Sorgen um Sawyer. Jeder Mensch war nur be-<br />

grenzt belastbar und bei Sawyer war die Grenze klar erreicht. Nachdem er nun schon<br />

halluzinierte, stand er kurz vor dem endgültigen, physischen Zusammenbruch. Sollten ihre<br />

Entführer diese unmenschliche Folter noch lange fortsetzen, drohten dem Jungen wirklich<br />

irreparable Hirnschäden. Und nicht nur das, je nach allgemeiner Verfassung, und die war bei<br />

Sawyer inzwischen miserabel, konnte Schlafentzug schnell lebensgefährlich werden. Herz<br />

und Kreislauf wurden bei dieser Strapaze ungeheuer belastet und wenn sie das noch sehr viel<br />

länger trieben, bestand für den jungen Mann akute Lebensgefahr. Kate, Allison, Heather,<br />

Abby, sie alle hatten inzwischen die Wachleute schon auf Knien angebettelt, das Ganze end-<br />

lich zu beenden. Mehr, als ein mitleidiges Lachen und weitere Schmerzen zur Strafe für<br />

Sawyer hatten sie nicht geerntet mit ihrem Flehen. Wie lange es wirklich schon dauerte, war<br />

keinem der Gefangenen möglich, auch nur noch zu schätzen. Durch die gezielte Des-<br />

orientierung von der ersten Minute ihrer Gefangenschaft an war keiner der Entführten mehr<br />

auch nur annähernd in der Lage, einen Zeitablauf richtig einschätzen zu können.<br />

Auf seiner Liege fielen Sawyer abermals die verquollenen, rot geränderten Augen zu.<br />

dreißig Sekunden gaben ihm ihre Folterknechte, dann zuckte der schmerzhafte Elektroimpuls<br />

erneut durch seinen Rücken. Sein geschundener Körper bäumte sich auf, soweit es die straffe<br />

Fesselung zu ließ und ein weiterer, heiserer, keuchender Schrei entrang sich seiner Kehle.<br />

Kate war es, die endgültig die Fassung verlor. Ihn dermaßen Leiden zu hören, überstieg nun<br />

einfach die Kräfte der jungen Frau. Sie trat ans Gitter ihres Käfigs und schrie verzweifelt auf:<br />

„Ihr elenden, widerlichen Schweine, lasst ihn endlich in Frieden.“ Augenblicklich zuckten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zwei weitere, kräftige Impulse durch Sawyers Körper, die diesen aufbrüllen ließen. Ziva in<br />

ihrer Zelle fuhr hasserfüllt auf: „Kate, um Himmelswillen, reiß dich zusammen. Du machst es<br />

nur noch schlimmer für ihn. Halt deinen Mund.“ Ihr Hass galt nicht der verzweifelten Mit-<br />

gefangenen, sondern ihren Entführern, aber Ziva war abgeklärt genug, zu wissen, dass jede<br />

Renitenz seitens der Gefangenen nur schlechte Auswirkungen auf Sawyer haben konnte. Kate<br />

war bei Sawyers erneuten Schreien wie unter Hieben zusammen gezuckt. Jetzt sank sie<br />

hoffnungslos schluchzend auf die Knie und weinte, dass es sie schüttelte. Immer wieder stieß<br />

sie keuchend und abgehackt: „Bitte.“, hervor.<br />

Alle waren inzwischen selbst hoffnungslos übermüdet, denn angesichts Sawyers<br />

prekärer Lage war natürlich keiner mehr in der Verfassung, selbst viel zu schlafen. Aber<br />

wenigstens wurden ihnen nicht noch permanent zusätzlich Schmerzen zugefügt und sie<br />

konnten sich bewegen. Sie alle bekamen genug zu Trinken, Sawyer hatte das letzte Mal vor<br />

Stunden einen Schluck Wasser erhalten. Erneut ein Schrei von Sawyer, nur noch leise, fast<br />

ein Wimmern. Da war keine Kraft mehr für laute Schreie übrig. Seine Augenlider flatterten<br />

vor <strong>Über</strong>müdung. Vor einiger Zeit hatte er es selbst mit Flehen um Gnade versucht, von<br />

seinem Stolz war im Augenblick nichts mehr übrig. Aber auch das hatte ihm nur weitere<br />

Schmerzen eingebracht. Was mit dieser sinnlosen Quälerei erreicht werden sollte? Keiner der<br />

hilflosen Gefangenen hätte dies sagen können. Einige Minuten herrschte Ruhe, außer Kates<br />

hysterischem Schluchzen und Sawyers Keuchen und Wimmern war kaum ein Laut zu hören.<br />

Alle hingen ihren trüben Gedanken nach. Und zuckten kollektiv zusammen, als sich unvor-<br />

bereitet die Tür ihres Gefängnisses öffnete und gleichzeitig die Ansage: „Nummer 10.“, er-<br />

schallte. Zwei ihrer Entführer kamen in die Halle. Ohne die Gefangenen auch nur eines<br />

Blickes zu würdigen, marschierten sie an den kleinen Käfigen mit ihren menschlichen<br />

Inhalten vorbei und blieben vor Camerons Zelle stehen. <strong>Die</strong> junge Ärztin zwang sich, ans<br />

Gitter zu treten und die Hände auf den Rücken zu nehmen. Handschellen klickten. Ihre Käfig-<br />

tür wurde wortlos geöffnet und ebenso wortlos hatte sie aus der Zelle zu treten. Sie beeilte<br />

sich, diesem unausgesprochenen Befehl Folge zu leisten. Mit gesenktem Kopf und am ganzen<br />

Körper zitternd stand sie vor den Bewachern.<br />

Alle, besonders natürlich House, beobachteten mit angehaltenem Atem, was passieren<br />

würde. Allison wurde hinter die Paravents zur Liege mit dem gefesselten Sawyer gebracht.<br />

Aus der Nähe sah sie, wie schlecht der junge Mann inzwischen aussah. Er schien gar nicht zu<br />

merken, dass sie neben ihm stand. Er atmete schnell und unregelmäßig. Apathisch und ab und<br />

zu vor sich hin wimmernd lag er da. Immer wieder quälten sich leise, keuchende Geräusche<br />

aus seinem Mund. Stramm gefesselt, nur den Kopf konnte er bewegen, und dieser wiegte sich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bedenklich von einer zur anderen Seite. Cameron realisierte, dass der junge Mann kurz vor<br />

dem endgültigen physischen und psychischen Zusammenbruch stand. Seine Augenlider<br />

flatterten. Er war blass, zitterte am ganzen Körper und wirkte völlig weggetreten. Kalter<br />

Schweiß bedeckte seinen Körper, immer ein schlechtes Zeichen. Ab und zu schluckte er<br />

trocken. Allison biss die Zähne zusammen, dass es schmerzte, nur, um keine unerwünschte<br />

Reaktion zu zeigen. Verzweifelt hämmerte sie sich ein - Bleib ruhig, bleib ruhig, bleib ruhig.<br />

- Wieder und wieder. Scheinbar waren ihre Bewacher zufrieden, denn Sawyer wurden keine<br />

weiteren Schmerzimpulse zugefügt. Allison zuckte erschrocken zusammen, als einer der<br />

Männer sie plötzlich ansprach. „Willst du ihm helfen?“ Mit gesenktem Kopf, wie man es<br />

ihnen eingebläut hatte, nickte Allie. „Ja, Sir, natürlich, das würde ich gerne, Sir.“, sagte sie<br />

unterwürfig. „Gut. Du hast zwei Aufgaben zu erfüllen. Erstens wirst du ihm zwanzig weitere<br />

Elektroschocks verpassen, zweitens wirst du Nummer 4 hier fesseln, verstanden?“ Nummer 4<br />

hörte diese Worte und stand mühsam auf. Cameron fing an zu zittern. Sawyer hatte die Worte<br />

wohl irgendwie wenigstens zum Teil noch registriert. Zumindest der Part mit den zwanzig<br />

weiteren Schocks drang in sein hoffnungslos umnebeltes Gehirn vor. Er schüttelte panisch<br />

den Kopf, hatte aber nicht mehr die Kraft, laut etwas zu sagen. Nur noch ein vollkommen<br />

verzweifeltes, leises, schwaches: „Nein … Bitte nicht ...“; kam lallend über seine trocknen<br />

Lippen. Tränen liefen ihm über das leichenblasse Gesicht. Cameron schluckte schwer und<br />

stammelte dann panisch: „Ja, Sir …“ Ein kleiner Schalter wurde ihr in die zitternde Hand ge-<br />

drückt und der Befehl: „Los, fang an.“, kam kalt und emotionslos von ihrem Bewacher.<br />

Jeden Blick in Sawyers panisch verzogenes Gesicht vermeidend, drückte Allie die<br />

Auslösetaste. Im Stillen zählte sie mit. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen konnten hören, wie sich der<br />

Körper des Wehrlosen zuckend auf der Liege bewegte. Zum Schreien hatte er keine Kraft<br />

mehr, nur noch heftiges Keuchen war bei jedem Stromstoß zu vernehmen. Kate schrie bei<br />

jedem Impuls wie stellvertretend für Sawyer, der nicht mehr die Kraft dazu hatte, verzweifelt<br />

auf. Selbst einigen der Männer standen schließlich Tränen in den Augen, vor Wut, Hass, hilf-<br />

losem Zorn. Bis auf Bones, Scully und Ziva weinten alle Frauen mit Kate. Und dann war es<br />

vorbei. Der letzte Impuls zuckte durch Sawyers gequälten Körper. Einer der Wachleute über-<br />

prüfte ein letztes Mal Sawyers Blutdruck und nahm ihm noch einmal einen Tropfen Blut ab.<br />

Und dann, als wäre nichts gewesen, lösten die beiden Bewacher seine Fesseln, zerrten den so<br />

gut wie besinnungslosen Mann von der Liege und schleppten ihn überraschend nicht zu<br />

seiner, sondern zu Kates Zelle. <strong>Die</strong> Tür wurde geöffnet, sie traten ein und ließen Sawyer dann<br />

achtlos wie einen Sack Lumpen fallen. Kate versuchte geistesgegenwärtig noch, Sawyers<br />

schlaffen Körper aufzufangen, aber sie konnte nicht mehr verhindern, dass er relativ schwer<br />

auf den Betonboden klatschte. Leise stöhnend und reglos blieb er liegen. Kate warf sich auf-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schluchzend auf die Knie, drehte den jungen Mann herum, nahm seinen Oberkörper auf den<br />

Schoß und wiegte ihn sanft hin und her. Weinend bedeckte sie sein leichenblasses, schweiß-<br />

überströmtes Gesicht mit Küssen, streichelte ihn und flüsterte ihm Liebkosungen zu. Zitternd<br />

und leise wimmernd lag Sawyer in Kates Armen und war Sekunden später einfach ein-<br />

geschlafen oder hatte schlicht die Besinnung endgültig verloren. Nichts hätte dies mehr ver-<br />

hindern können.<br />

Geschafft<br />

Der Starke kann fallen, aber er strauchelt nicht.<br />

Marie von Ebner-Eschenbach<br />

Inzwischen waren die beiden Bewacher an House‟ Zellentür getreten und hatten diese<br />

aufgeschlossen. Wortlos und schwerfällig humpelte der Arzt aus dem Käfig und schleppte<br />

sich mit zusammen gebissenen Zähnen zur Liege hinüber. Kommentarlos ließ er sich auf<br />

dieser nieder, streckt die Arme über den Kopf und genau so kommentarlos fixierte Allison<br />

seine Handgelenke. Dabei liefen der jungen Ärztin pausenlos Tränen über die Wangen. House<br />

warf ihr einen beschwörenden Blick zu. „Hör auf zu flennen, Mädchen.“, meinte dieser Blick.<br />

Schwer schluckte die Immunologin und fesselte als Nächstes House‟ Beine an die Liege. Sie<br />

biss sich auf die Lippen, dass es schmerzte, und schloss als letztes die beiden Lederriemen.<br />

Dann ging sie mit gesenktem Kopf zurück zu ihrer Zelle. Klackend schloss sich die Tür hinter<br />

ihr und die beiden Aufseher verließen ihre Gefangenen, ohne sie noch eines weiteren Blickes<br />

zu würdigen. Außer Kates Weinen war lange Zeit nichts mehr zu hören. Plötzlich ging das<br />

grüne Licht an. Und ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen tobte Booth los: „<strong>Die</strong>se elenden<br />

Dreckschweine.“ Bones fragte Kate: „Wie geht es ihm?“ Schluchzend antwortete Kate: „Er ist<br />

eingeschlafen oder hat die Besinnung verloren, ich bin nicht sicher. Er … er muss voll-<br />

kommen am Ende sein. Haben die … haben die ihm dauerhaft geschadet?“ „Hör zu, Kate,<br />

schau dir seinen Rücken an. Wenn er durch die ständigen Impulse immer an die gleiche Stelle<br />

Verbrennungen davon getragen hat, solltest du diese mit Wasser kühlen. Und mach dir keine<br />

Sorgen, er wird schon wieder. Er ist nur vollkommen erschöpft.“, rief Allison zu Kate hinüber<br />

und hoffte, dass es wirklich so war. Kate sah zu Cameron rüber und nickte. Ganz vorsichtig<br />

drehte sie Sawyer auf die Seite. Er reagierte überhaupt nicht, nicht mal mit einem Seufzen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate untersuchte seinen Lendenwirbelbereich und sah eine deutliche Rötung. „Es ist sehr<br />

rot.“, sagte sie entsetzt. „Kühl es mit Wasser, aber nicht aus der Leitung, denke daran, dass<br />

das Salz versetzt ist. Mit dem Kühlen hilfst du ihm.“, sagte Cameron erneut. Sie wollte Kate<br />

einfach das Gefühl vermitteln, etwas für Sawyer tun zu können und das gelang ihr auch. Kate<br />

stand auf und nahm Toilettenpapier, tränkte dies mit Wasser und eilte zu Sawyer zurück. Sie<br />

drückte das Papier auf die rote Stelle und hielt es fest.<br />

Dabei sah sie Sawyer an und wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht. Bleich wie ein<br />

Laken, eingefallenen Wangen, trockne, aufgerissene Lippen, die geschlossenen Augen dick<br />

geschwollen, tiefdunkle Ringe unter den Augen, er sah furchtbar aus. Kate drehte vorsichtig,<br />

und so, dass das getränkte Klopapier weiter auf die verbrannte Hautstelle drückte, seinen<br />

Körper wieder auf den Rücken. Sie setzte sich so auf den Boden, dass sie Sawyers Kopf auf<br />

ihren Schoss nehmen konnte, und so blieb sie sitzen. Man hätte sie nur noch mit physischer<br />

Gewalt von Sawyer trennen können. House auf der Liege dachte darüber nach, ob er der<br />

Nächste sein würde, dem diese grässliche Prozedur blühte. Er war Schlafmangel durchaus<br />

gewöhnt und bildete sich ein, länger durchzuhalten als Sawyer. Allerdings würde er in dieser<br />

Haltung schon nach relativ kurzer Zeit vor Schmerzen in seinem kranken Bein ein<br />

schreiendes Bündel sein, da machte House sich keinerlei Illusionen. Er gab sich keine zwei<br />

Stunden, dann würden die ohnehin schlimmen Schmerzen unerträglich sein und ihm brach der<br />

Schweiß aus bei dem Gedanken. Seine Mitgefangenen unterhielten sich über Sawyers Zu-<br />

stand und schließlich wechselte das Licht wieder von grün zu rot und es herrschte Schweigen.<br />

Als sein Bein gerade anfing, wirklich schmerzhaft zu pochen und er mit aufsteigender Panik<br />

zu kämpfen hatte, wurde die Kerkertür geöffnet. Schritte näherten sich. Allison beobachtete<br />

angstvoll, wie sich zwei Wachleute der Abschirmung näherten. Sie nahmen die Paravents<br />

zusammen und verschwanden mit ihnen. House schloss gequält die Augen. Dass seine Mit-<br />

gefangenen ihn jetzt sehen konnten, machte das Ganze viel schlimmer. Vollkommen über-<br />

raschend tauchten die Bewacher jedoch wieder auf, traten wortlos zu ihm und befreiten ihn<br />

unter den erstaunten Blicken der anderen von seinen Fesseln. Er durfte sich erheben und dann<br />

wurden, wie bei jedem kleinen Schritt außerhalb der Zelle, die Hände auf dem Rücken ge-<br />

fesselt. Schwerfällig schleppte er sich in seine Zelle zurück, die Handschellen wurden ab-<br />

genommen. Er sank ächzend auf seine Liege.<br />

Bis auf Sawyer waren alle in ihren Zellen. Kate rührte sich kaum, sie hielt Sawyers<br />

Kopf im Schoß und ab und zu liefen ihr erneut Tränen über die Wangen, wenn sie daran<br />

dachte, was er durchgemacht hatte. Wieder verging lange Zeit, in der die Gefangenen ohne<br />

weitere Störungen in Frieden gelassen wurden. Irgendwann gab es Brot und Wasser, Rede-<br />

143


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verbot herrschte permanent. Bei den ersten Häftlingen wirkte sich die Untätigkeit immer mehr<br />

aus. Gibbs und Ziva machten immer wieder Übungen, Liegestützen, Streck und Dehn-<br />

übungen, um sich irgendwie zu beschäftigen. Booth war einige Zeit in seinem Käfig hin und<br />

her getigert, was auf dem kleinen Raum sehr schwierig war. Jetzt begann er ebenfalls damit,<br />

sit ups, Klimmzüge an der Gittertür, Liegenstützen und ähnliches zu machen. Abby saß im<br />

Schneidersitz auf ihrer Liege und hatte das Gefühl, jeden Moment schreien zu müssen, wenn<br />

sie nicht bald irgendetwas tun dürfte. Gil und Bones saßen geduldig auf ihren Liegen. Bones<br />

konnte sich gedanklich ablenken, in dem sie über verschiedene Fälle nachdachte. Ähnlich<br />

handhabte Gil die quälende Bewegungslosigkeit. Auch Mulder konnte sich so ablenken. Er<br />

hatte genug X Akten, über die er nachdenken konnte. Irgendwann wurde das Licht gedämpft<br />

und die Gefangenen versuchten, zu Schlafen. Kate war schon vor längerer Zeit eingeschlafen,<br />

immer noch am Boden hockend, halbwegs gemütlich an die Liege gelehnt, Sawyers Kopf auf<br />

dem Schoss, seine Rechte in ihrer. Schließlich schliefen alle Häftlinge, sie hatten in der<br />

letzten Phase der Tortur mit Sawyer ja ebenfalls nicht mehr geschlafen und waren vom nichts<br />

tun zusätzlich müde und zerschlagen.<br />

Man ließ sie relativ lange Schlafen. Dann aber dröhnte der Weckruf durch den Raum.<br />

Das Geräusch, das hatte Sawyer schon beim ersten Ertönen festgestellt, war angetan, Tote zu<br />

erwecken. Und das bewahrheitete sich nun an ihm selbst. Immer noch am Rande der Er-<br />

schöpfung, saß er trotzdem, wie alle anderen auch, senkrecht, als das grässliche Röhren er-<br />

tönte. Sofort wurde ihm schwindelig und übel und so schnell, wie er hoch geschossen war,<br />

sank er auch wieder zurück. Kate wandte sich ihm sofort sehr leise zu. „Wie fühlst du dich?<br />

Wie geht es dir? Baby …?“ Sawyer schien trotz des Senkrechtstartes gar nicht richtig wach zu<br />

sein. Er nuschelte schwer verständlich: „... bin müde ...“ Kate redete liebevoll auf ihn ein.<br />

„Hör zu, Schatz, versuche, ein wenig Brot zu essen. Und versuche bitte, etwas zu Trinken.“<br />

Völlig abwesend nahm Sawyer etwas zu sich. Er hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zu<br />

halten und er wirkte total desorientiert. Ein wenig Brot und Wasser schaffte er jedoch, zu sich<br />

zu nehmen, bevor er wieder weg döste. Doch dann wurde er schlagartig richtig wach. <strong>Die</strong><br />

kalte, laute Stimme aus dem Lautsprecher knarrte: „Nummer 3.“ Sofern es überhaupt möglich<br />

war, wurde Sawyer noch blasser. Sein Herz raste von einer Sekunde auf die andere schmerz-<br />

haft gegen seine Rippen. Schweiß brach ihm aus und in seinen immer noch glasigen Augen<br />

loderte Panik. Ein Blick auf Kate, die ebenfalls leichenblass geworden war, machte ihm<br />

jedoch klar, dass er sich lieber selbst in Streifen schneiden lassen würde, als wohlmöglich<br />

zuzulassen, dass diese Schweine sich an ihr vergriffen. Sehr mühsam und schwankend und<br />

mit Kates Hilfe rappelte er sich auf die Füße.<br />

144


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sanft drückte er Kate, die sich weinend an ihn klammerte, zurück, taumelte mehr als<br />

dass er gerade ging mit zitternden Knien an die Tür und legte die Hände auf den Rücken. Ihm<br />

wurde fast schlecht vor Angst, aber er stand still und ruhig da und ließ sich widerstandslos die<br />

Handschellen anlegen. Ein letzter Blick in Kates Augen, dann ging die Zellentür auf und er<br />

trat hinaus, sobald die zwei Bewacher bei ihm waren. Kate trat weinend ans Gitter und sah<br />

ihm nach, als er wieder zu der Liege geführt und darauf in der schon bekannten Haltung er-<br />

neut gefesselt wurde. Als er dann dort lag, wiederum zur Bewegungsunfähigkeit verdammt,<br />

hatte er kurz das wilde Verlangen, panisch los zu schreien. Stattdessen zwang er sich mit zu-<br />

sammen gebissenen Zähnen, die Decke anzustarren und der Dinge zu harren, die kommen<br />

würden. Er hatte ohnehin keine andere Wahl. Er war, seit er seine Eltern verloren hatte, ein<br />

eiskalter Egoist gewesen. Erst seitdem er Kate kannte und liebte, war er das nicht mehr. Er<br />

würde alles, wirklich alles für sie tun. Wenn er zu gehorchen hatte, damit man Kate in Frieden<br />

ließ, würde er auch gehorchen. Nur sein flacher, hektischer Atem verriet, dass er innerlich<br />

zitterte vor Angst. Alle warteten besorgt, was die Dreckskerle jetzt wieder von ihm wollten.<br />

Kate stand zitternd am Gitter und weinte. Längere Zeit geschah nichts. Dann erschallte jedoch<br />

erneut die Stimme aus dem Lautsprecher. „Nummer 8.“ Kate registrierte kaum, dass sie ge-<br />

meint war. Sawyer schon. Panisch hob er den Kopf und versucht, zu erkennen, was nun ge-<br />

schehen würde. Zwei Wachleute näherten sich. Gibbs im Nachbarkäfig zischte Kate zu: „Du<br />

bist 8.“ Kate zuckte zusammen und nickte erschrocken. Sie eilte an die Tür und drehte sich<br />

herum. Handschellen angelegt zu bekommen war ihr ein Gräuel. Sie hasste jede Art von<br />

Kontrollverlust zutiefst. Aber hier blieb ihr nichts übrig, als sich zu beugen. Als ihre Zellentür<br />

elektronisch entriegelt aufschwang, trat sie mit gesenktem Kopf aus der Zelle und ließ sich<br />

von den Bewachern an den Oberarmen packen.<br />

Halb rechnete sie damit, eventuell zu Sawyer gebracht zu werden, um ihm, ähnlich,<br />

wie die junge Ärztin gezwungen gewesen war, irgendwie weh zu tun. Aber sie wurde nur zu<br />

der geheimnisvollen Tür gegenüber dem Kerkereingang gebracht. <strong>Die</strong> Handschellen wurde<br />

geöffnet, die Tür vor ihr schwang auf und Kate erhielt einen sanften Schubs. Einer ihrer Be-<br />

wacher folgte ihr. Er blieb hinter ihr stehen, stumm, sie kalt musternd. Sie stolperte vorwärts<br />

und glaubte, nicht richtig zu sehen. Sie stand in einer perfekten, kleinen Wohnung!<br />

Vollkommen verwirrt sah sie sich um. Ein großzügiges Wohnzimmer, mit einer gemütlichen<br />

Sitzecke, Stereoanlage, TV, Fernsehsessel, DVD Player, CD Player, Regalen voller DVDs,<br />

CDs, Bücher. Eine kleine Bar. Ein Klavier an einer Wand. An einer anderen Wand ein<br />

Schreibtisch mit PC und Flachbildschirm. Dazwischen eine Tür. Eine kleine Küchenzeile, mit<br />

Kühlschrank, Spüle und Kaffeemaschine. Kate hätte sich gerne weiter umgeschaut, aber ihre<br />

Sorge um Sawyer überdeckte im Augenblick einfach alles. Sie drehte sich zur Tür herum und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wünschte, diese mit ihren Blicken durchbohren zu können. Ihr Bewacher sagte keinen Ton,<br />

sah sie nur weiterhin kühl an.<br />

Draußen auf der Liege wurde Sawyer fast wahnsinnig vor Angst, als er sah, wie Kate<br />

in den geheimnisvollen Raum gestoßen wurde und einer der Typen ihr folgte. Vollkommen<br />

verzweifelt starrte er auf die Tür und fragte sich, was sich dahinter abspielen mochte. <strong>Die</strong>se<br />

Schweine. Was machten sie mit ihr? Der zweite Bewacher trat zu ihm. Er beugte sich über<br />

Sawyer und löste nacheinander dessen Fesseln. Ein einziger Blick genügte, um Sawyer jede<br />

Idee, die er eventuell gehabt hatte, schnellstens vergessen zu lassen. „Versuch es, und sie wird<br />

es bitter bereuen.“, sagte dieser Blick überdeutlich. Zitternd vor Wut fügte sich der junge<br />

Mann und ließ sich die Hände erneut auf dem Rücken in Handschellen legen. Der Gedanke,<br />

in seine Zelle gesperrt zu werden, nicht zu wissen, was mit Kate geschah, trieb ihm vor Angst<br />

fast Tränen in die Augen. Und dann glaubte er, zu träumen. Er wurde ebenfalls zu der Tür<br />

geführt, hinter der Kate gerade verschwunden war. Schwer atmend stand er da und wartete.<br />

<strong>Die</strong> Tür ging auf, der Typ, der Kate gefolgt war, kam heraus und Sawyer wurden die Hand-<br />

schellen gelöst. Dann erhielt er unvorbereitet ebenfalls einen unerwartet heftigen Stoß und<br />

stolperte vorwärts. Direkt in Kates Arme.<br />

Kate konnte nicht fassen, was geschah. <strong>Die</strong> Tür wurde erneut geöffnet und dann<br />

taumelte ihr Sawyer entgegen, von einem Stoß in den Rücken nach vorne getrieben. Sie fing<br />

ihn überrascht auf und in der nächsten Sekunde lagen sich die Beiden unendlich erleichtert in<br />

den Armen. Sie spürten den jeweils <strong>Anderen</strong> heftig zittern. Kate hing schluchzend in Sawyers<br />

Armen. „Hey, Freckles, alles in Ordnung, keine Bange. Es geht mir gut. Sie haben mir nichts<br />

mehr getan.“, flüsterte der junge Mann beruhigend. Einige Zeit hielten sie sich einfach fest,<br />

dann beruhigte Kate sich langsam und Sawyer begannen vor Erschöpfung die Beine zu<br />

zittern. Kate führte ihn zum Sofa und setzte sich dicht zu ihm. Gemeinsam sahen sie sich noch<br />

einmal um. „Was, zum Teufel, ist das hier?“, fragte Sawyer vor Müdigkeit lallig und<br />

hoffnungslos verwirrt. „Ich habe keine Ahnung. Weiter habe ich <strong>mich</strong> noch nicht um-<br />

gesehen.“, erwiderte Kate. Sie stand auf, ging auf eine Tür zu, die zwischen Klavier und<br />

Schreibtisch zu sehen war und sah sich in dem Raum dahinter um. „Ein Schlafzimmer.“, rief<br />

sie perplex. Sawyer quälte sich vom Sofa hoch und trat zu Kate. Er traute fast seinen Augen<br />

nicht, als er ein komplett eingerichtetes Schlafzimmer mit großen, frisch bezogenen Doppel-<br />

bett erkannte. Eine weitere Tür führte in ein großzügiges Bad mit WC, Dusche und Bade-<br />

wanne. Einiges an Shampoos, Spülungen, Badezusätzen und Hautcremes stand auf einem<br />

Badezimmerschränkchen. Einwegrasierer lagen neben Zahnbürsten, die von 1 - 16 durch<br />

nummeriert waren. „Das gibt es doch alles nicht.“, entfuhr es Kate. Sie sah besorgt Sawyer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

an. „Wie fühlst du dich überhaupt? Wie geht es dir?“ Er starrte immer noch ungläubig im Bad<br />

umher. „Es geht. Schlapp, wie nach einer schweren Grippe. Und ich habe das Gefühl, ich<br />

könnte bis Weihnachten schlafen und wäre dann immer noch müde.“ Er sah Kate an.<br />

„Duschen?“, fragte er leise. Sie nickte. So entledigten sich beide ihrer albernen Kittel, Kate<br />

ignorierte geflissentlich die Tatsache, dass selbstverständlich auch hier jeder Raum kamera-<br />

überwacht wurde und Augenblicke später standen die Beiden unter der Dusche. Zwanzig<br />

Minuten später saßen Kate und Sawyer, in Badehandtücher gewickelt, auf dem Sofa. Kate<br />

hatte die Bar inspiziert und beiden einen Whiskey eingeschenkt. Sie wollten gerade anstoßen,<br />

als es neben dem Eingang an der Wand klapperte und eine Luke auf ging.<br />

Kate stand auf und fand in der Luke, die sie bisher nicht bemerkt hatte und die ein<br />

Miniaturaufzug zu sein schien, ein Tablett. Zwei Teller standen darauf, zugedeckt. Kate nahm<br />

das Tablett und trug es zum Tisch herüber. Sie hob die Deckel ab und starrte fassungslos auf<br />

ein Steak mit Pommes Frites und Gemüse, sowie offensichtlich einem Gemüseauflauf.<br />

Sawyer schüttelte den Kopf. „Das sind Psychopathen. Das gibt es doch nicht. Was soll dieser<br />

Scheiß? Erst foltern sie <strong>mich</strong> wer weiß wie lange, jetzt krieg ich Steak.“ Er lachte freudlos.<br />

Kate grinste. „Egal, lass uns essen, bevor die es sich anders überlegen.“ Sie stellte beide<br />

Teller auf den Wohnzimmertisch, legte Besteck daneben und setzte sich. „Hör zu, Baby, du<br />

solltest langsam essen, sonst kommt es dir gleich wieder hoch. Du hast lange nichts gehabt.“,<br />

sagte sie besorgt. Sawyer nickte. „Du hast Recht. Sollte ich wirklich.“ Er verstummte kurz,<br />

dann fuhr er leise fort: „Hör mal, Freckles. Vermutlich schlaf ich sofort wieder ein, wenn ich<br />

was im Magen hab, daher sag ich es dir lieber jetzt, verstehst du?“ Er holte tief Luft. „Ich<br />

weiß nicht, was dieser ganze Mist hier soll, was das da draußen für Leute sind, in den anderen<br />

Käfigen, was diese Psychopathen, die uns hier fest halten, eigentlich wollen, aber ich weiß<br />

eines ganz sicher. Was immer hier noch geschehen wird, ich liebe dich. Ich hab das schon zu<br />

vielen Frauen gesagt und nie ernst gemeint. Bei dir meine ich es ernst, okay. Sollten wir das<br />

alles hier überleben, möchte ich, dass wir zusammen bleiben.“ Er schwieg erschöpft. Kate<br />

hatte ihm zu gehört und stumme Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie hatte normalerweise<br />

nicht so nah am Wasser gebaut, aber die ganze Situation hier überforderte die junge Frau<br />

komplett. <strong>Die</strong> Erkenntnis alleine, sich in Sawyer innerhalb derart kurzer Zeit so sehr verliebt<br />

zu haben, hatte schon ausgereicht, um sie völlig zu verwirren. <strong>Die</strong>se Gefangenschaft hier<br />

brachte Kate an den Rand der Verzweiflung. Dass Sawyer ihr erklärte, dass er sie auch liebte,<br />

dass er wollte, dass sie bei ihm blieb, gab ihr den Rest. Sie sah ihn an. „Ich liebe dich auch.<br />

Das ist mir schon in Sydney klar gewesen. Und sollten wir hier lebend raus kommen, wirst du<br />

<strong>mich</strong> nicht mehr los. Das verspreche ich.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Draußen waren alle immer noch sehr erleichtert, dass es vorbei war. Alltägliche Dinge<br />

traten wieder in den Vordergrund. Alle hätten sonst was dafür gegeben, endlich einmal wieder<br />

zu duschen. Seit dem Zwischenfall mit Jake und Sawyer hatte man ihnen keine weitere<br />

Dusche erlaubt und nach dem entsetzlichen Tag mit der extremen Hitze in ihrem Kerker<br />

hatten sie nur noch den Wunsch, endlich ihre schon heftig riechenden Körper zu säubern. <strong>Die</strong><br />

Männer sahen es zwar ein wenig pragmatischer als die Frauen, aber geduscht hätten sie nun<br />

alle gerne. Plötzlich knisterte es erneut im Lautsprecher und es hieß: „5, 6, 7, 9, 10, 11, 14.“<br />

Erschrocken standen die Frauen auf. Wachleute erschienen und fesselten sie. Dann gingen die<br />

Zellen auf und die Frauen wurden auf die Plattform gebracht. Als es mit dieser eine Etage<br />

nach unten ging, wagten sie kaum zu hoffen, dass man sie vielleicht in den Duschraum<br />

bringen würde. Aber genau das geschah. Sie konnte es kaum fassen. Sie wurden tatsächlich in<br />

den Duschraum gebracht. Unendlich erleichtert ließen sie sich die Handfesseln abnehmen.<br />

*****<br />

Als sie ihr wirklich gutes Essen aufgegessen hatten, gähnte Sawyer herzhaft. „Keine<br />

Ahnung, wie lange die uns hier drinnen gönnen, aber ich kann die Augen kaum noch offen<br />

halten. Es tut mir leid. Ich muss einfach noch Schlafen. Ich bin so fertig. Was ist eigentlich<br />

auf meinem Rücken los, dass brennt wie Feuer ….“ Kate sah besorgt aus. „Du hast von den<br />

Elektroschocks leichte Verbrennungen.“ Sie zog Sawyer hoch und in Richtung Schlafzimmer.<br />

Dort wickelte sie ihn aus dem Handtuch. „Leg dich aufs Bett, okay, ich hab im Bad einen<br />

Erste Hilfe Koffer entdeckt, ich schau mal, was da so drinnen ist.“ Sawyer ließ sich stöhnend<br />

auf dem Bett nieder. Nicht nur die Brandwunde schmerzte. Seine Schultern und Armgelenke<br />

ächzten bei jeder Bewegung, sein ganzer Rücken fühlte sich an, als wären die Wirbel plötz-<br />

lich von Spondylosen überzogen. Er hatte immer noch heftige Kopfschmerzen. Kate eilte ins<br />

Bad und kam Sekunden später mit dem Koffer zu Sawyer zurück. Sie sah den Inhalt durch<br />

und entdeckte tatsächlich eine Brandwundensalbe. Sehr vorsichtig, um Sawyer nicht zusätz-<br />

lich weh zu tun, trug sie von der Salbe auf die Wunde auf. Er zuckte leicht zusammen und<br />

seufzte dann müde. „Sind da zufällig auch Schmerztabletten drinnen?“ Kate suchte kurz und<br />

nickte dann. Sie drückte ihm zwei Paracetamol in die Hand und holte ein Glas Wasser. Er<br />

schluckte unendlich erleichtert die Tabletten. Dann seufzte er: „Was immer du da drauf getan<br />

hast, das tut gut.“ Er rollte sich auf die Seite und streckte eine Hand nach Kate aus. „Komm<br />

zu mir, okay?“ Kate zögerte keinen Moment. Sie ließ das Handtuch von sich gleiten, stieg zu<br />

Sawyer ins Bett und kuschelte sich an ihn. Dann zog sie das Zudeck über sie. Völlig erledigt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nuschelte er: „Hoffentlich geben sie uns ein wenig Zeit. Ich würde gerne ein bisschen mehr<br />

machen, als nur neben dir im Koma zu liegen ….“ Er hatte noch kaum ausgeredet, da war er<br />

auch schon tief und fest eingeschlafen.<br />

Wie lange er schlief, hätten weder Kate noch er selbst schätzen können. Sie war<br />

irgendwann leise und vorsichtig aufgestanden, aber das wäre überflüssig gewesen. Kate hätte<br />

genauso gut auf dem Bett herum hüpfen können, davon wäre Sawyer auch nicht wach ge-<br />

worden. <strong>Die</strong> junge Frau hatte sich ins Wohnzimmer gehockt und vor sich hin gegrübelt. Sie<br />

hatte den PC angeschaltet und nicht überrascht festgestellt, dass er keinen Internetzugang<br />

hatte. Auch der TV war nur zum Abspielen der zahlreichen DVDs gedacht, nichts mit Nach-<br />

richten gucken. Immer wieder stand sie auf und sah nach Sawyer. Irgendwann wachte er end-<br />

lich auf. „Hey, da bist du ja wieder.“, lächelte Kate und gab ihm einen zärtlichen Kuss. „Hab<br />

fast das Gefühl, ich könnte jetzt eine Weile wach bleiben.“, grinste Sawyer. „Machst du uns<br />

einen Kaffee?“ Kate nickte und stand auf. Wasser und Kaffeepulver hatte sie schon vorher<br />

eingefüllt, sodass sie nur noch den Schalter umlegen brauchte. Als der Kaffee durch gelaufen<br />

war, schenkte sie zwei Becher voll und trug sie zum Bett hinüber. Ohne darauf zu achten,<br />

dass sie beobachtet und höchstwahrscheinlich wohl auch belauscht wurden, schlüpfte Kate<br />

aus dem Kittel und legte sich zu Sawyer ins Bett. Schweigend tranken die Beiden ihren<br />

Kaffee. Als die Becher leer waren, stellte Kate sie auf den Nachtschrank auf ihrer Bettseite.<br />

Dann drehte sie das Licht so weit herunter, wie es ging und kuschelte sich ganz eng an<br />

Sawyer heran. Eine Weile schwiegen sie noch, genossen einfach das Gefühl, zusammen zu<br />

sein, dann fragte Kate so leise, dass eventuelle Mithörer vielleicht nichts mitbekamen: „Wie<br />

fühlst du dich? Was macht der Rücken?“ Genau so leise antwortete Sawyer: „Es geht wieder.<br />

Was für kranke Schweine sind das nur?“ Er machte eine kleine Pause, dann fuhr er genau so<br />

leise fort: „Ich hab es nicht besser verdient, aber du dürftest nicht hier sein.“ „Was redest du<br />

für einen Quatsch?“, fragte Kate erstaunt. „Wieso solltest du das hier verdient haben?“ Kurz<br />

schwieg Sawyer, dann erzählte er Kate leise: „Ich hab in Sydney einen Mann getötet. Ich hab<br />

ihn erschossen. Ich war davon überzeugt, er wäre der Betrüger, der meine Eltern getötet hat,<br />

verstehst du? Der Mann, den ich versuche zu finden seit ich acht Jahre alt war. Es war der<br />

Falsche. Der Typ, Hibbs, der mir den Tipp gab, ein alter ... Kumpel, hat <strong>mich</strong> verarscht und<br />

benutzt, um sich an dem armen Schwein zu Rächen. Verstehst du? Ich hab einen un-<br />

schuldigen Menschen getötet.“ Sawyers Stimmer war immer leiser geworden und verstummte<br />

jetzt ganz.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate hatte erschüttert zugehört. Von dem echten Sawyer, dessen Name er an-<br />

genommen hatte, und von dem Tod seiner Eltern, hatte Sawyer Kate in Sydney bereits ganz<br />

kurz erzählt. Nicht aber davon, dass er einen Menschen getötet hatte. Sawyer deutete Kates<br />

Schweigen verkehrt. Er wollte sich aus ihren Armen befreien und aufstehen, weil er dachte,<br />

sie wäre entsetzt über ihn, aber sie hielt ihn fest. „Bleib hier, Sawyer. Du glaubst hoffentlich<br />

nicht, dass ich entsetzt die Hände vor das Gesicht schlage und Mörder schreie, oder? Wenn<br />

wir hier schon Seelenstriptease machen, okay, da habe ich auch etwas beizusteuern … Ich<br />

habe … Ich habe meinen leiblichen Vater in die Luft gejagt, als ich knapp neunzehn war. Er<br />

hat meine Mutter jahrelang schwer misshandelt, <strong>mich</strong> immer wieder sexuell belästigt,<br />

stundenlang eingesperrt, wenn ihm danach war, <strong>mich</strong> begrapscht ... Er war Alkoholiker, jeden<br />

Abend total besoffen. Er hat <strong>mich</strong> zwar nie vergewaltigt, aber seine ständigen Bemerkungen,<br />

Berührungen und Blicke … Eines Tages habe ich die Gasleitung aufgedreht und als er stock-<br />

besoffen nachhause kam, hab ich ihn in sein Bett geschafft und eine brennende Kerze ins<br />

Haus geworfen. Du siehst, du bist nicht der Einzige hier, der das verdient.“ Sie schwieg er-<br />

schöpft. Nie zuvor hatte sie jemandem das anvertraut. Innerlich zitterte sie, ausgerechnet dem<br />

Mann, der seine Eltern so schmerzlich vermisste, von der Ermordung ihres Vater zu erzählen,<br />

aber gleichzeitig hatte Kate das Gefühl, hier, jetzt, in dieser beschissenen Situation steckend,<br />

war der Moment gekommen, vorbehaltlos ehrlich zu sein. Sawyer schwieg kurz, dann lachte<br />

er leise. Kein fröhliches Lachen.<br />

„Anscheinend haben wir einiges gemeinsam, was? Warum hast du mir das erzählt?“<br />

„Um dein entsetztes Gesicht zu sehen. Um zu sehen, wie schockiert du bist und um zu sehen,<br />

wie du <strong>mich</strong> weg stößt.“ Sawyer sah Kate direkt in die Augen. Und sie las in ihnen nur Liebe.<br />

Das Gleiche erkannte er in ihren Augen. „Das tu ich nicht, Freckles. Wir sind beide keine<br />

Engel, wie es scheint, und sollten uns mit Urteilen über Andere wohl zurück halten. Dein<br />

Vater scheint ein mieses Schwein gewesen zu sein. Hör zu, Kate, ich liebe dich, okay. Daran<br />

wird sich auch nichts ändern.“ Kate konnte es nicht fassen. Sie schlang ihm die Arme um den<br />

Hals und zog ihn an sich. Sie küssten sich, erst zärtlich und sanft, dann wurde der Kuss immer<br />

leidenschaftlicher. Alle Kameras aus ihren Köpfen ausblendend, begannen die Beiden, ihre<br />

Hände liebkosend über den Körper des <strong>Anderen</strong> gleiten zu lassen. Heftige Erregung spülte<br />

schließlich die letzten Bedenken weg und Sawyer rollte sich auf Kate. Leidenschaftlich<br />

liebten sie sich, sie wussten ja nicht, ob es nicht das letzte Mal sein würde. Schließlich sank<br />

Sawyer keuchend, aber glücklich, auf Kate zusammen. Sie hielt ihn fest. Hier einfach zu<br />

liegen und ihn zu spüren, in der Lage, in der sie sich befanden, grenzte an ein Wunder und<br />

dieses Wunder wollte Kate bis zum letzten Moment auskosten.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tintenkleckse<br />

Wir fliehen vor der Selbsterkenntnis, um das Bild, das wir uns von uns gemacht<br />

haben, nicht zerstören zu müssen.<br />

Jean Apatride<br />

Im Zellentrakt fragten sich die <strong>Anderen</strong>, was das für ein Raum war, in den man Kate<br />

und Sawyer gebracht hatte. Sie waren schon recht lange dort. Hoffentlich ließ man sie, be-<br />

sonders Sawyer, in Frieden, damit er sich von dem grausamen Test erholen. Während sie alle<br />

darüber nachdachten, ging das grüne Licht endlich einmal wieder an. <strong>Die</strong> ersten Minuten<br />

drehten sich die Gespräche natürlich noch um den Versuch. „Was wollten die damit er-<br />

reichen?“, fragte Heather. „Physische und psychische Belastbarkeit.“, erwiderte House<br />

lakonisch. „Selten zeigt sich besser, wie gut oder schlecht belastbar ein Mensch ist.“ „Ärzte<br />

sind im Allgemeinen weniger anfällig für Schlafmangel. Sie müssen oft achtundvierzig<br />

Stunden und länger wach sein. Aber eigentlich ist es nicht aussagekräftig, wie kurz oder wie<br />

lange ein Mensch ohne Schlaf auskommt. Jeder hat einen anderen Biorhythmus und wird in<br />

unterschiedlichen Situationen auch vollkommen unterschiedlich reagieren.“ Allison sah<br />

House an. „Er zum Beispiel bricht schon zusammen, wenn er zwei Stunden Praxisdienst<br />

leisten muss.“ „Das liegt einfach daran, dass das dämliche Geschwafel von kranken<br />

Menschen <strong>mich</strong> einschläfert. Übrigens kann einen auch das Geschwafel von Assistenzärzten<br />

einschläfern. Hätten die Sie neben Sawyer gestellt, hätte den schon nach einer Stunde nichts<br />

mehr wecken können.“ Allison konnte ein empörtes Schnaufen nicht unterdrücken. Ehe sie<br />

jedoch antworten konnte, ging die Kerkertür auf und vier Wachleute betraten das Verließ. Sie<br />

würdigten die Gefangenen keines Blickes und gingen zielstrebig auf die geheimnisvolle Tür<br />

zu, hinter der Kate und Sawyer schon so lange steckten.<br />

<strong>Die</strong>se hatten sich irgendwann schweren Herzens von einander gelöst, waren noch ein-<br />

mal zusammen unter die Dusche gegangen und hatten sich dann auf das Sofa gesetzt. Sie<br />

saßen keine fünf Minuten dort, als über einen in der Wohnung installierten Lautsprecher ihre<br />

Nummern aufgerufen wurden. „Das war„s wohl.“ Sawyer seufzte und Kate hatte plötzlich<br />

einen Kloß im Hals. „Ja, das fürchte ich auch.“ Sie standen auf und umarmten sich noch ein-<br />

mal heftig. Dann ging auch schon die Tür auf und Wachleute traten ein. Nun wurden ihnen<br />

die Hände auf den Rücken gefesselt und sie wurden aus der kleinen Wohnung geführt. Alle<br />

Mithäftlinge starrten sie an und beobachteten, wie die Beiden wieder in ihre Zellen gebracht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurden. Kaum waren die Wachen aus dem Kerker verschwunden, wurden sie schon mit<br />

Fragen bestürmt. „Sawyer, wie geht es dir?“ „Wo wart ihr, was ist das für ein Raum?“<br />

„Haben sie euch was getan?“ „Konntest du dich ein bisschen erholen?“ Sawyer trat an die<br />

Zellentür uns erklärte verlegen: „Es geht wieder, ich hab <strong>mich</strong> gründlich ausgeschlafen. Sie<br />

haben uns auch in Frieden gelassen.“ Er wurde noch verlegener. „Ich ähm, also, ... ich ...<br />

Danke, dass ihr versucht hab, mir zu helfen, okay.“ Er verstummt. Kate schossen Tränen in<br />

die Augen. Sie wusste, wie schwer Sawyer diese Worte gerade gefallen waren. Um die<br />

anderen von seiner Verlegenheit abzulenken erklärte Kate: „Was hinter der Tür liegt, ratet ihr<br />

nie.“ „Ein Belohnungsraum.“ Kate starrte zu Gibbs hinüber.“ „Äh. Okay, ihr ratet es also<br />

doch.“, stotterte sie verblüfft. „Keine große Sache. Ich habe nur eins und eins zusammen ge-<br />

zählt.“, grinste Gibbs. „Wirklich, ein Belohnungsraum?“, frage Abby beeindruckt. „Was ist<br />

da alles drinnen?“ „Ein Bett, weich, zum Schlafen ... und mehr.“, seufzte Sawyer. Bevor er<br />

noch die Kenntnisse der anderen Häftlinge vertiefen konnte, ging das grüne Licht aus.<br />

Augenblicklich herrschte wieder Schweigen.<br />

Es dauerte nicht lange, und die Ruhe wurde unterbrochen. „1,3, 6 und 8.“, ertönte es<br />

aus dem Lautsprecher und Booth, Sawyer, Bones und Kate traten an die Käfigtüren. - Nicht<br />

schon wieder Sawyer. - dachte Kate panisch. „<strong>Die</strong> brauchen wohl wieder ein paar mensch-<br />

liche Nadelkissen.“, kommentierte dieser gerade genervt, nicht darauf achtend, dass das rote<br />

Licht deutlich leuchtete. Aus Abbys Zelle kam prompt ein scharfes Einatmen. Sawyer dachte<br />

- Sorry, Tattoos. - Er machte sich ein wenig Sorgen, weil Kate bei der Gruppe war, und warf<br />

ihr einen liebevollen Blick zu. <strong>Die</strong> vier Gefangenen wurden in den gleichen Raum geführt wie<br />

vor Tagen Gil, Sara, Mulder und Scully und auf die Kabinen verteilt. Sobald Sawyer Platz<br />

genommen hatte, kam ein Wachmann herein und reichte ihm einen Stapel Papier. Auf dem<br />

ersten Blatt stand: „Interpretiere folgende Figuren.“ Sawyer blätterte den Papierstapel durch.<br />

Auf jedem Blatt befanden sich zwei einem Tintenklecks ähnliche Bilder. Unter jedem Bild<br />

war etwas Platz zum Schreiben. Der Südstaatler sah sich das erste Bild genau an. Es sah aus<br />

wie zwei Figuren, die symmetrisch um irgendein Gebilde angeordnet waren. Sawyer über-<br />

legte nicht lange und schrieb: „Brüste, Körpchengröße D, mindestens.“ Das zweite Bild sah<br />

er gar nicht richtig an, aber das hielt ihn nicht von einer prompten Antwort ab: „Pärchen beim<br />

Sex, Frau liegt oben. Hey, ich bin emanzipiert.“ Sawyer warf einen flüchtigen Blick auf das<br />

nächste Bild. In der oberen Bildhälfte sah er zwei kleine Kreise. Er ignorierte den Rest der<br />

Figur und schrieb: „Brüste, aber bei der Größe hilft nicht mal ein Push-Up BH.“ Nach einem<br />

flüchtigen Blick auf das nächste Bild schrieb er: „Flotter Dreier mit zwei Frauen.“ Mit viel<br />

Fantasie konnte man in dem nächsten Bild einen aufgeklappten Mantel erkennen. Sawyer<br />

schrieb: „Exhibitionist.“ Er sah sich das nächste Bild an. „Hey, die Stellung wollte ich schon<br />

152


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

immer mal ausprobieren.“ Nachdem er alle Bilder kommentiert hatte, legte Sawyer die<br />

Blätter beiseite.<br />

Als die Wache rein kam, um sie abzuholen, meinte er: „Das hat Spaß gemacht. Aber<br />

jetzt habe ich Lust auf was anderes. Könnt ihr Kate mal für ´ne Weile rein schicken?“ Der<br />

Mann antwortete nicht, aber Sawyer glaubte den Anflug eines Grinsens auf seinem Gesicht zu<br />

erkennen, als er den Papierstapel durch einen anderen austauschte. Der nächste Test schien<br />

deutlich weniger spaßig zu werden als der Erste. Sawyer las genervt die Instruktion durch<br />

Streiche alle d’s mit zwei Strichen (entweder zwei Striche oben, zwei Striche unten oder je ein<br />

Strich oben und unten) durch. Es sollen möglichst viele Zeilen geschafft und möglichst wenig<br />

Fehler gemacht werden. Als Fehler zählt jedes ausgelassene d mit zwei Strichen und jeder<br />

falsch durchgestrichene Buchstabe. Zwanzig Sekunden Zeit pro Zeile. Wenn ein Pfeifton er-<br />

tönt, gehe zur nächsten Zeile über. „Was soll denn der Scheiß bitte?“, fragte er giftig. In dem<br />

Moment erklang schon der Pfeifton. Sawyer beschloss, dass er keine Lust auf diesen<br />

Schwachsinn hatte und strich einfach alle Buchstaben durch. Als er das Blatt beiseitegelegt<br />

hatte kam ein Wachmann und reichte ihm kommentarlos das gleiche Blatt noch mal. <strong>Die</strong>smal<br />

beachtete Sawyer die Instruktion, bemühte sich aber nicht um Schnelligkeit. - So weit kommt<br />

es noch, dass ich <strong>mich</strong> bei diesem Blödsinn abrackere. - Nachdem Sawyer fertig war, kam<br />

wieder ein Wachmann rein, warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt, das Sawyer abgegeben<br />

hatte und reiche ihm ein weiteres Exemplar desselben Tests. „Oh, Mann.“ Sawyer seufzte<br />

genervt auf, gab sich aber geschlagen. Er hatte keine Lust, morgen früh noch hier zu sitzen.<br />

Während Sawyer sich über seine stupide Aufgabe ärgerte, brütete Kate über einem<br />

Intelligenztest. Sie war keineswegs dumm, aber sie war nie der Theoretikertyp gewesen und<br />

las auch nicht sehr viel. Deswegen fielen ihr einige der Fragen ziemlich schwer. Von den<br />

folgenden fünf Worten haben jeweils vier eine Gemeinsamkeit. Finde das Wort, das nicht in<br />

die Reihe passt. a)Eiche, b)Birke, c)Ahorn, d)Fichte, e)Weide Kate stutze. Sie hatte keine<br />

Ahnung, welcher Baum sich nennenswert von den anderen Vieren unterschied und riet<br />

schließlich einfach. <strong>Die</strong> nächste Aufgabe war hingegen relativ einfach: Führe die Buchstaben-<br />

folge fort: A, D, G, J… Kate überlegte kurz und setze M ein. Auch die Zahlenreihen fielen<br />

Kate größtenteils relativ leicht. Wie lautet die nächste Zahl in der Reihe? 3 - 4 - 8 - 17 - 33<br />

Kate setzte 67 ein und ging dann zu den Figurentests über. <strong>Die</strong> Aufgabe war nun, aus einer<br />

Reihe von geometrischen Figuren diejenige auszuwählen, die die Reihe vervollständigte.<br />

<strong>Die</strong>ser Teil des Tests fiel der jungen Frau ziemlich schwer. Kate war erleichtert, als sie end-<br />

lich mit dem IQ Test fertig war und sich der nächsten Aufgabe widmen konnte. Dabei<br />

handelte es sich um einen Fragebogen. Kate war keineswegs begeistert von dem Gedanken,<br />

diesen Leuten persönliche Fragen zu beantworten. Bei dem Fragbogen schien es um den Um-<br />

153


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gang mit Stresssituationen zu gehen. - Wie passend. - Der Anfang der Frage war immer gleich<br />

„Wenn ich durch irgendetwas oder irgendjemand beeinträchtigt, innerlich erregt oder aus<br />

dem Gleichgewicht gebracht worden bin…“ „… denke ich, <strong>mich</strong> trifft keine Schuld.“ Das<br />

Gegenteil traf auf Kate zu. Sie hielt sich für einen schlechten Menschen und glaubte,<br />

schlechte Erfahrungen verdient zu haben. Aber das würde sie diesen Leuten nicht auf die<br />

Nase binden. Sie kreuzte trifft zu an. „… mache ich mir Vorwürfe.“ Auch das traf zu, aber<br />

wieder log Kate.<br />

Währenddessen war Booth gerade bei dem Zahlen-Gedächtnistest angelangt. <strong>Über</strong><br />

Lautsprecher hörte er „In der Oakroad 43 wohnen 126 Menschen, davon 27 erwachsene<br />

Frauen, 56 erwachsene Männer und 43 Kinder. In der Oakroad 45 wohnen 94 Menschen,<br />

davon 41 erwachsene Frauen, 35 erwachsene Männer und 18 Kinder. In der Oakroad 47<br />

wohnen 106 Menschen, davon 51 erwachsene Frauen, 32 erwachsene Männer und 23 Kinder.<br />

In der Oakroad 49 wohnen 99 Menschen, davon 32 erwachsene Frauen, 25 erwachsene<br />

Männer und 42 Kinder.“ Booth hatte ein relativ gutes Gedächtnis für Zahlen, aber alle hatte<br />

auch er sich nicht merken können. <strong>Die</strong> nächste Aufgabe fiel ihm noch schwerer. <strong>Die</strong>smal<br />

sollte er sich eine Reihe völlig sinnloser Silben einprägen. Der FBI Agent war entnervt und<br />

wusste nicht, was das alles sollte, spielte aber mit, weil er zu dem Schluss gekommen war,<br />

dass es gesünder für ihn und höchstwahrscheinlich auch Bones war, zu kooperieren.<br />

Währenddessen beschäftigte seine Partnerin sich mit einem Test, der berufsbezogene<br />

Fähigkeiten und Vorlieben zu erfassen schien. „Ich bin mit mir erst dann zufrieden, wenn ich<br />

außergewöhnliche Leistungen vollbringe.“ Das traf auf Bones voll und ganz zu und das<br />

konnten ihre Entführer ruhig wissen, also kreuzte sie Anthropologin trifft zu an. „Mich wirft<br />

so leicht nichts aus der Bahn.“ Das traf zu, allerdings war Bones sich im Klaren darüber, dass<br />

ihre Entführer diese Aussage wohl gründlich testen würden. - Sollen sie doch. - dachte Bones<br />

trotzig und kreuzte wieder trifft zu an. Als nächstes sollte Bones den Test bearbeiten, an dem<br />

Sawyer solchen Gefallen gefunden hatte. Sie konnte mit den Merkwürdigen Tintenklecksen<br />

jedoch nicht das Geringste anfangen. „Ich sehe in diesen Bildern nur zufällige Anordnungen<br />

von hellen und dunklen Flächen.“, sagte sie verständnislos in die Kamera. Niemand reagierte.<br />

Nach einem Moment der Ratlosigkeit beschloss Bones, einfach sämtliche geometrischen<br />

Figuren aufzulisten, die in dem Bild vorkamen. Abbildung 1: 2 große Dreiecke, 2 kleine<br />

Dreiecke, 2 Formen, die grob Halbkreisen ähneln …<br />

Als Kate die Aufgaben alle gelöst hatte, lehnte sie sich zurück und harrte der Dinge,<br />

die nun kommen würden. Sie hörte die Tür aufgehen und sah sich um. Zwei Wachen kamen<br />

herein und Kate stand auf. „Du bist fertig.“, wurde ihr erklärt und sie drehte sich um und ließ<br />

154


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich die Hände fesseln. Dann wurde sie aus der kleinen Kabine geführt und sah, dass Sawyer,<br />

Booth und Bones ebenfalls aus den kleinen Kabinen geholt worden waren. Zusammen brachte<br />

man sie nun wieder in den Zellentrakt zurück. Hier war das grüne Licht an und so konnten die<br />

Gefangenen sich ein wenig unterhalten. Mulder war in ein angeregtes Gespräch mit Ziva ver-<br />

tieft. <strong>Die</strong>se schaute kurz auf, als Sawyer in seine Zelle zurück gebracht wurde und grinste.<br />

„Na, wie blöde hast du dich angestellt?“, fragte sie grinsend. „Das wüsstest du wohl gerne,<br />

was?“, grinste Sawyer zurück. Kate fragte gerade Gibbs: „Was sollen all diese Tests eigent-<br />

lich?“ „Das dient einfach dazu, dass wir von unseren Gastgebern besser eingeschätzt werden<br />

können, Kate.“ Gibbs hatte die ungute Befürchtung, dass der Schlafentzugtest mit Sawyer erst<br />

die Spitze des Eisberges gewesen war, sprach diesen Gedanken aber wohl weislich nicht aus.<br />

Abby war in eine Unterhaltung mit Heather verstrickt. Booth hockte zwischen den beiden<br />

Frauen und grinste. Es ging um die Vorzüge der Macintosh Software und Microsoft.<br />

Scheinbar kannten sich beide Frauen gut aus. Gerade da ging die Kerkertür auf und die Brot<br />

und Wasserlieferung erfolgte. Dana grinste, als sie sah, dass Mulder seine Pillen demonstrativ<br />

deutlich schluckte. <strong>Die</strong> eine Injektion hatte ihm, der eine absolute Spritzeninhaltphobie hatte,<br />

ein für allemal klar gemacht, dass es sehr viel einfacher war, die Vitamine zu schlucken, als<br />

sie sich in den Hintern spritzen zu lassen. Sie alle hatten noch Brot über gehabt, daher stürzte<br />

sich nun keiner auf die Essensration. Kurze Zeit später ging bereits das Licht aus. Es herrschte<br />

Ruhe.<br />

Jake auf Entzug<br />

Mit dem Geist ist es wie mit dem Magen: Man kann ihm nur Dinge zumuten,<br />

die er verdauen kann.<br />

Winston Churchill<br />

Der nächste Tag begann langweilig und ereignislos wie immer. Das erzwungene<br />

Nichtstun war immer schwerer zu ertragen. <strong>Die</strong> Gefangenen langweilten sich in ihren Zellen<br />

und versuchten verzweifelt, sich irgendwie zu beschäftigen. <strong>Die</strong> Stunden vergingen unter dem<br />

roten Licht, sodass nicht einmal Unterhaltungen Abwechslung bringen konnten. Als alle<br />

schon dachten, der Tag würde wohl ohne Ereignisse vergehen, geschah es doch noch.<br />

<strong>Über</strong>raschend ertönte die gleichgültige, ruhige Lautsprecherdurchsage. „Nummer 2.“ Jake<br />

dachte beinahe erleichtert - Gott sei Dank - und sprang auf. Was sie wohl vorhatten? Er ließ<br />

155


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich widerstandslos fesseln und wurde zur Plattform in der Mitte des Zellentrakts geführt.<br />

Hier konnte er beobachten, wie die schon bekannte Liege aus dem Untergrund nach oben<br />

fuhr. Er erkannte sofort verschiedenste Möglichkeiten, einen Menschen auf eine solche Liege<br />

zu fixieren und begann über seine Erleichterung nachzudenken. Vielleicht war er ein wenig<br />

voreilig gewesen? Vielleicht war das Gott sei Dank nicht ganz so angebracht? Er schluckte<br />

unmerklich. Beunruhigt nahm er den Befehl: „Hinlegen.“, entgegen. Da immer die Gefahr<br />

bestand, dass für klare Befehlsverweigerungen nicht der Betreffende selbst, sondern in seinem<br />

Falle wohl in erster Linie Heather würde leiden müssen, gehorchte Jake trotz seines Un-<br />

behagens sofort. Innerlich zitternd musste er es hinnehmen, in derselben sehr unangenehmen<br />

Haltung wie vor einiger Zeit Sawyer fixiert zu werden. <strong>Die</strong> straff über den Kopf gezogenen<br />

Arme würden sehr schnell ziemlich heftig schmerzen, da war Jake sich sicher. Es war nicht<br />

das erste Mal in seinem Leben, dass er gefesselt war. Aber eigenartigerweise fühlte man sich<br />

psychisch bei der Fixierung der Hände über dem Kopf, egal, ob stehend oder wie jetzt,<br />

liegend, immer ein wenig ausgelieferter, verletzlicher, als wenn sie nur auf dem Rücken zu-<br />

sammen gebunden wurden. Er hoffte inständig, nicht derselben Tortur unterzogen zu werden<br />

wie der blonde Südstaatler. Heather hatte mit wachsendem Entsetzen zugeschaut, wie man<br />

Jake auf der Liege fixiert hatte. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass ihn ähnliches erwartete wie<br />

Sawyer. Einer der Wachleute stülpte Jake Kopfhörer auf, die augenblicklich jedes Geräusch<br />

verschluckten. Von einer Sekunde zur anderen war Jake mehr oder weniger taub. Das war<br />

anders als bei Sawyer. In Jake keimte eine leise Hoffnung auf, dass auf ihn doch etwas<br />

anderes zukommen würde als auf den Südstaatler. Er bemerkte auch sofort, dass die Plattform<br />

unter ihm sich nicht drehte, was sie bei Sawyer permanent langsam getan hatte. Seufzend<br />

registrierte Jake allerdings, dass er so keinen Blickkontakt mit Heather aufnehmen konnte.<br />

Jake sah, dass seine Mitgefangenen sich unterhielten und dabei immer wieder zu ihm<br />

herüber schauten, hörte jedoch keinen Ton. Das war ein ziemlich unangenehmes Gefühl. Er<br />

fühlte sich schnell maßlos alleine, als wäre er weit weg von den Leidensgenossen. Heather<br />

hatte versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen, musste aber einsehen, dass die Kopfhörer,<br />

die man ihm über gestülpt hatte, scheinbar ziemlich gründlich jeden normalen Laut abhielten.<br />

Jake lag bewegungsunfähig da. Sein Blick wanderte den für ihn sichtbaren Teil des Zellen-<br />

traktes entlang. Kate in ihrer Zelle wurde von der unangenehmen Erinnerung daran, wie<br />

Sawyer vor nicht allzu langer Zeit dort hilflos gefesselt gelegen hatte, gepackt. Ihr tat Jake<br />

unendlich leid. Sollten ihre Entführer mit ihm das Gleiche vor haben wie zuvor mit Sawyer?<br />

House kam nicht umhin, als Arzt gespannt darauf zu sein, wie lange Jake wohl durch halten<br />

würde. <strong>Die</strong> Bedingungen schienen für diesen ja etwas abgewandelt. Aber scheinbar wollten<br />

ihre Entführer das nette, kleine Experiment mit dem Schlafentzug bei Jake wiederholen. <strong>Die</strong><br />

Kopfhörer deuteten jedoch in diesem Falle eher auf Akustische als auf Schmerzreize hin. Das<br />

156


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der junge Mann das zusätzliche Handicap hatte, offensichtlich durch die Kopfhörer auch<br />

gleichzeitig von äußeren Geräuschen abgeschnitten zu sein, war ein schwerwiegender Faktor.<br />

Sawyer hatte wenigsten die Ablenkung durch ihre Unterhaltungen gehabt.<br />

Allison sah mitleidig zu Heather hinüber. „Mach dir keine zu großen Sorgen, sieht so<br />

aus, als würden sie versuchen, Jake mit akustischen Reizen statt mit Schmerzen wach zu<br />

halten. Eine Weile Schlafentzug hält ein gesunder, junger Mann problemlos aus.“ Natürlich<br />

konnte sich Temperance wieder einmal nicht verkneifen, einen ihrer dozierenden, überaus<br />

sensiblen Einwände von sich zu geben. „Ihr solltet nicht außer Acht lassen, dass akustische<br />

Deprivation in vielen Kulturen als Folter eingesetzt wird.“ Heather warf ihr einen ver-<br />

nichtenden Blick zu. Kate fuhr Bones wütend an: „Warum kannst du nicht einfach mal deine<br />

Klappe halten?“ Auch Booth schüttelte genervt den Kopf. „Man, Bones, lerne es doch mal,<br />

deine hochsensiblen Kommentare für dich zu behalten.“ „Was denn? Das entspricht doch der<br />

Wahrheit. Deprivation in jeder Form wird vielerorts als Weiße Folter verwendet. Zwar wider-<br />

spricht diese Art der Folter den Menschenrechten nach der Menschenrechtserklärung der Ver-<br />

einten Nationen und der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber sie wird dennoch<br />

überall eingesetzt. In Guantánamo Bay ... .“ Von Ziva, Abby und Allison kam fast zeitgleich:<br />

„HALT DIE KLAPPE!“<br />

Bones verdrehte angesichts so viel Unbeherrschtheit die Augen. Dass aber auch keiner<br />

einsehen wollte, dass sie Recht hatte. Sawyer in der Zelle neben ihr trat ans Gitter und sagte<br />

leise zu der Anthropologin: „Hör mal, wenn du nicht willst, dass die dich demnächst mit<br />

faulen Eiern bewerfen, rate ich dir, lieber still zu sein. Ich bin ja schon ein unsensibles Arsch-<br />

loch, aber du übertriffst wirklich alles.“ Bones sah den jungen Mann erstaunt an. „Hier gibt es<br />

keine faulen Eier. Ich verstehe nicht, was ihr habt. Ich habe nur Fakten geliefert.“ Sawyer<br />

schüttelte entnervt den Kopf. „Du verstehst es wirklich nicht, was?“ Booth warf resigniert ein;<br />

„Glaub mir, Kumpel, sie versteht dich wirklich nicht. Versuche es erst gar nicht.“ Sawyer<br />

warf dem FBI Agent einen Blick zu. „Du kennst sie gut, was, Hoover?“ Bones fragte ver-<br />

ständnislos: „Sag mal, warum nennst du Booth eigentlich ständig Hoover? Er heißt Booth,<br />

Seeley Booth.“ „Schätzchen, diese Assoziation ist doch wirklich nahe liegend. Sogar du<br />

dürftest wissen, wer Edgar Hoover war.“ Sawyer konnte es langsam nicht mehr fassen. <strong>Die</strong>se<br />

Frau war unglaublich. Kate hatte dem Disput zusehends amüsiert gelauscht. Jemand wie diese<br />

Bones war ihr auch noch nicht unter gekommen. „Wo kommst du eigentlich her?“, fragte sie<br />

Brennan. Bevor diese antworten konnte, erwiderte Booth: „Aus dem Museum.“<br />

In diesem Moment wechselte das Licht von grün auf rot. Jake hatte immer mehr das<br />

Gefühl von Isolation empfunden, als er mit bekam, dass seine Mitgefangenen sich ganz offen-<br />

157


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sichtlich über ihn unterhielten. Er hatte während des Wortwechsels immer wieder gesehen,<br />

dass man ihm Blicke zuwarf. <strong>Die</strong>se dröhnende Stille in seinen Ohren irritierte den jungen<br />

Mann bereits maßlos. Dass er sich in keiner Weise bewegen konnte, war genau so quälend.<br />

Schon jetzt hatte er das Gefühl, seit einer Ewigkeit hier zu liegen. Er fragte sich, ob es wirk-<br />

lich auf Schlafentzug hinaus laufen würde. Im Augenblick tappte er ja noch vollkommen im<br />

Dunklen. Froh, wenigstens zu seinen Leidensgenossen schauen zu können, lag er da. Seine<br />

Gedanken drifteten zu Heather. Wenn er nicht schon wieder davon gelaufen und nach<br />

Australien abgehauen wäre, würden er und Heather jetzt friedlich in Jericho sitzen und Kaffee<br />

trinken. Stattdessen hatte er sie in diese Lage gebracht. Jake machte sich schlimme Vorwürfe.<br />

Er versuchte, den Kopf soweit in den Nacken zu legen, dass er zu Heather schauen konnte,<br />

schaffte es allerdings nicht. Jedoch verrutschten dabei die Kopfhörer ein wenig. Erleichtert<br />

stellte er fest, dass er leise Geräusche wahrnehmen konnte. Leider hielt diese Erleichterung<br />

nicht lange vor. Einer der Bewacher kam zu ihm, schüttelte fast mitleidig den Kopf und legte<br />

dann einen gepolsterten Ledergurt über Jakes Stirn, zog ihn stramm. So war dessen Kopf nun<br />

auch fixiert. <strong>Die</strong> Kopfhörer wurden wieder platziert und der Wachmann verschwand. Jake<br />

biss sich verzweifelt auf die Lippen. Er konnte nur noch die Augen bewegen, eine absolut<br />

grausame Fesselung. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er musste sich zwingen, nicht in<br />

Panik zu geraten. Tief atmete er ein, um zu entspannen. Langsam spürte er, wie sein Herz-<br />

schlag sich beruhigte. Er musste ruhig bleiben, in Panik zu geraten weil er sich nicht rühren<br />

konnte, brachte gar nichts.<br />

Unerwartet wurde das Licht gedämpft. Jake tat bereits alles weh. Der Rücken fühlte<br />

sich vom Liegen steif an, die Schultergelenke schmerzten erbärmlich. Dadurch, dass er den<br />

Kopf nun auch nicht mehr bewegen konnte, begann sein Nacken sich zu verspannen. Und er<br />

bekam zusehends Durst. Wann er den letzten Schluck Wasser getrunken hatte, hätte er nicht<br />

genau sagen können. <strong>Die</strong>se Zeitlosigkeit machte ihn, wie alle anderen auch, langsam wahn-<br />

sinnig. Keinerlei Rhythmus zu haben war ungeheuer belastend und wurde von ihren Ent-<br />

führern sehr geschickt eingesetzt. Schlaf und Wachphasen, hell und dunkel, Reden und<br />

Schweigen, alles wechselte vollkommen willkürlich ab. Auch die Essenslieferungen wurden<br />

ohne erkennbares Zeitsystem verteilt. Am Schwersten waren bisher die langen Phasen er-<br />

zwungener Untätigkeit in vollkommenem Schweigen zu ertragen. <strong>Die</strong> einzig mögliche<br />

Aktivität war, seinen Gedanken nachzuhängen, die bei Jake überwiegend unerfreulicher Natur<br />

waren. So schlimm wie im Moment war es natürlich bisher noch nicht gewesen. Jake hätte<br />

alles dafür gegeben, wenigstens den Kopf bewegen zu können. So war er gezwungen, an die<br />

weiße Decke zu starren. Nur einen Punkt mit den Augen zu fixieren, war unheimlich er-<br />

müdend. Da er noch immer nicht sicher sein konnte, auf was das hier hinaus lief, machte er<br />

einfach die Probe. Er schloss seine Augen und wartete. In Gedanken zählte er die ver-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

streichenden Sekunden. Bei dreißig passierte es. Ein schmerzhafter Pfeifton, der Jakes Gehirn<br />

zum Vibrieren zu bringen schien, schrillte durch die Kopfhörer.<br />

Nachdem der Pfeifton verstummt war, versuchte Jake, der Situation etwas Gutes ab-<br />

zugewinnen. Wenigstens wurden bei ihm keine schmerzhaften Elektroimpulse verwendet.<br />

Das sicher sehr unangenehme, aber nicht gefährliche Geräusch war sehr viel leichter in Kauf<br />

zu nehmen. <strong>Die</strong> Gewissheit, dass auch bei ihm mit Schlafentzug gearbeitet wurde, trieb dem<br />

jungen Mann jedoch eine Gänsehaut über den Körper. Er war sich sicher, nicht annähernd so<br />

lange durchzuhalten wie Sawyer. Jake konnte sich selbst gut genug einschätzen um sicher zu<br />

sein, dass er das nicht allzu lange durchstehen würde. Wenn er auch sonst problemlos sehr<br />

viel Unangenehmes hatte einstecken können, war er schon nach einer Nacht ohne Schlaf<br />

ziemlich fertig. Heather lief, während Jake diesen trüben Gedanken nach hing, unruhig in<br />

ihrer Zelle auf und ab. Was hätte sie nicht alles getan, um Jake zu helfen. Der Gedanke, dass<br />

er dort in der Dunkelheit lag, vollkommen bewegungsunfähig, nichts anderes hören konnte als<br />

seinen eigenen Herzschlag, nichts sehen konnte als das Stückchen Decke über ihm, machte<br />

sie verrückt. Er musste sich im Augenblick unglaublich einsam fühlen.<br />

Für Jake schien die Zeit still zu stehen. Durch die vollkommen Stille, die ihn umfing,<br />

hörte er sein eigenes Blut in den Adern rauschen und den Schlag seines Herzens. Er merkte,<br />

dass diese Geräusche ihn mehr und mehr einzuschläfern drohten. Jetzt konnte er sich noch<br />

viel besser vorstellen, wie es vor kurzem Sawyer gegangen war. Immer wieder musste er<br />

gegen aufsteigende Panik ankämpfen. Der Durst wurde langsam schlimmer. Er versuchte,<br />

sich durch Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend abzulenken. Er konnte sich erinnern,<br />

mit seinem Bruder Eric und seiner Schulfreundin Emily an Halloween immer mit einem<br />

ganzen Sack voll Kostümen losgezogen zu sein, und sich zwischendurch immer wieder um-<br />

gezogen zu haben, um sicher zu stellen, dass er auch ja genügend Süßigkeiten einheimste. Bei<br />

dieser Erinnerung zuckte ein Lächeln über seine Lippen. Süßigkeiten. Er merkte, dass er<br />

Hunger hatte. Sawyer hatte während des ganzen Experimentes nichts zu essen bekommen.<br />

Jake krampfte sich der Magen zusammen. Wenn er wenigstens zu Trinken bekommen würde.<br />

Er schrak furchtbar zusammen, als in diesem Moment ein Schatten auf ihn fiel. Einer der<br />

Wachleute stand plötzlich neben ihm. Jakes Herz raste. Er hatte ja keine Chance gehabt, den<br />

Mann sich nähern zu sehen oder zu hören. Vorsichtig bekam er Wasser mittels eines langen<br />

Strohhalmes gereicht. Gierig trank er, was ihm angeboten wurde. Dann war er wieder alleine.<br />

Er starrte weiterhin die Decke an, was blieb ihm auch übrig. Wie schon vor ihm Sawyer<br />

merkte Jake überhaupt nicht, dass ihm die Augen zu fielen. Der quälende Pfeifton ließ ihn<br />

erschrocken hoch zucken.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Eine Weile schaffte Jake es, sich wach zu halten. Dann döste er wieder ein. Erneut<br />

schreckte er hoch, als das unangenehme Geräusch durch seinen Kopf schoss. Verdammt! Es<br />

konnte doch wohl nicht so schwer sein, sich selbst wach zu halten. Hätte man ihm vor ein<br />

paar Tagen gesagt, dass er in einer solch qualvollen Haltung überhaupt ans Schlafen denken<br />

konnte, hätte er gelacht. Sein Rücken tat höllisch weh, seine Schultergelenke machten den<br />

Eindruck, als könne er sie für den Rest seines Lebens nicht mehr ohne Schmerzen bewegen.<br />

Der Nacken war hoffnungslos verspannt und ihm drehte sich immer wieder alles. Wie er das<br />

viel länger sollte aushalten können, war Jake schleierhaft. Irgendwann merkte er ein Problem,<br />

an das er bisher nicht einen Gedanken verschwendet hatte. Es ging ihm selbstverständlich wie<br />

Sawyer. Er musste allmählich dringend auf die Toilette. Jake merkte gar nicht, dass er mit<br />

zunehmendem Blasendruck anfing, leise zu stöhnen. <strong>Die</strong> Mitgefangenen, die nicht extrem tief<br />

schliefen, bemerkten diese leisen Geräusche in der Stille sehr wohl. Einige konnten sich<br />

denken, was mit Jake los war. Sawyer schüttelte es auf seiner Liege. Er hatte die Hände unter<br />

dem Kopf verschränkt und versuchte krampfhaft, nicht daran zu denken, wie unangenehm die<br />

Prozedur des Einführens des Schlauches gewesen war. Armer Jake. <strong>Die</strong>ser wurde immer<br />

zappeliger auf seiner Liege, sofern man bei der Fixierung von zappelig sprechen konnte. Er<br />

hatte das Gefühl, dass seine Blase demnächst platzen würde. Er glaubte, jeden Augenblick die<br />

Kontrolle zu verlieren. Und dann zuckte er erneut heftig zusammen, als plötzlich jemand<br />

neben ihm auftauchte. Ein Metalltablett wurde auf seinen Körper gestellt und er konnte sehen,<br />

wie der weiß gekleidete Typ neben ihm einen Schlauch mit einem Plastikbeutel am Ende in<br />

die Hand nahm. Jake brauchte kein Genie zu sein, um sich vorzustellen, was nun kommen<br />

würde. Da er sich selbst nicht hören konnte, fluchte er sehr viel lauter als geplant: „Hau ab, du<br />

Arschloch. Verzieh dich. Hau ab!“ Der Typ nahm überhaupt keine Notiz von Jakes Fluchen.<br />

Er desinfizierte den Schlauch, dann spürte Jake, wie sein Penis in die behandschuhte Hand<br />

genommen und an der Eichel mit einem Wattetupfer ebenfalls gründlich desinfiziert wurde.<br />

Vollkommen verzweifelt musste er nun ebenfalls hinnehmen, dass ihm der Schlauch in die<br />

Harnröhre eingeführt wurde. Er war sich sicher, dass alle Augen auf ihm ruhten und dieses<br />

Wissen trieb ihm Tränen der Scham und vor allen Dingen der hilflosen Wut in die Augen.<br />

<strong>Die</strong> Prozedur schien Jake Stunden zu dauern. Dabei war schon nach weniger als zwei<br />

Minuten für ihn alles vorbei. Nachdem der Arzt das erledigt hatte, maß er Jakes Blutdruck<br />

und notierte sich die Werte. Dann trat er an Jakes gefesselte Hände, griff sich einen Finger<br />

und Jake spürte einen kleinen, schmerzhaften Piecks. Offensichtlich wurde ihm Blut ab-<br />

genommen. Als er schließlich wieder alleine war, schossen ihm bei dem Gedanken, dass<br />

Heather das gerade hatte mit ansehen müssen, erneut Tränen der Scham und Wut in die<br />

Augen. Dass nur House und Sawyer überhaupt wach genug waren, konnte Jake nicht ahnen.<br />

Auch nicht, dass Sawyer ganz bestimmt nicht zu ihm herüber schauen würde. Viel zu frisch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

waren bei diesem noch die Erinnerungen an die eigenen, drei Tage währenden Qualen und die<br />

Erniedrigung, die dieser jedes Mal empfunden hatte, als man ihn über den Blasenkatheder<br />

zwangsentwässerte hatte. Jake brauchte lange, um sich wieder soweit zu beruhigen, dass er<br />

nicht mehr am ganzen Körper zitterte vor Hass und Wut. Und als er sich wieder gefangen<br />

hatte, setzte auch die langsam heftiger werdende Müdigkeit erneut ein. Jetzt hätte er einiges<br />

für weitere Abwechslung, egal welcher Art, getan. Er versuchte, sich mit Gedanken an<br />

Heather abzulenken. <strong>Die</strong> junge Frau war in einem sehr strengen Elternhaus aufgewachsen. Ihr<br />

Vater war Pastor und laut ihrer eigenen Aussage war sie streng religiös erzogen worden. Ob<br />

und wenn wo ihre Eltern lebten, hatte sie nie erwähnt, nur, wo sie aufgewachsen war hatte sie<br />

Jake gesagt. In einer kleinen Stadt, gar nicht weit von Jericho entfernt, New Bern. Dass es in<br />

Sydney während des Urlaubs zu nicht mehr als flüchtigen Küssen gekommen war, hatte Jake<br />

zähneknirschend hinnehmen müssen. Er war überzeugt davon, dass er der erste Mann in<br />

Heathers Leben war, den sie liebte. Ein liebevolles Lächelnd huschte erneut über Jakes Ge-<br />

sicht. Es hatte ihn auf eine harte Probe gestellt, die Finger bei sich zu behalten, wenn sie<br />

abends nebeneinander auf dem Sofa gesessen und sich unterhalten hatten. Jake war es nicht<br />

gewohnt, lange zu fackeln. Er war ein gut aussehender junger Mann, der bei Frauen durch<br />

seine sanfte Art und seinen immer leicht melancholischen Ausdruck in den dunklen Augen<br />

schnell erfolgreich war.<br />

In Jericho war er bis zu seinem überstürzten Verschwinden nach dem gewaltsamen<br />

Tod seines besten Freundes Chris, an dem Jake sich bis zum heutigen Tage die Schuld gab,<br />

mit dessen Schwester Emily liiert gewesen. Jake war in seiner Jugend ein ziemlich un-<br />

gezügelter Draufgänger gewesen, der in eine Gang von Kleinkriminellen geraten war. Als<br />

deren Straftaten immer größere Dimensionen annahmen, hatte Jake sich mehr und mehr<br />

zurückgezogen. Schließlich plante die Gruppe einen Banküberfall. Jake sollte das Fluchtfahr-<br />

zeug fahren. Im letzten Moment entschied er sich, nicht an dem <strong>Über</strong>fall teil zu nehmen. <strong>Die</strong><br />

Straftat endete in einem Desaster. Sein bester Freund wurde erschossen. Emily gab ihm die<br />

Schuld am Tod ihres Bruders, seine Familie war vollkommen entsetzt und Jake verließ<br />

Jericho geradezu fluchtartig. Seine vagen Angaben, was er in den letzten fünf Jahren ge-<br />

trieben hatte, waren nicht aufrichtig gewesen. Er hatte sich unter anderem in verschiedenen<br />

Söldnertrupps im Irak und in Afghanistan herum getrieben. Er hatte einige Zeit auf Costa<br />

Rica verbracht und bevor er nach Jericho zurückgekehrt war, um dann nach Sydney abzu-<br />

hauen, hatte er in San <strong>Die</strong>go gelebt. Dort hatte er als Pilot gearbeitet und in erster Linie <strong>Über</strong>-<br />

seefrachtflüge gemacht. Er hatte sich einige Fähigkeiten aneignen können, die ihm sehr nütz-<br />

lich geworden waren. Seufzend schloss Jake die Augen, nur, um sie sofort wieder aufzu-<br />

reißen. Er bekam leichte Kopfschmerzen. Außerdem fing er mehr und mehr an zu frieren,<br />

obwohl es in ihrem Kerker alles andere als kalt war. Ein Schauer lief über seinen zur Reg-<br />

161


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

losigkeit verdammten Körper. Er hätte sonst was dafür gegeben, sich nur kurz bewegen zu<br />

können. Hoffentlich war die Schlafenszeit bald vorbei. Aber selbst wenn, er würde dadurch,<br />

dass seine Zellengenossen wach waren, keine Abwechslung erhalten. Verzweifelt biss er die<br />

Zähne zusammen. <strong>Die</strong>se Isolation innerhalb der Gruppe, mitten drinnen zu sein, und doch so<br />

weit weg, als wäre er auf dem Mond, war unglaublich schwer zu ertragen. <strong>Die</strong>se elenden<br />

Kopfhörer dämpften wirklich jedes Geräusch gründlich ab.<br />

<strong>Die</strong> Stunden tropften zäh dahin. Jeder der Gefangenen schaute, sobald er wach wurde,<br />

sofort zu Jake hinüber. Alle litten wie zuvor bei Sawyer mit. Zum Glück konnten es sich die<br />

wenigsten von ihnen auch nur entfernt vorstellen, wie schlimm diese akustische Deprivation<br />

für den jungen Mann wirklich war. Gibbs gehörte zu denen, die wussten, was für eine Qual es<br />

war, sich weder bewegen zu können noch etwas zu hören. Ziva wusste es ebenfalls. Booth<br />

hatte eine ungefähre Vorstellung. Alle anderen konnten es sich zum Glück nicht wirklich<br />

ausmalen. Heather fehlte jede reale Vorstellung davon, durch welche Hölle Jake gerade ging.<br />

Sonst wäre sie in ihrer Zelle vermutlich Amok gelaufen. Jake auf seiner Liege hatte in-<br />

zwischen wieder heftigen Durst. Außerdem setzte ein immer stärkeres Hungergefühl ein. Was<br />

hatte diese Bones gesagt? Durch mangelnden Schlaf wurde der Stoffwechsel angekurbelt, was<br />

zu verstärktem Hunger und Durst führte. Prima. Sie wusste ganz offensichtlich, wovon sie<br />

sprach. Sein Magen knurrte und sein Mund war völlig trocken. Er hatte das Gefühl, seit Tagen<br />

weder gegessen noch getrunken zu haben. Er fror erbärmlich und konnte nicht mehr ver-<br />

hindern, dass seine Zähne immer häufiger unkontrolliert aufeinander schlugen. Ein zwar<br />

leises, aber dennoch für die anderen nicht zu überhörendes Geräusch in der erzwungenen<br />

Stille. Ebenso wenig zu überhören war sein abgehackter, etwas unregelmäßiger Atem. Jakes<br />

Augen brannten und in seinem Kopf hämmerte eine Garde Presslufthammer. Ihm war<br />

schwindelig und übel. Wie lange lag er schon hier? Jedes Zeitgefühl war schon lange weg.<br />

Am Ende<br />

Wenn die Leiden kommen, so kommen sie nicht wie einzelne Späher, nein - sie<br />

kommen in Geschwadern.<br />

William Shakespeare<br />

162


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als das grässliche Pfeifen in seinem Kopf ertönte, fuhr Jake erschrocken zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Augen waren ihm zugefallen, ohne dass er es gemerkt hatte. Wenn wenigstens endlich<br />

das Licht angehen würde. Jake versuchte, an etwas Schönes zu denken. Sydney. Der Abend,<br />

als er mit Heather in der Oper gewesen war. Jake hatte sich bei dem Gedanken, in die Oper zu<br />

müssen, zwar innerlich gekrümmt, aber Heather zuliebe war er mitgegangen. Sie hatte sich<br />

extra ein Abendkleid gekauft und zauberhaft ausgesehen. Nach der Oper waren sie Hand in<br />

Hand zum Circular Quay gelaufen und dann unter der Harbour Bridge entlang zum Dawes<br />

Point Reserve. Lange hatten sie dort auf einer Bank gesessen und den herrlichen Anblick zur<br />

Oper hinüber, zum Circular Quay und The Rocks genossen, und hier hatte Heather den ersten<br />

richtigen Kuss zugelassen. Der Abend war wunderschön gewesen. Jake schrak mit einem er-<br />

stickten Keuchen zusammen, als sich völlig unerwartet jemand über ihn beugte. Sein Herz<br />

raste ihm in der Kehle. Er war so in die Erinnerung versunken gewesen, dass er die An-<br />

näherung nun überhaupt nicht mit bekommen hatte. Sehr vorsichtig wurde ihm wieder Wasser<br />

gegeben und Jake trank dankbar. Er hatte wahnsinnigen Durst. Als der Typ ihm den Stroh-<br />

halm schließlich entzog, formten Jakes trocknen Lippen das Wort - Bitte -. Und erstaun-<br />

licherweise bekam er tatsächlich noch mehr Wasser. Dann wurde er wieder alleine gelassen.<br />

Endlich ging nach dem lauten Wecktröten, welches sogar die Kopfhörer durchdrang,<br />

das Licht an. Es wurde auch sofort grün. Erst freute Jake sich darüber, war doch die grässliche<br />

Nacht damit endlich vorbei. Doch schnell merkte er, dass es für ihn fast noch schlimmer war.<br />

Seine müden Augen sahen, dass seine Mitgefangenen sich unterhielten, er konnte zumindest<br />

bequem bis Bones, Gibbs, Dana und Locke schauen. Zu sehen, wie sie sprachen, aber trotz-<br />

dem absolut nichts zu hören, war eine schlimmere Qual als das Liegen in der Dunkelheit.<br />

<strong>Die</strong>ses Gefühl von totaler Isolation war eine Strafe. Jake hatte sich nicht einmal bei einem<br />

Soloauftrag in der irakischen Wüste so dermaßen alleine gefühlt. Er war wirklich alles andere<br />

als ein Jammerlappen, aber in diesem Moment, hier, als er merkte, dass er jetzt noch viel ein-<br />

samer war als vor Minuten, als alles noch schlief, konnte der junge Mann nicht verhindern,<br />

dass ihm kurz Tränen in die Augen schossen. In einem Anflug von Verzweiflung zerrte er an<br />

den Fesseln. Das brachte natürlich überhaupt nichts, außer, dass einige seiner Mitgefangenen<br />

auf seine nutzlosen Bemühungen aufmerksam wurden.<br />

„Wie mag es ihm gehen?“, fragte Heather verzweifelt. Bones, die Jakes Gesicht sehr<br />

gut sehen konnte, wollte etwas sagen, aber Gibbs war schneller. „Mach dir keine so großen<br />

Sorgen, Heather, er wird inzwischen zwar ziemlich müde sein, aber das steckt er locker weg.<br />

Wenn er dich hören könnte, würde er es dir sicher selbst sagen. Hey, du warst bestimmt auch<br />

schon mal nach einer durchwachten Nacht ein wenig müde. Das ist nichts Schlimmes, das<br />

weißt du. Er wird sich, wie Sawyer, hinterher ein bisschen ausruhen und dann ist er wieder<br />

163


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fit.“ Angesichts der Angst, die in Heathers Stimme mitgeklungen hatte, war Gibbs diese Lüge<br />

gerade sehr leicht über die Lippen gekommen. Tempe setzte noch einmal zum Reden an, aber<br />

Sawyer, der dies mit bekam, warf ihr einen derart mörderischen Blick zu, dass sie mit einem<br />

verständnislosen Kopfschütteln alles, was sie hatte anführen wollen, herunter schluckte. „Hör<br />

mal, Heather, ihr dürft sicher hinterher zusammen in den Belohnungsraum. Da kannst du Jake<br />

dann nach allen Regeln der Kunst verwöhnen.“, sagte Kate enthusiastisch. Jedenfalls hoffte<br />

die junge Frau, dass ihre Stimme so klang. Sie stand an der Gittertür und sah zu Sawyers<br />

Zelle hinüber. Wie sehr sie Heather verstehen konnte. Kate hatte ja selbst das Gefühl gehabt,<br />

fast zu sterben, als Sawyer dort hilflos gelegen und seine Schmerzen hinaus geschrien hatte.<br />

Heather sah zu Kate hinüber. „Kannst du sein Gesicht sehen? Wie sieht er aus?“, fragte sie<br />

aufgeregt. „Er sieht gut aus, wirklich.“, erklärte statt Kate jetzt Bones. „Ein bisschen müde,<br />

aber das ist alles.“ Booth sah äußerst erstaunt zu seiner Partnerin hinüber.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden wurden erneut für alle zu einer harten Kraftprobe. Einige Zeit<br />

nachdem der Weckton erklungen war, gab es Wasser, Brot und Pillen. House erhielt wieder<br />

seine zwei Paracetamol, er konnte selbst entscheiden, wann er sie nehmen wollte. Nachdem er<br />

den Entzug einigermaßen überstanden hatte, schaffte er es, wieder soweit klar zu denken, dass<br />

er die Tabletten nicht wahllos in sich hinein schluckte sondern für den Abend, vor dem Ein-<br />

schlafen, aufbewahrte. Als das Wasser und Brot verteilt war, bekam auch Jake wieder zu<br />

Trinken. Gierig schluckte er das Wasser und verschwendete keinen Gedanken daran, dass er<br />

in ziemlich absehbarer Zeit wieder müssen würde. Er hatte solchen Durst. Sein Magen knurrte<br />

inzwischen laut vor Hunger. Immer wieder döste er ein und musste geweckt werden.<br />

Irgendwann konnte er sich nicht mehr beherrschen und fluchte verzweifelt: „Verdammt noch<br />

mal, lasst <strong>mich</strong> endlich in Frieden!“ Dass diese Worte in eine Phase des Schweigens hinein<br />

tönten, machte sie für alle überdeutlich hörbar. Selbst diejenigen, die keine medizinischen<br />

Grundkenntnisse hatten, hörten Jakes zitternder Stimme an, dass der junge Mann bereits<br />

wesentlich schwächer war als Sawyer es nach der gleichen Zeit gewesen war. Heather schlug<br />

entsetzt die Hände vor ihr Gesicht und weinte heftig los. Jake war inzwischen alles egal. Er<br />

fror entsetzlich, hatte rasende Kopfschmerzen, alles drehte sich ihm und er spürte, dass sein<br />

Blutdruck im Keller war. Und langsam merkte er auch seine Blase wieder. Das war immerhin<br />

etwas, was ihn eine gewisse Zeit ablenkte. Wieder verging Zeit und der Harndrang wurde<br />

stärker. Immer schneller wurde er zappelig. Und diesmal war er absolut sicher, dass alle mit-<br />

bekommen würden, was auf ihn zukam. In die Stille hinein war sein leises, unregelmäßiges<br />

Keuchen, das er gar nicht mehr verhindern konnte, überdeutlich zu hören. Es machte den<br />

<strong>Anderen</strong> nur zu klar, in welch schlechter Verfassung der Hilflose inzwischen war.<br />

164


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kurze Zeit später war es dann soweit. Ein Schatten fiel über Jake und er zuckte zu-<br />

sammen. <strong>Die</strong>smal wurde aber erst sein Blutdruck überprüft. Nachdem die Blutdruck-<br />

manschette entfernt worden war, wurde erneut Blut abgenommen. Dann schloss Jake ver-<br />

zweifelt die Augen. In seinem blassen Gesicht arbeitete es heftig. Seine gefesselten Hände<br />

ballten sich zu Fäusten. <strong>Die</strong>smal erfolgte kein Weckton, weil seine Bewacher wohl davon<br />

überzeugt waren, dass er, während ihm erneut der Schlauch in die Harnröhre eingeführt<br />

wurde, nicht einschlafen würde. Als die Prozedur schließlich vorbei war, hatte Jake das Ge-<br />

fühl, wenn sich die Hölle unter ihm aufgetan hätte, er wäre hinein gesprungen, nur, um sich<br />

den Blicken seiner Mitgefangenen zu entziehen. <strong>Die</strong> meisten hatten sich sofort abgedreht, als<br />

sie ahnten, was nun kam. Heather hatte die Hände vor die Augen geschlagen und verzweifelt<br />

versucht, den Gedanken an das, was dort geschah, irgendwie auszublenden. Bones, für die das<br />

Ganze ein natürlicher Vorgang war, hatte interessiert zu Jake hinüber geguckt, war jedoch<br />

zurück gewichen, als sie Sawyer ans Gitter treten sah. Er hatte sie nur kurz angeschaut und<br />

Bones befand es für besser, sich herum zu drehen. Mit solchen Problematiken hatte House<br />

nicht zu kämpfen. Obwohl er von Sara und besonders von Kate giftige Blicke erntete, hatte er<br />

es nicht für nötig befunden, diskret wegzuschauen. Einen Kommentar verkniff er sich nur,<br />

weil das Ganze in einer Rotphase stattfand. Cameron konnte ihren Chef nicht verstehen. Er<br />

hatte selbst solche Probleme mit der Tatsache gehabt, dass alle seine Narbe gesehen hatten,<br />

aber das hielt ihn ganz offensichtlich nicht davon ab, andere Menschen in extremen<br />

Situationen analytisch zu beobachten.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden verliefen ereignislos. Es wurde kein grünes Licht gegeben und<br />

Jake döste immer häufiger ein. Immer wieder zuckte er mit einem leisen Stöhnen zusammen,<br />

wenn der Pfeifton erschallte. House, Scully, Cameron und auch Bones machten sich Ge-<br />

danken, warum Jake so viel schneller abbaute als Sawyer es getan hatte. Dass bei Jake der<br />

Blutdruck schon nach so kurzer Zeit überprüft wurde, war House deutlich aufgefallen. Für ihn<br />

war das gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass Jake von ihren Entführern ebenfalls sehr gründ-<br />

lich überwacht wurde. Sie ließen ihn dort nicht willkürlich liegen. Seine körperlichen Re-<br />

aktionen wurden sehr genau im Auge behalten. Jake selbst kam in eine Phase, wo er geistig<br />

immer mehr abdriftete. Er konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Wenn er versuchte,<br />

seine Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken, entglitten sie ihm im nächsten Augen-<br />

blick bereits wieder. Seine Widerstandskraft ließ rapide nach. Als endlich wieder grünes Licht<br />

gegeben wurde, fragten Kate und Heather fast wie aus einem Munde: „Warum baut er nur so<br />

schnell ab?“ Man musste kein Mediziner sein, um das mitzubekommen. Jake zuckte immer<br />

häufiger hoch, weil er geweckt werden musste. So oft war Sawyer erst in der letzten Phase<br />

des Experimentes geweckt worden. House bequemte sich schließlich, eine Antwort zu geben.<br />

„Leute, es ist einfach so, dass manche Menschen sehr viel mehr Schlaf brauchen als andere.“<br />

165


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dana erklärte: „Ihr dürft auch nicht außer Acht lassen, dass die Bedingungen für Jake deutlich<br />

schwieriger sind als für Sawyer. Er kann nichts hören, durch die zusätzliche Fixierung des<br />

Kopfes sehr viel weniger sehen und er kann den Kopf nicht bewegen.“ Heather fragte ver-<br />

zweifelt: „Wie lange werden sie ihm das noch antun?“ Das konnte natürlich keiner be-<br />

antworten.<br />

Das grüne Licht machte Jake deutlich, dass wieder gesprochen werden durfte. Er<br />

konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass seine Mitgefangenen sich unterhielten und war<br />

überzeugt, dass es um ihn ging. Seine Gedanken wurden immer wirrer, das merkte er selbst.<br />

Er hatte gewusst, dass er nicht so lange durchhalten würde wie Sawyer, aber dass es so<br />

schnell ging, hatte er selbst nicht erwartet. Er starrte mit trüben Augen an die Decke. Dort<br />

oben bildeten sich eigenartigerweise Wolken. Fasziniert sah Jake zu, wie die Wolken sich<br />

klärten und er wieder die Decke sehen konnte. Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie<br />

wieder. Er spürte, dass er am ganzen Leib zitterte vor Kälte. Seine Schultern waren in-<br />

zwischen taub, sein Rücken hatte den Protest gegen diese erzwungene Haltung auch irgend-<br />

wann aufgegeben. Der Nacken war so verspannt von der aufgezwungenen Kopfhaltung, dass<br />

er das Gefühl hatte, er könnte ihn nie wieder bewegen. Wieder meldete sich Durst. Der<br />

Hunger war inzwischen so heftig geworden, dass er alles gegessen hätte und ihm vor Hunger<br />

schlecht war. Als hätten seine Bewacher seine Gedanken erkannt, tauchte in diesem Moment<br />

wieder einer von ihnen neben ihm auf. Er bekam Wasser, dann wurde ihm Blut abgenommen<br />

und der Blutdruck erneut überprüft. Bones registrierte das sehr wohl. Sie erklärte: „Der<br />

Schlafentzug kann nach einer Weile die Blutzuckerwerte verschlechtern. Außerdem erhöht<br />

sich der Noradrenalinspiegel im Blut.“ Booth konnte sich nicht verkneifen zu fragen: „Nor …<br />

was?“ Bones seufzte angesichts der Unwissenheit ihres Partners gequält auf. „Noradrenalin ist<br />

ein Stresshormon, Booth. Es beschleunigt Herzschlag und Atmung und versetzt den Körper in<br />

Alarmbereitschaft. Wenn man sich in einer solchen Verfassung nicht bewegen kann, ist es<br />

besonders unangenehm.“ Sawyer sah zu Ziva hinüber und meinte dann lakonisch: „<strong>Die</strong>selben<br />

Symptome rufst du bei mir hervor, nur nicht unangenehm …“ Kate konnte sich ein Grinsen<br />

nicht verkneifen. Sawyer an solchen Bemerkungen zu hindern, wäre vermutlich nur mit<br />

Dauerknebelung möglich gewesen. Sie war sich so sicher, dass er sie liebte, dass solche Be-<br />

merkungen aus seinem Mund bei ihr keine Eifersucht hervorriefen. Ziva hatte auf die übliche<br />

Art eine Augenbraue leicht in die Höhe gezogen und wollte gerade antworten, als Heather<br />

entsetzt dazwischen rief: „Was ist mit ihm ....“<br />

Wie alle anderen hatte John Locke mit wachsender Sorge auf den jungen Mann ge-<br />

starrt, dessen Zustand sich sichtlich verschlechterte. Er versuchte, sich selbst damit zu be-<br />

ruhigen, dass Jake von ihren Folterknechten offensichtlich medizinisch überwacht wurde.<br />

166


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hatte John vor gar nicht langer Zeit - soweit Zeit in der Lage überhaupt zu schätzen war - die<br />

Leidensgenossen mit der Aussage zu beruhigen versucht, dass die Unbekannten, in deren<br />

Gewalt sie sich befanden, offenbar daran interessiert waren, ihre Probanden gesund zu er-<br />

halten, war er sich dessen nicht mehr so sicher. <strong>Die</strong>se Menschen schienen eiskalt ihre Tests<br />

durchzuziehen, ohne sich im Geringsten darum zu kümmern, wie sehr ihre Probanden litten.<br />

Sie waren viele, nicht auszuschließen, dass der eine oder andere entbehrlich war. Wer konnte<br />

schon wirklich sagen, dass nicht eines der Experimente dem Zweck diente, herauszufinden,<br />

wie lange es dauern würde, bis Schlafentzug tödlich endete?<br />

John hätte gern etwas Tröstendes zu der verzweifelten jungen Frau gesagt, aber leere<br />

Versprechen waren ihm zuwider. Wenn er nur eine Möglichkeit hätte, herauszufinden, was<br />

mit Jake geschehen würde. Vielleicht hatte er eine Chance … Normalerweise überfielen<br />

Locke seine Visionen und Vorahnungen ungewollt, aber während seiner Zeit bei den<br />

australischen Ureinwohnern hatte er gelernt, sich gezielt in einen meditativen Zustand zu ver-<br />

setzen und es immer häufiger geschafft, die Bilder in seinem Kopf planvoll entstehen zu<br />

lassen. Zum ersten Mal in seinem Leben war er bei Menschen gewesen, die ihn wegen seiner<br />

Fähigkeiten nicht verlachten oder misstrauisch gemieden, sondern hoch geachtete hatten. Sein<br />

Leben lang hatte John seine Gabe eher als Fluch denn als Segen erlebt und versucht, sie zu<br />

ignorieren und zu verleugnen. Es fiel ihm immer noch schwer, wirklich daran zu glauben,<br />

dass er sehr spezielle Fähigkeiten hatte. Und das, obwohl seine Visionen zu oft überraschend<br />

genau eingetroffen waren, um zu leugnen, dass er anders war als die Menschen, die er kannte.<br />

Er hatte nie anders sein wollen, sondern sich verzweifelt danach gesehnt, so zu sein wie alle<br />

anderen, endlich irgendwo dazu zu gehören. <strong>Die</strong>ses Gefühl hatte er zum ersten Mal bei den<br />

Aborigines gehabt, die Gewissheit, heimgekommen zu sein und endlich eine Familie zu<br />

haben. Dass er jetzt mit diesen fremden Menschen in dieser furchtbaren Situation gelandet<br />

war, musste einen Sinn haben. John glaubte nicht an Zufälle, es war sein Schicksal, zu genau<br />

dieser Zeit an diesem Ort zu sein. <strong>Die</strong>se Menschen, die vor wenigen Tagen noch Fremde ge-<br />

wesen waren, brauchten ihn, das wurde Locke schlagartig klar. Das war die Aufgabe, die er<br />

noch zu erfüllen hatte, bevor er seine Heimat und seinen Frieden finden konnte. John setzte<br />

sich auf seine Liege, versuchte, alle Muskeln zu entspannen und seinen Geist von jedem Ge-<br />

danken zu leeren. Er schloss die Augen und atmete tief und ruhig, blendete seine Umgebung<br />

und die Stimmen um ihn herum aus und öffnete sich für die spirituellen Energien. Locke ver-<br />

lor schnell jedes Gefühl für Zeit und Raum und dann sah er…<br />

Heather hatte ihre Augen nicht von Jake gelassen und ihr fiel auf, dass der Gefesselte<br />

in den letzten Minuten immer unruhiger geworden war. Er atmete viel zu schnell und flach<br />

und seine gefesselten Hände zuckten hektisch. House, Bones, Scully und Cameron sahen<br />

167


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aufmerksam zu Jake herüber. Alle vier erkannten, was los war. Scully fasste es in Worte. „Er<br />

hyperventiliert.“ Bones fuhr erklärend fort: „<strong>Die</strong> Hyperventilation führt zu einer re-<br />

spiratorischen Alkalose, durch die es zu Krämpfen der Arme und Hände, zu Kribbeln und zu<br />

Taubheitsgefühl besonders um den Mund herum und zu Schwindel kommt. Mit den<br />

Krämpfen und dem Kribbeln steigt meist auch die Panik. <strong>Die</strong>s kann bis zur Bewusstlosigkeit<br />

führen. Er müsste dringend in eine Hyperventilationsmaske atmen.“ Ausnahmsweise wurde<br />

sie nicht angeschnauzt, obwohl kaum jemand außer Scully, Cameron und House verstand,<br />

wovon die Anthropologin redete. Booth war es, der nachfragte. „Wovon, zum Teufel, redest<br />

du? Was ist eine res ...?“ „Eine respiratorischen Alkalose ist ein durch die Atmung ver-<br />

ursachter Anstieg der Blut-ph-Werte. Durch <strong>Über</strong>reizung des Atemzentrums wird zu viel ein-<br />

und ausgeatmet, das ist die Hyperventilation, und damit zu wenig Kohlendioxid auf-<br />

genommen. Bei einer Alkalose kann es zu heftigen Muskelkrämpfen bis zur Besinnungslosig-<br />

keit kommen.“ Alle starrten erschrocken auf Jake. <strong>Die</strong>ser hatte während der Blutabnahme vor<br />

ein paar Minuten versucht, dem Typen nicht ins Gesicht zu schauen, ihn einfach nicht zu be-<br />

achten. Als der Mann wieder verschwunden war, waren Jake die Augen erneut zugefallen.<br />

Aufgeschreckt von dem Weckton, wollte er sich mit Gedanken an seine Eltern ablenken, als<br />

er spürte, dass ein unangenehmes, krampfartiges Zittern ihn erfasste. Urplötzlich über-<br />

schwemmte ihn ein überwältigendes Angstgefühl. Er merkte, dass seine Atmung sich un-<br />

natürlich beschleunigte und viel zu flach und unregelmäßig war. Verzweifelt versuchte er, sie<br />

wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihm wurde noch schwindeliger, als ihm ohnehin schon<br />

war, was unwillkürlich zu weiterer Angst und heftigem Unbehagen führte. Dann bemerkte er,<br />

dass seine Arme und Hände sich verkrampften und kribbelten. Sein Gesicht fühlte sich um<br />

den Mund herum plötzlich eigenartig taub an. Das alles verstärkte seine Panik und die<br />

Atmung wurde immer flacher und schneller. Er hatte das Gefühl, jeden Moment zu ersticken.<br />

Es war ein Teufelskreis, aus dem er alleine keine Chance hatte, auszubrechen. House hatte<br />

kein Auge mehr von Jake gelassen, nachdem Heathers Alarmierung gekommen war. Jetzt<br />

schrie er laut: „Verdammt, eure Laborratte ist in ernsten Schwierigkeiten! Merkt ihr Idioten<br />

dass denn nicht?“<br />

Heather wurde immer hysterischer und Booth und Mulder in den Nachbarkäfigen ver-<br />

suchten, beruhigend auf sie einzuwirken. Und endlich ging die Kerkertür auf und zwei weiß<br />

bekittelte Männer rannten zu Jake. „Nun macht schon.“, schnauzte House diese an. Kaum<br />

noch bei Bewusstsein lag Jake mit flatternder Atmung auf seiner Liege. Sein Herz raste. Seine<br />

Augen waren glasig. Einer der Ärzte legte ihm eine Blutdruckmanschette an, während der<br />

Andere ihm sofort eine so genannte Hyperventilationsmaske auf Mund und Nase drückte. Das<br />

war nichts anderes als eine Mund und Nase umschließende Gummimaske mit einem Plastik-<br />

beutel daran, durch den die Rückatmung erfolgte. Der Arzt maß den Blutdruck und gab<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seinem Kollegen kurz Bescheid: „210 zu 105“ „Was tun die?“, schluchzte Heather ver-<br />

zweifelt. Cameron versuchte, zu erklären, was mit Jake gemacht wurde. „Durch das mehr-<br />

malige Ein- und Ausatmen in die Tüte atmet der Patient seinen eigenen Atem ein und nimmt<br />

so mehr Kohlendioxid auf. Dadurch normalisiert sich der pH-Wert, das Atemzentrum wird<br />

wieder mit Sauerstoff versorgt, der Atemreiz sinkt. Dann geht es ihm schnell besser. Sie<br />

müssen nur seinen Blutdruck dringend senken, er hat eine Blutdruckkrise.“ Mulder merkte,<br />

dass Heather selbst kurz vor dem Hyperventilieren vor Angst war. Er griff durch die Gitter-<br />

stäbe nach ihren Händen und sagte eindringlich: „Heather, Heather, hör mir zu. Hörst du? Hör<br />

zu. Er ist nicht in Gefahr. Es wird ihm gleich besser gehen. Ihm passiert nicht. Ihm passiert<br />

nichts.“ Heather zitterte am ganzen Leib. <strong>Die</strong> sanft und ermutigend klingende Stimme des<br />

FBI Agents wirkte nicht sonderlich beruhigend auf die junge Frau. Sie wartete panisch, was<br />

weiter geschehen würde.<br />

Locke streckte sich und trat an das Gitter. Ruhig, zwingend, beinahe hypnotisch er-<br />

klang seine Stimme: „Heather, ihm wird nichts geschehen, ihr kommt hier raus und werdet<br />

glücklich werden, ich weiß es.“ Alle waren zu sehr auf Jake fixiert, um besondere Notiz von<br />

Johns Worten zu nehmen, aber Heather war nur zu bereit, sich an jeden Strohhalm zu<br />

klammern und er klang so viel sicherer als alle anderen, die sie zu beruhigen versuchten. „Du<br />

weißt es? Woher?“ „Ich habe es gesehen und bisher habe ich nie falsch damit gelegen.“ „Hör<br />

auf mit dem Hokuspokus, du Spinner.“, fuhr House John an. „Das ist kaum der richtige Zeit-<br />

punkt für deine Spinnereien.“ Mulder sah zu Locke hinüber. „Es gibt erwiesenermaßen<br />

Menschen, die die Gabe der Präkognition haben.“ Trotz der Sorge um Jake und Heather<br />

konnte Mulder seine Faszination nicht verbergen. Scully sah im Moment auch keine<br />

Möglichkeit, der hysterischen Heather mit vernünftigen Argumenten zu helfen. „Er hat Recht,<br />

Heather. Ich habe Menschen mit Fähigkeiten gesehen, die wissenschaftlich nicht erklärbar<br />

sind.“ Dana wirkte manchmal ein wenig unterkühlt, aber sie war durchaus genug menschlich<br />

und Ärztin - obwohl sie nie praktiziert hatte - um zu wissen, dass Angehörige jede Hoffnung<br />

brauchten, die sie bekommen konnten. Es war definitiv die falsche Zeit, eine Diskussion zu<br />

starten, aber das würde sicher ein Nachspiel haben.<br />

Jakes Atmung beruhigte sich ganz allmählich. <strong>Die</strong> Panik, die ihn wie eine Woge über-<br />

rollt hatte, klang langsam etwas ab. <strong>Die</strong> Maske war ihm wieder abgenommen worden. Sein<br />

Herz raste zwar immer noch, aber er konnte jetzt wieder ruhiger und tiefer Atmen. Der Arzt,<br />

der seinen Blutdruck überprüft hatte, sagte in das kleine Headset Mikro vor seinem Mund:<br />

„Wir brauchen hier 75 mg Paracefan.“ Augenblicke später kam einer der blau gekleideten<br />

Wachleute zur Liege geeilt. Er hatte ein kleines Tablett in der Hand und reichte es dem Arzt.<br />

<strong>Die</strong>ser nahm einen Wattepad von dem Tablett, tränkte ihn mit Desinfektionslösung und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

beugte sich dann über Jake. Er rieb die linke Armbeuge gründlich ab, dann griff er nach<br />

einem Stauschlauch, den er in seiner Kitteltasche hatte. Er legte diesen stramm um Jakes<br />

Oberarm, wartete einige Sekunden und griff dann nach einer Spritze, die auf dem Tablett lag.<br />

Vorsichtig stieß er die Nadel in Jakes Vene. Er löste den Stauschlauch und spritzte Jake das<br />

Medikament in die Blutbahn, dann zog er die Nadel zurück. Den Wattepad einige Sekunden<br />

auf die Einstichstelle drückend, wartete er. Nach einiger Zeit überprüfte der Arzt den Blut-<br />

druck erneut und gab durch: „175 zu 98.“ Zufrieden packten die beiden Ärzte ihre Sachen<br />

zusammen und verließen den Kerker wieder.<br />

„Was haben sie ihm gegeben?“, wandte Heather sich an House und Dana, die auf-<br />

merksam beobachtet hatten, was die „Kollegen„ mit Jake machten. „Paracefan ist ein Beta-<br />

blocker, um Jakes viel zu hohen Blutdruck zu senken.“, erklärte Scully. Was sie wohlweislich<br />

für sich behielt war die Tatsache, dass Paracefan als deutliche Nebenwirkungen Müdigkeit<br />

und Benommenheit bis hin zu Sedierung bewirkte. „Er beruhigt sich schnell.“, staunte Kate.<br />

„Panikattacken mit Hyperventilation sind in Stresssituationen nichts Ungewöhnliches. Kein<br />

Grund zu übermäßiger Besorgnis.“, erklärte Bones und erntete vernichtende Blicke sowohl<br />

von Kate als auch von Heather. - Möglich, dass sie abbrechen. - dachte Grissom, der besorgt<br />

den Zusammenbruch Jakes beobachtet hatte. - Der Junge ist vollkommen fertig. - Sara sah<br />

durch die Käfige zu Gil hinüber. Der Gedanke, ob und wenn wer wohl der Nächste sein<br />

mochte, der sich dieser Tortur zu unterziehen hatte, machte ihr zu schaffen. Jake selbst spürte,<br />

wie sein Puls sich langsam beruhigte. Er merkte, dass das Zittern nachließ und das Kribbeln<br />

aus den Armen und Händen verschwand. Seine Mundpartie war nicht mehr taub und das<br />

Beste war, dass er nicht mehr das entsetzliche Gefühl von nahem Ersticken hatte. <strong>Über</strong> sich<br />

sah er das grüne Licht in Rotes wechseln. Was die beiden Ärzte gesagt hatten, hatte er natür-<br />

lich nicht mit bekommen. Aber das war ihm egal. Alles war ihm egal. Er war am Ende. Hatte<br />

er vorher schon Müdigkeit verspürt, fühlte er sich jetzt, als hätte er zusätzlich ein Be-<br />

ruhigungsmittel erhalten. Vor seinen brennenden Augen verschwamm alles. Leise, ver-<br />

zweifelt, kam es über seine Lippen, lallend vor Müdigkeit: „Bitte ... nicht mehr ... Aufhören ...<br />

Bitte.“ Was er und seine Mitgefangenen nicht ahnen konnten war eine Debatte zwischen den<br />

Leitern dieses Experimentes, es abzubrechen.<br />

Abbruch<br />

In einem Tag kann man die Schrecken der Hölle erleben; es ist reichlich genug<br />

Zeit dazu.<br />

170


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ludwig Wittgenstein<br />

House und Cameron, aber auch Dana, war klar, dass diese unmenschliche Folter<br />

eigentlich abgebrochen werden musste. Sie konnten dem armen Jungen doch nicht noch zu-<br />

sätzlich ein Präparat mit sedierender Wirkung verabreichen und dann das Experiment fort-<br />

setzen. <strong>Die</strong> Minuten verstrichen und Jake lag noch immer auf der Liege. Sein Verstand ver-<br />

abschiedete sich rapide. Er starrte nur noch wie paralysiert vor sich hin, fast schien es, als<br />

würde er mit offenen Augen schlafen. Er reagierte auch nicht mehr auf das Pfeifen im Kopf-<br />

hörer. Alle Gefangenen starrten zu ihm herüber und warteten, dass irgendwas geschehen<br />

würde. Und es passierte. <strong>Die</strong> Lautsprecherdurchsage: „Nummer 9.“, ertönte. Heather zuckte<br />

heftig zusammen. Wilde Hoffnung durchzuckte sie. Vielleicht ... Sie beeilte sich, an die Tür<br />

zu treten und die Hände auf den Rücken zu nehmen. Zwei Bewacher kamen und legten ihr<br />

Handschellen an. Dann wurde sie tatsächlich zu der Tür an der Stirnseite des Kerkers ge-<br />

bracht, hinter der dieser Belohnungsraum lag. Sie wagte nicht zu hoffen, dass man Jake zu ihr<br />

bringen würde. Unendlich erleichtert beobachteten die anderen Gefangenen, dass die Be-<br />

wacher zu Jake zurück kehrten und diesen tatsächlich befreiten. Er war nicht mehr fähig,<br />

selbst zu laufen, und so schleiften sie ihn zwischen sich ebenfalls zu der Tür der kleinen<br />

Wohnung. Sie wurde entriegelt und drinnen wartete Heather verzweifelt, dass man Jake<br />

bringen möge. Seine Bewacher schleppten ihn durch bis ins Schlafzimmer und legten ihn dort<br />

auf das Bett nieder. „Der Arzt wird noch einmal nach ihm sehen.“, wurde Heather kurz er-<br />

klärt, dann verließen die beiden Wachleute den Raum.<br />

<strong>Die</strong> Zurückgebliebenen atmeten erleichtert auf, Allison war den Tränen nahe. „Das<br />

war hart an der Grenze, diese Bestien schrecken vor nichts zurück, ich hatte wirklich Angst,<br />

die könnten Jake sterben lassen.“ „Wenn ich je einen von diesen Drecksäcken in die Finger<br />

bekomme, breche ich ihm den Hals.“, tobte Sawyer. „Ich wüsste da einige Methoden, von<br />

denen diese Bastarde länger hätten.“, knurrte House grimmig. „Ich auch.“, ertönte Zivas<br />

Stimme, die vor Wut bebte. „Immerhin wissen wir jetzt, dass diese Leute Grenzen haben und<br />

abbrechen, wenn es wirklich gefährlich wird.“, sagte Gibbs ruhig. „Das können wir eben nicht<br />

wissen.“, wandte Bones ein. „<strong>Die</strong> Versuchsleiter haben bewiesen, dass Menschenrechte für<br />

sie nicht relevant sind. Was könnte sie daran hindern, die Möglichkeit zu nutzen, ihre<br />

Experimente bis zum Exitus zu treiben? Wenn es ihre Intention ist, die Grenzen der Belast-<br />

barkeit zu testen, wäre das nur konsequent.“ „Halt die Klappe.“, ertönte es mehrstimmig.<br />

„Bitte Bones.“, seufzte Booth entnervt. „Sogar du solltest wissen, dass es keine gute Idee ist,<br />

Menschen, die sowieso schon mit den Nerven fertig sind, noch mehr zu ängstigen.“<br />

171


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Sobald die Wachleute den Raum verlassen hatten, setzte Heather sich auf die Bett-<br />

kante und strich Jake zärtlich das Haar aus dem Gesicht. „Jake, kannst du <strong>mich</strong> hören?“,<br />

fragte sie besorgt. Jakes Augenlider zuckten, als er Heathers Stimme hörte. „Jake?“, fragte sie<br />

verzweifelt. Mühsam öffnete Jake die Augen. „Heather …“, war alles was er hervorbrachte.<br />

Heather lächelte schwach, ein wenig erleichtert, dass Jake auf sie reagiert hatte. „Ich bin hier,<br />

Jake, du hast es überstanden.“, versuchte Heather Jake und sich selbst zu beruhigen, während<br />

sie ihm zärtlich durchs Haar strich. In dem Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mann in<br />

einem weißen Kittel betrat den Raum. Heather trat zur Seite, um dem Arzt Platz zu machen.<br />

Er maß den Blutdruck und prüfte Jakes Pupillenreflexe mit einer Taschenlampe. Dann stand<br />

er wortlos auf und wandte sich zum Gehen um. Bevor er den Raum verlassen konnte, fragte<br />

Heather „Wie geht es ihm? Bitte sagen Sie mir, wie es ihm geht.“ Der Arzt schwieg, reagierte<br />

in keiner Weise auf Heather Frage. Aber er gab in sein Headset die Meldung: „Blutdruck 105<br />

zu 65. Pupillenreflexe normal. Atmung stabil.“ Heather atmete erleichtert auf. Sie verstand<br />

genug von Biologie um zu wissen, dass Jakes Blutdruckwerte zwar etwas niedrig, aber nicht<br />

besorgniserregend waren. Beruhigt setzte sie sich wieder zu ihm aufs Bett. Er war bereits ein-<br />

geschlafen. Jetzt fiel Heather ein, dass Jake während des Schlafentzugs sehr wenig zu trinken<br />

bekommen hatte. Sie sollte ihm etwas Wasser geben, bevor sie ihn schlafen ließ. Heather be-<br />

merkte überrascht, dass bereits eine Flasche Wasser neben dem Bett stand. Sie schüttelte Jake<br />

sanft.<br />

„Jake, du musst noch mal kurz aufwachen, okay?“ Der junge Mann murmelte etwas<br />

unverständliches, machte aber keine Anstalten, die Augen zu öffnen. „Jake, bitte, du musst<br />

etwas trinken.“ <strong>Die</strong>smal öffnete er tatsächlich die Augen und Heather flößte ihm etwas<br />

Wasser ein. Dadurch schien er ein wenig wacher zu werden. Er schluckte gierig und Heather<br />

musste ihn daran erinnern, nicht zu hastig zu trinken. Nachdem er genug Wasser zu sich ge-<br />

nommen hatte, lächelte er Heather schwach an. „Danke.“, flüsterte er schwerfällig und leise.<br />

Heather lächelte. „Schlaf jetzt.“, sagte sie sanft und küsste ihn zärtlich. Einen Moment später<br />

war der junge Mann wieder fest eingeschlafen. Und so schnell würde er wohl nicht wieder<br />

aufwachen. Heather hatte Jakes Zittern auf der Liege überdeutlich bemerkt, also deckte sie ihn<br />

sehr sorgfältig zu. Anschließend schlüpfte sie zu Jake unter die Bettdecke und kuschelte sich<br />

an ihn. Er schlief bereits tief und fest, aber als Heather sich an ihn kuschelte, legte er un-<br />

bewusst einen Arm um ihren Körper. Das Wissen, dass Jake ihre Nähe unterbewusst wahr-<br />

nahm, war für Heather ein beruhigendes Gefühl. Sie legte den Kopf auf Jakes Brust und<br />

lauschte seinem ruhigen und regelmäßigen Herzschlag. Und nun bemerkte Heather, dass auch<br />

172


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sie ziemlich am Ende war. Sie hatte in der letzten Nacht selbst nicht viel geschlafen, weil sie<br />

mit ihren Gedanken bei Jake gewesen war. Heather spürte, wie die Wärme und Jakes ruhiger<br />

Herzschlag sie langsam einlullten. Sie beschloss, nicht gegen den Schlaf anzukämpfen. Jake<br />

würde so schnell nicht wieder aufwachen.<br />

*****<br />

Mulder hatte während der Debatte über paranormale Fähigkeiten fasziniert zu John<br />

Locke herüber gesehen. Ein Mensch, der solche Fähigkeiten hatte, musste unweigerlich sein<br />

Interesse wecken. John hatte sich auf seiner Liege ausgestreckt, nachdem Jake weggebracht<br />

worden war und sich nicht an der Diskussion beteiligt. Er wirkte abwesend und reagierte erst,<br />

als Fox ihn direkt ansprach. „John, du hast wirklich gesehen, was aus Jake und Heather wird?<br />

Das ist absolut faszinierend. Du musst mir unbedingt ganz genau erzählen, wie du das machst.<br />

Wann hast du bemerkt, dass du diese Fähigkeit hast? Kannst du sie bewusst hervorrufen?<br />

Hast du noch andere paranormale Fähigkeiten?“ <strong>Die</strong> Begeisterung riss Spooky einfach mit, er<br />

klang aufgeregt wie ein kleiner Junge, der ein lang ersehntes Spielzeug bekam. Dass Scully<br />

genervt die Augen verdrehte und die Mitgefangenen mehr oder weniger hämisch grinsten,<br />

bekam er gar nicht mit. Aber selbst, wenn er es bemerkt hätte, Mulder war es über die vielen<br />

Jahre seiner Tätigkeit bei den X Files absolut gewohnt geworden, dass man über ihn und seine<br />

Ideen die Nase rümpfte. Anders als Locke hatte Mulder gelernt, spöttische Bemerkungen zu<br />

ignorieren und sich in seinem leidenschaftlichen Glauben an paranormale Phänomene nicht<br />

beirren zu lassen. Mulder stand über dem Spott, der ihm immer wieder entgegen schallte.<br />

Sein ruhiger, fast sanfter Charakter, der eigentlich gar nicht zu einem Ermittlungs-<br />

beamten passte, war es unter anderem gewesen, der Scully schnell für den gut aussehenden<br />

FBI Mann eingenommen hatte. Bevor man Mulder aus der Ruhe bringen konnte, musste<br />

einiges geschehen. Während John noch über eine Antwort nachdachte, die ihn nicht allzu sehr<br />

als Spinner dastehen ließ, meldete Sara sich zu Wort. „Du glaubst doch nicht wirklich an so<br />

einen Quatsch, oder?“ Auch Bones konnte es sich nicht verkneifen, zu bemerken: „Einer<br />

wissenschaftlichen <strong>Über</strong>prüfung halten paranormale Phänomene garantiert nicht stand.“<br />

Selbstverständlich schlug Abby sofort in die gleiche Kerbe. „Für <strong>mich</strong> hat noch niemand<br />

wissenschaftlich bewiesen, dass es übersinnliche Fähigkeiten gibt.“ House schnaubte verächt-<br />

lich. „Gleich mit zwei Spinnern zusammen eingesperrt zu sein ist echt Folter.“ „Hey, Yoda.<br />

Dann erzähl uns doch mal, was diese Irren als nächstes mit uns vorhaben.“ Sawyers Stimme<br />

triefte vor Hohn. Scully, Mulder und Locke setzten gleichzeitig zum Sprechen an. „Ich habe<br />

zu viel gesehen, um zu leugnen…“ „<strong>Die</strong> Parapsychologie ist eine Wissenschaft…“ „Erklären<br />

173


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kann ich das nicht, aber es hat sich zu oft als richtig erwiesen, um…“ Das Aufleuchten der<br />

roten Lampe beendete jede weitere Diskussion.<br />

*****<br />

Das erste, das Heather wahrnahm als sie aufwachte, war das angenehme Gefühl, in<br />

Jakes Armen zu liegen. Sie lächelte und lag eine Weile einfach da, ohne die Augen zu öffnen.<br />

Sie konzentrierte sich auf Jakes Wärme und seinen Herzschlag. Ein paar kostbare Momente<br />

lang wollte sie alles andere ausblenden. Schließlich öffnete Heather die Augen. Sie löste sich<br />

gerade weit genug aus seiner Umarmung, um Jakes Gesicht sehen zu können. Heather<br />

lächelte. Er sah so viel friedlicher aus wenn er schlief. Dann war sein Gesicht, auf dem sonst<br />

fast immer ein Hauch von Schmerz lag, vollkommen entspannt. Sie beobachte ihn eine ganze<br />

Zeit, merkte dann aber, dass sie ziemlich hungrig war. Es war eine Weile her, dass sie zuletzt<br />

gegessen hatte. Heather stand auf und deckte Jake wieder sorgfältig zu. Dann verließ sie leise<br />

das Schlafzimmer, ließ aber die Tür offen, damit sie Jake hören konnte, falls er aufwachte. Sie<br />

sah sich kurz in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer um, bevor sie durch die an-<br />

grenzende Tür die kleine Küche betrat. Sie öffnete den großen Kühlschrank und bemerkte<br />

neben einer großen Auswahl an Getränken Brot und Marmelade. Außerdem gab es zu<br />

Heathers <strong>Über</strong>raschung auch Schokolade. Sie schenkte sich erst einmal ein Glas Orangensaft<br />

ein. Dabei fiel ihr Blick auf eine Speisekarte, die auf der Arbeitsplatte lag.<br />

Speisekarte<br />

1)Tomatensalat mit Mozzarella<br />

2) Ribeye Steak mit Pommes oder Folienkartoffel, Gemüse<br />

3) Filet Steak mit Bratkartoffeln und Mais mit Butter<br />

4)Bratfisch mit Salzkartoffel und Salat<br />

5)Cesar Salat<br />

6) Hamburger / Cheeseburger mit Pommes<br />

7) Pizza mit Salami, Thunfisch, Champions, Tomaten,<br />

8) Pizza Hawaii mit Ananas und Schinken<br />

9) Pasta Bolognese<br />

10)Pasta mit Käseschinkensoße<br />

11) Rotes Hühnchencurry<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

12) Tandori Chicken mit Reis<br />

13) Gnocchi mit Spinat-Camembert Sauce<br />

14) Kürbis-Zucchini Lasagne<br />

15) Hähnchenkeulen mit Karottengemüse<br />

16) Garnelen im Reisteig mit Kürbis-Curry-Sauce<br />

17) Rotzungenfilet mit Gemüsefüllung<br />

18) Saté-Spieße auf Erdnusssauce<br />

19) Entenbrust mit Blutorangen-Inwersauce und Gemüse-Gratin<br />

20) Kross gebratene Hähnchenkeulen auf Tomatenchutney<br />

21)Huhn in Sojasoße mit Paksoi-Gemüse<br />

Heather traute ihren Augen nicht. Was sollte das hier? Zuerst quälten diese Leute Jake<br />

stundenlang und jetzt wurden sie in eine gemütliche Wohnung gebracht und konnten hier<br />

sogar Essen bestellen? Heather beschloss, die unerwartet gute Behandlung zu genießen, so-<br />

lange sie dauerte und wählte die Hähnchenkeulen mit Tomatenchutney. Sie fragte sich, wie<br />

das mit der Bestellung funktionieren sollte, als sie auf der Rückseite der Karte eine Notiz ent-<br />

deckte.<br />

Gib die Nummer des Gerichtes in den Nummernblock neben der Luke ein.<br />

Heather trat also an die Luke und tippte in den Nummernblock die 20 ein. Während sie<br />

auf ihr Essen wartete, ging sie noch einmal ins Schlafzimmer, um nach Jake zu sehen. Er<br />

schlief immer noch tief und fest. Heather hätte Jake zu gerne in den Arm genommen und ge-<br />

küsst, aber sie wusste, dass er den Schlaf dringend brauchte. Also verließ sie das Schlaf-<br />

zimmer so leise wie möglich, um ihn nicht zu stören. Dabei hätte vermutlich auch eine neben<br />

dem Bett abgefeuerte Kanone Jake nicht wecken können. Heather vertrieb sich die Wartezeit,<br />

indem sie sich im Wohnzimmer gründlich umsah. Sie schaltete den Fernseher ein, in der<br />

Hoffnung, in den Nachrichten irgendetwas über ihr Verschwinden zu sehen. Enttäuscht stellte<br />

sie fest, dass man mit dem Fernseher hier nur den DVD Kanal empfangen konnte. Auch der<br />

Computer war eine Sackgasse. Er besaß keinen Internet-Zugang, was sie sich aber hatte<br />

denken können. Alles, was sie mit dem PC machen konnte, war spielen. Sie schaltete den<br />

Computer aus und widmete sich stattdessen den Bücherregalen. In den hohen Regalen<br />

standen hunderte Bücher, hauptsächliche Romane allen Genres. Da Jake sowieso noch schlief<br />

175


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und es sicher noch ein bisschen dauern würde bis ihr Essen kam, suchte Heather sich ein<br />

Buch aus, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie entschied sich für „Der Schutzengel„ von Dean<br />

R. Koontz. Sie hatte schon einige seiner Bücher gelesen und mochte den Stil des Autors.<br />

Heather hatte erst ein paar Seiten gelesen, als sie hörte, wie die Klappe neben der Tür<br />

aufging. Sie nahm ihr Essen entgegen und setzte sich an den kleinen Tisch. Das Essen war<br />

ausgezeichnet. Nachdem sie fertig war, stellte Heather den Teller in die Spüle. Dann be-<br />

schloss sie, sich eine ausgiebige Dusche zu gönnen, wer wusste schon, wann man sie wieder<br />

duschen ließ. Anschließend holte sie sich eine Tafel Schokolade aus dem Kühlschrank. Sie<br />

nahm die Schokolade und das Buch mit ins Schlafzimmer und schaltete die Leselampe auf<br />

dem Nachttisch an. Sie setzte sich aufs Bett und begann zu lesen, sah aber immer wieder zu<br />

Jake herüber. Als Heather fast die Hälfte des Buches gelesen hatte, begann sie allmählich,<br />

sich Sorgen zu machen. Wie lange schlief Jake jetzt schon? Nirgendwo in dem Raum gab es<br />

eine Uhr, deswegen konnte sie es nicht genau sagen. Sie schätzte, dass sie selbst sieben oder<br />

acht Stunden geschlafen hatte, so lange brauchte sie gewöhnlich, um ausgeschlafen zu sein.<br />

Dann hatte sie gegessen und geduscht. Eine weitere Stunde. Mittlerweile hatte Heather zwei-<br />

hundertfünfzig Seiten gelesen. Sie war eine schnelle Leserin, also hatte sie vermutlich un-<br />

gefähr drei Stunden gelesen. Das bedeutete, dass Jake schon zwischen elf und dreizehn<br />

Stunden schlief. War das normal? Jetzt hatte Heather Probleme, sich auf ihr Buch zu<br />

konzentrieren. Alle paar Minuten sah sie zu Jake hinüber. Als sie ihn schließlich leise seufzen<br />

hörte, war sie gleichermaßen erleichtert und besorgt. Sie legte ihr Buch zur Seite und beugte<br />

sich über Jake. „Hey, da bist du ja endlich wieder Wie fühlst du dich?“, fragte sie besorgt.<br />

Jake öffnete die Augen und bemühte sich, zu sich zu kommen. Bis er seinen Verstand sortiert<br />

hatte, dauerte es ein paar Minuten. Dann aber versuchte er, Heather ein beruhigendes Lächeln<br />

zu schenken, welches aber zu einer schmerzverzerrten Grimasse wurde. „Es geht mir gut.“,<br />

antwortete er wenig überzeugend.<br />

„So sieht es nicht aus.“, entgegnete Heather besorgt. „Ich bin okay, mach dir keine<br />

Sorgen. Ich bin nur ein bisschen verspannt von dem langen Liegen, das ist alles.“ Jake rollte<br />

sich auf die Seite und sah Heather müde an. <strong>Die</strong>se streichelte Jakes Wange und küsste ihn<br />

zärtlich. Jake zog sie an sich und erwiderte den Kuss leidenschaftlich. „Dreh dich auf den<br />

Bauch.“, sagte Heather sanft. Jake beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Er hatte<br />

Heathers letzte Massage sehr genossen und freute sich auf eine Wiederholung, diesmal ohne<br />

die Blicke und Kommentare ihrer Leidensgenossen. Heather löste das Band, das Jakes Kittel<br />

auf dem Rücken zusammenhielt und zog die Bettdecke soweit runter, dass sein Rücken frei<br />

lag. Dann begann sie sanft seine verspannte Nackenmuskulatur zu massieren. Zuerst war sie<br />

sehr vorsichtig, um Jake nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. Erst als die schlimmsten<br />

176


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Verspannungen gelöst waren, begann Heather, Jakes Muskeln kräftiger zu kneten. <strong>Die</strong>smal<br />

war Jake zwar von der Taille abwärts zugedeckt, trotzdem kam Heather die Situation erheb-<br />

lich intimer vor als das letzte Mal. Jetzt waren sie beide allein und Jake lag in einem gemüt-<br />

lichen Doppelbett statt auf einer schmalen Pritsche. Heather konnte den Gedanken daran, was<br />

sie in diesem Raum sonst noch tun könnten, nicht aus ihrem Kopf verbannen. Jakes genüss-<br />

liches Stöhnen ließ sie erröten und sie fragte sich unwillkürlich, welche Geräusche er von sich<br />

geben würde, wenn sie ihn an anderen Stellen berührte. Heather schämte sich für diesen Ge-<br />

danken und war froh, dass Jake ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie verlagerte die Massage<br />

allmählich auf Jakes Schultern und schließlich auf seinen Rücken. Nachdem sie schließlich<br />

keine Verspannungen mehr fühlen konnte, fragte sie: „Besser?“ „Viel besser, danke.“<br />

Jake drehte sich wieder auf den Rücken. Heather strich ihm sanft das Haar aus dem<br />

Gesicht. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Jakes Gesicht verfinsterte<br />

sich. „Ich kann nicht glauben, dass ich so schnell schlapp gemacht habe. Sawyer hat viel<br />

länger durchgehalten.“ Heather sah Jake liebevoll an. „Mach dir darüber keine Gedanken.<br />

Erstens ist das hier kein Wettbewerb sondern brutale Folter. Zweitens hat House gesagt, dass<br />

das Schlafbedürfnis bei allen Personen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Du brauchst eben<br />

mehr Schlaf, das ist keine Schande.“ Jake sah immer noch nicht überzeugt aus, also versuchte<br />

sie ihn aufzumuntern, indem sie sagte: „Du bist einer der stärksten Menschen, die ich kenne,<br />

Jake. Ich respektiere dich doch nicht weniger, weil der Schlafentzug dir zu schaffen gemacht<br />

hat.“ „Du bist parteiisch.“, erklärte Jake, wirkte aber schon etwas weniger deprimiert. „Ja, das<br />

bin ich. Und stolz darauf.“, antwortete Heather mit einem Grinsen und gab Jake einen innigen<br />

Kuss. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, sagte sie: „Du musst hungrig sein. Du<br />

wirst es kaum glauben, aber hier gibt es eine ziemlich gute Speisekarte von der du bestellen<br />

kannst, was du willst.“<br />

Jake zog die Augenbraue hoch. „Du machst Witze.“ „Nein, mache ich nicht. Sieh<br />

selbst.“ Jake stieg aus dem Bett, schloss den Kittel und folgte Heather in die Küche. Er<br />

studierte mit wachsendem Erstaunen die Speisekarte. Er entschied sich schnell für einen<br />

Cheeseburger und gab seine Bestellung auf. Dann sah auch Jake sich in dem gemütlichen<br />

Wohnzimmer um. Sein Blick viel auf den Fernseher. „Man kriegt nur den DVD Kanal rein,<br />

habe ich schon versucht.“, erklärte Heather, die wusste, was Jake durch den Kopf ging. „Der<br />

Computer ist auch nutzlos. Da sind nur Word, Excel und ein paar Spiele drauf.“ Jake nickte.<br />

„Keine große <strong>Über</strong>raschung, aber einen Versuch war es wert.“ Nach ein paar Minuten kam<br />

Jakes Cheeseburger mit Pommes Frites und er aß hungrig. Anschließend schenkte er sich und<br />

Heather ein Glas Wein ein und sie machten es sich auf der Coach bequem. „Möchtest du dir<br />

einen Film ansehen?“, fragte Jake. In Sydney hatten sie oft eine DVD ausgeliehen. <strong>Die</strong> Ab-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lenkung hatte es Jake ein wenig leichter gemacht, seine Finger bei sich zu behalten, wenn er<br />

abends mit Heather allein war. Heather schüttelte den Kopf und zu Jakes <strong>Über</strong>raschung rückte<br />

sie näher zu ihm, schlang die Arme um seinen Hals und begann ihn zu küssen. Nachdem er<br />

die <strong>Über</strong>raschung überwunden hatte, schloss Jake Heather in die Arme und erwiderte ihren<br />

Kuss leidenschaftlich. Er hatte sie schon öfter geküsst und im Arm gehalten, aber die meisten<br />

ihrer Küsse waren flüchtig und unschuldig gewesen. Und Heather hatte dabei immer erheb-<br />

lich mehr angehabt. Jake konnte der Versuchung nicht mehr widerstehen seine Hände über<br />

ihren nackten Rücken gleiten zu lassen.<br />

Er spürte, wie sie bei der unerwarteten Berührung leicht zusammen zuckte. Als Jake<br />

seine Lippen von Heathers löste und in ihr Gesicht sah, bemerkte er, dass sie rot geworden<br />

war. Sie atmete schwer und in ihren Augen sah Jake eine Mischung aus Verwirrung und<br />

Leidenschaft. Sie hatte noch nie so hinreißend ausgesehen. Jake entschuldigte sich hastig und<br />

erklärte Heather, dass er noch eine Dusche nehmen wollte, bevor sie wieder in ihre Zellen<br />

gebracht wurden. - Eine kalte Dusche. - Er beeilte sich, ins Bad und unter den kalten Wasser-<br />

strahl zu kommen. Er wusste, wenn er noch einen Moment länger bei Heather geblieben wäre,<br />

hätte er sich nicht mehr beherrschen können. Jake hatte an ihrer Reaktion auf seine Be-<br />

rührungen und an der Verwirrung in ihren Augen gesehen, dass sie noch nicht so weit war,<br />

mit ihm zu schlafen und er wollte sie nicht unter Druck setzen. Nachdem der junge Mann ge-<br />

duscht hatte und glaubte, sich wieder im Griff zu haben, ging er zurück ins Wohnzimmer.<br />

„Hey.“, sagte er unsicher. <strong>Die</strong> Begrüßung klang selbst in seinen Ohren mehr als lahm. „Hey.“,<br />

antwortete die junge Frau, der erst mal auch nichts Besseres einfiel. Schließlich sagte sie un-<br />

sicher: „Vielleicht sollten wir doch eine DVD angucken? Sie haben die komplette Hitchcock -<br />

Sammlung.“ „Klingt gut.“, antwortete Jake wenig begeistert und nahm die vertraute Position<br />

in einigem Abstand neben Heather auf der Coach ein. <strong>Die</strong> restliche Zeit, bis sie zurück in ihre<br />

Zellen gebracht wurden verbrachten Jake und Heather mit DVDs schauen und Kartenspielen<br />

und wieder einmal musste Jake seine gesamte Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um<br />

seine Finger bei sich zu behalten.<br />

External World 1: Vermisst<br />

Dum spiro spero<br />

Gewissheit ist die Grundlage, nach der die menschlichen Gefühle verlangen.<br />

178


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Honore de Balzac<br />

Washington DC, FBI Hauptquartier, Donnerstag 16.00 Uhr Ostküstenzeit<br />

„Skinner?“, meldete sich der Assistent Direktor des FBI. „Michael Hayden, Central<br />

Intelligence Agency. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Qantas Maschine 815, in der<br />

sich ihre Agenten Mulder, Scully und Booth befanden, seit gestern Abend vermisst wird.“<br />

„Was? Und die Agents befanden sich nachweislich an Bord?“ „<strong>Die</strong> Agents haben definitiv<br />

eingecheckt, ja.“ „Wann haben Sie das Flugzeug zuletzt auf dem Radar gesehen?“ Skinner<br />

zog sich einen Block heran und begann sich Notizen zu machen. „Gegen 18 Uhr nord-<br />

australischer Zeit.“ „Gab es einen Notruf?“ „Nein, es gab weder einen Notruf, noch eine<br />

Meldung über eine technische Störung.“ „Es sieht also nicht nach einem Absturz oder einem<br />

technischen Defekt mit anschließender Notlandung aus. Notwasserung?“ „Ausschließen<br />

können wir im Moment noch nichts, aber zum jetzigen Zeitpunkt halten wir eine Entführung<br />

für wahrscheinlicher.“ „Können Sie mir die Passagierliste zustellen? Ich würde die Liste<br />

gerne noch einmal von meinen Leuten überprüfen lassen.“<br />

*****<br />

„Ja, Sir, wir sind in fünf Minuten da.“ Agent John Doggett sah seine Partnerin Monica<br />

Reyes erwartungsvoll an. „Skinner möchte uns sofort in seinem Büro sehen, es klang<br />

dringend.“ Nicht gerade unglücklich darüber, dem Papierkram zu entgehen, den er gerade<br />

erledigte, stand Doggett auf und folgte Monica zu Skinners Büro. Als sie auf dessen knappes:<br />

„Ja.“, die Tür öffneten hörten sie gerade noch das Ende eines anderen Telefongespräches.<br />

„Selbstverständlich halte ich Sie auf dem Laufenden, Superintendent Moore. Wenn ich etwas<br />

Neues von Special Agent Booth und den <strong>Anderen</strong> höre, lasse ich es Sie sofort wissen, Sir.“<br />

Mit einer knappen Geste deutete Skinner auf die Besucherstühle. „Seeley Booth?“, fragte<br />

Doggett während er sich setzte. „Wird er vermisst?“ Das war die einzige Erklärung, die<br />

Doggett dafür einfiel, dass er und Monica offensichtlich in diesem Fall hinzugezogen wurden.<br />

Auch, wenn es eigentlich nicht in ihr Aufgabengebiet fiel, hatte Doggett seine jetzige<br />

Partnerin schon früher bei Vermisstenfällen hinzugezogen. Er wusste nicht, wie sie es machte<br />

und wollte es auch gar nicht so genau wissen, aber Monica hatte ein beinahe schon unheim-<br />

liches Talent dafür Menschen zu finden, die kein anderer finden konnte. „Nicht nur er. Special<br />

Agent Booth und seine Begleiterin Doktor Temperance Brennan, eine forensische Anthropo-<br />

login, die das FBI gelegentlich unterstützt, waren in Sydney, um in einem Mordfall zu er-<br />

mitteln. Sie waren in derselben Maschine, mit der auch Mulder und Scully heute zurück-<br />

179


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kommen sollten.“ „Heißt das, dass Dana und Mulder auch verschwunden sind?“, fragte<br />

Monica besorgt. <strong>Die</strong> junge Agentin stand Scully sehr nahe, besonders, seit sie ihr bei der Ge-<br />

burt ihres Sohnes zur Seite gestanden hatte, und sie hatte auch Mulder immer sehr gemocht.<br />

„Das ganze Flugzeug ist verschwunden, Agent Reyes.“, antwortete der Assistent<br />

Direktor. „Was heißt verschwunden? Eine große Passagiermaschine kann doch nicht einfach<br />

von der Bildfläche verschwinden“ Obwohl er inzwischen schon seit einer ganzen Weile bei<br />

den X - Akten arbeitete, stand Doggett unerklärlichen Phänomenen nicht übermäßig auf-<br />

geschlossen gegenüber. „Gab es denn keinen Notruf?“ „Einen Notruf gab es nicht. <strong>Die</strong><br />

Maschine verschwand gestern gegen 18.00 Uhr nordaustralischer Zeit vom Radar. Seit heute<br />

Morgen ist das australische Militär mit Suchhubschraubern unterwegs. Bis jetzt wurden keine<br />

Wrackteile gesichtet. Der Tower hat vor dem Verschwinden des Flugzeugs keine außer-<br />

gewöhnlichen Meldungen aufgezeichnet. <strong>Die</strong> Qantas Airline hat die Passagierliste zur <strong>Über</strong>-<br />

prüfung an ihre Zweigstelle in LA geschickt und die CIA informiert, als sich herausstellte,<br />

dass amerikanische Bundesagenten an Bord waren. Ich habe gerade den Anruf von der CIA<br />

bekommen.“ „Es waren also zwei Teams des FBI unabhängig voneinander an Bord? Wenn<br />

das ein Zufall ist, dann ein sehr merkwürdiger. Dass es keinen Notruf gab spricht nicht für<br />

einen Absturz. Möglicherweise wurde die Maschine entführt.“, spekulierte Doggett. „Das<br />

wäre durchaus möglich, zumal sich außerdem drei weitere Bundesagenten an Bord befanden,<br />

alle vom NCIS. <strong>Über</strong>prüfen Sie die Passagierliste und stellen Sie eine Liste von Personen zu-<br />

sammen, die in eine mögliche Entführung verwickelt sein könnten.“ Skinner reichte den<br />

beiden Agenten je eine Kopie der Passagierliste und griff sofort wieder zum Telefon, sobald<br />

Doggett und Monica den Raum verlassen hatten.<br />

Washington DC, NCIS Hauptquartier, 16.20 Uhr Ostküstenzeit<br />

„Direktor Jennifer Shepard.“, meldete sich die NCIS Direktorin. „Hayden, Central<br />

Intelligence Agency. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Maschine, in der sich ihre<br />

Agenten Gibbs, David und Sciuto befanden, vermisst wird.“ „Vermisst? Wieso vermisst? Seit<br />

wann?“ „Das Flugzeug wurde gestern gegen 18 Uhr nordaustralischer Zeit zuletzt auf dem<br />

Radar gesehen.“ „Das Flugzeug, in dem meine Leute sich befinden, wird seit fast vierund-<br />

zwanzig Stunden vermisst und das erfahre ich erst jetzt?“ „Ich habe es selbst erst vor zwei<br />

Stunden erfahren. Ein Mitarbeiter der Qantas hat <strong>mich</strong> angerufen.“ „Warum hat die Airline<br />

über zwanzig Stunden gebraucht, um die amerikanischen Behörden zu informieren? Und<br />

warum bekomme ich eine Information, die Sie seit zwei Stunden haben erst jetzt?“ Jenny war<br />

außer sich vor Wut und Sorge um ihre Agenten. „<strong>Die</strong> Airline war offensichtlich bemüht, eine<br />

Panik zu vermeiden, indem sie das Verschwinden ihres Flugzeugs solange wie möglich<br />

180


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geheim gehalten hat. Offensichtlich hat man gehofft, die Maschine würde wieder auftauchen<br />

bevor die Passagiere vermisst werden.“ „Ein verschwundenes Flugzeug ist kein verlegter<br />

Schlüsselbund. Das taucht nicht einfach so wieder auf. Vermutlich haben diese Dilettanten<br />

mehr Energie darauf verwandt das Verschwinden ihrer Maschine geheim zu halten als nach<br />

ihr zu suchen. Wird überhaupt etwas unternommen um meine Agents zu finden?“ „Das<br />

australische Militär hat bei Sonnenaufgang begonnen, das Gebiet, in dem die Maschine ver-<br />

schwunden ist, weiträumig mit Hubschraubern abzusuchen.“ „Das Gebiet wird seit heute<br />

Morgen abgesucht und es wurde noch keine Spur von der Maschine gefunden? Wenn sie ab-<br />

gestürzt wären, hätten doch inzwischen Wrackteile gefunden werden müssen.“ „Das Such-<br />

gebiet ist sehr groß, es ist durchaus möglich, dass die Maschine nur noch nicht gefunden<br />

wurde. Allerdings scheint eine Entführung im Moment die wahrscheinlichere Möglichkeit zu<br />

sein als ein Absturz. Außer Ihren befanden sich noch drei FBI Agenten an Bord, das macht<br />

diesen Flug zu einem attraktiven Ziel für Terroristen.“ Jenny wusste nicht, ob sie erleichtert<br />

sein oder sich noch mehr Sorgen machen sollte. „Ja, das wäre eine Möglichkeit. Schicken Sie<br />

mir bitte die Passagierliste zu und halten Sie <strong>mich</strong> auf dem Laufenden.“<br />

Jenny verließ ihr Büro und betrat die Galerie, von der aus sie einen ungehinderten<br />

Blick auf das Großraumbüro unter sich hatte. Tony DiNozzo und Timothy McGee saßen an<br />

ihren Schreibtischen und sahen sich sehr konzentriert etwas auf ihren Monitoren an.<br />

„DiNozzo. McGee. Kommen Sie sofort in mein Büro.“ McGee speicherte schnell die letzten<br />

Änderungen in seinem Bericht ab und beeilte sich dem Befehl nachzukommen. Tony schloss<br />

das Fenster mit dem Film, den er sich gerade ansah, und vergrößerte stattdessen das Fenster<br />

mit den Autokennzeichen, die er überprüfen sollte, für den Fall dass jemand vorbei kam.<br />

„Was gibt es, Ma‟am Direktor?“, fragte Tony, nachdem er die Tür hinter sich und McGee<br />

geschlossen hatte. „Gibbs, Ziva und Abby sind verschwunden.“ „Was heißt verschwunden?<br />

Sie sollten doch eigentlich längst im Flieger von LA nach DC sitzen.“, warf Tony ein. „Sie<br />

sind nie in LA angekommen. Das Flugzeug, mit dem sie von Sydney nach LA unterwegs<br />

waren, ist gestern Abend vom Radar verschwunden.“ Beide Agenten wurden deutlich blasser<br />

und McGee sprach aus was beide dachten: „Sie müssen abgestürzt sein.“ „Auf der Stecke<br />

fliegen sie doch nur über Wasser, wenn sie dort abgestürzt sind, könnte es <strong>Über</strong>lebende<br />

geben. Es braucht schon mehr als einen Flugzeugabsturz, um Gibbs und Ziva umzubringen,<br />

und sie würden sicher gut auf Abby aufpassen.“ Jenny war nicht sicher, ob Tony versuchte,<br />

sie und Tim oder sich selbst zu beruhigen. „Es gab keinen Notruf und es wurden bisher keine<br />

Wrackteile gefunden. <strong>Die</strong> CIA geht inzwischen von einer Entführung aus.“, antwortete Jenny.<br />

<strong>Die</strong>se Information beruhigte Tony und McGee ein wenig. Eine Entführung war immer noch<br />

besser als ein Flugzeugabsturz. Gibbs und Ziva waren beide im Nahkampf ausgebildete und<br />

hervorragende Schützen und auch Abby konnte sich ziemlich gut verteidigen.<br />

181


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ist es politisch korrekt, Mitleid mit Entführern zu haben? Wahrscheinlich wird Ziva<br />

gleich anrufen und uns sagen, wo wir sie und die <strong>Über</strong>reste ihrer Entführer abholen können.“,<br />

scherzte Tony. Jenny belohnte DiNozzos Bemühungen die Stimmung zu verbessern mit<br />

einem halbherzigen Lächeln. „Ich hoffe sehr, dass Sie damit Recht behalten werden, Tony. In<br />

der Zwischenzeit sucht das australische Militär nach dem Flugzeug.“ „Das Militär hat doch<br />

überhaupt keine Ahnung von Ermittlungen. Wenn das Flugzeug nicht abgestürzt ist, sondern<br />

entführt wurde finden sie die nie. Wir sollten selbst rüber fliegen und nach unseren Leuten<br />

suchen.“, verlangte McGee. „Und wohin genau willst du fliegen, Mcfly? Nach Australien?<br />

Oder wie wäre es stattdessen mit einer Kreuzfahrt zu den pazifischen Inseln?“ Tony versuchte<br />

anscheinend, gelassen zu klingen, aber er schaffte es nicht ganz, die Frustration darüber, dass<br />

sie im Moment so wenig für ihre Kollegen tun konnten, zu verbergen.<br />

„DiNozzo hat Recht, McGee. Ich verstehe Sie nur zu gut, ich würde auch am liebsten<br />

losziehen und selbst nach unseren Leuten suchen. Aber im Moment können wir nicht viel<br />

tun.“, gab Jenny zu. „Das einzige, was wir machen können, ist die Passagierliste zu über-<br />

prüfen. Unsere Kollegen sind nicht die einzigen Bundesagenten, die sich an Bord befanden.<br />

Es waren drei FBI Agenten in der Maschine. Das hat Direktor Hayden am Telefon gesagt.<br />

Wenn es sich um eine Entführung handelt, dann wurde das Flugzeug vermutlich nicht zufällig<br />

ausgewählt.“ Nachdem die beiden Agenten das Büro verlassen hatten, griff Jenny erneut zum<br />

Telefon. „Mossad, Büro Direktor David.“, meldete sich eine Frauenstimme auf Hebräisch.<br />

„Hier ist Direktor Jennifer Shepard vom NCIS. Ich muss Direktor David dringend persönlich<br />

sprechen, es geht um seine Tochter.“, antwortete Jenny, ebenfalls auf Hebräisch. „Einen<br />

Moment, Direktor.“ Keine Minute später meldete sich eine Männerstimme auf Englisch:<br />

„Direktor David. Was ist mit Ziva?“ „Guten Tag, Eli, etwas Genaues wissen wir noch nicht.<br />

Ziva war mit Gibbs und Scuito in Australien, zu einer Ermittlung. Sie sollten heute Abend<br />

zurückkommen. Vor einigen Minuten habe ich von der CIA erfahren, dass die Maschine ver-<br />

misst wird. Im Moment spricht alles für eine Entführung. Es befanden sich auch FBI Agenten<br />

an Bord.“ „Wer ermittelt im Moment in diesem Fall?“, fragte Zivas Vater direkt. „Im Moment<br />

sucht das australische Militär nach der Maschine. CIA, FBI und unsere Leute stellen Er-<br />

mittlungen an.“ „Ich werde auch zwei meiner Leute darauf ansetzen. Mailen Sie mir die<br />

Passagierliste und alle Informationen zum genauen Zeitpunkt und Ort des Verschwindens,<br />

Jenny.“ „Selbstverständlich werde ich das tun, Eli. Aber ich versichere Ihnen, dass alle Be-<br />

teiligten alles in ihrer Macht stehende tun, um Ziva und die anderen zu finden.“ „Nehmen Sie<br />

es mir nicht übel, Jenny, aber ich denke, dass meine Leute mehr erreichen werden als alles,<br />

was in Ihrer Macht steht.“ „Ziva ist immer noch Israelin und offiziell noch immer Mossad<br />

Agentin. Also kann niemand den Mossad daran hindern eigene Ermittlungen anzustellen. Ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schicke Ihnen, was sie brauchen, Eli.“, kündigte Jenny knapp an und war froh, das Gespräch<br />

schnell beenden zu können. <strong>Die</strong>ser Mann trieb sie zur Weißglut. Jenny konnte verstehen, dass<br />

Zivas Verhältnis zu ihrem Vater eher kühl war, um es vorsichtig zu formulieren.<br />

Jenny zog sich in ihre Kommunikationszentrale zurück und starrte auf die Bildschirme<br />

vor ihr. Sie alle zeigten das gleiche Szenario: Hubschrauber, die über dem Meer kreisten, auf<br />

der Suche nach der vermisste Maschine. McGee saß an seinem Computer, die Passagierliste<br />

lag ausgedruckt vor ihm auf dem Schreibtisch. Tony stand hinter ihm und beobachtete un-<br />

geduldig, wie Tim die Namen der Passagiere mit der AFIS, der zentralen Datenbank für<br />

Fingerabdrücke abglich. „Geht das nicht schneller?“, nörgelte Tony ungeduldig. „Was soll ich<br />

tun, Tony, dem Computer einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen, damit er schneller<br />

arbeitet? Das hat bei dir auch nie funktioniert.“ „Keine Ahnung, McGoogle. Bin ich der<br />

Computerfreak, oder du? Abby würde sicher einen Weg finden, diesen Vorgang zu be-<br />

schleunigen.“ „<strong>Die</strong>ser Vorgang lässt sich nicht beschleunigen, egal von wem. Und wir tun das<br />

hier genau aus dem Grund, weil Abby nicht hier ist.“, entgegnete McGee aufgebracht. In dem<br />

Moment ertönte der Signalton und Tony und McGee starrten auf den Monitor. „Gilbert<br />

Grissom, Crime Szene Investigation Las Vegas.“, las Tim überrascht. „Interessant. Wir<br />

sollten überprüfen, ob er privat oder dienstlich in Sydney war.“ „Sieben Ermittler in einem<br />

Flugzeug, das spurlos verschwindet. Das kann unmöglich ein Zufall sein.“, stellte Tony fest.<br />

In dem Moment piepte der Computer erneut. „Acht.“, verkündete McGee. „Sara Sidle, auch<br />

CSI Las Vegas. Tony, denkst du das gleiche wie ich?“ Der Ausdruck der Besorgnis auf<br />

McGees Gesicht war nun einem Ausdruck gewichen, der an Panik grenzte. Auch Tony war<br />

nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. „Wenn du glaubst, dass jemand einen gezielten Anschlag<br />

auf die Maschine geplant hat, dann ja. Alles deutet immer mehr auf einen Anschlag hin.“<br />

Tony und McGee warfen einander besorgte Blicke zu. Sie dachten beide das gleiche. Wenn es<br />

jemandem nicht darum ging, die Regierung zu erpressen, sondern darum, die Ermittler zu<br />

töten, um ein Exempel zu statuieren, dann standen die Chancen ihrer Leute schlecht.<br />

Washington DC, FBI Hauptquartier, 17.30 Uhr Ostküstenzeit<br />

Monica und Doggett saßen ebenfalls an ihren Rechner und glichen die Fotos der<br />

Passagiere mit der FBI Fahndungskartei ab. Sie hatten die Liste aufgeteilt, Doggett hatte die<br />

erste Hälfte der Name auf der Liste, Reyes die zweite. John sah zu seiner Partnerin hinüber,<br />

während die PCs ihre Arbeit machten. Sie sah konzentriert auf ihren Monitor, aber ihr Ge-<br />

sichtsausdruck war eindeutig besorgt. Er hätte gerne etwas gesagt, um sie zu trösten, aber ihm<br />

war klar, dass sie sich Gefühle nicht leisten konnten. Sie schuldeten es Mulder und Scully,<br />

professionell zu bleiben. In dem Moment fing Doggetts PC an zu piepen. Monica stand auf<br />

183


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und stellte sich hinter ihren Partner, um sich seinen Bildschirm anzusehen. „Johnston Jacob<br />

Green aus Jericho, Kansas. Er steht unter Beobachtung des FBI. Green hat im Irak und in<br />

Afghanistan für private Söldnertruppen gearbeitet. Anscheinend wurde er gut dafür bezahlt,<br />

Waren auszuliefern und keine Fragen zu stellen. Das FBI ist an ihn heran getreten, um ihn bei<br />

einer riskanten Ermittlung als V- Mann bei einer besonders skrupellosen Söldnertruppe<br />

namens Ravenwood einzusetzen. Er hat abgelehnt. Und er hat eine Ausbildung als Pilot, er<br />

wäre in der Lage, eine solche Maschine zu fliegen.“ „Klingt, als sollten wir ihn uns näher an-<br />

sehen. Wenn er wirklich in dieser Sache mit drin steckt, ist das für die Passagiere ein gutes<br />

Zeichen. Nach dem, was in seiner Akte steht, scheint er nicht der Typ Mann zu sein, der zum<br />

Selbstmordattentäter wird. Wenn er in die Entführung verwickelt ist, geht es um Geld und das<br />

heißt, die Leute im Flugzeug leben noch.“ Monica klang hoffnungsvoll. „Du hast Recht. Der<br />

Kerl scheint in der Vergangenheit einfach versucht zu haben schnelles Geld zu machen. Das<br />

klingt nicht nach einem Fanatiker, der andere mit sich in den Tod reißt. Wir sollten Skinner<br />

von unseren neuen Erkenntnissen berichten. Es ist immerhin ein Anfang.“ Als die beiden<br />

Agenten gerade das Büro verlassen wollten meldete sich Monicas Computer. Monica warf<br />

einen Blick auf den Bildschirm. „Katherine Austen aus Spencer, Iowa. Sie war unter dem<br />

Namen Catherine Ryan unterwegs. Sie wird gesucht wegen Mordes, fahrlässiger Tötung und<br />

Raub. Möglicherweise ist sie auch in die Sache verwickelt, wir sollten sie auf jeden Fall über-<br />

prüfen.“<br />

Monica klopfte und auf Skinners: „Herein.“, betraten sie und Doggett dessen Büro.<br />

„Was gibt es?“, fragte Skinner und Doggett berichtete ihm, was sie über Jake Green und Kate<br />

Austin herausgefunden hatten. Noch während des Gespräches klingelte Skinners Telefon.<br />

„Skinner?“ „Direktor Skinner, mein Name ist Jennifer Shepard, ich bin die Direktorin des<br />

NCIS. Ich wurde von der CIA darüber in Kenntnis gesetzt, dass Qantas Flug 815 vermisst<br />

wird und sich drei ihrer Agenten an Bord befanden. Damit haben wir ein gemeinsames<br />

Problem, denn es sind auch drei meiner eigenen Leute an Bord. Da unsere beiden Behörden<br />

betroffen sind, sollten wir in dieser Angelegenheit zusammen arbeiten und uns über neue Er-<br />

kenntnisse auf dem Laufenden halten.“ „Das würde ich durchaus begrüßen. Ermittlungen<br />

doppelt durchzuführen kostet unnötige Zeit, die unsere Leute vielleicht nicht haben.“ „Ich<br />

hatte gehofft, dass Sie das sagen würden. Meine Agents haben herausgefunden, dass sich<br />

außerdem zwei CSI Ermittler aus Las Vegas an Bord befanden. Es waren also acht An-<br />

gehörige amerikanischer Behörden an Bord. Das erhärtet die Vermutung der CIA, dass es sich<br />

um eine Entführung handelt. Oder, was noch schlimmer wäre, um einen gezielten Anschlag.“<br />

„Das ist ein interessanter neuer Aspekt. Meine Leute sind auch gerade mit aufschlussreichen<br />

Informationen zu mir gekommen…“ Skinner berichtete, was Monica und Doggett heraus-<br />

gefunden hatten. Als er das Telefonat beendet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seinen Agenten zu. „Das war Direktorin Shepard vom NCIS. Offenbar befanden sich neben<br />

unseren und ihren Leuten außerdem zwei Ermittler des CSI Las Vegas an Bord.“ „Acht An-<br />

gehörige amerikanischer Justizbehörden in einer verschwundenen Maschine?“, fragte Doggett<br />

ungläubig und noch besorgter. „Das kann kein Zufall sein, jemand hat speziell diese<br />

Maschine ausgesucht. Möglicherweise soll die Regierung erpresst werden. Oder jemand<br />

wollte gründlich aufräumen und es handelt sich wohlmöglich ... um einen gezielten An-<br />

schlag.“ „Wenn unsere Verdächtigen dahinter stecken, geht es ihnen um Geld, aber die<br />

Beiden hätten das niemals allein planen können. Da muss jemand hinter stecken, dem es um<br />

sehr viel mehr geht.“ warf Monica ein. Den Gedanken an ein Attentat verdrängte sie erst ein-<br />

mal gänzlich.<br />

Washington DC, NCIS Hauptquartier, 18.10 Uhr Ostküstenzeit<br />

Tony und McGee hatten in der Kommunikationszentrale gewartet, während ihre<br />

Chefin mit dem Assistent Direktor des FBI telefoniert hatte. Als sie auflegte, blickten ihr zwei<br />

Paar Augen erwartungsvoll entgegen. „Das FBI hat die Fotos der Passagiere mit ihren Daten-<br />

banken abgeglichen. Es gab zwei Treffer. Einen Ex-Söldner, der vom FBI beobachtet wird,<br />

weil er sich geweigert hat, bei den Ermittlungen gegen eine skrupellose Söldnertruppe<br />

namens Ravenwood zu kooperieren, und eine junge Frau, die unter anderem wegen Mordes,<br />

fahrlässiger Tötung und Raubes gesucht wird. Der Mann hat eine Pilotenausbildung.“ „Von<br />

den dreiundfünfzig Passagieren in der Maschine waren also acht Ermittler verschiedener Be-<br />

hörden, die Anthropologin, mit der einer der FBI Agenten unterwegs war nicht mitgezählt,<br />

eine Mörderin und ein Kerl mit Pilotenschein, der für Geld alles tun würde?“, fasste Tony<br />

zusammen. „Sieht beinahe so aus, als hätte das FBI einmal mit seiner Ursprungstheorie Recht<br />

gehabt. <strong>Die</strong> haben vermutlich diesen Ex-Söldner und vielleicht auch die Frau bezahlt, um das<br />

Flugzeug mit unseren Agenten zu entführen und die Regierung zu erpressen. Das erinnert<br />

<strong>mich</strong> an Air Force One, mit Harrison Ford und Glenn Close, 1997. In dem Film hat Harrison<br />

Ford eine ganze Truppe Terroristen im Alleingang erledigt. Und in der australischen<br />

Maschine sind Gibbs und Ziva. Und wenn sie wieder erwartend nicht alleine mit den Ent-<br />

führern fertig werden, sind da ja auch noch die Typen vom FBI. Wie viele Leute werden die<br />

schon eingesetzt haben, um das Flugzeug zu entführen? Fünf, sechs? Also ungefähr so viele<br />

wie Agenten, und Ziva zählt mindestens dreifach, wenn sie wütend ist.“ Auch wenn er es<br />

nicht zeigen wollte, war Tony immer noch besorgt um seine Kollegen. Aber eine Entführung<br />

war nicht halb so bedrohlich, wie ein Flugzeugabsturz oder ein gezielter Anschlag. Wenn es<br />

um Erpressung ging, konnten sie ziemlich sicher sein, dass Gibbs, Ziva und Abby noch<br />

lebten.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ich weiß zwar nicht, ob der Vergleich mit einem Kinofilm angebracht ist, aber es<br />

stimmt, ein Flugzeug zu entführen, indem sich sechs Bundesagenten befinden, ist riskant. Da<br />

muss mehr dahinter stecken als ein paar Kriminelle, die auf Geld aus sind. So einer Ent-<br />

führung traue ich nur einer großen Terrorzelle zu. Möglich, dass diese Leute Kontakt zu<br />

Söldnertruppen haben, aber wie passt dann diese Kate Austen da rein? Sie hat aus persön-<br />

lichen Gründen ihren Stiefvater umgebracht, der Mord war spontan, nicht sorgsam geplant.<br />

Ihre Komplizen bei dem Banküberfall waren Gelegenheitskriminelle. Austen hat offensicht-<br />

lich damals nur ein persönliches Erinnerungsstück, dass ein US Marshall konfisziert hatte, aus<br />

dem Bankschließfach gestohlen und sorgte dafür, dass ihre Komplizen den Bankdirektor nicht<br />

töteten. <strong>Die</strong>se Typen spielen in einer ganz anderen Liga als al-Quaida, Abu Sayyaf, ETA oder<br />

Hamas. Und wer aus dem Flugzeug war sonst noch beteiligt? <strong>Die</strong> waren ganz sicher nicht zu<br />

zweit.“ „Waren die Beiden allein unterwegs?“, fragte McGee. Er war zu dem gleichen<br />

Schluss gekommen wie Tony und die Zuversicht, dass Abby, Ziva und Gibbs höchst-<br />

wahrscheinlich noch lebten, spornte ihn an. „Nein. Beide haben ihre Flugtickets nicht selbst<br />

gebucht Kate Austen war zusammen mit einem James Ford unterwegs und Jacob Green mit<br />

einer Frau namens Heather Lisinski. Das FBI überprüft die Beiden gerade.“, beantwortete<br />

Jenny McGees Frage. „Und was tun wir in der Zwischenzeit?“, fragte McGee. „Wir machen<br />

den Suchtruppen Feuer unter dem Arsch.“ - Ich arbeite schon zu lange mit Ziva zusammen. -<br />

dachte Tony. Genau das hätte sie in dieser Situation gesagt. Abgesehen davon, dass sie wahr-<br />

scheinlich Flammen unter den Füßen gesagt hätte. Tony lächelte bei dem Gedanken an Zivas<br />

Versprecher. Er hoffte, dass er sie bald wieder damit aufziehen konnte.<br />

„Owen Williams, Royal Australian Air Force, was kann ich für Sie tun?“ „Special<br />

Agent Anthony DiNozzo vom NCIS, Washington. Sie können <strong>mich</strong> sofort mit demjenigen<br />

verbinden, der für die Suche nach dem verschwundenen Flugzeug zuständig ist, in dem sich<br />

drei unserer Agenten befinden.“ „Ich bedaure, Mister DiNozzo, aber Air Chief Marshal<br />

Anderson hat im Moment alle Hände voll damit zu tun, das vermisste Flugzeug zu finden.“<br />

„Ach wirklich? Ich hatte nicht den Eindruck, dass er sich bei dieser Aufgabe allzu sehr ver-<br />

ausgabt. Aus der Tatsache, dass Sie vierundzwanzig Stunden gebraucht haben, um die USA<br />

über das Verschwinden amerikanischer Staatsbürger zu informieren, schließe ich, dass Ihre<br />

Aktivitäten sich durchaus in Grenzen halten. Also, sagen Sie ihrem Boss, er kann seine<br />

Kaffeepause später fortsetzen und teilen sie ihm mit, dass der ganz besondere Special Agent<br />

DiNozzo ihn dringend sprechen will, weil er wichtige Informationen für ihn hat.“ „Bleiben<br />

Sie dran, besonderer Special Agent DiNozzo, ich werde fragten, ob Air Chief Marshal<br />

Anderson einen Moment Zeit für sie hat.“ Owen Williams legte das Gespräch in die Warte-<br />

schleife und wählte die Durchwahl vom Büro seines Chefs. „Air Chief Marshal Anderson,<br />

Sir? Hier ist Sergeant Williams. Ich habe hier einen Special Agent DiNozzo vom NCIS in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Washington in der Leitung. Er sagt, er hätte wichtige Informationen bezüglich des vermissten<br />

Flugzeuges. Er ist ziemlich hartnäckig, Sir, offenbar waren drei seiner Kollegen in der<br />

Maschine.“ „NCIS? Was soll das sein?“ „Ich weiß es nicht, Sir. Ich dachte, Sie könnten mit<br />

der Abkürzung etwas anfangen. Anscheinend handelt es sich um eine US Bundesbehörde.“<br />

„Finden Sie heraus was dieses NCIS ist und rufen Sie <strong>mich</strong> zurück.“ „Ja, Sir.“ Sergeant<br />

Williams legte auf und gab NCIS bei Google ein. Zwei Minuten später rief er seinen Boss<br />

zurück.<br />

„Sir, hier ist noch mal Sergeant Williams. Der Naval Criminal Investigative Service ist<br />

eine Ermittlungsbehörde, die der Navy untersteht. Eine der Hauptaufgaben des NCIS ist die<br />

Bekämpfung von Terrorismus sowie Verbrechen, in die Marineangehörige verwickelt sind.<br />

<strong>Die</strong>ser Kerl am Telefon ist also wirklich ein Bundesagent.“ Anderson seufzte und ergab sich<br />

in sein Schicksal. „In Ordnung, stellen Sie ihn durch.“ „Special Agent DiNozzo, hier ist Air<br />

Chief Marshal Frank Anderson, Royal Australian Air Force. Sie haben Informationen für<br />

<strong>mich</strong>?“ „Na endlich. Warum hat das so lange gedauert? Mussten Sie etwa erst googlen, was<br />

der NCIS ist?“ „Ich bin sehr beschäftigt, Special Agent DiNozzo, unter anderem mit der<br />

Suche nach dem vermissten Flugzeug. Also sagen Sie mir einfach, was Sie zu sagen haben<br />

und machen Sie es kurz.“ „Sie wollen die Kurzversion? <strong>Die</strong> können Sie haben. Sie werden die<br />

Maschine vermutlich nie finden, weil Sie von einem Absturz ausgehen. Während Ihre Leute<br />

über dem Meer im Kreis herum geflogen sind, haben wir Ermittlungen angestellt und sind zu<br />

dem Ergebnis gekommen, dass eine Entführung sehr viel wahrscheinlicher ist. In dem Flug-<br />

zeug befanden sich sechs Agenten vom FBI, NCIS und Mossad und zwei Ermittler des CSI.<br />

Wenn Ihnen das auch nichts sagt: Geben sie bei Google Crime Scene Investigation ein.<br />

Außerdem befanden sich eine international gesuchte Mörderin, die auf der FBI Liste der<br />

meistgesuchten Straftäter steht, und ein zwielichtiger Söldner, der in der Lage wäre, diese<br />

Maschine zu fliegen, an Bord. Sie sollten aufhören nach Leuchtraketen Ausschau zu halten<br />

und stattdessen anfangen, nach Leuten zu suchen, die nicht gefunden werden wollen.“ „Das<br />

wirft ein neues Licht auf die Situation. Ich werde veranlassen, dass die Suche auf die um-<br />

liegenden Inseln ausgedehnt wird.“ „Hoffentlich lassen Sie sich dabei nicht so viel Zeit wie<br />

bei allem, was Sie bisher getan haben.“<br />

Washington DC, FBI Hauptquartier, 19.10 Uhr Ostküstenzeit<br />

John Doggett und Monica Reyes saßen wieder vor ihren Computern und überprüften<br />

die Begleiter ihrer Verdächtigen. Nachdem John Doggett in der FBI Datenbank nicht fündig<br />

geworden war, hatte er die Suche nach James Ford auf die Datenbanken der einzelnen<br />

Bundesstaaten ausgedehnt. „Ich habe etwas gefunden.“, verkündete Doggett schließlich.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„<strong>Die</strong>ser James Ford ist ein typischer Kleinkrimineller, ein paar Mal verhaftet wegen ver-<br />

schiedener Betrugsdelikte und Kneipenschlägereien, kurze Gefängnisstrafen. Nichts Großes<br />

bisher. Er scheint nicht der Typ zu sein, der in eine Flugzeugentführung verwickelt ist.<br />

Allerdings genau der Typ Mann, den eine Frau wie diese Kate Austen für ihre Zwecke ein-<br />

spannen würde. Ich habe ein wenig recherchiert. Der Kerl, mit dem sie die Bank ausgeraubt<br />

hat, hat behauptet, die ganze Sache sei ihre Idee gewesen. Sie hat ihm den Kopf verdreht und<br />

ihn für ihre Zwecke benutzt. Allerdings scheint diese Sache auch für sie eine Nummer zu groß<br />

zu sein.“ „Vielleicht haben wir Kate Austen und Jake Green vorschnell verdächtigt. Kate<br />

Austen hat - vermutlich im Affekt - ihren Stiefvater umgebracht, der ihre Mutter Jahre lang<br />

schwer misshandelt hat. Bei dem Banküberfall war sie diejenige, die ihre Komplizen auf-<br />

gehalten hat, bevor diese jemanden verletzen konnten. Sie scheint im Grunde genommen kein<br />

gewalttätiger Typ zu sein. Und sie ist offensichtlich auch nicht auf Geld aus, bei dem Bank-<br />

überfall ist sie ohne Beute geflohen. Und dieser Jake Green hat seit Monaten nicht mehr für<br />

Söldnertrupps gearbeitet. Er hat als Security Guard in Sydney bei einer landesweit bekannten<br />

Sicherheitsfirma gearbeitet, statt die lukrativen Angebote seiner früheren Arbeitgeber anzu-<br />

nehmen. Und wenn die Frau, mit der er unterwegs war, seine Freundin ist, versucht er offen-<br />

bar ein bürgerliches Leben anzufangen. Sie ist Grundschullehrerin in einer Kleinstadt in<br />

Kansas, Tochter eines Pfarrers, und hat nie auch nur ein Ticket für Falschparken bekommen.<br />

Sie hat ganz sicher nichts mit dieser Sache zu tun. Wenn sie sich auf ihn eingelassen hat,<br />

muss sie etwas anderes in ihm sehen, als den Menschen, der er in den letzten Jahren war.“,<br />

spekulierte Monica<br />

„Verliebte Frauen sind naiv. Wenn er mit dieser Sache etwas zu tun hat, wollte sie es<br />

vielleicht nicht sehen. Möglicherweise hat Green die Frau als Tarnung mitgenommen. Nichts<br />

ist unauffälliger als ein junges Paar.“ „Möglich ist es. Aber es wäre ein ziemliches Risiko.<br />

Wenn Jake Green in die Entführung verwickelt war, hätte sie etwas bemerken können. Du<br />

glaubst also immer noch, dass Green etwas mit dieser Sache zu tun hat?“, fragte Reyes. „Er<br />

ist im Moment der einzige, bei dem es überhaupt Indizien gibt, dass er in diese Sache ver-<br />

wickelt sein könnte. Kate Austen und James Ford sind als einzige vorbestraft und wie wir ja<br />

bereits festgestellt haben, ist das hier nicht ihr Kaliber. Aber wenn es hier wirklich um eine<br />

Entführung geht, müssen noch mehr Passagiere darin verwickelt sein. Wir sollten auch die<br />

nicht vorbestraften Passagiere überprüfen. Ich beleuchte die Konten aller Fluggäste, mal<br />

sehen, ob bei einem der Leute eine verdächtige Zahlung eingegangen ist.“, beschloss Doggett.<br />

„Gute Idee, John. In der Zwischenzeit rufe ich in LA an und erkundige <strong>mich</strong>, nach welchen<br />

der Passagiere sich niemand erkundigt hat. Terroristen sind Einzelgänger, sie haben selten<br />

Angehörige, die auf sie warten.“, schlug Monica vor. „Einen Versuch ist das auf jeden Fall<br />

wert.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Lockes Teststrecke<br />

Ich rate, lieber mehr zu können als man macht, als mehr zu machen als man kann.<br />

Berthold Brecht<br />

„Nummer 12.“, ertönte die kalte Lautsprecherstimme und John Locke erhob sich ohne<br />

zu Zögern, um in der vorgeschriebenen Weise an die Tür zu treten. Seine Bewacher führten<br />

ihn wortlos wie immer durch lange, kahle Flure in einen Raum, der John an eine Arztpraxis<br />

erinnerte. Er deutete auf einen Stuhl und kommandierte knapp: „Hinsetzten.“ John zuckte die<br />

Schultern und gehorchte kommentarlos. Der stämmige Mann blieb neben der Tür stehen, die<br />

sich jetzt öffnete. Eine junge Frau im weißen Kittel trat ein und begann wortlos Lockes Kopf<br />

auszumessen und mit einem Stift, der Locke an Edding erinnerte, Markierungen auf seinem<br />

Schädel vorzunehmen, um danach ebenso wortlos wieder zu verschwinden. Gespannt wartete<br />

John, was nun geschehen würde. Es dauerte nicht lange, bis ein schmächtiger, blonder Mann<br />

mit Bürstenhaarschnitt erschien, der ebenfalls einen Arztkittel trug und auf eine schmale<br />

Untersuchungsliege deutete. „Hinlegen.“ Nachdem Locke der Aufforderung nachgekommen<br />

war, begann der Arzt, Elektroden auf die markierten Stellen zu kleben und John kam zu dem<br />

Schluss, dass offenbar ein EEG gemacht werden sollte, um seine Gehirnströme zu messen.<br />

„Du musst so still liegen, wie möglich, Nummer 12. Geht das oder musst du fixiert werden?“<br />

John hatte gegen diese Untersuchung keine Einwände und sah keinen Sinn darin, sich oder<br />

den Mitgefangenen Schwierigkeiten einzuhandeln, weil er gegen die Regeln verstieß. So<br />

antwortete er ruhig: „Das wird nicht nötig sein, Sir.“ Befriedigt nickte der Mann und verließ<br />

den Raum. John schloss die Augen und entspannte sich. Er dachte sehnsüchtig an das Out-<br />

back und seine Freunde dort. So zuhause hatte er sich nie zuvor gefühlt. Ob er sie wohl<br />

wieder sehen würde? Tief und regelmäßig wurde seine Atmung...<br />

„Nummer 12.“ Locke fuhr hoch, er war so weit weg gewesen, dass er den Arzt und die<br />

junge Frau nicht hatte eintreten hören. <strong>Die</strong>se schenkte ihm einen Blick, den John schwer ein-<br />

ordnen konnte, jedenfalls interessiert. Der Arzt betrachtete ihn ebenfalls sehr aufmerksam,<br />

tastete nach seinem Puls und leuchtet mit einer kleinen Lampe in seine Augen. Während die<br />

Assistentin John zu seiner Verwunderung nicht von den Elektroden befreite, legte der<br />

Mediziner eine Blutdruckmanschette an und fragte knapp: „Bist du imstande, einen Test zu<br />

Absolvieren?“ John hatte Mühe, in die Realität zurückzukehren und rieb sich die Augen,<br />

während er mühsam versuchte, sich aufzusetzen, wobei der Arzt ihm überraschenderweise<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

half. „Etwas benommen und ein wenig schwindelig, aber es geht schon wieder.“, be-<br />

antwortete John die Frage. „Ein paar Minuten Zeit und ein anständiger Kaffee und ich bin<br />

wieder fit.“, scherzte Locke, wissend dass er auf seinen nächsten Kaffee lange würde warten<br />

können. Zu seiner grenzenlosen <strong>Über</strong>raschung trat der Arzt an die Gegensprechanlage und<br />

ordnete knapp an: „Kaffee in Untersuchungsraum 2.“ Tatsächlich trat wenige Minuten später<br />

ein Mann ein und reichte John eine dampfende Tasse, von der lange vermisste, köstliche<br />

Düfte aufstiegen. Was hatte das zu bedeuten? Könnte es sein, dass…? Locke war wie<br />

elektrisiert. Natürlich hatte er alles verschlungen, was es über PSI Kräfte zu lesen gab und so<br />

wusste er, dass einige Parapsychologen davon berichteten, dass eine charakteristische Ver-<br />

änderung der Gehirnwellen messbar sein sollte, wenn sich paranormale Fähigkeiten<br />

manifestierten. Wenn diese Leute, wer auch immer sie sein mochten, tatsächlich in der Lage<br />

wären, zu beweisen, dass er über paranormale Kräfte verfügte, fiele eine Welt von Hohn und<br />

Spott von ihm ab. John verschwendete keinen Gedanken daran, dass diese mysteriöse Gruppe<br />

mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Geheimen operierte und ihre Ergebnisse<br />

kaum würde veröffentlichen können. Während er mit Genuss den wirklich guten Kaffee trank<br />

und seine Lebensgeister schnell erwachten, beschloss Locke, in jedem Test, den man ihn<br />

unterziehen würde, sein Bestes zu geben.<br />

Er merkte nicht, dass er lächelte, als er, jede Regel vergessend, dem Arzt direkt in die<br />

Augen sah und sagte: „Ich bin jetzt absolut in der Lage, weitere Tests durchzuführen.“ Er<br />

sprang so energisch von der Liege, dass die Assistentin ihn kalt bremste. „Langsam aufstehen.<br />

Du reißt die Elektroden ab, Nummer 12.“ „Entschuldigung, Ma‟am.“, murmelte John, der sich<br />

an die Regel erinnerte und die Leute, die vielleicht beweisen konnten, dass er kein Spinner<br />

war, auf keinen Fall verärgern wollte. „Setz dich auf den Stuhl dort.“ John gehorchte. <strong>Die</strong><br />

Elektroden wurden wieder fest gedrückt und dann wurde ein Fenster sichtbar, dass Locke<br />

vorher nicht aufgefallen war. Er sah in einen kahlen Raum, in dem sich nur ein Tisch und ein<br />

Stuhl zu befinden schienen. Ein junger Mann nahm auf dem Stuhl Platz und hielt etwas hoch,<br />

das wie überdimensionale Spielkarten aussah. John erkannte ein Quadrat, ein Rechteck, einen<br />

Stern, ein Dreieck und einen Kreis. „Nummer 12, der Assistent wird jeweils eine der Karten<br />

mit der Rückseite nach oben halten und du wirst jeweils aufschreiben, welches Symbol die<br />

Karte zeigt.“, sagte der Weißkittel. John bemerkte, dass auf dem kleinen Tischchen vor<br />

seinem Stuhl Papier und Stifte bereit lagen. „Bereit?“ Locke nickte eifrig und versuchte, sich<br />

auf die Person hinter der Glasscheibe zu konzentrieren. Er war aufgeregt und hatte Mühe,<br />

seine Umgebung auszublenden.<br />

<strong>Die</strong> erste Karte, John hatte keine Ahnung, welche es war und schrieb wahllos Kreis. Er<br />

war nervös und hatte nicht den Eindruck, diese Aufgabe bewältigen zu können. John ver-<br />

190


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

suchte, sich zu entspannen und ruhig und tief zu atmen. Er fühlte, wie ihm der Schweiß aus-<br />

brach, das konnte er nicht. Und dann fühlte er wieder das vertraute Gefühl, wie die Um-<br />

gebung verschwamm, in seinem Kopf Bilder entstanden und er verlor jedes Gefühl für Raum<br />

und Zeit. <strong>Die</strong> Symbole waren in seinem Kopf. Stern, Dreieck, Stern, Rechteck. Kreis. Kreis.<br />

Quadrat. Rechteck. Stern. „Nummer 12.“ Locke hörte nichts, merkte nicht, wie sein Puls ge-<br />

fühlt und sein Blutdruck gemessen, auch nicht, dass ihm Blut abgenommen wurde. Erst als<br />

sich eine Hand auf seine Schulter legte und ihn sanft schüttelte, kehrte er in die Wirklichkeit<br />

zurück. „Genug für heute.“ John war schwindelig und er fühlte sich unendlich müde, aber das<br />

spielte keine Rolle. Eifrig wie ein Kind fragte er: „Wie war ich? Bekomme ich die Ergeb-<br />

nisse? Bitte.“ Er rechnete nicht ernsthaft mit einer Antwort und natürlich würdigte der<br />

Mediziner den Probanden keines Wortes. „Du hast über die Tests strengstes Stillschweigen zu<br />

bewahren, sonst werdet ihr es alle bereuen.“, war alles, was er zu hören bekam. Um Locke<br />

drehte sich alles, aber die Experimentatoren nahmen darauf keine Rücksicht und führten ihn<br />

unsanft in seine Zelle zurück.<br />

„Der Mann hat keinerlei paranormale Fähigkeiten. Seine Ergebnisse<br />

lagen weit unterhalb dessen, was die Zufallserwartung antizipiert.“<br />

beurteilen.“<br />

„Das ist nach den wenigen bisher durchgezogenen Tests gar nicht zu<br />

„<strong>Die</strong> bisherigen Ergebnisse sind in meinen Augen keineswegs relevant<br />

und aussagekräftig.“<br />

„Seine Gehirnwellen zeigen klar Aktivitäten in Gehirnbereichen, die<br />

normalerweise nicht genutzt werden, sowohl beim Ruhe-EEG als auch bei dem<br />

ersten Test.“<br />

„Ich glaube, ich kann die Verwirrung aufklären. Seht euch das an. Er sah<br />

nicht die aktuelle, sondern die nächste Karte. Unter der Prämisse ist seine<br />

Trefferrate weit oberhalb des Zufallsniveaus.“<br />

Locke war erschöpft eingeschlafen und man ließ ihm Zeit, bis er deutlich erkennbar<br />

wach war und seine Nahrungszuteilung zu sich genommen hatte. „Nummer 12.“ „<strong>Die</strong> Irren<br />

scheinen Durchgeknallte zu lieben, viel Spaß, Merlin.“, höhnte Sawyer ironisch. John<br />

antwortete nicht, sondern trat gehorsam zur Tür. Wieder wurde er durch lange Korridore ge-<br />

führt und in einen kahlen Raum gebracht, dessen einzige Einrichtung aus einem Stuhl und<br />

einem Tisch bestand, auf dem ein Laptop stand. Man ließ ihn allein und John studierte die<br />

Anweisungen, die auf einem Zettel notiert waren: Auf dem Monitor wird ein Kreuz er-<br />

scheinen, klicke jeweils an, ob es rechts oder links zu sehen sein wird. John atmete tief durch<br />

und versuchte, sich zu entspannen, er war aufgeregt und begierig darauf, die Aufgabe zu<br />

191


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

meistern. Links, nein das war falsch. Rechts erschien das Kreuz. Rechts, wieder falsch. Er<br />

konnte das nicht. Locke versuchte sich zur Ruhe zu zwingen und schloss für einen Moment<br />

die Augen. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Rechts, richtig. Noch mal rechts,<br />

wieder richtig. Seine Zuversicht wuchs. In immer schnellerer Folge erschien das Kreuz, 100-<br />

mal oder waren es eher 1000 Durchgänge? Er war gut, das konnte John sehen. John wusste<br />

nicht, wie lange er schon dort saß, vor seinen Augen begann es zu flimmern, er war immer<br />

seltener in der Lage, festzustellen, ob er richtig gelegen hatte. In seinen Schläfen begann es zu<br />

hämmern und seine Augen brannten. Wieder bemerkte er nicht, dass sich die Tür öffnete und<br />

zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. John war völlig erschöpft, was<br />

auch dem Arzt nicht entgangen war. „Legt Nummer 12 hin.“, wies er zwei Wachen an, die<br />

John zu einer Untersuchungsliege dirigierten. Wieder wurden seine Pupillenreflexe überprüft<br />

und sein Blutdruck gemessen. Dann ließ man ihn allein und er schloss völlig erledigt die<br />

Augen.<br />

*****<br />

„Wo bleibt John bloß? Was machen die nur so lange mit ihm?“ Allisons Stimme klang<br />

besorgt. „Vielleicht soll Yoda gerade ein paar Felsen schweben lassen oder so.“, grinste<br />

Sawyer spöttisch. „Wahrscheinlich wird Locke wirklich auf paranormale Fähigkeiten ge-<br />

testet.“ In Mulders Stimme schwang Begeisterung mit. „Du glaubst wirklich an solchen<br />

Quatsch, oder?“ Jake schüttelte fassungslos den Kopf. „Natürlich, die Parapsychologie ist<br />

eine Wissenschaft, die bereits nachgewiesen hat, dass es Menschen mit übersinnlichen Fähig-<br />

keiten gibt.“ Mulder setzte sichtlich zu einem längeren Vortrag an, wurde aber gleich von<br />

mehreren seiner Mitgefangenen unterbrochen. „Als anerkannte Wissenschaft kann die Para-<br />

psychologie kaum bezeichnet werden.“ Bones klang beinahe gelangweilt. „Ich glaube auch<br />

nur an das, was ich selbst nachweisen kann.“, stimmte Abby ihr zu. „<strong>Die</strong>ser Hokuspokus ist<br />

nichts als das Hirngespinst von ein paar durchgeknallten Spinnern.“, knurrte House gereizt.<br />

„<strong>Die</strong>se so genannten Wissenschaftler weisen doch nur nach, was sie sehen wollen.“ Sara hatte<br />

auch etwas beizutragen. Bevor Mulder dazu kam sich in eine Redeschlacht zu stürzen und für<br />

seine <strong>Über</strong>zeugung zu kämpfen, wurde das grüne Licht durch das Rote ersetzt.<br />

*****<br />

Wieder saß Locke vor dem Monitor, der diesmal aber schwarz blieb. <strong>Die</strong> Anweisung<br />

war die gleiche wie beim letzten Mal mit dem Unterschied, dass der Testkandidat diesmal<br />

nicht würde sehen können, ob er richtig gelegen hatte. Das Kreuz würde diesmal auf dem für<br />

Locke unsichtbaren Monitor im Kontrollraum erscheinen. Ermutigt durch die Sicherheit, im<br />

192


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ersten Durchgang sehr gut abgeschnitten zu haben, machte John sich an die Arbeit, obwohl es<br />

ihn ziemlich störte, nicht überprüfen zu können, wie gut oder schlecht das Ergebnis war.<br />

<strong>Die</strong>ser Durchgang kam ihm länger und anstrengender vor und er fühlte sich vollkommen aus-<br />

gelaugt, als er endlich aufhören durfte. Schon wieder die gleiche Aufgabe. Allmählich hatte<br />

John keine Lust mehr auf diesen ebenso anstrengenden wie langweiligen Test. <strong>Die</strong>smal ent-<br />

hielt die Notiz die Anweisung, den beiliegenden Kopfhörer aufzusetzen und die knappe Er-<br />

klärung, dass bei jedem Fehler ein Pfeifton ertönen würde. Rechts, links, links, rechts… Ein<br />

schrilles Pfeifen, das Locke durch Mark und Bein ging, ließ ihn zusammenzucken. Und gleich<br />

noch einmal. Mühsam riss er sich zusammen, versuchte, die Ruhe und Konzentration wieder<br />

zu finden. Eine Weile wurde er durch wohltuende Stille belohnt, dann wieder dieser ent-<br />

nervende Ton. John fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach und sein Kopf begann zu<br />

schmerzen. Immer häufiger ertönte das schrille Pfeifen, Locke konnte einfach nicht mehr. So<br />

erschöpft wie nach diesem Durchgang hatte John sich selten gefühlt. Er schlief ein, sobald<br />

sein Kopf die Liege berührte. <strong>Die</strong> obligatorische Untersuchung bekam er gar nicht mehr mit.<br />

- Hoffentlich nicht wieder dasselbe. - dachte John entnervt, als er sich auf den in-<br />

zwischen schon vertrauten Stuhl setzte. Nein, dieses Mal erschienen auf dem Bildschirm drei<br />

umgedrehte Becher. <strong>Die</strong> Anweisung lautete: Unter einem der Becher befindet sich eine<br />

Speisekarte. Findest du diese, entscheidest du, welchem der Gefangenen du eine Mahlzeit<br />

seiner Wahl zukommen lässt. Unter einem Becher befindet sich nichts. Wenn du diesen um-<br />

drehst, entscheidest du, wer heute nichts zu essen bekommt. Der dritte Becher enthält die üb-<br />

liche Nahrungszuteilung für einen Häftling deiner Wahl. Es wird 16 Durchgänge geben. John<br />

schluckte. <strong>Die</strong> eintönige Essenszuteilung begann allen Gefangenen zunehmend zuzusetzen,<br />

die Aussicht auf eine anständige Mahlzeit, wie sie die wenigen Glücklichen im Belohnungs-<br />

raum bekommen hatten, war mehr als verlockend. Er durfte keinen Fehler machen. - Ruhig,<br />

entspann dich. - sprach Locke sich in Gedanken selbst Mut zu. Er versuchte, seine Muskeln<br />

zu lockern und tief und ruhig zu atmen, um die Anspannung zu lösen. Es wollte ihm nicht<br />

gelingen, er brauchte Zeit, sich auf die neue Herausforderung einzustellen, aber genau diese<br />

ließ man ihm nicht. Es knackte und die kalte Lautsprecherstimme sagte: „Nummer 12, du hast<br />

je 30 Sekunden ab dem Signalton. Hast du bis dahin nicht gewählt, wird die Niete gewertet.“<br />

Schon erklang ein Glockenton und John versuchte verzweifelt, zu erahnen, unter welchem<br />

Becher der Gewinn steckte. Er hatte keine Ahnung und wählte auf gut Glück den linken<br />

Becher. Eine Niete, verdammt. John hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, schon er-<br />

schienen die Becher wieder und der Signalton erklang. Für einen Moment schloss Locke die<br />

Augen und versuchte, ein Gefühl dafür zu bekommen, welcher dieser verflixten Becher die<br />

begehrte Mahlzeit symbolisierte. Irgendwie hatte er ein gutes Gefühl bei dem in der Mitte.<br />

193


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wasser und Brot, so ein Mist. John begann zu schwitzen, als es ohne Pause weiter-<br />

ging. Wieder die Mitte. Ja, diesmal war es ein Volltreffer gewesen. Locke atmete tief durch<br />

und entspannte sich ein wenig. Gleich weiter, wieder ein Treffer. Nach einem weiteren Erfolg<br />

ließ die Anspannung deutlich nach und nachdem er noch zweimal erfolgreich gewesen war,<br />

wurde John beinahe euphorisch und immer sicherer. Jetzt räumte er ohne Zögern mit traum-<br />

wandlerischer Sicherheit eine gute Mahlzeit nach der anderen ab und ein Lächeln breitete sich<br />

auf dem kantigen Gesicht aus. Es war nicht wichtig, dass natürlich er selbst derjenige sein<br />

würde, der auf das Essen verzichten würde. John hatte bewiesen, dass er nicht nur Glück,<br />

sondern eine Gabe hatte. John fühlte sich längst nicht so erschöpft wie nach den bisherigen<br />

Tests, entweder gewöhnte er sich allmählich daran oder die Freude über seinen Erfolg ver-<br />

drängte die Anstrengung. „Deine Entscheidung, Nummer 12? Erst die Nummer, die nichts<br />

und dann die, die die Normalzuteilung bekommt.“ Der erste Teil war leicht. „Nummer 12.“<br />

antwortete Locke ohne zu zögern. Der zweite Teil war erheblich schwieriger, im Geist ging<br />

John seine Leidensgenossen durch. <strong>Die</strong> kräftigen, jungen Männer kämen alle problemlos<br />

einen weiteren Tag mit dem üblichen, lukullischen Mahl aus, hatten aber auch schon einiges<br />

durchgemacht. Außerdem würden diese sich mehr oder weniger lautstark beschweren und<br />

damit den anderen den Genuss verderben. Ob es wohl geduldet würde, dem Bedauernswerten,<br />

auf den seine Wahl fallen würde, etwas abzugeben? Möglich wäre es durchaus. Also sagte<br />

John zögernd: „Nummer 13.“ <strong>Die</strong>ser Gil war der Einzige mit <strong>Über</strong>gewicht, außerdem schien<br />

er von physisch anstrengenden Tests verschont zu werden. Seine Nachbarinnen waren die<br />

beiden Ärztinnen, mindestens die mitfühlende Allison würde versuchen, mit ihm zu teilen.<br />

<strong>Die</strong> Glücklichen, die im Belohnungsraum gewesen waren, hatten berichtet, dass die Portionen<br />

reichlich bemessen waren, wahrscheinlich ohnehin zu viel für die junge Frau, deren zierliche<br />

Figur darauf schließen ließ, dass sie nicht gerade an Riesenportionen gewöhnt war.<br />

*****<br />

Gar zu gern hätte Mulder näheres darüber erfahren, welchen Tests Locke unterzogen<br />

worden war. Dass er häufiger abgeholt wurde und länger weg blieb als alle <strong>Anderen</strong> war für<br />

den Agent, der ständig übersinnlichen Phänomenen hinterher jagte, ein deutliches Indiz dafür,<br />

dass der mysteriöse Mitgefangene auf paranormale Fähigkeiten getestet wurde. Nun war ihm<br />

aber untersagt worden, über die psychologischen Tests zu reden, denen er selbst unterzogen<br />

worden war und er folgerte, dass auch John nicht berichten durfte, was mit ihm geschah.<br />

Offenbar war der immer so besonnen wirkende Mann auch mehr als zurückhaltend damit,<br />

über seine Fähigkeiten zu sprechen. Gerade war er wieder einmal zurück gebracht worden<br />

und hatte besser gelaunt gewirkt als sonst. Während Mulder noch über eine vorsichtige<br />

Formulierung nachdachte, um mit John ins Gespräch zu kommen, erschienen zwei Bewacher,<br />

194


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die von Zelle zu Zelle gingen und ein Blatt Papier und einen Stift hinein schoben. Neugierig<br />

hob der Psychologe das Blatt auf und identifizierte es verblüfft als Speisekarte. Es knackte im<br />

Lautsprecher und die gewohnt kalte Stimme sagte: „Ankreuzen, was ihr haben wollt.“ Einen<br />

Moment lang waren sogar die Gefangenen sprachlos, die absolut nicht auf den Mund gefallen<br />

waren, aber dann redeten alle gleichzeitig. „Was soll das nun wieder bedeuten? Wollen die<br />

kranken Schweine uns bestechen? Da sind sie bei mir schief gewickelt.“ Sawyer klang auf-<br />

gebracht. „Wo ist die Getränkekarte? Ein doppelter Scotch wäre genehm.“, bemerkte House.<br />

„Was ist mit mir? <strong>Die</strong> haben <strong>mich</strong> vergessen.“, empörte sich Gil. „Das ist bestimmt ein Irr-<br />

tum.“, antwortete Sara. Kate rief zu Sawyer rüber: „Honey, quatsch nicht dumm daher, halt<br />

die Klappe und such dir was aus.“ Ziva lachte. „Kate hat Recht, Sawyer, erbeute die Chance.“<br />

Abby lachte und Sawyer erwiderte gedehnt: „... ergreife ...“ Ziva zog eine Augenbraue hoch.<br />

„Hat noch jemand keine Karte bekommen?“, fragte Allison.<br />

Keiner antwortete. Alle waren in die Speisekarten vertief. Keiner von ihnen, auch<br />

Sawyer nicht, würden auf die einmalige Möglichkeit verzichten, zu einer vernünftigen Mahl-<br />

zeit zu kommen. Endlich etwas anders als das elende Brot. Keiner der Gefangenen brauchte<br />

länger als ein paar Augenblicke, um sich zu entscheiden. Eine der Wachen kam und sammelte<br />

die Speisekarten und Stifte ein. Gil kam nicht umhin, ziemlich genervt aus der Wäsche zu<br />

schauen. Locke hätte gerne ein paar erklärende Worte gesagt, hielt sich aber an die An-<br />

weisung, kein Wort über seine Testreihen verlauten zu lassen. Das Essen wurde erstaunlich<br />

schnell gebracht und eine Weile war nichts zu hören außer Essgeräuschen. Allison war schon<br />

auf einem Viertel der Strecke satt und überlegte, wie sie ihre Rest zu Gil hinüber bekommen<br />

konnte, ohne, dass diese vom Teller rutschten. „Gil, hier, wir müssen nur sehen, wie wir es zu<br />

dir bekommen.“, sagte sie und trat an das Gitter. „So wird das nichts. Halte den Teller fest<br />

und ich esse durch die Gitterstäbe.“, meinte Gil schließlich. „Gute Idee.“ Allison hielt den<br />

Teller ans Gitter und auch, wenn es etwas umständlich für Gil war, kam er so doch noch zu<br />

einer vernünftigen Mahlzeit. Kurz dachte Allison darüber nach, dass es für sie unter Um-<br />

ständen üble Konsequenzen haben könnte, aber nun war es ohnehin zu spät. Sara hatte sofort<br />

denselben Gedanken gehabt. Sie aß kaum die Hälfte von dem, was es in ihrer großen Portion<br />

gab. Den Rest teilte auch sie mit Gil. Auf der anderen Zellenseiten machte Heather das<br />

Gleiche mit Locke, denn auch er hatte keine Karte bekommen. <strong>Die</strong> junge Frau schaffte ihre<br />

Portion auch nicht annähernd und so war es selbstverständlich, dass sie mit Booth und Abbys<br />

Hilfe ihre Reste unter erheblichem Aufwand und unter Zuhilfenahme der Finger zu Locke<br />

schaffen ließ. Irgendwie gelang es, wenn auch mit einigen Verlusten. Selbst die jungen<br />

Männer schafften ihre Portionen nicht, denn ihrer aller Mägen hatten sich inzwischen an die<br />

eher schmalen Rationen so gewöhnt, dass die großen Portionen zu viel waren. Als alle Teller<br />

eingesammelt worden waren, lagen alle vollgestopft und müde auf den Liegen. Das grüne<br />

195


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Licht war während des Essens ausgeschaltet und in rotes Licht umgetauscht worden, aber<br />

niemand hatte im Moment Interesse, zu Reden. Und dann ging das Licht im Kerker aus.<br />

Minuten später waren aus allen Zellen eindeutige Schlafgeräusche zu vernehmen.<br />

Piranhas<br />

Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die<br />

Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie auch ist.<br />

Sir Arthur Conan Doyle<br />

Bones dämmerte gelangweilt in ihrer Zelle vor sich hin. Sie dachte darüber nach, dass<br />

Camille Saroyan, ihre neue Vorgesetzte, und ihre Mitarbeiter Jack Hodgins, Zack Addy und<br />

Angela Montenegro wohl inzwischen jeden Stein umdrehten, um sie zu finden. Dann dachte<br />

sie an das herrliche Essen vom Vorabend. Solche <strong>Über</strong>raschungen durfte es gerne häufiger<br />

geben. Als plötzlich ihre Nummer und die von Booth aufgerufen wurden, kam das etwas<br />

überraschend. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass man sie mit ihm zusammen für Tests<br />

holen würde. Sie erhob sich von ihrer Liege und stellte sich an die Tür. Booth fragte sich<br />

auch, was das sollte, trat aber ebenfalls kommentarlos an die Gittertür und ließ sich Augen-<br />

blicke später die Handgelenke fesseln. Ihre Zellen wurden geöffnet und von je zwei Wach-<br />

leuten eingerahmt, wurden Booth und Tempe unter den besorgten Blicken ihrer Leidens-<br />

genossen aus dem Kerkerbereich geführt. Bones warf Seeley einen fragenden Blick zu. <strong>Die</strong>ser<br />

verzog das Gesicht und zuckte die Schultern. Tempe fiel es extrem schwer, nichts zu sagen.<br />

Sie war einfach nicht der Mensch, den man so ohne weiteres mundtot machen konnte. Nur die<br />

Tatsache, dass nicht sie selbst dafür bestraft wurde, sondern einer ihrer Leidensgenossen,<br />

machte die junge Anthropologin gefügig. Sie folgten ihren Bewachern, bis sie nach zwei<br />

schweren Stahltüren in einen kahlen, weißen Flur traten und dort zu einem Fahrstuhl gebracht<br />

wurden. Es ging vier Etagen nach unten, dann öffneten sich die Fahrstuhltüren und die Beiden<br />

wurden weiter geführt. Der Flur hier unten unterschied sich nicht im Geringsten von dem<br />

Flur, den sie eben verlassen hatten. <strong>Die</strong>se Gleichförmigkeit war auf ihre Weise schon beein-<br />

druckend.<br />

*****<br />

196


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kaum hatte sich die Tür hinter den Abgeführten geschlossen, ertönte wieder die Laut-<br />

sprecherstimme: „Nummer 12.“ <strong>Über</strong>rascht, aber ohne Zögern ließ John Locke sich ebenfalls<br />

hinaus führen.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> beiden Gefangenen wurden zu einer Tür geführt, die sich, wie alle anderen Türen<br />

in diesem scheinbar sehr großen Gebäudekomplex, elektronisch, ohne das Dazutun der Wach-<br />

leute, öffnete. Booth wurde ohne viel Federlesen an die Wand gestellt und dort mittels eines<br />

in dieselbe eingelassenen Karabinerhakens fixiert. Bones wurde auf ein Stahlgestell aufmerk-<br />

sam, dass ein paar Schritte entfernt stand und an eine Bergungstrage erinnerte. Es bestand aus<br />

festen, breiten Streben mit einem stabilen Rahmen darum und hatte am oberen und unteren<br />

Ende vier Metallschellen, um dort etwas zu fixieren. Bones wurde aufgefordert, mit dem<br />

Rücken an dieses Gestell zu treten und mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magen-<br />

gegend gehorchte sie. Ihre Hand und Fußgelenke wurden nun mit den erwähnten Schellen an<br />

dieser Trage befestigt. Als das geschehen war, wurden zwei breite Lederriemen über ihre<br />

Brust und Hüfte gelegt und hinter der Trage zusammen gehakt. Bones Herz klopfte schneller.<br />

Sie war bewegungsunfähig an die Trage gefesselt und begann, sich ernsthafte Sorgen zu<br />

machen, was das werden sollte. Booth ging es ähnlich. Er hatte die seltsamen Vorbereitungen<br />

mit unbeweglicher Miene beobachtet und fragte sich, auf was das Ganze hinaus laufen würde.<br />

<strong>Die</strong> Wachleute befestigten mittels Stahlhaken ein dickes Seil, das sich in vier Enden aufteilte,<br />

an der Rückseite der Trage und dann erschrak Brennan heftig, als sie mit samt der Trage an<br />

diesem Seil plötzlich angehoben wurde. <strong>Die</strong> Wachleute drehten sie langsam herum, bis sie<br />

mit dem Gesicht nach unten in der Luft an dem Seil baumelte. Erst jetzt ging im hinteren Teil<br />

des Raumes ein grelles Licht an. Was es offenbarte, ließ sowohl Booth als auch Tempe das<br />

Blut in den Adern gefrieren.<br />

Im hinteren Teil des erstaunlich großen Raumes erkannten die beiden Gefangenen eine<br />

Art Bassin aus dickem Glas, wohl 5 x 5 Meter groß und mindestens 3,50 Meter tief. Das<br />

Becken war bis oben mit Wasser gefüllt und in diesem Wasser schwamm ein großer Schwarm<br />

Roter Piranhas, eine der bekanntesten Arten dieser gefährlichen Serrasalmus. Bones kannte<br />

diese Raubfische von einem Aufenthalt in Saò Paulo. Dort kam es durch diese Raubfische<br />

besonders in Stauseen immer wieder zu schlimmen Attacken auf Badende. Booth kannte<br />

weder die Verbreitung noch die genaue Bezeichnung, aber dass es Piranhas waren, die dort in<br />

dem Becken herum schwammen, wusste er trotzdem. Einer der Wachleute trat auf Bones zu<br />

und zog ein Cuttermesser aus der Hosentasche. Damit fügte er ihr ohne auch nur mit der<br />

Wimper zu zucken, ein paar oberflächliche kleine Schnitte an Armen und Beinen zu, die<br />

197


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sofort heftig bluteten. Bones schrie vor Schreck und Empörung auf. „Bist du irre, du Idiot!“<br />

„Hey. Hör sofort auf damit, du Arsch!“, tobte Booth los. Er zerrte hasserfüllt an seinen<br />

Fesseln. „Was soll der Scheiß? Lasst sie wieder runter.“ <strong>Über</strong>haupt keine Reaktion von dem<br />

Wachmann zu erhalten war schlimmer, als ausgelacht oder angebrüllt zu werden. Das war ein<br />

Gefühl, als wäre man Luft. Es gab einen Ruck, und Bones schwebte langsam und mit sachtem<br />

Schwanken genau über das Becken. Dort ließ man sie hängen. Dann trat einer der Wachleute<br />

zu Booth und befreite diesen aus den Handschellen. Ein Blick in die vier Augenpaare der an-<br />

wesenden Bewacher machte Booth völlig klar, dass jeder Versuch, die Männer anzugreifen,<br />

für ihn nur in einem Desaster enden konnte. Bones rief in diesem Moment: „Booth. Tu doch<br />

etwas.“, und Booth drehte sich zu ihr und eilte an das Becken.<br />

<strong>Die</strong> Wachleute verließen den Raum, Booth und Bones waren alleine. Seeley stand am<br />

Bassin und starrte hilflos zu der über dem Wasser baumelnden Anthropologin hoch. In ihren<br />

graublauen Augen erkannte er Angst. Das war ein ganz neuer Anblick für Booth, der die<br />

Freundin und Partnerin fast nur kühl und überlegen kannte. Bones leistete sich selten offene<br />

Gefühlsausbrüche. Daher konnte Booth seine eigenen Gefühle für sie so schlecht einordnen.<br />

Sie dort oben hilflos hängen zu sehen und nichts für sie tun zu können, machte Booth unruhig.<br />

Und dann erschrak er heftig, als plötzlich hinter dem Becken, verzerrt durch das Wasser, ein<br />

Raum sichtbar wurde. Booth erkannte, dass niemand geringeres als John Locke in diesem<br />

kleinen Raum stand und erschrocken zu Bones hoch schaute.<br />

198<br />

*****<br />

Eher in freudiger Erwartung als Sorge sah John seiner nächsten Aufgabe entgegen.<br />

Durch die Erfolge, die er in den bisherigen Tests erzielt hatte, war sein Vertrauen in seine<br />

paranormalen Fähigkeiten gewaltig gewachsen. Was auch immer diese Leute nun von ihm<br />

verlangen würden, er war zuversichtlich, dass er gut Abschneiden würde. Neugierig sah sich<br />

Locke in dem kleinen Raum um, in den er geführt worden war. Bevor er sich ein genaueres<br />

Bild seiner Umgebung machen konnte, fiel sein Blick auf ein Fenster und sein Herzschlag<br />

setzte einen Moment lang aus, als er entsetzt erkannte, in welcher furchtbaren Lage sich die<br />

Anthropologin befand. Hören konnte John nicht, was im Nebenzimmer vorging, aber der An-<br />

blick war mehr als ausreichen, den sonst so besonnenen Mann in Angst und Schrecken zu<br />

versetzen.<br />

*****


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Offensichtlich war er ähnlich schockiert wie sie und Booth. Hektisch wandte er den<br />

Blick wieder auf etwas vor ihm, das Booth nicht erkennen konnte. Und dann ertönte eine<br />

Lautsprecherdurchsage: „Nummer 12, vor dir hast du eine Anordnung von zwölf Schaltern.<br />

Zehn dieser Schalter werden bei Betätigung die Trage, an der Nummer 6 festgeschnallt ist,<br />

jeweils drei Zentimeter absenken.“ Bones keuchte erschrocken auf, als sich die Trage mit ihr<br />

ein Stück dem Wasser entgegen senkte. „Einer der Schalter stoppt die Abwärtsbewegung und<br />

einer rettet Nummer 6 das Leben, in dem er die Trage wieder hochfährt. Wir werden Nummer<br />

6 jetzt in die Startposition bringen, dann wird die Trage langsam abgesenkt. Zehn Minuten,<br />

wenn du bis dahin nicht den richtigen Schalter hast, ist Nummer 6 Geschichte. Nummer 6,<br />

hoffe für dein Leben, dass die Fähigkeiten von Nummer 12, über die du so gelacht hast, wirk-<br />

lich vorhanden sind, sonst bist du in zehn Minuten tot.“<br />

*****<br />

Entsetzen und Panik schlugen über Locke zusammen wie eine Woge. Er rang nach<br />

Luft, während er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. „Bitte…ich kann das nicht.“, keuchte<br />

er verzweifelt. „Neun Minuten.“ Hektisch wandte John sich der Schalttafel zu. Er hatte nicht<br />

die geringste Ahnung, welcher Schalter der Rettende war. Mit dem Ärmel des albernen<br />

Kittels wischte er sich den Schweiß aus den Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Er<br />

musste einfach den richtigen Schalter finden. Zögernd betätigte Locke den ersten Schalter<br />

und starrte gebannt auf die Glasscheibe. Verdammt, falsch. Das wehrlose Opfer sackte tiefer.<br />

„Sieben Minuten.“<br />

*****<br />

Bones und Seeley hatten mit wachsendem Entsetzen zugehört, als diese Durchsage er-<br />

klang. Sie zuckten erneut zusammen, als nun ein lautes Tröten erklang und gleichzeitig an der<br />

Wand links eine Stoppuhr erschien, die anfing, zehn Minuten rückwärts zu zählen. Ganz lang-<br />

sam, Millimeter für Millimeter, sank die Trage mit der daran fest geschnallten Bones dem<br />

Wasser und damit den Piranhas entgegen. Booth starrte vollkommen hilflos zu Bones hoch,<br />

der die ersten Tränen über das Gesicht liefen. Ihr wissenschaftlich logischer Verstand<br />

weigerte sich einfach, zu glauben, dieser Locke hätte mentale oder psychische Kräfte, die es<br />

ihm ermöglichten, eine solche Aufgabe zu meistern. Sie war sich sicher, hier und jetzt auf<br />

ziemlich grausame Weise zu sterben. Immer mehr Tränen liefen über ihr bleiches Gesicht.<br />

Und dann ertönte erneut eine Durchsage: „Nummer 1, du kannst es dir ansehen oder den<br />

Raum verlassen.“ Bones schrie entsetzt auf: „Booth. Lass <strong>mich</strong> nicht alleine, bitte!“ <strong>Die</strong> Uhr<br />

war runter gelaufen auf 7.30 und Bones fühlte immer mehr Panik in sich hoch kochen. Sie<br />

199


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

starrte in das Becken mit den mörderischen Fischen und ihr Verstand fing unwillkürlich an,<br />

darüber nachzudenken, wie langes es dauern würde, bis ihr Herz vom Schock und Blutverlust<br />

geschwächt, einfach aufhören würde, weiter zu schlagen. Das Ergebnis ließ sie verzweifelt<br />

aufschluchzen. Ihr war plötzlich klar, dass ihr Tod langsam und qualvoll sein würde. Booth<br />

hatte nicht mal auf die Durchsage reagiert. Er rannte im Raum herum und suchte, ob er<br />

irgendwas finden würde, um Bones zu helfen. Aber die Hebevorrichtung war über dem<br />

Becken in vier Metern Höhe an einer Schiene befestigt. Ohne auf die schnelle Fliegen zu<br />

lernen hatte er nicht den Hauch einer Chance, Bones zu helfen.<br />

*****<br />

So ging das nicht. John musste sich beruhigen, seinen inneren Focus finden, um seine<br />

Kräfte anzapfen zu können. Er wandte sich von der Schalttafel ab und setzte sich auf den<br />

Boden, versuchte eine möglichst entspannte Haltung einzunehmen und tief und ruhig zu<br />

atmen. Er schloss die Augen und wartete auf das vertraute Gefühl...<br />

*****<br />

Und als diese Erkenntnis in Booth‟ Verstand vordrang, fühlte er urplötzlich eine der-<br />

artige Panik in sich aufkommen, dass dem jungen FBI Agent schlecht wurde. Sein Herz raste<br />

und er zitterte am ganzen Körper. Das konnte doch wohl nicht der Ernst dieser Leute sein. Sie<br />

konnten doch nicht Bones auf so grausame Weise umbringen. Er brüllte, bebend vor Hass und<br />

Angst, los. „Lasst sie sofort da raus, ihr elenden Schweine!“ Er schlug gegen das Becken, als<br />

könne er es einreißen und Bones so befreien. <strong>Die</strong>se schluchzte inzwischen in heller Panik:<br />

„BOOTH! Hilf mir doch. Bitte. Hilf mir.“ Ihr Blut aus den unbedeutenden, kleinen Schnitt-<br />

wunden tropfte ins Wasser und ließ es kochen. <strong>Die</strong> Raubfische unter ihr wurden immer<br />

hektischer. Sie schienen zu spüren, dass sich leckeres Futter näherte. <strong>Die</strong> Stoppuhr zeigte 5.23<br />

und das Wasser kam immer näher. Booth geriet selbst immer mehr in Panik. Er brüllte:<br />

„LOCKE! Tu was. Tu endlich was, verdammt!“ Plötzlich gab es einen Ruck und Bones<br />

sackte mit einem gellenden Angstschrei drei Zentimetertiefer. „NEIN! Bitte.“ Booth hatte vor<br />

Entsetzen mit aufgeschrien. „NEIN!“ Jetzt stand er zitternd da und konnte nichts mehr tun, als<br />

auf das Ende zu warten. Verzweifelt starrte er in Tempes tränenüberströmtes, leichenblasses<br />

Gesicht. „Ich kann nichts tun ...“, flüsterte er hilflos, fast gebrochen. „Es tut mir so leid ...“<br />

*****<br />

200


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

John nahm seine Umgebung nicht mehr war, vor seinem inneren Auge erschien das<br />

Bild, wie er den Schalter mit der Nummer drei betätigte. Langsam stand er auf und ging mit<br />

schleppenden Schritten zur Schalttafel. Zu schwer lastete die Verantwortung für das Leben<br />

der jungen Frau auf ihm als dass er seiner Vision getraut hätte. Wenn er einen Fehler machte,<br />

war sie tot. Zögernd verharrte die Hand über Schalter Nummer drei.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Uhr zeigte 2.34 und Bones lange Haare berührten fast die Wasseroberfläche. Als<br />

die ersten Raubfische aus dem Wasser schnellten, um nach ihr zu schnappen, verlor die<br />

Anthropologin das letzte bisschen Beherrschung. In panischem Entsetzen schrie sie ihre<br />

Angst hinaus. Jeder einzelne Schrei schien Seeley wie ein Messerstoß zu treffen. 1.56 Einer<br />

der Raubfische erwischte Bones am Oberarm. Booth schrie entsetzt: „Nein, nicht!“ Jetzt fing<br />

die kalte Lautsprecherstimme an, die letzten sechzig Sekunden herunter zu zählen: „60, 59, 58<br />

...“ Bones war vollkommen außer sich. Sie schrie ihre Todesangst hinaus. „35, 34, 33.“<br />

*****<br />

Er musste es riskieren. Mit zitternder Hand betätigte Locke den Schalter Nummer drei<br />

und wandte sich mit angehaltenem Atem der Glasscheibe zu.<br />

*****<br />

Und dann gab es bei dreiunddreißig einen leichten Ruck. Und plötzlich schwebte sie<br />

wieder der Decke entgegen. Ein weiterer, leichter Ruck und sie wurde aus dem Beckenbereich<br />

gefahren und neben dem Bassin langsam abgesenkt, bis Booth sie in Empfang nehmen<br />

konnte.<br />

*****<br />

Ja. Er hatte es geschafft. <strong>Die</strong> Anthropologin wurde aus dem Gefahrenbereich gefahren.<br />

Mit einem hörbaren Klicken wurde die Tür zum Nebenraum entriegelt und John wankte<br />

hinein, um zu helfen und sich zu vergewissern, dass dem Opfer nichts geschehen war. Seine<br />

zitternden Beine wollten ihn kaum tragen.<br />

*****<br />

201


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wie aus dem Himmel gefallen stand plötzlich Locke neben Booth und half ihm, die<br />

Trage mit der hysterisch weinenden Temperance herum zu drehen und die junge Frau endlich<br />

zu befreien. Booth hielt sie fest, während Locke die Fesseln löste. Wimmernd sackte Tempe<br />

in Booth‟ Arme und klammerte sich schluchzend an ihm fest. Locke verschwand wortlos so<br />

schnell, wie er aufgetaucht war. Booth stand da, mitten im Raum, Tempe auf dem Arm und<br />

versuchte, sie zu trösten.<br />

Und dann kamen ihre Bewacher wieder in den Raum. Wortlos packten sie Seeley am<br />

Oberarm und zogen ihn, ohne dass er Bones absetzen musste, mit sich. Es ging in den Fahr-<br />

stuhl und drei Minuten später trug Booth die immer noch heftig schluchzende, sich zitternd an<br />

ihm fest klammernde Bones an den Zellen, aus denen sie entsetzt gemustert wurden, vorbei.<br />

Booth rechnete damit, Bones in ihre Zelle bringen zu müssen, wurde aber angenehm über-<br />

rascht, als sich der Belohnungsraum öffnete und er den Befehl erhielt: „Rein da.“ Er trat ein<br />

und hinter ihm schloss sich die Tür. Er sah sich um und erkannte an der Stirnwand eine Tür.<br />

Er ging darauf zu und fand hinter der Tür das Schlafzimmer, dass Sawyer, Kate. Jake und<br />

Heather erwähnt hatten. Schnell stieß er mit dem Fuß das Zudeck auf der linken Bettseite<br />

zurück und legte Tempe sanft auf das Bett nieder. Sie klammerte sich immer noch am ganzen<br />

Körper zitternd an ihn und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu ihr zu setzen. „<strong>Die</strong><br />

würden uns doch umbringen. Das kann nicht wahr sein.“, schluchzte die sonst so beherrscht<br />

wirkende Anthropologin panisch. „Hey, nun beruhige dich mal ein bisschen, Honey. Es ist ja<br />

vorbei.“ Viel zu spät bemerkte Seeley, dass er Bones gerade Honey genannt hatte. Sie selbst<br />

schien es zum Glück nicht mit bekommen zu haben. Ganz allmählich beruhigte sie sich in<br />

seinen Armen und schließlich ließ sie sich schniefend zurück sinken. Booth stand auf und<br />

ging schnell ins Wohnzimmer. Er sah sich um und entdeckte die Bar, von der die <strong>Anderen</strong>,<br />

die schon hier hatten sein dürfen, erzählt hatten. Er schenkte zwei Whiskey ein und kehrte<br />

dann zu Bones ins Schlafzimmer zurück. „Hier, trink, das beruhigt die Nerven.“, sagte er<br />

liebevoll und drückte Tempe eines der Gläser in die Hand. Sie setzte sich auf und griff mit<br />

zitternden Händen danach. „Auf Locke.“, sagte Booth ironisch. Tempe nickte. „Auf Locke.“<br />

Sie kippte den Alkohol in sich hinein, dann legte sie sich wieder zurück. Minuten später war<br />

sie eingeschlafen vor Erschöpfung. Sie war fix und fertig.<br />

Booth stand leise auf und sah sich in der kleinen Wohnung gründlich um. Er entdeckte<br />

das Bad und zögerte keinen Moment. Kittel ausziehen und unter die Dusche gehen waren<br />

eins. Als er unter dem warmen Wasserstrahl stand, überkam Seeley noch einmal das große<br />

Zittern. Er hielt das Gesicht in den Wasserstrahl, stützte sich an der Duschwand ab und ver-<br />

suchte, seine Empfindungen zu sortieren. Was in ihm vorgegangen war, als Bones da hing<br />

und drohte, in das Becken mit den gefährlichen Raubfischen abgesenkt zu werden, hatte ihn<br />

202


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

selbst vollkommen überrascht. Er versuchte, sich darüber klar zu werden, ob die Gefühle, die<br />

er plötzlich empfand, auf die Stresssituation hier zurück zu führen waren, oder ob er das<br />

schon lange empfand, es nur nie gemerkt hatte, oder nicht hatte merken wollen. Sich mit den<br />

Händen das Wasser aus dem Gesicht streifend musste er zugeben, dass er wohl schon länger<br />

mehr für Bones empfunden hatte, als ihm selbst klar gewesen war. Himmel, dass durfte sie<br />

nicht erfahren. Sie würde ihn nur noch auf den Arm nehmen. Und falls sie hier lebend raus<br />

kommen sollten, würde er sich schnellstens etwas einfallen lassen müssen, um diese Gefühle<br />

wieder aus dem Kopf zu bekommen. Das fehlte auch noch. Er, Seeley Booth, verliebt in<br />

Bones. Der FBI Agent schüttelte entschieden den Kopf. Das kam gar nicht in Frage. Er stieg<br />

unter der Dusche hervor und trocknete sich ab. Dann wickelte er sich das Handtuch um die<br />

schlanke Hüfte und ging ins Schlafzimmer zurück. Als er an Tempes Bett stand und auf die<br />

junge Frau herunter sah, die heute fast vor seinen Augen grausam umgebracht worden wäre,<br />

musste Booth jedoch zugeben, dass es zu spät war. Er liebte Bones, ob er wollte oder nicht.<br />

Entnervt setzte er sich ins Wohnzimmer und nahm sich eine Cola aus der Minibar.<br />

Wenn sie das je erfahren würde, konnte Booth sich warm anziehen. Wie konnte das nur an-<br />

gehen? Er versuchte, sich ins Gedächtnis rufen, seit wann er so für die Anthropologin<br />

empfand, aber er konnte sich nicht erinnern, das überhaupt vorher schon mal gefühlt zu<br />

haben. Wie lange er dort saß und nachdachte, war Booth gar nicht bewusst. Irgendwann hörte<br />

er eine leicht verschlafene Stimme rufen. „Booth? Wo bist du?“ Er stand auf und schlenderte<br />

ins Schlafzimmer. Lächelnd lehnte er im Türrahmen und sah zu Bones hinüber, die ihm ver-<br />

wirrt entgegen schaute. Ihm wären spontan ein paar Sachen eingefallen, die er jetzt gerne ge-<br />

macht hätte. Kopfschüttelnd rief er sich selbst zur Ordnung. Bones saß im Bett, sah zu ihm<br />

und sagte leise: „Hey, ich dachte schon, du bist weg. Habe ich lange geschlafen?“ Booth blieb<br />

in der Tür stehen, lässig an den Rahmen gelehnt, und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht sehr<br />

lange, falls mein Zeitempfinden noch einigermaßen funktioniert. Und, geht es wieder?“ Bones<br />

schlug die Bettdecke zurück und schwang die schlanken Beine aus dem Bett. <strong>Die</strong> kleinen<br />

Schnitte, die man ihr zugefügt hatte, hatten längst aufgehört zu bluten und auch die Biss-<br />

wunde an ihrem Oberarm, wo der Fisch ein kleines Stück Haut erwischt hatte, hatte nur kurz<br />

geblutet. Bones sah sich die Wunde an, die knapp unterhalb des kurzen Ärmels ihres Kittels<br />

lag und Booth konnte sehen, dass die junge Frau von einem Schauer geschüttelt wurde. Sie<br />

sah ihn an und sagte leise: „Wenn Locke nicht gewesen wäre ... Booth, war das Zufall oder<br />

...?“<br />

Rorschach und Co.<br />

203


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Alles, was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch<br />

sagen.<br />

Voltaire<br />

Im Zellentrakt hatte man darüber debattiert, was Bones wohl angetan worden war.<br />

Dann jedoch war das grüne Licht gegen das Rote ausgetauscht worden und es herrschte<br />

Schweigen. Jeder Möglichkeit beraubt, so bestimmte Ereignisse mit den Leidensgenossen zu<br />

besprechen, war für die meisten schwer zu ertragen. Da man nie wusste, was den Betroffenen<br />

angetan worden war, es herrschte ja striktes Redeverbot über die Versuche, wurde die Angst<br />

bei denen, die noch nicht an die Reihe gekommen waren, kräftig geschürt. Sawyer dachte<br />

darüber nach, was er empfinden würde, wäre er irgendwann gezwungen, Kate in einer derart<br />

desolaten Verfassung hierher zurück zu bringen. Ähnliche Gedanken gingen Jake bezüglich<br />

Heather durch den Kopf. Keiner der Gefangenen zweifelte mehr daran, dass sie hier wohl<br />

noch einige Zeit ausharren mussten und dass ihre freundlichen Gastgeber noch lange nicht mit<br />

ihrem Latein am Ende waren. Ganz im Gegenteil, es machte den Anschein, als würden die<br />

Herrschaften sich gerade erst warm laufen. Gibbs fasste für sich selbst zusammen. - Wenn die<br />

erst mal Betriebstemperatur erreicht haben, Gnade uns allen Gott. -<br />

Am Morgen des folgenden Tages wurden Booth und Bones in ihre Zellen zurück ge-<br />

bracht, mit der dringenden Auflage, über alles, was geschehen war, Schweigen zu wahren.<br />

Angesichts einer klar ausgesprochenen Drohung, dass es im Falle einer Zuwiderhandlung zu<br />

sehr unangenehmen Strafmaßnahmen kommen würde, begnügten die Beiden sich damit, ihre<br />

gespannt auf Erklärungen wartenden Mitgefangenen mit dem Hinweis: „<strong>Die</strong> haben uns was<br />

zu essen gegeben und wir durften Duschen.“, abzuspeisen. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> verstanden. Keine<br />

Auskünfte. Nachdem sie alle mehr oder weniger angewidert auf ihrem Brot herum gekaut und<br />

ihre Vitamine geschluckt hatten, ertönte plötzlich die Durchsage: „Nummer 2, 4, 9 und 10.“<br />

Jake, House, Heather und Cameron erschraken. Was wollten die von ihnen? Nervös traten die<br />

vier genannten an die Gittertüren und ließen sich Augenblicke später Handschellen anlegen.<br />

Durch einige Flure wurden die vier in den gleichen Experimentalraum geführt wie zuvor die<br />

anderen Gruppen.<br />

„2 Kabine 1, 9 Kabine 2, 4, Kabine 3, 10, Kabine 4.“ <strong>Die</strong> Verteilung erfolgte kurz und<br />

bündig. Heather und Cameron warfen den Männern noch angstvolle Blicke zu, dann wurden<br />

sie voneinander getrennt und in die kleinen Kabinen verteilt. House setze sich an den Tisch in<br />

seiner Kabine und einen Moment später kam eine Wache herein und reichte ihm wortlos<br />

204


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

einen Stapel schwarz-weiß Bilder. <strong>Die</strong> beiliegende Instruktion war simpel. Was siehst du auf<br />

diesen Bildern? House betrachtete das erste Bild. Ein Junge vor einer Tafel, auf der etwas<br />

geschrieben stand, das man nicht lesen konnte. Der Junge sah seinen Lehrer an und wirkte<br />

nervös. House betrachtete das Bild einen Moment. Dann schrieb er: „Nein, Herr Lehrer, ich<br />

habe das nicht geschrieben. Ich weiß aus erster Hand, dass ihre Frau weder hässlich noch<br />

frigide ist.“ Das zweite Bild zeigte einen Mann, der neben einem Bett stand, auf dem eine<br />

nackte, reglose Frau lag. Ihr Blick war von dem Mann abgewendet. Der Mann hielt die Hand<br />

vors Gesicht, es sah aus als würde er weinen. House grinste. „Der Kerl hat keinen hoch ge-<br />

kriegt und jetzt ist seine Alte beleidigt.“<br />

Das nächste Bild zeigte einen Mann zwischen vielen Grabsteinen. House schrieb nach<br />

kurzer <strong>Über</strong>legung: „Der Mann hat eine noch fatalere Neigung zum Heiraten wie jemand, den<br />

ich kenne. Dummerweise lebte er in einer Zeit, in der es noch keine Scheidung gab, also<br />

musste er seine Frauen auf andere Art loswerden…“ Er grinste zufrieden. Das vierte Bild<br />

zeigte einen Mann, der im Bett lag und sein Gesicht abgewandt hatte. <strong>Die</strong> Schlafzimmertür<br />

stand offen und im Flur stand eine Frau, die gegen die geöffnet Tür lehnte und ihr Gesicht mit<br />

einer Hand bedeckte. „<strong>Die</strong> Frau ist etwas prüde und hat den Vorschlag ihres Mannes nicht so<br />

gut aufgenommen, mal einen flotten Dreier mit ihrer Schwester auszuprobieren.“ Fast war<br />

Greg ein wenig enttäuscht, als er alle Bilder interpretiert hatte. Er legte die Bilder und den<br />

Interpretationsbogen weg und wartete. Bald erschien die Wache erneut, nahm den Bogen und<br />

die Bilder mit und ließ House einen Fragebogen da. Ein kurzer Blick sagte diesem, dass es<br />

sich um einen Persönlichkeitstest handelte.<br />

House las die erste Frage laut und lachte. „Ich versuche, zu jedem, dem ich begegne,<br />

freundlich zu sein.“ „Klar Leute, ich kann es einfach nicht ertragen, wenn jemand <strong>mich</strong> nicht<br />

mag.“, sagte er in gespielt weinerlichem Ton in Richtung Kamera. Er kreuzte aber trifft nicht<br />

zu an. Auch bei der nächsten Frage kreuzte House grinsend, und ohne einen Moment zu<br />

zögern trifft nicht zu an. „Ich bin als herzliche und freundliche Person bekannt.“ Bei der<br />

dritten Frage verging House das Lachen. „Manchmal erscheint mir alles ziemlich düster und<br />

hoffnungslos.“ Das traf auf ihn sehr wohl zu. Seit seinem Muskelinfarkt, den darauf<br />

folgenden chronischen Schmerzen und der Trennung von seiner Freundin Stacy erschien ihm<br />

das Leben ziemlich häufig sehr düster. Aber das ging diese Leute nicht das Geringste an.<br />

Trotzig kreuzte er ein drittes Mal trifft nicht zu an. Auch bei Frage 4 entschloss House sich zu<br />

lügen. „Wenn ich durch irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt, innerlich erregt<br />

oder aus dem Gleichgewicht gebracht worden bin, denke ich, mir bleibt auch nichts erspart.“<br />

<strong>Die</strong>se Gedanken waren House durchaus schon gekommen, aber er würde seinen Entführern<br />

205


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht die Genugtuung geben zuzugeben, dass er gegen Selbstmitleid nicht immun war. Trifft<br />

nicht zu, kreuzte er entschlossen an.<br />

Auch Cameron bearbeitete in der Nachbarkabine gerade einen Fragebogen. Sie be-<br />

schloss, alle Fragen ehrlich zu beantworten. Sie hatte nicht wirklich etwas zu verbergen und<br />

hatte mehr Angst vor der Bestrafung der Entführer, sollte sie beim Lügen ertappt werde, als<br />

davor, diesen Leuten Einblick in ihre Gedanken zu geben. „Ich arbeite mehr als die meisten<br />

Leute, die ich kenne.“ Cameron kreuzte trifft zu an. Sie arbeitete immer hart. Wenn sie gerade<br />

keinen Fall hatten, half sie in der Klinikambulanz aus, oder wo sonst gerade jemand gebraucht<br />

wurde und nebenbei erledigte sie den ganzen Papierkram für ihre Abteilung, was eigentlich<br />

House„ Aufgabe wäre. <strong>Über</strong> die nächste Frage dachte sie einen Moment nach. „Der Wunsch<br />

besser zu sein als andere ist ein großer Ansporn für <strong>mich</strong>.“ Cameron war ehrgeizig und<br />

Erfolg war ihr wichtig, das stimmte. Aber das war nicht ihr Hauptansporn. Sie wollte<br />

Menschen helfen und das richtige tun. Also kreuzte sie trifft eher nicht zu an. <strong>Über</strong> die<br />

nächste Frage musste sie nicht lange nachdenken. „Wenn ich mit anderen zusammenarbeite,<br />

übernehme ich gewöhnlich die Initiative.“ Cameron kreuzte trifft eher nicht zu an. Sie konnte<br />

sich durchsetzen, wenn es ihr wichtig war, zog es aber vor, in einem gleichberechtigten Team<br />

zu arbeiten.<br />

Nachdem Allison den Fragebogen vollständig ausgefüllt hatte, wurden ihr einige<br />

Tintenklecksbilder, teils in Farbe und teils schwarz-weiß, gebracht, die sie sofort als Items aus<br />

dem Rorschachtest erkannte. Sie kannte den Test aus der Zeit, die sie während ihrer Aus-<br />

bildung in der psychiatrischen Abteilung verbracht hatte. Das erste Bild erinnerte Cameron an<br />

eine dieser Masken, die sie in einem Museum für afrikanische Kunst gesehen hatte. Sie<br />

schrieb Maske unter das Bild und sah sich das zweite an. Es sah aus wie zwei Leute, die<br />

einander gegenüber standen und sich an den Händen hielten. Cameron schrieb auf Paar beim<br />

Tanzen. In Bild Nummer 3 sah Cameron zwei Figuren, die sich bückten und zwei Enden<br />

irgendeines Gegenstandes hielten. An den Rändern des Bildes sah sie etwas, das sie an Zöpfe<br />

erinnerte. Sie schrieb Zwei Frauen, die um einen Gegenstand streiten. Im vierten Bild er-<br />

kannte Cameron auf den ersten Blick gar nichts. <strong>Die</strong> einzelnen Teile schienen nicht zu-<br />

sammen zu passen. Unten im Bild sah sie etwas, das ein Rüssel sein konnte und an den Seiten<br />

große Ohren. Das erinnerte sie an eine Kinderzeichnung von einem Elefanten, bei der die<br />

Proportionen noch nicht richtig getroffen waren. Sie schrieb Elefant. Bei dem nächsten<br />

Tintenklecks musste sie nicht lange nachdenken. Es zeigte für sie eindeutig eine Fledermaus.<br />

In Bild Nummer 6 sah Cameron auch zunächst überhaupt nichts. Nach längerem <strong>Über</strong>legen<br />

kam sie zu dem Schluss, dass die Figur vage Ähnlichkeit mit einem Fell hatte und schrieb<br />

206


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bärenfell. <strong>Die</strong> nächste Figur war wieder einfach. Cameron sah zwei Figuren mit Zöpfen, die<br />

einander gegenübersaßen und sich zurücklehnten. Sie schrieb Zwei Mädchen auf einer Wippe.<br />

Heather hatte genau wie Cameron beschlossen nichts zu riskieren und auf die Fragen<br />

im Persönlichkeitstest ehrlich zu antworten. „Ich bin gerne inmitten von Trubel und Aktivi-<br />

tät.“ Heather musste nicht lange überlegen und kreuzte trifft nicht zu an. Sie war ein ruhiger<br />

Mensch und genoss es, abends auf der Coach zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen.<br />

Hektische Aktivitäten waren nicht ihr Ding. Auch die nächste Frage verneinte Heather sofort.<br />

„Ich halte <strong>mich</strong> für kontaktfreudig und selbstsicher im Umgang mit anderen Menschen.“<br />

Heather war schüchtern und unsicher im Umgang mit anderen Menschen, es dauerte immer<br />

eine Weile, bis sie ihre Hemmungen im Kontakt mit Leuten, die sie noch nicht lange kannte,<br />

überwunden hatte. Auf die nächste Frage antwortete Heather ohne zu zögern mit trifft zu. „Ich<br />

habe <strong>mich</strong> schon immer für technische Dinge, wie Autos und Flugzeuge interessiert.“ Schon<br />

als Kind hatte Heather lieber Dinge auseinander und wieder zusammen gebaut als mit Puppen<br />

zu spielen.<br />

Nachdem die junge Frau sich durch die ermüdenden Fragebogen gearbeitet hatte,<br />

wartete sie auf die nächste Aufgabe. Nach einiger Wartezeit erhielt Heather über Lautsprecher<br />

die Instruktion, den Laptop auf dem Tisch einzuschalten und das Programm in der Mitte des<br />

Desktops zu starten. Sie las die Anweisung: „Fixiere das Kreuz in der Mitte des Bildschirms.<br />

In einem der beiden Kästchen an den Seiten des Monitors wird ein Lichtreiz erscheinen.<br />

Drücke die linke Maustaste, wenn der Reiz links erscheint und die Rechte, wenn er rechts er-<br />

scheint. Reagiere so schnell wie möglich.“ <strong>Die</strong> Aufgabe war simpel, aber gerade deswegen<br />

ziemlich ermüdend. Heather hatte zwar den Eindruck, dass sie mit zunehmender Übung etwas<br />

schneller wurde, war aber nach mehreren hundert Durchgängen erleichtert, als das Experi-<br />

ment zu Ende war.<br />

Auch bei Jake begann die Testreihe mit einem Persönlichkeitstest. <strong>Die</strong> erste Frage<br />

lautete: „Manchmal erscheint mir alles ziemlich düster und hoffnungslos.“ <strong>Die</strong> ehrliche<br />

Antwort auf diese Frage hätte eindeutig ja gelautet, aber Jake würde eher sterben als diesen<br />

Bastarden gegenüber Schwäche zu zeigen. Trifft nicht zu, kreuzte er an. Jake las Frage zwei.<br />

„Ich werde wohl niemals fähig sein, Ordnung in mein Leben zu bringen.“ Er befürchtete, dass<br />

das stimmen könnte. Jake hatte in der Vergangenheit ziemlich viel Mist gebaut und hatte<br />

nicht genug Vertrauen in sich selbst, um zu glauben, dass er es in Zukunft besser machen<br />

würde. Heather würde das sicher anders sehen, aber sie hatte ihn auch nicht vor fünf Jahren<br />

gekannt. Trotz seiner Selbstzweifel kreuzte Jake genervt trifft nicht zu an. Auch bei der dritten<br />

Frage wählte Jake wahrheitswidrig die Antwortalternative trifft nicht zu. „Wenn ich durch<br />

207


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt, innerlich erregt oder aus dem Gleich-<br />

gewicht gebracht worden bin, mache ich mir Vorwürfe.“ So arbeitete er sich Punkt für Punkt<br />

durch die Fragen.<br />

Schließlich war er fertig und die Fragebögen wurden abgeholt. Nun wurden ihm eben-<br />

falls die Bilder des Rorschachtests gebracht. - Großartig. - dachte Jake wenig begeistert. -<br />

Jetzt muss ich mir auch noch Tintenkleckse ansehen. - Jake beschloss es so schnell wie mög-<br />

lich hinter sich zu bringen und sah sich das erste Bild an. Es erinnerte ihn entfernt an ein<br />

Tiergesicht. Jake hatte keine Lust, mit dieser bescheuerten Aufgabe mehr Zeit als unbedingt<br />

nötig zu verschwenden, also schrieb er ohne lange nachzudenken Wolfsgesicht. Er ging weiter<br />

zu Bild 2. Zwei Figuren, deren Hände sich berührten. Boxer beim Kampf. schrieb er. Jake<br />

warf einen Blick auf das nächste Bild. Zwei Figuren, die beide Enden eines Gegenstandes<br />

hielten. Zwei Leute, die etwas Schweres heben. Das erste, was Jake auf dem nächsten Bild<br />

auffiel war etwas, das aussah wie ein übergroßer Penis. - Oh, man. Es ist definitiv zu lange<br />

her, dass ich Sex hatte. Jetzt interpretiere ich schon Tintenkleckse sexuell. - Erigierter Penis.<br />

schrieb Jake auf. Auf dem nächsten Bild sah Jake genau wie Cameron eine Fledermaus. Er<br />

sah sich das vorletzte Bild an. - Na toll, was soll man darin schon sehen? - dachte er genervt.<br />

Auf den zweiten Blick sah der obere Teil des Bildes für Jake ein wenig aus wie ein Hunde-<br />

kopf und an den Seiten konnte man mit viel Fantasie Gliedmaßen erkennen, aber irgendwie<br />

wirkte das ganze sehr flach. <strong>Über</strong>fahrener Hund. schrieb Jake schließlich, nur, um überhaupt<br />

etwas zu antworten. Er betrachtete das letzte Bild. Zwei kleine Mädchen, deren Zöpfe zu<br />

fliegen schienen und deren Füße anscheinend nicht auf dem Boden standen. Zwei Mädchen<br />

beim Seilspringen. schrieb er unter den Klecks. Das war das letzte Bild. Jake legte den Stift<br />

aus der Hand und wartete, was nun kommen würde.<br />

Minuten später kamen zwei Wachleute in die kleine Kabine und Jake bekam den Be-<br />

fehl: „Aufstehen und Hände auf den Rücken.“ Er beeilte sich, der Aufforderung Folge zu<br />

leisten. Aus den anderen Kabinen wurden House, Cameron und Heather geholt und es ging<br />

schweigend zurück in den Zellentrakt, wo die Mithäftlinge ihnen besorgt entgegen sahen.<br />

Allgemeines Aufatmen erfolgte, als die <strong>Anderen</strong> sahen, dass es den vier Abgeholten offen-<br />

sichtlich gut ging. In ihren Zellen angekommen, nahm man ihnen die Handschellen ab, dann<br />

schlossen die Wachen die Zellentüren und verließen den Kerker. <strong>Die</strong> Gefangenen hatten<br />

grünes Licht und so wurden die Zurückgekehrten gefragt, ob sie auch Tests absolviert hatten.<br />

„Na, auch neckische Bilder interpretiert?“ Sawyer stand grinsend an seiner Zellentür und sah<br />

zu House hinüber. Der hatte sich auf die Liege gelegt und gab ein schmatzendes Geräusch<br />

von sich. „Nein, mein Kleiner, Jake und ich durften uns ne Nutte teilen.“, sagte er ge-<br />

nießerisch. Jake dachte spontan an seine Penis-Interpretation und bevor er es noch zurück<br />

208


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

halten konnte, entfuhr ihm: „Wäre ja zu schön gew...“ Er biss sich auf die Zunge. Heather<br />

hatte diese Worte sehr wohl gehört, wie alle anderen auch. House lachte boshaft, genau wie<br />

Sawyer. Bevor dieser jedoch zu einer gehässigen Bemerkung kam, fuhr ihm House da-<br />

zwischen. „Hast lange keine Nummer mehr geschoben, was? Kein Wunder, wenn man sich<br />

als Betthäschen eine Heilige aussucht.“ Kate und Ziva entfuhr ein kleines Kichern. Abby<br />

grinste und auch Jake konnte ein spontanes Grinsen nicht unterdrücken, welches ihm<br />

allerdings auf den Lippen gefror, als er zu Heather hinüber schaute.<br />

„Wozu sind diese Tintenkleckse eigentlich gut?“, fragte er hektisch, um vom Thema<br />

abzulenken. „Es handelt sich um einen Persönlichkeitstest, bei dem Komponenten wie Grund-<br />

stimmungen erfasst werden sollen. Da, wo heitere Menschen ohne psychische Probleme zum<br />

Beispiel spielende Kinder sehen, sind es für solche mit Gewalt in der Vorgeschichte eher<br />

Menschen, die kämpfen.“, erklärte Mulder gelassen. „Was hast du gesehen?“ Jake schluckte. -<br />

Na, großartig. Bin ich ein durch geknallter, gewaltbereiter Psychopath? Wunderbare Aus-<br />

sichten. - Er schwieg verbissen und dachte an die Boxer. Heather hatte Mulders Erklärungen<br />

interessiert gelauscht. Arglos fragte sie Jake: „Sag doch, was hast du aus den Tintenklecksen<br />

erkannt?“ - Himmel, warum geht das rote Licht nie an, wenn man es mal braucht? - dachte<br />

Jake entnervt. Laut sagte er: „Ein Hundegesicht, irgendwelche Leute, die etwas tragen, an den<br />

Rest kann ich <strong>mich</strong> schon gar nicht mehr erinnern.“ „Mulder, was bedeutet es, wenn man eine<br />

Fledermaus erkennt?“, wollte Cameron wissen. „Das du das Gleiche siehst wie die große<br />

Mehrheit, also völlig normal reagierst.“, grinste Mulder. Allison war zufrieden. Etwas Außer-<br />

gewöhnliches hatte sie nicht sehen wollen. Bevor das Thema noch mehr vertieft werden<br />

konnte, leuchtete zu Jakes Erleichterung nun doch das rote Licht auf. Es herrschte Schweigen.<br />

Und so blieb es auch, bis das Licht schließlich verlosch.<br />

Vae victis.<br />

Das Gute und das Böse, Belohnung und Strafe, sind die einzigen Motive eines<br />

rational denkenden Lebewesens; sie stellen die Sporen und Zügel dar, mit der die<br />

gesamte Menschheit zur Arbeit veranlasst und angeleitet wird.<br />

John Locke (Eng. Philosoph, 1632-1704)<br />

209


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Akt 1: Jakes Schuld<br />

<strong>Die</strong> Unwahrheiten liegen oft nicht in dem, was man sagt, sondern in dem, was<br />

man nicht sagt.<br />

Ludwig Marcuse<br />

„Nummer 2.“ - Verfluchter Mist. - Jake zuckte zusammen. Es war zum aus der Haut<br />

fahren. Inzwischen war jeder einzelne von ihnen so weit, heftig zusammen zu zucken, wenn<br />

seine Nummer aufgerufen wurde. <strong>Die</strong> paar Male, wo nicht etwas ausgesprochen Unan-<br />

genehmes dem Aufruf der Nummer gefolgt war, konnte man an einer Hand abzählen. Sich<br />

darüber im Klaren seiend, dass alle mehr oder weniger zu ihm starrten, stand Jake von seiner<br />

Liege auf und trat, tief durchatmend, an die Tür. Es fiel ihm von Mal zu Mal schwerer, sich<br />

die Hände fesseln zu lassen. Nur die Vernunft und vor allem das Wissen, dass jeder Wider-<br />

stand unweigerlich straight ahead zu Heather geführt hätte, unterdrückte seinen Selbst-<br />

erhaltungstrieb so weit, dass er, wenn auch mit klopfendem Herzen, die Hände durch die<br />

Luke hielt, um sie sich fesseln zu lassen. <strong>Die</strong> Wartezeit, bis die Wachen nach dem Aufrufen<br />

der Nummern endlich an der Zellentür ankamen, waren ebenfalls mit jedem Mal schwerer zu<br />

ertragen. Wenn sich die Schritte immer mehr näherten, wurde der Fluchtrieb so groß, dass es<br />

fast jeden einzelnen der Gefangenen unglaubliche <strong>Über</strong>windung kostet, ruhig stehen zu<br />

bleiben. Jake spürte seine Hände leicht zittern und biss wütend die Zähne aufeinander. Kurz<br />

ballte er die Hände zu Fäusten, dann merkte er erleichtert, dass das Zittern aufhörte. Und dann<br />

waren die Wachleute endlich da und die Handschellen schlossen sich mit dem so verhassten<br />

Klicken um seine Handgelenke.<br />

<strong>Die</strong> Zellentür sprang auf und Jake trat mit gesenktem Kopf auf den Gang. <strong>Die</strong>ses Mal<br />

wurde er wieder auf die Plattform geführt. Nicht, dass an dieser Tatsache irgendetwas Be-<br />

ruhigendes gewesen wäre. <strong>Die</strong> Quälerei des Schlafentzuges war noch hellwach in allen<br />

Köpfen. Gebannt sahen die Mitgefangenen zu, wie Jake zur Plattform gebracht wurde. Eine<br />

der Eisenstangen wurde langsam aus dem Boden gefahren und Jakes gefesselten Hände über<br />

die Stange gefädelt. Als die Stange ganz ausgefahren war, trat einer der Wachposten vor Jake<br />

hin. „Hör genau zu. Was jetzt passiert, hast du alleine zu verantworten. Du hättest ehrlich sein<br />

sollen, dann wäre das, was geschehen wird, vermieden worden.“ Jake stand da und blickte<br />

dem Typen verwirrt ins Gesicht. Dann erinnerte er sich erschrocken, dass das verboten war<br />

und senkte augenblicklich den Kopf. „Wie? Wobei gelogen? Ich verstehe nicht ...“ Laut und<br />

deutlich erwiderte der Wachmann: „Du hättest die Fragebögen wahrheitsgemäß ausfüllen<br />

210


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sollen.“ Jake war nicht der Einzige, der heftig erschrak. In einigen der Zellen zuckten die In-<br />

sassen bei diesen Worten betroffen zusammen. Und jetzt ertönte die Lautsprecherstimme er-<br />

neut. „Nummer 9.“ Heather zuckte ebenfalls zusammen, heftiger als Jake Augenblicke zuvor.<br />

Mit zitternden Knien trat sie ebenfalls an die Tür. <strong>Die</strong> Wachen traten zu ihrer Zelle und diese<br />

sprang auf. Statt ihr aber die Hände auf den Rücken zu fesseln, bekam sie den kalten Befehl:<br />

„Kittel aus.“ Heather glaubte, sich verhört zu haben. Entsetzt starrte sie die Wachen an, senkte<br />

aber augenblicklich den Blick wieder. Dann schüttelte sie entsetzt und entschieden heftig den<br />

Kopf. Jake, der den Befehl, wie alle anderen auch, gehört hatte, brüllte los: „NEIN! Ihr<br />

elenden Schweine! Lasst sie in Frieden.“ Er zerrte hilflos an seinen Fesseln. <strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

krallten genau so hilflos die Hände um die Gitterstäbe. <strong>Die</strong> Wachen reagierten weder auf<br />

Jakes verzweifeltes Brüllen noch auf Heathers Abwehr. Ruhig blieben sie stehen und warteten<br />

auf etwas. <strong>Die</strong> Kerkertür ging erneut auf und eine weitere Wache betrat den Zellentrakt.<br />

Zielstrebig ging der Mann zu Jake.<br />

Er trat von hinten an den Gefesselten heran und ehe Jake begriff, was geschah, hatte<br />

die Wache ihn fest an den Haaren gepackt und bog Jakes Kopf brutal in den Nacken. Ein<br />

leises Klicken ertönte, als der Wachposten mit der anderen Hand ein Springmesser aus der<br />

Tasche zog und dieses mit einer absolut gekonnten Bewegung aufspringen ließ. Blitzschnell<br />

legte er die Klinge an Jakes ungeschützten Hals. Jake erstarrte unwillkürlich und wagte kaum<br />

zu Atmen. Er spürte, wie die scharfe Klinge in seine Haut eindrang und biss die Zähne zu-<br />

sammen. <strong>Die</strong> Wachen in Heathers Zelle wiederholten den Befehl, ruhig und wie gut ein-<br />

gestellte Roboter. „Kittel aus.“ Heather starrte wie hypnotisiert zu Jake hinüber, dem ein<br />

einzelner Blutstropfen an der Kehle hinab lief. Verzweifelt schrie Jake: „Nein, lass es!“ Doch<br />

ein Blick zu dem Mann mit dem Messer machte Heather klar, dass dieser Ernst machen<br />

würde. Aufschluchzend griff sie mit heftig zitternden Händen nach dem Bändchen, das den<br />

Kittel hielt. Sie brauchte mehrere Anläufe, bis sie es endlich geöffnet hatte. Schluchzend ließ<br />

sie den Kittel von ihren Schultern gleiten. „Umdrehen.“ Panisch gehorchte die junge Frau.<br />

Jake stand immer noch in dem brutalen Griff, spürte die Klinge an seiner Kehle. Er sah hilflos<br />

zu, wie Heather die Hände auf den Rücken gefesselt wurden und sie dann auf die Tür zum<br />

Belohnungsraum zu geführt wurde. <strong>Die</strong>se ging auf, Heather wurde hinein geführt und zu aller<br />

Entsetzen folgten die beiden Wachleute. Jake wurde schlecht. Panik schlug über ihm zu-<br />

sammen wie eine Woge. Der Typ hinter ihm ließ ihn mit einem leisen, verächtlichen<br />

Schnauben los und gab Jakes Kopf einen kleinen Schubs. Ganz leise sagte er: „Viel Ver-<br />

gnügen.“, und verließ den Zellentrakt. Jake lief eine Gänsehaut über den Rücken. Er zitterte<br />

am ganzen Körper. Was spielte sich im Inneren der kleinen Wohnung gerade ab? Er spürte<br />

Blut an seinen Handgelenken herunter laufen, er hatte sie sich bei seiner Zerrerei an den<br />

Fesseln eben aufgerissen, aber das war ihm vollkommen egal. Er sah hoffnungslos zu seinen<br />

211


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mitgefangenen hinüber. Alle wirkten ähnlich geschockt wie er selbst. Und dann erstarrte Jake<br />

vor Entsetzen.<br />

*****<br />

Heather taumelte schluchzend in die kleine Wohnung und blieb, am ganzen Körper<br />

zitternd, stehen. Sie ahnte, was kommen würde und wünschte sich, tot zu sein. Wimmernd vor<br />

Angst musste sie es hinnehmen, dass ihr die Handfesseln gelöst wurden. Dann packten die<br />

beiden Männer die hysterisch schluchzende Frau und zerrten sie trotz heftiger Gegenwehr in<br />

Richtung Schlafzimmer. Als Heather das Bett sah, in dem sie höchstwahrscheinlich gleich<br />

liegen würde, um sich vergewaltigen zu lassen, schrie sie verzweifelt auf. Doch gnadenlos<br />

zerrten die beiden Wachen sie zum Bett und warfen sie darauf. In Sekundenschnelle waren<br />

ihre Hände mit den Handschellen an den oberen Bettrahmen gefesselt. Schreiend und um sich<br />

tretend lag sie da. „Halt endlich still.“, knurrte einer der Kerle sie gefährlich leise an. Heather<br />

schluchzte hysterisch: „Nein .... bitte nicht.“ <strong>Die</strong> beiden Typen lachten kalt. „Nun stell dich<br />

nicht so an. Los, mach schon die Beine breit.“ Panisch schrie die junge Frau: „Nein.“ „Los,<br />

halt sie fest.“, bekam einer der Typen vom anderen die Anweisung. Und der fackelte nicht<br />

lange, sondern griff sich Heathers linkes Bein. Er hielt es fest und spreizte es ab. Der zweite<br />

Typ kniete sich auf das Bett und drückte ihr anderes Bein ebenfalls nach außen, hielt es mit<br />

seinem eigenen Bein fest. Dann griff er sich an die Hose und begann, diese zu öffnen. Gellend<br />

schrie Heather auf. „NEIN!“<br />

*****<br />

Jake wurde fast wahnsinnig. Sich auszumalen, was hinter der verschlossenen Tür<br />

gerade mit Heather geschah, war schlimmer als alles, was man ihm hätte antun können. Und<br />

dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Im Lautsprecher knackte es und durch<br />

den ganzen Kerker hallten plötzlich Kampfgeräusche. Es hörte sich an, als würde jemand ...<br />

Heather ... auf ein Bett geworfen und als versuche sie, sich verzweifelt zu Wehren. Keuchen<br />

männlicher und weiblicher Stimmen war zu hören. Jake erstarrte. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen,<br />

besonders die Frauen, waren vor Entsetzen wie gelähmt. Keiner sagte etwas. Was hätte es<br />

auch noch zu Sagen gegeben? <strong>Die</strong> schrecklichen Geräusche aus dem Lautsprecher waren ein-<br />

deutig. Man hörte Heather verzweifelt weinen und wimmern: „Nein ... bitte nicht.“ Lachen.<br />

Dann eine kalte Stimme: „Nun stell dich nicht so an. Los, mach schon die Beine breit.“<br />

„Nein.“ <strong>Die</strong> kurze Anweisung „Los, halt sie fest.“ Ein letzter, gellender Verzweiflungsschrei<br />

„NEIN ...“, dann wurde der Lautsprecher so überraschend, wie er angesprungen war, wieder<br />

212


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

abgeschaltet. <strong>Die</strong> markerschütternde Stille, die folgte, war schlimmer als alles, was jeder von<br />

ihnen je erlebt hatte.<br />

Jake zerrte tobend an seinen Fesseln. Das einzige, was er damit erreichte, war, dass<br />

seine Handgelenke heftig bluteten. Als Heathers verzweifeltes - NEIN - an seine Ohren drang,<br />

brüllte er selbst durch und durch verzweifelt auf. „Nein. Ihr Schweine!“ Und dann brach er<br />

vollkommen zusammen. Weinend sank er auf die Knie. Selbst Ziva liefen vereinzelte Tränen<br />

über die Wangen, etwas grausameres, als einen Mann zu zwingen, zuzuhören, wie seine Frau<br />

oder Freundin vergewaltigt wurde, konnte die Israelin sich kaum noch vorstellen. Kate,<br />

Allison und Abby schluchzten vollkommen haltlos vor sich hin. Bei Kate und Allison kam die<br />

panische Angst dazu, dass beide sicher wussten, dass ihre jeweiligen Partner garantiert eben-<br />

falls gelogen hatten. Sie fragten sich, wer von ihnen die Nächste sein würde. Sawyer und<br />

House, aber auch Gibbs, liefen Gänsehäute über den ganzen Körper und eisige Fäuste<br />

schienen sich in ihren Mägen zu ballen. Alle wussten: Sie hatten auch gelogen. Jake lag in-<br />

dessen schluchzend, keuchend und zitternd auf den Knien. Er konnte keinen klaren Gedanken<br />

fassen. Alles, was er denken konnte, war - Heather wird das nicht überstehen. Sie wird daran<br />

zerbrechen. Und ich habe Schuld dran. - Er schluchzte haltlos auf.<br />

„Bitte. Ich werde in Zukunft immer ehrlich sein, bitte. Ich mache die Tests neu. Es tut<br />

mir leid. Es ist meine Schuld, nicht Heathers. Macht mit mir, was ihr wollt, aber lasst Heather<br />

in Frieden. Ich beantworte alle Fragen, wirklich. Es tut mir leid. Lassen Sie Heather bitte in<br />

Ruhe. Ich flehe Sie an. Ich tu alles, was Sie verlangen, nur lassen Sie sie in Frieden. Es tut mir<br />

so leid.“ Er war absolut am Ende. Dass sie Heather vergewaltigen würden, nur, weil er die<br />

Psychotests nicht ganz ehrlich beantwortet hatte, hätte er sich in seinen schlimmsten Träumen<br />

nicht ausgemalt. Woher diese Leute so offensichtlich gut über sie informiert waren schoss<br />

ihm kurz durch den Kopf. Im Lautsprecher knackte es. „Nummer 2. Du wirst ganz bestimmt<br />

in Zukunft die Wahrheit sagen, denn alles lässt sich verschärfen. Deswegen wird Nummer 9<br />

aber nicht verschont. Sie kann sich bei dir bedanken. Und es wird hier in Kürze weiter gehen<br />

...“ <strong>Die</strong> unausgesprochene, unterschwellige Drohung, die jetzt in der Luft hing, trieb einigen<br />

der Gefangenen Schweiß auf die Stirn. „Du wirst die Fragen, die wir dir gestellt hatten, und<br />

die du meintest, nicht ehrlich beantworten zu müssen, erneut gestellt bekommen und du wirst<br />

jede einzelne von ihnen vor deinen Mitgefangenen wahrheitsgemäß antworten.“ Jake nickte<br />

nur noch unter Tränen. „Frage 1: Manchmal erscheint mir alles ziemlich düster und<br />

hoffnungslos.“ Jake schluckte schwer. Dann sagte er: „Ja.“ „Frage 2: Ich werde wohl niemals<br />

fähig sein, Ordnung in mein Leben zu bringen.“ Leise schluchzte Jake: „Trifft zu.“ - Ich bin<br />

nichts weiter als ein Loser, der es immer wieder schafft, alles zu vermasseln. - fügte er in Ge-<br />

danken hinzu. „Frage 3: Wenn ich durch irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt,<br />

213


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

innerlich erregt oder aus dem Gleichgewicht gebracht worden bin, mache ich mir Vorwürfe.“<br />

Mit zitternder Stimme erwiderte er: „Trifft zu.“ - Ich bin immer Schuld, wenn ich in eine<br />

schlimme Situation komme, die Entführung hat wahrscheinlich auch mit meiner Vergangen-<br />

heit zu tun. - dachte er. <strong>Die</strong> Lautsprecherstimme fuhr fort: „Gut, Nummer 2, du hast die<br />

Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. <strong>Die</strong> Strafe für deine Lügen wird Nummer 9 trotzdem<br />

hinnehmen müssen.“<br />

Jake war unter den Worten, falls das überhaupt noch möglich war, noch weiter in sich<br />

zusammen gesunken. Er war fertig, am Ende, zerstört. Wie sollte er Heather je wieder in die<br />

Augen gucken können nach dem, was hier gerade geschah? Sie wurde von zwei Typen ver-<br />

gewaltigt. Jake wünschte sich verzweifelt, auf der Stelle zu sterben. Kaum hatte er eine Frau<br />

gefunden, die ihn liebte und die er ebenfalls liebte, war es auch wieder vorbei. Er hockte auf<br />

der Plattform, geschlagen, gedemütigt, vernichtet. Da immer noch rotes Licht war, konnten<br />

die Gefangenen nicht miteinander über das Geschehen sprechen. Keiner konnte Jake irgend-<br />

einen Trost spenden. Doch selbst, wenn grünes Licht gewesen wäre, was hätten sie sagen<br />

sollen? Sawyer saß auf seiner Liege und starrte apathisch vor sich hin. Sein einziger Gedanke<br />

war - Ich habe auch gelogen - Ihm grauste. Was würden die mit Kate anstellen? Oder mit<br />

ihm? Das war vollkommen egal, aber Kate ... Panische Angst hatte ihn fest im Griff. Kate in<br />

ihrer Zelle ging es nicht besser. Auch sie hatte ganz offensichtlich gelogen. Ein paar Zellen<br />

weiter machte sich House Gedanken, was als nächstes kommen würde. Der geniale Arzt mit<br />

dem IQ eines Genies brauchte seinen Verstand nicht sonderlich anzustrengen, um auf das<br />

zutreffendste Ergebnis zu kommen. Und das hockte zitternd und schluchzend ein paar Zellen<br />

weiter auf ihrer Liege. House fluchte still vor sich hin. Wenn er Schuld wäre, dass Allison<br />

vergewaltigt werden würde, er könnte sich das nie verzeihen. Verdammt, was sollte er noch<br />

tun, um das zu verhindern? Es gab nichts, was er machen konnte. Im Nachhinein beteuern, nie<br />

wieder zu Lügen, war Unsinn. Hier ging es nicht darum, für die Zukunft sicher zu stellen. Das<br />

würden ihre Entführer schon bei jedem einzelnen von ihnen erreicht haben. Niemand hier<br />

würde noch wagen, irgendwie zu Lügen, das war House klar. Nein, es ging den Entführern<br />

darum, sie für ihre Lügen zu strafen.<br />

Akt 2: Sawyer zerbricht<br />

Wie tief ein Mensch leidet, kann der andere nie erfahren.<br />

Fjodor M. Dostojewskij<br />

214


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wie lange sie Jake wie einen geprügelten Hund auf der Plattform knien ließen, hätte<br />

keiner der geschockten Leidensgenossen sagen können. Er hatte irgendwann aufgehört zu<br />

Schluchzen und hockte wie paralysiert in der Mitte des Zellentraktes. Er hatte keine Vor-<br />

stellung davon, wie er Heather je wieder begegnen sollte. Was man ihr heute seinetwegen<br />

angetan hatte, würde sie nie vergessen, nie verzeihen können. Und Jake war sich sicher, sie<br />

würde ihn dafür hassen. Er hob resigniert den Kopf und sah zur Tür der kleinen Wohnung<br />

hinüber. Seine Augen waren leer. Nach einem flüchtigen Blick auf die Tür sank sein Kopf<br />

wieder auf seine Brust. Und in diesem Moment öffnete sich die Tür, die er eben noch so<br />

genau angeschaut hatte. Und die beiden Typen kamen heraus, Heather, immer noch nackt,<br />

zwischen sich. Sie war zusätzlich geknebelt und wurde an den Zellen vorbei geführt.<br />

Weinend, mit gesenktem Kopf, sich nicht trauend, aufzusehen, hing sie zwischen ihren Be-<br />

wachern. Sie schämte sich entsetzlich. Dass Jake auf den Knien auf der Plattform hockte, im<br />

wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört, und ebenfalls nicht zu ihr schauen mochte,<br />

bekam sie gar nicht mit. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen standen an den Zellentüren und schauten<br />

gebannt und schockiert zu, wie Heather aus dem Kerker geführt wurde. Als sich die Tür<br />

hinter ihr schloss, kamen zwei weitere Wachen und befreiten Jake. Sie zerrten ihn auf die<br />

Füße und führten ihn in seine Zelle zurück. Teilnahmslos ließ er sich die Handschellen ab-<br />

nehmen und wankte dann zu seiner Liege. Apathisch sank er auf diese nieder und starrte<br />

blicklos vor sich hin. Allison in der Nachbarzelle war froh, dass es in ihren kleinen Löchern<br />

nichts gab, was man als Waffe oder Werkzeug hätte benutzen können. Sie hätte Jake so gerne<br />

irgendetwas Tröstendes gesagt, musste aber zugeben, dass es nichts gab, was sie oder irgend-<br />

jemand dem vollkommen gebrochenen jungen Mann hätte sagen können.<br />

Und nun nahm das Drama seinen Lauf. Aus dem Lautsprecher tönte „Nummer 3.“ -<br />

Scheiße - Sawyer schluckte trocken, stand auf und trat zögernd an die Zellentür. Solange sie<br />

sich mit ihm beschäftigten, würde Kate vielleicht in Frieden gelassen werden. So wartete er<br />

geduldig, bis die Wachposten kamen und ihn in Handschellen legten. Kate war aufgeschreckt,<br />

als Sawyers Nummer aufgerufen wurde. Jetzt sah sie zitternd zu, wie er zur Plattform geführt<br />

wurde. Statt der Liege, die sie schon kannten, kam ein metallener Bettrahmen aus dem Unter-<br />

grund hoch gefahren. Sawyer wurden die Handschellen abgenommen und er bekam den Be-<br />

fehl, sich auf das Metallgeflecht zu legen. Ergeben ließ er den Kopf hängen und turnte vor-<br />

sichtig in die vorgeschriebene Haltung. Hand- und Fußgelenke wurde an die Bettpfosten ge-<br />

fesselt. Dann wurde ihm eine Maske über die Augen gezogen. Jetzt konnte er nichts mehr<br />

sehen. Irgendwie hatte er aber das Gefühl, das verdammt ungute Gefühl, dass er dafür in<br />

Kürze umso mehr fühlen würde. Als Kates Nummer aufgerufen wurde, krampfte sich<br />

Sawyers Herz zusammen. Kate trat, mühsam die Tränen unterdrückend, an die Tür. Sie er-<br />

zitterte, als die Handschellen sich um ihre Handgelenke schlossen. Man führte sie auf die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Plattform und am Kopfende des Bettgestells, auf dem Sawyer gefesselt lag, wurde ein Schalt-<br />

pult hochgefahren. Eine der Wachen verband Kabel, die aus dem Schaltpult hingen, mit dem<br />

Bettgestell. Kate schluckte. Was sollte das werden? Ihre Handfesseln wurden nun gelöst.<br />

Angstvoll warf sie einen Blick auf Sawyer. Sie bemerkte, dass er hastig atmete. Einer der<br />

Wachen trat zu Kate. „Nummer 8. Du hast in deinem Test die Unwahrheit gesagt. Dafür wirst<br />

du bestraft. Du wirst Nummer 3 dreißig Minuten lang elektrische Schläge geben.“ Kate riss<br />

die Augen auf und stammelte entsetzt: „Was? Ihr seid ja wahnsinnig! Niemals.“ Sawyer in<br />

seinen Fesseln versteifte sich. Sein Herz klopft schmerzhaft in seiner Brust. - Himmel, Kate,<br />

mach es schon. - dachte er. - <strong>Die</strong> haben Mittel, sich durchzusetzen. Was ist denn eine halbe<br />

Stunde Schmerzen haben gegen das, was die uns sonst noch alles antun könnten. - „Du kannst<br />

dich selbstverständlich weigern. Dann aber werden wir ihm ein paar Finger abschneiden, vor<br />

deinen Augen. Alle fünf Minuten einen.“ Sawyer hörte entsetzt die Worte des Wachpostens<br />

und sein Herz raste.<br />

Kate wurde leichenblass. Der Wachmann zog einen Kasten aus der Tasche und legte<br />

diesen auf das Schaltpult. Er öffnete den Behälter und Kate erschrak zu Tode. In dem Kasten<br />

lag ein extrem scharf aussehender, großer Seitenschneider. Der Wachmann nahm die scharfe<br />

Zange aus der Halterung und trat an das Bett. Hart packte er sich Sawyers rechte Hand und<br />

bog dessen kleinen Finger ein wenig ab. Sawyer keuchte vor Angst, als er die Zange an seiner<br />

Haut spürte. Er hatte mit etwas heftigem gerechnet, aber nicht damit. - Oh Gott, nein. -<br />

dachte er panisch, zwang sich jedoch dazu, keinen Ton von sich zu geben, auch, wenn seine<br />

Eingeweide sich verkrampften. Kate schrie entsetzt auf: „NEIN! Nein, nicht.“ „Mach schon,<br />

Freckles, ich halte das aus. <strong>Die</strong>se Arschlöcher kriegen uns nicht klein.“, sagte Sawyer so ruhig<br />

wie möglich. Kate liefen stumme Tränen über die Wangen. „Es tut mir so leid.“ „Mach<br />

schon.“, stieß Sawyer hervor. Mit zitternden Fingern griff Kate nach dem Schalter, der den<br />

Stromschlag auslösen würde. Verzweifelt sah sie auf Sawyer herunter, dann betätigte sie den<br />

Schalter. Heftig zuckte der gefesselte Körper zusammen, aber Sawyer schaffte es, die Zähne<br />

zusammen zu beißen. Auch, wenn ihm der Schweiß ausbrach und er mit den Zähnen knirscht<br />

vor Schmerz, er wollte diesen Drecksäcken nicht die Genugtuung geben, ihn schon wieder<br />

zum Schreien zu bringen. Sein Atem kam hart und keuchend, aber er schwieg verbissen.<br />

Doch die Entführer wussten seinen Widerstand zu brechen. Der Strom wurde höher gedreht<br />

und schließlich schrie Sawyer gequält auf. Nun war er nicht mehr im Stande, zu verhindern,<br />

dass er bei jedem weiteren Stromschlag aufschrie. Kate biss sich so fest auf die Lippe, dass<br />

sie Blut schmeckte. Tränen liefen ihr unaufhaltsam über die blassen Wangen. Aber angesichts<br />

der Zange, die der Wachmann demonstrativ in der Hand hielt, machte sie verbissen weiter, bis<br />

der Typ schließlich sagte: „Okay, Nummer 8, das war es. Jetzt wirst du dich dafür ent-<br />

schuldigen, dass du bei den Tests wissentlich gelogen hast.“ Kate schloss die Augen. Sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

musste tief Luft holen, dann sagte sie laut und deutlich: „Es tut mir leid, dass ich bei den Tests<br />

nicht die Wahrheit gesagt habe. Sawyer, es tut mir so leid, dass ich dir das antun musste.“ Sie<br />

drehte sich herum. Gerne hätte sie noch mehr gesagt, aber sie durfte es einfach nicht.<br />

Unterwürfig fragte sie: „Kann er bitte los gemacht werden?“ Sie sah auf Sawyers immer noch<br />

gefesselten Körper, sah, dass er immer noch heftig atmete, seine Lippen zitterten und seine<br />

Haare und sein gefesselter Körper schweißnass waren.<br />

Der Wachmann reagierte gar nicht auf ihre Frage. Stattdessen sagte er ruhig: „Du wirst<br />

die falsch beantworteten Frage richtig beantworten, verstanden?“ Kate sagte mit zitternder<br />

Stimme: „Ja, das werde ich.“ „Gut, hier die erste Frage: Wenn ich durch irgendetwas oder<br />

irgendjemand beeinträchtigt, innerlich erregt oder aus dem Gleichgewicht gebracht worden<br />

bin, denke ich, <strong>mich</strong> trifft keine Schuld.“ Kate schüttelte den Kopf. „Trifft nicht zu.“ „Gut,<br />

Frage 2: Wenn ich durch irgendetwas oder irgendjemand beeinträchtigt, innerlich erregt oder<br />

aus dem Gleichgewicht gebracht worden bin, mache ich mir Vorwürfe.“ Kate schluckte.<br />

„Trifft zu.“, sagte sie dann. Nun fuhr der Mann fort: „Dein Name ist Katherine Austen?“ „Ja.“<br />

Bevor Kate begriff, was geschah, holte der Wachmann aus und gab ihr eine schallende Ohr-<br />

feige, die Kates Kopf herum riss. „Ja, Sir.“ Panisch stammelte Kate „Ja, Sir, ja.“ „Deine<br />

Eltern sind Diane und Wayne Janssen?“ „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 03.05.1977 geboren?“ „Ja,<br />

Sir.“ „In Spencer, Iowa?“ „Ja, Sir.“ Sawyer war zusammen gezuckt, als er das Geräusch der<br />

Ohrfeige hörte, biss sich aber auf die Zunge, um keinen Ton von sich zu geben. Er kam nicht<br />

darum hin, sehr genau zuzuhören. „Wer ist Sergeant Sam Austen?“ „Er ist mein Stiefvater.“<br />

Kate wurde immer unruhiger. Sie hatte Angst vor weiteren Fragen, panische Angst. „Wer war<br />

Tom Brennan?“ Kate erstarrte. Sie schluckte schwer. Sie konnte nicht sofort antworten,<br />

zögerte. Sofort drückte der Wachmann, der neben Sawyer stehen geblieben war, auf das<br />

Knöpfchen am Schalterkasten und Sawyer keuchte erneut unter einem Stromschlag auf. Kate<br />

wimmerte erschrocken: „Nein, Sir, bitte. Tom ... er war ... ein sehr guter Freund, der durch<br />

meine Schuld ums Leben gekommen ist ...“<br />

Sie musste mit aller Kraft die Tränen zurück halten. „Wie kam es dazu?“ „Er ... saß<br />

mit mir in einem Auto, als ich vor der Polizei fliehen wollte. Ein Polizist schoss auf uns, um<br />

<strong>mich</strong> zu stoppen.“ <strong>Die</strong> Erinnerung an den schrecklichen Tag ließ Kate aufschluchzen. „Tom<br />

wurde getroffen und ... Er starb, weil ich ... weil ich nicht ins Gefängnis wollte.“ Und schon<br />

kam die nächste verhängnisvolle Frage „Wo sind deine leiblichen Eltern heute?“ Kate er-<br />

zitterte. Dann sagte sie verzweifelt: „Meine Mutter ist vor ... vor einiger Zeit an Krebs ge-<br />

storben.“ „Und dein Vater?“ Tränen liefen Kate über das Gesicht. Sawyer wünschte, er hätte<br />

irgendwas tun können. Aber wie Jake zuvor und mit Sicherheit auch er selbst musste Kate die<br />

Fragen beantworten, nichts und niemand hätte das verhindert. „Dein Vater, Nummer 8.“ „Er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ist auch tot, Sir.“ Kate verstummte erschüttert. „Woran starb er?“ Verzweifelt schluchzte sie<br />

auf. „Bitte ...“ Ein Blick in die kalten Augen ihres Gegenübers, der kurz in Richtung Sawyer<br />

nickte, machten Kate klar, dass sie keine Chance hatte. „Nein, nicht.“, keuchte Kate entsetzt.<br />

„Ich habe ihn getötet.“, stieß sie dann verzweifelt hervor. „Warum?“ Sie weinte. „Er hat<br />

meine Mutter misshandelt, krankenhausreif geschlagen, <strong>mich</strong> hat er ... er hat <strong>mich</strong> sexuell<br />

belästigt, misshandelt, eingesperrt ...“ Sie konnte nicht weiter reden. Man ließ sie sich be-<br />

ruhigen, gab ihr Zeit, sich wieder zu fangen.<br />

Aber schon kam die nächste Frage. „Wer ist Kevin Callis?“ Kate kamen augenblick-<br />

lich wieder Tränen. Woher, zum Teufel, wussten die nur so unglaublich viele Sachen über<br />

sie? „Kevin war ... Er war mein Mann. Ich war wenige Monate mit ihm verheiratet. Dann ...<br />

musste ich ihn verlassen ...“ Kate schluchzte wieder heftig auf. „Warum musstest du ihn ver-<br />

lassen?“ Knallhart kam auch diese Frage. Kate brauchte einige Sekunden, dann stotterte sie<br />

verzweifelt: „Weil ein Marshall, der sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, <strong>mich</strong> zu finden,<br />

auf meine Spur gekommen war. Er hätte <strong>mich</strong> ... Wenn ich nicht gegangen wäre ...“ „Wie<br />

heißt dieser Marshall?“ Kate schluckte. „Er heißt Edward Mars. Er hasst <strong>mich</strong> ...“ „Warum<br />

hasst er dich?“ „Das weiß ich nicht, Sir, ich habe ihn einige Male schlecht aussehen lassen,<br />

aber das alleine kann nicht der Grund sein.“ Der Mann nickte zufrieden. Dann sagte er ganz<br />

ruhig und bestimmt: „Nummer 8, du wirst jetzt deinen Kittel ausziehen.“<br />

Kate wurde es eiskalt. Sawyer schrak heftig zusammen und zerrte wütend an den<br />

Fesseln, die ihn hielten. „Lassen Sie sie doch bitte in Frieden.“, fluchte er verzweifelt. Kate<br />

sah, wie der Wachmann, der immer noch neben Sawyers Liegestatt stand, auf Sawyer deutete<br />

und ein Messer aus der Tasche zog. Er sah Kate an und machte dann, auf Sawyer blickend,<br />

eine eindeutige Geste über seine Kehle. Kate schluckte. Der Typ beugte sich über Sawyer und<br />

löste diesem die Maske. Sawyer blinzelte in das Licht und brauchte ein paar Sekunden, um<br />

etwas erkennen zu können. Als erstes sah er den Wachposten neben sich, der mit einem<br />

großen Springmesser spielte. Ihm wurde kalt und er biss sich auf die Lippe. Dann sah er Kate<br />

neben sich stehen und mit fliegenden Fingern nach dem Bändchen tasten, das ihren Kittel<br />

zusammen hielt. Sie öffnete diesen und ließ ihn dann zu Boden gleiten. „NEIN! KATE.<br />

NICHT!“ Sawyer sah entsetzt zu, wie ihr die Hände wieder auf den Rücken gefesselt wurden<br />

und die beiden Wachleute sie packten. Zwei andere Wachleute kamen dazu und während Kate<br />

weinend in Richtung Wohnung geführt wurde, befreiten diese Sawyer. Er war blass, schweiß-<br />

gebadet und etwas zitterig, aber seine Hauptsorge galt Kate. Er konnte nichts machen, diese<br />

Erkenntnis war die schlimmste Strafe überhaupt. Wenn er hier den wilden Mann spielte, war<br />

er selbst vermutlich anschließend reif fürs Krankenhaus oder tot, Kate wäre damit allerdings<br />

in keiner Weise geholfen gewesen. Ganz im Gegenteil: Wenn er hier ausrasten würde, gäbe es<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

für Kate sicher noch deutlich verschärfende Maßnahmen, da war Sawyer sich sicher. Seine<br />

Hände wurden wieder auf den Rücken gefesselt und dieselbe Stange, an der vorher Jake ge-<br />

hangen hatte, wurde erneut aus dem Boden gefahren. Kurz darauf stand nun Sawyer an die<br />

Stange gefesselt da und musste hilflos und verzweifelt auf die Tür starren, hinter der Kate<br />

verschwand. Als sich die Tür schloss, hatte Sawyer das Gefühl, etwas in ihm würde zer-<br />

brechen. Jetzt trat einer der Wachen vor ihn und erklärte: „Du hattest offensichtlich großen<br />

Spaß bei einigen unserer Tests. Dafür werden ein paar unserer Leute jetzt ziemlich viel Spaß<br />

mit deinem Mädchen haben. In der Zwischenzeit kannst du uns erzählen, was du in den<br />

Bildern wirklich siehst.“ Sawyer erstarrte. „Bitte. Nein ...“ Mehr brachte er nicht heraus.<br />

Kate stand zitternd und mit tränenüberströmtem Gesicht vor den beiden Wachleuten<br />

und wich Schritt für Schritt zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Entsetzt schrie sie auf, als<br />

die Kerle brutal nach ihr griffen. Sie wurde trotz verzweifelter Gegenwehr ins Schlafzimmer<br />

gezerrt, wie vor ihr Heather. Man ließ ihre Hände auf den Rücken gefesselt und warf sie aufs<br />

Bett. Heftig versuchte sie, sich zu wehren, aber wie Heather hatte sie nicht den Hauch einer<br />

Chance. So ungestüm sie mit den Beinen auch nach den Kerlen trat, einer der Beiden packte<br />

zu und erwischte ihr rechtes Bein, der andere klemmte ihr Linkes mit seinem eigenen Bein<br />

fest. Kates entsetzter Schrei, als der Kerl begann, seine Hose zu öffnen, hallte wie vor nicht<br />

einmal einer Stunde Heathers Schreie durch den ganzen Kerker. Und ziemlich im selben<br />

Moment brach die Tonübertragung wieder ab. Sawyer wand sich bei Kates verzweifelten<br />

Schreien in seinem Fesseln wie unter körperlichen Qualen. Längst liefen ihm Tränen über die<br />

blassen Wangen. Längst war er genau wie Jake vor ihm, vor Hoffnungslosigkeit und Ver-<br />

zweiflung in die Knie gegangen. Er sah zu einer der Kameras hoch und schluchzte ver-<br />

zweifelt: „Bitte, ich werde in den dämlichen Bilder sehen, was immer Sie wollen. Aber lassen<br />

Sie Kate zufrieden, bitte. Ich tue ja alles, was Sie von mir verlangen. Es tut mir leid, es tut mir<br />

so leid.“ Verzweifelt schluchzend verstummte er.<br />

Kate schrie gellend auf und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Doch urplötzlich<br />

ließen die beiden Wachleute sie los. Sie ließen Kate im Schlafzimmer zurück, ohne sie an-<br />

gerührt zu haben und setzten sich seelenruhig ins Wohnzimmer. Und da ging Kate ein Licht<br />

auf! <strong>Die</strong> Tonübertragung hatte keinem anderen Zweck gedient als dem, Jake und jetzt<br />

höchstwahrscheinlich auch Sawyer zu brechen, derart in die Knie zu zwingen, wie es nur eben<br />

ging, und die Frauen verrückt vor Angst zu machen. Plötzlich wusste Kate auch, warum<br />

Heather geknebelt aus dem Kerker geführt worden war. Es musste unbedingt unterbunden<br />

werden, dass sie etwas sagte. Sie ging mit sich selbst eine Wette ein, dass man sie ebenfalls<br />

Knebeln würde, sobald man sie hier heraus schaffte. Kate schüttelte es vor Wut und Hass.<br />

Was musste in Jake und in Sawyer vorgehen. Kate rappelte sich auf und setzte sich auf die<br />

219


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bettkante. Ihr Hass war so groß, dass sie sogar vergaß, dass sie immer noch nackt war. Selbst<br />

die Angst und Demütigung vergaß sie. Sie dachte an Sawyer. Was musste er empfinden. Es<br />

bestand durchaus die Gefahr, dass er an dieser Situation wirklich für immer zerbrach. - Oh,<br />

Gott, Baby, es geht mir gut, es geht mir wirklich gut. - dachte sie, so intensiv, als könne sie<br />

ihm ihre Gedanken via Telepathie zukommen lassen. Sie nahm sich fest vor, irgendein Signal<br />

an die <strong>Anderen</strong> zu geben, wenn man sie hier heraus brachte.<br />

„Wer hätte gedacht, dass die Maßnahme so gut greift.“<br />

„Na, hör mal. Wie würdest du denn reagieren? Mir war nach der<br />

Geschichte mit den Kisten klar, dass die alles für einander tun.“<br />

„Kate hat jetzt aber begriffen, um was es ging. Sie wird auf jedem Fall<br />

versuchen, irgendein Zeichen zu machen.“<br />

„Stimmt. <strong>Die</strong> Lisinski hat überhaupt nichts kapiert. Meine Güte, hoffent-<br />

lich war das bei ihr nicht zu viel des Guten.“<br />

„Ach, Blödsinn. <strong>Die</strong> kleine Nonne wird sich schon wieder fangen.“<br />

„Das denke ich auch. Wenn sie sieht, in welch schlechter Verfassung<br />

Green ist, wird sie das bisschen Erniedrigung schnell vergessen.“<br />

„Fazit: Großartige Idee, Leute.“<br />

<strong>Die</strong> Mitgefangenen hatten schweigend, zum Teil hass- und zum Teil mitleiderfüllt die<br />

unmenschliche Abstrafung Kates und Sawyers beobachtet. House spürte ein Unbehagen,<br />

eigentlich schon eine Angst in sich, wie nie zuvor in seinem Leben und es war keinesfalls<br />

Angst um sich selbst. Sara dachte panisch über ihre eigenen Unwahrheiten nach und saß<br />

zitternd auf ihrer Liege. Ziva, Bones, Booth, Mulder, selbst Scully, empfanden nur einen un-<br />

bändigen, nichts desto weniger hilflosen Hass in sich. Allen war klar, dass die Bestrafung<br />

nicht eher beendet war, bis nicht auch der Letzte von ihnen, der die Unwahrheit gesagt hatte,<br />

abgestraft war. Locke war in der glücklichen Position, keinen Partner oder Freund hier zu<br />

haben, der gegen ihn hätte verwendet werden können. Er hatte genau so entsetzt gelauscht, als<br />

die verzweifelten Schreie der Frauen aus dem Lautsprecher gekommen waren und er hatte<br />

genau den gleichen Hass und das gleiche Mitleid wie alle anderen. Jedoch machte er sich<br />

weniger Sorgen, da er sich sicher war, egal, was ihre Entführer sich an schmerzhaften<br />

Prozeduren für ihn ausdenken würden, er es wegstecken würde. Er würde zumindest keinen<br />

anderen in seine Strafe mit hinein ziehen. Er warf einen Blick auf Sawyer, der ein ähnliches<br />

Bild bot wie vor ihm Jake. Ein Häufchen Elend, getroffen bis ins Innerste, apathisch, para-<br />

lysiert, vernichtet, hockte er da, unfähig, irgendetwas zu tun. Er hatte Kates verzweifelten<br />

Schreie gehört und sie empfunden wie Messerstiche ins Herz. Locke konnte sich nur zu gut<br />

vorstellen, was in den jungen Männern vorgehen musste. Es war fraglich, ob sie sich von<br />

220


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dieser Aktion wieder erholen würden. Sicher war, die beiden Frauen würden das für den Rest<br />

ihres Leben mit sich herum schleppen.<br />

Sawyer lag gebrochen auf den Knien. Nichts, was er sich vorstellen konnte, hätte<br />

schlimmer sein können als das, was gerade passiert war. Hoffnungslos dachte er darüber nach,<br />

dass es seine Schuld war. Kate würde ihn abgrundtief hassen für dass, was er ihr mit seinem<br />

idiotischen Verhalten angetan hatte. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er hatte alles ver-<br />

loren, was ihm wichtig gewesen war, was Bedeutung gehabt hatte in seinem Leben. Seine<br />

Eltern, sein bis zu dem Tage, als sie starben, schönes, unter den liebenden Augen seiner<br />

Mutter behütetes Leben, jetzt auch noch Kate. Vielleicht bestand ja die Hoffnung, dass er<br />

diese Geschichte hier nicht überleben würde. Er hoffte, dass ihre Entführer ihn schließlich<br />

umbringen würden. Er hoffte es aus tiefstem Herzen. Er würde jedenfalls alles dafür tun, dass<br />

es so kam. Ähnliche Gedanken gingen auch Jake in seiner Zelle durch den Kopf. Er hatte den<br />

Tod seines besten Freundes verursacht, hatte dadurch seine Familie und seine ganz große<br />

Liebe verloren, und kaum, dass er endlich wieder jemanden gefunden hatte, der ihn wirklich<br />

liebte, den er wirklich liebte, vermasselte er das und zerstörte es. Von Schuldgefühlen zer-<br />

rissen saß er auf seiner Liege und starrte blicklos vor sich hin. Auf der Plattform nahm der-<br />

weil das Drama seinen Lauf. Ein Wachmann kam in den Kerker, ging zu Sawyer und befahl<br />

diesem ruhig: „Steh auf.“ Mühsam stemmte Sawyer sich auf die Beine. „Du wirst jetzt ehrlich<br />

die Bilder interpretieren, die ich dir zeigen werde, verstanden?“ Abwesend ins Leere starrend<br />

nickte der junge Mann. Kopfschüttelnd fragte der Wachmann erneut, diesmal etwas lauter:<br />

„Verstanden?“ „Ja, ja ...“ Der Wachmann schüttelte resigniert den Kopf, dann fing auch<br />

Sawyer sich eine schallende Ohrfeige. „Ihr werdet es ganz bestimmt noch begreifen, es heißt<br />

Sir, verstanden?“ „Entschuldigung, Sir. Ja, Sir.“ Sawyers Stimme klang ihm selbst fremd. Der<br />

Wachmann nickte zufrieden. Dann hielt er dem Gefesselten das erste Rorschach Testbild hin.<br />

Minutenlang starrte dieser das Bild an, dann sagte er leise: „Zwei streitende Erwachsene, die<br />

...“ Er wurde von dem Wachposten unterbrochen. Fast mitleidig sagte dieser: „Lauter,<br />

Nummer 3, alle sollen es hören.“<br />

Mit zitternder Stimme, aber lauter, begann Sawyer erneut: „Zwei streitende Er-<br />

wachsene ... meine ... Eltern, die an mir herumzerren.“ Er schluckte hart. Der Wächter war<br />

zufrieden. Er hielt Sawyer das zweite Bild vor die Augen. Wieder musste Sawyer einige<br />

Minuten das Bild anschauen, dann sagte er gepresst, aber laut: „Zwei kämpfende Menschen,<br />

die einander anschreien.“ Das nächste Bild. „Zwei Menschen, die einen Leichensack tragen.“<br />

An dieser Stelle wurde Mulder sehr stutzig. Was, um alles in der Welt, war in Sawyers Leben<br />

passiert? Mulder lauschte angespannt weiter. Er war nicht neugierig, eher ernsthaft<br />

interessiert, um sich ein besseres Bild von den Mitgefangenen machen zu können, und so<br />

221


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vielleicht besser in der Lage zu sein, ihnen ein wenig zu helfen. Ein neues Bild. Sawyer er-<br />

starrte. In seinem blassen Gesicht arbeitet es heftig. „Eine tote Frau in einer Blutlache ...“<br />

Schließlich kam das letzte Bild. „Zwei Personen, zwischen die sich eine kleine, dritte Person<br />

stellt.“ Erschöpft schwieg Sawyer. Hinter ihm war das Bettgestell und der Schaltpult in-<br />

zwischen wieder in den Untergrund versenkt worden. Dafür kam ein Tisch mit drei Stühlen<br />

von unter herauf. Aus dem Lautsprecher ertönte: „Nummer 2.“ Jake in seiner Zelle reagierte<br />

überhaupt nicht. Sara war es, die ihm leise zu zischte: „Jake.“ Verständnislos sah er sie an. Sie<br />

bedeutete ihm, an die Tür zu treten. Teilnahmelos und gleichgültig stand er auf und Sekunden<br />

später waren schon Wachleute da, die ihm die Hände fesselten. Sie holten ihn erneut aus der<br />

Zelle und führten ihn zu dem Tisch auf der Plattform. Sawyer war inzwischen von der Stange<br />

befreit worden und auf einen der drei Stühle gedrückt worden. Seine Hände wurden an der<br />

Rückenlehne fixiert. Jake wurde ihm gegenüber auf den zweiten Stuhl gedrückt und ebenso<br />

fixiert. Dann verschwanden die Wachen. Minutenlang geschah gar nichts. Beide Männer<br />

saßen mit hängenden Köpfen da, hingen ihren überaus trüben Gedanken nach. Auf ihren<br />

blassen Wangen waren deutlich Tränenspuren zu sehen. Als sich alle bereits fragten, was das<br />

werden sollte, ging die Kerkertür auf und ein weiß gekleideter Arzt betrat das Verließ. Er kam<br />

zu dem Tisch und setzte sich auf den letzten freien Stuhl. Dann zog er ein PDA aus der Kittel-<br />

tasche und öffnete es. Er sah erst Jake, dann Sawyer an. Schließlich sagte er gut gelaunt: „So,<br />

dann wollen wir uns mal unterhalten.“<br />

Jake stieß verzweifelt hervor: „Wo ist Heather? Was haben Sie mit ihr gemacht?“<br />

Ruhig kam die Antwort. „Nummer 2, das ist nicht Gegenstand unserer Unterhaltung. Aber wir<br />

können bei dir anfangen. Du heißt Johnston Jacob Green?“ „Ja, Sir.“ Selbst in das von<br />

seelischem Schmerz umnebelte Hirn Jakes war noch vorgedrungen, dass es für ihrer aller<br />

Wohlergehen sicherer war, Sir zu sagen. „Deine Eltern sind Gail und Johnston Green?“ Ohne<br />

aufzuschauen antwortete Jake: „Ja, Sir.“ „Dein Bruder heißt Eric?“ „Ja, Sir.“ „Du wurdest am<br />

21.01.1977 geboren?“ „Ja, Sir.“ „In Jericho, Kansas?“ „Ja, Sir.“ „Was hast du in den letzten<br />

Jahren gemacht?“ Jake sah stur auf den Tisch vor sich. Dann antwortete er leise, aber laut<br />

genug, dass der Arzt zufrieden war: „Ich habe für Söldnereinheiten, unter anderen<br />

Ravenwood, im Irak und in Afghanistan Spezialaufträge erledigt. Einige Zeit habe ich in<br />

Costa Rica, in Puntarenas, gelebt. Danach habe ich einige Zeit in San <strong>Die</strong>go gewohnt und als<br />

Pilot <strong>Über</strong>seefrachtmaschinen geflogen. <strong>Die</strong> letzten Monate habe ich in Sydney verbracht und<br />

dort bei Allied and Associates Private Investigations als Security Guard gearbeitet.“ <strong>Die</strong><br />

nächste Frage ließ Jake aufblicken. „Wer ist Christoffer Prowes?“ Er schluckte. Dann sagte er<br />

tonlos: „Er war mein Freund.“ „Was ist mit ihm passiert, Nummer 2?“ Jake sah wieder auf<br />

den Tisch vor sich. Dann stieß er hervor: „Er ist tot.“ „Warum ist er das?“ Jakes Stimme<br />

zitterte. „Wir wollten eine Bank ausrauben. Ich sollte den Fluchtwagen fahren. Ich habe im<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

letzten Moment gekniffen. Der <strong>Über</strong>fall ging schief. In einem Schusswechsel mit der Polizei<br />

wurde Chris getötet.“ „Es ist deine Schuld, dass er getötete wurde?“ Jake zuckte zusammen.<br />

Dann sagte er fest: „Ja, Sir, es war meine Schuld.“ „Bist du danach wieder straffällig ge-<br />

worden?“ Jake schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das wurde ich nicht. Es war ... nicht alles<br />

richtig, was ich gemacht habe, aber nichts davon war wirklich illegal, Sir.“ „Was ist in<br />

Afghanistan passiert? In Zaranj?“ Jake erwachte noch einmal aus seiner Lethargie. Er starrte<br />

den Arzt an und seine Lippen zitterten. „Was ist dort passiert?“ Es dauerte einige Augen-<br />

blicke, in denen sich Jakes Augen mit Tränen füllten. Dann sagte er verzweifelt: „Ich habe ein<br />

Kind getötete, Sir. Ich habe nicht gesehen, dass es ein Kind war. Ich dachte ... Ich war in<br />

Panik und ... Sie war erst zwölf. Ich habe sie erschossen.“ Er schwieg. Tränen liefen ihm über<br />

die Wangen. Der Arzt war sich sicher, mehr würde er aus dem Gefangenen nicht mehr<br />

herausholen.<br />

<strong>Über</strong>raschend wandte er sich nun Sawyer zu. „Dein Name ist James Ford?“ Sawyer<br />

hatte die meiste Zeit kaum zugehört. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um Kate. Jetzt<br />

schrak er auf. „Ja, Sir.“, sagte er laut. „Deine Eltern sind Mary und Warren Ford?“ Bedeutend<br />

leiser kam die Antwort. „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 20.07.69 geboren?“ „Ja, Sir.“ „In Jasper,<br />

Alabama?“ „Ja, Sir.“ „Womit hast du dir dein Geld verdient?“ Kurz stockte Sawyer. Dann<br />

holte er tief Luft und erklärte tonlos: „Als Betrüger, Sir.“ „Wo sind deine Eltern heute?“ Jetzt<br />

zuckte der junge Mann wirklich heftig zusammen. „Wo sind deine Eltern?“, wurde die Frage<br />

ungeduldig wiederholt. Sawyer brachte kein Wort über die Lippen. Erstarrt saß er da. Der<br />

Arzt schlug überraschend mit der flachen Hand vor ihm auf den Tisch. „Wo sind deine<br />

Eltern?“ Sawyer war heftig zusammen gezuckt. Jetzt stieß er heiser hervor: „Sie sind tot,<br />

okay. Meine Eltern sind tot.“ „Warum sind sie tot?“ Gnadenlos kam die nächste Frage.<br />

Mulder lauschte aufmerksam, scheinbar wurde jetzt die Katze aus dem Sack gelassen. Er sah<br />

dem Südstaatler an, wie schwer es diesem fiel, zu Antworten. Sawyer schüttelte leicht den<br />

Kopf. Dann begann er, stockend und abgehackt: „Meine Mutter ist, als ich acht Jahre alt war,<br />

auf einen Betrüger, einen Heiratsschwindler, herein gefallen. Sie hat ihm das gesamte Bargeld<br />

überlassen. Mein Vater drehte daraufhin durch. Er kam eines Abends, nach wochenlangem<br />

Streit, betrunken nachhause und während ich <strong>mich</strong> in meinem Zimmer unter meinem Bett<br />

versteckte, erschoss er meine Mutter im Hausflur, Minuten später sich selbst, auf meinem Bett<br />

sitzend ...“ Allison war nicht die Einzige, der vor Entsetzen Tränen über das Gesicht liefen.<br />

Sawyer verstummte.<br />

„Du hast deine Eltern wegen eines Betrügers verloren. Warum wurdest du selbst zu<br />

einem?“ In Sawyer verkrampfte sich alles. Dann sagte er mit tränenerstickter Stimme: „Als<br />

ich neunzehn war ... Ich brauchte sechs Riesen, um einen Typen zu bezahlen, mit dem ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ärger hatte. Also suchte ich mir eine ... eine schöne Frau mit einem dummen, reichen Ehe-<br />

mann. Ich brachte sie dazu, mir das Geld zu geben. Ich wurde zu dem Mann, den ich ... den<br />

ich jagte, seit ich alt genug war ...“ „Was hast du in Sydney gemacht?“ Sawyer wurde spei-<br />

übel. Panisch suchte er nach einem Ausweg, aber es gab keinen. „Was hast du in Sydney ge-<br />

macht?“ Sawyer zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Dann sagte er unendlich ver-<br />

zweifelt: „Ich habe einen Mann umgebracht, Sir.“ „Warum?“ Jetzt war ohnehin alles egal.<br />

„Weil ich dachte, er sei der Betrüger, der meine Eltern auf dem Gewissen hat.“ „War er es?“<br />

Sawyer liefen erneut Tränen über das weiße Gesicht. „Nein. Man hatte <strong>mich</strong> herein gelegt.<br />

Der Mann, der mir sagte, es sei der Betrüger, hatte <strong>mich</strong> eiskalt benutzt, um einen säumigen<br />

Schuldner loszuwerden.“ Er verstummte. Der Arzt erhob sich. Er wusste, weitere Fragen<br />

hatten keinen Sinn. Nichts und niemand würde einen der beiden Männer noch dazu bringen,<br />

etwas zu sagen. Er hatte sich ein paar Notizen auf seinem PDA gemacht, jetzt klappte er<br />

diesen zu und verließ den Kerker. Minuten später kamen vier Wachen herein und machten<br />

Jake und Sawyer los. <strong>Die</strong> beiden Männer wurden in ihre Zellen zurück gebracht und dann<br />

nahm man ihnen die Handschellen ab. Vollkommen erledigt sanken die Beiden auf ihre<br />

Liegen. Beide waren am Ende ihrer Kräfte angelangt und fühlten nur noch eine ungeheure,<br />

alles verschlingende Leere in sich.<br />

*****<br />

Kate fragte sich, wie lange sie hier noch hocken sollte. Sie wollte nichts sehnlicher, als<br />

zu Sawyer und ihm erklären, dass nichts passiert war, dass es ihr außer verletztem Scham-<br />

gefühl und angekratztem Stolz gut ging. Er musste in einer absolut erbärmlichen Verfassung<br />

sein. Wenn er auch nur halb so fertig war wie Jake, wäre er vermutlich fertiger, als er je als<br />

Erwachsener gewesen war. Kate war zappelig und unruhig. Sie wollte zu ihm. Sie hätte ihm<br />

trotz Redeverbotes klar gemacht, ohne Rücksicht auf die <strong>Anderen</strong>, dass ihr nichts passiert<br />

war. Plötzlich hörte sie einen der Wachleute im Wohnzimmer: „Okay, wir bringen sie.“,<br />

sagen. Schritte näherten sich und einer der Wachen trat auf Kate zu. „Es geht los.“ Er hatte<br />

Klebeband in der Hand und klebte Kate, wie es bei Heather gemacht worden war, den Mund<br />

zu. Dann packte er sie am Oberarm und zog sie zur Tür, die in diesem Moment geöffnet<br />

wurde. Widerstandslos ließ Kate sich nach draußen führen. Es ging nicht in ihre Zelle und sie<br />

hatte keine Gelegenheit, außer einem winzigen Blick in Richtung Sawyers Zelle, nach ihm zu<br />

sehen. Sie konnte ihn nur als undeutliche Gestalt auf seiner Liege ausmachen und Angst<br />

schlug über ihr zusammen. Was hatten sie mit ihm gemacht? Gnadenlos wurde sie weiter ge-<br />

drückt. <strong>Die</strong> meisten standen an den Türen und sahen geschockt und mitleidig zu ihr hin.<br />

House beobachtete Kate und wunderte sich. Sie hatte sofort versucht, nach Sawyer zu gucken.<br />

Sie ging aufrecht, gerade, stolz und ... Konnte das sein? House beobachtete Kate ganz genau.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und dann durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein glühender Pfeil. „<strong>Die</strong>se Mistkerle wollen uns<br />

für dumm verkaufen, das ist ein Bluff. Kate bewegt sich absolut nicht wie ein Ver-<br />

gewaltigungsopfer. Deswegen wurden Heather und sie auch geknebelt und raus gebracht.<br />

Damit sie uns nicht sagen können, dass ihnen nichts passiert ist, ganz klar.“<br />

Akt 3: Atrax robustus<br />

Der Tod begeht keine Fehler, wenigstens macht er keinen wieder gut.<br />

Friedrich Hebbel<br />

Kaum hatte House diese Worte hervor gebracht, schrie Booth schmerzerfüllt auf.<br />

Einen so heftigen Stromstoß hatte es bisher noch nie gegeben. Sein Herz vibrierte scheinbar<br />

nach und der Schmerz klang nur langsam ab. In seiner Zelle fuhr Sawyer wie elektrisiert auf.<br />

„Was sagst du da?“ Jetzt war es Dana, die aufschrie vor Schmerzen. „Nenn <strong>mich</strong> Schwach-<br />

kopf, aber deine Kate wurde nicht vergewaltigt.“ House redete weiter, ohne sich um das rote<br />

Licht oder die aufklingenden Schreie zu kümmern. Mulder beobachtete Kate ebenfalls ganz<br />

genau und stimmte zu. „House hat Recht, Sawyer. So sieht keine vergewaltigte Frau aus.“<br />

<strong>Die</strong>smal war es Bones, die gequält aufheulte. Mulder biss sich vor Wut auf die Lippe. Er<br />

schwieg. Jake sah auf. Er wagte nicht, Hoffnung zu schöpfen. Heather hatte so erbärmlich<br />

ausgesehen. Er sah House durch die Gitterstäbe hinweg mit verquollenen Augen an. <strong>Die</strong>ser<br />

bemerkte den Blick und zuckte ratlos die Schultern. Heather hatte anders gewirkt als Kate.<br />

Allerdings war Heather auch deutlich verschämter als Kate. Es konnte gut sein, dass die junge<br />

Lehrerin einfach schockierter gewesen war. House sah Jake an und zuckte die Schultern. Jake<br />

ließ den Kopf hängen. Er lehnte sich an die einzige Wand der Zelle, sank langsam zu Boden<br />

und zog die Beine an den Körper. Hoffnungslos ins Leere starren blieb er so hocken. In<br />

Sawyer jedoch war eine verzweifelte Hoffnung aufgekommen. House und auch Mulder hatten<br />

ein gutes Auge, das hatte Sawyer im Laufe ihrer Gefangenschaft schon bemerkt. Wenn sie<br />

Recht hatten und Kate war gar nicht ... Sawyer zitterte. Er wagte nicht, den Gedanken zu Ende<br />

zu denken. Viel zu viel Hoffnung vermittelte er. <strong>Die</strong> beiden Männer mussten sich irren. Was<br />

machte das Ganze sonst schon für einen Sinn. Sein überstrapaziertes Hirn begriff nicht die<br />

Möglichkeit, dass man ihnen nur Angst hatte machen wollen. Zu real war der Schrecken<br />

noch, als dass Sawyer schon hätte begreifen können, dass die ganze Inszenierung nur dem<br />

einzigen Zweck gedient hatte, ihn und Jake weich zu klopfen.<br />

225


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House hätte gerne noch mehr gesagt, aber er wurde von einer erneuten Lautsprecher-<br />

durchsage unterbrochen. „Nummer 10.“ Allison erschrak zu Tode. Auch, wenn sie sich Kate<br />

genau so gründlich angeschaut hatte wie ihr Chef, war sie sich nicht annähernd so sicher wie<br />

der. Panische Angst schlug über der jungen Frau zusammen wie eine Lawine. House wurde<br />

steif vor Schreck. - Verdammter Scheiß. - dachte er entsetzt. So sicher war er seiner Sache<br />

plötzlich nicht mehr. Cameron stand mit zitternden Beinen auf. So schwer war es ihr noch nie<br />

gefallen, sich die Handschellen anlegen zu lassen. Panisch spürte sie, wie das kalte Metall<br />

sich um ihre Handgelenke schloss. Alle, bis auf Jake und Sawyer, die mit ihren ganz persön-<br />

lichen Dämonen kämpften, beobachteten, wie Camerons Zelle sich öffnete und die Wachen<br />

die junge Frau in Empfang nahmen. Auch sie wurde zur Plattform geführt und aus der Ver-<br />

senkung hob sich eine der Kisten, die sie alles schon von der Abstrafung Kates und Heathers<br />

her kannten. Ein klein wenig erleichtert atmete Allison auf. Sie litt keineswegs an Platzangst<br />

und traute es sich ohne weiteres zu, einige Zeit in einer solchen Kiste zu liegen. <strong>Die</strong> Fesseln<br />

wurden ihr gelöst und sie erhielt den Befehl, in die Kiste zu steigen. Fast beruhigt legte sie<br />

sich widerstandslos hinein. Jetzt erklang: „Nummer 4.“, aus dem Lautsprecher. House hatte<br />

ebenfalls befreit aufgeatmet, als nur die Kiste hochgefahren wurde und Allison sich hinein<br />

legen musste. Er trat an die Zellentür und ließ sich die Hände ruhig fesseln. Er wurde eben-<br />

falls auf die Plattform geführt und dann, wie schon vor ihm Jake und Sawyer, an eine der<br />

Stangen gefesselt. Allison lächelte ihrem Chef beruhigend zu. Auch die anderen Gefangenen<br />

atmeten auf. Der Deckel wurde auf die Kiste gelegt und jeder dachte, das wäre es nun ge-<br />

wesen: House würde eine Weile gefesselt dort stehen, dann würde man Allison befreien und<br />

House würde, was immer er falsch gemacht hatte, erneut, diesmal richtig, erledigen. Dann<br />

jedoch öffnete sich die Kerkertür. Ein Arzt kam herein, am weißen Kittel klar erkennbar. Er<br />

trug eine etwa vierzig Mal vierzig Zentimeter große, Gil und Sara erschreckend vertraut vor-<br />

kommende Kiste bei sich. Gil sah erschrocken zu Sara hinüber. Das konnte nicht wahr sein.<br />

Der Arzt trat auf die Plattform und stellte sich vor House hin, der ihn geringschätzig<br />

mustert. „Nun, Nummer 4, du hältst das alles also für einen Bluff? Wir werden dir beweisen,<br />

dass du weder mit deinen frechen Lügen bei den Tests, noch mit deinen frechen Be-<br />

hauptungen davon kommen wirst. Ich schwöre dir, dass es das letzte Mal sein wird, dass du<br />

uns unterschätzt. Du wirst es ein für alle Mal begreifen, dass auch du Superdoc dich an unsere<br />

Regeln zu halten hast.“ House war bei dieser Rede wieder etwas unruhig geworden. Er sah<br />

sein Gegenüber an und kniff die Augen zusammen. Dann schielte er auf die geheimnisvolle<br />

kleine Kiste. Der Arzt nahm diese wieder auf und sagte zu House: „Da du uns ja keinen<br />

Glauben schenkst, wird einer deiner Mitgefangenen dir ein paar einleitende Worte zu dem<br />

Inhalt dieser kleinen Kiste hier sagen.“ Das kam überraschend. House schaute verständnislos<br />

dem Arzt hinterher, der zielstrebig auf Gils Zelle zuging. „Nummer 13. Ich möchte, dass du<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nummer 4 etwas über den Inhalt dieser Kiste erzählst.“ Gil wurde kalt und warm zugleich.<br />

Der Arzt öffnete vorsichtig die Box und Gil starrte entsetzt auf den Inhalt derselben. „Das<br />

können Sie nicht machen, Sir.“, sagte er schockiert. „Möchtest du Nummer 4 über diese<br />

netten Tiere aufklären?“, sagte der Arzt kalt. „Großer Gott. House, hör zu.“ Er fuhr sich mit<br />

der Hand über den Kopf und warf noch einen prüfenden Blick in die in fünf Fächer unterteilte<br />

Kiste. Dann überlegte er, wie er House klar machen konnte, was auf Allison zukommen<br />

würde.<br />

„In dieser Kiste, House, befinden sich fünf Exemplare der Gattung Atrax robustus, der<br />

Sydney Funnel Web Spider.“ Jake registrierte unterbewusst den Namen der Spinne, der in<br />

vielen Australiern Angst und Schrecken auslöste. Aber er war viel zu sehr mit sich selbst be-<br />

schäftigt, als dass er mehr als einen kurzen Gedanken daran verschwendete. House hörte zu<br />

und sah den Entomologen verständnislos an. Er hatte in der Tat noch nie von diesen Spinnen<br />

gehört. „Und?“, fragte er verständnislos. „Spinne. Gut. Cameron hat keine Spinnenphobie.“<br />

„House, diese Spinnen sind extrem giftig. Und sehr aggressiv. Ihr Gift, Delta-Atraxotoxin, ist<br />

ein starkes Neurotoxin. Es führt innerhalb kürzester Zeit zu einen Kontrollverlust über die<br />

Muskulatur.“ House wurde steif. <strong>Die</strong> Wirkung eines Neurotoxins, eines Nervengiftes, war<br />

dem Arzt natürlich sehr wohl bekannt. „Was?“, entfuhr es ihm. Gil fuhr hastig fort. „Sehr<br />

starke lokale Schmerzen, lokale Rötung. Man geht davon aus, dass die Giftwirkung durch<br />

eine Freisetzung von Acetylcholin 1 und Katecholaminen 2 entsteht. So lassen sich die<br />

Symptome nach einem Biss erklären: Erbrechen, sehr starkes Schwitzen, Hypersalivation 3 ,<br />

Blutdruckabfall, Tachykardie 4 , Arrhythmien 5 , Krämpfe der Muskulatur. <strong>Die</strong> Vergiftung<br />

beginnt mit einem Taubheitsgefühl um den Mund herum und Spasmen der Zunge. Es kann zu<br />

heftiger Atemnot kommen. Zusätzlich können lokale oder generalisierte Krämpfe auftreten.<br />

Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit, Blutdruckabfall und ein<br />

Lungenödem können auftreten. <strong>Die</strong> komplette Symptomatik kann in einem Zeitraum von<br />

1 Acetylcholin ist einer der wichtigsten Neurotransmitter in vielen Organismen, so auch im Menschen. Acetylcholin vermittelt<br />

zum Beispiel die Erregungsübertragung zwischen Nerv und Muskel an der neuromuskulären Endplatte. Weiterhin stellt es den<br />

Transmitter dar, der die <strong>Über</strong>tragung von der ersten auf die zweite der beiden hintereinandergeschalteten Nervenzellen im<br />

vegetativen Nervensystem, also sowohl im Sympathikus als auch im Parasympathikus, vermittelt.<br />

2 Katecholamine sind eine Klasse von körpereigenen und künstlichen Stoffen, die an den sympathischen Alpha- und Beta-<br />

Rezeptoren des Herz-Kreislaufsystems eine anregende Wirkung haben.<br />

3 Hypersalivation ist der medizinische Begriff für vermehrten Speichelfluss aufgrund gesteigerter Speichelproduktion oder<br />

durch das Unvermögen, Speichel abzuschlucken.<br />

4 Tachykardie ist ein anhaltend beschleunigter Puls auf über 100 Schläge pro Minute.<br />

5 Arrhythmie ist eine Unregelmäßigkeit im normalen Herzrhythmus.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

weniger als fünfzehn Minuten auftreten. Aus diesem Grund ist eine rasche und effiziente<br />

Hilfe entscheidend. Hast du das kapiert?“<br />

<strong>Die</strong> Mitgefangenen hatten nicht alle alles verstanden, aber so viel war offensichtlich<br />

sicher: In dieser unscheinbaren Box hielten sich extrem giftige Spinnen auf. Der Arzt trat<br />

wieder zu House hin und sagte: „Besser hätte ich es auch nicht erklären können. Wir werden<br />

diese Tiere zu Nummer 10 setzten und abwarten, was passiert.“ Eine Klappe im Deckel der<br />

Kiste wurde von ihm geöffnet. Und nun hörte man Allisons verzweifelten Schreie. Irgendwie<br />

hatte sie im Kisteninneren offensichtlich alles gehört. House war wirklich erschüttert. „Hören<br />

Sie zu, das können Sie nicht machen. Ich, ich habe Scheiße gebaut, nicht Cameron. Sie<br />

können sie doch nicht dafür umbringen. Ich werde in Zukunft alles glauben, was Sie sagen,<br />

ich schwöre es.“ Der Arzt sah House an. „Du denkst, damit ist es abgetan? Nun, du irrst<br />

dich.“ Gil beobachtete genau so geschockt wie die <strong>Anderen</strong>, wie der Arzt mit einer Spezial-<br />

pinzette in eines der Fächer griff und eine der Spinnen vorsichtig heraus nahm. Gil erkannte<br />

sofort, dass es sich um eines der drei kleineren, aber, im Spinnenreich absolut einmalig, ge-<br />

fährlicheren und giftigeren Männchen handelte. „Das ist eine männliche Atrax, er ist giftiger<br />

als die größeren Weibchen.“, sagte er laut. Der Arzt setzte die auch für Laien deutlich erkenn-<br />

bar, sehr aufgeregte Spinne in die Öffnung zu Cameron in die Kiste. „Nicht. Cameron, hören<br />

Sie, liegen sie ganz still!“, schrie House entsetzt. Der Arzt verschloss die Klappe und drehte<br />

sich zu House herum. „Du kannst schreien, so viel du willst, Nummer 4, sie hört dich nicht<br />

mehr.“<br />

Allison hatte ruhig da gelegen, bis zu dem Moment, da neben ihr ein Lautsprecher<br />

leise knackte und dann die Stimme ihres Zellennachbarn gedämpft und aufgeregt an ihr Ohr<br />

drang. Was er zu sagen hatte, trieb der jungen Ärztin das Adrenalin durch den Körper. Sie<br />

hatte keine besondere Angst oder Abscheu vor Spinnen, aber in dieser Kiste, im Dunkeln,<br />

hilflos mit einem extrem giftigen Exemplar dieser Tiergattung eingesperrt zu sein, trieb ihr<br />

den Angstschweiß aus allen Poren. Entsetzt wimmerte sie auf. „Nein, bitte nicht ....“ Sie ver-<br />

stand alle Symptome, die Gil schilderte, nur zu genau: Tachykardie, Arrhythmien, starke<br />

Schmerzen ... Allison bebte. Und dann wurde es in Höhe ihres Unterleibes kurz hell. Sie<br />

schrie gellend auf. „NEIN!“ Sekunden später war es wieder dunkel und sie war sicher, dass<br />

die Funnel Web jetzt bei ihr war. - Ruhig. Du musst ruhig liegen. - hämmerte sie sich ein.<br />

Zitternd und schluchzend versuchte sie, ihren Körper unter Kontrolle zu halten. Einige<br />

Minuten passierte nichts. Leise wimmerte Cameron vor sich hin. Und dann fuhr sie wie<br />

elektrisiert zusammen. Sie hatte an ihrem linken Bein unterhalb des Knies eine leichte Be-<br />

wegung gespürt. Und plötzlich war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie schrie entsetzt und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

in panischer Angst auf und fing an zu zappeln. Und dann passierte es. Ein heißer, gemeiner<br />

Schmerz zuckte durch ihre Wade und das Bein hinauf. Gellend schrie die junge Ärztin auf.<br />

House und alles anderen Gefangenen im Kerker hörten die Geräusche aus der Kiste.<br />

„Lieg still, verdammt!“, brüllte House, obwohl er nun wusste, dass Cameron ihn nicht hören<br />

konnte. Er hörte ihr angstvolles Wimmern und fuhr zu Gil herum. „Was können wir tun?“<br />

„Ich habe ein Gegengift im Gepäck gehabt, dass dürften diese ... Sie müssten es auch haben,<br />

es war bei den Spinnen.“ House drehte sich zur Kamera über ihm und tobte. „Was muss ich<br />

tun, ihr elenden Drecksäcke? Holt die verdammte Spinne da raus. Herrgott, ich tue alles, was<br />

ihr von mir wollt, aber ...“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment gellte Camerons ent-<br />

setzter Schmerzensschrei aus der Kiste. Gil entfuhr ein vollkommen überflüssiges: „Sie wurde<br />

gebissen.“ Das war allen sofort klar. „Oh, verdammt. Sie müssen sie da raus holen! Bitte.“<br />

Jetzt war House wirklich in Panik. Zehn Minuten zur vollen Entfaltung alle Symptome. Das<br />

war verdammt wenig. Und er hatte keine Ahnung, was er machen sollte, wenn die ihm das<br />

Gegengift verweigerten. „Was mache ich, wenn ich das Gegengift nicht bekomme?“, schrie er<br />

Gil an. Der sah nur hilflos zu House hinüber. „Wie kann man denn solche Mistviecher auch<br />

bei sich haben.“, brüllte House den Entomologen verzweifelt an. „Wie bescheuert muss einer<br />

sein, um so was im Handgepäck zu haben.“ Camerons Weinen, das aus der Kiste drang,<br />

überwältigte ihn wirklich. „Scheiße, halt durch. Ich helfe dir!“, schrie er Richtung der Kiste.<br />

„Sie muss sich still verhalten, sonst pumpt sie das Blut nur schneller durch ihre Blutbahn.“,<br />

rief Gil zu House hinüber. „Sie hört <strong>mich</strong> doch nicht.“, schrie dieser verzweifelt zurück.<br />

„Bitte. Lassen Sie <strong>mich</strong> ihr helfen. Sie ... Ich werde nie wieder Lügen, bitte. Ich werde nie<br />

wieder an Ihren Worten zweifeln. Das schwöre ich.“ Jetzt klang seine Stimme aufrecht und<br />

nicht mehr zynisch. Er war wirklich bereit, alles zu tun, um Cameron zu helfen.<br />

Und plötzlich und unvorbereitet ging die Zellentür Gils auf. Der fragte nicht lange,<br />

sondern hetzte los, zu der Kiste mit der Ärztin hinüber. Er suchte kurz, fand den Deckelver-<br />

schluss und riss den Deckel herunter. Auf dem ersten Blick sah er die Spinne, aufgerichtet auf<br />

Allisons Oberschenkel hockte und leise zischte. Das Tier war aufs höchste erregt und bereit,<br />

ein zweites Mal zuzubeißen. Ohne zu Zögern griff Gil geschickt zu und packte die Spinne von<br />

hinten am Körper. Hilflos zappelte das Tier zwischen seinen Finger. Er sah sich um und ent-<br />

deckte die kleine Box. Blitzschnell öffnete er diese und setzte das Tier behutsam und sehr<br />

vorsichtig, um nicht im letzten Moment noch selbst gebissen zu werden, in sein Fach zurück.<br />

Er verschloss den Deckel gründlich, dann war er schon wieder bei Allison. In der Kiste ent-<br />

deckte er eine elastische Binde. Ohne zu Zögern griff er danach und fuhr Cameron an: „Gib<br />

mir dein Bein.“ Apathisch und zitternd gehorchte die junge Frau und hob das heftig<br />

schmerzende, gebissene Bein in die Höhe. Mit gekonnten Griffen begann Gil, die elastische<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Binde von der Bissstelle an aufwärts um das Bein zu wickeln, fest, aber nicht zu stramm.<br />

„Was soll das? Meinst du, das reicht bei dem Biss einer Giftspinne?“, fluchte House völlig<br />

entnervt. „Natürlich nicht.“, erwiderte Gil ungerührt und arbeitet schnell und zielstrebig<br />

weiter. „Ich wende die Pressure Immobilization Technique an. Damit verhindere ich eine<br />

weitere, schnelle Ausbreitung des Giftes.“ Allison zitterte immer stärker. „House ... bitte ...“,<br />

stammelte sie verzweifelt. House trafen die leisen Worte schwerer als Hammerschläge. Und<br />

dann kam über den Lautsprecher die Ansage: „Nummer 4. Du wirst die Tests erneut ab-<br />

solvieren, diesmal mit aufrichtigen Antworten. Hast du verstanden?“ „Ja, Sir, ja, ich mache<br />

alles, was Sie wollen, aber bitte, bitte, lassen Sie <strong>mich</strong> ihr das Gegengift geben.“ Verzweifelt,<br />

geradezu panisch klang die Stimme des häufig so misanthropisch wirkenden Diagnostikers.<br />

Cameron hätte sich über die echte Besorgnis gefreut, hätte sie sich nicht so furchtbar gefühlt.<br />

„Nummer 13, du wirst Nummer 10 aus der Kiste nehmen und zur Kerkertür tragen.<br />

Jetzt.“ Gehorsam beugte Gil sich herunter und hob die junge Frau vorsichtig aus der Kiste. Er<br />

spürte sie zittern und ihr Atem ging schwer. Ohne noch auf House zu achten, trug er Allison<br />

zur Kerkertür, die geöffnet wurde. House schaute ihnen nach und wäre für sein Leben gerne<br />

bei ihr geblieben. Sein Bein tat heftig weh und es fiel ihm mit jeder Minute schwerer, zu<br />

stehen. Er sah, wie der Tisch, an dem schon Jake und Sawyer gesessen hatten, wieder aus der<br />

Versenkung erschien. Und kurz darauf betrat ein Arzt den Kerker, der Gleiche, der schon mit<br />

Sawyer und Jake geredet hatte. Der Arzt trat zu ihm und machte ihn kommentarlos von der<br />

Stange frei. Er deutete auf einen der Stühle am Tisch und House humpelte schwerfällig und<br />

mit zusammen gebissenen Zähnen hinüber. Schwer ließ er sich auf den Stuhl fallen und ver-<br />

fluchte einmal mehr sein krankes Bein. Auch seine Hände wurden nun an die Rückenlehne<br />

gefesselt. Dann setzte sich der Arzt ihm gegenüber auf den zweiten Stuhl. Nun begann er mit<br />

seinen Fragen. „Nummer 4, du wirst folgende Fragen ehrlich beantworten: 1. Manchmal er-<br />

scheint mir alles ziemlich düster und hoffnungslos.“ House sah den Arzt einen Moment an,<br />

dann sagte er: „Ja, Sir.“ „2. Wenn ich durch irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt,<br />

innerlich erregt oder aus dem Gleichgewicht gebracht worden bin, denke ich, mir bleibt auch<br />

nichts erspart.“ House stieß ein leises, spöttisches, ihm selbst geltendes Lachen aus. „Ja, Sir,<br />

ja, das denke ich.“<br />

„Gut, dann werden wir mal zu Punkt 2 der Tagesordnung kommen. Bilder, die hast du<br />

so nett kommentiert in erster Instanz. Nun möchten wir gerne eine ehrliche Interpretation von<br />

dir haben.“ House sah vor sich auf den Tisch. Er wollte wissen, wie es Allison ging. Ihr galt<br />

sein ganzes Denken im Moment. Aber er würde nicht das Geringste über sie erfahren, wenn<br />

er nicht mitspielte. Er sah also verzweifelt auf das erste Bild. Es zeigte einen Schüler, der vor<br />

einer Tafel stand. House starrte das Bild an und schließlich stieß er resigniert hervor: „Der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Junge weint und sieht sich unter Erfolgsdruck, hat Angst vor seinem Vater.“ Das zweite Bild<br />

wurde ihm vor die Nase gehalten. Ein Mann vor einem Bett mit einer leblosen Frau. House<br />

starrte minutenlang auf das Bild, dann sagte er leise: „Allison. Sie liegt im Bett und wartet auf<br />

<strong>mich</strong>. Ich drehe <strong>mich</strong> symbolisch von ihr weg und versuche, meine Augen vor meinen Ge-<br />

fühlen zu verschließen.“ „Lauter, Nummer 4.“ House schloss kurz die Augen, dann stieß er<br />

laut und deutlich hervor: „Das ist Allison. Sie liegt im Bett und wartet auf <strong>mich</strong>. Ich drehe<br />

<strong>mich</strong> symbolisch von ihr weg und versuche, meine Augen vor meinen Gefühlen zu ver-<br />

schließen.“ Das nächste Bild. Ein Mann zwischen Grabsteinen. Nach einer kurzen <strong>Über</strong>-<br />

legungszeit erklärte House: „<strong>Die</strong> Kreuze stehen für die Menschen, die mir am nächsten<br />

stehen, Allison und Wilson. <strong>Die</strong> Grabsteine sind all die Steine, die ich mir selbst in den Weg<br />

gelegt habe in meiner Beziehung mit den Beiden, all die Male, wo ich einen von ihnen ent-<br />

täuscht habe. <strong>Die</strong> Kreuze stehen für die begrabenen Beziehung mit den Beiden.“ Das letzte<br />

Bild. Eine weinende Frau, die einen im Bett liegenden Mann den Rücken zukehrte. House<br />

starrte erschüttert auf das Bild, dann sagte er: „Allison, die an meinem Bett gewacht hat, als<br />

ich angeschossen wurde, und die ich ... vergrault habe, kaum, dass ich wieder aus der Narkose<br />

erwacht war ...“<br />

„Sehr gut, Nummer 4, es geht doch. Nun kommen wir zum spannenden Teil. Dein<br />

Name ist Gregory House?“ House verzog das Gesicht. „Ja, Sir.“ „Deine Eltern sind John und<br />

Blythe House?“ „Ja, Sir.“ „Dein Vater war Pilot bei den U.S. Marines?“ „Ja, Sir.“ „Du<br />

wurdest am 11.06.1959 geboren?“ „Ja, Sir.“ „Du hast an der Johns Hopkins studiert?“ „Ja,<br />

Sir.“ House wartete gespannt auf die nächste Frage. Und schrak zusammen, als sie erfolgte.<br />

„Warum hast du an dieser Eliteuniversität nicht promoviert?“ - Das können sie nicht wissen. -<br />

dachte House panisch. Aber er wagte nicht mehr, zu Lügen. „Ich habe ... ich habe bei einer<br />

Prüfung geschummelt und wurde der Uni verwiesen.“ Der Arzt notierte sich etwas und fuhr<br />

dann fort. „Dann hast du an der Michigan University den Abschluss gemacht?“ „Ja, Sir.“<br />

„Was hat dein Vater mit dir gemacht, als du ein Kind warst?“ House erstarrte. „Nummer 4.<br />

Was hat dein Vater dir angetan?“ House erzitterte. DAS konnte er hier nicht erzählen. Alles in<br />

ihm krampfte sich zusammen. Der Arzt sah ihn an und sagte dann ruhig: „Du musst nicht<br />

antworten, Nummer 4. Du kannst auch zusehen, wie Nummer 10 langsam und qualvoll an<br />

dem Spinnengift stirb. Sie hat sicher Verständnis für deine Einstellung.“ Er stand auf und<br />

schickte sich an, den Kerker zu verlassen. House saß da und biss sich verzweifelt auf die<br />

Lippen. Was hatte er für eine Wahl? Er zweifelte inzwischen keine Sekunde mehr an den<br />

Intentionen der Entführer. Schließlich stieß er frustriert und verzweifelt hervor: „Okay, ist ja<br />

gut, Sir. Er hat <strong>mich</strong> misshandelt. Er hat <strong>mich</strong> stundenlang weggesperrt, wenn ich nicht<br />

funktioniert habe. Er drillte <strong>mich</strong> wie einen Soldaten. Wenn ich mit einer schlechten Note<br />

nachhause kam, musste ich stundenlang, egal zu welcher Jahreszeit, im Garten stehen. Ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

musste in der Hundehütte schlafen. Er hat <strong>mich</strong> in Eiswasser gelegt. Er demütigte <strong>mich</strong> in<br />

jeder erdenklichen Art und Weise.“ Aufgewühlt wie selten zuvor stieß Greg diese Worte<br />

heraus und wie selten zuvor wurde ihm deutlich klar, wie sehr er seinen Erzeuger hasste und<br />

doch nach dessen Anerkennung lechzte. „Hasst du deine Eltern?“ <strong>Die</strong> intensiven, blauen<br />

Augen Gregs blickten ins Leere. Dann sagte er ehrlich: „Meinen Vater, ja, Sir, abgrundtief.<br />

Meine Mutter ... nein.“<br />

Der Arzt schien zufrieden zu sein. Nach einigen weiteren Einträgen in sein PDA<br />

klappte er dieses zu und stand dann auf. Er machte House vom Stuhl los und fesselte dessen<br />

Handgelenke wieder auf dem Rücken. Dann zog er ihn hoch. „Mitkommen.“ Schon nach<br />

wenigen Schritten wurde klar, dass House außer Stande war, mit gefesselten Händen zu<br />

laufen, zu sehr schmerzte sein Bein nach dem langen Stehen, er brauchte einfach die Hände<br />

frei, um sich irgendwo abzustützen. Er keuchte bei jedem Schritt gequält auf und sein Bein<br />

drohte unter ihm weg zu sacken. Der Arzt hatte ein Einsehen und öffnete House die Hand-<br />

schellen. Dann sagte er in das Mikro seines Headsets: „Bringt einen Stock für 4.“ In erstaun-<br />

lich kurzer Zeit kam ein Wachposten zur Tür herein und drückte House seinen Krückstock in<br />

die Hand. Dann blieb er bei diesem und achtete darauf, dass House keinen Blödsinn machte.<br />

<strong>Die</strong>ser jedoch war viel zu fertig, um noch an etwas anderes zu denken als an Cameron. Wie<br />

mochte es ihr gehen? Er wollte zu ihr und sie beruhigen, ihr helfen, sie versorgen. In dem Flur<br />

außerhalb des Zellentraktes wurde er in den Fahrstuhl dirigiert und diesmal ging es zwei<br />

Etagen nach oben. Ganz kurz schoss House der Gedanke durch den Kopf, dass dieses Ge-<br />

bäude riesengroß sein musste. Kaum etwas, was sich leicht und ohne weiteres verbergen ließ.<br />

Aber so schnell ihm dieser Gedanke kam, so schnell war er auch wieder aus seinem Kopf ver-<br />

schwunden. Schließlich erreichten sie eine Tür, die auf sprang. Ein Krankenzimmer, voll aus-<br />

gestattet, mit allem, was ein modern und sehr funktionell ausgestattetes Intensivstations-<br />

zimmer haben musste: EKG, Blutdruck-, Körpertemperatur-, und Vitalparameterüberprüfung,<br />

Monitore, eine elektronische Spritzenpumpe, Beatmungsgerät, alles war vorhanden.<br />

Allison lag in dem Bett und wurde mittels eines Tubus beatmet. Auf ihrem linken<br />

Zeigefinger steckte ein Pulsoxy. Auf dem Handrücken der linken Hand war außerdem ein<br />

Venenkatheter angelegt worden. Ihre Vitalfunktionen wurden überwacht. <strong>Die</strong> Binde, die<br />

Grissom um ihr Bein gewickelt hatte, war noch vorhanden. Und auf einem Tablett auf dem<br />

Schrank neben ihrem Bett sah Greg eine Spritze, zwei kleine Ampullen und einen Zettel<br />

liegen. Auf der Ampulle las House: „Funnel Web Spider Antivenom®“ Er las sich den<br />

Zettel genau durch. „... Zwei Ampullen ... intravenös ... bisher keine Nebenwirkungen ver-<br />

zeichnet ... eventuell Hautausschlag, Fieber, geschwollene Drüsen ... Druckverband erst nach<br />

Injektion des Gegengiftes entfernen ...“ House zögerte keinen Moment länger. Er griff nach<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Spritze und zog die beiden Ampullen des Gegengiftes auf. Dann injizierte er das Mittel<br />

über den Katheter in Allisons Blutbahn. Er sah sich um, sichtete einen Stuhl und zog ihn sich<br />

an das Bett. Schwer ließ er sich auf den Stuhl sinken, griff sich Camerons rechte Hand und<br />

hielt diese in seiner. Dann sagte er leise: „Mach mir bloß nicht schlapp, Mädchen, ich brauche<br />

dich.“<br />

House saß an Camerons Bett und beobachtete sie. Er hoffte inständig, dass sie das<br />

Gegengift rechtzeitig bekommen hatte. Er wünschte, er könnte sehen, ob sich ihr Zustand<br />

besserte, aber bevor sie aufwachte, war das kaum möglich. Ihre Atmung wurde durch<br />

Maschinen kontrolliert und ob sie unter Schmerzen und Übelkeit litt konnte er nicht fest-<br />

stellen solange sie schlief. <strong>Die</strong> einzigen offensichtlichen Symptome, die House erkennen<br />

konnte, waren Camerons verkrampfte Haltung und starkes Schwitzen. Ein Blick auf den<br />

Monitor zeigte ihm einen stark erhöhten Pulsschlag und sehr niedrige Blutdruckwerte. Der<br />

Diagnostiker sah sich im Raum um und entdeckte eine Tür, von der er vermutete, dass sie in<br />

ein Badezimmer führte. Er öffnete die Tür und seine Vermutung wurde bestätigt. In einem<br />

Regal fand House Waschlappen. Er tränkte einen mit kaltem Wasser und ging zurück zu<br />

Cameron. Er setzte sich wieder auf den Stuhl neben ihrem Bett und begann Allisons Stirn zu<br />

kühlen. Mehr konnte er im Moment nicht für sie tun. In dem Krankenzimmer gab es, wie<br />

überall in diesen Horrorgebäude, keine Uhren, deswegen konnte House nur grob schätzen,<br />

wie lange er an Camerons Bett saß und darauf wartete, dass sie aufwachte. Zwischendurch<br />

ging er immer wieder ins Bad und tränkte den Waschlappen mit kühlem Wasser. Nach einiger<br />

Zeit bemerkte House, wie Cameron sich mehr und mehr entspannte. <strong>Die</strong> Krämpfe hatten an-<br />

scheinend aufgehört. Greg überlegte, ob er riskieren konnte, ihr den Tubus zu entfernen.<br />

Wenn ihr restlicher Körper sich entkrampft hatte, war es sehr wahrscheinlich, dass auch ihre<br />

Atemmuskulatur wieder normal funktionierte. House hätte Cameron gerne von dem Schlauch<br />

in ihrem Hals befreit bevor sie aufwachte, da die Prozedur im Wachzustand etwas unan-<br />

genehm für sie sein würde. Er beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Wenn<br />

Cameron nicht spontan atmete, konnte er ihr den Tubus immer noch wieder einführen. House<br />

entlüftete den Cuff und zog so vorsichtig wie möglich den Schlauch aus Camerons Hals und<br />

beobachtete sie gebannt. Ihr Brustkorb hob und senkte sich weiterhin gleichmäßig. House<br />

atmete erleichtert auf. Das Gegengift schien zu wirken. Cameron sah beinahe entspannt aus,<br />

als würde sie einfach nur schlafen. Auch das Schwitzen hatte aufgehört. House nahm seinen<br />

Platz neben dem Bett wieder ein und griff ihre Hand.<br />

Das Erste, das Cameron wahrnahm, als sie aufwachte, war, dass jemand ihre Hand<br />

hielt und ihren Handrücken sanft mit dem Daumen streichelte. Sie öffnete langsam die Augen<br />

und blickte direkt in House„ besorgtes Gesicht. „Da bist du ja wieder. Ausgeschlafen? Wie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fühlst du dich?“, fragte er. „Ich habe Durst.“, brachte sie mit heiserer Stimme hervor und<br />

registrierte beiläufig, dass House zum einfachen Du übergegangen war. Ihr Hals war rau, was<br />

auf künstliche Beatmung hindeutete und das Sprechen fiel ihr schwer. House verstellte das<br />

Kopfteil, sodass Cameron sich in einer halb sitzenden Position befand. Dann nahm er die<br />

Flasche Wasser, die auf ihrem Nachttisch stand und half ihr, ein paar Schlucke zu trinken.<br />

„Besser?“, fragte er nach. „Etwas. Mir tut alles weh.“ „<strong>Die</strong> Sadisten im weißen Kittel haben<br />

dich intubiert, weil die Muskelkrämpfe deine Atemmuskulatur lahm gelegt haben. <strong>Die</strong> Hals-<br />

schmerzen kommen vom Schlauch. Der Rest ...“ Er seufzte. „Wie fühlst du dich?“ „Mein<br />

Bein tut noch weh, aber nicht so sehr wie am Anfang. Sonst bin ich glaube ich okay.“ „Ich<br />

werde es mir kurz ansehen, um sicher zu stellen, dass die Wunde sich nicht entzündet.“ House<br />

schob die Decke zur Seite und entfernte die Bandage, die Gil angelegt hatte. <strong>Die</strong> Bisswunde<br />

sah gut aus. Zwei kleine, rote Punkte. Es sah nicht entzündet aus. House tastete die Wunde<br />

auf empfindliche Stellen ab, aber außer einem leichten Druckgefühl spürte Allison nichts. In<br />

einem Wandschrank fand House Verbandszeug. Er legte einen lockeren Verband an, um die<br />

Wunde sauber zu halten und deckte Cameron dann wieder zu.<br />

„Wie haben Sie diese Leute überredet, Ihnen das Gegengift zu geben?“, fragte<br />

Cameron. „Sie wollten, dass ich ihre dämlichen Bildertests ehrlich interpretiere und ich habe<br />

ihnen gesagt, was sie hören wollten.“ House wusste, dass jetzt nicht der Moment für Lügen<br />

und Ausflüchte war. Cameron verdiente die Wahrheit. „Cameron, es tut mir Leid. Ich hätte<br />

wissen müssen, dass man dich für meine Spielchen bestrafen wird und ich hätte ausnahms-<br />

weise mal meine große Klappe halten sollen.“ „Ja, das hätten Sie.“, sagte Cameron schlicht.<br />

Sie hatte in dieser Kiste Todesangst gehabt und sie wusste genau, wem sie das zu verdanken<br />

hatte. Cameron sah House in die Augen und erkannte die ernsthafte Reue in ihnen. Ruhiger<br />

sagte sie: „Es ist Ihnen sicher nicht leicht gefallen, ihren Anweisungen zu folgen.“ Einige der<br />

Tests, die sie alle hatten machen müssen, zielten darauf ab, die unterbewussten Wünsche und<br />

Ängste, die sie ausmachten, aufzudecken und Cameron war klar, wie schwer es für House<br />

gewesen sein musste, sich eine solche Blöße zu geben. „Du bist es wert.“ Um seine Aussage<br />

nicht ganz so verfänglich klingen zu lassen fügte House hinzu: „Wer soll denn meine Mails<br />

bearbeiten, wenn du drauf gehst?“ Cameron rollte mit den Augen, lächelte aber. Sie wusste,<br />

dass House den ersten Teil seines Statements ernst gemeint hatte.<br />

„Danke.“, sagte sie und lehnte sich dann wieder im Bett zurück. Sie fühlte sich immer<br />

noch ziemlich schlapp. House brachte das Kopfteil wieder in Liegeposition und deckte sie<br />

richtig zu. <strong>Die</strong>smal war sie es, die nach seiner Hand griff und House wehrte sich nicht da-<br />

gegen. Cameron schloss die Augen und machte es sich bequem, ohne House‟ Hand loszu-<br />

lassen. Innerhalb weniger Minuten war sie wieder eingeschlafen. Nach einiger Zeit, House<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schätzte, dass etwa eine Stunde vergangen war, kam ein Mann im weißen Kittel zusammen<br />

mit einer Wache, die ein Tablett trug, herein. Der Arzt untersuchte Cameron kurz und befreite<br />

sie dann von der Infusion, wobei sie aufwachte. Wortlos verschwanden die beiden Männer<br />

wieder. House hob den Deckel von dem Tablett. Es enthielt Brot für ihn und Cameron, sowie<br />

zwei Flaschen Wasser. „Ich bin geblendet von dieser Vielfalt.“, erklärte House mit gespielter<br />

Begeisterung. „Womit möchtest du dein Festmahl beginnen? Brot oder Wasser?“ Cameron<br />

lächelte. „Ich hätte gerne eine große Pizza, mit Thunfisch, Zwiebeln und Paprika. Aber da das<br />

nicht zur Auswahl steht, nehme ich ein wenig Brot.“ „<strong>Die</strong> Pizza hättest du von dem so ge-<br />

nannten Pflegepersonal an unserem Krankenhaus auch nicht bekommen. Schonkost ist nur ein<br />

Euphemismus für: Du wirst bestraft, weil wir uns hier mit dir abgeben müssen.“ Cameron<br />

lachte. Es war schön, House in ihrer Nähe zu haben und mit ihm reden zu können, ohne über<br />

die Köpfe von zwei Leuten in den Zellen zwischen ihnen gucken zu müssen.<br />

Kurz nachdem House und Cameron ihr spärliches Mahl beendet hatten, kamen drei<br />

Wachen herein. Der erste Mann verschwand wortlos mit Camerons Tablett. Einer der anderen<br />

gab House die knappe Anweisung: „Nummer 4, zurück in die Zelle.“ Cameron sah House<br />

entsetzt an. Sie wollte hier nicht alleine bleiben. House nahm ihre Hand und versuchte, seine<br />

Stimme ruhig klingen zu lassen, als er sagte: „Es ist okay, Cameron. Deine Wunde verheilt<br />

gut, du wirst bestimmt bald auch zurück gebracht. Dann können wir wieder Spaß beim<br />

Camping mit all den anderen netten Kids haben.“ Cameron schenkte ihm ein schwaches<br />

Lächeln. <strong>Die</strong> Tatsache, dass House sie zum ersten Mal mit ihrem Vornamen angeredet hatte<br />

und die ganze Zeit so fürsorglich gewesen war, tröstete sie ein wenig über die Trennung<br />

hinweg. House wurde von den beiden Wachen zurück in den Zellentrakt geführt. „Wie geht es<br />

Allison?“, fragte Scully, sobald die Wachen gegangen waren. Ausnahmsweise war House<br />

nicht in der Stimmung für einen ironischen Kommentar. „Es geht ihr besser. Sie ist bei<br />

Bewusstsein und die Bisswunde ist nicht entzündet. Keine Muskelkrämpfe oder Übelkeit.<br />

Aber sie hat noch Schmerzen.“ Seine Stimme klang bei dem letzten Satz deutlich schuld-<br />

bewusst. - Und sie hat Angst, allein in dem Krankenzimmer von diesen Psychopathen. -<br />

House verstand es nicht wirklich, aber seine Gegenwart wirkte offensichtlich beruhigend auf<br />

Allison, obwohl er ihr den ganzen Schlamassel erst eingebrockt hatte. Er hoffte, dass sie bald<br />

zurück in den Zellentrakt durfte.<br />

Akt 4: Gibbs’ Rache<br />

Wer die Spielregeln aufstellt, gewinnt auch. Das ist der Sinn der Spielregeln.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Aurel Schmidt<br />

Kaum hatte House in Begleitung des Arztes und des Wachmannes den Kerker ver-<br />

lassen, wurde Gil zurück gebracht. Als er wieder in seiner Zelle steckte, machte er mit dem<br />

Daumen nach oben ein Zeichen an die <strong>Anderen</strong>, dass soweit alles in Ordnung war. Erleichtert<br />

atmeten die meisten auf. Sawyer und Jake hatten nicht einmal mit bekommen, dass Gil zurück<br />

gebracht worden war. Sawyer hatte sich auf seine Liege geworfen und lag dort, die Arme<br />

unter dem Kopf verschränkt, und starrte abwesend die Decke über sich an. Hatte er nach<br />

House‟ und Mulders Worten so etwas wie Hoffnung verspürt, war diese inzwischen wieder<br />

verflogen wie Rauch im Wind. Was mit Cameron geschehen war, hatte er so wenig registriert<br />

wie Jake, der immer noch an die hintere Wand seiner Zelle gelehnt am Boden hockte, die<br />

Beine an den Körper gezogen. Völlig geistesabwesend hockte er da und stierte vor sich hin.<br />

Gibbs ein paar Zellen weiter fragte sich entnervt, wer der Nächste auf dem Zettel der Ent-<br />

führer war. Als könnten diese seinen Gedanken lesen, knackte es statisch im Lautsprecher<br />

und: „Nummer 5 und 16.“, erscholl. Gibbs sprang auf die Füße und trat an die Tür. Wie<br />

elektrisiert beobachtete er, wie zwei Wachen herein kamen und Ziva fesselten. War sie die<br />

nächste der Frauen, die für den Fehler eines <strong>Anderen</strong> würde leiden müssen? In Gibbs<br />

krampfte sich alles zusammen.<br />

Ziva wurde auf die Plattform geführt und warf Gibbs einen ruhigen Blick zu. <strong>Die</strong>ser<br />

wusste, dass man die Mossad Agentin nicht so schnell beeindrucken konnte, trotzdem machte<br />

er sich Sorgen, was sie mit ihr zu tun gedachten, um ihn zu Strafen. Gibbs wurde auf der<br />

Plattform an die Stange gefesselt, Ziva musste warten, was geschah. <strong>Über</strong> den Lautsprecher<br />

kam die Ansage: „Nummer 16. Du hast, wie schon deine Vorgänger, wissentlich Falschan-<br />

gaben gemacht. Dafür wirst du bestraft werden. Was mit Nummer 5 geschieht, ist allein deine<br />

Schuld.“ Gibbs erstarrte. Ziva stand weiterhin ruhig da, von zwei der Wachen an den Ober-<br />

armen festgehalten. Das Ruhige änderte sich allerdings schlagartig, als von unten nun wieder<br />

die Kiste, in der inzwischen schon drei der Frauen gelegen hatten, hochgefahren wurde. Ziva<br />

erstarrte. Sie litt, wie Kate, unter Platzangst. Gibbs wusste dies sehr wohl. Entsetzt be-<br />

obachtete er, wie eine weitere Wache den Deckel der Kiste öffnete und die beiden <strong>Anderen</strong><br />

Ziva ohne viel Federlesen in die Kiste stopften. Sie drückten sie, obwohl Ziva verzweifelt<br />

versuchte, sich zu wehren, einfach mit noch gefesselten Händen, bäuchlings, in die Kiste, und<br />

bevor die junge Frau noch reagieren konnte, wurde der Deckel auf die Kiste gedrückt und<br />

verriegelt. Gibbs hatte zunehmend entsetzt beobachtet, was die Wachen mit Ziva anstellten.<br />

Jetzt keuchte er: „Hören Sie zu, Sir. Lassen Sie sie da raus. Sie wird verrückt da drinnen. Ich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werde nie wieder die Unwahrheit sagen, das schwöre ich. Bitte.“ „Es ist uns klar, dass du in<br />

Zukunft genau das tun wirst, was wir dir sagen, Nummer 16. Das ändert aber nichts an der<br />

Tatsache, dass die Strafe durch gezogen wird. <strong>Die</strong> Zeit ist noch nicht um.“ Gibbs schüttelte<br />

verzweifelt den Kopf. Er hätte alles getan, um Ziva dort raus zu holen, aber er hatte keinerlei<br />

Chancen. <strong>Die</strong> würden die Strafe durchziehen, egal, was er sagte oder tat. Aus dem Augen-<br />

winkel sah er, dass Abby vollkommen entsetzt an der Zellentür stand und auf die Kiste starrte,<br />

in der die Kollegin durch die Hölle ging.<br />

Ziva hatte nackte Panik gepackt, als sie die Kiste sah. Sie versuchte verzweifelt, sich<br />

zu wehren, als die zwei Wachleute sie brutal in diese hinein drücken. Ihre gefesselten Hände<br />

zuckten und sie schluchzte vollkommen fassungslos. Ihr einziger wirklicher Schwachpunkt.<br />

Platzangst. Klaustrophobie. Sie wusste nicht einmal, seit wann sie die hatte. Als der Deckel<br />

über ihr geschlossen wurde, schrie sie in heller Panik auf: „NEIN!“ Hektisch drehte sie sich<br />

auf den Rücken, den Schmerz in ihren Händen und Armen ignorierend, und versuchte<br />

hysterisch, den Deckel mit den Beinen aufzustoßen. Schluchzend und keuchend musste sie<br />

feststellen, dass sie keine Chance hatte, der schrecklichen Kiste zu entkommen. <strong>Die</strong> Enge<br />

trieb sie fast in den Wahnsinn. Viel zu schnell und flach atmete sie. Mit aller Kraft versuchte<br />

die junge Frau, sich irgendwie wieder unter Kontrolle zu kriegen. Sie spürte, dass sie am<br />

ganzen Körper zitterte vor Angst. „Ich will hier raus.“, wimmerte sie verzweifelt. Aber man<br />

ließ sie nicht. Minuten reihten sich aneinander. Und als sie schon glaubte, jeden Moment den<br />

Verstand zu verlieren, hörte Ziva, wie sich an dem Kistendeckel zu schaffen gemacht wurde.<br />

Und endlich, endlich wurde der Deckel geöffnet. Sie wollte sofort hoch schießen, aber man<br />

ließ sie nicht. <strong>Die</strong> Wachen beugten sich über sie und hielten sie in genau der Position fest, in<br />

der sie lag. <strong>Die</strong> Lautsprecherstimme ertönte. „Nummer 16, du wirst gleich alle Fragen, die wir<br />

an dich haben, wahrheitsgemäß beantworten, oder wir werden den Deckel wieder schließen.“<br />

Gibbs sah in Zivas tränenüberströmtes Gesicht und sagte laut und deutlich: „Sir, ich werde<br />

alles tun, was Sie verlangen.“<br />

„Nummer 16. Wie lautet die ehrliche Antwort auf folgende Frage? Für einige bin ich<br />

ein unbequemer Querdenker.“ Gibbs war nicht dumm, er konnte sich an den zehn Fingern<br />

abzählen, was die ehrliche Antwort für ihn bedeuten würde in Bezug auf den weiteren Verlauf<br />

der Gefangenschaft. Aber er sagte ohne zu Zögern laut und fest: „Ja, das bin ich wohl, Sir.“<br />

Unvermeidlich folgte nun der nächste Tagesordnungspunkt, vor dem Gibbs starkes Un-<br />

behagen empfand. Er wurde von der Stange befreit und zu dem Tisch gebracht, der in-<br />

zwischen schon zum vierten Mal aus der Etage unter ihnen nach oben gefahren wurde. Er<br />

wurde auf einen der Stühle gedrückt und seine Hände an der Rückenlehne fixiert. Dann ging<br />

es los. „Nummer 16, dein Name ist Leroy Jethro Gibbs?“ „Ja, Sir.“ Du wurdest am<br />

237


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

02.09.1956 geboren?“ „Ja, Sir.“ „In Stillwater, Pennsylvania?“ „Ja, Sir.“ Deine Eltern sind<br />

Jackson und Embeth Gibbs?“ Nicht, dass das jeder wusste, aber es war sicher nicht schwer<br />

gewesen, dass heraus zu finden. „Ja, Sir.“ „Du warst bei den Marines? Rang?“ „Gunnery<br />

Sergeant, Sir.“ „Was genau hast du während der Militärzeit noch gemacht?“ Gibbs musste<br />

einen Moment nachdenken. Dann zählte er auf: „Infanterie, MP, Verhör- und <strong>Über</strong>setzungs-<br />

spezialist, Scharfschütze, ich hoffe, ich habe nichts vergessen, Sir.“ „Auszeichnungen,<br />

Nummer 16?“ „Purple Heart und Silver Star, Sir.“ Gil, Booth, Mulder, sogar Sawyer und<br />

Jake, horchten auf. Der Silver Star wurde nur für besondere Tapferkeit vor dem Feind ver-<br />

liehen. Gibbs musste etwas Besonderes geleistet haben, wenn er die Auszeichnung erhalten<br />

hatte. „Du bist drei Mal geschieden?“ Abby konnte nicht verhindern, dass ihr ein kurzes<br />

Grinsen über das Gesicht huschte, als sie die Frage hörte. „Ja, Sir, idiotisch, was?“ Gibbs<br />

nickte. Er rechnete fest damit, dass das Verhör zu Ende war. Doch die nächste Frage ließ nicht<br />

lange auf sich warten. „Wer war Caitlin Todd?“ Gibbs Gesicht verhärtete sich. „Sie war eine<br />

Kollegin, Sir.“, erklärte er kurz. „Was ist mit ihr passiert? Stimmt es nicht, dass sie deinet-<br />

wegen erschossen wurde?“ „Sie wurde während eines Einsatzes im <strong>Die</strong>nst getötet. Es ist mög-<br />

lich, dass der Schuss mir galt, das war im Nachhinein nicht zu ermitteln, Sir.“ Gibbs zitterte<br />

innerlich, hoffte geradezu verzweifelt, dass der Arzt mit dieser Umschreibung zufrieden war.<br />

Wenn er es nicht war, ging er jedenfalls nicht weiter auf das Thema ein. Gibbs atmete auf. Er<br />

ging davon aus, dass die Befragung nun wohl zu Ende war. Dann aber traf ihn die nächste<br />

Frage wie ein Schlag in den Magen.<br />

„Erzähle mir etwas über Shannon und Kelly.“ Ziva, die sich bei jetzt offenem Deckel<br />

mühsam wieder berappelt hatte, sah betroffen Gibbs an. Sie wusste als einzige im ganzen<br />

Team, was nun kam. Abby dagegen begriff nichts. Wer waren Kelly und Shannon? Sie hatten<br />

gedacht, ihren Vorgesetzten gut zu kennen, aber von den beiden Frauen hatten sie bisher<br />

nichts gehört. Gibbs saß erschlagen da. Woher, zum Teufel, hatten diese Leute ihre<br />

Informationen? Gibbs starrte den Arzt vor sich an. „Nummer 16, du hast einen Befehl er-<br />

halten, ich erwarte, dass du ihm Folge leistest.“ Gibbs musste tief einatmen. Dann sagte er mit<br />

leicht zittriger Stimme: „Sir, ...Shannon ... Sie war meine erste Frau. Mit ihr hatte ich unsere<br />

Tochter Kelly.“ Abbs glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Tochter? „Wo sind die Beiden<br />

heute?“ <strong>Die</strong> nächste Frage. Gibbs senkte den Blick und starrte auf den Tisch. „Sie sind tot,<br />

Sir.“ „Wie sind sie ums Leben gekommen?“ Gibbs wusste instinktiv, dass Abby und Ziva<br />

sehr aufmerksam zu hörten. Und er wusste, dass ihm keine Wahl blieb. So sagte er schließ-<br />

lich: „Sie wurden bei einem Autounfall getötete, Sir.“ „Wie kam es zu dem Unfall?“ „Der<br />

Fahrer des Wagens, in dem Shannon und Kelly saßen, wurde durch einen Kopfschuss getötet.<br />

Den daraus folgenden Unfall haben die Beiden nicht überlebt.“ Gibbs liefen vereinzelte<br />

Tränen über das Gesicht. Abby und auch Ziva, obwohl sie die Geschichte kannte, hatten er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schüttert zugehört. Abby kullerten ebenfalls Tränen über die Wangen. Davon hatte sie keine<br />

Ahnung gehabt. „Was geschah mit dem Attentäter, der den Fahrer des Wagens erschoss?“<br />

Kalt und emotionslos kamen Gibbs nächste Worte: „Sir, er fiel ebenfalls einem Anschlag zum<br />

Opfer.“ „Nummer 16, hast du ihn getötete?“ „Jawohl, Sir.“<br />

Minuten später saß Gibbs ausgebrannt und seelisch erschöpft auf seiner Liege in seiner<br />

Zelle. <strong>Die</strong>se Leute hatten unglaubliche Informationen, es war nicht zu fassen. Und sie nutzten<br />

gnadenlos und ohne Rücksicht die Verhältnisse ihrer Gefangenen zu einander aus, um ihren<br />

Willen durchzusetzen. Jeder Regelverstoß führte unweigerlich zu einer eiskalten Abstrafung<br />

der Begleiter. Und nicht nur das. Jederzeit und skrupellos wurden die Begleiter eingesetzt, um<br />

alles aus den Gefangenen heraus zu kitzeln, sei es Leistung der körperlichen Art oder was den<br />

Leuten, die sie gefangen hielten auch gerade einfiel. Gibbs war desillusioniert. Er musste sich<br />

eingestehen, solange Abby und Ziva in den Händen dieser Leute waren, würde er, Gibbs, alles<br />

tun, was man von ihm erwartete. Er beobachtete, wie Ziva aus der Kiste gezogen und dann<br />

ebenfalls in ihre Zelle zurück gebracht wurde. Dort sank die junge Israelin erschöpft auf die<br />

Liege nieder.<br />

Akt 5: Blut und Knochen<br />

Drei können ein Geheimnis wahren wenn zwei von ihnen tot sind.<br />

Benjamin Franklin<br />

Nachdem Gibbs in seine Zelle gebracht worden war, herrschte eine kurze Zeit Ruhe.<br />

Dann kam die nächste Ansage. „Nummer 1 und 6.“ Booth sah erschrocken auf. Was sollte<br />

das? Er hatte nicht gelogen, Bones ganz sicher auch nicht, so was war nicht ihre Art. Er<br />

musste erst einmal durchatmen, dann stand Booth auf und trat an die Tür. Auch Bones hatte<br />

mehr als erstaunt aufgeblickt, als ihre Nummer genannt wurde. - Na großartig. - dachte sie. -<br />

Du auch, mein Sohn Brutus. - Bones konnte nicht abstreiten dass sie Angst hatte, Angst um<br />

sich und Angst um Seeley. Heute hatten die Entführer bewiesen, dass sie vollkommen<br />

skrupellos waren. Kate und Heather, was immer House oder Mulder auch aus Kates Haltung<br />

gesehen zu haben glaubten, waren höchstwahrscheinlich vergewaltigt worden. Bones lief eine<br />

Gänsehaut über den Rücken. Sie war wirklich alles andere als ein ängstlicher Mensch, aber<br />

die Vorstellung, jetzt wohlmöglich dasselbe Schicksal zu erleiden, trieb der Anthropologin<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tränen in die Augen. Zitternd erhob sie sich, biss die Zähne zusammen und trat an die Zellen-<br />

tür. Wärter kamen und fesselten ihre Handgelenke. Dann wurde sie, genau wie Booth, auf die<br />

Plattform geführt. Der Tisch war diesmal gar nicht erst wieder nach unten gefahren worden.<br />

Booth wurde sofort zu diesem geführt und auf einen Stuhl gedrückt. <strong>Die</strong> Hände an die<br />

Rückenlehne gefesselt zu bekommen, war ein unangenehmes Gefühl. Er sah zu Bones<br />

hinüber, die auf die Plattform geführt wurde.<br />

Tempe wurde an die Stelle geführt, an der sie zu stehen hatten, wenn es nach unten<br />

zum Duschen ging. Zwei der Wachen blieben bei ihr und dann wurde sie nach unten ab-<br />

gesenkt. Booth sah ihr aufs Höchste beunruhigt nach. Man ließ ihn unbeachtet hocken und die<br />

beiden Wachen, die ihn an den Stuhl gefesselt hatten, verschwanden aus dem Kerker. Booth<br />

konnte nicht verhindern, dass sein Herz schmerzhaft gegen seine Rippen pochte. Was<br />

mochten diese Schweine mit Bones vorhaben? Er merkte drastisch, dass seine Gefühle für<br />

Bones ihm jetzt sehr im Wege standen. Er hatte eine verfluchte scheiß Angst um die<br />

Anthropologin. Was würden sie mit ihr machen? Hatte sie doch gelogen? Hatte er irgendwas<br />

falsch gemacht bei den Tests? Er war sich absolut keiner Schuld bewusst. Dass man ihn hier<br />

hocken ließ, ohne ihn zu beachten, machte die Kälte in seinem Inneren auch nicht besser.<br />

Wenn er nicht bald erfuhr, was mit Bones war ... Er wurde mit jeder Minute unruhiger. Und<br />

als sich dann endlich etwas tat, schrak er heftig zusammen. Zwei Bildschirme, die so an-<br />

gebracht waren, dass alle Gefangenen auf den einen oder anderen Bildschirm freies Sichtfeld<br />

hatten, wurden aus der Decke herab gelassen. Sie flackerten kurz auf und dann ... Das Bild,<br />

was sich Booth entsetzten Augen bot, ließ auch die anderen Gefangenen schaudern.<br />

Nackt stand Bones, die Hände über den Kopf gefesselt, an einer der Stangen. Neben<br />

ihr stand ein Wachposten, der einen Elektrostab-Schocker in der Hand hielt. Der Lautsprecher<br />

knarrte und die kalte Stimmer dozierte: „Einige von euch haben zufriedenstellend mit-<br />

gearbeitet, nachdem wir sie ausreichend motiviert haben. Wir möchten nun auch von denen,<br />

die bei den Tests die Wahrheit gesagt haben, einige Fragen beantwortet bekommen. Um euch<br />

klar zu machen, dass wir es auch hier sehr ernst meinen, werden wir eine kleine<br />

Demonstration vornehmen, die euch klar machen wird, dass wir auch weiterhin nicht spaßen.“<br />

Booth wurde steif vor Schreck. Er starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm, auf dem er<br />

Bones sehen konnte. Tränen liefen der jungen Frau über das Gesicht und jetzt wurde auch der<br />

Ton übertragen. Man hörte Bones schluchzen und dann stammelte sie entsetzt: „Nein, bitte,<br />

nicht ... bitte!“, als sie den Stab auf ihren ungeschützten Bauch zu kommen sah. Im nächsten<br />

Moment schrie sie gellend auf vor Schmerzen und wand sich zuckend in ihren Fesseln. Booth<br />

brüllte hasserfüllt los: „Hört auf, ihr Dreckskerle! Lasst sie zufrieden.“ Im selben Moment<br />

hätte er sich für seine Unbeherrschtheit am liebsten die Zunge abgebissen, denn natürlich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

folgte die Strafe für sein Fluchen auf den Fuß. Erneut zuckte Tempe schreiend vor Schmerzen<br />

unter einem neuerlichen Stromschlag zusammen.<br />

Booth biss sich auf die Lippen bis er Blut schmeckte. Er zitterte am ganzen Körper,<br />

vor Wut, Hilflosigkeit, Ohnmacht. In seinem Gesicht arbeitete es. Seine Augen schwammen<br />

in Tränen und er brauchte alle Beherrschung, die er aufbringen konnte, um nicht erneut loszu-<br />

toben. Er merkte gar nicht, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Und dann endlich ging<br />

die Kerkertür auf und der Experimentleiter betrat die Bühne. Er setzte sich entspannt Booth<br />

gegenüber auf den zweiten Stuhl und sah diesen herausfordern da. „Nun, Nummer 1, ich darf<br />

davon ausgehen, dass du motiviert genug bist, mir ein paar Fragen zu beantworten?“ Booth<br />

sah den Arzt an. „Ja, das bin ich, Sir.“, sagte er mühsam beherrscht. „Gut, dann wollen wir<br />

mit etwas einfachem anfangen.“, erwiderte der Arzt leutselig. Er legte seinen PDA auf den<br />

Tisch und klappte ihn auf. „Eine einfache Frage zum Warm werden, die sogar ein FBI Agent<br />

beantworten kann. Dein Name, Nummer 1, ist Seeley Joseph Booth?“ Booth biss vor Wut die<br />

Zähne zusammen. „Ja, Sir.“, knirschte er. „Du wurdest am 16 Mai 1971 geboren?“ „Ja, Sir.“<br />

„Dein Geburtsort ist Pittsburgh, Pennsylvania?“ „Ja, Sir.“ „Der Name deiner Eltern lautet<br />

Tom und Marlene Booth?“ „Ja, Sir.“ „Du hast einen jüngeren Bruder, Jared Booth?“ „Ja, Sir.“<br />

„Wer ist Parker?“ Booth war nicht sonderlich überrascht, dass die von seinem vierjährigen<br />

Sohn wussten. So antwortete er ruhig: „Parker ist mein vier Jahre alter Sohn, Sir.“ „Wo ist<br />

seine Mutter Rebecca?“ „Wir sind nicht mehr zusammen.“ Booth wurde es langsam etwas<br />

warm. <strong>Die</strong> Fragen begannen konkreter zu werden. „Was empfindest du für Nummer 6?“ Das<br />

kam derart überraschend, dass Booth ohne nachzudenken antwortete. „Ich liebe sie ...“ Dann<br />

wurde ihm klar, was er da gerade gesagt hatte.<br />

Der Arzt sah ihn an wie eine Giftschlange die Maus, die das nächste Opfer werden<br />

sollte. Booth konnte nicht verhindern, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch.<br />

„Erzähle mir etwas über deine Sucht.“ „Was?“, entfuhr es dem FBI Agent. „Ich möchte, dass<br />

du mir von deiner Sucht erzählst.“, wiederholte der Arzt ruhig. „Welcher Sucht?“, entfuhr es<br />

Booth unwillkürlich. Sofort gellte ein neuer Schmerzensschrei Tempes durch den Kerker und<br />

sie wand sich erneut konvulsivisch in ihren Fesseln. „NEIN! Hören Sie auf. Ich ... Ich bin<br />

Spielsüchtig. Meinen Sie das, Sir? Ich ... Ich habe lange Zeit an Spieltischen verbracht. Ich<br />

konnte an keinem Craps-Tisch 6 vorbei gehen. Als ich beim FBI anfing, habe ich eine<br />

Therapie gemacht. Heute habe ich es unter Kontrolle. Ich habe seit Jahren nicht mehr gespielt,<br />

Sir.“ Booth verstummte. „Was hast du vor deiner Laufbahn beim FBI gemacht, Nummer 1?“<br />

„Ich war bei den United States Army Rangers, Sir.“ „Dein Rang?“ „Sergeant, Sir.“ „Wurdest<br />

du jemals gefoltert?“ - Außer hier? - fuhr es dem jungen Mann durch den Kopf. Er schloss<br />

6 Craps bzw. Craps shooting oder Seven Eleven ist ein Würfelspiel, das sich vor allem in den USA großer Beliebtheit erfreut.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

unwillkürlich kurz die Augen, atmete tief durch. Dann erklärte er leise: „Ja, Sir ... ja, das<br />

wurde ich.“ „Was genau wurde gemacht?“ Booth stieß ein frustriertes, freudloses Lachen aus.<br />

„Was? Brauchen Sie zusätzliche Inspiration?“, entfuhr es ihm, bevor er es noch verhindern<br />

konnte. Sofort hätte er sich auf die Zunge beißen mögen. Verzweifelt wartete er, dass Bones<br />

für seine Unbeherrschtheit würde leiden müssen, aber erstaunlicherweise geschah dies nicht.<br />

Hastig fuhr er fort: „Bastonade, Sir. <strong>Die</strong> haben die Bastonade bei mir angewendet.“ Ziva hatte<br />

aufmerksam gelauscht. Bastonade, ja, sehr wirkungsvoll, wenn richtig angewandt. Stockhiebe<br />

auf die Fußsohlen. Armer Booth ... Der Interviewer machte bereits weiter. „Was genau war<br />

deine Aufgabe bei den Rangers?“ Booth wurde langsam schlecht. Er ahnte plötzlich, worauf<br />

es hier hinaus laufen würde. Es kostete ihn einige <strong>Über</strong>windung, weiter zu reden, aber ein<br />

Blick auf den Monitor half ihm bei der Entscheidung. „Ich war Scharfschütze, Sir.“ „Was war<br />

deine genaue Aufgabe im Kosovo?“<br />

Der junge FBI Mann wurde noch blasser als er ohnehin schon war. <strong>Die</strong> wussten von<br />

Raddick, das wurde Seeley schlagartig klar. Es hatte keinen Sinn, er musste davon berichten.<br />

Booth pustete angespannt und sagte mit zitternder Stimme: „Ich wurde in den Kosovo ge-<br />

schickt, weil ... Da war dieser Serbe, ein General, Raddick. Er war Führer einer Einheit, die in<br />

die Dörfer gingen und diese zerstörten. Säuberungsaktionen. Er ließ Frauen, Kinder, alle<br />

töten, weil er sein Land ethnisch reinigen wollte. Er hatte das vorher schon zwei Mal getan.<br />

Wir hatten genaue Infos, Fakten, Beweise. Zweihundertzweiunddreißig Menschen hatte er<br />

einfach so abgeschlachtet. Ich war der Scharfschütze, ich sollte ihn unschädlich machen. Er<br />

wollte in ein paar Stunden aufbrechen. Es war am Geburtstag seines Sohnes. Ein kleiner<br />

Junge, höchstens sechs oder sieben Jahre alt. Ich höre immer noch die Musik von der Party.<br />

Niemand wusste, woher der Schuss kam, aber sie wussten, warum er kam. Sie sagten, es<br />

wären über hundert Menschen dadurch gerettet worden. Aber dieser kleine Junge wusste<br />

nicht, wer sein Vater war. Er war einfach nur der Vater, den er liebte. Er hat ihn sterben<br />

sehen. Er fiel direkt vor ihm tot zu Boden. Der kleine Junge war über und über mit dem Blut<br />

seines Vaters bedeckt ...“<br />

Booth konnte nicht weiter reden. Tränen liefen dem sonst so harten FBI Mann über die<br />

Wangen. Das Bild des Kindes verfolgte ihn seit diesem Tag in seinen Träumen. Das Lied, das<br />

sie gespielt hatten, ein Albanisches Kinderlied, hörte er immer noch in seinem Kopf. Das<br />

Erzählen davon hatte die schreckliche Geschichte wieder hoch geholt. Booth saß schluchzend<br />

da und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nach einigen Minuten hatte er<br />

sich etwas beruhigt. „Wer ist Howard Epps?“ Booth musste gleich wieder schlucken. <strong>Die</strong>se<br />

Bastarde, sie nutzten jede Schwäche gezielt aus. „Er war ein psychopatischer Serienkiller, auf<br />

dessen Konto vermutlich mehr als zwanzig bestialische Morde an jungen Frauen gehen, Sir.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Arzt sah Booth an und ein leises Grinsen lag auf seinen Lippen. „Wo ist Epps heute?“<br />

Booth verdrehte die Augen. „Er ist tot. Es gelang ihm, aus dem Gefängnis zu fliehen. Er<br />

wollte Dr. Brennan töten. Bei diesem Versuch konnten wir ihn gemeinsam stellen. Er wollte<br />

sich vom Balkon stürzen, ich bekam ihn jedoch zu fassen. Allerdings schaffte ich es nicht, ihn<br />

wieder zurück zu ziehen und so stürzte er in den Tod.“ Der Arzt stieß ungeniert ein leises<br />

Lachen aus. „Und das tut dir sicher heute noch leid, was?“ Booth schluckte schwer. Er lief<br />

Gefahr, auszuflippen. Mühsam hielt er sich unter Kontrolle, beachtete den Arzt nicht, der ihn<br />

herausfordernd angrinste. Schließlich sah dieser ein, dass Booth keine Dummheit machen<br />

würde.<br />

„Ich möchte noch einmal auf deine Familie zurückkommen, Nummer 1. Ich möchte,<br />

dass du mir ein wenig über deinen lieben Vater erzählst.“ Booth wurde blass. Er sah ver-<br />

zweifelt auf den Monitor, sah Bones, die angstvoll den Kerl vor sich anschaute, und wusste,<br />

dass er keine andere Wahl hatte. So finge er stockend an zu sprechen. „Mein Vater ... Er ... Er<br />

war Alkoholiker. Er ... Er schlug Jared und <strong>mich</strong> regelmäßig windelweich ... Eines Tages ver-<br />

schwand er einfach, von einem Tag auf den anderen. Wir haben nie wieder was von ihm ge-<br />

hört.“ Booth hatte Tränen in den Augen, zwang sich aber, diese zurück zu halten. Er starrte<br />

auf den Boden und wartete, was nun kommen würde. Der Arzt grinste gehässig. „Da habt ihr<br />

ja viel Glück gehabt, was? Weißt du, dass dein eigener Großvater dafür gesorgt hat, dass dein<br />

Vater für immer verschwand?“ Booth starrte den Mann an, als hätte dieser den Verstand ver-<br />

loren. „Was? Was soll der Scheiß?“ Der Arzt grinste weiter. Dann erklärte er gelassen: „Dein<br />

Großvater wurde irgendwann Zeuge, wie dein lieber Vater dich halb tot schlug. Daraufhin<br />

stellte er ihn zur Rede. Er sagte seinem Sohn, dass dieser es nicht wert wäre, Vater zu sein.<br />

Dein Erzeuger machte sich daraufhin aus dem Staub. Dein Großvater, Hank Booth, ver-<br />

hinderte, dass euer Vater dich und deinen Bruder irgendwann wirklich tot geschlagen hätte.“<br />

Booth saß erschlagen da. Was er da gerade zu hören bekommen hatte, musste er erst einmal<br />

verarbeiten. Er hatte seine Vater gehasst, gehasst für das, was dieser Jared und ihm antat.<br />

Booth hatte sich so sehr gewünscht, seinen kleinen Bruder vor den brutalen Attacken seines<br />

Vaters schützen zu können, doch er war selbst noch ein Kind gewesen. Als sein Vater dann<br />

irgendwann spurlos verschwand, war Booth einerseits erschüttert gewesen, andererseits un-<br />

glaublich erleichtert. Doch mit der Tatsache, dass sein Großvater dafür gesorgt hatte, dass<br />

Tom Booth verschwand, musste der Agent erst einmal klar kommen.<br />

Der Arzt gab in sein Mikro den Befehl: „Schafft sie hoch, ich schicke euch Nummer<br />

1.“ Er machte Booth von dem Stuhl los und fesselte dessen Hände gleich wieder auf den<br />

Rücken. Dann wartete er. Einige Minuten später kam eine sehr verweinte, aber wieder be-<br />

kleidete Bones von unten herauf. Sie hatte alles über Lautsprecher mit angehört und wusste,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wie fertig Booth sein musste. Ein Blick in die Augen des Arztes sagten ihr aber eindeutig -<br />

Keine Unterhaltung. - und so schwieg sie erschüttert. Booth wurde nach unten gefahren und<br />

Bones musste auf dem Stuhl Platz nehmen. Der Arzt fixierte auch ihre Handgelenke, dann<br />

setzte er sich ruhig auf den Stuhl. Er schaute Bones interessiert an, wie man eine spannende<br />

Szene im Fernsehen verfolgen würde. Sie fühlte sich unbehaglich unter diesen kalten, ziel-<br />

gerichteten Augen. Minuten vergingen, zäh, Nerven belastend. Dann ging der Monitor erneut<br />

an und diesmal war Booth in derselben, hilflosen Haltung wie vor Minuten Bones, zu sehen.<br />

Der Arzt nickte zufrieden. „Wie ich schon Nummer 1 erklärt habe, werden wir dich ein wenig<br />

zur Zusammenarbeit motivieren.“ Er sagte nur: „Jetzt.“, in das Mikro und auf dem Bildschirm<br />

sah man Booth sich in den Fesseln winden. Sein Schmerzensschrei gellte durch den Kerker<br />

und trieb Bones Tränen in die Augen. „Wir haben uns erlaubt, die Spannung bei ihm ein<br />

wenig höher zu drehen als bei dir, Nummer 6.“, erklärte der Arzt und Bones schüttelte es.<br />

„Dein Name ist Temperance Brennan?“ „Ja, Sir.“, sagte Bones mit leicht zitternder<br />

Stimme. „Du wurdest am 11.10.1976 geboren?“ „Ja, Sir.“ „In Monterey, Kalifornien?“ „Das<br />

ist richtig, Sir.“ „Du arbeitest im Jeffersonian Institut in DC?“ „Ja, Sir.“ „Was ist dort deine<br />

Aufgabe?“ „Eigentlich ist es meine Aufgabe, die skelettierten <strong>Über</strong>reste von Toten zu identi-<br />

fizieren. Dabei geht es um Kriegsopfer, Opfer aus Massenhinrichtungen, Naturkatastrophen,<br />

prähistorische menschliche <strong>Über</strong>reste, wo immer Tote gefunden werden, die identifiziert<br />

werden müssen.“ „Du hast drei Doktortitel?“ „Ja, Sir, in forensischer Anthropologie,<br />

medizinischer Kybenetik und Kinästetik.“ „Erkläre deinen Mitgefangenen, was Kinästhetik<br />

ist, Nummer 6.“ Bones nickte und sagte dann: „Ja, Sir. Das ist die Lehre der menschlichen<br />

Bewegung.“ „Wo hast du deine Abschlüsse gemacht und mit welchem Ergebnis?“ „Ich habe<br />

an der Northwestern University in Evanston, Illinoise, studiert und alle Studien selbstver-<br />

ständlich mit summa cum laude abgeschlossen, Sir.“ „Was hast du mit dem FBI zu tun?“<br />

„Mein Team und ich werden immer wieder zur Mithilfe bei der Aufklärung von Verbrechen<br />

hinzugezogen, Sir.“ „Deine Eltern sind Matthew und Christine Brennan?“ Bones stutzte. Sie<br />

überlegte blitzschnell und kam zu dem Schluss, dass niemand davon wissen konnte. „Ja, Sir.“<br />

Der Arzt sah sie an. „Ich merke mir diese Antwort.“, sagte er beiläufig. Bones entging<br />

der Unterton. „Dein Bruder ist Russell Brennan?“ Bones nickte. „Ja, Sir.“ „Dein Name ist<br />

Temperance Brennan?“ „Das hatten wir schon, Sir.“, erwiderte Bones erstaunt. Der Arzt sah<br />

sie kalt an. „Du bist sicher?“ Bones schüttelte es. Sie konnten es nicht wissen. Niemand<br />

wusste es, außer Booth. „Ja, natürlich, Sir.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute<br />

sie sie schon, denn die Bildschirme, die bis eben schwarz gewesen waren, zeigten nun wieder<br />

Booth. Und im nächsten Moment sah Bones mit vor Entsetzen geweiteten Augen, wie Booth<br />

mit dem Elektrostab-Schocker bearbeitet wurde und hörte seine gequälten Schmerzensschreie.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Vier Mal stieß der Wachmann gnadenlos den Stab gegen Booth nackten Oberkörper, dann<br />

hörte er auf. Der Interviewer wandte sich wieder an Bones. „Deine Eltern ...“ „Max und Ruth<br />

Keenan.“, schluchzte Bones hysterisch. „Dein Bruder.“ „Kyle.“ „Du ...“ „Joy.“ „Wo bist du<br />

aufgewachsen?“ „Ich bin bei verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen und dann bei<br />

meinem Großvater.“ „Warum bist du nicht bei deinen Eltern aufgewachsen?“ Tempe<br />

schluchzte verzweifelt. „Meine Eltern waren gesuchte Bankräuber. Sie mussten untertauchen<br />

und haben meinen Bruder und <strong>mich</strong> zurück gelassen.“ „Wo sind deine Eltern heute?“ Bones<br />

kullerten immer mehr Tränen über die Wangen. „Meine Mutter ist tot, mein Vater inhaftiert,<br />

Sir.“ „Gut, Nummer 6, du kannst es also doch.“ In sein Mikro sagte er: „Schafft 1 hoch, wenn<br />

er gehen kann.“ Bones erschrak heftig. Der Arzt trat zu ihr und machte sie los. Eine Minute<br />

später war sie in ihrer Zelle. Sie wartete angstvoll darauf, dass man Booth bringen würde, was<br />

kurze Zeit darauf endlich passierte. Er hing ziemlich erledigt zwischen zwei Wachen und<br />

wurde in seine Zelle zurück gebracht. Bones wagte nicht, etwas zu sagen, da fortwährend das<br />

rote Licht leuchtete. Aber sie sah, in welch schlechter Verfassung Booth war und dachte ver-<br />

zweifelt - Es tut mir unendlich leid, Booth. -<br />

Akt 6: Saras Demütigung<br />

Keine Wunde ist in mir so vernarbt, dass ich sie ganz vergessen könnte<br />

Francesco Petracar<br />

„Nummer 11 und 13.“ Kaum waren Booth und Bones in ihren Zellen zurück, ging es<br />

auch schon weiter. Sara fing heftig an zu Zittern, ihr war absolut klar, dass sie gelogen hatte,<br />

und so, wie es aussah, bekam sie jetzt dafür die Quittung. Heftig bebend trat sie an die Tür<br />

und ließ sich die Handgelenke fesseln. Gil ein paar Zellen weiter ließ das Selbe mit ge-<br />

mischten Gefühlen zu. Auf der Plattform wurde Gil an den Tisch geführt und auf einen der<br />

Stühle gedrückt. Also sollte es mit ihm losgehen. Sara wurde zitternd nach unten gefahren<br />

und musste sich dort genau so gnadenlos frei machen wie alle anderen vor ihr. Schluchzend<br />

vor Angst und Scham ließ sie sich an die Stange fesseln und erwartete zitternd den ersten<br />

Schmerz. Gil lauschte indessen ergeben der Stimme des Arztes. „Du hast lange genug zu-<br />

geschaut, um zu wissen, was kommt, Nummer 13. Du wirst zur Mitarbeit motiviert, damit du<br />

ehrlich antworten kannst.“ Gil biss die Zähne zusammen. Er gab sich nicht die Blöße, um<br />

sinnlose Gnade für Sara zu betteln. Er konnte es kaum ertragen, die geliebte Frau auf dem<br />

Bildschirm nackt, erniedrigt und nun auch noch gellend aufschreiend vor Schmerzen in den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fesseln, die sie hielten, hängen zu sehen, aber er sagte nichts. Der Arzt wartete, bis das Bild<br />

von Sara wieder ausgeschaltet wurde, dann begann er.<br />

„Dein Name ist Gilbert Grissom?“ Sofort antwortete Gil: „Ja, Sir, das ist mein Name.“<br />

„Du wurdest am 17.08.1956 geboren?“ „Jawohl.“ Der Arzt fuhr fort: „Deine Eltern sind<br />

Robert und Louise Grissom?“ Gil nickte. „Ja, Sir.“ „Dein Geburtsort ist Santa Monica,<br />

Kalifornien?“ „Richtig.“ „Nun, das war einfach. Was haben deine Eltern beruflich gemacht?“<br />

Gil sah den Arzt ruhig an. „Mein Vater war Botaniker, er starb an einem Schlaganfall, als ich<br />

neun Jahre alt war. Meine Mutter hatte eine Kunstgalerie.“ Der Arzt sah Gil an. „Wo ist deine<br />

Mutter heute?“ Gil lächelte. „Sie lebt in Becky‟s Home Care Retirement House in Las<br />

Vegas.“ Gil wunderte sich ein wenig darüber, dass der Arzt nicht nach der Taubheit seiner<br />

Mutter fragte, wurde aber von der nächsten Frage abgelenkt.<br />

„Seit wann arbeitest du für die Polizei?“ Gil musste kurz nachdenken. Er rechnete<br />

blitzschnell nach und antwortete dann: „Seit über siebzehn Jahren, Sir.“ „Was hast du<br />

studiert?“ „Ich habe an der UCLA Biologie mit Schwerpunkt Insektenkunde studiert.“ „Wann<br />

kamst du zur Polizei?“ „Mit zweiundzwanzig, Sir. Ich wurde der jüngste Coroner Los An-<br />

geles‟ und wurde mit dreißig zum Field Services Office nach Las Vegas berufen, wo ich <strong>mich</strong><br />

bis zum Nachtschichtleiter des Crime Lab hocharbeitete.“ Der Arzt las in seinem PDA nach<br />

und fragte dann: „Hast du schon einmal wissentlich Informationen über das Fehlverhalten von<br />

Untergebenen zurück gehalten?“ Gil seufzte leise. Dann antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja,<br />

ja, das habe ich, Sir.“ „Nenn mir Beispiele, Nummer 13.“ Grissom musste tief Luft holen,<br />

dann erklärte er: „Ich habe nicht weiter gegeben, dass eine Kollegin eine Weile erhebliche<br />

Alkoholprobleme hatte. <strong>Die</strong> Spielsucht eines anderen Kollegen habe ich ebenfalls nicht weiter<br />

gemeldet. Dass eine meiner Mitarbeiterinnen private Untersuchungen zu ihrer Herkunft mit<br />

Labormitteln unternommen hat, behielt ich auch für <strong>mich</strong>.“ „Von welchen Kollegen ist hier<br />

die Rede, Nummer 13.“ Gil schüttelte resigniert den Kopf. „Warrick Brown, er hat eine<br />

Therapie gemacht und spielt nicht mehr. Catherine Willows, die so letztlich herausfand, wer<br />

ihr Vater ist. Und Sara Sidle, die ihr Alkoholproblem heute vollkommen unter Kontrolle hat.“<br />

Gil schwieg.<br />

Der Arzt sah von seinem PDA auf und fragte dann lauernd: „Wer ist Lady Heather?“<br />

Gil schüttelte erneut frustriert den Kopf. Dann sagte er so ruhig wie möglich: „Ich lernte sie<br />

ihm Rahmen einer Mordermittlung kennen, Sir. Sie leitete ein ... Etablissement, in dem ...“<br />

Gil wand sich verlegen um Worte. „Nun, in dem Frauen ... zahlungswilligen Kunden spezielle<br />

sexuelle Wünsche erfüllen.“ Hier unterbrach der Interviewer ihn und hakte nach: „Was genau<br />

für sexuelle Wünsche?“ Gil spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. „Nun, ähm, ja<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

also, dort kann man dominantes und devotes Verhalten beim Sex ausleben.“ Gil wünschte<br />

sich ein Loch im Boden, das ihn verschlang. Er war nicht sicher, ob Sara mithören konnte.<br />

Scham schnürte ihm die Kehle zu. „Welches Verhaltensmuster hast du dort ausgelebt,<br />

Nummer 13?“ Grissom schluckte. Er musste antworten, wollte er nicht riskieren, dass Sara<br />

gefoltert wurde. Aber er schaffte es erst nach dem dritten Anlauf, zuzugeben: „Ich habe ... Ich<br />

... Sie hat mir gezeigt ... Devot, ich habe ein devotes Verhalten dort ausgelebt, Sir.“ Gil war<br />

vor Scham den Tränen nahe. Er betete, dass Sara nicht hatte mithören können. Aber der Inter-<br />

viewer schien zufrieden.<br />

Inzwischen war Sara nach oben auf die Plattform zurückgeholt worden, dafür wurde<br />

nun Gil nach unten gebracht. Auch an ihn erging der Befehl, den Kittel auszuziehen und er<br />

musste sich in derselben Haltung an die Stange fesseln lassen. Sara wurde derweil auf den<br />

Stuhl platziert und ihre Hände an der Lehne fixiert. Obligatorisch erhielt Gil nun den<br />

Motivationsstromschlag und auch er schaffte es nicht, einen Schmerzensschrei zu unter-<br />

drücken. Dann begann der Arzt damit, Sara zu verhören. „Wir wollen uns über ein paar<br />

falsche Angaben deinerseits unterhalten. Vielleicht bist du ja willens, ehrlich zu antworten,<br />

nachdem Nummer 13 für deine Unzulänglichkeiten bei der Wahrheitsfindung gelitten hat?“<br />

Sara sah verständnislos den Interviewer an. <strong>Die</strong>ser sagte in sein Mikro: „Zwanzig Schläge für<br />

Nummer 13.“ „NEIN!“ Entsetzt schrie Sara auf. „Einundzwanzig.“ Sara schluchzte ver-<br />

zweifelt, gab aber kein Wort mehr von sich. Gil hatte die Worte gehört und verkrampfte sich<br />

vor Angst. Und dann wurden ihm gnadenlos einundzwanzig Stromschläge verpasst. Nicht mit<br />

der vollen Voltzahl, die war von 750.000, wie bei Booth verwendet, auf 250.000 zurück ge-<br />

dreht worden. Aber Gil war an körperliche Schmerzen keineswegs gewöhnt. Hatte er sich<br />

auch vorgenommen, nicht zu schreien, schaffte er nicht einmal den ersten Schock ohne Auf-<br />

schrei. Und alle weiteren Stromstöße quittierte er ebenfalls mit Schmerzensschreien. Dann<br />

war es vorbei und Gil hing keuchend und zitternd, schweißgebadet, einer Ohnmacht nahe, in<br />

den Fesseln.<br />

Sara hatte wie hypnotisiert auf den Bildschirm gestarrt und heftig weinend Gils<br />

Folterung angesehen. Das war ihre Schuld. Sie alleine hatte das zu verantworten. Warum war<br />

sie auch so kindisch gewesen, nicht die Wahrheit zu sagen. Hätte sie es doch nur rückgängig<br />

machen können. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich soweit beruhigt hatte, dass der Arzt mit<br />

der Befragung beginnen konnte. „Wir wollen uns über folgende Fragen unterhalten. Wenn ich<br />

durch irgendetwas oder irgendjemanden beeinträchtigt, innerlich erregt oder aus dem<br />

Gleichgewicht gebracht worden bin, finde ich meine Ruhe immer noch schneller wieder als<br />

andere.“ „Das stimmt nicht, ich brauche lange, um meine innere Ruhe wieder zu finden, Sir.“,<br />

stieß sie hervor. „<strong>Die</strong> nächste Frage, mal sehen, was du dazu meinst. Mich wirft so leicht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nichts aus der Bahn.“ Hektisch sagte die junge Frau: „Das stimmt nicht.“ „Für einige bin ich<br />

ein unbequemer Querdenker.“ „Das stimmt, Sir.“ „Sehr gut. Dann kümmern wir uns mal um<br />

folgendes: Dein Name ist Sara Sidle?“ „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 16.09.1971 geboren?“ „Das<br />

stimmt, Sir.“ „In Lodi, Kalifornien?“ „Ja, Sir.“ „Deine Eltern waren Laura und Peter Sidle?“<br />

„Ja, Sir.“ Du hast einen Bruder, Danny Sidle?“ „Ja, Sir, das stimmt.“<br />

„Wo sind deine Eltern heute?“ Sara stockte kurz, dann sagte sie: „Meine Mutter ... sie<br />

tötete meinen Vater, als ich noch ein Kind war. Er hat sie immer wieder misshandelt und<br />

irgendwann ... irgendwann hat sie ein Messer genommen und ihn abgestochen, Sir.“ Sara<br />

schwieg kurz, dann fuhr sie fort: „Meine Mum kam ins Gefängnis und mein Bruder und ich<br />

durchliefen verschiedene Pflegefamilien.“ Locke und Bones lauschten aufmerksam. Viele<br />

Schicksale hier ähnelten sich auf erschreckende Weise. „Wo ist deine Mutter heute?“ Sara<br />

erklärte verlegen: „Ich weiß es nicht, Sir, ich habe keinerlei Kontakt mehr zu ihr oder meinem<br />

Bruder. Sie hat damals fünfundzwanzig Jahre bekommen. Es wäre möglich, dass sie wegen<br />

guter Führung raus ist, ich weiß es wirklich nicht, Sir.“ Der Arzt schien zu wissen, dass Sara<br />

die Wahrheit sagte. Er fuhr fort: „Wo und was hast du nach der Highschool studiert?“ „Ich<br />

habe in Harvard meinen Bachelor in Physik und in Berkeley meinen Master gemacht, Sir.“<br />

„Woher kennst du Nummer 13?“ Sie dachte daran, wie sie Gil kennen gelernt hatte. Er hatte<br />

Vorlesungen in Entomologie gehalten. „Er hat unterrichtet, Gastvorlesungen gehalten.“ „Wo<br />

hast du vor Las Vegas gelebt?“ „Ich habe nach dem Studium in San Francisco gelebt und dort<br />

fünf Jahre in der Gerichtsmedizin gearbeitet. Von dort bin ich nach dem Tod einer Kollegin<br />

beim CSI dort hin geordert worden, um an der Aufklärung mitzuarbeiten. Dann bin ich dort<br />

hängen geblieben, Sir.“ „Wie kam es, dass du zur Alkoholikerin wurdest?“ Wie ein Eimer<br />

Eiswasser kam die Frage. „Ich bin nicht zur Alkoholikerin geworden, Sir. Ich habe einige<br />

Male etwas getrunken, einmal außerhalb des <strong>Die</strong>nstes, da wurde ich überraschend zu einem<br />

Tatort gerufen, ein anderes Mal war ich nach Feierabend mit einem Kollegen ausgegangen<br />

und habe dort etwas getrunken. Ich hatte nie ein wirkliches Problem, Sir.“ Sara konnte nicht<br />

mehr verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.<br />

Der Arzt klappte überraschend sein PDA zu und gab in sein Mikro die Meldung durch:<br />

„Wir sind hier fertig, bringt ihn in die Zelle.“ Sara wurde von dem Arzt los gemacht und ohne<br />

viel Federlesen in ihre Zelle zurück gebracht. Abgesehen von der seelischen Erschöpfung war<br />

sie auch körperlich am Ende. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, schon seit vierundzwanzig<br />

Stunden wach zu sein. Kaum war sie in ihre Zelle zurück gebracht worden, wurde auch Gil<br />

gebracht und, von zwei Wachen gestützt, auf seine Liege verfrachtete. Er atmete direkt er-<br />

leichtert auf, als sich die Zellentür hinter ihm schloss und sank vollkommen fertig auf die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Liege nieder. Nur noch kurz sah er zu Sara hinüber, etwas traurig und enttäuscht, dann lag er<br />

mit geschlossenen Augen da und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu kriegen.<br />

Akt 7: Lockes Ängste<br />

Wenn die Wunde nicht mehr wehtut, schmerzt die Narbe<br />

Berthold Brecht<br />

Locke hatte, wie alle anderen Gefangenen auch, zunehmend entsetzt den Verhören ge-<br />

lauscht. So viel menschliches Leid war hier schon zu Tage gekommen, dass seine eigene<br />

Geschichte kein allzu großes Aufsehen erregen würde, dachte er befreit. Als Sara und Gil<br />

geradezu erleichtert wieder in ihren Zellen angekommen waren, ertönte seine Nummer aus<br />

dem Lautsprecher. Das hatte ja kommen müssen, trotzdem zuckte Locke erschrocken zu-<br />

sammen. Jeder hier tat das inzwischen. John trat an die Tür und streckte ordnungsgemäß die<br />

Hände zum Fesseln hin. Augenblicke später fühlte er, wie sich die Handschellen kalt um seine<br />

Handgelenke legten. <strong>Die</strong> Zellentür ging auf und Locke wurde, an den Oberarmen gepackt, zur<br />

Plattform geführt. Ein Summen, und aus der unteren Etage hob sich der Lift und brachte einen<br />

Rollstuhl mit. Lockes Augen weiteten sich vor Entsetzen. Alles in ihm sträubte sich und doch<br />

wusste John, dass er in den Stuhl steigen musste. Und schon wurde er genau dort hingedrückt.<br />

Seine Hände wurden gelöst, nur, um Sekunden später an die Armlehnen des Rollstuhles ge-<br />

fesselt zu werden. Seine Beine wurden an die Fußhalter geschnallt. Das so schrecklich ver-<br />

traute Gefühl jagte ihm Schauer über den Rücken. Und nun ertönte die Lautsprecherstimme<br />

„Nummer 12. Du hast ebenfalls den Fehler gemacht, zu lügen. Allein auf dein Wort, jetzt die<br />

Wahrheit zu sagen, können wir uns leider nicht verlassen. Daher wirst du dir einen Partner<br />

suchen, der für deine Lügen bestraft wird.“<br />

Locke erstarrte. Das konnte doch wohl nicht ernst gemeint sein. „Das kann ich nicht.“,<br />

stieß er unwillkürlich hervor. „Nun, Nummer 12, wenn du dich außer Stande siehst, werden<br />

wir eine der Ladys für dich bestimmen.“ Locke keuchte erschrocken: „Nein, Sir, um Himmels<br />

Willen ....“, hervor. Und dann meldete sich Booth. „Hey, Locke, nimm <strong>mich</strong>.“ Es war, als<br />

hielte sogar der Lautsprecher kurz die Luft an. Dann folgten die nächsten Worte, diesmal<br />

nicht aus dem Lautsprecher, sondern aus dem Mund des Arztes. „Nummer 1, du hast den<br />

Wunsch, hier den Helden zu spielen? Das können wir unterstützen. An die Tür.“ Booth<br />

atmete tief durch, dann trat er an die Tür und wartete auf die Wachen. Als er die Schritte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

näher kommen hörte, schalt er sich selbst einen Idioten, aber nun war es zu spät. Und immer<br />

noch besser er, als eine der Frauen. Er spürte die Handschellen um seine Handgelenke<br />

schnappen, dann ging die Tür zu seiner Zelle auf. Er wurde an den Oberarmen gepackt und<br />

auf die Plattform geführt. Dort hob sich aus dem Untergrund das Bettgestell, auf dem schon<br />

Sawyer bearbeitet worden war, nach oben. Booth Hände wurden gelöst und er bekam Befehl,<br />

sich den Kittel auszuziehen und sich dann auf das Metallgeflecht zu legen. Ergeben ließ der<br />

den Kittel zu Boden fallen. Das ständige Nacktsein wurde langsam zur Normalität. Vorsichtig<br />

streckte er sich dann auf dem Metallgeflecht aus und musste es hinnehmen, mittels der<br />

Ledermanschetten, die schon Sawyer an das Bett gefesselt hatten, ebenfalls stramm dort<br />

fixiert zu werden. Jetzt sagte der Wachposten, der seine Hände an das Bett fixiert hatte:<br />

„Mund auf.“ Erstaunt gehorchte Booth und bekam einen dieser grässlichen Schaumstoffbälle,<br />

mit denen schon Jake und Sawyer hatten Bekanntschaft machen dürfen, rücksichtslos und hart<br />

in den Mund gestopft. Augenblicklich fühlte Booth einen heftigen Würgereiz, der ihm die<br />

Tränen in die Augen trieb. Er brauchte alle Konzentration, um diesen irgendwie zurück zu<br />

halten. Ohne sich noch um ihn zu kümmern, ließ der Arzt Booth dort liegen.<br />

„Nun, Nummer 12, wie sieht es aus, hast du eine Wahl getroffen?“ <strong>Die</strong> Stimme klang<br />

höhnisch. Locke und Booth erstarrte gleichermaßen. „Oh, keine Angst, Nummer 1, du<br />

wolltest Schmerzen, du wirst sie bekommen, verlass dich drauf. Du wirst es heute lernen, dass<br />

du nicht unaufgefordert zu Reden hast. Dein heldenhaftes Opfer ändert aber rein gar nichts<br />

daran, dass Nummer 12 einen Partner zu wählen hat. Los jetzt.“ <strong>Die</strong> Stimme klang un-<br />

geduldig und herrisch. Locke überlegte hektisch. Sawyer und Jake fielen vollkommen aus,<br />

das war klar. Booth ebenfalls. Genauso Gil, der gerade erst in seiner Zelle zurück war. House<br />

war nicht anwesend. Mulder war noch nicht an der Reihe gewesen, Locke wusste nicht, was<br />

auf den FBI Mann noch zukam. Der Einzige, der körperlich weitestgehend verschont ge-<br />

blieben war, war Gibbs. So sagte Locke entschlossen: „Nummer 16, Sir.“ Gibbs war Locke<br />

nicht böse, er war die einzige vernünftige Alternative gewesen. So trat er ruhig an die Zellen-<br />

tür und ließ sich erneut die Handgelenke zusammen fesseln. Auf der Plattform angelangt,<br />

wurden die Fesseln kurz gelöst, damit Gibbs dem Befehl: „Kittel aus.“, nachkommen konnte.<br />

Dann schlossen sich die Handschellen wieder um seine Handgelenke, diesmal vor dem<br />

Körper, und eine der Stangen fuhr aus dem Boden. An einem an der Stange angebrachten<br />

Eisenhaken wurden Gibbs Handschellen eingehängt und die Stange fuhr langsam soweit aus,<br />

bis Gibbs mit stramm über den Kopf gezogenen Händen an der Stange stand. <strong>Die</strong> Wachen<br />

kontrollierten noch einmal alle Fesseln der hilflosen drei Männer, einer beugte sich über<br />

Booth und überprüfte den Sitz des Schaumstoffballes, dann verließen sie den Kerker.<br />

Minutenlang geschah nichts, dann öffnete sich die Kerkertür und der Arzt, der kurz den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kerker verlassen hatte, betrat das Verließ wieder. Er hatte den schrecklichen Elektroschocker<br />

in der Hand und trat damit auf die Plattform.<br />

Er sah mitleidlos auf Booth herunter und erklärte: „Nummer 1, um dich kümmern wir<br />

uns ganz ausgiebig sobald wir mit Nummer 12 fertig sind. Du wirst ganz bestimmt nie wieder<br />

ungefragt den Mund aufmachen, davon bin ich überzeugt.“ Booth begann sich ernsthafte<br />

Sorgen um seine Gesundheit zu machen. Jetzt trat der Arzt zu Gibbs hinüber und erklärte nun<br />

an Locke gewandt: „Wie alle anderen wirst du auch ein wenig zur Mitarbeit motiviert,<br />

Nummer 12. Vorher jedoch wird dein Kollege für deine Lügen abgestraft. Lass dir das eine<br />

Lehre sein. Zwanzig Schläge für Nummer 16.“ Er hob den Stab und Gibbs wappnete sich<br />

gegen den Schmerz. Wie stark dieser war, überraschte den harten Navy Mann allerdings doch<br />

etwas. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu schreien. Als der Stromstoß aber durch<br />

seinen gefesselten Körper zuckte, konnte er einen gequälten Aufschrei absolut nicht unter-<br />

drücken. Während der kommenden Minuten wurde ihm mehr als drastisch bewiesen, dass er<br />

den Stromstößen so wenig entgegen zu setzen hatte wie alle anderen vor ihm. Keuchend und<br />

zuckend hing er in den Fesseln und brauchte nach Beendigung der Tortur eine ganze Weile,<br />

um sich wieder zu fangen. Verdammt, hatte das wehgetan. Der Arzt zog sich einen der Stühle<br />

vom Tisch heran und setzte sich vor Locke hin. „Nun zu uns beiden. Ich empfinde selten<br />

Furcht oder Angst. Was möchtest du mir dazu sagen?“ Locke hatte der Bestrafung entsetzt zu<br />

geschaut und stieß heftig hervor: „Das stimmt nicht, Sir.“ Der Arzt nickte zufrieden. „Ich<br />

ärgere <strong>mich</strong> oft darüber wie andere Leute <strong>mich</strong> behandeln. Was fällt dir dazu ein?“ „Das<br />

stimmt, Sir.“ „Manchmal erscheint mir alles ziemlich düster und hoffnungslos.“ „Auch das ist<br />

richtig.“ „Na, warum denn nicht gleich so? Dann wollen wir uns mal ein wenig über dich<br />

unterhalten.“<br />

Nummer 12 hockte in dem Rollstuhl und fragte sich, welche Fragen der Interviewer<br />

wohl für ihn bereithielt. Es gab so verdammt viel, über das Locke nicht gerne sprach, soviel<br />

Demütigung, so viel Unglück in seinem Leben. Er warf einen Blick auf Gibbs, der wieder<br />

einigermaßen aufrecht in seinen Fesseln stand und schaute dann auf den gefesselten Booth,<br />

der hilflos und sicher nicht gerade in freudiger Erwartung dessen, was auf ihn zukam, auf dem<br />

Bettgestell lag. Der Schaumstoffball, den man ihm in den Mund gesteckt hatte, musste wider-<br />

lich sein. Er erstickte so gut wie jedes Geräusch und quoll durch den Speichel immer mehr<br />

auf. Locke erinnerte sich nur zu gut an die Tortur vor ein paar Tagen, oder war es Jahre her,<br />

als die Entführer Jake und Sawyer so grausam gestraft hatten. Beide hatten hinterher überein-<br />

stimmend gesagt, dass dieser Schaumstoffball grässlich gewesen war. Schon nach kürzester<br />

Zeit dörrte er einem den Mund aus. Der Würgereiz ließ nicht nach, da das Teil immer größer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu werden schien, je mehr Speichel sich in ihm sammelte. Locke schüttelte sich. Der junge<br />

FBI Agent tat ihm unheimlich leid. Er hatte es nur seinem Mitleid mit den <strong>Anderen</strong> zu ver-<br />

danken, dass er dort lag und höchstwahrscheinlich auch auf eine harte Bestrafung warten<br />

musste. Alleine schon der Hinweis, dass es losgehen würde, sobald man mit ihm, Locke,<br />

fertig war, war grausam. Und Bones in ihrer Zelle war sicher in Panik, was mit ihrem<br />

Kollegen geschehen würde.<br />

Locke wurde in seinen Gedanken unterbrochen. Der Arzt forderte seine Aufmerksam-<br />

keit zurück. „Nummer 12, es wäre sehr nett, wenn ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit<br />

hätte.“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Locke zuckte erschrocken zusammen und<br />

konzentrierte sich wieder auf den Arzt vor ihm. „Dein Name ist John Locke?“ „Ja, Sir.“ „Wie<br />

überaus feinsinnig von deinen Eltern, dich nach einem der größten Philosophen des 16.ten<br />

Jahrhunderts zu benennen.“ Der Arzt grinste kurz, kein freundliches Grinsen. „Dein Geburts-<br />

datum ist der 15.07.1956?“ „Ja, Sir.“ Locke wartete auf die nächste Frage, die unmittelbar<br />

folgte. „In Tulsa, Oklahoma?“ „Richtig, Sir.“ Der Arzt notierte sich etwas, dann fuhr er fort:<br />

„Deine Eltern waren Anthony Cooper und Emily Annabeth Locke?“ „Ja, Sir.“ Locke wusste,<br />

dass die einfachen Fragen sich rapide dem Ende näherten und wappnete sich innerlich gegen<br />

das, was nun unweigerlich folgen würde.<br />

„Wo bist du aufgewachsen?“ John schluckte. „Bei verschiedenen Pflegefamilien, Sir.“<br />

Sara und Bones sahen erstaunt auf. Sie waren nicht die Einzigen, die bei Pflegefamilien auf-<br />

gewachsen waren, wie es schien. „Wer ist Jeanie?“ Locke zuckte zusammen. „Jeanie war ...<br />

Sie war eine ... wie eine Schwester für <strong>mich</strong>. Wir lebten zusammen in einer Pflegestelle.“<br />

„Was geschah mit ihr?“ Locke senkte den Kopf. „Sie starb bei einem Unfall, als wir noch<br />

Kinder waren. Ich sollte auf sie aufpassen. Sie stürzte von einem Klettergerüst und brach sich<br />

das Genick, Sir.“ <strong>Die</strong> Mitgefangenen waren sich spätestens nach dieser Antwort sicher, dass<br />

auch die Befragung Lockes in einem kleinen Drama enden würde. „Kennst du deine leib-<br />

lichen Eltern?“ Locke nickte. „Jawohl, Sir, ich hatte das ... zweifelhafte Vergnügen.“ Lockes<br />

Stimme klang resigniert und traurig. „Wie kam es dazu?“ Locke musste sich nicht anstrengen,<br />

um die Erinnerung in sich wach zu rufen. Er hatte die Zeit, da er seine Eltern erstmals seit<br />

seiner Kindheit wieder kennen gelernt hatte, sehr deutlich vor Augen. „Ich arbeitete zu der<br />

Zeit in der Spielzeugabteilung eines Warenhauses. Einige Tage lang fiel mir eine Frau auf, die<br />

immer wieder in der Abteilung auftauchte. Schließlich konnte ich sie auf dem Parkplatz an-<br />

sprechen. Sie stellte sich als meine Mutter vor.“<br />

Locke starrte vor sich hin. Er sah die Szene deutlich vor sich. „Wir gingen zusammen<br />

in ein Cafè und unterhielten uns. Ich fragte sie nach meinem Vater. Sie erklärte mir überzeugt,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ich sei eine unbefleckte Empfängnis gewesen. Daraufhin beauftragte ich einen Privatdetektiv,<br />

mehr über sie heraus zu finden. Er fand neben der Tatsache, dass meine Mutter psychische<br />

Probleme hatte und immer wieder in Kliniken war, den Namen und Aufenthaltsort meines<br />

Vaters heraus, Sir.“ Kurz schwieg Locke, dann fuhr er fort: „Ich lernte meinen Vater kennen.<br />

Er nahm <strong>mich</strong> auf, brachte mir Jagen bei, gab mir das Gefühl, erwünscht zu sein. Bis zu dem<br />

Tag, als er mir mit einer hinterhältigen List eine Niere abgeschwatzt hatte, die ich ihm<br />

spendete.“ Locke musste tief durchatmen, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass ihm<br />

vereinzelte Tränen über das Gesicht liefen. „Als ich im Krankenhaus aus der Narkose er-<br />

wachte, war mein Vater weg. Ich suchte ihn später auf und wollte wissen, warum er das ge-<br />

macht hatte. War von dem Gedanken regelrecht besessen. Er hatte meine Mutter nur aus<br />

diesem Grunde zu mir geschickt. Um einen Nierenspender zu bekommen.“ Locke schwieg.<br />

„Wie bist du in den Rollstuhl gekommen, Nummer 12?“ Locke zuckte zusammen.<br />

Dann erzählte er: „Eines Tages, Jahre nach dem Vorfall, lernte ich einen jungen Mann<br />

kennen, der <strong>mich</strong> anflehte, ihm zu helfen. Ein Heiratsschwindler hatte sich an seine Mutter<br />

heran gemacht und diese war kurz davor, diesem Mann ihr Vermögen anzuvertrauen. Es<br />

stellte sich heraus, dass dieser Heiratsschwindler mein Vater war.“ Wäre Sawyer nicht in<br />

einer so erbärmlichen Verfassung gewesen, hätten ihn die folgenden Sätze sicher elektrisiert.<br />

So registrierte er sie nicht einmal. „Mein Vater nannte sich zu diesem Zeitpunkt Mitchell<br />

Sawyer. Ich lauerte ihm auf und sprach ihn in an, erklärte, ich würde ihn anzeigen, wenn er<br />

die Frau nicht in Frieden lassen würde. Einige Tage später wurde ich von zwei FBI Beamten<br />

angesprochen, befragt. Ob ich einen Peter Talbot kennen würde. Er war der junge Mann, der<br />

<strong>mich</strong> angesprochen hatte. Man hatte ihn tot aufgefunden, ermordet. Ich suchte daraufhin<br />

meinen Vater in seinem Appartement auf. Er erklärte mir, er wäre es nicht gewesen, und<br />

schwor, er hätte die Beziehung zu Mrs. Talbot beendet, ich solle sie doch anrufen, wenn ich<br />

ihm nicht glauben würde.“ Wieder musste Locke eine kleine Pause machen, bevor er in der<br />

Lage war, weiter zu sprechen. „Ich wollte die Frau anrufen. Das Telefon stand auf einem<br />

kleinen Beistelltisch am Fenster des Appartements. Das Letzte, an das ich <strong>mich</strong> erinnern<br />

kann, ist, dass ich einen heftigen Stoß von meinem Vater erhielt. Ich durchschlug das Fenster<br />

und stürzte fast zehn Meter in die Tiefe. Als ich Tage später im Krankenhaus erwachte, war<br />

ich querschnittgelähmt, Sir.“<br />

Erschöpft schwieg Locke. Der Arzt nickte zufrieden. Er gab Locke einige Momente,<br />

sich ein wenig zu beruhigen, dann kam die nächste Frage. „Wer ist Helen?“ Locke seufzte.<br />

„Helen ... Ich habe sie in einer Selbsthilfegruppe für Aggressionsbewältigung kennen gelernt,<br />

nachdem mein Vater <strong>mich</strong> um meine Niere betrogen hatte. Ich wollte sie heiraten, aber durch<br />

mein exzessives Verhalten in Bezug auf meinen Vater habe ich sie verloren, Sir.“ „Wer ist<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mike?“ Locke lachte kurz freudlos auf. Hatte er wirklich gedacht, ausgerechnet das würden<br />

ihre Entführer nicht wissen? „Mike war der Anführer einer Gruppe von Farmern, der ich <strong>mich</strong><br />

einige Zeit angeschlossen hatte, Sir. <strong>Die</strong> Gruppe baute in großem Stil Marihuana an und trieb<br />

einen regen Handel mit dem Rauschgift.“ Der Interviewer sah Locke an. „Nummer 12. Wie<br />

kommt es, dass du wieder laufen kannst?“, fragte er dann lauernd. Alle, selbstverständlich bis<br />

auf Jake und Sawyer, lauschten mehr als gespannt.<br />

Locke war es ein Leben lang unangenehm gewesen, über seine Fähigkeiten zu<br />

sprechen, weil er immer nur Hohn und Spott geerntet hatte. Das war in seiner Zeit bei den<br />

Aborigines zum ersten Mal anders gewesen. Zum ersten Mal war ihm nicht nur geglaubt,<br />

sondern er war hoch geachtet worden. So quälend der Aufenthalt bei den skrupellosen Ent-<br />

führern auch war, diese waren offensichtlich Wissenschaftler, die seine Gabe ernst genug<br />

nahmen, um ihn einer Reihe von Tests zu unterziehen. Er wusste, dass er gut gewesen war,<br />

dass er den Beweis erbracht hatte, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen. Der furchtbare Ver-<br />

such, in dessen Verlauf er dieser Anthropologin mit knapper Not das Leben gerettet hatte,<br />

trieb Locke in der Erinnerung immer noch den Schweiß auf die Stirn und er hoffte inständig,<br />

etwas ähnliches nie mehr tun zu müssen. <strong>Die</strong>ser Mensch, der die Befragung durchführte,<br />

wusste um seine Fähigkeiten, leugnen würde sinnlos sein und nur zu mehr als unangenehmen<br />

Konsequenzen für Gibbs führen. <strong>Die</strong> Mitgefangenen, abgesehen von Spooky Mulder und<br />

seiner Partnerin, möglicherweise auch von Booth und Bones, würden sich sicher über ihn<br />

lustig machen. John beschloss, ehrlich, aber zurückhaltend zu antworten.<br />

„Wirklich erklären kann ich das nicht, Sir. Es war eine immer drängender werdende<br />

Vision, die <strong>mich</strong> dazu brachte, den heiligen Berg der australischen Ureinwohner aufzusuchen.<br />

Dort habe ich meditiert und <strong>mich</strong> mit den spirituellen Kräften dieses Ortes verbunden. Sehr<br />

bald spürte ich, wie das Gefühl in meine Beine zurückkehrte.“ Der Interviewer betrachtete<br />

Locke forschend und kam zu dem Schluss, dass dies die Wahrheit gewesen war, soweit der<br />

interessante Proband diese denn selbst kannte. So stellte er nur die Frage: „Nummer 12, be-<br />

schreibe genau, wie deine Fähigkeit funktioniert.“ Locke überlegte einen Moment, bevor er<br />

zögernd antwortete: „Bis vor einigen Monaten hatte ich keinerlei Kontrolle über diese Gabe,<br />

lange Zeit tat ich meine Visionen als Träume ab, zumal sie immer in einem halbschlafähn-<br />

lichen Zustand auftraten, Sir. Plötzlich sah ich einfach Dinge...“ John schwieg einen Moment,<br />

suchte nach Worten. „Im Outback unter Freunden, die <strong>mich</strong> ermutigten, habe ich damit be-<br />

gonnen, zu versuchen, meine Visionen bewusst herbeizuführen oder eher den meditativen<br />

Zustand, der dazu erforderlich ist. In den letzten Wochen habe ich gezielt trainiert und diese<br />

Fähigkeit vervollkommnet.“ Das wissen diese Leute nur zu genau, sie haben mir doch<br />

verboten, über die Tests zu reden, setzte Locke in Gedanken hinzu. Richtig, der Weißkittel<br />

254


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

machte eine Notiz, fragte aber nicht nach, sondern wechselte das Thema. „Hast du schon ein-<br />

mal unter Depressionen gelitten, Nummer 12?“ Es war John extrem unangenehm, diese<br />

Schwäche zugeben zu müssen, aber er wagte nicht, zu lügen. <strong>Die</strong>se Leute wussten offensicht-<br />

lich alles über ihn und für Lügen mussten andere teuer bezahlen. So antwortete er wider-<br />

willig: „Ja, manchmal.“ „Bei welchen Gelegenheiten?“, hakte der Interviewer unerbittlich<br />

nach. „Immer wenn ich wieder einmal zurückgewiesen worden war, besonders, nachdem<br />

mein Vater <strong>mich</strong> fallen gelassen und als Helen <strong>mich</strong> verlassen hatte. Und natürlich, nachdem<br />

ich erfahren hatte, dass ich nie wieder würde laufen können.“ Locke schwieg und der Arzt<br />

schien auch nicht mehr zu erwarten. Er machte sich ein paar letzte Eintragungen in seinem<br />

PDA.<br />

Locke fühlte sich, wie schon die meisten anderen Gefangenen, erschöpft und aus-<br />

gelaugt nach dieser intensiven Befragung. Er war unendlich dankbar, dass es vorbei war.<br />

Erleichtert registrierte er, dass zwei Wachen Gibbs aus seiner Zwangslage befreiten, ihn sich<br />

bekleiden ließen und zurück in die Zelle führten. Locke hoffte, dass man ihn endlich aus dem<br />

Rollstuhl befreien würde. Dass geschah jedoch nicht. Stattdessen wurde er mit dem Rollstuhl<br />

in seine Zelle zurück gefahren. Dort ließen sie ihn stehen. Dann erst wandte sich der Arzt an<br />

Booth, der das Ende des Interviews mit zunehmendem Unbehagen beobachtete hatte. Auch<br />

die anderen Gefangenen wussten, was nun kommen würde. Der Arzt sah auf den hilflos Ge-<br />

fesselten herunter und sagte kalt: „Jetzt, Nummer 1, wirst du lernen, dass du nicht unauf-<br />

gefordert zu Reden hast. Du wirst es nach dieser Lektion ganz bestimmt begriffen haben,<br />

davon bin ich überzeugt.“ Booth konnte nicht verhindern, dass sein Herz ihm in der Kehle<br />

klopfte und ihm der Angstschweiß ausbrach. Bones traten nach diesen kalten Worten die<br />

Tränen in die Augen. Der Arzt erklärte: „Ich werde dich vertrauensvoll einem Fachmann<br />

überlassen und eine Tasse Kaffee trinken gehen. Ich wünsche dir viel Vergnügen.“ Er grinste<br />

diabolisch und verließ ruhig, zusammen mit den zwei Wachen, den Kerker. Booth lag hilflos<br />

da und wartete, was nun kommen würde.<br />

Alle zuckten zusammen, als sich Minuten später die Kerkertür wieder öffnete. Ein<br />

ziemlich großer Mann asiatischer Herkunft betrat den Kerker. Er hatte einen Eimer in der<br />

Hand und trat neben Booth, der ihn mit gelinder Panik in den Augen anstarrte. Der Mann griff<br />

in den Eimer und zog einen Schwamm hervor. Damit begann er, Seeleys Körper nass zu<br />

machen. Dann griff er nach dem Elektroschockstab, der am Bett lehnte. Booth konnte nicht<br />

verhindern, dass eine Welle der Panik über ihm zusammen schlug. Er hatte ja bereits kennen<br />

gelernt, wie sehr die elektrischen Schläge aus dem Stab wehtaten. Mit Wasser auf der Haut<br />

würde es noch wesentlich schlimmer sein. Sein Atem kam hektisch und abgehackt, nur durch<br />

die Nase zu Atmen war in dieser Situation schwer. Unwillkürlich und ohne es steuern zu<br />

255


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

können, zerrte er an den Fesseln, die ihn hielten. Das war natürlich vollkommen sinnlos, aber<br />

Booth konnte den Impuls einfach nicht mehr unterdrücken. Er hörte Bones hysterisches<br />

Schluchzen und schloss verzweifelt die Augen.<br />

Mit wild klopfendem Herzen wartete er auf den ersten Schmerzimpuls. Und der kam,<br />

schlimmer als erwartet. Booth‟ gefesselter Körper zuckte in den Fesseln konvulsivisch, als der<br />

erste Stromschlag ihn durchzuckte. Fast war er dankbar für den Knebel, sonst hätte er gebrüllt<br />

vor Schmerzen. Der Asiat ließ sich Zeit, gab ihm zwischen den einzelnen Stromstößen immer<br />

wieder Gelegenheit, sich ein klein wenig zu erholen. So konnte er die Tortur hinaus zögern.<br />

Der Kerl verstand sein Handwerk. Booth wand sich in Schmerzen in seinen Fesseln. Tränen,<br />

die ihm unkontrolliert in die Augen schossen, liefen ihm über das bleiche Gesicht und ver-<br />

mischten sich mit Schweiß, der ihm zusätzlich in den Augen brannte. Immer wieder bäumte<br />

sein Körper sich unter den Stromstößen gequält auf. Booth war schon anderweitig gefoltert<br />

worden, aber das hier war schlimmer. Es zielte einzig darauf ab, ihn zu strafen, er hatte keine<br />

Chance, durch eigenes Zutun die Tortur zu verkürzen oder zu beenden. Nach einiger Zeit war<br />

er schlicht am Ende. Wie oft ihn ein Schlag getroffen hatte, hätte er nicht sagen können, nach<br />

dem zehnten hatte er nicht mehr die Kraft gehabt, mitzuzählen. Er hoffte nur noch ver-<br />

zweifelt, endlich die Besinnung zu verlieren. Und schließlich tat sein gefolterter Körper ihm<br />

den Gefallen. Nach einem letzten Stromschlag sackte Booth in den Fesseln in sich zusammen.<br />

Er merkte nichts mehr.<br />

Bones hatte fassungslos schluchzend der Bestrafung ihres Kollegen zugesehen. Fast<br />

erleichtert registrierte sie schließlich, wie Booth die Besinnung verlor. Der Asiat sah mitleid-<br />

los auf sein ohnmächtiges Opfer und nickte zufrieden. Er hatte während der Folterung immer<br />

wieder frisches Wasser auf Booth‟ wehrlosen Körper getröpfelt. Jetzt nahm er seinen Eimer<br />

und verließ den Zellentrakt. Unmittelbar darauf betraten zwei Wachen den Kerker und<br />

machten Booth los. Er wurde in seine Zelle geschleppt und auf seine Liege gelegt. Seine<br />

Hände fesselten die Wachen über seinem Kopf an die Liege, dann ließen sie ihn liegen, den<br />

Knebel noch immer im Mund. Einer der Wachen sah Abby an, die genau so entsetzt wie alle<br />

<strong>Anderen</strong> der Bestrafung zugesehen hatte. „Du wirst aufpassen, dass er nicht erstickt, hast du<br />

kapiert?“ Abby nickte. „Aber ich komme nicht an ihn heran, Sir.“, sagte sie leise. Sie erhielt<br />

keine Antwort und die Wachen verließen den Kerker. Allerdings währte die Ruhe diesmal<br />

nicht länger als ein paar Minuten.<br />

Akt 8: X Files<br />

256


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ein Mensch ohne Aufrichtigkeit ist wie ein Gefährt ohne Achse, unbeweglich<br />

und unverwendbar.<br />

Konfuzius<br />

Mulder hatte das Gefühl, schon seit einer mindestens doppelt so langen Phase wach zu<br />

sein wie bisher. Und es schien kein Ende in Sicht. Offensichtlich sollte das hier in einem<br />

großen Abwasch erledigt werden. Er war Schlafmangel durchaus gewohnt, jetzt aber hunde-<br />

müde und sicher, dass es den <strong>Anderen</strong>, besonders denen, die heute schon so heftig ran ge-<br />

nommen worden waren, noch viel mehr so ging. Sawyer und Jake fingen Mulder an, ernst-<br />

hafte Sorgen zu machen. <strong>Die</strong> beiden Männer waren, seit man sie in die Zellen zurück gebracht<br />

hatte, nicht mehr zu sehen gewesen, was in den kleinen Zellen schon eine Leistung war.<br />

Sawyer schien auf seiner Liege zu liegen, von Jake konnte Mulder überhaupt nichts erkennen.<br />

Er war beunruhigt. Hoffentlich hatte diese grausame Aburteilung keine dauerhaften<br />

Konsequenzen, weder für die beiden Frauen, noch für die jungen Männer. Wo die Frauen,<br />

Kate und Heather, die ganze Zeit steckten, war Mulder auch ein Rätsel. Nachdem man sie aus<br />

dem Kerker gebracht hatte, war von ihnen nichts mehr zu sehen gewesen. An House und<br />

Cameron wollte Mulder gar nicht denken. Nachdem nun auch Locke, sowie Sara und Gil ab-<br />

gehandelt worden waren, und wieder in ihren Zellen steckten, mehr oder weniger am Ende,<br />

wartete Fox darauf, dass des Dramas letzten Akte eingeläutet wurden. Es war ihm durchaus<br />

bewusst, dass nur noch die beiden NCIS Angehörigen und er selbst und Scully fehlten. Und<br />

ihm war klar, dass er für seine unbedachten Worte bezüglich Kates Vergewaltigung mit<br />

Sicherheit auch noch gemaßregelt werden würde. Und als wären seine Gedanken Auf-<br />

forderung für die Entführer, ertönten seine und Danas Nummern.<br />

257<br />

*****<br />

Heather konnte es immer noch nicht fassen. In ihrer Angst und ihrem Schrecken hatte<br />

sie den Sinn dieser Aktion nicht verstanden und ihr Gehirn funktionierte immer noch nicht<br />

wieder so gut, dass sie begriffen hätte, was das Ganze für einen Sinn gehabt hatte. Als der<br />

Typ begonnen hatte, seine Hose zu öffnen, hatte die junge Frau gedacht, sie verliere vor<br />

Angst den Verstand. Dann hatten die beiden Wachen plötzlich gelacht und einer von ihnen<br />

hatte: „Okay, wir wissen Bescheid.“, in sein Headset Mikro gesagt. <strong>Über</strong>raschend hatten die<br />

beiden Männer sie los gemacht und sie im Schlafzimmer alleine gelassen. Heather brauchte<br />

einige Minuten, um zu begreifen, dass sie ganz offensichtlich doch nicht vergewaltigt werden<br />

würde. Ihr Verstand schaffte es nicht, sich vorzustellen, wozu diese Sache gerade gut gewesen


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

war. In ihrer ganzen Panik und ihrem Scham verschwendete sie keinen Gedanken an Jake. Sie<br />

konnte nicht an ihn denken, dafür saß der eigene Schreck noch viel zu tief. Hätte sie geahnt,<br />

was der geliebte Mann gerade durch machte ... Wie lange sie dort saß, im Schlafzimmer, hätte<br />

sie nicht sagen können. Irgendwann kamen die beiden Wachen wieder zu ihr. „Es geht los,<br />

wir bringen dich jetzt woanders hin. Du wirst deinen Kollegen keinen noch so kleinen Blick<br />

zuwerfen, sonst wird Nummer 2 es mehr als büßen, verstanden?“ Heather nickte panisch. „Ja,<br />

ich schwöre, ich werde nicht ...“ Weiter kam sie nicht, denn ein Klebestreifen wurde ihr über<br />

den Mund geklebt. Ihre Hände wurden erneut auf den Rücken gefesselt und sie konnte nicht<br />

verhindern, dass erneut Tränen über ihre Wangen liefen. Als sie dann durch den Zellentrakt<br />

geführt wurde, hatte sie solche Angst, den Kopf zu heben, dass sie unwillkürlich ganz geduckt<br />

ging.<br />

*****<br />

Ohne zu Zögern erhob Mulder sich und trat an die Tür. Er wurde gefesselt und sofort<br />

zu dem Tisch geführt. Von der anderen Zellenseite kam Dana dazu und wurde zu der ver-<br />

senkbaren Stelle der Plattform geführt. Mulder sah ihr verzweifelt nach, wusste er doch, was<br />

auf die geliebte Frau zukommen würde. Minuten vergingen, in denen der FBI Agent<br />

schwitzend auf dem Stuhl hockte und wartete. Dann erschien das Bild Danas, nackt gefesselt,<br />

und mit dem allgegenwärtigen Elektroschocker behandelt, auf dem Bildschirm. Mulder bis<br />

die Zähne zusammen dass es knirschte, als er Danas gellenden Schmerzensschrei hörte. Der<br />

Arzt begann ungerührt: „Nummer 15, dein Name ist Fox William Mulder?“ Ordnungsgemäß<br />

antwortete Mulder: „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 13.10.1961 in Chilmark, Massachusetts, ge-<br />

boren?“ Erneut sagte Mulder: „Ja, Sir.“ „Deine Eltern sind William und Teena Mulder?“ „Ja,<br />

Sir.“ „Ist es richtig, dass du zusammen mit Nummer 7 einen Sohn hast?“ Mulder zögerte ganz<br />

kurz, nicht, weil er nicht antworten wollte, sondern weil ihn kurz seine Gefühle überrollten.<br />

Dann aber sagte er so ruhig wie möglich: „Ja, Sir.“ „Du hast in Oxford von 83 - 86 Psycho-<br />

logie studiert?“ „Ja, Sir.“ „Dein Abschluss?“ „Summa cum laude, Sir.“ „Danach hast du in<br />

der Behaviorial Science Unit angefangen?“ „Ja, Sir.“ Mulder blieb ruhig und gelassen. „Und<br />

dann hast du in der Abteilung Gewaltverbrechen als Field-Agent gearbeitet?“ Wieder<br />

antwortete Mulder: „Ja, Sir.“ Der Interviewer sah Mulder mit einem leicht hinterhältigen Ge-<br />

sichtsausdruck an. „Sagt dir der Name Steve Wallberg etwas?“ Mulder erstarrte und sah den<br />

Arzt geschockt an. Scully eine Etage tiefer, die wie die <strong>Anderen</strong> hier unten alles mit anhören<br />

konnte, entwich unwillkürlich ein leises Seufzen. „Nun? Was kannst du uns über Mr. Wall-<br />

berg sagen?“ Der Arzt sah nicht aus, als hätte er übermäßig viel Geduld. Mulder sah wirklich<br />

geschockt aus. Er brachte im Moment keinen Ton heraus. „Wird es bald?“, herrschte ihn der<br />

Interviewer an und schlug ärgerlich mit der Hand auf den Tisch.<br />

258


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Als ich beim FBI anfing, war einer meiner ersten Fälle, die ich als Anfänger zu be-<br />

arbeiten hatte, der Mehrfachmörder John Barnett. Er hatte mehrere Menschen getötet und<br />

wurde schließlich von einer Gruppe FBI Agenten gestellt. Ich war dabei. Barnett griff sich<br />

eine Geisel und bedrohte diese mit der Waffe.“ Mulder musste tief durchatmen, bevor er<br />

weiter sprechen konnte. „Ich stand in Barnetts Rücken und hatte freies Schussfeld.“ „Aber du<br />

hast nicht geschossen. Was passierte dann?“ Mulder sah zu Boden. <strong>Die</strong> Geschichte hatte bei<br />

ihm ein ziemliches Trauma verursacht. Mit leiser Stimme fuhr er fort: „Bevor wir eingreifen<br />

konnten, eröffnete Barnett das Feuer. Er tötete erst die Geisel, dann erschoss er einen der FBI<br />

Agent, Steve Wallberg.“ „Warum hast du nicht geschossen, 15?“ Mulder sah immer noch zu<br />

Boden. „Weil ... Nun, ein ungeschriebenes FBI Gesetzt besagte, keine Geisel durch Eingriff<br />

zu gefährden.“ Mulder schwieg erschüttert. Der Interviewer fuhr ungerührt fort: „Dass zwei<br />

Menschen sterben mussten, ist also deine Schuld gewesen?“ Mulder zuckte wie unter einem<br />

Schlag zusammen. Er hatte sich immer die Schuld an dem Geschehen gegeben. Leise er-<br />

widerte er: „Ja, Sir.“ „In welcher Abteilung arbeitest du heute?“ Mulder erwiderte ruhig: „Ab-<br />

teilung X-Akten, Sir.“ „Was ist das für eine Abteilung?“ „<strong>Die</strong> Abteilung beschäftigt sich mit<br />

Fällen, die außergewöhnlich sind, nicht in das übliche Schema fallen.“ Der Arzt sah Mulder<br />

an. Dann schaute er auf seinen Minicomputer.<br />

Eine Notiz in seinem PDA machend fuhr der Arzt mit seiner nächsten Frage fort.<br />

„Was hast du 1989 bei Dr. Heinz Werber machen lassen?“ Der FBI Agent brauchte einige<br />

Sekunden, um die Frage zu begreifen. Er war durch die Frage nach Wallberg schon an-<br />

geschlagen gewesen. Jetzt erwische ihn die Frage nach Dr. Werber eiskalt. „Ich habe <strong>mich</strong><br />

einer Regressionshypnose unterzogen, Sir.“, antwortete er ehrlich. „Was wolltest du damit<br />

erreichen, Nummer 15?“ „Ich wollte versuchen, <strong>mich</strong> an die Entführung meiner Schwester<br />

Samantha am 27.ten November 1973 zu erinnern, Sir.“ Mulders Stimme war immer leiser<br />

geworden. Scully tat ihr Lebensgefährte unendlich leid. <strong>Die</strong> trafen mit jedem Schuss ins<br />

Schwarze, soviel war sicher. „Von wem wurde sie entführt?“ Der Arzt stieß diese Frage hart<br />

hervor. Mulder sah den Arzt müde an und erklärte: „Von Außerirdischen, Sir.“ Mulder sagte<br />

dies ruhig und überzeugt. Der Arzt sah Mulder gespannt an. „Von den selben Außerirdischen,<br />

von denen du Jahre später entführt wurdest?“, fragte er dann lauernd. Mulder sah den Arzt<br />

ruhig an. „Ja, von den selben.“ Er war Verständnislosigkeit und Spott über die Jahre seiner<br />

Arbeit an den X-Akten des FBI so sehr gewohnt, dass es ihm nichts mehr ausmachte, dass<br />

auch hier außer Scully keiner seinen Worten Glauben schenken würde. Das nahm er in-<br />

zwischen ruhig in kauf. Ganz kurz hatte er das Gefühl, als wäre der Interviewer etwas ent-<br />

täuscht, dass er so ohne zu Zögern geantwortete hatte. <strong>Die</strong>ser fuhr fort: „Was wollten die ...<br />

259


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Außerirdischen von dir?“ Mulder schloss kurz die Augen, schüttelte resigniert den Kopf und<br />

antwortete dann: „In erster Linie medizinische Tests, Sir.“<br />

Der Interviewer sah kurz aus, als wolle er noch etwas sagen. Dann aber nickte der Arzt<br />

und befahl in sein Headset: „Bringt sie hoch.“ Einige Minuten später wurde Scully von unten<br />

hoch gebracht, dafür griffen die Wachen Mulder und führten diesen zu dem Aufzug. Er<br />

wurde, wie alle anderen, nach unten gefahren, dort zu der Stange geführt und erhielt nun den<br />

Befehl: „Kittel aus.“, nachdem man seine Fesseln gelöst hatte. Mulder öffnete gehorsam das<br />

Band, welches seinen Kittel im Nacken zusammen hielt, und ließ das minderwertige<br />

Kleidungsstück von seinem Körper gleiten. Der nächste Befehl erfolgte. „Hände her.“ Mulder<br />

streckte die Hände vor den Körper und ließ sie sich widerstandslos fesseln. Eine Minute<br />

später hing er, wie seine Mitgefangenen vor ihm, hilflos gestreckt an der Stange und wartete<br />

auf die Schmerzen. Er brauchte nicht allzu lange zu warten.<br />

<strong>Die</strong> Stimme des Arztes, der die Befragung leitete, hallte durch den Kerker und den<br />

Raum, in dem Mulder hilflos in den Fesseln hing. <strong>Die</strong>ser hätte nicht verleugnen können, dass<br />

er Angst hatte, niemand ertrug gerne Schmerzen. Da bildete der FBI Mann auch keine Aus-<br />

nahme. Er hatte während seiner Arbeit beim FBI und seiner Entführung durch die Aliens<br />

mehr als genug Schmerz kennen gelernt, es reichte eigentlich für mehrere Leben. <strong>Die</strong> Stimme<br />

des Arztes erklärte: „Nummer 15, du hast Zweifel an unseren Intentionen geäußert. Daher<br />

sehen wir uns gezwungen, dir zu beweisen, dass wir es durchaus ernst meinen. Du wirst in<br />

Kürze garantiert keine Zweifel mehr haben, dass wir es sehr, sehr ernst meinen.“ Mulder<br />

konnte ein Zittern nicht verhindern, als diese Wort emotionslos verkündeten, das er jetzt wohl<br />

bitter unter seinen eigenen Worten würde leiden müssen. Einer der Wachmänner bückte sich<br />

und fixierte Mulders Fußgelenke ebenfalls an der Stange. Schon alleine das, bewegungsun-<br />

fähig ausgeliefert zu sein, machte Mulder fast wahnsinnig. Wellen der Panik schienen ihn zu<br />

überschwemmen. Seit seiner Entführung konnte er es nicht ertragen, bewegungsunfähig ge-<br />

macht zu werden. Der sonst so gefasste Psychologe musste all seine Beherrschung aufbieten,<br />

um nicht hysterisch an den Fesseln zu zerren. Der Wachmann grinste diabolisch. „Mach nie<br />

wieder ungefragt deinen Mund auf und Zweifel besser nie wieder daran, dass wir durchaus<br />

tun, was wir versprechen, Nummer 15, ist das klar?“ Mulder nickte. „Ist das klar?“, fuhr der<br />

Posten ihn an und Mulder beeilte sich: „Ja, Sir, ist klar.“, zu sagen. „Gut, dann wollen wir<br />

zum gemütlichen Teil kommen.“ Der Typ griff nach dem Elektroschocker, den nun heute<br />

schon fast alle hatten kennen lernen müssen. Er drehte die Stromstärke hoch, dann trat er an<br />

Mulder heran. <strong>Die</strong>ser starrte, hastig atmend, mit schreckgeweiteten Augen auf den eigentlich<br />

so harmlos aussehenden Stab und wartet auf den ersten Schlag.<br />

260


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und der kam. Etwas derartiges hatte Mulder noch nie zuvor gespürt. Fast jeder kannte<br />

vermutlich das Gefühl, einen Stromschlag zu bekommen. Sei es bei Installationsarbeiten oder<br />

ganz simpel am elektrischen Zaun einer Viehweide. Aber wissentlich Stromschläge mittels<br />

eines Schockgerätes zugefügt zu bekommen, war etwas ganz anderes. <strong>Die</strong>se Geräte dienten in<br />

erster Linie dazu, weh zu tun, Schmerzen zuzufügen, nicht etwas, Schäden hervor zu rufen.<br />

Im Laufe der Jahre waren diese Geräte perfektioniert worden. Variable Stromimpulse ermög-<br />

lichten es, sie als ungefährliche Abwehrwaffe oder zum gezielten aus dem Verkehr ziehen<br />

einer Person zu nutzen. Oder eben, wie in diesem Falle, als Foltermethode, die keine Spuren<br />

hinterließ, normalerweise keine ernste Gefahr für Leib und Leben des Gefolterten hinterließ,<br />

aber nichts desto weniger unglaublich schmerzhaft war. Mulder zuckte unter dem ersten<br />

Schlag aufschreiend vor Schmerz heftig zusammen. So sehr er sich bemühte, nicht zu<br />

schreien, so sehr war der Versuch zum Scheitern verurteilt. Jeder einzelne Schlag zuckte wie<br />

glühende Lava durch seinen sich in Schmerzen windenden Körper. Dana eine Etage höher sah<br />

und hörte den geliebten Mann wie schon Sawyer und Booth unter den zugefügten Strom-<br />

schlägen zucken und brüllen und Tränen liefen ihr über die blassen Wangen. Wie lange die<br />

Tortur für Mulder ging, war schlecht abzuschätzen. Fünfzehn bis zwanzig Minuten dauerte<br />

sein Martyrium sicher. Schließlich aber waren die Entführer wohl der Meinung, er hätte be-<br />

griffen, dass das alles kein Spiel war und ließen von ihm ab. Vollkommen erledigt, am ganzen<br />

Körper triefend vor Schweiß, der ihm aus allen Poren ausgebrochen war, hing der FBI Mann<br />

in den Fesseln, das Einzige, was ihn überhaupt noch aufrecht hielt. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen,<br />

die noch dazu in der Lage waren, hatten die Bestrafung fassungslos mit angesehen. Sie hatten<br />

mit Mulder gelitten und hofften, dass es vorbei war.<br />

Dana hatte entsetzt zugeschaut. Jetzt zuckte sie zusammen, als der Interviewer sich<br />

übergangslos an sie wandte. „Nummer 7, dein Name ist Dana Kathrine Scully?“ Dana musste<br />

sich kurz fangen, dann antwortet sie, noch mit tränenerstickter Stimme: „Ja, Sir.“ „Du<br />

wurdest am 23.02.1964 geboren?“ „Richtig, Sir.“ „<strong>Die</strong> Namen deiner Eltern lauten Margret<br />

und William Scully?“ „Ja, Sir.“ „<strong>Die</strong> Namen deiner Geschwister?“ „William, Charles und<br />

Melissa, Sir.“ „Du wurdest in Berkeley, Kalifornien, geboren?“ „Nein, Sir. Geboren wurde<br />

ich in Annapolis, Maryland.“ Dana war sich sicher, dass ihre Entführer keine falschen Infos<br />

hatten. Das war einfach ein Test, ein Schuss ins Blaue. „Wo bist du aufgewachsen?“ „In San<br />

<strong>Die</strong>go und später in Berkeley, Kalifornien, Sir.“ „Du hast Medizin studiert?“ „Ja, Sir, an der<br />

UC in Berkeley. Dann habe ich an die Uni von Maryland gewechselt und meinen Bachelor<br />

gemacht.“ „Seit wann bist du beim FBI beschäftig?“ „Seit 1990, Sir“ „Von 1990 bis 1992<br />

hast du an der Quantico Academy unterrichtet?“ „Ja, Sir. „Seit 1992 bist du den X-Akten zu-<br />

geteilt?“ „Das stimmt, Sir.“ „Warum wurdest du dort eingeteilt?“ „Um eine wissenschaftliche<br />

Sichtweise in Special Agent Mulders Arbeit einzubringen und Bericht über ihn zu erstatten.“<br />

261


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dana war einen Blick auf den Monitor, sah Mulder so an und dann den Arzt. „Wie fielen die<br />

Berichte aus?“ „Nun, Sir, nachdem ich unzählige Dinge sah, die man mit Logik nicht erklären<br />

kann, begann ich, an Paranormales zu glauben.“<br />

*****<br />

In seiner Zelle kam Booth langsam wieder zu sich. Es dauerte ein paar Sekunden, bis<br />

er einigermaßen klar denken konnte. Dann merkte er erschrocken, dass er noch immer ge-<br />

fesselt war. Seine Hände. Er konnte sie noch immer nicht bewegen. Und der grässliche<br />

Knebel steckte immer noch in seinem Mund. Angst überschwemmte ihn. Er realisierte gar<br />

nicht, dass er in seiner Zelle lag. Nur keine Stromschläge mehr. Verzweifelt zerrte er an den<br />

Fesseln, die seine Hände hielten. Und dann endlich erkannte er, dass er in seiner Zelle war,<br />

nicht mehr auf dem Bettgestell gefesselt. Sein Herz raste. Er konnte kaum atmen, seine Nase<br />

begann sich zuzusetzen. Panik drohte ihn zu überwältigen. Abby bemerkte, dass Booth auf-<br />

gewacht war und in ernsten Schwierigkeiten steckte. Sie fragte sich hektisch, was sie machen<br />

sollte. Sie konnte ihn auf seiner Liege ja nicht einmal erreichen. „Hey, Booth, Booth, ganz<br />

ruhig, hörst du. Du hast es überstanden. Keiner tut dir mehr was. Du darfst dich nicht auf-<br />

regen. Psst, ganz ruhig bleiben. Keiner tut dir mehr weh. Du musst versuchen, ganz ruhig zu<br />

bleiben, verstehst du. Versuche, ganz langsam und ruhig einzuatmen. Komm schon, du<br />

schaffst das.“ Abby redete beruhigend und leise auf Booth ein, die einzige Möglichkeit, die<br />

ihr blieb. Und ganz langsam zeigten ihre ruhige Stimme Wirkung. „Sieh <strong>mich</strong> an, Booth,<br />

hörst du. Du bist in Sicherheit, der Schweinepriester tut dir nichts mehr. Sieh <strong>mich</strong> an. Dir<br />

kann nichts mehr passieren. Du musst dich nur unbedingt beruhigen.“ Und zu ihrer unglaub-<br />

lichen Erleichterung sah sie, dass Booth sich wirklich ganz allmählich beruhigte und seine<br />

Atmung unter Kontrolle bekam. Seine Augen hingen an Abby und er merkte, wie die Panik<br />

zögernd wich. Sein Herzschlag beruhigte sich schrittweise und er bekam langsam wieder<br />

besser Luft. Seine Augen saugten sich regelrecht an Abby fest und diese lächelte ihm be-<br />

ruhigend zu. Sie hob den Daumen und sah Booth fragend an und langsam nickte dieser, wobei<br />

ihm einzelne Tränen über die Wangen kullerten. Unendlich erleichtert atmete Abby auf. Das<br />

war knapp gewesen.<br />

*****<br />

„Das war knapp. Bekommt der Trottel tatsächlich eine Panikattacke.“<br />

„Manchmal wirklich überraschend, Leute, bei denen man es am<br />

wenigsten erwarte, reagieren manchmal am empfindlichsten.“<br />

262


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wir sollten bei allen weiteren Tests seiner Atmung besondere Aufmerk-<br />

samkeit widmen.“<br />

„Auf dem Band hat er keine Auffälligkeiten gezeigt. Scheinbar hat er<br />

keine Probleme bei körperlicher Anstrengung.“<br />

„Das wird sich ja noch zeigen. Wir sollten aber auf jedem Fall seine<br />

psychische Belastbarkeit noch einer genaueren Untersuchung unterziehen.“<br />

„Da magst du wohl Recht haben. Bisher war bei ihm so etwas nicht zu<br />

beobachten“<br />

„Sein Vorgesetzter meinte doch, Booth hätte speziell nach dem tödlichen<br />

Schuss auf Raddick tagelang Auffälligkeiten gezeigt.“<br />

standen.“<br />

„Aber nicht in der Art, wie wir sie hier bei ihm beobachten.“<br />

„Wie auch immer, er wird sehr genau unter Beobachtung gehalten, ver-<br />

*****<br />

Derweil war die Befragung ruhig weiter gegangen. „Was ist mit deiner Schwester<br />

passiert?“ Erstmals zuckte Dana zusammen. Sie musste tief durchatmen, dann antwortete sie:<br />

„Meine Schwester wurde bei einem Attentat im April 95, welches mir galt, getötet, Sir.“ Nur<br />

Mulder wusste, wie schwer es seiner Freundin fiel, darüber zu Reden. „Wo sind deine Eltern<br />

heute?“ „Meine Mutter lebt seit acht Monaten in DC. Mein Vater verstarb vor ein paar Jahren<br />

an einem Herzinfarkt.“ Scullys Stimmer zitterte ganz leicht. „Was bedeutet der Name<br />

Starbuck?“ Scully erstarrte. Wo, zum Teufel, nahmen diese Leute ihre Informationen? „So<br />

nannte mein Vater <strong>mich</strong>, als ich ein Kind war, Sir.“ „Du hattest eine Kette mit einem Kreuz<br />

um den Hals, als wir euch eingeladen haben, ein paar schöne Tage bei uns zu verbringen,<br />

woher hast du das bekommen?“ „Das Kettchen mit dem Kreuz habe ich von meiner Mutter<br />

zum 15.ten Geburtstag bekommen, Sir.“, erklärte Dana kühl. „Wie alt ist dein Sohn in-<br />

zwischen?“ Dana war sich klar gewesen, dass eine Frage nach William erfolgen würde. So<br />

sagte sie ruhig: „Als wir von Ihnen entführt wurden, war er sieben Monate und zwölf Tage<br />

alt.“ Der Arzt nickte zufrieden. Er machte sich noch ein paar Notizen auf dem PDA und<br />

meinte dann: „Ihr wart außerordentlich kooperationsbereit.“ Der Arzt sagte in sein Mikro: „7<br />

und 15 zurück.“ Kurze Zeit später trafen Wachen ein, die Mulder mit sich schleppten. Für ihr<br />

Leben gerne wäre Dana zu Mulder geeilt, der kaum noch fähig war, selbst zu gehen. Aber<br />

gnadenlos wurde sie in ihre Zelle geschafft und auch Mulder wurde in seine eignen Zelle ge-<br />

schleppt und achtlos auf die Liege gelegt.<br />

263


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Akt 9: Mossad<br />

Treue hat nur Wert als ein Gegengeschenk, sonst ist sie die größte Verschwendung.<br />

Arthur Schnitzler<br />

Kaum waren die beiden FBI Agenten in ihre Zellen zurück gebracht worden, erging<br />

die Aufforderung: „Nummer 5 und 14.“ Ziva zog die Augenbrauen hoch und stemmte sich<br />

von der Liege, auf der sie gesessen und zu Sawyer herüber gestarrt hatte, hoch. Der Junge lag<br />

da wie tot. Ziva war sich sicher, dass er sich seit Stunden kaum bewegt hatte. Nur seiner sich<br />

hebenden und senkenden Brust war zu entnehmen, dass er überhaupt noch atmete. Ziva<br />

schüttelte besorgt den Kopf. In einer derart desolaten Verfassung hatte sie selten jemanden<br />

gesehen. Während sie noch über Sawyers Paralyse nachdachte, trat sie an die Zellentür und<br />

ließ sich widerstandslos die Hände fesseln. Am anderen Ende des Kerkers wurde das Gleich<br />

mit Abby gemacht. Der Arzt nahm die beiden jungen Frauen in Empfang und bat Ziva dann<br />

mit kalter Höflichkeit, sich doch eine Etage tiefer bringen zu lassen. Lässig ließ sich die junge<br />

Israelin nach unten fahren. Ihr war klar, was auf sie zukam, aber vor Schmerzen hatte sie<br />

schon lange keine Angst mehr. Sie wurde gehässig aufgefordert, ihren Kittel auszuziehen und<br />

mit einem spöttischen Grinsen auf dem Gesicht gehorchte sie. Sie stellte sich ruhig an die<br />

Stange und streckte die Arme nach oben.<br />

264<br />

*****<br />

Kate wurde aus dem Kerker geführt und eine Etage höher befördert. Dort wurde sie in<br />

einen kleinen Raum gebracht und die Handschellen wurden gelöst. <strong>Die</strong> Wache riss ihr unsanft<br />

das Klebeband ab. Dann ließ man sie alleine. Sie sah sich um. Das erste, was sie sah, war ein<br />

Kittel, der auf einem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes lag. Ohne zu zögern zog Kate<br />

diesen über. Dann schaute sie sich weiter um. Kahle Wände, Neonlicht, außer dem Tisch nur<br />

noch ein Stuhl und eine Pritsche, und an der Wand eine kleiner Bildschirm. Unter dem Bild-<br />

schirm sah Kate einen Knopf und trat an die Wand, um versuchsweise auf den Knopf zu<br />

drücken. Der Bildschirm flackerte auf und sie konnte direkt in Sawyers Zelle gucken. Sie er-<br />

schrak zu Tode, als sie ihn sah. Leichenblass, Tränenspuren auf den Wangen, mit offenen<br />

Augen ins Leere starrend, lag er auf seiner Liege. Völlig fertig, wie paralysiert, lag er da und<br />

bekam ganz offensichtlich von dem, was um ihn herum geschah, nicht das Geringste mit. Er<br />

sah dermaßen erledigt aus, dass Kate augenblicklich Tränen in die Augen schossen. „Oh,<br />

mein Gott, Schatz. Es geht mir doch gut. Mach dir keine Sorgen.“ Wenn sie ihm dies nur


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hätte vermitteln können. Es war für Kate fast mehr, als sie ertragen konnte, Sawyer so zu<br />

sehen. Sie starrte auf das Bild vor sich und schluchzte.<br />

*****<br />

Eine Etage höher war Abby nicht annähernd so ruhig wie ihre Kollegin. Zitternd ließ<br />

die Laborantin sich an den Stuhl fesseln. Dann hockte der Arzt sich auch zu ihr. „Wir alle<br />

sind müde, darum machen wir es kurz. Sieh auf den Bildschirm.“ Abby schaute auf einen der<br />

beiden Bildschirme und sah Ziva in der Haltung, in der auch Bones und Booth an der Stange<br />

gehangen hatten. „Sie brauchen das nicht zu machen, Sir, ich sage ganz bestimmt die Wahr-<br />

heit.“, stotterte Abby entsetzt. „Nun, Nummer 14, da wollen wir doch lieber auf Nummer<br />

sicher gehen, was?“ Er gab in sein Mikro den leisen Befehl: „Los.“, und der Wachmann, der<br />

bei Ziva stand, drückte der jungen Frau gnadenlos den Schocker an den Bauch. Ziva konnte<br />

einen Aufschrei nicht unterdrücken. Es tat einfach gemein weh. Aber der Schmerz verging<br />

und sie war sicher, keine weiteren Schläge zu bekommen. Abby liefen vor Angst und Mitleid<br />

Tränen über das Gesicht.<br />

Der Interviewer sah Abby jetzt an und sagte: „Dein Name ist Abigail Sciuto?“ „Ja, Sir,<br />

ist er, aber ich werde nur Abby genannt und ...“ „Ja oder nein reichen, Nummer 14.“ Der Arzt<br />

unterbrach Abbys Redefluss. „Ähm, ja, Sir.“, stotterte diese erschrocken. Gibbs konnte ein<br />

leichtes Grinsen nicht ganz unterdrücken. „Du wurdest am 27.03. 1969 geboren?“ „Ja, Sir, ich<br />

bin ...“ Abby wurde erneut unterbrochen. „Deine Eltern sind Leo und Gloria Sciuto?“ „Ja, Sir,<br />

sie sind beide Zauberer, wissen Sie, sie ...“ „Wenn du noch einmal mehr sagst als ja oder nein<br />

werden wir deiner Kollegin wieder sehr wehtun müssen.“, unterbrach sie der Arzt ein drittes<br />

Mal und Abby wurde starr vor Schreck. „Ich bin ganz still, Sir.“ stieß sie hervor. Der Arzt sah<br />

sie an. „Deine Eltern sind Gehörlos?“ „Ja, Sir.“ „Du wurdest in New Orleans geboren?“ „Ja,<br />

Sir.“ Wohlwollend nickte der Arzt. „Du hast einen jüngeren Bruder?“ Abby überlegte, ob sie<br />

den Namen sagen sollte, entschied sich aber nach einem Blick auf Ziva dagegen. „Ja, Sir.“,<br />

sagte sie verschreckt. „Sein Name?“ „Jeremy, Sir.“ „Was hast du studiert?“ „Ich habe ... darf<br />

ich, Sir?“ Abby erschrak, hatte sie doch schon wieder mehr als ja oder nein gesagt. „Du<br />

darfst.“ Abby atmete erleichtert auf. „Ich habe einen Master in Kriminologie an der Georgia<br />

State Uni gemacht und Abschlüsse in Kriminologie, Soziologie, Forensik und Psychologie an<br />

der Louisiana.“ Abby schwieg vorsichtshalber nach der Aufzählung wieder. „Wie lange<br />

arbeitest du jetzt beim NCIS?“ „Seit fünf Jahren, Sir.“<br />

Der Arzt sah sie scharf an. „Was sind deine Aufgaben beim NCIS?“ „Materialana-<br />

lysen, Ballistik, Computerwissenschaft, Blut- und Gewebeanalysen und DNA-Analyse, in der<br />

265


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hauptsache, Sir.“ „Warum wurdest du verhaftet?“ Abby wurde rot. „Ich habe während eines<br />

Rock Konzertes ... nun, meine Bluse ausgezogen, Sir.“ „Was wurde dir noch vorgeworfen,<br />

14?“ „Ich wurde verhört, weil man mir vorwarf, <strong>mich</strong> in fremde Computer gehackt zu haben,<br />

Sir.“ „Stimmt der Vorwurf?“ „Nicht Privat, Sir. Nur offiziell im <strong>Die</strong>nst, Sir.“ „Vor welchen<br />

Tieren hast du Angst?“ Abby biss sich verlegen auf die Lippe. „Vor Hunden, Sir.“ „Warum?“<br />

„Ich wurde als Kind gebissen und sehr krank, Sir.“ Abby war es peinlich, aber sie konnte ihre<br />

Hundephobie nicht leugnen. Sie hoffte verzweifelt, dass es nun langsam beendet werden<br />

könnt, aber eine Frage hatte der Arzt noch für sie parat. „Erzähl uns etwas über Caitlin Todd.“<br />

Abby schossen augenblicklich Tränen in die Augen. - Kate. - dachte sie traurig. „Kate war<br />

meine Freundin und Kollegin.“, erklärte sie kurz und mit stockenden Stimme. Der Arzt<br />

lächelte sie an wie eine Giftschlange ein in die enge getriebenes Kaninchen anlächeln würde.<br />

„Nummer 14, jetzt darfst du deinem Redefluss mal ganz freien Lauf lassen, bitte.“ Abbs<br />

konnte nicht verhindern, dass ihr bei der Erinnerung an Kate die Tränen über die Wangen<br />

liefen. „Kate kam vom Secret Service zu uns, sie war für die persönliche Sicherheit des<br />

Präsidenten verantwortlich, Sir. Bei den Ermittlungen über einen Terroristen wurde sie er-<br />

schossen.“ Abbs war wild entschlossen, nichts weiter zu sagen. Was gab es da auch noch zu<br />

berichten. <strong>Die</strong> ganze Abteilung war mehr als erschüttert gewesen, als Ari Haswari Kate kalt-<br />

blütig erschoss.<br />

Der Arzt nickte langsam. „Wir werden sehen, ob wir heute noch mehr über die Hinter-<br />

gründe herausfinden.“, sagte er ruhig und Abby und auch Gibbs in seiner Zelle fühlten eine<br />

Gänsehaut über ihre Körper kriechen. Jetzt kam die kurze Anweisung ins Mikro: „Bringt 5<br />

hoch.“ Er erhob sich uns machte Abby vom Stuhl los. Der fing das Herz an zu klopfen wie ein<br />

Trommelwirbel. Sie wusste, sie war die Nächste, die den wohl äußerst schmerzhaften<br />

Elektroschock spüren würde. Zitternd wartete sie darauf, dass Ziva von unten hoch gebracht<br />

würde. Und da kam die Kollegin bereits, genervt aussehend, aus der unteren Etage hoch-<br />

gefahren. Abby wurde der Wache in die Hand gedrückt, dann senkte sich der Teil der Platt-<br />

form wieder ab. Ziva musste sich gefallen lassen, an den Stuhl gefesselt zu werden. Kühl sah<br />

die so zierlich und zerbrechlich wirkende junge Frau den Arzt an. Sie wappnete sich innerlich<br />

gegen das, was unweigerlich kommen würde und konzentrierte sich darauf, sich keine Blößen<br />

zu geben. Abby wurde derweil zu der Stange geführt und erhielt den unvermeidlichen Befehl,<br />

den Kittel auszuziehen. Erneut schossen ihr Tränen in die Augen, aber sie gehorchte wider-<br />

standslos. Ihre Hände wurden über den Kopf gezogen und sie wurde an der Stange fixiert. Als<br />

sie den Typen nach dem Elektrostab greifen sah, fing sie an zu zittern.<br />

Ziva sah auf dem Bildschirm, wie Abby beim Anblick des Stabes heftig zu Zittern be-<br />

gann. - Es tut mir so leid, Abbs. - dachte sie und biss sich auf die Lippen, als sie mit ansehen<br />

266


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

musste, wie man Abby einen Stromschlag verpasste. Gibbs spürte eine Welle des Hasses in<br />

sich, als er Abby vor Schmerzen schreien hört. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und es<br />

kostete ihn übermenschliche Beherrschung, nicht loszubrüllen. Aber das hätte nichts geändert,<br />

im Gegenteil, es hätte die Situation nur zugespitzt. Er sah zu Ziva herüber und hoffte, dass die<br />

Israelin vernünftig war. Sie hatte zuweilen ein Temperament, das seinesgleichen suchte. Der<br />

Arzt saß bereits wieder auf seinem Stuhl und das Geschehen nahm seinen Lauf. „Dein Name<br />

ist Ziva David?“ „Ja, Sir.“ Zivas Stimme triefte vor Hohn. „Du wurdest am 19.11.1979 ge-<br />

boren?“ „Ja.“ „In Tel Aviv, Israel?“ „Ein anderes Tel Aviv gibt es nicht, soweit ich unter-<br />

richtet bin. Ja, Sir.“ Der Arzt sah sie kurz gefährlich an und Ziva zwang sich, ruhiger zu<br />

werden. „Deine Eltern sind Eli und Ester David?“ „Ja, Sir.“ „Du hast an der Tel Aviv Uni-<br />

versity studiert?“ „Sprachen, Sir.“ „Welche Sprachen beherrscht du?“ „Fließend Hebräisch,<br />

Arabisch, Englisch, Französisch, Spanisch und Türkisch, gute Grundkenntnisse in Deutsch,<br />

Italienisch und Russisch, Sir.“ Hier horchten, bis auf Jake und Sawyer, alle auf. Was für eine<br />

unglaubliche Leistung, so viele Sprachen zu beherrschen.<br />

„Dein Vater ist ...?“ „Stellvertretender Direktor des Mossad, Sir.“ „Liebst du deinen<br />

Vater?“ Ziva zog die Augenbraue hoch. „Kann man so nicht sagen, Sir.“ „Geschwister?“<br />

„Eine jüngere Schwester, Tali, sie wurde als sechzehnjährige bei einem Bombenattentat ge-<br />

tötet. Und einen älteren Halbbruder, Ari.“ Ziva wurde wachsam. „Erzähle uns von Caitlin<br />

Todd.“ „Eine ehemalige Mitarbeiterin der Abteilung, Sir. Ich habe sie nicht persönlich kennen<br />

gelernt.“ Ziva war jetzt sehr aufmerksam. Sie hatte das Gefühl, das Interview kam in eine<br />

Phase, in der sie aufpassen musste. Äußerlich merkte man ihr nicht das Geringste an, sie<br />

hockte immer noch lässig auf dem Stuhl, aber innerlich war sie sehr angespannt. „Was ist mit<br />

ihr passiert?“, fragte der Arzt und behielt Ziva genau im Auge. „Sie wurde bei einem Einsatz<br />

getötet, Sir.“ Ziva behielt den Arzt nicht weniger gründlich im Auge. „Von wem?“ Ziva kniff<br />

die Augen zusammen. - Das weißt du Arschloch ganz genau. - dachte sie genervt, antwortete<br />

aber ruhig: „Von einem Terroristen.“ „Der Name dieses Terroristen?“ „Ari Haswari.“ „Dein<br />

Bruder?“ „Ja, Sir, mein Halbbruder.“ Eine Etage tiefer glaubte Abby, nicht richtig zu hören.<br />

Ari, dieser geistesgestörte Killer, war Zivas Halbbruder gewesen? Sie kam nicht dazu, diese<br />

überraschende Tatsache zu verdauen, denn schon ging es weiter. „Wie kam es dazu? Und ich<br />

rate dir dringend, Nummer 5, lass dir nicht weiter jedes Wort aus der Nase ziehen.“ Ziva sah<br />

den Doktor an und musste sich sehr beherrschen. Dann erklärte sie: „Mein Halbbruder hatte<br />

heraus gefunden, dass mein Vater hinter dem Anschlag steckte, dem seine Mutter zum Opfer<br />

fiel. Daraufhin hatte Ari nur noch ein Ziel, nämlich sich an unserem Vater zu Rächen. Er<br />

wurde zum Doppelagenten. Ich war beim Mossad sein Führungsoffizier, habe aber seine<br />

wahren Intensionen nicht bemerkt. Bei einem Einsatz als Doppelagent in DC wurde Ari von<br />

Special Agent Gibbs angeschossen, als er versuchte, einen Hamas Freund, der von Special<br />

267


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Agent Gibbs erschossen worden war, aus der Leichenhalle des NCIS zu schmuggeln.<br />

Daraufhin beschloss er, sich auch an diesem zu Rächen. Er tötete Agent Todd, um Special<br />

Agent Gibbs zu, wie sagt man, zu verletzen, zu schwächen, leiden zu lassen. Gibbs erinnerte<br />

Ari an unseren Vater, daher sollte er sterben. Er lauerte ihm in seinem Haus auf und wollte<br />

dort einen Selbstmord vortäuschen. Special Agent Gibbs gelang es jedoch, Ari mit einem<br />

Kopfschuss zu töten.“<br />

Ziva verstummte. Herausfordernd sah sie den Arzt an. Der schwieg und Gibbs hatte<br />

plötzlich ein ungutes Gefühl. Der Arzt legte den Kopf ein wenig auf die Seite, dann sagte er<br />

in das Mikro am Headset: „Frischen wir ihr Gedächtnis ein wenig auf.“ Der Bildschirm<br />

sprang an und Abby in ihrer Fesselung wurde sichtbar. Ziva kniff die Augen zusammen. Das<br />

konnte nicht sein. Sie sah zu Gibbs hinüber, der mit wild klopfendem Herzen am Gitter stand.<br />

Das konnten sie nicht wissen. Nur er selbst und Ziva wussten davon. Das war ein Schuss ins<br />

Blaue, anders konnte es nicht sein. Abby keuchte entsetzt auf: „Nein, bitte. Ziva.“ Dann traf<br />

sie der Elektrostab gnadenlos auf den Bauch und Abby schrie gequält auf. Ziva fuhr zu dem<br />

Arzt herum. „Was wollen Sie hören? Das ist die verdammte Wahrheit: Special Agent Gibbs<br />

gelang es, an seine Waffe zu kommen und Ari Haswari durch einen gezielten Kopfschuss zu<br />

töten.“ „Wer hat ihn erschossen, Nummer 5.“, sagte der Arzt kalt. „Special Agent Gibbs er-<br />

schoss Ari.“ Ziva geriet langsam in Panik. Was sollte das? Woher wussten diese Bastarde,<br />

dass sie log? Erneut sah sie zu Gibbs hinüber. - Was soll ich tun? - dachte sie. Gibbs zuckte<br />

die Schultern und schüttelte resignierend den Kopf. - Was können wir schon tun, um zu ver-<br />

hindern, dass sie Abby grillen, außer die Wahrheit sagen. - Ziva bebte innerlich. Wenn der<br />

Mossad je heraus finden sollte, dass ... „Nummer 5. Wer hat Ari Haswari erschossen? Noch<br />

einmal frage ich nicht.“ „Ich. Ich als sein Führungsoffizier habe ihn getötet, bevor er Gibbs<br />

umbringen könnte.“ Ziva stieß diese Worte unter Tränen hervor. Der Arzt nickte zufrieden.<br />

Dann befahl er: „Bringt 14 hoch und dann ist Feierabend.“<br />

Ziva wurde aus ihrer Zwangslage befreit und in ihre Zelle zurück gebracht.<br />

Gleichzeitig brachte man Abby zurück und sperrte auch sie in die Zelle. Wie lange diese<br />

brutale Aktion schon dauerte, hätte keiner der Gefangenen sagen können, jedenfalls deutlich<br />

länger als eine normale Wachphase. Alle hingen mehr oder weniger fertig auf ihren Liegen.<br />

House, Allison, Kate und Heather waren immer noch nicht wieder zurück gebracht worden,<br />

was Jake und Sawyer fast in den Wahnsinn trieb. <strong>Die</strong> Beiden waren am Ende. Abby lag<br />

schluchzend auf ihrer Liege. Ziva spürte unangenehme Panik in sich: Sollte der Mossad<br />

dahinter kommen, dass sie es gewesen war, die Ari getötet hatte, war ihr Leben keinen Cent<br />

mehr wert. Niemand würde sie vor der Vergeltung schützen können. Bones hatte sich selten<br />

so ausgelaugt gefühlt. Derart viel Leid anderer Menschen ansehen und anhören zu müssen,<br />

268


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte die so abgeklärte Anthropologin fertig gemacht. Dazu kam noch das Wissen, dass sie<br />

Booth indirekt Schmerzen bereitet hatte. Dass er sich zusätzlich noch selbst in derartige<br />

Probleme gebracht hatte mit seiner heldenhaften Einlage, und sie nicht zu ihm konnte, um<br />

ihm ein wenig Hilfe zu leisten, machte die junge Frau zusätzlich fertig.<br />

Sara und Gil ging es nicht einen Deut besser. Sara litt Höllenqualen, weil sie sich<br />

seelisch vor allen anderen derartig hatte entblättern müssen. Gil war körperlich völlig kaputt.<br />

Er war nie zuvor mit derartigen Schmerzen konfrontiert worden und schämte sich, es nicht<br />

besser ausgehalten zu haben. Gibbs machte sich heftige Sorgen um Abby und Ziva, so desolat<br />

hatte er die Mossad Offizierin nie erlebt, nicht einmal nach dem Todesschuss auf Ari. Und er<br />

war seelisch durch seine öffentliche Beichte selbst angeschlagener, als er je erwartet hatte.<br />

Mulder auf seiner Liege war ebenfalls am Ende. Er fühlte eine bleierne Müdigkeit und<br />

wusste, dass es allen anderen nicht besser ging. Viele hatten hier heute die Hölle erlebt.<br />

Keiner von ihnen wäre freiwillig auf den Gedanken gekommen, vor für sie Fremden ihre<br />

innersten Ängste und Gefühle, ihre finstersten Geheimnisse, so zu offenbaren. Besonders<br />

Grausam war es für Kate und Sawyer gewesen, die sich offensichtlich beide eines Mordes<br />

schuldig gemacht hatten. Er selbst, Booth, Dana, Gil, Sara, in beschränktem Maß sogar das<br />

NCIS, hätten jetzt genug Handhabe gegen beide gehabt, um sie festzunehmen, oder fest-<br />

nehmen zu lassen. Mulder schloss die Augen. Wo Kate und Heather wohl untergebracht<br />

worden waren? Und wie es den Beiden gehen mochte?<br />

Als bis auf House, Allison, Kate und Heather alle wieder in ihren Zellen waren, trat<br />

der Arzt, der die Befragung geleitet hatte, vor Booth‟ Zellentür. <strong>Die</strong>se sprang auf und der<br />

Interviewer betrat die Zelle. Er sah abfällig auf den gefesselten jungen Mann herunter. Er sah<br />

zufrieden, wie dieser zusammen zuckte und Panik in seinen Augen aufflackerte. Einen<br />

Moment sah er nur auf Booth herunter, dann zog er ein paar Gummihandschuhe aus der<br />

Kitteltasche und streifte diese über. Booth konnte in seinem elenden Zustand nicht mehr ver-<br />

hindern, dass er heftig anfing zu zittern. Was würde jetzt wieder kommen? Abby im Nachbar-<br />

käfig sah besorgt herüber. Booth zuckte erschrocken zurück, als der Arzt sich über ihn beugte.<br />

Aber er wurde zu seiner <strong>Über</strong>raschung nur von dem grässlichen Knebel befreit. Unendlich<br />

erleichtert atmete Seeley durch den Mund ein und versuchte, zu Schlucken. Sein Hals tat<br />

heftig weh, sein Mund war völlig ausgedörrt. Leise krächzte er: „Danke, Sir.“ Der Arzt löste<br />

auch seine Handfesseln und verließ dann kommentarlos die Zelle. Kaum hatte er den Kerker<br />

verlassen, stemmte Booth sich mit zitternden Knien ächzend und verkrümmt von seiner<br />

Pritsche hoch und trat als erstes an das Gitter zu Abbys Zelle. Tonlos formten seine trocknen<br />

Lippen das Wort: „Danke.“, und er griff durch die Gitterstäbe hindurch nach Abbys Händen.<br />

<strong>Die</strong>se lächelte müde und machte mit dem Daumen das Okay-Zeichen. Booth griff sich seinen<br />

269


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kittel, den man ihm achtlos über das kleine Waschbecken geworfen hatte, und schlüpfte in<br />

das Kleidungsstück. Als nächstes griff er seine Wasserflasche und nahm einige große<br />

Schlucke. Dann drehte er sich um und sah zu Bones herüber, die gespannt und höchst besorgt<br />

zu ihm schaute. Er versuchte ein beruhigendes Lächeln, das etwas schief geriet und deutete<br />

ihr an, dass alles soweit in Ordnung war. Kaum hatte er das gemacht, wurde das Licht ge-<br />

dämpft. <strong>Die</strong> Gefangenen waren so alle, dass die meisten ohnehin schon vor sich hin<br />

dämmernd auf den liegen lagen. Jetzt machten sich auch die letzten lang und es herrschte<br />

Ruhe.<br />

Akt 10: Erlösung<br />

Trösten ist eine Kunst des Herzens. Sie besteht oft nur darin, liebevoll zu<br />

schweigen und schweigend mit zu Leiden.<br />

Otto von Leixner<br />

Sawyer lag auf seiner Liege und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Ab und zu<br />

liefen ihm Tränen über die Wangen. Er war nicht nur psychisch, sondern inzwischen auch<br />

physisch am Ende. <strong>Die</strong>ser Tag war endlos gewesen. Sawyer hatte, wie alle anderen auch, dass<br />

sichere Gefühl, dass mindestens eine Schlafphase von ihren Gastgebern übergangen worden<br />

war. Abgesehen von der seelischen Erschöpfung kam auch eine bleierne Müdigkeit in allen<br />

auf. Sawyer hatte nicht mit bekommen, dass die grausame Befragung zu Ende war. Wie bei<br />

Jake einige Zellen weiter drehte sich sein ganzes Denken und Sein nur um den Punkt seiner<br />

Schuld. Es war seine Schuld gewesen. Er alleine hatte das zu verantworten. Seinetwegen war<br />

Kate vergewaltigt worden. Immer wieder sah er das Bild der nackten, gefesselten, panisch<br />

schluchzenden jungen Frau vor seinem geistigen Auge, wie sie von den Wachen in die kleine<br />

Wohnung gestoßen worden war. Immer wieder hörte er ihre verzweifelten Schreie. House‟<br />

und Mulders Vermutung, als sie Kate schließlich aus dem Kerker führten, hatte ganz kurz<br />

eine wilde Hoffnung in seinem Herzen entfacht, die dann aber noch tieferer Verzweiflung<br />

gewichen war. Er hatte von der ganzen weiteren Befragung nur winzige Fragmente überhaupt<br />

mitbekommen, es war ihm egal, was sich auf der Plattform abspielte. Er hatte panische Angst<br />

vor dem Moment, in dem Kate in ihre Zelle zurück gebracht werden würde. Gleichzeitig<br />

sehnte er den Moment herbei. Er wollte ... Ja, was eigentlich? Sie sehen? Den Hass auf ihn<br />

und die Verzweiflung in ihren Augen? Ein Zittern lief durch Sawyers Körper. Er hatte es so<br />

unendlich genossen, jemanden gefunden zu haben, der wusste, was und wer er war und ihn<br />

trotzdem nur mit Liebe angeschaut hatte. Den Blick würde er in Zukunft von Kate nicht mehr<br />

270


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu sehen bekommen, da war er sicher. Er würde in ihren Augen nur noch Hass und Ver-<br />

achtung für ihn erkennen, davon war er überzeugt. Das war es, was er verdient hatte. Sawyer<br />

dachte intensiv darüber nach, wie er die Entführer dazu bringen könnte, ihn einfach umzu-<br />

bringen ...<br />

*****<br />

Jake hockte seit Stunden auf dem Boden seiner Zelle, ohne sich zu bewegen. Er<br />

merkte nicht einmal, dass seine Beine vollkommen verkrampft, seine Füße hoffnungslos taub<br />

waren. Völlig apathisch und wie unter Schock hockte er dort und wie bei Sawyer drehten sich<br />

die Gedanken in seinem Kopf im Kreis. Heather - Vergewaltigung - Verlust - Schuld. Schuld.<br />

Seine Schuld. Sein idiotisches Verhalten hatte diese Hölle herauf beschworen. Jake starrte vor<br />

sich hin, sein Blick ging ins Leere. Dass die Befragung beendet war, hatte er so wenig mit<br />

bekommen wie Sawyer. Er bekam auch nicht mit, dass House irgendwann wieder in seine<br />

Zelle gebracht worden war. Das einzige, was Jake sicher wusste war die Tatsache, dass<br />

Heather noch nicht wieder da war. Er wollte ... Was eigentlich? Sich entschuldigen? Was<br />

sollte das bringen? Man entschuldigte sich nicht bei einer Frau, die seinetwegen brutal ver-<br />

gewaltigt worden war. Sie in den Arm nehmen? Blödsinn. Heather würde ihn nie wieder auch<br />

nur so nah an sich heran lassen, dass er sie mit den Fingerspitzen hätte berühren können. Er<br />

konnte sich glücklich schätzen, wenn sie ihn überhaupt noch anschauen konnte. Er dachte<br />

darüber nach, was sein Großvater immer zu ihm gesagt hatte: Hör zu, Jacob, du wirst im<br />

Leben immer bekommen, was du verdient hast, also seh zu, dass es Gutes ist. Jake liefen<br />

Tränen über die Wangen. Das hier war es, was er verdiente und jetzt bekam. Er würde Mittel<br />

und Wege finden, die Entführer zu überzeugen, ihn nicht mehr lebend gehen zu lassen.<br />

*****<br />

Kate starrte schon seit Stunden auf den Bildschirm, sah Sawyer, der wie paralysiert<br />

auf seine Liege lag und bei dem wirklich nur am leichten Heben und Senken seiner Brust<br />

überhaupt zu erkennen war, dass er noch lebte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als end-<br />

lich, endlich zu ihm zu können, ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass es ihr gut<br />

ging. Ihm erklären, dass ihr nicht das Geringste passiert war. Dass er sich keine Vorwürfe<br />

mehr machen brauchte. Sie wollte ihm die Schuld nehmen, die er sich gab. Wollte ihn<br />

Trösten. Stattdessen hockte sie in diesem Raum und musste sich beherrschen, nicht vor Un-<br />

geduld die Wände hoch und runter zu gehen. Je länger sie sah, wie fertig, wie verzweifelt<br />

Sawyer war, desto zappeliger und ungeduldiger wurde Kate. Sie war froh, dass es in der Zelle<br />

wirklich nichts gab, das Sawyer hätte verwenden können, um irgendetwas Dummes anzu-<br />

271


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stellen. Kurz davor, einen Schreikrampf zu bekommen, lief Kate in dem kleinen Raum auf<br />

und ab. Wie elektrisiert fuhr sie herum, als sie das Klicken der Tür hörte. Zwei Wachen be-<br />

traten den Raum und fesselten ihre Hände. Dann wurde sie abgeführt. - Bitte, bitte, bringt<br />

<strong>mich</strong> zu ihm. - dachte sie verzweifelt. Sie wurde tatsächlich in den Zellentrakt zurück ge-<br />

bracht. Kates Herz klopfte im Hals. Sollte ihr Wunsch in Erfüllung gehen? Ihre Beine<br />

zitterten. Ihre Augen saugten sich an Sawyer Zellentür fest. Und dann wurde sie an ihrer<br />

eigenen Zelle vorbei geführt. – Ja! - schoss es ihr durch den Kopf.<br />

*****<br />

Heather war in einen kleinen Raum gebracht worden. Dort hatte man ihr die Hand-<br />

schellen und das Klebeband abgenommen und sie alleine gelassen. Eine Liege, Tisch, Stuhl,<br />

das war alles neben einem Klo, was der Raum enthielt. Als sie allein war, sah sie auf der<br />

Liege einen Kittel liegen und ohne zu Zögern schlüpfte sie in das Kleidungsstück. Nachdem<br />

sie so lange nackt gewesen war, kam ihr das dürftige Kittelchen wie ein Schutzanzug vor. <strong>Die</strong><br />

junge Frau brauchte eine Weile, sich von dem durch gestandenen Schrecken zu erholen.<br />

Warum hatte Jake nur die Unwahrheit gesagt. Es war doch inzwischen wirklich mehr als klar,<br />

dass sich hier jede Handlung bitter rächte. Heather war nicht wirklich böse auf Jake, aber was<br />

sie hatte durchmachen müssen, war mehr, als sie je gedacht hatte, ertragen zu können. Sie<br />

wollte zu Jake, wollte, dass er sie in den Arm nahm und tröstete, sie all den Horror vergessen<br />

ließ. Er war so stark und so überlegen, er würde schon dafür sorgen, dass sie sich wieder<br />

besser fühlte. Heather frage sich erneut, warum die beiden Wachen wohl aufgehört hatten. Sie<br />

hatten ihr wohl nur Angst einjagen sollen. Was inzwischen wohl mit den anderen Mit-<br />

gefangenen geschah? Ob noch andere Frauen auf die gleiche Weise in Angst versetzt worden<br />

waren? <strong>Die</strong> Stunden vergingen. Heather fielen die Augen zu, sie war hundemüde. Würde sie<br />

je wieder aus diesem Raum abgeholt werden?<br />

Als sie wirklich schon glaubte, nicht wieder in ihre Zelle zurück zu müssen, ging die<br />

Tür plötzlich auf. Zwei Wachen betraten den Raum. Sie fesselten Heather die Hände und die<br />

junge Frau fragte sich aufgeregt, ob sie endlich zu ihren Leidensgenossen zurückkehren<br />

dürfte. Und richtig. Sie wurde in den Zellentrakt zurück gebracht. Nun hoffte sie nur, dass sie<br />

nicht in ihre eigene, sondern wenigstens kurz in Jakes Zelle gebracht werden würde.<br />

Tatsächlich! Sie wurde zu Jakes Zellentür geführt. <strong>Die</strong>se ging auf und man nahm ihr die<br />

Handschellen ab. <strong>Die</strong> Wache zischte ihr zu: „Zehn Minuten.“ Heather nickte. Dann sah sie<br />

Jake. Und erschrak. Er hockte auf dem Boden, die Beine angezogen, die Arme darum ge-<br />

schlungen, Kopf auf den Knien. Was, um alles in der Welt, war hier los? Warum sprang er<br />

nicht auf, eilte ihr entgegen, nahm sie in die Arme? Er sah nicht einmal auf. Was war ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schehen? „Jake?“ Heftig zucke Jake zusammen. Ganz kurz nur hob er das Gesicht, sah sie an<br />

und Tränen stürzten ihm über das Gesicht. Heather verstand nichts. Was war nur los?<br />

*****<br />

Sawyers Zellentür öffnete sich. Der junge Mann registrierte das Geräusch nicht ein-<br />

mal. Bones und Ziva in den Nachbarzellen waren völlig erledigt eingeschlafen. Durch die<br />

dämmrige Dunkelheit im Kerker konnte Kate nicht alle Zellen einsehen, aber die meisten<br />

Mitgefangenen schienen zu Schlafen. <strong>Die</strong> Wache hinter Kate zischte ihr: „Zehn Minuten.“,<br />

ins Ohr, dann schloss sich die Zellentür. Kate biss sich auf die Lippen. Zehn Minuten. Das<br />

war grausam. Das würde kaum reichen, um Sawyer überhaupt aus seiner Lethargie zu reißen.<br />

Sie eilte zu seiner Liege und ging neben ihm in die Knie. Er lag immer noch reglos da, den<br />

Arm über den Augen und reagierte in keiner Weise darauf, dass sich jemand ihm näherte.<br />

Kate legte sachte einen Arm über seinen Körper und sagte sanft und leise: „Hey, Sawyer, ich<br />

bin ...“ Sie hätte nicht sagen können, wer sich heftiger erschrak, sie oder Sawyer. Er fuhr hoch<br />

wie von einem Stromschlag getroffen und keuchte: „Kate ...“ Fast wäre die Angesprochene<br />

rückwärts in die Zelle gefallen. Sawyer riss sie so heftig an sich, dass Kate aufstöhnte. Sie<br />

wollte gerade die Arme um ihn schlingen, als er sie auch schon wieder grob zurück stieß.<br />

„Was willst du noch von mir?“, stieß er so verzweifelt und hoffnungslos hervor, dass ihr<br />

augenblicklich Tränen in die Augen traten. „Du solltest so weit wie nur möglich weg von mir<br />

bleiben, nach dem, was ich dir angetan habe. Ich habe Schuld daran, dass du ...“ „Dass ich gar<br />

nichts wurde. Baby, mir ist nichts ...“ Sawyer ließ sie nicht ausreden. „Was man dir heute<br />

angetan hat, meinetwegen, das ist ...“ Jetzt war es Kate, die Sawyer nicht ausreden ließ. Sie<br />

packte ihn an den Schultern und zwang ihn, sie anzusehen. „Hör mir doch zu. Wir haben nur<br />

ganz kurz Zeit. Sawyer, bitte. Mir ist nichts passiert. Verstehst du? <strong>Die</strong> haben mir überhaupt<br />

nichts getan, diese Dreckskerle. Nichts. Das war alles nur eine Inszenierung, um dich in die<br />

Knie zu zwingen. Es geht mir gut.“ Sawyer starrte Kate an, als hätte sie den Verstand ver-<br />

loren. „Aber ... Du hast ... Deine Schreie ... Was ...?“ „Sie haben <strong>mich</strong> auf das Bett geworfen<br />

und einer der Mistkerle tat so, als würde er sich die Hose ausziehen. Unmittelbar danach<br />

haben sie <strong>mich</strong> los gelassen und <strong>mich</strong> in Frieden gelassen. Ich denke, auch Heather ist nichts<br />

passiert. Bei ihr muss es genau so gemacht worden sein. <strong>Die</strong> wollten euch brechen und dass<br />

ist ihnen gelungen.“<br />

Sawyer stand wie versteinert da und starrte Kate ins Gesicht. „Dir ist ... nichts<br />

passiert?“, stotterte er nach einigen Augenblicken tonlos. Kate schüttelte den Kopf. „Nein,<br />

absolut nichts, wirklich. Es tut mir so leid, dass du gedacht hast ...“ Wieder kam Kate nicht<br />

dazu, den Satz zu beenden. Sawyer riss sie erneut an sich und dann sackte er langsam, zitternd<br />

273


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und schluchzend, in sich zusammen, bis er auf der Liege saß. „<strong>Die</strong>se Schweine ...“ Kate hielt<br />

ihn im Arm und drückte ihn an sich. Ihr liefen selbst Tränen über das Gesicht und wenn sie<br />

daran dachte, dass sie gleich in ihre Zelle musste, wurde ihr schlecht. Sie versuchte, ihn zu<br />

beruhigen. „Es geht mir gut, wirklich. Ich hatte so sehr gehofft, dass du es siehst, ich bin so<br />

aufrecht wie nur möglich gegangen, als sie <strong>mich</strong> raus brachten, House und Mulder haben es<br />

erkannt.“ „Ich habe ... ich konnte es nicht glauben ... <strong>Die</strong>se elenden ...“ Kate beugte sich zu<br />

ihm und verschloss ihm die Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Sawyer erwiderte diesen nicht.<br />

Zu tief saß sein Schuldgefühl noch. Kate merkte das sehr wohl. „Bitte, Sawyer, ich muss<br />

gleich in meine Zelle. Wir haben nur zehn Minuten Zeit.“, flüsterte sie verzweifelt. „Auch<br />

wenn ... es ist doch meine Schuld ... alles ist meine Schuld ... Das wäre alles nicht passiert,<br />

wenn ...“ Sawyer brachte keinen vernünftigen Satz zustande. Kate sah erschüttert auf den<br />

blonden Haarschopf herunter. Bevor sie noch etwas erwidern konnte, war ihre Zeit ab-<br />

gelaufen. Panisch sah Kate zwei Wachen näher kommen. „Gott, nein ...“ Sie drückte Sawyer<br />

noch einmal heftig an sich, dann stand sie schluchzend auf. „Ich liebe dich, hörst du. Daran<br />

hat sich nichts geändert.“ <strong>Die</strong> Zellentür wurde geöffnet und Kate musste sich, ob sie wollte<br />

oder nicht, in ihre Zelle bringen lassen. Dort angekommen, sank sie weinend auf ihrer Liege<br />

zusammen. Sie war unendlich müde und so weinte sie sich irgendwann in den Schlaf. Sawyer<br />

ging es genau so, er war ähnlich am Ende wie nach dem Schlafentzug. Dass Kate nichts<br />

passiert war, dass alles nur eine große Täuschung gewesen war ... Er konnte es noch immer<br />

nicht fassen. Er hatte sich wieder auf seine Liege sinken lassen, grübelte und irgendwann<br />

schlief er einfach vor Erschöpfung ebenfalls ein.<br />

*****<br />

Heather kniete sich neben Jake, der immer noch den Kopf gesenkt hielt und nicht<br />

wagte sie anzusehen. „Jake, was ist denn los? Was haben sie dir getan?“, fragte die junge Frau<br />

verzweifelt. Ihre eigene Angst und ihr Wunsch nach Trost waren augenblicklich vergessen,<br />

als sie sah, in welchem Zustand Jake war. <strong>Die</strong>ser reagierte nicht. Heather legte eine Hand auf<br />

seine Schulter, in der Hoffnung dadurch seine Aufmerksamkeit zu erregen. Jake zuckte zu-<br />

sammen und sank nur noch tiefer in sich zusammen. Heather machte sich ernsthafte Sorgen<br />

um ihn. Sie hatte keine Ahnung, wie lange er schon in dieser unbequemen Haltung am Boden<br />

hockte. Aufgrund seiner Apathie vermutete sie, dass er schon eine ganze Weile dort saß. Mit<br />

sanfter Stimme sagte sie: „Jake, du musst aufstehen, okay?“ Sie nahm Jakes Arm, um zu ver-<br />

suchen, ihm aufzuhelfen, aber er entzog sich ihrer Berührung. Heather liefen Tränen über die<br />

Wangen. Was hatte sie ihm getan? Warum ließ er sich nicht von ihr berühren? „Jake, bitte<br />

rede mit mir. Warum darf ich dich nicht anfassen? Warum willst du mir nicht in die Augen<br />

sehen?“ Jetzt endlich sah Jake auf. „Wie kannst du <strong>mich</strong> überhaupt noch berühren und an-<br />

274


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sehen wollen? Nachdem … nachdem, was sie dir meinetwegen angetan haben.“ Heather war<br />

verblüfft. Sicher, es war schlimm für sie gewesen, von diesen Männern gedemütigt zu<br />

werden. Aber sie hätte nicht gedacht, dass Jake sich so große Vorwürfe machen würde.<br />

„Setzen wir uns auf die Liege, dann können wir reden, okay?“ Jake ließ es zu, dass Heather<br />

seine Hand nahm und ihm auf die Beine half. Ihm tat alles weh von dem langen Sitzen und<br />

das Aufstehen fiel ihm schwer. Heather musste ihn Stützen, alleine hätte er die drei Schritte<br />

bis zur Liege mit seinen vollkommen tauben Beinen nicht geschafft. „Jake, bitte, was ge-<br />

schehen ist, ist nicht deine Schuld.“ Heather verstand nicht ganz warum, aber sie hatte be-<br />

griffen, dass Jake sich große Vorwürfe machte. „Doch, das ist es. Sie haben dir das angetan,<br />

um <strong>mich</strong> zu bestrafen. … Ich habe dir das angetan, mit meiner Dummheit. Es tut mir so leid,<br />

es tut mir so unendlich leid…“, stammelte Jake, immer noch unfähig Heather in die Augen zu<br />

sehen.<br />

„Es ist okay, Jake, wirklich. Ich mache dir keine Vorwürfe.“ Jake sah Heather unter<br />

Tränen an. „Nach all dem, was passiert ist, versuchst du noch <strong>mich</strong> zu trösten? Das habe ich<br />

nicht verdient, Heather. Ich kann nur ahnen, wie entsetzlich du dich fühlst und all das ist<br />

meine Schuld.“ Heather wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, dass Jake sie endlich an-<br />

sah, oder entsetzt über den Schmerz und die Verzweiflung in seinen Augen. „Jake, es ist nicht<br />

deine Schuld. Und es geht mir ganz gut. Ich hatte furchtbare Angst, aber jetzt ist es vorbei und<br />

ich hatte Zeit, <strong>mich</strong> zu beruhigen.“ Jake sah Heather fassungslos an, als hätte sie den Verstand<br />

verloren. Sie war vor wenigen Stunden vergewaltigt worden und erzählte ihm, dass es ihr gut<br />

ging? Bevor einer der Beiden noch etwas sagen konnte, kam eine Wache, die Heather auf-<br />

forderte, an die Zellentür zu treten. Heather kam der Aufforderung nach, wandte den Blick<br />

aber nicht von Jakes verstörtem Gesicht ab. Was war los? Was hatten diese Leute ihm an-<br />

getan?<br />

*****<br />

Kate wachte davon auf, dass ihr jemand den Mund zu hielt und sie fest auf die Liege<br />

drückte. Vollkommen geschockt versuchte sie, sich loszureißen. Jemand zischte ihr ins Ohr:<br />

„Keinen Ton.“ Ein Klebestreifen wurde ihr über den Mund geklebt, ein Sack über den Kopf<br />

gestreift und die Hände wurden ihr auf den Rücken gefesselt. Dann zog man sie aus der Zelle<br />

und zitternd und bebend musste sie es erdulden, weg geführt zu werden.<br />

*****<br />

275


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sawyer spürte eine Berührung an seinem Körper und fuhr erschrocken aus dem Tief-<br />

schlaf hoch. Etwas wurde ihm über den Mund geklebt und Hände hielten ihn fest. Etwas<br />

Dunkles wurde ihm über den Kopf gestülpt, dann zischte eine kalte Stimme an seinem Ohr:<br />

„Keinen Ton, verstanden!“ Er wurde von der Liege hoch gezerrt und auf die Füße gestellt.<br />

Seine Handgelenke wurden auf dem Rücken gefesselt und dann wurde er ab geführt.<br />

*****<br />

Kate hatte das Gefühl, ihre Beine würden sie nicht tragen, solche Angst hatte sie. Sie<br />

wagte kaum zu atmen. Es ging in den Fahrstuhl, soviel war sicher. Nach unten wurde sie ge-<br />

fahren. Dann wurde sie weiter geführt. Unter dem Sack liefen ihr pausenlos Tränen über das<br />

Gesicht. Sie bestand nur noch aus Angst. Nach diesem Tag in der Hölle hatte sie endlich<br />

Schlaf gefunden und nun das. Sie spürte, dass sich neben ihr jemand befand. Ein leises<br />

Klicken, wie es entstand, wenn sich die elektrisch verriegelten Türen öffneten. Dann spürte<br />

Kate, wie ihr die Handschellen geöffnet wurden. Immer noch hörte sie neben sich jemanden,<br />

spürte Bewegung. Dann ging die Tür, die sich eben geöffnet hatte, wieder zu. Zitternd stand<br />

Kate still, wagte nicht, sich zu rühren.<br />

*****<br />

Sawyer hatte Angst, das konnte er nicht bestreiten. Zu viel war während der Ge-<br />

fangenschaft schon passiert, als dass er nicht ein sehr mulmiges Gefühl hatte, besonders nach<br />

diesem traumatischen Tag, der nun seinen grausamen Höhepunkt zu finden schien. Er war der<br />

Meinung, mehr als die zwei Paar anderen Schritte neben sich zu hören, war aber nicht sicher.<br />

Aber als das Klicken einer Tür ertönte, war er sich ganz sicher. Das Geräusch war unver-<br />

wechselbar. Er wurde vorwärts gedrückt und dann spürte er, wie die Handschellen gelöst<br />

wurden. Nun ertönte abermals das Klicken und Sawyer war sicher, dass die Wachen ver-<br />

schwunden waren. Wie versteinert stand er still, wagte nicht, sich zu rühren. Er war nach<br />

einigen Augenblicken absolut sicher, dass noch jemand anwesend war, ganz deutlich war in<br />

der Stille das hastige Atmen eines Menschen zu hören. - Oh, Gott, was soll ich tun? - dachte<br />

er hektisch. Er hatte schon so viel Schaden angerichtet. Aber schließlich schloss er kurz die<br />

Augen, sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dann griff er entschlossen nach dem Sack, den man<br />

ihm über den Kopf gestülpt hatte. Neben sich hörte er ein leises Geräusch, dass darauf hin-<br />

deutete, dass, wer immer neben ihm stand, sich ebenfalls bewegte. Mit einem Ruck zog er den<br />

Sack ab und blinzelte in die entstehende Helligkeit. Kate hatte eine ähnliche Entscheidung<br />

getroffen. Hier blöde herum zu stehen und sich nicht zu rühren war auf Dauer unerträglich. So<br />

griff sie schließlich nach einem letzten Zögern nach dem Sack und zog ihn von ihrem Kopf.<br />

276


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kurz blinzelte sie, dann drehte sie den Kopf, um sich umzusehen. Gleichzeitig rissen sie sich<br />

den Klebestreifen ab. Sie zuckte heftig zusammen, als sie neben sich eine Gestalt ausmachte.<br />

Im nächsten Moment glaubte sie zu Träumen.<br />

„Sawyer.“ „Kate.“ Ungläubig starrten die Beiden sich an. Und dann hielt sie nichts<br />

mehr. Aufseufzend sanken sie sich in die Arme. Ihre Lippen fanden sich zu einem leiden-<br />

schaftlichen Kuss. Als sie sich von einander lösten, stotterte Sawyer: „Es tut mir so leid, Kate.<br />

Ich ...“ Kate legte ihm sanft einen Finger über die Lippen. Sie schüttelte den Kopf. „Vergiss<br />

es, okay. Lass dir nicht einimpfen, dass es deine Schuld ist, was hier passiert. Nicht du bist<br />

hier das kranke Hirn, das sind die. Wir dürfen uns nicht gegenseitig verlieren, dann gehen wir<br />

hier zu Grunde. Nicht du bist dafür verantwortlich, was diese kranken Schweine machen,<br />

genauso, wie ich nicht dafür die Schuld trage, dass ich dich mit Stromschlägen foltern<br />

musste.“ Kate liefen bei diesen Worten erneut Tränen über die Wangen. „<strong>Die</strong> versuchen, uns<br />

nach und nach zu entzweien. Das dürfen wir nicht zulassen. Selbst, wenn diese Dreckskerle<br />

<strong>mich</strong> heute wirklich vergewaltigt hätten, wäre es nicht deine Schuld gewesen, egal, was sie<br />

dir auch an Schuldkomplexen einreden wollen. Wir haben hier nur noch uns, und ich will zu-<br />

sammen mit dir hier heraus kommen, verstehst du!“ Kate sah Sawyer ins Gesicht. „Wir<br />

dürfen nicht zulassen, dass sie uns vollkommen kaputt machen.“ Sawyer hatte Kate zu gehört.<br />

Jetzt fing er leise an: „Du hast ja Recht, aber es war doch meine Schuld, dass ...“ Kate<br />

schüttelte heftig den Kopf. „Es geht hier nicht um Schuldzuweisung. Das impfen DIE uns ein,<br />

verstehst du. Nicht du hast mir das heute angetan. <strong>Die</strong> waren es. Was muss ich tun, damit du<br />

mir glaubst, dass ich nicht dir die Schuld an irgendetwas gebe?“<br />

Kate sah sich im Raum um und entdeckte ein einfaches Bett an der hinteren Wand. Sie<br />

zog Sawyer mit sich und die Beiden setzten sich nebeneinander auf die Bettkante. Kurz<br />

herrschte Schweigen, dann fragte Sawyer leise: „Du bist mir nicht ... Du hasst <strong>mich</strong> nicht<br />

dafür?“ Kate konnte tatsächlich leise lachen. „Natürlich nicht. Du bist alles, was ich mir je<br />

von einem Partner erträumt habe. Wenn wir das hier durchstehen wollen, dann nur zu-<br />

sammen.“ Sawyer konnte es nicht fassen. Er sah Kate an und schüttelte ungläubig den Kopf.<br />

„Das ist dein Ernst, was? Ich habe die letzten Stunden damit verbracht, mir vorzustellen, wie<br />

du <strong>mich</strong> hassen würdest. Ich wusste nicht, wie ich dir je wieder ins Gesicht sehen sollte. Und<br />

du ...“ „Ich habe die ganze Zeit nur daran gedacht, wie du dich fühlen musst und dass ich dir<br />

so gerne sagen würde, dass mir nichts passiert ist. Ich konnte dich sehen, weißt du.“ Sawyer<br />

sah erstaunt auf. „Wie, du konntest <strong>mich</strong> sehen?“ Kate seufzte. „Sie haben <strong>mich</strong> in einen<br />

Raum gesperrt, mit einem großen Bildschirm, und auf diesem Bildschirm habe ich dich die<br />

ganze Zeit sehen können. Es war so furchtbar. Ich konnte doch sehen, wie sehr du ... Ich<br />

dachte nur immer, dass ich zu dir wollte, um dich endlich aufzuklären, dass mir nichts passiert<br />

277


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ist.“ Sawyer strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah Kate ungläubig an. „Du<br />

hast dir die ganze Zeit nur Sorgen um <strong>mich</strong> gemacht, was?“ Kate nickte. Er zog sie an sich<br />

und hielt sie ganz fest in seinen Armen. „Ich würde dir so gerne sagen, dass alles wieder gut<br />

wird, dass dir nichts passieren kann, solange ich bei dir bin, aber ich kann es nicht. Nicht hier<br />

und in dieser Scheiße, in der wir stecken. Ich kann dir noch nicht einmal versprechen, dass<br />

wir die nächsten Stunden überleben werden. Aber eins kann ich dir fest versprechen: Ich liebe<br />

dich und du wirst <strong>mich</strong> nicht mehr los, falls wir das hier überleben sollten.“<br />

*****<br />

Heather war, wie Kate, weinend auf ihrer Liege zusammen gebrochen, kaum, dass sie<br />

in ihre Zelle gebracht worden war. Sie hatte noch gar nicht richtig begriffen, was eigentlich<br />

passiert war. Sie hatte von Jake Trost und seine starken Arme erwartet, stattdessen fand sie<br />

einen hoffnungslosen, von Schuldgefühlen zerfressenen, am Boden zerstörten, gebrochenen<br />

Mann vor, der sie verzweifelt zurück wies. Heather hatte nicht gewusst, wie sie darauf<br />

reagieren sollte. Sie war mit der Situation vollkommen überfordert gewesen. Jake hatte es<br />

nicht einmal geschafft, ohne ihre Hilfe vom Boden hoch zu kommen. Viel zu viele Stunden<br />

hatte er dort verkrampft und bewegungslos gehockt. <strong>Die</strong> zehn Minuten hatten nicht einmal<br />

gereicht, um genau zu klären, was eigentlich im Einzelnen geschehen war. Jetzt lag sie in der<br />

Dunkelheit, müde, verzweifelt, voller Angst um Jake und fragte sich, was eigentlich heute<br />

geschehen war. Und merkte, dass ihr irgendwann vor Müdigkeit die Augen zu fielen. Sie<br />

wachte davon auf, dass sie eine Hand auf ihrem Mund spürte. Panische Angst packte sie. „Sei<br />

still.“, wurde sie angezischt und schwieg erschrocken. Ein Klebestreifen schmiegte sich über<br />

ihre Lippen, dann wurde ihr ein Sack über den Kopf gezogen. <strong>Die</strong> Hände wurden gefesselt<br />

und so zerrte man sie weg.<br />

*****<br />

Jake war vor Erschöpfung schnell eingeschlafen, nachdem das extrem schmerzhafte<br />

Kribbeln in seinen Beinen, als die Durchblutung nach dem stundenlangen Hocken wieder<br />

einsetzte, endlich vorbei war. Er konnte einfach nicht mehr. Zu viel war auf ihn und alle<br />

anderen hier eingestürzt und Jake wollte einfach nur noch vergessen. Wenigstens für ein paar<br />

wenige Stunden, während er schlief. Heather hatte ihn auf die Liege verfrachtete, er hatte ihr<br />

gesagt, dass sie ihn alleine lassen sollte, mehr erinnerte Jake nicht. Er war tief und fest ein-<br />

geschlafen und merkte nicht einmal, wie ihm ein breiter Klebestreifen über den Mund geklebt<br />

wurde. Erst, als er an den Armen gepackt wurde, wachte er auf. Seine Augen weiteten sich<br />

vor Schreck. Was hatten die vor? Panik drohte ihn zu überwältigen. Er spürte, wie ihm ein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sack über den Kopf gestreift wurde, dann zerrte man ihn von der Liege hoch und drückte ihm<br />

die Hände auf den Rücken. <strong>Die</strong> Handschellen schlossen sich und er wurde von kräftigen<br />

Händen mit gezerrt.<br />

Sein Herz raste. Was hatten die jetzt wieder vor? Großer Gott, hatte das denn nie ein<br />

Ende? Er merkte, dass es im Fahrstuhl nach unten ging. Dann wurde er weiter gezogen und er<br />

hörte das typische, elektronische Knacken einer Tür. Weiter wurde er gedrückt, dann hielten<br />

sie ihn an. Jake spürte, wie die Handschellen gelöst wurden, hörte, wie die Wachen den Raum<br />

verließen. Wie erstarrt stand Jake still. Neben sich hörte er hektische Atemgeräusche. Jemand<br />

war da, scheinbar ähnlich verschreckt wie er selbst. Einige Minuten wagte er nicht, sich zu<br />

rühren. Dann griff er zaghaft nach dem Sack und streifte ihn langsam über seinen Kopf.<br />

Neben sich hörte er, wie der Anwesende scheinbar genau das Gleiche tat. Jake beeilte sich,<br />

um zu sehen, wer da neben ihm stand. Hastig dreht er sich um und sein Gegenüber tat es ihm<br />

gleich. Und dann glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. Mit einem Ruck riss er sich, wie<br />

sein Gegenüber, das Klebeband von den Lippen. „Heather.“<br />

„Jake! Geht es dir gut?“ Jake nickte verwirrt. Nach dem, was man ihr angetan hatte,<br />

schien Heather sich immer noch nur Sorgen um ihn zu machen. <strong>Die</strong> junge Frau machte sich<br />

heftige Sorgen. Jake schien noch genauso verzweifelt zu sein wie vorhin, als sie bei ihm in<br />

der Zelle gewesen war und sie wusste immer noch nicht, was mit ihm los war. Sie setzte sich<br />

auf das Bett und sah zu Jake herüber, der immer noch neben der Tür stand und ins Leere<br />

starrte. „Jake, setz dich zu mir, bitte.“, bat sie. Jake verstand nicht, dass Heather seine Nähe<br />

suchte, aber wenn es das war, was sie brauchte, würde er ihr diesen Wunsch nicht verwehren.<br />

Es verwirrte und beunruhigte ihn, wie ruhig die junge Frau war. Vermutlich stand sie noch<br />

unter Schock und verdrängte, was geschehen war. Jake setzte sich auf die Bettkante, wobei er<br />

sorgfältig darauf achtete, Heather nicht zu berühren. Er wusste nicht, wie sie auf die Be-<br />

rührung eines Mannes reagieren würde und wollte sie auf gar keinen Fall erschrecken. „Jake,<br />

bitte rede mit mir. Erzähl mir, was sie dir angetan haben. Ich habe dich noch nie so gesehen<br />

wie heute. Was haben diese Leute mit dir gemacht?“<br />

Jake sah Heather kurz an und sie erkannte eine Mischung aus widersprüchlichen<br />

Emotionen in seinen Augen: Verzweiflung, Scham, Schuld, Sorge, Liebe. Dann sah er wieder<br />

zu Boden, bevor er antwortete: „Was sie mit mir gemacht haben? Ich werde mir niemals ver-<br />

zeihen können, was man dir meinetwegen angetan hat. Ich kann mir nichts Schrecklicheres<br />

vorstellen als das, was man dir angetan hat. Und es ist meine Schuld.“ Langsam kam Heather<br />

ein schrecklicher Verdacht. „Jake, was genau glaubst du, dass sie mir angetan haben?“ Jake<br />

sah entsetzt auf und Heather sah, dass er Tränen in den Augen hatte. Er war unfähig etwas zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sagen. Mit sanfter Stimme fragte sie: „Was haben sie dir erzählt?“ Jake zögerte einen<br />

Moment, bevor er antwortete: „Sie mussten nichts erzählen… Ich … Ich habe es gehört.“<br />

Tränen liefen über Jakes Wangen und er konnte nicht mehr weiter sprechen. „Gehört?“, fragte<br />

Heather verwirrt. Und dann dämmerte ihr endlich, was Jake so mitgenommen hatte. „Du<br />

meinst im Belohnungsraum?“, fragte sie nach, um sicher zu gehen. Jake nickte. - Oh Gott. -<br />

dachte Heather entsetzt. Wenn Jake ihre Schreie gehört hatte und was die Männer gesagt<br />

hatten, musste er glauben … „Jake, hör mir zu.“, sagte sie hastig. „Es ist nicht so wie du<br />

glaubst. Sie haben <strong>mich</strong> nicht vergewaltigt.“<br />

Jake hob ruckartig und Kopf und sah Heather verständnislos an. „Ich habe <strong>mich</strong> die<br />

ganze Zeit gefragt was das sollte, aber jetzt ist mir alles klar. Sie wollten dich quälen, nicht<br />

<strong>mich</strong>. Jake, glaube mir bitte, mir ist nichts passiert.“ Jake versuchte aus Heathers hastig<br />

hervorgebrachtem Wortschwall schlau zu werden. Hatten Mulder und House doch Recht ge-<br />

habt? „Aber… ich habe dich gehört. …Du hast geschrien … und geweint…“ Jetzt war es<br />

Heather, die Jake nicht in die Augen sehen konnte. <strong>Die</strong> Erinnerung daran, dass diese Männer<br />

sie angefasst und sie gezwungen hatten, sich auszuziehen, erfüllte sie mit Scham. „Sie haben<br />

<strong>mich</strong> glauben lassen, dass sie <strong>mich</strong> vergewaltigen würden. Sie haben <strong>mich</strong> aufs Bett geworfen<br />

und festgehalten. Dann… dann hat der eine meine Beine auseinander gezogen und der andere<br />

hat angefangen, seine Hose geöffnet …“ Heather konnte nicht verhindern, dass ihr bei der<br />

Erinnerung Tränen in die Augen traten. „Ich dachte, sie würden jeden Moment anfangen …<br />

Und dann haben sie <strong>mich</strong> plötzlich losgelassen. Einer der Typen hat <strong>mich</strong> ausgelacht und<br />

dann haben sie <strong>mich</strong> allein gelassen. Ich war verwirrt und ich hatte panische Angst, dass sie<br />

zurückkommen und weiter machen würden. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Ich hätte<br />

erkennen müssen, was diese Show sollte. Es tut mir so leid, Jake. Wenn ich nicht so schwer<br />

von Begriff gewesen wäre, hätte ich dir schon vorhin sagen können, dass mir nichts passiert<br />

ist.“ Heather sah Jake in die Augen, in denen sie eine Mischung aus Hoffnung und Skepsis<br />

sah. „Du wurdest nicht vergewaltigt?“, fragte er ungläubig und hoffnungsvoll.<br />

„Das habe ich versucht dir klar zu machen. Ich habe wieder zu viel auf einmal gesagt,<br />

oder?“ Bevor Heather begriff, wie ihr geschah, zog Jake sie in seine Arme und drückte sie an<br />

sich. Heather schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. Seit man sie aus dem Belohnungs-<br />

raum geführt hatte, hatte sie nichts anderes gewollt, als von Jake im Arm gehalten zu werden.<br />

Nach diesem schrecklichen Tag brauchte sie seine Nähe und ihr war klar, dass er sie im<br />

Moment noch viel dringender brauchte. Heather spürte, dass Jake in ihren Armen zitterte. Sie<br />

begann beruhigend seinen bloßen Rücken zu streicheln. „Es ist okay, Jake, es geht mir gut.“<br />

Allmählich beruhigte der junge Mann sich ein wenig. Er löste sich gerade weit genug aus der<br />

Umarmung, um Heather in die Augen sehen zu können. Sie streichelte sanft Jakes tränen-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

feuchte Wange. „Es tut mir so leid, dass ich nicht früher begriffen habe ...“ Jake schüttelte den<br />

Kopf. „Mach dir keine Vorwürfe. Du warst verwirrt und du musst eine Heidenangst gehabt<br />

haben.“ Heather nickte stumm und Jakes Gesicht verfinsterte sich wieder. „Es tut mir so leid,<br />

Heather. Es war letztlich doch meine Schuld, dass du das durchmachen musstest.“ Heather<br />

schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, Jake, das war es nicht und ich lasse nicht zu, dass du<br />

dir deswegen Vorwürfe machst. Ist das klar?“ Jake lächelte traurig. Heather redete selten in<br />

diesem Ton mit ihm, aber wenn sie es tat, war sie sehr überzeugend. „Erlaubst du mir<br />

wenigstens, <strong>mich</strong> dafür zu entschuldigen, dass ich dich weggestoßen habe? Ich wollte dich so<br />

gerne trösten, aber ich dachte, ich würde es nur noch schlimmer machen.“ Heather lächelte.<br />

„Entschuldigung akzeptiert.“ Jake legte sich aufs Bett und zog Heather in seine Arme. Dann<br />

deckte er sie liebevoll zu. Er küsste zärtlich ihre Stirn und streichelte ihr Haar. „Ich würde dir<br />

so gerne versprechen, dass dir nie wieder jemand Angst machen oder dir wehtun wird. Ich<br />

würde dich so gerne nachhause bringen…“ Heather legte Jake sanft einen Finger auf die<br />

Lippen. „Ich erwarte nicht von dir, dass du <strong>mich</strong> vor allem Bösen auf der Welt beschützt. Du<br />

musst nicht den übermächtigen Beschützer spielen. Wenn du mir wirklich helfen willst, dann<br />

indem du dich nicht mehr mit diesen Leuten anlegst. Ich komme schon klar, ich bin stärker als<br />

ich aussehe, weißt du? Das einzige, was ich nicht ertragen könnte, wäre dich zu verlieren.<br />

Pass auf dich auf, in Ordnung?“ „Ich werde es versuchen, versprochen.“<br />

External World 2: Nachforschungen<br />

Viribus unitis<br />

Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen, sondern eine Wirklichkeit, die es zu<br />

erfahren gilt.<br />

Buddha<br />

Washington DC, NCIS Hauptquartier, 19.15 Uhr Ostküstenzeit<br />

„Hast du was erreicht?“ fragte McGee, nachdem Tony aufgelegt hatte. „Das weiß man<br />

bei diesen Idioten nie so wirklich. <strong>Die</strong>ser Air Chief Marshal soundso hat versprochen das<br />

Suchgebiet auszudehnen, aber bei dem Tempo, das die bisher gezeigt haben, ist es wahr-<br />

scheinlich Weihnachten, bis sich da irgendwas tut.“, prognostizierte Tony. „In der Zwischen-<br />

281


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zeit können wir uns noch mal Green und Austen zuwenden. Wir sollten feststellen, ob sie<br />

noch Angehörige haben und wenn ja mit ihnen sprechen.“, schlug McGee vor. „Genau das<br />

wollte ich gerade vorschlagen. Du überprüfst die Lady, ich nehme mir Green vor.“,<br />

kommentierte Tony. Er hatte von Gibbs die Einstellung übernommen, dass es nur schädlich<br />

sein konnte, seine Untergebenen zu oft zu loben. „Der Name von Kate Austens Vater steht in<br />

ihrer Akte. Ich ermittle seine aktuelle Adresse.“ McGee machte sich gleich an die Arbeit. „In<br />

Jake Greens Akte stehen keine Namen von Angehörigen. Aber er kommt aus einem Kaff<br />

namens Jericho irgendwo in Kansas. <strong>Die</strong> Stadt hat gerade mal knapp viertausend Einwohner.<br />

Wie viele Greens wird es da wohl geben, die nicht mit ihm verwandt sind?“ Auch Tony<br />

machte sich an die Arbeit und sah sich das Online-Telefonbuch von Jericho an.<br />

„Ich hab die Adresse und die Telefonnummer von Sam Austen.“, meldete McGee und<br />

griff zum Hörer. „Sergeant Sam Austen? Special Agent Timothy McGee vom NCIS. Es geht<br />

um ihre Tochter Katherine.“ „Kate? Wurde sie verhaftet? Geht es ihr gut?“ „Im Moment<br />

haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass sie verletzt ist. Ihre Tochter wurde zuletzt in<br />

Australien gesehen. Sie hat einen Flug von Sydney nach LA angetreten. Ich muss Ihnen leider<br />

mitteilen, dass das Flugzeug, in dem ihre Tochter sich befand, vermisst wird. Allerdings<br />

deutet vieles darauf hin, dass es sich nicht um einen Absturz handelt.“ „Ich verstehe nicht.<br />

Wie kann ein Flugzeug denn einfach verschwinden, ohne abzustürzen?“ „Nach dem der-<br />

zeitigen Stand der Ermittlung müssen wir von einer Entführung ausgehen.“ „Ein entführtes<br />

Flugzeug? Sie befürchten einen Anschlag?“ Sam Austen klang alarmiert. „Das wissen wir<br />

noch nicht. Aber wir glauben, dass das Flugzeug nicht zufällig ausgewählt wurde. Vermutlich<br />

wollen die Entführer die Passagiere lebend. In der Maschine befanden sich sechs Bundes-<br />

agenten.“ „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass jemand ein ganzes Flugzeug entführt, um<br />

sechs Agenten in seine Gewalt zu bringen? Wer würde denn so etwas tun?“ „Das wissen wir<br />

noch nicht. Deswegen führen wir eine Routineüberprüfung aller Passagiere durch und setzen<br />

uns mit ihren Angehörigen in Verbindung. Wären Sie so freundlich, zu einen persönlichen<br />

Gespräch in unserer Hauptquartier in Washington zu kommen?“ „Wie viele Passagiere waren<br />

an Bord? Holen Sie die Angehörigen von ihnen allen nach Washington? Sie glauben doch<br />

nicht wirklich, dass meine Tochter ein Flugzeug entführt hat?“ „Wir glauben im Moment gar<br />

nichts. Je eher wir ausschließen können, dass Ihre Tochter in die Sache verwickelt ist, desto<br />

schneller können wir die Verantwortlichen und somit vielleicht auch die Maschine finden.“<br />

„Na schön, ich werde kommen, so schnell ich es schaffe. Aber ich sage Ihnen gleich, dass<br />

Kate so etwas nicht tun würde.“ „Danke für ihr Verständnis. Wir erwarten Sie dann morgen<br />

im Laufe des Tages, so früh es möglich ist.“ „Ich werde da sein.“ „Danke, Sir.“<br />

282


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tony applaudierte. „Bravo, Bambino. Wir müssen sofort anfangen, den Empfang<br />

unseres Ehrengastes vorzubereiten. Ich bereite die Hors D‟oeuvre vor und du stellst den<br />

Champagner kalt und vergiss den Smoking und die weißen Handschuhe nicht.“ „Immerhin<br />

habe ich ihn dazu gekriegt ohne Vorladung - die wir bei der Beweislage nie bekommen hätten<br />

- herzukommen. Ich bin gespannt darauf zu sehen, wie du auf deine Art das gleiche erreichst.“<br />

McGee lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und sah Tony herausfordernd an. Tony<br />

grinste. „Immer wieder gern. Höre zu und lerne vom großen Meister.“ Tony wählte die<br />

Nummer des ersten Green, der in der Liste stand und McGee trat hinter ihn und drückte auf<br />

Mithören, bevor er es sich wieder auf seinem Stuhl bequem machte. „Eric Green.“, meldete<br />

sich ein junger Mann. „Guten Tag, Special Agent Anthony DiNozzo, NCIS Washington. Sind<br />

Sie mit einem gewissen Jacob Green verwandt?“ „Er ist mein Bruder. Was hat er schon<br />

wieder angestellt?“, fragte Eric. „Wahrscheinlich hat er ein Flugzeug entführt.“ „Wie bitte?“,<br />

fragte Eric entgeistert. „Ich traue Jake eine ganze Menge zu, aber das ist doch einige<br />

Nummern zu groß für ihn.“ „Darüber sollten wir uns besser persönlich unterhalten. Passt<br />

Ihnen morgen?“ „Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es zu tun haben. Ich bin Anwalt und<br />

mein Vater ist Bürgermeister von Jericho. Wir sind eine anständige Familie.“ „Gut, dann<br />

bringen Sie Ihren Vater doch einfach mit.“, verlangte Tony unbeirrt. „Das erzählen Sie ihm<br />

mal besser selbst. Ich gebe Ihnen auch gerne die Nummer.“ „Danke, nicht nötig. Wir sehen<br />

uns morgen.“ „Davon träumen Sie mal weiter. Bye!“<br />

Tony starrte wütend den Telefonhörer an und Tim grinste. „Das lief ja großartig.“,<br />

stichelte er. Tony schnaufte. „Ach was, was sollen wir auch mit dem Bruder. Seine Eltern<br />

werden sich garantiert nicht weigern.“ „Na, dann lass mal hören. Und vergiss nicht auf Laut-<br />

sprecher zu stellen.“ „Aber gern doch. Schließlich musst du noch viel lernen, mein sehr<br />

junger Padawan.“ Tony wählte die Nummer von Johnston Green - dem einzigen anderen<br />

Green in Jericho - und drückte auf Lautsprecher. „Gail Green.“, meldete sich eine Frau, der<br />

Stimme nach mittleren Alters. „Mrs. Green? Sind Sie die Mutter von Jacob Green?“ „<strong>Die</strong> bin<br />

ich. Ist Jake etwas passiert? Wer sind Sie?“ „Davon gehen wir nicht aus und Special Agent<br />

Anthony DiNozzo, NCIS, Washington. Wir ermitteln gegen Ihren Sohn.“ Gails Stimme klang<br />

nun nicht mehr besorgt, sondern defensiv. „Was wird ihm vorgeworfen?“ „Wir glauben, dass<br />

Ihr Sohn an der Entführung einer Passagiermaschine beteiligt ist.“ Tony brauchte ein paar<br />

Sekunden, um die Geräusche am anderen Ende der Leitung nicht als Schluchzen, sondern als<br />

Gelächter zu identifizieren. „Das kann doch wohl nur ein Scherz sein.“ Jetzt hörte Tony eine<br />

zweite Stimme im Hintergrund. „Was ist denn so komisch, Schatz? Wer ist dran?“ „Irgend so<br />

ein Scherzkeks, der sich als NCIS Agent ausgibt und behauptet, Jake hätte ein Flugzeug ent-<br />

führt.“ Den Rest der Unterhaltung konnte Tony nicht verstehen, aber dann meldete sich eine<br />

energische Männerstimme. „Wie ist ihr Name, junger Mann?“, verlangte Johnston zu wissen.<br />

283


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Special Agent Anthony DiNozzo vom NCIS.“ Tony konnte gerade noch verhindern, un-<br />

willkürlich Sir hinzuzufügen. Der Mann hatte etwas Einschüchterndes an sich. „Ich werde Sie<br />

zurückrufen, nachdem ich Ihre Identität überprüft habe.“, erklärte Johnston kurz und schon<br />

war das Gespräch unterbrochen.<br />

„Persönliche Bestzeit, was?“ McGee versuchte gar nicht erst, das höhnische Grinsen<br />

zu unterdrücken. „Noch ist das Spiel nicht vorbei, Bambino. Wenn der Typ erst mal weiß, mit<br />

wem er es zu tun hat, wird er ganz anders mit mir reden.“ Tony klang ein wenig beleidigt.<br />

„Dass dein Kandidat deine Identität nicht überprüft hat, spricht nicht für deine <strong>Über</strong>-<br />

zeugungskunst, sondern gegen seine Intelligenz.“ „Ich freue <strong>mich</strong> schon darauf zu hören, wie<br />

du Mister Green in seine Schranken verweisen wirst, sobald alle Missverständnisse beseitigt<br />

sind. Ich bin überzeugt davon, dass ich noch viel von dir lernen kann.“ McGees Stimme troff<br />

vor Ironie. Bevor Tony auf die Bemerkung reagieren konnte klingelte sein Telefon. <strong>Die</strong>smal<br />

vergaß Tony, auf Mithören zu stellen, was Tim freundlicherweise für ihn erledigte. „Special<br />

Agent DiNozzo.“ „Johnston Green. Sie werden mir sofort alles mitteilen, was Sie über den<br />

Verbleib meines Sohnes wissen.“ „Wie schon erwähnt, Sir, vermuten wir, dass er in die Ent-<br />

führung einer Passagiermaschine verwickelt ist. Das Flugzeug, in dem Ihr Sohn sich befand,<br />

verschwand gestern Abend vom Radar. Es gab keinen Notruf und ein Absturz erscheint nach<br />

derzeitigem Ermittlungsstand sehr unwahrscheinlich. Es befanden sich sechs Bundesagenten<br />

an Bord. Wir gehen also von einer gezielten Entführung aus. Das wahrscheinlichste Szenario<br />

ist, dass jemand den Piloten überwältigt und das Flugzeug vom Kurs abgebracht hat. Und Ihr<br />

Sohn ist der einzige an Bord, der qualifiziert ist eine solche Maschine zu fliegen.“ „Ich hoffe<br />

für Sie, junger Mann, dass das nicht das einzige ist, was Sie gegen meinen Sohn in der Hand<br />

haben. Ist Ihnen schon einmal die Idee gekommen, dass die Entführer den Piloten mit<br />

Waffengewalt gezwungen haben könnten, den Kurs zu ändern, wie es bei fast allen Flugzeug-<br />

entführungen der Fall ist?“ „Selbstverständlich ist das nicht das Einzige, was wir gegen Ihren<br />

Sohn in der Hand haben, Sir. Er ist außerdem der einzige Passagier, von dem bekannt ist, dass<br />

er fragwürdige Jobs gegen gute Bezahlung angenommen hat.“ Auf der anderen Seite der<br />

Leitung herrschte einen Moment Stille. Tony zeigte McGee mit der freien Hand das Victory<br />

Zeichen.<br />

„Wenn Sie meinen Sohn beschuldigen, müssen Sie diese äußerst vage Aussage schon<br />

präzisieren und belegen.“ Tony grinste McGee an. „Soll das heißen, Sie wissen gar nicht,<br />

womit Ihr Sohn bis vor wenigen Monaten sein Geld verdient hat? Nun, Sie haben selbstver-<br />

ständlich ein Recht, die Wahrheit über ihren Sohn zu erfahren, auch wenn er das offenbar<br />

anders sieht. Jake hat in Afghanistan und im Irak für dubiose Söldnertrupps gearbeitet. Er hat<br />

Warenlieferungen getätigt. Entweder wusste er nicht, was er liefert oder es war ihm egal.“<br />

284


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Und woher wissen SIE so genau, dass er nicht Flüchtlinge mit Hilfsgütern beliefert hat?<br />

Wenn Sie ihm irgendwelche illegalen Aktivitäten nachweisen könnten, hätte er sicher nicht so<br />

einfach nachhause kommen können.“ „Sie haben Recht, wir können Ihrem Sohn keine il-<br />

legalen Aktivitäten nachweisen. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass diese privaten Söldner-<br />

trupps nicht aus barmherzigen Samaritern bestehen.“ „Heißt das, gegen die Truppe, für die<br />

mein Sohn gearbeitet hat, wird ermittelt? Wenn ja, überrascht es <strong>mich</strong>, dass nie jemand mit<br />

meinem Sohn darüber sprechen wollte.“ „Ich weiß nicht, ob gegen diese Organisation er-<br />

mittelt wird, das fällt nicht in unser Aufgabengebiet.“, musste Tony zugeben. „Was wissen<br />

Sie überhaupt? Das einzige, was Sie sicher wissen, ist, dass mein Sohn einen Pilotenschein<br />

hat. Ansonsten gründet sich ihr Verdacht gegen ihn darauf, dass er für eine Organisation ge-<br />

arbeitet hat, über die Sie im Grunde genommen gar nichts wissen. Habe ich irgendetwas ver-<br />

gessen?“ „Nein, mehr haben wir im Moment nicht. Das ist allerdings mehr, als wir gegen<br />

jeden anderen Passagier haben.“ „Und ich habe bisher gedacht, dass beim NCIS Terrorismus-<br />

Experten arbeiten. Muss tatsächlich ich Ihnen erst erklären, dass der typische Terrorist ein<br />

unauffälliger Durchschnittsmensch mit makellosem Leumund ist? Wahrscheinlich haben die<br />

Leute, die Sie suchen, nicht einmal einen Strafzettel kassiert und arbeiten als Buchhalter.<br />

Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, junger Mann: Verschwenden Sie nicht ihre und<br />

meine kostbare Zeit mit lächerlichen, untragbaren Anschuldigungen gegen meinen Sohn,<br />

machen Sie lieber Ihren Job und finden die vermisste Maschine. Und ich hoffe für Sie, dass<br />

Ihnen dies bald gelingen wird und Sie meinen Sohn unversehrt finden. Sollte das nicht der<br />

Fall sein, werde ich dafür sorgen, dass jede Zeitung und jeder Nachrichtensender im Land<br />

erfahren wird, dass der NCIS einen wertvollen Tag damit verschwendet hat, unschuldige<br />

Bürger zu drangsalieren, anstatt irgendetwas Konstruktives zu unternehmen, um die vermisste<br />

Maschine zu finden.“<br />

Tony hatte während dieser Tirade vergeblich versucht, Johnston Green zu unter-<br />

brechen, sehr zu McGees Vergnügen. „Es ist nicht unsere Aufgabe nach der Maschine zu<br />

suchen, da müssen Sie sich schon an die Royal Australian Air Force wenden. Unsere Aufgabe<br />

ist es, herauszufinden, wer für das Verschwinden das Flugzeugs verantwortlich ist, Sir.“<br />

„Dann tun Sie das. Aber vorher geben Sie mir noch den Namen der Airline und die Flug-<br />

nummer, damit ich dort anrufen und feststellen kann, ob die Angestellten dort genauso in-<br />

kompetent sind wie Sie. Ich denke nämlich nicht im Traum daran, <strong>mich</strong> wegen dieser lächer-<br />

lichen Anschuldigungen in einen Flieger nach Washington zu setzen. Und wenn ich Ihnen<br />

noch einen guten Rat mit auf den Weg geben darf: Passen Sie gut auf, wem gegenüber sie<br />

Ihre unhaltbaren Beschuldigungen gegen meinen Sohn äußern. Sollte irgendetwas davon an<br />

die Presse gelangen, wird eine <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde Ihr geringstes juristisches Problem<br />

sein.“ Mit diesen Worten legte Johnston kommentarlos auf.<br />

285


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Du hattest vollkommen Recht, er hat definitiv anders mit dir geredet.“, kommentierte<br />

McGee trocken. Tony sagte gar nichts, sondern begnügte sich damit, McGee einen<br />

mörderischen Blick zuzuwerfen. <strong>Die</strong> nächsten Minuten verbrachten die Agenten in ge-<br />

drücktem Schweigen. <strong>Die</strong> hektischen Aktivitäten und die kleinen Streitereien hatten sie in den<br />

letzten Stunden davon abgehalten, allzu oft daran zu denken, was wohl in diesem Moment mit<br />

ihren Kollegen geschah. „Ich kann hier nicht stundenlang rum sitzen und nichts tun.“, erklärte<br />

McGee schließlich. „Wir sollten noch mal die Passagierliste durchgehen und sehen, was wir<br />

über jeden Passagier herausfinden können.“ „Ja, ist besser als nichts.“, stimmte Tony zu. „Wir<br />

können zumindest rauskriegen, welche Berufe sie haben, welche Auslandsreisen sie in letzter<br />

Zeit gemacht haben und ob es ungewöhnliche <strong>Über</strong>weisungen oder Abhebungen auf ihren<br />

Konten gibt. Ich nehme den ersten Teil der Liste, du den zweiten.“ „Danke, Tony, ich selbst<br />

wäre nie auf die Idee gekommen, was man per Computer so alles über Leute herausfinden<br />

kann. Das ist ja nur mein Spezialgebiet.“ „Dann zeig mal was du kannst, Elfenkönig.“<br />

Washington DC, FBI Hauptquartier, 22.50 Uhr Ostküstenzeit<br />

Monica und John war die gleiche Idee gekommen. Nach zweieinhalb Stunden<br />

Recherche hatten sie in paar Basisinformationen über alle Passagiere zusammen. „Nichts<br />

davon ist wirklich hilfreich.“, sagte Monica frustriert. „Wir haben viele Touristen, alle mit<br />

unauffälligen Jobs und ohne auffällige Kontobewegungen, aber das muss nichts heißen. Dann<br />

haben wir einen Studenten, der von seinem Auslandssemester in Australien zurückkam.<br />

Außerdem waren noch einige Geschäftsreisende an Bord. Zwei Meeresbiologen, die auf einer<br />

internationalen Tagung über Haie waren, ein Ehepaar, das einen Buchladen besitzt und auf<br />

einer Buchmesse war. Dann sind da noch zwei Ärzte aus Princeton, New Jersey. Sie sind vom<br />

australischen Premierminister persönlich angefordert worden, um seine Tochter zu behandeln.<br />

Er hat ihnen erster Klasse Flüge und ein erstklassiges Hotel bezahlt. Ich habe daraufhin ein<br />

wenig weiter recherchiert. <strong>Die</strong>ser Doktor Gregory House ist eine anerkannte Kapazität im<br />

Bereich der Diagnostik, er wird in verschiedenen Fachzeitschriften erwähnt. <strong>Die</strong> Leute vom<br />

CSI waren privat unterwegs, auf einem Insektensymposium.“ „Wie kann man seinen Urlaub<br />

nur damit verbringen, sich Insekten anzusehen?“, fragte Doggett verständnislos. „Gilbert<br />

Grissom ist forensischer Entomologe, Insekten sind ein Teil seines Jobs.“ „Ich präzisiere: Ich<br />

kann nicht verstehe, wie jemand sein Leben damit verbringen kann, sich Insekten anzusehen.“<br />

Washington DC, NCIS Hauptquartier, 23.05 Uhr Ostküstenzeit<br />

286


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Können wir denn wirklich gar nichts mehr tun?“, fragte McGee frustriert. Tony<br />

wollte eigentlich wie üblich mit einem Scherz antworten, aber irgendetwas an McGees Ge-<br />

sichtsausdruck brachte ihn dazu, ehrlich zu antworten. „Ich wüsste nicht was. Normalerweise<br />

denke ich in solchen Situationen immer darüber nach, was Gibbs tun würde, aber auch er<br />

könnte im Moment nicht mehr machen.“ „Hast du gemeint, was du vorhin in Jennys Büro<br />

gesagt hast? Dass Gibbs und Ziva schon klar kommen und auf Abby aufpassen werden?“,<br />

fragte Tim. „Hör gut zu, Bambino, ich werde es nämlich nur einmal sagen und diese Aussage<br />

leugnen, solltest du auf die Idee kommen, es weiter zu erzählen: Ich habe genauso viel Angst<br />

um unsere Leute wie du. Aber ich könnte mir niemanden vorstellen, mit dem ich lieber in<br />

einem entführten Flugzeug sitzen würde, als mit Gibbs und Ziva. Wenn irgendjemand mit<br />

einer solchen Situation klar kommt, dann sind es die Beiden. Und sie würden beide alles tun,<br />

um Abby zu beschützen.“ Tonys seltener Moment der Ehrlichkeit wurde von Jennys Stimme<br />

unterbrochen. Sie stand auf der Galerie und rief: „Ich habe gerade einen Anruf von der CIA<br />

bekommen. Der Pilot der verschwundenen Maschine hat sich bei der Qantas Zentrale ge-<br />

meldet. Er, die Crew und einunddreißig Passagiere sind in Palangkaraya aufgetaucht.“<br />

„Pala… was?“, fragte Tony „Und warum nur einunddreißig Passagiere? Auf der Passagier-<br />

liste standen dreiundfünfzig Leute.“ „Palangkaraya. Das ist eine knapp 155.000 Einwohner<br />

zählende Stadt im indonesischen Teil Borneos, gute hundert Meilen von der Großstadt<br />

Banjarmasin entfernt mitten im Dschungel gelegen. Was mit den anderen zweiundzwanzig<br />

Passagieren passiert ist, weiß der Pilot auch nicht. <strong>Die</strong> Passagiere wurden während des Flugs<br />

durch ein Gas betäubt und sind erst in der Nacht wieder aufgewacht, mitten im Dschungel.<br />

Sie haben bis zum Morgen gewartet, bis sie sich auf den Weg gemacht haben und dann haben<br />

sie wohl etliche Stunden gebraucht, bis sie die nächste Stadt erreicht und ein Telefon ge-<br />

funden haben.“, erklärte Jenny.<br />

„Sind schon die Namen der fehlenden Passagiere bekannt?“, fragte McGee. „Noch<br />

nicht. <strong>Die</strong> Qantas hat erst mal nur in Erfahrung gebracht, wie viele Leute es sind, damit sie<br />

ihnen einen Bus schicken können, der sie zum Flughafen bringt. Dort werden die Namen auf-<br />

genommen und die Liste gemailt. Anschließend werden die Passagiere nach LA geflogen.“<br />

„Und was hat diese Idioten davon abgehalten, die Namen telefonisch aufzunehmen?<br />

Wahrscheinlich wird es Stunden dauern, bis diese Dilettanten von der Qantas in Pala…. wie<br />

auch immer jemanden gefunden haben, der genug Englisch spricht, um ihm klar zu machen,<br />

dass sie einen Bus brauchen.“, fragte Tony wütend. „Gibbs hätte bestimmt angerufen, wenn er<br />

bei der Gruppe dabei wäre.“, sagte McGee besorgt. „Wahrscheinlich hat der Pilot vom Tele-<br />

fon eines Privathaushaltes angerufen und der Besitzer dieses Telefons war wenig begeistert<br />

von der Idee, dass vierzig Leute von seinem Anschluss aus <strong>Über</strong>seegespräche führen.“ Auch<br />

Tony befürchtete, dass die Bundesagenten unter den Vermissten waren, wollte aber die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hoffnung noch nicht aufgeben, dass seine Kollegen zu der aufgetauchten Gruppe aus<br />

Palangkaraya gehörten. „Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis wir erfahren, ob unsere<br />

Leute auf der Liste stehen. So oder so möchte ich, dass Sie nach LA fliegen, bevor die auf-<br />

getauchten Passagiere in alle Winde verstreut sind. Wir haben keine Handhabe, sie in LA<br />

festzuhalten. Vielleicht ist ja einem von ihnen etwas Merkwürdiges aufgefallen. <strong>Die</strong><br />

Maschine wird sicher nicht vor übermorgen Vormittag in LA sein. Das heißt, ich werde für<br />

morgen Abend Flüge für Sie beide buchen. In Palangkaraya ist es inzwischen Mittag, wahr-<br />

scheinlich wird es noch einige Stunden dauern, bis die Passagiere überhaupt am Flughafen<br />

ankommen. Gehen Sie nach Hause und versuchen Sie zu schlafen. Im Moment können Sie<br />

nichts mehr tun. Wenn ich etwas höre lasse ich es Sie unverzüglich wissen.“, versicherte<br />

Jenny. „Und was ist mit Ihnen? Sie können im Moment genauso wenig tun wie wir.“, stellte<br />

Tony fest. „<strong>Die</strong> CIA wird hier anrufen, wenn sie etwas hören. Außerdem könnte ich sowieso<br />

nicht schlafen.“<br />

Washington DC, FBI Hauptquartier, 23.10 Uhr Ostküstenzeit<br />

„Es gibt nur acht Passagiere, nach denen sich niemand erkundigt hat, Jake Green und<br />

Kate Austen nicht mitgezählt. Der eine ist Kate Austens Begleiter, James Ford. Dann sind da<br />

noch John Locke, Patrick Morgan, Arthur Scott, Jeffrey Walker, Nathan Mitchell, Matthew<br />

und Jessica Harris. Auf den ersten Blick alles unauffällige Leute, wenn man von James Ford<br />

einmal absieht.“, stellte Monica fest. „Das muss noch nicht bedeuten, dass sie nicht in die<br />

Entführung verwickelt sind. Es ist wahrscheinlich, dass die Entführer keine Angehörigen<br />

haben, die auf sie warten. Allerdings hört man auch immer wieder von Terroristen, die extra<br />

eine Familie gründen, um unauffälliger zu wirken. Und nicht jeder, der keine Familie hat, ist<br />

gleich ein Terrorist.“, überlegte Doggett. „Sicher nicht. Aber die meisten Leute haben schon<br />

jemanden, der sie nach einem Urlaub vom Flughafen abholt. Leute bei denen das nicht so ist,<br />

sind auf jeden Fall einen zweiten Blick wert, zumal wir sonst nicht viel haben, womit wir<br />

arbeiten können.“ Bevor Doggett antworten konnte klingelte das Telefon. „Reyes?“, meldete<br />

Monica sich. „Skinner. Kommen Sie sofort in mein Büro. Einige der vermissten Passagiere<br />

sind wieder aufgetaucht.“ Skinner legte auf und Monica teilte Doggett die Neuigkeiten mit.<br />

Als die beiden Agenten wenige Minuten später ihrem Chef gegenüber saßen, fragte<br />

Monica sofort: „Einige Passagiere? Sind Dana und Mulder darunter?“ „Das wissen wir noch<br />

nicht. Einunddreißig Passagiere und die Crew sind irgendwann letzte Nacht im Dschungel<br />

von Borneo aufgewacht, sie sind durch ein Gas betäubt wurden. Im Moment befinden sie sich<br />

in Palangkaraya und warten darauf zum Flughafen gebracht zu werden, wo man ihre<br />

Personalien aufnehmen wird. Anschließend werden sie nach LA geflogen, sie dürften irgend-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wann morgen Mittag dort eintreffen.“, erklärte Skinner. „Borneo? Wann geht unser Flug?“,<br />

fragte Monica direkt. „Um acht Uhr morgen Abend. Sie sollten also nach Hause gehen und<br />

versuchen noch ein paar Stunden zu schlafen. Wenn sich wieder erwartend heute Nacht noch<br />

etwas ergeben sollte lasse ich es Sie wissen.“<br />

00.00 Uhr, Washington DC, NCIS Kommandozentrale<br />

Jenny trank ihre dritte Tasse Kaffee und beobachtete die Monitore, auf denen ver-<br />

schiedene Nachrichtenkanäle gleichzeitig liefen. Auf einem der Monitore sah sie die wohl<br />

zwanzigste Wiederholung der Presseerklärung des Qantas Sprechers, dass die Maschine und<br />

ein Teil der Passagiere unversehrt aufgefunden worden war und dass die Airline alles tat, um<br />

diese so schnell wie möglich nachhause zu bringen. Er versicherte, dass alles getan wurde, um<br />

die Vermissten zu finden und dass deren Namen so bald wie möglich bekannt gegeben<br />

würden. Auf einem weiteren Monitor konnte Jenny die wartenden Angehörigen am Flughafen<br />

von LA sehen. Sie wusste genau, wie diese Menschen sich fühlten. Obwohl die Beziehung zu<br />

Jethro lange zurück lag, empfand Jenny immer noch mehr für ihn als sie ihm oder sich selbst<br />

gegenüber zugeben wollte. Mit Ziva verband sie eine innige Freundschaft. <strong>Die</strong> junge Frau<br />

hatte ihr schon mehrfach das Leben gerettet und Jenny wünschte, sie könnte im Moment mehr<br />

tun, um sich zu revanchieren. Abby kannte sie zwar nicht besonders gut, trotzdem fühlte sie<br />

sich für die Laborantin im Team verantwortlich.<br />

FBI Gebäude, Skinners Büro<br />

Auch Skinner sah sich wieder und wieder die Nachrichten an, auch wenn alle Kanäle<br />

seit Stunden mehr oder weniger das Gleiche zeigten. Er wusste, dass er nichts tun konnte und<br />

dass ihn die Nachricht von der CIA, sollte es Neuigkeiten geben, zuhause genauso erreichen<br />

würde. Dennoch hatte er das Gefühl, es seinen Leuten schuldig zu sein, mit ihnen zu wachen.<br />

Wo auch immer sie waren, schlafen würden sie im Moment bestimmt nicht. Genauso wenig<br />

wie ihre Familien. Skinner hatte einen Großteil des Nachmittags damit verbracht, die An-<br />

gehörigen von Mulder, Scully und Booth zu kontaktieren. Mulders Mutter hatte besorgt, aber<br />

gefasst reagiert. Das überraschte Skinner nicht, Mulder hatte seiner Mutter noch nie über-<br />

mäßig nahe gestanden. Ihr Leben hatte sich immer so sehr um ihre verschwundene Tochter<br />

gedreht, dass sie ihren Sohn darüber vernachlässigt hatte. Skinner hatte den schrulligen<br />

Agenten für die Courage bewundert, für seine <strong>Über</strong>zeugungen einzutreten, etwas das Skinner<br />

sich nur sehr bedingt hatte leisten können. Er hatte Mulder immer nur vorsichtig aus dem<br />

Hintergrund helfen können, um die Position, die ihm einen gewissen Einfluss gewährte, nicht<br />

zu gefährden. Er war es auch gewesen, der sich dafür eingesetzt hatte, Special Agent Scully<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

auszuwählen, um Mulders Arbeit zu prüfen. Er hatte Scully für ihre Fairness und Objektivität<br />

geschätzt und gehofft, dass sie sich Mulder gegenüber loyal zeigen würde, sobald er sie von<br />

seinen Fähigkeiten als Agent überzeugt hatte. Auch Scullys Mutter hatte am Telefon die<br />

Fassung bewahrt, aber der Klang ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, wie viel Kraft sie<br />

das kostete. Sie hatte bereits eine Tochter verloren und lebte in der ständigen Angst, dass<br />

Danas riskanter Job sie früher oder später auch das Leben kosten würde. Es war ein Schock<br />

für sie gewesen, als der Assistent Direktor sich meldete. Bisher hatte meistens Mulder sie<br />

informiert, wenn Scully im Krankenhaus gelegen hatte. Angehörige von FBI Agenten gingen<br />

davon aus, dass der Assistent Direktor nur persönlich anrief um eine Todesnachricht zu über-<br />

bringen. Von daher war Mrs. Scully beinahe erleichtert zu hören, dass ihre Tochter nur ver-<br />

misst wurde.<br />

Special Agent Booth kannte Skinner nur sehr flüchtig, trotzdem hatte er es für seine<br />

Pflicht gehalten, seine Familie zu informieren. Das Gespräch mit seiner Mutter war schon<br />

schwer genug gewesen, aber was Skinner noch schwerer gefallen war, war das Telefonat mit<br />

der Mutter von Booth‟ Sohn gewesen. Wie sollte er der armen Frau erklären, was sie ihrem<br />

vierjährigen Sohn über das Verschwinden seines Vaters sagen sollte, wenn er selbst keine<br />

Antworten hatte? Da Doktor Brennan in einem offiziellen Auftrag für das FBI unterwegs ge-<br />

wesen war, hatte Skinner sich verpflichtet gefühlt, auch ihre Familie zu informieren. Da er<br />

aber nicht wusste, ob sie Angehörige hatte, hatte er stattdessen Dr. Brennans Vorgesetzte<br />

Camille Saroyan angerufen. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass Brennans Vater in Untersuchungs-<br />

haft saß und sie noch einen Bruder hatte, der ebenfalls im Gefängnis eine Haftstrafe abzu-<br />

sitzen hatte. Dr. Saroyan hatte Skinner erklärt, dass Dr. Brennans Team ihr näher stand als<br />

jede Familie und gebeten, über neue Entwicklungen informiert zu werden.<br />

Tonys Apartment<br />

Tony hatte sich unterwegs eine Pizza mit Schinken und extra Käse geholt.<br />

Anschließend hatte er sich eine Weile vor den Fernseher gesetzt und Nachrichten geguckt.<br />

Als er seine Pizza aufgegessen hatte, hatte er auch von den endlosen Wiederholungen genug.<br />

Normalerweise dachte Tony in Situationen, denen er sich nicht gewachsen fühlte, immer<br />

darüber nach was Gibbs tun würde. Aber Gibbs würde ihn erschlagen, wenn er in sein Haus<br />

fuhr und anfing an seinem Boot zu basteln, also verwarf er diesen Gedanken rasch wieder.<br />

Wenn Ziva an seiner Stelle wäre, würde sie darauf brennen, irgendjemanden zu foltern, um<br />

aus ihm die Information rauszukriegen, wo die vermissten Passagiere sich befanden oder ein-<br />

fach nur, um sich besser zu fühlen. Tony war im Prinzip kein gewalttätiger Mensch, aber im<br />

Moment hatte die Idee einen gewissen Reiz. Der einzige Haken war, dass er nicht die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geringste Ahnung hatte, an wem er diese Stressbewältigungsmethode ausprobieren sollte.<br />

Das, und dass man ihn dafür vermutlich feuern würde. Frustriert suchte er schließlich Trost in<br />

seiner Lieblingsserie Magnum. Er hatte alle 162 Folgen auf DVD, damit ließ sich die Nacht<br />

rumkriegen.<br />

McGees Apartment<br />

Tim stellte frustriert fest, dass der letzte Absatz, den er geschrieben hatte, keinerlei<br />

Sinn ergab und seine Hauptfigur plötzlich Abby hieß. Er hatte zwar keinen Appetit, ließ sich<br />

aber trotzdem von seinem Lieblingschinesen etwas liefern. Während er lustlos ein paar Bissen<br />

zu sich nahm starrte er gedankenverloren auf den Fernseher und sah sich immer wieder die<br />

gleichen Bilder an. Als er es nicht mehr aushielt, schaltete er den Fernseher aus und begann<br />

seinen Koffer zu packen. Anschließend räumte er seine Wohnung auf, nahm alle verderb-<br />

lichen Lebensmittel aus dem Kühlschrank und brachte den Müll raus. Er wusste nicht, wie<br />

lange er in LA bleiben würde. Dann schickte er E-Mails an seinen Verleger und an seine<br />

Schwester, mit der Information, dass er ein paar Tage beruflich verreisen müsse. Als ihm<br />

beim besten Willen nichts annähernd sinnvolles mehr einfiel, was er tun konnte, loggte er sich<br />

in sein Spielportal ein und stellte fest, dass noch einige seiner Stammmitspieler online waren.<br />

Monica Reyes Apartment<br />

Nach fünf Minuten schaltete Monica ihren Fernseher aus, da es ohnehin nichts Neues<br />

gab. Monica wünschte, sie könnte in Palangkaraya sein, an der Stelle, an der die wieder ge-<br />

fundene Maschine stand. Sie war überzeugt davon, dass sie an dem Ort, an dem die<br />

Passagiere verschwunden waren, Schwingungen aufnehmen und spüren könnte, ob es Dana<br />

und Mulder gut ging. Sie hatte zwar in Skinners Büro gefragt, ob ihre Kollegen zu der Gruppe<br />

der wieder gefundenen Passagiere gehörten, glaubte aber nicht ernsthaft daran. Sowohl ihr<br />

Verstand als auch ihr Gefühl sagten ihr, dass Mulder und Scully morgen nicht in LA er-<br />

scheinen würden. <strong>Die</strong> Maschine mit den sechs Bundesagenten an Bord war nicht zufällig aus-<br />

gewählt worden, da war sie sicher. Wer auch immer hinter der Entführung steckte hatte es auf<br />

die Agenten abgesehen und sie mitgenommen. Monica verstand nur nicht, warum noch so<br />

viele andere Passagiere fehlten. Sie konnten unmöglich alle in die Sache verwickelt sein,<br />

oder? Monica hoffte, dass bald die Liste mit den Namen der vermissten Passagiere bekannt<br />

gegeben wurde. Dann könnte sie bei allen Vermissten eine numerologische Analyse ihrer<br />

Namen und Geburtsdaten durchführen und so einiges über sie erfahren. Monica hatte sich seit<br />

ihrer Kindheit mit Numerologie befasst und glaubte fest daran, dass Geburts- und Namens-<br />

zahlen viel über einen Menschen und sein Schicksal aussagten. Sie glaubte, dass die<br />

291


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Numerologie ihr vielleicht helfen könnte, die Entführer von den Entführten abzugrenzen. Da<br />

sie aber im Moment noch keine Liste der Vermissten hatte und die relativ aufwendige Ana-<br />

lyse nicht für jeden Passagier durchführen wollte, entschied sie sich, sich erst mal näher mit<br />

den Leuten zu befassen, die sie schon verdächtigten: Jake Green, Kate Austen, James Ford<br />

und diejenigen, die offensichtlich niemand vermisste.<br />

John Doggetts Wohnung<br />

Nach einigen Minuten Nachrichten schaltete Doggett genervt auf einen anderen Kanal<br />

um. In den Nachrichten kam ohnehin nichts, was sie nicht früher oder später aus anderen<br />

Quellen erfahren würden. Während er den Koffer für seine Abreise packte, schaltete er sich<br />

durch die Sportkanäle. Nachdem er sich eine halbe Stunde lang lustlos durch die Kanäle ge-<br />

zappt hatte, beschloss er, wenigstens den Versuch zu unternehmen, zu schlafen. Er sollte<br />

morgen ausgeruht sein. Sobald er im Bett lag fühlte er sich überhaupt nicht mehr müde. Er<br />

dachte an Scully und Mulder und fragte sich, ob sie, wo auch immer sie waren, schlafen<br />

konnten. Wahrscheinlich nicht. John machte sich keine großen Illusionen. Niemand entführte<br />

ein Flugzeug mit sechs Bundesagenten, um sie dann zurück zu lassen. Mulder und Scully<br />

würden nicht auf der Liste stehen. Doggett wünschte, er könnte irgendetwas tun, um seinen<br />

Kollegen zu helfen. Er hatte einige Monate mit Scully zusammen gearbeitet, während Mulder<br />

verschwunden gewesen war. In dieser Zeit hatte er immer versucht, Dana zu beschützen, be-<br />

sonders, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Jetzt nichts für sie tun zu<br />

können war, schwer für ihn. Doggetts Verhältnis zu Mulder war von Anfang an schwierig<br />

gewesen. <strong>Die</strong> unorthodoxen Methoden des Agenten waren Doggett, der es gewohnt war, sich<br />

an Regeln zu halten, immer ein Dorn im Auge gewesen. Dennoch respektierte er Mulder.<br />

Besonders die Tatsache, dass Fox Mulder ohne zu Zögern jedes Risiko in Kauf nahm, um<br />

Scully zu schützen, hatte John schließlich dazu gebracht, seinen Kollegen in einem besseren<br />

Licht zu sehen.<br />

*****<br />

The day after<br />

Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in<br />

Ordnung, das ist unsere Illusion.<br />

292


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Voltaire<br />

Als Sawyer diese Worte zu Kate sagte, kullerten dieser vor Glück und Rührung schon<br />

wieder Tränen über die Wangen. Sie war froh, dass Sawyer sich ein wenig zu beruhigen<br />

schien. Was er und Jake durchgemacht hatten, all die langen Stunden, in denen sie gedacht<br />

hatten, sie und Heather wären vergewaltigt worden, konnte Kate sich nicht in ihren<br />

schlimmsten Träumen vorstellen. Dass sie sich mit Schuldgefühlen herum geschlagen hatten,<br />

mit dem schrecklichen Gefühl, das Ganze verursacht zu haben, war von den Entführern ge-<br />

schickt eingefädelt worden. Neben der Demütigung des öffentlichen Bekenntnisses hatten sie<br />

auch das noch ertragen müssen. Kate ließ sich langsam in die Waagerechte sinken. Sie war,<br />

wie sicher auch Sawyer, zum Umfallen müde, hätte aber um nichts in der Welt jetzt schlafen<br />

wollen. Sawyer mit sich ziehend, rutschte sie in eine bequeme Haltung und als die Beiden eng<br />

umschlungen nebeneinander lagen, sagte sie leise: „Ich werde dich auch nie wieder weg<br />

lassen, da brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen.“ Sie stockte kurz. Dann sagte sie:<br />

„Hör zu, Sawyer, wir dürfen uns hier nicht entzweien lassen, das musst du mir schwören.“<br />

Sawyer sah Kate in die Augen, in denen immer noch Tränen schwammen. „Kate ... ich ... Als<br />

ich dich so panisch Schreien hörte, da ...“ Sawyer fand nicht die richtigen Worte, um auszu-<br />

drücken, was er empfunden hatte, als er Ohrenzeuge ihrer vermeintlichen Vergewaltigung<br />

hatte werden müssen. Erneut setzte er an: „Ich ... Ich wusste nicht, wie ich es ertragen soll,<br />

mit dem Wissen weiter zu leben, es auf meinem Gewissen zu haben, dass du ... vergewaltigt<br />

wurdest.“ Kate hatte Sawyers mühsames nach Worten suchen sehr wohl mit bekommen, sie<br />

hatte ihn bewusst nicht unterbrochen. Jetzt sagte sie: „<strong>Die</strong> wissen genau, wie sie uns bis ins<br />

Mark treffen können.“ Sie kuschelte sich noch enger an ihn und spürte seinen warmen,<br />

muskulösen Körper, spürte immer noch seine Angst und Verkrampfung. „Komm schon,<br />

Honey, mir ist nichts passiert, und ich möchte es so schnell wie möglich ganz vergessen, ver-<br />

stehst du? Ich möchte die vermutlich kurze Zeit mit dir hier einfach nur genießen.“ Sie gab<br />

Sawyer einen Kuss und dieser erwiderte ihn leidenschaftlich.<br />

*****<br />

Allison wachte auf, weil jemand sich an ihrem Verband zu schaffen machte. Sie<br />

zuckte erschrocken hoch. „Was ist ...“ Sie erkannte einen der Ärzte. Verängstigt setzte sie sich<br />

auf. Ungerührt von ihrem Schrecken entfernte der Arzt den Verband von ihrem Bein und<br />

untersuchte sie Bisswunde. Dann fragte er Allison kalt: „Wie fühlst du dich?“ Cameron<br />

stotterte „Besser, sehr viel besser, Sir.“ „Gut, dann ist es nicht mehr nötig, dass du hier unsere<br />

Zeit vergeudest. Los, steh auf.“ Zitternd vor Angst gehorchte die junge Ärztin und erhob sich.<br />

Sie fühlte sich tatsächlich deutlich besser. Kurz wurde ihr schwindelig, als sie neben dem Bett<br />

293


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stand, dann gab sich das Gefühl. Als sie unschlüssig stehen blieb, ohne sich zu rühren, fuhr<br />

der Arzt sie an: „Brauchst du eine Extraeinladung, um dich herum zu drehen?“ Hektisch<br />

drehte Cameron sich herum und beeilte sich, die Hände auf den Rücken zu legen. Hand-<br />

schellen schlossen sich um ihre Handgelenke und dann packte der Arzt sie am Oberarm und<br />

zog sie mit sich. Minuten später hatten sie die Tür zum Kerker erreicht und die Tür sprang<br />

auf. Allison wurde in den Zellentrakt geführt, wo Dunkelheit und Totenstille herrschten. Der<br />

Arzt führte sie in ihre Zelle, nahm ihr die Handschellen ab und verließ die Zelle wieder, die<br />

Tür hinter sich zu ziehend. Cameron sank mit einem erleichterten Seufzen auf ihre Liege. Sie<br />

hörte aus den anderen Zellen tiefe Atemzüge, die andeuteten, dass alles schlief. Sie schloss<br />

ebenfalls ihre Augen und war Sekunden später wieder eingeschlafen.<br />

*****<br />

Heather sah Jake an. „Ich hoffe, du erinnerst dich an dein Versprechen, wenn du dich<br />

wieder einmal dumm benehmen willst.“ Sie lächelte den jungen Mann verliebt an. Jake<br />

nickte. „Ich werde mir Mühe geben.“ Kurz schwiegen beide, dann fragte Jake noch einmal<br />

zögernd: „Dir geht es wirklich gut?“ Jakes elendes Aussehen sorgte dafür, dass die gutmütige<br />

und sehr verliebte junge Frau den ausgestandenen Schrecken beiseiteschob und voller Mit-<br />

gefühl war. „Mach dir keine Sorgen, Jake. Mir ist wirklich nichts passiert.“ Heather versuchte<br />

ein aufmunterndes Lächeln. „Ich hab <strong>mich</strong> nie in meinem Leben so beschissen gefühlt wie<br />

heute und darin bin ich wirklich Fachmann darin.“, erklärte Jake leise. „Ich habe so vielen<br />

Menschen, die mir etwas bedeuten, verletzt und nun auch noch dich ...“ Heather sah Jake an.<br />

„Natürlich war es dumm von dir, du hättest dir denken können, dass diese Leute dein Ver-<br />

halten an mir auslassen würden. Aber du konntest nun wirklich nicht damit rechnen, dass sie<br />

so weit gehen würden.“ „Du hast Recht. Aber für ein paar falsche Antworten in den däm-<br />

lichen Fragebögen eine solche Aktion ...“ Jake schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich habe<br />

ganz ehrlich nicht damit gerechnet, dass sie derart brutal und ... <strong>Die</strong> sind wirklich zu allem<br />

fähig. Ich bin froh, dass sie uns diese Zeit hier geben, aber das darf nicht darüber weg<br />

täuschen, dass die vollkommen gewissenlos sind.“ „Ich weiß, wie schwer dir das fällt, aber<br />

wenn wir heil hier raus kommen wollen, musst du dich zusammen reißen und tun, was auch<br />

immer diese Kerle verlangen.“ Heather kuschelte sich an Jake und fuhr leise fort: „Du hast<br />

Recht, die sind wirklich zu allem fähig, darum lass uns die wenige Zeit nicht mit sinnlosen<br />

Schuldzuweisungen vertun. Sie werden uns sicher bald wieder abholen und in die Zellen<br />

zurück bringen.“<br />

*****<br />

294


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate lag noch in Sawyers Armen, als die Tür geöffnet wurde und Wachen in den<br />

Raum kamen. Erschrocken zuckten die Beiden hoch. Man gab ihnen keine Zeit, sich zu ver-<br />

abschieden. „Los, hoch und umdrehen.“, wurden sie angefahren. Ohne Zögern gehorchten<br />

beide. Und Minuten später schlossen sich mit leisem Klicken die Türen ihrer Zellen hinter<br />

ihnen. Vollkommen fertig nach all dem, was in den letzten Stunden auf sie eingestürmt war,<br />

sanken Sawyer und Kate auf ihre Liegen. <strong>Die</strong> pure Erschöpfung ließ beide schnell ein-<br />

schlafen, auch wenn Kate gedacht hatte, sie würde überhaupt nicht einschlafen können. Eine<br />

Etage tiefer wurden in dieser Sekunde Jake und Heather aus dem Kuscheln gerissen. Auch bei<br />

ihnen tauchten Wachposten auf und Minuten später stieß man die Beiden ebenfalls in ihre<br />

Zellen zurück. Und wie Augenblicke vorher Kate und Sawyer sanken auch Jake und Heather<br />

vollkommen erledigt auf ihre Liegen nieder und schliefen, kaum, dass ihre Köpfe die Kissen-<br />

wölbung berührt hatten.<br />

Jake hatte das unangenehme Gefühl, kaum eingeschlafen zu sein, als bereits wieder<br />

das Wecktröten durch den Kerker hallte. Alle schossen mehr oder weniger entsetzt hoch. Und<br />

dann ging alles blitzschnell: Vier Wachen kamen zügig in den Kerker, House und Cameron<br />

wurden aus ihren Zellen komplimentiert und auf die Plattform gezerrt, bevor sie noch<br />

wussten, wie ihnen geschah. House wurde, nachdem er sich seines Kittels hatte entledigen<br />

müssen, an die wieder aus dem Boden gefahrene Stange gefesselt und Allison an den Tisch<br />

mit den zwei Stühlen geführt und dort an den Stuhl gefesselt. Dann verschwanden die<br />

Wachen, an ihrer Stelle schlenderte kurz darauf der Interviewer in den Zellentrakt. „Nun,<br />

nachdem du dich auf wundersame Weise so schnell wieder erholt hast, Nummer 10, wirst du<br />

sicher in der Lage sein, uns ein paar Fragen zu beantworten. Da wir festgestellt haben, dass<br />

ihr es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmt, werden wir dir ein wenig Unterstützung bei<br />

der Wahrheitsfindung zukommen lassen.“ Er grinste diabolisch und im nächsten Moment<br />

schon drückte er House einen Elektroschocker an den Oberschenkel des gesunden Beines.<br />

House‟ und Camerons Aufschrei waren eins. Alle anderen Gefangenen zuckten kollektiv zu-<br />

sammen. Und dann sagte der Arzt kalt: „Ihr passt besser alle genau auf, denn ihr werdet alle<br />

eure hier gewonnenen Kenntnisse dringend brauchen, das kann ich euch versprechen.“<br />

Erschrocken ging ein erneutes Zusammenzucken durch die Gefangenen. Jake und<br />

Sawyer wurden blass. Sie hatten keine noch so kleine Ahnung, was nach ihnen auf der Platt-<br />

form geschehen war. Beiden Männern wurde fast schlecht. Das konnte nicht der Ernst dieser<br />

Leute sein. Auf der Plattform fragte der Arzt: „Dein Name ist Allison Cameron?“ Allison<br />

nickte und sagte leise: „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 12. April 1979 in Newark, Ohio, geboren?“<br />

Erneut nickte Cameron: „Ja, Sir.“ „Deine Eltern sind Jonathan und Rachel Cameron?“ „Ja,<br />

Sir.“ „Dein Bruder ...“ „Andrew Cameron, Sir.“, beeilte Allison sich zu antworten. „Wo hast<br />

295


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

du studiert?“ Allison erklärte: „An der University of Minnesota, in Rochester, Minnesota.“<br />

„Wer ist Colin Bennet?“ Allison wurde blass und House lauschte angespannt. Leise erklärte<br />

Cameron: „Colin ... Ich habe ihn während meines Praktikums an der Mayo kennengelernt. Er<br />

hatte ... Er war an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Wir haben geheiratet, bevor er ... bevor er<br />

schließlich an dem Krebs starb.“ „Warum hast du ihn geheiratet?“ Allison erstarrt. <strong>Die</strong>se<br />

Frage hatten Chase, Foreman, House ihr schon mehrfach gestellt und sie hatte immer ge-<br />

antwortet, weil sie Colin geliebt hatte. Jetzt, in dieser grässlichen Situation, den Mann, den sie<br />

wirklich liebte gefesselt und unter Umständen mit einem Elektroschocker gefoltert, vor<br />

Augen, überdachte Cameron die Frage genau. „Ich dachte, ich würde ihn lieben, Sir.“ „Du<br />

dachtest?“ Cameron liefen einzelne Tränen über die Wangen. „Ich habe wirklich geglaubt, ihn<br />

zu lieben. Aber ... jetzt denke ich, es war keine Liebe, sondern ... Es war Mitleid, ich ... Nein,<br />

ich habe ihn nicht ... Es war Mitleid.“<br />

House hatte diese Worte genau gehört. Und sie gaben ihm einen Stich ins Herz.<br />

Unwillkürlich dachte er daran, dass sie für ihn ebenfalls nichts anderes als Mitleid empfand.<br />

Der Interviewer fuhr bereits fort: „Wie kommst du mit deinen Kollegen aus?“ Cameron<br />

dachte an Chase und Foreman. „Ganz gut, denke ich. Natürlich gibt es immer mal Reibereien,<br />

aber alles in allem verstehen wir uns ganz gut.“ Sie hatte keine Ahnung, was diese Frage<br />

sollte. Doch die nächste Frage machte ihr klar, was erreicht werden sollte. „Was war mit dem<br />

Patienten Joe Luria?“ Cameron erinnerte sich sehr gut an den Cop, der an einer sehr seltenen<br />

primären Amöbenmeningoenzephalitis 7 erkrank und daran gestorben war. Mühsam beherrscht<br />

erklärte Cameron: „Er war ein Cop, der nach einer Schießerei zu uns gebracht wurde. Wir<br />

vermuteten bei ihm die Legionärskrankheit, bis wir dahinter kamen, dass es sich um eine<br />

Amöbenmeningoenzephalitis handelte. Der Cop starb, hatte aber Eric Foreman bereits an-<br />

gesteckt. <strong>Die</strong>ser drohte ebenfalls zu sterben. Um <strong>mich</strong> zu zwingen, die Wohnung des Cops<br />

noch einmal gründlich nach möglichen Ursachen zu durchsuchen, stach Foreman mir eine<br />

Spritze, mit der ich ihm Sekunden zuvor eine Injektion gegeben hatte, in den Oberschenkel.“<br />

Sie dachte mit Schrecken daran zurück. Und House schüttelte im Nachhinein den Kopf. „Wir<br />

konnte Foreman retten, und ich habe ihm nach einiger Zeit verzeihen können, dass er <strong>mich</strong> in<br />

Gefahr gebracht hatte.“<br />

„Wie ist dein Verhältnis mit Robert Chase?“ Jetzt wurde Allison blass und rot ab-<br />

wechselnd. „Er ist ein Kollege, weiter nichts.“, stieß sie hastig hervor und bereute ihre<br />

Antwort Sekundenbruchteile später bereits, denn House schrie erneut auf vor Schmerzen, als<br />

7 Amöbenmeningoenzephalitis: Durch Amöben hervorgerufene Virusinfektion des Hirns und der weichen Hirngewebe, die<br />

schon nach wenigen Tagen zum Tode führt.<br />

296


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Elektroschocker sein Bein zum zweiten Mal traf. Fast wäre der Arzt in den Fesseln zu-<br />

sammen gesackt, denn er verlagerte unwillkürlich sein Gewicht auf das kranke Bein, welches<br />

ihn aber nicht trug. Allison schrie entsetzt auf. „Nein, bitte, Sir. Ich hatte ein Verhältnis mit<br />

Chase. Ich habe mit ihm geschlafen.“ „Warum, 10?“ Allison schluchzte auf. „Weil ich ... Ich<br />

habe gehofft, wenn ich mit Chase etwas anfange, würde vielleicht ...“ Sie verstummt ver-<br />

zweifelt. Der Arzt schüttelte genervt den Kopf und näherte sich mit dem E-Schocker erneut<br />

dem wehrlosen House. „Nein. Nicht.“, stieß Allison atemlos und entsetzt hervor. „Ich wollte,<br />

dass mein Vorgesetzter ... Er sollte eifersüchtig werden, ich habe Chase nur benutzt, um<br />

meinen Chef eifersüchtig zu machen.“ Völlig beschämt schwieg Cameron. „Wurde er eifer-<br />

süchtig?“, fragte der Interviewer hinterhältig. „Nein, Sir, nein, das wurde er wohl nicht.“<br />

Allison liefen Tränen der Scham über die Wangen. House musste sich auf die Zunge beißen,<br />

um nicht dazwischen zu rufen, wie eifersüchtiger er gewesen war. Der Interviewer fixierte<br />

Allison erneut und schoss die letzte, hinterhältige Frage an die junge Frau ab. „So, Frau<br />

Doktor, eine letzte, sehr wichtige Frage. Sagt dir der Name Ezra Powell etwas?“ Leichenlass<br />

wurde die junge Ärztin und erschrak zutiefst. Verzweifelt schaute sie zu House hinüber. Panik<br />

flackerte in ihren Augen. Alles in ihr schrie - NEIN - aber sie wusste, sie würde antworten<br />

müssen.<br />

Kalt sah der Interviewer Cameron an. „Ich sehe schon, du brauchst Motivation.“ Er<br />

trat zu House und auch in dessen blauen Augen flackerte Panik. „Nein, hau ab mit dem<br />

Scheißding, du Arschloch!“, keuchte er verzweifelt. Der Interviewer grinste. Dann stieß er<br />

den Elektroschocker gnadenlos zweimal hintereinander in House‟ Bauch. Gellend schrie der<br />

Arzt auf. Das verdammte Mistding tat einfach unerträglich weh. Allisons Schrei vermischte<br />

sich mit dem Gregs und hysterisch schluchzend wimmerte die Immunologin: „Er war ein<br />

Patient.“ Kopfschüttelnd stieß der Interviewer noch einmal zu und sagte: „Das ist alles, was<br />

dir einfällt?“ House hatte erneut aufgebrüllt. Jetzt hing er zitternd und keuchend in den<br />

Fesseln und Schweiß lief ihm über den nackten Körper. Allison schrie vollkommen ver-<br />

zweifelt: „Tot, Ezra Powell ist tot, er starb an einer <strong>Über</strong>dosis Morphium. Ich habe ... ich habe<br />

bei ihm ... Ich habe ihm Sterbehilfe ... Ich habe ihm das Morphium gespritzt ... Ich ...“ Keinen<br />

Ton brachte die junge Frau mehr heraus. Der Arzt war jedenfalls offensichtlich zufrieden. Er<br />

sagte leise in sein Micro: „Schafft sie zurück und bringt die nächsten.“ Wachen betraten<br />

daraufhin den Kerker und während der Interviewer sich entspannt zurück lehnte, wurden<br />

Allison und House von ihren Fesseln befreit und in die Zellen zurück geschafft. Dann ertönte<br />

die Durchsage „2 und 9“ Heather und Jake sprangen erschrocken auf. Sie ließen sich wider-<br />

standslos die Handgelenke fesseln, dann wurden sie auf die Bühne gedrückt.<br />

297


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jake wurde entkleidet, was Heather sich vor Verlegenheit winden ließ. Dann wurde er<br />

in der gleichen Haltung wie vor ihm House an die Stange gefesselt. Heather wurde so an den<br />

Tisch platziert, dass sie Jake genau im Blick hatte. Mit hochrotem Kopf saß die junge Frau da<br />

und versuchte verzweifelt, irgendwo anders hin zu schauen, nur nicht auf den nackten, ge-<br />

fesselten jungen Mann. Der Arzt wartete, bis die Wachen den Kerker verlassen hatten, dann<br />

grinste er Heather an. „Nun, dann wollen wir uns mal ein wenig unterhalten, was? Ich werde<br />

dir einen sehr guten Grund geben, vorbehaltlos ehrlich zu sein, sonst wird dein tapferer Held<br />

hier bald nicht mehr sehr tapfer sein, dass kann ich dir versprechen. Unsere modifizierten E-<br />

Schocker haben noch jeden weich gegrillt.“ Er trat an Jake heran, der sich auf die Lippen biss<br />

und schwer atmend den Schmerz erwartete, der im Laufe der letzten Stunden noch jeden von<br />

ihnen zum Schreien gebracht hatte. Im nächsten Moment zuckte der schmerzhafte Impuls<br />

durch seinen Körper, als der Arzt die Elektroden gnadenlos an Jakes Bauch drückte.<br />

Aufbrüllend bäumte der junge Mann sich in den Fesseln auf. Heather schluchzte hysterisch:<br />

„NEIN, bitte, ich werde ehrlich antworten, Sir, wirklich.“ Sie zitterte am ganzen Leib. Jake<br />

hing keuchend in den Fesseln. Und der Arzt fragte ruhig: „Dein Name ist Heather Lisinski?“<br />

Heather nickte. „Ja, Sir.“ „Du wurdest am 21. Juli 1980 in New Bern, Kansas, geboren?“ „Ja,<br />

Sir.“ Heather schielte immer wieder unglücklich zu Jake hinüber, der noch mit den Nach-<br />

wirkungen des Stromschlags zu kämpfen hatte. Er hatte das unangenehme Gefühl, sein ganzer<br />

Körper vibriere nach.<br />

Heather wurde mit der nächsten Frage konfrontiert. „Deine Eltern sind Richard und<br />

Judith Lisinski?“ „Ja, Sir.“ Heather nickte. „Du hast einen jüngeren Bruder?“ „Ryan, Sir, er<br />

wurde 1986 geboren.“ „Wie sah deine Kindheit aus?“ Heather musste nicht lange überlegen.<br />

Sie erzählte: „Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. Mein Vater erwartete von mir,<br />

dass ich <strong>mich</strong> um Haushalt, Bruder, Haus und Hof kümmerte, aber auch in der Schule musste<br />

ich sehr gut sein. Er hat <strong>mich</strong> sehr gelobt, wenn ich etwas gut gemacht habe, im Gegenzug<br />

aber auch getadelt, klappte etwas nicht. Er hat <strong>mich</strong> streng religiös erzogen. Ich glaube, damit<br />

hängt es zusammen, dass ich nie Freunde hatte. Sie zogen sich zurück, wenn ich ...“ Sie<br />

wurde rot und stotterte verlegen „Wenn ich nicht so wollte wie sie ... Sie haben dann die Ge-<br />

duld verloren und aufgegeben.“ „Warum wurdest du Lehrerin?“ „Weil ich nur wirklich gut<br />

mit Kindern umgehen kann, Sir.“ Heather schwieg verlegen. „Hat Nummer 2 ebenfalls auf-<br />

gegeben?“ Heather versank fast im Erdboden bei dieser gemeinen Frage. „Das weiß ich nicht,<br />

Sir. Ich glaube nicht ...“ Sie schwieg und der Interviewer lachte gemein. „Vermisst du deine<br />

Mutter?“, fragte er dann. Heather antwortete ehrlich: „Ich vermisse eine weibliche Bezugs-<br />

person, aber an meine Mutter erinnere ich <strong>mich</strong> kaum noch.“ „Gut, Nummer 2, das sollte es<br />

für diesmal sein.“ Er stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Kerker. Jake und<br />

298


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather saßen, bzw. hingen in ihren Fesseln und alle anderen wünschten nur noch, dass sie<br />

wieder in Ruhe gelassen werden würden, um weiter schlafen zu können.<br />

Und endlich kamen Wachen zur Tür herein und Augenblicke später wurden Jake und<br />

Heather befreit, Jake bekam seinen Kittel in die Hand gedrückt und die beiden wurden in die<br />

Zellen zurück gebracht. Das Licht wurde gelöscht. Jake schlüpfte hier in seinen Kittel, dann<br />

sank er auf seine Liege. Nur noch kurz lag er wach, seine rechte Hand lag auf der Stelle, wo<br />

ihn der E-Schocker getroffen hatte und massierte den Punkt ganz unbewusst. Er merkte, dass<br />

ihm die Augen vor Müdigkeit zu fielen. Und kurze Zeit später deuteten ruhige, gleichmäßige<br />

Atemzüge darauf hin, dass er tief und fest eingeschlafen war. Und auch aus allen anderen<br />

Zellen kamen tiefe Atemzüge. <strong>Die</strong> Gefangenen waren nach den vergangenen Torturen am<br />

Ende ihrer Kräfte. Sie wollten nur noch schlafen. Und das taten sie auch.<br />

Das Halsband<br />

Schämt euch zu sterben, ehe ihr einen Sieg für die Menschheit errungen habt.<br />

Martin Luther King<br />

<strong>Die</strong> zwei Tage, die man sie nach der grässlichen Befragungsaktion in Frieden gelassen<br />

hatte, fanden am Morgen des dritten Tages ein mehr als jähes Ende. Nach dem Wecken hatten<br />

die Gefangenen mehr oder weniger gelangweilt in den Zellen vor sich hin gedämmert. Ziva<br />

und Booth hatten ihre üblichen Fitness Übungen gemacht und saßen schwitzend auf ihrer<br />

Liege, als plötzlich die Lautsprecherdurchsage ertönte: „Gefangene. Haltet euch bereit.“ Was<br />

diese ungewohnte Ansage nun wieder sollte, blieb abzuwarten. Jedenfalls waren alle einiger-<br />

maßen beunruhigt und alarmiert. Auf der Plattform tat sich etwas. Der Mechanismus, der es<br />

ermöglichte, aus der unteren Etage Gegenstände nach oben zu befördern, wurde in Gange<br />

gesetzt und ein großer Rollwagen mit vier Plastikkisten und ein Stuhl wurden von unten<br />

hochgefahren. Jetzt erschienen drei Wachen im Kerker. Einer der Wachposten ging zu den<br />

Gegenständen auf die Plattform, die beiden <strong>Anderen</strong> arbeiteten sich in der nächsten Stunde<br />

von Zelle zu Zelle und alle Gefangenen wurden nacheinander zu dem Stuhl geführt. Booth als<br />

Nummer 1 war der Erste. <strong>Die</strong> beiden Wachleute, die ihn zum Stuhl gebracht hatten, lösten<br />

seine Handschellen. Dann erhielt er den Befehl, sich auf den Stuhl zu setzen. <strong>Die</strong> Wachen<br />

blieben neben ihm stehen und machten dadurch ein weiteres Mal klar, dass jeder Widerstand<br />

absolut sinnlos war. Nun wurden ihm um die Handgelenke lederumwickelte, zirka vier<br />

299


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zentimeter breite Armbänder aus, so vermutete Booth, Metall, gelegt und verschlossen. Einen<br />

Mechanismus, diese zu öffnen, konnte Booth nicht erkennen. Damit hatte sich das Thema<br />

Handschellen wohl erledigt. An diesen Metallarmbändern waren sehr stabile, spezielle<br />

Sicherheitskarabinerhaken befestigt, die man nicht alleine aufbekommen konnte. Man<br />

brauchte eindeutig zwei Hände, um sie zu öffnen. An den Karabinern wurde nun eine<br />

vielleicht dreißig Zentimeter lange Kette befestigt. Somit waren seine Hände wieder gefesselt,<br />

wenn auch nicht so stramm wie mit den Handschellen.<br />

Booth beobachtete skeptisch, wie aus einer zweiten Kiste ein vielleicht drei Zentimeter<br />

breiter Reifen genommen wurde, ungefähr so stark wie sein kleiner Finger. Er war ebenfalls<br />

Leder umwickelt und an ihm waren zwei Metallringe rechts und links befestigt, die außer-<br />

gewöhnlich stabil aussahen. <strong>Die</strong>ser starre Reif wurde ihm um den Hals gelegt, saß fast unan-<br />

genehm stramm und wurde mit einem ähnlichen Mechanismus geschlossen wie die Arm-<br />

reifen. Um das Bild des Sklaven zu komplettieren, dachte Seeley genervt, wurden nun auch<br />

seine Fußgelenke mit Manschetten versehen und aus einer vierten Kiste entnahm die Wache,<br />

die ihn hier so nett versorgte eine weitere der kurzen Ketten, die gleich zwischen den Fuß-<br />

gelenkmanschetten befestigt wurde. Zu guter Letzt wurden die Karabinerhaken seiner Arm-<br />

manschetten in die Stahlringe an seinem Halsring befestigt, die Kette baumelte überflüssig an<br />

seinem Hals herunter. <strong>Die</strong> Hände waren auf diese Weise in einer ziemlich demütigenden und<br />

unbequemen Haltung am Halsband befestigt. Er wurde auf die Füße gezogen und ein Stück<br />

zur Seite geführt. Das Laufen mit der kurzen Kette war sehr mühsam. Am Ende der Plattform<br />

musste Booth stehen bleiben und beobachtete nun, wie nach und nach alle Mitgefangenen aus<br />

ihren Zellen geholt und genauso mit Ketten und Manschetten sowie Halsbändern, die alle wie<br />

angepasst saßen, versorgt wurden. Das diese Halsbänder so stramm, aber perfekt passten,<br />

legte die Vermutung nahe, dass man ihre Halsumfänge zu einem Zeitpunkt ermittelt hatte, als<br />

sie vielleicht noch betäubt von dem Chloroform im Flugzeug gewesen waren. Alle, die mit<br />

den neuen Schmuckstücken versehen waren, wurden zu ihm geführt und schließlich standen<br />

alle sechzehn Gefangenen mit den Händen an den Halsbändern und den Ketten zwischen den<br />

Hand und Fußgelenken nebeneinander auf der Plattform. Verständnislos sahen sie sich an.<br />

Was, um alles in der Welt, sollte das nun wieder werden?<br />

Bevor sie dazu kamen, weiter darüber nachzudenken, senkte sich von der Decke einer<br />

der von den Befragungen her bekannten Bildschirme herab. <strong>Die</strong> Lautsprecherstimme ertönte,<br />

kalt und unpersönlich wie immer. „Gefangene. Passt auf.“ Alle richteten den Blick auf die<br />

Leinwand und dort flackerte ein Bild auf. Das Gesicht eines unbekannten, vielleicht fünfzig<br />

Jahre alten Mannes erschien und dieser fing euphorisch an zu dozieren. „Das Halsband ist<br />

endlich fertig. Wir können Ihnen heute stolz seine Wirkungsweise demonstrieren. Wie es ge-<br />

300


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

öffnet wird, zeigen wir zuerst. Dafür wird dieser Magnetschlüssel gebraucht.“ Eines der Hals-<br />

bänder, die alle Gefangenen trugen, wurde dem Sprecher gereicht und dieser nahm einen U-<br />

förmigen Gegenstand, den er an dem Halsband entlang führte. Ein kaum hörbares Knacken<br />

ertönte und das Halsband sprang auf. „Das ist die ordnungsgemäße Methode, es zu öffnen.<br />

Nun werden wir kurz demonstrieren, was geschieht, sollte es gewaltsam geöffnet werden.“<br />

Bisher wussten die Gefangenen nicht, auf was dies alles hinaus laufen würde. Sie blickten<br />

interessiert auf den Bildschirm, wenn ihnen auch langsam aber sicher die Hände in dieser un-<br />

bequemen und äußerst demütigenden Haltung einschliefen. Auf dem Monitor war eines der<br />

Halsbänder zu sehen, das um ein Stück Fleisch gelegt worden war. Ein durch eine dicke<br />

Weste und eine Sicherheitsmaske geschützter Arbeiter mit einer langen Zange in der Hand<br />

näherte sich dem Reifen und setzte die Zange an. Aus zirka einem Meter Entfernung presste<br />

er die Griffe der Zange zusammen und im selben Augenblick gab es einen leisen Knall und<br />

das Fleischstück wurde regelrecht zerfetzt.<br />

Ein kollektives Zusammenzucken ging durch die Gefangenen. Allison, Abby und<br />

Heather konnten einen erschrockenen Ausruf nicht mehr unterdrücken und alle anderen<br />

wurden sehr blass. Der Arbeiter drehte sich grinsend in die Kamera und zeigte, dass kleine<br />

Fetzen des Fleisches bis zu ihm geflogen waren. „Nun das Wichtigste.“, fuhr der<br />

Kommentator freudig erregt fort. „Folgendes passiert nun mit einem Hals, der das Halsband<br />

trägt und der Grenze zu nahe kommt.“ House war es, der leise aussprach, was wohl alle in<br />

diesem Moment dachten. „Oh, ich habe das ungute Gefühl, jetzt wird die Katze aus dem Sack<br />

gelassen, was?“ Auf dem Bildschirm erschien eine Rollbahre, auf der ein menschlicher, ganz<br />

offensichtlich toter Körper lag, um dessen Hals das Halsband befestigt worden war. Mittels<br />

eines Seils wurde die Rollbahre sehr langsam auf die Kamera zu gezogen. Und dann ging ein<br />

entsetztes Aufkeuchen durch die Gefangenen. Von einer Sekunde zur anderen ertönte ein<br />

schrilles Pfeifen und als die Bahre weiter gezogen wurde, ertönte erneut der leise Knall und<br />

das Halsband schien regelrecht zu Explodieren.<br />

Und nicht nur das Halsband. Auch der Hals der Leiche explodierte und zurück blieb<br />

ein fast geköpfter Körper. Kate, die neben Sawyer stand, drehte ihr Gesicht mit einem ent-<br />

setzten Aufkeuchen weg und presste es, erlaubt oder nicht, an Sawyers Brust. Bones und Ziva<br />

schauten, ähnlich wie Scully, überrascht und mit einem gewissen Maß an Interesse auf den<br />

Bildschirm und Ziva zog eine Augenbraue in die Höhe. Allison, Heather und Sara hatten ent-<br />

setzt aufgestöhnt, jetzt starrten sie angewidert auf den Bildschirm. <strong>Die</strong> Männer waren eben-<br />

falls heftig zusammen gezuckt, schwiegen aber verbissen. Der Kommentator sagte begeistert:<br />

„Das ist ein wirklich durchschlagender Erfolg.“ Er musste, von seinem eigenen Wortwitz<br />

überwältigt, kurz kichern. Dann aber wurde er wieder ernst und fuhr fort: „Es gibt natürlich<br />

301


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

auch noch die Möglichkeit, das Halsband via Fernzündung gezielt zu aktivieren, wie in<br />

diesem Versuch.“ Auf dem Bildschirm erschien erneut eine Bahre mit einer weiteren Leiche.<br />

Ein Helfer stand in sicherer Entfernung und hatte einen Schalter in der Hand, den er betätigte.<br />

Erneut wurde die Leiche fast geköpft, als das Halsband, welches sie trug, explodierte. Der<br />

Kommentator fuhr fort: „Nun gibt es noch einen dritten Aspekt, den unser wundervolles<br />

Spielzeug zu bieten hat. Wenn auch das Obermaterial wie Leder aussieht, ist es das jedoch<br />

nicht, sondern ein fortschrittliches Material, dass alle Vorzüge von Leder aufweist, aber leitet.<br />

Wir werden das mal kurz demonstrieren. Bringt den Probanden her.“<br />

Ein zitternder junger Mann mit gefesselten Händen wurde heran geführt und der<br />

Kommentartor zog einen kleinen Schalter aus der Tasche. Er betätigte den Schalter und der<br />

Junge zuckte heftig zusammen, heulte auf vor Schmerzen und sank keuchend und zitternd auf<br />

die Knie. Erneut drückte der Kommentator den Knopf und wieder brüllte der Junge auf, jetzt<br />

endgültig zu Boden sackend. Nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem Heather und Allison<br />

ebenfalls entsetzt den Kopf abwendeten. Und schon ertönte wieder eine Stimme. <strong>Die</strong>smal<br />

jedoch war es wieder die kalte Lautsprecherstimme. „Und damit ihr nicht denkt, das sei ein<br />

Fake ...“ <strong>Die</strong> Stimme beendete den Satz nicht, brauchte sie auch nicht, denn im selben<br />

Moment brüllten Ziva und Mulder vor Schreck und Schmerzen gellend auf. Unvorbereitet<br />

zuckte ein brutaler Schmerz durch ihre Körper, ausgehend von dem Halsband. Keuchend<br />

sanken sie fast zeitgleich auf die Knie und brauchten einige Augenblicke, um sich wieder zu<br />

fangen. Der Kommentator auf dem Bildschirm dozierte ruhig: „<strong>Die</strong> Stromimpulse treffen im<br />

Hals gezielt auf die Hauptnervenbahnen, daher ist der Schmerz extrem heftig und betrifft in<br />

Bruchteilen von Sekunden nicht nur den Hals, sondern den gesamten Körper. Somit ist dieses<br />

Halsband, unser ganzer Stolz, nebenbei bemerkt, geradezu unglaublich funktionell und zuver-<br />

lässig. Es kann von Gefangenen durch das schützende Material problemlos auch über einen<br />

langen Zeitraum ohne Hautirritationen getragen werden. Es kann nass werden, da es absolut<br />

wasserdicht ist. Es dient sowohl der Bestrafung als auch der Fixierung und verhindert hundert<br />

Prozent sicher jeden Fluchtversuch und jede Renitenz, denn keiner der Probanden, an denen<br />

wir es getestet haben, war nach einem Impuls noch im Stande, irgendeine andere Reaktion zu<br />

zeigen, als auf die Knie zu gehen vor Schmerz. Der Warnton setzt drei Meter vor der Grenze<br />

ein. Dreht der Gefangenen dann nicht um ... Nun, die Demonstration war wohl eindeutig. <strong>Die</strong><br />

Fernzündung funktioniert bis zu dreihundert Meter weit problemlos.“<br />

*****<br />

„So, ich bin froh, dass die Bänder endlich fertig sind und wir mit den<br />

Außenaufgaben beginnen können.“<br />

302


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ja, sonst zieht es sich wirklich zu lange hin.“<br />

„Habt ihr ihre Gesichter gesehen? Da wir keiner auch nur an einen<br />

Fluchtversuch denken.“<br />

„Nein, ganz bestimmt nicht. Das war schon eine sehr beeindruckende<br />

Präsentation.“<br />

„Austen hätte fast gekotzt.“<br />

„<strong>Die</strong> wäre aber ohne Ford sowieso nicht auf die Idee gekommen, einen<br />

Fluchtversuch zu unternehmen, da bin ich absolut sicher.“<br />

„Richtig. Sie denkt nicht mehr in reinen Ich-Dimensionen. Kaum zu<br />

glauben, dass die sich tatsächlich schon in Sydney über den Weg gelaufen<br />

sind.“<br />

„<strong>Die</strong> bisher einzige echte <strong>Über</strong>raschung. Und dass sie sich sofort in<br />

einander vergucken. Gerade bei Fords Lebenslauf habe ich damit nicht ge-<br />

rechnet.“<br />

„Das hat wohl keiner. Und er selbst am allerwenigsten.“<br />

*****<br />

An dieser Stelle brach der Film ab und der Monitor wurde wieder eingefahren. Ziva<br />

und Mulder waren inzwischen wieder auf den Beinen. Noch ein wenig wackelig standen sie<br />

da und versuchten, sich zu beruhigen. Scully sah besorgt den Lebensgefährten an. „Alles in<br />

Ordnung, Mulder?“, formten ihre Lippen die Frage, die ihr auf der Zunge brannte. Mulder<br />

nickte beruhigend. Alle Gefangenen waren nachhaltig geschockt. Und nun ertönte wieder die<br />

Stimme aus dem Lautsprecher. „Gefangene. <strong>Die</strong>ses Halsband werdet ihr von nun an ständig<br />

tragen. Innerhalb des Gebäudes seid ihr absolut sicher. Verlasst ihr das Gebäude unerlaubt,<br />

kommt ihr keine zwei Schritte weit. Wenn ihr das Gebäude auf unseren Befehl verlasst, wird<br />

die Sprengladung in dem Halsband von uns so deaktiviert, dass sie nur noch per Fernzündung<br />

zur Explosion gebracht werden kann. Wann ihr damit gestraft werdet, liegt in unserem Er-<br />

messen. Je weniger ihr euch zu Schulden kommen lasst, desto weniger werdet ihr den<br />

Schmerz der Bestrafung spüren. Heute habt ihr es verpasst bekommen, weil wir etwas Be-<br />

sonderes mit euch vorhaben. Ihr werdet erstmals seit eurer Gefangennahme das Gebäude ver-<br />

lassen.“ Erstaunt und beunruhigt hatten die Gefangenen den Worten gelauscht. Jetzt öffnete<br />

sich die Kerkertür und einige Wachposten betraten den Zellentrakt. Jeder trat an einen der<br />

Gefangenen heran und neben einer absolut dichten Augenmaske und Klebeband für die<br />

Lippen, wurden ihnen auch die gleichen Kopfhörer über gestülpt, die schon Jake bei seinem<br />

Schlafentzug getragen hatte. So des Gesichts- und des Hörsinnes beraubt, beschleunigte bei<br />

allen Gefangenen, ohne Ausnahme, den Puls. Dann klebte man ihnen zusätzlich auch noch<br />

303


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Klebestreifen über die Lippen, die auch jede Lautäußerung unmöglich machten. Dass man sie<br />

an den Oberarmen packte und weg führte, beunruhigte alle zusätzlich.<br />

Draußen<br />

Wir sind nur dadurch erfolgreich, dass wir uns im Leben oder im Krieg oder wo<br />

auch immer ein einzelnes beherrschendes Ziel setzen, und diesem Ziel alle anderen<br />

<strong>Über</strong>legungen unterordnen.<br />

Dwight D. Eisenhower<br />

Nichts zu sehen und gleichzeitig auch akustisch nichts wahr zu nehmen war<br />

schlimmer, als jeder einzelne von ihnen sich vorgestellt hatte. Dass auch die Hände durch die<br />

Fixierung am Halsband jeglicher Möglichkeit, etwas zu Ertasten, beraubt worden waren,<br />

machte die Isolierung fast perfekt. Mit mehr oder weniger heftig klopfenden Herzen wurden<br />

die Gefangenen vorsichtig weg geführt. Schön hintereinander, was sie selbst natürlich nicht<br />

wahrnehmen konnten, wurden sie aus dem Kerker geführt. Mit dem Fahrstuhl, in vier<br />

Gruppen aufgeteilt, ging es ganz nach unten, in die Kellerräume des Gebäudes, sogar noch<br />

unterhalb des Zellentraktes. Hier wurden die Gefangenen in einen Kleinbus verladen, der sich,<br />

kaum dass alle saßen, langsam in Bewegung setzte. Immer noch drang kein Ton durch die<br />

erschreckend dichten Kopfhörer. Jake kannte dieses schreckliche Gefühl ja schon zur Genüge.<br />

Jetzt jedoch, im Zusammenhang mit dem gleichzeitigen nichts Sehen können, potenzierte sich<br />

das unangenehme Gefühl extrem. Das sie gefahren wurden, war allen sofort klar, denn der<br />

gänzlich fehlende Sicht und Hörreiz steigerte das Spüren, das Fühlen, um ein vielfaches.<br />

Schnell erkannten die hilflosen Probanden feine Unterschiede, wie leichten Fahrtwind, der<br />

durch ein scheinbar offenes Fenster drang, eine kühle Brise, die von einer eingeschalteten Air-<br />

Condition her rühren mochte, Sonne, die durch Fenster auf einer Seite des Gefährtes, in dem<br />

sie saßen, auf ihre nackten Arme fiel. <strong>Über</strong> allem aber schwebte die Angst wie eine dunkle<br />

Wolke. <strong>Die</strong> bisherigen Erfahrungen während ihrer Gefangenschaft hatten schon öfter alle oder<br />

wenigstens einige von ihnen an den Rand der physischen und psychischen Kraft gebracht.<br />

Was mochte jetzt wieder auf sie zukommen?<br />

Jegliches Gefühl für Zeit war ihnen allen sowieso schon abhanden gekommen und so<br />

war es kein Wunder, dass keiner von ihnen, auch Booth, der noch das beste Zeitempfinden<br />

hatte, sagen konnte, wie kurz oder lang die Fahrt war. Irgendwann blieb das Gefährt jeden-<br />

falls stehen und als nächstes fühlten die Gefangenen sich auf die Beine gezogen und aus dem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bus geführt. Man achtete gewissenhaft darauf, dass sie sich beim Aussteigen nicht verletzten.<br />

Statt Stufen hatte der Bus eine absenkbare Plattform, auf die bis zu sechs Gefangene gleich-<br />

zeitig passten. So war gewährleistet, dass sie sich auch mit den Ketten zwischen ihren Fuß-<br />

gelenken nicht die Beine brachen. Als schließlich alle auf dem Boden standen, wurden sie von<br />

ihren Bewachern weiter geführt. Der Boden unter ihren nackten Füßen fühlte sich warm und<br />

sandig/steinig an. Einige Minuten wurden sie so weiter geführt, dann wurden sie gestoppt. Als<br />

erstes wurden ihnen die Kopfhörer abgenommen. Dann riss man ihnen die Klebestreifen<br />

rücksichtslos von den Lippen und schließlich wurden die Augenbinden entfernt. <strong>Die</strong> Wach-<br />

leute machten ihnen die Hände von den Halsbändern los und erstmals seit einer kleinen<br />

Ewigkeit konnten sie die Hände herunter nehmen. Augenblicklich setzte das unangenehme<br />

Kribbeln der wieder einsetzenden Durchblutung ein. Nach einigen Minuten hatten sich<br />

sowohl ihre Augen an die Helligkeit als auch ihre Hände an die veränderte Haltung gewöhnt.<br />

Was sie vor sich sahen, mussten ihre Gehirne jedoch erst einmal verarbeiten.<br />

Vor ihnen lag ein wohl vier Hektar großes Areal, von einer höchstens einen Meter<br />

hohen, schmalen Mauer umgeben. Resigniert dachten alle sofort das Gleiche - Mehr ist ja<br />

nicht nötig. - und der eine oder andere Gefangene griff sich unwillkürlich an das Halsband.<br />

Das gesamte Feld war mit unterschiedlich großen Steinen, von Faustgröße bis zu höchstens<br />

noch von mindestens drei Leuten tragbar, bedeckt. Vor ihnen standen acht Schubkarren. <strong>Die</strong><br />

Wachen zogen, bis auf eine, ab und setzten sich Abseits auf gemütliche Stühle. Sie waren<br />

nicht mehr nötig. Der verbleibende Wachmann erklärte: „4, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14. Ihr werdet<br />

Steine in die Schubkarren verladen.“ <strong>Die</strong> Angesprochenen, House, Scully, Heather, Allison,<br />

Sara, Locke, Gil und Abby sahen verblüfft auf das Feld hinaus. „1, 2, 3, 5, 6, 8, 15 und 16, ihr<br />

werdet die Karren wegfahren und dort hinten auskippen.“ Der Wachmann deutete auf eine<br />

Ecke des Feldes, wo sich schon ein ziemlicher Steinhaufen befand. „Kommt her.“ Booth,<br />

Jake, Sawyer, Bones, Ziva, Mulder, Gibbs und Kate gehorchten und traten auf den Wach-<br />

mann zu. <strong>Die</strong>ser löste ihnen die Fußketten und fuhr ungerührt fort: „Sollte einer von euch<br />

nicht mehr können, wird er von einem der anderen Gruppe immer nur kurz abgelöst. Unrühm-<br />

liche Ausnahme ist Nummer 4. Du wirst nur verladen.“ House spürte die Blicke der <strong>Anderen</strong><br />

auf sich und schaute giftig auf den Boden vor sich. „Noch etwas. Ihr werdet arbeiten, bis ihr<br />

nicht nur sprichwörtlich zusammenbrecht, haben wir uns verstanden?“ Den Gefangenen<br />

huschte eine Gänsehaut über die Körper. Der Wachposten sah die Gefangenen der Reihe nach<br />

an. „Und wenn ihr euch, vielleicht berechtigt, fragt, warum ihr das tun solltet, dann werde ich<br />

euch sagen, warum. Sollten wir das Gefühl haben, ihr kniet euch nicht genug in die Arbeit<br />

hinein, wird einer von euch ... nicht mehr mit zurückkehren. Er oder sie wird dann zu Test-<br />

zwecken dem Halsband zum Opfer fallen. Es kann jeden von euch nach dem Zufallsprinzip<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erwischen, sobald wir eine dementsprechende Meldung an die Zentrale geben. Dort hinten ist<br />

bereits ein Grab ausgehoben.“<br />

Alle Augen richteten sich schlagartig in die angegebene Richtung und jeder erkannte,<br />

dass dort hinten wirklich ein Grab ausgehoben worden war. Kate, Allison und Heather<br />

schossen Tränen in die Augen und sie bissen sich auf die Lippen. Sie dachten weniger an sich,<br />

als vielmehr an die Männer, die sie liebten. Abby huschte erneut eine Gänsehaut über den<br />

nackten Rücken und sie atmete tief ein. Sara warf einen verzweifelten Blick zu Gil hinüber,<br />

der im selben Moment zu ihr schaute. Mulder und Scully sahen sich an und ihre Blicke<br />

sprachen Bände. Noch einmal erhob der Wachposten die Stimme. „Ihr werdet jetzt anfangen.<br />

Wo ihr arbeitet ist uns gleichgültig. Alle zwei Stunden bekommt ihr zehn Minuten Pause, um<br />

etwas zu trinken. Ihr könnt euch fünf Minuten lang beraten, dann herrscht absolutes Rede-<br />

verbot.“ Er lachte gehässig. „Ihr werdet eure Kraft für die Arbeit brauchen. Viel Spaß.“<br />

Langsam dreht der Mann sich um und schlenderte zu seinen Kumpels hinüber. <strong>Die</strong><br />

Gefangenen standen einen Moment ziemlich erschlagen da. Dann ergriff Gibbs das Wort.<br />

Ruhig erklärte er: „Wir sollten weiter außen anfangen und uns bogenförmig auf den Ablade-<br />

platz zu arbeiten, um später, wenn wir ... erschöpfter sind, nicht mehr so weite Wege zu gehen<br />

haben, was meint ihr?“ Locke und Mulder stimmten Gibbs sofort zu und auch die <strong>Anderen</strong><br />

konnten sich diesem durchaus vernünftigen Argument nicht verschließen. „Außerdem hat der<br />

Arsch nicht gesagt, dass wir die ganz Großen weg schaffen müssen, oder? Also, lasst die<br />

Großen liegen und konzentriert euch auf die kleineren Steine.“, warf Sawyer ein. Er erntete<br />

genau so Nicken wie vorher Gibbs. Kate trat zu ihm und gab ihm ohne zu Zögern einen Kuss.<br />

Es war ihr vollkommen egal, ob es erlaubt oder verboten war. Es erfolgte keine Strafe, also<br />

schien es toleriert zu werden. Booth sah sich um und sagte frustriert: „Na, dann lass uns mal<br />

anfangen, was? Heigh-ho, Heigh-ho. It's home from work we go ...“ Seeley ließ es sich nicht<br />

nehmen, die Refrain-Zeile aus dem Zwergenlied aus „Snow White and the seven dwarfs„ an-<br />

zustimmen. Trotz des absoluten Ernstes ihrer Lage mussten Sawyer, Kate und auch Gibbs<br />

grinsen. Der Textauszug passte gar zu gut. Nur Bones: „Ich verstehe nicht, was das be-<br />

deutet.“, und Ziva warfen Booth absolut verständnislose Blicke zu, was House und Abby mit<br />

grinsendem Kopfschütteln quittierten. <strong>Die</strong> Karrenfahrergruppe stellte fest, dass sie mit den<br />

Ketten zwischen den Armbändern genau die Griffe der Schubkarren packen konnten. <strong>Die</strong><br />

Gruppe der Aufheber trat einfach irgendwo weit außen zwischen die Steine und je einer der<br />

Karrenschieber folgte. So bildeten sich automatisch immer Zweiergruppen, ohne dass es ab-<br />

gesprochen worden wäre. Sawyer war bei Allison stehen geblieben, Jake steuerte natürlich<br />

zielstrebig zu Heather. Mulder und Scully arbeiteten ebenso selbstverständlich zusammen.<br />

Gibbs gesellte sich zu House, Ziva zu Abby. Booth marschierte freiwillig zu Sara, er hatte das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gefühl, Bones und Sara nebeneinander würde keine zehn Minuten gut gehen, ohne, dass die<br />

beiden Frauen sich die Steine an den Kopf schmissen. Bones gesellte sich dafür zu Locke. Zu<br />

guter letzt stellte sich Kate zu Gil.<br />

Zum Glück war es leicht bedeckt, sodass es nicht zu heiß war. Trotzdem lief den Ge-<br />

fangenen schnell der Schweiß in Strömen über die Körper. House hatte sich einfach auf den<br />

Boden gehockt und warf seine Steine von dort in den Schubkarren. Gibbs wartete geduldig,<br />

bis die Karre auf diese Weise voll war. Dann beeilte er sich, sie zum Sammelpunkt zu fahren<br />

und zu leeren. Alle anderen arbeiten nun still vor sich hin. Jeder von ihnen hatte unauffällige<br />

Blicke nach außerhalb der Mauer geworfen, in der Hoffnung, dort irgendetwas zu sehen, was<br />

Aufschluss über ihren Aufenthaltsort geben könnte. Doch alles, was sie erkennen konnten,<br />

waren normale Palmen, Ahorn, Magnolien, Bäume eben, die überall in der südlichen Hemi-<br />

sphäre wuchsen, also kein Anhaltspunkt dafür, wo sie sich befanden. <strong>Die</strong> ersten Karren waren<br />

schon auf den Haufen geschafft worden. Besonders für Ziva, Kate und Bones war das Fahren<br />

der Schubkarren natürlich sehr anstrengend. Dadurch, dass die Fahrer sich wieder und wieder<br />

den Weg über den Steinacker bahnen mussten, waren ihre nackten Füße schnell blutig und<br />

aufgerissen. Schon nach dem ersten Weg zur Abladestelle hatte Jake einen blutenden Riss am<br />

linken Ballen und er fluchte unhörbar vor sich hin. Ein einziger, scharfkantiger Stein und<br />

schon war es passiert. Als er leicht humpelnd wieder bei Heather eintraf, warf diese ihm einen<br />

fragenden Blick zu. Genervt schüttelte Jake nur den Kopf. Sich auch jetzt nicht unterhalten zu<br />

dürfen, war eine Strafe. Immer wieder driften die Gedanken zu der Drohung zurück, dass<br />

einer von ihnen hier sterben würde, wenn nicht alle vernünftige Leistung zeigten. Während er<br />

Heather zuschaute, wie sie Stein auf Stein in die Karre hob, ging ihm durch den Kopf, was er<br />

machen würde, wenn es sie betreffen würde. Wenn er am Ende gezwungen wäre, zuzusehen,<br />

wie ihr mittels des Halsbandes der Kopf fast von den Schultern gesprengt würde. Jake wurde<br />

schlecht. Das durfte einfach nicht passieren.<br />

Booth wartete darauf, dass Sara die Karre erneut voll stapelte. <strong>Die</strong> junge Frau war<br />

kräftig und schnell. Er warf ihr einen Blick zu, verbunden mit einer unauffälligen Geste, der<br />

besagte - Mach lieber langsamer, dann hältst du länger durch. - Sara biss sich auf die Lippe.<br />

Booth hatte natürlich Recht. Sie warf einen Blick zu Gil und Kate hinüber. Gil würde schnell<br />

nicht mehr das Tempo halten können, da war Sara sich sicher. Sie machte sich Sorgen um den<br />

Partner. Er war konzentriert bei der Sache. Allerdings machte er ebenfalls ein wenig lang-<br />

samer, um länger durchzuhalten, so, wie Booth es ihr eben geraten hatte. Gil war klar, dass er<br />

Kate würde ablösen müssen, wenn die junge Frau nicht mehr konnte. Er lächelte ihr auf-<br />

munternd zu. In ihren Augen stand die Angst um Sawyer geschrieben. Immer wieder glitt ihr<br />

Blick zu ihm und Gil bemerkte, dass Sawyer ebenso oft zu Kate herüber schaute. Zweimal<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

musste Gil die junge Frau aus ihren Gedanken reißen, indem er Steine mit Schwung in die<br />

Karre warf. Erschrocken zuckte Kate zusammen und schob dann die Karre zum Haufen<br />

hinüber. Sie richtete es so ein, dass sie möglichst oft zusammen mit Sawyer dort ankam. Ihre<br />

Blicke saugten sich dann aneinander fest und kurz war die Illusion da, alleine auf der Welt<br />

und vor allem in Sicherheit zu sein.<br />

Als endlich die ersten zwei Stunden um waren, rief einer der Wachposten die Ge-<br />

fangenen an. „Hey, Pause.“ Erleichtert schlurften diese zu den Wachen hinüber und erhielten<br />

jeder eine Flasche Wasser, 0,5 Liter. Alle ließen sich auf den staubigen Boden sinken. „Ihr<br />

dürft euch die zehn Minuten unterhalten, klar?“, bemerkte einer der Wachposten. Kate und<br />

Sawyer setzten sich etwas abseits und Sawyer fragte die junge Frau besorgt: „Ist alles in<br />

Ordnung bei dir? Was machen deine Füße?“ Kate sah Sawyer an. „Denen geht es nicht<br />

schlechter als deinen.“ Sie fasste an das Halsband. „Ob die heute wirklichen einen von uns ...“<br />

Sie verstummte eingeschüchtert. Sawyer griff umständlich wegen der Kette zwischen den<br />

Handgelenken nach ihren Händen. „Hey, mach dir keine Sorgen, Freckles. Alle werden sich<br />

voll hinein knien, keiner von uns wird heute hier sterben.“ Er wünschte sich, so sicher zu sein,<br />

wie seine Worte klangen. Wer konnte schon wissen, was ihre Entführer als angemessenes<br />

Reinknien ansahen? Was hatte die Wache noch gesagt? - Ihre werdet, nicht nur sprichwört-<br />

lich, Arbeiten, bis ihr zusammen brecht. - Das waren alles andere als schöne Aussichten für<br />

den Tag. Und unter Umständen für mehr als diesen Tag, denn Sawyer glaubte nicht, nach ein<br />

paar arbeitsreichen Stunden schon zusammen zu brechen. „Wer wohl als erstes schlapp mach<br />

...“, überlegte Kate leise und sah ihre Leidensgenossen an. „Dein Partner?“, erwiderte Sawyer<br />

ohne Hohn in der Stimme. „Glaub ich nicht. Dass er bei der Lauferei nicht mithalten konnte,<br />

darf nicht darüber weg täuschen, dass er Kraft hat. Und er ist intelligent. Er weiß, wie er sich<br />

diese Kraft einteilen muss.“ Kate sah erneut in Sawyers nach der langen Gefangenschaft ohne<br />

Sonne ziemlich blasses Gesicht. Ihre eigene, sonst braun gebrannte Haut war inzwischen<br />

ebenfalls blass geworden. Sollte hier heute noch die Sonne durch die Wolken dringen,<br />

drohten ihnen allen schwere Sonnenbrände. „Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte.“,<br />

erklärte sie dann leise.<br />

Auch die anderen Gefangenen hatten sich zu den jeweiligen Partnern oder Kollegen<br />

gesetzt. Seit ihrer Gefangennahme war es ja für einige das erste Mal überhaupt, dass sie so<br />

dich zusammen sein und reden durften. <strong>Die</strong> Gespräche drehten sich ausnahmslos um diese<br />

Arbeit und die Halsbänder. Heather und Allison sahen auf ihre Hände, während sie sich mit<br />

den Männern an ihrer Seite unterhielten. Allison war es überhaupt nicht gewohnt, derartige,<br />

körperliche Arbeit zu verrichten. Ihre Hände sahen schon jetzt schlimm aus und brannten.<br />

Ähnlich ging es ihrem Chef. Als Arzt kam man nun einmal selten mit Steinen in Berührung.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron wollte sich Dreck und Staub vorsichtig von den Händen spülen, wurde aber brüsk<br />

von ihrem Vorgesetzten unterbrochen. „Bist du irre, Mädchen? Willst du dir die Haut noch<br />

zusätzlich mit Wasser aufweichen? Lass den Dreck mal schön, wo er ist.“ Cameron sah<br />

House an. Sie spürte, wie sie rot anlief. „Natürlich. Du hast Recht. Das war idiotisch.“ Sie ließ<br />

alle hier ohnehin vollkommen überflüssigen Höflichkeitsfloskeln fallen und verzichtet eben-<br />

falls auf das bisher verwendete förmliche Sie. - Beim gemeinsamen Steine klopfen wird House<br />

kaum Wert darauf legen. - dachte Allison sich zu Recht. Fast hätte sie gefragt, wie es Gregs<br />

Bein ging, verbiss sich diese Frage aber im letzten Moment. Sie trank einen Schluck Wasser,<br />

dann sah sie House an. Leise sagte sie: „Ich habe Angst.“ House‟ blaue, eindrucksvolle<br />

Augen musterten die junge Immunologin. Unwillkürlich tastete er nach dem Halsband. „Ich<br />

auch.“<br />

Bones trank einen großen Schluck Wasser, um den Staub herunter zu spülen. Sie sah<br />

zu Locke herüber, der erstaunlich gut mithielt. Obwohl schon über die Mitte fünfzig hinaus,<br />

war der Mann topfit. Im Dreck zu Wühlen machte der jungen Anthropologin nichts aus, sie<br />

war schon überall auf der Welt gewesen und hatte Massengräber durchwühlt, in New Orleans<br />

nach Katrina hatte sie Leichen aus dem Schlamm gezogen, das alles war deutlich schlimmer,<br />

als hier ein paar Steine wegzuschaffen. Gedankenverloren starrte Tempe vor sich hin. Der<br />

Daumen ihrer rechten Hand glitt tastend über das Halsband. „Weißt du, diese Reife sind wirk-<br />

lich äußerst funktionell. Eine simple Methode, jeden Fluchtversuch zu unterbinden. Ich ver-<br />

mute, dass sie als Sprengsatz etwas auf Ethandioldinitratbasis verwenden, das würde auch die<br />

sichere Reichweite bis über 300 m erklären. Nicht durch Erschütterungen, Temperaturwechsel<br />

oder Berührungen auszulösen. Wenn Jack etwas in der Art herstellen müsste, würde er sicher<br />

Ethandioldinitrat verwenden.“ Booth sah kopfschüttelnd zu Brennan hinüber. „Bones.“ „Ja?“<br />

„Halt einfach die Klappe.“ Tempe sah mit brennenden Augen zu Booth hinüber. Dann sagte<br />

sie ganz leise: „Ich habe Angst. <strong>Die</strong> sind wirklich zu allem fähig.“ Seit der Geschichte mit den<br />

Piranhas war Booth darauf bedacht, genau abzuwägen, was er zu Bones sagte. Er wollte unter<br />

keinen Umständen, dass sie merkte, was er für sie empfand. Als sie allerdings so verängstigt<br />

neben ihm hockte, fiel es ihm ungeheuer schwer, seinem Grundsatz treu zu bleiben. Liebend<br />

gerne hätte er sie einfach in den Arm genommen und getröstet. Stattdessen sagte Seeley nur<br />

leise: „Ich weiß.“<br />

<strong>Die</strong> zehn Minuten waren schnell zu Ende und die Gefangenen wurden gnadenlos<br />

wieder an die Arbeit getrieben. <strong>Die</strong> nächsten Stunden wurden für alle eine Tortur.<br />

Angetrieben von der Angst, dass einer von ihnen Sterben könnte, wenn nicht jeder einzelne<br />

Höchstleistungen brachte, nahm keiner der Gefangenen Rücksicht auf sich. Sawyer sah, dass<br />

die junge Ärztin nach kurzer Zeit bereits blutende Hände hatte. So lehnte er kategorisch ab,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dass sie die Karre übernehmen wollte, auch, als er selbst glaubte, keinen einzigen Schritt<br />

mehr mit den vollkommen zerschundenen Füßen machen zu können. Seine eigenen Hände<br />

schmerzten von dem hölzernen Griff der Schubkarre selbst unerträglich. Blasen, die sich nach<br />

kürzester Zeit auf der während der Gefangenschaft weich gewordenen Haut gebildet hatten,<br />

waren inzwischen aufgeplatzt, an einigen Stellen im Handinneren schimmerte das rohe<br />

Fleisch. Allison hätte mit den blutenden Händen die Karre nicht einmal anheben können. <strong>Die</strong><br />

junge Frau konnte teilweise nicht mehr verhindern, dass ihr Tränen über die verdreckten<br />

Wangen kullerten. Zum einen wegen der eigenen Schmerzen, nicht nur die Hände taten un-<br />

erträglich weh, auch ihr Rücken fühlte sich nach den endlosen Stunden Bückens an, als würde<br />

er jeden Moment auseinander brechen. Zum anderen aber auch, wenn sie sah, wie ihr Partner<br />

sich ein ums andere Mal mit zusammen gebissenen Zähnen auf blutenden Füßen mit der<br />

Karre über die Steine zum Abladeplatz schleppte.<br />

<strong>Die</strong> anderen waren in keinem besseren Zustand mehr. Gil hatte Kate immer wieder<br />

abgelöst, wenn die junge Frau nicht mehr konnte. Jake ließ, wie Sawyer, nicht zu, das Heather<br />

die Karre weg schaffte. Gibbs hatte keine Möglichkeit, zu Tauschen und so schleppte der<br />

NCIS Agent sich wieder und wieder über den Acker. Mulder hätte ebenfalls nie zugelassen,<br />

dass Dana die Karre fuhr. Sie hatte es mehrfach versucht, um ihm eine Pause zu gönnen, aber<br />

er hatte nur den Kopf geschüttelt. Seine Füße bluteten ebenfalls aus unzähligen kleinen Riss-<br />

wunden und seine Hände, die rohe Arbeit einfach nicht gewohnt waren, wie die der meisten<br />

Schreibtischtäter, fühlten sich wie eine einzige, überdimensionierte Blase an. Dana be-<br />

obachtete mit wachsender Sorge, wie in Mulders braune Augen dieser Ihr könnt <strong>mich</strong> mal<br />

Ausdruck trat. Das war bei dem Mann, den sie so sehr liebte, immer ein schlechtes Zeichen,<br />

denn dann war er bereit, ohne auf seine körperliche Unversehrtheit Rücksicht zu nehmen,<br />

weiter zu machen, egal, um was es sich handelte, bis er wirklich zerbrach.<br />

Abby und Ziva wechselten sich ab, allerdings nicht sonderlich lange, denn Abby hatte<br />

sehr empfindliche Füße, wie sie selbst erstaunt feststelle. Das Laufen auf dem steinigen Acker<br />

fiel ihr extrem schwer. Und so schob Ziva die Karre die meiste Zeit. Booth ließ zwischen<br />

jeder Pause zu, dass Sara ein, zwei Mal die Karre weg fuhr, aber als es der CSI Mitarbeiterin<br />

immer schwerer fiel, übernahm er das Karren schieben schließlich ebenfalls gänzlich. In der<br />

zweiten Pause wurde noch geredet, die dritte Pause verlief, bis auf leises Stöhnen und Ächzen<br />

still. Keiner hatte mehr die Lust und die Kraft, sich zu unterhalten. Irgendwann war die Sonne<br />

heraus gekommen und es war unerträglich schwül-warm geworden. So wurde das Wasser in<br />

den kurzen Pausen gierig getrunken. Sawyer, Jake, Mulder und Gibbs betrachteten mit<br />

schmerzverzerrten Gesichtern geistesabwesend ihre zerschundenen Hände. Keiner der<br />

Karrenschieber war mehr in der Lage, die Karrengriffe richtig zu packen. Viel zu geschwollen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und aufgescheuert waren die Hände inzwischen. Je erschöpfter sie waren, desto häufiger<br />

schlugen sie sich die Füße noch weiter auf, da sie die Beine einfach nicht mehr hoch be-<br />

kamen. Irgendwann konnte Kate, kurz darauf Bones die Karren nicht mehr von der Stelle<br />

schieben. Kate sank leise wimmernd auf die Knie und Sawyer wollte sofort zu ihr eilen. Ein<br />

heftiger Schmerz, der von dem Halsband ausgehend durch seinen ganzen Körper raste, und<br />

ihn aufschreiend ebenfalls auf die Knie sinken ließ, machte ihm klar, dass das für heute nicht<br />

seine beste Idee gewesen war.<br />

Keuchend und zitternd kniete er im Staub, die Hände an das Halsband gekrallt, und<br />

versuchte, sich von dem Schmerz zu erholen. Sein ganzer Körper schien zu vibrieren. Allison<br />

half ihm schließlich wieder auf die Beine, stützte ihn ein paar Augenblicke lang fürsorglich<br />

und sah ihn besorgt an. Sawyer stützte sich auf die junge Ärztin und atmete einige Male<br />

durch. Dann ging die Quälerei mit den Steinen weiter. Kate war inzwischen so fertig, dass sie<br />

die kleine Episode mit Sawyer nicht einmal richtig mit bekommen hatte. Gil war es jetzt, der<br />

die Karre fuhr. Nie und nimmer hätte er selbst gedacht, dass er das hier so lange würde<br />

durchhalten können. Wieder und wieder schleppten sich die Karrenschieber zu dem stetig<br />

größer werdenden Haufen. Immer mehr humpelten sie, stöhnten bei jedem Schritt, den sie mit<br />

ihren kaputten Füßen zurücklegen mussten. Als die Sonne endlich unter ging, hatten die Ge-<br />

fangenen kurz die verzweifelte Hoffnung, dass nun Schluss wäre, aber die Hoffnung zer-<br />

platzte wie eine Seifenblase, denn kaum war es zu dunkel, noch etwas zu sehen, gingen einige<br />

große Scheinwerfer an und beleuchteten das Szenario. Der Abstand vom Punkt des Auf-<br />

sammelns zum Entladepunkt war deutlich geschrumpft. Immer länger dauerte es, bis die<br />

Karren wieder bei den Aufsammlern waren. Kate hatte sich noch einmal ein wenig gefangen,<br />

nachdem sie die Karre nicht mehr schieben musste, aber jetzt baute sie, wie Allison, Heather<br />

und auch Abby, rapide ab. Aber letztlich war es ausgerechnet Bones, die den Kampf gegen<br />

die eigene Schwäche zuerst verlor. Sie schob nach einer längeren Pause, in der Locke die<br />

Karre ausgeleert hatte, gerade eine halb volle Karre Richtung Abladeplatz, als ihr plötzlich<br />

schwindelig wurde und sie ohne noch einen Ton von sich zu geben einfach zusammen sackte.<br />

Booth bekam den Zusammenbruch aus dem Augenwinkel mit und wollte, wie schon<br />

vor ihm Sawyer zu Kate, sofort zu Bones humpeln. Aber er kam keinen Schritt weit, dann<br />

brüllte er gequält auf. Der Schmerz, der von dem Halsband ausgehend durch seinen Körper<br />

raste, raubte ihm regelrecht die Luft. Schwer stürzte er auf die Knie, krallte die zerschundenen<br />

Hände in den steinigen Untergrund und keuchte vor Schmerzen und zitterte am ganzen Leib.<br />

Keiner der anderen traute sich, zu Bones zu eilen, nur Locke, als ihr direkter Partner, durfte<br />

sich über sie beugen. Er untersuchte sie kurz, dann rief er den Wachen besorgt zu: „Da geht<br />

nichts mehr, sie ist fertig.“ Einer der Wachposten kam zu ihm geschlendert, bückte sich und<br />

311


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

warf sich Bones über die Schulter. Unter den entsetzten Augen der <strong>Anderen</strong> wurde die junge<br />

Frau weg getragen und der Wachposten befahl: „Weiter machen.“ Sara trat zu Booth und fragt<br />

sehr leise und besorgt: „Geht es wieder?“ Booth nickte und rappelte sich mit Saras Hilfe<br />

wieder auf die Beine. Er wischte sich mit zitternden Händen mit dem Handrücken den<br />

Schweiß aus dem Gesicht, ohne überhaupt zu merken, dass er sich auf diesem Wege dafür<br />

Blut ins Gesicht schmierte. Dann arbeitete er kommentarlos weiter.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden wurden für alle Gefangenen die Hölle auf Erden. <strong>Die</strong> Wach-<br />

posten wurde abgelöst, aßen, tranken, behielten die Gefangenen ganz genau im Auge. Nach<br />

der siebten Pause, also nach über vierzehn Stunden Schufterei, waren es in relativ kurzen Ab-<br />

ständen Gil, Dana, Allison und Abby, die zusammen brachen. Dass sie überhaupt alle noch<br />

standen, war der perfekten Funktionalität des menschlichen Körpers zu verdanken. Im<br />

richtigen Moment wurden abwechselnd Katecholamine 8 , Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin,<br />

Seretonin und Endorphine 9 frei gesetzt. Auf diese Weise wurde abwechselnd der Schmerz<br />

unterdrückt und der Körper, seine Leistungsfähigkeit, vorangetrieben. Ohne diese Hormone<br />

hätte keiner von ihnen so lange durch gehalten. Als Dana, Gil, Abby und Allison nun end-<br />

gültig zusammen brachen, wurden sie genau so kommentarlos weg geschafft wie vorher<br />

Bones. Und ihnen folgten in kurzem Abstand Heather, Sara und Kate. <strong>Die</strong> Frauen waren ein-<br />

fach am Ende ihrer Kräfte angelangt. Sawyer und Jake mussten tatenlos zusehen, wie man<br />

ihre Partnerinnen weg schaffte. Dann sagte einer der Wachposten: „Ihr dürft euch neu<br />

gruppieren und dann geht es hier weiter, aber ràpidamente.“ Schwerfällig und mit vor<br />

Schmerzen zusammen gebissenen Zähnen humpelte Sawyer zu Ziva. „Du packst.“, stieß er<br />

ächzend hervor. Ziva hatte nicht mehr die Kraft, zu Widersprechen. Sie bückte sich und hob<br />

den ersten Stein auf. Jake, der direkt neben Mulder stand, nickte diesem nur kurz zu und die<br />

beiden Männer schleppten sich einige Meter weiter und fingen gemeinsam an, die Karre zu<br />

beladen. Locke humpelte zu House hinüber, der stöhnend am Boden hockte und sein Bein<br />

verzweifelt rieb. So blieben Gibbs und Booth übrig. Booth krächzte heiser: „Ich fahre, okay.“<br />

Gibbs war am Limit angekommen. Er nickte nur noch müde. Dann kniete er sich, wo er<br />

gerade stand, einfach auf den Boden und sammelte Stein um Stein in die Karre.<br />

8 Katecholamine sind eine Klasse von körpereigenen und künstlichen Stoffen, die an den sympathischen Alpha- und Beta-<br />

Rezeptoren des Herz-Kreislaufsystems eine anregende Wirkung haben. Im Speziellen fasst man unter dem Begriff Katecholamin<br />

die Hormone und Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin, sowie die Arzneistoffe Isoprenalin, Dobutamin und<br />

Dopexamin zusammen.<br />

9 Endorphin ist eine Wortkreuzung aus „endogenes Morphin“, vom Körper selbst produziertes Opioid. Im Rückenmark wird bei<br />

Erregung der Endorphinrezeptoren ein Schmerzreiz unterdrückt, wenn er über die zuführenden Nerven im Rückenmark ankommt,<br />

umgeschaltet und ins Gehirn weitergeleitet werden soll.<br />

312


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nach einer weiteren Pause, nach der Ziva und House es nicht mehr schafften, sich auf-<br />

zurappeln, und weg geschleppt wurden, war es Gibbs, unmittelbar gefolgt von Locke, die<br />

schließlich einfach umkippten, ihrem etwas fortgeschrittenerem Alter gegenüber den zum Teil<br />

fünfzehn bis zwanzig Jahre jüngeren Männern Tribut zollen mussten. <strong>Die</strong> verbliebenen<br />

Männer beluden die Karren gemeinsam und schoben sie abwechselnd weg. Auf dem Rück-<br />

weg von einer Leerung stolperte Mulder schließlich vollkommen am Ende über einen<br />

größeren Stein und blieb reglos liegen. Kurz danach brachen erst Sawyer, dann Jake endgültig<br />

zusammen und Booth durfte nun gnädig aufhören. Er wollte auf eigenen Beinen den Acker<br />

verlassen, aber dieser Wunsch ging für ihn nicht in Erfüllung. Nach einigen Metern merkte er<br />

plötzlich, wie sein Kopf merkwürdig taub wurde. Jeder Schritt auf den blutenden Füßen jagte<br />

unerträgliche Schmerzwellen durch seinen Körper. Er wollte etwas sagen, aber das schaffte er<br />

nicht mehr. Wie vom Blitz getroffen, sackte er in sich zusammen und wusste nichts mehr.<br />

Schmerzgrenzen<br />

Nichts in der Welt versteht sich so gut wie zwei Träger gleicher Schmerzen.<br />

Honorè de Balzac<br />

Abby spürte brennende, alles durchdringende Schmerzen und wollte, dass das auf-<br />

hörte. Sie war nie wehleidig gewesen, aber das jemand ihre Hände und Füße in Säure oder<br />

eine Flamme zu halten schien, war einfach zu viel. Und sie schien nicht die Einzige zu sein,<br />

die man so behandelte. Irgendwo in ihrem noch ziemlich umnebelten Wahrnehmungs-<br />

vermögen hörte sie Stöhnen, keuchendes Atmen und ab und zu jemanden leise aufwimmern.<br />

Sie spürte, dass sie ziemlich bequem lag. Das letzte, an das die junge Frau sich erinnerte, war<br />

... Schubkarren, Steine, Schmerzen ... dann nichts mehr. <strong>Die</strong> Schmerzen waren geblieben.<br />

Wieder hörte sie irgendwo neben sich jemanden qualvoll aufstöhnen. Abby versuchte, die<br />

Augen zu öffnen. Warum ließ man sie nicht endlich in Ruhe? Ziva ... Der Gedanke an die<br />

Kollegin zuckte durch Abbys Hirn. Und dann jagte der Gedanke an die Drohung, einen von<br />

ihnen zu töten, durch Abbys Kopf. - Großer Gott. Leben noch alle? - Jetzt riss die junge Frau<br />

die Augen auf. Wieder zuckte ein heftiger, brennender Schmerz durch ihre linke Fußsohle und<br />

sie wollte den Fuß instinktiv aus dem Schmerzbereich entfernen. Und merkte schlagartig, dass<br />

das nicht funktionierte. Weder die Hände noch die Füße konnte sie weg ziehen, einfach, weil<br />

313


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

diese an dem Bett, auf dem Abby lag, fixiert worden waren. Erschrocken fand die NCIS<br />

Laborantin in die Realität zurück. Sie hob stöhnend den Kopf und sah sich um. Sie stellte fest,<br />

dass sie, wieder einmal, nackt war, allerdings lag ein großes Badehandtuch über ihrem Körper<br />

und verdeckte die Blößen. Sauber. Sie war sauber, das war das Nächste, was sie bewusst<br />

wahrnahm. Irgendwie hatte man sie gereinigt. Und jetzt merkte sie auch, dass niemand ihre<br />

Füße und Hände in Säure oder Feuer hielt, sondern sie wurden schlicht behandelt.<br />

Rücksichtslos, gründlich und äußerst schmerzhaft. Wo waren Dopamin, Seretonin, Nor-<br />

adrenalin und Endorphin, wenn man sie brauchte? Abby wünschte, ihre körpereigenen<br />

Schmerzabwehrhormone würden sich noch einmal vermehrt zu Wort melden.<br />

Erneut keuchte die junge Frau auf, als ein weiß gekleideter Mann sich an ihrer linken<br />

Hand zu schaffen machte. So, wie es sich anfühlte, hatte er wohl beschlossen, das bisschen<br />

noch heiler Haut wäre überflüssig und könnte abgezogen werden. Wimmernd versuchte Abby<br />

erneut, die Hand aus dem Gefahrenbereich zu ziehen, aber wie schon der erste Versuch,<br />

scheiterte auch dieser Zweite. Es nützte nichts, sie war wirklich an das Bett fixiert. Sie hob<br />

erneut langsam den schmerzenden Kopf und sah sich um. Neben ihr lagen ihre Mit-<br />

gefangenen, sieben links und rechts von ihr, die anderen acht in einer Reihe ihr gegenüber.<br />

Dem Himmel sei Dank, alle waren da. Hektisch suchte sie nach Gibbs und Ziva und erblickte<br />

zu ihrer großen Erleichterung beide, Gibbs auf einer Liege weiter links von ihr, Ziva ihr<br />

gegenüber. Beide waren scheinbar schon fertig, denn ihre Hände und Füße waren bandagiert<br />

und beide schienen tief und fest zu schlafen, so hoffte Abby jedenfalls. Wenn die Behandlung<br />

nicht so wehgetan hätte, wäre Abby ebenfalls schon in einen tiefen, Koma ähnlichen Schlaf<br />

gesunken, da war sie sich sicher. Sie sah sich weiter um. Direkt neben sich, an ihrer rechten<br />

Seite, erkannte sie Sawyer. Der junge Mann schien eben zu sich zu kommen. Seine Augen-<br />

lider flatterten und er stöhnte leise auf. Ein weiterer, weiß gekleideter Mann machte sich an<br />

seinen Händen zu schaffen und Sawyer quittierte die zärtliche Behandlung mit einem er-<br />

schrockenen, schmerzvollen Aufkeuchen. Da ihr eigener Arzt noch nicht zufrieden mit seinen<br />

Resultaten zu sein schien, wusste Abby, was Sawyer gerade durchmachen musste. Und da er,<br />

anders als sie selbst, während der ganzen Tortur die Karre geschoben hatte, musste Abby kein<br />

Hellseher sein, um sich vorstellen zu können, wie Sawyers Füße aussehen mussten. Er tat ihr,<br />

genau wie die <strong>Anderen</strong>, die die ganze Zeit die Karren geschoben hatten, unendlich leid.<br />

Endlich schien der Folterknecht, der an ihr arbeitete, mit seinen Ergebnissen zufrieden zu<br />

sein. Irgendeine kühlende Salbe wurde als letzter Akt auf ihre Hände und Füße gestrichen,<br />

dann wurden diese fest bandagiert. Ohne noch einen Gedanken an ihre schmerzenden Körper-<br />

regionen oder irgendetwas anderes zu verschwenden, fielen der jungen Frau die Augen zu und<br />

Sekunden später schlief sie und spürte nichts mehr.<br />

314


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Soviel Glück hatte Sawyer neben ihr noch nicht. Kaum war er genügend bei sich,<br />

zuckte sein Kopf erst einmal in die Höhe und er sah sich um. Rechts und links von sich sah er<br />

Betten, auf denen seine Leidensgenossen festgeschnallt lagen. Blitzschnell zählte er.<br />

Sechzehn dieser Betten. Alle waren da. Unendlich erleichtert atmete er auf und ließ den Kopf<br />

auf das Kissen zurück sinken. Nachdem er richtig zu sich gekommen war, hätte er schreien<br />

mögen, so brannten seine Füße und Handflächen. Es fühlte sich an, als hätte jemand Salzsäure<br />

auf ihnen verteilt. Fast schon froh, durch die Fixierung daran gehindert zu werden, sich seine<br />

Hände und Füße richtig anzusehen, konnte der Südstaatler nichts anderes tun, als die Be-<br />

handlung, die man ihm zukommen ließ, mit schmerzhaft zusammen gebissenen Zähnen zu<br />

ertragen. Immer wieder, besonders an den Füßen, keuchte und wimmerte er vor Schmerzen<br />

auf, so sehr er auch versuchte, jeden Laut zu unterdrücken. Schweiß und Tränen liefen ihm<br />

über das blasse Gesicht und in der verzweifelten Hoffnung, sich abzulenken, hob er den Kopf<br />

und suchte nach Kate. Sie lag auf einer Liege ihm gegenüber und an ihren Händen und Füßen<br />

leuchteten bereits weiße Verbände. Und sie schien zu schlafen.<br />

Erleichtert ließ Sawyer den Kopf erneut zurück sinken. Wieder zuckte ein quälender<br />

Schmerz durch seinen linken Fuß und ließ ihn aufstöhnen. Er wandte den Kopf nach links und<br />

sah dort Booth liegen. Bei diesem fing einer der Ärzte gerade mit der schmerzhaften Be-<br />

handlung an. Er war der letzte in der Reihe. Sawyer kniff stöhnend die Augen zu, als ein<br />

heftiger Schmerz durch seine rechte Hand zuckte und wünschte sich, wieder die Besinnung zu<br />

verlieren. Er schüttelte in Gedanken den Kopf. Irgendwo in seinem Schmerz umnebelten Ge-<br />

hirn dämmerte ihm, dass er tatsächlich auf dem verdammten Acker zusammen gebrochen<br />

war. Er konnte es nicht fassen. Umgekippt. Einfach vor Schmerzen und Erschöpfung zu-<br />

sammen gebrochen. Wie lange hatten sie da draußen geschuftet? Er konnte sich mit einiger<br />

Anstrengung an mindestens neu Pausen erinnern. <strong>Die</strong> Zahl hatte sich in seinem Hirn fest-<br />

gesetzt. Also wenigstens achtzehn Stunden. Aber nach der neunten Pause war es weiter ge-<br />

gangen, da war Sawyer sich sicher. Zwar war alles, was danach noch kam, in Nebel gehüllt,<br />

aber nichts desto trotz war er sicher, dass er nach der Pause weiter gemacht hatte. Angesichts<br />

der Schmerzen in seinen Händen und Füßen fragte er sich, wie er es überhaupt geschafft hatte,<br />

weiter zu Arbeiten. Von körpereigenen Opioiden, den so genannte Endorphinen, die an<br />

Schmerzrezeptoren im Rückenmark anbanden und Schmerzen so nach und nach aus-<br />

schalteten, hatte er nur vage gehört. Ohne diese Endorphine und viel zusätzlich vom Körper<br />

ausgeschüttetes Adrenalin hätte keiner der Gefangenen die endlosen, quälenden Stunden auf<br />

dem Acker so lange durch gehalten.<br />

Neben sich hörte er Booth gequält aufstöhnen. <strong>Die</strong>ser kam eben auch zu sich. Auf dem<br />

Rückweg hatte es den jungen FBI Agenten letztlich doch noch umgehauen. Ob es eher ein<br />

315


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ohnmachtsähnlicher Schlaf oder eine richtige Besinnungslosigkeit gewesen war, hätte er nicht<br />

sagen können. Jedenfalls wurde er jetzt sehr unsanft in die Realität zurück gerissen. Jemand<br />

machte sich an seinen aufgefetzten Füßen zu schaffen. An diesen war Booth, was Fremd-<br />

berührungen betraf, seit der Folter im Gefängnis von Suva Reka im Kosovo sehr empfindlich.<br />

Entsetzt keuchte er auf, als er Hände spürte, die sich an seinen Füßen zu schaffen machten,<br />

und wollte diese erschrocken zurückziehen. Als er merkte, dass das nicht ging, drohte ihn<br />

kurz Panik zu überwinden. „Nein. Lasst <strong>mich</strong> in Frieden!“, keuchte er entsetzt. <strong>Die</strong> Er-<br />

innerung an die grausame Folter und die anschließende, sehr schmerzhafte Heilbehandlung<br />

ließ ihn zittern. Er wand sich in den Fesseln und versuchte, los zu kommen. Vergeblich. Ein<br />

Bett weiter fluchte Sawyer gerade verzweifelt auf: „Ah. Verdammt. Geht es etwas vor-<br />

sichtiger?“ Er konnte sich einfach nicht mehr zusammen reißen. Booth zwang sich mit aller<br />

Kraft, die Panik zu unterdrücken. Er atmete flach und hektisch und zitterte am ganzen Körper.<br />

Er schloss die Augen und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, tief und gleichmäßig zu<br />

Atmen. Nach einigen Minuten gelang ihm dies endlich. <strong>Die</strong> Schmerzen waren deshalb nicht<br />

weniger schlimm, aber die Panik verschwand nach und nach.<br />

Nebenan wurde bei Sawyer kühlende und gleichzeitig schmerzlindernde Salbe auf<br />

Hand und Fußflächen aufgetragen und Verbände angelegt. Das Brennen in den auf-<br />

gescheuerten Bereichen milderte sich nach Auftragen der Salbe auf ein halbwegs erträgliches<br />

Maß. Sawyers Augen brannten, vor Müdigkeit, Schweiß, der ihm hinein gelaufen war und<br />

Tränen. Liebend gerne hätte er sich mit den Händen die Augen gewischt. Doch das ging nicht.<br />

Kaum ließ der Arzt von ihm ab, fielen dem jungen Mann die brennenden Augen auch schon<br />

zu und Sekunden später schlief er wie ein Toter. Soweit war Booth noch lange nicht.<br />

Nachdem er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, kam auch ihm die Erinnerung an<br />

die Drohung ihrer Entführer, einen von ihnen dem Halsband zum Opfer fallen zu lassen,<br />

wieder dramatisch in den Sinn. Bones. Wo war sie? Lebte sie noch? Lebten noch alle? Booth<br />

fuhr hoch, soweit es die Fesselung zu ließ und sah sich hektisch um. Außer ihm selbst war nur<br />

noch in der gegenüber liegenden Reihe Locke und Allison wach, ganz am anderen Ende<br />

seiner Reihe keuchte Mulder vor Schmerzen, als er die gleiche Behandlung erfuhr wie Booth<br />

gerade. Booth überflog blitzschnell alle Betten und entdeckte zu seiner unendlichen Er-<br />

leichterung Bones auf einem Bett links von ihm, vier Betten weiter. Sie war schon verarztet<br />

und schlief, ebenso wie die anderen, schon versorgten Gefangenen, tief und fest. Booth zuckte<br />

zusammen, als eine besonders schmerzhafte Stelle an seiner Hand verarztet wurde. Gequält<br />

stöhnte er auf. Verflucht. Hoffentlich war der Typ bald fertig. Als er glaubte, es nicht mehr<br />

länger auszuhalten, ohne vor Schmerzen aufzuschreien, war der Arzt, oder Schlachter, was<br />

immer er war, an seinen Händen fertig und widmete sich wieder ganz ausgiebig Seeleys<br />

Füßen. Erneut musste der FBI Mann die Panik, die ihn zu überwältigen drohte, mit aller<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Macht zurück drängen. Hatte er gedacht, seine Hände würden schon unerträglich wehtun,<br />

wurde er jetzt eines Besseren belehrt. Als wäre die bisherige Behandlung zartes Streicheln<br />

gewesen, schlug der Schmerz an den Füßen erst richtig zu.<br />

Anscheinend wurden die Wunden gerade ausgebrannt, so fühlte es sich jedenfalls an.<br />

Booth hob leise wimmernd den Kopf und sah an sich herunter zu dem Arzt, der ihn quälte.<br />

<strong>Die</strong>ser hatte eine Flasche und Mull in der Hand und tat nichts anderes, als die offenen<br />

Wunden an Booth Füßen zu reinigen. Schmerzwellen jagten durch dessen Körper und ließen<br />

ihn immer wieder aufstöhnen. So sehr er auch versuchte, sich zu beherrschen, es gelang ihm<br />

nicht, ein unkontrolliertes Zittern zu unterdrücken. Der junge Mann hatte das Gefühl, die<br />

Tortur dauere schon Stunden, als der Arzt endlich zufrieden zu sein schien und die Flasche<br />

aus der Hand stellte. Stattdessen griff er sich einen Salbentiegel und begann nun, Salbe auf<br />

die Wunden zu streichen. Unendlich erleichtert stellte Booth fest, dass der Schmerz tatsäch-<br />

lich ein wenig abklang. Seine Zähne klapperten vor Erschöpfung aufeinander und er fror, als<br />

läge er in einem Kühlschrank. So miserabel wie im Augenblick hatte er sich noch nie gefühlt.<br />

Booth spürte, wie an den Füßen feste Verbände angelegt wurden. Dann arbeitet der Doktor an<br />

seinen Händen weiter und endlich war auch für Seeley alles vorbei. Das peinigende Brennen<br />

in Händen und Füßen war auf ein erträgliches Maß an Pochen zurückgegangen. Booth wollte<br />

nur noch schlafen, aber so erbärmlich wie er fror, gelang es ihm nicht, einzuschlafen. Zitternd<br />

und zähneklappernd lag er da. Er war so unendlich müde. Und dann schrak er zusammen, als<br />

ein Wachposten vorbei kam und ihm das Handtuch, dass die ganze Zeit quer über seinem<br />

Unterleib gelegen hatte, weg zog und ihn stattdessen mit einer warmen Decke zudeckte. Alle<br />

anderen Gefangenen bekamen ebenfalls diese Decken an Stelle des Handtuchs übergelegt.<br />

Dann verließ der Wachposten den Raum und löschte im Hinaus gehen das Licht. Es dauerte<br />

nur noch Minuten, dann wurde Booth langsam wärmer und ehe er sich versah schlief er auch<br />

schon tief und fest ein.<br />

*****<br />

Dana wachte davon auf, dass sie Stimmen hörte. Es war recht hell, anscheinend<br />

brannte die Beleuchtung. Sie hatte das Gefühl, drei Tage am Stück geschlafen zu haben.<br />

Mühsam öffnete sie die Augen. Sie wollte sich mit der Hand über das Gesicht streichen,<br />

merkte jedoch, dass das nicht ging, weil ihre Hände ganz offensichtlich immer noch an das<br />

Bett fixiert waren. Es dauerte einige Momente, bis die rothaarige Frau wach genug war, um<br />

zu erfassen, was um sie herum los war. Arme und Beine waren, wie schon bemerkt, noch an<br />

dem Bett fixiert. Eine warme, kuschelige Decke war über ihren Körper gebreitet. Sie hob vor-<br />

sichtig den Kopf und sah an sich herunter. Ihre Hände ragten links und rechts unter der Decke<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

heraus. Im Verband ihrer linken Hand erkannte sie eine Venenverweilkanüle, zu der ein<br />

Schlauch von einem Tropfgestell zu ihrer Linken führte. - Parenterale Ernährung 10 . - dachte<br />

Dana. Sie fühlte sich besser, ausgeruht. Das Brennen und Pochen in ihren Händen hielt sich in<br />

durchaus erträglichen Grenzen. Ihre Füße hatten nicht annähernd so viel ab bekommen, da<br />

Mulder sie nicht ein einziges Mal die Karre hatte wegfahren lassen. Mulder. Dana schoss<br />

hoch und sah sich um. Dort hinten, rechts am Ende der Reihe, lag er zugedeckt auf seinem<br />

Bett und schlief ganz offensichtlich noch. Neben ihr lag auf der einen Seite Abby, auf der<br />

anderen Seite Bones. Beide waren wach und unterhielten sich mit einigen anderen der Ge-<br />

fangenen, die ebenfalls wach waren. Gerade sagte House mit erschreckend zahm klingender<br />

Stimme: „Unglaublich, dass man solche Torturen so lange durch halten kann, wenn unter<br />

Umständen das Leben davon abhängt. Hätte mir jemand gesagt, dass ich so lange durchhalte,<br />

ich hätte demjenigen einen Vogel gezeigt.“ Er verstummte kurz und fuhr dann fort: „<strong>Die</strong>smal<br />

haben sie die Schmerzgrenzen wohl überschritten. Ich bin gespannt, was sie sich als Nächstes<br />

einfallen lassen.“ Müde schloss er die Augen. Er hatte das Gefühl, noch nicht annähernd<br />

genug geschlafen zu haben, um das, was hinter ihm lag, zu verarbeiten. Bones sagte leise:<br />

„<strong>Die</strong> steigern sich in ihren Methoden immer mehr dahin gehend, dass sie an unsere Grenzen<br />

gehen und stückchenweise darüber hinaus. Irgendwann kommt dann der Tag, an dem sie tat-<br />

sächlich zu weit gehen, was?“<br />

Dana war wach genug, sich an der ruhigen Unterhaltung zu beteiligen. „Hallo, zu-<br />

sammen, wie geht es euch allen? Jemand eine Vorstellung, wie lange wir schon hier liegen?“<br />

Abby sah zu Dana hinüber. „Hallo. Ich bin auch gerade erst vor ein paar Minuten wach ge-<br />

worden. Keine Ahnung, wie lange wir hier liegen. Kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Und<br />

dass wir alle am Tropf hängen deutet wohl darauf hin, dass es länger als ein paar Stunden<br />

sind.“ „Ja, das könnte man vermuten, sonst hätten die keinen Grund, uns intravenös zu ver-<br />

sorgen.“, warf House ein. Bones nickte. „Ich bin wach geworden, ganz kurz, als sie mir die<br />

Kanüle gesetzt haben. Es kommt mir vor, als wäre es Tage her.“ Sie hob den Kopf und<br />

schaute sehnsuchtsvoll zu Booth‟ Liege hinüber, aber der Freund und Partner rührte sich<br />

nicht. Sie wollte noch etwas sagen, aber in diesem Moment ging die Tür zu dem großen<br />

Schlafsaal, in dem sie sich befanden, auf und mehrere Ärzte betraten den Raum. Als erstes<br />

kontrollierten sie bei den Gefangenen die Beutel mit der Elektrolytelösung. Bei einigen<br />

wurden neue Beutel angehängt. Allerdings wurden erst einmal alle Vorrichtungen abgedreht<br />

und die Schläuche aus den Kanülen gezogen. Dann wurden bei allen die Verbände ge-<br />

wechselt. Jake, Sawyer, Booth und Mulder wachten nicht einmal dabei auf. Das Wechseln<br />

10 Parenteralen Ernährung ist eine Form der künstlichen Ernährung, bei der der Magen-Darm-Trakt umgangen wird. <strong>Die</strong> Er-<br />

nährung erfolgt dabei in der Regel über Speziallösungen, die intravenös verabreicht werden.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aller Verbände nahm einige Zeit in Anspruch. Dana war angenehm überrascht, dass die<br />

Schmerzen an ihren Händen sich in Grenzen hielten. Neue Salbe wurde aufgetragen, dann<br />

erneut Verbände angelegt. Als das geschehen war, verließen die Ärzte den Raum und statt<br />

ihrer kamen zwei Männer und zwei Frauen in grünen Einmal-Kitteln in den Raum. Sie traten<br />

an die ersten vier Liegen und zogen den Gefangenen die Decken vom Körper. Dann lösten sie<br />

die Fesseln und drehten die noch immer schlafenden Jake, Mulder, Booth und Sawyer vor-<br />

sichtig, geradezu erstaunlich vorsichtig, auf den Bauch, während Abby und Dana den Befehl<br />

bekamen, sich herum zu drehen. Langsam machte selbst den schamhafteren Frauen das<br />

ständige Nacktsein nicht mehr so viel aus. Der Mensch war eben doch ein Gewohnheitstier.<br />

Ohne zu Zögern versuchte Abby, sich schwungvoll herum zu drehen und im nächsten<br />

Moment schossen ihr Tränen in die Augen. Jemand bohrte ihr Nadeln mit glühenden Spitzen<br />

in jeden einzelnen Muskel. Sie keuchte auf vor Schmerzen. „Oh, Gott ...aua.“, jammerte sie<br />

gepeinigt. Ganz langsam und vorsichtig rollte sie sich weiter, bis sie auf dem Bauch lag. Ihre<br />

Hände und Füße wurden in dieser Haltung wieder an der Liege fixiert und nun spürte sie, wie<br />

ihr einen warme, leicht ölige Flüssigkeit auf den ganzen Rücken geträufelt wurde. Und dann<br />

wurde ihr eine so wundervolle Massage zuteil, wie sie sie noch nie bekommen hatte. Erst<br />

spürte sie nur Schmerzen, egal, wo der junge Mann, der sie behandelte, auch zu packte: An<br />

den Armen, den Schultern, dem Nacken, dem Rücken, den Oberschenkeln, den Waden.<br />

Langsam aber, ganz allmählich, spürte sie eine gewisse Erleichterung. <strong>Die</strong> ging schließlich so<br />

weit, dass sie selbst die Berührungen an den Oberschenkeln als unendlich entspannend und<br />

angenehm empfand. Mulder, Jake, Booth und Sawyer waren sehr vorsichtig auf den Bauch<br />

gedreht worden. Auch sie wurden wieder fixiert, dann erfuhren sie die gleiche Behandlung.<br />

Kaum zu glauben, aber sie wachten nicht einmal dabei auf. Zwar murmelte Sawyer im Schlaf<br />

irgendwas und Booth machte den schwachen Versuch, sich zu wehren, aber wirklich er-<br />

wachen taten sie alle nicht. Dana hatte ebenfalls Schwierigkeiten sich herum zu drehen und<br />

war froh, als sie es geschafft hatte. Doch sie musste zugeben, dass die Massage unheimlich<br />

gut tat. Fast war sie enttäuscht, als die junge Frau, die sich um sie gekümmert hatte, schließ-<br />

lich aufhörte. Sie bekam ein Handtuch über den Rücken gelegt, die Decke und die Masseure<br />

wendeten sich den nächsten vier Gefangenen zu.<br />

Bis alle durch geknetet waren, verging einige Zeit. Auch Gibbs wachte während der<br />

Massage nicht wirklich auf. Zwar seufzte er ab und zu leise, kam aber nicht ganz zu sich. Als<br />

alle fertig waren, wurden die Tropfgestelle an die andere Seite der Betten verholt, wieder an<br />

die Kanülen angeschlossen, aufgedreht und das Licht im Saal wurde gelöscht. Nun lagen die<br />

Gefesselten auf dem Bauch, was einen angenehmen Gegensatz zum strammen auf dem<br />

Rücken liegen bot. Nur House hatte inständig gebeten, nicht auf dem Bauch liegen bleiben zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

müssen, da die Haltung für sein krankes Bein tödlich war. Er hatte sich also wieder auf den<br />

Rücken drehen dürfen. Dana sah immer wieder zu Mulder hinüber, der gar keine Anstalten<br />

machte, aufzuwachen. Sie war mit ihren Gedanken immer häufiger bei ihrem Sohn. Wenn sie<br />

doch nur wüsste, wie es dem Kleinen ging. Sie hatte zwar mehr als genug mit sich selbst zu<br />

tun, um hier zu überleben, aber der Gedanke an ihr Kind belastete die Agentin immer stärker.<br />

Kate und Heather begannen langsam, sich Sorgen zu machen, ob mit Sawyer und Jake alles in<br />

Ordnung war. Kate sprach Abby darauf an: „Sag mal, hast du das Gefühl, mit Sawyer ist alles<br />

in Ordnung?“, fragte sie zaghaft und besorgt. Abby drehte den Kopf in Sawyers Richtung. „Er<br />

hat Farbe, atmet ruhig und gleichmäßig, und er hat ja vorhin Reaktion gezeigt. Mach dir keine<br />

Sorgen, Kate, es geht ihm den Umständen entsprechend gut, die sind nur alle vollkommen<br />

fertig. Sie werden versorgt, und wer weiß, je länger sie Schlafen, desto besser können ihre<br />

Verletzungen schon mal verheilen, was für die Jungs sicher besser ist als die Schmerzen im<br />

Wachen ertragen zu müssen.“ Sie dachte daran, wie heftig Booth und Sawyer gelitten hatten,<br />

als die Füße und Hände der beiden versorgt worden waren.<br />

Als wären diese Gedanken eine Art Weckruf gewesen, hörte sie in diesem Moment<br />

drei Liegen weiter Gibbs aufstöhnen. „Wo ... wo sind wir hier? Was ist ... Abby? Ziva? Seid<br />

ihr ...“ Ziva war schon wieder eingeschlafen, sie bekam nicht mit, dass ihr Boss erwachte.<br />

Abby aber stieß aufgeregt hervor: „Gibbs. Endlich. Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr<br />

aufwachen. Wie fühlst du dich? Ziva und mir geht es gut soweit.“ „Das weiß ich noch nicht.“,<br />

kam es leicht genervt von Gibbs zurück. „Was weißt du noch ...“ „Wie ich <strong>mich</strong> fühle, Abbs.<br />

Wo sind wir hier?“ Abby seufzte. „Woher soll ich das wissen? <strong>Die</strong> haben mir auch nicht die<br />

Baupläne gezeigt. In einem großen Krankenzimmer, mehr weiß ich doch auch nicht.“ Gibbs<br />

konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Abby war von jeher die Einzige gewesen, die nie<br />

um eine freche Antwort ihm gegenüber verlegen war. Er bewegte vorsichtig Hände und Füße<br />

und stöhnte sofort gequält auf. Keine so gute Idee. Abgesehen davon, dass die Hände an sich<br />

schon schmerzten, jeder Muskel und jede Sehne schrie bei den vorsichtigen Bewegungen<br />

empört auf, brannten und pochten die Wunden sofort heftig los und trieben dem abgebrühten<br />

Navy Sergeant augenblicklich Tränen in die Augen. „Oh, verdammt.“, entfuhr es ihn gepresst.<br />

„Was ist, Gibbs? Was ist los?“ Abby fuhr alarmiert hoch. „Nichts, Abbs, gar nichts. Ich habe<br />

nur festgestellt, dass ich noch nicht wieder Golf spielen könnte. Wie lange haben wir hier<br />

eigentlich schon geschlafen?“ Bones, die ja unmittelbar neben Gibbs lag, meinte jetzt:<br />

„Ziemlich lange. Und dass Jake, Booth, Mulder und Sawyer immer noch schlafen und du<br />

selbst bis eben noch geschlafen hast, legt die Vermutung nahe, dass wir wohl sediert wurden.<br />

Nur so ist es zu erklären, dass die immer noch nicht wach sind.“ Dass sie langsam anfing, sich<br />

ernsthafte Sorgen zu machen, verschwieg Bones wohlweislich noch. House hatte still zu-<br />

gehört. Jetzt sagte er, schon wieder etwas mehr in seiner üblichen Stimmlage: „Bei einigen<br />

320


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

haben sie dann offensichtlich zu wenig Sedativ genommen. Vielleicht könnt ihr euch trotz-<br />

dem mal entscheiden, wieder die Klappe zu halten? Einige von uns, um es mit den Worten der<br />

großen Garbo auszudrücken, wollen alleine sein. Und wenn das schon aus gewissen Um-<br />

ständen nicht möglich ist, wollen sie wenigstens ihre Ruhe.“<br />

External World 3: Princeton Plainsboro<br />

In dubious pro roe<br />

<strong>Die</strong> Erfahrung hat keinerlei ethischen Wert. Sie ist nur ein Name, den die<br />

Menschen ihren Irrtümern verleihen.<br />

Oscar Wilde<br />

00.50 Uhr, Washington DC, NCIS, Jennys Büro<br />

Jenny sah auf die Uhr und ärgerte sich, dass die Liste so lange auf sich warten ließ. Es<br />

war fast 1,5 Stunden her, dass sie den Anruf von der CIA bekommen hatte. Erst jetzt fiel<br />

Jenny ein, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Im Foyer das NCIS Ge-<br />

bäudes gab es einen Snack-Automaten, aber Jenny wollte ihr Büro nicht verlassen. Alle paar<br />

Minuten checkte sie ihr Postfach, aber die Liste war immer noch nicht da. Auch telefonisch<br />

hatte sich niemand gemeldet. Was trieben diese Leute so lange? Jenny war kurz davor, bei der<br />

Qantas anzurufen und nachzufragen, als ein Signalton ankündigte, dass sie eine E-Mai er-<br />

halten hatte. Eilig öffnete sie die Mail und überflog die Liste. „Verdammt.“, rief sie, als sie<br />

die Namen ihrer Kollegen nicht fand. - Was hast du eigentlich erwartet? - fragte sie sich in<br />

Gedanken. Sie war von einer Entführung ausgegangen, die den Agenten an Bord gegolten<br />

hatte. Sie konnte nicht ernsthaft geglaubt haben, dass man sie unversehrt zurück gelassen<br />

hatte. Geglaubt nicht, aber gegen jede Vernunft gehofft. Das war irrational, aber wenn es um<br />

Gibbs ging, war sie noch nie rational gewesen. Frustriert sah Jenny sich die Liste genauer an.<br />

Wie erwartet, fehlten auch die FBI Agenten und die CSI Ermittler. Jenny griff zum Telefon.<br />

Erstens hatte sie versprochen, Tony und McGee zu informieren und zweitens ging sie nicht<br />

davon aus, dass die Beiden unter diesen Umständen in der Lage sein würden zu schlafen.<br />

FBI Gebäude, Skinners Büro<br />

321


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Skinner hatte versucht, die Nacht zu nutzen, um einige Berichte zu lesen, konnte sich<br />

aber nicht wirklich konzentrieren. Sonst musste er nur die X Akten dreimal lesen, um be-<br />

greifen zu können, was er darin las, aber diesmal ging es ihm auch bei simplen<br />

Observierungsprotokollen so. Es war etwas einfacher geworden, nachdem Scully das Ver-<br />

fassen der Berichte übernommen hatte, da sie wenigstens versuchte, die unerklärlichen<br />

Phänomene einem Leser nahe zu bringen, der genauso skeptisch war wie sie. Schließlich gab<br />

Skinner den Versuch auf, Berichte zu lesen und las sich stattdessen die Mails durch, die sich<br />

im Laufe des Nachmittags angesammelt hatten. <strong>Die</strong> meisten waren Anfragen verschiedener<br />

Nachrichtensender und Zeitungen, die Fragen stellten, auf die er größtenteils keine Antworten<br />

hatte. Zu jeder formulierte er Antworten, die mit ein paar mehr Worten „kein Kommentar„<br />

sagten. Er war beinahe fertig, als eine neue Mail in seinem Postfach einging. Skinner öffnete<br />

sie und überflog die Liste, fand aber keinen der drei Namen, die er suchte. Auch Doktor<br />

Brennan und die NCIS Agenten, sowie die CSI Ermittler fehlten. Auch wenn es keine <strong>Über</strong>-<br />

raschung war, erschütterte die Gewissheit, dass seine Leute entführt worden waren ihn doch.<br />

Und auch wenn er Reyes und Doggett nicht so gut kannte wie Mulder und Scully, wusste er,<br />

dass es ihnen genauso gehen würde.<br />

Tonys Apartment<br />

Tony hatte gerade die erste Folge von Magnum zu Ende geguckt, als sein Telefon<br />

klingelte. Sofort schaltete er den Fernseher aus und nahm den Hörer ab. „Direktor? Stehen sie<br />

auf der Liste?“, fragte er unumwunden. „Nein, Tony, das tun sie nicht. Genauso wenig wie<br />

die FBI Agenten und die Ermittler des CSI.“ Einen Moment lang sagte Tony gar nichts. Es<br />

überraschte ihn, dass die Gewissheit ihn wie ein Schlag traf. Er hatte doch im Grunde nichts<br />

anderes erwartet, er hatte sich mental auf die Nachricht vorbereitet. Trotzdem hatte ein Teil<br />

von ihm gehofft zu hören, dass er Ziva übermorgen in LA sehen würde. Ziva, Gibbs und<br />

Abby, sagte er sich selbst. - Gibbs, Abby und Ziva. - korrigierte er sich noch einmal. Er kannte<br />

Gibbs und Abby viel länger, sein erster Gedanke sollte nicht Ziva sein. „Tony?“, fragte Jenny.<br />

„Ja. Ich bin noch da, Direktor. Wir haben nicht wirklich etwas anderes erwartet, oder?“, fragte<br />

er und versuchte dabei nicht allzu resigniert zu klingen. „Nein, nicht wirklich. Ich werde<br />

Agent McGee anrufen und danach nach Hause fahren. Im Moment können wir nichts weiter<br />

tun. Alles Weitere besprechen wir dann morgen früh.“<br />

McGees Apartment<br />

McGee hatte das Telefon neben sich auf den Schreibtisch gelegt und nahm beim ersten<br />

Klingeln ab. „McGee.“, meldete er sich. „Sie sind nicht dabei, McGee. Keiner von ihnen.<br />

322


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Genauso wenig wie die Agents vom FBI und die CSI Ermittler.“ „Es ist völlig irrational, aber<br />

ich hatte wirklich gehofft, etwas anderes zu hören.“ Vor allem hatte er gehofft, dass Abby<br />

dabei wäre. Er hatte erwartet, dass man die Agenten entführt hatte, aber Abby war im Grunde<br />

genommen keine Agentin. Sie arbeitete den ganzen Tag im Labor. Im Gegensatz zu Gibbs<br />

und Ziva hatte sie nicht gelernt, mit Extremsituationen umzugehen. Zum ersten Mal in seinem<br />

Leben hoffte McGee, dass Tony Recht hatte und Ziva und Gibbs eine Möglichkeit finden<br />

würden, auf Abby aufzupassen. Im selben Moment schämte er sich für den Gedanken. Gibbs<br />

und Ziva waren seine Kollegen und beide hatten ihn immer mit Respekt behandelt. Und ihm<br />

war nur zu klar, dass der Versuch, Abby zu schützen, die Beiden das Leben kosten könnte.<br />

„Ja, das hatte ich auch. Wir werden sie finden, Timothy. Sobald die Passagiere und die<br />

Maschine zurück in den USA sind, haben wir etwas, mit dem wir arbeiten können. Bis dahin<br />

sollten wir beide versuchen etwas zu schlafen. Wir sehen uns morgen.“<br />

Monica Reyes Apartment<br />

Monica war gerade mit der numerologischen Berechnung für ihre zehn Verdächtigen<br />

fertig geworden, als ihr Telefon klingelte. „Reyes?“ „Mulder und Scully stehen nicht auf der<br />

Liste. Booth und Doktor Brennan werden auch vermisst, genauso wie die Ermittler des NCIS<br />

und des CSI.“ „Das hatte ich befürchtet. Niemand entführt eine Maschine voller Agenten und<br />

lässt die Agents dann zurück. Wenigstens können wir davon ausgehen, dass unsere Leute<br />

noch am Leben sind. Man hat keine Leichen gefunden und die Passagiere wurden nur betäubt.<br />

Wer auch immer Dana und Mulder hat, ist nicht darauf aus, zu töten. Untersucht jemand den<br />

Ort, an dem die Maschine gefunden wurde?“ „Das werden die örtlichen Behörden tun. Aber<br />

vor morgen früh erfahren wir sicher nichts Neues.“ „Nein, wohl kaum. Direktor? Könnten Sie<br />

mir die vollständige Liste der Vermissten mailen?“ „Sicher, aber warum denn?“ „Ich würde<br />

gerne sehen, ob ich bis morgen früh noch etwas mehr über sie herausfinden kann.“ Monica<br />

hielt es nicht für nötig zu erwähnen, dass sie das mit Hilfe von Numerologie tun wollte. „In<br />

Ordnung, ich schicke Ihnen die Liste sofort.“ „Danke, Sir.“ Fünf Minuten später saß Monica<br />

am PC und sah sich die Liste an. Alle zehn Verdächtigen, die sie bereits überprüft hatte waren<br />

darunter. Wenn man von den Ermittlern, die sie nicht als Verdächtige betrachtete, blieben nur<br />

noch drei Personen übrig: Heather Lisinski und die beiden Ärzte, die sie alle für un-<br />

wahrscheinliche Kandidaten hielt. Trotzdem konnte es nicht schaden, sich die drei näher an-<br />

zusehen. An schlafen war im Moment sowieso nicht zu denken.<br />

John Doggetts Wohnung<br />

323


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als John darüber nachdachte, seinen Versuch zu schlafen aufzugeben und wieder auf-<br />

zustehen, klingelte das Telefon auf seinem Nachttisch. „Doggett.“ „Mulder und Scully stehen<br />

nicht auf der Liste, genauso wenig wie Booth, Brennan und die Ermittler des NCIS und CSI.“<br />

„Das haben wir nicht anders erwartet. Wir haben heute schon alles über die Passagiere in Er-<br />

fahrung gebracht, was sich ohne Vor-Ort-Ermittlungen herausfinden lässt. Dadurch wird es<br />

uns hoffentlich schnell gelingen, herauszufinden, wer in dieser Geschichte zu den Tätern und<br />

wer zu den Opfern gehört.“ „Sie wissen schon alles über die Leute? Warum wollte Agent<br />

Reyes dann die Liste der Vermissten für weitere Ermittlungen haben?“ Doggett kannte seine<br />

Partnerin und hatte eine klarere Vorstellung davon, welche Arten von Zusatzermittlungen sie<br />

anstellen wollte, als ihm lieb war. „Ich weiß es nicht, aber wenn sie etwas herausfindet, das<br />

uns bisher entgangen ist, wird sie es uns sicher mitteilen.“ Wenige Minuten später klingelte<br />

Johns Telefon erneut. „Direktor Skinner? Gibt es noch etwas Neues?“ „Ich bin es. Skinner hat<br />

dich also schon angerufen?“ „Ja. Und er hat mir gesagt, dass du die Liste der Vermissten für<br />

weitere Ermittlungen haben wolltest. Möchte ich wissen, was du damit gemeint hast?“<br />

Monica lächelte. John kannte sie zu gut. „Wahrscheinlich nicht. Aber wenn du es doch hören<br />

willst kann ich vorbeikommen und es dir erklären. Oder glaubst du, dass du schlafen kannst?“<br />

„Nein, das habe ich schon versucht. Was ist mit dir?“ „Ich kann bestimmt nicht schlafen. Hast<br />

du überhaupt schon was gegessen? Ich könnte Hotdogs mitbringen.“ „Gute Idee. Du glaubst<br />

wohl, dass ich deinen Ideen aufgeschlossener gegenüber stehe, wenn du <strong>mich</strong> vorher<br />

fütterst?“ „Nicht wirklich, aber einen Versuch ist es wert. Bis nachher, John.“<br />

NCIS Hauptquartier, Washington DC, 7.00 Uhr<br />

Jenny war schon seit 6 Uhr wieder im NCIS Gebäude. Sie hatte irgendwann im Laufe<br />

der Nacht den vergeblichen Versuch zu schlafen aufgegeben und war schließlich um halb 5<br />

aufgestanden. Jetzt setzte sie gerade Kaffee auf, gleich eine ganze Kanne. Sie ging davon aus,<br />

dass Tony und McGee auch bald auftauchen würden. McGee hatte gestern am Telefon deut-<br />

lich gemacht, dass er genauso besorgt war wie Jenny. Tony hatte sich zwar bemüht, so zu tun,<br />

als würde die Nachricht ihn nicht treffen, aber an seinem anfänglichen Schweigen und seinem<br />

Tonfall hatte Jenny gemerkt, dass er genauso betroffen war wie sie und McGee.<br />

Als Tony um 6.30 Uhr im NCIS Gebäude eintraf, war er überrascht zu sehen, dass<br />

schon überall Licht brannte. Offensichtlich war er doch nicht als erster hier. Sonst kam<br />

höchstens Ziva überpünktlich. Sie fand es dekadent, erst um 8 Uhr mit der Arbeit anzufangen,<br />

angeblich war beim Mossad schon um 5 Uhr Arbeitsbeginn. Aber vielleicht hatte sie das auch<br />

nur gesagt, um ihm deutlich zu machen, dass sie ihn für faul hielt. Ziva liebte es, ihn aufzu-<br />

ziehen und Tony hatte sich immer gern auf Kabbeleien mit ihr eingelassen. Ziva war noch<br />

324


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht einmal eine Woche weg und Tony vermisste die Diskussionen mit ihr bereits. Erst jetzt<br />

merkte Tony, dass er schon wieder an die bildhübsche Israelin dachte. - Schluss jetzt. - sagte<br />

er sich und beschloss stattdessen herauszufinden, wer so früh schon da war. McGees Schreib-<br />

tisch war unbesetzt, also ging er die Treppe rauf zu Jennys Büro, um zu sehen, ob sie schon<br />

da war. Tony klopfte an und hörte sofort ein: „Herein.“, von der anderen Seite der Tür.<br />

„DiNozzo, was machen Sie denn so früh schon hier?“, fragte Jenny. „Irgend so ein Vollidiot<br />

hat sich verwählt und <strong>mich</strong> mitten in der Nacht geweckt. Und da ich schon mal wach war,<br />

konnte ich auch gleich herkommen.“ Tony hätte nie im Leben zugegeben, dass er absolut<br />

nicht hatte schlafen könnte, weil ihn der Gedanke, was seine Kollegen wohl im Moment<br />

durchmachten, nicht los ließ.<br />

Jenny unterdrückte ein Grinsen. Wenn er nicht über seine Sorge um die Kollegen<br />

sprechen wollte, würde sie das respektieren. „Wenn Sie schon mal da sind können wir auch<br />

gleich die Liste der vermissten Personen durchgehen und Sie können mir sagen, was Sie und<br />

McGee schon über die Leute wissen. Möchten Sie einen Kaffee?“ „Ein Kaffee wäre super.“,<br />

erwiderte Tony und nahm die Liste von Jenny entgegen. „Außer unseren Leuten, den FBI<br />

Agenten, Dr. Brennan und den CSI Ermittlern fehlen noch dreizehn Leute. Mal sehen.“ Tony<br />

holte seine Notizen raus. „Sieh mal an, unser Musterknabe und sein Mädchen stehen auf der<br />

Liste. Genauso wie Kate Austen und James Ford. Wenn das ein Zufall ist fresse ich einen<br />

Besen… Ah ja, an die zwei erinnere ich <strong>mich</strong>. Gregory House und Allison Cameron. <strong>Die</strong> zwei<br />

sind safe. <strong>Die</strong> wurden vom australischen Premierminister eingeflogen, um seine Tochter zu<br />

behandeln. Scheinen echte Wunderdocs zu sein… John Locke... <strong>Über</strong> den haben wir so gut<br />

wie gar nichts heraus gefunden, außer dass er im Rollstuhl sitzt, also fällt der auch aus…<br />

Patrick Morgan und Arthur Scott sind Meeresbiologen und waren auf irgend so einer Tagung<br />

über Haie. Dann ist da noch ein Ehepaar, das einen eigenen Buchladen besitzt, sie waren auf<br />

einer Buchmesse in Australien, Matthew und Jessica Harris… Nathan Mitchell… Der ist auch<br />

Arzt, war aber privat in Australien, als Tourist. Der letzte ist Jeffrey Walker, er ist Sportlehrer<br />

und war zum Surfen da.“<br />

„Außer diesem Jake Green wirkt keiner von denen verdächtig. Trotzdem sollten wir<br />

uns alle noch mal gründlich ansehen, viele Terroristen haben Tarnidentitäten.“, stellte Jenny<br />

fest. „Das werden wir tun, sobald McGee da ist.“, versicherte Tony. „Der ist schon da.“<br />

McGee etwas müde klingende Stimme ließ Jen und Tony auf schauen. Da so früh niemand<br />

sonst im Haus war, hatte Tony die Tür nicht hinter sich geschlossen. „Was ist in der Tüte?“,<br />

fragte Tony McGee. „Jedenfalls riecht es gut, ich hoffe du hast mir auch was mitgebracht.“<br />

„Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Tony. Guten Morgen, Direktor.“ „Guten Morgen,<br />

McGee.“ Erst als McGee Bagels und Sandwichs für alle drei aus der Papiertüte zauberte,<br />

325


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wurde Jen und Tony klar, dass sie ganz vergessen hatten, zu frühstücken. Während sie aßen,<br />

sah auch McGee die Liste der Entführten durch. „Ich schlage vor, dass wir zweigleisig fahren.<br />

Einer von uns sollte sich auf die potenziellen Entführer konzentrieren. <strong>Die</strong> Ermittler lassen<br />

wir außen vor, ebenso den Mann im Rollstuhl und die beiden Ärzte, die vom Premierminister<br />

eingeflogen wurden. Jake Green, Kate Austen und James Ford haben wir bereits überprüft. Im<br />

Moment sieht alles danach aus, als wäre Green in die Sache verwickelt. Aber seine Familie<br />

wird sicher nicht mit uns kooperieren und zu einem Gespräch zwingen können wir sie nicht,<br />

schließlich wird nicht gegen sie ermittelt. Kate Austens Vater ist schon unterwegs und James<br />

Ford hat keine Angehörigen und wechselt ständig den Wohnort. Bleiben noch die Meeresbio-<br />

logen, die Buchhändler, der Sportlehrer und der dritte Arzt. Der andere kann in Erfahrung<br />

bringen, welche Spezialgebiete Dr. Brennan, die CSI Ermittler und die beiden Ärzte haben<br />

und was sie für Entführer interessant machen könnte.“ „Das klingt nach einem guten Ansatz.<br />

<strong>Über</strong>prüfen Sie noch mal gründlich die potentiellen Entführer. DiNozzo, Sie sprechen mit den<br />

Kollegen der Wissenschaftler und Ärzte. Und versuchen Sie so viel wie möglich über Jake<br />

Greens Freundin heraus zu finden. Und versuchen Sie bitte auch in Erfahrung zu bringen, was<br />

den Mann im Rollstuhl interessant machen könnte.“ „Ja, Direktor.“, antworteten Tony und<br />

McGee gleichzeitig und machen sich an die Arbeit.<br />

Washington DC, 7.00 Uhr, Cafè Bravo, Pennsylvania Ave. Nähe FBI Headquar-<br />

ter<br />

„Okay, wie wollen wir Direktor Skinner erklären, dass wir heute einen Hubschrauber<br />

brauchen, um nach Princeton zu fliegen wie…wie war das noch gleich? Ach ja, weil Dr.<br />

House und Dr. Cameron eine Karmazahl haben, die Falschheit bedeutet?“, fragte Doggett,<br />

während er in seinem Kaffee rührte. Monica lächelte. „Ich glaube, wenn wir es so begründen,<br />

werden wir keinen Hubschrauber bekommen. Deswegen habe ich gestern Nacht noch in dem<br />

Hotel angerufen, in dem die Beiden gewohnt haben, und festgestellt, dass sie vier Tage ge-<br />

blieben sind. Der Premierminister hat aber gesagt, dass Dr. House nur zwei Stunden ge-<br />

braucht hat, um bei seiner Tochter die richtige Diagnose zu stellen. Wir haben also dreiein-<br />

halb Tage, von denen wir nicht wissen, was sie in dieser Zeit getan haben. Und wenn er so<br />

eine Koryphäe ist, könnte so ziemlich jede Organisation daran interessiert sein, ihn anzu-<br />

werben. Wir sollten so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen. Und über seine<br />

Kollegin, die hat der Premierminister nämlich nicht extra angefordert.“ Doggett hob eine<br />

Augenbraue. „Ein Mann Ende vierzig und seine hübsche, fünfzehn Jahre jüngere Assistenz-<br />

ärztin? Ehrlich, Monica, was sollen die schon in den drei Tagen gemacht haben. Dir mangelt<br />

es doch sonst nicht an Fantasie.“ „Das wäre natürlich möglich. Bei ihm ist die 18 die Persön-<br />

lichkeitszahl, bei ihr die Karmazahl. Das könnte natürlich bedeuten, dass er ihr Schicksal ist.<br />

326


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong>se Konstellation findet man bei vielen Paaren. Das ist auch bei Kate Austen und James<br />

Ford und Jake Green und Heather Lisinski der Fall. Möglicherweise deutet die Falschheit auf<br />

eine geheim gehaltene Beziehung hin oder einer der Beiden ist in Bezug auf seine Gefühle<br />

nicht ehrlich.“<br />

John sah Monica mit einem Blick an, in dem Unverständnis, Faszination und so etwas<br />

wie Mitleid lagen. Monica kannte den Gesichtsausdruck ihres Partners zu Genüge und be-<br />

schloss, das Gespräch von der Numerologie wegzuführen. „Ganz gleich, ob die Beiden nur<br />

unschuldige Opfer oder in die Sache verwickelt sind, sollten wir herausfinden, was sie so<br />

interessant macht. Und Princeton ist doch nicht weit. Wenn wir einen Hubschrauber kriegen,<br />

könnten wir das noch vor unserem Flug nach LA schaffen. Wir haben im Moment nicht viel,<br />

uns bleibt nichts anderes übrig, als nach jedem Strohhalm zu greifen.“ „Unter den Umständen<br />

haben wir eine Chance, die Reise genehmigt zu kriegen. Vorausgesetzt, du erwähnst Skinner<br />

gegenüber nicht das Wort Numerologie.“ Eine halbe Stunde später klopften Monica und<br />

Doggett an Skinners Tür. Sie waren nicht überrascht zu hören, dass auch er so früh schon da<br />

war. „Was gibt es?“, fragte der Assistent Direktor. Doggett sah Monica warnend an und<br />

signalisierte ihr somit, dass sie das Reden in diesem Fall ihm überlassen sollte.<br />

„Wir würden gerne mit den Kollegen der beiden vermissten Ärzte aus Princeton<br />

sprechen. Dr. Gregory House ist eine international bekannte Kapazität, er wurde vom<br />

Premierminister nach Australien geholt, um dessen Tochter zu behandeln. Ein so<br />

renommierter Arzt könnte für so ziemlich jede Terrororganisation interessant sein. Hinzu<br />

kommt, dass er nur einige Stunden bei der Tochter des Ministers war, was er und seine<br />

Kollegin in den restlichen dreieinhalb Tagen gemacht haben ist nicht bekannt. Wir sollten<br />

versuchen, so viel wie möglich über die Beiden heraus zu finden. Religiöse und politische<br />

<strong>Über</strong>zeugungen, wie sie auf Druck reagieren…“ „Ja, das könnte interessant werden. Aber<br />

wenn Sie heute noch nach Princeton wollen, könnte das knapp werden für Ihren Flug nach<br />

La.“, gab Skinner zu bedenken. „Deswegen sind wir hier, Sir.“, erklärte Monica „Mit dem<br />

Auto oder einem Linienflieger würden wir das nicht schaffen, mit einem der FBI Hub-<br />

schrauber schon. Unsere Koffer haben wir dabei, wir könnten sofort zum Flughafen fahren,<br />

wenn wir zurück sind.“ „In Ordnung. Bis jetzt habe ich es noch nie bereut, wenn ich Ihnen<br />

erlaubt habe, einer Spur nachzugehen, die Sie für viel versprechend halten.“ „Danke, Sir.“,<br />

strahlte Monica<br />

Nicht einmal eine Stunde später landete der Helikopter auf dem Landeplatz des<br />

Princeton Plainsboro Teaching Hospitals. Monica und John folgten den Wegweisern, um zum<br />

Büro der Klinikleitung zu gelangen. „Guten Tag, Agent Doggett, Agent Reyes. Wir sind vom<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

FBI. Ist Dr. Lisa Cuddy zu sprechen?“, fragte Doggett Cuddys Sekretär. „Einen Moment, Sir,<br />

ich frage, ob sie Zeit hat.“ Der junge Mann klopfte an und wurde von Cuddy herein gebeten.<br />

Einen Moment später kam er wieder heraus und teilte den Agenten mit, dass die Klinikchefin<br />

sie erwartete. Dr. Cuddy war nicht allein, ein Mann mittleren Alters saß auf einem der Be-<br />

sucherstühle vor ihrem Schreibtisch. „Guten Tag, Dr. Cuddy. Special Agent John Doggett,<br />

das ist meine Partnerin Monica Reyes. Wir sind vom FBI und untersuchen das Verschwinden<br />

der Maschine, in der Dr. House und Dr. Cameron unterwegs waren. Könnten wir vielleicht<br />

kurz mit Ihnen sprechen?“ „Guten Tag. Nehmen Sie bitte Platz. Das ist Dr. James Wilson. Er<br />

ist ein guter Freund von Dr. House und mir. Alles, was Sie zu sagen haben, geht ihn genauso<br />

an.“ „Wie Sie wünschen. Wir sind daran interessiert herauszufinden, nach welchen Kriterien<br />

die Entführer ihre Opfer ausgewählt haben. Bei einigen ist es recht offensichtlich, unter den<br />

Vermissten sind mehrere Bundesagenten. Können Sie sich erklären, warum eine Terror-<br />

organisation an Dr. House und Dr. Cameron interessiert sein könnte?“, fragte Doggett.<br />

„Nein, eigentlich nicht. Dr. House ist ein brillanter Arzt, er leitet die diagnostische Ab-<br />

teilung und Dr. Cameron ist ein Mitglied seines Teams. Ich wüsste nicht, wie die Beiden einer<br />

Terrororganisation von Nutzen sein könnten.“ „Sie haben also beide nicht mit heiklem<br />

Material zu tun? Milzbrand, Ebola? Irgendetwas, das man beispielsweise als biologischen<br />

Kampfstoff verwenden könnte?“, fragte Doggett. „Wie gesagt, Agent Doggett, beide arbeiten<br />

in der diagnostischen Abteilung der Klinik. Eines der Spezialgebiete von Dr. House sind<br />

Infektionskrankheiten und Dr. Cameron ist Immunologin. Aber beide arbeiten nicht in der<br />

Forschung.“ „Wir waren ziemlich beeindruckt, als wir herausgefunden haben, warum Dr.<br />

House und Dr. Cameron in Sydney waren. Allerdings hat der Premierminister nur Dr. House<br />

namentlich angefordert. Ist es üblich, dass er zu Konsultationen gebeten wird und einen seiner<br />

Mitarbeiter mitnimmt?“, fragte jetzt Monica „Nun ja, es kommen häufiger Patienten von weit<br />

her, die von Dr. House behandelt werden möchten. Melanie Howard war nicht transportfähig,<br />

deswegen haben wir in diesem Fall eine Ausnahme gemacht. Normalerweise arbeitet Dr.<br />

House mit drei Assistenzärzten zusammen. In diesem Fall wusste Dr. House aber schon<br />

genug über die Symptome, um sicher sein zu können, dass es sich um eine Infektionskrank-<br />

heit oder eine Autoimmunkrankheit handelt. <strong>Die</strong> Fachgebiete seiner anderen Assistenzärzte<br />

sind Neurologie und Intensivmedizin.“, erklärte Cuddy.<br />

„Nachdem, was ich von Premierminister Howard gehört habe, wird Dr. House seinem<br />

Ruf gerecht. Der Minister hat gesagt, dass er nur zwei Stunden gebraucht hat, um die richtige<br />

Diagnose zu stellen.“ Monica wollte testen, ob Dr. Cuddy wusste, dass ihre Leute ihre Auf-<br />

gabe schon drei Tage vor dem Rückflug erledigt hatten. Ihr verblüffter und verärgerter Ge-<br />

sichtsausdruck beantwortete die unausgesprochene Frage. „Sie wissen also nicht, was Ihre<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Leute in den restlichen drei Tagen gemacht haben?“, fragte Doggett. „Wenn Sie House<br />

kennen würden, müssten Sie diese Frage nicht stellen.“, sprang Wilson für Cuddy ein. „Er ist<br />

mit Sicherheit ein brillanter Arzt, aber wenn er die Möglichkeit sieht, auf Kosten anderer<br />

Leute ein paar Tage Urlaub zu machen, lässt er sich das sicher nicht entgehen.“ „Und bei Dr.<br />

Cameron ist das wohl genauso?“, hakte Doggett nach. „Nein, absolut nicht. Sie ist sehr<br />

pflichtbewusst.“, stellte Cuddy richtig. „Und warum ist sie dann nicht zurück gekommen, als<br />

ihre Arbeit beendet war?“, insistierte Doggett. „Es gibt nicht viele Leute, für die Dr. Cameron<br />

ihre Prinzipien ein wenig dehnt, aber Dr. House ist einer von ihnen, vielleicht sogar der ein-<br />

zige.“, deutete Wilson an. „Haben Dr. House und Dr. Cameron ein Verhältnis?“, fragte John<br />

direkt. „Nein. Aber das liegt wohl in erster Linie daran, dass House Probleme hat, eine Frau<br />

nah genug an sich heran zu lassen, um mit ihr eine ernsthafte Beziehung zu haben. Und auf<br />

weniger würde Dr. Cameron sich bei House nicht einlassen.“, erklärte Wilson.<br />

„Das erklärt einiges.“, sagte Monica mehr zu sich selbst als zu einem der anderen.<br />

„Was meinen sie damit?“, fragte Cuddy misstrauisch. Monica ignorierte den warnenden Blick<br />

ihres Partners und setzte zu einer Erklärung an. „Nun ja, anfangs haben wir befürchtet, Dr.<br />

House und Dr. Cameron könnten in die Entführung verwickelt sein.“ „Wie bitte?. Wie<br />

kommen Sie auf diese absurde Idee?“ Cuddy kochte vor Wut. „Das ist doch lächerlich. Dr.<br />

Cameron ist einer der freundlichsten Menschen die ich kenne. Und über House kann man<br />

sagen was man will, aber er tut alles, um Menschenleben zu retten, er würde niemanden<br />

grundlos gefährden.“ Auch Wilson war fassungslos. „Ja, dass Dr. Cameron ein guter Mensch<br />

ist, sagt mir schon ihre Hauptcharakterzahl. Das hat <strong>mich</strong> anfangs verwirrt. Aber jetzt sehe ich<br />

das größere Ganze. Sehen Sie, ich beschäftige <strong>mich</strong> schon seit meiner Kindheit mit<br />

Numerologie. Ich habe von allen Vermissten eine komplette numerologische Analyse durch-<br />

geführt. Dr. Camerons Hauptcharakterzahl ist die 6, das bedeutet, dass sie ein liebevoller,<br />

ehrlicher und zuverlässiger Mensch ist, dem Harmonie sehr am Herzen liegt. Aber ihre<br />

Karmazahl, die 18, gab mir zu denken, sie deutet nämlich auf Falschheit hin. Dann hab ich<br />

mir das Profil von Dr. House angesehen und herausgefunden, dass Dr. Camerons Karmazahl<br />

mit Dr. House„ Persönlichkeitszahl identisch ist, seine Persönlichkeitszahl deutet auch auf<br />

Falschheit hin. Jetzt, wo ich etwas mehr über Dr. House und Dr. Camerons Gefühle für ihn<br />

weiß, ergibt alles einen Sinn. Auch die Hauptcharakterzahl von Dr. House passt sehr gut da<br />

hinein. Seine Hauptcharakterzahl ist die 5, das bedeutet, dass er ein sehr am Vergnügen<br />

orientierter Mensch ist. Offensichtlich nimmt er es auch mit der Ehrlichkeit nicht so genau,<br />

vermutlich ist er auch in Bezug auf seine Gefühle nicht offen. Das erklärt die Falschheit. Aber<br />

Dr. Cameron liebt ihn trotzdem. Er ist ihr Schicksal, ihr Karma.“<br />

329


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wilson deutete Doggetts gequälten Gesichtsausdruck richtig und versuchte sein<br />

ganzes Mitgefühl in seinen Blick zu legen. Cuddy brauchte einen Moment, bis sie ihre<br />

Fassungslosigkeit soweit überwunden hatte, dass sie etwas sagen konnte. „Das verstehen Sie<br />

beim FBI unter Ermittlungsmethoden? Mit so etwas begründen Sie einen Verdacht? Als<br />

nächstes werden wohl zum Fundort des Flugzeugs fahren und die Gegend mit einer<br />

Wünschelrute absuchen.“ „Nein, das ist nicht nötig. Ich würde schon gerne nach Borneo<br />

fliegen, aber ich brauche keine Wünschelrute, um die Schwingungen des Ortes, an dem die<br />

Maschine gefunden wurde, zu spüren. Leider werde ich <strong>mich</strong> damit begnügen müssen, nach<br />

LA zu fliegen um die Schwingungen des Flugzeugs aufzunehmen. Eine Reise nach Borneo<br />

wird Direktor Skinner nicht genehmigen.“, erklärte Monica ernsthaft. „Ach wirklich? Wie<br />

intolerant von ihrem Vorgesetzten, Ihre faszinierenden Ermittlungsmethoden nicht zu unter-<br />

stützen.“, stellte Cuddy ironisch fest. „Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Dr.<br />

Cuddy. Wenn Sie erlauben, werden wir noch mit den anderen beiden Assistenzärzten von Dr.<br />

House sprechen.“ Doggett war zu dem Schluss gekommen, dass ein taktischer Rückzug das<br />

einzige war, womit er die Situation noch entschärfen konnte. „Nur zu. Vielleicht möchten Sie<br />

lieber alleine mit den Beiden reden. In der Zwischenzeit sollte Ihre Partnerin ihre<br />

interessanten Theorien vielleicht mit den Kollegen im dritten Stock teilen. <strong>Die</strong> sind an so<br />

etwas immer sehr interessiert.“, schlug Cuddy vor.<br />

Doggett zog eine Augenbraue hoch, entschied aber, dass es besser war, nicht nachzu-<br />

fragen. Er wandte sich zum Gehen und überzeugte sich mit einem Blick über die Schulter<br />

davon, dass Monica ihm folgte. Sie gingen zurück zur <strong>Über</strong>sichtstafel, um zu sehen, wo sie<br />

die diagnostische Abteilung fanden. Unter 3. Etage stand „Psychiatrie„. Doggett unterdrückte<br />

ein Grinsen. „Du solltest Dr. House‟ Assistenten besser nicht anbieten eine numerologische<br />

Analyse bei ihnen durchzuführen. Sonst weist einer von ihnen dich noch ein. Ich glaube Dr.<br />

Cuddy hat ernsthaft darüber nachgedacht. Wenn die in der Psychiatrie dich einmal in die<br />

Finger kriegen, lassen sie dich so schnell nicht mehr gehen. Und ich würde es bedauern, mir<br />

einen neuen Partner suchen zu müssen.“<br />

Heilung<br />

Leiden liegt in der menschlichen Natur; aber wir leiden nie, oder zumindest sehr<br />

selten, ohne die Hoffnung auf Heilung zu nähren; und die Hoffnung selbst ist<br />

eine Freude.<br />

330


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Giacomo Casanova<br />

Keiner, nicht einmal Bones, war in der Stimmung, auf House einzugehen. Gibbs hatte<br />

zwar das Gefühl, mindestens drei Tage keinen Schlaf mehr zu brauchen, aber schon Minuten<br />

später spürte er, wie ihm die Augen wieder zu fielen. Bones musste Recht haben, dieses<br />

Schlafbedürfnis war nicht normal, etwas musste in der Tropflösung sein und ... Gibbs schlief<br />

ein.<br />

Jake stöhnte leise auf. Undeutlich nuschelte er: „Nein. Ich ... nicht ... Lasst sie ...“<br />

Plötzlich zuckte er keuchend hoch. Ein Albtraum. Er zitterte. Nichts weiter als ein Albtraum.<br />

Gott sei Dank. Dann aber holte ihn die Realität so brutal ein, dass jeder Albtraum besser war.<br />

Er spürte, dass seine Arme und Beine gefesselt waren, er lag auf dem Bauch und sehr viel<br />

mehr als den Kopf konnte er nicht anheben. Zu seiner Linken sah er Mulder liegen. Der FBI<br />

Mann rührte sich nicht, er schien tief und fest zu Schlafen. Jake seufzte müde und wendete<br />

den Kopf nach rechts. Gibbs, Bones, Dana, Abby, Sawyer, Booth ... Mehr konnte Jake nicht<br />

ausmachen. Wo war Heather? Und wo waren sie überhaupt? Wie lange waren sie schon hier?<br />

Seit er auf dem Feld zusammen gebrochen war...? Er zermarterte sich das wie in Watte ge-<br />

packte Hirn. Er konnte sich nicht erinnern, wie er her gekommen war. Keine Vorstellung, wo<br />

er überhaupt war. Nicht in seiner Zelle, das war klar. Was er sehen konnte, war ein recht<br />

großer, weiß gefliester Raum. Groß genug um acht Betten in einer Reihe aufzunehmen. Wo<br />

die anderen acht Gefangenen waren, konnte Jake nicht sagen. Waren sie auch hier? Jake<br />

reckte und verdrehte sich fast den Hals und schaffte es, in Richtung seiner Füße zu schauen.<br />

Erleichtert erblickte er weitere Liegen, und fragte: „Heather, bist du hier?“ Eine müde<br />

klingende Stimme antwortete: „Ja, Jake, sie liegt hier neben mir. Sie schläft wieder, war vor-<br />

hin kurz wach und hat nach dir gefragt.“ Ziva gab Jake Auskunft. Erleichtert seufzte Jake auf.<br />

„Gott sei Dank.“ Bones, die eben erst wieder wach wurde, fragte verschlafen: „Waren Booth,<br />

Mulder und Sawyer inzwischen mal wach? Hey, hat einer von euch mit bekommen, ob<br />

Mulder, Booth oder Sawyer ausgewacht sind?“ Keiner antwortete. Kate, die Bones Frage ge-<br />

hört hatte, war sofort alarmiert. „Wieso, die müssen doch schon wach gewesen sein. Abby hat<br />

doch gesagt, es geht ihm gut.“<br />

House mischte sich ein. „Wenn ihr <strong>mich</strong> nicht fragt, was ihr ja keinesfalls tun werdet,<br />

weil ich ja nur Arzt bin und ihr lieber selbst ratet, was los sein könnte, werdet ihr nicht er-<br />

fahren, was ich weiß.“ Kate fuhr ihn wütend an: „Sag schon, was weißt du? Was ist mit den<br />

Dreien?“ House sah zu seiner Liege-Nachbarin hinüber. „Nun mach dir nicht gleich ins<br />

331


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hemd, Mädchen. <strong>Die</strong> haben uns Novanox unters Futter gemischt. Ein auf Nitrazepam<br />

basierendes, starkes Schlafmittel. <strong>Die</strong> müssen uns das mindestens schon drei Mal, ich vermute<br />

aber eher öfter, unter gejubelt haben. Mulder, Sawyer und Booth reagieren wohl ein wenig<br />

über, vielleicht waren sie auch einfach nur müder als wir anderen. Wie ich unsere Gastgeber<br />

einschätze, werden sie die drei wohl in naher Zukunft mal wecken kommen. Sie werden eine<br />

geringe Dosis Amphetamin 11 in irgendeiner Form bekommen, und dann sind die Jungs fit für<br />

die nächste Runde.“ Kate, die keine Ahnung von den Medikamenten hatte, die House auf-<br />

zählte, hob den Kopf, um zu der Liege mit Sawyer herüber zu sehen. Und in diesem Moment<br />

ging die Tür auf. Einige Ärzte kamen herein und hatten Wachposten bei sich. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

wurden nacheinander los gemacht und mussten sich wieder auf den Rücken legen. Bei<br />

Mulder, Booth und Sawyer wurde vorsichtig nach geholfen. Dann wurden alle erneut fixiert,<br />

nun wieder in Rückenlage, und ihre Verbände wurden gewechselt. Während die Verbands-<br />

wechsel bei den ersten Gefangenen schon vorgenommen wurden, war eine Ärztin zu Booth<br />

ans Bett getreten und maß dessen Blutdruck. Anschließend machte sie mit einer kleinen<br />

Taschenlampe einen Pupillenreflextest. Das Gleiche nahm sie kurz darauf bei Sawyer, dann<br />

bei Mulder vor. Schließlich sagte sie in ihr Headset: „Bringt mir drei Mal 10 mg Benzedrine<br />

für 1 und 3 und 15.“ Wenige Minuten später kam ein weiterer Wachmann und reichte der<br />

Ärztin drei Spritzen. Sie bedankte sich und trat dann wieder zu Booth. Sie öffnete den Zugang<br />

auf seinem Handrücken und spritzte ihm das Medikament auf diese Weise in die Blutbahn.<br />

Dann machte sie das Gleiche bei Sawyer und Mulder.<br />

Nicht nur Kate und Bones beobachteten besorgt, was mit den beiden Männern<br />

passierte. Allison, House und Dana, die natürlich ebenfalls sehr in Sorge war, war Benzedrine<br />

ein Begriff. Ein Amphetamin, das würde die drei Männer mit ziemlicher Sicherheit zu sich<br />

bringen. Bei den anderen Gefangenen wurde im Zusammenhang mit den Verbandswechseln<br />

auch die Kanüle entfernt, was ein deutlicher Hinweis dafür war, dass sie wohl nicht wieder<br />

sediert werden würden. Als bei allen die Verbände gewechselt worden waren und zum Teil<br />

schon durch deutlich dünnere Verbände ersetzt wurden, klappten die Wachen die Kopfteile<br />

der Liegen hoch, sodass die Gefangenen eine fast sitzende Position einnahmen. Dann machten<br />

sie die rechten Hände ihrer Probanden frei und verließen den Raum. Minuten später kamen<br />

einige Wachleute in den Saal, mit Rollwagen, die sie vor sich hin schoben. Sie stellten vor<br />

jeden der Gefangenen einen kleinen Betttisch, reichten ihnen einen großen Becher Kaffee und<br />

eine Schüssel voll dampfend heißer Hühnerbrühe mit viel Gemüse und Fleisch. Außerdem<br />

11 Amphetamin ist eine synthetische stimulierende Droge, bekannte Amphetamine sind z. B. MDMA (Ecstasy) oder das in der<br />

Natur vorkommende Ephedrin. Es ist ein indirektes Sympathomimetikum und hat somit eine anregende Wirkung auf das Zentral-<br />

nervensystem. Aufgrund seiner stimulierenden und euphorisierenden Wirkung wird Amphetamin als Rauschmittel eingesetzt.<br />

332


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bekamen alle einige frische, knusprige Scheiben Toastbrot gereicht. Ungläubig starrten sie<br />

alle, ohne Ausnahme, auf das unerwartete Festmahl. Dann aber gab es kein Halten mehr.<br />

Ganz kurz hatten sie ein schlechtes Gewissen wegen Mulder, Booth und Sawyer, aber wenn<br />

sie auf das Essen verzichteten, hätten die drei schlafenden Männer auch nichts davon.<br />

Abby löffelte vorsichtig die heiße Geflügelsuppe und trank immer wieder einen<br />

kleinen Schluck Kaffee. Sie fragte sich ernsthaft, ob diese Versorgung nicht die Tortur auf<br />

dem Acker wert gewesen war. Kaffee. Erst jetzt, als sie den wundervollen Geschmack nach so<br />

langer Zeit wieder auf der Zunge spürte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie es vermisst hatte. Sie<br />

nahm gerade einen weiteren Schluck, als sie Sawyer neben sich etwas murmeln hörte. Er be-<br />

wegte den Kopf unruhig hin und her und seine Augenlider zitterten. Dann atmete er tief ein<br />

und schluckte. Seine Zunge fuhr über seine Lippen. Schließlich öffnete er langsam und<br />

schwerfällig die Augen. Leicht glasig glitten sie einen Moment orientierungslos herum. Dann<br />

wurde sein Blick klarer, er schaute zu Abby hinüber und stutzte. „Hallo, Liebling ... Muss ich<br />

schon ins Büro?“, nuschelte er verschlafen. Kate hörte Sawyers Stimme und stieß unendlich<br />

erleichtert: „Sawyer. Endlich.“, hervor. Das registrierte er noch gar nicht richtig. Abby hatte<br />

Sawyer genau beobachtet und grinste. „Guten Morgen, Darling, der Wecker hat schon vor<br />

drei Tagen geklingelt, du kommst zu spät.“ Sawyer sah sich, immer noch ziemlich verwirrt,<br />

um. „Drei Tage? So lange?“, fragte er dann erschrocken. „Mindestens.“ Sawyer seufzte. Dann<br />

plötzlich fuhr er zusammen und fragte er erschrocken: „Kate. Bist du hier?“ „Ich bin da, mach<br />

dir keine Sorgen um <strong>mich</strong>. Wie fühlst du dich?“ Kate sah besorgt zu Sawyer hinüber. Wie<br />

gerne wäre sie einfach zu ihm gegangen, hätte ihn von den Fesseln befreit und in die Arme<br />

genommen. Sawyer seufzte unendlich erleichtert auf. Dann sagte er immer noch ziemlich<br />

desorientiert: „Wie ich <strong>mich</strong> fühle? Keine Ahnung, ehrlich. Ich komme mir vor, als hätte ich<br />

den schlimmsten hang over aller Zeiten. Haben wir gesoffen?“ Kate lächelte erleichtert.<br />

Anscheinend ging es Sawyer soweit gut. Sie biss sich auf die Unterlippe und seufzte er-<br />

leichtert auf. „Nein, wir haben nicht gesoffen, Kumpel, wir haben Steine geschleppt und dann<br />

eine kleine Drogenparty veranstaltet.“, mischte House sich ein. „Drogen?“ Sawyers Stimme<br />

klang endgültig verwirrt.<br />

Bevor noch jemand ansetzten konnte, Sawyer zu erklären, was los gewesen war,<br />

stöhnte neben diesem endlich auch Booth herzhaft auf. „Man, ich hab Kopfschmerzen. Was<br />

ist denn los?“ Sofort fragte Bones: „Booth? Oh, Gott. Bequemst du dich endlich auch noch<br />

mal, aufzuwachen?“ „Was heißt hier endlich? Mensch, was haben die mir zu trinken ge-<br />

geben? Ich hab einen Kater, der reicht für drei.“ Sawyer musste sich ungeheuer konzentrieren,<br />

um zusammen zu bringen: „Das muss mit den Drogen zusammen hängen.“ Booth sah voll-<br />

kommen verständnislos zu ihm hinüber. „Welche Drogen? Wovon, zum Teufel, sprichst du?“<br />

333


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison erklärte den beiden Männern: „<strong>Die</strong> haben uns Hypnotika, Schlafmittel, gegeben. Bei<br />

euch haben sie entweder zu viel erwischt oder ihr habt ein wenig empfindlich reagiert. Sie<br />

mussten euch Amphetamine spritzen, damit ihr endlich aufwacht.“ „Erst Schlafmittel, dann<br />

Wachmacher? Kein Wunder, dass ich <strong>mich</strong> fühle, als wäre eine Dampfwalze über <strong>mich</strong> weg<br />

gerollt.“ Sawyer schüttelte den Kopf. „Ich hab einen Wahnsinnsdurst.“ „Frag <strong>mich</strong> mal,<br />

Kumpel.“ Booth Stimme klang heiser. „Ich würde ...“ Bevor er dazu kam, zu erklären, was er<br />

gerne würde, ächzte zu guter Letzt auch Mulder endlich verschlafen: „Ich habe Kopf-<br />

schmerzen ... Krieg ich ein Aspirin?“ Dana sah erleichtert zu ihrem Lebensgefährten hinüber.<br />

„Mulder, endlich. Meine Güte, dass du aber auch immer gleich so übertreiben musst mit<br />

allem. Wie fühlst du dich?“ „Gott, Dana, frag <strong>mich</strong> in einer halben Stunde noch mal, dann<br />

kann ich dir ...“ Was immer er noch sagen wollte, ging im Öffnen der Tür unter. Eine der<br />

Ärztinnen sowie zwei Wachen kamen in den Raum. Sie traten erst an Booth‟ Liege und die<br />

Ärztin überprüfte erneut dessen Blutdruck. Dann testete sie noch einmal seinen Pupillenreflex<br />

und gab in ihr Headset durch „138 systolisch, Puls 90, Reflexe normal.“ Während die beiden<br />

Wachen Booth Bett aufrichteten und seine rechte Hand befreiten, untersuchte die Ärztin<br />

bereits Sawyer. „146 systolisch, Puls 98, Reflexe normal.“, gab sie schließlich durch. „Er be-<br />

kommt 1,25 mg Bisoprolol.“ Dann trat sie zu Mulder, maß auch diesem den Blutdruck und<br />

gab durch: „148, Puls 95, auch Bisoprolol, und ein bisschen schnell das Ganze.“<br />

<strong>Die</strong> Ärztin und die beiden Wachen verließen den Saal. Augenblicke später trat eine<br />

weitere Wache mit einem Rollwagen ein. Booth, Mulder und Sawyer bekamen auch ihr Bett-<br />

tischchen, allerdings bekamen sie keinen Kaffee, sondern eine Literflasche Wasser. Eine<br />

Schüssel Hühnersuppe bekamen alle drei. Sawyer und Mulder erhielten noch zusätzlich einen<br />

kleinen Pappbecher mit einer einzelnen Tablette darin. „Was ist das für ein Zeug?“, fragte<br />

Mulder leicht misstrauisch, während er gierig einen Schluck Wasser trank. „Das ist ein Beta-<br />

Blocker, er wird deinen zu hohen Blutdruck senken. Der dürfte durch das Amphetamin in die<br />

Höhe geschossen sein.“, erklärte Dana ruhig. „Bisoprolol ist ein gut verträglicher Blutdruck-<br />

senker. Mach dir keine Sorgen, den kannst du problemlos schlucken.“ Schulterzuckend griff<br />

auch Sawyer sich die Tablette und spülte sie mit Wasser herunter. Allison lächelte ihm<br />

freundlich zu. Dass er beim Steine schleppen derart Gentlemen gewesen war, sie nicht ein<br />

einziges Mal die Karre weg schaffen zu lassen, hatte die junge Ärztin schwer beeindruckt. So<br />

hatte sie den frechen Sprücheklopfer wirklich nicht eingeschätzt. Auch House hatte das sehr<br />

wohl bemerkt. Er war dem Südstaatler mehr als dankbar, würde das aber nie vor Cameron<br />

zugeben müssen, hoffte er. Er hatte bis zum bitteren Ende beobachtet, wie der blonde junge<br />

Mann sich mit blutenden, aufgerissenen Füßen ein ums andere Mal mit der Karre zum Ab-<br />

ladeplatz gequält hatte. Und jedes Mal beim zurückkehren zu Cameron hatte er kategorisch<br />

abgelehnt, dass die Ärztin die Karre schob. Schließlich hatte er ihr sogar noch das Aufladen<br />

334


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mehr oder weniger angenommen. House nahm sich fest vor, ihm bei Gelegenheit dafür zu<br />

danken.<br />

Wenigstens eine Hand frei zu haben, war für die Gefangenen eine wahre Wohltat,<br />

nachdem sie so lange gefesselt gewesen waren. Sich endlich mal eine juckende Stelle kratzen<br />

zu können, sich mit der Hand durchs Gesicht zu fahren, einfach mal eine verirrte Haarsträhne<br />

aus der Stirn zu streichen, erschien ihnen wie ein Geschenk. <strong>Die</strong> Suppe kam ihnen nach all<br />

dem Brot und Wasser wie ein fünf Gänge Luxus Menü vor. Der Kaffee ... Sawyer, Mulder<br />

und Booth sahen sehr neidisch ihren Leidensgenossen zu, aber Bones erklärte ihnen grinsend:<br />

„Hey, dafür seid ihr drei schön stoned. Und etwas, was euren Blutdruck noch zusätzlich in die<br />

Höhe treibt, braucht ihr nun wirklich nicht.“ Sawyer sah grinsend zu ihr herüber. Ihm war<br />

natürlich längst aufgefallen, dass die Frauen ihre Hemden nicht trugen. <strong>Die</strong> nackten<br />

Schultern, die unter den Decken hervor schauten, sprachen Bände. Ein Blick zu Kate und<br />

Sawyers Blutdruck brauchte keinen Kaffee mehr, um noch ein wenig in die Höhe zu gehen.<br />

Kate grinste verhalten, sie hatte den Blick genau richtig gedeutet. „Wie geht es deinen<br />

Händen und Füßen?“, fragte sie besorgt. Beim Halten des Löffels hatte Sawyer schon be-<br />

merkt, dass er die Hand benutzen konnte, wenn auch nur unter Schmerzen. Vorsichtig be-<br />

wegte er die Hände und Füße und verzog das Gesicht. „Ich denke, den New York Marathon<br />

könnte ich noch nicht wieder mit laufen.“, sagte er gepresst. Ziva konnte ein Lachen nicht<br />

unterdrücken. „Baby, das sind zweiundvierzig Kilometer, nicht zweiundvierzig Meter, den<br />

wirst du garantiert sowieso nie laufen.“ Booth, der gerade einen Schluck Wasser trank, konnte<br />

nicht verhindern, loszuprusten. Auch die anderen lachten und selbst Sawyer grinste. „Da hast<br />

du allerdings Recht, Nikita, wer ist auch schon so blöde, und rennt freiwillig zweiundvierzig<br />

Kilometer durch die Gegend.“ „Ich.“, erklärte Ziva mit hochgezogener Braue lakonisch.<br />

„Allerdings nicht in New York, sondern in London.“ Booth sah die Israelin skeptisch an.<br />

„Verdeckte Ermittlungen?“ Sie grinste. „Nein, scharf auf das Preisgeld.“ „Dein Vater ist<br />

Stellvertretender Direktor des Mossad und du läufst für Geld den Londonmarathon?“<br />

Ziva lehnte sich seufzend zurück. Sie spielte mit ihrer Kaffeetasse. Dann sagte sie:<br />

„Das war vor meiner Zeit beim Mossad, während des Studiums. Ich habe in den Semester-<br />

ferien eine Freundin besucht, die in London lebte. Sie studierte am Imperial College of Sci-<br />

ence, Technology and Medicine. Wir sind ziemlich betrunken mit ihrem Porsche gegen einen<br />

Brückenpfeiler gekracht, irgendwo in Kent, ich saß am Steuer.“ Abby und Gibbs lachten. Sie<br />

kannten den Fahrstil der temperamentvollen Kollegin nur zu gut, auch ohne Alkoholeinfluss.<br />

Ziva fuhr nach einem genervten Blick zu Gibbs fort: „War ein Totalschaden und ich war<br />

schuld.“ Sie grinste still vor sich hin. Dann fuhr sie fort: „Wenn mein Vater das erfahren hätte<br />

...“ Sie lachte leise. „So kam mir der Marathon gerade richtig. Ich habe <strong>mich</strong> angemeldet und<br />

335


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bin mit gerannt. Für einen neuen Porsche hat es allerdings nicht gereicht. Ich habe 2.48.29<br />

gebraucht. <strong>Die</strong> Bestzeit bei Frauen liegt bei 2.15.25, aufgestellt von der Siegerin 2003, 2004<br />

und 2005, Paula Radcliffe.“ „2.48? Das würde ich für zehn Kilometer schon brauchen.“,<br />

sinnierte Gil. „Gil, Honey, du brauchst zwei Stunden für zehn Meter.“ Sara grinste zuckersüß.<br />

Alle waren erleichtert, dass wieder ein Horrortrip hinter ihnen lag und alle noch am Leben<br />

waren. Hier, wenn auch gefesselt und verletzt, einfach nur bequem zu liegen, sich zu unter-<br />

halten, ein wenig herum zu Flaxen, erschien ihnen geradezu paradiesisch. Das Gefangen sein<br />

wurde zur Normalität, was an sich schon mehr als besorgniserregend war. Dass Hände und<br />

Füße immer noch brannten und pochten und obendrein gefesselt waren wurde ignoriert.<br />

Allison sah zu Sawyer hinüber. Kurz zögerte sie noch, dann sagte sie verlegen: „Sawyer, ich<br />

... Vielen Dank, dass ich nicht die Karre schieben musste. Ich glaube nicht, dass ich das ...<br />

Danke.“ Sawyer wurde rot. Er sah nicht weniger verlegen zu Cameron hinüber. Betreten<br />

lächelte er. „Kein Problem Dr. Quinn. Scheint mir ein schlauer Trick, sich hier mit den ein-<br />

zigen Ärzten, die auf unserer Seite sind, gut zu stellen.“, schmunzelte er und schaute dabei auf<br />

seine verbundene rechte Hand. Booth gab ein ironisches Lachen von sich. „Kommt mir nicht<br />

so vor, als würde das sehr helfen, Kumpel.“<br />

„Was meint ihr, was das wieder sollte?“, fragte Heather in die Runde. Locke sah zu<br />

der jungen Frau hinüber. „Nun, in erster Linie wollen die wohl immer noch wissen, was wir<br />

unter Stress zu leisten im Stande sind. Anders machen diese Versuche keinerlei Sinn. Dr.<br />

House bemerkte ja bereits, dass er nie gedacht hätte, diese grausame Strapaze so lange durch<br />

zu halten. Und so werden einige von uns denken, nehme ich stark an.“ Kate nickte. „Ja,<br />

allerdings. Ich habe nur aus Angst um ... ähm, aus Angst überhaupt so lange durchgehalten.“<br />

Sie wurde feuerrot und sah zu Sawyer hinüber. Heather stimmte ihr vollkommen zu. „Kate,<br />

glaube mir, das ging mir nicht anders. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass Jake derjenige sein könnte, an<br />

dem diese Monster das Halsband testen ...“ Sie verstummt betroffen. Jake wurde rot, wie vor-<br />

her Sawyer. „Tja, da können wir wohl Resümieren, dass jeder von uns deswegen so lange<br />

durch gehalten hat.“, warf House ernüchtert ein. „Man gewöhnt sich in einer solchen Situation<br />

wie dieser hier selbst an nervige Südstaatler.“ Er warf Sawyer aus seinen blauen Augen einen<br />

warmen Blick zu, der diesem mehr sagte als alle Worte es vermocht hätten. Sawyer wurde<br />

noch verlegener. Kate lächelte dankbar. Dass Sawyer in einer Gruppe freundlich akzeptiert<br />

wurde, war eine völlig neue Erfahrung für diesen. Da sie den Blick nicht sehen konnte, den<br />

House Sawyer zu geworfen hatte, sah sie Gregs Worte einfach nur als einen freundlich Hin-<br />

weis darauf, dass er Sawyer als vollwertiges Mitglied der Gruppe ansah. Booth und Abby<br />

hatten House‟ Blick jedoch sehr wohl mit bekommen. Beide lächelten verhalten. - Warum<br />

gibt er nicht einfach zu, dass Cameron ihm etwas bedeutet? - fragte Abby sich innerlich<br />

grinsend. Booth konnte nachvollziehen, warum House nicht wollte, dass die junge Ärztin mit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bekam, dass ihr Vorgesetzter sehr viel mehr für sie empfand, als diesem vermutlich Recht<br />

war. Er war selbst ja auch bemüht, Bones seine Gefühle für sie zu verheimlichen.<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen saßen in ihren Betten, unterhielten sich und versuchten, eine mög-<br />

lichst normale Stimmung aufkommen zu lassen, soweit man diese, nackt, wenn auch zu-<br />

gedeckt, ans Bett gefesselt, überhaupt aufkommen lassen konnte. Bones hatte bemerkt:<br />

„Unsere Körper werden jetzt normal reagieren, der Stoffwechsel wird anlaufen. Nach der<br />

intravenösen Versorgung werden Blase und Darm nun wieder in Gange kommen. Ich hoffe<br />

doch sehr, die lassen uns dann auf die Toilette.“ Jake und Sawyer schüttelte es. <strong>Die</strong> beiden<br />

Männer würden die erzwungene Blasenentleerung während ihres Schlafentzuges sicher nicht<br />

so schnell vergessen und verarbeiten. Beiden schoss sofort - Bloß nicht wieder so. - durch den<br />

Kopf. „Werden die sicher, sechzehn Leute zu versorgen ist viel Arbeit.“, bemerkte Scully. <strong>Die</strong><br />

Vorstellung, nicht auf die Toilette zu dürfen, war ihr auch nicht gerade angenehm, aber sie<br />

war überzeugt, dass ihren Entführern die Arbeit, sie alle medizinisch zu versorgen, deutlich zu<br />

viel sein würde. Sie betrachtete ihre bis über die Fingerkuppen hinaus verbunden rechte Hand<br />

und bewegte sehr vorsichtig die Finger. Ihr Gesicht verzog sich schmerzlich. Da würden sie<br />

alle noch ein paar Tage gut dran haben, das war klar. Ob man sie so lange hier auf der<br />

Krankenstation lassen würde? Hier waren so viele Leute natürlich einfacher zu handhaben als<br />

in den Zellen. Medizinische Geräte, Verbandmaterial, alles war hier. Zu den Zellen müsste<br />

alles erst hin geschafft werden. So rechnete Scully mit weiteren Tagen Aufenthaltes hier in<br />

diesem großen Saal. Ein wenig beunruhigt dachte sie darüber nach, dass die Untätigkeit schon<br />

in den Zellen schwer zu ertragen war. Hier, liegend, ans Bett gefesselt, würde einige von<br />

ihnen, unter anderem ihren Lebensgefährten, wohl schnell extrem reagieren lassen. Sie hatte<br />

selbst Angst davor. Solange sie betäubt gewesen waren, und nur sporadisch aufgewacht, war<br />

es in Ordnung gewesen, sich nicht bewegen zu können. Aber bei vollem Bewusstsein Stunde<br />

um Stunde an das Bett gefesselt herum zu liegen war etwas ganz anderes. Scully hoffte sehr,<br />

dass es nicht soweit kommen würde, machte sich aber nicht wirklich Illusionen. Und ihr war<br />

klar, dass Mulder extreme Panikattacken bekam, wenn er sich nicht bewegen konnte. Sie<br />

hoffte inständig, dass es nicht dazu kommen würde.<br />

Sie bekamen diesmal wirklich lange Zeit, sich zu unterhalten. Als bei den ersten von<br />

ihnen schon wieder Hungergefühl einsetzte, öffnete sich die Tür zu ihrem Saal und weiß ge-<br />

kleidete Ärzte mit Wachleuten im Schlepptau kamen in den Saal. <strong>Die</strong> Wachposten sammelten<br />

die Tische ein und fixierten den Gefangenen gnadenlos die rechte Hand auch wieder am Bett.<br />

<strong>Die</strong> Kopfteile wurden abgesenkt und dann arbeiteten die Ärzte sich von Bett zu Bett. Sie<br />

wickelten nicht sehr vorsichtig Verbände von Händen und Füßen, tasteten die Verletzungen<br />

ab, dass einigen der Gefangenen Tränen in die Augen schossen und behandelten noch sehr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

offene Stellen mit Chlorhexidin, einem zuverlässigen, aber stark brennenden Wunddes-<br />

infektionsmittel. So war ein kollektives, schmerzhaftes Ächzen und Zischen zu hören.<br />

Schließlich war es bei allen wieder überstanden. Mit Wundsalbe und frischen, leichten Ver-<br />

bänden versehen, lagen alle in ihren Betten. Und nun wurde das erste Mal eine direkte Frage<br />

an die Gefangenen gerichtet. Eine der Ärztinnen, die die Behandlung eben mit vorgenommen<br />

hatte, stand in der Mitte zwischen den Betten und fragte: „Gefangene. Wer von euch ist gegen<br />

Tetanus geimpft?“ <strong>Die</strong> Frage musste bei den meisten von ihnen erst einmal durchdringen.<br />

Sawyer war sich sicher, er nicht. Kate, Jake und Heather schüttelten ebenfalls den Kopf. Alle<br />

anderen nickten. <strong>Die</strong> Ärztin war zufrieden. Sie sagte leise etwas in ihr Headset, was keiner der<br />

Gefangenen verstand. Minuten später kam ein Wachmann herein, mit einem Tablett in der<br />

Hand. Er reichte es der Ärztin, dann verschwand er wieder.<br />

<strong>Die</strong> Ärztin trat an Sawyers Bett, stellte das Tablett auf den Nachtschrank und schlüpfte<br />

in Gummihandschuhe. Sie wickelte eine Einmal-Spritze aus. Aus einer kleinen Flasche zog<br />

sie eine klare Flüssigkeit in die Spritze, dann schlug sie Sawyers Decke bei Seite. Nervös be-<br />

obachtet dieser, wie die Ärztin nun eine Stelle an seinem Oberschenkel desinfizierte. Mit sehr<br />

gemischten Gefühlen sah er die Nadel auf sein Bein zukommen. Er hatte keine Angst vor der<br />

Spritze an sich, wohl aber davor, was da in ihn hinein gespritzt wurde, jedenfalls bei diesen<br />

Leuten hier. Er hielt unwillkürlich die Luft an, als die Spritze in seinen Körper eindrang. Es<br />

brannte heftig. Hoffentlich war es nur die Impfung gegen Tetanus. <strong>Die</strong> Ärztin nahm ihr<br />

Tablett, deckte Sawyer wieder zu und ging weiter, zu Jake. Auch dieser hatte ein aus-<br />

gesprochen ungutes Gefühl, als auch in seinen Oberschenkel eine Spritze versenkt wurde. Das<br />

Heather und Kate ebenfalls eine Spritze erhielten, machte allerdings ziemlich klar, dass es<br />

wohl wirklich nur um die Tetanusimpfung ging. <strong>Die</strong> Einstichstellen brannten lange, und als<br />

die Ärztin den Saal verlassen hatte, fragte Heather Allison, ob das normal war. <strong>Die</strong> junge<br />

Ärztin nickte. „Ja, macht euch nur keine Sorgen. <strong>Die</strong> werden euch mit einer Simultanimpfung<br />

beglückt haben, oder, House, was meinst du?“ House nickte. „Ja, vermutlich.“ „Was ist das<br />

nun wieder, eine Simultanimpfung?“, fragte Jake genervt. Geduldig erwiderte Cameron: „Das<br />

ist eine Mischung aus einer aktiven und einer passiven Impfung, wird bei Tetanus und Toll-<br />

wut häufig genutzt.“ „Hey, ich bin kein Arzt, okay, was meint aktive und passive Impfung<br />

genau?“<br />

House grinste. „Sei froh, dass Bones es dir nicht erklärt, dann hättest du nicht mal das<br />

verstanden.“ Tempe verdrehte die Augen und gab ein leises Lachen von sich. Und Dana fuhr<br />

an Cameron Stelle mit den Erklärungen fort. „Ganz einfach. Eine passive Impfung besteht aus<br />

fertigen Antikörpern, die aus menschlichem Blut gewonnen werden. Damit lässt sich der<br />

Ausbruch der Erkrankung verhindern oder zumindest Abschwächen. Das Ziel der aktiven<br />

338


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Impfung dagegen ist es, einen körpereigenen Schutz vor Krankheitserregern aufzubauen und<br />

so einer Infektion vorzubeugen. <strong>Die</strong> Impfung ist die Nachahmung einer Infektion, gegen<br />

deren Erreger der Körper Antikörper produziert. <strong>Die</strong> Simultanimpfung deckt beide Bereiche<br />

ab.“ Jake und die anderen geimpften Gefangenen hatten genau zugehört. House konnte sich<br />

nicht verkneifen, noch hinterher zu schicken: „Seid froh, dass die Tetanusimpfstoffe so ge-<br />

nannte Totimpfstoffe sind.“ Verständnislos wurde er angestarrt. „Todimpfstoffe enthalten<br />

entweder ganze, abgetötete Erreger, Bruchstücke davon oder nur das Gift. So können sie sich<br />

weder vermehren noch die Krankheit auslösen. Der Vorteil ist in der Regel, dass von Tot-<br />

impfstoffen geringere Nebenwirkungen zu erwarten sind als von Lebendimpfstoffen. Ihr<br />

könnt also davon ausgehen, dass euch keine Hörner wachsen.“<br />

Heimkehr<br />

Heimat ist nicht immer dort, wo man wohnt, sondern dort, wo man liebt und geliebt<br />

wird.<br />

Karlheinz Deschner<br />

Irgendwann schließlich wurde das Licht ausgeschaltet und die Gefangenen versuchten,<br />

zu schlafen. Jetzt machte sich erstmals das Gefesselt sein richtig unangenehm bemerkbar. Als<br />

alle noch unter dem Einfluss von Sedativa gestanden hatten, war es kein Problem gewesen.<br />

Solange sie sich unterhalten hatten, war Ablenkung vorhanden gewesen. Nun machte sich bei<br />

allen bemerkbar, was es hieß, sich nicht bewegen zu können. Mulder spürte, kaum, dass das<br />

Licht verloschen war, heftiges Unbehagen in sich aufkommen. Er wusste, wenn er es nicht<br />

schaffte, JETZT seine Angst unter Kontrolle zu bekommen, wäre er in ein paar Minuten ein<br />

schreiendes Bündel Panik. Verzweifelt versuchte er, tief und gleichmäßig zu atmen. Er zitterte<br />

am ganzen Körper wie das sprichwörtliche Espenlaub. Verflucht. Er durfte hier einfach nicht<br />

in Panik geraten. Niemand würde hier kommen, um ihm ... ja, was eigentlich? Mulder brach<br />

der Schweiß aus. Und dann kam aus der Dunkelheit leise Danas Stimme. „Mulder, du musst<br />

an etwas anderes Denken, komm schon, das schaffst du. Niemand wird dir hier was tun,<br />

okay.“ Und eigenartigerweise schafften diese ruhigen Worte, was er selbst fast nicht geschafft<br />

hätte: Er konnte plötzlich tiefer und gleichmäßiger Atmen und ganz langsam klang die Angst<br />

ein wenig ab. <strong>Die</strong> Erste, die bei den Frauen unruhig wurde, war Kate. Sie spürte, wie ihr heiß<br />

wurde. Und dann wurde ihr klar, dass sie sich nicht einmal abdecken konnte, um sich Er-<br />

339


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

leichterung zu verschaffen. Ziva empfand das Gleiche. Sie lag wach und starrte in die<br />

Dunkelheit. Ihre schlanken Finger trommelten hektisch auf der Matratze, ihre Füße wippten in<br />

einem schnellen, nervösen Takt. Sie wollte sich auf die Seite drehen. Immer unruhiger wurde<br />

die junge Frau. Sie hätte schreien mögen. Sie wollte los gemacht werden. Was sollte werden,<br />

wenn sie zur Toilette musste? Sollte sie etwa darum Betteln müssen? Ziva war den Tränen<br />

nahe, was sie noch mehr verunsicherte. Sie war es nicht gewohnt, so aus der Bahn geworfen<br />

zu werden.<br />

Während es ruhig wurde im Schlafsaal, grübelte Greg darüber nach, dass sie ihren<br />

Entführern vollkommen ausgeliefert waren, gefesselt und hilflos, wie sie hier herum lagen.<br />

Sie waren im Notfall nicht in der Lage, irgendetwas zu ihrer eigenen Rettung beizutragen.<br />

Sollte hier ein Feuer ausbrechen, sie alle sechzehn waren verloren, wenn ihnen ihre Entführer<br />

nicht zur Hilfe kämen. Musste einer von ihnen auf die Toilette, ohne Hilfe ging es nicht.<br />

Durst? Hunger? Schmerzen? Nichts ging ohne ihre Kerkermeister. House hatte das wilde Ver-<br />

langen, in die verhasste Zelle zurück zu kehren. Dort hatte er inzwischen das unsinnige Ge-<br />

fühl, sicher zu sein, wenigstens im beschränkten Maße, und ein gewisses Maß an Kontrolle zu<br />

haben. Er schüttelte den Kopf. So weit war man also schon, dass man die Zelle als Schutz<br />

betrachtete. Als Sicherheitszone. Mein Gott, wie weit sollte das noch gehen? House versuchte<br />

verzweifelt, irgendwie sein Bein zu entlasten.<br />

Sawyer lag wach im Dunkeln und konnte nicht verhindern, dass seine Arme und Beine<br />

immer wieder unwillkürlich versuchten, sich los zu reißen. Er hatte es so unendlich satt, hilf-<br />

los vor diesen Psychopaten zu liegen. Er hatte es satt, jedes Mal zusammen zu zucken vor<br />

Angst, wenn einer von ihnen sich ihm näherte. Er war nie ein Mensch gewesen, der viel<br />

Angst gehabt hatte. Ganz im Gegenteil. Er hatte sich von den wenigen Freunden, die er in<br />

seinem unruhigen Leben gehabt hatte, oft nachsagen lassen müssen, dass ihn so etwas wie<br />

Todessehnsucht vorantrieb. Und jetzt? Jetzt lag er hier im Dunkeln und ihm wurde fast<br />

schlecht vor Angst, wenn er daran dachte, das er, absolut unfähig, sich zu wehren, gefesselt<br />

vor diesen Leuten im Bett lag. Wenn sie auf die Idee kommen würden, ihm die Augen auszu-<br />

stechen, würde er nicht das Geringste dagegen unternehmen können, außer zu Schreien. Und<br />

wenn sie auf die Idee kämen, Kate vor seinen Augen doch noch zu vergewaltigen, oder aufzu-<br />

schlitzen, er würde auch dagegen nichts tun können. <strong>Die</strong>ses Wissen machte den jungen Mann<br />

wahnsinnig. Wenn es doch nur um ihn alleine gegangen wäre. Vermutlich hatten seine<br />

Freunde Recht gehabt. Es war so etwas wie Todessehnsucht, die ihn sein Leben lang begleitet<br />

hatte. Das, was er wollte, was er sein Leben lang verzweifelt gewollt hatte, was ihm gefehlt<br />

hatte, seit er acht Jahre alt war, war Liebe, war bedingungslose Liebe wie sie nur eine Mutter<br />

340


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

geben konnte. Und diese war zerstört worden. Zerstört, als er noch ein Kind gewesen war.<br />

Zerstört von einem Mann, zu dem er selbst geworden war.<br />

Sawyer hatte sich selbst, seit er neunzehn Jahre alt war, mehr gehasst als den Sawyer,<br />

der sein Leben zerstört hatte, als er selbst noch ein kleiner Junge gewesen war. Das er durch<br />

die Umstände selbst zu einem solchen Betrüger geworden war, hatte ihn wirklich in einen<br />

zerstörerischen Selbsthass getrieben, der darin gipfelte, dass er in Sydney den Mann, der dafür<br />

verantwortlich war, was aus seinem Leben, nicht aus ihm selbst, da machte Sawyer sich keine<br />

Illusionen, geworden war, umbrachte. Das maßlose Entsetzen, als er erkannte, dass er von<br />

einem sogenannten Freund für einen eiskalten Mord missbraucht worden war, hatte James für<br />

einige Tage regelrecht gelähmt. Er war drei, vier Tage lang nur sinnlos betrunken gewesen. Er<br />

hatte einen unschuldigen Mann getötet. Wie sollte er mit dieser Schuld je weiter leben<br />

können? Er war ein Betrüger, klar, aber kein Mörder! Und ausgerechnet in dieser voll-<br />

kommenen Ausweglosigkeit begegnete ihm die einzige Frau, für die er je etwas empfunden<br />

hatte. Kate. Neben seiner getöteten Mutter die einzige Frau, die ihn genau so geliebt hatte:<br />

bedingungslos, so, wie er eben war. Und er fand sie, nur, um sie hier, bei diesen kranken<br />

Psychopathen sofort wieder zu verlieren? Das konnte doch nicht wahr sein. Sawyer zwang<br />

sich, ruhig und tief zu atmen. Es nützte ihm nicht das Geringste, wenn er in Panik geriet.<br />

Jake ein paar Betten weiter konnte ebenfalls nicht verhindern, dass er genervt an den<br />

Fesseln zerrte. Ähnlich wie Sawyer dachte er darüber nach, dass er sich bisher nie für einen<br />

ängstlichen Menschen gehalten hatte. Jedoch musste er zugeben, dass der Aufenthalt hier, die<br />

Gefangenschaft, ihn nach und nach zermürbt hatte. Was sie bisher schon alle hatten ertragen<br />

müssen, was er selbst erduldet hatte, hatte deutliche Spuren in Jakes Psyche hinterlassen. <strong>Die</strong><br />

gefesselten Hände außerhalb der Zellen, dieses grässliche Gefühl, sich nicht einmal gegen<br />

eine simple Ohrfeige wehren zu können, abwehrend die Hand zu heben, machte ihn nach und<br />

nach immer fertiger. Nicht, dass es ihm etwas gebracht hätte, sich wehren zu können, aber der<br />

psychologische Effekt war mit gefesselten Händen einfach deutlich größer. Hier vollkommen<br />

hilflos im Bett zu liegen, nackt, wehrlos, verletzlich, machte ihm deutlich, wie schutzlos sie<br />

alle wirklich waren. Kamen ihre Entführer zu ihnen, war keiner von ihnen mehr im Stande,<br />

ein banges Zittern zu unterdrücken. Dafür hatte man ihnen schon zu oft entsetzliches angetan.<br />

Jake fluchte im Stillen. Es machte ihn fast wahnsinnig, dieses Gefühl, Angst zu haben, bei<br />

jeder Annäherung einer der Wachen oder Ärzte Schweißausbrüche zu kriegen, zu spüren, wie<br />

die Panik in ihm hoch kroch. Zusammen zu zucken bei Geräuschen, zu erzittern, wenn<br />

Schritte sich näherten, Übelkeit zu verspüren, wenn die eigene Nummer aufgerufen wurde.<br />

Und die ständige, allgegenwärtig Angst um Heather.<br />

341


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder hatte sich wieder ein wenig unter Kontrolle bekommen. An Schlaf war jedoch<br />

nicht zu denken, viel zu ausgeschlafen war er noch. Er versuchte zu analysieren, was die<br />

Aktionen ihrer Entführer bewirken sollten. Es half ihm, wenn er verstehen konnte, warum<br />

unangenehme Dinge geschahen. In Gedanken ging er chronologisch durch, was bisher mit<br />

den Gefangenen getan worden war. Sie waren zunächst ihrer Kleidung beraubt und in die<br />

lächerlichen Kittel gesteckt worden. Das und die konsequente Anrede mit Nummern sollte<br />

Identitätsverlust bewirken. <strong>Die</strong> Gefangenen waren wie Laborratten behandelt worden und<br />

sollten sich auch genau als solche fühlen. Man hatte ihnen drastisch klar gemacht, dass es<br />

kein Entkommen gab und dass Ungehorsam schwer bestraft wurde. Hinzu kam der Verlust<br />

jeglicher zeitlicher Orientierung. Sehr geschickt, musste der Psychologe zugeben. <strong>Die</strong> Maß-<br />

nahmen waren absolut geeignet gewesen, jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Dann<br />

waren die Gefangenen, die von den Leuten, in deren Gewalt sie sich befanden, sicher als Pro-<br />

banden bezeichnet wurden, dazu gezwungen worden, bis zur völligen Erschöpfung zu<br />

arbeiten und nun der krasse Wechsel zur praktisch vollständigen Bewegungslosigkeit. - Ge-<br />

lernte Hilflosigkeit - dachte Mulder. - Willkürlich, unabhängig von unserem Verhalten<br />

machen die Wachen mit uns, was auch immer sie wollen. Wir alle haben Angst, ist doch<br />

offensichtlich, dass niemand das Geringste unternehmen könnte, ganz gleich ob wir gequält<br />

oder die Frauen vor unseren Augen vergewaltigt würden. Sicher werden die uns eine Weile<br />

schmoren lassen, diese Erkenntnis unserer absoluten Ohnmacht, des vollkommenen Aus-<br />

geliefertseins sacken lassen. -<br />

Dana gingen ähnliche <strong>Über</strong>legungen durch den Kopf. Wie mit Sicherheit bei allen<br />

Frauen verursachte die Haltung, in der sie wehrlos fixiert war, mehr als nur Unbehagen.<br />

Praktisch nackt, die Hände gefesselt, die Beine leicht gespreizt fixiert, musste zwangsläufig<br />

die Sorge auslösen, auch sexuellen <strong>Über</strong>griffen jeder Art hilflos ausgeliefert zu sein. Mit<br />

dieser größten Angst der Frauen und ihrer Partner hatten die Entführer ja bereits geschickt<br />

gespielt. - Genau das tun diese Leute, sie spielen mit uns. - dachte Scully. Ihr nüchterner Ver-<br />

stand zwang die Panik nieder, die in der zierlichen Rothaarigen aufsteigen wollte. Wenn Ver-<br />

gewaltigung auf dem Plan stünde, hätten die das längst getan. - Irgendetwas wollen die Ver-<br />

antwortlichen von uns, wir werden systematisch darauf dressiert, ohne Zögern zu gehorchen,<br />

was auch immer von uns verlangt werden mag. Unser Widerstandswille ist längst gebrochen,<br />

wir beginnen zu akzeptieren, dass wir vollkommen abhängig vom Wohlwollen der skrupel-<br />

losen Leute sind, in deren Gewalt wir uns befinden. Wir sollen gefügig gemacht, aber nicht so<br />

vollständig gebrochen werden, dass wir für anspruchsvolle Aufgaben unbrauchbar werden. -<br />

machte die Ärztin sich bewusst. Einige Grundkenntnisse in Psychologie hatte sie in ihrem<br />

Studium mitbekommen und etliche Jahre engster Zusammenarbeit mit einem Psychologen<br />

hatten diese zwangsläufig vertieft. - Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass wir Frauen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mit Vergewaltigung rechnen müssen. - beruhigte sich die kühle Agentin selbst. - Damit<br />

würden die Leiter der Aktion sich mehr schaden als nützen. Unsere Kooperationsbereitschaft<br />

wird eher dadurch erhöht, dass nichts von dem eintritt, was wohl jeder von uns befürchtet,<br />

sondern wir stattdessen dankbar die zurückgegebene Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit<br />

zur Entleerung der Blase honorieren werden. -<br />

Zäh tropften die Stunden dahin. Kaum einer schlief richtig in dieser Nacht. Immer<br />

wieder döste der eine oder andere Gefangene zwar ein, aber in erholsamen, tiefen Schlaf fiel<br />

keiner. Zum einen waren sie nach der tagelangen Sedierung nicht übermäßig müde, zum<br />

anderen gingen ihnen, gefesselt und bewegungsunfähig, zu viele trübe Gedanken durch den<br />

Kopf. Mit fortschreitender Dauer der Nacht meldeten sich dann, wie Bones schon angedeutet<br />

hatte, ihre Blasen immer stärker. Dass alle Mitgefangenen mit bekamen, wie jeder von ihnen<br />

im Laufe der Stunden zappeliger und unruhiger wurde, machte das Ganze nicht angenehmer.<br />

Besonders unbehaglich fühlten sich Mulder, Sawyer und Booth, die wegen ihres Brandes, den<br />

sie nach ihrem Erwachen empfunden hatten, den angebotenen Liter Wasser komplett aus-<br />

getrunken hatten. Wenn nur endlich jemand kommen und sie los machen würde. Sawyer<br />

grauste davor, möglicherweise wieder auf eine so demütigende Weise wie bei seinem Schlaf-<br />

entzug die Blase entleert zu kriegen. - Alles, nur das nicht. - dachte er verzweifelt. Neben sich<br />

hörte er Booth immer unruhiger werden und mit den Zähnen knirschen. Je weiter die Nacht<br />

fortschritt, desto mehr drangen auch aus den anderen Betten eindeutige Geräusche durch die<br />

vollkommene Dunkelheit des Raumes. Und dann war, plötzlich und so überraschend, dass<br />

alle erschraken, House‟ Stimme zu vernehmen. „Verdammte Scheiße. Ich piss gleich ins<br />

Bett.“<br />

Kurze Zeit nach diesem verzweifelten Ausbruch hörten die Gefangenen, wie die Tür<br />

geöffnete wurde und schlossen vorsichtshalber die Augen, sich gegen das zu erwartenden<br />

grelle Licht wappnend. Es dauerte einige Minuten, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt<br />

hatten. Wachen kamen zum Raum herein und ignorierten geflissentlich die ihnen flehentlich<br />

zugeworfenen Blicke ihrer wehrlosen Opfer. <strong>Die</strong>se konnten es nicht fassen. Mehr als alles<br />

andere wünschten sie sich, endlich auf die Toilette gelassen zu werden. Stattdessen brachten<br />

die Wachen Servierwagen mit Kaffee und Sandwiches in den Saal. Sie ignorierten weiterhin,<br />

dass die Gefangenen sich zum Teil verzweifelt in den Betten wanden. Und dann, endlich,<br />

wurde Locke von seinen Fesseln befreit. Etwas verkrampft erhob er sich nach einer ein-<br />

deutigen Geste von seinem Bett und sah die Wache, die ihn befreit hatte, fragend an. <strong>Die</strong>se<br />

deutet wortlos auf eine Tür im Hintergrund des Raumes, leicht verborgen hinter einer Mauer-<br />

nische. Locke seufzte unendlich dankbar und humpelte los. Er versuchte, sich zu beeilen, aber<br />

die schmerzenden Füße ließen keine allzu schnellen Bewegungen zu. Als er den Schlafsaal<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Minuten später wieder betrat, wusste Locke ohne hinzusehen, dass alle Augen auf ihm ruhten.<br />

Er schleppte sich zu seinem Bett zurück, wurde kommentarlos wieder fixiert, bis auf die<br />

rechte Hand. <strong>Die</strong> nächste, die befreit wurde, war Allison. Dass sie gezwungen war, nackt<br />

herumzulaufen, versuchte die Ärztin verzweifelt zu ignorieren. Wenn sich auch jeder einzelne<br />

nach Kräften beeilte, war die Wartezeit, bis man selbst endlich an der Reihe war, eine einzige<br />

Qual. Heather biss sich auf die Lippen, um zu verhindern, dass ihr die flehentliche Bitte ent-<br />

schlüpfte, endlich zur Toilette zu dürfen. Ihre Welt war auf das verzweifelte Drängen ihrer<br />

Blase reduziert. Nicht einmal die Beine zusammen pressen zu können, machte die Qual noch<br />

größer. Soweit es die Fixierung zuließ, wand die junge Frau sich in ihren Fesseln. Endlich,<br />

endlich war sie an der Reihe. Dass sie nackt war, machte der Lehrerin schon nichts mehr aus.<br />

Nur noch die Toilette zählte. Abby war als nächste an der Reihe. Ungeheuer erleichtert ver-<br />

suchte sie möglichst schnell zu gehen, konnte es aber nicht, weil sie befürchtete, dann den<br />

Urin nicht mehr halten zu können. Außerdem wollten ihre so lange fixierten Beine ihr nicht so<br />

recht gehorchen. Endlich. Inzwischen wäre es der jungen Frau auch egal gewesen, wenn die<br />

Wache mitgekommen wäre. Vor Erleichterung und Dankbarkeit flossen ein paar Tränen, als<br />

endlich das Gefühl der Erleichterung einsetzte.<br />

Als schließlich auch der letzte Gefangene erleichtert und zum Teil Schweiß gebadet<br />

von den doch noch erheblichen Schmerzen gerade in den Füßen wieder im Bett lag, gab es<br />

Frühstück. Der Kaffee wurde von allen Gefangenen skeptisch angestarrt. <strong>Die</strong> Angst, wieder<br />

so lange warten zu müssen, bis man auf die Toilette durfte, war grausam. Schließlich überwog<br />

aber bei allen der Wunsch, etwas anderes als Wasser zu bekommen. Nicht nur Abby hatte<br />

ungeheure Dankbarkeit empfunden, als sie endlich den erlösenden Raum erreicht hatte, an<br />

den sie schon seit Stunden alle krampfhaft gedacht hatten. House sah klar. - Großartig. Jetzt<br />

sind wir den Arschlöchern schon dankbar, weil sie uns unsere Grundbedürfnisse erledigen<br />

lassen. - dachte er total genervt. Mulder überlegte - Wir können nur hoffen, dass denen diese<br />

eine Lektion ausreichend erscheint. So willig haben wir uns alle noch nicht abführen lassen,<br />

die echte Dankbarkeit stand jedem von uns ins Gesicht geschrieben. Wir können uns noch<br />

freuen, dass sie nicht auf ein Dankeschön bestanden. - Er trank einen Schluck Kaffee und sah<br />

zu Dana herüber. „Wunderbar, Kaffee zu bekommen, was?“ Dana lächelte. „Allerdings. Und<br />

belegte Sandwiches sind auch nicht zu verachten.“ „Der Kaffee ist richtig gut, dafür lohnt es<br />

sich fast, ein paar Stunden fixiert zu sein.“, seufzte Gil voll Wohlbehagen. „Wann sie uns<br />

wohl wieder in die Zellen bringen? Irgendwie habe ich den eigenartigen Wunsch, dorthin<br />

zurück zu kommen.“, erklärte Heather mit leicht belegter Stimme. Es kam der jungen Frau<br />

eigenartig vor, dass sie sich in die Zelle zurück sehnte. Mulder hätte ihr dazu einiges erklären<br />

können. „Zuckerbrot und Peitsche.“, ließ sich Gibbs vernehmen. „Wahrscheinlich ist das<br />

einer der Zwecke der Übung.“, wandte Mulder sich an Heather. „Wir sollen unsere Käfige als<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heimat empfinden, akzeptieren, dass wir dort hin gehören. <strong>Die</strong> Herrschaften konditionieren<br />

uns wie die Pawlowschen Hunde. Mit einem perfiden System von Strafe und Belohnung<br />

machen die uns gefügig.“ Mulder machte ein kleine Pause, dann fuhr er fort: „Sicher habt ihr<br />

alle auch Dankbarkeit empfunden, weil wir endlich unsere primitivsten Grundbedürfnisse<br />

stillen konnten. Wir sollen anfangen, unsere Peiniger als Wohltäter zu empfinden, ein ver-<br />

dammt geschickter Schachzug.“ „Wenn diese Bastarde sich einbilden, ich würde vor Dank-<br />

barkeit in die Knie gehen, weil ich auf die Toilette durfte, sind die Herrschaften auf dem<br />

Holzweg.“, knurrte House gereizt. Er wollte um keinen Preis zugeben, dass er, genau wie alle<br />

anderen auch, ungeheuer dankbar gewesen war, endlich zur Toilette zu dürfen.<br />

Nachdem alle fertig gefrühstückt hatten und alles wieder eingesammelt worden war,<br />

kamen mehrere Ärzte und nahmen die Verbandswechsel vor. Einige der Gefangenen erhielten<br />

nur noch leichte Verbände, bei Heather, Allison, House und Dana waren an den Füßen keine<br />

Verbände mehr notwendig, sie waren ja auch nicht stundenlang über den steinigen Acker ge-<br />

laufen. Nachdem auch das erledigt war, zogen sich die Ärzte zurück, dafür kamen nun diverse<br />

Wachposten herein und befreiten die Gefangenen von ihren Fesseln. Erstaunt erhielten sie<br />

auch alle frische Kittel und waren, schon wieder, dankbar, etwas erhalten zu haben, dass ihre<br />

Lage ein klein wenig erträglicher machte. Wie jeder, der ein wenig von Psychologie verstand,<br />

war auch Booth erschrocken darüber, mit welcher Leichtigkeit die Entführer es schafften, in<br />

ihren Opfern Dankbarkeit auszulösen. Ihm graute. Als sie sich mit den Kitteln bekleidet<br />

hatten, wurden sie alle aufgefordert, die Betten zu verlassen und bekamen die Hände auf den<br />

Rücken gefesselt. House durfte ohne Fesseln laufen, er erhielt sogar nach dem langen Liegen<br />

einen Stock. Minuten später trafen sie überrascht im Kerker ein. Da waren sie, ihre Zellen.<br />

Vollkommen erstaunt stellten die Gefangenen nun eine gravierende Neuerung fest. Statt der<br />

doch sehr unbequemen Liegen, die sie bisher zum Schlafen hatten nutzen müssen, waren<br />

ziemlich bequem aussehende Betten installiert worden. Mit Kopfkissen und Zudecken.<br />

Begeistert leuchteten die Augen der meisten Gefangenen auf. Richtige Betten. Mulder stutze.<br />

<strong>Die</strong>se Leute taten nichts ohne Grund, garantiert waren die Betten nicht aus reiner Menschen-<br />

freundlichkeit gebracht worden. Um die Gefangenen dazu zu bringen, dankbar zu sein und<br />

sich nach ihren Zellen zu sehnen, war diese Neuerung nicht nötig. Der Psychologe ahnte<br />

nichts Gutes, hütete sich aber, seine Zweifel zu äußern. <strong>Die</strong> Leidensgenossen hatten eine<br />

Atempause in all dem Horror redlich verdient. In der Verfassung, in der sich alle Gefangenen<br />

befanden, einige mehr, andere weniger, war nicht allzu viel mit ihnen anzufangen. Vielleicht<br />

sollte ja wirklich nur eine schnellere Regeneration gewährleistet werden, hoffte Mulder.<br />

Glauben konnte er das allerdings nicht so recht...<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er war jedoch nicht der Einzige, der sich Gedanken machte. Als man allen die Fesseln<br />

gelöst und sie in die Zellen beordert hatte, entdeckten die Gefangenen, dass nicht nur die<br />

Betten neu waren, nein, auf den Kopfkissen lag ein Buch. William Goldings „Herr der<br />

Fliegen„. - Wunderbar passend ... - dachte Sawyer, der den Bestseller bereits kannte. - Warum<br />

die wohl plötzlich so spendabel sind? - Sawyer hatte das unangenehme Gefühl, dass es noch<br />

ein dickes Ende geben würde. Erst einmal sank er aber erleichtert auf das Bett nieder und<br />

stellte fest, dass es durchaus gemütlich und bequem war. Kein Vergleich mit der kaum ge-<br />

polsterten Liege. Mit einem breiten Grinsen ließ er sich zurück sinken und sagte dann laut:<br />

„Nun fehlt nur noch eine Lockerung der Verteilung auf die Zellen, und ich bin zufrieden.“<br />

Bevor Jake es verhindern konnte, war ihm schon: „Hast Recht, eigentlich ist momentan nur<br />

noch ein dringendes Grundbedürfnis offen ...“, entwischt. Ein hämisches Lachen kam aus<br />

House‟ Zelle. „Nach dem Essen sollst du Rauchen, oder eine Frau gebrauchen ...“ Heather lief<br />

dunkelrot an, während Ziva, Bones und Kate kicherten. Sogar Scully gönnte sich ein ver-<br />

haltenes Grinsen. Ungeheuer erleichtert, wieder in den Zellen zu sein, sich bewegen zu<br />

dürfen, waren sie einfach im Moment das, was zufrieden in der derzeitigen Situation am<br />

nächsten kam. Hände und Füße verheilten, solange sie aber noch verbunden wurden, bestand<br />

höchstwahrscheinlich kein Grund, übermäßig besorgt bezüglich der nächsten Horroraktion zu<br />

sein. Allen ging es soweit gut, sie hatten ein vernünftiges Bett und sogar ein Buch.<br />

Der Tag verging ruhig. Man ließ die Gefangenen in Frieden, erlaubte ihnen sogar die<br />

meiste Zeit, sich zu unterhalten. Wenn auch nicht alle schon gerne auf den Füßen waren,<br />

konnten sie die Erleichterung darüber, sich ungehindert bewegen zu können, nicht verhehlen.<br />

<strong>Die</strong> Toilette benutzen zu können, wenn ihnen danach war, in der Zelle herum zu gehen, wenn<br />

auch humpelnd und unter Schmerzen, war besser, als gefesselt herum zu liegen. Sie bekamen<br />

sogar eine zweite Mahlzeit, bestehend aus Cola und Spiegeleiern mit Speck. Nach dem Essen<br />

kamen Ärzte und nahmen erneut einen Verbandswechsel vor. Dann aber kam das dicke Ende,<br />

welches nicht nur Sawyer befürchtet hatte. Und es kam wie ein Unwetter über die<br />

schockierten Gefangenen. Nachdem die Ärzte die Zellen verlassen hatten, kamen plötzlich<br />

eine ganze Reihe von Wachleuten in den Zellentrakt. Beunruhigt sahen die Gefangenen ihnen<br />

entgegen. <strong>Die</strong> Wachen verteilten sich auf die Zellen und die vollkommen überrumpelten In-<br />

sassen bekamen den Befehl: „Schlafenszeit. Ab ins Bett.“ Einige gehorchten aus Angst sofort,<br />

wie Heather, Allison, Abby, einige von ihnen, wie Dana, Gil, Sara, Locke, aus Vernunft.<br />

House, Kate, Gibbs und Mulder gehorchten widerwillig und zähneknirschend. Besonders<br />

Mulder musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. <strong>Die</strong> Vorstellung, wieder bewegungsunfähig<br />

gemacht zu werden, trieb ihm Wellen der Panik durch den Körper. Äußerst widerwillig<br />

streckte er sich auf dem Bett aus, konnte nicht verhindern, am ganzen Körper zu zittern. Sein<br />

Herz raste. Dann lag er in der vorgeschriebenen Haltung. Als die Gefangenen lagen, be-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

merkten sie erst, dass an den Betten Metalllaschen befestigt waren, an denen ihre Hand und<br />

Fußringe fixiert wurden. Bones, Ziva, Sawyer, Jake und Booth starrten fassungslos in die<br />

anderen Zellen. Bones war es schließlich, die als erstes aussprach, was die anderen dachten.<br />

Empört fragte sie: „Was soll das? Wir haben nichts gemacht. Warum sollen wir ...“ <strong>Die</strong><br />

anderen schüttelten entsetzt die Köpfe. Nicht wieder die ganze Nacht fixiert werden. Das<br />

konnte nicht der Ernst dieser Leute sein. Sie konnten doch nicht ... „Hinlegen, und zwar<br />

pronto.“ Leicht panisch schüttelten Ziva, Jake und Booth die Köpfe und auch Sawyer und<br />

Bones bissen sich auf die Lippen. Und dann ging alles blitzschnell. Alle fünf zuckten plötz-<br />

lich kollektiv zusammen, rissen aufschreiend die Hände an den Ring um den Hals und sanken<br />

vor Schmerzen wimmernd auf die Knie. Vollkommen paralysiert von den Schmerzen, wurden<br />

sie hoch gezerrt, brutal auf ihre Betten geworfen und zwar auf den Bauch. Ruhig verbanden<br />

die Wachen die Fußringe und die Handringe mit den Karabinerhaken. Dann wurden die Beine<br />

angewinkelt und zum Körper hin gezogen. Mit einem weiteren Karabinerhaken, den die<br />

Wachen vorsorglich in den Jackentaschen hatten, wurde eine Verbindung zwischen Hand und<br />

Fußfessel geschaffen. In dieser qualvollen Haltung wurden die fünf wehrlosen Opfer einfach<br />

auf den Betten liegen gelassen.<br />

Kate hatte mit wachsendem Entsetzen zugesehen, was sich in den Zellen abspielte.<br />

Warum nur war Sawyer so dumm, sich zu widersetzen? Als er vor Schmerzen aufbrüllte,<br />

hatte Kate unwillkürlich ebenfalls aufgeschrien. Den geliebten Mann so leiden zu sehen und<br />

zu hören, überstieg einfach ihre Beherrschung. Selbst auf die Gefahr hin, ebenfalls bestraft zu<br />

werden, schluchzte sie vollkommen entsetzt auf. „Bitte ...“ Keine der Wachen reagierte auf<br />

sie, was durchaus auf Glück zurück zu führen war. Als die fünf wehrlosen Opfer in der<br />

schmerzhaften und sehr unangenehmen Haltung lagen, schlossen die Wachen die Zellen und<br />

verließen dann ruhig den Kerker. Das Licht ging aus und es hatte Ruhe zu herrschen. Von<br />

dem Schluchzen, das aus mindestens zwei Zellen drang, mal abgesehen, war aus den Zellen<br />

der Bestraften im Dunkeln leises Stöhnen und Keuchen zu hören. <strong>Die</strong> Schmerzen am Hals<br />

ließen nach und langsam dämmerte ihnen, in welche Lage sie sich gebracht hatten. Ziva<br />

schäumte vor Wut. Ihr schossen ein Dutzend Möglichkeiten durch den Kopf wie sie ihre Ent-<br />

führer langsam und qualvoll umbringen könnte, wenn sie nur ihre Hände benutzen könnte.<br />

Von der unangenehmen Fesselung tat ihr alles weh, aber das war es nicht, was sie so wütend<br />

machte. Sie hatte gelernt Schmerzen auszublenden. Was sie wirklich rasend machte war die<br />

demütigende Haltung, in der sie in ihrer frei einsehbaren Zelle zur Schau gestellt wurde. Aber<br />

mindestens ebenso sehr wie über ihre Entführer ärgerte Ziva sich über ihre eigene Un-<br />

beherrschtheit. Sie gestand sich widerwillig ein, dass ihr Vater Recht gehabt damit gehabt<br />

hatte, dass sie ihr hitziges Temperament zügeln lernen sollte.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather hob den Kopf und sah hinüber in Jakes Zelle. Sie konnte sein Gesicht nicht<br />

sehen, aber sie wusste auch ohne seinen Gesichtsausdruck, wie demütigend diese Art der<br />

Fesselung für ihn war. Sie war hin und her gerissen zwischen Mitleid für Jake und Ärger, dass<br />

er sein Versprechen gebrochen und sich wieder einmal unnötigerweise mit den Entführern<br />

angelegt hatte. Legte er es darauf an, hier nicht lebend raus zukommen? Heather verrenkte<br />

sich fast den Hals, um zu Jake in die Zelle herüber zu schauen. <strong>Die</strong> Fesselung sah aus-<br />

gesprochen unangenehm aus. Das musste ungeheuer auf die Schultern, Arme und vor allem<br />

Wirbelsäule wirken. - Großer Gott, Jake. - dachte die junge Frau gleichermaßen besorgt und<br />

verständnislos. Jake und die anderen vier Bestraften konnten Heathers Vermutung, dass diese<br />

Fesselung sehr starke negative Auswirkungen auf die Schultern und Arme, sowie die Wirbel-<br />

säule hatte, nur bestätigen. Schon nach relativ kurzer Zeit tat den Gefesselten die Schulter-<br />

muskulatur und die Armgelenke ziemlich weh. Sawyer hätte sich in den Hintern beißen<br />

können. Was veranlasste ihn nur immer wieder dazu, sich in solche Lagen zu manövrieren?<br />

Er schloss resigniert die Augen. Es würde eine lange Nacht werden, darüber war er sich nur<br />

allzu klar. An Schlaf war nicht zu denken, wieder mal nicht. Booth machte sich Sorgen um<br />

Bones. Sich selbst hatte er, nachdem die unglaublichen Schmerzen, die von den Impulsen des<br />

Halsbandes ausgingen, endlich nachgelassen hatten, nur noch als Idioten bezeichnet. Wie<br />

konnte er nach allem, was schon gewesen war, denn nur so blöde sein, sich einem klaren Be-<br />

fehl zu widersetzen? Hatte er durch seine Sturheit Bones erst Mut gemacht, ebenfalls zu<br />

Zögern? Gerne hätte er ihr Mut gemacht, aber er wagte nicht, irgendwas zu sagen.<br />

Phase 3: Begreifen und Akzeptieren<br />

Hoffnung ist das Band zwischen Verzweiflung und Akzeptanz.<br />

Anette Andersen<br />

Lernefekt<br />

Manche brauchen zwei Jahre um sprechen zu lernen und fünfzig, um schweigen<br />

zu lernen.<br />

348


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ernest Hemingway<br />

Bones selbst konnte nicht fassen, dass sie sich hatte hinreißen lassen. Aber die Vor-<br />

stellung, sich kommentarlos aufs Bett zu legen und fesseln zu lassen, hatte alle Alarmanlagen<br />

in ihr los klingeln lassen. Trotzdem hätte sie es besser wissen müssen. Immerhin waren sie<br />

nicht erst seit gestern in der Hand dieser Menschen. Sie hatten gerade erst mehr als schmerz-<br />

lich erfahren, zu was die Entführer fähig waren und nun ließ sie sich hinreißen, gegen einen<br />

direkten Befehl zu handeln. Was war nur in sie gefahren? <strong>Die</strong> Erkenntnis, nicht wieder darauf<br />

angewiesen sein zu wollen, von diesen Schweinen gnädig zur Toilette gelassen zu werden.<br />

Bones seufzte und versuchte, ihre Schultern zu entspannen. Nicht aufs Klo zu können war im<br />

Augenblick ihr geringstes Problem. <strong>Die</strong> Haltung, in die man sie gezwungen hatte, war so de-<br />

mütigend, dass Bones vor Scham und Wut Tränen in die Augen traten. Auch für die Männer<br />

war es sicher furchtbar. Bones versuchte, so locker zu lassen wie ihr möglich war und biss<br />

sich auf die Lippen. Das tat gemein weh, aber sie war wild entschlossen, sich jeden<br />

Schmerzenslaut zu verkneifen. Sie drehte den Kopf und sah in die Zelle Sawyers hinüber. Im<br />

schwachen Licht der Nachtlampe konnte sie sein Gesicht schemenhaft erkennen. Gerade<br />

öffnete er die Augen und sah, dass Bones zu ihm rüber schaute. Resigniert grinste er. Er be-<br />

wegte sich ein wenig und verzog sogleich vor Schmerzen das Gesicht. Verdammt. Seine<br />

Schultern taten schon jetzt weh und die Wirbelsäule schien ihm einen Vogel zu zeigen und zu<br />

fragen, was, zum Henker er da trieb. Er fragte sich ernsthaft, wie sie diese Haltung mög-<br />

licherweise über Stunden aushalten sollten und eine Gänsehaut kroch ihm über den Körper.<br />

<strong>Die</strong> Stunden tropften wieder einmal zäh dahin. Von den Bestraften schlief selbstver-<br />

ständlich keiner. Aber auch die anderen Gefangenen schliefen, wenn überhaupt, unruhig und<br />

wachten jedes Mal auf, wenn sie sich im Schlaf bewegen wollten. Sofort gingen ihre Ge-<br />

danken zu den so brutal gefesselten Leidensgenossen. Wie es ihnen wohl gehen mochte? Ziva<br />

kam mit der Fesselung von allen fünf noch am besten klar. <strong>Die</strong> junge Israelin war klein, be-<br />

weglich und konnte mit Schmerzen sehr gut umgehen. Für die größeren Männer war es unan-<br />

genehmer, soviel war klar. Ihnen mussten die Rücken inzwischen sehr schmerzen. Wie lange<br />

sie hier schon so lagen, hätte keiner von ihnen sagen können, es schienen beinahe Tage zu<br />

sein. In Wirklichkeit waren vier Stunden vergangen. Auch die Frauen litten immer größere<br />

Schmerzen. Verbissen konzentrierten sie sich auf ihre Atmung und darauf, den Peinigern<br />

nicht die Genugtuung zu gönnen, den Schmerz heraus zu schreien. - <strong>Die</strong> sollen sich nicht ein-<br />

bilden, eine Mossad Agentin so leicht klein zu kriegen. - dachte Ziva grimmig entschlossen.<br />

Ein Blick in Sawyers Zelle zeigte der jungen Frau, dass dieser immer wieder gepeinigt die<br />

349


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Augen zusammen kniff. Sie konnte in der Dunkelheit hören, wie nicht nur er mit den Zähnen<br />

knirschte vor Schmerzen. Und dann hörte sie plötzlich, wie es im Lautsprecher kackte.<br />

„Nachdem ihr nun eure Tapferkeit ausreichend unter Beweis gestellt habt, werdet ihr<br />

sicher vernünftig genug sein, es den Wachen und euch selbst nicht schwerer als nötig zu<br />

machen und die gleiche Fixierung akzeptieren wie eure klügeren Mitgefangenen. Ihr habt ein<br />

paar Minuten Zeit, darüber nachzudenken und euch zu beraten. Dann werden die Wachen<br />

eure Lage erleichtern, falls ihr vernünftig seid.“ Hatte noch jemand in der Runde geschlafen,<br />

war jetzt auch der letzte Gefangene hellwach. <strong>Die</strong> fünf Betroffenen hatten hoffnungsvoll ge-<br />

lauscht. Bones war bereit, alles zu tun, ihr war es egal, ob sie im Nachgeben eine noch<br />

größere Demütigung empfand. Sie brauchte nicht nachzudenken. Sie würde sich in die vor-<br />

gesehene Haltung begeben. Ziva und die Männer wollten nicht schon wieder die Ge-<br />

schlagenen sein. Anderseits war ihnen klar, dass sie nicht unbegrenzte Zeit würden durch-<br />

halten können, ehe sie begannen, ihren Schmerz deutlich zu zeigen. Irgendwann würden sie<br />

wahrscheinlich gezwungen sein, darum zu bitten, erlöst zu werden, was eine wesentlich<br />

größere Demütigung darstellen würde. <strong>Die</strong> Formulierung der Ansage ließ durchaus die<br />

Möglichkeit, einen gewissen Stolz zu wahren. Sawyer stiegen vor Wut Tränen in die Augen.<br />

Es war ihm klar, wie Jake, Booth und auch Ziva, dass sie würden Nachgeben müssen. Er hatte<br />

das Gefühl, es nicht mehr lange zu ertragen, immer wieder der Verlierer zu sein. Kurz zog er<br />

ernsthaft in Erwägung, den Entführern ins Gesicht zu schreien, dass sie sich ihre Fixierung<br />

sonst wo hin schieben sollten. Dann aber drang eine besorgte Stimme an sein Ohr, die ihm<br />

sofort und nachhaltiger als alle Schmerzen dieser Welt zusammen klar machte, dass er auf-<br />

geben würde.<br />

„Bitte, Baby, es hat doch keinen Sinn, willst du, dass sie dich vollkommen brechen?“<br />

Kate war nicht sicher, ob das Beraten auch für sie galt, aber es war ihr egal. Sie war<br />

mindestens so wütend wie besorgt, weil Sawyer sich wieder einmal in Schwierigkeiten ge-<br />

bracht hatte. So rief sie ihm zu: „Sei doch bloß einmal vernünftig. Es nutzt absolut<br />

niemandem, wenn du zeigst, wie stur du sein kannst.“ Auch Heather bat Jake, nachzugeben.<br />

Gibbs überlegte, ob er versuchen sollte, auf Ziva einzuwirken oder lieber erst abwarten sollte,<br />

ob sie selbst Chancen und Risiken abwägen und eine vernünftige Entscheidung treffen würde.<br />

Dann entschied er sich, es der jungen Frau selbst zu überlassen. Sie war alt genug und wusste<br />

besser als jeder andere, was sie sich zutrauen konnten. Bones jedoch sagte mit gepresster<br />

Stimme: „Hör mal, Booth, ich kann nicht mehr. Und ich würde <strong>mich</strong> erheblich wohler fühlen,<br />

wenn ich wüsste, dass auch du bequem liegst.“ Alle wussten, dass ihnen letztlich keine Wahl<br />

blieb. Sie konnten sich einreden, auf die inständigen Bitten ihrer Begleiter und nicht wegen<br />

ihrer Schmerzen nachgegeben zu haben. Jake war der erste, der nachgab. „Okay, sollen sie<br />

350


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>mich</strong> doch in diese idiotische Haltung fesseln, die Drecksäcke.“, stieß er schmerz- und hass-<br />

erfüllt hervor. Auch Booth seufzte ergeben. „Wenn es dich beruhig, Bones, werde ich selbst-<br />

verständlich einlenken.“ Tempe grinste trotz ihrer Schmerzen. Ihr war klar, dass es Seeley so<br />

sehr viel leichter fiel, nachzugeben.<br />

Kate wartete gespannt auf Sawyers Antwort. Sie hatte sehr wohl eine Vorstellung, wie<br />

wichtig ein kleiner Sieg für seine Psyche gewesen wäre. Aber in ihrer Lage gab es keine<br />

Möglichkeit für einen von ihnen zu gewinnen. Es gab genau zwei Möglichkeiten: Sich zu<br />

beugen oder gebrochen zu werden. Keiner von ihnen war so dumm, das nicht zu wissen. Auch<br />

Sawyer war das selbstverständlich klar. Er hatte keine Wahl. Und so ließ er schließlich voll-<br />

kommen resigniert den Kopf auf das Kissen sinken und gab auf. Kurze Zeit später hörten die<br />

Gefangenen die Kerkertür auf gehen. Ein Wachmann kam herein und betrat als erstes Jakes<br />

Zelle. „Wie sieht es aus?“ Jakes Stimme klang gepresst. „Ich akzeptiere.“, stieß er hervor. Der<br />

Wachmann nickte zufrieden und beugte sich über den jungen Mann, löste die Karabinerhaken<br />

und ließ ihn sich langsam ausstrecken. Dann wurde er sofort wieder an das Bett fixiert, dies-<br />

mal in der erwünschten Haltung. Der Wachmann legte das Zudeck über Jake und dieser hatte<br />

das Gefühl, jeden Moment vor Hass losbrüllen zu müssen. Zum Glück verließ die Wache<br />

seine Zelle und ging zu Booth hinüber. Nach und nach befreite er so alle und als letztes kam<br />

er zu Sawyer in die Zelle. „Akzeptierst du auch, an das Bett gefesselt zu werden?“ Alle<br />

hielten die Luft an. Was würde Sawyer sagen? Sekunden tropften dahin. Dann endlich<br />

quetschte Sawyers leise Stimme in einem Tonfall hervor, der nicht nur Kate erschreckte, so-<br />

viel Hoffnungslosigkeit, Wut, Resignation schwang in ihm mit: „Ja, ihr habt gewonnen ...“<br />

Kate schossen Tränen in die Augen. Sie erahnte erst in diesem Moment, wie sehr Sawyer<br />

darunter litt, erneut nachgeben zu müssen. Auch der Wachposten bekam durchaus mit, in<br />

welch trostloser Verfassung der Gefangene Nummer 3 war. Er war extrem wachsam, als er<br />

dessen Fesseln löste. Halb rechnete der Mann mit dem Versuch eines Angriffs. Doch dazu<br />

war Nummer 3 zu steif und angegriffen von der brutalen Fesselung. Nur ein leises Keuchen<br />

entrang sich seinen Lippen, als er sich langsam und vorsichtig streckte. Dann rollte er sich<br />

mühsam auf den Rücken. <strong>Die</strong> wachsamen Augen des Postens ließen Sawyer keine Sekunde<br />

aus dem Blick. Er beobachtete, wie der Gefangene die Zähne zusammen biss, dass es<br />

knirschte. Aber nicht vor Schmerzen, sondern in dem verzweifelten Bemühen, nicht auszu-<br />

flippen. Der Wachposten beugte sich sehr wachsam über Nummer 3 und fixierte als erstes<br />

dessen Handgelenke an das Bett. Dann entspannte er sich ein wenig und erledigte das Gleiche<br />

an den Fußgelenken. Zum Schluss legte er Sawyer die Zudecke über und verließ dann die<br />

Zelle und Augenblicke später den Kerker. Er würde seinem Vorgesetzten Bericht erstatten<br />

über den schlechten Gemütszustand des Gefangenen Nummer 3.<br />

351


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate fragte sofort äußerst besorgt: „Honey, ist bei dir alles in Ordnung?“ Keine<br />

Antwort. Ziva und Bones sahen hinüber in Sawyers Zelle. Erneut fragte Kate, lauter diesmal:<br />

„Bitte, Sawyer. Ist alles in Ordnung?“ Immer noch keine Antwort. „Sawyer, verdammt. Sag<br />

was.“ Kates Stimmer zitterte. „Sawyer. Bitte.“ Und endlich kam eine Antwort, gepresst,<br />

zitternd vor mühsam unterdrückter Wut: „Nein, Kate, nein, nichts ist in Ordnung, absolut<br />

nichts, verstehst du? Lass <strong>mich</strong> einfach in Ruhe, okay.“ Mulder hatte an der Stimme des Süd-<br />

staatlers gehört, dass es für ihn beinahe unerträglich gewesen war, nachgeben zu müssen. Er<br />

wusste, dass jedes an diesen gerichtete Wort alles nur schlimmer machen konnte. So sprach<br />

der Psychologe niemand bestimmtes an, als er sagte: „Wenn wir lebend hier raus kommen<br />

wollen, sollten wir uns klar machen, dass die einzige Alternative dazu, uns freiwillig zu<br />

beugen, darin besteht, gebrochen zu werden. Es liegt bei uns, soviel Würde wie nur möglich<br />

zu bewahren. Glaubt mir, das ist leichter, wenn wir möglichst beiläufig tun, was von uns ver-<br />

langt wird. Wenn nicht, werden die Drahtzieher keinerlei Skrupel haben, immer er-<br />

niedrigendere Methoden zu finden, um unseren Stolz zu brechen.“ Aus Sawyers Zelle kam<br />

ein vollkommen apathisches, hoffnungsloses „... wer sagt denn, dass ich lebend hier raus<br />

will...“ Ganz leise sagte Kate, die diese Worte sehr wohl gehört hatte: „Bei einigen ist ihnen<br />

das Brechen wohl schon geglückt ...“ Verzweifelt schluchzte sie auf. Dann ging auch noch<br />

das Licht aus. In der Dunkelheit zu liegen, zu wissen, wie fertig Sawyer war, und das Gefühl<br />

zu haben, nichts machen zu können, brach der jungen Frau fast das Herz. Sie wollte so gerne<br />

irgendetwas sagen, was ihm geholfen hätte, spürte aber genau, dass es nichts, aber auch gar<br />

nichts gab, was sie hätte sagen können.<br />

Nachdem wieder Ruhe einkehrte, fielen den meisten Gefangenen doch die Augen zu.<br />

Sawyer jedoch lag wach, Stunde um Stunde. Er spürte, dass er nicht in der Lage war, sich zu<br />

entspannen. Wieder und wieder und noch einmal kreisten seine Gedanken um den Punkt, er-<br />

neut von den Dreckskerlen gedemütigt worden zu sein. Und eine ganz leise, hämische<br />

Stimme in ihm flüsterte immer wieder sanft - Du hast nur wieder nachgegeben, um Kate<br />

einen Gefallen zu tun, sonst hättest du es diesmal durchgezogen, du Waschlappen. - Sawyer<br />

wünschte so sehr, er hätte eine Möglichkeit gehabt, dieser Stimme kontra zu geben, aber<br />

dummerweise hatte die Stimme Recht: Wäre Kate nicht, er hätte nicht mehr nachgegeben.<br />

Sollten sie ihn doch umbringen. Er hatte es satt. Lieber würde er sterben, als sich weiter so<br />

erniedrigen lassen. Doch Kate war. Wie weit würde er noch gehen müssen? Sawyer wusste es<br />

nicht, wollte es nicht wissen. Er fühlte sich leer, ausgebrannt und wertlos. Dass ihm alles<br />

wehtat, merkte er derzeit gar nicht. Fast war er froh, sich nicht bewegen zu können. Er hatte<br />

das sichere Gefühl, er hätte mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, wäre die Möglichkeit<br />

gegeben gewesen. Als irgendwann der Weckruf ertönte, merkte Sawyer erst, dass er dringend<br />

musste. Wachen kamen, machten sie von den Betten los und brachten Essen und Trinken,<br />

352


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sowie die Vitamine. Immerhin gab es als erste Mahlzeit statt des trockenen Brotes<br />

Sandwiches mit Käse.<br />

Da das grüne Licht sofort anging, konnten sich die Gefangenen unterhalten. Bones<br />

fragte Booth: „Wie geht es dir?“ Der FBI Agent reckte sich ächzend. „Abgesehen davon, dass<br />

ich eine neue Wirbelsäule vertragen könnte, geht es. Was machen denn deinen Knochen?“<br />

Bones hatte sich ebenfalls gereckt und gestreckt und erklärte: „Besser als ich dachte. Und was<br />

viel schöner ist, die Hände tun auch immer weniger weh.“ Sie bewegte die Hände und stellte<br />

erleichtert fest, dass sie sie wieder Ballen konnte. Und als wären diese Worte ein Ruf nach<br />

den Ärzten und frischen Verbänden, ging in diesem Moment die Kerkertür auf und mehrere<br />

Weißkittel kamen herein und arbeiteten sich schnell und gründlich durch die Zellen. Sawyer<br />

hatte bisher keinen Ton gesagt. Er hatte auch seine Sandwiches nicht angerührt. Er hockte auf<br />

seinem Bett und starrte blicklos vor sich hin. Als seine Zelle auf ging und ein Arzt zu ihm trat,<br />

um auch nach seinen Verbänden zu sehen, streckte er nur ohne überhaupt aus der Lethargie zu<br />

erwachen Hände und Füße aus. An die Hände bekam er nur noch Pflaster, die Füße wurden<br />

noch einmal mit leichten Mullbinden gepolstert. Der Südstaatler ließ alles still und apathisch<br />

über sich ergehen. Es schien fast, als bekäme er die Behandlung gar nicht mit. Der Arzt<br />

registrierte das sehr wohl. Auch, dass der Gefangene Nummer 3 nichts zu sich genommen<br />

hatte. Er verließ die Zelle, nachdem er fertig war und Augenblicke später fiel die Kerkertür<br />

hinter ihm zu.<br />

„Krisensitzung.“<br />

„Was ist denn los?“<br />

*****<br />

„Hört zu. Wir müssen uns schnellsten was mit Ford einfallen lassen. Der<br />

dreht uns sonst durch.“<br />

„Er ist ziemlich am Ende, ja, das ist ganz offensichtlich.“<br />

„Ich brauche keine bestehenden Tatsachen, ich brauche kreative Vor-<br />

schläge, wenn ich bitten darf.“<br />

„Eine verstärkende Strafmaßnahme?“<br />

„Hast du einen Knall? Kannst du mal dein Gehirn benutzen. Das wäre in<br />

seiner jetzigen Verfassung das Verkehrteste, was wir machen könnten.“<br />

„Wie wäre es mit dem Belohnungsraum?“<br />

„Kaum anzunehmen, dass er die Annehmlichkeiten jetzt zu schätzen<br />

wüsste. Er projiziert im Augenblick seinen Frust auf Austen. Er redet sich ein,<br />

wenn sie nicht wäre, könnte er ganz anders agieren.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Gut, dann sollten wir ihm drastisch zeigen, wie es ohne sie ist, um ihn<br />

aufzurütteln.“<br />

„Das nenne ich kreativ, sehr gut.“<br />

*****<br />

Kate hatte sehnsüchtig zu Sawyer hinüber geschaut. Als er keinerlei Anstalten machte,<br />

sich mit ihr zu unterhalten, sich überhaupt zu unterhalten, kamen der jungen Frau die Tränen.<br />

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ziva und Bones warfen dem jungen Mann in der Zelle<br />

zwischen sich besorgte Blicke zu. So hatten sie ihn seit ihrer Gefangennahme noch nicht er-<br />

lebt. Auch Mulder war die erschreckende Abwesenheit Sawyers bereits aufgefallen. Besorgt<br />

hatte er zugesehen, wie dieser vollkommen reglos den Verbandswechsel über sich hatte er-<br />

gehen lassen. Danach hatte er die Beine angezogen, hockte im Schneidersitz auf seinem Bett<br />

und starrte geistesabwesend auf den Boden. Ziva versuchte, ihn anzusprechen, erreichte aber<br />

nicht einmal, dass er den Kopf in ihre Richtung drehte. Kate sah, dass er überhaupt nicht<br />

reagierte und geriet langsam in Panik. Was war nur los mit ihm? Sie kam nicht dazu, darüber<br />

nachzudenken, denn aus dem Lautsprecher ertönte in diesem Moment die Ansage: „Nummer<br />

8.“ Selbst jetzt sah Sawyer nicht auf. Kate trat mit tränenfeuchtem Gesicht an die Gittertür<br />

und streckte die Hände durch das Loch. Augenblicke später kamen zwei Wachposten in den<br />

Kerker und zielstrebig zu ihr. Einer ließ die Karabinerhaken an Kates Handgelenk-<br />

manschetten ein schnappen, dann ging die Zellentür auf und die Wachen herrschten Kate un-<br />

geduldig an: „Los, sieh zu, dass du deinen Hintern aus der Zelle bewegst, Nummer 8.“ Kate<br />

sah erstaunt auf und das Weinen blieb ihr im Halse stecken. Sie beeilte sich, aus der Zelle zu<br />

kommen und die Wachen packten sie übertrieben hart an den Oberarmen, zerrten sie dann mit<br />

sich, dem Kerkerausgang zu. Als sie an Sawyers Zelle vorbei kamen, herrschte einer der<br />

Wachen sie hart an: „Kannst du vielleicht mal schneller gehen.“, und stieß Kate brutal<br />

vorwärts, dass sie fast gestürzt wäre. Jetzt waren alle anderen in höchster Alarmbereitschaft,<br />

nur Sawyer reagierte nicht. Warum waren die plötzlich so unglaublich brutal? Heather,<br />

Allison und Sara konnten es nicht fassen.<br />

Mulder hatte die Szene zunehmend entsetzt beobachtet. Stutzig wurde er, als Kate,<br />

statt auf dem direkten Weg aus dem Kerker gebracht zu werden, erst an Sawyers Zelle vorbei<br />

geführt wurde. Da ging dem FBI Mann ein Licht auf. - Sawyer ist völlig apathisch, das sehen<br />

diese Leute genau. Wahrscheinlich ist das der Versuch, eine Reaktion zu erzwingen, die<br />

Starre zu durchbrechen. Etwas drastisch, aber durchaus Erfolg versprechend. - dachte er<br />

erstaunt. Als Kate stolperte, packte eine der Wachen sie brutal am Haar und riss sie heftig<br />

zurück. „Kannst du nicht aufpassen, wohin du latscht?“, schnauzte der Typ die junge Frau an.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Kate konnte einen Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken. Und endlich schaute Sawyer<br />

auf. Er sah aus brennenden Augen hinter Kate und den beiden Wachen her. „Was soll das?<br />

Was haben Sie jetzt wieder vor?“, fragte er leise. Kate hatte ihn trotzdem gehört und sah ver-<br />

zweifelt und voller Angst zu ihm zurück. Sie erreichte in diesem Moment den Kerkerausgang<br />

und Kate schrie vollkommen verängstigt: „Sawyer ....“ <strong>Die</strong>ser stemmte sich von seinem Bett<br />

hoch und trat an die Zellentür. Ohne seine Mitgefangenen zu beachten, sah er zur Kerkertür,<br />

wo Kate jetzt heraus geschafft wurde aus dem Zellentrakt. Langsam kehrte so was wie Leben<br />

in seinen Augen zurück. Er starrte auf die Kerkertür und ließ den Kopf an die Gitterstäbe<br />

sinken. Dann schüttelte er den Kopf und sagte laut und deutlich: „Können Sie sie nicht ein-<br />

fach zufriedenlassen? Machen Sie doch mit mir, was Sie wollen, aber lassen Sie sie zufrieden.<br />

Sie wollen doch gar nicht Kate. Sie wollen doch <strong>mich</strong>.“<br />

Nichts geschah. <strong>Die</strong> Tür zum Kerker blieb zu. Dann aber kamen erneut zwei Wachen<br />

in den Kerker. Ohne vorherige Ansage gingen sie zu Booth‟ Zelle. <strong>Die</strong> Tür öffnete sich und<br />

Booth bekam den Befehl: „Raus aus der Zelle und auf die Plattform.“ Ohne gefesselte Hände<br />

trat Booth skeptisch aus der Zelle und marschierte auf die Plattform. Und dann glaubte er,<br />

sich zu verhören. „Hinknien und die Hände hinter den Nacken.“ Alle anderen hatten diesen<br />

Befehl ebenfalls vernommen und erstarrten. Booth stand da, starrte dem Wachmann ins Ge-<br />

sicht. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Der Wachposten sagte ruhig: „Ich<br />

nehme nicht an, dass wir erst Nummer 6 aus der Zelle holen müssen ...“ Booth verstand die<br />

unterschwellige Drohung in diesen beinahe sanft ausgesprochenen Worten sehr genau. Er<br />

schloss für Sekunden die Augen, dann ließ er sich auf die Knie sinken, verschränkte die<br />

Hände im Nacken und seine Augen saugten sich an Bones fest. „Wenn du dich auch nur einen<br />

Zentimeter bewegst, wirst du und auch Nummer 6 es bitter bereuen.“ Booth erstarrte gerade-<br />

zu. <strong>Die</strong> Wachen wendeten sich der nächsten Zelle zu. Jake erstarrte, als er sah, dass sie sich<br />

ihm näherten. Seine Zellentür ging auf und er wurde ebenfalls auf die Plattform befehligt. Mit<br />

dem Gesicht zu Heather wurde er angeherrscht, sich ebenfalls hinzuknien. Nur ganz kurz<br />

zögerte er, dann sank er in der gleichen Haltung auf die Knie wie Booth. Heather traten<br />

Tränen in die Augen, sie biss aber die Zähne zusammen. Ziva war klar, dass sie nun ebenfalls<br />

dran sein würde. Und schon kamen die beiden Wachen zu ihr und Minuten später ging sie<br />

zähneknirschend, mit dem Gesicht zu Gibbs, ebenfalls auf die Knie. Bones war die nächste<br />

und beeilte sich, den Befehl auszuführen. Jetzt warteten alle darauf, dass Sawyer an die Reihe<br />

kam und ausgerechnet die knienden Gefangenen waren es, die im Stillen beteten, den Süd-<br />

staatler zu verschonen. Und ihr Wunsch ging in Erfüllung. Sawyer wurde nicht aus der Zelle<br />

geholt.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er hatte es nicht einmal registriert, was mit seinen Mitgefangenen geschah. Sein Blick<br />

war auf die Kerkertür gerichtet. Was sich auf der Plattform abspielte, nahm er gar nicht wahr.<br />

Dort knieten die vier immer noch und warteten hasserfüllt auf die Aufhebung des Befehls.<br />

Und schließlich erfolgte er. „Aufstehen und in die Zellen zurück. Und wagt es nie wieder,<br />

einen Befehl nicht unverzüglich zu befolgen, egal, wie sehr er euch missfällt. Habt ihr das<br />

jetzt endgültig gelernt? Wenn nicht, wird die nächste Lektion erheblich schlimmer als ein<br />

wenig unbequeme Fesselung. Verstanden?“ Booth, Jake, Bones und Ziva nickten und sagten<br />

dann verkniffen: „Ja, Sir, verstanden.“ <strong>Die</strong> Zellentüren schlossen sich hinter den Vieren und<br />

alle starrten zu Sawyer hinüber. <strong>Die</strong> Wachen traten zu ihm und seine Tür öffnete sich. Er<br />

wurde an den Armen gepackt, herum gedreht und die Karabiner schnappten ineinander. <strong>Die</strong><br />

Wachen nahmen ihn zwischen sich und ihm wurde eine Augenmaske umgelegt. Dann wurde<br />

er kommentarlos aus dem Kerker geschafft. Vollkommen widerstandslos ließ er sich führen.<br />

Es ging in einen Fahrstuhl und nach oben. Weiter, bis es plötzlich hieß: „Hier bleibst du<br />

stehen, verstanden, und rührst dich keinen Millimeter von der Stelle. Du bewegst dich erst,<br />

wenn wir es dir ausdrücklich erlauben. Und gehorche diesmal lieber, denke daran, wir haben<br />

deine kleine Freundin.“ Sawyer erstarrte und nickte nur fast unmerklich. Er spürte, wie ihm<br />

die Handfesseln geöffnet wurden. Aber er achtete darauf, seine Hände keinen Millimeter zu<br />

bewegen. Starr und steif stand er da. Und zuckte heftig zusammen, als er plötzlich Hände an<br />

seinem Kopf spürte. Sie streiften ihm die Augenbinde ab und als er erstaunt die Augen<br />

öffnete, stand Kate vor ihm.<br />

Ihr Gesicht war tränenüberströmt und sie schaute zu ihm auf. „Bitte, Sawyer, rede mit<br />

mir. Nicht so wie heute Nacht. Ich ... Wenn ich etwas verkehrt gemacht habe, musst du es mir<br />

sagen. Wenn es nicht an mir lag, musst du es mir auch sagen. Wenn du glaubst, du kannst<br />

dich davor drücken, zu reden, bist du auf dem Holzweg. Gott, Sawyer, du hast dir wirklich<br />

nichts vorzuwerfen. Du brauchst dich nicht in eine Ecke verkriechen und den Rest der Welt<br />

ausschließend, verstehst du? Du kannst hier nicht einfach dicht machen. Den anderen geht es<br />

doch nicht besser. Und ich ertrage es nicht, wenn du ... Du kannst dich nicht umbringen lassen<br />

... Ich liebe dich.“ Kate weinte heftig. „Du hast mir mehr Angst gemacht als dieser ganze Ver-<br />

ein zusammen, weißt du das?“ Sie packte ihn am Kittel und schüttelte ihn daran. „Weißt du<br />

das? Du bist nicht mehr alleine, weißt du ... Du hast jetzt <strong>mich</strong> und du kannst <strong>mich</strong> nicht ein-<br />

fach ausschließen, nur, weil man dir weh tut. Ich habe ... nicht ahnen können, wie schwer es<br />

dir gefallen ist und es tut mir so leid, dass ich dich bat ...“ Sawyer hatte schweigend zugehört,<br />

was Kate verzweifelt hervor sprudelte. Jetzt nahm er sanft ihren Kopf in die Hände und fragte<br />

leise: „Haben sie dir was getan, Freckles? Geht es dir gut?“ Vollkommen überrascht stotterte<br />

Kate „Nein ... ja ... ich ...“ Weiter kam sie nicht, denn Sawyer schlang die Arme um sie und<br />

drückte sie so heftig an sich, dass sie erschrak. Ihre Lippen saugten sich aneinander fest und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich von einander lösten. Dann sagte Sawyer leise: „Hör<br />

zu, es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich will, wenn ich so drauf bin wie heute<br />

Nacht, einfach meine Ruhe. Ich wollte dir bestimmt nicht wehtun. Wenn ich alleine wäre ...<br />

Kate, wenn du nicht wärest ... ich wäre schon lange nicht mehr hier, ich ertrage das alles nur<br />

noch, weil ich dich gefunden habe, verstehst du? Ich will dich nicht verlieren. Aber heute<br />

Nacht hätte ich <strong>mich</strong> selbst um Haaresbreite verloren.“<br />

Kate und Sawyer wurden lange in Ruhe gelassen. In dem Raum, in den man sie ge-<br />

bracht hatte, war kein Möbelstück, nichts, nur eine eilig auf den Boden gelegte Matratze mit<br />

einer großen Wolldecke lag in einer Ecke und hinter einem Paravent ein Chemikalienklo.<br />

Sawyer zog Kate hinter sich her und Augenblicke später lagen die Beiden auf der Matratze,<br />

zugedeckt und Kate kuschelte sich an den Mann, den sie mehr liebte als irgendetwas anderes<br />

auf der Welt. Man ließ die Beiden vollkommen in Ruhe, genau, wie ihre Leidensgenossen in<br />

den Zellen. Sie bekamen zu Essen und zu trinken, ansonsten konnte Kate sich ganz dem<br />

Wiederaufbau von Sawyers Wertgefühl widmen. Und das gelang der jungen Frau nicht<br />

schlecht. Dadurch, dass sie vollkommen in Ruhe gelassen wurden, konnten sie Reden und<br />

Reden und noch mal Reden. Sawyer öffnete sich Kate mehr und mehr. Er ließ sie Einblicke in<br />

seine verborgensten Gedanken und Ängste nehmen, und Kate revanchierte sich auf die<br />

gleiche Weise. Mulder hatte im Zellentrakt durchblicken lassen, dass man Kate und Sawyer<br />

vermutlich genau aus dem Grunde, um den Südstaatler wieder aufzubauen, abgeholt hatte. Es<br />

gelang dem FBI Mann tatsächlich, die anderen damit zu beruhigen. Nachts wurden sie wieder<br />

an die Betten gefesselt, anscheinend sollte das nun Standard sein. In dieser Nacht gelang es<br />

den ersten, fast normal zu schlafen. Jeder von ihnen teilte sich die Getränkerationen nun so<br />

ein, dass mit fortschreitendem Tag das Trinken eingestellt wurde. So war der Harndrang<br />

nachts und zum Morgen hin nicht so quälend und das gefesselte Stillliegen wurde nicht<br />

wieder zu einer solchen Qual wie im Krankensaal.<br />

Zwei Schlafphasen ließ man sie in Ruhe, vor der Zweiten wurden Kate und Sawyer in<br />

sehr viel besserem Zustand als vor der Auszeit zurück gebracht und freudig begrüßt.<br />

Besonders, als Kate triumphierend einen Kamm in die Höhe hielt, den einer der Wachposten<br />

ihr in die Hand gedrückt hatte mit den Worten: „Passt gut darauf auf, einen zweiten bekommt<br />

ihr nicht.“ Seit ihrer Gefangennahme hatten sie kein Kämmwerkzeug erhalten. Besonders<br />

Allison, Ziva und Kate mit ihren sehr langen Haaren hatten Stunden damit zugebracht,<br />

wenigstens mit den Fingern Knäule und Verknotungen in den Haaren zu lösen. Kate setzte<br />

sich, kaum, dass die Zellentür sich hinter ihr geschlossen hatte, auf ihr Bett und begann ge-<br />

nüsslich, ihre Haarpracht endlich wieder einmal durchzukämmen. Sie reichte den Kamm dann<br />

weiter und durch einen sehr geschickten Wurf von Jake landete der Kamm später auch auf der<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

anderen Seite des Kerkers, wo Booth ihn zu fassen bekam. Man ließ sie in Frieden, auch die<br />

Nacht verging ohne Störungen, die Gefangenen gewöhnten sich immer mehr daran, gefesselt<br />

zu sein. Am nächsten Morgen wurde die herrschende Ruhe dann allerdings durch den Aufruf<br />

von Mulders Nummer unterbrochen. <strong>Die</strong>ser hatte ein ganz ungutes Gefühl. Nachdem, was die<br />

Gefangenen in den letzten Tagen durchgemacht hatten, zu urteilen, waren die Leute offenbar<br />

entschlossen, jeden Einzelnen von ihnen an die absolute Grenze seiner physischen und<br />

psychischen Belastbarkeit zu bringen. Nur zu genau wusste er, dass er selbst von dieser<br />

Grenze noch ein ganzes Stück entfernt war. Er wurde aus der Zelle geholt und auf die Platt-<br />

form geführt, wo er angewiesen wurde, zu warten.<br />

External World 4: Spurlos<br />

Errare humanum est<br />

Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.<br />

Truman Capote<br />

Washington DC, 9.00 Uhr, NCIS Hauptquartier<br />

Während McGee am Computer saß und die Verdächtigen überprüfte, rief Tony die<br />

Angehörigen und Kollegen der Personen an, die sie als eher unverdächtig einstuften, um zu<br />

ermitteln, welches Interesse die Entführer an ihnen haben könnten. Der erste auf seiner Liste<br />

war Conrad Ecklie vom CSI. „Guten Tag, Sir. Special Agent Tony DiNozzo vom NCIS. Wir<br />

sind an den Ermittlungen im Fall des verschwundenen Flugzeugs beteiligt. Ich rufe an, weil<br />

wir mehr über die entführten Passagiere in Erfahrung bringen wollen, um herauszufinden,<br />

welches Interesse die Entführer an ihnen haben könnten. Können Sie mir mehr über die Fach-<br />

gebiete von Dr. Grissom und Miss Sidle sagen?“ „Grissom und Sidle waren in dem Flugzeug,<br />

von dem sie in den Nachrichten berichtet haben?“, fragte Ecklie überrascht. „Ja. Das wussten<br />

Sie nicht?“, fragte Tony erstaunt. „Nein, ich wusste nur, dass sie Urlaub genommen haben,<br />

aber nicht, dass sie in Australien waren. Was wollten sie denn da?“ „Sie waren auf einem<br />

Spinnen Symposium. Fällt das in das Fachgebiet der Beiden?“ „In Dr. Grissoms, ja. Er ist<br />

forensischer Entomologe. Aber Miss Sidle hat Physik studiert. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />

welches Interesse sie an Spinnen haben sollte.“ „Verstehe. Könnte ich mit jemandem<br />

sprechen, der die Beiden besser kennt?“ „Natürlich. Am besten wenden Sie sich an Catherine<br />

358


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Willows. Sie arbeitet schon lange eng mit Grissom und Sidle zusammen und ist während Dr.<br />

Grissoms Abwesenheit Teamleiterin. Einen Moment, ich stelle Sie durch.“<br />

„Willows, CSI.“, meldete sich Augenblicke später eine resolut klingende Frauen-<br />

stimme. „Tony DiNozzo, NCIS. Ich bin an der Suche nach den vermissten Passagieren aus<br />

der verschwundenen Qantas Maschine beteiligt. Wussten Sie, dass Dr. Grissom und Miss<br />

Sidle in Australien waren?“ „Gil und Sara werden vermisst?“, fragte Catherine erschrocken.<br />

„Leider ja. Sie wussten also nicht, dass ihre Kollegen in Australien waren?“ „Ich wusste, dass<br />

Grissom in Australien war, zu einem Spinnensymposium. Er hat sich die ganze Woche frei<br />

genommen, ich dachte er kommt erst am Wochenende zurück. Dass Miss Sidle bei ihm war,<br />

wusste ich nicht, aber es überrascht <strong>mich</strong> nicht.“ „Heißt das, die Beiden sind ein Paar?“,<br />

fragte Tony. „Nicht offiziell. Aber ich vermute schon seit einer Weile, dass die Beiden zu-<br />

sammen sind. Sie sollten wissen, dass bei staatlichen Behörden Beziehungen zwischen<br />

Kollegen nicht gern gesehen werden. Und Grissom ist Saras Vorgesetzter, er würde<br />

Schwierigkeiten bekommen, wenn die Beziehung publik wird. Aber warum fragen Sie <strong>mich</strong><br />

über meine Kollegen aus, statt nach ihnen zu suchen? Haben Sie nichts Besseres zu tun?“<br />

„Wie wir unsere Ermittlungen führen, sollten Sie schon uns überlassen. Ich erzähle Ihnen ja<br />

auch nicht, wie Sie Beweismittel sichern sollen.“ „Das will ich Ihnen auch nicht raten. Ich<br />

bestehe darauf, dass meine Leute sich das Flugzeug selbst ansehen.“ „Das müssen Sie mit<br />

Qantas besprechen. Können Sie sich erklären, warum jemand daran interessiert sein könnte,<br />

Dr. Grissom und Miss Sidle zu entführen?“<br />

„Es gibt eine sehr lange Liste von Leuten, die daran interessiert wären die Beiden zu<br />

töten. Ihre Aussagen haben schon viele Leute hinter Gitter gebracht. Denkbar wäre auch, dass<br />

jemand ein oder zwei Mitglieder des Teams entführt, um uns zu nötigen, Beweismittel zu<br />

fälschen oder zurück zu halten. Aber das könnte man einfacher haben. Niemand entführt ein<br />

Flugzeug um an zwei Leute heran zu kommen. Es sind doch noch mehr Passagiere ver-<br />

schwunden. Was ist mit denen? Gibt es da irgendein Muster?“ „Genau das versuchen wir<br />

herauszufinden. Es waren noch andere Ermittler an Bord. Drei FBI Agenten und drei von<br />

unseren eigenen Leuten, außerdem eine forensische Anthropologin, die mit dem FBI zu-<br />

sammen arbeitet. <strong>Über</strong> die anderen Vermissten versuchen wir gerade mehr in Erfahrung zu<br />

bringen.“ „Es ist sicher kein Zufall, dass so viele Ermittler amerikanischer Bundesbehörden<br />

an Bord waren. Aber wenn es um Erpressung ginge, wäre doch inzwischen sicher eine<br />

Forderung eingegangen.“ „Ja, vermutlich. Im Moment wissen wir auch nicht mehr, aber wenn<br />

sich etwas Neues ergibt lasse ich es Sie wissen.“ Tony machte sich ein paar Notizen und<br />

wählte als nächstes die Nummer vom Jeffersonian Institut.<br />

359


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Saroyan.“ „Special Agent Tony Dinozzo, NCIS. Wir sind an der Suche nach Dr.<br />

Brennan und den anderen verschwundenen Passagieren beteiligt. Wir versuchen herauszu-<br />

finden, was die Entführten für die Täter interessant machen könnte. Bei den verschwundenen<br />

Agenten haben wir eine gewisse Vorstellung, aber können Sie sich vorstellen, welches<br />

Interesse jemand daran haben könnte, eine forensische Anthropologin zu entführen?“ „Dr.<br />

Brennan ist die einzige forensische Anthropologin des Landes. Sie hat schon zur Aufklärung<br />

Jahrzehnte alter Verbrechen beigetragen. Es gibt sicher viele Leute, die daran interessiert<br />

wären, die Aufklärung von Verbrechen zu verhindern. Aber wenn jemand Dr. Brennan be-<br />

seitigen wollte, hätte er das leichter haben können.“ „Ja, so was habe ich heute schon mal ge-<br />

hört.“, erwiderte Tony frustriert. „Danke trotzdem.“<br />

McGee sah von seiner Arbeit auf. „Das klingt nicht so, als würdest du große Fort-<br />

schritte machen.“ „Nicht wirklich. Bei der Hälfte der Entführten würden die Leute Schlange<br />

stehen, um sie umbringen zu können, aber niemand kann sich vorstellen, warum jemand ein<br />

Flugzeug entführt, um sie lebend zu bekommen. Wie sieht es bei dir aus?“ „Auch noch nichts,<br />

aber ich arbeite dran.“ Tony nahm sich wieder seine Liste vor. Jetzt hatte er noch den Anruf in<br />

der Klinik der beiden Ärzte und bei der Familie von Heather Lisinski vor sich. Außerdem<br />

sollte er herausfinden, was John Locke interessant machen könnte. Er beschloss, erst mal bei<br />

der Chefin der Ärzte anzurufen, einer Dr. Lisa Cuddy. „Cuddy.“, meldete sich eine ziemlich<br />

gereizt klingende Frau. „Special Agent DiNozzo, NCIS. Wir sind an der Suche nach den ver-<br />

missten Passagieren beteiligt und würden Ihnen gerne ein paar Fragen zu ihren ver-<br />

schwundenen Ärzten stellen. Können Sie sich vorstellen, warum jemand ein Interesse daran<br />

haben könnte, Dr. House und Dr. Cameron zu entführen?“ „Vor nicht einmal einer Stunde<br />

waren zwei FBI Agenten hier und haben mir die gleiche Frage gestellt. Können Ihre Be-<br />

hörden sich nicht Absprechen, statt Steuergelder und wertvolle Zeit damit zu verschwenden,<br />

Arbeit doppelt zu machen? In der Zeit, die Sie hier mit doppelten Ermittlungen ver-<br />

schwenden, machen meine Leute Gott weiß was durch.“, tobte Cuddy. „Daran müssen Sie<br />

<strong>mich</strong> nicht erinnern. Unter den Vermissten sind auch drei meiner Kollegen und ich würde<br />

auch viel lieber mit einem Team den Ort stürmen, an dem sie gefangen gehalten werden, statt<br />

meine wertvolle Zeit damit zu verschwenden, <strong>mich</strong> von Ihnen anschreien zu lassen.“<br />

Mittlerweile war auch Tony zu gereizt, um sich zu mäßigen. „Da Sie ein persönliches<br />

Interesse daran haben, die Passagiere so schnell wie möglich zu finden, würde ich erst Recht<br />

erwarten, dass Sie ökonomischer arbeiten.“ Cuddy war im Moment nicht in der Stimmung<br />

Mitgefühl für den unverschämten Agenten aufzubringen.<br />

„Es wäre sicher nicht ökonomisch, wenn ich erst darauf warte, dass die beiden FBI<br />

Agenten, mit denen Sie gesprochen haben, wieder in Washington sind, damit ich sie fragen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kann, was Sie ihnen erzählt haben. Ich muss heute Abend noch einen Flug nach LA kriegen,<br />

wo wir mit den anderen Passagieren sprechen werden und vorher habe ich noch einiges zu<br />

tun. Also beantworten Sie bitte einfach meine Frage.“ „In Ordnung, hier ist die Zusammen-<br />

fassung: Nein, ich kann mir nicht erklären, warum jemand ein Interesse daran haben sollte,<br />

Dr. House und Dr. Cameron zu entführen. House ist zwar Spezialist für Infektionskrankheiten<br />

und Dr. Cameron für Immunologie, aber sie haben gewöhnlich keine Ebola Erreger im Hand-<br />

gepäck dabei. Beide arbeiten in der diagnostischen Abteilung. Ja, der Premierminister hat nur<br />

Dr. House angefordert, aber House hat eine Autoimmunkrankheit vermutet und deswegen<br />

seine Immunologin mitgenommen. Und nein, in den drei Tagen, die House nach Erledigung<br />

seiner Aufgabe in Sydney verbracht hat, hat er sich nicht mit Bin Laden getroffen, sondern<br />

sich einfach nur vor der Arbeit gedrückt, das tut er nämlich immer. Und Dr. Cameron hat ihn<br />

nicht verraten, weil sie eine unerklärliche Zuneigung zu ihm gefasst hat. Das einzig Ver-<br />

dächtige an ihnen sind ihre Karmazahlen, aber das zu erklären übersteigt leider meinen be-<br />

grenzten Horizont. Da müssen Sie sich schon an die Expertin vom FBI wenden.“ Ohne Tony<br />

die Chance zu lassen, noch etwas zu sagen, legte Cuddy auf.<br />

*****<br />

Monica und Doggett machten sich auf den Weg zur diagnostischen Abteilung. Der<br />

Konferenzraum, den sie durch die Glasscheiben einsehen konnten war leer, bis auf einen<br />

jungen Afroamerikaner, der anscheinend irgendwelche Berichte verfasste. „Hallo, sind Sie<br />

einer der Assistenzärzte von Dr. House?“, fragte Monica. Der Mann sah überrascht auf, er<br />

hatte die Agenten nicht kommen sehen. „Ja, ich bin Dr. Eric Foreman. Mit wem habe ich das<br />

Vergnügen?“ „Mein Name ist Monica Reyes, das ist mein Partner John Doggett, wir sind vom<br />

FBI und untersuchen das Verschwinden der vermissten Passagiere des Qantas Fluges 815.<br />

Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen zu Dr. House und Dr. Cameron stellen. Uns wurde<br />

gesagt, Dr. House hätte neben Dr. Cameron noch zwei andere Assistenzärzte. Wissen Sie, wo<br />

wir Ihren Kollegen finden?“ „Ich schätze Dr. Chase ist immer noch im Patientenaufenthalts-<br />

raum und sieht sich die Nachrichten an. Ich hatte nach ein paar Minuten genug davon, sie<br />

zeigen ohnehin immer nur dasselbe. Außerdem hat House den gesamten Papierkram der Ab-<br />

teilung liegen gelassen, als er nach Australien geflogen ist und irgendwer muss auch die<br />

Arbeit ja machen. Ich kann Dr. Chase holen, wenn Sie ein paar Minuten hier warten<br />

würden.“, bot Foreman an. „Das wäre nett von Ihnen.“<br />

Zehn Minuten später kam Foreman mit einem blonden jungen Mann im Schlepptau<br />

zurück. „Sie suchen nach Cameron und House? Haben Sie schon eine Spur? Glauben Sie,<br />

dass die Beiden noch am Leben sind?“, fragte Chase sofort. Monica fiel auf, dass der Mann,<br />

361


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

im Gegensatz zu seinem Kollegen, ernsthaft besorgt wirkte und dass er zuerst nach Dr.<br />

Cameron gefragt hatte. „Wir gehen davon, dass die Entführer die Passagiere lebend und un-<br />

versehrt haben wollten. Sie haben sie chloroformiert und diejenigen, an denen sie nicht<br />

interessiert waren, im Flugzeug gelassen. <strong>Die</strong>se Leute sind nicht darauf aus zu töten, sie<br />

wollen etwas anderes.“, versuchte Monica Chase zu beruhigen. „Was sind das für Leute? Wer<br />

könnte daran interessiert sein, zwei Ärzte zu entführen?“, fragte Chase verständnislos. „Genau<br />

das versuchen wir herauszufinden. Im Moment gehen wir von einem terroristischen Hinter-<br />

grund aus. Wie ihre Kollegen da hinein passen, wissen wir noch nicht.“, erklärte Doggett.<br />

„Wir wissen noch nicht, was die Entführer von Dr. House und Dr. Cameron wollen, nur, dass<br />

sie offensichtlich irgendetwas wollen. Wir möchten gerne besser einschätzen können, wie Ihre<br />

Kollegen sich in einer solchen Situation wahrscheinlich verhalten würden. Sie beide arbeiten<br />

eng mit Ihnen zusammen, oder? Sie wissen, wie die Beiden in Stresssituationen reagieren?“,<br />

fragte Monica.<br />

„Ich weiß nicht, ob der Stress des Krankenhausalltags sich wirklich mit dem einer Ent-<br />

führung vergleichen lässt.“, gab Foreman zu bedenken. „<strong>Die</strong> Art, wie man mit Stress umgeht,<br />

ist ziemlich konstant. Jemand, der mit Alltagsstress gut zurecht kommt, behält in der Regel<br />

auch in Extremsituationen die Nerven. Außerdem sind ihre Kollegen nicht die einzigen<br />

Spezialisten unter den Entführten. Wir gehen also davon aus, dass die Entführer die Fach-<br />

kompetenz ihrer Kollegen brauchen. Sie haben doch sicher schon gesehen, wie Dr. House und<br />

Dr. Cameron unter Druck reagieren. Würden Sie sie allgemein als belastbar bezeichnen?“,<br />

fragte Monica. „House lässt sich nicht unter Druck setzten, er setzt andere unter Druck.“,<br />

stellte Foreman ruhig fest. „Aber es gibt doch Situationen, in denen er sich dem Druck nicht<br />

entziehen kann. Wie reagiert er, wenn er einen Patienten nicht retten kann?“, hakte Monica<br />

nach. „Gar nicht.“, gab Chase ebenso ruhig von sich. Foreman erläuterte: „House sieht seine<br />

Patienten nicht als Menschen, sondern als Puzzles. Diagnosen stellen ist für ihn ein Spiel,<br />

dass es dabei um Menschenleben geht, ist ihm gleich. Für ihn zählt nur die Bilanz aus Ge-<br />

winnen und Verlieren, nicht das einzelne Leben.“<br />

„Das klingt ziemlich skrupellos. Heißt das, er wäre Ihrer Meinung nach bereit,<br />

Menschen zu gefährden, vielleicht sogar zu töten, um seine eigene Haut zu retten? Wenn<br />

jemand von ihm verlangen würde, eine falsche Diagnose zu stellen oder jemanden zu töten,<br />

um sein eigenes Leben zu retten, würde er es tun?“, fragte Monica „Ja.“, antwortete Chase,<br />

ohne einen Moment darüber nachzudenken. „Nein.“, erwiderte Foreman, ebenso spontan. <strong>Die</strong><br />

beiden Ärzte sahen einander verblüfft an und die Agenten sahen verwirrt von einem zum<br />

anderen. Chase war der erste, der sein Statement erläuterte. „House ist ein Egoist wie er im<br />

Buche steht, er denkt immer nur an seinen Vorteil.“ „Das ist richtig.“, stimmte Foreman zu,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und verwirrte die anderen damit nur noch mehr. „House ist ein Egoist, aber seine Sturheit ist<br />

deutlich stärker ausgeprägt, als sein nicht vorhandener Selbsterhaltungstrieb. Er würde eher<br />

sterben, als sich zu etwas zwingen lassen, was er nicht will.“ „Sterben ja, kurz und schmerz-<br />

los. Aber die müssen ihm nur seine Drogen wegnehmen und nach zwei Tagen tut er alles.“<br />

gab Chase zu bedenken. „Drogen? Heißt das, Dr. House ist drogenabhängig?“, fragte Doggett<br />

nach. „Schmerzmittel abhängig.“, spezifizierte Chase. „Nach einem Muskelinfarkt vor einigen<br />

Jahren hat er chronische Schmerzen. Er nimmt Vicodin, schätzungsweise das Vierfache der<br />

zulässigen Höchstdosis.“ „Kann er denn arbeiten, wenn man ihm seine Medikamente ver-<br />

weigert? Kann er Höchstleistungen bringen ohne Vicodin?“<br />

„Nein. Wir haben ihn schon auf Entzug erlebt. Wenn er so drauf ist, ist er un-<br />

konzentriert und macht Fehler. Allerdings dauert ein Opiatentzug nicht lange. Wenn die Ent-<br />

führer ein oder zwei Wochen warten können, ist House wieder auf dem Damm, besser als<br />

vorher.“, erklärte Foreman. „Allerdings haben sie dann kein Druckmittel mehr gegen ihn,<br />

wenn sie beide Recht damit haben, dass sein Leben ihm nicht viel bedeutet und er unter<br />

Schmerzen nicht arbeiten kann. Er würde vielleicht unter Folter versprechen, alles zu tun, was<br />

die Entführer wollen, aber sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit hintergehen. Es sei<br />

denn, Dr. Cameron bedeutet ihm genug, dass er die Forderungen der Entführer erfüllen<br />

würde, um sie zu schützen.“, stellte Doggett fest. „Das tut sie nicht.“, meinte Chase und<br />

Foreman wie aus einem Munde. „Und wie sieht es umgekehrt aus? Würde Dr. Cameron etwas<br />

tun, dass sie moralisch bedenklich findet, um Dr. House zu schützen?“, wollte Monica jetzt<br />

wissen. „Ja, das würde sie. Ich habe nie verstanden warum, aber ihr liegt etwas an dem Kerl.<br />

Sie würde eine Menge tun, um House zu schützen.“, erklärte Foreman fest. „Auch wenn es<br />

ein Menschenleben kosten würde?“, fragte Doggett. „Ich weiß es nicht. Cameron ist eine sehr<br />

engagierte Ärztin, sie ist jedes Mal am Boden zerstört, wenn sie einen Patienten verliert. Aber<br />

House bedeutet ihr sehr viel. Ich weiß nicht, wie weit sie gehen würde, um ihn zu schützen.“,<br />

antwortet Foreman unsicher.<br />

„Dr. Chase?“, leitete Doggett die Frage an den anderen Arzt weiter. „Ich kann mir<br />

nicht vorstellen, dass Cameron in der Lage wäre, einem Menschen absichtlich weh zu tun.<br />

Aber sie könnte es auch nicht ertragen, House‟ Leben auf dem Gewissen zu haben. So oder<br />

so, sie würde daran kaputt gehen. Also, finden Sie sie, bevor jemand sie zu dieser Ent-<br />

scheidung zwingt.“ „Wir tun, was wir können, verlassen Sie sich darauf. Noch eine Frage:<br />

Wie würde Dr. Cameron reagieren, wenn man ihr Leben bedroht?“, fragte Monica „Sie würde<br />

eher sterben, als einem anderen Menschen weh zu tun.“, versicherte Chase überzeugt.<br />

Monica, die inzwischen zu dem Schluss gekommen war, dass Dr. Chase nicht gerade objektiv<br />

war, wenn es darum ging, Cameron zu beurteilen, sah Foreman fragend an. „Chase hat Recht,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihr eigenes Leben bedeutet Cameron sicher weniger, als das eines anderen Menschen, auch<br />

wenn es ein Fremder ist. Aber sie ist sensibel und hat keine Erfahrung mit körperlicher Ge-<br />

walt. Sie zuckt schon zusammen, wenn jemand sie anschreit. Ich möchte mir gar nicht vor-<br />

stellen, wie sie auf Folter reagieren würde.“ „Sie beide stellen Dr. Cameron als einen sehr<br />

empfindsamen Menschen dar. Ist sie trotzdem in der Lage, Höchstleistungen zu bringen,<br />

wenn sie unter emotionalem Druck steht?“, fragte Monica „Ja, das ist sie. Cameron ist eine<br />

sehr gute Ärztin. Das Mitgefühl, das sie für ihre Patienten empfindet, hat ihre Fähigkeiten nie<br />

beeinträchtigt.“, erklärte Chase. Wieder sah Monica Foreman an. <strong>Die</strong>ser Dr. Chase war offen-<br />

sichtlich verliebt in seine Kollegin, obwohl sie ihren Chef liebte. Somit betrachtete sie alles,<br />

was er über Cameron und House sagte, mit einer gewissen Skepsis. „Das stimmt. Cameron ist<br />

professionell genug, ihre Arbeit nicht durch ihre Gefühle beeinträchtigen zu lassen.“, stimmte<br />

Foreman Chase jedoch zu. „Danke, Sie beide haben uns sehr geholfen.“ Monica wandte sich<br />

Chase zu. „<strong>Die</strong> CIA, das FBI und der NCIS arbeiten mit Hochdruck daran, Ihre Kollegen zu<br />

finden. Ich weiß, wie Sie sich fühlen, zwei unserer eigenen Kollegen waren auch in der<br />

Maschine. Wir werden nicht locker lassen, bevor wir sie gefunden haben.“<br />

<strong>Die</strong> Kiste<br />

<strong>Die</strong> Wahrheit ist irgendwo da draußen.<br />

Fox W. Mulder<br />

Ein Teil der Plattform glitt beiseite und von unten wurde eine Kiste hochgefahren.<br />

Neben dieser stand ein Arzt, der sich mit ihr zusammen nach oben fahren ließ. <strong>Die</strong> Kiste sah<br />

wie ein überdimensionaler Sarg aus. <strong>Die</strong> Wachleute öffneten sie und Mulder musste tief<br />

durchatmen. <strong>Die</strong> Kiste war innen schwarz gepolstert und sah verflucht schalldicht aus. Er be-<br />

kam den Befehl, den Kittel auszuziehen und sich in die Kiste zu legen und nach nur ganz<br />

kurzem Zögern gehorchte Spooky. Erneut stellte er fest, dass es von Mal zu Mal weniger er-<br />

niedrigend war, sich immer wieder vor allen möglichen Leuten entblößen zu müssen. Mulder<br />

stieg in die Kiste. Das Liegen war nicht einmal unbequem. Er wurde verkabelt, bekam<br />

Elektroden auf den Brustkorb geklebt, um seine Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung und<br />

Körpertemperatur zu überwachen. Auch an verschiedenen Stellen des Kopfes wurden<br />

Elektroden angebracht und zusätzlich gesichert. Außerdem bekam er einen Pulsoxymeter auf<br />

den Zeigefinger geschoben, der die Sauerstoffsättigung in seinem Blut überwachte. Eine<br />

Halterung neben seinem Kopf hielt einen kleinen Schlauch, der scheinbar unter die Kiste<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

führte, ebenso, wie die Kabel. Wenn Mulder den Kopf ein wenig anhob, konnte er den<br />

Schlauch bequem erreichen. Jetzt kam eine harte Prüfung auch für den beherrschten FBI<br />

Mann. Ein Blasenkatheter wurde ihm eingeführt und er musste, wie schon Jake und Sawyer,<br />

die wenigstens dabei gefesselt gewesen war, alle Beherrschung aufbieten, sich nicht zu<br />

wehren. Mit zusammen gepressten Zähnen und vor Abscheu und unterdrückter Wut zitternd<br />

musste Mulder sich den Schlauch in die Harnröhre einführen lassen. Dann war alles erledigt.<br />

Der Arzt erklärte ihm: „Da ist Wasser für dich, 15.“ Er deutete auf den keinen Schlauch.<br />

Mulder nickte verkniffen. „Kiste zu.“, kam der Befehl des Arztes und mit einem Anflug von<br />

hilfloser Panik sah Mulder zu, wie der Deckel der Kiste geschlossen wurde. Als er verriegelt<br />

war, drang kein noch so kleiner Lichtschein oder Laut zu ihm hinein. <strong>Die</strong> Sauerstoffver-<br />

sorgung wurde wohl über ein Gebläse geregelt, dass unhörbar lief. Als es komplett dunkel<br />

und still um ihn herum war, und er dort in der Enge so gut wie bewegungsunfähig gefangen<br />

lag, wallte panische Angst in Mulder auf. Es kostete ihn alle Kraft, nicht schreiend um sich zu<br />

schlagen. Er musste die Augen schließen und tief einatmen, und es dauerte eine ganze Weile,<br />

bis er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Er fragte sich, wie sie ihn überwachen<br />

wollten. Und dann zuckte er erschrocken zusammen, als über seiner Körpermitte plötzlich ein<br />

kleines rotes Licht aufleuchtete. Es warf einen winzigen, roten Schein über Mulder und er<br />

wusste, dass er dort von einer Spezialkamera überwacht wurde.<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen hatten mit wachsendem Entsetzen beobachtet, was mit<br />

Mulder geschah. Von der Decke senkte sich eine Leinwand herab. Und zu aller Entsetzen<br />

konnten sie Mulder in der Kiste auf dieser Leinwand sehen. Es war gerade rotes Licht, sonst<br />

hätten einige von ihnen etwas dazu zu sagen gehabt. Sawyer dachte - <strong>Die</strong>se elenden Schweine.<br />

- Ähnliche Gedanken hatten die meisten <strong>Anderen</strong> auch. Kate und Ziva, die beide unter<br />

Klaustrophobie litten, stellten sich vor, wenn sie in dieser Kiste liegen müssten und es<br />

schüttelte sie heftig. Gibbs schüttelte ungläubig den Kopf. Wie weit sollte das hier noch ge-<br />

steigert werden? Hatten sie vorher schon gedacht, was man Sawyer und dann Jake, ganz zu<br />

schweigen von ihnen allen, angetan hatte, wäre unmenschlich gewesen, bewiesen ihre Ent-<br />

führer immer aufs Neue, dass sie noch einen drauf legen konnten. Gibbs fragte sich, wie lange<br />

es wohl noch dauern würde, bis einer von ihnen wirklich zu bleibendem körperlichen und<br />

geistigem Schaden kommen würde. Und er wunderte sich, dass sie bisher die Frauen trotz<br />

allem noch relativ verschont hatten. Er dachte an Abby, die ihm nahe wie eine Tochter stand<br />

und sein Magen verkrampfte sich. Er starrte, von einer morbiden Faszination ergriffen, auf die<br />

Leinwand, wo in Großaufnahme das Gesicht Mulders zu erkennen war, der ganz offensicht-<br />

lich damit kämpfte, in seinem engen Gefängnis nicht die Beherrschung zu verlieren.<br />

365


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Scully hatte genau wie alle anderen Gefangenen ziemlich schockiert zugeschaut, was<br />

mit Mulder gemacht wurde. Sie beobachtete sein Gesicht auf der Leinwand und sah, dass<br />

Mulder in der engen Kiste damit kämpfte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.<br />

Innerlich zitterte die FBI Beamtin, war sich aber sicher, dass Mulder die Startphase schnell<br />

überwinden würde. Sie hatte ihn schon in viel schlimmeren Situationen erlebt und wusste,<br />

dass der Psychologe außerordentlich hart im Nehmen und geradezu unglaublich re-<br />

generationsfähig war. Ihr machte diese Situation derzeit viel mehr zu schaffen, erinnerte sie<br />

Mulders fatale Lage doch quälend an die Monate, als sie gedacht hatte, er wäre tot. Es war ja<br />

nicht das erste Mal, dass Mulder in der Hand von Entführern war. Ihr Partner war im Rahmen<br />

seiner Arbeit schon einmal entführt worden und sie hatte ihn nur noch scheinbar tot zurück-<br />

bekommen. Dana wurde von den Erinnerungen an die Beerdigung damals überwältigt.<br />

Monatelang hatte sie geglaubt, den Partner verloren zu haben. <strong>Die</strong> Monate, in denen sie davon<br />

ausging, dass er tot war, waren mit Abstand die schlimmste Zeit in Danas Leben gewesen.<br />

Mulder wunderte sich ein wenig, dass er verhältnismäßig lange brauchte, um sich zu<br />

fangen. Er hatte nie zuvor klaustrophobische Anwandlungen an sich bemerkt. Er war schon in<br />

schlimmeren Situationen gewesen und konnte sich nicht erklären, woher das mulmige Gefühl<br />

kam, welches er im Magen spürte. Irgendwie war ihm, als ob ... Er konnte den Gedanken<br />

nicht festhalten. Es war, als liefe in seinem Kopf ein Déjà-vu ab. <strong>Die</strong> Enge. <strong>Die</strong> Dunkelheit.<br />

Eine Kiste ... Resigniert schloss Mulder kurz die Augen. Er fand keine Verbindung zu<br />

irgendwas, dass er erlebt haben könnte. Entschlossen sah er sich, soweit man bei dem<br />

winzigen, roten Lichtschein vom Sehen sprechen konnte, in der Kiste um. Nicht, dass es<br />

etwas zu sehen gegeben hätte. <strong>Die</strong> Kamera, sein Strohhalm, der Kistendeckel, keine dreißig<br />

Zentimeter über ihm. Mit sehr viel Glück könnte er sich ein klein wenig auf die Seite drehen,<br />

dann würde er aber schon fast oben mit der Schulter gegen den Deckel stoßen. Ob sie auch<br />

ein Mikrofon installiert hatten? Sicher, um die <strong>Über</strong>wachen komplett zu machen. Sie mussten<br />

all seine Reaktionen genau im Auge behalten. Der Schlauch in seiner Harnröhre war mehr als<br />

unangenehm und Mulder verzog unwillkürlich das Gesicht. Dann aber beschloss er, sich nicht<br />

mehr mit solchen Banalitäten aufzuhalten. Er musste sich auf das Wesentlichen<br />

konzentrieren: Wach bleiben und durchhalten. Apropos, wach halten. Wie würde er wohl<br />

wach gehalten werden? Offensichtlich wechselte ja bei jedem von ihnen die Variante.<br />

Schmerz und Geräusche waren schon abgearbeitet. Wenn es bei jedem von ihnen eine<br />

Steigerung geben würde, hatte er schon jetzt mit seinem Nachfolger Mitleid. Mulder nahm<br />

probehalber einen Schluck Wasser zu sich. Dann entspannte er sich und begann damit, in Ge-<br />

danken sämtliche je gelernten Gedichte zu Rezitieren.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

- John Maynard. „Wer ist John Maynard?" „John Maynard war unser<br />

Steuermann, aus hielt er, bis er das Ufer gewann, Er hat uns gerettet, er trägt<br />

die Kron', Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard." ... - - Zu<br />

Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen<br />

die Häscher in Bande, „Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich." entgegnet<br />

ihm finster der Wüterich. „<strong>Die</strong> Stadt vom Tyrannen befreien." „Das sollst du<br />

am Kreuze bereuen." ... - - Bedecke deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst<br />

Und übe, dem Knaben gleich, der Disteln köpft an Eichen dich und<br />

Bergeshöhn. Musst mir meine Erde doch lassen stehn und meine Hütte, die du<br />

nicht gebaut, und meinen Herd, um dessen Glut Du <strong>mich</strong> beneidest. - -<br />

Draußen, außerhalb der Kiste, ging das Leben in den Zellen weiter. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

versuchten, nicht ständig auf die große Leinwand zu starren, wo sie alle Mulder beobachten<br />

konnten. Nach den ersten Schreckminuten hatte sich der FBI Mann schnell beruhigt, das war<br />

offensichtlich. Kate und Ziva vermieden den Blick zur Leinwand ganz entschieden. Beide<br />

Frauen wussten, sie würden in einer solchen Kiste innerhalb weniger Minuten ein schreiendes<br />

Bündel Angst sein. Sawyer und Jake hatten noch viel zu frische Erinnerungen an ihre eigene<br />

Tortur, sie spürten beide noch zu sehr die Gurte, die sie zur Reglosigkeit verurteilt hatten, als<br />

dass sie zuschauen wollten, wie es Mulder in seinem engen Käfig ging. Beide Männer waren<br />

überzeugt, nicht an Klaustrophobie zu leiden, mochten sich aber gar nicht vorstellen, wie es<br />

sein musste, dort eingeschlossen zu sein. Bei den anderen Männern ging der Gedanke eher<br />

dahin, wer wohl der Nächste sein würde, da bei allen zusätzlichen Experimenten der Part des<br />

Schlafentzuges offensichtlich auch immer noch auf dem Plan stand, und was diesen erwarten<br />

würde. Booth machte sich keine Illusionen. Er konnte davon ausgehen, dass er der Nächste<br />

sein würde. Kein schöner Gedanke. Er hatte nie an Schlafstörungen oder ähnlichem gelitten,<br />

hatte keine Vorstellung, wie lange er es durchhalten würde. Booth hatte ein ausgezeichnetes<br />

Zeitempfinden und das war ihm auch hier erst nach langer Zeit gänzlich abhanden ge-<br />

kommen. Sein Körper reagierte immer auf starke Rhythmusstörungen des Tagesablaufes mit<br />

Unruhe und so hatte er ansatzweise den Zeitverlauf etwas bestimmen können. Bis zu achtzehn<br />

Stunden wach sein und dann eine Schlafphase, so sah sein Leben im Allgemeinen aus. Bei<br />

Einsätzen, die diesen Rhythmus durcheinander brachten, spürte er, wenn er seine Wechsel-<br />

phasen überschritt. Er hatte bei Sawyer errechnet, dass der wohl so um die achtundsechzig bis<br />

zweiundsiebzig Stunden wach gewesen war. Bei Jake lag die Zeitspanne deutlich darunter, es<br />

dürften maximal um die fünfundvierzig Stunden gewesen sein. Booth hatte keine Idee, wie<br />

lange er durchhalten könnte.<br />

*****<br />

367


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Mulder lag relativ entspannt in seinem engen Gefängnis. Für ihn war die Isolation<br />

vollständig. Was seine Mitgefangenen draußen machten, konnte er nicht sehen noch hören.<br />

War rotes oder grünes Licht? Wach oder Schlafphase? Er zwang sich, nur in seiner eigenen<br />

Zeitdimension zu denken und hämmerte sich ein, dass für ihn heller Tag war und er keinen<br />

Gedanken an Schlafen vergeuden brauchte. Er hatte noch viel auf dem Zettel. Er dachte<br />

darüber nach, welche Gedichte er von dem großen, deutschen Dichter Friedrich Schiller außer<br />

der Bürgschaft noch kannte. - Das Lied von der Glocke. Fest gemauert in der<br />

Erden, steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden.<br />

Frisch, Gesellen, seid zur Hand. Von der Stirne heiß Rinnen muss der<br />

Schweiß, soll das Werk den Meister loben. Doch der Segen kommt von oben. -<br />

- Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal weg begeben! Und nun sollen<br />

seine Geister auch nach meinem Willen leben. Seine Wort und Werke merkt ich<br />

und den Brauch, und mit Geistesstärke tu ich Wunder auch. Langsam gingen ihm<br />

die Gedichte aus. Und langsam wurde er auch etwas unruhig. <strong>Die</strong> Enge ... Sein Gehirn ver-<br />

suchte wieder, zu analysieren, wieso ihm diese Enge, diese Reglosigkeit so merkwürdig<br />

bekannt vorkam. Eigenartigerweise hatte er das Gefühl, dass sein Unterbewusstsein ver-<br />

suchte, diese Situation mit etwas sehr Unangenehmem zu verbinden. Wenn er doch nur<br />

wüsste, was es war. Es hatte keinen Sinn. Je mehr er versuchte, herauszufinden, was es war,<br />

dass sein Unterbewusstsein einzuwenden hatte, desto tiefer schien sich das, an was er sich zu<br />

Erinnern suchte, in sein Hirn zurück zu ziehen. Mulder war klug genug, zu wissen, dass es so<br />

keinen Zweck hatte. Er gab auf und dachte stattdessen an seinen Lieblingsfilm. Star Wars.<br />

Großartige Filme, alle sechs ...<br />

*****<br />

Scully fuhr keuchend und klatsch nass geschwitzt auf ihrem Bett hoch. <strong>Die</strong> sonst so<br />

beherrschte Agentin zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Sie hatte einen furchtbaren<br />

Albtraum gehabt. Einzelheiten erinnerte Dana nicht mehr, nur, dass Mulder in einem Holz-<br />

sarg gelegen hatte und verbrannt worden war. Jetzt machte sie das am Bett fixiert sein rasend.<br />

Wie gerne wäre sie aufgestanden, hätte sich das verschwitzte Gesicht abgespült und einen<br />

Schluck Wasser getrunken. Nicht einmal Abdecken konnte sie sich, um sich ein wenig Er-<br />

leichterung von der Hitze zu verschaffen. <strong>Die</strong> Leinwand war auch im Dunkeln der Schlafens-<br />

zeit und auch aus der liegenden Position gut zu erkennen. Mulder hatte sich in seinem Kasten<br />

ein wenig auf die Seite gedreht und sah müde aus. Den ersten Tag und die erste Nacht hatte er<br />

locker überstanden. Mulder war absolut kein Mensch, der übermäßig viel Schlaf brauchte.<br />

Erst vor der zweiten Schlafphase vor einiger Zeit war er das erste Mal geweckt worden. Auf<br />

368


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sehr wirkungsvolle Weise. Scully seufzte. Dann ließ sie den Kopf zurück ins Kissen sinken<br />

und versuchte, wieder einzuschlafen.<br />

*****<br />

Mulder war gedanklich inzwischen bei den Büchern angekommen, die er gelesen<br />

hatte. Er dachte an sein Lieblingsstück von Shakespeare, König Lear. - LEAR: Ihr, großer<br />

König, so möcht ich Eure Freundschaft nicht verraten, Euch zu vermählen, wo<br />

ich hasse. Lenkt zu besserem Ziel, ich bitte Euch, eure Wünsche, als auf dies<br />

Wesen, das Natur errötet anzuerkennen. FRANKREICH: Wahrlich, dies ist<br />

seltsam, dass sie, die eben noch euer Kleinod war, der Inhalt Eures Lobs,<br />

Balsam des Alters, euer Bestes, Teuerstes, in diesem Nu so Unerhörtes tat,<br />

ganz zu zerreißen solch reich gewebte Gunst. Ja, ihr Vergehn muss unnatür-<br />

lich, ungeheuer sein, oder die Liebe, deren Ihr euch rühmtet, ist tadelnswert. -<br />

Er konnte nicht sagen, wie lange er schon hier lag. Einen Tag der Zeitrechnung seit der Ent-<br />

führung, zwei Tage ... Er merkte allmählich einen einlullende Müdigkeit und wusste, dass er<br />

in Kürze erfahren würde, womit sie ihn wach zu halten gedachten. Ein wenig Angst hatte er<br />

schon davor, man konnte bei den Leuten, die sie hier gefangen hielten, nie wissen. Mulder<br />

spürte langsam die quälende Steifheit in seinen Gliedern und versuchte, sich ein wenig zu<br />

bewegen, die Muskeln zu lockern. Er verschränkte die Hände unter dem Kopf und starrte die<br />

Decke an. Er dachte an den Roman „The Face„, von Dean R. Koontz, den er im Gepäck hatte<br />

und in dem er in Sydney noch gelesen hatte. Er versuchte, sich an die Handlung zu erinnern...<br />

Und merkte nicht, dass ihm die Augen zufielen. Er fuhr erschrocken hoch, als es unter ihm<br />

plötzlich heftig ruckelte. Das war es also. Sie schüttelten ihn wach. Mulder war auf sich selbst<br />

wütend. So einfach würde er sich hier nicht einmachen lassen. Er riss sich zusammen und<br />

konzentrierte sich darauf, wach zu bleiben. Das wäre doch gelacht. Er konzentrierte seine<br />

Gedanken auf seinen Sohn. William war nun schon so lange bei Danas Mutter. Hoffentlich<br />

ging es dem Kleinen gut. Er betete zu Gott, dass Skinner, Monica und Doggett alles<br />

menschenmögliche tun würden, um seinen und Danas Sohn vor eventuellen <strong>Über</strong>griffen zu<br />

schützen.<br />

*****<br />

Dana wachte von dem grässlichen Weckton auf. Das Geräusch war wirklich schlimm<br />

und weckte jeden. - Man sollte es in Koma-Kliniken einsetzen. - dachte Scully und wollte sich<br />

erheben. Noch war es nicht zur Routine geworden, dass das nicht mehr ging. Genervt sank die<br />

zierliche Frau zurück und wartete auf die Wachen, die Minuten später kamen und die Ge-<br />

369


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fangenen von den nächtlichen Fesseln befreiten. Dann erhob Dana sich und trat an die Gitter-<br />

tür. Sie sah auf die Leinwand und war nicht wirklich erstaunt, Mulder scheinbar recht frisch<br />

und in noch ziemlich guter Verfassung zu sehen. Sie machte sich keine Sorgen darum, ihn<br />

zusammen brechen zu sehen, sondern eher das Gegenteil. Mulder war ein so sturer Hund und<br />

er hatte eine unglaubliche Beherrschung, die ihn weit über die Grenzen seiner Leistungs-<br />

fähigkeit hinaus brachte. DAS war es, was Scully Sorgen bereitete. Sie schaute eine Weile auf<br />

die Leinwand versuchte, in dem schummrigen Bild dort zu erkennen, wie es inzwischen wirk-<br />

lich um den FBI Mann stand. In diesem Moment ging das grüne Licht an. „Morgen.“ Ver-<br />

schlafen kam es aus einigen Zellen. „Irgendwann krieg ich einen Herzschlag von dem elenden<br />

Geheule.“, knurrte Sawyer genervt. „Du siehst nicht so aus, als hättest du ein weiches Herz.“,<br />

grinste Ziva, nachdem sie sich gestreckt hatte. „Schwaches, Ziva, er hat kein schwaches<br />

Herz.“, schmunzelte Abby. „Na, ein weiches Herz hat er aber auch nicht.“ Ziva verdrehte die<br />

Augen. Cameron hatte, wie Scully, erst einen Blick auf die Leinwand geworfen. „Er sieht<br />

noch erstaunlich frisch aus. Dana, was meinst du, wie geht es ihm?“, fragte die Ärztin besorgt.<br />

Scully sah durch Gils Zelle hindurch zu Allison hinüber. „Ich denke, noch geht es. Er braucht<br />

sehr wenig Schlaf, so schnell wird er nicht zusammen brechen. Er ist so verflucht stur. Das ist<br />

es, was <strong>mich</strong> beunruhigt.“ Allison bemerkte zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme echte<br />

Besorgnis in der Stimme der spröden Agentin. „Ich vermute, dass das Ende ziemlich abrupt<br />

kommen wird.“, sagte Dana nachdenklich. „Er war mal lebendig begraben ...“ Zu spät merkte<br />

sie, was ihr da raus gerutscht war.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> hatten der Unterhaltung gelauscht und Scullys Worte gehört. „Ach du<br />

Scheiße.“, sprach Jake aus, was alle in diesem Moment dachten. „Er weiß davon nichts. Er<br />

war nicht bei Bewusstsein.“, erklärte Scully gezwungen ruhig. - Hoffe ich jedenfalls. - dachte<br />

sie verbissen. Keiner der <strong>Anderen</strong> erwartete eine Erklärung. House hätte zwar gerne ein paar<br />

Fragen gestellt, aber er verkniff es sich, genau wie Bones. Booth hatte davon Gerüchte gehört,<br />

sie aber nicht wirklich geglaubt. Es hatte geheißen, Spooky Mulder sei monatelang lebendig<br />

begraben gewesen. Wie sollte das funktionieren? Das gehörte wohl eindeutig in die Kategorie<br />

Science Fiction. Booth war Realist. So etwas konnte es nicht geben. Er sah zu Bones hinüber<br />

und sagte: „Hey, Bones, hast du gut geschlafen?“ <strong>Die</strong>se stand am Gitter und schaute zu ihm.<br />

„Ich beginne wohl langsam, <strong>mich</strong> an die nächtliche Fixierung zu gewöhnen, ich war nur noch<br />

neun Mal wach, wenn ich <strong>mich</strong> herum drehen wollte.“, knurrte Bones genervt. In diesem<br />

Moment ging die Kerkertür auf und ihre Lebensmittelzuteilung wurde gebracht. Sawyer nahm<br />

die Käsesandwiches, Wasser und das kleine Schüsselchen mit den Vitaminen und Mineral-<br />

stoffen entgegen und setzte sich auf sein Bett. Er starrte die Sandwiches an und sagte dann:<br />

„Geht es euch auch so? Ich hätte nie gedacht, dass ich <strong>mich</strong> über simple Käsesandwiches mal<br />

so freuen würde.“ Ziva grinste. „Geht mir genauso. Obwohl ich schon schlechter als mit<br />

370


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trockenem Brot versorgt worden bin.“ „Sag mal, Nikita, du hast schon einiges erlebt, was?“<br />

Sawyer biss in sein Sandwich und hatte das Gefühl, ein Luxusessen erhalten zu haben. „Was<br />

genau machst du eigentlich? Beim Mossad mein ich.“ „Außer Spionin? Ja, nun, ich bin<br />

Führungsoffizierin. Dass ich fließend Hebräisch, Englisch, Arabisch, Türkisch, Spanisch und<br />

Französisch, spreche, wisst ihr ja inzwischen. Auch, dass ich <strong>mich</strong> in Deutsch, Italienisch und<br />

Russisch verständigen kann. Ich bin Nahkampfspezialistin und perfekt ausgebildet in Selbst-<br />

verteidigung, im Töten ohne Waffe und es gibt keine Waffe, die ich nicht beherrsche.“ Sie<br />

grinste kurz und erinnerte sich an eine Begebenheit bei einem Streit mit Tony. „Ich kann<br />

einen Menschen mit einer Büroklammer auf achtzehn verschiedene Arten töten.“ Ziva zählte<br />

das alles auf, wie andere Frauen über Kochrezepte reden würden. Es kam nicht einmal über-<br />

heblich rüber, Ziva zählte nur bestehende Tatsachen auf.<br />

Booth sah zu Ziva hinüber, während er sein Sandwich aß. „Wow. Selbstverteidigung?“<br />

Er sah Ziva Abschätzend an. „Meinst du, du würdest <strong>mich</strong> ...“ Jetzt stieß Ziva ein deutlich<br />

amüsiertes, herablassendes Lachen aus. „Jederzeit, wo immer du willst.“ Aus Gibbs und<br />

Abbys Zellen kam es fast parallel: „Armer Booth.“ „Keine Frau besiegt einen gut aus-<br />

gebildeten Mann, oder?“, warf Jake staunend ein. „Kleiner, dich nehme ich als Ablage dazu.“,<br />

grinste Ziva. Verwirrt sah Jake zu Ziva hinüber. „Ablage?“ „Beilage. Sie meint Beilage.“,<br />

kam es gelassen von Gibbs. „Himmel, seid ihr Amerikaner pingelig. Ablage, Beilage, ist doch<br />

fast das Gleiche.“ „Ja, fast ...“, schnarrte Sawyer grinsend. Bones wandte sich an Ziva:<br />

„Selbstverteidigung beherrsche ich auch. Wenn wir hier raus kommen, können wir es den<br />

Herren ja mal zeigen.“ Booth zog die Augenbrauen hoch. Was Bones zu leisten im Stande<br />

war, wusste er nur zu genau. Er hatte sie mit Verdächtigen umspringen sehen, wie er selbst es<br />

nicht besser gekonnt hatte. Allerdings wirkte sie auch kräftiger als Ziva. Heather lachte leise.<br />

„Ihr meint doch nicht wirklich, dass ihr gegen Booth und Jake eine Chance habt?“, fragte sie<br />

spöttisch. „Wie gesagt, jeder Zeit, Schätzchen. Hol schon mal den Mülleimer, denn mehr wird<br />

von deinem Liebling nicht übrig bleiben, als das, was da rein passt, wenn ich mit ihm fertig<br />

bin.“ Ziva schaute abfällig zu Heather hinüber. „Was machst du so? Sportmäßig, meine ich.<br />

Ping Pong? Minigolf? Einkaufswagen schieben?“ Empört erwiderte Heather: „Ich reite.“<br />

„Sehr nützlich wenn man angegriffen wird.“, warf Kate ein. „Na, der Kampfsport hat euch<br />

auch nicht gerade geholfen, nicht hier zu landen, oder?“, bemerkte Sara schnippisch. „Schätz-<br />

chen, wenn du nicht geschlafen hättest, hätte deine dumme Klappe uns alle sicher vor der Ge-<br />

fangennahme bewahrt.“ House hatte dem Dialog gelangweilt zugehört. Jetzt konnte er sich<br />

nicht mehr zurück halten. Sara fuhr giftig auf: „Gleich, nachdem deine uns noch mehr in<br />

Schwierigkeiten gebracht hätte.“ „Ich habe keine dumme Klappe, ich bin Arzt.“ Sarkastisch<br />

grinste House. Bevor die Unterhaltung in einen Streit übergehen konnte, erlosch das grüne<br />

Licht und verhinderte eine Eskalation.<br />

371


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beyond the sea<br />

Schon immer beruhten die meisten menschlichen Handlungen auf Angst oder<br />

Unwissenheit.<br />

Albert Einstein<br />

Als es jetzt wieder erzwungen still war im Kerker konnten die Gefangenen sich nicht<br />

mehr so gut von Mulder in seiner Kiste ablenken. Immer häufiger glitten die Blicke aller auf<br />

die Leinwand und beobachteten Spooky, der immer noch vergleichsweise frisch aussah.<br />

House hatte den Verdacht, dass der Zusammenbruch des FBI Agenten schnell und heftig<br />

werden würde. Der Mann zeigte bisher überhaupt keine Reaktion auf das Eingesperrt sein.<br />

Wenn er so weiter machte, würde der Absturz ihn an den Rand des Exitus bringen. House sah<br />

zu Dana hinüber. <strong>Die</strong> Agentin hatte sich an der Unterhaltung nicht beteiligt. Sie stand an der<br />

Gittertür und sah zu ihrem Kollegen hoch. - <strong>Die</strong> Beiden haben also ein Kind. - sinnierte<br />

House. Komischerweise sah er bei diesem Gedanken nicht mehr Dana, sondern Allison an.<br />

*****<br />

Mulder hatte den Tag überstanden und wurde langsam wirklich sehr müde. <strong>Die</strong> Augen<br />

offen zu halten fiel ihm immer schwerer. Aber er hatte das wütende Verlangen, sich nicht<br />

geschlagen zu geben. Er wusste, dass er schon weit über dem erwartetet Durchhaltevermögen<br />

lag, dass ihre Entführer ihm zugetraut hätten. Vier Mal erst war er wach geschüttelt worden.<br />

Mulder verlagerte sein Gewicht ein wenig mehr auf die rechte Seite. Er konnte nicht mehr<br />

liegen, dass war sein Hauptproblem im Augenblick. <strong>Die</strong> Unterlage war hart und er hätte sich<br />

gerne auf den Bauch gedreht. Das ging wegen der Schläuche und Kabel natürlich nicht. Der<br />

Blasenkatheter wurde immer unangenehmer und die Stille und Dunkelheit lastete schwer auf<br />

dem Eingesperrten. Er hätte einiges getan, um sich mit jemandem unterhalten zu können, am<br />

besten mit Scully, aber auch Locke oder Sawyer wären ihm Recht gewesen. Er konnte den<br />

frechen Südstaatler gut leiden. Dana Scully. Er dachte intensiv an seine Freundin. Sie hatte zu<br />

Anfang nicht an <strong>Über</strong>natürliches geglaubt, war aber im Laufe ihrer Zusammenarbeit mit ihm<br />

und ihren gemeinsam bearbeiteten Fällen eines Besseren belehrt worden. Sie hatte zu viele<br />

Dinge gesehen, die sich einfach nicht logisch erklären ließen. Seine Gedanken drifteten ab<br />

und sofort begann sein Gehirn wieder darüber zu Grübeln, was ihm an dieser Lage, in der er<br />

372


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

steckte, so vertraut vorkam. Es fiel ihm zusehends schwer, sich noch zu konzentrieren. Das<br />

konnte er auch mit seinem Willen nicht mehr steuern. Krampfhaft versuchte er, sich auf etwas<br />

Einfaches, Greifbares zu Konzentrieren. Er durfte nicht aufgeben. Stur zwang er sich, die<br />

Augen offen zu halten. Er hatte keine Ahnung, wie lange es noch gut gehen würde, und noch<br />

weniger hatte er Ahnung, wie hoch das Gesundheitsrisiko für ihn schon war. Aber er hatte<br />

den festen Willen, nicht nachzugeben und sich der bleiernen Müdigkeit in seinen Knochen<br />

hinzugeben. Mulder konzentrierte sich auf den roten Lichtpunkt der Kamera. Und schrak zu-<br />

sammen.<br />

*****<br />

Im Zellentrakt wurde das dritte Mal seit Mulders Isolierung das Licht gedämpft. Zäh<br />

tropften die Stunden dahin. Der Gedanke an den FBI Agenten in seiner Kiste hielt nun auch<br />

die anderen Gefangenen wach. Keiner von ihnen konnte mehr gut schlafen. Das ungewohnte<br />

gefesselt sein kam natürlich immer noch als Erschwernisfaktor hinzu. Allison, Bones, House<br />

und natürlich in erster Linie Dana fragten sich aus medizinischer Sicht, wie lange ein Mensch<br />

es unter den Bedingungen schaffen würde, bei klarem Verstand zu bleiben. Eigentlich musste<br />

Mulder schon zu Halluzinieren beginnen. Den Hunger spürte er sicher nicht mehr, Durst hatte<br />

er nicht, aber das Liegen, nichts sehen, nicht sprechen, die Enge, dass alles musste irgend-<br />

wann zu einer Reaktion führen. House konnte sich kaum noch abwenden, seine blauen Augen<br />

saugten sich an der Leinwand regelrecht fest und er überlegte, wie der Zusammenbruch<br />

erfolgen würde. Er tippte, genau wie seine Assistenzärztin, auf Kreislaufversagen und<br />

eventuell sogar Herzrhythmusstörungen. Während er noch darüber nachdachte, wurde Mulder<br />

plötzlich sehr unruhig. House richtete sich auf, soweit es die Fesseln zuließen. Seine Hände<br />

ballten sich zu Fäusten, ohne das er es bemerkt hätte. Cameron und Scully waren ebenfalls<br />

aufmerksam geworden. Dana starrte alarmiert in Mulders Gesicht. Er wurde schnell geradezu<br />

panisch. „Er halluziniert.“, entfuhr es Allison und aus Jakes Zelle ertönte ein erschrockenes:<br />

„Au, verdammt.“ Wie immer das in dem Bett funktionierte, aber er hatte einen Schlag be-<br />

kommen. <strong>Die</strong> Nächste, die das sehr unangenehme Kribbeln spürte, war Cameron, sie be-<br />

herrschte sich jedoch und gab keinen Ton von sich. Scully biss sich auf die Lippen. Es fiel ihr<br />

unglaublich schwer, zuzusehen, wie Mulder so offensichtlich litt.<br />

*****<br />

Das rote Licht. Mulder starrte es an und zuckte heftig zusammen. Der Lichtpunkt<br />

wurde größer und veränderte die Farbe. Das Rot wurde immer mehr zu einem kräftigen<br />

Orange und fing an zu flackern. Mulder spürte von dem orangen Schein eine unglaubliche<br />

373


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hitze ausgehen. Und dann konnte er erkennen, was es war. Ein riesiger Feuerball kam auf ihn<br />

zu gerast. Irgendwo in einem entfernten Winkel seines Hirns zuckte noch kurz der Gedanke<br />

hoch, dass das nicht sein konnte, dann wurden alle Empfindungen weg gespült von der grau-<br />

samen Erkenntnis, gleich qualvoll zu verbrennen. <strong>Die</strong> Flammen kamen näher und näher und<br />

Mulder spürte sie auf seiner Haut, spürte, wie seine Haut Blasen schlug, spürte, wie er ver-<br />

brannte. Er riss den Mund auf und schrie ...<br />

*****<br />

Auf der Leinwand sahen Scully, House und Cameron, wie Mulder sich schreiend in<br />

seinem engen Gefängnis wand. Scully wusste natürlich, dass eine Halluzination keine Gefahr<br />

darstellte, aber sie konnte nicht mehr verhindern, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie biss<br />

sich auf die Lippen. - Komm zu dir, Honey. - dachte sie verzweifelt. - Was immer du siehst, es<br />

ist nicht echt. - Sie hätte Mulder so gerne geholfen. Wenn er bisher in Gefahr gewesen war,<br />

was nicht selten geschah, hatte sie meistens irgendwas tun können. Jetzt nur wenige Meter<br />

von ihm entfernt zu sein und doch so weit weg, als läge das ganze Weltall zwischen ihnen,<br />

machte Dana fertig. Sie konnte ihren Blick nicht von Mulders angstverzerrtem Gesicht lösen.<br />

Was sah er gerade? Dana brauchte all ihre Beherrschung, um nicht irrational zu reagieren.<br />

Ihm drohte nicht wirklich Gefahr. Das musste sie sich gewaltsam einhämmern. Und dann<br />

knackte es im Lautsprecher und Dana glaubte, nicht richtig zu hören. Der ganze Kerker war<br />

plötzlich von Musik erfüllt. „Somewhere beyond the sea, somewhere waiting for me, my<br />

lover stands on golden sands and watches the ships that go sailing ...“<br />

*****<br />

Mulder hatte das Gefühl, mitten in den Flammen zu stehen und zu brennen. Er schlug<br />

schreiend um sich und versuchte verzweifelt, von dem Feuer weg zu kommen. Und dann war<br />

es so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Keuchend, schweißnass und am ganzen Körper<br />

zitternd lag Mulder da, sein Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Das<br />

erste Mal seit Beginn seiner Tortur war der Mann fix und fertig. Dana war die einzige Person,<br />

die wusste, dass Mulder irrationale Angst vor Feuer hatte. Dass er hier gerade gesehen hatte,<br />

wie sich dieses Element auf ihn stürzte um ihn zu verbrennen, hatte ihn kalt erwischt.<br />

Selbstverständlich hatte er mit Halluzinationen gerechnet, aber diese Sinnestäuschungen<br />

hatten es an sich, dass man, wenn sie erst einmal begannen, sie nicht mehr von der Realität<br />

unterscheiden konnte. Jetzt, im Nachhinein, war ihm klar, dass er einer Sinnestäuschung er-<br />

legen war. Er merkte, dass es ihm schwer fiel, sich wieder zu entspannen. Er hatte wohl fast<br />

das Ende der Fahnenstange erreicht. Er fror plötzlich stark, als der Schweiß auf seiner Haut zu<br />

374


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trocknen begann und seine Hände zitterten heftig, als er sich durch das Haar fuhr. <strong>Die</strong> Enge<br />

lastete immer drückender auf Mulder und er konnte den Gedanken - Ich will hier raus. - nicht<br />

mehr unterdrücken. Er wollte sich noch einmal zusammen reißen, wollte nicht aufgeben. Er<br />

zwang sich, sich zu entspannen. Was Mulder nicht ahnte, genauso wenig wie seine Mit-<br />

gefangenen, war, dass in einem Labor eine Etage tiefer seine Vitalfunktionen sehr genau im<br />

Auge behalten wurden und man entschied, dass er noch nicht ganz reif für den Abbruch des<br />

Experimentes war.<br />

*****<br />

„.... somewhere beyond the sea, she's there watching for me and if I could fly like<br />

birds on high then straight to her arms I go sailing ...” Dana konnte es nicht fassen. Woher<br />

wussten diese Schweine das? Aus den anderen Zellen kam erstauntes: „Was soll das?“ „Aua.“<br />

„Verflucht.“ „Was ist das für Musik?“ „Au.“ „Seid still.“ Endlich verstummten die erstaunten<br />

Stimmen und keiner von ihnen erhielt weitere Stromschläge wegen unerlaubten Redens. Alle<br />

hatten sich aufgerichtet, soweit es ging und starrten zu Dana hinüber, die fassungslos in ihrem<br />

Bett lag, mit tränenüberströmtem Gesicht auf die Leinwand starrte und am ganzen Körper<br />

zitterte. <strong>Die</strong>ses Lied ... Es war das Hochzeitslied ihrer Eltern gewesen und später, als ihr über<br />

alles geliebter Vater gestorben war, wurde es auf Wunsch Danas und ihrer Mutter in der<br />

Kirche bei der Beisetzungsfeier gespielt. Dana weinen zu sehen belastete die anderen Ge-<br />

fangenen mehr, als die Tränen Heathers oder Kates es getan hatten. Scully war keine Frau, bei<br />

der man Tränen erwartete. Sie so aufgelöst zu sehen, war erschreckend. Also waren auch die,<br />

die so hart wirkten, zu Knacken. Das war keine schöne Vorstellung. Scully konnte ihre Augen<br />

nicht mehr von Mulders Gesicht lösen. Er sah jetzt ziemlich fertig aus. Das Ende konnte nicht<br />

mehr weit entfernt sein. Dana wünschte sich, dass es früher kam, nicht später. Sie würde doch<br />

sicher auch mit ihm zusammen in eine Zelle oder sogar in die kleine Belohnungswohnung<br />

kommen. Sie wollte bei ihm sein, sich überzeugen, dass es ihm gut ging, ihn spüren. Scully<br />

war kein Mensch, der überschwänglich Gefühle äußerte, aber in diesem Moment, als in einer<br />

Endlosschleife wieder und wieder „Beyond the sea„ gespielt wurde, war ihr klar, dass sie ihre<br />

Gefühle für Mulder nicht mehr verstecken konnte.<br />

Auch House ließ, wenn auch aus ganz anderen Gründen, kein Auge mehr von Mulder.<br />

Es war dem genialen Arzt natürlich klar, dass er nichts machen konnte, trotzdem hatte er das<br />

Gefühl, dass es wichtig war, wenn er Mulder im Auge behielt. Wie der Mann sich noch auf-<br />

recht hielt, im übertragenen Sinne, war House ein Rätsel. Er musste am Ende sein. Und<br />

Mulder war am Ende. Er starrte apathisch vor sich hin. Seine Augenlider flatterten. - Nicht<br />

schlafen - Nicht schlafen - Nicht schlafen - Er fror entsetzlich und sein Hirn machte ihm klar,<br />

375


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dass er sich zusammen rollen sollte, um sich so zu wärmen. Das war in dieser Enge allerdings<br />

nicht möglich. Seine Zähne klapperten aufeinander und er atmete keuchend. House schien es,<br />

als würde Mulder schneller atmen, zu schnell. Wenn er es hören könnte, hätte er es klar sagen<br />

können. So war er ... In diesem Moment wurde die nervige Musik leiser gedreht, dafür erfüllte<br />

plötzlich laut und deutlich Zähneklappern und flaches, keuchendes Atmen den Raum. Den<br />

Gefangenen lief ohne Ausnahme eine Gänsehaut über den Rücken. Sie hörten jetzt die Ge-<br />

räusche aus der Kiste. Offensichtlich war nicht nur eine Kamera, sondern auch ein Mikrofon<br />

innerhalb der Kiste angebracht. Und dieses übertrug nun die Töne auf die Lautsprecher.<br />

Scully schluchzte vor Entsetzen auf.<br />

Mulder zitterte am ganzen Körper. Er war sich bewusst, dass das Ende unmittelbar be-<br />

vor stand. Alles verschwamm. Leise formten seine Lippen „Dana ...“ Vor seinen Augen<br />

breitete sich plötzlich das Gesicht seiner Schwester aus. Es wurde größer und dann rief das<br />

Mädchen um Hilfe. Mulder zuckte verzweifelt mit den Händen in die Richtung, in die seine<br />

Schwester jetzt verschwand. „Sam .....“, schrie er außer sich. Immer weiter weg trieb das Ge-<br />

sicht und Mulder schluchzte auf. „SAM!“ Es wurde kurz schwarz vor seinen Augen, dann sah<br />

er wieder klar, kein Gesicht, keine Schwester, die nach ihm rief. Mulder sackte in sich zu-<br />

sammen und seine zitternden Hände fuhren über sein Gesicht. Dana schluchzte heftig. Jetzt<br />

konnte man deutlich hören, wie Mulders Atem immer flacher und unregelmäßiger wurde.<br />

House schüttelte besorgt den Kopf. Das klang nicht gut. Unerwartet ging das grüne Licht an<br />

und Gil war der Erste, der etwas sagte. „Dana, er wird es gleich hinter sich haben, mach dir<br />

keine Sorgen, er wird es überstehen.“ „Sie sollen ihn endlich da raus lassen. Das ist so un-<br />

menschlich.“, wimmerte Heather entsetzt. „Sie müssen ihn gleich raus lassen, sonst kollabiert<br />

er.“, bemerkte Bones besorgt. House lauschte auf die immer flacher werdende Atmung<br />

Mulders. „Haben die den Pulsoxy nicht im Blick? Seine Sauerstoffsättigung dürfte für den<br />

Arsch sein.“ Laut rief er: „Hey, habt ihr blöden Idioten euer Versuchskaninchen noch im<br />

Blick? Er dürfte jeden Moment kollabieren.“<br />

Und genau in diesem Moment sackte Mulders Kopf auf die Seite. Er hatte ganz offen-<br />

sichtlich die Besinnung verloren. „MULDER!“ Dana schrie entsetzt auf. „Holt ihn da raus.“,<br />

brüllte House wütend. <strong>Die</strong> Kerkertür ging auf und zwei weiß bekleidete Ärzte kamen an-<br />

gehetzt. Sie waren in Begleitung von vier Wachen. Eine der Wachen hielt vor Danas Zelle an<br />

und öffnete diese. Er machte sie vom Bett los, packte die Agentin am Arm und sagte gefähr-<br />

lich leise: „Versuch lieber nichts, Nummer 7.“ Dana schüttelte unter Tränen den Kopf. Sie<br />

ließ sich auf die Plattform führen und sah zu, wie der Deckel zu Mulders Kiste geöffnet<br />

wurde. Kaum war er abgenommen, nahm einer der Ärzte eine Sauerstoffmaske aus einer<br />

Klappe im Fußraum der Kiste und drückte sie Mulder auf das blasse Gesicht. Der zweite Arzt<br />

376


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hatte Mulder kurz die Augenlider angehoben, um die Pupillenreflexe zu kontrollieren und<br />

sagte jetzt in sein Mikro: „Wir brauchen hier Etilefrin 12 und Dihydroergotamin 13 , sowie<br />

Epinephrin (Adrenalin), schnell.“ Es dauerte keine zwei Minuten und eine weitere Wache<br />

eilte hinzu, eine Injektionsspritze in der Hand. Der Arzt spritzte Mulder die Medikamente in<br />

die Vene und fragte nach ein paar Minuten in sein Mikro: „Wie sieht es aus?“ Er lauschte der<br />

Antwort und gab weiter: „Etwas mehr Sauerstoff, Sättigung erst bei 75%.“ Der andere Arzt<br />

nickte und drückte Mulder die Maske weiterhin auf das Gesicht.<br />

Scully war auf die Knie gesunken und hatte nach Mulders rechter Hand gegriffen. Sie<br />

streichelte ihm sanft über die Haare und immer noch liefen ihr Tränen über die Wangen.<br />

Endlich gab der Arzt das Zeichen, dass die Sauerstoffzufuhr abgestellt werden konnte. „Alles<br />

wieder im grünen Bereich, schafft ihn ins Bett.“ Vorsichtig hatte der zweite Arzt Mulder den<br />

Blasenkatheter heraus gezogen. Jetzt entfernte er den Pulsoxy und die EKG und Hirnstrom-<br />

elektroden. Dann wurde Mulder wenig vorsichtig aus der Kiste gehievt und zwischen zwei<br />

Bewachern hängend, auf die Tür zum Belohnungsraum zugeschleppt. Dana blieb an seiner<br />

Seite und sah besorgt zu, als man Mulder ins Schlafzimmer schleppte. Sie eilte vor und schlug<br />

die Bettdecke beiseite. <strong>Die</strong> beiden Wachen ließen Mulder ins Bett gleiten und verzogen sich<br />

dann wortlos. Scully deckte Mulder sorgfältig zu, sah ihm in das blasse Gesicht und<br />

schluchzte auf. Sie streichelte ihm sanft über die Wange und flüsterte: „Ruh dich aus, ich bin<br />

bei dir, mach dir keine Sorgen.“<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen waren inzwischen von ihren Fesseln befreit worden und<br />

sofort ging die Diskussion los, kaum, dass ihre Entführer den Kerker verlassen hatten. „Wird<br />

er wieder in Ordnung kommen?“ Kate stellte die Frage, die alle interessierte. House hatte ge-<br />

spannt darauf geachtet, was mit Mulder geschah. Nun erklärte er: „Der kommt wieder auf die<br />

Füße. Er hat etwas zur Herz-Kreislaufstabilisierung und zur Verbesserung der Sauerstoffver-<br />

sorgung bekommen, er wird sich erholen und dann vermutlich vierundzwanzig Stunden am<br />

Stück schlafen.“ House schwieg. Dann sprach er aus, was alle dachten: „Wer wird der<br />

Nächste sein?“ <strong>Die</strong>se Frage hatten sich alle schon gestellt. Booth verzog beunruhigt das Ge-<br />

sicht, als er spürte, dass mehr oder weniger alle zu ihm schauten. „Hey. Guckt <strong>mich</strong> nicht so<br />

an, okay. Bringt die nicht auf dumme Ideen.“ Gibbs machte sich so seine eigenen Gedanken.<br />

12 Etilefrin ist ein Arzneistoff, der bei Kreislaufstörungen eingesetzt wird, die mit niedrigem Blutdruck einhergehen.<br />

13 Dihydroergotamin ist ein Arzneistoff zur Therapie hypotoner Kreislaufstörungen.<br />

377


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> hatten sich nach oben gearbeitet, Sawyer war definitiv der Einzige ohne militärische Aus-<br />

bildung. Jake hatte ganz offensichtlich Erfahrungen, das entging Gibbs geschultem Auge<br />

keineswegs. Mulder war durch die harte FBI Ausbildung gegangen. Booth würde der Nächste<br />

sein, und ihn dürfte es am härtesten treffen, denn, das wusste Gibbs ja durch die Befragung<br />

inzwischen, der FBI Agent hatte Militärdiensterfahrungen. Wenn er zu den Entführern ge-<br />

hören würde, Gibbs ginge davon aus, dass Booth der physisch belastbarste der Männer war.<br />

Bettruhe<br />

Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen: <strong>Die</strong> Hoffnung,<br />

das Lachen und der Schlaf.<br />

Immanuel Kant<br />

Dana war bemüht, sich wieder zu fangen. Als sie den geliebten Mann so vor sich in<br />

dem breiten Doppelbett liegen sah, und sich vorstellte, wie knapp es gewesen war, hätte sie<br />

schreien mögen. Wie weit wollten diese Leute noch gehen? Sie war nie ein emotionaler<br />

Mensch gewesen, aber das, was hier auf alle einstürzte, wieder und immer wieder, war selbst<br />

für die so beherrschte Beamtin langsam aber sicher zu viel. Zu oft hatte sie in den letzten<br />

Wochen zusehen müssen, wie Menschen, zu denen sie zwangsläufig durch gemeinsam aus-<br />

gestandenen Horror ein Verhältnis aufgebaut hatte, litten, gequält wurden, an ihre Grenzen<br />

getrieben wurde und weit über diese hinaus. Und mitten drinnen Mulder. <strong>Die</strong>ser Kindskopf,<br />

der sie in den unmöglichsten Situationen immer wieder zum Lachen brachte und der doch ein<br />

so unglaublich fähiger FBI Ermittler war. Und nun lag er hier vor ihr, bleich, tiefdunkle<br />

Schatten unter den Augen, die Wangen eingefallen, in einem Koma ähnlichen Schlaf. Dana<br />

selbst hatte das Gefühl, noch nie in ihrem Leben so müde gewesen zu sein. „Ich bin bei dir,<br />

Liebling, schlaf dich nur gründlich aus, ich passe auf dich auf. Erst mal wird dir niemand<br />

mehr etwas tun. Ich lege <strong>mich</strong> zu dir, dann merke ich, wenn etwas nicht stimmt, okay. Ich<br />

liebe dich.“ Sie küsste sanft seine geschlossenen Augen, seine Lippen. Dann kuschelte Scully<br />

sich an Mulders Körper, legte den Arm um ihn und ihren Kopf auf seine Brust, um seinem<br />

jetzt wieder ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag zu lauschen. So schlief sie schließlich selbst<br />

ein.<br />

378


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wie lange sie geschlafen hatte, hätte Dana nicht sagen können. Als sie die Augen<br />

öffnete, musste sie sich kurz orientieren, dann wusste sie wieder, wo sie sich befand. Ihr erster<br />

Blick galt Mulder. Etwas besser sah er aus, aber es hatte keine gravierenden Veränderungen<br />

gegeben. Er lag noch genauso da wie vor Stunden, als sie an ihn gekuschelt eingeschlafen<br />

war. Dana stieg vorsichtig aus dem Bett und sah sich in der kleinen Wohnung um, die<br />

Sawyer, Kate, Heather, Jake und auch Bones und Booth schon kennen gelernt hatten. Ein<br />

Bad. Auch Scully war klar, dass sie hier weiter überwacht wurden, aber es war ihr voll-<br />

kommen gleichgültig. Unbeobachtet duschte sie ja ohnehin schon seit Beginn der Gefangen-<br />

schaft nicht mehr. Sie zog den Kittel aus, dann stieg die zierliche Frau unter die Dusche.<br />

Dankbar nutzte sie die einmalige Gelegenheit, wenigsten nur von einer Kamera, und nicht<br />

von dutzenden fremder Männer beobachtet, ausgiebig zu duschen. Sie wusch sich die Haare<br />

und hätte sonst was für einen Epilierer gegeben. Aber schon das Gefühl, geduscht zu haben,<br />

war einmalig schön. Damit wurden sie nach wie vor extrem kurz gehalten. Duschen war der<br />

reine Luxus. Als sie schließlich, in ein großes Badehandtuch gewickelt, vor dem Spiegel<br />

stand, bemerkte sie, dass es auch hier keinen Kamm gab. So schüttelte sie sich die Haare wie<br />

gewöhnlich nur aus und ging dann kurz zurück ins Schlafzimmer. Mulder schlief noch immer<br />

tief und fest. Sie sah ihn besorgt an, dann ging sie weiter die Wohnung inspizieren. Sie ent-<br />

deckte Gegenstände scheinbar nach dem Grad des Vermissens, denn das nächste, was Scully<br />

zu ihrer Freude entdeckte, war eine Kaffeemaschine. Sofort setzte sie sich und Mulder Kaffee<br />

auf und sank ein paar Minuten später mit einem Becher dampfend heißem Kaffee in der Hand<br />

neben Mulder auf das Bett. Sie strich ihm mit einer unendlich sanften Geste eine Haarsträhne<br />

aus der Stirn, dann sagte sie leise: „Wenn du aufwachst ist Kaffee fertig, aber du musst nicht<br />

aufwachen, bevor du nicht gründlich ausgeschlafen hast. Ich bin immer noch hier bei dir,<br />

wenn du genug geschlafen hast, das verspreche ich dir.“<br />

Dana machte es sich im Wohnzimmer gemütlich. Sie hatte sich ein Buch aus dem<br />

Regal gezogen, schaltete sich leise Musik an und setzte sich auf das Sofa. Aus der Küche<br />

hatte sie sich ein Päckchen Oreo-Kekse mitgenommen und knabberte nun beim Lesen ab und<br />

zu einen Keks. Immer wieder stand sie auf und schaute nach Mulder, der Stunde um Stunde<br />

reglos im Bett lag. Sie griff immer wieder nach seinem Handgelenk und tastete den Puls.<br />

Aber da war alles in Ordnung, kräftig und regelmäßig, wenn auch ein klein wenig langsam,<br />

pumpte Mulders Herz im beruhigenden Rhythmus vor sich hin. Und endlich, Dana hatte das<br />

Gefühl, schon eine kleine Furche in den weichen Teppich gelaufen zu haben, bewegte Mulder<br />

sich im Schlaf, murmelte etwas vor sich hin und seufzte. Dana war sofort am Bett und griff<br />

nach Mulders Hand. „Mulder? Hörst du <strong>mich</strong>?“ Mulders Augenlider zuckten und er öffnete<br />

mühsam die Augen. Seine Zunge huschte unbewusst über seine trocknen Lippen.<br />

Orientierungslos und maßlos verwirrt sah er sich um. Dann klärte sich sein Blick etwas und er<br />

379


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sah Dana bei sich sitzen. Seine dunklen Augen sahen sie müde an. Ein Lächeln zuckte kurz<br />

über seine Lippen, dann fragte er leise: „Wer sind Sie?“ Dana seufzte unendlich erleichtert<br />

auf. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie liebevoll. „Müde.“ Seine Ehrlichkeit war umwerfend.<br />

„Und ich habe Durst. Gibt es hier etwas zu Trinken? Wo sind wir überhaupt?“ „Was möchtest<br />

du denn? Ich habe Kaffee gekocht ... Wo wir sind? In dem viel gepriesenen Belohnungs-<br />

zimmer.“<br />

„Ich bin wirklich überrascht, er hat unglaublich lange ohne nennens-<br />

werte Probleme durchgehalten, länger, als ich erwartete.“<br />

„Seine Regenerationsfähigkeit ist legendär. Nach der Entführung und<br />

Rekonvaleszenz ist er so wieder zur Tagesordnung übergegangen.“<br />

würde.“<br />

„Ich würde gerne wissen, wie er auf den Verlust Scullys reagieren<br />

„Garantiert nicht gut, ich denke, das wäre eine der wenigen Sachen, die<br />

ihn wirklich fertig machen würde.“<br />

„Nun ... Das ließe sich herausfinden.“<br />

„Wer für den Test in Frage kommt, steht aber noch nicht fest, also ver-<br />

renne dich nicht in die Idee, dann kannst du auch nicht enttäuscht werden.“<br />

Mulder setzte sich mühsam auf und Dana stopfte ihm sofort das zweite Kopfkissen in<br />

den Rücken, damit er bequem saß. „Kaffee wäre traumhaft. Vielleicht komme ich dann<br />

wieder zu mir. Wie lange ... Ach, blöde Frage, was?“ Dana eilte in die Küche und war<br />

Augenblicke später mit dem Kaffeebecher für Mulder wieder da. „Lange.“, sagte sie dann.<br />

„Dafür brauche ich keine Uhr. Wie fühlst du dich wirklich?“ Mulder nahm vorsichtig einen<br />

Schluck Kaffee, dann erwiderte er matt: „Kaputt, wirklich müde, hungrig, und, ach, ich<br />

möchte ein Seebegräbnis.“ Dana schossen kurz Tränen in die Augen, doch sie musste un-<br />

willkürlich leise Lachen. „Nie wieder eine Kiste, was?“ Mulder verkrampfte sich unbewusst<br />

sekundenlang. Dann nickte er langsam. „Hoffentlich nie wieder. Wie lange habe ich durch<br />

gehalten?“ Dana überlegte kurz, dann sagte sie: „Wohl so lange wie Sawyer, eher länger. Du<br />

bist wahnsinnig, weißt du das? Warum hast du nur so lange dagegen angekämpft. Du hättest<br />

es dir selbst erleichtern können, das weißt du hoffentlich.“ Mulder schaute ihr ins Gesicht.<br />

Dann nickte er langsam. „Ich weiß, aber der einfache Weg ist nicht immer der Beste, weißt<br />

du.“ „In dem Falle schon. Willst du noch Kaffee?“ Sie nahm ihm sanft die leere Tasse aus der<br />

Hand. Mulder schüttelte den Kopf und sah Dana an. „Erst mal nicht, Danke.“<br />

Er versuchte sich zu entspannen. Sein eigentlich so gelassenes Inneres war von den Er-<br />

lebnissen ziemlich aufgewühlt. Ein Blick in Danas Gesicht sagte ihm, dass es seiner sonst so<br />

380


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

beherrschten Partnerin ähnlich ging. Sie hockte auf der Bettkante und in ihrem Blick las er<br />

ausnahmsweise ungefiltert ihre Gefühle. Der ausgestandene Schrecken hatte ihre Selbst-<br />

schutzmechanismen in den Grundfesten erschüttert. Sanft zog er die geliebte Frau an sich. „Es<br />

ist ja gut, Love. War es sehr schlimm für dich?“ <strong>Die</strong> Agentin lächelte schwach. Wie absolut<br />

typisch für diesen Mann, der seine tiefsten Gefühle meist hinter einer flapsigen Fassade ver-<br />

barg. Immer dachte er zuerst an die Empfindungen anderer, vorwiegend ihrer. Es hätte Dana<br />

auch nicht überrascht, wenn ein Scherz erfolgt wäre, auch das wäre absolut seine Art ge-<br />

wesen. Der Psychologe wusste aber nur zu genau, dass es die falsche Taktik gewesen wäre,<br />

jetzt mit einer witzigen Bemerkung über das Geschehene hinweg zu gehen. Solch<br />

traumatische Erlebnisse durften nicht verdrängt, sondern mussten aufgearbeitet werden.<br />

Zunächst einmal erlaubte er sich aber, nur Mensch und liebender Mann zu sein und nahm<br />

Dana in die Arme. In ihren sonst so kühlen Augen stand die Liebe und Sorge um ihn ge-<br />

schrieben. Sehr sanft küsste er ihre Augen, die Lippen, die sich willig öffneten, behutsam glitt<br />

der Mund tiefer, den Hals hinunter bis zum Ansatz der Brust. Dana sträubte sich nicht, wurde<br />

weich in den vertrauten Armen.<br />

Weiter glitten die Lippen und die rothaarige Frau versteifte sich. „Mulder. Du meinst<br />

doch nicht im Ernst, ich würde hier unter den Blicken der Leute, die vor dem Monitor<br />

sitzen...“ Weiter kam sie nicht, weil ihr Partner ihren Protest mit Küssen erstickte. Dana war<br />

nicht gerade prüde, aber alles andere als leidenschaftlich, die Initiative war fast immer von<br />

ihm ausgegangen. Mulder verstand es, das Feuer unter dem Eis zu wecken. „Psst.“, flüsterte<br />

er ihr ins Ohr. „Niemand kann etwas sehen. Es ist das Natürlichste der Welt, einander zu<br />

zeigen, dass wir lebendig sind, eine geradezu therapeutische Maßnahme.“ Seine Hände und<br />

Lippen, die plötzlich überall zu sein schienen, fühlten sich zwar nicht wie die eines<br />

Therapeuten an, aber Dana ließ sich mitreißen, ergab sich der tröstlichen Vertrautheit der Be-<br />

rührungen. Mulder dimmte das Licht soweit es möglich war und zog die Decke über ihre<br />

Körper, bevor er langsam das große Badelaken löste, in das Dana sich gehüllt hatte. Leiden-<br />

schaftlicher wurden seine Küsse. So beherrscht der Agent sich meist gab, letztlich war er ein<br />

Mann, der gerade eine grenzwertige Erfahrung gemacht hatte. Er überließ sich dem Drang, zu<br />

fühlen, wie lebendig er war und spürte, wie die Partnerin seine Küsse erst zögernd, dann<br />

immer williger erwiderte.<br />

So spröde die Agentin auch schien, sie war durchaus nicht gefühllos und dieser große<br />

Junge schaffte es immer wieder, den Panzer zu durchbrechen, sei es, indem er sie in unmög-<br />

lichen Situationen zum Lachen brachte oder eben ihrem Körper Empfindungen entlockte, die<br />

neu waren. Zeit und Raum versanken für eine herrliche Weile. Mulder bewies ihr überdeut-<br />

lich, dass er nicht nur lebendig, sondern hellwach war. Als die Beiden schließlich heftig<br />

381


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Atmend nebeneinander lagen, nahm Mulder seine Partnerin in die Arme, strich ihr zärtlich<br />

eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Unerbittlich meldete sich jetzt der leere<br />

Magen mit einem unüberhörbaren Knurren zu Wort. Der Agent lachte dieses verschmitzte<br />

Lachen, dass Dana so sehr liebte. „Sieht so aus, als hätte ich im Moment keine Wahl, als<br />

meinen primitiven Grundbedürfnissen Rechnung zu tragen, wieder mal. Ich hoffe, es gibt in<br />

dieser Luxusbude etwas Anständiges zu essen.“ Dana spürte selbst Hunger und löste sich un-<br />

willig aus Mulders schützenden Armen. „Es gibt eine Speisekarte. Lass uns nachsehen, was<br />

wir darauf finden.“ Sie stand auf, wickelte sich das Handtuch wieder um den schlanken<br />

Körper und eilte ins Wohnzimmer, wo sie die Karte hatte liegen sehen. Sie nahm sie und ging<br />

zu Mulder zurück. „Hier, such dir was aus.“<br />

Speisekarte<br />

1)Tomatensalat mit Mozzarella<br />

2) Ribeye Steak mit Pommes oder Folienkartoffel, Gemüse<br />

3) Filet Steak mit Bratkartoffeln und Mais mit Butter<br />

4)Bratfisch mit Salzkartoffel und Salat<br />

5)Cesar Salat<br />

6) Hamburger / Cheeseburger mit Pommes<br />

7) Pizza mit Salami, Thunfisch, Champions, Tomaten,<br />

8) Pizza Hawaii mit Ananas und Schinken<br />

9) Pasta Bolognese<br />

10)Pasta mit Käseschinkensoße<br />

11) Rotes Hühnchencurry<br />

12) Tandori Chicken mit Reis<br />

13) Gnocchi mit Spinat-Camembert Sauce<br />

14) Kürbis-Zucchini Lasagne<br />

15) Hähnchenkeulen mit Karottengemüse<br />

16) Garnelen im Reisteig mit Kürbis-Curry-Sauce<br />

17) Rotzungenfilet mit Gemüsefüllung<br />

18) Saté-Spieße auf Erdnusssauce<br />

382


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

19) Entenbrust mit Blutorangen-Inwersauce und Gemüse-Gratin<br />

20) Kross gebratene Hähnchenkeulen auf Tomatenchutney<br />

21)Huhn in Sojasoße mit Paksoi-Gemüse<br />

Mulder schaute sich die Karte an und sagte dann verblüfft: „<strong>Die</strong> müssen einen Sterne-<br />

koch beschäftigen. Nicht zu fassen.“ Er streckte einen Arm aus und Scully ließ sich neben<br />

ihm wieder auf das Bett gleiten. Zusammen sahen sie die Karte durch und Dana entschied<br />

schnell: „Ich glaube es nicht. Tandori Chicken. Na, wenn das nichts ist.“ Mulder schaute<br />

weiter auf die Karte und bat schließlich: „Ich möchte die Garnelen. Bestellst du?“ Er grinste<br />

Dana frech an. „Ja, ich weiß, mein Herz, du bist zu schwach, um aufzustehen.“, schmunzelte<br />

Dana und griff sich die Karte. Mulder sah ihr nach, als sie Richtung Wohnzimmer ver-<br />

schwand. Er stand selbst auch auf und suchte nach dem Bad. Er sah die Dusche und Sekunden<br />

später schon stand er unter dem warmen Wasserstrahl. Wie gut es tat, sich zu Waschen.<br />

Minutenlang hielt er sein Gesicht in den Strahl und hatte das eigenartige Gefühl, einiges mehr<br />

als nur Schweiß von seinem Körper zu spülen. Als er schließlich die Dusche verließ, hatte er<br />

auch einigen seelischen Dreck von sich geschrubbt. Er trocknete sich ab und sah sich dabei<br />

unauffällig im Bad um, bis er die kleine Kameralinse in einer Ecke entdeckt hatte. Kurz war<br />

er versucht, eine eindeutige Geste zu machen, dann schüttelte er nur sachte den Kopf und ver-<br />

ließ das Bad. Er fuhr sich mit den Händen durch die nassen Haare, Kämme schienen in<br />

diesem Verein wirklich Mangelware zu sein. Seine Augen leuchteten überrascht auf, als er ins<br />

Schlafzimmer zurückkam: Dana hatte Betttische gefunden und aufgebaut, das Essen war<br />

bereits da und sie hatte auch für Rückenpolster gesorgt, sodass sie bequem im Bett sitzen<br />

konnten.<br />

Dana schaute auf, als Mulder das Schlafzimmer betrat. Sie grinste und verdrehte leicht<br />

die Augen, als er nackt dort im Türrahmen stand und zu ihr herüber schaute. „Komm schon,<br />

das Essen wird sonst kalt ... Und nicht nur das Essen.“ Mulder zog die Augenbrauen hoch und<br />

grinste Scully anzüglich an. „Hast du Angst, dass ich mir was abfriere?“ Leise lachte sie auf.<br />

„Komm schon her und iss endlich was. Du musst doch Hunger haben. Ich bin überrascht, dass<br />

du dir nicht den Burger in fünffacher Ausfertigung bestellt hast.“ Mulder kam zum Bett<br />

hinüber geschlendert und rutschte vorsichtig zu Dana, um das Essen nicht umzukippen. Er<br />

setzte sich bequem hin und zog dann den Betttisch zu sich heran. „Ich habe auch mit mir ge-<br />

kämpft, Scully, das kannst du mir glauben. Aber die Vernunft sagt selbst mir, dass Burger auf<br />

drei Tage Nulldiät nicht die richtige Ernährung sind, oder? Außerdem hätte mir das endlose<br />

Debatten mit dir eingebracht, das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Wir haben kaum<br />

383


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wochen Zeit hier im Paradies. <strong>Die</strong> Zeit, die wir haben, möchte ich ganz gerne anders nutzen.“<br />

Er sah Dana an. „Lass es dir schmecken.“<br />

Eine Weile war außer Essgeräuschen nichts zu hören. Mulder musste sich zwingen,<br />

nicht zu schnell zu essen. Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit sprachen sie während des<br />

Essens nicht viel. Was jeder vom anderen wirklich wissen wollte, nämlich, wie die furcht-<br />

baren Ereignisse erlebt worden waren, hätte den Genuss des wirklich guten Essens ebenso<br />

getrübt wie die Illusion von Normalität und Sicherheit. <strong>Die</strong> Agents wussten, dass sie über ihre<br />

Lage und ihre Aussichten reden mussten, schoben das aber in stillschweigender <strong>Über</strong>einkunft<br />

vor sich her. Mulder verzichtete ausnahmsweise darauf, Witze über die Situation zu machen.<br />

Es war ja keineswegs vorbei, jederzeit konnten ihre Peiniger sie in den Horror zurückwerfen.<br />

Erst als die Beiden sich wohlig gesättigt zurücklehnten und einen weiteren guten Kaffee ge-<br />

nossen, brach Scully das Schweigen. „Hast du irgendeine Vorstellung davon, was das für<br />

Leute sind und was die von uns wollen?“ „Eins steht fest, die wissen genau, was sie tun.“,<br />

erwiderte der Psychologe nachdenklich. „Einerseits erzeugen sie mit einer Konsequenz, die<br />

auf beachtliche psychologische Kenntnisse schließen lässt, gelernte Hilflosigkeit und<br />

dressieren uns wie Laborratten darauf, zu tun, was von uns verlangt wird. Andererseits testen<br />

die systematisch die Grenzen unserer physischen und psychischen Belastbarkeit. Das sind<br />

Wissenschaftler, die ihr Handwerk verstehen.“ „<strong>Die</strong>se Anlage muss riesig sein und ist mit<br />

modernster Technik ausgestattet. Wer auch immer die Drahtzieher der Aktion sind, sie<br />

scheinen über nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel zu verfügen.“, nahm die FBI Agentin den<br />

Faden auf.<br />

„Das ist auf keinem Fall eine kleine Gruppe verrückter Wissenschaftler, dahinter muss<br />

eine mächtige Organisation stecken.“ „Ja natürlich.“, stimmte ihr Partner zu. „Mir fallen auf<br />

Anhieb etliche in- und ausländische Gruppen ein, die Interesse daran haben könnten, Bundes-<br />

agenten oder auch hoch qualifizierte Wissenschaftler wie diese überaus liebenswürdige<br />

Anthropologin für ihre Zwecke dienstbar machen zu wollen.“ Mulder grinste, so ganz konnte<br />

er seine flapsige Art auch unter diesen Umständen nicht abstellen. Dana kommentierte die<br />

ironische Bemerkung mit einem Lächeln. „Ich sage dir, da steckt eine Verschwörung großen<br />

Ausmaßes dahinter.“ - Natürlich, das musste ja kommen. - dachte Scully, obwohl ihre eigenen<br />

<strong>Über</strong>legungen in diesem Fall in eine ähnliche Richtung liefen. „Solange du nicht behauptest,<br />

dass wir von Außerirdischen entführt worden sind, kann ich dir diesmal zustimmen.“, er-<br />

widerte sie.<br />

„Was mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet, sind die Zivilisten. Was in aller Welt<br />

könnte welche Organisation auch immer mit gesuchten Kriminellen, einer Grundschullehrerin<br />

384


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und einem älteren Herrn anfangen können, der weder über Verbindungen noch besondere<br />

Kenntnisse verfügt?“, ergänzte Dana. „Meiner <strong>Über</strong>zeugung nach verfügt dieser John Locke<br />

über Fähigkeiten, die für nahezu jeden Zweck nützlich sein könnten.“, erwiderte Spooky<br />

nachdenklich. „Wenn wir den gemeinsamen Nenner finden könnten, wären wir der Lösung<br />

des Rätsels ein ganzes Stück näher.“ Mühsam unterdrückte Mulder ein Gähnen. Nach dem<br />

guten Essen spürte er erneut eine überwältigende Müdigkeit in sich hoch kriechen. So schnell<br />

konnte er die Strapaze des Schlafentzuges nicht abschütteln. Natürlich bemerkte Dana sofort,<br />

wie erschöpft ihr Partner immer noch war. „Wir werden das Rätsel sowieso nicht lösen<br />

können, weil uns dazu zu viele Informationen fehlen. Selbst wenn wir es könnten, würde uns<br />

das nicht weiter helfen. Unser primäres Ziel muss es sein, bei Kräften zu bleiben und durch-<br />

zuhalten, bis wir gefunden werden. Eine so gewaltige Anlage lässt sich nicht so verstecken,<br />

dass sie nicht gefunden werden kann und Skinner setzt mit Sicherheit Himmel und Hölle in<br />

Bewegung, um uns zu finden. Das Vernünftigste, was du tun kannst, ist dich wieder hinzu-<br />

legen und zu schlafen, solange du kannst.“<br />

Scully glitt aus dem Bett, räumte die Tische fort und zog die Rückenpolster zur Seite,<br />

sodass Mulder und sie sich wieder gemütlich hinlegen konnten. Sie löschte das Licht, soweit<br />

es ging und legte sich zu Mulder ins Bett, das Handtuch abstreifend. Völlig gegen ihre eigent-<br />

liche Gewohnheit kuschelte sie sich eng an den Mann, den sie mehr liebte als irgendetwas<br />

anderes auf dieser Welt und begann sanft, ihn zu liebkosen. Ihre schlanken Finger glitten über<br />

seine Brust, den flachen, muskulösen Bauch hinunter und weiter. Mulder lag ganz still und<br />

genoss die zarten Berührungen, schloss schließlich die Augen und atmete vor Erregung flach<br />

und schnell. Er biss sich leise aufstöhnend auf die Lippen und zog Dana an sich. <strong>Die</strong>se<br />

rutschte auf ihn und schlang ihre Arme unter seinen Nacken. „Ich liebe dich, Fox Mulder, ich<br />

will, dass du das nie vergisst, egal, was hier noch kommt.“ Sie ließ sich langsam auf Mulder<br />

gleiten und enthob diesen damit einer Antwort.<br />

*****<br />

<strong>Die</strong> Zeit im Belohnungsraum war viel zu schnell vorbei. Mulder hatte noch viel ge-<br />

schlafen und auch, wenn er wach war, waren er und Scully nicht viel aus dem Bett ge-<br />

kommen. Sie hatten die körperliche Nähe so gut ausgekostet wie es nur möglich war, hatten<br />

alle störenden Faktoren ausgeblendet. Keiner von ihnen wusste, wie und wann sie sich wieder<br />

so ungestört in den Armen halten konnten. Allzu oft wurde dieser Raum für die Gefangenen<br />

ja nicht frei gegeben. Ein Arzt kam zwei Mal und sah nach ihren Händen und Füßen, aber bei<br />

beiden waren die Hände gut abgeheilt, Mulder Füße bedurften noch einiger leichter Pflaster,<br />

aber auch die Wunden waren zufriedenstellend verheilt. Beiden graute davor, abgeholt zu<br />

385


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werden. Sie nutzten die Zeit, um über ihren Sohn zu sprechen. Und schließlich war es soweit.<br />

Vier Wachen betraten die kleine Wohnung und machten dem vertrauten Beisammensein so<br />

ein Ende. Mulder bekam einen frischen Kittel, dann wurden die Beiden in ihre Zellen zurück<br />

gebracht. Schweren Herzens trennten sie sich von einander. <strong>Die</strong> Mitgefangenen begrüßten sie<br />

erfreut und erkundigten sich sofort, wie es Mulder ging. Verlegen erklärte der FBI Agent,<br />

dass alles wieder im grünen Bereich war. Für ihn und Scully war die Nacht dann besonders<br />

schwer zu ertragen, nachdem sie die beiden vergangenen Nächte jeden Freiraum gehabt<br />

hatten, den sie sich unter den gegebenen Umständen nur wünschten. Und sie hatten auch<br />

einander gehabt, gespürt, hatten nur die Hand auszustrecken brauchen, um den anderen zu<br />

fühlen. Jetzt wieder an das Bett gefesselt zu werden, war für beide sehr, sehr hart.<br />

Fangschuss<br />

Auf die bösen Menschen ist Verlass, sie ändern sich wenigstens nicht.<br />

William Faulkner<br />

Als der Weckruf am anderen Morgen ertönte, wurden die Gefangenen wie die Tage<br />

zuvor, sofort von ihren Fesseln befreit. So war es einigermaßen erträglich, sich nachts nicht<br />

bewegen zu können. <strong>Die</strong> Taktik, das Trinken früh schon einzustellen, war wirkungsvoll,<br />

sodass der Harndrang morgens durchaus akzeptabel war. Womit keiner der Gefangenen<br />

rechnete war die Gemeinheit, die ihre Entführer zuweilen an den Tag legen konnten. Denn an<br />

diesem Tag gab es zum ersten Mal nach dem Wecken nur etwas zu Essen. Ein wenig erstaunt,<br />

aber nicht wirklich beunruhigt, nahmen die Inhaftierten das zur Kenntnis. Dass auf den<br />

Sandwiches an diesem Morgen salziger Schinken statt Käse war, bemerkten zwar alle,<br />

dachten sich aber nichts dabei. Sie waren dankbar für jede Abwechslung. Nach dem Früh-<br />

stück wurden sie erst einmal in Ruhe gelassen. Dann aber ...<br />

„Nummer 14 und Nummer 16.“ Abby zuckte zusammen, erhob sich aber gehorsam.<br />

Auch Gibbs trat unverzüglich an die Tür. In Anbetracht der Tatsache, dass das rote Licht<br />

brannte, wagte er nicht, etwas zu sagen, sondern begnügte sich damit, seiner jungen Mit-<br />

arbeiterin beruhigend zuzulächeln, nachdem die Wachen beide aus ihren Zellen geholt hatten.<br />

<strong>Die</strong> anderen Gefangenen sahen ihnen beunruhigt nach. Außer John Locke, der schon einige<br />

Minuten vorher abgeholt worden war, hatten alle in ihren Zellen vor sich hin gedöst. Abby<br />

und Gibbs wurden durch lange Korridore geführt und landeten schließlich in einem Raum, der<br />

im Halbdunkel lag. Hier wagte Gibbs es, der jungen Frau, die er wie eine Tochter liebte, zu-<br />

386


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zurufen: „Mach dir keine Sorgen, Abbs, bestimmt ist das wieder nur ein Test.“ Abby zwang<br />

sich zu einem schwachen Lächeln. Gibbs wurde mittels eines Karabinerhakens an eine Wand<br />

gefesselt, während Abby zu der gegenüberliegenden Mauer geführt wurde. Ihre Handschellen<br />

wurden kurz gelöst, nur, um über ihrem Kopf an der Wand befestigt zu werden, so dass die<br />

junge Frau gezwungen war, aufrecht stehen zu bleiben. Das mulmige Gefühl verstärkte sich<br />

immer mehr.<br />

Nachdem die Wachen den Raum verlassen hatten, gingen die Lichter an und Abby<br />

schrie erschrocken auf. „Oh, Gott. Gibbs.“ Im Abstand von etwa vier Metern parallel vor sich<br />

sah sie eine im Boden installierte Schiene. Am Ende dieser Schiene war etwas befestigt, das<br />

die beiden NCIS Mitarbeiter augenblicklich als Selbstschussanlage erkannten. Gibbs entfuhr<br />

ein Keuchen und er biss sich auf die Lippen. Jetzt fuhr eine Glaswand hoch, die den Raum in<br />

zwei Hälften teilte und den Agent von seiner Labortechnikerin trennte. Gleichzeitig wurde<br />

eine Seitenwand durchsichtig und die Beiden konnten in einem Nebenraum John Locke er-<br />

kennen, der nervös zu ihnen hinüberschaute.<br />

Entsetzt vernahmen die Gefesselten nun die kalte Lautsprecherdurchsage: „Nummer<br />

12, vor dir hast du eine Anordnung von zwölf Schaltern. Zehn dieser Schalter werden die<br />

Schussanlage dreißig Zentimeter näher an Nummer 14 heranfahren, etwa so.“ Abby hielt er-<br />

schrocken die Luft an, als die Anlage sich seitlich ein Stück auf sie zu bewegte und einen<br />

Schuss abgab. „Einer der Schalter stoppt die Anlage und einer rettet Nummer 14 das Leben,<br />

indem er die Vorrichtung zurück zum Ausgangspunkt fährt. Wir werden die Anlage nun<br />

starten. Alle dreißig Sekunden wird diese dreißig Zentimeter nach links auf Nummer 14 zu-<br />

fahren und einen Schuss abgeben. Zehn Minuten, wenn du bis dahin nicht den richtigen<br />

Schalter hast, ist Nummer 14 Geschichte. Nummer 14, hoffe für dein Leben, dass Nummer 12<br />

wirklich über die Fähigkeiten verfügt, deren Existenz du geleugnet hast, sonst bist du in zehn<br />

Minuten tot.“<br />

John verbarg sein Gesicht in den Händen. Dass es ihm gelungen war, die Anthropo-<br />

login zu retten, reichte keineswegs aus, zu verhindern, dass er Angst hatte, zu versagen. Dass<br />

das Leben der jungen Frau dort drüben von ihm abhing, erzeugte einen Druck, der es sehr<br />

schwer machte, sich so weit zu entspannen, dass er seine mentalen Kräfte anzapfen konnte. Er<br />

musste es versuchen. Locke war dankbar dafür, dass er weder die Stimmen, noch die Schüsse<br />

aus dem Nebenraum hören konnte. Das einzige Geräusch war die kalte Stimme aus dem Laut-<br />

sprecher. „Acht Minuten.“ „Ihr verdammten Schweine, das könnt ihr doch nicht machen.“,<br />

brüllte Gibbs und zerrte verzweifelt an seinen Fesseln, während Abby die Tränen über das<br />

387


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gesicht liefen und sie kein Wort herausbrachte. Wenn ihr Leben davon abhing, dass dieser<br />

Locke besondere Fähigkeiten besaß, war sie verloren.<br />

Jetzt betraten zwei Wachen den Raum und befreiten den Agent von seinen Fesseln.<br />

„Nummer 16, du kannst bleiben oder den Raum verlassen, das ist deine Entscheidung.“ Einen<br />

Augenblick zog der für sein Alter immer noch extrem durchtrainierte Marine in Erwägung,<br />

die Wachen anzugreifen, sagte sich dann aber, dass eine solche Provokation Abby nicht<br />

helfen würde. Er war ziemlich sicher, dass die Handlanger ihrer skrupellosen Entführer nicht<br />

die geringste Ahnung hatten, wie der teuflische Mechanismus ausgeschaltet werden konnte.<br />

So ließ er die Männer unbehelligt abziehen und stürzte auf die Glaswand zu, die ihn unerbitt-<br />

lich von der jungen Frau trennte. „Bitte, Gibbs, lass <strong>mich</strong> nicht allein, tu etwas. Hilf mir!“,<br />

flehte Abby verzweifelt schluchzend. Er hätte nichts lieber getan als das, seine töchterliche<br />

Freundin zur Not mit seinem eigenen Körper geschützt, wenn er sie nur hätte erreichen<br />

können. Beide zuckten zusammen, als ein Schuss fiel und die tödliche Bedrohung sich mit<br />

kalter Präzision auf Abby zu bewegte. „Halt durch, Kleines, das ist bestimmt nur ein Bluff.“,<br />

rief Gibbs, obwohl er selbst nicht daran glaubte. Hektisch sah er sich nach etwas um, dass<br />

vielleicht dazu verwendet werden konnte, diese Wand zu durchbrechen, aber natürlich gab es<br />

nicht einen einzigen Gegenstand in diesem Raum. Sinnlos warf er sich gegen die Trennwand,<br />

erreichte aber nichts außer sich schmerzhaft die Schulter zu prellen. Irgendetwas musste er<br />

doch tun können. Wenigstens einige tröstende Worte finden, die der heftig schluchzenden<br />

jungen Frau Hoffnung machen würden. Aber was? Niemals würde sie ihm abkaufen, dass er<br />

plötzlich doch daran glaubte, Locke könne sie retten. Was tat der eigentlich da drüben? Das<br />

durfte doch nicht wahr sein. Da hockte dieser Kerl doch seelenruhig auf dem Boden und tat<br />

gar nichts.<br />

Wieder ein Schuss und ein Aufschrei von Abby. John hielt die Augen geschlossen,<br />

atmete tief und ruhig ein und aus. Offensichtlich half es, dass er zwangsläufig seine Fähig-<br />

keiten hatte trainieren müssen, seit er in diesen Wahnsinn hineingeraten war. Immer häufiger<br />

und schneller gelang es ihm, den Zustand bewusst herbeizuführen, der für seine Visionen er-<br />

forderlich war. „Fünf Minuten.“ Wie er diese eiskalte Stimme hasste. Gibbs hatte einen Kloß<br />

im Hals und fühlte, wie ihm der Schweiß in Strömen über den Rücken lief. Würde er wirklich<br />

mit ansehen müssen, wie seine kleine Abby erschossen würde? Wie sollte er das nur ertragen?<br />

Aber verlassen konnte er sie auf keinen Fall. Er fühlte, wie seine Augen feucht wurden,<br />

drängte die Tränen aber entschlossen zurück. „Ich bin bei dir, Kleines, ich werde dich nicht<br />

allein lassen.“, stammelte der sonst so harte Mann hilflos. Er legte seine Hände an die Glas-<br />

scheibe als könne er Abby so näher sein und versuchte, ihr tränenüberströmtes Gesicht zu<br />

ertragen. Als sich die Anlage noch neunzig Zentimeter von Abby entfernt befand, sagte Gibbs<br />

388


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mit zitternder Stimme: „Sieh <strong>mich</strong> an, Abbs.“ Sie sollte wenigstens nicht sehen müssen, wie<br />

sich der tödliche Schuss löste. Der einzige klägliche Trost lag darin, dass es schnell gehen<br />

würde und sie nicht würde leiden müssen. Im Nebenraum hatte John es gerade in diesem<br />

Moment geschafft. <strong>Die</strong>smal zögerte er nicht, es war die acht, da war er sicher. Entschlossen<br />

betätigte er den Schalter und sah, wie die Anlage im Nebenraum stoppte. Wie beim letzten<br />

Mal würde die Tür entriegelt. Erst als Locke direkt davor stand, bemerkte er den Haken, an<br />

dem der Schlüssel für die Handschellen hing. Er nahm ihn und eilte mit weichen Knien in das<br />

Nebenzimmer.<br />

„Zwei Minuten.“ Gibbs fixierte Abby, versuchte ihren Blick festzuhalten, so dass er<br />

den furchtbaren Mechanismus nur hörte, nicht sah. Es dauerte einen Moment, bis er<br />

realisierte, dass kein weiterer Schuss gefallen war. Ja, die Anlage fuhr zurück. Gleichzeitig<br />

senkte sich die Glaswand und Gibbs war mit wenigen Schritten bei der schluchzenden jungen<br />

Frau. Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich John Locke neben ihm und reichte ihm<br />

wortlos den Schlüssel für die Handschellen. Sekunden später hielt Gibbs Abby in seinen<br />

Armen. Sie zitterte am ganzen Körper und klammerte sich an ihn. „Ist ja gut, Kleines, es ist<br />

vorbei.“ Beruhigend tätschelte Gibbs den zuckenden Rücken. „Locke scheint es tatsächlich<br />

geschafft zu haben.“ „Wo ist er überhaupt? Ich muss <strong>mich</strong> doch bedanken.“, stammelte Abby<br />

unter Tränen. Mit einem Blick über die Schulter erfasste Gibbs, dass der geheimnisvolle<br />

Mann den Raum bereits verlassen hatte.<br />

Man ließ der völlig aufgelösten jungen Frau einige Minuten Zeit, sich zu fassen, ehe<br />

die Wachen eintraten und die Gefangenen aufforderten, die Hände auf den Rücken zu legen.<br />

Abby klammerte sich nur fester an ihren väterlichen Freund, bis er sie sanft von sich schob.<br />

„Sei vernünftig, Kleines. Bestimmt wird man uns in die kleine Wohnung bringen, von der die<br />

<strong>Anderen</strong> erzählt haben. Da kannst du dich ausruhen.“ Zögernd ließ Abby sich wieder fesseln.<br />

Ihre Begleiter mussten sie stützen, sonst wäre sie zusammen gesackt. Gibbs behielt Recht, es<br />

ging nicht in die Zellen zurück, zum ersten Mal öffnete sich auch für diese Beiden die<br />

geheimnisvolle Tür, aus der am Morgen erst Mulder und Scully so glücklich trotz all des<br />

Horrors um sie herum zurück gekommen waren.<br />

Ebenso erleichtert wie betroffen hatten die anderen Gefangenen registriert, dass erst<br />

ein ziemlich erschöpft aussehender John Locke und dann auch Abby und Gibbs zurück ge-<br />

bracht worden waren. <strong>Die</strong> junge Frau wirkte vollkommen aufgelöst, aber unverletzt. Booth<br />

und Bones dachten beide sofort, dass Abby einer ähnlichen Tortur unterzogen worden sein<br />

könnte, wie Tempe vor nicht allzu langer Zeit. <strong>Die</strong> Beiden tauschten viel sagende Blicke und<br />

sahen wie auf Kommando zu Locke hinüber. Er lag auf seiner Liege und hatte die Augen ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schlossen. Seeley erinnerte sich daran, dass der Mann völlig fertig ausgesehen hatte, als er<br />

ihm geholfen hatte, Tempe zu befreien und bedauerte, dass sie nicht einmal daran gedacht<br />

hatten, sich zu bedanken. Da unter Strafandrohung verboten worden war, den Mitgefangenen<br />

einen Hinweis darauf zu geben, welch grausamem Experiment die Anthropologin unterzogen<br />

worden war, hatten sie das auch nicht nachholen können. Bones versuchte immer noch, eine<br />

halbwegs vernünftige Erklärung dafür zu finden, wie John es angestellt hatte, sie zu retten,<br />

kam aber natürlich nicht weiter. Jedenfalls war ihr schlagartig klar geworden, warum sie nicht<br />

über das reden durfte, was mit ihr geschehen war. Offensichtlich wurden ähnlich grausame<br />

Experimente auch mit anderen Paaren gemacht.<br />

Kaum hatten die Wachen den Belohnungsraum verlassen, lag Abby wieder in den<br />

Armen ihres väterlichen Freundes. Behutsam führte er sie zur Couch und half ihr, sich hinzu-<br />

setzten. Sie zitterte immer noch am ganzen Körper. Suchend sah Gibbs sich nach der Bar um,<br />

die einige der <strong>Anderen</strong> erwähnt hatten. Er schenkte einen großzügig bemessenen Scotch ein.<br />

„Hier, trink das, Kleines, das wird dir gut tun.“ Gibbs musste seiner Mitarbeiterin das Glas an<br />

die Lippen halten. Sie schüttelte sich, aber immerhin hörten ihre Zähne auf, zu klappern. Jetzt<br />

gönnte sich der Agent auch einen Drink, den hatte er wirklich nötig. „<strong>Die</strong>se perversen<br />

Schweine.“, verlieh er endlich seinem rasenden Zorn Ausdruck. „Ich habe wirklich geglaubt,<br />

es wäre aus mit mir. Solche Angst habe ich noch nie gehabt.“ „Ich hatte auch Angst.“, gab<br />

Gibbs zu. „Es ist vorbei, Abbs. Lass uns versuchen, uns zu entspannen und den Aufenthalt<br />

hier zu genießen. Hast du Hunger oder möchtest du dich etwas hinlegen?“ Langsam kehrte<br />

etwas Farbe in das blasse Gesicht zurück und Abby versuchte ein schwaches Lächeln. „Es<br />

geht schon wieder, Gibbs. Natürlich möchte ich was essen und Kaffee. Haben die hier<br />

Kaffee? Her mit der Speisekarte. Es gibt doch nichts Besseres als einen schönen Hamburger,<br />

um wieder auf die Beine zu kommen. Bis wir was zu Essen haben, gehe ich erst mal aus-<br />

giebig duschen.“ Entschlossen wandte sich die junge Frau in Richtung Bad, sie wollte das<br />

traumatische Erlebnis buchstäblich abspülen. Gibbs sah ihr lächelnd nach. Das war typisch<br />

Abby. Schnell den Schrecken abschütteln. <strong>Die</strong>se Fähigkeit half ihr auch zuhause im Sitz des<br />

NCIS, im historischen Gebäude des Washington Navy Yard, wo der NCIS seine Räumlich-<br />

keiten hatte. Abby liebte das alte, in rotem Backstein gehaltene Gebäude am Westufer des<br />

Anacostia River. Ihr Labor lag im Souterrain und war ihr Heiligtum.<br />

Lange über etwas grübeln, das vorbei war, lag weder ihr noch ihrem Chef. Beide<br />

waren entschlossen, die Gelegenheit im Belohnungsraum zu nutzen und das Beste daraus zu<br />

machen. Gibbs hatte, während Abby unter der Dusche war, Kaffee gekocht. Als seine<br />

Laborantin in ein wunderbar weiches, riesiges, weißes Badetuch gewickelt zurück ins Wohn-<br />

zimmer kam, war auch das inzwischen georderte Essen bereits da. So verspeiste Abby ihren<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bestellten Hamburger und Gibbs das Steak, das er sich ausgesucht hatte, mit echtem Genuss.<br />

Dann unterzogen die Beiden ihr derzeitiges Domizil einer gründlichen Inspektion, stellten<br />

natürlich fest, dass absolut nichts Brauchbares vorhanden war, um Fluchtpläne zu schmieden<br />

und überlegten, was sie tun könnten. Abby stürzte sich begeistert auf den Kühlschrank, Cola<br />

war fast so gut wie ihr heiß geliebtes Lieblingsgetränk. Gibbs freute sich über einen weiteren<br />

guten Kaffee und ließ sich schließlich zu einem PC Spiel herausfordern, das Abby natürlich<br />

gewann. Er war erleichtert, dass sie schon wieder lachen konnte, bewunderte wieder einmal<br />

ihre psychische Regenerationsfähigkeit. Man ließ sie über Nacht in dem Raum, Abby bestand<br />

darauf, dass Gibbs ebenfalls im Bett schlief, und am folgenden Morgen wurden sie in die<br />

Zellen zurück gebracht, mit der dringenden Auflage, keinen Ton über den Test zu verlieren.<br />

Den Letzten beißen die Hunde<br />

Schlaf und Hoffnung sind die beiden Beruhigungsmittel, welche die Natur der<br />

Menschheit gab, um ihr die Mühseligkeiten, welches sie erfährt, erträglicher<br />

machen.<br />

Friedrich, der Große<br />

Kaum war der Weckruf ertönt, wurden am kommenden Morgen erst einmal Gibbs und<br />

Abby zurück in ihre Zellen gebracht. Da gleich nach dem Wecken auch grünes Licht gegeben<br />

worden war, konnten die <strong>Anderen</strong> Abby und Gibbs erfreut begrüßen. „Hey, da seid ihr ja<br />

wieder.“ „Und, habt ihr alle Vorteile genutzt?“ „<strong>Die</strong> Speisekarte ist fantastisch, oder?“ „Hast<br />

du endlich wieder Kaffee bekommen?“ Keiner fragte, was passiert war, allen war inzwischen<br />

klar, dass das ganz offensichtlich absolutes Tabuthema war. Sie durften nicht darüber<br />

sprechen und keiner der Betroffenen würde es tun. Abby und Gibbs beantworteten die Frage<br />

und waren froh, dass sie nicht danach gefragt wurden, was man mit ihnen gemacht hatte. Als<br />

sie Frühstück erhalten hatten und noch daran aßen, begannen auf der Plattform in der<br />

Kerkermitte einige Aktivitäten. Verwirrt beobachteten die Gefangenen, wie ein Gestell hoch-<br />

gefahren und fest am Boden verankert wurde. Es sah aus wie ein gleichschenkeliges L, war<br />

vielleicht sechzig Zentimeter breit, etwa so hoch wie ein normaler Tisch und hatte an beiden<br />

Schenkeln außen offenbar verstellbare Metallösen, an dem aufrechten Schenkel vier, an dem<br />

waagerechten zwei. Es schien aus Metall zu sein, war aber mit einer Lederpolsterung be-<br />

spannt. Als das eigenartige Gestell fest am Boden montiert war, gingen zwei Wachposten zu<br />

391


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth‟ Zelle und diese öffnete sich. „Mitkommen.“ Der kurze Befehl erging an Booth und<br />

dieser zog es wieder einmal vor, zu gehorchen. Was hatte er schon für eine andere Wahl. Er<br />

ließ sich zu dem Gestell hinüber führen und bekam dabei ein zunehmend mulmiges Gefühl im<br />

Magen.<br />

Als er zwischen den beiden Wachen am Gestell ankam, verdichtete sich das Gefühl,<br />

dass etwas Unangenehmes auf ihn zukam, immer mehr. Er bekam den Befehl: „Hinsetzen.“<br />

Booth biss sich auf die Unterlippe und versuchte, die kalte Faust, die sich in seinem Magen zu<br />

ballen schien, zu ignorieren. Etwas unbeholfen setzte er sich auf das Gestell und registrierte<br />

mit wachsendem Unbehagen, wie die Wachen nach seinen Handgelenken griffen, diese über<br />

seinen Kopf drückten und dann zwei der vier Metallösen so arretierten, dass seine Hände etwa<br />

zwanzig Zentimeter oberhalb seines Kopfes an das Gestell gefesselt wurden. Dann wurde er<br />

aufgefordert, seine Beine anzuziehen, bis diese eng an den Körper gezogen waren. Jetzt<br />

wurden die Karabinerhaken seiner Fußfesseln an den Metallösen des Unterteils am Gestell<br />

befestigt. Zu guter Letzt drückten die beiden Wachen ihn mit dem Oberkörper schön gerade<br />

und fixierten dann das Halsband an den zwei weiteren Metallösen des Gestelles. Mit wild<br />

klopfendem Herzen hockte Booth in der sehr unbequemen Haltung und harrte der Dinge, die<br />

kommen würden. <strong>Die</strong> Wachen verließen den Kerker und ließen ihr Opfer in dieser sehr unan-<br />

genehmen Position gefesselt zurück. Dann knackte es im Lautsprecher und es erfolgte eine<br />

Durchsage. „Nummer 1, du wirst jetzt, wie schon Nummer 2, 3 und 15, darauf getestet, wie<br />

lange du ohne Schlaf auskommst. Haben wir deine drei Mitgefangenen noch mechanisch<br />

wach gehalten, verzichten wir bei dir auf diese Hilfen. Wenn du einschläfst und in dich zu-<br />

sammen sinkst, wirst du dich leider erdrosseln. Und deine Mitgefangenen werden dafür<br />

sorgen müssen, dass du nicht einschläfst.“<br />

Erschüttert hatte die anderen dieser Lautsprecheransage gelauscht. Bones stand das<br />

nackte Grauen in den Augen. Booth nicht minder. Er ließ sich probehalber ein wenig in die<br />

Fesseln sacken und spürte augenblicklich, dass es stimmte, was die Stimme gesagt hatte.<br />

Sobald er ein wenig zusammen sank, spürte er den Druck auf seiner Luftröhre. Erschrocken<br />

machte er sich wieder gerade. „Shit. Passt bitte gut auf, dass ich nicht einschlafe.“, stieß er<br />

erschrocken hervor. Er saß so, dass er in Richtung Belohnungsraumtür schaute und konnte<br />

somit auch Bones sehen. <strong>Die</strong>se stand am Gitter und sah verzweifelt zu ihm hinüber. Booth<br />

versuchte, ein zuversichtliches Lächeln auf seine Lippen zu zwingen, obwohl ihm nach allem<br />

anderen zu Mute war. „Mach dir keine Sorgen, Bones, ihr werdet <strong>mich</strong> schon wach halten, da<br />

bin ich sicher.“ Seine Stimme, das hörte er selbst, strafte seine zuversichtlichen Worte Lügen.<br />

Sie zitterte leicht und klang alles andere als zuversichtlich. Bones erwiderte sein verkniffenes<br />

Lächeln und sagte dann leise: „Wir werden auf dich aufpassen, verlass dich darauf.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Abgesehen davon, dass die Haltung schnell sehr schmerzhaft wurde, vergingen die<br />

ersten Stunden des Tests ereignislos. Das grüne Licht war noch eine ganze Zeit angelassen<br />

worden und die Gefangenen hatten sich bemüht, sich möglichst unbefangen zu unterhalten,<br />

was angesichts dessen, was hier schon auf sie ein gestürzt war, nicht mehr ganz leicht fiel.<br />

Irgendwann war das Gespräch auf draußen gekommen. Kate stand bequem ans Gitter gelehnt<br />

da und seufzte: „Gott, wie gerne würde ich mal wieder in der Sonne sitzen. Wie lange wir<br />

wohl schon hier unten eingesperrt sind, was schätzt ihr? Das bisschen frische Luft während<br />

des Steine Schleppens zählt ja wohl nicht.“ Locke, der es gerade in den letzten Monaten ge-<br />

wohnt gewesen war, quasi nur im Freien zu sein, konnte ihr da nur von ganzem Herzen zu-<br />

stimmen. „Mir fehlt es auch unglaublich, draußen in der freien Natur zu sein. Ich habe ja die<br />

letzten Monate in Australien oben im Northern Territory bei den Aborigines gelebt und dort<br />

war ich 24/7 im Freien. Mir fehlt die Sonne, der Wind auf meiner Haut, der Regen ... Ihr ahnt<br />

nicht, wie schön es dort draußen im Outback ist.“ Gil stimmte Locke begeistert zu. „Ich war<br />

vor ein paar Jahren einmal zu einer kleinen, einwöchigen Expedition im Kakadu National<br />

Park, wir waren eine kleine Gruppe Entomologen. Es war fantastisch. Wir haben wunder-<br />

schöne Spinnen gesehen und ...“ An dieser Stelle unterbrach Heather Gils begeisterten Rede-<br />

fluss. „Du magst diese Viecher wirklich, was? Wie kann man nur Spinnen schön finden?“ Ihr<br />

lief unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken, und nicht nur ihr.<br />

„Oh, Spinnen sind wirklich wundervolle Geschöpfe. Sie haben sich an jedem Ort der<br />

Welt etabliert und den örtlichen Gegebenheiten angepasst. Sie leben in extremen Höhenlagen<br />

genauso wie in extrem temperierten Gebieten. Ihr Jagdverhalten ist auf ihre jeweilige Gattung<br />

perfektioniert. Sie ...“ Wieder wurde Gil unterbrochen. „Sie sind grässlich und zum Teil auch<br />

noch hoch giftig und damit gefährlich.“, stieß Allison genervt hervor. Sara erklärte ruhig:<br />

„Weißt du, Allison, jedes Tier ist auf seine Weise gefährlich. Raubkatzen töten ebenfalls,<br />

deswegen würde aber kaum jemand daher kommen und sie als grässlich bezeichnen. Jahr für<br />

Jahr kommen weltweit unendlich viel mehr Menschen durch Haushunde ums Leben als durch<br />

Spinnen oder andere Insekten, aber würdest du sie deswegen als grässlich bezeichnen?<br />

Insekten sind anders, sie sind auf ihre Weise erheblich faszinierender als Säugetiere.“<br />

„Warum hattest du eigentlich die Spinnen im Gepäck?“, fragte Booth Gil jetzt. Er war froh,<br />

dass sie im Augenblick Redefreiheit hatten, das Gespräch lenkte ihn von den langsam stärker<br />

werdenden Schmerzen in seinen Armen, Schultern und Beinen ab. Gil seufzte. „Nun, ich habe<br />

schon einige sehr interessante Insekten und Spinnenarten zuhause in Las Vegas. <strong>Die</strong> Atrax<br />

Robustus hätten meine Sammlung wenn schon nicht vervollständigt, so doch bereichert.“<br />

„Sag mal, übernachtest du oft bei ihm?“ House sah Sara an und grinste. „Ungern, das gebe ich<br />

ja zu.“ Sara schaute entschuldigend zu Gil hinüber. <strong>Die</strong>ser lachte leise.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Scheinbar hielten die Entführer das für genug Unterhaltung, denn in diesem Moment<br />

ging nun doch das rote Licht an. Enttäuscht seufzte Booth auf. Jetzt wurde es schwer. Er<br />

konnte seine Gedanken nicht mehr problemlos von dem, was ihn noch erwarten würde in den<br />

nächsten Stunden, ablenken. Unwillkürlich kreisten diese stattdessen nun darum, welche<br />

Qualen auf ihn zukamen. Er hatte die Tortur bei Sawyer, Jake und Mulder miterlebt und hatte<br />

eine nur zu genaue Vorstellung davon. Er wusste genug über Schlafentzug, wusste, dass diese<br />

Art der Folter im schlimmsten Fall schon nach drei bis vier Tagen lebensgefährlich werden<br />

konnte. Genervt stöhnte er auf und versuchte, seine Gedanken in andere Richtungen zu<br />

lenken. Bones. Er konnte sich an den Gedanken, dass er sich derart in sie verliebt hatte,<br />

immer noch nicht gewöhnen. Er sah zu ihr herüber. Sie stand die ganze Zeit am Gitter, hatte<br />

sich an der Unterhaltung nicht weiter beteiligt, sondern die ganze Zeit zu ihm herüber ge-<br />

schaut. Er registrierte erstaunt, dass sie sehr besorgt und betroffen wirkte. Er versuchte erneut,<br />

ihr aufmunternd zuzulächeln, spürte jedoch sofort, dass das Lächeln wohl mehr eine Grimasse<br />

wurde. Seine Schultern taten in der verkrampften Haltung inzwischen ziemlich weh und es<br />

kostete Booth einige Beherrschung, nicht ab und zu aufzustöhnen. <strong>Die</strong> Beine schmerzten<br />

ebenfalls und sein Rücken erklärte ihn ohnehin für übergeschnappt. Das die Haltung, in der er<br />

zu sitzen gezwungen war, auch noch einen sehr detaillierten Blick auf seine Genitalien er-<br />

laubte machte die ganze Sache noch schwerer für den FBI Mann. Er hatte ein wenig Durst,<br />

doch mit dem Gedanken an Wasser kam sofort der Gedanke daran, dieses Wasser auch wieder<br />

loswerden zu müssen. Und der Gedanke reichte vorläufig, ihm jeden Wunsch nach etwas zu<br />

Trinken aus seinem Kopf zu vertreiben.<br />

Zäh tropften die Minuten dahin, reihten sich zu Stunden. Irgendwann im Verlauf des<br />

Tages wurde noch einmal grünes Licht gegeben. Bones sprach aus, woran viele der Ge-<br />

fangenen bereits gedacht hatten. „Wie wollen wir uns einteilen, Booth wach zu halten?“<br />

„Sicherheitshalber jeweils zu zweit, würde ich vorschlagen.“ House stand an der Zellentür<br />

und sah zu seinen Leidensgenossen. „Das ist eine gute Idee. Da wir keine Möglichkeit haben,<br />

eine Zeit fest zu machen, sollten wir uns darauf einigen, uns nach unserem Gefühl zu richten.<br />

Erfahrungsgemäß dauert es drei bis vier Stunden, bis der Körper in der Nacht müde wird.<br />

Dann sollten wir die nächsten zwei von uns wecken.“ Dana sah ebenfalls zu den anderen<br />

hinüber. Alle nickten zustimmend. „Immer paarweise?“, fragte Jake jetzt. „Ist am einfachsten,<br />

oder was denkt ihr?“ Wieder zustimmendes Nicken in der Runde. Ziva sah zu Bones hinüber.<br />

„Wir beide?“, fragte sie ruhig. „Ja, danke.“, erwiderte Bones leise. „Dann fangen wir auch an,<br />

okay.“ Zustimmendes nicken. „Reicht denn später bloßes ansprechen noch?“, fragte Abby<br />

besorgt. „Eigentlich nicht. Aber da wir keine Teleskoparme haben, dürfte es uns etwas schwer<br />

fallen, ihn zu schütteln, oder?“ House war schwer genervt, nicht etwa auf Abby, sondern auf<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Entführer. Dass wieder einer von ihnen durch diese grausame Folter gehen musste,<br />

machte dem Arzt schwer zu schaffen. So zynisch er sich auch gab, letztlich war er Arzt ge-<br />

worden, um Menschen zu Heilen, ihnen zu helfen. Und ganz bestimmt nicht, um wieder und<br />

wieder gezwungen zu sein, hilflos zuzuschauen, wie Menschen, die ihm nach seinen Maß-<br />

stäben inzwischen durchaus etwas bedeuteten, sinnlos und grausam gequält wurden. Er hatte<br />

es im Klinikalltag dank seines Sarkasmus locker geschafft, dass alle, bis auf Cameron, die ihn<br />

nach einer Weile durchschaut hatte, glaubten, das Wohl seiner Patienten gehe ihm am Aller-<br />

wertesten vorbei. Selbst sein Freund Jim Wilson dachte, House sehe in seinen Patienten nur<br />

interessante Fälle, die es um jeden Preis zu lösen galt, wie ein Puzzle, das einen heraus-<br />

forderte. House war stolz darauf, es geschafft zu haben, seine wahren Gefühle gut zu ver-<br />

bergen, tief in sich. Hier jedoch, mit diesen fünfzehn Menschen, die mit ihm litten, Todes-<br />

angst empfanden und teilweise seine Hilfe so sehr hätten brauchen können, fiel es ihm immer<br />

schwerer, seine Sorge zu verbergen.<br />

„Werft mir doch was an den Kopf.“, grinste Booth leicht verzweifelt. „Was zum Bei-<br />

spiel?“, fragte Sawyer. „Keine Ahnung. Einen Wachposten?“, schlug Booth deprimiert vor.<br />

„Mit den Dreckskerlen würde ich lieber etwas anderes machen, als herumzuwerfen.“,<br />

schnaubte Ziva und in ihren Augen lag ein Funkeln, das deutlich machte, was ihr so vor-<br />

schwebte. „Wenn du dabei Hilfe brauchen kannst ...“ Sawyer grinste freudlos. „Mir fiele da<br />

auch das Eine oder Andere ein.“ „Du bist herzlich eingeladen.“ Zivas Augen funkelten hass-<br />

erfüllt. In diesem Moment ging die Kerkertür auf und eben eine dieser verhassten Wachen<br />

kam herein, eine Wasserflasche in der Hand. Der Mann ging zu Booth und fragte diesen:<br />

„Durst?“ Resigniert schüttelte Booth den Kopf. „Nein, nicht sehr, Sir.“, sagte er, ohne aufzu-<br />

sehen. Daran, den Wachen nicht ins Gesicht zu schauen, hielten sich alle. „Booth, hör zu.<br />

Auch, wenn es unangenehm ist, verweigere das Wasser nicht, okay. Dein Stoffwechsel wird<br />

es dir Danken, wenn du trinkst.“, erklärte Allison dem FBI Agent besorgt. Der Wachmann<br />

grinste Booth an und sagte dann: „Hör auf sie, sie weiß, wovon sie spricht.“ Desillusioniert<br />

seufzte Booth auf und ließ sich dann die Flasche an die Lippen setzten, trank gierig das an-<br />

gebotene Wasser. Er verdrängte den Gedanken daran, was einer der Ärzte in naher Zukunft zu<br />

tun gezwungen sein würde und trank, bis das Durstgefühl weg war. Der Wachmann ließ die<br />

Wasserflasche bei Booth stehen und verschwand dann wieder, nicht jedoch ohne Booth: „Viel<br />

Spaß.“, gewünscht zu haben. Booth warf dem Kerl einen mörderischen Blick hinterher.<br />

Dass das grüne Licht wieder ausging, machte Seeleys Stimmung auch nicht gerade<br />

besser. Einige Zeit hockte er in seinen Fesseln da und versuchte, die zunehmenden Schmerzen<br />

zu ignorieren. Er wäre im Augenblick jede Wette eingegangen, so ohnehin nicht einschlafen<br />

zu können, wusste aber, dass der Körper sich irgendwann mit der erzwungenen Haltung ab-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

finden würde. Dann würde auch Müdigkeit einsetzen. Hoffentlich passten die <strong>Anderen</strong> gut auf<br />

ihn auf. Er spürte eine Gänsehaut über seinen Körper kriechen. Er wollte nun wirklich nicht<br />

ersticken. Etwas Schlimmeres konnte er sich kaum vorstellen. Unwillkürlich drückte er den<br />

Oberkörper etwas höher. Plötzlich hörte er, wie die Kerkertür abermals geöffnet wurde. Einer<br />

der Ärzte trat zu ihm. Er überprüfte den Blutdruck, was in der Haltung, in der Seeleys Arme<br />

fixiert waren, gerade noch machbar war. Dann entnahm er ihm einen Tropfen Blut und verließ<br />

dann den Kerker. Und kaum fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, erlosch auch das Licht.<br />

Booth‟ Herz machte einen Satz. Nun kam also die erste Schlafphase. Auffallend war, dass die<br />

Gefangenen nicht an die Betten gefesselt wurden. In der Haltung hätten sie auf Booth ja nicht<br />

aufpassen können.<br />

Bones und Ziva hockten sich am Gitter auf den Boden und behielten Booth ganz<br />

genau im Auge. Noch fiel es diesem jedoch nicht schwer, wach zu bleiben. Nur seine Ge-<br />

danken von den Ängsten frei zu halten, die ihn bedrückten, war unmöglich. Was immer diese<br />

Leute sich noch einfallen ließen, Booth war klar, dass jeder einzelne von ihnen hier der<br />

Willkür hilflos ausgeliefert war. Nicht die geringste Chance, irgendwas zu verhindern, keine<br />

noch so kleine Möglichkeit, auch nur das eigene Leben zu retten, geschweige denn das Leben<br />

irgendeines der <strong>Anderen</strong>. Booth war schon oft in schweren Situationen gewesen, sowohl in<br />

seinem Job beim FBI als auch während seiner aktiven Army Zeit. Immer hatte er zumindest<br />

die vage Möglichkeit gehabt, durch sein eigenes Verhalten etwas zu beeinflussen. Hier, bei<br />

diesen Leuten, hatte er keinerlei Einfluss, nur den, durch negatives Verhalten die Lage noch<br />

unerträglicher zu machen. Leider war anders herum, durch positives Verhalten, keine noch so<br />

kleine Erleichterung zu erreichen. Sie alle hatten jede Menge Möglichkeiten, ihre Situation zu<br />

verschärfen, aber nicht die kleinste Möglichkeit, sie zu erleichtern, da die Tests, Versuche,<br />

Experimente, was auch immer, nicht von ihrem eigenen Verhalten beeinflusst werden<br />

konnten. Sie wurden durch gezogen, auch auf die Gefahr hin, dass einer von ihnen auf der<br />

Strecke bleiben konnte. Das Wissen, für diese Leute so unbedeutend zu sein, dass das Leben<br />

oder Sterben nicht von Belang war, machte mehr als nur hilflos. Es lähmte, man gab sich nach<br />

einiger Zeit einfach auf, wenn man begriffen hatte, dass man nichts, aber auch gar nichts tun<br />

konnte, um sich zu helfen.<br />

Booth schüttelte den Kopf, als wolle er damit diese trüben Gedanken aus dem Hirn<br />

treiben. Er versuchte, die herrschende Dunkelheit mit den Augen zu durchbrechen und Bones<br />

Gesicht auszumachen. Er konnte es nur erahnen, nicht wirklich sehen. Anders ging es Bones<br />

und Ziva auch nicht. Sie mussten die Augen unglaublich anstrengen, um mit zu bekommen,<br />

ob Booth die Augen eventuell zu fielen. Bones hatte schnell gemerkt, dass es ihr sehr schwer<br />

fiel, überhaupt zu sehen, ob Booth Gefahr lief, einzuschlafen. <strong>Die</strong>ser war im Augenblick<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

allerdings noch hellwach. Zwar wirkte die Ruhe und Dunkelheit ermüdend, aber noch hatte<br />

der junge Mann keinerlei Probleme, wach zu bleiben. Er dachte an Parker. Was der Kleine<br />

wohl trieb. Ob er ihn überhaupt wieder sehen würde? Ob er seinen kleinen Sohn jemals<br />

wieder in die Arme würde schließen können? Booth merkte gar nicht, dass ihm bei dem Ge-<br />

danken an Parker Tränen über die Wangen liefen. Als er es merkte, schüttelte er auch diesen<br />

Gedanken ärgerlich ab. Himmel, Arsch und Zwirn. Sie mutierten hier langsam alle zu Heul-<br />

susen. Ein Psychologe hätte ihm erklären können, dass die latente Dauerbelastung und die<br />

absolute Unfähigkeit, ihre Lage positiv beeinflussen zu können, über länger oder kürzer auch<br />

von den stärksten Persönlichkeiten Tribut forderte. Akute und unterschwellige psychische<br />

Belastungen wechselten einander in fröhlicher Folge ab, eine Erholung oder gar Verarbeitung<br />

war nicht möglich. Das erschöpfte Körper und Psyche gleichermaßen. Und machte sie alle<br />

immer anfälliger für emotionale <strong>Über</strong>reaktionen.<br />

<strong>Die</strong> Stunden verstrichen langsam und irgendwann legten Ziva und Bones sich hin,<br />

nachdem sie Sawyer und Kate geweckt hatten. Nun oblag es den Beiden, ein mehr als<br />

genaues Auge auf Booth zu haben. Während Kate und Sawyer also krampfhaft bemüht waren,<br />

mit zu bekommen, ob Booth auch schön wach blieb, bekam dieser erstmals ein Gefühl dafür,<br />

wie es sich anfühlte, wenn die Blase allmählich drückte und er wusste, was nun bald kommen<br />

würde. Wenigstens war es dunkel, es würden also nicht alle mitbekommen. Trotzdem lief<br />

dem Hilflosen eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er sich vorstellte, dass zumindest Kate<br />

und Sawyer mitbekommen würden, was auf ihn zukam. Und Sawyer wusste, was Booth bevor<br />

stand. Abgesehen davon, dass sein Körper immer heftiger gegen die langsam wirklich qual-<br />

volle Fesselung protestierte, wurde Booth nun auch schnell zappeliger. Immer öfter konnte er<br />

ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Sawyer und Kate war klar, was mit ihm los war. Kate<br />

wünschte sich 1.000 Meilen weit weg und Sawyer wurde vor Mitleid fast schlecht. Er hatte es<br />

nur zu gründlich am eigenen Leib gespürt, wie erniedrigend das war.<br />

„Es ist soweit, er muss erstmals Pinkeln. Können wir denn noch einmal<br />

über den Plan sprechen, oder ist er ohnehin bereits gestorben?“<br />

„Nein. Keineswegs. Ich denke, wir sollten das ruhig tun.“<br />

„Was hätten wir denn davon für Erkenntnisse?“<br />

„Das liegt doch wohl auf der Hand. So dumm kannst nicht mal du sein.“<br />

„Nun werdet mal nicht persönlich. Ich selbst finde die Idee nebenbei be-<br />

merkt auch durchaus gut.“<br />

„Sie verfälscht jedenfalls kein Ergebnis und schaden tut sie auch nicht.“<br />

397


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Da hat sie Recht. Wir wollen ja auch die Gruppendynamik fördern und<br />

gleichzeitig die psychischen Belastungsgrenzen senken, dafür ist die Maß-<br />

nahme sehr geeignet.“<br />

„Okay. Dann Abstimmung. Hoch die Hände, wer ist dafür? ... 11, 12,<br />

okay, dagegen? 1, 2, 3. Damit steht es fest.“<br />

„Dann müssen wir schnell alles hoch schaffen, er platzt ja gleich.“<br />

„Ja, ich bin es. Hört zu. Schafft augenblicklich alles nötige medizinische<br />

Zubehör, Essen und Trinken für vier Tage in den Kerker, schnell. Und öffnet die<br />

Türen von 2, 3, 4 und 15. Ach, und schließt die Sicherheitstür.“<br />

Booth hatte schnell das Gefühl, jeden Moment zu Platzen oder einfach nicht mehr an-<br />

halten zu können. Er merkte gar nicht, dass er immer lauter keuchte in der verzweifelten An-<br />

strengung, nicht einfach los zu pinkeln. Und dann geschahen plötzlich mehrere Sachen<br />

gleichzeitig. Mit einem leisen, saugenden Geräusch öffnete sich in kurzer Entfernung neben<br />

Booth eine der Bodenplatten und machte eine Öffnung frei, durch die sich ein großer Labor-<br />

wagen nach oben schob. Gleichzeitig fuhr aus dem Boden vor der Kerkertür eine weitere,<br />

mehr als stabil aussehende Stahltür in die Höhe und arretierte fest an der Decke. Und eben-<br />

falls zeitgleich öffneten sich plötzlich die Zellen von Jake, Mulder, House und Sawyer. Kate<br />

und Sawyer sahen genau so verwirrt aus wie Booth. Von den <strong>Anderen</strong> hatte keiner etwas mit<br />

bekommen, die schliefen tief und fest. In den Zellen der vier betroffenen Gefangenen gingen<br />

nun die kleinen, grünen Lampen an, die signalisierten, dass sie reden durften. Booth war kurz<br />

von den Ereignissen überrascht und abgelenkt gewesen, dann aber meldete sich sein Blase mit<br />

Macht zurück. Er sah auf dem Laborwagen einen Zettel liegen und keuchte: „Sawyer. Da liegt<br />

ein ... ein Zettel ...“ Sawyer verstand die Andeutung, verließ zaghaft die Zelle und eilte zu<br />

dem Laborwagen hinüber. Eine batteriebetriebene Lampe, die oben auf dem Laborwagen<br />

stand, machte es möglich, dass er bei der herrschenden Dunkelheit den Zettel lesen konnte.<br />

„<strong>Die</strong> weitere Durchführung des Experimentes und die Versorgung der rest-<br />

lichen Probanden liegt für die Dauer des Tests in eurer Hand. Ihr werdet den<br />

weiteren Verlauf kontrollieren. 4 weiß, was er zu tun hat, darf aber Nummer 1 erst<br />

helfen, wenn dieser darum bittet. Zuwiderhandlungen werden hart bestraft. 1 be-<br />

kommt nichts zu essen, aber Wasser, soviel er will.“<br />

Sawyer sah Booth an, warf einen prüfenden Blick auf die Gegenstände, die auf dem<br />

Laborwagen lagen und entdecket, was er gesucht hatte. Er schaute Booth an, dann zuckte er<br />

entschuldigend die Schultern und eilte zu House in die Zelle. Er rüttelte den Arzt, der tief und<br />

fest schlief, heftig an den Schultern und vollkommen desorientiert schoss dieser hoch. „Was<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

...?“ „Frag nicht, komm mit. Du musst Booth helfen.“ House verstand gar nichts, rappelte sich<br />

aber mühsam hoch und folgte Sawyer hinüber zu Booth und dem Laborwagen. Sawyer<br />

drückte ihm den Zettel in die Hand und deutete auf die Sachen, die auf dem Laborwagen<br />

lagen. Booth hatte mit wachsendem Entsetzen beobachtet, was sich tat. Er ahnte, was das alles<br />

zu bedeuten hatte und keuchte entsetzt: „Nein, nein, verdammt, das nicht ....“ Sawyer hörte<br />

die Worte und konnte sie nur zu gut nachvollziehen. Aber Booth hatte kaum noch eine andere<br />

Wahl. Er wusste noch nicht, dass er House bitten musste, ihm zu helfen, aber Sawyer erklärte<br />

ihm das schnell. „Hör zu, Kumpel, du musst ... Sie verlangen, dass du ... Verdammt, bitte ihn<br />

einfach, dass er dir hilft, okay.“ Sawyer wandte sich verlegen ab und marschierte zu Kate<br />

hinüber, die die Aktivitäten mit wachsender Verwirrung beobachtet hatte. Booth saß da,<br />

zuckend und keuchend, und ließ die Worte Sawyers langsam in seinen Verstand eindringen.<br />

Er sollte darum bitten, dass House ihm half. Wie weit würden die die Erniedrigung noch<br />

treiben.<br />

Aber ihm blieb keine Alternative mehr. Und so flüsterte er schließlich vollkommen<br />

verzweifelt: „Ich halte das nicht mehr aus, okay, tu was ....“ House zögerte keine Sekunde. Er<br />

schob den Wagen näher, richtet die Lampe so, dass er etwas sehen konnte, streifte sich aus<br />

einer Packung Einmal-Handschuhe über. Dann nahm er das Desinfektionsmittel, das auf dem<br />

Laborwagen stand und einen antiseptisch verpackten Wattetupfer und sah Booth an. „Tut mir<br />

leid, Kumpel. Mach die Augen zu, dann siehst du nichts, okay.“ Booth biss die Zähne zu-<br />

sammen, schloss die Augen und wartete. Er zuckte heftig zusammen, als er nun fühlte, was<br />

House machte. Das er darum hatte Bitten müssen, war schlimmer als alles andere. House<br />

arbeitet so schnell es ihm nur möglich war. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was Booth<br />

gerade empfinden musste. Auch, wenn er zehn Mal Arzt war, fiel es ihm selbst auch sehr<br />

schwer, ausgerechnet diese Hilfeleistung durchziehen zu müssen. Er desinfizierte erst Booth,<br />

dann den Schlauch sehr gründlich und verabreichte dem Agent dann ein antiseptisches Gleit-<br />

mittel in die Harnröhre. Ohne einen Blick in Booth‟ verkrampftes Gesicht zu werfen, fing er<br />

dann an, so schnell es ihm nur möglich war, ohne Booth weh zu tun, den Schlauch in dessen<br />

Harnröhre einzuführen. Als er spürte, dass er die Blase erreicht hatte, atmete er erleichtert auf.<br />

Nun war es gleich vorbei. Er sah doch kurz auf und bemerkte, dass Booth Tränen des Schams<br />

über die Wangen liefen. Verlegen schaute Greg auf den Urinbeutel und als schließlich nichts<br />

mehr kam, zog er den Schlauch ganz vorsichtig wieder heraus und sah sich nach einer<br />

Möglichkeit um, beides los zu werden. Auf einer Ablage unter dem Rollwagen sah er einen<br />

Plastikcontainer stehen und öffnete diesen. Er legte den verschlossenen Beutel hinein und<br />

drückte den Deckel zu. Dann fragte er leise und besorgt: „Hey, alles in Ordnung?“ Ohne die<br />

Augen zu öffnen nickte Booth und sagte nur leise: „Ja.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

External World 5: Verzweifelte Suche<br />

Dulce et decorum est pro patria mori<br />

Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt.<br />

Ernst von Feuchtersleben<br />

Washington DC, 10.00 Uhr, NCIS Hauptquartier<br />

„Zwei von den sechs Leuten, die ich überprüfe, haben eine falsche Identität.“, stellte<br />

McGee fest. „Ich bin chronologisch vorgegangen. Als erstes habe ich mir das Ehepaar vor-<br />

genommen und festgestellt, dass sie erst seit einem Jahr den Buchladen in LA haben. Dann<br />

habe ich das Melderegister überprüft und keine frühere Adresse gefunden. Das hat <strong>mich</strong> hell-<br />

hörig gemacht und ich habe nach einer Heiratsurkunde und Geburtsurkunden für die Beiden<br />

gesucht. Bei keinem Standesamt in den USA gibt es eine Heiratsurkunde für Matthew Harris<br />

und Jessica Harris, geborene Murphy. Dann habe ich weiter gesucht. Ein Matthew Harris<br />

wurde tatsächlich am 07.08.1960 in LA geboren, genauso wie eine Jessica Murphy am<br />

02.11.1964 in Miami. Allerdings hat nie jemand diesen Namens einen Führerschein gemacht,<br />

einen Highschool Abschluss erworben oder eine Krankenversicherung abgeschlossen.<br />

Matthew Harris war nie beim Militär und beide hatten bis vor einem Jahr kein Konto.“ „Wenn<br />

wir die Option ausschließen, dass beide gerne Bus fahren, die Schule geschmissen haben, nie<br />

beim Arzt waren und ihr Geld in einem Sparstrumpf unter der Matratze aufbewahren, haben<br />

wir sie. Gute Arbeit, Bambino.“, kommentierte Tony. „Schön, dass wenigstens einer von uns<br />

Fortschritte macht.“, konterte McGee. „Ist es meine Schuld, dass die Leute mit denen ich tele-<br />

foniere, keine Ahnung von irgendwas haben? Der Boss von den CSI Leuten wusste nicht mal,<br />

dass sie in Australien waren und wohl auch nicht, dass sie miteinander ins Bett gehen. <strong>Die</strong><br />

Lady in diesem Krankenhaus ist ein echter Drachen, keine Ahnung, was für eine Laus der<br />

über die Leber gelaufen ist. Solche Probleme hast du bei deiner Arbeit nicht.“, beschwerte<br />

sich Tony. „Wir können gerne tauschen.“, bot McGee großzügig an. „Ich nehme an, du weißt,<br />

wie du Zugriff auf alle Melderegister in den USA bekommst?“ „Natürlich nicht, ich bin ein<br />

richtiger Ermittler und kein Computerfreak. Bleib du bei deinem Metier, McGoogle, und<br />

kümmere dich um die vier anderen auf deiner Liste, ich rufe in der Zwischenzeit den Vater<br />

400


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

von dieser Grundschullehrerin an und frage ihn, ob er glaubt, dass seine Tochter eine<br />

Terroristin ist.“, kündigte Tony an.<br />

„Na dann viel Glück. Wenn der in etwa so drauf ist wie der Vater von ihrem Freund,<br />

wirst du es brauchen.“ Tony ignorierte den ermunternden Kommentar seines Kollegen und<br />

griff nach dem Telefon. „Mr. Richard Lisinski? Mein Name ist Anthony Dinozzo, Special<br />

Agent beim Naval Criminal Investigative Service Washington. Ich rufe wegen Ihrer Tochter<br />

Heather an.“ „Heather? Großer Gott. Ist ihr etwas passiert?“ „Sie wissen nicht, dass Sie in der<br />

verschwundenen Qantas Maschine war?“, fragte Tony verblüfft. „In der Maschine, die aus<br />

Australien kam? <strong>Die</strong> ständig durch sämtliche Nachrichten geht?“, fragte Heathers Vater ent-<br />

geistert. „Was in aller Welt hat meine Tochter in Australien gemacht?“ „Sie hat ihren Freund<br />

besucht und war mit ihm zusammen auf dem Rückweg in die USA.“, erklärte Tony. „Da muss<br />

ein Irrtum vorliegen. Meine Tochter hat keinen Freund und ganz sicher keinen, der in<br />

Australien lebt.“ „Sie wissen wohl nicht allzu viel über das Leben Ihrer Tochter, oder? Soweit<br />

wir bisher informiert sind hat Heather ihren Freund in Jericho kennen gelernt, dort kommt er<br />

jedenfalls her. Sie wissen, dass sie dort arbeitet, oder?“ Tony setzte allmählich gar keinen<br />

Grundstock an Vorkenntnissen mehr bei diesem Mann voraus. „Natürlich weiß ich, wo meine<br />

eigene Tochter arbeitet. Sie ist Lehrerin an der Grundschule in Jericho.“ „Wie gesagt, ihr<br />

Freund hat bis vor ein paar Monaten dort gelebt und war dann einige Monate in Sydney. Sagt<br />

Ihnen der Name Jake Green irgendwas?“<br />

„Nein, sie hat nie einen Jake erwähnt. Sind Sie sicher, dass sie mit ihm zusammen<br />

ist?“ Der Mann begann Tonys Geduld reichlich zu strapazieren. „Jedenfalls ist sie offensicht-<br />

lich seinetwegen nach Australien geflogen und hat zwei Wochen mit ihm in seiner Wohnung<br />

verbracht.“ „<strong>Die</strong>ser Mann hat meine Tochter dazu gebracht, mit ihm zusammen zu wohnen?“<br />

Mr. Lisinski klang entsetzt. Tony verdreht genervt die Augen und warf McGee einen ge-<br />

quälten Blick zu. „Und Sie wundern sich, warum ihre Tochter Ihnen nichts von ihrem Freund<br />

erzählt hat?“ „Ich habe meine Kinder anständig und streng religiös erzogen. <strong>Die</strong> Heather, die<br />

ich kenne, hätte niemals mit einem Mann zusammen gelebt, mit dem sie nicht verheiratet ist.<br />

Das kann kein Mann von der Art sein, die sie mir vorgestellt hätte. Ein anständiger Mann<br />

hätte ihre Prinzipien respektiert.“ Tony unterdrückter ein verzweifeltes Seufzen. - Habe ich es<br />

denn heute nur mit Verrückten zu tun? - „Halten Sie Ihre Tochter für leicht beeinflussbar?“,<br />

hakte er nach.<br />

„Sie ist ein sehr gutmütiger Mensch und hat immer versucht, es allen recht zu machen<br />

und von allen gemocht zu werden. <strong>Die</strong>ser Mensch muss das ausgenutzt haben.“ „Sie halten es<br />

also für möglich, dass Ihre Tochter ihre Prinzipien über Bord werfen würde, um die Zu-<br />

401


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neigung des Mannes, den sie liebt, nicht zu verlieren?“ Wenn der Kerl immer noch nicht<br />

kapiert hatte, dass sie längst über etwas anderes als über Heathers Keuschheit sprachen, würde<br />

er es ihm bestimmt nicht auf die Nase binden. „So muss es gewesen sein. Eine andere Er-<br />

klärung dafür habe ich nicht.“ „Danke, Sie haben mir sehr geholfen.“, erklärte Tony, ehrlich<br />

erfreut und verabschiedete sich schnell. „So ein Idiot. Er wollte nicht mal wissen, ob wir<br />

irgendwelche Fortschritte bei der Suche nach seiner Tochter machen, sondern nur, ob sie mit<br />

diesem Green schläft. Und er sagt, dass Heather viel tun würde, um die Zuneigung von<br />

jemandem, an dem ihr was liegt, nicht zu verlieren.“ „Nach dem, was ich von dem Gespräch<br />

mitbekommen habe, hat der Mann überhaupt nicht begriffen wovon du sprichst. Nicht bis zur<br />

Hochzeitsnacht zu warten ist eine Sache, das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie ein<br />

Flugzeug entführen würde, weil ihr Freund das doch so gerne möchte.“, gab McGee zu be-<br />

denken.<br />

Princeton Plainsboro Teaching Hospital, 9.00 Uhr<br />

Auf dem Weg zu Cuddys Büro versuchte Doggett vorsichtig auf seine Partnerin ein-<br />

zuwirken. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als Dr. Cuddy auf die Ungereimtheiten anzu-<br />

sprechen. Dazu ist es aber bestimmt nicht nötig, ihr die Sache mit der Numerologie genauer<br />

zu erklären, oder?“ Monica lächelte, als sie den flehenden Ausdruck im Gesicht ihres<br />

Kollegen sah. „Keine Sorge, das hatte ich nicht vor. Ich hatte beim letzten Gespräch den Ein-<br />

druck, dass sie nicht an einem Einführungskurs in Numerologie interessiert ist.“ Als sie das<br />

Vorzimmer von Cuddys Büro erreicht hatten, teilten sie dem Sekretär mit, dass sie seine<br />

Chefin noch einmal sprechen mussten. Der junge Mann verschwand. Als er wieder kam er-<br />

klärte er: „Sie wird Sie empfangen, aber sie scheint nicht begeistert von dem Gedanken zu<br />

sein, Sie wieder zu sehen.“ „Das sind die wenigsten Leute.“, stellte Doggett nüchtern fest und<br />

betrat auf ein genervtes: „Herein.“, gefolgt von Monica Cuddys Büro. „Was gibt es denn<br />

schon wieder?“, fragte Cuddy und warf Monica einen abschätzigen Blick zu. „Was es gibt<br />

sind einige relevante Informationen, die Sie und Dr. Wilson uns bei unserem letzten Gespräch<br />

verschwiegen haben. Zum Beispiel, dass Dr. House medikamentenabhängig ist.“, stellte<br />

Doggett fest. „Danach haben Sie nicht gefragt und ich kann auch beim besten Willen nicht<br />

erkennen, wie Ihnen diese Information dabei helfen sollte, Ihre Arbeit zu machen und Dr.<br />

House und Dr. Cameron zu finden.“, antwortete Cuddy defensiv.<br />

„Solche Informationen helfen uns, einzuschätzen, wie Dr. House sich in dieser<br />

Situation verhalten würde, was wiederum die weiteren Schritte der Entführer beeinflussen<br />

könnte. Und um Rückschlüsse auf die Entführer und ihre Motive zu gewinnen, müssen wir<br />

möglich viel über ihre Opfer wissen. Das nennt sich Victimologie.“, erklärte Monica „Ich<br />

402


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dachte, so etwas würden Ihnen Ihre Tarot Karten verraten.“, entgegnete Cuddy schnippisch.<br />

„Tarot ist in erster Linie dazu da, Vorhersagen über bestimmt Ereignisse in der Zukunft zu<br />

machen. Dazu zählen aber keine konkreten Handlungen oder Verhaltensweisen der Person für<br />

die eine Vorhersage erstellt wird.“, antwortete Monica ruhig, völlig unbeirrt von Cuddys ver-<br />

letzendem Tonfall. Dann bemerkte sie John flehenden Blick und wechselte das Thema. „Aber<br />

ich glaube, wir kommen vom Thema ab. Teilen Sie die Einschätzung von Dr. Chase und Dr.<br />

Foreman, dass Dr. House nahezu alles tun würde, um an seine Medizin zu kommen?“ „Was<br />

verstehen sie unter - nahezu alles -?“, fragte Cuddy zurück. „Würde er jemanden töten oder<br />

sterben lassen?“, fragte Doggett direkt. „Nein, das würde er selbstverständlich nicht. Dr.<br />

House ist Arzt, er kämpft auch dann noch weiter um das Leben seiner Patienten, wenn andere<br />

längst aufgeben würden. Er würde niemals jemanden sterben lassen.“, antwortete Cuddy<br />

überzeugt. „Ach ja?“, hakte Doggett nach. „Seine Assistenzärzte sind der Meinung, dass das<br />

Leben seiner Patienten ihm relativ gleichgültig ist.“ „Wenn ein Arzt um jeden verlorenen<br />

Patienten weinen würde, hätte er seinen Beruf verfehlt. Es ist ungeheuer wichtig, eine gewisse<br />

Distanz zu behalten, wenn man diesen Job gut machen will.“<br />

„In Ordnung, dann reden wir mal nicht über das Leben von Patienten. Wie viel be-<br />

deutet ihm ihrer Meinung nach Dr. Camerons Leben?“ „Er würde es nie zugeben, aber seine<br />

Leute bedeuten ihm sehr wohl etwas. Als Dr. Foreman einmal ernsthaft erkrankt war, hat er<br />

sich noch mehr als üblich reingehängt, um sein Leben zu retten. Und als Dr. Cameron vor<br />

zwei Jahren beschlossen hatte zu kündigen, hat er sich geweigert jemand anderen einzustellen<br />

und sie stattdessen zurückgeholt. Er würde sicher einiges tun, um Dr. Cameron zu schützen,<br />

aber er würde niemanden töten, um sie zu retten.“ Cuddy wusste, worauf die Agenten hinaus<br />

wollten und beschloss, das Gespräch nicht unnötig in die Länge zu ziehen, indem sie sich<br />

dumm stellte. „Das wäre dann alles. Wir haben ihre Zeit genug in Anspruch genommen und<br />

wir haben auch noch viel zu tun. Wo können wir Dr. Wilson finden? Wir haben auch noch<br />

einige Fragen an ihn.“, wollte Doggett wissen. „Dr. Wilson ist Leiter der onkologischen Ab-<br />

teilung, er ist vermutlich in seinem Büro.“<br />

Monica bedankte sich bei Cuddy und sie und Doggett machten sich auf den Weg zu<br />

Wilsons Büro. Dr. Wilson saß an seinem Schreibtisch und versuchte halbherzig, einige<br />

Patientenakten zu lesen, während im Hintergrund ein Bericht über die vermisste Maschine im<br />

Radio lief. Als er die beiden Agenten sah, schaltete er das Radio aus und legte die Akte bei-<br />

seite. „Agent Doggett, Agent Reyes, haben Sie noch Fragen?“, erkundigte er sich erstaunt.<br />

„Ja, die haben wir. Wir haben mit Dr. Chase und Dr. Foreman gesprochen und sie be-<br />

schreiben Dr. House ganz anders, als Sie und Dr. Cuddy. Können Sie sich das erklären?“,<br />

fragte Monica. „Das überrascht <strong>mich</strong> nicht. Dr. House gefällt sich in der Rolle des unnah-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

baren Zynikers und es gibt nur wenige Menschen, die hin und wieder einen Blick hinter diese<br />

Fassade erhaschen. Selbst ich bin manchmal nicht sicher, wann er ehrlich ist und wann er sich<br />

verstellt und ich kenne ihn wahrscheinlich besser als jeder andere. Dr. Chase und Dr.<br />

Foreman gehören ganz sicher nicht zu den Leuten, die er hinter seine Maske blicken lässt. Er<br />

verlangt sehr viel von seinen Leuten und ist vielleicht nicht immer fair und selten freundlich<br />

zu ihnen. Wie gesagt, es überrascht <strong>mich</strong> nicht, dass sie nicht die beste Meinung von ihm<br />

haben.“, erklärte Wilson sachlich.<br />

„Tatsächlich? Laut Dr. Cuddy liegt Dr. House etwas an seinen Assistenzärzten.“,<br />

stellte Doggett fest. „Das tut es. Aber er gibt sich große Mühe, sich das nicht anmerken zu<br />

lassen. Offensichtlich ist er darin erfolgreich genug, dass seine Leute noch nicht gemerkt<br />

haben, dass sie für ihn etwas anderes als Sklaven sind.“, erläuterte Wilson. „Dr. Cameron<br />

denkt offensichtlich anders über ihren Chef als ihre beiden Kollegen. Hat er sie denn anders<br />

behandelt?“, wollte Monica jetzt wissen. „Selten. Aber Dr. Cameron ist sensibler als ihre<br />

Kollegen. <strong>Die</strong> wenigen Momente, in denen sie einen Blick hinter seine Fassade erhascht hat,<br />

haben ihr gereicht, um zu erkennen, dass er nicht der kalte Zyniker ist, der er zu sein vorgibt.“<br />

„Glauben Sie, dass Dr. House an Dr. Cameron mehr liegt als an seinen anderen Assistenten?<br />

Immerhin scheint er sich bei ihr nicht ganz so viel Mühe zu geben, sich zu verstellen.“, stellte<br />

Monica fest. „Ja, das denke ich. Es ist schwer, Cameron nicht zu mögen und sie hat sich un-<br />

ermüdlich um House bemüht, ganz egal, wie oft er sie zurückgewiesen hat. Ich glaube, das<br />

gefällt ihm, auch wenn er versucht sich das nicht einzugestehen. Es fällt House nicht leicht,<br />

jemandem zu vertrauen, aber ein Teil von ihm möchte ihr Vertrauen.“, versuchte Wilson zu<br />

erklären. Es war nicht leicht, diesen Leuten, die House nie getroffen hatten, zu erklären, wie<br />

er funktionierte. Schließlich verstanden auch die Leute, die ihn seit Jahren kannten, das nicht<br />

immer. „Sie scheinen Dr. House sehr gut einschätzen zu können.“, fasste Monica zusammen.<br />

„Wir haben von Dr. Cuddy und seinen Assistenzärzten unterschiedliche Antworten auf die<br />

Frage gehört, wie weit er gehen würde, um an seine Medikamente zu kommen. Wie sehen Sie<br />

das?“ „Sehr weit. House ist abhängig, da gibt es keinen Zweifel. Aber er ist im Grunde seines<br />

Herzens kein schlechter Mensch. Er hat Grenzen, auch wenn es um die Beschaffung seiner<br />

Medikamente geht.“ „Danke, Dr. Wilson. Sie haben uns sehr geholfen.“, bedankte Monica<br />

sich.<br />

Ask him for it.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer.<br />

Wenn man es einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf<br />

seine Weise.<br />

Werner von Braun<br />

House kehrte bedrückt in seine Zelle zurück. Auch Sawyer hatte den strategischen<br />

Rückzug in seine eigene Zelle angetreten, nachdem er Kate erklärt hatte, was los war. Er hatte<br />

ihr leise klar gemacht, dass sie sich hinlegen konnte, um zu schlafen. Als Kate sah, wie House<br />

sich über Booth beugte, hatte sie es auch geradezu panisch vorgezogen, sich in ihr Bett zu<br />

legen. Sie versuchte krampfhaft, nicht daran zu denken, was House gezwungen war, bei<br />

Booth zu machen. House selbst kehrte nach der demütigenden Aktion in seine Zelle zurück,<br />

zum Einen, um Booth Gelegenheit zu geben, sich etwas zu erholen, zum <strong>Anderen</strong> aber auch,<br />

um selbst erst einmal damit fertig zu werden, was er gerade zu tun gezwungen gewesen war.<br />

Als er wieder in seinem Bett lag, bemühte er sich, die ganze Angelegenheit als einen schon<br />

hundert Mal durchgeführten Routinevorgang bei einem ganz normalen, x-beliebigen Patienten<br />

zu sehen. Er versuchte, sich zu dem Eingriff ein weißes, anonymes Gesicht vorzustellen,<br />

musste sich jedoch nach wenigen Minuten bereits eingestehen, dass es ihm nicht gelang. Er<br />

sah immer wieder Booth‟ Gesicht, die Augen verzweifelt zusammen kneifend, Tränen auf den<br />

blassen, eingefallenen Wangen. House fluchte unhörbar. Es war noch nicht lange her, da hatte<br />

er hier gesessen und sich gewünscht, irgendwas für seine Mitgefangenen tun zu können und<br />

kaum hatte er die Möglichkeit, verfluchte er diese Tatsache aus tiefstem Herzen. Das war es<br />

nicht, was er sich gewünscht hatte tun zu können. Er schaffte es nicht mehr, Abstand zu<br />

halten, wie es ihm daheim im Princeton Plainsboro gelang. Zu tief war die Verbindung schon,<br />

die sie alle hier auf Grund der äußeren Umstände miteinander eingegangen waren.<br />

Booth hatte die Augen geschlossen, wie House es ihm geraten hatte, konnte jedoch das<br />

Fühlen nicht Abschalten. Er spürte sehr wohl, wie House seinen Penis in die Hand nahm,<br />

spürte die kühle Desinfektionslösung auf seiner Eichel, fühlte, wie der Schlauch in seinen<br />

wehrlosen Körper geschoben wurde. Was er nicht fühlte waren die heißen Tränen, die ihm die<br />

Wangen herunter liefen. Tränen der Scham. Er überlegte verzweifelt, was schlimmer war:<br />

Dass House es machen musste oder wenn es einer der Entführer gemacht hätte. Er wusste es<br />

nicht. Er wusste nur, dass er sich nie zuvor so gedemütigt gefühlt hatte. Für einige Augen-<br />

blicke hatte er House gehasst, abgrundtief und irrational. Doch der Moment war schnell ver-<br />

gangen und zurück blieb nur das ungeheure Schamgefühl, an dem Booth glaubte, zu er-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sticken. Dass er auch noch hatte darum bitten müssen, war vermutlich das Schlimmste ge-<br />

wesen. Ihm wurde schlecht bei der Vorstellung, dass das nicht das letzte Mal gewesen war.<br />

Nein. Er wollte das nie wieder erleben müssen. Er glaubte, es kein weiteres Mal zu über-<br />

stehen, ohne vor Hass und Scham zu schreien. Booth legte den Kopf zurück und starrte in die<br />

Dunkelheit an der Decke. <strong>Die</strong>smal war es Nacht gewesen. Fast alle schliefen. Was würde er<br />

erst empfinden, wenn die nächste Entleerung im Hellen, wenn alle wach waren, um es mitzu-<br />

kriegen, stattfand. Viel hätte nicht gefehlt und Booth hätte vor Verzweiflung gewimmert.<br />

Ganz allmählich jedoch wurde er wieder etwas ruhiger. Und spürte eine leichte<br />

Müdigkeit. <strong>Die</strong> verflog allerdings schnell, als bald darauf das Licht im Kerker angeschaltet<br />

wurde. Zu seiner Enttäuschung blieb das rote Licht an, sodass keine Unterhaltung möglich<br />

war. Inzwischen spürte er seine Arme und Beine kaum noch, sein Rücken fühlte sich dafür an,<br />

als würde er bei nächster Gelegenheit auseinander brechen. Er versuchte verzweifelt, seine<br />

Hände und Füße etwas zu bewegen, um die Durchblutung anzuregen. <strong>Die</strong> Insassen der ge-<br />

schlossenen Zellen hatten vollkommen überrascht und verständnislos reagiert, als Sawyer<br />

nach ertönen des Weckers aus seiner Zelle trat und Jake und Mulder darüber unterrichtete,<br />

was sich nachts getan hatte. Verlegen und bedrückt traten die beiden Männer nun ebenfalls<br />

aus ihren Zellen heraus und halfen Sawyer, die Frühstücksrationen zu verteilen, die, wie sie<br />

sahen, in den nächsten Tagen wieder nur aus trockenem Brot bestehen würden. Booth würde<br />

nichts bekommen, dass ging klar aus der schriftlichen Anweisung hervor. Mit einem be-<br />

dauernden Lächeln verteilten die Männer das Brot, Tabletten und Wasser an ihre Leidens-<br />

genossen und aßen dann selbst etwas. Nach dem Frühstück ging House zu Booth hinüber und<br />

fragte diesen leise: „Na, wie fühlst du dich? Ich werde mal deinen Blutdruck überprüfen und<br />

deinen Blutzuckerspiegel und den Pegel der Katecholamine. Und, sorry, Kumpel, du musst<br />

Trinken, wenn du schon nichts zu Beißen kriegst.“<br />

Entsetzt schüttelte Booth den Kopf. „Nein. Nein, ich hab keinen Durst.“, stieß er<br />

geradezu panisch hervor. House schaute bedrückt zu Boden und schüttelte selbst den Kopf.<br />

„Das hilft nur leider nichts, Booth. Ich weiß, dass es dir grässlich ist, wäre es jedem, aber das<br />

ändert nichts an der Tatsache, dass du trinken musst. Es tut mir leid, aber da wirst du nicht<br />

drum herum kommen.“ Booth schaute House direkt an, einen Ausdruck in den dunklen<br />

Augen, der Greg eine Gänsehaut verursachte. Derart abgrundtiefe Verzweiflung lag in diesem<br />

Blick, dass es House vor Mitleid ganz komisch wurde. Aber schnell schüttelte er das Gefühl<br />

ab und sagte ruhig: „Komm schon, es hilft nichts. Jake und Sawyer haben es überlebt, du<br />

wirst es auch überleben, okay. Ich bin Arzt, schon vergessen? Ich mache so was dauernd.“<br />

Booth‟ Blick irrte fahrig zu den Zellen hinüber, in denen die Mitgefangenen hockten und<br />

dann sah er wieder House an. „<strong>Die</strong> werden es alle mit bekommen ...“, stieß er verzweifelt und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

leise hervor. House sah Seeley ernst an. „Wenn du dehydrierst und deswegen kollabierst, wird<br />

es auch jeder mit bekommen und besonders deine Partnerin wird sich sicher sehr darüber<br />

freuen ...“ Booth zuckte zusammen, schnaufte dann resigniert. „Gib schon her.“ House nickte<br />

zufrieden. „Ich weiß, wie ... Denk einfach nicht drüber nach, okay. Das du <strong>mich</strong> erst bitten<br />

musst, ist nur eine weitere Schikane von diesen Dreckskerlen, da pfeifen wir drauf, Booth.<br />

Erst mal müssen wir vorrangig sehen, dass wir dich durch diesen Scheiß hier möglichst un-<br />

beschadet hindurch kriegen.“ Er hielt Booth eine Wasserflasche an die Lippen und dieser<br />

trank, wenn auch mit schierer Verzweiflung in den Augen.<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen bekamen kein grünes Licht, nur die vier Männer hatten die Erlaubnis,<br />

zu Reden. Auch Booth durfte nicht sprechen, dass wurde ihnen klar gemacht, als sie sich mit<br />

ihm unterhielten. Kaum hatte er ein paar Worte von sich gegeben, die nichts mit dem Schlaf-<br />

entzug an sich zu tun hatten, kam die Lautsprecherdurchsage: „Nummer 1 hat zu schweigen,<br />

sonst sehen wir uns gezwungen, zu drastischen Strafen zu greifen, verstanden.“ Erschrocken<br />

schwieg Booth. House trat in Abständen immer wieder zu ihm und überprüfte seinen Blut-<br />

druck, gab ihm zu trinken und behielt den jungen Mann einfach im Auge. Schließlich kam der<br />

Punkt, vor dem Booth so schreckliche Angst gehabt hatte. Seine Blase hatte sich wieder ge-<br />

füllt und er würde in absehbarer Zeit erneut darum bitten müssen, dass House ihm half. Ganz<br />

allmählich wurde Booth auch leicht müde. Seine Augen fingen an zu brennen und zu Tränen.<br />

Sein Rücken schmerzte so stark, dass er glaubte, es nicht mehr lange auszuhalten. Und doch<br />

wusste er, dass das erst der Anfang der Tortur war. Er bekam zunehmend Hunger und merkte,<br />

dass seine Konzentration nach ließ. Er hatte sich mit Erinnerungen an einige seiner<br />

schlimmsten Fälle abgelenkt und merkte langsam, dass er sich an vieles nicht mehr erinnern<br />

konnte. Mit fortschreitender Zeit begann er außerdem zu frieren. Ab und zu klapperten seine<br />

Zähne unkontrolliert aufeinander. Er hatte wahnsinnige Kopfschmerzen. House bekam dies<br />

alles sehr wohl mit. Außerdem merkte er, dass Booth wieder sehr unruhig wurde. Er wusste<br />

nicht, wie er dem Jungen helfen sollte. Das einzige, was er machen konnte, um Booth die An-<br />

gelegenheit zu erleichtern war, dessen Blase zu leeren. Er durfte nichts anderes machen.<br />

Schließlich hielt Booth es nicht mehr aus. Er warf House einen flehenden Blick zu und<br />

dann irrte sein panischer Blick durch den Zellentrakt. <strong>Die</strong> Mitgefangenen hatten mit be-<br />

kommen, dass Booth immer unruhiger geworden war. Sie kannten das ja nun schon von Jake<br />

und Sawyer und taten das einzige richtige: Sie legten sich nach und nach auf ihre Betten, die<br />

Augen ins Innere der Zellen gewandt und taten, als wären sie blind und taub. House war zu<br />

Booth an das Gestell getreten und sah ihn an. Booth schloss gequält die Augen, dann bat er<br />

mit zitternder Stimme: „Hilfst du mir bitte ...“ House seufzte erleichtert auf. Er hatte zu-<br />

nehmend besorgt beobachtet, wie Booth sich mit seiner vollen Blase quälte. Jetzt sagte er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

leise: „Keiner guckt her, also mach dir darüber keine Gedanken.“ Er hatte schon Handschuhe<br />

über gestreift und arbeitete erneut zügig und präzise, um Booth schnell zu helfen. <strong>Die</strong>ser war<br />

inzwischen schon in einer Verfassung, die ihn für vernünftige Argumente unzugänglich<br />

machte. Er bildete sich ein, die Blicke der <strong>Anderen</strong> zu spüren. Er zitterte am ganzen Leib und<br />

öffnete schließlich die Augen, die er wieder voller Verzweiflung geschlossen hatte, um sich<br />

davon zu überzeugen, dass alle zu ihm herüber starrten. Mit Tränen in den Augen sah er sich<br />

um und merkte, das House absolut Recht hatte. Er sah von seinen Leidensgenossen wenn<br />

überhaupt nur die Hinterköpfe. Dafür rutschte sein Blick aber zwischen seine eigenen Ober-<br />

schenkel und er konnte sehen, wie House gerade anfing, den Schlauch eines neuen Beutels in<br />

seine Harnröhre zu schieben. Vorsichtig, aber schnell und routiniert. Es war erneut ein extrem<br />

unangenehmes Gefühl und Booth konnte nicht verhindern, dass er ab und zu zusammen<br />

zuckte. Dann spürte er erleichtert, wie der Schlauch seine übervolle Blase erreichte und vor<br />

Erleichterung schossen ihm erneut Tränen in die Augen. Zwei Minuten später war alles<br />

vorbei.<br />

House steckte den Beutel, nachdem er ihn sicher verschlossen hatte, zu dem ersten in<br />

die Plastikbox. Dann tastete er, so gut es die Handfesseln zuließen, nach Booth‟ Puls, der im<br />

Moment ziemlich schnell schlug. „Wie fühlst du dich?“, fragte er den Gefesselten. „Etwas<br />

müde und ziemlich geschafft von ... du weißt schon.“, schnaubte Booth „Wie würdest du dich<br />

fühlen?“ House nickte verständnisvoll. - Beschissen. - dachte er resigniert. Er sah Booth in die<br />

Augen und erklärte dann: „Um Ärger zu vermeiden lasse ich dich besser wieder alleine. Big<br />

Brother is watching us.“ Booth nickte verbissen. House kehrte in seine Zelle zurück. Sawyer<br />

und Mulder behielten Booth im Moment im Auge. Sie hockten nebeneinander außen an<br />

Sawyers Zelle, ans Gitter gelehnt, und unterhielten sich leise, was gebilligt wurde. <strong>Die</strong> beiden<br />

so unterschiedlichen Männer hatten einen guten Draht zu einander.<br />

Jake hatte, wie alle anderen auch, geradezu panisch weg geguckt, als House ge-<br />

zwungen gewesen war, Booth‟ Blase ein zweites Mal zu entleeren. Er hatte aus dem Augen-<br />

winkel mit bekommen, dass House in seine Zelle zurück humpelte und entschied sich<br />

spontan, zu dem Arzt hinüber zu gehen. Er nickte Sawyer und Mulder kurz zu, dann trat er in<br />

Gregs Zelle und fragte: „Wir müssen wohl zu zweit auf ihn aufpassen, oder was meinst du?“<br />

House lag eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge, er schluckte sie allerdings herunter.<br />

„Ja, ja, sollten wir. Noch würde er es selbst merken, wenn er einschläft und keine Luft mehr<br />

bekommt, später wird er so fertig sein, dass er es nicht mehr spüren würde, wenn er einmal<br />

eingeschlafen ist. Du hast gegen Ende auch nichts mehr gemerkt. Anders wird es Booth auch<br />

nicht gehen. Selbst, wenn er nicht so tief zusammen sinkt, dass die Luftzufuhr ganz ab-<br />

geschnürt wird, würde auch schon eine Unterversorgung reichen, um irreparable Hirn-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schädigungen zu verursachen. Wir dürfen nicht riskieren, dass nur einer von uns ihn im Auge<br />

behält und dabei selbst weg döst.“<br />

Jake nickte. „Dann werde ich Sawyer und Mulder mal darüber informieren.“ Er sah zu<br />

Booth hinüber und fragte dann leise: „Wie geht‟s ihm?“ House schaute dem jungen Mann ins<br />

Gesicht und zog eine Augenbraue fragend hoch. „Was glaubst du denn? Wie ging es dir?“<br />

Jake wurde rot. „War ne blöde Frage, tut mir leid.“ Er verließ fast fluchtartig House‟ Zelle<br />

und ging zu Sawyer und Mulder hinüber, die ihm fragend entgegen schauten. Er ließ sich bei<br />

den Beiden nieder und meinte dann: „Ist es okay für euch, wenn ihr zusammen die eine<br />

Schicht, House und ich die andere übernehmen? Der Doc ist der Meinung, wir sollten zu<br />

zweit aufpassen, sicherheitshalber.“ Mulder schaute kurz zu Booth hinüber, der gerade mit<br />

schmerzverzerrtem Gesicht versuchte, seine Haltung ein klein wenig zu verändern. Er hörte<br />

schräg hinter sich Bones leise seufzen. Wie schon für Kate, Heather und Dana war es nun eine<br />

Qual für Tempe, den Partner so leiden zu sehen und nicht das Geringste für ihn tun zu<br />

können. „Wir sollten auf jedem Fall zu zweit sein, das ist richtig. Unsere allgemeine Ver-<br />

fassung ist inzwischen so schlecht, dass wir selbst nicht sicher sein können, wach zu bleiben.<br />

Daher sind zwei Aufpasser unerlässlich.“ Jake nickte und stemmte sich wieder in die Höhe.<br />

Er warf einen aufmunternden Blick auf Bones und ging dann zu House zurück, um diesen in<br />

Kenntnis zu setzen, dass Sawyer und Mulder zustimmten.<br />

Dass absolut kein grünes Licht gegeben wurde, war für alle eine Qual. Bones hätte<br />

Booth so gerne Mut gemacht, und, was noch wichtiger war, sie hätte so gerne seine Stimme<br />

gehört, um daraus zu entnehmen, wie seine Verfassung war. Aber die leisen Informationen,<br />

die er den vier Männern ab und zu gab, drangen nicht bis zu ihr und den kurzen Kommentaren<br />

konnte sie ohnehin nicht entnehmen, wie es Seeley ging. Was sie deutlich merkte war die Tat-<br />

sache, dass ihre kühle <strong>Über</strong>legenheit, die sie bei Sawyer und Jake noch zur Schau gestellt<br />

hatte, nun nicht mehr existent war. Sie konnte inzwischen mehr als gut nachvollziehen, was<br />

Kate, Heather und Dana durchgemacht hatten. Sie wusste selbstverständlich noch immer, was<br />

sie schon bei Sawyers Schlafentzug von sich gegeben hatte, nur war es tatsächlich etwas<br />

anderes, selbst betroffen zu sein. Ihr war klar, dass Booth im Augenblick nicht in Gefahr war,<br />

dafür war es noch viel zu früh. Trotzdem liefen ihr bei einem Blick in sein von Schmerzen<br />

und der entsetzlichen Demütigung, House um Hilfe bitten zu müssen, verzerrtes Gesicht<br />

einzelne Tränen über die Wangen. Was hatte sie doch gleich doziert? Am Anfang würden die<br />

Betroffenen Euphorie empfinden? Tempe sah in Booth‟ gequältes Gesicht und schüttelte er-<br />

schüttert den Kopf. Nein, euphorisch sah er wirklich nicht aus.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bones war vollkommen verwirrt, sie konnte mit ihren seltsamen Gefühlen nicht um-<br />

gehen. Sicher, sie kannte es, anderen Menschen nicht gleichgültig gegenüber zu stehen, ihr<br />

Team war ihr durchaus wichtig und sie mochte Angela unglaublich gerne. Was sie aber jetzt<br />

gerade empfand, war vollkommen neu für die kühle, rational denkende Frau. Der dringende<br />

Wunsch, diesen Mann dort auf dem grässlichen Gestell in den Armen zu halten, ihm beizu-<br />

stehen, ihm irgendwie zu helfen. Wie sollte ihm das helfen? Bones begriff nicht, warum sie so<br />

empfand. Er war nur ein Freund. War er das wirklich? War es das, wovon Angela sprach,<br />

wenn sie ihr echte Liebe zu erklären versuchte? Das war völlig irrational. Natürlich hatte<br />

Tempe Beziehungen zu Männern gehabt, diese aber eher als notwendige Erfüllung ihrer<br />

sexuellen Bedürfnisse erlebt. Zu Booth hatte sie sich schon lange hingezogen gefühlt, aber<br />

das hatte sie bisher nicht anders eingeordnet als ihre Gefühle für ihre Mitarbeiter. Der Sturm<br />

der Empfindungen, der gerade in ihr tobte, ließ sich aber mit nichts vergleichen, was sie je<br />

gefühlt hatte. Der rasende Zorn auf dieses Unmenschen, die ihm das antaten, war der<br />

temperamentvollen Frau nicht fremd, wohl aber der irrationale Wunsch, lieber selbst seine<br />

Qualen auf sich zu nehmen, als ihn so leiden zu sehen. Ihr analytischer Verstand und ihre<br />

medizinischen Kenntnisse sagten ihr, dass Booth noch keineswegs in akuter Gefahr war.<br />

Dennoch ertappte sie sich dabei, jedes Mal heftig zusammen zu zucken, wenn er leise stöhnte<br />

oder gepeinigt die Augen zusammen kniff. Jedem anderen hätte sie gesagt, er solle sich nicht<br />

so albern anstellen, wenn ein Arzt professionell eine Routinehandlung bei ihm durchführte.<br />

Bei Booth jedoch litt sie plötzlich mit, fühlte die Scham und Demütigung, die er empfand.<br />

Das schlimmste war, dass Tempe sich sehr wohl darüber im Klaren war, dass dies<br />

gerade die Spitze des Eisberges war. In den nächsten Stunden würde es erst richtig losgehen,<br />

erst richtig hart werden für den Partner und Freund. Dann würde der Zeitpunkt kommen, wo<br />

es gefährlich werden könnte, wirklich gefährlich. Ihrer aller Verfassung nach der langen Ge-<br />

fangenschaft war physisch und psychisch schlecht, um es vorsichtig auszudrücken. Brennan<br />

hatte Dossiers über Schlafentzug gelesen, sowohl über den therapeutischen als auch über den<br />

als Folter eingesetzten Schlafentzug und ihr war durchaus bewusst, dass es im schlimmsten<br />

Falle bereits nach drei bis vier Tagen zu lebensbedrohlichen Situationen kommen konnte,<br />

besonders bei der Vorgeschichte, die sie alle hier bislang hatten erdulden müssen. Sawyer<br />

hatte noch das größte Glück gehabt, als diese Folter bei ihm angewendet worden war, war er<br />

psychisch noch in guter Verfassung gewesen. Tempe war inzwischen durchaus klar, nach<br />

welchen Richtlinien die Entführer diese Tests vornahmen. Sawyer war von den jüngeren<br />

Männern der einzige ohne irgendeine spezifische militärische oder polizeiliche Ausbildung.<br />

Aus diesem Grunde, vermutete Tempe, war mit ihm angefangen worden, als die physische<br />

und psychische Belastung noch nicht sehr groß gewesen war.<br />

410


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jake und Mulder hatten spezielle Ausbildungen gehabt, Jake in seiner Tätigkeit als<br />

Söldner, Mulder hatte die harte Schule der FBI-Kampfausbildung durchlaufen, daher ver-<br />

muteten die Entführer zu Recht, dass die Beiden schon deutlich belastbarer waren als Sawyer.<br />

Und Booth hatte die eindeutig umfangreichste militärische Ausbildung von den vier Männern,<br />

daher war dieser Test bei ihm besonders strapaziös und unangenehm aufgebaut. Bones sah<br />

zum x-ten Mal zu Booth hinüber. Er bekam von House gerade in diesem Moment wieder zu<br />

Trinken. Auch, wenn das wieder Loswerden des Wassers noch so schrecklich für ihn war, war<br />

es doch ungleich wichtiger, dass er trank und nicht auch noch dehydrierte. Er nickte House<br />

gerade dankbar zu, bemerkte dann Bones Blick und versuchte ein Lächeln, welches jedoch<br />

seine Augen nicht mehr erreichte. Ganz allmählich machte sich in diesen eine ziemliche<br />

Müdigkeit breit. Immer wieder gähnte Booth und es fiel ihm nicht mehr so leicht, die Augen<br />

offen zu halten. House hatte ihm Wasser gegeben und maß auch seinen Blutdruck. Dann ent-<br />

nahm er Booth einen weiteren Tropfen Blut aus der Fingerkuppe, um diesen im<br />

amperometrischen Messgerät auf den Blutzuckerwert zu überprüfen. In dem modernen Gerät<br />

konnte auch der Cortisol und Adrenalinpegel nachgewiesen werden. House stellte fest, dass<br />

der Stresshormonspiegel bei Booth inzwischen Recht hoch angesiedelt war. In dieser<br />

Situation bedeutete der Anstieg der Stresshormone in erster Linie Nervosität, Kopfschmerzen,<br />

erhöhter Blutdruck, depressive Verstimmungen.<br />

Booth sah House an und fragte dann genervt: „Wie sieht es aus?“ Greg hatte die Werte<br />

abgelesen und erklärte Seeley: „Wie nicht anders zu erwarten. Deine Blutzuckerwerte sacken<br />

ab, dafür werden mehr Stresshormone frei gesetzt.“ Booth verdrehte die Augen. „Das hätte<br />

von Bones kommen können.“ Er gähnte heftig. „Was heißt das für <strong>mich</strong>?“, fuhr er dann fort.<br />

House grinste. „Eine medizinische Vorlesung gefällig? Also hör zu: In Schrecksituationen<br />

werden Nerven gereizt, ein Stoff namens Acetylcholin wird freigesetzt, der wiederum sofort<br />

zu einer Ausschüttung der Notfall-Hormone Adrenalin und Noradrenalin führt. <strong>Die</strong>se setzen<br />

chemische Prozesse im Körper in Gange. So versetzen sie den Körper zum Beispiel in erhöhte<br />

Alarmbereitschaft, der Puls steigt an, das Herz pumpt schneller, der Blutdruck steigt. Das be-<br />

wirkt eine verbesserte Durchblutung der Muskulatur und eine Erweiterung der Bronchien, die<br />

Aktivität von Magen und Darm wird herunter gefahren. Das schafft die besten Voraus-<br />

setzungen für einen Angriff oder eine Flucht, worum es aber in der heutigen Zeit im All-<br />

gemeinen nicht mehr geht. Oft kann die so freigesetzte Energie nicht positiv genutzt werden,<br />

doch es ist sehr wichtig für den menschlichen Organismus, schnell und effektiv mit be-<br />

lastenden Situationen umgehen zu können. Beruhigt sich das Stresshormonsystem nicht<br />

wieder, bleibt die Adrenalin- und Noradrenalinkonzentration erhöht, was der Gesundheit<br />

schadet. Ende der Vorlesung.“ House hatte laut und deutlich gesprochen, um auf diese Weise<br />

411


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

auch den medizinisch nicht ausgebildeten Gefangenen eine Chance zu geben, die Erklärung<br />

zu verstehen.<br />

Booth hatte zugehört und versuchte, das, was House da gesagt hatte, festzuhalten.<br />

Langsam aber sicher fiel ihm die Konzentration sehr schwer. Er hatte starkes Hungergefühl,<br />

welches nur durch viel Trinken ein wenig zu neutralisieren war. Das viele Trinken führte dann<br />

aber gleich wieder zu seinem (noch) vorrangigsten Problem, nämlich der Tatsache, House um<br />

Leerung seiner Blase bitten zu müssen. Booth lief ein Schauer über den Körper, nicht nur<br />

wegen der Vorstellung, dass in durchaus absehbarer Zeit wieder ertragen zu müssen, sondern<br />

einfach, weil ihm kalt bis in die Knochen war. Sein Hintern fühlte sich taub und wund an, er<br />

hätte zehn Jahre seines Lebens dafür gegeben, die Beine ausstrecken zu können. Seine Mit-<br />

gefangenen dämmerten in den Zellen vor sich hin und warteten verzweifelt auf grünes Licht,<br />

welches jedoch nicht kam. Auch Booth hätte einiges dafür getan, sich ein wenig unterhalten<br />

zu können. Doch er musste schweigend ausharren. Irgendwann, dem Gefühl nach war es<br />

früher Nachmittag, legten Sawyer und Mulder sich ein Stündchen ins Bett, um nachts auf<br />

jedem Fall fit zu sein. Jake und House hatten die Idee gehabt, sich nahe bei Booth hinzu-<br />

stellen und sich dort leise zu unterhalten, um dem Gefesselten Ablenkung zu verschaffen. Sie<br />

waren jedoch mit einer scharfen Ansage aus dem Lautsprecher klipp und klar aufgefordert<br />

worden, sich dort sofort zu verziehen. Booth einen mitleidigen Blick zuwerfend, hatten sie<br />

sich daraufhin an die Tür des Belohnungsraumes gesetzt und behielten den jungen FBI Agent<br />

von dort im Auge.<br />

So sich selbst überlassen, fiel es Booth zunehmend schwer, die brennenden Augen<br />

offen zu halten Er war fast anderthalb Tage wach und fing an, das deutlich zu spüren. Das zur<br />

Reglosigkeit verurteilt sein trieb die Müdigkeit voran. Immer wieder gähnte er jetzt und seine<br />

Augen tränten. Im Kerker war es warm und die Luft war schlecht, trocken und verbraucht.<br />

Sein Schädel hämmerte zum Zerspringen. Trotz der Wärme im Kerker war ihm kalt bis in die<br />

Knochen. Booth hatte schon wieder Durst und signalisierte Jake mit einem Blick, was er<br />

wollte. Jake stand auf und eilte zu Booth hinüber. Vorsichtig hielt er diesem die Flasche an<br />

die Lippen. Als Seeley genug getrunken hatten, sagte er leise: „Danke.“ Jake nickte auf-<br />

munternd und sagte dann: „Gerne.“ Fast hätte er Booth gefragt, ob er noch was für diesen tun<br />

könnte, verkniff sich diese Frage aber im letzten Moment. Um keinen Ärger zu verursachen<br />

und zu bekommen zog Jake sich sofort zu House zurück. Booth sah ihm hinterher und lehnte<br />

leise seufzend den Kopf an das Gestell. Seine müden Augen wanderten zu Bones Zelle und er<br />

sah die junge Frau am Gitter stehen und zu ihm herüber gucken. Lächeln konnte er nicht<br />

mehr, er vorzog das Gesicht nur zu einer genervten Grimasse. Dann formte er mit den Lippen:<br />

„Alles in Ordnung.“ Bones biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. In ihren grau-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

blauen Augen war so viel Angst und Sorge zu erkennen, dass es Booth erstaunte. Er zwang<br />

nun doch ein verkrampftes Lächeln auf seine Lippen und nickte heftig, soweit es die Hals-<br />

fessel zuließ. Jake hatte den Blick bemerkt und sagte leise zu Bones: „Er wird es schon<br />

schaffen, mach dir keine so großen Sorgen.“<br />

Dana und Allison behielten Booth die ganze Zeit ebenfalls im Auge, wenn sie ihn<br />

auch nur von hinten sehen konnten. Dass wieder einer der Leidensgenossen durch diese un-<br />

menschliche Folter durch musste, machte die beiden Ärztinnen ganz fertig. Dana hatte noch<br />

allzu klar vor Augen, wie Mulder in der Kiste kollabiert war und wollte ähnliches nicht schon<br />

wieder sehen müssen. Das war bereits der vierte der Männer, der durch diese extreme Tortur<br />

musste. Ob die Entführer die Belastbarkeit testen wollten oder doch einfach nur Spaß am<br />

Foltern hatten, hätte Cameron nicht mehr sagen können. Der jungen Ärztin schien inzwischen<br />

alles möglich. Dass House Booth wenigstens ein bisschen helfen konnte war für die Immuno-<br />

login eine gewisse Erleichterung, obwohl ihr klar war, dass das an Booth‟ Qualen nichts<br />

änderte. Dass dieser House jedes Mal bitten musste, ihm die Blase zu entleeren, hatte Allison,<br />

genau wie die anderen Gefangenen, bisher noch gar nicht wirklich registriert. Zwar war ihr<br />

aufgefallen, dass House längere Zeit neben Booth gestanden hatte, sie hatte dies jedoch als<br />

unwichtige Beobachtung abgetan. Allison fiel auf, dass Booth wieder ziemlich unruhig wurde<br />

und in seinen Fesseln hin und her rutschte. Offensichtlich war durch das viele Trinken seine<br />

Blase erneut schmerzhaft voll. Auch House hatte Booth‟ herum Gezappel bemerkt und ließ<br />

sich von Jake auf die Füße helfen. Während dieser in seine Zelle eilte, um die - Ich sehe<br />

nichts - Haltung auf dem Bett wieder einzunehmen, humpelte House schwerfällig zu Booth<br />

hinüber. Leise und wieder mehr als verlegen bat Seeley nach einen Blick in die Runde, ob<br />

auch alle anderen in den Zellen die Blicke abgewandt hatten: „Kannst du wieder ...?“ House<br />

wollte gerade nicken, da knackte es im Lautsprecher. Alle zuckten heftig zusammen, als un-<br />

erwartet eine Lautsprecheransage ertönte. „Wenn du willst, dass Nummer 4 dir hilft, frage<br />

gefälligst laut und deutlich, Nummer 1, ansonsten sieh zu, wie du alleine klar kommst, hast du<br />

das verstanden?“ Booth war, wenn das überhaupt möglich war, noch blasser geworden. Er<br />

schloss resigniert die Augen und lehnte den Kopf gegen das Gestell. In seinem Gesicht<br />

arbeitete es. Leise sagte er: „Verstanden ...“ Gnadenlos kam die Stimme „Hast du verstanden,<br />

Nummer 1?“ Ergeben nickte Booth und sagte vernehmlich: „Ja, Sir, verstanden, laut und<br />

deutlich.“ Dann saß er minutenlang reglos da, wie gelähmt vor Verzweiflung. Sein Gesicht<br />

verzog sich vor Schmerzen und er starrte vor sich hin, apathisch, paralysiert, hoffnungslos.<br />

Seine gefesselten Hände ballten sich zu Fäusten. Und dann konnte er einfach nicht mehr.<br />

Tränen stürzten ihm über die Wangen und er stieß laut hervor: „Kannst du bitte meine Blase<br />

entleeren ...“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Contrary to the end ...<br />

Wer je in das Auge eines leidenden oder sterbenden Tieres geblickt hat, fühlt das<br />

Verwandtschaftliche alles Leidens und aller Qual dieser Erde.<br />

Rudolf Presber<br />

House versuchte, die ungeheure Verzweiflung zu überhören, die in Booth‟ Stimme mit<br />

klang. Er war krampfhaft um ärztliche Professionalität bemüht. Als er jedoch seinen Patienten<br />

vor Hass, Scham, Hilflosigkeit heftig schluchzen hörte und obendrein fühlte, wie dieser sich<br />

bis in den kleinen Zeh verkrampfte, musste House selbst erst einmal tief durchatmen. Leise<br />

sagte er: „Du solltest versuchen, dich etwas zu entspannen, Booth, sonst wird das Ganze<br />

ziemlich schmerzhaft.“ Booth sah ihn aus tränenverquollenen Augen an und flüsterte mit ton-<br />

loser, zitternder Stimme: „Klar, gar kein Problem, sonst noch was?“ Aber wenigstens be-<br />

ruhigte er sich ein klein wenig und seine Verkrampfung ließ etwas nach. Als House sich er-<br />

neut über ihn beugte, schloss Booth ergeben die Augen. Er zuckte heftig zusammen, als er<br />

wieder House‟ Hände an seinem Penis spürte und er biss die Zähne aufeinander dass es<br />

knirschte. Obwohl er sich verzweifelt bemühte, locker zu lassen, gelang ihm das nur unvoll-<br />

kommen und erstmals tat das Einführen des verdammten Schlauches zu allem <strong>Über</strong>fluss auch<br />

noch ziemlich weh. Endlich hatte der Schlauch seine Endposition erreicht. <strong>Die</strong> Erleichterung,<br />

als der Druck endlich nachließ, spiegelte sich deutlich auf dem Gesicht des Gefesselten<br />

wieder. Als House den Schlauch endlich entfernt hatte, bat Booth leise und erschöpft: „Lass<br />

<strong>mich</strong> einfach eine Weile alleine, okay.“ Verständnisvoll nickte House und humpelte ohne ein<br />

weiteres Wort in seine Zelle.<br />

Kurze Zeit später wachte Mulder auf und ging zu House hinüber. Er hatte die Laut-<br />

sprecherdurchsage verschlafen. „Hey, wie geht es Booth?“, fragte er den Arzt leise. House<br />

lachte freudlos. „Dich zu fragen, wie es dir zu dem Zeitpunkt ging, erübrigt sich, weil es dir<br />

gut ging. Das muss die Zeit gewesen sein, als du Shakespeare rezitiert hast. Nun, Booth geht<br />

es nicht gut, der Junge ist seelisch ziemlich am Ende. <strong>Die</strong>se elende Bitte, dass ich ... Das<br />

macht ihn wirklich fertig. Und allmählich wird er müde. Ihr werdet sehr genau auf ihn achten<br />

müssen. Sein Stresshormonpegel ist ziemlich erhöht und seine Blutzuckerwerte sind schon im<br />

Keller. Gebt ihm viel zu Trinken, okay. Er wird nicht wollen, aber es hilft alles nichts. Ich<br />

denke, in der Nacht wird er auch anfangen, einzudösen.“ Mulder hatte genau zugehört. Er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nickte und meinte: „Alles klar. Wir werden sehr genau aufpassen. Was meinst du mit der<br />

Bitte?“ House schüttelte genervt den Kopf. „Ganz einfach. Sie zwingen ihn, <strong>mich</strong> zu bitten,<br />

ihm die Blase zu entleeren. Und zwar laut und deutlich.“ Mulder verstand. „Das ist der Gipfel<br />

der Demütigung. Kein Wunder, dass er nicht begeistert ist, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Na,<br />

ich denke, ich werde ihn schon zum Trinken bewegen können.“ Er sah sich um und stellte<br />

fest, dass Sawyer noch schlief. „Ich werde ihn mal wecken und ihr könnt euch hinlegen.<br />

Gefühlsmäßig zur Hälfte der Nacht wecken wir euch, okay.“ „Oder wenn was ist.“<br />

Mulder ging nachdenklich zu Sawyer hinüber. <strong>Die</strong> Vorstellung, laut und für alle hör-<br />

bar um die Entleerung der Blase bitten zu müssen, verursachte Mulder eine Gänsehaut. Was<br />

ließen sich diese Schweine noch einfallen? Er hatte Sawyers Zelle erreicht und trat an dessen<br />

Bett. Der Südstaatler schlief tief und fest. Allerdings wohl nicht sonderlich entspannt. In<br />

seinem während der Haft hier blass gewordenen Gesicht arbeitete es heftig und er murmelte<br />

leise etwas, das Mulder nicht verstand. Er beugte sich über den jungen Mann und berührte ihn<br />

sanft an der Schulter. „Hey, Sawyer, wach auf, unsere Schicht beginnt.“ Sawyer zuckte heftig<br />

zusammen und fuhr erschrocken hoch. „Wasslos?“, nuschelte er erschrocken. Er brauchte<br />

ganz offensichtlich ein paar Momente, um in die Wirklichkeit zurück zu kehren. Dann aber<br />

klärte sich sein Blick und er fuhr verständlicher fort: „Unsere Schicht ... Klar, kann losgehen.“<br />

Er stand auf, trat an das kleine Waschbecken und schöpfte sich Wasser ins Gesicht. Dann<br />

nahm er einen Schluck Trinkwasser aus seiner Wasserflasche und folgte schließlich Mulder<br />

vor seine Zelle. Auf die Gefahr hin, dass es Ärger geben konnte, ging Sawyer zu Kates Zelle<br />

und gab ihr durch die Gitterstäbe einen Kuss. Mulder hatte die gleiche Idee. Er ging zu Dana,<br />

gab ihr ebenfalls durch die Gitter einen Kuss und flüsterte kaum hörbar: „Gute Nacht.“ Dana<br />

nickte und hauchte zurück: „Passt gut auf.“<br />

Bones hatte entsetzt den Blick abgewendet, wie alle anderen, als House bei Booth er-<br />

neut einen transurethralen Blasenkatheter legen musste. Sie hatte die laute Bitte Booth‟ gehört<br />

und es hatte ihr fast das Herz zerrissen. Sie konnte sich die unsagbare Erniedrigung vorstellen,<br />

die das für den stolzen Mann bedeutete. Bones war selbst eine stolze Person, diese Be-<br />

handlung hier in aller Öffentlichkeit wäre auch für sie unerträglich gewesen. Und dann noch<br />

darum bitten zu müssen ... Bones schüttelte es vor Mitleid. Sie stand wieder einmal am Gitter<br />

und schaute zu Booth hinüber. Doch bevor sie seinen Blick auffangen konnte, wurde es plötz-<br />

lich dunkel im Kerker. Ein weiterer Tag in der Hölle war vorbei. Sie hätte Booth so gerne<br />

Mut machend zugelächelt, aber es war zu spät, im herrschenden Dunkel war das nicht mehr<br />

möglich. Er konnte sie nicht mehr sehen, sowenig wie sie ihn sehen konnte. Sie hoffte nur,<br />

dass Mulder und Sawyer ihn wirklich gut im Auge behielten. Verzweifelt sank sie auf ihr Bett<br />

nieder. Sie war sicher, kein Auge schließen zu können. Aber wie die meisten anderen Ge-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fangenen war auch Bones nach kurzer Zeit schon weg gedöst. Der Dauerstress forderte ein-<br />

fach Tribut von ihnen allen. Alle Gefangenen waren körperlich und seelisch am Ende.<br />

<strong>Die</strong> Stunden tropften für Booth zäh dahin. Er gähnte fast pausenlos und spürte, dass es<br />

nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihm die Augen erstmals zufallen würden. Krampfhaft<br />

versuchte er, an irgendetwas zu denken, dass ihn wach halten konnte. Raddick. <strong>Die</strong>ser<br />

Massenmörder, der unter dem Deckmäntelchen der ethnischen Reinigung über zweihundert<br />

Menschenleben ausgelöscht hatte, einfach so. Wo war das doch gleich gewesen? Verwirrt<br />

versuchte Booth, sich zu konzentrieren. Im ... Verdammt, den Gedanken festzuhalten fiel ihm<br />

unglaublich schwer. Jetzt wusste er es wieder. Im Kosovo. Was hatte er dort gemacht? Er war<br />

in Gefangenschaft geraten ... <strong>Die</strong>, wie hieß doch gleich die Gruppe, die ... Kurden, nein, die<br />

waren es nicht gewesen, die ... Augen fielen Booth zu und er sackte langsam in sich zu-<br />

sammen. Sofort drückte das Halsband auf seine Luftröhre und erschwerte die Atmung.<br />

Sawyer hatte jedoch aufgepasst. Er trat zu Booth hin und mit einem bedauernden Seufzen<br />

rüttelte er diesen sanft wieder wach. „Hey. Wach auf, Kumpel.“ Booth zuckte erschrocken<br />

hoch und hustete leicht. Er machte sich hektisch grade und schüttelte den Kopf, um die<br />

Müdigkeit zu vertreiben. „Bin wach.“, nuschelte er müde. Immer häufiger bat er um Wasser,<br />

seine beschleunigte Atmung verursachte ihm heftigen Durst. Das führte natürlich dazu, dass<br />

er irgendwann bitten musste: „Hey, Mulder, kannst du mir House holen?“ Mulder nickte.<br />

„Selbstverständlich.“ Er eilte zu Gregs Zelle und trat hinein. „House. Wach auf. Booth<br />

braucht dich, Doc.“<br />

House, als Arzt gewohnt, von einem Moment zum nächsten voll da zu sein, schwang<br />

die Beine aus dem Bett und seufzte kurz. „Klar, ich bin schon da. Wie geht es ihm?“ „Er ist<br />

das erste Mal eingedöst. Er wird anfangen, deutlich abzubauen. Warum hat er so heftigen<br />

Durst, sag mal?“ House erwiderte leise: „Der Stress. Er atmet, wie ihr alle es getan habt,<br />

schnell und meist durch den Mund, dass trocknet Hals und Rachen aus, was zu vermehrtem<br />

Durst führt.“ House humpelte los. Mulder blieb in House‟ Zelle, Augenblicke später kam<br />

Sawyer zu ihm. „Das war der Anfang vom Ende, was meinst du?“, fragte Sawyer sehr leise.<br />

Mulder nickte. „Ja, er hat, wie wir alle, nicht mehr viel Widerstandskraft. Ich bin sicher, wir<br />

beide würden zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr so lange durchhalten. Wir alle sind weich<br />

geklopft. <strong>Die</strong> haben bisher ganze Arbeit geleistet. Uns ständig am Rande des vollkommenen<br />

Zusammenbruchs halten, noch ohne einen von uns wirklich zu brechen, ist ein Balanceakt,<br />

den die Schweine bisher gut hin bekommen.“ Sawyer nickte langsam. „Stellt sich die Frage,<br />

wie lange noch. Ich war schon ein, zwei Mal fast soweit.“ Sawyer dachte an die Befragung,<br />

als er lange gedacht hatte, Kate wäre seinetwegen vergewaltigt worden. Mulder konnte sich<br />

denken, worüber der Südstaatler nachdachte. Er sah im Dunkeln nachdenklich zu Sawyer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

rüber und meinte dann: „Es wird für einige von uns ... Ich denke, nicht alle werden lebend<br />

hier raus kommen.“ Sawyer lachte sehr leise und sehr freudlos. „Abhängig davon, was die<br />

eigentlich von uns wollen, oder. Was denkst du?“ Mulder überlegte kurz, dann wollte er<br />

antworten. Er wurde jedoch von Booth Stimme unterbrochen, die erklang, sehr müde und sehr<br />

resigniert. „Würdest du mir bitte wieder die Blase leeren.“<br />

House war zu Booth hinüber gehumpelt, hatte die kleine Lampe angeschaltet und<br />

Booth dann erst einmal in die Augen geschaut, Puls gefühlt, Blutdruck gemessen. Leise fragte<br />

er: „Wie fühlst du dich?“ Ebenso leise antwortete Booth mit leicht lallender Stimme: „Sehr<br />

müde. Kann <strong>mich</strong> nicht mehr konzentrieren. Ich frier und hab unglaubliche Kopfschmerzen.<br />

Schwindelig, mir ist zeitweise total schwindelig. Und ich muss schon wieder.“ House<br />

registrierte erleichtert, dass Booth inzwischen an einem Punkt angelangt schien, an dem ihm<br />

einiges gleichgültig wurde. Wenn die körperlichen Qualen anfingen, die Seelischen zu über-<br />

holen, wurden Dinge wie Demütigung nebensächlicher. „Natürlich, mein Junge.“ House<br />

nahm die unangenehme Prozedur also ein weiteres Mal vor, Booth ertrug es weitestgehend<br />

unbewegt. Nur hier und da zuckte er zusammen und als House den leichten Widerstand des<br />

Blasenschließmuskels spürte, stöhnte Booth leise auf. „Tut mir Leid, du dürftest da in-<br />

zwischen etwas wund sein, daher tut es ein wenig weh.“ Booth Kiefer zitterte und er er-<br />

widerte leise: „Das es weh tut ist mein geringstes Problem, Doc.“<br />

House war nach der Prozedur in seine Zelle zurück gehumpelt und legte sich wieder<br />

hin. „Ihr macht noch eine Weile, oder?“ Mulder und Sawyer nickten. „Ja, noch sind wir<br />

dran.“ „Hey, wenn ihr ihn häufiger wecken müsst, wird er anfangs genervt reagieren, später<br />

erst verzweifelt und resigniert, okay.“ Sawyer nicke. „Kein Problem, Doc.“ <strong>Die</strong> beiden<br />

Männer gingen zurück zu Booth und hockten sich in so großem Abstand von ihm auf den<br />

Boden, dass sie ihn genau sehen konnten, aber die Entführer nicht auf die Idee kommen<br />

würden, dass sie Booth versuchten, durch Unterhaltung wach zu halten. Immer wieder musste<br />

einer von ihnen aufstehen und Booth wecken, wenn diesem die Augen zu fielen. „Booth.<br />

Wach auf.“ Booth reagierte zunehmend genervter. Es fiel ihm immer schwerer, wach zu<br />

bleiben. Sehnsüchtig wartete er auf das Einschalten des Lichtes. Er hatte die Hoffnung, dann<br />

ein wenig wacher zu werden. Seine Beine und Arme waren taub, fühlten sich geschwollen<br />

und wie Fremdkörper an. Verzweifelt wünschte er, sein Rücken und sein Hintern würden sich<br />

genau so taub anfühlen. Das taten sie nur leider nicht. Es kostete ihn ungeheure Kraft, nicht<br />

immer wieder vor Schmerzen aufzukeuchen. Er wusste, dass er den Kampf bald verlieren<br />

würde. Er merkte in lichten Momenten noch vage, dass er viel zu schnell atmete, versuchte<br />

dann gezielt, ruhig und tief einzuatmen. Nur, um kurze Zeit später festzustellen, dass er schon<br />

wieder falsch Luft holte. Ihm war so schwindelig und kalt, und sein Kopf hämmerte zum Zer-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

springen. Booth bekam kaum mit, als Sawyer und Mulder sich schließlich hin legten und<br />

stattdessen House und Jake die Wache übernahmen.<br />

Immer qualvoller wurde es, für alle Beteiligten. Als der Weckruf ertönt war, hatten<br />

Jake und House Brot und Wasser verteilt. Bones war mit wild klopfendem Herzen hoch ge-<br />

schreckt. Sie sprang auf und eilte ans Gitter, um einen Blick auf Booth zu werfen. <strong>Die</strong>ser war<br />

froh, dass die Nacht vorbei war. Das Licht und dass er wieder seine Mitgefangenen sehen<br />

konnte, half ihm noch einmal ein wenig, die bleierne Müdigkeit abzuschütteln. In den<br />

folgenden Stunden fielen ihm die Augen nur zweimal zu. House um Hilfe zu bitten, wenn<br />

seine Blase wieder zum Bersten voll war, wurde mit jedem Mal leichter. Dass dies daran lag,<br />

dass im Gegenzug seine körperlichen Schmerzen größer wurden und die seelischen<br />

Schmerzen schlicht verdrängten, registrierte Booth nicht mehr. Immer öfter überprüfte House<br />

bei Booth Blutdruck, Pupillenreflexe und Blutwerte. <strong>Die</strong> allgemeine Stimmung im Kerker<br />

war mehr als gedrückt, dass lag nicht nur daran, dass ihnen das Reden immer noch verwehrt<br />

wurde. So lange hatte noch nie zuvor Redeverbot geherrscht. Bones stand die meiste Zeit am<br />

Gitter und starrte aus brennenden Augen zu Booth hinüber. Es gab nur noch wenig, dass sie<br />

nicht getan hätte, um Booth zu helfen.<br />

Mit fortschreitender Zeit schließlich wurde Booth wieder sehr müde. Immer häufiger<br />

waren die Männer gezwungen, ihn zu wecken. Hatte er erst aggressiv darauf reagiert, wurde<br />

er im weiteren Verlauf des Tages verzweifelter, wenn sie ihn wieder wach rüttelten. „Lass<br />

<strong>mich</strong> in Frieden ...“ <strong>Die</strong>smal war es wieder Sawyer gewesen, der die traurige Pflicht über-<br />

nahm, den Gefesselten zu wecken. Sawyer gab der hoffnungslose Tonfall einen Stich. Er<br />

wusste noch zu genau, wie er sich gefühlt hatte. „Tut mir so leid, Kumpel.“, sagte er unglück-<br />

lich und biss sich auf die Lippe. Booth wurde fahrig und unruhig. „Hau ab ... Ich will schlafen<br />

... Lass <strong>mich</strong> ...“ Sawyer sah voller Mitleid auf den Mitgefangenen und schrak zusammen, als<br />

dieser überraschend auf schrie: „Hau ab. Lass <strong>mich</strong> doch endlich in Ruhe! Ich ...“ Weiter kam<br />

Booth nicht. Seine Augen weiteten sich überrascht und er starrte, plötzlich mit ungeheurer<br />

Angst im Blick, Sawyer an. Er atmete zwei, drei Mal fast röchelnd ein, dann stieß er panisch<br />

hervor: „Hilf ... mir ....“ Sawyer starrte nicht weniger panisch auf Booth hinunter. „HOUSE!“,<br />

brüllte er dann los. House hatte in seiner Zelle vor sich hin gedöst, fuhr aber sofort alarmiert<br />

hoch. So schnell er konnte humpelte er zu Booth hinüber. Schon von weitem hörte er dessen<br />

keuchenden, pfeifenden Atem. Er brauchte gar nicht bis zu ihm zu gelangen um zu wissen,<br />

was los war. Jake und Mulder standen nun ebenfalls bei Booth und Bones wimmerte entsetzt:<br />

„Er erstickt. Tut doch was.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House war jetzt bei Booth und wusste, dass er mit seiner Vermutung Recht gehabt<br />

hatte. Er fuhr Jake und Mulder an: „Macht seine Arme frei, los doch.“ Unsicher starrten die<br />

beiden ihn an und House brüllte: „LOS!“ Dann wandte er sich, ohne sich umzusehen, an<br />

Bones. „Hat er Asthma?“ Keine Antwort. Bones stand wie paralysiert am Gitter und starrte<br />

zitternd zu ihnen hinüber. „BONES! Verdammt. Hat er Asthma?“ Bones wachte aus der Er-<br />

starrung auf. „Nein. Nein, nicht, dass ich wüsste, er hat Pollinose 14 , das ist alles, was ich<br />

weiß.“ House hatte ohne Zögern Booth Fußfesseln gelöst und streckte dessen Beine sehr lang-<br />

sam und vorsichtig aus, ließ sie dann rechts und links über das Gestell nach unten baumeln.<br />

„Ganz ruhig, mein Junge. Das kriegen wir schon hin.“ Er brüllte laut: „Wir brauchen hier ein<br />

Betamimetikum 15 , schnell.“ „Was hat er?“ Sawyer hatte mit wachsendem Entsetzen be-<br />

obachtet, wie Booth verzweifelt mit weit aufgerissenem Mund unter heftigem Pfeifen nach<br />

Luft keuchte. Seine Augen waren weit aufgerissen und er zitterte am ganzen Körper. Nichts<br />

war so angetan, auch den abgebrühtesten Menschen innerhalb kürzester Zeit in Todesangst zu<br />

versetzen wie Atemnot. Häufig war das ein Teufelskreis, den die Betroffenen alleine nicht<br />

durchbrechen konnten, denn aus Atemnot entstand Panik und Panik wiederum löste weitere<br />

Atemnot aus. Und in der desolaten Verfassung, in der Booth ohnehin war, war dieser Anfall<br />

lebensgefährlich. House brachte, kaum dass Booth‟ Arme von Jake und Mulder befreit<br />

worden waren, dessen Oberkörper vorsichtig in eine vorgebeugte Haltung. Dann hielt er ihn<br />

so fest und herrschte Sawyer an: „Hilf mir, ihn festzuhalten.“ Er sah Mulder an. „Versuch, ihn<br />

zu beruhigen, los doch.“ Zu Recht hatte Greg das Gefühl, Mulder wäre mit seiner ruhigen,<br />

beherrschten Art am ehesten geeignet, Booth gut zuzureden. Laut sagte er: „Das ist ein nicht-<br />

allergischer Asthmaanfall, man nennt das auch Anstrengungsasthma. Wo bleibt das<br />

Betamimetikum?“<br />

Mulder bemühte sich indessen verzweifelt, Booth ein klein wenig zu beruhigen. Leise<br />

und begütigend redete er auf Booth ein, erklärte diesem, dass ihm nichts passieren würde,<br />

House würde ihm helfen. Einige Meter weiter versuchte Ziva das Selbe bei der vollkommen<br />

verzweifelten Bones. Booth kämpfte um jeden einzelnen Atemzug. Seine Bronchien hatten<br />

sich durch das lange Zeit viel zu heftige ein und aus Atmen und durch die beständige Aus-<br />

schüttung von Stresshormonen plötzlich anfallartig verengt. Auch bei nicht - Asthmatikern<br />

konnte es auf diese Weise zu lebensbedrohlichen Asthmaanfällen kommen. Dass durch die<br />

veränderte Haltung die Durchblutung in Booth‟ Armen und Beinen schlagartig wieder ein-<br />

setzte und zu heftigen Schmerzen führte, machte die ganze Angelegenheit noch schlimmer,<br />

14 Pollinose: Heuschnupfen<br />

15 Betamimetika sind Medikamente, die die Bronchien erweitern.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aber House hatte keine Wahl. Er hatte Booth in die so genannte Kutscherhaltung gebracht, so<br />

gut es ging. In dieser Haltung waren die Bronchien ein wenig entlastet. Er redete ruhig auf<br />

Booth ein. „Hör mir zu, Booth. Du musst versuchen, gründlich auszuatmen. Schön tief aus-<br />

atmen, komm schon.“ „Was soll der Mist. Er hat doch keine Luft in sich, die er ausatmen<br />

kann.“, rief Gibbs herüber. „Doch, die hat er, durch das verzweifelte Bemühen, Luft in die<br />

Lungen zu bekommen, kommt es dort zu einem Luftstau, der erst entfernt werden muss, be-<br />

vor neue Luft hinein gelangen kann.“, erklärte Dana hastig.<br />

House hatte gar nicht auf Gibbs Zwischenruf reagiert. Er sprach leise und begütigend<br />

weiter auf Booth ein. <strong>Die</strong>ser lief langsam blau an. Tränen kullerten ihm über die Wangen,<br />

seine Hände zuckten fahrig hin und her, in dem Versuch, sich irgendwo halt suchend festzu-<br />

klammern. Sawyer zögerte nicht, sich Booth‟ Rechte zu greifen und diesem so Halt zu geben.<br />

Auf der anderen Seite machte Mulder gerade das Gleiche. Er redete auch weiter ruhig auf<br />

Booth ein. Und endlich, alle hatten das Gefühl, seit Beginn des Anfalls seien Stunden ver-<br />

gangen, kam aus der unteren Etage ein Wachposten hoch gefahren. Er hetzte zu House und<br />

drückte diesem eine Flasche Dosier-Aerosol Spray mit dem Wirkstoff Salbutamol in die<br />

Hand. House nahm es und packte Booth an den Schultern. Er zwang ihn regelrecht, sich auf<br />

ihn zu konzentrieren. „Schau <strong>mich</strong> an. Booth. Komm schon, Junge, reiß dich zusammen. Du<br />

musst tief ausatmen, komm, wir schaffen das gemeinsam. Ausatmen.“ Und tatsächlich gelang<br />

es Booth endlich, zitternd tief auszuatmen. Jetzt drückte House ihm den Inhalator zwischen<br />

die Lippen und betätigte den Auslöser. Das sehr präzise dosierte Spray drang beim Einatmen<br />

tief in Booth‟ Bronchien und führte dort fast augenblicklich zu einer Entkrampfung der<br />

Bronchienmuskulatur. Dadurch erweiterten sich die Bronchien und der Atemantrieb wurde<br />

stimuliert. Gleichzeitig bewirkte das Medikament eine schnelle Lösung des sich an-<br />

gesammelten, zähen Schleims. Relativ schnell verbesserte sich Booth‟ Atmung und drei<br />

Minuten später konnte er fast beschwerdefrei wieder durchatmen.<br />

Zitternd und schluchzend hing er mehr als dass er saß auf dem Gestell und hielt sich<br />

noch immer krampfhaft an Mulder und Sawyer fest. Das grässliche Pfeifen beim Einatmen<br />

war fast vollständig weg und er bekam ganz langsam wieder eine gesündere Gesichtsfarbe.<br />

Nach und nach beruhigte er sich ein wenig. Aber als er endlich wieder ganz normal atmen<br />

konnte, kam der ungeheure Befehl der Wache, die die ganze Zeit dabei geblieben war:<br />

„Wieder fixieren.“ House sah den Mann an, als hätte er den Verstand verloren. Booth war<br />

heftig zusammen gezuckt. „Nein ... nein ... bitte nein ...“, stieß er panisch hervor. Erneut<br />

rauschte es und der Teil der Plattform, der als Hebebühne fungierte, spuckte weitere Wach-<br />

leute aus. Erneut kam der Befehl: „Fixieren, sofort.“ In Sawyers und auch Jakes Augen<br />

funkelte blanker Hass auf. Mulder schüttelte den Kopf und sagte begütigend: „Hey. Das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bringt gar nichts, außer das Booth darunter wird leiden müssen.“ Er drückte selbst schweren<br />

Herzens Booth‟ linken Arm wieder nach oben, verzweifelt ignorierend, dass Booth ihn voll-<br />

kommen hoffnungslos anstarrte und sich krampfhaft, aber nichts desto weniger viel zu<br />

schwach versuchte, dagegen zu wehren. „Nein, nein, bitte nicht ....“, stammelte er panisch.<br />

Sawyer starrte die Wachen in mörderischem Zorn an, dann biss er die Zähne zusammen und<br />

drückte Booth Arm nach oben, fixierte in wieder an dem Gestell. Dabei liefen dem Süd-<br />

staatler selbst vereinzelte Tränen, geboren aus blankem Hass und hilfloser Wut, über die<br />

Wangen.<br />

„Fast ein bisschen spät reagiert, was? Warst auch schon mal schneller.“<br />

„Mach <strong>mich</strong> hier nicht dumm an. Woher sollte ich denn das bitte ahnen?<br />

Können uns freuen, dass Danny eine Ersatzflasche da hatte. Auf so was war<br />

keiner vorbereitet.“<br />

„Hätten wir aber sein müssen. Ich bin sicher, dass das ziemlichen Zoff<br />

gibt. Ein bisschen länger, und wir hätten einen Probanden weniger.“<br />

„Damit ist aber wenigstens jetzt klar, dass er gewisse Probleme mit<br />

seelischem Stress hat. Körperliche Anstrengungen steckt er locker weg.“<br />

„Offensichtlich. Mit Schmerzen kommt er ebenfalls ziemlich gut klar.“<br />

„Welch überwältigende Beobachtung. Das war doch wohl schon klar,<br />

bevor er überhaupt hier war.“<br />

„Irgendwann ....“<br />

„Was, irgendwann?“<br />

„Nichts ...“<br />

Eine Minute später war Booth wieder zur Bewegungslosigkeit verdammt, an das Ge-<br />

stell gefesselt. Vollkommen apathisch, wie paralysiert, starrte er abwesend vor sich hin. <strong>Die</strong><br />

Wachen hatten sich zufrieden zurückgezogen. Kurz hatten sie befürchtet, dass die Situation<br />

eskalieren könnte, denn in den Männern tobte ein unbändiger Hass. Aber Nummer 15 hatte<br />

die Situation mit seinen vernünftigen Worten entschärft. 1 war wieder gefesselt und das<br />

Experiment konnte zu Ende geführt werden. Bones hatte mit wachsendem Entsetzen verfolgt,<br />

was sich bei Booth abspielte. Als der Befehl erteilt wurde, diesen wieder zu fesseln, war<br />

etwas in ihr zerbrochen. So grausam konnten diese Bastarde doch nicht sein. Aber sie waren<br />

es. Das nackte Grauen in den Augen beobachtete Bones, wie Sawyer und Mulder gezwungen<br />

waren, Booth wieder an das schreckliche Gestell zu fixieren. Wenigstens die Beine brauchte<br />

er aber nicht wieder anziehen, die durfte er ausgestreckt lassen. Allerdings wurden sie dann<br />

trotzdem an das Gestell gefesselt. Bones hatte in unbändigem Hass aufgeschluchzt und war<br />

dann langsam am Gitter auf die Knie gesackt. Dort kniete sie immer noch, heftig weinend.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ziva war bemüht, der jungen Frau irgendwie Trost zuzusprechen. Sie scherte sich im Augen-<br />

blick nicht darum, dass Redeverbot herrschte. Und man ließ sie einige Minuten sprechen.<br />

Dann jedoch zuckte ein Stromschlag durch Kates Zelle, ließ diese aufschreien vor Schreck<br />

und Schmerz und machte Ziva nachhaltig klar, dass wieder Ruhe zu herrschen hatte.<br />

<strong>Die</strong> vier Männer standen noch bei Booth und fast schien es, als wollten sie ihm mit<br />

ihrer Anwesenheit Kraft und Mut machen. <strong>Die</strong> Müdigkeit, die vollkommen verflogen war,<br />

kehrte jetzt mit Macht zurück. Booth atmete im Augenblick ruhig und so legte House das<br />

Dosier Spray auf den Laborwagen. Dann machte er Mulder, Jake und Sawyer ein Zeichen, zu<br />

verschwinden. Angst löste im Allgemeinen Harndrang aus und House konnte sich vorstellen,<br />

dass Booth vielleicht gerne die Blase entleert bekommen hätte. Jake zog sich in seine Zelle<br />

zurück, Sawyer und Mulder eilten zu Bones hinüber und versuchten, diese zu beruhigen. Als<br />

Booth und House auf diese Weise alleine waren, sagte Booth leise, mit gepresst klingender<br />

Stimme: „Danke, Doc. Danke.“ Lauter bat er dann: „Kannst du mir bitte wieder die Blase leer<br />

machen.“ Ihm war inzwischen alles so egal. Sollten es doch alle mit bekommen. Er konnte<br />

einfach nicht mehr. Als er eben den Befehl gehört hatte, ihn wieder zu fesseln, hätte nicht viel<br />

gefehlt und er hätte in wilder Panik verzweifelt los geschrien. Jetzt hier wieder bewegungsun-<br />

fähig zu hocken war fast mehr als er glaubte, ertragen zu können. Dagegen verblassten Dinge<br />

wie Schamgefühl zu unbedeutendem Nichts. House streifte sich Handschuhe über, des-<br />

infizierte Booth und den Schlauch gründlich, benutzte reichlich Gleitmittel, um es Booth so<br />

leicht wie möglich zu machen und hoffte, während er den kleinen Schlauch erneut in die<br />

Harnröhre schob, dass es hoffentlich das letzte Mal sein würde, dass er gezwungen war, dies<br />

zu tun.<br />

Nach dem Anfall behielten die Männer Booth noch viel intensiver im Auge. Nach<br />

einiger Zeit hatte dieser wieder begonnen, heftig zu gähnen. Er hockte zitternd und zähne-<br />

klappernd da und driftete immer weiter ab. Irgendwann fielen ihm die Augen wieder zu. Jake<br />

war es, der sofort zu ihm ging und ihn weckte. Booth reagierte kaum noch. Er öffnete nur<br />

erschrocken wieder die Augen und starrte dann apathisch vor sich hin. Leise und lallend<br />

flüsterte er vor sich hin. „Ich kann nicht mehr ... Bitte ... kann nicht ... ich kann nicht mehr.“<br />

<strong>Die</strong> Zeit verging langsam, aber irgendwann kam unabänderlich das Ende des Tages und das<br />

Licht wurde gelöscht. Jake und House zogen sich zurück, um zu schlafen, Mulder und Sawyer<br />

blieben bei Booth. Bones war irgendwann einfach vor seelischer Erschöpfung ebenfalls ein-<br />

geschlafen. Ähnlich ging es den anderen Gefangenen auch. Alle fragten sich, wie lange diese<br />

unmenschliche Folter noch gehen sollte. <strong>Die</strong> Nacht wurde für Booth, aber auch für die<br />

Männer, die gezwungen waren, ihn immer wieder zu wecken, eine einzige Qual. In immer<br />

kürzeren Abständen schlief Seeley ein. Irgendwann wimmerte er nur noch hoffnungslos:<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Lasst <strong>mich</strong> bitte ... Ich bin so müde ...“ Er merkte gar nicht mehr, dass ihm Tränen über die<br />

Wangen liefen. „Bitte ....“ Das Ende kam schließlich unspektakulär. Nachdem Sawyer ein<br />

weiteres Mal gezwungen gewesen war, Booth aufzuwecken, sah dieser ihn nur noch ver-<br />

ständnislos und vollkommen desorientiert an, verdrehte die glasigen Augen und verlor einfach<br />

das Bewusstsein.<br />

Rebound<br />

Oh wie trügerisch ist die Hoffnung der Menschen, wie gebrechlich ihr Glück,<br />

wie nichtig all unser Streben.<br />

Marcus Tullius Cicero<br />

Als Booth so überraschend das Bewusstsein verlor, bekam Sawyer einen ziemlichen<br />

Schreck. Er rannte zu House in die Zelle und weckte diesen hastig auf. „Schnell, er ist ohn-<br />

mächtig geworden. Komm schon.“ House ließ sich von Sawyer hinüber zu Booth helfen,<br />

untersuchte diesen schnell und professionell und schüttelte dann den Kopf. „Den weckt keiner<br />

mehr auf, soviel ist sicher.“ Er sah fragend in Richtung einer der <strong>Über</strong>wachungskameras. Eine<br />

Antwort kam nicht, dafür aber sprang die Tür zum Belohnungsraum auf. Kurz zögerten die<br />

Männer noch, dann befreiten sie Booth vorsichtig von den Fesseln und Sawyer und Mulder<br />

nahmen ihn zwischen sich, schafften ihn vorsichtig in den Belohnungsraum und legten ihn<br />

dort auf das Bett. Sie zogen ihm den ziemlich schmuddeligen Kittel aus und deckten ihn sorg-<br />

fältig zu. House war ihnen gefolgt, er hatte das Dosier Spray dabei und legte dieses auf den<br />

Nachtisch. Leise sagte er: „Bones Zelle ist aufgegangen, holst du sie?“ Auffordernd sah er<br />

Sawyer an. <strong>Die</strong>ser nickte und eilte los, Bones zu holen. House überprüfte unterdessen noch<br />

ein letztes Mal Booth‟ Blutdruck, dessen Pupillenreflexe und lauschte auf seine Atmung.<br />

Sawyer stand währenddessen am Bett der jungen Anthropologin und weckte diese vorsichtig<br />

auf. Sie schoss hoch, kaum, dass sie eine Berührung an der Schulter gespürt hatte, und saß<br />

zitternd aufrecht im Bett. „Was ...“ Weiter kam sie nicht, denn Sawyer legte ihr sanft die<br />

Hand über die Lippen. „Pssst. Es ist alles in Ordnung, komm mit, du kommst zu Booth.“<br />

Tempe sprang so schnell aus dem Bett, dass ihr sofort schwindelig wurde. Vorsorglich legte<br />

Sawyer ihr einen Arm um die Taille und führte sie sorgsam aus der Zelle und zum Be-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lohnungsraum hinüber. Mulder hatte den Raum bereits verlassen und sich in seine Zelle<br />

zurückgezogen, die Tür hinter sich schließend.<br />

Bones wankte aufschluchzend an das Bett und setzte sich zu Booth, der in tiefer Be-<br />

sinnungslosigkeit da lag. House legte der jungen Frau beruhigend eine Hand auf die Schulter.<br />

„Der wird schon wieder, lass ihn schlafen, dann ist er bald wieder fit. Dort steht das Aerosol,<br />

falls ... Du weißt selbst, was zu tun ist, Mädchen. Pass gut auf ihn auf.“ Bones sah verweint zu<br />

House auf. „Danke dir.“ House nickte genervt und sagte dann: „Viel konnte ich ja nicht<br />

machen, außer ihn ...“ Er setzte sich zusammen mit Sawyer in Bewegung und gemeinsam<br />

verließen die Männer die kleine Wohnung. Ohne darüber nachzudenken schlossen sie die Tür<br />

und sahen sich noch einmal an. Sawyer grinste freudlos. „Danke für deine Assistenz.“, sagte<br />

House leise. „Du bist nicht annähernd so ein Arsch wie ich am Anfang dachte. Sawyer, hör<br />

zu, wie du Cameron beim Steineklopfen entlastet hast war großartig, okay. Es ist gut für uns,<br />

dich hier dabei zu haben.“ Sawyer wurde rot. „Red keinen Quatsch, Doc. Du warst hervor-<br />

ragend. Und deine Allison ist es wert, dass solltest du selbst am besten wissen. Gute Nacht.“<br />

House sah dem jüngeren Mann gedankenverloren nach, als dieser müde zu seiner Zelle ging<br />

und die Tür hinter sich zu zog. „Gute Nacht.“, flüsterte er dann leise und humpelte in seine<br />

eigene Zelle zurück. Mit einem leisen Klicken schloss sich die Tür hinter ihm. Minuten später<br />

war er eingeschlafen.<br />

*****<br />

Bones saß Stunde um Stunde bei Booth, wagte nicht, ihn aus den Augen zu lassen. Sie<br />

war sicher, dass seine tief Ohnmacht inzwischen in einen ebenso tiefen, ohnmachtsähnlichen<br />

Schlaf übergegangen war. Sie lauschte in der Stille um sie herum krampfhaft und überängst-<br />

lich auf seine Atmung, aber so sehr sie auch anstrengt lauschte, es hörte sich alles normal an.<br />

Tempe hatte das Licht gedämmt, aber nicht ganz abgedreht und konnte Booth somit sehen. Er<br />

hatte sich noch nicht ein einziges Mal bewegt, seit sie an seinem Bett saß. Sie hatte ja keine<br />

Ahnung, ob er sonst ein eher ruhiger oder unruhiger Schläfer war. Sie beobachtete ihn und<br />

lächelte sanft. Seine Haare waren länger geworden und eine vorwitzige Strähne rutschte ihm<br />

immer wieder in die Stirn. Ganz vorsichtig strich Bones diese zurück. Als sie ihn hier so<br />

liegen sah, nach der Tortur, die er in den vergangenen Tagen hinter sich gebracht hatte,<br />

kamen ihr wieder Tränen. <strong>Die</strong> Gefühle, die sie für ihn empfand, verwirrten sie völlig. Gerne<br />

hätte sie sich mit Angela darüber unterhalten. <strong>Die</strong> Freundin hätte ihr erklären können, was mit<br />

ihr los war. Es war definitiv mehr als die kollegiale Verbindung, die sie eigentlich fühlen<br />

sollte. Es fühlte sich auch eindeutig anders an als das, was sie für Angela empfand. Und so<br />

wie bei Booth war es auch bei keiner ihrer Affären bisher gewesen. Bones wusste nicht, wie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich diese Art Liebe anfühlte. Sie hatte keine praktischen Erfahrungen damit. Sie fühlte sich<br />

verwirrt und hilflos gegenüber dem, was sie für Seeley Booth empfand.<br />

Irgendwann dachte sie sich, dass Booth ohnehin erst in vielen Stunden wieder auf-<br />

wachen würde und da sie selbst müde und zerschlagen war, legte sie sich vorsichtig auf die<br />

andere Bettseite, lauschte ein letzte Mal, ob bei Seeley alles in Ordnung war, und schloss<br />

dann ihre Augen, um selbst zu schlafen. Als sie Stunden später aufwachte, fühlte sie sich aus-<br />

geschlafen. Erschrocken warf sie erst einmal einen Blick auf Booth. <strong>Die</strong>ser hatte sich irgend-<br />

wann auf die Seite gedreht und schlief immer noch tief und fest. Leise verließ Bones das Bett,<br />

ging ins Bad und stand Minuten später unter der Dusche. Unendlich dankbar wusch sie sich<br />

das erste Mal seit ... Tagen die Haare. Lange ließ die junge Frau das Wasser auf ihren Körper<br />

prasseln, bevor sie das Gefühl hatte, sauber zu sein. Sie trocknete sich ab und zog ihren Kittel<br />

wieder über. Dabei dachte sie - Der müsste mal gewaschen und gebügelt werden. - Als ihr<br />

klar wurde, was sie da gerade für Gedanken gehabt hatte, schüttelte sie genervt den Kopf.<br />

Soweit war sie also schon, dass sie das tolle Kleidungsstück waschen und bügeln wollte.<br />

Bones sah sich um, dann legte sie für Booth Handtücher zurecht. Er würde sicher ebenfalls<br />

mehr als gerne unter die Dusche gehen, wenn er aufwachte. Bones versuchte, vor dem Spiegel<br />

stehend, ihre Haare mit den Fingern durch zu kämmen. Sie sah schlecht aus. Blass geworden<br />

während der langen Inhaftierung, abgenommen, sie war schlank wie noch nie, schon dünn,<br />

wie sie alle hier. Sie konnte ihre Rippen sehen. Obwohl sie gut geschlafen hatte, hatte sie<br />

dunkle Ringe unter den Augen. In den Augen selbst war ein Ausdruck, der vor der Ent-<br />

führung nicht da gewesen war. Bones seufzte. Verängstigt, gehetzt, unendlich müde, aber<br />

keine körperliche Müdigkeit, und, was das schlimmste war, eine tiefe Resignation. Sie hoffte,<br />

dass dieser Ausdruck irgendwann wieder verschwinden würde. Wo war ihr Kampfgeist ge-<br />

blieben? Sie bemerkte, dass sie die Schultern hängen ließ und straffte sie energisch. Das fehlte<br />

noch, zu allem <strong>Anderen</strong>, dass sie Ergebung ausdrückte.<br />

Nachdem Bones ihre Haare ein wenig entwirrt hatte, ging sie ins Schlafzimmer zurück<br />

und sah nach Seeley. Kein noch so kleines Zeichen dafür, dass dieser in der nächsten Zeit<br />

wach werden würde. Tempe setzte sich kurz zu ihm auf das Bett, taste seinen Puls und nickte<br />

zufrieden. „Schlaf ruhig noch, ich kann verstehen, dass du nicht aufwachen magst. Ich<br />

wünschte, Angie wäre hier, um mir zu erklären, was mit mir los ist. Ich kann dich ja schlecht<br />

danach fragen, weil es um dich geht. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“ Sie strich<br />

Booth mit einer unendlich zärtlichen Geste über die stoppelbärtige Wange. Dann stand sie auf<br />

und ging in den Wohnraum. Sie setzte sich Kaffee auf, für Booth würde sie später frischen<br />

kochen, dann griff sie sich von der Arbeitsplatte die Karte, sah diese schnell durch und be-<br />

stellte sich dann einen Cesar Salat. Während sie darauf wartete, ging sie die Bücher durch.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schließlich griff sie sich Billy Brysons Reisebericht: Frühstück mit Kängurus und setzte sich<br />

damit auf das Sofa. Sie begann zu lesen und kurze Zeit später kam der Salat. Bones ließ ihn<br />

sich mehr als schmecken. Während sie ihren Kaffee trank, las sie in dem Buch und zwischen-<br />

durch ging sie immer wieder ins Schlafzimmer, um nach Booth zu gucken. Der rührte sich<br />

kaum. Bones lächelte. Er musste fix und fertig sein. Das alles nahm jeden von ihnen hier ent-<br />

setzlich mit. Bones kannte Seeley nun schon recht lange, dass er überhaupt in eine solche<br />

Verfassung geraten konnte, hätte sie kaum für möglich gehalten.<br />

Irgendwann, als sie wieder einmal nach ihm sah, merkte Bones, dass Booth unruhig<br />

wurde. Sie eilte an das Bett, setzte sich auf die Kante und griff nach Booth linker Hand.<br />

Seeley murmelte im Schlaf irgendwas, erst unverständlich, dann immer deutlicher. - Bones,<br />

hilf mir doch - Wieder und wieder nuschelte er diese Wort und Tempe konnte nicht ver-<br />

hindern, dass ihr schon wieder Tränen über die blassen Wangen kullerten. - Na, großartig. -<br />

dachte sie ärgerlich und wischte sich die Tränen ungeduldig fort. Dann sagte sie sanft und<br />

liebevoll: „Hey, Booth, ich bin hier. Es ist alles in Ordnung, du hast es hinter dir. Du brauchst<br />

keine Angst mehr zu haben, niemand wird dich mehr wecken.“ - Was tust du denn gerade? -<br />

dachte Bones genervt. Booth wurde bei ihren tröstenden Worten allerdings deutlich ruhiger.<br />

Und dann, ziemlich unerwartete, öffnete er seine Augen und sein Blick irrte vollkommen<br />

orientierungslos herum. Es dauerte eine Weile, bis er klarer wurde. Bones saß still bei ihm,<br />

beobachtete ihn besorgt und atmete erleichtert auf, als er leise: „Hey.“, flüsterte. „Hey. Wie<br />

fühlst du dich?“ Booth verzog das Gesicht. „Weiß nicht. Wie jemand, der vier Tage brutal<br />

gefesselt war? Und nicht schlafen durfte?“ Er wälzte sich schwerfällig auf die Seite und sah<br />

Bones an. „Wie lange liege ich hier schon?“ Er hatte ihre Hand nicht los gelassen, sondern<br />

hielt sie noch immer fest. Unbewusst streichelte Bones‟ Daumen sanft über seinen Hand-<br />

rücken. Sie erwiderte ruhig: „Irgendwann in der Nacht bist du zusammen gebrochen. Du<br />

schläfst hier schon seit Stunden. Aus verständlichen Gründen kann ich dir nicht präzise sagen,<br />

wie lange schon.“ Booth hatte ihr zu gehört. Er registrierte das sanfte Streicheln an seiner<br />

Hand sehr wohl, genoss es glücklich.<br />

Dann aber verzog er das Gesicht. „Was ist?“, fragte Bones alarmiert. Booth zog eine<br />

Grimasse. Dann sagte er leise: „Ich ... muss aufs Klo und ich werde genießen, da hingehen zu<br />

können.“ Bones nickte verständnisvoll. „Komm langsam und vorsichtig hoch, dein Kreislauf<br />

dürfte im Keller sein.“ Sie machte Platz und Booth setzte sich langsam und vorsichtig auf. Er<br />

wartete einige Momente, dann ließ er sich vom Tempe auf die Füße helfen. Das er nackt war,<br />

registrierte er schon gar nicht mehr, es war fast jedem hier inzwischen mehr oder weniger<br />

gleichgültig. Leicht schwankend stand er da, hatte sich aber nach kurzer Zeit gefangen. Noch<br />

etwas wackelig, aber entschlossen, ging er ins Bad. Das Gefühl, endlich wieder selbst Pinkeln<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu können, kam ihm wie ein Geschenk des Himmels vor. Er ignorierte das Brennen, dass ihm<br />

Tränen in die Augen trieb und als er fertig war trat er sofort in die Dusche, drehte erleichtert<br />

den Hahn auf. Und dort stand er auch noch, als Bones eine ganze Weile später leicht besorgt<br />

ins Bad kam, um nach ihm zu sehen. „Booth? Ist alles in Ordnung?“, fragte sie unruhig, als<br />

sie das Badezimmer betrat. Im selben Moment aber hörte sie das Rauschen der Dusche und<br />

wusste, was los war. Sie lächelte, als sie Booth in der Duschkabine sah. Er hatte sie gehört<br />

und sich zu ihr herum gedreht. „Alles in Ordnung?“, wiederholte Tempe die Frage. Booth<br />

lächelte beruhigend und strich sich mit den Händen die nassen Haare aus dem Gesicht. „Ja, es<br />

geht mir gut. Ich möchte hier nur nie wieder unter raus müssen.“ „Ging mir genauso.“<br />

Booth drehte nun doch das Wasser ab und stieg auch jetzt ohne zu Zögern aus der<br />

Dusche. Sie hatten sich hier wahrlich oft genug unbekleidet gesehen, da war nichts mehr zu<br />

verbergen. Bones beobachtete ihn gedankenverloren, bis ihr bewusst wurde, dass sie seinen<br />

nackten Körper anstarrte. Ertappt warf sie ihm eines der bereit gelegten Handtücher zu und<br />

verließ hastig das Bad. Booth fing das Handtuch auf und sah ihr fast enttäuscht hinterher. Er<br />

zuckte die Schultern, rubbelte sich trocken und schlang sich schließlich ein trockenes Hand-<br />

tuch um die Hüften. So schlenderte er ins Wohnzimmer hinüber, wo Bones ihn mit frischem<br />

Kaffee und der Speisekarte erwartete. Er wollte zu ihr hinüber zum Sofa gehen, doch plötzlich<br />

merkte er, wie ihm schwindelig wurde. Erschrocken streckte er unwillkürlich die Arme aus,<br />

um sich fest zuhalten, da er aber schon mitten im Raum stand, bekam er nichts zu fassen. Ein<br />

leises Keuchen entfuhr ihm, aber schon spürte er Arme, die ihn sanft stützten. Bones war<br />

sofort aufgesprungen und zu ihm geeilt. Vorsichtig führte sie ihn zu Sofa, half ihm, sich<br />

hinzusetzen. „Lehn dich ganz entspannt zurück, Booth. Versuche, ruhig und tief durch die<br />

Nase ein und durch den Mund auszuatmen. Das wird dir helfen, das Schwindelgefühl zu<br />

überwinden.“ Sie setzte sich zu ihm, nahm seine Hände und bemühte sich, ihm zu helfen, sich<br />

zu entspannen und richtig zu Atmen. Einige Minuten später nickte er erleichtert und erklärte:<br />

„Geht wieder. Kreislauf, oder?“ Bones nickte ebenfalls. „Kreislauf.“ Sie ließ seine Hände los,<br />

was er mit Bedauern registrierte und drückte ihm stattdessen die Speisekarte in die Hand.<br />

„Such dir mal etwas Schönes aus, du musst dringend etwas Essen.“ Gemeinsam sahen sie die<br />

Karte durch und Bones half Booth ein wenig bei der Auswahl.<br />

Speisekarte<br />

1)Tomatensalat mit Mozzarella<br />

2) Ribeye Steak mit Pommes oder Folienkartoffel, Gemüse<br />

3) Filet Steak mit Bratkartoffeln und Mais mit Butter<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

4)Bratfisch mit Salzkartoffel und Salat<br />

5)Cesar Salat<br />

6) Hamburger / Cheeseburger mit Pommes<br />

7) Pizza mit Salami, Thunfisch, Champions, Tomaten,<br />

8) Pizza Hawaii mit Ananas und Schinken<br />

9) Pasta Bolognese<br />

10)Pasta mit Käseschinkensoße<br />

11) Rotes Hühnchencurry<br />

12) Tandori Chicken mit Reis<br />

13) Gnocchi mit Spinat-Camembert Sauce<br />

14) Kürbis-Zucchini Lasagne<br />

15) Hähnchenkeulen mit Karottengemüse<br />

16) Garnelen im Reisteig mit Kürbis-Curry-Sauce<br />

17) Rotzungenfilet mit Gemüsefüllung<br />

18) Saté-Spieße auf Erdnusssauce<br />

19) Entenbrust mit Blutorangen-Ingwersoße und Gemüse-Gratin<br />

20) Kross gebratene Hähnchenkeulen auf Tomatenchutney<br />

21)Huhn in Sojasoße mit Paksoi-Gemüse<br />

Sie riet ihm zu den Hähnchenkeulen mit Karotten. „Das ist etwas leichtes, dass deinen<br />

Magen nicht unnütz belastet. Du hast lange nichts gehabt, es könnte gut sein, dass dir alles<br />

hoch kommt.“ Booth hatte erfreut registriert, dass Bones sehr besorgt gewesen war, als er<br />

geschwankt hatte. Kurz hatte er gehofft ... Aber dann war sie ruhig und überlegen gewesen<br />

wie immer. Er seufzte innerlich. - Vergiss es endlich, sie ist nicht verliebt in dich, du blöder<br />

Hund. - sagte er sich selbst. Er sah ihr nach, als sie zur Tür ging und sein Abendbrot oder war<br />

es Mittag, bestellte. Resigniert legte er den Kopf zurück. Er war immer noch so schrecklich<br />

müde. Sehr viel mehr als Essen würde er nicht schaffen, da war er sich sicher. Er hatte zwar<br />

bei Sawyer und Jake gesehen, welch verheerende Folgen der Schlafentzug auf die Beiden<br />

gehabt hatte, war aber trotzdem schockiert, wie heftig er selbst reagierte. Er erinnerte sich,<br />

zum Schluss vor Verzweiflung nur noch gewimmert zu haben. Er spürte, wie er rot anlief.<br />

Damit hatte er nicht gerechnet. Bones kam zum Sofa zurück und ihr entging keineswegs, dass<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth rot angelaufen war und äußerst verlegen wirkte. Sie sah ihn an. „Was ist los? Fühlst du<br />

dich nicht wohl?“ Betreten starrte Booth an die Decke. „Geht es dir nicht gut?“, fragte Bones<br />

noch einmal und setzte sich zu ihm. Booth seufzte. „Doch ... Nein ...“<br />

Bones machte „Aha.“ Und Booth seufzte erneut. „Weißt du, Bones, ich habe die<br />

Foltern im Kosovo ausgehalten, habe <strong>mich</strong> von Gallagher und seinem Handlanger Foltern<br />

lassen, man, ich weiß, was ich an Schmerzen aushalte. Aber als Sawyer, Jake und Mulder<br />

<strong>mich</strong> da in einer Tour geweckt haben ... Ich kann <strong>mich</strong> erinnern, dass ich am Ende nur noch<br />

rum gewimmert habe, dass ich nicht mehr kann.“ Er verstummte, verzweifelt, unglücklich,<br />

betroffen. Bones war sicher nicht die sensibelste Person auf dem Planeten. Aber in diesem<br />

einen Moment, diesem Augenblick, in dem Booth mehr als alles andere Trost und Zuspruch<br />

brauchte, vergaß die sonst teilweise so unglaublich unsensible Frau, dass sie Psychologie<br />

eigentlich hasste. Und sie bewies, dass sie auf dem College in den wenigen Psychologie-<br />

kursen, die sie hatte belegen müssen, sehr wohl etwas gelernt hatte. Sie nahm seine Hände<br />

und sagte ruhig: „Hör zu, Booth. Schmerzen ertragen und psychische Dauerbelastungen, sind<br />

zwei völlig verschiedene Dinge. Wir alle hier handeln nicht mehr rational. Hätten sie den<br />

Schlafentzug bei dir ganz am Anfang unserer Gefangenschaft gemacht, ich hätte mein ganzes,<br />

nicht unerhebliches Vermögen auf dich gesetzt. Im Augenblick würde ich auf keinen von uns<br />

auch nur einen Cent wetten. Wir alle sind physisch und psychisch vollkommen ausgelaugt.<br />

Booth, wir alle sind am Ende. Ich weiß manchmal nicht mehr, ob ich noch einen Tag über-<br />

stehe, ohne als schreiendes Nervenbündel in einer Ecke meiner Zelle zu enden. Ich denke so<br />

oft in der letzten Zeit, wenn ich noch einmal Zeugin werden muss, wie einem von uns etwas<br />

Furchtbares angetan wird, drehe ich durch.“ - Besonders, wenn du es bist, dem etwas angetan<br />

wird. - fügte sie in Gedanken hinzu. „Und du kennst <strong>mich</strong>, Booth, du weißt, dass man <strong>mich</strong><br />

nicht so leicht umwirft.“<br />

Booth hatte still dagesessen und Bones zugehört. Er wollte etwas erwidern, kam aber<br />

nicht dazu, denn in diesem Moment klapperte es in der Essenklappe und Bones eilte hinüber,<br />

um sein Essen in Empfang zu nehmen. Sie stelle es vor ihn, ging in die Küche und kam<br />

Augenblicke später mit Besteck und zwei Gläsern mit Eis und Scotch zurück. Sie reichte<br />

Booth ein Glas und sagte leise: „Cheers.“ „Cheers. Aufs <strong>Über</strong>leben.“ Sehr vorsichtig nippte<br />

Booth an dem Whiskey, dann aber kümmerte er sich erst einmal ausgiebig um sein Essen.<br />

„Mach langsam, okay, sonst bekommst du wirklich große Probleme.“, mahnte Bones. Booth<br />

nickte. Er musste sich gar nicht anstrengen, um langsam zu Essen, durch die Null-Diät hatte<br />

er nicht etwa Bärenhunger, sondern sich eher daran gewöhnt, nichts im Magen zu haben.<br />

Ganz langsam und genussvoll kaute er also auf seinem mehr als guten Essen und schob<br />

schließlich satt und befriedigt den Teller weg. Genüsslich trank er einen Schluck Whiskey.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schließlich nahm er den Faden wieder auf. „Du hast sicher Recht mit dem, was du gesagt<br />

hast. Schon die ständige Bedrohung der Partner ist auf Dauer unerträglich. Trotzdem ...“<br />

Seine Stimme zitterte bedenklich. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal so weich geklopft<br />

sein würde, dass ich ... dass ich um Gnade winsel.“ Bones hatte bedrückt zugehört. Jetzt legte<br />

sie Booth die Hand auf den Arm. „Booth, du hast keinen Grund, dich zu Schämen, wirklich<br />

nicht. Sawyer, Jake und auch Mulder haben am Ende genau so verzweifelt um ein Ende der<br />

Sache gebettelt. Schlafentzug ist eine grausame Folter, sie wurde in vielen Ländern sogar als<br />

Hinrichtungsmethode verwendet. Selbst kerngesunde, körperlich und seelisch fitte Menschen<br />

brechen darunter innerhalb kürzester Zeit zusammen. Du darfst dir da einfach keine Gedanken<br />

machen, Ho... ähm, hörst du.“ Gerade noch konnte Bones verhindern, Honey zu sagen.<br />

Sie sah Booth in die immer noch so müden Augen. „Du solltest wirklich versuchen,<br />

noch etwas zu schlafen, du siehst furchtbar aus.“ Freudlos lachte er auf. „Das war es, was mir<br />

fehlte, dass mir jemand sagt, dass ich Scheiße aussehe. Danke.“ Er trank seinen Scotch aus<br />

und sagte: „Aber du hast Recht, ich werde versuchen, noch zu Schlafen, ich fühle <strong>mich</strong> so,<br />

wie ich aussehe.“ Er stemmte sich hoch, geriet aber sofort wieder ins Taumeln. Bones war<br />

schon bei ihm, legte ihm einen Arm um die Taille und half ihm ins Schlafzimmer. Als er auf<br />

dem Bett saß, atmete er erleichtert auf. Als er sich hinlegte konnte er ein Stöhnen nicht unter-<br />

drücken. „Mhm, mein Kreuz fühlt sich an, als hätte King Kong es als Trampolin benutzt.“<br />

Bones sah in verständnislos an. „Wer ist King Kong?“ Booth schaute auf, schüttelte resigniert<br />

den Kopf und grinste. „Hoffnungslos. Mir tut der Rücken weh, okay.“ Bones nickte. „Das<br />

glaube ich dir, die Schultern sicher auch. Kate sagte doch etwas von ... Warte, ich schau mal<br />

...“ Sie eilte ins Bad und war eine Minute später mit der Massagesalbe zurück, von der Kate<br />

und auch Heather erzählt hatten. „Leg dich auf den Bauch, ich werde dir den Rücken ein-<br />

cremen.“ Vorsichtig ließ Booth sich in Bauchlage sinken. Bones nahm ihm das Handtuch ab<br />

und ließ es achtlos zu Boden fallen. Dann beschäftigte sie sich eine ganze Weile sehr intensiv<br />

mit Booth‟ nacktem Rücken. Er hatte erst Schmerz erfüllt gestöhnt, langsam jedoch immer<br />

entspannter und wohliger. „Ich wusste gar nicht, dass du so was kannst.“, nuschelte er<br />

schließlich müde, als Bones fertig war. - Du weißt zum Glück vieles nicht. - ging es Tempe<br />

durch den Kopf, während sie letzte Salbenreste mit dem Handtuch von seinem Körper rieb.<br />

„Geht es denn etwas besser?“, fragte sie besorgt. „Sehr viel besser, Danke, Bones.“ Booth<br />

dreht sich auf den Rücken und angelte nach dem Zudeck. Ihm fielen die Augen zu. „Schlaf<br />

dich aus.“ Tempe konnte sich nicht zurück halten. Sanft strich sie ihm mit den Fingern durch<br />

die Haare. „Schlaf.“ Booth bekam das schon nicht mehr mit.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Wassertanks<br />

Wenn auch die Fähigkeit zu täuschen ein Zeichen von Scharfsinn und Macht<br />

zu sein scheint, so beweist doch die Absicht zu täuschen ohne Zweifel Bosheit und<br />

Schwäche.<br />

René Descartes<br />

Irgendwie hatte Mulder das Gefühl, es würde noch etwas passieren. Zu lange hatte<br />

man sie schon in Ruhe gelassen, nie ein gutes Zeichen bei den Typen, in deren Gewalt sie<br />

waren. Der Psychologe zerbrach sich immer wieder den Kopf, was all diese dubiosen Tests<br />

und Experimente, denen sie schon unterzogen worden waren, wohl klären beziehungsweise<br />

bewirken sollten. Er sah zu seiner Partnerin hinüber. Sie war, bis auf wenige Gelegenheiten,<br />

seit sie nun hier waren, beherrscht und ruhig gewesen. Er bewunderte Dana für diese Ruhe.<br />

Obwohl, das musste Mulder zugeben, er manchmal eine eindeutige Reaktion von ihr ge-<br />

wünscht hätte. Bones und Booth waren am Morgen dieses Tages in die Zellen zurück ge-<br />

bracht worden. Booth sah erheblich besser aus und nicht nur Mulder fiel auf, dass der junge<br />

FBI Mann immer wieder mit ziemlich verklärtem Blick zu Bones herüber schaute. Der Laut-<br />

sprecher knackte. Mulder war kein bisschen überrascht, dass sich die vertraute Stimme<br />

meldete: „Nummer 1 und Nummer 10.“ Das kam allerdings schon ein wenig überraschend.<br />

Was hatten Booth und Allison miteinander zu tun? <strong>Die</strong> Beiden sahen verwirrt auf, gehorchten<br />

aber augenblicklich. Das perfide System, andere zu Strafen hatte jeden noch so schwachen<br />

Widerstand von Beginn an im Keim erstickt. Niemand hier riskierte, dass ein Anderer für ihn<br />

leiden musste. Simpel aber absolut wirkungsvoll, besonders bei den Paaren. <strong>Die</strong> Gefangenen<br />

beobachteten, wie Booth und Cameron abgeholt und zusammen aus dem Zellentrakt gebracht<br />

wurden. Man führte die Beiden zum Fahrstuhl und brachte sie vier Etagen tiefer.<br />

Allisons Herz klopfte schnell und hart. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen,<br />

die Hände auf dem Rücken gefesselt zu haben. Immer und immer wieder empfand sie es als<br />

unglaublich beängstigend, sich mit den Händen nicht verteidigen zu können. Sie hatte jedoch<br />

keine Zeit mehr, lange über diesen Umstand nachzudenken. Zusammen mit dem FBI Agent<br />

wurde sie in einen großen Raum geführt. Zwei Tische mit Stühlen davor, zwei Laptops und<br />

zwei vielleicht 1,50 im Durchmesser messende große Glaszylinder mit Löchern im Boden<br />

waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Booth und Cameron wurden zu den Glas-<br />

zylindern geführt. <strong>Die</strong> Karabiner wurden gelöst und sie wurden in die Zylinder hinein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

manövriert. Am Boden der Glaskammern waren metallene Ösen angebracht, in dem Zylinder,<br />

in den Allie geführt wurde, waren diese an einem vielleicht zwanzig Zentimeter hohen Block<br />

am Boden befestigt. Mit Hilfe dieser Ösen wurden ihre Fußgelenke an den Boden des Glas-<br />

zylinders gefesselt. Allison musste dafür auf den Block steigen. Sie kam dadurch mit Booth<br />

auf eine Höhe. Langsam bekamen beide ein sehr ungutes Gefühl. An der Innenwand der<br />

Zylinder, etwas in 1,70 Höhe, waren zwei weitere Metallösen in das Glas eingearbeitet. An<br />

diesen wurden nun ihre Handgelenke fixiert. Dann verließen die Bewacher die Zylinder und<br />

schlossen die dicken, hermetisch verriegelnden Türen. Ein saugendes Geräusch dabei verriet<br />

den beiden fast bewegungsunfähig Gefesselten, dass die Türen so dicht verschlossen waren,<br />

dass vermutlich selbst Luft nicht mehr durch sie hindurch dringen würde. Für Luftzufuhr<br />

waren die Zylinder oben offen. Man ließ die hilflosen Gefangenen dort stehen und die Be-<br />

wacher verließen den Raum. Kaum waren Booth und Cameron alleine, fragte die junge Ärztin<br />

völlig verängstigt: „Was meinst du, was soll das hier werden?“ Sie hatte laut gesprochen,<br />

damit Booth sie überhaupt verstehen konnte. Genau so laut antwortete er: „Ich habe keine<br />

Ahnung, wird schon nicht so schlimm werden.“ Dass die Löcher am Boden ihrer Gefängnisse<br />

sowie die hermetisch verriegelnden Türen den jungen Mann beunruhigten, behielt er lieber<br />

für sich. Es hatte keinen Sinn, Cameron zu ängstigen, sie würde noch früh genug erfahren,<br />

was das hier sollte. Wie lange man sie alleine stehen ließ, war schwer zu schätzen, es kam<br />

beiden Gefesselten aber sehr lange vor.<br />

Im Kerker hatten sich die <strong>Anderen</strong> gefragt, warum Booth und Cameron zusammen ab-<br />

geholt worden waren. House kam nicht umhin, sich zu wundern, was ihre Entführer wohl mit<br />

seiner Immunologin vorhatten. Das Gleiche fragte Bones sich. Dass Booth abgeholt wurde,<br />

beunruhigte Tempe mehr als sie zugeben wollte. Dass er plötzlich nicht mehr ein paar Zellen<br />

weiter hockte, machte ihr mehr zu schaffen, als sie gedacht hätte. Sie hatte nach dem Raub-<br />

fischversuch sehr wohl registriert, dass Seeley sie Honey genannt hatte und eigenartigerweise<br />

war ihr bei dieser Art, sie anzureden, ganz warm geworden. Nach dem grauenhaften Schlaf-<br />

entzug waren ihr Gedanken im Kopf herum gespukt, die sie nicht einordnen konnten. Als er<br />

zusammen mit der Ärztin abgeholt wurde, konnte Bones nicht verhindern, dass ihre eine<br />

Gänsehaut über den Rücken kroch. Dann aber sagte sie sich, sich aufzuregen hätte ohnehin<br />

keinen Zweck und ließ sich auf ihr Bett nieder. Im selben Moment allerdings fuhr sie wieder<br />

hoch, denn die nächste Lautsprecheransage klang durch den Kerker. „4 und 6.“ Das waren sie<br />

und House. Bones stand langsam auf und trat an die Tür. Sie hörte die Schritte der Bewacher<br />

näher kommen und das vertraute Schnappen der Karabinerhaken ineinander. Ein paar Zellen<br />

weiter schlossen sich auch die Karabiner des Diagnostikers. <strong>Die</strong> Türen sprangen auf und die<br />

beiden Gefangenen wurden an den Oberarmen gepackt und aus dem Zellentrakt geführt. Aus<br />

Rücksicht auf das kranke Bein des Arztes gingen die Bewacher etwas langsamer. Mit dem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fahrstuhl ging es nach unten, vier Etagen tief. Bones fror plötzlich. In diesem Geschoss war<br />

auch der Tank mit den Piranhas. Er war den Gang herunter links hinter einer der Türen unter-<br />

gebracht gewesen. Heute wurden sie und House jedoch nach rechts geführt. Eine Tür öffnete<br />

sich und die Beiden mussten eintreten. Ein hell erleuchteter Raum. Zwei einfache Holztische,<br />

zwei Laptops, zwei Stühle. Und zwei Glaszylinder, in denen hilflos gefesselt Booth und<br />

Cameron standen und zu ihnen herüber blickten.<br />

Bones und House rissen die Augen auf, als sie die Beiden dort stehen sahen. Sie ver-<br />

kniffen sich jedoch sicherheitshalber jede Bemerkung. <strong>Die</strong> Beiden wurden zu den Tischen<br />

gebracht, Bones zu dem vor Booth‟ Zylinder, House zu Allison. Man wies sie an, sich zu<br />

setzen. Eine kurze, präzise Durchsage erklang. „Klappt die Laptops auf. Ihr werdet sechs<br />

Fragen vorfinden. Zur Beantwortung habt ihr fünfzehn Minuten Zeit. Ihr gebt die Antworten<br />

in den Laptop ein. Während dieser fünfzehn Minuten wird beständig Wasser in die Tanks<br />

fließen. Sobald alle Fragen richtig beantwortet sind, wird das Wasser abgelassen. Wenn ihr<br />

Fehler macht, oder nicht rechtzeitig fertig werdet, sind 1 oder 10 tot. Solltet ihr euch Tipps<br />

geben, sind sie ebenfalls tot, egal, wie der Test ausgeht.“ Alle hatten die Worte schockiert<br />

gehört. Man gab ihnen einen Moment Zeit, dann gab es ein lautes Tröten und eine Uhr<br />

leuchtete auf, die fünfzehn Minuten anzeigte und nun rückwärts lief. Hektisch klappten Bones<br />

und House die Laptops auf und eine Gänsehaut lief ihnen über den Rücken, als sie die Fragen<br />

sahen. In den Tanks waren Cameron und Booth zusammen gezuckt, als durch die Löcher im<br />

Boden Wasser in die Zylinder strömte. Allison sah durch das dicke Glas zu ihrem Chef und<br />

sie hatte plötzlich unbegrenztes Vertrauen zu ihm. Er würde das schaffen, was immer es auch<br />

für Fragen sein mochten. Booth sah es eigentlich ähnlich. Bones war es gewohnt, unter Druck<br />

zu arbeiten. Er war sicher, dass es sie nicht beeinträchtigen würde, dass er in diesem Tank<br />

stecke. Sie hatte nicht die Gefühle für ihn, die er bei sich entdeckt hatte. Obwohl sie während<br />

seines Schlafentzuges ... Seeley erlaubte sich nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken, zu<br />

viel Hoffnung stecke darin.<br />

Bones las sich die Fragen durch:<br />

1) Fünf Schachteln mit Dosen, jeweils zwölf<br />

rote, orange, gelbe, grüne und blaue und eine<br />

Waage sind vorhanden. Jede Dose wiegt 100g bis<br />

auf die Dosen aus einer der Schachteln, die 110g<br />

wiegen. Wie oft und in welcher Reihenfolge muss<br />

gewogen werden, um die Farbe der übergewichtigen<br />

Dosen heraus zu finden?<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

2) Am Montagmorgen wird ein Wagen in die<br />

Werkstatt gebracht. Dem Kunden wird gesagt, er<br />

wäre zwei Tage nach dem Tag vor dem Tag nach<br />

morgen fertig. Wann ist der Wagen fertig?<br />

3) Zur Qualifizierung muss ein Rennfahrer in<br />

zwei Trainingsrunden im Schnitt insgesamt 60 km/h<br />

fahren. Eine Runde ist 1 km lang. Im ersten Durchgang<br />

schafft er durchschnittlich nur 30 km/h. Wie<br />

schnell muss er in der zweiten Runde fahren?<br />

4) Sechs Kreise sind so angeordnet, dass<br />

drei in der oberen Reihe, zwei in der mittleren<br />

Reihe und ein Kreis in der unteren Reihe ist. <strong>Die</strong><br />

Zahlen von eins bis sechs sollen so auf die Kreise<br />

verteilt werden, dass die Zahl in einem Kreis genau<br />

identisch ist mit der Differenz der Zahlen in den<br />

beiden oberhalb liegenden Kreisen. Wie müssen die<br />

Zahlen platziert werden?<br />

5) Als das Gebälk der Goldmine einzustürzen<br />

begann, verließen die fünf Bergarbeiter fluchtartig<br />

den Schacht. Jack schaffte es nicht als erster. Cliff<br />

war weder der erste noch der letzte. John verließ<br />

die Mine direkt nach Jack. Bruce war nicht als<br />

zweiter im Freien. Charlie war nach Bruce der<br />

übernächste, der sich in Sicherheit bringen konnte.<br />

In welcher Reihenfolge haben die Männer das<br />

Bergwerk verlassen?<br />

6) Fünf Personen sollen auf fünf in einer<br />

Reihe stehende Stühle verteilt werden. Peter soll<br />

nicht direkt neben Derek und Gabe nicht direkt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neben Heath oder Derek sitzen. Derek sitzt, genau<br />

wie Gabe, nicht neben Paula und Heath soll nicht<br />

rechts von Paula Platz nehmen. Wer sitzt neben<br />

wem?<br />

Sie konnte die erste Frage sofort beantworten. Donnerstag. Dann überlegte sie. Bei<br />

Frage 1 kam sie kurz ins Schleudern. Dann aber war sie sich sicher. Einmal wiegen. <strong>Die</strong><br />

Frage mit den Rennfahrern machte ihr keine Schwierigkeiten. Sie war sich schnell sicher,<br />

dass die Antwort Keine Chance auf Qualifizierung lauten musste. Sie hob kurz den<br />

Kopf und stellte fest, dass das Wasser in den Tanks den beiden Gefesselten bis zur Taille<br />

reichte. Beide standen noch ruhig da und sahen vertrauensvoll zu Bones und House herüber.<br />

Bones konzentrierte sich auf die nächste Frage. Sechs Kreise, sie hätte gerne einen Zettel und<br />

einen Stift gehabt. Gab es nicht, war nicht zu ändern. Sechs Minuten noch und das Wasser<br />

war auf Brusthöhe. <strong>Die</strong> Bergarbeiter. Sie las die Frage erneut durch, dann gab sie die Reihen-<br />

folge in den Laptop ein. Bruce, Cliff, Charly, Jack, John. Fünf Personen, fünf<br />

Stühle. Ähnlich zu lösen wie die Bergarbeiter. Sie tippte erneut. Gabe, Peter, Paula,<br />

Heath, Derek. <strong>Die</strong> Kreise. Kurz atmete Bones tief durch, konzentrierte sie sich noch ein-<br />

mal. Vier Minuten. Und dann hatte sie die Lösung und atmete erleichtert auf. Booth war außer<br />

Gefahr. Reihe eins , , , Reihe zwei , , Reihe drei Sie war erstaunlich erleichtert<br />

und sah zu Seeley hinüber, um den Daumen nach oben zu halten. Wartend schaute sie auf den<br />

Monitor und dort erschien: Alles richtig. auf dem Bildschirm. Sie klappte zum Zeichen,<br />

fertig zu sein, den Laptop zu und lehnte sich entspannt zurück.<br />

Booth hatte Bones nicht aus den Augen gelassen. Sie schien keine Probleme zu haben.<br />

Zwar stieg das Wasser unaufhaltsam höher, aber er machte sich trotzdem keine Sorgen.<br />

Natürlich würde es eng werden, so kinderleicht würden die Fragen wohl nicht sein. Er sah zu<br />

Allison rüber, die ebenfalls ziemlich entspannt da stand. Dass ihr Kittel bei zunehmendem<br />

Wasserstand langsam in die Höhe getrieben wurde, machte der jungen Frau mehr zu schaffen<br />

als die Lage im Allgemeinen. Booth hatte schon am ersten Tag ihrer Gefangenschaft lange<br />

nackt in der Mitte des Zellentraktes gefesselt da gestanden, ihn scherte es nicht mehr, dass<br />

auch seine unzulängliche Bekleidung im Wasser trieb und er daher unbedeckt da stand. Als<br />

das Wasser ihm über die Brust schwappte, sah er, dass Bones erleichtert aufatmete. Sie starrte<br />

noch einmal konzentriert auf den Bildschirm, dann klappte sie mit einem siegessicheren<br />

Grinsen das Notebook zu. Sie sah zu ihm hinüber und hob den Daumen. Es dauerte einen<br />

Moment, dann verging ihr das Grinsen. Und nicht nur ihr. Auch Booth hatte plötzlich ein un-<br />

gutes Gefühl. „Was soll das?“, stieß Bones hervor. House sah auf. Und erschrak ebenfalls.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Bei Allison stieg das Wasser nicht mehr, lief sogar langsam ab, dafür stieg es aber bei Booth<br />

weiter.<br />

Tempe starrte gebannt auf den Freund. Dann klappte sie den Laptop wieder auf.<br />

Alles richtig. An der Meldung hatte sich nichts geändert. Wie zum Hohn standen die<br />

Worte auf dem kleinen Bildschirm. Sie hatten sie verarscht. Sie hatte für Allison geantwortet,<br />

nicht für Booth. House war es, der um Booth‟ Leben rätselte. Ihr Herz raste plötzlich bis zum<br />

Halse. „Wie weit bist du?“, fuhr sie House an. „Noch zwei.“, keuchte der erschrocken und<br />

widmete sich hektisch wieder dem Laptop. Zwei Minuten noch. Bones wurde übel. House<br />

tippte etwas ein und las die letzte Frage erneut durch. <strong>Die</strong> Kreise. Er hatte erhebliche<br />

Schwierigkeiten mit Zahlen. „Scheiße, verfluchte.“ Tempe wurde immer unruhiger. Sie war<br />

an den Glaszylinder heran getreten und legte die Hände auf das kühle Glas. Booth stand das<br />

Wasser knapp unter dem Kinn. Langsam sah sie in seinen braunen Augen, die manchmal so<br />

spöttisch funkelten, Angst aufleuchten. Zu oft hatte sie diesen Ausdruck hier in der Gefangen-<br />

schaft schon bei ihm gesehen. House schimpfte hinter ihr lebhaft vor sich hin. „Maul hier<br />

nicht rum, rechne.“, stieß Bones angstvoll hervor. „Wird das heute noch was?“, rief Booth<br />

nervös. Er bemerkte, dass Bones langsam aber sicher in Panik geriet. Konnte es denn wirklich<br />

sein, dass sie doch etwas für ihn empfand? Schon während des Schlafentzuges hatte er die<br />

Hoffnung gehabt, aus ihren Reaktionen während der Tortur. Es schien fast so. Das Wissen<br />

würde ihm nur nichts mehr nützen, wenn House nicht gleich in die Gänge kam. Allison stand<br />

mittlerweile patschnass, aber wasserlos, in ihrem Zylinder und sah erschrocken von Booth zu<br />

Bones und weiter, zu ihrem Chef. „Oh, Gott. House. Mach schon.“ Booth musste sich<br />

strecken, um den Mund noch über Wasser zu halten. <strong>Die</strong> Angst wurde allmählich zur Panik.<br />

Jetzt schwappte das Wasser über seinen Mund hinweg und er konnte nur noch durch die Nase<br />

atmen. Seine Augen hingen bettelnd an Bones. Der liefen, ohne dass sie es überhaupt merkte,<br />

Tränen über das leichenblasse Gesicht. „Booth ...“, wimmerte sie entsetzt. House keuchte<br />

hinter ihr vollkommen panisch: „Scheiße, ich ... ich komm nicht ...“ „Tu was.“, schrie Tempe<br />

in heller Panik. House stammelte: „Ich weiß doch nicht ...“<br />

Jetzt hatte das Wasser Booth Nase erreicht. Keine Chance mehr für ihn, sich weiter zu<br />

strecken. Todesangst packte den jungen FBI Agent. Er hielt verzweifelt die Luft an und zerrte<br />

panisch und hilflos an den Fesseln. Tempe schrie hoffnungslos auf. „NEIN! BOOTH!“ Sie<br />

trommelte hysterisch gegen das Glas. Booth zuckte verzweifelt in seinen Fesseln. Der Sauer-<br />

stoffmangel wurde immer qualvoller. House hinter ihnen keuchte entsetzt. Allison schluchzte.<br />

Und dann war es soweit. Booth konnte nicht mehr. Er riss den Mund auf und machte den<br />

einen verzweifelten Atemzug, der nun keine Luft mehr, sondern Wasser in seine Lungen<br />

brachte. Und während sein Blick langsam trübe wurde und er wegdriftete in die Besinnungs-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

losigkeit schrie House auf. „Ich hab‟s.“ Mit heftig zitternden Händen tippte er Zahlen ein.<br />

Und auf seinem Monitor leuchtet: Alles richtig. auf. Im selben Moment erschallte die<br />

Tröte, die das Ende der Zeit ankündigte. Schlagartig sank der Wasserstand in Booth Zylinder.<br />

Bones stand da, wimmerte und schluchzte zum Steinerweichen und zitterte am ganzen Leib.<br />

House war aufgesprungen und stand neben ihr. „Beeilt euch doch.“, schrie er hektisch. Allies<br />

Tür ging auf und House schnauzte Bones an: „Mach sie los, schnell, ich brauche sie.“ Bones<br />

reagierte wie ein Roboter und eilte zu Allison hinüber. Sekunden später standen beide Frauen<br />

bei House, der den besinnungslosen Booth hielt. Tempe öffnete die Karabinerhaken, während<br />

Allison die Fußschellen löste. Zusammen zerrten sie Seeley aus dem Zylinder und legten ihn<br />

auf den Boden. Cameron legte seinen Kopf in den Nacken und begann, ihn zu beatmen.<br />

House wartet zwei Luftstöße ab, dann fing er mit Herzdruckmassage an. ... 13, 14, 15. Jetzt<br />

beugte Allison sich wieder herunter und tat erneut zwei Luftstöße. Bones saß hilflos<br />

schluchzend dabei und hielt Booth die Hand. House massierte verbissen weiter. „Mach schon,<br />

Kumpel, ich will dich nicht erst gerettet haben, um dich jetzt auf dem Gewissen haben.“ ... 13,<br />

14, 15. Erneut beatmete Allison Booth und plötzlich hustete dieser heftig auf.<br />

Hustend und keuchend Wasser spuckend fuhr der junge Mann hoch und House sank<br />

erleichtert zurück. Allie half ihrem Chef auf die Beine und setzte ihn auf einen der Stühle.<br />

Bones hing schluchzend an Booth Hals. Sie war vollkommen außer sich. Nie zuvor in ihrem<br />

Leben hatte sie so eine Angst gehabt, nicht einmal vor ein paar Tagen während des Schlafent-<br />

zuges, als Booth den verheerenden Asthmaanfall bekommen hatte, selbst damals, als der so-<br />

genannte Totengräber sie und Hodgins lebendig begraben hatte. Sie bedeckte sein Gesicht mit<br />

Küssen und wimmerte aufgelöst: „Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich hatte solche Angst.“<br />

Bevor sie noch dazu kam, weiter zu reden, wurde die Tür hinter ihnen geöffnet und Wach-<br />

leute kamen in den Raum. Sie fesselten House und Cameron die Hände, zogen Booth, der<br />

vollkommen fertig war, auf die Beine, und ließen Bones ungefesselt neben ihm bleiben. Drei<br />

Minuten später waren sie im Zellentrakt und House und Allison wurden in ihre Zellen<br />

zurückgeführt. Bones wurde zusammen mit Seeley zur Tür zum Belohnungsraum gebracht.<br />

House rief ihr nach: „Halt ihn warm und beobachte ihn eine Weile.“ Bones hörte die Worte<br />

und nickte. Vor ihnen öffnete sich die Tür zum Belohnungsraum und Tempe schaffte Booth<br />

hinein. <strong>Die</strong> Tür schloss sich hinter ihnen und sie waren alleine. Bones führte Booth ins<br />

Schlafzimmer und dann ließ sie ihn sich auf das Bett setzen. „Ich hole Handtücher.“ Sie<br />

hastete durch die nächste Tür und stand im Bad. Hektisch griff sie sich zwei Handtücher und<br />

kehrte damit zu Seeley zurück. <strong>Die</strong>ser hockte da und zitterte am ganzen Körper. Tempe<br />

öffnete mühsam den Kittel und streifte Booth diesen ab. Achtlos ließ sie das nasse Kleidungs-<br />

stück fallen. Dann begann sie, Booth gründlich trocken zu Rubbeln.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als er schließlich trocken war, drückte Bones ihn sanft in die Waagerechte und deckte<br />

ihn zu. Sie schaute ihn an und erneut traten Tränen in ihre Augen, die sie krampfhaft ver-<br />

suchte, zu verbergen. „Hey, geht‟s wieder? Du solltest wissen, dass man unter Wasser nicht<br />

atmet.“ Booth verzog das Gesicht. „Was du nicht sagst. Werd ich mir merken, für den Fall,<br />

dass noch einmal jemand versucht, <strong>mich</strong> zu ersäufen.“ Er konnte ein leichtes Zittern nicht<br />

unterdrücken. Bones hob die Hand. Kurz zögerte sie, dann streichelte sie zärtlich über seine<br />

Haare. Er sah sie an und griff nach ihrer Hand. „Geht es bei dir wieder?“, fragte er sanft. Sie<br />

sah ihn an und senkte verlegen den Blick. „Ich war wohl etwas neben der Spur. Ich wollte<br />

hier nicht alleine verschimmeln.“ Booth grinste. Es fiel ihm schwer, nichts zu sagen. Auch,<br />

wenn ihn die Todesangst umfangen gehalten hatte, er hatte doch sehr wohl Bones Entsetzen<br />

mit bekommen und freute sich darüber. Schon während des Schlafentzuges hatte er die<br />

starken Emotionen bei Bones beobachtet. Er wagte nicht zu hoffen, dass ... „Komm schon, du<br />

würdest <strong>mich</strong> vermissen, gib es doch zu.“ Bones sah ihn an. „Ja, du bist mein Partner, ein sehr<br />

guter Ermittler und ich ...“ Milde lächelnd schüttelte Booth den Kopf. Bones verstummt ver-<br />

legen, als sie das Lächeln sah. Dann aber wurde sein Blick dunkel und Grauen flackerte in<br />

seinen braunen Augen auf. „<strong>Die</strong> hätten <strong>mich</strong> Absaufen lassen. Ich dachte wirklich, du würdest<br />

... Dass es House war, der mir helfen sollte, hätte ich nie gedacht. <strong>Die</strong> Schweine nehmen<br />

keine Rücksicht, Bones. Vielleicht brauchen die einige von uns für irgendwas, aber ebenso<br />

sind andere für die vollkommen entbehrlich. Eine Minute mehr und ich wäre tot.“ Bones<br />

schüttelte sich bei seinen Worten. Und dann brach es unerwartet heftig aus ihr heraus. „Ich<br />

hatte solche Angst. Ich habe niemals zuvor so eine Angst gespürt. Ich weiß nicht, was ich<br />

gemacht hätte, wenn du dort eben gestorben wärest ...“ Und plötzlich lag sie in seinen Armen<br />

und seine Lippen verschlossen ihr den Mund.<br />

Als er sie wieder los ließ, schaute Bones ihm verwirrt ins Gesicht. „Nachdem ich die<br />

irrationale Affinität dir gegenüber gründlich analysiert habe, bleibt als einzig logische<br />

Schlussfolgerung, dass ich dich liebe. Ja. Ich liebe dich.“, stellte sie sachlich - analytisch fest.<br />

„Das ist es, was ich die ganze Zeit empfunden habe und mir nicht erklären konnte: Ich liebe<br />

dich.“ „Ein bisschen gefühlvoller hätte es gerne kommen dürfen, aber ich kann sehr gut auch<br />

ohne Wunder leben.“, grinste Booth und zog sie erneut zu einem innigen Kuss an sich. Tempe<br />

schlang ihre Arme um seinen Nacken und ließ sich willenlos von ihm in das Bett ziehen. Eine<br />

Minute später lagen die Beiden eng umschlungen unter der Bettdecke und küssten sich voller<br />

Leidenschaft. Noch einmal stellte Bones erstaunt fest: „Ich verstehe es zwar nicht aber ich<br />

liebe dich wirklich.“ Booth gab ihr einen weiteren, zärtlichen Kuss. „Das Gleiche habe ich<br />

nach deinem Ausflug zum Amazonas auch schon bei mir selbst festgestellt. Ich hatte nur<br />

keine Hoffnung, dass ich es je aus deinem Mund hören würde. Ich liebe dich auch.“ Seine<br />

Hände fummelten an dem Bändchen herum, das ihren Kittel im Nacken zusammen hielt.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Dann hatte er es geschafft und sie konnte das alberne Teil abstreifen. Seine Hände glitten<br />

streichelnd und Neuland erforschend über ihren bebenden, warmen Körper. Sie war so weich.<br />

Ihre Haare dufteten, obwohl es schon wieder eine Weile her war, dass sie geduscht hatten.<br />

Bones gab sich den streichelnden, zärtlichen Händen ganz hin. Als Booth sich schließlich<br />

langsam auf sie schob, empfing sie ihn mit einem glücklichen Seufzen.<br />

Funeral Pile<br />

Lieber stehend sterben als kniend leben.<br />

Dolores Ibarruri<br />

In den folgenden Stunden vergaßen Booth und Bones komplett, wo sie waren, warum<br />

sie waren, die Gefahr, in der sie und alle anderen ständig schwebten. Sie genossen die neu<br />

erworbene Erkenntnis, zusammen zu gehören, einander zu Lieben. Gleichzeitig mit der<br />

Freude darüber, endlich eine klaffende Lücke in ihrem Leben geschlossen zu haben, kam aber<br />

auch die erschreckende Einsicht, dass sie nun noch viel angreifbarer waren, viel verletzlicher.<br />

Denn sowohl Booth als auch Tempe war natürlich klar, dass ihre Entführer sie nicht nur be-<br />

obachteten, sondern auch beständig akustisch überwachten und somit den Stand der Dinge<br />

zwischen ihnen mit bekommen hatten. Ihnen war klar, dass sie erpressbarer denn je waren<br />

und einer für den anderen alles tun würde. Doch für diesen kurzen, glückseligen Moment, als<br />

sie nach Booth‟ beinahe Tod im Belohnungsraum eng aneinander geschmiegt im Bett lagen,<br />

war ihnen alles andere egal. Sie unterhielten sich nicht viel, sie waren einander einfach genug.<br />

Irgendwann bestellten sie sich etwas zu essen, ohne wirklich mit zu bekommen, was es war.<br />

Dann lagen sie wieder im Bett, wünschten nichts mehr, als dass sie hier liegen bleiben<br />

konnten, für den Rest der Zeit. Es war für beide so unglaublich tröstlich und beruhigend, sich<br />

im Arm zu halten, sich gegenseitig Halt und Schutz zu geben, dass das unvermeidliche Ende<br />

viel zu schnell in Form einer Wache kam, die die Beiden harsch aufforderte, sich bereit zu<br />

machen, in die Zellen zurück zu kehren. Der Mann blieb lässig an der Schlafzimmertür<br />

stehen, was Bones die Schamröte und Booth die Wutröte in die Wangen trieb. Zähne-<br />

knirschen standen sie auf, zogen sich die Kittel über und drehten dann der Wache die Rücken<br />

zu. An der Zellentür von Tempe beugte Booth sich noch einmal zu ihr und gab ihr einen<br />

Kuss. „Ich liebe dich.“<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong> begrüßten Booth und Bones erfreut, erleichtert, dass es Booth offensicht-<br />

lich deutlich besser ging und nicht sonderlich erstaunt über die plötzlich, vertraute Nähe, die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die Beiden zeigten. Mulder grinste. Vermutlich hatten im Umfeld der beiden Ermittler ohne-<br />

hin schon alle mit bekommen, dass es gewaltig funkte zwischen ihnen. Und wäre Tempe nicht<br />

so unglaublich unsensibel gewesen, hätte sie es ebenfalls schon lange gemerkt, dass Booth<br />

sehr viel für sie empfand. Viel Gelegenheit, sich noch zu unterhalten, bekamen sie nicht mehr<br />

an diesem Tag. Das Licht ging aus und es hatte Ruhe zu herrschen.<br />

Der folgende Morgen begann mit dem üblichen Getröte und der Lieferung eines Früh-<br />

stückes. Kaum waren alle halbwegs satt, ertönte die Lautsprecheransage: „Nummer 7 und<br />

15.“ Mulder und Scully standen auf und traten beunruhigt an die Gittertüren. Minuten später<br />

waren sie bereits auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel. Dass kurz nach ihnen auch Locke<br />

abgeholt wurde, ließ besonders Abby und Bones erschaudern. Mulder und Dana wurden zwei<br />

Etagen nach oben verfrachtet. Dort wurden sie in einen ziemlich großen Raum geführt. Dana<br />

wurde ohne viel Federlesen an die Wand rechts der Tür an einem offensichtlich dafür vor-<br />

gesehenen Haken fixiert. Mulder wurde weiter geführt zu einer Metallsäule, die auf einer<br />

scheinbar beweglichen kleinen Plattform an der gegenüberliegenden Wand des Raumes<br />

montiert war. <strong>Die</strong> Säule stand frei im Zimmer, vielleicht anderthalb Meter von der Wand ent-<br />

fernt und hatte einen Durchmesser von mindestens sechzig Zentimeter. An diese Säule wurde<br />

Mulder fixiert, die Arme wurden um die Säule herum gebogen und an Haken, die in das<br />

Metall eingearbeitet waren, hinter der Säule befestigt. Er war bemüht, die Angst, die schon<br />

die stramme Fesselung in ihm auslöste, zurück zu drängen. Er hasste es, bewegungsunfähig<br />

gefesselt zu sein. Dana beobachtete die Vorbereitungen mit gemischten Gefühlen. Als eine<br />

weitere Wache in den Raum kam und einen kleinen Eimer und einen breiten Pinsel dabei<br />

hatte, weiteten sich ihre Augen vor Verwirrung. Der Wachmann ging zu Mulder hinüber und<br />

öffnete den kleinen Eimer. Ohne zu Zögern tauchte der Mann den Pinsel in den Eimer und<br />

Mulder stieg unmittelbar Benzingeruch in die Nase. Entsetzt musste er hinnehmen, dass sein<br />

Kittel mit dem Benzin getränkt wurde. Mulder wurde schlecht. Was sollte das werden? Als<br />

der Posten zufrieden war, schloss er den Deckel des Eimers und verließ den Raum. Mulder<br />

sah zu Dana hinüber und biss sich auf die Lippen. Sein Herz raste. Benzin. Was hatten die nur<br />

vor?<br />

Bevor er sich jedoch mit Dana darüber unterhalten konnte, was das hier werden sollte,<br />

fuhr um ihn herum plötzlich eine sehr dick aussehende Glaswand hoch, die sich fugenlos an<br />

die Wand ihm gegenüber anpasste, sodass Mulder plötzlich in einer Art Glaskäfig stand. <strong>Die</strong><br />

Glasbarriere wuchs, bis sie die Decke erreichte. Nun trat der Wachposten, der Mulder ge-<br />

fesselt hatte, zu Dana und machte diese von der Wand los. Sie eilte an die Glaswand und<br />

starrte angstvoll zu Mulder hinein. Und in diesem Moment ertönte die Lautsprecherstimme.<br />

„Nummer 12, vor dir hast du eine Anordnung von neun Schaltern. Sieben dieser Schalter<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

werden bei Betätigung einen Feuerstrahl auf Nummer 15 abschießen, etwa so.“ Mulder<br />

keuchte entsetzt auf, als in einer Entfernung von vielleicht 3 Metern eine kräftige Flammen-<br />

zunge aus einer Düse aus der Wand ihm gegenüber geschossen kam und zischend an die<br />

Glaswand prallte. Sekundenlang, lange genug, um einen schwarzen Fleck auf dem Glas zu<br />

hinterlassen. Mulder sah jetzt erst, dass in Abständen von fünfzig Zentimetern sieben dieser<br />

Düsen ihm gegenüber an der Wand angebracht waren, alle in Höhe seiner Körpermitte. „Alle<br />

Minute wird eine Düse abgeschossen, jeweils fünfzig Zentimeter dichter an Nummer 15<br />

heran. Einer der Schalter beschleunigt diese Vorwärtsbewegung und einer rettet Nummer 15<br />

das Leben, in dem er diesen nach rechts aus dem Gefahrenbereich fährt. Wir werden Nummer<br />

15 jetzt in die Startposition bringen, dann wird alle Minute eine Flammenzunge auf ihn ab-<br />

gefeuert. Sieben Minuten, wenn du bis dahin nicht den richtigen Schalter hast, ist Nummer 15<br />

Grillfleisch. Nummer 15, hoffe für dein Leben, dass die Fähigkeiten von Nummer 12, die du<br />

ihm so vorbehaltlos abgekauft hast, wirklich vorhanden sind, sonst bist du in sieben Minuten<br />

tot.“<br />

Mulder glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Von einer Sekunde zur anderen zitterte<br />

er am ganzen Körper. In seinem Kopf war kein Platz mehr für irgendetwas anderes als dem<br />

Wort Verbrennen. Sein Herz raste und er bekam kaum Luft vor Panik. Dana sah, dass er<br />

innerhalb weniger Augenblicke fast hyperventilierte. Mulder konnte nicht sehen, dass hinter<br />

der Wand mit den Düsen ein kleiner Raum sichtbar geworden war, durch eine Glasscheibe<br />

von ihrem Raum getrennt, hinter der Dana John Locke erkannte, der sich mit einem leicht<br />

panischen Gesichtsausdruck über einen Schaltpult vor sich beugte. Dana selbst warf diesem<br />

nur einen ganz kurzen Blick zu, dann wandte sie sich wieder Mulder zu. „Schatz, bitte, ver-<br />

such, ganz ruhig zu atmen.“, rief sie besorgt. „Locke wird das schon schaffen. Bitte, Mulder,<br />

du musst unbedingt ruhig bleiben.“ Locke hatte die Durchsage besorgt gehört. Sieben<br />

Minuten, das war weniger, als er je gebraucht hatte. John fühlte, wie eine Welle der Panik in<br />

ihm hoch schoss. Er wusste, dass Mulder panisches Entsetzen vor Feuer empfand. Wenn er<br />

ihn nicht schnellstens da raus holte, wäre kein Feuer mehr nötig, um diesen bemerkenswerten<br />

Mann, der Lockes Fähigkeiten nicht als Hirngespinst abgetan hatte, zu töten. - <strong>Die</strong>smal muss<br />

ich schneller sein. - dachte John verzweifelt, fühlte aber sofort, dass er unter diesem Druck<br />

nicht in die Verfassung kommen konnte, zu sehen ...<br />

Man ließ ihnen zwei Minuten, das Gehörte zu begreifen. Dann ertönte erneut die Laut-<br />

sprecherstimme. „Nummer 7, du hast jetzt die einmalige Möglichkeit, den Raum zu verlassen.<br />

Bleibst du, wirst du im schlimmsten Fall bis zum bitteren Ende dabei sein.“ Mulder schrie<br />

sofort entsetzt los: „RAUS! Verschwinde, Scully. HAU AB!“ Genau so überzeugt rief Scully<br />

zurück: „Auf keinem Fall. Ich bleibe.“ Sie zuckte erschrocken zusammen, als Mulder<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

krampfhaft hustet. Er atmete so verkehrt wie es nur möglich war: flach, zu schnell, hechelnd.<br />

„Bitte, Mulder, atme ruhiger. Ich bleibe hier, du kannst sagen, was du willst.“ Plötzlich gab es<br />

ein schrilles Pfeifen und an der Wand Mulder gegenüber erschien eine Stoppuhr, die von 7.00<br />

rückwärts zählte. „Oh Gott, nein.“, wimmerte Mulder panisch und begann verzweifelt, an den<br />

Fesseln zu zerren. <strong>Die</strong> erste Flammenzunge ganz recht schoss ihren tödlichen Strahl ab. Dana<br />

musste sich beherrschen, um nicht vor Schreck aufzuschreien. Mulder versuchte noch einmal,<br />

die geliebte Frau zum Gehen zu bewegen. „Dana, bitte, verschwinde von hier. Ich ertrage es<br />

nicht, wenn du das mit ansehen musst. HAU ENDLICH AB, VERDAMMT!“ Er schluchzte<br />

hoffnungslos auf. Alles hätte er klaglos ertragen, erschießen, erstechen, vergiften, was immer<br />

diesen Schweinehunden eingefallen wäre, aber Feuer ... Mulder glaubte, vor Angst den Ver-<br />

stand zu verlieren. 6.00 Der nächste Feuerstrahl, 2,50 m entfernt.<br />

Locke versuchte, ruhig und tief zu atmen. Er hätte Mulder so gerne durch seinen Blick<br />

Mut gemacht, aber er konnte den Agent nicht sehen. Auch Dana warf nur einen flüchtigen<br />

Blick zu John hinüber. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Mulder. John wandte sich ab, setzte<br />

sich so bequem wie möglich auf den Boden und schloss die Augen. Er wusste, dass er es<br />

konnte, er musste nur zur Ruhe kommen und warten, bis er sicher war. Dana versuchte der-<br />

weil, Mulder Mut zu machen. „Bitte, Mulder, hör mir zu. Locke schafft das, vertraue ihm, du<br />

warst so von seinen Fähigkeiten überzeugt. Nun sei bitte stark in deinem Glauben an ihn.“<br />

Mulder reagierte gar nicht auf ihre Stimme. Er starrte wie hypnotisiert auf die Düsen an der<br />

Wand ihm gegenüber und Tränen liefen ihm über das leichenblasse Gesicht. Vier Minuten.<br />

Der nächste Feuerstrahl, 1,50 m entfernt. Mulder bildete sich ein, schon die Wärme zu spüren.<br />

Dana hatte fast mehr Angst, dass ihn vor Angst der Schlag traf als davor, dass John es nicht<br />

rechtzeitig schaffen könnte. Sie versuchte verzweifelt, Mulders Aufmerksamkeit zu be-<br />

kommen. „Mulder. Mulder. Schau <strong>mich</strong> an. Hörst du, schau <strong>mich</strong> an!“ Er reagierte gar nicht.<br />

Er wirkte auf Dana, als wäre er in Katatonie verfallen. „Gott, Mulder!“ schrie sie verzweifelt<br />

und schlug heftig gegen das trennende Glas. Immer noch reagierte er nicht. Seine Augen<br />

hingen gebannt an den Düsen an der Wand. 3.30. Was machte Locke nur so lange, fragte<br />

Dana sich verzweifelt. Der versuchte ebenso verzweifelt, sich zu konzentrieren. In seinem<br />

Kopf bildete sich eine Zahl. 9. Oder war es die 6? Wie immer, wenn er seine Fähigkeiten<br />

aktivierte, verlor Locke jedes Zeitgefühl. Er hatte keine Ahnung, ob er sich noch einen Fehler<br />

leisten konnte und versuchte, das Bild klarer zu bekommen.<br />

Drei Minuten und der nächste Flammenschuss, nur noch 1 Meter von Mulder entfernt.<br />

In panischem Entsetzen schrie der FBI Agent jetzt auf und begann erneut, angsterfüllt an den<br />

Fesseln zu zerren, die ihn an der Säule hielten. Noch zwei, dann kam der tödliche Schuss. Er<br />

würde verbrennen. Er würde für vielleicht drei bis vier Minuten unter qualvollsten Schmerzen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

darüber nachdenken können, dass es keine übernatürlichen Fähigkeiten gab, bevor sein Herz<br />

endlich aufhören würde zu schlagen. Er würde verbrennen. Großer Gott. Verbrennen. Immer<br />

panischer zerrte er an den Fesseln, merkte gar nicht, dass er sich die Haut der Handgelenke<br />

auf scheuerte und spürte auch nicht das warme Blut, dass ihm an den Handgelenken hinunter<br />

lief. <strong>Die</strong> Uhr. 2.37. Noch 2 Minuten und 37 Sekunden, dann würde er in Flammen stehen.<br />

Plötzlich schoss die nächste Flammenzunge aus der Wand. Das war zu früh, viel zu früh. Jetzt<br />

schrie auch Dana vor Entsetzen. Sie fuchtelte verzweifelt mit den Armen Richtung Locke und<br />

dieser sah auf. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. <strong>Die</strong> 9 war verkehrt gewesen. Mulder<br />

war nur noch in heller Panik. Wie durch einen dichten Nebel hörte er Danas Schrei, konnte<br />

aber nicht verstehen, was sie rief. Sein ganzer Körper war schweißnass und er atmete<br />

keuchend, bekam keine Luft mehr. 2.00 und der nächste Feuerstrahl. Locke musste den<br />

falschen Schalter bedient haben. Dana wurde ebenfalls panisch. Der nächste Strahl würde<br />

Mulder entzünden. Das Benzin auf seinem Kittel würde der perfekte Brandbeschleuniger sein.<br />

Mulder schrie. Dana schluchzte vollkommen aufgelöst. Mulder keuchte krampfhaft nach Luft.<br />

Gleich würde er die Besinnung verlieren, eine Gnade. Vor seinen Augen tanzten feurige<br />

Kreise, er bekam keine Luft mehr ... Dana schrie hysterisch.<br />

- Reiß dich zusammen, John. - sprach Locke sich selbst Mut zu. - Keine Zeit, dich neu<br />

auf eine Vision zu konzentrieren. Es muss die 6 sein. - Entschlossen betätigte Locke den ent-<br />

sprechenden Schalter. Und Dana schrie erneut, diesmal vor unendlicher Erleichterung. Mulder<br />

wurde plötzlich einen guten Meter nach links gefahren, aus dem Gefahrenbereich hinaus. Und<br />

im selben Moment schoss der letzte Flammenstrahl aus der Düse. Unmittelbar danach fing<br />

das Sicherheitsglas an, im Boden zu verschwinden. Dana schluchzte immer noch hysterisch,<br />

denn die Gefahr war für Mulder noch nicht vorbei. Der FBI Mann hing in den Fesseln und<br />

zuckte nur noch. Er bekam so gut wie keine Luft mehr, hatte hoffnungslos hyperventiliert.<br />

Endlich war das Glas ganz herunter gefahren und Dana stürzte zu Mulder hin. Sie bekam gar<br />

nicht mit, dass Locke neben ihr aufgetaucht war. <strong>Die</strong>ser griff zu und hielt Mulder aufrecht,<br />

während Dana die Fesseln löste. Verzweifelt schrie sie: „Wie brauchen eine Hyper-<br />

ventilationsmaske.“ Locke ließ Mulder sehr sanft zu Boden gleiten. Zuckend lag der Agent<br />

am Boden, fast besinnungslos. „Dana, bestimmt bringt gleich jemand, was du brauchst, das<br />

machen sie doch immer.“, versuchte Locke Dana Mut zu machen. Es durfte doch nicht um-<br />

sonst gewesen sein. Er hatte Mulder doch nicht gerettet, um ihn jetzt hier zu verlieren.<br />

Er packte zu und stützte Mulder ein wenig, damit Dana an die Schleife für den Kittel<br />

kam. „Mach ihm den Kittel auf, dass wir ihm das stinkende Ding ausziehen können, der<br />

Benzingestank wird ihm nicht helfen, ruhiger zu Atmen.“ Dana nickte unter Tränen und<br />

fummelte mit zitternden Fingern an dem Knoten in Mulders Kittel. Sekunden später hatte sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

es geschafft und gemeinsam zogen sie Mulder den nach Benzin stinkenden Kittel aus und<br />

schleuderten ihn einige Meter weg. Und in diesem Moment ging die Tür auf und zwei<br />

Wachen stürzten in den Raum. Sie eilten zu den drei Menschen hinüber und drückten Dana<br />

wortlos eine Hyperventilationsmaske in die Hand. Panisch drückte diese Mulder das Teil über<br />

Mund und Nase und flüsterte liebevoll: „Mulder, komm, atme, bitte, Mulder, atme.“ Mulder<br />

war zwar kaum noch bei Bewusstsein, zuckte aber heftig und versuchte schwach, sich gegen<br />

die Maske zu wehren. „Bitte Liebling, atme.“ Dana liefen die Tränen über die Wangen. „Hilf<br />

mir, ihn festzuhalten.“, bat sie John, der neben dem halb Bewusstlosen kniete. <strong>Die</strong>ser tat<br />

etwas Seltsames. Statt fester zuzupacken, lockerte er seinen Griff, legte eine Hand auf die<br />

schweißnasse Stirn Mulders und schloss die Augen. Immer noch versuchte Dana, die Maske<br />

auf Mulders Gesicht zu pressen, was nicht gelingen wollte, weil dessen Kopf panisch von<br />

einer Seite auf die andere zuckte. Offensichtlich nahm er sie nicht wahr. Gerade als sie den<br />

geheimnisvollen Mann verzweifelt anfahren wollte, was in aller Welt er da tat, spürte sie, wie<br />

der zuckende Körper Mulders sich entspannte und ruhiger wurde und endlich konnte sie dem<br />

geliebten Mann die Maske aufsetzen. <strong>Die</strong> keuchenden Atemzüge gingen in eine tiefe, gleich-<br />

mäßige Atmung über, die ungesunde Gesichtsfarbe verging zusehends. Dana streichelte<br />

Mulders Wange, flüsterte ihm ins Ohr, wie sehr sie ihn liebte. Als sie endlich daran dachte,<br />

Locke zu danken und ihn zu fragen, wie er das gemacht hatte, bemerkte sie, dass dieser nicht<br />

mehr da war ...<br />

Mulder lag, immer noch zitternd, aber doch deutlich ruhiger, am Boden. Einer der<br />

Wachen hielt einen frischen Kittel für ihn in der Hand und sagte zu Dana: „Wie schaffen euch<br />

in den Belohnungsraum, da kannst du dich um ihn kümmern.“ Dana hatte nicht einmal auf<br />

geschaut. Sie spürte einen Hass in sich, wie sie ihn niemals zuvor gespürt hatte, nicht einmal<br />

auf C.G.B. Spender, den Kettenraucher. Erst brachten diese elenden Bastarde Mulder fast um,<br />

dann taten sie so, als wären sie besorgt. Dana musste sich zusammen reißen, um nicht vor<br />

Hass loszutoben. Sie konzentrierte sich mit aller Macht auf Mulder und spürte zu ihrer unend-<br />

lichen Erleichterung, wie dieser immer ruhiger atmete. Er öffnete gerade die Augen und sah<br />

zu ihr hoch. Schwer schluckte er. Dana fragte zärtlich: „Kannst du schon aufstehen oder<br />

brauchst du noch einen Moment?“ „Hilf mir hoch und dann lass uns hier verschwinden.“,<br />

flüsterte Mulder erschöpft. Er musste von den zwei Wachposten auf die Beine gezogen<br />

werden, Dana half ihm in den frischen Kittel, und auf sie gestützt, ging es zurück zum Kerker.<br />

Da die anderen Gefangenen es schon gewohnt waren, dass immer wieder mal welche von<br />

ihnen in ziemlich schlechtem Zustand zurück gebracht wurden, erschraken sie kaum noch<br />

sonderlich, als Dana Mulder zur Belohnungsraumtür schaffte. Mitleidige Blicke folgten ihnen<br />

und Dana war erleichtert, als sie die Tür erreicht hatten. Ohne sich umzudrehen, führte sie<br />

Mulder ins Schlafzimmer.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Soviel hätte es zu sagen, zu fragen gegeben, aber in diesem Moment war Dana vor<br />

allem Ärztin und der geliebte Mann ihr Patient. Sie hatte sich schon immer dadurch aus-<br />

gezeichnet, ihre Gefühle zurückstellen zu können, wenn ihre Professionalität gefordert war.<br />

Also half sie Mulder, sich hinzulegen und prüfte, soweit es ihr ohne Instrumente möglich war,<br />

seine Vitalfunktionen. Als Mulder sich endlich im Bett ausstrecken konnte, überkam ihn noch<br />

einmal das große Zittern. Er konnte nicht fassen, was da um Haaresbreite an ihm vorbei ge-<br />

gangen war. Apathisch starrte er zur Decke und bekam gar nicht richtig mit, dass Dana sich<br />

um ihn bemühte. „Mulder? Es kann dir nichts mehr passieren, du kannst ganz beruhigt sein.<br />

Du bist in Sicherheit.“ Angesichts Mulders Zustandes war die Agentin wirklich schockiert.<br />

Sie hatte ihn immer als ruhig und beherrscht erlebt. Jetzt war er nur noch ein zitterndes<br />

Bündel Angst gewesen. Feuer. Das Einzige, was den Bundesagenten wirklich in ultimative<br />

Angst versetzte. Dana musste versuchen, ihn aus seiner Starre zu reißen. „<strong>Die</strong>se Locke hat<br />

wirklich außergewöhnliche Fähigkeiten. Er hat dich gleich zweimal gerettet.“ Dana hoffte,<br />

mit Mulders Lieblingsthema seine Apathie zu durchbrechen, aber im Augenblick war dieser<br />

weit weg, in einer ganz eigenen Dimension, die nur aus Angst und Grauen bestand. Dana<br />

schüttelte besorgt den Kopf. - Nun, mein Schatz, dann muss ich es anders versuchen. - dachte<br />

sie und streifte sich den Kittel aus. Sie rutschte zu Mulder unter die Bettdecke und drehte das<br />

Licht auf niedrigste Stufe. Dann kuschelte sie sich eng an ihn und versuchte, ihn durch zärt-<br />

liches Küssen und Streicheln zu einer Reaktion zu zwingen. Mulder reagierte kaum. Zu sehr<br />

war er noch gefangen in seinem Grauen.<br />

„Oh, oh. Da haben wir aber bei Mr. Spooky einen ganz wunden Punkt ge-<br />

troffen. Er ist also doch zu Erschüttern.“<br />

„Und wie. Wenn sie es nicht bald schafft, ihn aus der Lethargie zu holen,<br />

müssen wir eingreifen.“<br />

„Wenn nicht mal das da ihn aufrüttelt ...“<br />

„Locke ist so gut wie wir gedacht haben. Sogar noch besser. Dass er<br />

noch die Kraft hatte, Mulder zu beruhigen bezeugt, dass er stärker wird.“<br />

„Wir müssen aufpassen, sonst wird er zu stark.“<br />

„Noch kommt er nicht raus, sonst hätte er es schon längst geschafft. <strong>Die</strong><br />

Vision von Lisinski und Green war bisher der einzige Punkt, den er verbuchen<br />

konnte.“<br />

Kopf ab.“<br />

„Wir sollten zusehen, dass es dabei bleibt, sonst reißt uns der Boss den<br />

„Hey, seht mal. Sie hat es doch noch geschafft. Gott sei Dank.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Danas Hände und Lippen glitten sanft an dem zitternden Körper hinunter, bis sie den<br />

Punkt erreichten, an dem wohl kaum ein Mann noch Beherrschung an den Tag legen konnte,<br />

egal, in welchem Zustand er war. Aber selbst jetzt reagierte Mulder nicht. Dana begann, sich<br />

ernsthafte Sorgen zu machen. Sie rutschte wieder hoch und nahm Mulders Kopf zärtlich in<br />

die Hände, zwang ihn, sie anzuschauen. „Mulder, hör mir zu. Bitte, komm schon, es ist<br />

vorbei. Mulder. Schatz!“ Ganz sanft und sehr vorsichtig hatte sie seinen Kopf bei ihren<br />

Worten geschüttelt. Und endlich, endlich kehrten Mulders Augen aus der Dimension des<br />

nackten Horrors zu ihr auf die Erde zurück. „Scully ...“ „Gott, Mulder, du hast mir einen<br />

furchtbaren Schreck eingejagt.“, schimpfte die Agentin liebevoll. „Das ... das tut mir leid,<br />

Dana, ich ... Gott. Hat er es geschafft?“ „Ja, Mulder, ja, das hat er. Ich bin bei dir, hörst du, du<br />

bist in Sicherheit.“, flüsterte Dana und ihre weichen Lippen suchten leidenschaftlich seinen<br />

Mund. „Ich ... ich dachte, ich werde verbrennen.“ Aus vor Grauen ganz dunklen Augen sah er<br />

Dana an. „Warum konnten sie <strong>mich</strong> nicht erschießen?“ Dana zog ihn an sich und sagte leise<br />

„Ich fürchte, das weißt du besser als ich. <strong>Die</strong>se skrupellosen Monster wissen genau, wo<br />

unsere Schwachstellen liegen und setzen diese gezielt ein, setzten genau da an, um uns alle zu<br />

brechen.“ Mulder nickte langsam. „Ich dachte wirklich, es ist aus. Scully, ich hatte solche<br />

Angst. Ich war so sicher, dass ich an übernatürliche Fähigkeiten glaube, aber das heute hat mit<br />

vor Augen geführt, dass ... Ich habe nicht damit gerechnet, das er es wirklich kann.“<br />

„Er kann es und noch mehr...“, sagte Scully zögernd. „Du warst so in Panik, dass du<br />

hyperventiliert hast und ich konnte dich nicht beruhigen. <strong>Die</strong>ser Locke hat irgendetwas ge-<br />

macht, keine Ahnung was...“ Mulder sah interessierter und weniger angespannt auf. „Wie<br />

meinst du das? Was hat er gemacht? Ich ... war wohl weg getreten, was? Ich kann <strong>mich</strong> nicht<br />

mal erinnern, dass er bei uns war.“, sagte er ziemlich verlegen. „Ja, du hattest eine handfeste<br />

Panikattacke und ich nichts, um dir zu helfen. Ich dachte, ich würde dich doch noch verlieren.<br />

Er hat dir die Hand auf die Stirn gelegt und die Augen geschlossen, in wenigen Sekunden<br />

wurdest du ruhiger ... beinahe gespenstisch ...“ Mulder legte sich bequemer zurecht. Er war<br />

noch viel zu sehr durch den Wind, um ernsthaft zu Diskutieren, aber das Scully ihm da gerade<br />

andeutete, das Locke ihn mental in irgendeiner Form beeinflusst, beruhig hatte, verstand er<br />

durchaus. Sanft hob er die Hand und strich Dana eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du<br />

meinst, er hat mental Einfluss auf meinen Zustand genommen?“ „Anders kann ich es nicht<br />

erklären. <strong>Die</strong>ser unauffällige Mann verfügt offensichtlich über wirklich außergewöhnliche<br />

Fähigkeiten.“, sagte Scully nachdenklich.<br />

„Das erklärt jedenfalls, warum unsere Entführer an ihm interessiert sind.“, ergänzte<br />

Mulder. „Jemanden mit derart außerordentlichen Fähigkeiten kann jede Organisation ge-<br />

brauchen.“ Dana spürte, dass ein Zittern durch Mulders Körper lief und hatte spontan die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Idee, ihnen einen Drink zu holen. Sie stieg aus dem Bett, schlüpfte verkehrt herum in ihren<br />

Kittel und eilte in den Wohnraum hinüber. Dort fand sie, wie schon beim ersten Besuch, eine<br />

Flasche Scotch. Sie nahm zwei Gläser aus dem Schrank, fand im Kühlschrank Eiswürfel und<br />

goss schließlich zwei Finger breit Whiskey in jedes Glas. Als sie ins Schlafzimmer zurück-<br />

kam, hatte Mulder sich den im Bett ziemlich störenden Kittel ebenfalls ausgezogen und lag,<br />

ganz offensichtlich vor Kälte zitternd, zugedeckt bis an die Nase, im Bett. Dana lächelte sanft.<br />

„Hier, der wird dich aufwärmen.“ Sie drückte Mulder ein Glas in die Hand, stieg selbst<br />

wieder unter die Decke und so prosteten sie sich zu. „Auf das <strong>Über</strong>leben.“, sagte Mulder<br />

leise. „Nein, auf John Locke.“, erwiderte Dana in brünstig. „Auf John Locke.“, erwiderte<br />

Mulder. „Ob wir wohl jemals Gelegenheit bekommen werden, ihm zu danken? Jedenfalls<br />

wissen wir jetzt, warum die anderen Paare so fertig aussahen und nichts darüber sagen<br />

durften, was sie erlebt haben.“ Dana nickte. „Ja, ich denke, Bones und Abby dürften ähnliche<br />

Erfahrungen gemacht haben, was?“ Mulder nickte. Er stellte das leere Glas auf den Nacht-<br />

schrank und drehte sich zu Scully herum. Der Whiskey hatte seinem verwirrten Innenleben<br />

gut getan. Er seufzte und sagte dann sanft: „Wenn wir schon mal hier sind, sollten wir die<br />

Gelegenheit nutzen, was meinst du? Immerhin wäre ich heute fast ein Grillwürstchen ge-<br />

worden. Wie wäre es, wenn du dich um das arme Würstchen ein wenig kümmern würdest?“<br />

Dana lachte erleichtert. „Das habe ich bereits versucht, aber das hast du gar nicht mit be-<br />

kommen. Aber bevor ich <strong>mich</strong> intensiv deinem Würstchen widme sollten wir Duschen. Du<br />

stinkst nach Benzin.“ Mulder stimmte zu und sie verschwanden zusammen unter der Dusche.<br />

Minuten später bereits lagen sie wieder eng aneinander geschmiegt im Bett. Sie redeten nicht<br />

mehr lange herum, auch Dan hatte das dringende Bedürfnis, Mulder zu spüren, so nahe es nur<br />

möglich war, ohne ineinander zu verschmelzen. Sie drehte das Licht aus und lag im nächsten<br />

Moment in Mulders Armen.<br />

*****<br />

Eigentlich war John sicher, den richtigen Knopf betätigt zu haben, dennoch traute er<br />

seinen Fähigkeiten immer noch nicht vollständig. Gespannt starrte er auf die Glasscheibe zum<br />

Nebenraum, konnte aber nur erkennen, dass Dana aus seinem Blickfeld stürzte. Eilte sie<br />

Mulder zu Hilfe? Oder hatte sie seinen Tod mit ansehen müssen? Locke fühlte, wie ihm der<br />

Schweiß ausbrach und seine ineinander verkrampften Finger taub wurden. Da. Das leise<br />

Klacken, mit dem die Verriegelung der Zwischentür gelöst wurde. Wie bei den anderen<br />

Malen auch ... Erleichtert und beunruhigt zugleich stürzte John in das Nebenzimmer, um zu<br />

helfen. Ja, der sympathische FBI Agent, der übersinnliche Fähigkeiten nicht einfach so abtat,<br />

wie die meisten der Mitgefangenen, war aus dem Gefahrenbereich heraus. Aber wie sah er<br />

aus. Zuckend, nach Atem ringen, hing er in seinen Fesseln. <strong>Die</strong> Agentin mühte sich offenbar<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verzweifelt, ihren Partner frei zu bekommen. Sofort war John an der Seite des halb Bewusst-<br />

losen. Er wollte, er musste helfen. Trotz aller Zurückweisung und Enttäuschung, die er sein<br />

Leben lang erfahren hatte, hatte Locke sich seine Menschlichkeit bewahrt, den Drang, sich<br />

den Menschen zuzuwenden. Seit er bei den australischen Ureinwohnern seine geistige<br />

Heimat, so etwas wie eine Familie, gefunden hatte, seine Fähigkeiten gezielt trainiert, fühlte<br />

er mehr denn je, dass seine Gabe nicht sein Fluch, sondern eine Verpflichtung war.<br />

War dies hier die Aufgabe, die sein Schicksal war? Das, was er noch zu erledigen<br />

hatte, bevor er seine Heimat und seinen Frieden finden konnte? Allen diesen Menschen, die<br />

jeder auf seine Weise etwas Besonderes zu sein schienen, das Leben zu retten? Musste er den<br />

Ausweg finden, sie alle aus dieser Hölle zu befreien? John fühlte eine Verbundenheit zu<br />

diesen vor kurzem noch Fremden, wie er sie zuletzt als junger Mann in einer Hippie-<br />

Kommune erlebt hatte. Endlich hatten sie es mit vereinten Kräften geschafft, den zitternden,<br />

keuchend nach Atem ringenden Agenten auf den Boden zu legen und von dem benzin-<br />

getränkten Kittel zu befreien. Endlich kam auf das verzweifelte Flehen der Ärztin eine Wache<br />

herbei gerannt und drückte ihr die verlangte Maske in die Hand. Sie konnte den verstörten<br />

Geist ihres Partners nicht erreichen, er zuckte und wehrte sich verzweifelt. - NEIN. - dachte<br />

John. - Ich habe dich nicht vor dem Flammentod bewahrt, um dabei zuzusehen, wie du er-<br />

stickst. - Obwohl er wie immer nach der mentalen Anstrengung, seine Kräfte bewusst zu<br />

nutzen, völlig erschöpft war, nahm John noch einmal alle Kraft zusammen. Er konnte den<br />

Geist des völlig verängstigten Mannes erreichen. Sanft legte er die Hand auf die glühende<br />

Stirn, schloss die Augen, atmete tief ein. Langsam, tastend berührte er den aufgewühlten Ver-<br />

stand, zuckte einen Moment erschrocken zurück vor den Bildern des Grauens, die er sah, ver-<br />

band sich mit dem Mann, ließ ruhige, entspannte Bilder in das tiefste Innere fließen. Er<br />

zitterte vor Anstrengung, fühlte aber, wie eine tiefe Ruhe über ihn kam und sich auf den ver-<br />

störten Geist übertrug.<br />

Wie aus einem Traum erwachend, kam Johns Bewusstsein an die Oberfläche zurück.<br />

Ja, er hatte es geschafft. <strong>Die</strong> Farbe kehrte in das Gesicht unter ihm zurück. Mühsam erhob<br />

sich Locke, kam taumelnd vor Erschöpfung auf die Füße. Das Paar musste jetzt allein sein<br />

und John wünschte nur, sich hinlegen und die Augen schließen zu können. Erst jetzt bemerkte<br />

er die Beiden Wachleute, die an der Tür standen und schleppte sich auf diese zu. Man ver-<br />

zichtete darauf, ihm Fesseln anzulegen, die Männer trugen ihn mehr in seine Zelle als das er<br />

ging. Total ausgelaugt ließ Locke sich auf sein Bett fallen und schloss die Augen. Er war<br />

vollkommen erschöpft, aber auch glücklich. Ein Gefühl von innerer Wärme, tiefste Ver-<br />

bundenheit mit dem Mann, den er gerade zweimal gerettet hatte, durchflutete John wie eine<br />

Woge.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Der Galgen<br />

Fürchtet doch nicht so den Tod und mehr das unzulängliche Leben.<br />

Berthold Brecht<br />

„Nummer 3 und 8.“ Sawyer zuckte zusammen, stand jedoch sofort auf und trat ohne<br />

zu zögern an die Käfigtür. Er stand dort und stieß einen kleinen, resignierten Lacher aus. -<br />

Wie schnell es doch letztlich eigentlich gegangen ist - dachte er - das wir alle wie gut<br />

dressierte Hunde auf unsere Nummer ordnungsgemäß angefangen haben zu reagieren. Das<br />

hatten die nullkommanix in uns drinnen. - Er hoffte, dass sich heute vielleicht eine Möglich-<br />

keit ergeben würde, mit Kate eine Weile alleine zu sein, irgendwie. Dass sie das letzte Mal<br />

zusammen gewesen waren, war in seinen Augen schrecklich lange her. Er seufzte. Schritte<br />

näherten sich und er spürte das inzwischen so gänzlich vertraute Gefühl der Fesselung der<br />

Handgelenke. Zeitgleich schnappten diese ein paar Zellen weiter auch an Kates Handgelenken<br />

die Karabinerhaken zusammen. Ähnlich wie Sawyer hoffte die junge Frau verzweifelt darauf,<br />

endlich einmal wieder zu ihm gelassen zu werden. Sie glaube, es nicht mehr länger aushalten<br />

zu können, ohne seine Nähe, seinen Körper endlich wieder spüren zu dürfen, seine Arme, die<br />

sie hielten und in denen sie sich in diesem ganzen Horror hier trotzdem so sicher fühlte,<br />

selbst, wenn es nur eine Illusion war. Doch erst mal wurden sie nur zusammen aus dem<br />

Kerker geführt, schweigend, sich nur mit den Augen verschlingend könnend. Sawyers Herz<br />

klopfte schneller, als er Kate neben sich her gehen sah. Wie gerne hätte er sie in die Arme<br />

genommen. Heute war wieder einer der Tage, an denen ihm die Handfesseln heftiges Un-<br />

behagen bereiteten. Er hatte komischerweise ein ungutes Gefühl im Bauch, als braue sich<br />

über seinem und Kates Kopf etwas zusammen.<br />

Durch die schon vertrauten, beinahe heimelig wirkenden Flure wurden Kate und<br />

Sawyer in einen Raum geführt, den sie definitiv bisher noch nicht betreten hatten. Kate er-<br />

schrak zutiefst, als sie sah, was in der Mitte dieses Raumes stand. Sie hatte das Gefühl, plötz-<br />

lich Eiswasser in den Adern zu haben. Sawyer erkannte die Vorrichtung im selben Moment<br />

und eine eisige Faust ballte sich in seinem Magen zusammen. Er spürte, dass seine Hände<br />

feucht wurden. Adrenalin jagte durch seinen Körper. Sein Herz raste von einer Sekunde auf<br />

die Andere schmerzhaft gegen seine Rippen. Ihre Bewacher drückten Kate, die plötzlich am<br />

ganzen Körper zitterte, an die Wand des Raumes und sie spürte, wie ein Karabinerhaken, der<br />

in die Wand eingelassen war, in einen ihrer Karabiner einrastete und sie auf diese Weise an<br />

die Wand fesselte. Sawyer wurde vorwärts gedrückt. Seine Knie zitterten leicht. Was da vor<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihm stand, war nichts anderes als ein Galgen. Schwarz, aus Metall. Eine Schlinge hing von<br />

ihm herab. Unter der Schlinge war ein zylindrisches Podest angebracht. Alles in Sawyer<br />

sträubte sich dagegen, sich dem Ding zu nähern, aber gegen die kräftigen Hände seiner Be-<br />

wacher hatte er keine Chance. Er wurde auf das niedrige Podest gedrückt, dann legten sie ihm<br />

die Schlinge um den Hals. Sie wurde stramm gezogen und dann fixiert. Seine auf den Rücken<br />

gefesselten Hände zuckten hilflos. Panik drohte über Sawyer zusammen zu schlagen. Er<br />

atmete flach und schnell. Das konnte doch wohl nicht sein. Sie würden ihn doch wohl nicht<br />

hängen. Vor Kates Augen einfach hinrichten. Ihm wurde speiübel. Angst jagte in heißen<br />

Wogen durch seinen Körper.<br />

Kate zerrte verzweifelt an den Fesseln, die sie an der Wand hielten. Sie musste sich<br />

beherrschen, um nicht hysterisch los zu schreien, als sie beobachten musste, wie Sawyer unter<br />

den Galgen geführt wurde. Das konnte doch nicht wahr sein. Tränen der Angst liefen Kate<br />

über das blasse Gesicht. Sie sah mit panisch aufgerissenen Augen zu, wie Sawyer die<br />

Schlinge um den Hals gelegt und an dem Galgen fixiert wurde. Dann traten ihre Bewacher<br />

zurück. Ein saugendes Geräusch erklang und um den Galgen mit dem hilflosen Sawyer herum<br />

hob sich ein Glaszylinder aus sehr dickem Sicherheitsglas aus dem Boden. Als dieser voll<br />

ausgefahren war, ragte er ungefähr fünfzig Zentimeter über den Galgen hinaus. Jetzt traten die<br />

Bewacher an Kate heran und lösten die Handfesseln. Ohne zu zögern rannte sie die paar<br />

Schritte bis zu dem Glaszylinder hinüber und stand dann zitternd davor. Keinen Meter von<br />

dem geliebten Mann getrennt und doch unerreichbar. Alles in ihr schien zu gefrieren. Sie be-<br />

stand nur noch aus nackter Angst. Das durfte alles nicht wahr sein. Sawyer war heftig zu-<br />

sammen gezuckt, als der Glaszylinder aus dem Boden wuchs. Jetzt stand er da, die Hände auf<br />

dem Rücken gefesselt, die Schlinge stramm um den Hals gelegt, und blickte aus tränenver-<br />

schleierten Augen auf Kate herunter. Panik hielt ihn fest umklammert. Er wollte nicht sterben.<br />

Jedenfalls nicht so. Er hatte immer damit gerechnet, nicht unbedingt an Alterschwäche in<br />

einem Bett zu sterben. Hätte er sich bei seinem unsteten, häufig nicht ungefährlichen Leben<br />

irgendwann eine Kugel gefangen, wäre das okay gewesen. Aber gehängt werden?<br />

Kate zuckte zusammen, als hinter Sawyer plötzlich die Wand durchsichtig wurde. Sie<br />

erkannte erst jetzt, dass es sich um eine Glaswand handelte, wie bei einem Verhörraum.<br />

Hinter der Wand erkannte Kate völlig perplex John Locke. <strong>Die</strong>ser sah sie und Sawyer jetzt<br />

ebenfalls. In seinem Gesicht war nicht zu erkennen, was er dachte. Kate schrie verzweifelt<br />

auf. „John.“ Locke hob nur kurz den Kopf, dann starrte er vor sich. Er stand vor einer Art<br />

Schaltpult. Und nun erklang plötzlich eine Stimme, die erklärte, was hier in den nächsten<br />

Minuten passieren würde. „Nummer 12, vor dir hast du eine Anordnung von zwölf Schaltern.<br />

Zehn dieser Schalter werden bei Betätigung das Podest, auf dem Nummer 3 steht, jeweils drei<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zentimeter tiefer in den Boden sinken lassen, etwa so.“ Sawyer keuchte erschrocken auf, als<br />

sich das Podest unter seinen Füßen plötzlich ein kleines Stück bewegte. „Einer der Schalter<br />

stoppt die Abwärtsbewegung und einer rettet Nummer 3 das Leben, in dem er das Podest<br />

wieder hochfährt. Wir werden Nummer 3 in die Startposition bringen, dann wird das Podest<br />

sich millimeterweise Absenken. Zehn Minuten, wenn du bis dahin nicht den richtigen<br />

Schalter hast, ist Nummer 3 Geschichte. Nummer 3, hoffe für dein Leben, dass die Fähig-<br />

keiten von Nummer 12, über die du so gelästert hast, wirklich vorhanden sind, sonst bist du in<br />

zehn Minuten tot.“ <strong>Die</strong> Stimme verstummte. Das Podest wurde ein ganzes Stück in die Höhe<br />

gefahren, bis die Schlinge nicht mehr stramm an Sawyers Hals lag. Dann ertönte ein Tröten.<br />

Sawyer hatte mit wachsendem Entsetzen der kalten Stimme zugehört. Als in sein<br />

panikumwölktes Gehirn eindrang, was hier geschehen würde, hatte er das Gefühl, in einen<br />

Bottich mit Eiswasser getaucht zu werden. Er war verloren. Niemals glaubte er an übersinn-<br />

liche Fähigkeiten. Das Tröten war eindeutig der Startschuss für die letzten zehn qualvollen<br />

Minuten seines Lebens gewesen. Verzweifelt schluckte er. Noch einmal ertönte die Stimme<br />

aus dem Lautsprecher. „Nummer 8, du hast die Möglichkeit, zu bleiben oder den Raum zu<br />

verlassen.“ Sofort schrie Sawyer verzweifelt und panisch los: „Verschwinde, Kate. Hau ab.<br />

Geh. Los. Raus hier!“ Kate sah zu ihm auf, heftig weinend. Sie hatte das ungute Gefühl, man<br />

hätte ihr den Boden unter den Füßen weg gezogen. Panisch schrie sie: „Nein, ich bleibe …<br />

Ich bleibe bei dir.“ Sawyer schüttelte den Kopf, verzweifelt, hoffnungslos. „Geh doch. …<br />

HAU SCHON AB!“ Er wünschte sich nur noch eines, nämlich, dass Kate es nicht mit an-<br />

sehen musste. An der Wand hinter Kate entdeckte der junge Mann eine rückwärts laufende<br />

Stoppuhr, die er vorher nicht bemerkt hatte. Sie war bereits bei 7.36 angekommen und zählte<br />

gnadenlos sein Leben rückwärts dem Ende entgegen. Er spürte, wie die Schlinge wieder fester<br />

gezogen wurde. Flach und unregelmäßig kam sein Atem über seine zitternden Lippen. Kate<br />

starrte in heller Panik zu ihm hoch. Ihre Augen, in denen alle Hoffnungslosigkeit der Welt<br />

lag, suchten seine Augen. Sie hatte die Hände auf das Glas gelegt, als könne sie ihn so spüren.<br />

„Ich liebe dich.“, wimmerte sie verzweifelt. 5.45 Sawyer nahm alle Kraft und Luft, die er<br />

noch aufbringen konnte, zusammen. „Kate. Bitte. Schau nicht zu. Freckles, tu mir den Ge-<br />

fallen, hörst du. Bitte. Mach deine Augen zu …“ Er konnte nicht weiter Reden, weil die<br />

Schlinge um seinen Hals wieder ziemlich stramm saß und jede Sekunde strammer wurde.<br />

Unwillkürlich riss er den Mund auf, um verzweifelt das letzten bisschen Luft einzuatmen, das<br />

er noch würde einatmen können.<br />

Todesangst drückte sein Herz zu einem kleinen, rasend vor sich hin pochenden<br />

Klumpen zusammen. Tränen, sowohl vom Sauerstoffmangel als auch von nackter Panik ver-<br />

ursacht, liefen über seine blassen Wangen. Sein ganzes Denken war darauf gerichtet, nicht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

den Halt zu verlieren. Sackte er in sich zusammen, war es schon vor der Zeit zu Ende. 2.22<br />

Immer qualvoller wurde der Sauerstoffmangel. Immer schwerer fiel es Sawyer, noch ein<br />

wenig Luft in seine protestierend aufschreienden Lungen zu saugen. Seine gefesselten Hände<br />

zuckten hilflos. 2.08 Kate schrie vollkommen aufgelöst los. „NEIN! BITTE!“ Sie trommelte<br />

hysterisch schluchzend gegen das Glas. 1.45 Sawyer konnte kaum mehr atmen. Seine glasig<br />

werdenden Augen saugten sich an Kates Gesicht fest. Sein Herzschlag überschlug sich fast.<br />

Sein ganzer Körper schrie um Hilfe. Seine Augen hingen an Kate. Sie sollte der letzte, schöne<br />

Anblick in seinem Leben sein. 0.34 Keine Luft mehr … Und plötzlich war es vorbei. Ein<br />

Ruck ging durch das Podest und dann fuhr es nach oben, während sofort gleichzeitig der<br />

Glaszylinder um Sawyer herum wieder im Boden versank. Eine Tür öffnete sich in der Wand<br />

hinter dem Galgen und Locke stürmte in den Raum, stürzte sich, genau wie Kate, auf Sawyer<br />

und hielt diesen fest, während Kate auf das Podest stieg und verzweifelt an der Schlinge<br />

zerrte. Sie musste sich strecken, um überhaupt anzukommen. Ihren heftig zitternden Händen<br />

gelang es kaum, die Schlinge zu lösen, zumal sie vor Tränen kaum etwas sehen konnte.<br />

Endlich hatte sie es geschafft. Sawyer sackte haltlos in sich zusammen und wäre schwer ge-<br />

stürzt, hätte Locke ihn nicht sicher im Arm gehabt. Fast liebevoll ließ er Sawyer auf den<br />

Boden gleiten. Kate klammerte sich schluchzend an den jungen Mann, zog ihn an sich und<br />

stammelte unter Tränen, sanft seinen Kopf haltend, mit der anderen Hand vorsichtig seinen<br />

Hals massierend „Es ist alles gut. Hörst du, es ist vorbei. Vorbei. Ich liebe dich …“<br />

Sawyer registrierte nur langsam, dass er noch lebte. Dass er atmen konnte. Dass der<br />

qualvolle Sauerstoffmangel vorbei war. Dass er in Kates Armen lag und noch lebte. Atmen.<br />

Das war alles, was er denken konnte. Atmen. Ganz allmählich klärte sich sein Gehirn ein<br />

wenig. Er war nicht tot. Er lebte. Er konnte wieder atmen. Er stand nicht mehr unter dem<br />

Galgen, sondern lag in Kates Armen am Boden. Locke kniete neben ihm und hatte ihm eine<br />

Hand auf die Schulter gelegt. „Na, geht es wieder, mein Junge?“, fragte er freundlich. Sawyer<br />

schluckte schwer, dann nickte er. Er hätte so gerne Kate ebenfalls umarmt, wollte sie an sich<br />

drücken und nie wieder los lassen, aber seine Hände waren noch immer auf den Rücken ge-<br />

fesselt. So lag er einfach nur da und versuchte, sein Herz zu beruhigen, das immer noch<br />

schmerzhaft gegen die Rippen pochte. Es schien zu sagen: Du lebst, du lebst, du lebst … Er<br />

sah Locke an und sagte dann heiser: „Danke, Mann.“ Tränen traten ihm erneut in die Augen.<br />

„Danke.“ Locke lächelte freundlich. „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“, sagte er<br />

ruhig. Er stand auf und nickte den beiden jungen Leuten noch einmal zu, dann ging er durch<br />

die Tür in den Schalterraum zurück. Kate starrte ihm immer noch mit tränenüberströmtem<br />

Gesicht nach. Dann wandte sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder Sawyer zu. Sie hielt ihn<br />

einfach im Arm, bis sie sich beide langsam etwas gefangen hatten. Und genau da wurde hinter<br />

ihnen die Tür geöffnet. Zwei Bewacher traten zu ihnen. Kate musste Aufstehen, dann halfen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

die beiden Sawyer auf die Beine, der immer noch kaum alleine stehen konnte. Kate durfte ihn<br />

stützen und so wurden sie zurück in Zellentrakt gebracht. <strong>Die</strong> Mitgefangenen starrten entsetzt<br />

auf Sawyer, der scheinbar fix und fertig zwischen Kate und einem der Wachleute mehr hing<br />

als selbst lief. Mulder, Booth und Gibbs dachten: Er also auch.<br />

Kate rechnete damit, dass sie in ihre Zellen gebracht würden und das trieb ihr erneut<br />

Tränen in die Augen. Sie wollte Sawyer nach diesem Horror nicht alleine lassen, sie wollte<br />

bei ihm bleiben, ihn im Arm halten, unterstützen, das zu vergessen. Und als hätten ihre Ent-<br />

führer ein Einsehen, wurden die Beiden nicht zu ihren Zellen, sondern zum Belohnungsraum<br />

gebracht. Kate konnte es nicht fassen. Sie stammelte unter Tränen „Danke, danke …“<br />

Sawyers Handfesseln wurden endlich gelöst, dann öffnete sich die Tür zum Belohnungsraum<br />

und Kate half Sawyer, weiter zu gehen. Hinter ihnen fiel die Tür zu, aber darauf achtete Kate<br />

gar nicht mehr. Sie schaffte Sawyer ins Schlafzimmer, half ihm aus dem Kittel und ließ ihn<br />

sich auf das Bett legen. Er wirkte immer noch völlig desorientiert und fing heftig an zu<br />

zittern. Kate schlüpfte aus ihrem eigenen Kittel, dann legte sie sich zu Sawyer, kuschelte sich<br />

eng an in und zog das Zudeck über ihre Körper. Es dauerte eine ganze Weile, bis Sawyers<br />

Zittern endlich nach ließ. Irgendwann hatten sich beide soweit beruhigt und entspannt, dass<br />

ihnen vor Erschöpfung die Augen zufielen. Als Kate wieder aufwachte, war sie alleine.<br />

Sawyer lag nicht neben ihr und so stand sie auf, schlüpfte wie in ein Hemd in ihren Kittel und<br />

ging ins Wohnzimmer. Sawyer saß auf dem Fernsehsessel, der TV lief, aber es machte nicht<br />

den Anschein, als würde er ernsthaft verfolgen, was dort vorging. Kate trat zu ihm, legte ihm<br />

von hinten die Arme um und sagte liebevoll: „Hey, du. Wie geht es dir?“ Sawyer sah auf. Um<br />

seinen Hals waren deutliche Strangulierungsspuren zu erkennen und in seinen Augen lag<br />

immer noch ein Grauen, das Kate eine Gänsehaut über den Körper jagte. „Wie soll es mir<br />

schon gehen. Wie jemandem, der in den Händen von Psychopathen steckt und sich immer<br />

mehr wie eine Laborratte vorkommt.“, knurrte er. Er drückte Kate sanft von sich und stand<br />

auf. Sawyer schaltete den TV aus und trat an das Regal mit Büchern. Scheinbar aufmerksam<br />

sah er sich Buchrücken an. Wieder trat Kate zu ihm und wollte ihn umarmen, aber erneut<br />

wich er ihren Armen aus. „Ich leg <strong>mich</strong> noch ein bisschen hin, Freckles, lenk du dich ein<br />

wenig mit Fernsehen ab.“, erklärte er leise und verschwand ohne ein weiteres Wort im<br />

Schlafzimmer.<br />

Kate stand einen Moment betroffen und verwirrt da, überlegte kurz und schüttelte<br />

dann entschieden den Kopf. So durfte sie ihn nicht gehen lassen. Er durfte sich nicht vor<br />

seinen Gefühlen verstecken. Tief atmete sie ein, dann folgte sie ihm ins Schlafzimmer. Sie<br />

ließ den Kittel wieder von sich gleiten und stieg zu Sawyer ins Bett. Sie dämmte das Licht,<br />

soweit es ging und kuschelte sich an Sawyers nackten Rücken. Das erste, was sie spürte, war,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dass er sich versteifte. „Lass <strong>mich</strong> einfach zufrieden, okay.“, stieß er ruppig hervor. „Nein,<br />

das werde ich nicht. Rede darüber, Sawyer. Friss es nicht in dich hinein, sonst erstickst du<br />

irgendwann daran.“, erklärte Kate bestimmt und ignorierte Sawyers ablehnende Haltung. Sie<br />

hielt ihn umfasst und ihre rechte Hand streichelte ganz sanft und massierend über Sawyers<br />

Brust. Eine Weile blieb er noch, steif und ihr den Rücken zukehrend, liegen. Dann spürte die<br />

junge Frau, wie er nach und nach entspannte. Und als er dann wirklich anfing zu reden, war<br />

sie fast überrascht.<br />

„Kate, ich habe manchmal das Gefühl, nicht mehr lange durchzuhalten. Verstehst du?“<br />

Er drehte sich langsam auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte<br />

die Decke an. „Wenn diese Arschlöcher es darauf anlegen, <strong>mich</strong> zu brechen, haben sie es bald<br />

geschafft. Okay, ich habe es nicht besser verdient, das ist mir schon klar. Aber … Ich kann<br />

bald nicht mehr.“ Kate hatte zugehört. Nach dem Schlafentzug hatte Sawyer ihr erzählt, dass<br />

er einen Menschen getötet hatte. Kate hatte das Gleiche getan und Sawyer ihr eigenes,<br />

dunkles Geheimnis gebeichtet. Dass Sawyer wieder damit anfing, beunruhigte Kate ein<br />

wenig. „Hey, Mister, wir waren uns doch schon einig, dass keiner von uns das alles hier ver-<br />

dient.“ Er drehte sich zu ihr und sah sie an. „Als ich da vorhin stand, mit der Schlinge um den<br />

Hals, da dachte ich wirklich, das war es. Und ich habe nur noch daran denken können, dass du<br />

es nicht mit ansehen sollst. Ich habe keinen Gedanken mehr daran verschwendet … Ich hätte<br />

es wirklich verdient gehabt, okay? Aber du solltest es nicht sehen. Wenn die … wenn die<br />

<strong>mich</strong> wirklich noch umbringen, Freckles, bitte, versprich mir, schau nicht zu. Das ist<br />

schlimmer als alles andere, okay?“ Kate schossen Tränen in die Augen. „Wenn die dich wirk-<br />

lich töten wollen, und wenn ich die Möglichkeit habe, dann bei dir zu sein, dann werde ich<br />

das sein. Ich lasse dich nicht im Stich. Und wenn dass das Einzige ist, was wir noch für<br />

einander tun können, wird es eben das sein. Kapier das endlich.“<br />

Der Kampf<br />

Es ist keine Schande hinzufallen, aber es ist eine Schande, einfach liegen zu bleiben.<br />

Theodor Heuss<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen fragten sich, was nun wieder mit Sawyer passiert war. Er hatte so<br />

fertig gewirkt, als er zusammen mit Kate zurück gebracht worden war. Und die Tatsache, dass<br />

die Beiden sofort in den Erholungsraum kamen, machte überdeutlich, dass er wohl nicht nur<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

fertig ausgesehen hatte, sondern es auch war. Locke war kurz nach den Beiden wieder in seine<br />

Zelle geschafft worden und nicht nur Booth und Bones hatten eine vage Vorstellung davon,<br />

was Kate und Sawyer vielleicht widerfahren sein mochte. Auch Mulder und Scully, sowie<br />

Abby und Gibbs hatten eine ziemlich klare Vorstellung, was geschehen sein mochte. Alle<br />

nahmen, wohl zu Recht, an, das ein ähnlicher Testaufbau angewendet worden war. Da man<br />

ihnen nur wenig Redezeit zugestand, konnten sie nicht gezielt darüber diskutieren, was ge-<br />

schehen sein mochte. <strong>Die</strong> langen Zeiträume, in denen sie zu Schweigen hatten, belasteten die<br />

Entführten unglaublich. Selbst diejenigen unter ihnen, die gerne mal alleine waren, um ihre<br />

Ruhe zu haben, waren durch die endlosen Stunden, die sie schweigend zu verbringen hatten,<br />

zum Teil schwer genervt. Man merkte erst, wie wichtig Kommunikation mit anderen<br />

Menschen war, wenn man keine führen durfte. Als schließlich das Licht ausgeschaltet wurde,<br />

wünschten sich alle für den nächsten Tag mehr Redeerlaubnis.<br />

Am nächsten Morgen wurden als erstes Kate und Sawyer, wieder erholt und ruhig<br />

wirkend, in die Zellen zurück geschafft. Bones, Ziva und Mulder konnten die<br />

Strangulierungsspuren an Sawyers Hals mehr als deutlich sehen, und machten sich Gedanken,<br />

wie es dazu gekommen sein mochte. Sawyer ignorierte die fragenden Blicke geflissentlich<br />

und suchte stattdessen, kaum, dass sein Zelle sich hinter ihm geschlossen hatte, den Blick-<br />

kontakt zu Locke. <strong>Die</strong>ser war an die Zellentür getreten, als man Kate und Sawyer ins Verließ<br />

zurück brachte und schaute besorgt zu Sawyer hinüber. Als sein Blick sich mit Sawyers traf,<br />

nickte er unmerklich und lächelte dem jüngeren Mann aufmunternd zu. Nur Booth und<br />

Mulder hatten diesen kleinen Blickwechsel mit bekommen. Booth war klar, dass zwischen<br />

den drei Menschen etwas Ähnliches geschehen sein musste wie zwischen Locke, Bones und<br />

ihm selbst. Mulder hatte als glänzender Beobachter einen ähnlichen Blickkontakt schon<br />

zweimal beobachtet, nämlich als Bones und Booth, und Abby und Gibbs zurück gebracht<br />

worden waren, nach der ersten Rückkehr aus dem Erholungsraum. Somit schien es, als<br />

würden die Paare nach und nach alle diesen grausamen Tests unterzogen.<br />

Nachdem die Gefangenen zu Essen und zu Trinken bekommen hatten, hingen sie ge-<br />

langweilt in ihren Zellen herum. Das jedoch änderte sich schlagartig, als sich in der Raum-<br />

mitte plötzlich eigenartige Aktivitäten zeigten. Mit der Fahrstuhlplattform wurde ein ganzer<br />

Stapel dicker Gummimatten von unten hochgefahren. Mehrere Wachen kamen in den Kerker<br />

und begannen, diese Matten auf dem Boden zu verteilen. Fragend sahen die Gefangenen zu.<br />

Was, um alles in der Welt, sollte das nun wieder werden? Nachdem die Matten großflächig<br />

verteilt worden waren, wurden als nächstes zwei Glaszylinder, wie House, Cameron, Bones<br />

und Booth sie schon leidvoll kennen gelernt hatten, aus der unteren Etage hochgefahren.<br />

Dann ertönte die Lautsprecherdurchsage: „11 und 15.“ Sara und Mulder traten leicht be-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

unruhigt an die Käfigtüren und ließen sich mit einem unbehaglichen Gefühl im Magen die<br />

Hände zusammen fesseln. Man holte sie aus den Zellen und führte sie in die Verliesmitte.<br />

Mulder wurde in den linken, Sara in den rechten Glaszylinder gestellt, die Fußfesseln wurde<br />

am Boden an Metallhaken befestigt und die Türen der Zylinder schlossen sich. Dann lief<br />

plötzlich Wasser in die Zylinder. Erschrocken starrten alle auf das Bild. Und dann, als den<br />

Beiden in den Glaszylindern das Wasser über die Brust plätscherte, ertönte erneut die Stimme<br />

aus dem Lautsprecher „1, 2, 5 und 6, tretet aus euren Zellen und kommt in die Mitte.“<br />

Völlig überrascht traten die vier Genannten aus den Zellen, nachdem ihre Türen auf-<br />

gegangen waren. Sie traten in die Mitte des Kerkers, auf die Gummimatten. Einer der Wach-<br />

posten trat zu ihnen und reichte jedem eine Trainingshose und ein T-Shirt. „Anziehen.“<br />

Schulterzuckend stiegen die vier in die Sachen und warteten gespannt, was nun werden sollte.<br />

<strong>Die</strong> Lautsprecherstimme ertönte wieder. „Ihr werdet euch sicher an euren kleinen Disput<br />

bezüglich der weiblichen <strong>Über</strong>legenheit in einem direkten Kampf Mann gegen Frau erinnern?<br />

Nun, 5 und 6, ihr habt die einmalige Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass ihr nicht nur<br />

gut im Sprüche klopfen seid, sondern euren Worten auch Taten folgen lassen könnt. Ihr<br />

werdet gegen 1 und 2 kämpfen, und zwar so lange, bis mindestens zwei von euch nicht mehr<br />

aufstehen, habt ihr dass verstanden?“ Ziva und Bones hatten immer erstaunter gelauscht,<br />

genau wie die beiden Männer. Jetzt breitete sich ein Grinsen auf ihren Gesichtern aus. Sie<br />

nickten und auch Booth und Jake nickten nun. Allerdings sahen die beiden Männer eher<br />

skeptisch aus. Sie würden doch nicht ernsthaft gegen Ziva und Bones kämpfen. Doch wie<br />

zum Hohn fuhr die kalte Stimme bereits fort: „Jetzt könnt ihr euch natürlich zu Recht fragen,<br />

was uns zu der Annahme veranlasst, ihr würdet alles geben. Nun, ihr wisst inzwischen, dass<br />

wir Motivationsexperten sind, oder? Es ist nämlich ganz einfach: Sollten wir das Gefühl<br />

haben, ihr gebt nicht alles, wird es sehr, sehr unangenehm für 11 und 15.“ Der Wasserstand in<br />

den Glaszylindern erhöhte sich schlagartig und reichte Sara und Mulder bis ans Kinn. Kurz<br />

blieb er so hoch, dann sank er so schnell, wie er in die Höhe geschossen war. Trotz ihrer un-<br />

angenehmen Lage waren die Beiden jetzt ruhig und ohne große Angst. Sie waren beide über-<br />

zeugt, dass Booth, Jake, Ziva und Bones nicht riskieren würden, dass sie in Gefahr gerieten.<br />

Auch Dana und Gil, die äußerst besorgt gewirkt hatten, entspannten sich merklich. Niemals<br />

würden die vier Mitgefangenen zulassen, dass Mulder und Sara etwas geschah.<br />

<strong>Die</strong> in den Zellen Verbliebenen traten gespannt an die Gitter. Da nun grünes Licht ge-<br />

geben worden war, konnten sie sich unterhalten. Sawyer lehnte, die Arme durch die Gitter-<br />

stäbe streckend, bequem auf der Querstrebe der Zellentür und grinste breit. „Wenn ihr dass<br />

nicht schafft, braucht ihr euch hier nicht wieder sehen lassen, Freunde“ Gibbs lachte kurz auf<br />

und meinte dann ironisch: „Eigentlich müsste ich ja auf eurer Seite sein, aber da ich weiß,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wie gut Ziva ist, und da ich gerne auf der Gewinnerseite bin, sehe ich <strong>mich</strong> gezwungen, zum<br />

Frauenlager zu wechseln.“ Ziva warf Gibbs mit hochgezogener Augenbraue einen Blick zu,<br />

der besagte - War eine schlaue Entscheidung. - Abby schaute zu Booth und Jake hinüber und<br />

sagte dann kichernd: „Ich weiß zwar nicht, was Bones kann, aber ... Tut mir leid, Jungs, findet<br />

euch lieber schnell damit ab.“ Heather konnte sich eine ziemlich empörte Bemerkung nicht<br />

verkneifen. „Auch, wenn ein Mann eine Frau nicht schlagen sollte, in diesem Fall ist es wohl<br />

unvermeidlich und Jake wird kurzen Prozess machen, da bin ich sicher.“ Abby und Gibbs<br />

lachten auf. Aus dem Lautsprecher kam die Anweisung: „Fangt an.“ Jake und Booth reichten<br />

sich die Hand, dann sagte Booth entschuldigend und tatsächlich verlegen zu Ziva und Bones:<br />

„Tut mir wirklich leid, aber Sara und Mulder werden es begrüßen, wenn wir ernst machen,<br />

glaube ich. Dann lasst uns mal los legen.“ Ziva blickte Bones an und fragte ruhig: „Hast du<br />

ein Problem damit, deinen Partner fertig zu machen?“ Bones grinste.<br />

Ziva machte in aller Ruhe ein paar Lockerungs- und Dehnübungen, die drei <strong>Anderen</strong><br />

nickte und machte es ihr nach. Booth kam nicht umhin, zu bewundern, wie beweglich sowohl<br />

Bones als auch Ziva waren. Er selbst hielt sich für durchaus in der Lage, die Frauen zu be-<br />

siegen. Jake ging es nicht anders. Sicher waren Frauen sehr gute Kämpfer, aber er war der<br />

festen <strong>Über</strong>zeugung, dass Heather mit ihrer Vermutung, dass eine Frau letztlich keine Chance<br />

gegen einen Mann hatte, richtig lag. Er war der Meinung, sich genug gelockert zu haben und<br />

wartete darauf, dass Ziva und Bones bereit waren. Fest hatte er sich vorgenommen, den<br />

Kampf kurz und möglichst schmerzlos zu beenden. Er sah Bones herausfordernd an. „Na,<br />

wollen wir?“, fragte er ruhig und selbstsicher. Bones verzog das Gesicht zu einem Lächeln.<br />

„Es ist ja nicht gerade so, dass wir heute noch etwas anderes vorhätten, aber wenn du es so<br />

eilig hast, Jake, an mir soll es nicht liegen.“ Sie drehte sich zu Ziva herum, reichte dieser die<br />

Hand und sagte dann: „Wir verletzten sie nicht zu sehr, oder?“ Da inzwischen alle Ge-<br />

fangenen begriffen hatten, das Bones nicht zu Ironie neigte, konnten diese Worte nur ernst<br />

gemeint sein. Abby, Kate, Dana und selbst Sara in ihrem Glaszylinder lachten kurz auf.<br />

Allison sprach aus, was sie dachten. „Armer Jake.“ House schüttelte den Kopf. „Jungs, ich<br />

reiße euch die Eier ab, wenn ihr dass versemmelt.“<br />

„Können wir vielleicht mal loslegen?“ Ziva wurde ungeduldig. Geduld war nie die<br />

Stärke der jungen Mossad Agentin gewesen. Bones nickte. „Auf geht‟s.“ Und es ging auf.<br />

Ohne die geringste Vorwarnung legte Ziva los und Sekunden später lag Booth das erste Mal<br />

am Boden, von einer derart überraschenden Rechten getroffen, dass er keine noch so kleine<br />

Chance mehr gehabt hatte, dem Treffer auszuweichen. Er lag da, tastete, ohne es überhaupt zu<br />

merken, mit der Linken nach seinem schmerzenden Kinn und starrte Ziva, die ihn sanft an-<br />

lächelte, vollkommen verwirrt an. Sehr viel besser ging es Jake mit Bones allerdings auch<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht. <strong>Die</strong> Anthropologin war nicht ganz so schnell gewesen wie Ziva. Sie hatte auch nicht<br />

zugeschlagen, sondern nach einer Finte Jakes rechten Arm gegriffen und bevor diese begriff,<br />

was Tempe vorhatte, war es dieser gelungen, Jake mit einem gekonnten Judo-Griff auszu-<br />

hebeln und mit einem geradezu ironischen Klatschen fand dieser sich ebenfalls auf der Matte<br />

wieder. Begeistert klatschten die Frauen, Gibbs sah stolz seine Agentin an und ausgerechnet<br />

Locke sprach aus, was die Männer dachten. „Ich an eurer Stelle finge an, mir Sorgen um<br />

meine Genitalien zu machen.“<br />

Auf der Matte rappelten Booth und Jake sich wieder auf die Beine. Booth war jetzt<br />

sehr viel vorsichtiger, er hatte kapiert, wie unglaublich schnell Ziva reagieren konnte.<br />

Wirklich helfen tat es ihm allerdings nicht, denn als er sie vorsichtig umkreiste, bekam er<br />

nicht mit, dass Bones unmittelbar hinter ihm stand und keine Skrupel hatte, ihn mit einem<br />

gezielten Tritt in die Kniekehlen erneut von den Füßen zu holen. Jake, abgelenkt davon, dass<br />

Bones sich nicht ihm, sondern Booth gewidmet hatte, achtete kurz nicht darauf, was Ziva<br />

machte und spürte im nächsten Moment einen schmerzhaften Karatetritt gegen den linken<br />

Oberschenkel, der ihn augenblicklich wieder von den Beinen holte. Als die beiden Männer<br />

auf diese Weise innerhalb von drei Minuten zwei Mal zu Boden gegangen waren, dämmerte<br />

ihnen langsam, dass es wohl doch nicht so schnell und leicht gehen würde, die Frauen zu be-<br />

siegen. Sawyer schüttelte verzweifelt den Kopf. „Oh, man, wieso habe ich nur plötzlich das<br />

komische Gefühl, dass das heute kein glorreicher Sieg für die Männerwelt wird?“ Kate lachte<br />

gehässig. „Wenn sie <strong>mich</strong> dazu lassen würden, und dich ebenfalls, Baby, würde der Sieg der<br />

Frauen noch vernichtender werden und die Niederlage von euch Kerlen noch demütigender.“<br />

Sawyer warf Kate einen vernichtenden Blick zu und beobachtete dann weiter gespannt<br />

den Kampf. Booth und Jake waren wirklich gewarnt und ließen sich nicht mehr so schnell<br />

erwischen, konnten jedoch nicht verhindern, immer wieder überraschend von gezielten<br />

Karatekicks, Schlägen oder auch Judogriffen getroffen zu werden. Allerdings mussten nun<br />

auch Ziva und Bones Treffer hinnehmen. <strong>Die</strong> beiden Frauen nahmen keinerlei Rücksicht, und<br />

gingen, auch mit den Gedanken an Sara und Mulder, wirklich mit aller nötigen Härte vor. Als<br />

Ziva einen heftigen Schlag von Booth einstecken musste, wurde sie wirklich ärgerlich. Nicht<br />

auf Booth, sondern weil sie nicht aufgepasst hatte. Sie erwischte Booth drei, vier Mal hinter-<br />

einander mit harten Karatetritten und plötzlich fand dieser sich keuchend und nach Luft<br />

ringend, da zwei Mal hintereinander heftig in den Solarplexus getroffen, erneut am Boden<br />

wieder. <strong>Die</strong> Treffer waren so hart gewesen, dass Booth gegen eine Besinnungslosigkeit<br />

kämpfen musste. Alles drehte sich ihm und er brauchte eine ganze Weile, um die drohende<br />

Ohnmacht abzuwehren. Ziemlich mühsam kam er wieder auf die Beine. Ziva hatte ihn in<br />

Frieden gelassen. Als der junge FBI Agent wieder, wenn auch schwankend, vor ihr stand,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

grinste sie ihn an. „Soll ich deinem Leiden ein Ende machen?“, fragte sie keuchend. Booth<br />

schüttelte total genervt den Kopf. „Vergiss es, Honey.“, stieß er mühsam hervor. Aus dem<br />

Zellen und sogar den Glaszylindern kamen Anfeuerungsrufe sowohl für Bones und Ziva als<br />

auch für Booth und Jake.<br />

Heather hatte mit wachsendem Entsetzen zugeschaut, wie spielend leicht Bones Jake<br />

ein paar Mal auf die Matte geschickt hatte. Nach und nach konnte sie sich aber der Tatsache,<br />

dass Ziva und Bones wirklich immer mehr die Oberhand gewannen, nicht mehr entziehen.<br />

Schließlich entwischte ihr nach einem sehr gekonnten Tritt Bones‟ gegen Jake ein be-<br />

geistertes: „Ja.“ Jake hörte das sehr wohl und machte den großen Fehler, erstaunt zu Heather<br />

hinüber zu blicken. Im nächsten Moment erwischte ihn ein heftiger Tritt ans Kinn und Jake<br />

ging wie ein gefällter Baum zu Boden. Geistesgegenwärtig gelang ihm noch ein Beinfeger<br />

und dieser holte auch Bones von den Beinen. Genervt kam diese wieder auf die Füße und<br />

meinte zu Ziva: „Lass uns das hier zu Ende bringen.“ Sie jappste nach Luft, wie die anderen<br />

auch. So ein Kampf war natürlich ungeheuer anstrengend. Bones tat inzwischen fast jeder<br />

Muskel weh, aber das kannte sie durchaus von diversen Trainingsrunden. Ihre Oberlippe hatte<br />

bei einem Treffer Jakes leicht angefangen zu bluten und sie würde am rechten Oberschenkel<br />

einen heftigen Bluterguss bekommen. Aber das machte ihr nichts aus. <strong>Die</strong>ser Kampf machte<br />

der Anthropologin wirklich Spaß. Ziva hatte Bones‟ Worte gehört und keuchte:<br />

„Meinetwegen. Lass sie uns vernichten.“<br />

Noch einmal umkreisten sich die Paare, dann wollte Jake der Sache ein Ende machen<br />

und schoss überraschend vor. Nur leider nicht überraschend genug für Bones. <strong>Die</strong>se hatte<br />

Jake sehr genau im Auge behalten, und als er blitzschnell auf sie zu trat, erwischte sie seinen<br />

rechten Arm und setzte noch einmal alle ihr verbliebene Kraft ein, um Jake mit einem Hüft-<br />

wurf zu Boden zu werfen. Er landete etwas unglücklich auf dem Rücken und ihm blieb die<br />

Luft weg. Zur gleichen Zeit gelang es Ziva, Booth, der noch ziemlich angeschlagen von den<br />

Treffern in den Solarplexus war, mit einem harten Kick an den Kopf zu erwischen und damit<br />

das Ende einzuläuten. Auf keuchend ging Booth zu Boden und blieb reglos liegen. Bones und<br />

Ziva sanken auf die Knie und bemühten sich, selbst wieder zu Atem zu kommen. Nach<br />

einigen Minuten waren sie soweit, dass sie sich um Jake und Booth kümmern konnten. Bones<br />

half Booth, der gerade wieder zu sich gekommen war, grinsend auf die Beine. Und Ziva<br />

reichte Jake die Hände, um ihm hoch zu helfen. Als Jake wieder zu Atem gekommen war,<br />

fragte er Bones keuchend: „Sag mal, was für einen Judo-Grad hast du?“ Mit einem freund-<br />

lichen Lächeln erklärte Bones harmlos: „Roku-dan.“ „Na toll. Hättest du das nicht vielleicht<br />

eher sagen können? Der wievielte ist das?“ Bones konnte ein Lachen nicht mehr unter-<br />

drücken. „Der sechste Meistergrad. Wurde mir vor ein paar Monaten verliehen.“ „Prima.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Wirklich prima.“ Bones lächelte liebenswürdig. „Außerdem habe ich den 1.ten Dan in Karate<br />

und den 3.ten Dan in Teakwondo.“ Jake krümmte sich zusammen und hielt sich die<br />

schmerzende Seite und schüttelte frustriert den Kopf. Booth fuhr sich mit der Hand durch die<br />

schweißfeuchten Haare. Er sah Ziva an. „Na, wie ist es, willst du mir nicht auch den Dolch in<br />

der Brust noch einmal herum drehen?“ „Willst du es wirklich wissen?“ Booth nickte<br />

frustriert. „Gōjūryū Karate den ersten Dan und Shōtōkan Karate den dritten. Judo Yon-dan,<br />

das ist der vierte Meistergrad. Und Teakwondo den dritten Dan. Und bevor ihr Angeber euch<br />

noch mal mit Frauen auf einen Kampf einlasst, solltet ihr vorher in Erfahrung bringen, was<br />

die betreffenden Frauen in ihre Freizeit so treiben.“<br />

Kaum hatte Ziva diese Erklärung abgegeben, kamen Wachen herein und befreiten als<br />

erstes Sara und Mulder aus ihrer feuchten Lage, dann gaben sie ihre Zustimmung, dass Bones<br />

und Ziva den Männern in ihre Zellen helfen durften. Als Minuten später alle wieder in ihren<br />

eigenen Zellen waren, räumten die Wachen schnell und gründlich auf, dann verschwanden sie<br />

und die Gefangenen waren wieder alleine. Das grüne Licht blieb erstaunlicherweise an und so<br />

konnten sie sich endlich in Ruhe unterhalten. Erst mal ging es natürlich um den Kampf. Booth<br />

und Jake mussten sich einiges an Geläster anhören. Heather entschuldigte sich in aller Form<br />

bei Ziva und Bones. „Ich habe wirklich nicht gedacht, dass das so einfach möglich ist. Ihr seid<br />

großartig gewesen.“ „Bones, du bis sehr gut, das muss ich neidlos anerkennen.“ Ziva saß im<br />

Schneidersitz auf ihrem Bett und grinste zu ihrer Partnerin hinüber. <strong>Die</strong>se nickte erfreut. „So<br />

gut wie du bin ich aber nicht.“ „Ich möchte <strong>mich</strong> jedenfalls nicht mit einer von euch an-<br />

legen.“, verkündete Sawyer grinsend. „Ich würde vermutlich keinen Stich gegen eine von<br />

euch sehen, hab keine Kampfsporterfahrungen abgesehen von ein wenig Boxen. Bei mir<br />

reicht es gerade mal für eine Kneipenschlägerei.“ Er lachte. Auch Kate meldete sich an-<br />

erkennend zu Wort. „Ich kann etwas Kickboxen, aber gegen eine von euch hätte ich auch<br />

keine Chance. Das war wirklich großartig.“<br />

Abby lachte. „Ich wusste, dass Ziva gut ist, ich wusste nur nicht, wie gut sie wirklich<br />

ist.“ „Mehr als nur gut.“, ließ Gibbs sich vernehmen. Allison wollte wissen, ob alles heil ge-<br />

blieben war. Jake grinste freudlos. „Bis auf die Tatsache, dass mein Stolz nicht mehr existent<br />

ist, geht‟s mir gut. Booth, wie sieht es bei dir aus? Mehr als nur dein Stolz verletzt?“ Der<br />

junge FBI Mann schüttelte den Kopf. „Nein, alles dran geblieben, was nicht unbedingt mein<br />

Verdienst ist ...“ Ziva kicherte. „Wenn ich es einsetze um mein Leben zu verteidigen, ist<br />

hinterher nichts mehr heil, das kann ich dir versichern.“ Booth nickte. „Das kann ich mir vor-<br />

stellen. Ich sollte mit Direktor Moore sprechen, auch eine solche Ausbildung zu bekommen.“<br />

Mulder, der sich mit dem kleinen Handtuch ein wenig abgetrocknet hatte, sofern man davon<br />

sprechen konnte, meinte lakonisch: „Dann frag für <strong>mich</strong> gleich mit. Ich komme mir plötzlich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sehr unzulänglich vor.“ Er ließ sich leicht genervt und noch immer sehr nass auf sein Bett<br />

sinken. Er legte sich das Zudeck über den Unterkörper und zog den nassen Kittel aus, und<br />

knotete ihn ans Gitter, in der Hoffnung, dass er dort trocknen möge. Ähnlich verfuhr Sara in<br />

ihrer Zelle, nur, dass sie sich ganz in ihr Zudeck einwickelte. „Ich könnte das nie so lernen. Es<br />

reicht gerade mal für ein wenig Selbstverteidigung. Gil, können wir solche Kampfsportarten<br />

nicht auch auf dem Ausbildungsprogramm haben?“ Grissom zuckte die Schultern. „Frag<br />

Ecklie, der wird sich freuen.“ Sara grinste.<br />

„Sawyer, wie geht es dir eigentlich? Was war denn los gestern?“ Sawyer erschrak, als<br />

Dana diese Frage an ihn richtete. „Nichts weiter.“, stotterte er verlegen. „Nur ein ermüdender<br />

Test.“ Auch Kate war erschrocken zusammen gezuckt. Man hatte ihnen eingebläut, kein Wort<br />

über das Geschehene zu verlieren. Sie stimmte Sawyer hastig zu. „Ja, nichts weiter als ein<br />

anstrengender Test. Sawyer ist einfach nicht in Form.“ Bevor noch jemand etwas sagen<br />

konnte, kam nun doch das rote Licht dazwischen. Anscheinend sollte auf diese Weise<br />

weiteres Fragen unterbunden werden. Fast erleichtert atmeten Kate, Sawyer und auch Locke<br />

auf. Booth und Jake wünschten sich ein wenig Eis, um ihre Beulen und Blessuren zu Kühlen.<br />

Natürlich gab es das nicht. Aber auch Ziva und Bones hätten gerne einige Kühlelemente ge-<br />

habt, um bestimmte Stellen damit zu behandeln. Sie streckten sich auf ihren Betten aus, um<br />

sich zu entspannen. Da das grüne Licht nicht wieder angeschaltete wurde, herrschte den Rest<br />

des Tages wieder einmal erzwungenes Schweigen. Später gab es dann eine kleine <strong>Über</strong>-<br />

raschung. Erstaunlicherweise gab es an diesem Tag noch ein zweites Mal etwas zu essen. Am<br />

gefühlten späten Nachmittag kamen Wachen in den Kerker und brachten den Gefangenen<br />

eine Schüssel heiße Suppe. Dankbar löffelten die Eingesperrten die Suppe in sich hinein. Als<br />

die Schüsseln etwas später wieder eingesammelt wurden, erhielten Bones, Ziva, Booth und<br />

Jake sogar noch eine Sportsalbe gegen Prellungen gereicht, dann wurde für diesen Tag das<br />

Licht gelöscht.<br />

External World 6: Aufbruch<br />

Impavidi progrediamur<br />

Es scheint ein typisch menschlicher Fehler zu sein, dass wir den Wert einer<br />

Person oder einer Sache meistens erst dann erkennen, wenn wir sie verloren haben.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Werner Braun<br />

NCIS Hauptquartier, Washington DC, 13 Uhr<br />

„<strong>Die</strong> anderen vier haben auch alle falsche Identitäten. <strong>Die</strong> gleiche Geschichte. Bis vor<br />

einem Jahr ist keiner von ihnen in irgendeinem Register aufgetaucht. Hast du schon was über<br />

diesen John Locke rausgekriegt?“, fragte McGee. „Ja, ich habe etwas Interessantes über ihn<br />

raus gefunden. Auf dem Flug von LA nach Sydney hat er bei der Buchung angegeben, dass er<br />

auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Aber auf dem Rückflug hat er das nicht. Also habe ich<br />

etwas weiter geforscht. Zuerst dachte ich, er hätte sich in Sydney irgendeiner Operation unter-<br />

zogen, die ihn geheilt hat. Aber er ist in keinem der Krankenhäuser in Sydney aufgetaucht.<br />

Dann habe ich seinen Arzt angerufen. <strong>Die</strong> Lähmung war echt, er konnte ganz sicher nicht<br />

laufen und laut seinem Arzt gibt es keine Methode, die Lähmung wieder rückgängig zu<br />

machen.“, erklärte Tony. „Er muss irgendeine Heilmethode gefunden haben, von der sein<br />

Arzt noch nichts weiß. Er war sicher in einem anderen Krankenhaus in Australien und ist nur<br />

in Sydney gelandet. Das würde auch erklären, warum er in Sydney kein Hotelzimmer gebucht<br />

hat. Jedenfalls macht ihn das weder zum Verdächtigen, noch erklärt es, warum die Entführer<br />

ein Interesse an ihm haben könnten.“, stellte McGee fest.<br />

„Nein, tut es nicht. Aber viel mehr ist über den Kerl nicht rauszukriegen. Er wechselt<br />

seine Jobs und Wohnorte recht häufig, aber er hat immer legale, unauffällige Jobs. Er wuchs<br />

in Heimen und Pflegefamilien auf und hat keine Angehörigen. Unauffälliger Typ, der Pech im<br />

Leben hatte, also. Kein Ahnung, warum irgendjemand an ihm interessiert sein sollte.“ Tony<br />

klang genauso frustriert wie McGee sich fühlte. Er ging Tim mit zwar meistens ziemlich auf<br />

die Nerven, aber im Moment tat sein Partner ihm leid. Tony war genauso besorgt um seine<br />

Kollegen wie er und anders als bei McGee hatten Tonys Ermittlungen alle nur in Sackgassen<br />

geführt. „Wie wär‟s, wenn wir uns etwas zum Mittagessen holen?“ schlug Tim vor. „Wir<br />

haben alles getan, was wir von hier aus können und Sam Austen ist frühestens in zwei<br />

Stunden hier.“ „Klar. Warum holst du nicht was, während ich Direktor Shepard über unsere<br />

Fortschritte informiere? Ich nehme einen Cheeseburger, mit Pommes und Cola.“ „Du willst<br />

doch nur, dass ich dein Essen bezahle, während du Direktor Shepard über meine Fortschritte<br />

informierst.“, stellte McGee nüchtern fest. „Wie kannst du mir nur solche Hintergedanken<br />

unterstellen?“, fragte Tony in gespielt beleidigtem Ton. „Ich nehme nur meine Pflichten wahr.<br />

Da ich im Moment der ranghöchste Agent in diesem Team bin, ist es meine Aufgabe, die<br />

Direktorin zu informieren.“ McGee schüttelte genervt den Kopf. Hatte Tony ihm tatsächlich<br />

vor zwei Minuten noch leid getan?<br />

462


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nachdem McGee mit dem Essen zurück war, verbrachten er und Tony zwei Stunden<br />

mit Warten. Keiner von ihnen sprach sehr viel, beide hingen ihren eigenen Gedanken nach.<br />

Um 15.30 Uhr traf Sam Austen endlich ein. Tony und McGee versprachen sich im Grunde<br />

nicht sehr viel von dem Gespräch, aber wenigstens gab es ihnen etwas zu tun. Das schien<br />

Jenny genauso zu sehen, sie hatte beschlossen, bei dem Gespräch dabei zu sein. „Sergeant<br />

Austen, danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.“, begrüßte Jenny Kates Vater. „Ich<br />

glaube nicht, dass ich Ihnen weiter helfen kann.“, erklärte Austen unglücklich. „Möglicher-<br />

weise doch. Wenn Ihre Tochter in die Entführung der Maschine verwickelt ist, dann hilft es<br />

uns, so viel wie möglich über sie zu erfahren.“, schaltete Tony sich ein. „Ich glaube nicht,<br />

dass Kate etwas mit dieser Sache zu tun hat. Ich weiß, Sie werden denken, ich bin ein naiver<br />

Kerl, der seiner kleinen Tochter nichts Böses zutraut. Aber das ist nicht wahr. Ich kenne Kate<br />

und sie ist keine Heilige. Sie hat ihren Vater getötet und ich war nicht einmal überrascht, als<br />

ich davon erfuhr. Jemand, der sich Kates Hass zuzieht, lebt gefährlich. Aber sie würde keine<br />

unschuldigen Menschen entführen, aus welchem Grund auch immer.“, erklärte Sam Austen<br />

ruhig. „Sie hat eine Bank überfallen, in der sich unschuldige Menschen befanden. Sie hat also<br />

schon einmal aus Habgier Menschen gefährdet, die ihr nichts getan haben.“, konterte Tony.<br />

„Sie wollte kein Geld. Kate hat diese Bank nur überfallen, um an etwas zu kommen,<br />

das in einem der Schließfächer war und ihr selbst gehörte. Ein sentimentales Erinnerungs-<br />

stück. Und wie Sie ganz sicher inzwischen wissen hat sie ihre Komplizen davon abgehalten,<br />

jemanden zu verletzten. Ich bin sicher, dass Sie das bei Ihren Nachforschungen auch schon<br />

selbst in Erfahrung gebracht haben.“, erwiderte Austen kühl. „Sie hat wegen eines Er-<br />

innerungsstücks eine Bank überfallen?“, fragte Tony ungläubig. Sam zuckte mit den<br />

Schultern. „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich meine Tochter verstehe. Das habe ich noch<br />

nie getan.“ „Vielleicht ging es ihr nicht um Geld. Möglicherweise hat jemand sie dazu ge-<br />

bracht, die <strong>Über</strong>zeugungen der Gruppe zu teilen, die das Flugzeug entführt hat.“, erwog<br />

McGee. „Sie meinen Fundamentalisten? Mit solchen Leuten würde Kate sich nicht einlassen.<br />

Sie ist nicht religiös und soweit ich weiß ist sie noch nie zur Wahl gegangen. Politik<br />

interessiert sie nicht.“ „Möglicherweise hat sie sich von jemandem überreden lassen, der ihr<br />

nahe steht. Sie war mit einem Mann unterwegs.“, warf Jenny ein. „Wie weit würde sie aus<br />

Liebe gehen?“ Jetzt dachte Sam einen Moment nach. „Sie hat aus Liebe zu ihrer Mutter einen<br />

Menschen getötet. Kate würde alles tun, um jemanden zu schützen, den sie liebt. Möglicher-<br />

weise würde sie sich auch ausnutzen lassen. Aber sie wäre nicht so blind vor Liebe, dass sie<br />

einen Terroristen unterstützen würde.“ „Danke, Mr. Austen. Sollten Sie irgendetwas von Kate<br />

hören, melden Sie sich bitte unverzüglich bei uns.“, verlangte Jenny. „Kate wird sich nicht bei<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

mir melden. Ich hoffe sehr, von Ihnen auf dem Laufenden gehalten zu werden.“ Sam Austen<br />

erhob sich und verabschiedete sich von den Agents und Jenny.<br />

FBI Hauptquartier, Washington DC, 17.30<br />

Monica und John saßen in Skinners Büro und berichteten ihrem Vorgesetzten von<br />

ihren Fortschritten. <strong>Die</strong> Gespräche mit den Kollegen von Dr. House und Dr. Cameron waren<br />

wenig ergiebig gewesen, aber auch die FBI Agenten hatten in den vier Stunden seit ihrer<br />

Rückkehr herausgefunden, dass sechs der vermissten Passagiere falsche Identitäten hatten.<br />

„Das ist immerhin ein Anhaltspunkt. Ich werde einige Leute darauf ansetzen, alle Kontakte<br />

dieser Personen zu überprüfen während Sie in LA sind. Ich habe gerade mit einem Conrad<br />

Ecklie telefoniert, er ist der Vorgesetzte der Beiden verschwundenen CSI Agenten. Mr. Ecklie<br />

hat uns gebeten, sein Team in die Ermittlungen einzubeziehen. Sie wollen sich das Flugzeug<br />

ansehen, das voraussichtlich morgen in LA eintreffen wird. Ich habe ihm zugesagt, dass seine<br />

Leute die Maschine untersuchen dürfen, solange sie Ihre Arbeit dabei nicht stören.“, erklärte<br />

Skinner. „Ich halte das für eine gute Idee. Vielleicht sehen sie etwas, das unseren Leuten ent-<br />

geht. Je mehr Leute sich in diesem Fall engagieren, desto besser.“, meinte Monica „Ja, so-<br />

lange sie nicht anfangen um Zuständigkeiten zu feilschen. Es werden sicher auch Mitarbeiter<br />

anderer Behörden nach La kommen. <strong>Die</strong> CIA mit Sicherheit, vermutlich wird auch der NCIS<br />

ein paar Leute schicken, da ja auch drei ihrer Agenten vermisst werden.“, prognostizierte<br />

Doggett. „Ja, vermutlich.“, stimmte Skinner zu. „<strong>Die</strong> Direktorin des NCIS wirkte sehr<br />

engagiert. Sie werden sicher morgen auf einige ihrer Leute treffen. Ihr Flug geht um 8 Uhr,<br />

richtig?“ „Ja, Sir.“, bestätigte Doggett. „Dann will ich Sie nicht weiter aufhalten. Ich hoffe,<br />

wir werden mehr wissen, wenn Sie zurück sind.“<br />

Washington DC, Flughafen, 19 Uhr<br />

Doggett sah auf die Uhr, nachdem er und Monica ihr Gepäck aufgegeben hatten. „Wir<br />

haben noch Zeit. Willst du einen Kaffee?“, fragte er Monica „Ja, Kaffee ist eine gute Idee.“,<br />

stimmte Monica zu. Langsam bemerkte sie, wie müde sie nach der schlaflosen Nacht war.<br />

Während Doggett verschwand, um den Kaffee zu holen, sicherte Monica ihnen einen der<br />

letzten freien Tische. Sie vertrieb sich die Zeit damit, die Leute um sich herum zu beobachten.<br />

Es war ziemlich viel los am Flughafen. <strong>Die</strong> meisten Leute, die Monica sah waren Familien<br />

mit Kindern, die aus dem Sommerurlaub zurückkamen. Das war nicht überraschend, da die<br />

Schulferien bald zu Ende gingen. Zwischen all den Familien fielen die beiden jungen Männer<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

am Tisch neben ihr auf. Beide waren Anfang bis Mitte dreißig. Sie waren ordentlich, aber<br />

nicht formell mit dunklen Hosen und Jacketts, aber ohne Krawatte gekleidet. Zu leger für Ge-<br />

schäftsreisende auf dem Weg zu oder von einer Konferenz und zu elegant für Touristen, über-<br />

legte Monica „Ich glaube, wir haben uns geirrt, was Green und Austen angeht, Tony.“, sagte<br />

gerade einer der beiden Männer zu seinem Begleiter. „Sie passen einfach nicht ins Muster.<br />

<strong>Die</strong> sechs Leute, die ich überprüft habe, sind offensichtlich alle Profis. Sie haben falsche<br />

Identitäten und Tarnjobs angenommen. Kate Austen und Jake Green passen nicht in diese<br />

Gruppe.“<br />

Monica wurde hellhörig. <strong>Die</strong>se Leute arbeiteten offensichtlich am selben Fall wie sie.<br />

Vermutlich warteten sie auch auf den Flug nach LA. Sie war neugierig, zu welcher<br />

Organisation die beiden Männer wohl gehörten. CIA? NSA? Homeland Security? NCIS?<br />

„Okay, nehmen wir einfach mal an, dass du Recht hast und die Mörderin und der Ex-Söldner<br />

nur zwei unschuldige Opfer sind. Was wollen die Entführer dann mit ihnen?“ „Ehrlich gesagt:<br />

Ich habe keine Ahnung. Aber die haben wir bei diesem Locke und den beiden Ärzten auch<br />

nicht. Und wenn wir ganz ehrlich sind, wenn man alle nicht verdächtigen Verschwundenen<br />

im Kontext sieht, kann man sich auch fragen, was sie mit den Bundesagenten wollen.“ An<br />

dieser Stelle beschloss Monica, sich mit den beiden Männern bekannt zu machen. Sie würden<br />

sich bei den Ermittlungen ohnehin über den Weg laufen. Es konnte also nicht schaden, wenn<br />

sie sich schon mal mit ihnen vertraut machte. „Entschuldigen Sie. Agent Monica Reyes, FBI.“<br />

Monica zeigte Tony und McGee ihre <strong>Die</strong>nstmarke. „Ich habe einen Teil ihres Gesprächs mit-<br />

gehört. Sie suchen auch nach den verschwundenen Passagieren?“ „Ja, das tun wir. Special<br />

Agent Tony DiNozzo, NCIS. Das ist mein Kollege Timothy McGee.“ Auch Tony zog seine<br />

<strong>Die</strong>nstmarke und zeigte sie Monica „Freut <strong>mich</strong>, Sie kennen zu lernen.“, sagte McGee und<br />

reichte Monica die Hand. „Möchten Sie sich nicht zu uns setzen?“ „Gern.“, erwiderte Monica<br />

und nahm Platz. „Arbeiten Sie allein?“, fragte Tony etwas überrascht. „Nein, ich bin mit<br />

meinem Partner hier. Er holt uns gerade einen Kaffee, er müsste eigentlich gleich zurück sein.<br />

Sie haben also auch schon herausgefunden, dass sechs der verschwundenen Passagiere falsche<br />

Identitäten hatten?“ „Sieh mal an, wir sind also nicht die einzigen, die in den letzten Stunden<br />

etwas anderes getan haben, als dumm rum zu sitzen.“, stellte Tony fest.<br />

„Und von welcher Behörde sind Sie, dass Sie so überrascht sind zu hören, dass das<br />

FBI Fortschritte macht?“, ertönte plötzlich Doggetts Stimme, der gerade hinter Monica auf-<br />

getaucht war. „NCIS. Special Agents DiNozzo und McGee. Und Sie sind ...?“, wollte Tony<br />

wissen. „Agent John Doggett.“ Ohne auf eine Aufforderung zu warten nahm Doggett auf dem<br />

letzten freien Stuhl am Tisch Platz. „Der NCIS weiß auch schon von den Tarnidentitäten.“,<br />

erklärte Monica ihrem Partner. „Es sieht ganz danach aus, als hätte eine Organisation mit<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Geld und Einfluss die Entführung seit über einem Jahr geplant. Solange lebten die sechs<br />

Leute jedenfalls schon mit ihren Tarnidentitäten.“ „Ganz genau. Und deswegen glaube ich<br />

nicht, dass Kate Austen und Jake Green mit der Sache zu tun haben. Nach allem was wir<br />

wissen sind sie Einzelgänger, unbeständig, schwer zu kontrollieren. Sie wären für eine solche<br />

Organisation ein Risiko.“, stellte McGee fest. „Ich glaube auch nicht, dass Green und Austen<br />

an der Entführung beteiligt waren. Das passt nicht zu ihnen.“, stimmte Monica McGee zu.<br />

„Und woher wissen sie so viel über den Charakter von Jake Green und Kate Austen?“, fragte<br />

Tony sichtlich entnervt.<br />

„Ihre Lebensläufe zeigen deutlich, wie unbeständig Austen und Green sind. Sie hatten<br />

beide ständig wechselnde Jobs und Wohnorte. Kate Austen war fast die ganze Zeit allein, es<br />

passt nicht zu ihr, mit einer größeren Gruppe zu arbeiten. Sie ist kein besonders geselliger<br />

Mensch. Und obwohl sie sich im Grunde Beständigkeit und ein normales Leben wünscht, hat<br />

sie den sicheren Weg gewählt. Sie fühlt sich nur sicher vor der Polizei, wenn sie jederzeit<br />

aufbruchsbereit ist. Und sich einer Terrorzelle anzuschließen würde nicht gerade zu ihrer<br />

Sicherheit beitragen. Sie ist bereit für etwas zu kämpfen, wovon sie überzeugt ist, aber es<br />

müssten ihre <strong>Über</strong>zeugungen sein und nicht die, die ein Fanatiker ihr einreden will. Und Jake<br />

Green hat offensichtlich einen Hang zu rebellischem Verhalten. Wir haben ihn überprüft. Sein<br />

Vater ist Bürgermeister, seine Mutter Krankenschwester, sein Bruder Anwalt. Jake dagegen<br />

ist schon früh mit dem Gesetzt in Konflikt gekommen und hat sich mit Gelegenheitsjobs<br />

durchgeschlagen. Jake besitzt Ehrgeiz und Mut, aber sein Eigensinn hält ihn oft davon ab,<br />

diese Qualitäten konstruktiv einzusetzen. Er wäre zu schwer zu kontrollieren.“, erklärte<br />

Monica ruhig.<br />

„Und all das entnehmen sie den Lebensläufen der beiden?“, fragte Tony fassungslos.<br />

„Nein, nicht nur. Aber ihre Lebensläufe passen zu dem, was ich über die Beiden heraus-<br />

gefunden habe.“ „Und woher haben sie die kompletten Persönlichkeitsanalysen von zwei<br />

wildfremden Menschen?“, fragte Tony erstaunt. „Durch ihre Geburtsdaten und ihre Namen.“,<br />

antwortete Monica „Das ist alles, was man braucht, um ein numerologisches Profil von<br />

jemandem zu erstellen. Das, was ich über die Persönlichkeit von Kate Austen und Jake Green<br />

weiß, sagt mir ihre Hauptcharakterzahl. Greens Hauptcharakterzahl ist die eins. Das bedeutet,<br />

dass er mutig und selbstbewusst ist, aber auch eigensinnig und stur. Er kämpft für die Werte,<br />

die ihm wichtig sind, auch wenn er sich damit das Leben schwer macht. Es fällt ihm schwer,<br />

sich anzupassen. Alles, was ich über seinen Lebenslauf weiß, passt perfekt zu diesem<br />

Charakter. Bei Kate Austen sieht das etwas anders aus. Sie lebt nicht das Leben, das zu ihrer<br />

Persönlichkeit passt. Ihre Hauptcharakterzahl ist die sechs. Im Grunde ist sie ein gutmütiger<br />

Mensch, der sich nach Liebe, Harmonie und einem wirklichen Zuhause sehnt. Aber das hat<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sie nie gehabt. Ihr Vater hat ihre Mutter schwer misshandelt, möglicherweise auch sie. Es war<br />

nicht das Zuhause, dass sie sich gewünscht hat, aber sie ist geblieben, aus Liebe und Ver-<br />

antwortungsgefühl ihrer Mutter gegenüber. Sechsermenschen sind nämlich sehr loyal und<br />

würden sehr viel für einen Menschen tun, den sie lieben.“<br />

Tony sah Monica einen Moment lang entgeistert an. Dann wandte er seine Aufmerk-<br />

samkeit John zu. „Meint sie das ernst?“, fragte er Monicas Partner. „Das sollten Sie besser<br />

Agent Reyes fragen.“, antwortete Doggett eisig. Er hielt zwar selbst nicht viel von Monicas<br />

eigenwilligen Theorien, aber er wusste, dass sie eine gute Agentin war und erwartete, dass<br />

andere sie mit Respekt behandelten. Tony wandte sich wieder Monica zu. Sein Gesichtsaus-<br />

druck wechselte innerhalb von Sekunden von ungläubig zu spöttisch. „Das ist ihr Ernst.“,<br />

stellte er fest. „Ja, das ist mein Ernst.“, antwortete Monica ruhig. „<strong>Die</strong> Numerologie sagt sehr<br />

viel über einen Menschen aus.“ Tonys Grinsen wurde breiter. „Jetzt weiß ich auch, was dieser<br />

Drachen von Klinikchefin gemeint hat, als ich mit ihr telefoniert habe. Sie sagte irgendetwas<br />

davon, dass Dr. House und Dr. Cameron verdächtige Karmazahlen haben. Und sie war ziem-<br />

lich aufgebracht. Irgendetwas sagt mir, dass das etwas mit Ihnen zu tun hat.“ „Dr. Cuddy steht<br />

esoterischen Denkansätzen nicht sehr aufgeschlossen gegenüber.“ antwortete Monica<br />

diplomatisch. „Wie kommt das bloß? Wie kann eine Wissenschaftlerin nur an der Zuver-<br />

lässigkeit von Numerologie zweifeln?“, fragte Tony ironisch.<br />

„Oh, Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie zuverlässig die Numerologie ist.<br />

Wann sind sie geboren?“, fragte Monica „Warum? Wollen Sie mir eine Geburtstagskarte<br />

schicken?“, fragte Tony. „Ich möchte Ihnen zeigen wie die Numerologie funktioniert.<br />

Vielleicht ändern Sie ja ihre Meinung, nachdem ich ihr numerologisches Profil erstellt habe.“,<br />

erklärte Monica lächelnd. „Das bezweifle ich, aber ich will ja kein Spielverderber sein. 8. Juli<br />

1978.“ Monica und McGee zogen die Augenbrauen hoch. „Was?“, fragte Tony. „Meine<br />

Partnerin scheint zu bezweifeln, dass sie die 30 noch nicht überschritten haben. Genau wie ihr<br />

Partner. Und ich teile die Skepsis der Beiden.,“ schaltete sich Doggett ein. „Na gut. 73, okay?<br />

8. Juli 1973.“, antwortete Tony genervt. „Zufrieden?“ „Ja, das kommt hin.“, antwortete<br />

Monica schmunzelnd. „Ist Anthony DiNozzo ihr vollständiger Name?“ Tony nickte. Monica<br />

nahm einen Notizblock und einen Kuli aus ihrer Tasche und begann zu schreiben. Ein paar<br />

Minuten später sah sie auf. „Und, was haben Sie über <strong>mich</strong> raus gefunden, Agent Reyes?“,<br />

fragte Tony grinsend. „Ihr Profil ist interessant. Auf den ersten Blick scheint Ihre Persönlich-<br />

keitszahl nicht zu ihrer Hauptcharakterzahl zu passen. Das kommt selten vor. So etwas sieht<br />

man nur bei Menschen, die ihrer Umwelt nicht den Kern ihrer Persönlichkeit zeigen. Ihre<br />

Persönlichkeitszahl ist die 5. Das heißt, dass sie ein abenteuerlustiger, temperamentvoller und<br />

leidenschaftlicher Mensch sind. Sie können sehr charmant sein und haben Erfolg bei Frauen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sie mögen die schönen Dinge des Lebens: ein gutes Essen, ein guter Film oder ein Abend mit<br />

einer schönen Frau. Durch ihre Freude an angenehmen Freizeitbeschäftigungen sind Sie oft<br />

unbeständig, unpünktlich oder unzuverlässig und wahrscheinlich sind Sie nicht besonders<br />

ordentlich.“<br />

„Donnerwetter.“, staunte McGee. Er klang ehrlich beeindruckt. „Sie haben Tony<br />

gerade perfekt beschrieben.“ „So leicht lässt du dich beeindrucken, Bambino? Das war doch<br />

nur eine Mischung aus guter Beobachtungsgabe und Glück im Raten. Ich arbeite für den<br />

NCIS, das kann schon mal recht gefährlich werden und setzt ein gewisses Maß an Abenteuer-<br />

lust voraus.“ Nach einem Blick auf McGee fügte er hinzu: „Ausnahmen bestätigen die Regel.<br />

Nun gut. Ich bin Italiener, wie Sie aus meinem Nachnamen geschlossen haben, Leidenschaft<br />

und Temperament liegen mir im Blut. Und man muss kein Genie sein, um zu vermuten, dass<br />

ich Erfolg bei Frauen habe. Ich sehe gut aus, habe Humor und bin, wie wir schon festgestellt<br />

haben, temperamentvoll und leidenschaftlich. Ich bin eben ein Frauentyp. Dass ich die<br />

schönen Dinge des Lebens liebe, war gut geraten. Ehrlich: Wer tut das nicht? Und das mit der<br />

Unbeständigkeit haben Sie wahrscheinlich daraus geschlossen, dass ich keinen Ehering trage.<br />

Es war einen Versuch wert: Wenn es stimmt, können Sie damit zusätzlich beeindrucken,<br />

wenn nicht, war es ein Fehler bei vielen Treffern.“, erklärte Tony grinsend.<br />

Monica lächelte. „Ein eingefleischter Skeptiker, wie ich sehe. Aber ich bin ja auch<br />

noch nicht fertig. Das war erst mal nur ihre Persönlichkeitsanalyse, die aufdeckt, was jeder,<br />

der Sie ein bisschen kennt, wie ihr Kollege, über Sie weiß. Kommen wir zu Ihrer Haupt-<br />

charakterzahl, dem Kern ihrer Persönlichkeit, den nicht viele Menschen kennen. Ihre Haupt-<br />

charakterzahl ist die 8. Sie sind ein Kämpfer, auch wenn man das durch Ihre unbekümmerte<br />

Fassade nicht sofort sieht. Wenn Sie sich ein Ziel gesetzt haben, für das es sich zu kämpfen<br />

lohnt, dann zeigen Sie eine enorme Ausdauer und Leistungsbereitschaft. <strong>Die</strong>se Seite ihrer<br />

Persönlichkeit ist ein wichtiger Teil von Ihnen, sie bestimmt den Weg, den Sie in ihrem<br />

Leben einschlagen. Ihre Hauptcharakterzahl verträgt sich gut mit ihrer Karmazahl, der 17. Es<br />

ist ihr Schicksal, für ihre <strong>Über</strong>zeugungen und die Menschen, die Ihnen etwas bedeuten zu<br />

kämpfen, die Wahrheit zu finden und wenn es darauf ankommt, die Hoffnung nicht zu ver-<br />

lieren. <strong>Die</strong>se Seite von Ihnen kommt nicht oft zum Vorschein. Vielleicht brauchen Sie einen<br />

besonderen Menschen in ihrem Leben, der Ihnen hilft, diese Seite ihrer Persönlichkeit zu<br />

entwickeln. Einen Menschen, der ihr Potenzial sieht und nicht zulässt, dass Sie sich weiter<br />

hinter ihrer Fassade verstecken. Einen Menschen mit starken <strong>Über</strong>zeugungen und dem Mut<br />

für diese <strong>Über</strong>zeugungen zu kämpfen, koste es was es wolle.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tony war im ersten Moment sprachlos und McGee glaubte einen Moment lang, in den<br />

Augen seines Kollegen Tränen gesehen zu haben. Nach einem Moment brach Tony das<br />

Schweigen und zur <strong>Über</strong>raschung der anderen sah er Monica nun nicht mehr spöttisch,<br />

sondern wütend und feindselig an. „Haben Sie uns hinterher geschnüffelt, damit Ihnen ja<br />

nichts entgeht, was der NCIS herausgefunden hat? Das können Sie vom FBI ja besonders gut,<br />

nicht wahr? Sie warten, bis wir eine heiße Spur haben und reißen dann die Zuständigkeit an<br />

sich. Haben Sie sich bei der australischen Navy erkundigt? Oder die Angehörigen der Ver-<br />

dächtigen gefragt, welche Fragen ich ihnen gestellt habe? Und jetzt behaupten Sie, ihr<br />

Hokuspokus hätte Ihnen gesagt, dass ich hartnäckig bin. Und woher wissen Sie so viel über<br />

Ziva? Von ihrem Kollegen Fornell? Haben Sie sich bei ihm über unsere Kollegen erkundigt?<br />

Zuerst dachte ich, dass Sie einfach nur nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Aber jetzt<br />

wird mir klar, dass Sie ihre Position beim FBI nutzen, um Informationen über Leute zu<br />

kriegen, die sie nachher bei ihrer numerologischen Analyse aus dem Hut zaubern können. Sie<br />

sollten sich schämen, ihre Position so auszunutzen.“, warf Tony Monica wütend an den Kopf.<br />

Monica war im ersten Moment geschockt von Tonys Ausbruch. Sie fühlte sich nicht<br />

angegriffen, sie bedauerte vielmehr, unabsichtlich einen wunden Punkt getroffen zu haben.<br />

Bevor sie eine diplomatische Erwiderung finden konnte, ergriff ihr Partner das Wort. „Ihnen<br />

ist klar, dass Sie wegen dieser Anschuldigungen wegen Beamtenbeleidigung belangt werden<br />

können? Agent Reyes ist eine hervorragende Agentin und sie würde niemals ihre Stellung<br />

missbrauchen, um sich zu profilieren. Dass Sie den Methoden von Agent Reyes skeptisch<br />

gegenüberstehen, gibt Ihnen noch lange kein Recht, ihre Integrität oder ihren Verstand in<br />

Frage zu stellen. Wenn Sie keine ernsthaften Schwierigkeiten bekommen wollen, sollten Sie<br />

sich auf der Stelle bei Agent Reyes entschuldigen.“, verlangte Doggett kalt. Monica legte<br />

ihrem Partner beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Lass es gut sein, John.“ Dann<br />

wandte sie sich an Tony. „Ich habe anscheinend einen wunden Punkt getroffen und dass tut<br />

mir leid. Es war nicht meine Absicht, die Situation für Sie noch schwerer zu machen. Glauben<br />

Sie mir, ich habe <strong>mich</strong> weder über Sie, noch über ihre Kollegin erkundigt. Wir haben nur die<br />

potentiellen Verdächtigen überprüft, zu denen wir ihre Kollegen nicht gezählt haben. Wenn<br />

ich <strong>mich</strong> über sie erkundigt hätte, hätte ich wahrscheinlich genug über Sie und ihre Partnerin<br />

gewusst, um das Thema nicht anzuschneiden. Manchmal braucht man einen Menschen, der<br />

einem hilft, zu sich selbst zu finden. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie diesen Menschen<br />

noch nicht gefunden haben. Offensichtlich habe ich <strong>mich</strong> da getäuscht. Ich hoffe, Sie be-<br />

kommen Ziva wieder. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um bei der Suche zu<br />

helfen. Alles Gute, Agent DiNozzo.“ Monica verabschiedete sich noch von McGee und ver-<br />

ließ dann mit John das Cafè.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Säge<br />

Sterben kann gar nicht so schwer sein - bisher hat es noch jeder geschafft.<br />

Norman Mailer<br />

<strong>Die</strong> Gefangenen dämmerten am folgenden Tag vor sich hin. <strong>Die</strong> vier Kämpfer<br />

pflegten ihre Prellungen. <strong>Die</strong> Stunden tropften langweilig dahin. Schließlich rechnete keiner<br />

von ihnen mehr damit, dass an dem Tag noch etwas passieren würde. Locke war morgens<br />

abgeholt worden und noch nicht zurück, aber das war inzwischen nichts Ungewöhnliches<br />

mehr. Er wurde sehr oft stundenlang geholt, scheinbar war er mit seinen angeblichen Fähig-<br />

keiten ungeheuer spannend und wichtig für ihre Entführer. Als in die drückende Stille hinein<br />

plötzlich die Lautsprecherdurchsage: „Nummer 2 und 9.“, ertönte, schraken alle zusammen. -<br />

Oh Gott, was nun wieder?. - fuhr es Jake nervös durch den Kopf, als er aufstand und an die<br />

Tür trat. Heather war ziemlich beunruhigt, als sie zusammen mit Jake abgeholt wurde. <strong>Die</strong><br />

Letzten, die zusammen geholt worden waren, waren alle in ziemlich desolatem Zustand<br />

wieder zurück gebracht worden. Keiner von ihnen hatte jedoch auch nur das kleinste Wort<br />

darüber verloren, was man ihnen angetan hatte. Alle waren jedoch anschließend in den Be-<br />

lohnungsraum gekommen. Gerne wäre sie mit Jake auch einmal wieder in die kleine<br />

Wohnung gebracht worden. Allerdings nicht um den Preis, dass man Jake oder ihr dafür<br />

etwas antun würde. Nach dem Schlafentzug waren sie und Jake, nein, eigentlich nur sie,<br />

dumm genug gewesen, nicht alle Möglichkeiten dort voll ausgenutzt zu haben. Heather<br />

lächelte kurz. <strong>Die</strong>sen Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Man wusste ja nicht, ob<br />

man das alles hier überleben würde. Und sie wollte den Mann, den sie so sehr liebte,<br />

wenigstens einmal in ihrem eventuell nicht mehr allzu lange währenden Leben richtig be-<br />

rühren, fühlen, in sich spüren, wollte mit ihm schlafen. <strong>Die</strong> junge Frau hatte Angst. Gerade<br />

die Tatsache, dass für die Verhältnisse der Entführer lange nichts passiert war, beunruhigte sie<br />

mehr, als sie zugeben würde. Jake, der sie immer wieder von der Seite anlächelte, schien nicht<br />

sonderlich beunruhigt zu sein. Dass es in seinem Inneren ganz anders aussah konnte Heather<br />

nicht wissen.<br />

Sie wurden durch den schon bekannten Flur zu einem Fahrstuhl geführt. Dann ging es<br />

mit dem Fahrstuhl zwei Etagen nach unten. Der Fahrstuhl, dass erkannte Heather, die es ge-<br />

wohnt war, auf Kleinigkeiten zu achten, hatte nicht einmal eine Typenbezeichnung oder ein<br />

Herstellerschild. <strong>Die</strong> achteten wirklich akribisch darauf, dass keinerlei Hinweise auf den Auf-<br />

enthaltsort, noch auf die Identität ihrer Entführer gegeben wurde. Der Flur, in dem Jake und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather aus dem Fahrstuhl steigen mussten, unterschied sich nicht im Mindesten von den<br />

Fluren, die sie bisher schon gesehen hatten. Auch die Anordnung der Räume schien in jeder<br />

Etage identisch zu sein. Das alles trug natürlich ungeheuer zu einer völligen Desorientierung<br />

bei. Vor ihnen öffnete sich eine Tür und die beiden Gefangenen wurden in den dahinter<br />

liegenden Raum gebracht. Heather musste sich an die Wand stellen und spürte, wie sie mittels<br />

eines Karabinerhakens an der Selben fixiert wurde. Jetzt ging im mittleren Teil des sehr<br />

langen Raumes Licht an. Verständnislos sahen Jake und Heather ein langes Fließband, an<br />

dessen Ende eine große, gefährlich aussehende Kreissäge installiert war. Das Fließband ließ<br />

einen schmalen Durchgang zum hinteren Raumtrakt, der im Dunkeln lag, offen. <strong>Die</strong> beiden<br />

Bewacher packten Jake an den Oberarmen und führten ihn konsequent zu dem Fließband.<br />

Als Jake unmittelbar neben dem Band stand, sah er, dass es ziemlich breit war und<br />

dass rechts und links des beweglichen Transportbandes lange, runde Schienen von einem<br />

Ende des Fließbandes bis zur Säge führten. Jake bekam langsam ein sehr unangenehmes Ge-<br />

fühl im Bauch. Als noch zwei weitere Wachleute zu ihm traten verstärkte sich das unan-<br />

genehme Gefühl und wurde zu ausgewachsener Angst. Seine Handfesseln wurden gelöst.<br />

Dann erhielt er den knappen Befehl, sich auf das Laufband zu legen. Angesichts der deut-<br />

lichen <strong>Über</strong>macht an Bewachern entschied er sich resigniert, zu gehorchen. Er hatte wohl nur<br />

die Wahl, zwischen freiwillig und schmerzlos und gezwungen und rücksichtslos zu wählen,<br />

verlieren würde er so oder so. Als er lag, griffen die Wachleute sich seine Arme und Beine<br />

und ließen die Karabinerhaken seiner Hand und Fußgelenkringe um die Schienen rechts und<br />

links des Bandes schnappen. Jetzt wurde aus der Angst nackte Panik. Was, um alles in der<br />

Welt, sollte das hier werden? Er spürte, wie er am ganzen Körper anfing zu zittern. Schweiß<br />

brach ihm aus. Er wendete den Kopf und sah zu Heather herüber, die zunehmend beunruhigt<br />

dieses eigenartige Treiben beobachtete hatte. <strong>Die</strong> Wachleute traten zurück und es gab ein<br />

leises Zischen. Aus dem Boden um das Fließband herum wurde schnell eine solide, aus<br />

dickem Sicherheitsglas bestehende Wand hochgefahren, die die Apparatur hermetisch ab-<br />

riegelte. Jetzt verließen die Wachleute den Raum, nicht jedoch, ohne Heather von ihren<br />

Fesseln zu befreien. <strong>Die</strong> junge Frau eilte zu der Glaswand hinüber und starrte entsetzt auf den<br />

hilflos gefesselten jungen Mann. Hoffnungslos, mit gespreizten Armen und Beinen lag Jake<br />

auf dem Laufband, konnte zwischen seinen Beinen das Sägeblatt in höchstens 4 Metern Ent-<br />

fernung sehen.<br />

Beide zuckten heftig zusammen, als im bisher im Dunkeln daliegenden Raumteil Licht<br />

angeschaltete wurde. Sie erkannten, dass die hintere Wand auch aus Glas war. Jetzt konnten<br />

sie in den dahinter liegenden Raum gucken. Dort stand John Locke und sah zu den beiden<br />

jungen Leuten hinüber. Heather wollte gerade eine Frage stellen, was das hier sollte, als es ein<br />

471


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Knacken im Lautsprecherbereich gab. <strong>Die</strong> ihnen schon so wohlbekannte Stimme ertönte.<br />

„Nummer 12, vor dir hast du eine Anordnung von zwölf Schaltern. Zehn dieser Schalter<br />

werden bei Betätigung das Laufband, auf dem Nummer 2 liegt, jeweils schneller auf die Säge<br />

zutreiben.“ Jake keuchte erschrocken auf, als sich das Band unter ihm ein Stück bewegte.<br />

„Einer der Schalter stoppt die Vorwärtsbewegung, und einer rettet Nummer 2 das Leben, in<br />

dem er das Band wieder zurückfährt. Wir werden Nummer 2 jetzt in die Startposition bringen,<br />

dann wird das Band sich langsam auf die eingeschaltete Säge zu bewegen. Zehn Minuten,<br />

wenn du bis dahin nicht den richtigen Schalter hast, ist Nummer 2 Geschichte. Nummer 2,<br />

hoffe für dein Leben, dass die Fähigkeiten von Nummer 12, über die du so gelacht hast, wirk-<br />

lich vorhanden sind, sonst bist du in zehn Minuten tot.“ Man gab Jake und Heather ein paar<br />

Augenblicke, um das gerade Gehörte einsickern zu lassen. Dann gab es ein metallisches Ge-<br />

räusch und die Kreissäge wurde angeworfen. Ein Tröten ertönte, über der Kreissäge an der<br />

Wand erschien eine Stoppuhr, die rückwärts die Zeit herunter zählte. Und dann gab es einen<br />

Ruck und das Fließband lief an.<br />

Heather starrte, unfähig, zu reagieren, auf Jake, der jetzt wirklich realisiert hatte, was<br />

hier geschah. Würgende Übelkeit überkam den jungen Mann. Er war verloren. Nie im Leben<br />

gab es solche Fähigkeiten, wie Locke sie haben sollte. Großer Gott. Er würde in neun<br />

Minuten tot sein. Grausam, qualvoll und sinnlos gestorben. Als er ganz langsam, aber immer<br />

noch viel zu schnell, auf das große Sägeblatt zufuhr, empfand Jake panische Angst wie nie<br />

zuvor in seinem alles andere als ruhigen Leben. Er hatte immer damit gerechnet, einmal ge-<br />

waltsam zu Tode zu kommen, aber seine <strong>Über</strong>legungen der Art und Weise, wie er sterben<br />

würde waren über eine gnädige Kugel, die seinem Leben ein mehr oder weniger schnelles<br />

Ende bereitete, nicht hinausgegangen. Hier auf eine derart grausame Weise sterben zu<br />

müssen, ließ ihn in panischem Entsetzen Aufkeuchen. Und dann übertönte eine erneute Laut-<br />

sprecheransage den Krach, den die Kreissäge machte. „Nummer 9, du hast die Wahl, zuzu-<br />

sehen oder den Raum zu verlassen.“ Heather erwachte wie aus einer Hypnose und schluchzte<br />

hysterisch auf. „NEIN!“ Jake brüllte los, bemüht, das Kreischen der Säge zu übertönen: „Hau<br />

ab. Raus hier. Verschwinde. RAUS!“<br />

Völlig fassungslos schüttelte Heather den Kopf. Selbst, wenn sie gewollt hätte, sie<br />

konnte Jake nicht verlassen. Sie schrie verzweifelt: „Nein, ich bleibe bei dir.“ Jake hörte ihre<br />

Worte und Tränen traten ihm in die Augen. „HAU AB. VERSCHWINDE. VERZIEH<br />

DICH!“ Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass inzwischen vier Minuten vergangen waren.<br />

<strong>Die</strong> Säge kam näher und näher. Eine eisige Faust krallte sich um sein wie irrsinnig<br />

schlagendes Herz. Er wollte nicht so sterben. Alles, nur das nicht. Wohl wissend, dass es<br />

völlig sinnlos war, fing Jake doch automatisch an, an den Fesseln zu zerren, die ihn auf dem<br />

472


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Laufband hielten. Heather trommelte inzwischen in vollkommener Verzweiflung gegen das<br />

trennende Glas. Immer näher kam das sich drehende Sägeblatt. Heather wurde schlagartig<br />

speiübel. Sie würde gezwungen sein, zuzusehen, wie Jake unter entsetzlichen Qualen sterben<br />

würde. Wimmernd sank die junge Frau am trennenden Glas zu Boden. Jake wurde immer<br />

panischer. <strong>Die</strong> Stoppuhr zeigte noch drei Minuten. Er meinte, schon den Luftzug der Säge zu<br />

spüren. <strong>Die</strong> Todesangst hielt ihn fest umklammert. Wie hypnotisiert klebte sein Blick an dem<br />

Sägeblatt, welches in Kürze mit unerträglichen Schmerzen in sein Fleisch schneiden würde.<br />

Bei 2.30 verlor der junge Mann endgültig die letzte Beherrschung. Verzweifelt brüllte er seine<br />

Panik hinaus. Und merkte gar nicht, genau wie Heather, die am Boden kniend genau so ver-<br />

zweifelt schrie, dass das Laufband nicht mehr auf die Säge zu fuhr, sondern sich von dieser<br />

entfernte. Erst, als plötzlich die Glaswand abgesenkt und die Kreissäge ausgestellt wurde,<br />

bemerkten die Beiden, dass irgendwas anderes war.<br />

Plötzlich stand John Locke neben Jake und öffnete diesem die Handschellen. Jake<br />

hielt sich nicht mit dem Gedanken auf, woher zum Teufel Locke so plötzlich kam. John trat<br />

zu Heather und half dieser auf die Beine. Er reichte Jake, der gar nicht richtig begriff, dass es<br />

vorbei war, eine Hand und zog diesen in eine sitzende Position. Heather flog dem jungen<br />

Mann schluchzend um den Hals. „Ich liebe dich.“, war das einzige, was sie im Augenblick<br />

heraus bekam. Jake starrte apathisch vor sich hin. Und dann schluckte er schwer, atmete tief<br />

ein. „Ich … Wieso … Oh Gott, danke. Danke, Mann.“ Er sah Locke an. <strong>Die</strong>ser nickte<br />

lächelnd. „Keine Ursache. War mir ein Vergnügen. Ich lasse euch dann mal alleine.“ Er<br />

tätschelte dem jungen Mann noch einmal väterlich die Schulter, dann verschwand er so<br />

schnell, wie er aufgetaucht war. Jake schaute ihm nach. Er hockte noch immer ziemlich un-<br />

bequem auf dem Laufband, hatte nur Befürchtungen, dass seine Beine ihn noch nicht wieder<br />

tragen würden, wenn er aufstand. Er bemerkte, dass er klatschnass geschwitzt war und immer<br />

noch am ganzen Leib zitterte. Seine Hände waren kaum im Stande, nach Heathers Kopf zu<br />

greifen und diesen zärtlich festzuhalten. „Ich liebe dich auch.“, stieß er leise hervor. Und dann<br />

trafen sich ihre Lippen zu einem innigen Kuss.<br />

<strong>Die</strong> beiden jungen Leute wurden durch das Eintreffen von vier Wachposten unter-<br />

brochen. Als Heather die Männer bemerkt, ließ sie Jake los und drehte sich mit gesenktem<br />

Kopf herum, immer noch zitternd und leise schluchzend. Widerstandslos ließ sie sich die<br />

Hände auf dem Rücken fesseln und sah besorgt zu, wie bei Jake das Gleiche gemacht wurde.<br />

Heather hoffte, dass sie und Jake nicht in ihre Zellen, sondern in die kleine Wohnung ge-<br />

bracht wurden. Nach der Angst, die sie um ihn gehabt hatte, wollte sie ihm so nahe wie nur<br />

möglich sein. <strong>Die</strong> Wachen führten ihre Gefangenen zurück in den Zellentrakt und zu Heathers<br />

Freude wurden sie tatsächlich zu der Tür an dessen Ende geführt. <strong>Die</strong> Tür zu dem Be-<br />

473


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lohnungsraum öffnete sich und die beiden Gefangenen wurden hinein geführt. <strong>Die</strong> Wachen<br />

lösten ihre Fesseln und ließen sie im Wohnzimmer allein. Sobald die Tür sich hinter ihnen<br />

geschlossen hatte, schlang Heather die Arme um Jake und küsste ihn leidenschaftlich. Jake<br />

erwiderte den Kuss und drückte Heather fest an sich. Nach dem durchstandenen Schrecken tat<br />

es ihm unendlich gut, ihre Nähe und Wärme zu spüren. Er spürte, dass sie immer noch am<br />

ganzen Leib zitterte. Jake selbst hatte sich inzwischen wieder etwas gefangen. Es war nicht<br />

das erste Mal gewesen, dass er sich in Lebensgefahr befand und in der Vergangenheit hatte er<br />

nach solchen Situationen nie Zeit gehabt, sich lange aufzuregen. Er war viel zu sehr mit <strong>Über</strong>-<br />

leben beschäftigt gewesen. Nach einigen innigen Küssen führte Jake Heather zur Couch. Sie<br />

setzten sich und er zog die junge Frau in seine Arme. Jake küsste sanft ihre Stirn und<br />

streichelte ihr Haar. „Ich dachte, sie bringen dich wirklich um.“, brachte Heather mit<br />

zitternder Stimme hervor. „Ich bin okay. Es geht mir gut.“, versuchte Jake sie zu beruhigen,<br />

obwohl seine eigene Stimme auch noch etwas zittrig klang.<br />

„Wie kannst du nach so was okay sein?“, fragte Heather ungläubig. „Du müsstest<br />

eigentlich derjenige sein, der total fertig ist.“ Jake lächelte schwach. „Ganz so ruhig wie du<br />

denkst bin ich auch nicht. Mein Puls ist bestimmt auf 180. Das könnte allerdings auch an<br />

deinen Küssen liegen.“ Heather errötete, erwiderte aber Jakes Lächeln. Wieder zog Jake sie<br />

an sich, verschloss ihre weichen Lippen mit seinen. Heather erwiderte den Kuss leidenschaft-<br />

lich. Angespornt von ihrer positiven Reaktion begann Jake, Heathers Nacken zu streicheln.<br />

Sie seufzte leise. Das Geräusch und die Vibration, die das Seufzen auf Jakes Lippen hinter-<br />

ließ, ließen sein Herz erregt schneller schlagen. Wieder begann Jake sanft, Heathers nackten<br />

Rücken zu streicheln und diesmal zuckte sie nicht zusammen. Stattdessen rückte sie noch<br />

näher zu ihm, bis sie fast auf seinem Schoß saß. Jake beschloss, Heathers Reaktion zu testen,<br />

wenn er einen Schritt weiter ging. Er ließ seine Hände unter ihren Kittel gleiten und<br />

streichelte sanft ihre Brüste. Sie keuchte überrascht und Jake befürchtete, dass er zu weit ge-<br />

gangen war. Er löste sich aus Heathers Umarmung und setzte zu einer Entschuldigung an, als<br />

sie kaum hörbar flüsterte: „Hör nicht auf.“ Jake sah Heather in die Augen, um sicher zu<br />

gehen, dass er richtig gehört hatte. In ihren Augen sah er nur Liebe, Leidenschaft und Ver-<br />

trauen, jede Spur von Zweifel war aus ihrem Blick verschwunden. „Bist du sicher?“, fragte er<br />

leise und Heather nickte. „Ich weiß nicht, ob wir hier lebend rauskommen. Vielleicht kriegen<br />

wir diese Chance nie wieder. Ich möchte nicht sterben, ohne zu wissen, wie es sich anfühlt,<br />

von dir geliebt zu werden.“ Jake wollte Heather beruhigen und ihr versichern, dass sie hier<br />

unbeschadet herauskommen würden, aber er wusste, dass er ihr dieses Versprechen nicht<br />

geben konnte. Also nahm er die junge Frau wortlos auf seine Arme und trug sie ins Schlaf-<br />

zimmer. Er ließ sich auf das Bett sinken und löste das Band, das Heathers Kittel zusammen-<br />

hielt. Er wollte ihren Kittel gerade Abstreifen, als sie seine Hand nahm und ihn zurückhielt. -<br />

474


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Oh nein, bitte, lass sie jetzt keinen Rückzieher machen. - „Jake, glaubst du, hier sind auch<br />

Kameras?“, fragte Heather unsicher. Daran hatte Jake nicht gedacht. „Ja, wahrscheinlich.“ Er<br />

hob die Bettdecke, damit Heather darunter kriechen konnte und sah sie halb fragend, halb<br />

flehend an.<br />

Heather lächelte, als sie den flehenden Ausdruck in Jakes Augen sah. Bei jedem<br />

anderen Mann wäre sie wütend geworden, wenn er sie mit einem so … hungrigen Blick an-<br />

gesehen hätte. Aber nicht bei Jake. Der Gedanke, dass er sie liebte und begehrte ließ ihr Herz<br />

schneller schlagen. Sie entschloss sich, seine unausgesprochene Bitte ebenso nonverbal zu<br />

beantworten und kroch unter die Decke. Einen Moment später hatte sie ihren Kittel ab-<br />

gestreift. Jake grinste wie ein kleiner Junge, dem man gerade einen Besuch in Disneyland<br />

versprochen hatte. Er brauchte keine drei Sekunden, um seinen Kittel auszuziehen und eben-<br />

falls unter die Decke zu schlüpfen. Jake zog Heather in seine Arme und küsste sie zärtlich.<br />

Heather erwiderte den Kuss, aber Jake spürte, wie ihr Körper sich anspannte. „Alles okay?“,<br />

fragte er besorgt. Heather nickte, sah ihm aber nicht ins Gesicht. Jake streichelte zärtlich ihre<br />

Wange und drehte ihr Gesicht dann vorsichtig zu sich. „Hast du Angst?“ Heather errötete.<br />

„Nein… Nicht richtig. … Ich bin ein bisschen nervös, das ist alles.“<br />

Jake sah Heather direkt in die Augen. „Vertraust du mir?“, fragte er. Sie musste nicht<br />

lange über diese Frage nachdenken. „Natürlich.“ „Wovor hast du dann Angst? Du weißt, dass<br />

ich vorsichtig sein werde, oder?“ Tränen der Rührung traten Heather in die Augen, als sie<br />

Jakes aufrichtige Sorge sah. „Ja.“, antwortete sie wieder. Nach kurzem Zögern fuhr sie fort.<br />

„Es ist nur… Du hast sicher schon mit vielen Frauen, ich meine… du warst sicher schon mit<br />

vielen Frauen zusammen. Ich habe Angst, dass ich… dass ich dich enttäuschen werde. Es ist<br />

ja nun mal ein offenes Geheimnis, dass ich ... Ich ... Du weißt, ich habe keinerlei ... Er-<br />

fahrungen.“ <strong>Die</strong> junge Frau biss sich nervös auf die Lippen. Jake sah sie überrascht an. Das<br />

hatte er nicht erwartet. „Heather, sieh <strong>mich</strong> an.“, bat er. Sie drehte zögerlich den Kopf und sah<br />

Jake in die Augen. „Du könntest <strong>mich</strong> niemals enttäuschen. Du bist alles, was ich mir je ge-<br />

wünscht habe.“ Heather sah die Aufrichtigkeit in Jakes Augen und wieder war sie zu Tränen<br />

gerührt. Sie legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn sanft. Jake erwiderte ihren Kuss<br />

und begann langsam, ihren Körper mit den Händen zu erforschen. Heather schloss die Augen,<br />

als Jake ihre Brüste streichelte. Seine Hände fühlten sich auf ihrem Körper unglaublich gut<br />

an. Als er ihre Brüste unendlich sanft liebkoste spürte die junge Frau es bis in den Unterleib.<br />

<strong>Über</strong>rascht keuchte sie auf. Heather spürte, wie Jakes rechte Hand langsam tiefer wanderte<br />

und schließlich zwischen ihren Beinen Halt machte. Sie keuchte erneut überrascht. Was auch<br />

immer er da tat, fühlte sich richtig gut an. Nach ein paar Minuten war es Heather, die Jake<br />

flehend ansah. „Jake, bitte. Ich möchte nicht mehr warten.“, flüsterte sie. Jake lächelte sanft<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und legte sich vorsichtig auf sie. Heathers Augen weiteten sich, als sie ihn zwischen ihren<br />

Beinen spürte. Er hatte ihren Gesichtsausdruck bemerkt und küsste sie lange und innig. Er<br />

ließ sich Zeit, wollte sicher gehen, dass Heather wirklich bereit war. Er spürte ihre Erregung,<br />

fühlte, wie ihr Körper sich ihm entgegen drückte und wusste, dass sie soweit war. Jake hielt<br />

sein Versprechen, er war sanft und zärtlich zu ihr. Als sie ihn schließlich zum ersten Mal in<br />

sich spürte, war sie überrascht, dass es sich ganz anders anfühlte, als sie erwartet hatte. Sie<br />

hatte gedacht, dass ihr erstes Mal sehr wehtun würde. Stattdessen fühlte es sich fantastisch an,<br />

nachdem sie sich an das unbekannte Gefühl gewöhnt hatte. Jetzt verstand sie, warum die<br />

Leute in den Filmen beim Sex immer so stöhnten. Bis jetzt hatte sie das immer für total über-<br />

trieben gehalten, aber bei dem, was Jake da gerade tat, konnte sie das erregte Keuchen bald<br />

selbst nicht mehr unterdrücken. Es dauert nicht lange, bis sie gar nicht mehr versuchte, ihre<br />

Reaktionen zu kontrollieren und sich ganz den Gefühlen hingab, die Jake in ihr auslöste.<br />

<strong>Die</strong> Eiserne Jungfrau<br />

Niemand meint alles was er sagt, und nur wenige sagen alles was sie denken.<br />

Henry B. Adams<br />

Jake und Heather verbrachten die Nacht im Belohnungsraum, nutzten das unerwartete<br />

Beisammen sein diesmal mehr als gründlich aus. Da man nicht wusste, ob und wann es noch<br />

einmal dazu kommen würde, musste man diese kurze Zeit, die man ihnen gab, so gut wie nur<br />

möglich in jeder Beziehung nutzen. Vieles, was man sich sagen wollte, ohne dass die<br />

<strong>Anderen</strong> es hörten, war hier möglich. Als die Beiden schließlich in ihre Zellen zurück ge-<br />

bracht wurden, Heather heftig schluchzend, waren sie sicher, die gemeinsame Zeit so gut es<br />

ging genutzt zu haben. Kaum hatten sich die Zellentüren hinter ihnen geschlossen, wurde den<br />

Gefangenen das karge Frühstück gebracht.<br />

Kurz nach dem Frühstück ertönte aus dem Lautsprecher die Ansage: „4 und 10.“<br />

Cameron warf House einen besorgten Blick zu, bevor sie sich mit dem Rücken zum Gitter<br />

stellte. Allison war aufgefallen, wie erledigt die anderen Gefangenen gewirkt hatten, zuletzt<br />

am Tag vorher Jake und Heather, nachdem sie paarweise abgeholt worden waren. Was hatten<br />

diese Leute mit ihnen vor? <strong>Die</strong> beiden Ärzte wurden von je zwei Wachen aus dem Zellentrakt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hinaus zu einem Fahrstuhl geführt und zwei Etagen nach unten gefahren. <strong>Die</strong> Beiden wurden<br />

durch einen langen Korridor geführt. Cameron hätte nicht sagen können, ob sie auf dem Weg<br />

zu früheren Tests schon einmal durch diesen Flur gegangen waren, oder ob es ein anderer<br />

war. Hier sah einfach alles gleich aus. Als sie schließlich einen Raum betreten mussten,<br />

dessen Tür sich vor ihnen geöffnet hatte, wurde House und Cameron aber schnell klar, dass es<br />

sich nicht um einen der Laborräume handelte, die sie schon kannten. Allison keuchte entsetzt<br />

auf und auch Greg schaffte es nicht mehr, den gelangweilten Gesichtsausdruck beizubehalten,<br />

den er provokant aufgesetzt hatte, als man ihn aus der Zelle holte. In eine der Wände ein-<br />

gelassen befand sich ein Karabinerhaken, in den die Haken eingehakt wurde, mit denen<br />

Camerons Hände auf ihrem Rücken gefesselt waren. Etwa einen Meter entfernt stand eine<br />

Liege, ähnlich der, auf der Sawyer und Jake während des Schlafentzugs gefesselt worden<br />

waren. In vielleicht 1,5 Meter Höhe über der Liege war ein langes, mindestens 1 x 2 Meter<br />

messendes, stabiles Brett befestigt, aus dem hunderte von gut zwanzig Zentimeter langen<br />

Stahlspitzen hervorragten. Am anderen Ende des Raumes sahen House und Cameron ein<br />

Schaltpult mit mehreren Schaltern. Cameron starrte die Liege entsetzt an. Da sie selbst an die<br />

Wand gefesselt war, konnten die Wachen nur vorhaben House auf der Liege zu fesseln. Aber<br />

was hatten sie vor? Cameron fragte sich, was sie tun musste, um zu verhindern, dass House an<br />

dem Nagelbrett aufgespießt wurde. Was auch immer es war, sie würde es tun.<br />

Auch House hatte die Funktion der Apparatur längst erkannt und ihm brach der kalte<br />

Schweiß aus, als er von zwei Wachen zu der Liege geführt wurde. Eine der Wachen löste<br />

seine Fesseln und befahl knapp: „Hinlegen.“ Greg war klar, dass es keinen Zweck hatte, sich<br />

zu weigern, dies würde nur dazu führen, dass man ihn mit Gewalt auf die Liege beförderte. Er<br />

legte sich also zähneknirschend hin und ließ sich Hände und Füße an die Liege fesseln. <strong>Die</strong><br />

Wachen traten nun bei Seite. Dann drückte eine der Wachen einen Knopf und um die Liege<br />

herum fuhr eine Wand aus dickem Sicherheitsglas hoch. House konnte nicht verhindern, dass<br />

Panik in ihm aufstieg. Was wollten die von ihnen? Was mussten er oder Cameron tun, um zu<br />

verhindern, dass er hier aufgespießt wurde? Musste Cameron wieder irgendwelche Aufgaben<br />

lösen oder Fragen beantworten, damit er verschont wurde? Allison würde tun, was sie konnte,<br />

um ihn zu retten, das wusste House. Wenn es nur um die Beantwortung von unangenehmen<br />

Fragen ging, würde sie das tun. Aber was war, wenn sie irgendwelche Aufgaben lösen<br />

musste? Allison war intelligent und gebildet, das war ihm klar. Aber würde sie in dieser<br />

Situation die Nerven behalten können?<br />

Nachdem House nun so gefesselt war, wurde Cameron von der Wand los gemacht.<br />

Sofort eilte sie an die Sperre aus Sicherheitsglas, die sie von House trennte. „Was soll das<br />

bloß wieder werden?“, fragte sie nervös. House sah die junge Frau hilflos an und zuckte die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Schultern. „Ich weiß es nicht, verflucht. Wenn ich mir die Stahlnägel anschaue, nichts Gutes.“<br />

<strong>Die</strong> Wachen verließen den Raum. <strong>Die</strong> beiden Ärzte fragten sich immer noch, was ihre Ent-<br />

führer jetzt wieder von ihnen wollten. Sie sahen überrascht auf, als sich eine Tür öffnete und<br />

John Locke den Raum betrat. Auch Locke sah überrascht aus. Im Gegensatz zu House und<br />

Cameron wusste er jedoch inzwischen, was das hier sollte, aber bisher war er immer in einem<br />

separaten Raum gewesen, aus dem er denjenigen, den er retten sollte und seinen Begleiter,<br />

sehen, aber nicht hören konnte. Was sollte diese Änderung? „Locke, was soll das hier?“,<br />

fragte Cameron nervös. Bevor Locke eine Gelegenheit hatte zu antworten, ertönte aus dem<br />

Lautsprecher eine Stimme: „Nummer 12, vor dir hast du eine Anordnung von zwölf<br />

Schaltern. Zehn dieser Schalter werden das Nagelbrett schneller auf Nummer 4 zu bewegen.“<br />

Das Nagelbrett, das sich in höchstens 1,5 Meter über House‟ Kopf befand, bewegte sich ein<br />

Stück und Greg beobachtete entsetzt, wie die spitzen Nägel sich seinem Körper näherten.<br />

„Einer der Schalter stoppt die Abwärtsbewegung, und einer rettet Nummer 4 das Leben, in-<br />

dem er das Brett wieder zurückfährt. Du hast acht Minuten Zeit. Wenn du bis dahin nicht den<br />

richtigen Schalter betätigt hast, ist Nummer 4 tot. Nummer 4, bete, dass die Fähigkeiten, über<br />

die du so gelästert hat, bei Nummer 12 wirklich vorhanden sind.“ <strong>Die</strong> Stimme verstummte.<br />

Einen Moment später setzte sich das Nagelbrett erneut in Bewegung und an der Wand er-<br />

schien eine Stoppuhr, die acht Minuten rückwärts zählte.<br />

Locke sah einen Moment lang alarmiert auf die Uhr. Acht Minuten. Das waren zwei<br />

Minuten weniger als er bei seinen früheren Versuchen gehabt hatte. Das würde knapp werden.<br />

Locke wurde nervös. Auch House gelang es nicht mehr, die Panik, die in ihm aufstieg, zu<br />

unterdrücken. Sein Leben hing nicht von seinen oder Camerons Leistungen in irgendwelchen<br />

Tests ab, sondern von Lockes angeblichen paranormalen Fähigkeiten. Und die gab es nicht,<br />

davon war House überzeugt. Wenn Locke nicht sehr viel Glück hatte, würde er erst mal<br />

mehrere von den Schaltern drücken, die das Nagelbrett immer schneller auf ihn zu treiben<br />

würden. Seine Chancen, dass Locke schnell genug den richtigen Knopf finden würde, standen<br />

verdammt schlecht. Aber sie standen gleich null, wenn dieser Idiot nicht endlich anfing, die<br />

Schalter auszuprobieren. House sah zu Locke herüber, der vor dem Schaltpult stand und die<br />

verschiedenen Schalter konzentriert ansah. „Mach doch was, verdammt noch mal. Drück<br />

einen Schalter.“, schrie House John panisch an.<br />

„Locke, bitte, tu was. Hilf ihm.“, schluchzte Cameron. „Ich brauche etwas Zeit, um<br />

<strong>mich</strong> zu konzentrieren. Wenn ich einfach irgendeinen Schalter drücke, hilft dir das nicht.“,<br />

erklärte John gezwungen ruhig. Es nützte niemandem, wenn hier alle in Panik geraten<br />

würden. „Hör zu, du verdammter Idiot. Du bist kein Hellseher oder was auch immer. Drück<br />

einen von den bescheuerten Schaltern, dann habe ich wenigstens eine Chance.“, schrie House,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

als er sah, dass John immer noch ruhig vor der Schalttafel stand. „Ich weiß, dass du nicht an<br />

paranormale Fähigkeiten glaubst, aber ich habe auf diese Art schon Bones, Abby, Sawyer und<br />

Jake gerettet. Also bitte, gib mir einen Moment, um <strong>mich</strong> zu konzentrieren.“ Johns Stimme<br />

klang keineswegs so ruhig wie gewöhnlich. Er sah auf die Uhr. Nur noch sechs Minuten. <strong>Die</strong><br />

Stahlspitzen waren kaum noch 1 Meter von House‟ Körper entfernt. Und er hatte noch nicht<br />

einmal angefangen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. <strong>Die</strong> Zeit war von vorneherein<br />

sehr knapp bemessen gewesen und es half nicht gerade, dass er House‟ Geschrei und<br />

Camerons verzweifeltes Weinen hören konnte. Bei den <strong>Anderen</strong> war er immer in einem<br />

anderen Raum gewesen. Das hatte es ihm erheblich leichter gemacht, sich zu konzentrieren.<br />

„Ich habe keine Ahnung, was du bei den anderen gemacht hast, aber es gibt keine<br />

übernatürlichen Fähigkeiten. Also drück einen Schalter, verdammt noch mal, ich will hier<br />

nicht krepieren.“ House hatte nie besonders am Leben gehangen. Er hatte zwar nie an Suizid<br />

gedacht, aber wirklich Angst vorm Sterben hatte er auch nicht gehabt. Es war ja nicht gerade<br />

so, als hätte er viel zu verlieren. Aber bei der Vorstellung, bei lebendigem Leib vom<br />

hunderten von Nägeln langsam aufgespießt zu werden, wurde ihm schlecht. Er hatte gedacht,<br />

er würde vielleicht an einem Herzinfarkt sterben, das wäre bei seiner Lebensweise nicht über-<br />

raschend gewesen. Oder vielleicht bei einem Unfall mit seinem Motorrad, er fuhr schließlich<br />

nicht gerade vorsichtig. Beides wäre ein schneller, relativ schmerzloser Tod. Aber hier auf-<br />

gespießt zu werden musste unvorstellbar qualvoll sein. Und es würde nicht schnell gehen. Er<br />

würde erst sterben, wenn die Nägel sich langsam in die lebenswichtigen Organe bohrten.<br />

Vorher würden sie sich noch durch seine Haut bohren und durch seine Augen. Und er würde<br />

all das bei vollem Bewusstsein mitbekommen. Und Cameron würde es mit ansehen müssen.<br />

Allison. Sie würde daran zerbrechen, ihn so sterben zu sehen. House drehte den Kopf und sah<br />

die junge Immunologin an. Sie schluchzte und schlug verzweifelt gegen das Glas. House sah<br />

von Cameron zu dem Brett über seinem Kopf. Es war keine achtzig Zentimeter mehr entfernt<br />

und Locke machte immer noch keine Anstalten, irgendetwas zu unternehmen. Es war vorbei.<br />

Er würde in ein paar Minuten tot sein.<br />

„Tu doch was. Bitte, Locke.“, schrie Cameron in heller Panik. Locke versuchte an-<br />

gestrengt, alle Geräusche um sich herum auszublenden und sich ganz auf die Schalter zu<br />

konzentrieren. Plötzlich ertönte erneut eine Ansage aus dem Lautsprecher: „Nummer 10, du<br />

hast die Wahl, zuzusehen oder den Raum jetzt zu verlassen.“ Cameron schaffte es nicht, eine<br />

Antwort zu formulieren, sie schluchzte nur noch lauter. Dafür brüllte House los. „Hau ab,<br />

Cameron.“ „Nein.“, schrie sie verzweifelt. „Nein, ich bleibe bei dir!“ „RAUS HIER, ver-<br />

dammt noch mal!“, schrie House genau so verzweifelt. „Nein.“ Allison schluchzte haltlos.<br />

Selbst, wenn sie gewollt hätte, sie konnte den Mann, den sie schon so lange heimlich liebte, in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seinen letzten Minuten nicht alleine lassen. House warf erneut einen Blick auf das Brett über<br />

seinem Kopf. Es war nur noch wenige Zentimeter entfernt. Der zynische Diagnostiker wandte<br />

verzweifelt den Blick ab und sah Cameron an. „GEH. Bitte!“, rief er noch einmal. Allison<br />

schüttelte schluchzend den Kopf. „Ich lass dich nicht allein! Ich liebe dich.“ Jetzt kamen auch<br />

House die Tränen, die ersten seit seiner Kindheit. „Ich liebe dich doch auch, Allison!“, er-<br />

widerte er unter Tränen. „Deshalb sollst du es nicht mit ansehen.“ All die Jahre hatte er ver-<br />

sucht, seine Gefühle für sie vor sich selbst und allen anderen zu verbergen. Aber jetzt, hier, in<br />

den letzten Minuten seines Lebens, gab es keinen Grund mehr zu lügen. Und er wollte nicht<br />

sterben, ohne die Frau, die er liebte, wissen zu lassen, was er für sie empfand.<br />

House wandte seinen Blick nicht von Camerons Gesicht ab. Er wollte die Nägel, die<br />

sich jeden Augenblick qualvoll langsam in sein zuckendes Fleisch bohren würden, nicht<br />

sehen, wollte das unvermeidliche nicht ansehen müssen. Jetzt musste es jeden Moment so<br />

weit sein. Er würde gleich die Nägel auf seiner Haut spüren ... „Greg!“, schrie Cameron plötz-<br />

lich außer sich. „Greg, es ist vorbei.“ Zuerst begriff House nicht, was sie meinte. Doch dann<br />

sah er vorsichtig auf und registrierte, dass das Brett sich nicht mehr auf ihn zu, sondern von<br />

ihm weg bewegte und die Glaswände herunter gefahren wurden. Es war wirklich vorbei. Und<br />

er lebte noch. Locke hatte es wirklich geschafft. <strong>Die</strong>ser kam jetzt, langsam und schweiß über-<br />

strömt, zur Liege hinüber. Währenddessen befreite Cameron House schon von den Hand und<br />

Fußfesseln. Dann klammerte sie sich zitternd an ihn. Locke trat näher und fragte leise: „Ist bei<br />

euch alles in Ordnung?“ Cameron und House zuckten zusammen. Sie hatten beide Lockes<br />

Anwesenheit für einen Moment vergessen. Cameron ließ House los und trat einen Schritt zur<br />

Seite, um Platz für Locke zu machen. „Es geht. Danke, John, wie immer du das gemacht hast,<br />

Danke.“, sagte sie etwas verwirrt. Allison hatte sich zwar nicht über Locke lustig gemacht,<br />

aber auch sie hatte bisher nicht an übernatürliche Fähigkeiten geglaubt. Jetzt war sie eines<br />

Besseren belehrt worden. „Gerne geschehen.“ Locke reichte House eine Hand und half ihm<br />

auf. „Danke, Mann. Es tut mir leid, ich ... Danke.“, sagte auch House. Mehr brachte der sonst<br />

so wortgewandte Arzt im Moment nicht hervor. Unter anderen Umständen hätte er versucht,<br />

dem Rätsel von Lockes Fähigkeiten auf den Grund zu gehen, aber im Moment war er einfach<br />

nur dankbar, dass er noch lebte. „Keine Ursache.“, antwortete Locke erneut und zog sich dann<br />

dezent zurück, um House und Cameron allein zu lassen. Noch bevor Locke den Raum ver-<br />

lassen hatte, fiel Allison House wieder um den Hals. <strong>Die</strong>smal erwiderte House ihre Um-<br />

armung und zog sie eng an sich. Allison klammerte sich weinend an ihn, als würde sie be-<br />

fürchten, dass man sie im nächsten Augenblick von ihm wegreißen und ihn wieder auf die<br />

Liege schnallen würde. House wusste nicht, was er sagen sollte, um Cameron zu trösten, also<br />

hielt er sie einfach wortlos im Arm. Er gestand sich ein, dass es auch ihm gut tat, die junge<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Frau im Arm zu halten. Er zitterte immer noch am ganzen Körper und die Nähe Allisons be-<br />

ruhigte ihn ein wenig.<br />

Nach kurzer Zeit betraten vier Wachen den Raum. House sah zur Tür und löste sich<br />

ein Stück von Cameron. <strong>Die</strong>se sah auf, ließ House aber nicht los. „Es ist ja okay.“, versuchte<br />

er seine Assistenzärztin zu beruhigen. „Mir ist ja nichts passiert.“ Cameron ließ ihn nur sehr<br />

zögernd los. Sie sah nicht mehr ganz so panisch aus wie noch vor einem Moment. Es ver-<br />

blüffte House immer wieder, dass er offenbar einen beruhigenden Einfluss auf Allison hatte.<br />

Beide Ärzte ließen sich widerstandslos die Hände fesseln und wurden dann von den Wachen<br />

zurück in den Zellentrakt geführt. Sie hofften beide, dass sie, wie schon ihre Mitgefangenen,<br />

vielleicht in den Belohnungsraum durften. Ihre Leidensgenossen sahen sie besorgt und<br />

interessiert an, wagten aber nicht, Fragen zu stellen. Als sie an ihren Zellen vorbei geführt<br />

wurden, atmeten beide erleichtert auf. Es ging tatsächlich in den Belohnungsraum. Vor der<br />

Tür dort angekommen, wurden ihnen die Fesseln abgenommen und sie betraten nun zum<br />

ersten Mal ebenfalls die kleine Wohnung. Unter anderen Umständen hätte House sich sofort<br />

begeistert auf den Fernseher oder die Stereoanlage gestürzt, aber im Moment wollte er sich<br />

nur hinsetzen und Allison wieder in seinen Armen halten. Offenbar hatte sie die gleichen Ab-<br />

sichten. Kaum eine Minute später saßen beide auf der Coach, Cameron halb neben House und<br />

halb auf seinen Schoß, und hielten sich in den Armen.<br />

Nach einigen Minuten brach Cameron die Stille. „Hast du das ernst gemeint?“, fragte<br />

sie und sah auf. „Was soll ich ernst gemeint haben?“, fragte House wenig überzeugend<br />

ahnungslos, obwohl er genau wusste, wovon sie sprach. „Du hast gesagt, dass du <strong>mich</strong> liebst.<br />

Also tu nicht so, als wäre nichts gewesen.“, sagte Cameron wütend. „Hast du es so gemeint?“<br />

House seufzte. „Das spielt keine Rolle, Cameron.“ „Was soll das heißen, das spielt keine<br />

Rolle? Natürlich tut es das.“ Cameron löste sich von House und verschränkte aufgebracht die<br />

Arme vor der Brust. <strong>Die</strong> Emotionen waren etwas zu viel für die junge Frau. Eben noch die<br />

entsetzliche Angst, House für immer zu verlieren, dann sein überraschendes Geständnis, dass<br />

er sie ebenfalls liebte, jetzt seine Weigerung, es erneut zuzugeben. „Cameron, hör zu.<br />

Zwischen uns wird das nicht funktionieren, ganz egal, was ich für dich empfinde. Also lass<br />

uns einfach vergessen, was ich gesagt habe, bitte. Mach es uns nicht unnötig schwer.“ House<br />

erwartete nicht wirklich, dass Cameron sich so leichte geschlagen geben würde, aber einen<br />

Versuch war es wert. „Das könnte dir so passen. Ich habe drei Jahre darauf gewartet, diese<br />

Worte aus deinem Mund zu hören und ich werde nicht so tun, als hättest du nichts gesagt.<br />

Hast du es so gemeint, als du gesagt hast, dass du <strong>mich</strong> liebst? Ja oder nein?“ House zögerte<br />

einen Moment und sah Cameron ins Gesicht. Er war fest entschlossen ihre Frage mit nein zu<br />

beantworten. Aber als er ihr in die Augen sah und neben Wut auch Unsicherheit und<br />

481


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Hoffnung sah, konnte er sie nicht belügen. - Verdammt. Wann bin ich eigentlich so weich ge-<br />

worden? - fragte er sich. „Ja, verflucht, ich habe es so gemeint. Aber ich hätte es nie gesagt,<br />

wenn ich nicht geglaubt hätte, dass ich im nächsten Moment aufgespießt werde.“<br />

Cameron hatte offenbar beschlossen, den zweiten Satz geflissentlich zu ignorieren.<br />

Bevor House noch etwas sagen konnte, schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn<br />

leidenschaftlich. House erwiderte den Kuss unwillkürlich, bevor ihm klar wurde, was er da<br />

tat. Sofort beendete den Kuss abrupt und löste sich von Cameron. „Cameron, das ist ein<br />

Fehler. Ich würde dich nur unglücklich machen. Wenn wir hier jemals raus kommen, solltest<br />

du dir einen netten, normalen Kerl in deinem Alter suchen.“ Cameron war mit ihrer Geduld<br />

am Ende. „Ich will aber keinen netten, normalen Kerl in meinem Alter. Ich will dich, warum<br />

geht das nicht in deinen Dickschädel?“ House seufzte. „Du glaubst, dass du <strong>mich</strong> willst. Aber<br />

nach ein paar Monaten, spätestens nach ein paar Jahren mit mir wirst du einsehen, dass ich<br />

dich nicht glücklich machen kann. Ich bin, wie ich bin und ich werde <strong>mich</strong> auch nicht ändern.<br />

Du bist eine hübsche, junge Frau. Irgendwann wirst du dir wünschen, mit einem Mann zu-<br />

sammen zu sein, der dir Blumen schenkt und dich am Valentinstag zum Candle-Light-Dinner<br />

einlädt. Du wirst dir wünschen, einen Freund zu haben, mit dem du Tanzen gehen und lange<br />

Mondscheinspaziergänge machen kannst. Du träumst wahrscheinlich von einem romantischen<br />

Heiratsantrag, einer großen Hochzeitsfeier, einem Haus mit Garten und zwei süßen Kindern.<br />

Der längste Spaziergang, den du mir machen wirst, ist der vom Auto zum Klinikeingang. Den<br />

Valentinstag werde ich wahrscheinlich vergessen, genauso wie deinen Geburtstag und das<br />

Datum des Tages, an dem wir uns kennen gelernt haben. Und wenn ich auf die Idee kommen<br />

sollte, dir auf Knien einen Heiratsantrag zu machen, müsstest du mir hoch helfen. Sieh <strong>mich</strong><br />

an, Cameron. Ich bin ein Krüppel, alt genug, um dein Vater zu sein. Schlag dir das aus dem<br />

Kopf, hörst du.“<br />

„Nein, Greg, das werde ich mir nicht aus dem Kopf schlagen.“, antwortete Cameron<br />

wütend. „Ich liebe dich und ich will mit dir zusammen sein, wann geht das endlich in deinen<br />

Schädel? Ich habe <strong>mich</strong> in dich verliebt, nicht in irgendeinen Kerl, der mir Rosen schickt und<br />

<strong>mich</strong> zum Candle-Light-Dinner einlädt. Ich weiß besser als du selbst, wie du bist und dass<br />

nichts und niemand dich wirklich ändern wird. Unser Nicht-Date bei dem Monster Truck<br />

Rennen war die beste Verabredung, die ich je hatte. Es war ein so wunderschöner Abend, weil<br />

ich mit dir zusammen war. Es ist mir egal, dass ich mit dir nicht tanzen kann. Ich möchte<br />

lieber in deinen Armen auf der Coach liegen und einen Film ansehen oder dir beim Klavier<br />

spielen zuhören, als mit einem anderen Mann in Clubs zu gehen. Verstehst du nicht? Es ist<br />

egal, was wir machen. Und ich brauche kein Haus im Grünen, zwei Kinder und einen Hund.<br />

Ich brauche nur dich. Ich bin glücklich, solange ich mit dir zusammen bin. Und es ist mir<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

doch völlig egal, was die Leute denken. Das ist etwas, das du mir beigebracht hast. Es kommt<br />

nicht darauf an, was andere von dir erwarten. Wichtig ist nur, dass du tust, was du für richtig<br />

hältst. Und ich bin überzeugt, dass das hier richtig ist.“ House sah Cameron einen Moment<br />

schweigend an. „Du meinst das wirklich ernst.“, stellte er schließlich fast resigniert fest.<br />

„Natürlich meine ich das ernst. Ich weiß, was ich will und worauf ich <strong>mich</strong> einlasse. Das ver-<br />

suche ich dir seit drei Jahren klar zu machen.“ „Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir<br />

nicht wehtun werde.“ Allison schlang die Arme um Gregs Hals und er wehrte sich nicht mehr<br />

dagegen. „Ich weiß. Das erwarte ich auch nicht. Ich brauche auch keinen Ring am Finger.<br />

Alles was ich will ist, dass du uns eine Chance gibst.“ House zögerte noch kurz. Dann beugte<br />

er sich vor und küsste Cameron lange und überraschend zärtlich. „Heißt das, du hörst jetzt<br />

endlich auf zu protestieren und verschwindest mit mir im Bett?“, fragte sie erwartungsvoll.<br />

„Da kann es wohl jemand nicht abwarten.“, entgegnete House mit einem Grinsen. Cameron<br />

stand auf und warf House noch einen einladenden Blick zu, bevor sie im Schlafzimmer ver-<br />

schwand.<br />

House folgte Cameron langsam und noch leicht den Kopf schüttelnd ins Schlaf-<br />

zimmer, wo sie bereits nackt auf dem Bett saß und auf ihn wartete. Greg setzte sich zu ihr<br />

aufs Bett und genoss einen Moment den Anblick von Allisons Körper. „Gefällt dir, was du<br />

siehst?“, fragte diese mit einem verheißungsvollen Lächeln. „Sehr. Aber ich habe <strong>mich</strong> lange<br />

genug mit Gucken zufrieden gegeben.“, antwortete House und küsste Cameron, während er<br />

seine Hände über ihren Körper gleiten ließ. Allison erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich<br />

und streifte Houses Kittel ab, um ihrerseits anzufangen, seinen Körper zu erkunden. Langsam<br />

ließen die Beiden sich auf die Matratze sinken. Allison hatte sich immer wieder versucht, aus-<br />

zumalen, wie es sein würde, wenn House sie streicheln würde. Als er es nun endlich wirklich<br />

tat, übertraf dass all ihre Erwartungen. Sie hatte wirklich nicht erwartet, dass er so auf sie ein-<br />

gehen, ihre Wünsche und Sehnsüchte erfüllen würde. Jetzt, hier, nach der durchstandenen<br />

Todesangst, mit ihm zu Schlafen, übertraf alles, was sie sich in ihren kühnsten Träumen vor-<br />

gestellt hatte. Er war ein wundervoller, einfühlsamer Partner und sie wusste plötzlich einen<br />

weiteren Grund, warum sie sich in ihn verliebt hatte.<br />

Fröhliche Weihnachten<br />

Man muss zum Sterben bereit sein. Wahre Liebe findet sich nur dort, wo des<br />

Opferns bis zum Tode kein Ende ist.<br />

483


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Leo Tolstoi<br />

Der Weckton wurde nicht schöner, je öfter man ihn hörte, das stellte Locke fest, als<br />

das grässliche Geräusch einen weiteren Tag in der Gefangenschaft eintrötete. Er hatte das<br />

Gefühl, keine fünf Stunden geschlafen zu haben. Das war sicher durchaus möglich, denn die<br />

Schlafzeiten variierten genau wie die Wachphasen, um ihnen jede Möglichkeit, einen Zeit-<br />

ablauf zu schätzen, zu nehmen. Nicht, dass noch irgendeiner von ihnen auch nur ansatzweise<br />

eine Vorstellung davon hatte, wie lange sie schon hier waren, ob es Tag oder Nacht war,<br />

Helloween, Thanks Giving, Ostern oder schon Independence Day. Es versuchte auch keiner<br />

von ihnen mehr, einen Zeitablauf zu schätzen, das war vergebliche Liebesmüh. Dass ihr<br />

Wissen um die verstrichene Zeit sich schnell ändern sollte, konnte Locke zu diesem Zeitpunkt<br />

nicht ahnen. Auch nicht, dass dieser Tag in einen einzigen, endlosen Horrortrip ausarten<br />

würde. Vor zwei Tagen war der schreckliche Test mit House und Allison gewesen. Als die<br />

beiden Ärzte zurück in die Zellen gebracht worden waren, war eine deutliche Veränderung zu<br />

spüren gewesen. Locke hatte sanft gelächelt. Scheinbar hatte diese grässliche Gefangenschaft<br />

zumindest den Vorteil, dass gewisse Leute sich endlich über ihre Gefühle für einander klar<br />

wurden. Immerhin ein Gewinn unter so vielen Verlusten. Locke war gespannt, wie der<br />

weitere Tag verlaufen würde. Seit Cameron und House zurück gebracht worden waren, hatte<br />

man sie alle zufriedengelassen. Eigentlich kein gutes Zeichen, es deutete meistens darauf hin,<br />

dass ein dickes Ende abzusehen war. Erst einmal bekamen die Gefangenen zur Abwechslung<br />

wieder unmittelbar nach dem Wecken ihre Sandwiches und Wasser gereicht. <strong>Die</strong> beiden<br />

Wachleute, die ihnen das Essen brachten, sahen zufrieden aus. Als alle versorgt waren,<br />

knisterte es plötzlich im Lautsprecher. Dann ertönte die verhasste Stimme: „Gefangenen.<br />

Eigentlich geht es euch nichts an, aber da wir großzügige Menschen sind und heute noch eine<br />

<strong>Über</strong>raschung für euch haben, werden wir es euch doch sagen. Heute ist der 25.te Dezember.<br />

Fröhliche Weihnachten.“<br />

Ungläubig starrten alle vor sich hin. Der 25.12. Das hieß, sie waren schon ... Das<br />

konnte nicht wahr sein. Sawyer rechnete nach, und noch einmal und noch einmal. Aber das<br />

änderte nichts. Sie waren seit dreiundvierzig Tagen hier. Fassungslos sah er zu Kate hinüber.<br />

„Dreiundvierzig Tage. Wir sind seit dreiundvierzig Tagen hier. Das gibt es einfach nicht.“<br />

Auch die <strong>Anderen</strong> waren vollkommen durcheinander. Es konnte doch nicht weit mehr als ein<br />

Monat vergangen sein, seit man sie entführt hatte. Kate sank auf ihre Liege und starrte un-<br />

gläubig vor sich hin. Allison stand am Gitter, blickte durch die Gitterstäbe von Jakes und<br />

Saras Zelle zu House hinüber. „Das kann nicht wahr sein. Ich will nach Hause.“ Sie<br />

schluchzte haltlos auf. Heather ging es nicht anders. <strong>Die</strong> junge Frau war von dieser Eröffnung<br />

484


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ebenfalls vollkommen erschlagen. Sie schluchzte leise vor sich hin und dachte daran, was ihr<br />

Vater empfinden musste. Ihr Schicksal ungewiss, ihr Aufenthaltsort unbekannt, er wusste<br />

nicht einmal, ob seine Tochter noch am Leben war. In die Verzweiflung, die die Worte des<br />

Lautsprecheransagers hinterlassen hatten, platzten nun diverse Wachleute hinein, die die Ge-<br />

fangenen nacheinander aus den Zellen holten. Wenn alle geholt wurden, war das bisher nie<br />

ein gutes Zeichen gewesen.<br />

Man führte sie hintereinander und schweigend durch den langen Flur, der an den<br />

Zellentrakt anschloss und verteilte sie an dessen Ende in die Aufzüge. Es ging nach unten und<br />

dort wurden sie in einen langen, schmalen Raum gebracht, der vollkommen leer war. Nur bei<br />

genauerem Hinschauen konnte man diverse kleine Stahlringe erkennen, die in die Längswand<br />

eingelassen waren. <strong>Die</strong> Gefangenen wurden angewiesen, sich nun der Nummern nach an<br />

diese Wand zu verteilen und dann öffneten die Wächter ihre Handfesseln, nur, um sie sofort<br />

an die Stahlringe zu Fesseln. Mit wild klopfenden Herzen mussten sie alle es ein weiteres Mal<br />

ertragen, vollkommen hilflos vor den Wachleuten zu stehen. <strong>Die</strong> Ringe waren paarweise mit<br />

einem Abstand von vielleicht sechzig Zentimeter nebeneinander, alle dreißig Zentimeter ein<br />

Paar, und in Abständen von zehn Zentimetern übereinander angebracht, sodass jeder Ge-<br />

fangene, egal, wie groß oder klein er war, mit unangenehm in die Höhe gestreckten Händen<br />

dort an den Wänden stand. <strong>Die</strong> Füße wurden nicht gefesselt, das schien wohl nicht nötig zu<br />

sein.<br />

Als die Gefangenen in dieser sehr unangenehmen Haltung, die Handgelenke gut<br />

zwanzig Zentimeter über Kopfhöhe, an die Wände gefesselt worden waren, ließ man sie<br />

alleine. Heather schluchzte noch immer trostlos vor sich hin, genau wie Allison. Beide Frauen<br />

dachten an ihre Familien, die ein sehr trauriges Weihnachtsfest vor sich hatten. Ungewissheit<br />

war schlimmer als alles andere, das wussten sie alle. Bones konnte ein Lied davon singen. All<br />

die Jahre, in denen sie nichts über den Verbleib ihrer Eltern gewusst hatte ... Booth einige<br />

Ringpaare weiter musste mit aller Kraft gegen Tränen ankämpfen, die ihm kommen wollten.<br />

Es war das erste Mal, dass er Weihnachten nicht mit Parker verbringen würde, seit sein Sohn<br />

geboren worden war. Er vermisste ihn so sehr. Was Rebecca dem Jungen wohl erzählt hatte?<br />

Wo sein Vater so plötzlich hin verschwunden war? Gibbs hatte in erster Linie Mitleid mit<br />

denen, die nicht bei ihren Familien sein konnten. Er selbst hatte Weihnachten nach Kelly und<br />

Shannons Tod immer nur als schrecklich empfunden. Häufig hatte er sich sinnlos betrunken.<br />

Er konnte aber sehr gut nachvollziehen, dass die jenigen, die Familie hatten, auch bei dieser<br />

sein wollten. Jake versuchte derweil, Heather zu trösten. „Hey, du wirst deinen Vater wieder<br />

sehen, Kleines, da bin ich sicher. Dann wird alles nachgeholt.“ Seine Stimme klang kratzig<br />

und bedrückt. Er dachte selbst an seine Eltern, legte den Kopf an die Wand und schloss de-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

primiert die Augen. Sie waren verzweifelt, das wusste er sicher. Sein Vater und Eric hatten<br />

gewiss alles mobilisiert, was sie nur mobilisieren konnten, um ihn zu finden, da war er über-<br />

zeugt. Jake konnte nicht mehr verhindern, dass ihm einzelne Tränen über die Wangen liefen.<br />

House dachte an seine Eltern. Er wäre zu Weihnachten nie auf die Idee gekommen, zu<br />

ihnen zu fahren. Er hatte die letzten Jahre Weihnachten häufig zusammen mit Wilson ver-<br />

bracht, der als Jude kein Weihnachten feierte. Sie hatten sehr viel Spaß gehabt, Whiskey ge-<br />

soffen und nicht selten ein paar Nutten dazu geholt. Komischerweise hätte er im Moment eine<br />

Menge dafür gegeben, zu seinen Eltern fahren zu können. Einiges klären mit seinem Vater.<br />

Wer weiß, vielleicht hatte er nie wieder Gelegenheit dazu. Er warf einen Blick zu Cameron<br />

hinüber. Sie hatte immer ganz begeistert von Weihnachten zu Hause bei ihren Eltern und<br />

ihrem älteren Bruder erzählt. Ihre Familie erwartete Jahr für Jahr, dass die Tochter nachhause<br />

kam, um die Feiertage im Kreise der Familie zu begehen. Nun wussten sie nicht einmal, ob<br />

ihre geliebte Tochter überhaupt noch lebte. Camerons verzweifeltes Schluchzen machte<br />

House klar, wie sehr Allison darunter litt, dass sie dieses Jahr nicht bei ihnen sein konnte. Das<br />

sie hier gefesselt und ohnmächtig einer Gruppe unberechenbarer Psychopaten ausgeliefert<br />

war. Er sagte leise: „Ich wünschte, ich könnte dich hier raus beamen wie Scotty, aber das liegt<br />

nicht in meiner Macht. Wenn wir aber hier heraus kommen, ich schwöre dir, ich bringe dich<br />

persönlich zu deinen Eltern, versprochen.“ Allison schluchzte noch heftiger.<br />

Mulder dachte an Weihnachtsfeste, an denen er Dana von ihrer Familie weggeholt<br />

hatte. Da er alleine war, keine Verpflichtungen hatte, Weihnachten bei irgendjemandem zu<br />

verbringen, hatte er auch an diesen Feiertagen nie versäumt, seine Ermittlungen fortzusetzen.<br />

Und er hatte nie Hemmungen gehabt, Scully gnadenlos in seine Untersuchungen hinein zu<br />

ziehen, seit sie ihm zugeteilt worden war. Er versuchte, einen halbwegs munteren Ton zu<br />

treffen: „Bill wird wieder einmal darüber Fluchen, dass ich dich von der Familie fernhalte,<br />

Dana. Deiner Mutter werde ich auch nicht gerade sympathischer geworden sein. Sie haben<br />

natürlich Recht, es ist meine Schuld. Wir werden Weihnachten nachholen, versprochen.“<br />

Dana versuchte, auf den lockeren Ton einzugehen. „Und ich hatte gedacht, du würdest dich<br />

allmählich an meine Familie gewöhnen. Na ja, diesmal hänge ich im wahrsten Sinne des<br />

Wortes mit dir herum, statt <strong>mich</strong> gegen Mums Versuche zu wehren, <strong>mich</strong> zu mästen und zu<br />

versuchen, Bill davon abzuhalten, auf dich los zu gehen.“<br />

Sawyer und Kate sahen sich an. Sawyer sagte leise: „Frohe Weihnachten ... Ist wohl<br />

nicht angebracht, uns die hier zu wünschen, was? Süße, wenn wir hier raus sind, ich schwöre<br />

dir, wir werden Weihnachten nachfeiern, und zwar so, dass du es nie wieder vergessen wirst,<br />

ganz bestimmt.“ Kate biss sich auf die Lippen und erwiderte leise: „So habe ich mir unsere<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erste gemeinsame Weihnacht bestimmt nicht vorgestellt.“ Sie wollte noch etwas hinzufügen,<br />

kam aber nicht mehr dazu, denn die Tür öffnete sich und ein Wachmann kam herein. Er sah<br />

die hilflos an der Wand hängenden Gefangenen an, denen unwillkürlich eine Gänsehaut über<br />

die Körper huschte und sagte dann ruhig, als verkünde er den Menüplan für den Abend:<br />

„Soeben ist eine Entscheidung darüber gefallen, dass zwei von euch in dem laufenden Projekt<br />

überflüssig geworden sind.“ Er beobachtete die Reaktion auf diese Worte. <strong>Die</strong> wehrlosen Ge-<br />

fangenen starrten ihn fassungslos an. Den schluchzenden Frauen blieb das Weinen schlagartig<br />

in den Kehlen stecken. <strong>Die</strong> Gefesselten erstarrten regelrecht und stierten den Wachmann<br />

völlig fassungslos an. Der fuhr ungerührt fort: „Sechs von euch fallen in die engere Wahl, es<br />

wird jetzt darüber entschieden, welche zwei davon am überflüssigsten sind. <strong>Die</strong> Betreffenden<br />

werden umgehend beseitigt. Ihr werdet schmerzfrei sterben, soviel kann ich euch auf jeden<br />

Fall versprechen. Sobald die Entscheidung getroffen ist, werden wir die zwei abholen, auf die<br />

die Wahl fiel.“ Er drehte sich herum und verließ den Raum. Tosende Stille herrschte im<br />

Raum.<br />

Keiner der Gefangenen war in den ersten Minuten nach dieser schrecklichen Er-<br />

öffnung in der Lage, etwas zu sagen. Allen, ohne Ausnahme, schien ein Knoten den Hals ab-<br />

zuschnüren. Mit so was hatte zu diesem Zeitpunkt keiner gerechnet. Kate und Sawyer sahen<br />

sich stumm in die Augen, genau wie Jake und Heather. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein<br />

...“, flüsterte Sara vollkommen fassungslos. „<strong>Die</strong> können doch nicht einfach ...“ Sie ver-<br />

stummte. Sie starrte zu Gil hinüber, der stumm ihren Blick erwiderte. Zu ungeheuerlich war<br />

das, was sie da schlucken mussten. Den Gefesselten schlug das Herz hoch oben im Hals.<br />

„House ...“, wimmerte Allison panisch. Booth schaute zu Tempe hinüber, eine derartige<br />

Traurigkeit in den Augen, dass es Bones regelrecht schlecht wurde, und sagte leise, mit be-<br />

legter Stimme: „Wenn ich ... wenn die Wahl auf <strong>mich</strong> fallen sollte, sage bitte Parker, dass sein<br />

Daddy ihn unendlich lieb hat, okay. Und das wir uns eines Tages wieder sehen werden.“<br />

Bones schluckte. Dann liefen ihr die ersten Tränen über das Gesicht. „Das wirst du ihm selbst<br />

sagen, Booth, da bin ich sicher. Oh, Gott ... bitte ...“ Ziva dachte darüber nach, nach welchen<br />

Gesichtspunkten die Entführer wohl entscheiden würden. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die<br />

Zivilpersonen sicher am ehesten zu verschmerzen waren. Ihr wurde schlecht. Sawyer, Kate,<br />

Jake, Heather, Locke und vermutlich Abby. Sie blickte Gibbs an und las in seinen Augen ähn-<br />

liche <strong>Über</strong>legungen. Selten hatten sie in Gibbs‟ Augen eine solche Angst gesehen. Er sah zu<br />

Abby hinüber und erzitterte. Sawyer und Jake hatten ziemlich ähnliche Gedanken. Alles, nur<br />

nicht Kate oder Heather verlieren müssen.<br />

<strong>Die</strong> Minuten zogen sich dahin, zäh wie Gummi. Keiner sagte etwas. Was wäre in<br />

dieser Situation auch noch zu sagen gewesen? <strong>Die</strong> Angst, die sich immer mehr manifestierte,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ließ einige der Gefangenen zittern. Keiner von ihnen war davor gefeit. Keiner wollte sterben.<br />

Und dann schraken alle heftig zusammen, als die Tür sich öffnete. Panisch schauten alle den<br />

Wachleuten entgegen, die den Raum betraten. Ohne auch nur eine Sekunde zu Zögern, gingen<br />

drei von ihnen zu Sawyer und drei zu Scully. Mulder und Kate erstarrten förmlich. Kate<br />

wimmerte hysterisch auf. „Nein ... bitte ... nein ... bitte nicht.“ Mulder schluckte hart und ver-<br />

suchte, den Kloß der plötzlich in seiner Kehle steckte, herunter zu schlucken. Mit bemüht<br />

ruhiger Stimme sagte er: „<strong>Die</strong>se Entscheidung sollten Sie noch einmal überdenken. Dr. Scully<br />

wird für, was auch immer Ihre Pläne sein mögen, mit Sicherheit nützlicher sein als ich. Wenn<br />

einer von uns überflüssig ist, bin das sicher ich.“ Keiner der Wachleute nahm überhaupt Notiz<br />

von ihm. - NEIN. Nicht du, Mulder. - dachte Dana derweil in panischem Schrecken. Sie hatte<br />

einmal die Fassungslosigkeit und Verzweiflung erlebt, als sie geglaubt hatte, Mulder für<br />

immer verloren zu haben. So kühl die beherrschte Agentin auch wirkte, die Liebe zu ihrem<br />

Partner war echt und tief. Lieber würde sie selbst sterben, als ohne ihn weiter zu leben.<br />

Während Kate vollkommen verzweifelt vor sich hin schluchzte, ließ Sawyer sich<br />

widerstandslos von den Fesseln befreien. Gegenwehr hätte ihm ohnehin nichts genützt.<br />

Nachdem sein Herz vor Schreck und Todesangst im ersten Augenblick einige Schläge über-<br />

sprungen zu haben schien, war er jetzt ganz ruhig und gefasst. Er hatte natürlich Angst, jeder,<br />

der ehrlich genug war, würde das in einem solchen Moment haben, aber in erster Linie war er<br />

einfach nur erleichtert, dass es nicht Kate war, die hier sterben würde. Er sah sie an, lächelte<br />

traurig und sagte dann mit fester Stimme: „Bitte, Freckles, es ist besser so. Von jetzt an<br />

kannst du für dich alleine entscheiden, hörst du. Du musst keine Rücksicht mehr auf <strong>mich</strong><br />

nehmen. Ich liebe dich, werde dich immer lieben, und immer bei dir sein, okay. Du musst hier<br />

raus kommen, versprich mir das. Du musst kämpfen, hörst du, das kannst du.“ Dann sah er<br />

House und Gibbs an und bat: „Kümmert euch um sie, bitte, lasst sie nicht ... Kümmert euch<br />

einfach irgendwie um sie.“ Bevor er noch mehr sagen konnte, wurde er an den Oberarmen<br />

gepackt und aus dem Raum geschoben. Kates verzweifelten Schreie hallten hinter ihm her<br />

und trieben ihm Tränen in die Augen. „NEIN! Ich liebe dich, Sawyer, ich liebe dich ... ich<br />

liebe dich ...“<br />

Scully biss sich auf die Lippen, um nicht auch zu schreien. Ihr Blick hielt den ge-<br />

liebten Mann fest. „Bitte sieh zu, dass du das hier überstehst und mach einfach weiter. Du<br />

hast noch so viel zu erledigen. Sag William, dass seine Mum ihn unendlich geliebt hat und<br />

weiter bei ihm sein wird, auch, wenn er sie nicht sehen kann.“ Mulder konnte keinen klaren<br />

Gedanken fassen und fühlte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Das musste ein Albtraum<br />

sein. Es gab nichts mehr, was er tun konnte. Panik durchströmte den sonst so ruhigen, über-<br />

legenen Agenten wie eine Woge. Er würde sie verlieren, jetzt. Wie sehr er Dana gerade in<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

diesem Moment liebte. Er bewunderte ihre Haltung. Wie gerne hätte er sie noch ein letztes<br />

Mal in die Arme genommen. Aber das einzige, was er noch machen konnte, war, sie mit der<br />

Sicherheit seiner Liebe gehen zu lassen. So brachte er mühsam heraus. „Das werde ich tun.<br />

Ich liebe dich, mehr als du dir vorstellen kannst, Dana und ich werde dich immer lieben. Ich<br />

verspreche dir, diese Mistkerle zur Strecke zu bringen und deiner Familie zu sagen, wie stark<br />

du die ganze Zeit warst. Dein Dad wäre stolz auf dich.“ Er wusste, dass ihr wichtig war, dass<br />

Gerechtigkeit geübt werden würde. Und sie hatte immer gewollt, dass ihr Vater stolz auf sie<br />

war. Ein letzter Blick, dann wurde auch Dana aus dem Raum geführt.<br />

Auf dem Flur wurde eine Tür unmittelbar neben dem Raum, in dem die Gefangenen<br />

hilflos und völlig verzweifelt an der Wand hingen, geöffnet. Mit panisch klopfenden Herzen,<br />

aber äußerlich ruhig, wurden Sawyer und Dana in den dahinter liegenden Raum geführt. Was<br />

sie dort sahen, ließ sie unwillkürlich erschaudern. In der Mitte des Raumes war eine Gas-<br />

kammer aufgebaut worden. Sawyer und Scully schluckten und mussten kurz durchatmen. <strong>Die</strong><br />

Tür der Kammer stand offen, im Inneren waren zwei Stühle installiert und man führte Dana<br />

und Sawyer in die kleine Kammer hinein. <strong>Die</strong> Beiden waren von den Geschehnissen der-<br />

maßen überrumpelt worden, dass sie erst jetzt langsam wirklich realisierten, was hier gerade<br />

geschah. Sie würden jetzt, heute, an Weihnachten, in wenigen Minuten, hier sterben. <strong>Die</strong><br />

Handfesseln wurden gelöst und sie mussten sich auf die Stühle setzen. Sie spürten, wie ihre<br />

Fußfesseln an den Stühlen fixiert wurden, dann klickten die Karabiner an ihren Handgelenken<br />

in Metallringe an den Lehnen ein. Sie waren nun an die Stühle gefesselt. Einer der Wachleute<br />

zog einen U-förmigen Gegenstand aus der Tasche und ging damit kurz an den Halsbändern<br />

der beiden Todeskandidaten entlang. Es gab ein leises Klicken und beide spürten, wie sich die<br />

Halsbänder öffneten. „<strong>Die</strong> werdet ihr nicht mehr brauchen.“, sagte der Wachmann ruhig. Er<br />

griff nach einigen Elektroden, die auf einem kleinen Tischchen neben den Stühlen lagen,<br />

öffnete Sawyer und Dana die Kittel und ließ diese über ihre Schultern gleiten. Er befestige je<br />

sechs Elektroden im Halbkreis unterhalb der Herzen der beiden Gefesselten. Dann verließ er<br />

als Letzter die Gaskammer. Mit einem leise saugenden Geräusch schloss sich die Tür und<br />

Dana und Sawyer waren alleine. Außerhalb der Kammer standen zwei Monitore, die der<br />

Wachmann anschaltete. Nach kurzem Flimmern war auf den Bildschirmen Herzfrequenz,<br />

Sinusrhythmus sowie Pulsschlag der Todgeweihten zu erkennen, auf dem linken Bildschirm<br />

stand Scully, Dana und auf dem Rechten Ford, James. Nach einem letzten Blick in die Gas-<br />

kammer verließ der Wachmann nun den Raum.<br />

Kate schrie vollkommen verzweifelt hinter Sawyer her „Ich liebe dich, Sawyer .... ich<br />

liebe dich ... ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. SAWYER!“ Als die Tür sich hinter<br />

Sawyer schloss, sackte sie in sich zusammen. Wenn die Fesseln sie nicht aufrecht gehalten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

hätten, sie wäre zusammen gebrochen. Den Schmerz in Schultern und Armen, der sofort ein-<br />

setzte, als ihr Gewicht an diesen hing, spürte die junge Frau gar nicht. Leise wimmerte sie nur<br />

noch: „Nein ... nein ... bitte ... nicht.“, vor sich hin. Sie reagierte nicht mehr auf die Stimmen<br />

der anderen, die versuchten, sie anzusprechen: „Kate ...“ Apathisch und zitternd hing sie in<br />

ihren Fesseln, die Augen blicklos ins Leere gerichtet. Auch Mulder fühlte sich so hilflos wie<br />

bisher nur ein einziges Mal in seinem Leben. Er konnte nicht mehr verhindern, dass auch ihm<br />

Tränen über die Wangen liefen, er schämte sich dieser nicht, und biss sich verzweifelt auf die<br />

Lippen, um nicht zu Schreien. Allison, Heather, Sara, Abby, Bones, schluchzten heftig vor<br />

sich hin. <strong>Die</strong> Männer schwiegen verbissen. Was hätten sie auch sagen sollen? Wie sollte man<br />

Mulder und Kate trösten? Nicht einmal der sonst so besonnene Locke hätte die richtigen<br />

Worte gefunden, um den beiden vollkommen verzweifelten Menschen irgendwie zu helfen.<br />

Er versuchte, sich in Trance zu versetzten. Vor Anstrengung liefen ihm Schweißperlen über<br />

das angespannte Gesicht. Je verzweifelter er versuchte, eine Vision zu erzwingen, desto mehr<br />

entzog sich ihm seine Gabe. Johns Kopf hämmerte, vor seinen Augen tanzten Nebelschleier.<br />

<strong>Die</strong>smal hatte er nicht den Hauch einer Chance, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Und<br />

dann plötzlich geschah etwas, was allen das Blut in den Adern gefrieren ließ.<br />

Vor ihnen wurde die Wand plötzlich durchsichtig, jedenfalls wirkte es so. Als würde<br />

ein Schleier beiseitegeschoben, konnten die gefesselten Gefangenen plötzlich in den Neben-<br />

raum gucken. Was sie sahen, ließ Kate gellend aufschreien, aber nicht nur Kate. In grenzen-<br />

losem Entsetzen schrien auch Allison und Heather auf. Im Nebenraum erkannten sie eine<br />

Gaskammer. Und in dieser Gaskammer saßen Sawyer und Dana, an die Stühle gefesselt, und<br />

starrten nicht minder entsetzt zu ihnen herüber. Dana wollte gerade ein paar Worte an Sawyer<br />

richten, als sich ihre Augen plötzlich in namenlosem Grauen öffneten. Sawyer folgte ihrem<br />

Blick und erstarrte. Wo eben noch eine Wand gewesen war, war jetzt eine durchsichtige Glas-<br />

fläche zu sehen und er konnte direkt auf Kate schauen. Auf den Monitoren außerhalb der<br />

Kammer war überdeutlich zu sehen, wie sich Herzschlag und Puls der beiden Todes-<br />

kandidaten schlagartig noch mehr erhöhten, als ihnen die Tragweite dessen, was hier gerade<br />

geschah, bewusst wurde. Dana suchte nach einer kurzen Schrecksekunde Mulders Blick und<br />

versuchte ein aufmunterndes Lächeln, während Sawyer fassungslos in Kates vor Entsetzen<br />

weit aufgerissene Augen schaute.<br />

Er murmelte immer wieder leise: „<strong>Die</strong>se Schweine, diese verdammten Schweine.“, vor<br />

sich hin. Mühsam zwang Scully sich zur Ruhe. „Sawyer, hör zu. Kates einziger Trost wird<br />

sein, wenn sie sieht, dass du nicht leiden musst. Tu ihr und vor allem dir selbst den Gefallen,<br />

und atme so tief wie möglich ein, wenn es losgeht. Versuche nur nicht, die Luft anzuhalten,<br />

hörst du?“ Sie sah Sawyer kurz an. <strong>Die</strong>ser erwiderte den Blick ruhig und nickte dann:<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Danke, ist mir aber klar.“ Dana nickte verstehend und wandte den Blick wieder Mulder zu.<br />

Bei allem Entsetzen verspürte dieser jetzt beinahe so etwas wie Erleichterung. Dana wusste<br />

genau, wie sie sich verhalten musste, um wenigstens nicht groß leiden zu müssen. Er war es<br />

ihr schuldig, ihr in diesen letzten Minuten ihres Lebens beizustehen, so gut er konnte. Also<br />

drängte er mit letzter Kraft die Tränen zurück und versuchte, Danas Lächeln zu erwidern und<br />

seine ganze Liebe in den Blick zu legen. Das fiel ihm nicht schwer. - Ich bin bei dir, Dana,<br />

und dein Dad wartet auf dich. - Mulder wusste natürlich, dass sie seine Gedanken nicht lesen<br />

konnte, hoffte aber, dass seine beinahe hypnotischen Gedanken irgendwie zu ihr dringen<br />

würden. <strong>Die</strong> Blicke der Beiden versanken ineinander, schalteten die Umwelt aus. In diesem<br />

letzten, kostbaren Augenblick waren sie alleine auf der Welt und einander so nahe, wie Dana<br />

es selten zugelassen hatte.<br />

Sawyer konnte den Blick nicht von Kate wenden. So gerne hätte er sie getröstet, ihr<br />

gesagt, dass es für ihn in Ordnung war, nun zu gehen. Er empfand jetzt, wo es soweit war,<br />

keine Angst mehr. Was er empfand war Trauer, unendliche Traurigkeit darüber, nun nicht<br />

mehr mit Kate alt werden zu können. Er hatte ihr in Sydney in einem romantischen Moment<br />

versprochen, mit ihr nach Rom zu fliegen. Sie wollte so gerne einmal das Kolosseum sehen,<br />

die Maxentiusbasilika, den Petersdom, den Circus Maximus, das Pantheon. Sie wollte so<br />

gerne zusammen mit ihm in die Ewige Stadt. - Nun musst du dir Rom mit jemand anderem<br />

anschauen, Kleines - dachte er - Aber ich werde immer bei dir sein und dich begleiten - Er<br />

schluckte. Den Hinweis von Dana, möglichst tief einzuatmen, hätte er nicht benötigt. Er<br />

wusste Bescheid. Er hoffte nur, er würde es auch wirklich schaffen. Sawyer war zerrissen in<br />

seinen Empfindungen. Einerseits wollte er unter keinen Umständen, dass Kate zusehen<br />

musste, wie er starb. Andererseits war er dankbar, dass ihr Anblick, ihr Gesicht, das Letzte<br />

war, was er sehen würde. Er wollte den Anblick mit hinüber nehmen ... Kate realisierte mit<br />

Verzögerung, dass Sawyer sie sah. Und ihr war klar, dass er seinen Blick nicht mehr von ihr<br />

wenden würde, bis es vorbei war. Und plötzlich wusste sie, dass er sie nicht weinend mit<br />

hinüber nehmen sollte. Sie richtete sich auf, straffte die Schultern, schluckte das Schluchzen<br />

hinunter und sah ihm in die Augen. In diese so unendlich traurig schauenden Augen. Sie<br />

zwang sich zu einem Lächeln, dass fast über ihre Kräfte ging. <strong>Die</strong> anderen Gefangenen<br />

wurden unsichtbar, hörten einfach auf, zu existieren. Es gab nur noch Sawyer und sie. „Ich<br />

liebe dich so sehr.“, flüsterte sie.<br />

Als ein leises Brodeln unter ihren Stühlen ertönte, war Dana und Sawyer klar, dass es<br />

nun losging. Ganz kurz konnten beide ein sachtes Zusammenzucken nicht verhindern. <strong>Die</strong><br />

Stühle standen so dicht nebeneinander, dass die Hände der beiden Todeskandidaten sich be-<br />

rühren konnten. Und wie unter einem Zwang tasteten ihre Hände nach einander, um im<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sterben menschliche Nähe wenigstens an dieser einen Stelle zu spüren. „Wir sehen uns auf<br />

der anderen Seite.“, sagte Dana leise, sowohl zu Sawyer als auch zu Mulder hinaus. Sawyer<br />

reagierte nicht mehr, seine Augen saugten sich an Kates Gesicht fest und er lächelte auf-<br />

munternd. - Ich liebe dich. - formten seine Lippen. Dana sah ebenfalls nur noch die Augen<br />

des Mannes, den sie so sehr liebte. All ihre Gefühle lagen in diesen letzten Blick. Der wider-<br />

liche Geruch des Gases verbreitete sich langsam in der hermetisch abgeriegelten Kammer.<br />

<strong>Die</strong> Augen begannen den beiden Menschen augenblicklich heftig zu Brennen und Tränen<br />

stürzten über ihre Wangen. Scully zwinkerte unwillkürlich. Und als dann der unangenehme<br />

Geruch des Gases sich in der Kammer weiter ausbreitete, reagierten die Körper der Ver-<br />

urteilten genau entgegen dem, was sie sich vorgenommen hatten. Ohne es überhaupt steuern<br />

zu können, reagierten die Körper der Gefesselten auf die drohende Gefahr des Gases, indem<br />

sie den <strong>Über</strong>lebensmechanismus in Gange setzten und das bedeutete in diesem Falle: Luft<br />

anhalten.<br />

Scully war es schließlich, der es gelang, diesen Abwehrmechanismus zuerst zu über-<br />

winden. Sie zwang ihren Körper zu einem tiefen Atemzug und musste augenblicklich heftig<br />

Husten. Sawyer anschauend keuchte sie: „Atmen, Sawyer ... du musst Atmen. Mach es ... dir<br />

nicht so ... schwer.“ Sawyers Augen brannten vom Gas und er kämpfte verzweifelt gegen<br />

seine eigene Schwäche an. Schließlich riss er den Mund auf und atmete ebenfalls mehrmals<br />

so tief ein, wie es ging. Augenblicklich schossen Wellen von Übelkeit durch seinen Körper.<br />

Krampfhaft musste er Husten und Würgen. Sein Blick hing an Kate, die er vor Tränen aus den<br />

brennenden Augen kaum noch sehen konnte. Er liebte sie so sehr ... <strong>Die</strong> Kammer füllte sich<br />

immer mehr mit dem tödlichen Gas. Sawyer atmete keuchend möglichst tief ein. Ihm war<br />

schwindelig, speiübel und sein Blick wurde trübe und glasig. Sein Hals und seine Lungen<br />

brannten von dem tödlichen Gas. Immer wieder musste er krampfhaft Würgen und Husten.<br />

Dann weiteten seine Augen sich im Todeskampf noch einmal, fielen langsam zu und sein<br />

Kopf sackte zur Seite. Das tödliche Gas setzte seine Wirkung in den Körpern der Sterbenden<br />

frei. Neben Sawyer hatte Dana Mulders Blick fest gehalten. An ihrem inneren Auge zogen die<br />

Stationen ihres gemeinsamen Lebens vorüber, ihre schwierige Anfangsphase, die lange ge-<br />

leugnete, wachsende Liebe, ihre Verzweiflung, als sie geglaubt hatte, er wäre tot, die seltsam<br />

unwirkliche erste gemeinsame Nacht. Dana spürte, wie ihr Kopf schwer wurde...<br />

Kate hatte, wie die anderen Gefangenen, mit wachsendem Entsetzen zugesehen, wie<br />

Sawyer und Dana sich an den Händen festhielten, schließlich den Drang, die Luft anzuhalten,<br />

überwanden und erst dann gezielt tief ein atmeten. Sie erkannte auf den Monitoren, wie sich<br />

Herzfrequenz und Puls im Todeskampf panisch erhöhten. <strong>Die</strong> Körper der Beiden reagierten<br />

auf die Todesgefahr mit der Ausschüttung großer Mengen Adrenalin, die sowohl den Blut-<br />

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by Frauke Feind<br />

druck als auch den Puls in die Höhe jagten. Kate wusste, es waren nur mehr Minuten, die ihr<br />

blieben, um in die Augen zu schauen, die sie so unglaublich fasziniert hatten und die sie so<br />

sehr liebte. <strong>Die</strong>se Augen, die so frech und anzüglich blitzen konnten und in denen sie so oft<br />

hier in der Gefangenschaft unendliche Liebe und Trost gesehen hatte. Sie dachte an den ge-<br />

meinsamen Aufenthalt in der schrecklichen Kiste, den sie ohne Sawyer nicht überstanden<br />

hätte. Eine eisige Faust krallte sich um ihr Herz und in ihren Eingeweiden schienen Eiswürfel<br />

zu liegen. Sie hatte nie zuvor in ihrem Leben eine solche entsetzliche Angst gehabt. Sie wollte<br />

ihn nicht verlieren. Wie sollte sie denn ohne ihn weiter leben? Sie sah, wie Sawyers sich unter<br />

Würgen und Husten zwang, weiter tief zu atmen und wusste nicht, woher sie die Kraft nahm,<br />

nicht einfach zu schreien, hysterisch, verzweifelt, hoffnungslos. Als sie sah, wie Sawyer<br />

keuchte und seine Augen, aus denen Tränen stürzten, glasig wurden, war es mit ihrer Be-<br />

herrschung endgültig vorbei. Auch Kate stürzten wieder Tränen über das leichenblasse Ge-<br />

sicht und dann sah sie aus tränenverschleierten, panisch aufgerissenen Augen, wie Sawyer<br />

nach einem krampfhaften Hustenreiz ganz langsam in sich zusammen sackte. Er verlor die<br />

Besinnung und seine Augen schlossen sich für immer.<br />

Dana sackte unmittelbar nach Sawyer ebenfalls langsam in ihrem Stuhl zusammen.<br />

Kates Augen zuckten in entsetzlicher Angst vom Monitor zu Sawyer, hin und her. Der Todes-<br />

kampf zog sich für die anderen Gefangenen schier endlos hin. Bis Dana und Sawyer das<br />

Bewusstsein endlich verloren hatten, waren schon fast drei Minuten vergangen. Das langsame<br />

Zellersticken zog sich fast neun Minuten in die Länge, eine absolute Qual für die zu-<br />

schauenden Gefangenen. Als der erst rasende Herzschlag Sawyers immer langsamer wurde,<br />

die Pulsfrequenz immer weiter Absackte, wimmerte Kate panisch vor sich hin. „Nein ... nein<br />

... nein ... NEIN!“ Und in dem Moment, als Sawyers Monitor schließlich Nulllinie anzeigte,<br />

schien auch bei Kate der letzte Faden, der sie noch aufrecht gehalten hatte, gekappt worden zu<br />

sein. Sie gab noch einen leisen Seufzer von sich, dann verlor sie einfach die Besinnung. Das<br />

Cyanwasserstoffgas hatte in Danas und Sawyers Körper langsam die Zellatmung unter-<br />

bunden. Durch den Energiemangel der Körperzellen kam es zur Bewusstlosigkeit. Nun er-<br />

stickten die Körper langsam, wovon die Bewusstlosen aber nichts mehr mit bekamen.<br />

Mulder hielt Danas Blick, versuchte, ihr zu signalisieren, dass er bei ihr war. Inständig<br />

wünschte er sich, dass sie gleich von ihrem geliebten Vater empfangen werden würde. Er<br />

dachte daran, wie Dana ihm geschildert hatte, dass sie vor Jahren einmal klinisch tot gewesen<br />

war und hoffte, es würde wieder so angenehm für sie sein. Er hatte auch schon Nahtoderleb-<br />

nisse gehabt und wusste, dass entscheidende Ereignisse des Lebens vor dem inneren Auge<br />

vorbeizogen. Mulder empfand eine irrationale Dankbarkeit dafür, dass Danas Blick ihm sagte,<br />

dass sie in ihren letzten Minuten ganz bei ihm war. Ob sie auch an ihre erste Begegnung<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dachte, in der er ihr feindselig gegenüber getreten war? An ihre endlosen Diskussionen?<br />

Daran wie schnell er ihre Fairness und Loyalität schätzen gelernt hatte? Konnte er den<br />

Moment festmachen, von dem an er begonnen hatte, sie zu lieben? Nein, es war unmerklich<br />

geschehen, sie war einfach immer da und aus seinem Leben nicht wegzudenken gewesen.<br />

<strong>Die</strong>se verrückte Nacht, in der sie krank und völlig verstört zu ihm ins Bett gekrochen war ...<br />

Mehr als alles andere wünschte er, jetzt da zu sein, sie zu halten, sie nicht allein zu lassen.<br />

Eisern hielt Mulder die Tränen zurück, bis sich ihre Augen schlossen. Ihr Puls und Herzschlag<br />

verlangsamten sich immer mehr und schließlich war es vorbei, Asystolie, Nulllinie, er hatte<br />

sie verloren wie seine Schwester Samantha. Aber er würde kämpfen, seine Versprechen er-<br />

füllen. Wenn er hier überleben würde. Er würde ihre Mörder zur Strecke bringen und er<br />

würde ihrer Familie sagen, dass ihr Dad stolz auf sie gewesen wäre. Das waren dann auch die<br />

letzten klaren Gedanken, die durch Mulders Hirn spukten. Es ging ihm nicht sehr viel anders<br />

als Kate: Kaum sagte der Strich auf dem Monitor, dass Dana es hinter sich hatte, brach<br />

Mulder schluchzend und zuckend in den Fesseln zusammen. Ihm wurde schwarz vor Augen<br />

und dann verlor er das Bewusstsein.<br />

Im Raum mit den Gefangenen herrschte Stille. <strong>Die</strong> Stille des Grauens. Außer heftigem<br />

Schluchzen war kein Laut zu vernehmen. Mulder und Kate hingen besinnungslos in den<br />

Fesseln. Gibbs, Locke, selbst Gil starrten hasserfüllt und bis ins Mark erschüttert auf die<br />

Glasscheibe vor ihnen und weiter bis in die Gaskammer, in der Sawyer und Dana noch immer<br />

an die Stühle gefesselt waren. Der Blick auf die Beiden war durch das Gas in der Kammer<br />

sehr getrübt, wie durch Nebel waren die beiden toten Körper nur noch zu erkennen. <strong>Die</strong><br />

Monitore waren hier nicht zu hören, aber das penetrante Geräusch, das sie von sich gaben,<br />

wenn sie Nulllinie zeigten, kannte jeder von ihnen schon alleine aus dem TV. <strong>Die</strong> Tür des<br />

Raumes öffnete sich und Wachen traten ein, ruhig und ohne Emotionen zu zeigen. Sie be-<br />

freiten Mulder und Kate von den Fesseln, dann wurden die Beiden aus dem Raum geschafft,<br />

wohin, würde man den anderen sicher nicht erzählen. <strong>Die</strong>se wurden nun ebenfalls von den<br />

Fesseln befreit. Der Blick auf Sawyer und Dana war immer noch möglich und, wenn bei<br />

einigen auch unter heftigem Schluchzen, schauen alle, ohne Ausnahme, ein letztes Mal auf<br />

die beiden toten Mitgefangenen. Ausnahmsweise wurden ihnen nicht die Hände gefesselt, und<br />

so nutzten Gil, Booth, House, Jake und Gibbs die seltene Gelegenheit und legten tröstend die<br />

Arme um ihre ohne Ausnahme schluchzenden Begleiterinnen. Auf den Wangen von Booth<br />

und Jake glitzerten ebenfalls leichte Tränenspuren und sie schämten sich dieser nicht. Booth<br />

stand mit Tempe vor der Scheibe und sah in Sawyers blasses Gesicht. Leise sagte er: „Wir<br />

werden auf Kate aufpassen, Kumpel, irgendwie, das verspreche ich dir.“ Allison versagten<br />

fast die Knie, als sie still Abschied nahm. Sie sah Sawyer vor sich, wie er mit blutenden<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Händen und Füßen die Karre ein ums andere Mal weg geschoben hatte. Heftig auf-<br />

schluchzend klammerte sie sich an House, der sie stützte, so gut es sein Bein zuließ.<br />

Minuten später waren alle wieder in ihren Zellen, von denen zwei nun leer bleiben<br />

würden. Kate und Mulder waren nicht hier her zurück gebracht worden. Kein Wunder, beide<br />

würden wohl ärztliche Hilfe benötigen. Allison, Heather, Abby und Sara sanken, kaum dass<br />

sie in die Zellen zurück gebracht worden waren, weinend auf den Betten zusammen. Sie<br />

konnten nicht fassen, was in der letzten halben Stunde geschehen war. Das konnte doch alles<br />

nicht wahr sein. Das musste ein Albtraum sein, aus dem sie gleich schweißgebadet erwachen,<br />

und dann mit Scully und Sawyer darüber lachen würden. Doch allen war klar, es war kein<br />

Traum, in dem sie gefangen waren. Es war grausame Realität, sie wussten jetzt, wie weit ihre<br />

Entführer gingen. Man hatte überflüssiges Versuchsmaterial fachgerecht entsorgt. Ziva starrte<br />

mit hasserfüllten Augen in die leere Zelle neben sich, sah Bones mit tränenfeuchten Wangen<br />

ebenfalls in die Zelle schauen, in der eigentlich Sawyer hocken sollte. <strong>Die</strong> Mossad Agentin<br />

musste kräftig die Zähne zusammen beißen, um zu verhindern, dass sie ebenfalls in Tränen<br />

ausbrach. Wie, um alles in der Welt, sollten Mulder und Kate damit fertig werden?<br />

Acht Stunden<br />

Es ist sinnlos zu sagen, wir tun unser Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun, was<br />

erforderlich ist.<br />

Winston Churchill<br />

Im Zellentrakt herrschte, abgesehen von nicht verstummendem Schluchzen, immer<br />

noch die Stille, die nur das blanke Entsetzen verursachen konnte. Nicht einmal Bones oder<br />

House waren in der Lage, einen Kommentar von sich zu geben. House sah durch die Zellen<br />

zu seiner Immunologin hinüber, die weinend auf dem Bett lag und untröstlich vor sich hin<br />

schluchzte. Einen solchen Horror ausgerechnet an Weihnachten ... <strong>Die</strong> Entführer verstanden<br />

ihr Handwerk. Vor ohnmächtiger Wut knirschte House mit den Zähnen. Gern hätte er Allison<br />

etwas Tröstliches gesagt, aber was sollte in dieser Situation trösten? House war klar, dass<br />

Cameron seit dem Steine schleppen viel für Sawyer empfunden hatte, große Dankbarkeit,<br />

freundschaftliche Gefühle, Allison liebte diesen frechen, schnodderigen Südstaatler wie einen<br />

Bruder, und ihn nun so sterben sehen zu müssen, ging über ihre Kräfte. House empfand Be-<br />

wunderung für die Haltung, die sowohl Scully als auch der blonde junge Mann gezeigt hatten.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Immerhin hatten sie nicht allzu lange leiden müssen, aber das war Allison sicher auch klar.<br />

House machte sich Sorgen um Mulder und besonders um Kate. <strong>Die</strong> junge Frau war so voll-<br />

kommen zusammen gebrochen, als Sawyers Herz letztlich den Kampf gegen den Tod ver-<br />

loren hatte, dass es House erschreckt hatte, wie alle anderen auch.<br />

„Ich bin froh, dass es ruhig geblieben ist. Ich habe wirklich damit ge-<br />

rechnet, dass die ausrasten.“<br />

„Dafür waren sie zu geschockt, das war der perfekte Zeitpunkt,<br />

gratuliere, du hattest Recht.“<br />

Quoten.“<br />

„Noch können Wetten angenommen werden. David hat die besten<br />

„Ich habe schon auf Locke gesetzt.“<br />

„Der liegt dicht auf.“<br />

„Habt ihr nichts zu tun? Ihr werdet nicht für Wetten bezahlt. Seht lieber<br />

zu, dass die Kammer fertig gemacht wird.“<br />

„Ja, Sir. Sie ist einsatzbereit.“<br />

„Gut für euch. Dann wollen wir mal langsam die letzten Vorbereitungen<br />

für den großen Knall treffen.“<br />

„<strong>Die</strong> werden aus allen Wolken fallen, da bin ich sicher. Erst Ford und<br />

Scully, dann die Beiden ...“<br />

„Frohe Weihnachten.“<br />

Völlig erschöpft von den Versuchen, eine Vision herbei zu führen, lag Locke auf<br />

seinem Bett und starrte blicklos an die kahle Decke. Abby in der Zelle neben ihm starrte<br />

apathisch zu Boden. Sie konnte es einfach nicht fassen. Innerlich aufgewühlt wie nur einmal<br />

in ihrem Leben, bei Kates Ermordung durch Ari Haswari, ging ihr immer wieder die Frage<br />

durch den Kopf: Warum? Warum? Warum entsorgten Menschen andere Menschen, die ihnen<br />

nichts getan hatten, wie man Abfall entsorgt? „Warum?“, stieß sie schließlich hervor.<br />

„Warum? Wie konnten die das tun? Sawyer und Dana haben denen doch nichts getan. Warum<br />

wurden sie einfach so eiskalt umgebracht?“ Wieder liefen der jungen Frau Tränen über die<br />

Wangen. „Weil diese Bastarde uns nicht als Menschen sehen. Sie behandeln uns wie Labor-<br />

ratten und entsorgen jeden, der ihren kranken Plänen nicht nützlich genug ist, genauso gefühl-<br />

los wie Versuchstiere.“, antwortete Gil bitter. Er schaute zu Sara hinüber und war Gott auf<br />

Knien dankbar, dass sie noch am Leben war. Er wusste nicht, was er tun würde, wäre er<br />

irgendwann hier gezwungen, zuzusehen, wie man sie entsorgte und erzitterte bei der Vor-<br />

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by Frauke Feind<br />

stellung. „<strong>Die</strong> Umstände, unter denen uns diese Schweine hier gefangen halten, von den<br />

lächerlichen Kitteln bis hin zur Anrede ausschließlich mit den dämlichen Nummern sind ein<br />

geschickter, psychologischer Schachzug, um uns unserer Persönlichkeit zu berauben, uns zu<br />

entmenschlichen. Es fehlt nur noch das Laufrad in unseren Zellen ... Gil hat vollkommen<br />

Recht, wir werden wie Versuchstiere gehalten und sollen uns auch genau so fühlen. Und<br />

genau das tun wir auch.“ Booth schwieg frustriert. „Ich weiß, warum ich Psychologie hasse.“,<br />

stieß Bones unter Tränen hasserfüllt hervor.<br />

„Außerdem wollen diese Mistkerle demonstrieren, dass jeder von uns zu jeder Zeit<br />

einfach entsorgt werden kann. Einerseits soll uns die Angst lähmen, andererseits soll uns die<br />

beständige Drohung dazu veranlassen, uns besondere Mühe zu geben, bei allem, was man von<br />

uns will, um nicht auch als überflüssig eliminiert zu werden.“, erklärte Gibbs mit einer<br />

Stimme, die ihm selbst fremd erschien. „Warum nur Dana und Sawyer? Sie haben doch alles<br />

getan, was diese Bestien wollten.“, schluchzte Allison verzweifelt. „Das ist diesen Drecks-<br />

kerlen doch vollkommen egal.“, fauchte Ziva. „Es ist absolut unabhängig von unserem Ver-<br />

halten, was die mit uns machen. Was auch immer die von uns wollen, wer aus irgendeinem<br />

Grunde doch nicht geeignet erscheint, wie sie dachten, wird entsorgt.“ Heather hatte still zu-<br />

gehört. <strong>Die</strong> Ausführungen der Polizeibeamten leuchteten ihr ohnehin ein und eine Frage<br />

bohrte sich schmerzhaft in ihre Gedanken, die aus ihr heraus brach. „Wer von uns wird wohl<br />

der Nächste sein?“, fragte sie zaghaft. „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, irgendwie nütz-<br />

lich für diese Leute zu sein.“ Angst schwang in ihrer Stimme mit, eine Angst, die Jake ins<br />

Herz schnitt. Er hätte ihr so gerne versichert, dass sie hier heil heraus kommen würde. Aber<br />

das konnte er nicht. „Wir wissen einfach nicht, was diese Leute letztlich wollen. Es hat eine<br />

FBI Agentin und einen Zivilisten getroffen. Da gibt es kein Muster.“, sinnierte Gil betroffen.<br />

Er hätte auch auf die Zivilpersonen getippt, hätte er eine Angabe machen müssen. Nie im<br />

Leben hätte er damit gerechnet, dass es jemanden wie Scully treffen könnte. Das hatte ihm<br />

erst die Augen geöffnet, dass jeder von ihnen zu jeder Zeit entbehrlich werden könnte.<br />

„<strong>Die</strong> entscheidende Frage ist, was letztlich der Sinn der ganzen Aktion ist. Bisher sind<br />

wir auf unsere physische und psychische Leistungsfähigkeit getestet worden. Außerdem wird<br />

versucht, unseren Willen zu brechen. Was die wirklich wollen, ist noch vollkommen unklar.<br />

<strong>Die</strong> Auswahl ist unerklärlich, auffallend viele Angehörige von Bundesbehörden, aber auch<br />

Zivilisten. Es scheint keinen gemeinsamen Nenner zu geben, darüber zerbreche ich mir schon<br />

lange den Kopf.“, warf Gibbs ein. „Es gibt einige Parallelen, zum Beispiel sind auffallend<br />

viele von uns nicht gerade normal aufgewachsen.“, warf Sara traurig ein. „Aber warum das<br />

für diese Leute relevant sein soll ... Keine Ahnung.“ „Ich denke auch die ganze Zeit darüber<br />

nach, warum ausgerechnet wir ausgewählt wurden.“, ließ sich Locke vernehmen. „Es gibt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

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aber nicht für alle von uns einen gemeinsamen Nenner, jedenfalls keinen, den wir erkennen<br />

könnten. Ganz offensichtlich sind nicht alle aus demselben Grund ausgewählt worden.“ „Ich<br />

glaube nicht, dass die uns nur durch die Mangel drehen um zu sehen, wie viel Menschen aus-<br />

halten können. <strong>Die</strong> wollen etwas von uns, mit dem sie heraus rücken werden, wenn sie<br />

glauben, uns genug weich gekocht zu haben. Sehr wahrscheinlich ist es nicht bei jedem das<br />

Gleiche.“, warf Ziva nachdenklich ein. „Weich gekocht ist gut. Bei mir haben sie es geschafft.<br />

Ich bestehe nur noch aus Angst und Entsetzen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich<br />

einmal Zeugin einer Hinrichtung werden würde. Es war so grauenhaft. Wenn ich so was noch<br />

einmal ansehen muss ...“ Abby schluchzte auf, und erhielt sofort Unterstützung von Allison<br />

und Heather, die nun ebenfalls wieder weinten. „Ich will nicht die Nächste sein, die sie um-<br />

bringen, Gibbs.“, stieß Abby verzweifelt hervor.<br />

„Beruhige dich, Abbs. Wahrscheinlich hast du die vielseitigsten Fähigkeiten von uns<br />

allen und du machst denen nun wirklich keine Schwierigkeiten. Es gibt also wahrhaftig<br />

keinen Grund, anzunehmen, dass die dich unbrauchbar finden könnten.“, versuchte Gibbs<br />

seine Mitarbeiterin, oder doch mehr sich selbst, zu beruhigen. „Bestimmt bin ich die Nächste,<br />

ich kann mir wirklich nicht vorstellen, welchen Wert ich für diese Leute haben sollte.“,<br />

schluchzte Heather verzweifelt. „Dass eine Immunologin für die nützlich ist, glaube ich aber<br />

auch nicht.“ Für beide Frauen war die Hinrichtung ein einziger Horror gewesen und weiterhin<br />

in den Händen dieser gnadenlosen Mörder zu sein, machte die jungen Frauen inzwischen fast<br />

wahnsinnig vor Angst. Es war nicht nur die Angst um sich selbst, sondern die Vorstellung,<br />

wie die arme Kate gezwungen zu sein, zuzusehen, wie die Männer, die sie liebten, gnadenlos<br />

getötet wurden. Beide konnten nicht sagen, wovor sie mehr Angst hatten. Sterben ... diesen<br />

endlosen Albtraum hinter sich zu lassen, hatte durchaus allmählich etwas Verlockendes. Ein-<br />

schlafen und nicht mehr aufwachen müssen. Heather sah zu Jake hinüber. „Lieber sterbe ich<br />

selbst, als dass ich zugucken muss, wie sie dich umbringen.“ Jake wurde von eiskaltem<br />

Grauen gepackt. Zusehen zu müssen, wie Heather starb? Niemals. „Hör zu, das wird nicht<br />

passieren. Das würde ich nicht ertragen.“, stieß er mit panisch klingender Stimme hervor.<br />

„Der wahrscheinlichste Grund dafür, dass Heather hier ist, scheint mir, sie als Druck-<br />

mittel einzusetzen, damit du kooperierst.“, erklang die bemüht ruhige Stimme von Gibbs.<br />

„Einige von uns können sicher eine Menge aushalten, so perfekt wie die Aktion geplant war,<br />

wissen die das ganz genau. Wir können also vermutlich einiges tun, um unsere Begleit-<br />

personen am Leben zu halten.“ „Wie stellst du dir das vor?“, fragte Jake verzweifelt. „Ich<br />

würde alles, alles tun, um Heather ein wenig mehr Sicherheit zu bieten.“ „Ja, Gibbs, wie<br />

stellst du dir das vor?“, fragte Ziva resigniert. „Deine Theorie würde besagen, dass Kate die-<br />

jenige ist, auf die die Entführer es abgesehen haben. Was sollte Kate denen denn bieten<br />

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by Frauke Feind<br />

können?“ „Ich weiß zu wenig über Kate und du machst einen Denkfehler. Jetzt werden die<br />

von dem Mädel gar nichts mehr bekommen, weil sie eindeutig nichts mehr zu verlieren hat.<br />

Mehr, als man ihr heute angetan hat, werden die ihr nicht mehr antun können.“ „Das ist mit<br />

Mulder das Gleiche.“, warf Locke ein. „Auch aus ihm werden sie nichts mehr raus kitzeln<br />

können. Was also ist der Zweck dieser grauenvollen Hinrichtung gewesen?“<br />

„Ich fürchte, abgesehen davon, dass die Schweine für sie nicht mehr wertvolle Pro-<br />

banden entsorgt haben, galt das uns Zurückbleibenden. Sie haben erreicht, was sie wollten.<br />

Ob wir es zugeben oder nicht, jeder von uns hat Angst und wird sich von jetzt an noch ernst-<br />

hafter bemühen, jede noch so gemeine Aufgabe, die sie uns stellen werden, so gut wie mög-<br />

lich zu erledigen.“ „Du hast Recht. Wenn auch Dana und Sawyer sehr tapfer und aufrecht in<br />

den Tod gegangen sind, ändert das nichts an der Tatsache, dass wir alle die Hosen voll haben.<br />

Sein wir doch ehrlich. Keiner stirbt gerne. Ich würde jedenfalls auch lieber lebend als tot hier<br />

raus geschafft werden.“ Gil sah zu Sara hinüber. „Ich bin nicht zu stolz, zuzugeben, dass ich<br />

Angst habe.“ <strong>Die</strong>ses offene Geständnis Grissoms schien den Bann zu brechen. Jetzt konnten<br />

auch die anderen zugeben, dass sie Angst hatten. „Ich habe immer damit gerechnet, mir<br />

irgendwann mal eine Kugel zu fangen. Das wäre okay gewesen. Aber hier in den Händen<br />

dieser ... Psychopathen bei einem ihrer netten Experimente jämmerlich zu verrecken ...“<br />

Booth schwieg erschüttert und Bones konnte nicht verhindern, dass sie schon wieder auf-<br />

schluchzte. „Es ist absolut normal, Angst vor dem Tod zu haben.“, sagte Gibbs. „Ich schätze,<br />

einige von uns haben schon lebensgefährliche Einsätze gehabt, und natürlich hatten wir<br />

Angst.“ „Sicher, wer keine Angst vor dem Tod hat ist entweder dumm oder hat zu wenig<br />

Fantasie. Angst ist ein gesunder Selbstschutzmechanismus.“, erwiderte Booth ruhig. „Klar.<br />

Sterben möchte ich hier durch die Hand dieser Idioten auch nicht. Aber ich fürchte, darauf<br />

werden die keine Rücksicht nehmen.“ Zivas Stimme klang nicht mehr so beherrscht, wie sie<br />

gewollt hätte. Es machte die Mossad Agentin verrückt, keinerlei Einfluss auf ihr Schicksal<br />

nehmen zu können. „Nur ein Idiot hat keine Angst.“, knurrte House jetzt. „Ich habe auch kein<br />

Interesse daran, <strong>mich</strong> hier umbringen zu lassen.“ „Und ich habe kein gesteigertes Interesse<br />

daran, hier in der Gaskammer zu enden.“ Bones konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme<br />

nicht so fest klang wie gewöhnlich. „Nun hör schon auf mit dem überlegenen Getue und gib<br />

zu, dass du genau so eine scheiß Angst hast wie wir anderen.“, explodierte Sara.<br />

„Was willst du hören? Dass ich nicht sterben will? Nein, ich will leben, wie jeder<br />

normale Mensch. Und ich will nicht umgebracht werden, vergast, wie ... Ja, ich habe einen<br />

scheiß Angst. Zufrieden?“ Tempes Stimme war immer lauter geworden. Jetzt sank sie auf ihr<br />

Bett und schlug die Hände vors Gesicht. Booth schüttelte verzweifelt den Kopf und biss sich<br />

auf die Lippen. Wie gerne wäre er zu ihr gegangen und hätte sie in den Arm genommen.<br />

499


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather und Allison erschütterte es noch mehr, dass selbst Bones so viel Angst hatte. Dass die<br />

Entführer diese Angst langsam aber gezielt quasi heran gezüchtet hatten, war so unauffällig<br />

geschehen, dass die weniger geübten Beobachter das nicht einmal gemerkt hatten. <strong>Die</strong> Ge-<br />

fangenen waren systematisch zermürbt worden. Selbst die Männer empfanden nach der<br />

Exekution heute ungewöhnlich große Angst, wie sie sie in ihren Jobs nie so stark empfunden<br />

hatten. „Es ist etwas anders, während eines riskanten Einsatzes durch eine schnelle Kugel zu<br />

sterben als hier wie ein Versuchstier vergast zu werden.“, sagte Ziva leise. Sie hatte Bones<br />

Verzweiflungsausbruch mit gemischten Gefühlen beobachtet. Sie fragte sich langsam, wann<br />

sie so weit war, ihre Angst so zu offenbaren.<br />

„Hört zu. Wir haben alle Angst, klar? Wir sind es aber Sawyer und Dana schuldig, das<br />

hier durch zu stehen, hier heraus zu kommen und ihren Angehörigen zu erzählen, wie tapfer<br />

sie gestorben sind. Und wir müssen versuchen, Kate und Mulder zu Retten, zu Unterstützen<br />

wie es uns nur möglich ist und diese Mörder zur Strecke zu bringen.“ Grimmige Ent-<br />

schlossenheit sprach aus Booth Stimme. Bevor noch einer der anderen etwas darauf erwidern<br />

konnte, knisterte es im Lautsprecher. „Gefangene, wir werden jetzt zwei von euch in diese<br />

Kammer hier bringen.“ Auf der Plattform tat sich etwas. Ein großer Teil derselben glitt zur<br />

Seite und ein der Gaskammer nicht unähnliches Gebilde, das ein wenig an eine über-<br />

dimensionale Taucherglocke erinnerte, wurde von unten herauf gefahren. Dann ertönte aus<br />

dem Lautsprecher: „Nummer 6 und 16.“ Bones wurde blass wie die Wand ihrer Zelle. Abby<br />

fuhr entsetzt hoch und starrte zu Gibbs hinüber. Das konnte doch nicht wahr sein. Booth hatte<br />

das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Gibbs erhob sich langsam und<br />

trat an die Zellentür. Mit zitternden Knien erhob auch Bones sich von ihrem Bett. Tränen in<br />

den Augen trat sie ebenfalls an die Tür ihrer Zelle und streckte die zitternden Hände vor-<br />

schriftsmäßig durch das Loch. Als Wachleute kamen und ihre Handgelenke zusammen<br />

fesselten, erzitterte die Anthropologin. <strong>Die</strong> Zellentüren öffneten sich und Gibbs und Bones<br />

wurden an den Armen gepackt und zu der Taucherglocke gebracht. <strong>Die</strong> Tür zu dieser wurde<br />

geöffnet und Bones und Gibbs wurden hinein geführt. Das Teil war vollkommen leer, bis auf<br />

ein Chemikalien WC an einer der Wände. Keine Stühle, nichts. <strong>Die</strong> Wachleute öffneten den<br />

beiden Gefangenen die Fesseln und ließen Bones und Gibbs in der Glocke zurück. Panisch<br />

beobachtete Bones, wie sich die Tür des Gebildes mit einem leisen Sauggeräusch hermetisch<br />

schloss. Draußen sagte die Lautsprecherstimme: „In dem Raum ist Sauerstoff für genau acht<br />

Stunden. Ihr habt diese acht Stunden Zeit, Nummer 6 und 16 aus der Glocke zu befreien. Ihr<br />

werdet Aufgaben zugeteilt bekommen, für jede Stunde eine Aufgabe. Schafft ihr es, die Auf-<br />

gaben zu lösen, erhaltet ihr für jede richtig gelöste Aufgabe eine Zahl aus der Kombination,<br />

mit der die Kammer zu öffnen ist. Schafft ihr es nicht, werden die Beiden in acht Stunden<br />

erstickt sein.“<br />

500


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Suffocatio<br />

Wie wichtig Luft für den Menschen ist weiß er erst dann, wenn er zu ersticken<br />

droht, und wie schön es ist, atmen zu können, weiß er erst, wenn er stirbt.<br />

Phil Bosmans<br />

Nach der Lautsprecherdurchsage herrschte erst einmal fassungslose Stille. Das wie-<br />

vielte Mal heute war es, dass ihnen vor Entsetzen nichts mehr zu sagen einfiel? Das ... Abby<br />

kam es vor, als hätte der ganze bisherige Tag nur aus Fassungslosigkeit und namenlosen Ent-<br />

setzen bestanden. Sie alle hatten die Tatsache, dass zwei von ihnen tot waren, noch nicht ein-<br />

mal richtig begriffen, geschweige denn verarbeitet, da sollten sie schon zusehen, wie die<br />

nächsten zwei aus ihrer Mitte jämmerlich erstickten? Wie sollten sie denn in dem Schock-<br />

zustand, in dem sie alle steckten, geistig in der Lage sein, schwierige Aufgaben zu lösen?<br />

Acht Stunden? Abby hatte schon jetzt das Gefühl, achtzig Stunden wach zu sein. Sie war<br />

körperlich und seelisch derart erschöpft, dass sie das Gefühl hatte, schon bloßes Wachbleiben<br />

ginge erheblich über ihre Kräfte. Körperliche und geistige Aufgaben? Sie wollte Gibbs<br />

fragen, wollte seinen Rat. Aber er saß in dieser schrecklichen Kammer und sollte in acht<br />

Stunden sterben. Abby sah zu Ziva hinüber. „Ziva. Was sollen wir tun?“ „Na, was schon. Wir<br />

werden die verdammten Aufgaben lösen und die Beiden da raus holen.“<br />

<strong>Die</strong> Kerkertür öffnete sich und eine Wache kam herein. Sie ging die die Zellen ab und<br />

drückte jedem der Gefangenen eine Liste in die Hand. <strong>Die</strong> Aufgaben.<br />

1) Der Proband muss frei tauchend<br />

eine Höhle erreichen. In dieser Höhle, in<br />

der eine Muräne ihr Versteck hat, ist der<br />

Zettel mit der Zahl verborgen. Einige Meter<br />

weiter ist eine Grotte, in der der Proband<br />

atmen kann. Neben der Muräne gibt es<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Haie in diesem Bereich, die hoch motiviert<br />

sind, sich Futter zu holen.<br />

2) Der Proband hört eine Abfolge von<br />

zehn Tönen. Seine Aufgabe ist es, die In-<br />

verse zu bilden. Wenn der erste Ton der<br />

höchst mögliche ist, muss der tiefste Ton<br />

gespielt werden.<br />

3) Der Proband muss über eine<br />

Hängebrücke gelangen, auf deren anderer<br />

Seite die Zahl zu finden ist. <strong>Die</strong> Bretter der<br />

Brücke sind morsch. <strong>Die</strong> Brücke wird von<br />

zwölf Seilen gehalten. Alle fünf Minuten<br />

wird eines dieser Seile durchtrennt. Der<br />

Proband trägt einen Korb auf dem Rücken,<br />

in dem verschiedene Gegenstände liegen.<br />

Verliert er eines der Gegenstände, wir je<br />

ein Brett der Brücke zerstört. Auf der<br />

Brücke sind einige giftige Spinnen ver-<br />

streut.<br />

4) Der oder die Probanden müssen<br />

einen Stab mit einer kleinen ösenförmigen<br />

Öffnung an einem gewundenen Draht ent-<br />

lang führen. Draht und Stab dürfen sich<br />

dabei nicht berühren. Schaffen sie es,<br />

ohne eine Berührung zu verursachen, wird<br />

ihnen die Zahl ausgehändigt.<br />

502


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

5) Innerhalb einer Stunde muss ein<br />

Sumpf durchquert werden. Auf der anderen<br />

Seite des Sumpfes ist ein Schlüssel ab-<br />

gelegt. <strong>Die</strong>ser Schlüssel passt zu einem<br />

kleinen Kasten, den der Proband um den<br />

Arm trägt. In dem Kasten ist die Nummer,<br />

die, wenn der Proband länger als eine<br />

Stunde braucht, mittels einer Kapsel mit<br />

Säure aufgelöst wird. Neben Schlangen<br />

und Krokodilen sind in dem Sumpf Löcher,<br />

in denen der Proband versinken kann.<br />

6) Der oder die Probanden müssen<br />

ein Labyrinth durchqueren, an dessen<br />

Ende sich ein Zettel mit der gesuchten<br />

Zahl befindet. Natürlich sind ein paar<br />

Hindernisse eingebaut.<br />

7) Der Proband muss sich durch<br />

einen Saal mit diversen Hindernissen<br />

arbeiten. Der Fußboden besteht zum Teil<br />

aus glühenden Kohlebecken, Becken mit<br />

Glasscherben, an einigen Stellen steht er<br />

unter Strom. Es geht über gespannte Seile,<br />

unter scharfen Drähten hindurch, an<br />

einigen Stellen muss der Proband sich an<br />

dünnen Seilen entlang hangeln. <strong>Die</strong> Zahl<br />

ist in einem Ofen auf der anderen Seite<br />

des Saales untergebracht und nach genau<br />

sechzig Minuten wird dieser Ofen per<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Fernzündung angeschaltet und die Zahl<br />

verbrennt.<br />

8.) Dem Probanden werden mehrere<br />

Blöcke aus jeweils zwei Rechenaufgaben<br />

präsentiert. Ist das Ergebnis der ersten<br />

Aufgabe größer als das der zweiten, wird<br />

das zweite Ergebnis vom ersten sub-<br />

trahiert. Ist das zweite Ergebnis größer<br />

oder gleich dem ersten, werden beide ad-<br />

diert. Nur das Endergebnis wird notiert.<br />

<strong>Die</strong> Gegangenen starrten auf die Liste und dann ertönte die Lautsprecherstimme er-<br />

neut. „Ihr könnte euch kurz beraten, wer welche Aufgabe erledigt. Für die Außenaufgaben<br />

werden die ausgewählten Probanden in zwei Minuten abgeholt. Jede Minute, die ihr überlegt,<br />

geht von der Zeit eurer Freunde ab.“ Abby lauschte den Worten entsetzt. Dann keuchte sie<br />

panisch: „Das können die doch nicht machen. Nicht auch noch Gibbs. Nicht Gibbs.“ Ziva<br />

zischte angespannt :„Abby, wir haben keine Zeit, in Panik zu geraten. Je schneller wir uns<br />

einigen und anfangen können, desto schneller haben wir Bones und Gibbs wieder bei uns.“<br />

Booth reagierte sofort. „Ziva hat Recht. Wir sollten keine Zeit verlieren. Einige der Aufgaben<br />

sehen vor allem körperlich anstrengend aus. Eine davon übernehme ich selbst, Jake die<br />

andere. Wer von euch anderen ist noch fit genug?“ „So fit wie du bin ich schon lange.“ Ziva<br />

trat ungeduldig ans Gitter. „Meine Kondition ist auch sehr gut.“, erklärte Locke ruhig, aber<br />

bestimmt. „Gut, dann werden Locke, Ziva, Jake und ich selbst die körperlich anstrengenden<br />

Aufgaben erledigen. Einigt ihr euch mit dem Rest.“, erklärte Booth angespannt. Dann wandte<br />

er sich an die Kamera in seiner Zelle und sagte ungeduldig: „Wir sind fertig, los, seht zu, dass<br />

ihr uns abholt.“ Kaum hatte Booth die Worte hervor gestoßen, öffneten sich die Zellentüren<br />

und die Kerkertüren. Herein kamen diverse Wachen, Booth, Ziva, Locke und Jake traten<br />

ihnen entgegen und Booth erklärte: „Wir übernehmen die vier körperlichen Aufgaben.“<br />

Ohne zu Zögern ließen sich die vier die Hände auf den Rücken fesseln und es ging los,<br />

aus dem Kerker heraus. „Wer macht was?“, fragte Jake knapp. „Ich nehme den Sumpf.“<br />

Locke sagte dies leise und bestimmt. Keiner der anderen Gefangenen hinterfragte die Ent-<br />

scheidung, da sie Lockes Vergangenheit gut erinnerten. Er hatte bei den Aborigines gelebt. Er<br />

504


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kannte sich also in der Wildnis aus. Jake erklärte verbissen: „Hört zu, ich kann etwas tauchen,<br />

ich würde es mir durchaus zutrauen, die Aufgabe zu übernehmen. Jemand von euch, der es<br />

auch kann?“ Ziva und Booth schüttelten den Kopf. Booth sah Ziva an. „Ich die Brücke, du<br />

den Raum?“ Ziva nickte kurz. „Dann sind wir uns einig. Leute, viel Glück. Lasst uns nicht<br />

noch zwei von uns verlieren, bitte.“ Booth‟ Stimme klang belegt. Jake sah den FBI Agenten<br />

an. „Wir holen Temperance da raus, Kumpel.“ „Und euren Boss, und beide unversehrt, ver-<br />

lasst euch darauf.“, fügte Locke zuversichtlich hinzu. Sie hatten den Gang hinter sich gelassen<br />

und standen nun in dem Flur mit den Fahrstühlen. Ziva sagte leise: „Lasst uns das auch als<br />

Andenken an Sawyer und Scully sehen, okay? Und dafür sorgen, dass es nicht mehr werden<br />

heute.“ Booth und Jake nickten und Locke sagte ruhig: „Wir werden es schaffen, da bin ich<br />

sicher. Für Sawyer und Dana.“<br />

<strong>Die</strong> Fahrstühle kamen an und Booth und Locke wurden in den einen, Jake und Ziva in<br />

den zweiten Fahrstuhl geführt. Ziva wurde zwei Etage weiter bereits wieder hinaus geführt,<br />

während es für Jake weiter nach unten ging. Beim Abwärts fahren wurde ihm nun eine Maske<br />

über die Augen gelegt. Er konnte nicht sagen, wie weit es nach unten ging, aber schließlich<br />

wurde er unsanft vorwärts gedrückt und eine ganze Strecke über ebenen Boden geführt. Er<br />

meinte, drei Mal das leise Klicken von Türen zu hören. Dann hieß es plötzlich: „Stop, wir<br />

sind da.“ Jake bekam Kopfhörer der ihm schon bekannten Art über die Ohren gestülpt und<br />

wurde an eine Wand gedrückt. Dort spürte er, wie etwas in einen der Stahlringe an seinem<br />

Halsband befestigt wurde. Ihm war klar, dass er nun an die Wand gefesselt war. Er konnte<br />

nicht schätzen, wie lange er dort stand, wurde aber mit jeder vergehenden Minute unruhiger.<br />

Schließlich wurden ihm erst die Kopfhörer, dann die Maske abgenommen und er wurde von<br />

der Wand los gekettet. „Du wirst dort ins Wasser gehen und tauchen. Irgendwo dort drüben<br />

...“, vage Deutung nach rechts: „... wirst du auf dem Grund der Bucht auf die Höhle mit der<br />

Muräne stoßen. In ihrer Höhle ist in einem kleinen Stahlkästchen die Zahl, die ihr benötigt.<br />

Falls dir dort unten die Luft ausgeht, zirka 20 Meter links der Muränenhöhle ist eine Grotte,<br />

die bei Ebbe zur Hälfte frei von Wasser ist, dort kannst du Atmen. Leider sind die Haie hier<br />

ziemlich aggressive Mistviecher. Wir haben da unten Mako, Bullenhaie und Weiß- und<br />

Schwarzspitzenriffhaie. Und ich fürchte, unsere scharfzähnigen Freunde dort unten sind der-<br />

zeit etwas aufgeregt, weil doch tatsächlich irgend so ein verdammter Idiot sie in der letzten<br />

Zeit immer wieder gefüttert hat.“ Jake lief eine Gänsehaut über den Rücken. - <strong>Die</strong>se elenden<br />

Schweine. - dachte er grimmig. Der Wachmann sah die Besorgnis in Jakes Augen und grinste.<br />

„Hast du alles verstanden, 2?“ Nummer 2 nickte. „Ja, Sir.“ „Na, dann los.“<br />

Jake schloss kurz die Augen, dachte intensiv an Heather und stieg dann langsam ins<br />

Wasser. Er schwamm los, ruhig und kraftvoll und erreichte nach wenigen Minuten in etwa die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Stelle, auf die die Wache gedeutete hatte. Er schloss erneut kurz die Augen, atmete einige<br />

Male tief ein, dann tauchte er ab. Er trieb sich mit kräftigen Stößen seiner Füße in die Tiefe<br />

und seine Augen versuchten, die trübe Dunkelheit zu durchbrechen. Er erreichte den Grund<br />

der Bucht und schwamm hin und her, in der Hoffnung, die kleine Höhle zu entdecken.<br />

Schließlich musste er dringend zurück an die Oberfläche, um Luft zu holen. Er tauchte<br />

mehrere Male von verschiedenen Stellen aus, dann endlich sah er unter Wasser vor sich eine<br />

dunkle Stelle und tauchte zielstrebig darauf zu. Er hatte die Grotte gefunden, in der er Luft<br />

holen konnte. Nun brauchte er nicht mehr den weiten Weg an die Wasseroberfläche machen.<br />

Das sparte zwanzig bis dreißig Sekunden wertvolle Zeit, die er nach der verdammten<br />

Muränenhöhle suchen konnte. Er holte tief Luft und tauchte erneut ab. Und als wäre das Auf-<br />

finden der Grotte eine Initialzündung gewesen, entdeckte er wenige Momente später endlich<br />

zwischen den Felsen die kleine Höhle, aus der augenblicklich der Kopf einer sehr großen<br />

Muräne geschossen kam. Jake schwamm erst einmal in die Grotte zurück und während er<br />

mehrere Male tief durch atmete, überlegte er, wie zum Teufel er in die Höhle der Muräne<br />

fassen und hinterher noch eine Hand haben sollte, die im Stande war, den Stahlkasten aus der<br />

Höhle des Raubfisches zu greifen. Er dachte an Sawyer. Der wäre sicher den direkten Weg<br />

gegangen: Hin schwimmen und rein greifen. Jake holte tief Luft, dann tauchte er los.<br />

Innerhalb weniger Sekunden war er an der Höhle und die Muräne kam sofort aus dem<br />

Loch geschossen und schien Jake genervt anzufunkeln. - Komm ja nicht näher. - Jake ver-<br />

suchte, langsam näher an die kleine Öffnung im Felsen heran zu schwimmen. Der Zufall kam<br />

ihm zur Hilfe. Ein Fisch schwamm in einem Abstand von höchstens einem Meter an der<br />

Muräne vorbei und das Tier wandte sich blitzschnell dem Futter zu. Jake nutzte die Chance,<br />

die sich ihm hier bot, schwamm vorsichtig an die kleine Höhle heran und sehr behutsam<br />

tastete er an dem Körper der Muräne vorbei in deren Schlafhöhle hinein. Er konnte es kaum<br />

glauben, aber er bekam sofort den kleinen Metallkasten zu fassen. Seine Linke schloss sich<br />

fest darum und er wollte sie gerade zurückziehen, als ein scharfer, brennender Schmerz durch<br />

seinen linken Arm schoss. Unwillkürlich keuchte Jake auf und starrte aus weit aufgerissenen<br />

Augen auf den Kopf der Muräne, der sich keine zwanzig Zentimeter von seinem Gesicht ent-<br />

fernt an seinem Arm zu schaffen machte. In einer Wolke seines eigenen Blutes erkannte Jake<br />

zu seinem Entsetzen die kräftigen, spitzen Zähne des Raubfisches, die sich unnachgiebig in<br />

das Fleisch seines Armes bohrten. Entsetzt keuchte er abermals auf und vergeudete wert-<br />

vollen Sauerstoff. Der Schmerz lähmte ihn kurzfristig. - Ich muss hier raus. - war alles, was er<br />

denken konnte. Verzweifelt versuchte er, dem Tier keinen Widerstand entgegen zu setzen, in<br />

der Hoffnung, dass die Zähne ihn dann los lassen würden. Langsam wurde ihm die Luft<br />

knapp. Der Raubfisch dachte nicht im Traum daran, den Störenfried los zu lassen. Sie be-<br />

trachtete Jake nicht als Beute, sondern als Angreifer, der zu verscheuchen war. Jake musste<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich mit aller Kraft zwingen, nicht in Panik zu geraten. Er sah sich inzwischen vollkommen<br />

von seinem eigenen Blut umgeben und spürte immer mehr den mit jeder Sekunde stärker<br />

werdenden Sauerstoffmangel.<br />

Ihm blieb keine andere Wahl, als zu versuchen, die Kiefer, die ihn unerbittlich um-<br />

klammert hielten, irgendwie zu öffnen. Verzweifelt bemühte er sich, die wie Zangen um<br />

seinen Arm liegenden Kiefer zu öffnen. <strong>Die</strong> kleinen, schwarzen Augen des Fisches schienen<br />

ihn gehässig anzufunkeln. Wie zum Hohn zuckte die Muräne kurz mit dem Kopf und Jakes<br />

Lippen entrang sich ein Schmerzensschrei. <strong>Die</strong> wenige Luft, die er noch in den Lungen hatte,<br />

sprudelte aus ihm heraus. Jetzt geriet er wirklich in Panik. <strong>Die</strong> rettende Grotte war keine<br />

zwanzig Schwimmzüge entfernt und er hing wie in einem Schraubstock in den Zähnen des<br />

Raubfisches fest. Jake hatte das Gefühl, seine Lungen würden jeden Moment kollabieren.<br />

Sein Herz raste. Schwarze Kreise tanzten vor seinen in Todesangst aufgerissenen Augen.<br />

Alles drehte sich um ihn, das Blut rauschte in seinen Ohren und die Todesangst schnürte ihm<br />

die Kehle zusätzlich zu. Jetzt konnte er nicht mehr verhindern, dass die Panik wie eine Woge<br />

über ihm zusammen schlug. Er wusste, es würden nur noch Sekunden vergehen, dann würde<br />

er einatmen müssen und dann war er verloren. <strong>Die</strong> Dose immer noch in der verkrampften<br />

Hand, überlegte er verzweifelt, sich einfach mit Gewalt loszureißen, egal, ob der Arm in den<br />

Fängen des Fisches blieb. Und als Jake schon fast aufgeben wollte, öffnete das Tier plötzlich<br />

ganz langsam sein Maul. Jake konnte es nicht fassen. Er riss den Arm aus dem Kiefer und<br />

stieß sich heftig vom Felsen ab. Ihm wurde noch schwindeliger, vor seinen Augen ex-<br />

plodierten Sterne. Das Bedürfnis nach Sauerstoff war derart qualvoll, dass Jake nicht glaubte,<br />

es auch nur noch eine Sekunde länger zu ertragen. Seine Lungen brüllten ihn empört nach<br />

Sauerstoff an und er schwamm um sein Leben. Er konnte den linken Arm kaum bewegen und<br />

paddelte hektisch mit den Füßen. Quälend langsam kam der rettende Eingang der Grotte<br />

näher. Jake war sicher, es nicht mehr zu schaffen. Er musste jetzt Atmen. Er musste. Und<br />

dann durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche.<br />

Keuchend, hustend, am ganzen Körper heftig zitternd und mit Tränen in den Augen<br />

sog er den wundervollen, rettenden Sauerstoff in seine malträtierten Lungen. Er schluckte<br />

Wasser und hustete erneut qualvoll auf. Verzweifelt strampelte er mit den Beinen, um sich<br />

über Wasser zu halten. Als er endlich wieder etwas ruhiger atmen konnte, und der quälende<br />

Hustenreiz nachließ, schwamm er an das felsige Ufer der Grotte und quälte sich zitternd halb<br />

aus dem Wasser. Er konnte nicht fassen, dass er die Dose mit der Zahl tatsächlich noch in<br />

seiner linken Hand hielt. Als er seinen Arm untersuchte, wurde ihm fast schlecht. <strong>Die</strong> Zähne<br />

des Raubfisches hatten eine unangenehm tiefe, ausgefranste Wunde im Fleisch seines Unter-<br />

armes hinterlassen, die nicht in dem Sinne lebensgefährlich war. Aber in einem Wasser voller<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gefährlicher Haie mit einer dermaßen heftig blutenden Wunde schwimmen zu müssen, konnte<br />

die Verletzung schnell doch lebensgefährlich werden lassen. - Scheiße. - war alles, was er<br />

derzeit denken konnte. Bis eben hatte er keinen Hai gesehen. Vielleicht hatte er Glück und sie<br />

würden nicht kommen? Jake wartete beklommen darauf, dass sein rasender Herzschlag sich<br />

ein wenig beruhigte. Das Blut rauschte ihm immer noch in den Ohren. Wie sollte er hier nur<br />

raus kommen, wenn draußen vor der Höhle, wirklich Haie auftauchten? Jake zerrte an seinem<br />

Kittel herum und versuchte, mit den Zähnen einen Riss hinein zu bekommen. Nach einigen<br />

Versuchen gelang es ihm und er trennte einen zirka zehn Zentimeter breiten Streifen mit der<br />

rechten Hand ab. <strong>Die</strong>sen schlang er sich, so gut es ging, um die Verletzung. Nicht, dass er<br />

damit die Blutung allzu sehr stillen konnte. Es war ihm klar, er musste hier raus. So fasste er<br />

sich schließlich ein Herz und packte das Metallkästchen fest in die Linke, dann tauchte er<br />

langsam wieder ab.<br />

Vor sich sah er den Ausgang der Grotte unter Wasser liegen und schwamm zielstrebig<br />

darauf zu. Und erschrak im nächsten Moment heftig, als vor ihm ein grauer Schatten vorbei<br />

schoss. Verdammt. Da waren sie, Haie, drei Stück konnte Jake erkennen, möglich, dass noch<br />

mehr da waren. Verzweifelt drehte der junge Mann um und tauchte erst einmal wieder in der<br />

Grotte auf. Er wusste nicht, wie er hier heraus kommen sollte. Hoffnungslos schwamm er ans<br />

Ufer. Er dachte an Heather. Sollte er wirklich der Nächste sein, der heute sein Leben verlieren<br />

würde? Irgendeinen Ausweg musste es geben. Zumal, das sah Jake ganz deutlich, das Wasser<br />

in der Grotte langsam anstieg, anscheinend kam die Flut. Er hatte die Wahl, in Kürze hier<br />

qualvoll zu ersticken oder sich von Haien zerreißen zu lassen. Wunderbare Aussichten. Er sah<br />

sich die kleine Metalldose in seiner Hand an. Dann drehte er sie auf. Ein Zettel mit einer 6.<br />

Jake zuckte die Schultern. Er würde beide Hände brauchen. So schloss er die Dose wieder<br />

und ließ sie achtlos neben sich liegen. Er schloss die Augen, dachte ganz intensiv an Heather<br />

und seufzte. Dann löste er den provisorischen Verband von seinem Arm, nur um ihn so fest,<br />

wie es ihm alleine möglich war, oberhalb der Bisswunde erneut um seinen Arm zu schlingen,<br />

um die Blutung abzubinden. Den Schmerz ignorierend, so gut es ging, zog er den Stoff so<br />

stramm wie er nur konnte. Noch immer sickerte Blut aus der Wunde, allerdings nur noch sehr<br />

wenig. Jake biss sich resigniert auf die Lippe. Entweder, das reichte, oder er würde in<br />

wenigen Minuten mit Sawyer in der Hölle darüber diskutieren können, wie das alles für Kate<br />

und Heather ausgehen mochte. Tief atmete er ein und ließ sich ins Wasser gleiten.<br />

So schnell es ihm möglich war, tauchte er aus der Grotte hinaus und sah sich hektisch<br />

um. Kein Raubfisch zu sehen. Jake war klar, dass das nicht das Geringste zu sagen hatte.<br />

Jetzt, oder nie mehr. Jede hektische Bewegung möglichst vermeidend, ließ er sich an die<br />

Oberfläche treiben. Der Schmerz in seinem Arm war im kalten Salzwasser durchaus erträglich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und zugleich sorgte das Salzwasser auch dafür, dass die Wunde inzwischen so gut wie gar<br />

nicht mehr blutete. <strong>Über</strong> Jake wurde es heller und dann durchstieß sein Kopf die Wasserober-<br />

fläche. Er hielt sich nicht mit Aufatmen auf, sondern schwamm zügig los, dem rettenden Ufer<br />

zu. - Oh Gott, bitte, lass sie weg sein. - dachte er verzweifelt. Er schwamm weiter und dann<br />

geschah es. Vor sich im Wasser tauchte ein grauer Schatten auf. Jakes Herz übersprang einige<br />

Schläge und er stockte im Schwimmen. Hier hilflos an der Wasseroberfläche zu treiben und<br />

zu wissen, unter ihm schwammen die gefährlichen Raubfische hin und her, versetzte ihn<br />

wirklich in Panik. Er musste sich zwingen, nicht hektisch loszupaddeln. Zitternd setzte er sich<br />

langsam wieder in Bewegung. Jeden Moment erwartete er, den Schmerz eines Bisses zu<br />

spüren. In Zeitlupe schien das Ufer näher zu kommen. <strong>Die</strong> Raubfische umkreisten ihn. Er<br />

konnte sie sehen und ab und zu sogar spüren, wenn er mit den nackten Füßen eines der Tier<br />

berührte. Er wusste, es konnte jeden Moment zu einer alles beendenden Attacke kommen.<br />

Schweißperlen im Wasser auf der Stirn zu spüren, war ihm neu. Wieder spürte er einen der<br />

Fische an seinem rechten Fuß. Panisch hielt er die Luft an. Er wartete auf den grausamen<br />

Schmerz, den der Biss verursachen würde, auf das typische Reißen, wenn ein Hai ein Stück<br />

Fleisch aus seinem Opfer heraus schüttelte. Jeden Moment würde einer der Raubfische zu-<br />

beißen, er war sich ganz sicher.<br />

Doch nichts geschah. Plötzlich tauchte unmittelbar vor Jake einer der Raubfische auf.<br />

An der schwarzen Spitze seiner Rückenflosse konnte Jake ihn als Schwarzspitzenriffhaie<br />

Riffhai einordnen. Zum Glück keiner der angeblich hier lebenden Bullen- oder Makohaie. Der<br />

Raubfisch kam zielstrebig näher und Jake streckte unwillkürlich die rechte Hand aus, um das<br />

Tier abzuwehren. Er drücke den Raubfisch einfach zur Seite und merkte gar nicht, dass er sich<br />

dabei die Hand an den Zähnen des Tieres am Ballen ziemlich übel aufschnitt. Immer näher<br />

kam das rettende Ufer. Und dann spürte er statt der rauen Haut eines Haies plötzlich den<br />

sandigen Grund unter seinen Füßen. Fast hätte er aufgeschluchzt vor Erleichterung. Schritt für<br />

Schritt überwand er die letzten Meter und dann sank er zitternd und bebend auf die Knie.<br />

Seine Hände krallen sich in den Sand des Ufers. Er hatte es tatsächlich geschafft. Jake konnte<br />

nicht fassen, dass er noch lebte. Tränen liefen ihm über die Wangen. Der Wachmann hatte<br />

Jakes verzweifelten Versuch, in einem Stück das Ufer zu erreichen, aufmerksam beobachtet.<br />

Nun kam er zu dem völlig erschöpften jungen Mann und zog ihn unsanft auf die Füße. „Hast<br />

du deine Zahl?“, herrschte er Jake an. Zitternd nickte dieser. „Gut, dann geht es zurück.“ Jake<br />

hatte das ungute Gefühl, der Wachposten hätte ihn gnadenlos zurück ins Wasser gestoßen,<br />

wenn er die Zahl nicht bekommen hätte. Er drückte ohne Rücksicht auf die Verletzung Jakes<br />

Arme auf den Rücken und ließ die Karabinerhaken der Handfesseln einschnappen.<br />

Aufstöhnend vor Schmerzen spürte Jake, wie ihm die Augenmaske wieder übergestreift und<br />

die Kopfhörer aufgesetzt wurden. Er wurde vorwärts gedrückt und hatte Bedenken, dass seine<br />

509


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zitternden Beine ihn nicht tragen würden. Aber sie trugen ihn letztlich doch. Nach einiger Zeit<br />

spürte er, wie sich mit einem sanften Ruck der Boden unter ihm hob und wusste, dass er<br />

wieder im Fahrstuhl angelangt war. Als dieser zum Stillstand kam, und Jake vorwärts ge-<br />

drückt wurde, entfernte die Wache endlich die Augenmaske und die Kopfhörer. Und kurze<br />

Zeit später öffnete sich vor ihm die Kerkertür. Wirklich erleichtert ließ er sich in seine Zelle<br />

führen. Augenblicke später sank er am Ende seiner Kraft nass, wie er noch immer war, auf<br />

sein Bett. Seine rechte Hand, die, wie er erst jetzt bemerkte, heftig blutete, krallte sich zitternd<br />

um die Wunde an seinem Arm und er schloss keuchend die Augen....<br />

<strong>Die</strong> Brücke<br />

Mut steht am Anfang des Handels, Glück am Ende.<br />

Demokrit<br />

Booth hatte mit wachsendem Entsetzen zuschauen müssen, wie Bones zusammen mit<br />

Gibbs in die luftdichte Glocke gesperrt worden war. Als dann der Wachmann kam und die<br />

Zettel mit den Aufgaben verteilte, wurde Booth fast schlecht. Was hatten diese kranken Hirne<br />

sich da einfallen lassen? Er sah verzweifelt zu dem Behälter hinüber, in dem Bones und Gibbs<br />

steckten. Zum Glück waren er, Jake, Locke und Ziva sich schnell sicher, die körperlichen<br />

Aufgaben zu übernehmen. Booth wollte nur noch anfangen. Keine Zeit vergeuden. Sein<br />

ganzes Denken konzentrierte sich auf den Punkt, Bones da raus zu holen. Er konnte nicht<br />

fassen, dass die Entführer eine solch komplexe Aufgabe stellten, eine Stunde nachdem sie<br />

zwei von ihnen umgebracht und zwei weitere vermutlich für den Rest ihres Lebens gebrochen<br />

hatten. Als er zusammen mit Ziva, Locke und Jake aus den Zellen geholt worden war, und auf<br />

dem Weg in den Flur blitzschnell abgeklärt hatten, wer welche Aufgabe übernahm, fiel Booth<br />

ein Stein vom Herzen. <strong>Die</strong> drei schienen den vor ihnen liegenden Aufgaben noch gewachsen<br />

zu sein. Er war besonders Jake dankbar, dass dieser sofort zugestimmt hatte, eine der gefähr-<br />

lichen Aufgaben zu übernehmen. Dass er freiwillig die Taucherei übernehmen würde rechnete<br />

Booth dem jungen Mann hoch an. Und auch Locke in seinem Alter hatte keine Sekunde ge-<br />

zögert, die sicher gefährliche Aufgabe im Sumpf zu übernehmen. Als sie am Fahrstuhl ge-<br />

trennt wurden, und Locke erklärte: „Wir werden es schaffen, da bin ich sicher. Für Sawyer<br />

und Dana.“, waren er und Booth mit Augenbinde und Kopfhörern versehen worden. Dann<br />

wurden sie vorsichtig weg geführt.<br />

*****<br />

510


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House war erschöpft und genervt. Er hatte für seine Aufgabe deutlich länger gebraucht<br />

als er gedacht hatte. <strong>Die</strong> Hinrichtung Danas und Sawyers steckte ihm zu sehr in den Knochen,<br />

das merkte er ganz deutlich. Er hatte nicht annähernd die Konzentration gehabt, die er hätte<br />

aufbringen müssen, um die schwere Aufgabe schneller hin zu bekommen. Seine Gedanken<br />

waren immer wieder abgedriftet, hatten immer wieder die EKG Monitore und Mulder und<br />

Kate vor seinem geistigen Auge erscheinen lassen. House hätte nie für Möglich gehalten, dass<br />

es ihn so mitnehmen würde. Als er in den Zellentrakt zurückgeführt wurde, war er direkt<br />

dankbar, gleich ein wenig Ruhe zu haben. Da schienen die Entführer allerdings etwas gegen<br />

zu haben, denn unmittelbar vor der Kerkertür wurden ihm die Handfesseln gelöst und er er-<br />

hielt Anweisung, einen Laborwagen mit Verbandsmaterial, Instrumenten, Spritzen und<br />

mehreren Ampullen Antibiotika in den Zellentrakt zu schieben. House lief eine Gänsehaut<br />

über den Rücken. Was sollte das nun wieder? Es konnte eigentlich nur bedeuten, dass einer<br />

von ihnen verletzt war. Kommentarlos schob Greg den Wagen in den Kerker und sah, dass<br />

alle Zellen bis auf Jakes leer waren. Der junge Mann lag auf seinem Bett und rührte sich<br />

nicht. House schrak zusammen und humpelte, so schnell ihn sein Bein ließ, in die Zelle, den<br />

Laborwagen als Stütze benutzend.<br />

Als er in Jakes Zelle stürzte, sah er erleichtert, dass der Junge atmete. Er sah sogar auf,<br />

als er hörte, dass jemand seine Zelle betrat. House fragte nach einem Blick auf Jakes Arm und<br />

Hand die Wache möglichst respektvoll: „Kann ich bitte einen Stuhl haben?“ Der Wachmann<br />

nickte zu Gregs großem Erstaunen und sagte in sein Headset: „Einen Hocker, zackzack.“<br />

Keine Minute später eilte eine zweite Wache mit einem einfachen Hocker in der Hand in den<br />

Zellentrakt und reichte House das einfache Sitzmöbel. Kommentarlos nahm dieser den<br />

Hocker entgegen und ließ sich darauf nieder. Dann sagte er ruhig zu Jake: „Was ist passiert?<br />

Lass mal sehen.“ Jake sah auf. „<strong>Die</strong> Muräne ...“, erwiderte er mit schmerzerfüllter Stimme.<br />

„Einige von den Mistviechern sind giftig. Spürst du irgendwas? Kopfschmerzen, Schwindel-<br />

gefühl, Übelkeit, Schwitzen oder Schüttelfrost?“, fragte House besorgt, während er den Stoff-<br />

fetzen von Jakes Arm entfernte. Jake hatte ihn in seiner Zelle gelockert und wieder normal<br />

über die Wunde gebunden. Er stöhnte gequält auf, als House den provisorischen Verband<br />

löste. „Nein, nichts davon, nur die Wunde tut gemein weh.“, keuchte Jake genervt. „Was ist<br />

mit der Hand?“ Jake verdrehte die Augen. „Ein Hai. Ja, die haben hier viel zu bieten.“ House<br />

schüttelte genervt den Kopf, schluckte jede Bemerkung der unfreundlichen Art jedoch<br />

herunter. Er sah sich die tiefe Bisswunde an. „Dass das weh tut, kann ich mir vorstellen. Hör<br />

zu, tut mir leid, Jake, aber ich werde dir auch noch etwas mehr wehtun müssen. Das muss<br />

vernünftig gereinigt werden, sonst riskieren wir hier eine Sepsis, die du nicht überlebst. Ich<br />

kann keine Rücksicht nehmen, ob ich dir damit Schmerzen zufüge, klar? Und ich tendiere zu<br />

511


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

der Annahme, dass unsere Freunde es für Verschwendung halten, uns eine Lokalanästhesie zu<br />

bringen.“ Der Wachposten, der House im Auge behielt, grinste zustimmend. Jake sah House<br />

an und nickte ergeben. „Schon okay. Mach nur. Ich werd schon klar kommen.“ Er biss die<br />

Zähne zusammen, um sich gegen das kommende zu Wappnen. House sah die Wache an, die<br />

bei ihm stehen geblieben war. Dann sagte er knapp: „Sir, halten Sie seinen Arm fest, okay.“<br />

Erstaunlicherweise trat der Wachmann sofort neben Jakes Bett und beugte sich über<br />

diesen. Er griff sich den linken Arm und hielt ihn eisern fest. <strong>Die</strong> nächsten zehn Minuten<br />

wurden für Jake sehr unangenehm. Als House begann, die tiefe Wunde mit einer anti-<br />

bakteriellen Lösung mehr als gründlich zu reinigen, war Jake froh, dass sein Arm festgehalten<br />

wurde. Er war sicher, er hätte ihn nicht still halten können. Als House sich systematisch in die<br />

Tiefe arbeitete, brach Jake der blanke Schweiß aus und er wand sich keuchend auf dem Bett.<br />

Seine andere Hand krallte sich um einen der Gitterstäbe seines Käfigs. Der Wachmann packte<br />

fester zu und House bemühte sich, Jakes schmerzgequältes Wimmern zu überhören.<br />

Normalerweise hätte man bei einer solchen Wunde eine leichte Schlafnarkose oder<br />

wenigstens eine starke Lokalanästhesie verwendet, um dann die Wunde zu reinigen, wenn der<br />

Patient nichts mehr merkte. Jake musste so da durch, egal, wie weh es auch tat. Als er glaubte,<br />

es nicht länger aushalten zu können ohne loszubrüllen vor Schmerzen erklärte House schließ-<br />

lich: „So, das hätten wir. Nun erhol dich mal ein wenig, bevor wir des Dramas zweiten Akt in<br />

Angriff nehmen.“ Jake lag keuchend und heftig mit den Zähnen klappernd da und fuhr sich<br />

mit der rechten, blutverschmierten Hand über das Gesicht, um Schweiß und Tränen wegzu-<br />

wischen. „Scheiße, verfluchte.“, keuchte er fix und fertig. House ließ den jungen Mann einige<br />

Minuten zu Atem kommen, dann begann er, einige Stellen der Wunde, wo die Zähne des<br />

Raubfisches besonders tief ins Gewebe eingedrungen waren, zu nähen. Jake zischte ab und zu<br />

auf, lag aber, wohl mehr vor Schwäche als durch seinen Willen, still. Endlich war auch das<br />

fertig und House legte dem jungen Mann einen festen Verband an. Nun sah er sich den Riss<br />

an Jakes Hand an, reinigte auch diesen und schloss ihn schließlich ebenfalls mit ein paar<br />

Stichen, legte auch hier einen kleinen Verband an. Dann zog er eine Spritze mit dem bei-<br />

liegenden Breitbandantibiotikum auf und verabreichte Jake 300 mg. „So, mehr kann ich nicht<br />

machen. Bleib liegen, ruh dich aus, falls sie dich lassen und lass in Zukunft die Finger von<br />

Muränen und Haien.“<br />

*****<br />

Booth spürte, dass er über holprigen Untergrund gefahren wurde. Dann stoppte der<br />

Wagen, in dem er saß und Booth wurde vorsichtig heraus gezogen. Er erwartet, dass man ihm<br />

die Kopfhörer und die Augenbinde abnehmen würde, aber das passierte nicht. Stattdessen<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

spürte er einen leichten Druck in den Kniekehlen und er sackte auf die Knie nieder. So kniete<br />

er dort, konnte weder etwas hören noch sehen, seine Gedanken waren nur bei Bones und er<br />

wusste nicht, warum er nicht loslegen durfte. <strong>Die</strong> Zeit verging zäh und Booth fragte sich<br />

immer nervöser, was los war. Warum konnte er nicht anfangen? Seine Knie taten ihm weh, er<br />

konnte seine Gedanken nicht klar kriegen, immer wieder sah er vor seinem geistigen Augen<br />

Sawyer und Scully ... Und schrak heftig zusammen, als plötzlich jemand seine Kopfhörer ab-<br />

streifte, unmittelbar gefolgt von der Augenbinde. Als sich seine Augen wieder an das Licht<br />

gewöhnt hatten, sah er vor sich eine zirka 40 Meter lange Holzhängebrücke, die eine kleine<br />

Schlucht überspannte. Booth schluckte. Er wurde angewiesen: „Komm hoch.“ Nachdem er<br />

sich hoch gestemmt hatte, wurden die Handfesseln gelöst. Dann wurde ihm ein Tragekorb in<br />

die Hand gedrückt. In diesem lagen vielleicht fünfundzwanzig bis dreißig leichte Gummi-<br />

bälle. „Du wirst diese Brücke überqueren. Auf der anderen Seite steht ein Holzkasten mit<br />

deiner Zahl. <strong>Die</strong> Bretter sind alt und sehr morsch, also sei vorsichtig. <strong>Die</strong> Bälle im Korb hier<br />

darfst du nicht verlieren. Für jeden raus gefallenen Ball wird per Fernzündung ein Brett zer-<br />

stört. <strong>Die</strong> Brücke wird von zwölf Seilen gehalten. Alle fünf Minuten wird eines dieser Seile<br />

durchtrennt, du hast also allen Grund, dich zu beeilen. Als kleiner zusätzlicher Anreiz sind auf<br />

der Brücke an die hundert Taranteln verteilt. Sehr schmerzhaft, wenn sie dich beißen. Viel<br />

Spaß.“ Booth hatte genau zugehört. Er setzte sich den Korb auf den Rücken und schluckt<br />

trocken, dann erhielt er einen Stoß, der ihn auf die Brücke hinaus trieb.<br />

Unter Booth ging es mindestens 50 Meter in die Tiefe. Seine Hände krampften sich<br />

um die Halteseile und es setzte vorsichtig die ersten Schritte auf die Brücke. Langsam und<br />

extrem vorsichtig setzte er die Füße möglichst weit außen an den Brettern auf. <strong>Die</strong> Brücke<br />

schaukelte und wackelte bei jedem Schritt heftig unter dem FBI Mann. Booth biss die Zähne<br />

zusammen und versuchte, das Knirschen und Knacken zu überhören, welches bei jedem<br />

seiner vorsichtigen Schritte erklang. Und dann passierte es. Krachend brach das erste Brett<br />

unter ihm zusammen. Booth verlor das Gleichgewicht und bekam leichte Schlagseite nach<br />

links. Und sah aus dem Augenwinkel, wie einer der Bälle in die Tiefe sauste, gefolgt von<br />

einem Zweiten. Erschrocken richtete er sich auf, so schnell es ging und verhinderte so, dass<br />

noch mehr Bälle sich verabschiedeten. Vor ihm lösten sich in einiger Entfernung an zwei<br />

Stellen Bretter mit einem leisen Knall in Staub auf. Booth versuchte krampfhaft, seinen<br />

keuchenden Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Seine Beine zitterten heftig. Und dann<br />

spürte er einen Ruck in der Brücke, anscheinend waren die ersten fünf Minuten herum und<br />

das erste Halteseil war durchtrennt worden.<br />

Krampfhaft um Ruhe bemüht, ging Seeley vorsichtig weiter. Er schaffte vier Schritte,<br />

dann zerbröselte erneut ein Brett unter ihm. Und im selben Moment spürte er ein sehr<br />

513


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schmerzhaftes Brennen an seiner linken Hand und zog diese reflexartig zurück. Schnell wurde<br />

aus dem Brennen ein äußerst schmerzhaftes Pochen. Er stöhnte genervt auf und sah sich<br />

seinen Handballen an. Dort waren zwei kleine Einstiche zu sehen und Booth wusste, dass eine<br />

der Taranteln ihn erwisch hatte. Fluchend schlenkerte er die Hand. - Verdammter Mist.<br />

Scheißviech. - dachte er und arbeitet sich langsam weiter vor. Millimeterweise und immer<br />

wieder von brechenden Bretter unterbrochen, arbeitete Booth sich vorwärts. Etwa in der Mitte<br />

der Brücke hatte er schon mindestens zwölf Bälle verloren, wenn ein Brett unter ihm weg<br />

brach und einmal, als ein weiteres Seil durchtrennt worden war. Er konnte gar nicht ver-<br />

hindern, dass er bei den Aktionen das Gleichgewicht verlor. Er war schweißnass und mittler-<br />

weile drei Mal gebissen worden. Seine beiden Hände und sein rechter Fuß pochten und<br />

brannten vor sich hin und Booth begann, Spinnen zu hassen. Etwas abgelenkt setzte er den<br />

linken Fuß ein wenig zu weit mittig auf das nächste Brett und schon passierte es. Vor Schreck<br />

unwillkürlich aufschreiend, rutsche Booth mit dem Fuß durch das entstandene Loch,<br />

schrammte sich heftig die Wade auf. Sofort spürte er Blut an seinem Bein hinunter laufen und<br />

als er reflexartig den Fuß aus dem Loch zerrte, riss er sich die Wunde noch tiefer auf.<br />

Zitternd stand er anschließend auf der schwankenden Konstruktion und sah an seiner<br />

Wade herunter. „Oh, Scheiße.“, stieß er keuchend hervor. Wieder brauchte er ein paar<br />

Minuten, um sich zu fangen. Dass er erneut vier Bälle verloren hatte, war ihm gar nicht auf-<br />

gefallen. Schließlich schleppte er sich stark humpelnd weiter. Noch zehn Meter, dann hatte er<br />

es geschafft. Jeder Schritt wurde langsam zu einer Qual. Booth war fast am Ende seiner Kraft<br />

angekommen. Das aufgeschlitzte Bein schmerzte unerträglich und blutete weiterhin stark.<br />

Seine Hände schmerzten, er konnte sich kaum noch vernünftig fest halten. Und dann merkte<br />

er, dass nur noch vier Seile die Brücke hielten. - Gott, nein. Das schaffe ich nicht. - dachte er<br />

verzweifelt. Mühsam versuchte er, ein wenig schneller vorwärts zu kommen, mit dem<br />

Resultat, dass ein weiteres Brett unter ihm nachgab. Und in diesem Moment wurde ein<br />

weiteres Seil durchtrennt. Booth Gedanken glitten zu Bones und er biss die Zähne zusammen.<br />

- Ich hol dich da raus, Baby, ich schaffe das. - dachte er wütend. Er schleppte sich weiter und<br />

hatte noch fünf Meter vor sich, als das vorletzte Seil durchtrennt wurde. Er hatte damit ge-<br />

rechnet und sich, die Schmerzen in seinen Händen nicht mehr achtend, die Handseile um die<br />

Hände geschlungen. Seine Füße schlang er um zwei der Seile, die die Bretter hielten. Dann<br />

riss die ganze Konstruktion und mit einem gellenden Schrei schwang Booth in die Tiefe. <strong>Die</strong><br />

Felswand raste auf ihn zu und er machte sich in Bruchteilen von Sekunden auf den Aufprall<br />

gefasst.<br />

Komischerweise war dieser nicht ganz so unsanft, wie Booth befürchtet hatte. Zwar<br />

klatschte er ziemlich heftig auf, aber nicht annähernd so stark, wie er erwartet hatte. Trotzdem<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

trieb ihm der Aufprall die Luft aus den Lungen und ein weiterer heiserer Schrei entrang sich<br />

seiner Kehle. Stöhnend und Sternchen sehend hing Booth an den Seilen und versuchte, die<br />

Schmerzen, die durch seinen Körper tobten, unter Kontrolle zu bekommen. Nach einigen<br />

Minuten war ihm das einigermaßen gelungen. Er bekam auch wieder Luft und das Zittern, das<br />

ihn bewegungsunfähig gemacht hatte, ließ nach. Gleichgültig streifte er den Korb mit den<br />

letzten verbliebenen Bällen ab und ließ diesen achtlos in die Tiefe fallen. Er sah nach oben.<br />

Vier Meter, vier läppische Meter. Er spürte, wie ihm Blut aus einer kleinen Platzwunde über<br />

dem linken Auge über das Gesicht lief. „Los, du Penner.“, schnauzte er sich selbst an und<br />

begann mühsamst, sich Zentimeter für Zentimeter in die Höhe zu arbeiten. Booth hatte das<br />

Gefühl, jeder Muskel und jeder Knochen in seinem Körper schrien ihn an, er solle endlich<br />

aufgeben. Aber er dachte nicht im Traum daran. Drei Meter. Zwei Meter. Ein Meter. Von<br />

dem rauen Seil aufgescheuert, bluteten seine Hände und Füße und er hätte für sein Leben<br />

gerne einfach los gelassen. Aber der Gedanke an Bones, die nicht, weil er zu schwach war, in<br />

der verdammten Glocke jämmerlich ersticken sollte, peitschte ihn auch noch die letzten<br />

Zentimeter in die Höhe. Und dann hatte er es geschafft. Mich einem allerletzten Kraftakt zog<br />

er sich an einem Holzpflock der Brückenkonstruktion auf festen Untergrund.<br />

Booth rollte sich keuchend und zitternd auf den Rücken und starrte apathisch in den<br />

Himmel. Er brauchte ein paar Minuten, um wenigstens soweit wieder zu Kräften zu kommen,<br />

dass er sich auf den Bauch drehen konnte. Dort, dort stand der elende Kasten mit der Zahl.<br />

Zitternd streckte Booth die Hand aus und griff sich den Kasten. Und kaum hatte er ihn in der<br />

Hand, kamen zwei Wachleute wie aus dem Himmel gefallen auf ihn zu und halfen ihm auf die<br />

Beine. Sie setzten ihm ohne viel Federlesen die Augenbinde und die Kopfhörer auf und<br />

während Booth krampfhaft den Kasten mit der Zahl umklammerte, wurde er zu einem Ge-<br />

ländewagen gebracht und in diesen verfrachtet. Zwanzig Minuten später humpelte er<br />

zwischen zwei Bewachern in den Zellentrakt. Er wurde in seine Zelle geschleppt und un-<br />

mittelbar danach wurde House zu ihm geführt, der sehr besorgt von Jakes Zelle aus Seeleys<br />

Ankunft im Zellentrakt beobachtet hatte. Aufmunternd sagte House: „Hey, Booth. Booth. Du<br />

bist in deiner Zelle. Du hast es geschafft. Komm schon, gib mir den Kasten.“ House ver-<br />

suchte, Seeley den Kasten mit der Zahl aus der verkrampften rechten Hand zu nehmen und<br />

schließlich gelang es ihm. Greg stellte das Kästchen auf den Boden und humpelte zum<br />

Waschbecken. Dort griff er nach dem Handtuch, das dort hing und kehrte damit zu Booth<br />

zurück.<br />

Er tränkte das Handtuch mit Wasser aus der Wasserflasche und fing an, Booth gründ-<br />

lich die Hände, Füße, Wade und die Stirn zu reinigen. <strong>Die</strong>ser bekam kaum noch etwas mit, er<br />

dämmerte am Rande der Besinnungslosigkeit vor sich hin. House hörte, wie die Kerkertür<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

erneut geöffnet wurde, und dann hörte er schnelle Schritte hinter sich. Erstaunt hob er den<br />

Kopf und sah hinter sich Allison in die Zelle eilen. Vor Erleichterung, dass es ihr gut ging,<br />

seufzte House leise auf. Dann aber giftete er los: „Guck nicht so entsetzt, hilf mir lieber.“<br />

Gemeinsam drehten sie den jungen Mann auf den Bauch. Dann kümmerte House sich um den<br />

tiefen Riss in dessen Wade. Er desinfizierte diesen gründlich, bat Allison, Booth‟ Bein fest zu<br />

halten und begann, die zerfetzten Wundränder abzuschneiden. Seeley kommentierte die Be-<br />

handlung mit erschrockenem Aufkeuchen und schmerzvollem Stöhnen. House ließ sich nicht<br />

irritieren, er arbeitete weiter, bis er zufrieden war. Schließlich sagte er: „Mach mir eine Nadel<br />

und Faden fertig, das muss genährt werden.“ Cameron öffnete eine sterile Tüte mit einer<br />

Nadel und fädelte House Faden ein. <strong>Die</strong>ser beugte sich über Booth‟ Bein und arbeitete zehn<br />

Minuten lang sehr konzentriert an der Wunde, bis er zufrieden war. Booth hatte wieder ab und<br />

zu schmerzlich aufgestöhnt und war zusammen gezuckt, aber er war nicht richtig zu sich ge-<br />

kommen, obwohl er auch nicht wirklich ganz ohne Besinnung war. Nach der Naht drehten<br />

House und Cameron Booth vorsichtig wieder auf den Rücken. Während House die Wunde am<br />

Bein verband, setzte Cameron schnell zwei Stiche an der Platzwunde über dem Auge. <strong>Die</strong><br />

Hände und Füße behandelten sie nur mit antibakterieller Salbe.<br />

House sah sich die Bisswunden an und sagte schließlich: „Da können wir nichts<br />

machen. Gefährlich sehen die nicht aus. Leben tut er auch noch, werden also keine allzu<br />

giftigen Viecher welcher Art auch immer gewesen sein. Am besten, wir lassen den natür-<br />

lichen Heilungsprozess laufen. Zieh mir mal 300 mg Antibiotikum auf. Das hat Jake auch<br />

schon bekommen. Unsere einzige Möglichkeit, vielleicht eine Sepsis zu verhindern.“ Er<br />

schüttelte frustriert den Kopf. Wenn Booth und Jake schon in einem solch miserablen Zustand<br />

zurück gebracht wurden, was war dann von Locke und Ziva zu erwarten? Hatten sie heute<br />

noch nicht genug Tote gehabt? Allison unterbrach House‟ Gedankengänge, in dem sie fragte:<br />

„Was ist mit Jake?“ Sie sah besorgt in die Zelle hinüber, in der Jake im Bett lag und offen-<br />

sichtlich schlief. „Er wurde von einer Muräne gebissen. Beim Tauchen. Ich habe die Wunde<br />

so gut es geht behandelt. Ich müsste mal nach ihm schauen. Bleib du hier bei Booth.“ House<br />

erhob sich von seinem Hocker und humpelte zu Jake hinüber. <strong>Die</strong>ser war doch wach und sah<br />

House entgegen. „Hey, Doc, ist Heather schon ...“ „Nein, deine kleine Nonne ist noch nicht<br />

wieder da.“, sagte House beinah sanft. „Aber ihre Aufgabe ist in keiner Weise gefährlich,<br />

hörst du. Sie wird ganz unversehrt zurückkommen. Und das Zetern kriegen, weil sie nicht zu<br />

dir darf. Da bin ich sicher.“ Jake hatte müde zugehört und sagte leise: „Hoffentlich behältst du<br />

Recht, Doc.“ Er sah House an und dieser bemerkte, dass die Augen des jungen Mannes leicht<br />

glasig wirkten. Besorgt vorzog House das Gesicht. Dann legte er dem Verletzten die Hand auf<br />

die Stirn. Heiß. - Verdammt, jetzt schon Fieber, das kann doch nicht wahr sein. - dachte<br />

House total genervt.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Er sah Jake besorgt an. „Wie fühlst du dich?“, fragte er, obwohl er die Antwort kannte.<br />

Leicht benommen erwiderte Jake: „Mir ist heiß. <strong>Die</strong> haben die Air Condition wieder auf<br />

warm gestellt, was? Außerdem bin ich hundemüde. Hoffentlich lassen sie uns schlafen.“ Er<br />

schloss die Augen und war einige Minuten still. Dann hatte House das Gefühl, als wäre sein<br />

Patient tatsächlich eingeschlafen. Er stand auf und humpelte zu Booth‟ Zelle hinüber, wo<br />

Cameron saß und diesen im Auge behielt. „Schläft er?“, fragte er seine Assistentin. „Ja, seit<br />

ein paar Minuten. Was ihm wohl zugestoßen ist. Und auch Jake ... Eine Muräne?“ Sie tastet<br />

nach House‟ Hand, die sich wie zufällig in die Nähe ihrer eigenen verirrt hatte. Greg sah sie<br />

an und drückte ihre Hand sanft. „Ich habe Angst, in welcher Verfassung wir Locke und Ziva<br />

wieder sehen werden ... Und ob ... Ich könnte es nicht ertragen, heute noch zwei von uns<br />

sterben zu sehen, Greg.“ House sah in Booth‟ blasses Gesicht. Dann schaute er wieder Allison<br />

an. „Ich auch nicht, Sweety, das kannst du mir glauben.“ Sanft strich er Cameron eine ver-<br />

schwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht und die junge Ärztin konnte den Blick aus diesen<br />

hypnotischen, blauen Augen fast körperlich spüren. Wie dankbar sie ihm für diese Worte war,<br />

ahnte er vermutlich gar nicht. „Jake hat Fieber. Ich hoffe sehr, es wird keine Sepsis, ich habe<br />

keine Idee, wie gut die hier ausgerüstet sind und was sie investieren, um ihn zu behandeln.“<br />

House sah sehr besorgt aus. „Bisher haben sie uns immer Recht gut versorgt, wenn etwas war<br />

...“, sagte Allison leise. „Ja, bisher ...“<br />

Der Sumpf<br />

Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dort hin wo kein Weg ist und<br />

hinterlasse eine Spur.<br />

Jean Paul<br />

Locke hatte das Gefühl, seit Stunden mit verbundenen Augen und Kopfhörern über<br />

den Ohren herum zu sitzen. Unter sich spürte er warmen Boden. John hatte mehr als genug<br />

Zeit gehabt, die vergangenen Stunden mit all ihrem Horror vor seinen geistigen Augen Revue<br />

passieren zu lassen. Er dachte an Dana und Sawyer, die so sinnlos und so tapfer in den Tod<br />

gegangen waren und dass er diesmal keine Chance gehabt hatte, etwas zu ihrer Rettung zu<br />

unternehmen. John war erleichtert, dass er etwas tun konnte, um wenigstens Gibbs und<br />

Temperance zu retten. Entschlossen straffte er die Schultern. An ihm würde es jedenfalls<br />

nicht scheitern. Warum dauerte das nur so lange? Warum ließ man ihn nicht beginnen? John<br />

517


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

konnte es sich nur so erklären, dass die Aufgaben nacheinander gelöst werden mussten und<br />

seine Vorgänger noch nicht fertig waren. Nichts zu Hören und zu Sehen machte Locke nicht<br />

viel aus. Er war im Stande, seinen Geist so abzuschalten, dass er von seiner Umgebung nichts<br />

mehr mit bekam. Allerdings wagte er nicht, sich in Trance zu versetzen, obwohl er spürte,<br />

dass es ihm gelingen würde. Er wollte auf gar keinem Fall erst mühsam an die Oberfläche<br />

seines Bewusstseins zurückkehren, wenn er endlich los legen durfte. Seine Gedanken<br />

drifteten zu Mulder und Kate. Er würde nicht zulassen, dass Booth und Abby das gleiche<br />

Grauen erleben mussten. Wo sie wohl gerade waren? Besonders die junge Frau hatte voll-<br />

kommen zerstört gewirkt, aber auch der sonst so gelassene Agent sah vernichtet aus.<br />

Was konnten die Mitgefangenen nur tun, um diese Beiden mitzuziehen, sollten sie zurück-<br />

gebracht werden? Locke hielt sich nicht damit auf, über Geschehnisse zu trauern, die er nicht<br />

ändern konnte. Das hatte er schon zu lange getan und sich selbst damit geschadet. Heute war<br />

er ein Anderer, der nach vorn sah und sich auf das konzentrierte, was er beeinflussen konnte.<br />

Besonders Kate hatte ausgesehen, als hätte sie mit ihrem Leben abgeschlossen. John nahm<br />

sich vor, ihr klarzumachen, dass sie kämpfen musste, weil sie es Sawyer schuldig war, zu<br />

überleben.<br />

Bevor John weiter über die beiden verzweifelten Mitgefangenen nachdenken konnte,<br />

schrak er zusammen, als ihm unerwartet der Kopfhörer und die Augenbinde abgenommen<br />

wurden. Man gab ihm einige Momente Zeit, seine Augen wieder an das Licht zu gewöhnen,<br />

dann wurde er auf die Füße gezogen und ein Wachposten öffnete die Handfesseln. „Du hältst<br />

dich in östlicher Richtung. In Abständen von einigen hundert Metern haben wir Bäume<br />

markiert, damit du die grobe Richtung beibehalten kannst. Du weißt selbst am besten, wie<br />

gefährlich ein Mangrovensumpf ist. Also sieh dich vor. Hier hast du eine Stoppuhr. In von<br />

nun an genau sechzig Minuten wird in diesem Kasten hier einen Kapsel mit Säure aufgelöst<br />

sein, die den Zettel mit deiner Zahl vernichtet. Den Schlüssel zu dem Kasten findest du auf<br />

der anderen Seite der Mangroven.“ John wurde nun ein kleiner Metallkasten an einem Gurt<br />

um den Arm geschnallt, weit oben, dass er nicht störte. Dann erhielt er einen kleinen Stoß in<br />

den Rücken und setzte sich in Bewegung. Er war erleichtert, dass es endlich losging. Obwohl<br />

er die vor ihm liegende Aufgabe keineswegs unterschätzte, war John voller Zuversicht,<br />

meistern zu können, was auch immer auf ihn zukommen würde. In der Zeit bei den Urein-<br />

wohnern Australiens war er oft durch die Wildnis gestreift, hatte gelernt, mit allen Sinnen<br />

Gefahren rechtzeitig zu bemerken. Ihm war klar, dass er es mit gefährlichen Tieren und Fallen<br />

zu tun haben würde und hoffte zuversichtlich, viele davon meiden zu können. Jetzt war nicht<br />

die Zeit, an die Mitgefangenen zu denken, alle Sinne richteten sich hoch konzentriert auf die<br />

Umgebung.<br />

518


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Das Wasser reichte John bis über die Hüften, als er sich vorsichtig, Schritt für Schritt,<br />

seine Umgebung keine Sekunde aus den Augen lassend, vorwärts arbeitete. Sein ausgeprägter<br />

Orientierungssinn zeigte ihm überdeutlich die Richtung nach Osten, die er laut Anweisung<br />

einzuhalten hatte. Vor sich, in einer Mangrove, sah er einen grünen Leguan hocken. Das Tier-<br />

chen beobachtete den Menschen misstrauisch. <strong>Über</strong> sich in den Baumwipfeln hörte er einige<br />

Eisvögel, die das reichhaltige Nahrungsangebot in den Mangrovensümpfen zu schätzen<br />

wussten und hier bevorzugt brüteten. John behielt alles sehr genau im Auge. Zum Glück war<br />

das Wasser relativ klar, es herrschte kaum Wind, sodass die Wellen den schlammigen Boden<br />

nicht allzu sehr aufgewirbelt hatten. In einiger Entfernung erkannte Locke ein rotes Band,<br />

welches um eine frei stehende Mangrove geschlungen war. Vorsichtig arbeitet er sich darauf<br />

zu. Er sah neben sich im Wasser plötzlich eine olivfarbene Seeschlange auftauchen. Ganz still<br />

blieb er stehen, bis das Tier verschwunden war. Er hatte gelernt, dass Seeschlangen zwar eine<br />

der höchsten Giftkonzentrationen im Tierreich hatten, aber sehr ruhige Tiere waren, die nur<br />

im äußersten Notfall beißen würden. Locke erreichte den Baum mit dem Band und orientierte<br />

sich kurz, dann stapfte er weiter. Und hörte hinter sich plötzlich lautes Plätschern.<br />

John drehte sich herum, ruhig, bedächtig waren seine Bewegungen. Er lauschte an-<br />

gestrengt und versuchte, den Standort des Geräusches ausfindig zu machen und zu<br />

fokussieren. Das Wasser in einiger Entfernung war aufgewühlt und John vermutete entweder<br />

ein Krokodil, oder, was schlimmer wäre, einen Hai, Bullenhaie zum Beispiel hielten sich<br />

gerne im Brachwasser von Mangroven auf. Langsam bewegte Locke sich rückwärts an die<br />

Mangrove hinter ihm heran. Er streckte die Hände nach hinten und bekam einen der größeren<br />

Äste zu fassen. Vorsichtig, hastige Bewegungen vermeidend, zog er sich an dem Ast in die<br />

Höhe und bekam so die Beine aus dem Wasser. Mit einem scharfen Messer bewaffnet oder,<br />

so wie jetzt, vollkommen schutzlos durch einen Mangrovensumpf zu waten, waren zwei<br />

völlig unterschiedliche paar Schuhe. Aufmerksam beobachtete John das brackige Wasser<br />

unter sich und dann sah er einen grauen Schatten vorbei huschen und im Hintergrund ver-<br />

schwinden. Erleichtert atmete John auf. Er hatte die schwarze Spitze an der Rückenfinne des<br />

Raubfisches erkannt. Ein Schwarzspitzenriffhai. <strong>Die</strong>ser eher kleinere Küstenbewohner war<br />

nicht sonderlich angriffslustig. John ließ sich langsam zurück ins Wasser gleiten und setze<br />

seinen Weg fort.<br />

Ein Blick auf die Stoppuhr verriet John, dass er noch dreiundvierzig Minuten Zeit<br />

hatte. Da er nicht wusste, wie weit der Weg war, beschleunigte er seine Schritte etwas, jedoch<br />

büßte er dabei keineswegs seine Aufmerksamkeit ein. Und das war gut so, denn auf einer<br />

kleinen Sandbank links von ihm erblickte er rechtzeitig ein vielleicht 3,50 Meter großes<br />

Saltie, ein Leistenkrokodil, Saltie in Anlehnung an sein Verbreitungsgebiet im Salzwasser<br />

519


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

genannt. Seine Bewegungen froren ein. Er musste die Sandbank unbedingt weiträumiger um-<br />

gehen. Krokodile nahmen auch kleine Bewegungen im Wasser war und wenn das Tier dort<br />

Hunger hatte, wäre John in akuter Lebensgefahr. Sehr bedächtig und langsam setzte er einen<br />

Fuß nach dem anderen nach rechts, weg von der Sandbank. Schritt für Schritt brachte er so<br />

immer mehr Sicherheitsabstand zwischen sich und das Raubtier. Plötzlich zuckte er heftig<br />

zusammen. Er war auf irgendetwas Scharfkantiges getreten, was er unter Wasser im Schlamm<br />

natürlich nicht hatte ausmachen können. Ein brennender Schmerz zog durch seinen rechten<br />

Fuß. Er stöhnte auf, zwang sich aber, keine hastigen Bewegungen zu machen. Der Fuß pochte<br />

und brannte und John war klar, dass es keine kleine Wunde war, die er sich da zugezogen<br />

hatte. Jeder Schritt ließ Schmerzwellen durch seinen Körper bis in seine Hirnwindungen<br />

zucken.<br />

Endlich war er sicher, genug Abstand zwischen sich und das Leistenkrokodil gebracht<br />

zu haben. Er lehnte sich an eine Mangrove und zog den verletzten Fuß aus dem Wasser. Ein<br />

tiefer Schnitt, vom Ballen über den Fußaußenrand bis zum Fersenansatz. Im Stillen fluchte<br />

Locke auf. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Nicht alleine, dass auch er nicht schmerz-<br />

unempfindlich war, würde das austretende Blut im Wasser seine Aufgabe nicht gerade er-<br />

leichtern. Tun konnte er ohnehin nichts, also biss er die Zähne zusammen und setzte seinen<br />

Weg stark humpelnd fort. Ein Blick auf die Stoppuhr sagte ihm, dass er noch zweiunddreißig<br />

Minuten hatte. Er musste sich beeilen, da er keine Vorstellung hatte, wie weit der Weg war,<br />

den er zurück zu legen hatte. Er musste riskieren, in seiner Aufmerksamkeit ein wenig nach-<br />

zulassen, um etwas schneller zu werden. Geschwindigkeit ging immer zu Ungunsten der<br />

Aufmerksamkeit, das war John klar. So humpelte er etwas unbeholfen durch das warme, in-<br />

zwischen doch ziemlich schlammige Wasser. Eine kleine, dreieckige Flosse mit schwarzer<br />

Spitze kam langsam auf ihn zu, verschwand aber augenblicklich, als John eine heftige Be-<br />

wegung in Richtung der Finne machte. Ganz kurz huschte ein kleines Grinsen über Lockes<br />

Gesicht. Raubtiere waren es einfach nicht gewohnt, dass potenzielle Opfer auf sie zukamen.<br />

In einiger Entfernung vor sich sah Locke erneut einen Baum mit einem roten Band darum. Er<br />

war also noch in der richtigen Richtung unterwegs. Wenigstens das.<br />

Sein Fuß schmerzte inzwischen heftig, und John konnte nicht verhindern, dass ihm der<br />

Schmerz Schweißperlen auf die Stirn trieb. Er humpelte immer stärker und musste bei jedem<br />

Schritt die Zähne zusammen beißen, um nicht aufzukeuchen. Erschrocken zuckte er zurück,<br />

als vor seinem Gesicht plötzlich, von einem Ast herunter, ein Schlangenkopf auf ihn zu<br />

zuckte. - Verflucht. Das war knapp. - zuckte es ihm durch den Kopf. Er betrachtete die<br />

Schlange genauer. Glänzend schwarz, mit auffallenden gelben Streifen. Eine Mangroven<br />

Nachtbaumnatter. Eine Giftschlange, deren großen Giftzähne weit hinten im Maul lagen.<br />

520


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Locke zog den Kopf ein und humpelte weiter. Und sah vor sich eine dunkle Stelle, die auf ein<br />

Loch im Boden hindeutete. Er wich der Gefahr aus und konnte weit vor sich eine große<br />

Mangrove entdecken, die mit einem weiteren roten Band gekennzeichnet war. Der Unter-<br />

grund wurde mit jedem Schritt morastiger und es fiel John immer schwerer, die Füße aus dem<br />

Matsch zu ziehen. Einmal glitt er aus und kam prustend wieder hoch. Er fuhr sich mit den<br />

Händen über das Gesicht, um sich das salzige, brackige Wasser aus den Augen zu wischen.<br />

Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, hätte John eine Pause eingelegt und seine mentalen Fähig-<br />

keiten benutzt, um das Schmerzempfinden auszuschalten, aber daran war nicht zu denken. Es<br />

ging um das Leben zweier Menschen. Locke fühlte, wie die Angst zu versagen in ihm empor-<br />

stieg und gönnte sich einen Moment der Ruhe, einige tiefe Atemzüge, um sich zu beruhigen.<br />

Dann tastete er sich weiter. <strong>Die</strong> Stoppuhr zeigte inzwischen sechzehn Minuten Rest-<br />

zeit. Himmel, wenn er nur gewusst hätte, wie weit es noch war. Ohne etwas dagegen tun zu<br />

können, kam leichte Panik in Locke hoch. Er hatte nicht den leisteten Anhalt, wie weit er<br />

noch zu gehen hatte. Theoretisch konnte es alles zwischen fünf Minuten und zehn Stunden<br />

sein. Verbissen arbeitete er sich weiter vorwärts. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Er<br />

schüttelte den Kopf und sah sich um. Dort. Da hinten war der nächste Baum mit roter Bauch-<br />

binde. Hastig humpelte Locke darauf zu und bemerkte viel zu spät die große Schnappschild-<br />

kröte, die auf einem Baumstamm vor ihm in der Sonne döste. Er wollte sich an dem Baum-<br />

stamm abstützen, als er den stechenden Schmerz des Bisses in der linken Hand spürte. Im<br />

letzten Moment beherrschte er sich, die Hand reflexartig zurück zu ziehen. Dabei hätte er<br />

einiges an Fleisch eingebüßt. Ganz vorsichtig, um das Tier nicht noch weiter zu reizen, griff<br />

er mit der linken Hand nach dessen Kiefer und drückte mit einiger Anstrengung denselben<br />

auseinander. Jetzt konnte er seine verletzte Hand befreien. Tief hatte sich der spitze Schnabel<br />

des Tieres in seine Hand gegraben und eine heftig blutende, pulsierende Wunde hinterlassen.<br />

- Komm schon, Schmerz ignorieren hast du gelernt, weiter, konzentriere dich auf dein Ziel. -<br />

munterte er sich selbst auf. Zwei, drei ruhige Atemzüge, die ganze Aufmerksamkeit auf den<br />

nächsten Streckenabschnitt gerichtet und der Schmerz ließ nach.<br />

„Verflucht noch mal, Locke, mach keinen Blödsinn. Ich habe 500 Bucks<br />

auf dich gesetzt. Komm mal langsam in Wallung.“<br />

„Bisher führt Booth. Alter, du verlierst.“<br />

„Noch ist nicht Schluss. Und die Verletzung konnte ich ja nicht ahnen.<br />

Ich glaube immer noch, er schafft es.“<br />

„Ich bin gespannt, wie er auf Bobby reagiert. Der hat so schön in der<br />

Sonne gelegen vorhin, der wird nicht so ohne weiteres den Platz räumen.“<br />

521


haben.“<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Wenn es stimmt, was die sagen, wird John keine Probleme damit<br />

„Ich glaube da nicht dran. Er ist doch nicht Crocodile Dundee.“<br />

„Ha, der konnte es ja auch nur bei Büffeln und Razorbacks.“<br />

„Lasst euch nicht vom Film verunsichern, ich bin überzeugt, Locke hat<br />

es drauf. Der wird Bobby dazu bewegen, seinen Arsch da weg zu bewegen, ich<br />

sage es euch.“<br />

Locke schleppte sich mühsam weiter. Wieder hatte er wertvolle Minuten vergeudet.<br />

<strong>Die</strong> Stoppuhr war bei elf Minuten angelangt. Er durfte hier einfach nicht scheitern. Locke<br />

hatte entsetzliche Angst, zu versagen. Er wollte auf gar keinem Fall das Leben von zwei<br />

Menschen auf seinem Gewissen haben. Er wusste, dass Angst so ziemlich das letzte war, das<br />

er jetzt zulassen durfte, er musste sich immer auf den nächsten Schritt konzentrieren.<br />

Energisch verdrängte John die Vorstellung der Mitgefangenen, die mit jedem Atemzug dem<br />

Tod näher kamen und richtete seine Aufmerksamkeit auf die nächste Strecke. Verbissen<br />

humpelte er weiter. Dass er eine deutliche Blutspur im Wasser hinter sich her zog, machte<br />

einige Riffhaie auf ihn aufmerksam. Immer wieder hörte Locke es hinter sich plätschern.<br />

Dann zuckte er erneut zusammen, diesmal jedoch angenehm überrascht. Vor sich sah er im<br />

Grün der Mangroven einen Uferstreifen. Ob dass das andere Ende des Sumpfes war? Ein<br />

Blick auf die Uhr sagte John, dass er keine Zeit mehr hatte, noch lange darüber nachzu-<br />

denken. 4.30. Er hastete schmerzerfüllt keuchend weiter. Und dann sah er es. Direkt vor ihm<br />

auf dem Uferstreifen lag ein wenigstens fünf Meter langes Leistenkrokodil. Verzweifelt über-<br />

legte er. Das Tier zu umgehen würde zu viel Zeit kosten. Also blieb Locke stehen, fixierte das<br />

Krokodil, sammelte seine geistigen Kräfte, um diesem zu suggerieren, dass es das dringende<br />

Bedürfnis hatte, seinen Platz zu verlassen. Mit mentaler Beeinflussung hatte er noch nicht viel<br />

geübt, das kostete unwahrscheinlich viel Kraft, aber bei Tieren war es schon gelegentlich ge-<br />

lungen.<br />

*****<br />

Als sich die Tür hinten ihnen schloss, hatten Bones und Gibbs sich angeschaut. Gibbs<br />

erkannte die Angst in den Augen der jungen Anthropologin. Was draußen vor sich ging,<br />

konnten sie von ihrem Gefängnis aus nur sehen, nicht hören. Zu ihnen in die sehr luftdicht<br />

wirkende Glocke drangen keine Geräusche vor. Gibbs überschlug im Kopf den Rauminhalt<br />

der Glocke und kam schnell zu dem Ergebnis, dass hier drinnen für allerhöchstens drei<br />

Stunden Luft vorhanden war. Er sah sich ein wenig um und dann entdeckte an einer Wand<br />

eine Stoppuhr, die scheinbar von irgendeinem Punkt jenseits von 465 angefangen hatte, die<br />

522


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Zeit rückwärts zu zählen. Hinter sich hörte er Brennan, die sich ebenfalls umsah. „Hier liegt<br />

ein Zettel.“, hörte er die junge Frau sagen. Und dann las sie vor „... acht Aufgaben in acht<br />

Stunden, sonst ersticken 6 und 16. 1) Der Proband muss frei tauchend eine<br />

Höhle erreichen. In dieser Höhle, in der eine Muräne lauert, ist der<br />

Zettel mit der Zahl verborgen. Einige Meter weiter ist eine Grotte, in<br />

der der Proband atmen kann. Neben der Muräne gibt es Haie in<br />

diesem Bereich, die hoch motiviert sind, sich Futter zu holen. 2) Der<br />

Proband hört eine Abfolge von 10 Tönen. Seine Aufgabe ist es, die<br />

Inverse zu bilden. Wenn der erste Ton ...“ Geschockt las Bones die restlichen<br />

Aufgaben vor. Gibbs hörte zu und ging in Gedanken automatisch durch, wer was übernehmen<br />

könnte, sofern die Mitgefangenen frei wählen konnten. „Acht Stunden? Soviel Sauerstoff ist<br />

hier nie und nimmer drinnen. Das reicht, wenn wir Glück haben, für drei Stunden.“ Auch<br />

Bones konnte rechnen. „Dann werden die uns von außen mit Sauerstoff versorgen, anders<br />

funktioniert es nicht.“, erklärte Gibbs ruhig.<br />

Er hatte Bones den Zettel aus der Hand genommen und schaute sich die Aufgaben<br />

noch einmal an. Durch kleine Scheiben konnten die beiden eingesperrten Menschen be-<br />

obachten, wie Booth, Jake, Ziva und Locke aus dem Kerker geführt wurden. Bones Herz<br />

klopfte heftig, als sie dem Mann hinterher schaute, den sie so sehr liebte. Tränen traten in ihre<br />

Augen und sie flüsterte in Gedanken - Pass auf dich auf, Baby. Bring dich nicht um, das lohnt<br />

sich nicht ... - Gibbs konnte ihre Gedanken regelrecht lesen. Er trat zu ihr und legte ihr einen<br />

Arm um die Schulter. „Komm schon, es wird alles gut gehen. <strong>Die</strong> holen uns hier raus. Zwei<br />

Tote an Weihnachten sind schon deutlich zwei zu viel.“ Er hatte mit seinen Worten Trost<br />

spenden wollen, jedoch das Gegenteil erreicht. Heftig schluchzte die sonst so beherrschte<br />

junge Frau auf. „Gott, ich bekomme den Gedanken an Dana und Sawyer einfach nicht aus<br />

dem Kopf. Wie konnten die das nur tun. Ich habe noch nie ... Ich habe nie zuvor Menschen,<br />

die ich gerne mochte, sterben sehen, Gibbs. Ich arbeite tagtäglich mit Toten, aber ich habe nie<br />

einen Menschen ... Eine solche Hinrichtung ... Etwas Schlimmeres kann ich mir wirklich<br />

nicht vorstellen. Hast du schon ...“ Bones sah verweint zu Gibbs auf. „Natürlich hast du<br />

schon.“, gab sie sich selbst die Antwort und Gibbs nickte nur. Er dachte an Kelly und<br />

Shannon, an Caitlin Todd, Kate, der Ari Haswari vor seinen Augen eine 7.62 Millimeter<br />

Scharfschützengewehrkugel in den Kopf geschossen hatte. Oh, ja, er hatte schon viele<br />

Menschen sterben sehen, auch solche, die er mochte, sogar einige, die er geliebt hatte.<br />

Allerdings hatte er noch nie während seiner gesamten <strong>Die</strong>nstzeit einer Hinrichtung bei-<br />

gewohnt. Noch dazu an Menschen, die in der gleichen schlimmen Lage steckten wie er selbst.<br />

523


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Und es waren noch zwei Menschen hier, die ihm wirklich viel bedeuteten. Er dachte an Abby<br />

und Ziva.<br />

*****<br />

Locke konzentrierte sich mit aller Kraft. Er spürte, wie ihm Schweißperlen über das<br />

Gesicht liefen und seine Muskeln sich verkrampften. Und dann, als er schon fast aufgeben<br />

wollte, spürte er Kontakt. <strong>Die</strong> Zeit stand still. Das Krokodil hob den Kopf, blinzelte kurz und<br />

begann sich träge zu entfernen. Mit aller Kraft konzentrierte John sich auf das eine Wort<br />

„Schneller.“ 2.40 <strong>Die</strong> Zeit arbeitete gegen ihn. Das Krokodil stemmte sich hoch und beinah<br />

fluchtartig verließ es schließlich seinen Liegeplatz. Locke mobilisierte noch einmal seine<br />

letzten Kräfte und humpelte so schnell er konnte auf den Uferstreifen hinaus. Wo war der<br />

verdammt Schlüssel? Dreißig Sekunden. Hektisch schaute John sich um. Und dann sah er ihn.<br />

An einer Kordel hing er von einem Baum. John humpelte hin, riss den Schlüssel an sich, den<br />

Kasten von seinem Arm und schloss diesen auf. Er fischte den Zettel heraus und genau in<br />

diesem Moment hatte sich eine große Kapsel mit einer klaren Flüssigkeit ganz aufgelöst und<br />

ergoss ihren Inhalt in die kleine Kiste. Aber John hatte den Zettel in seiner verletzten, rechten<br />

Hand. Unendlich erleichtert ließ er sich in den warmen Sand sinken. 18 stand auf dem Zettel.<br />

Er hatte es geschafft.<br />

Kaum hatte er den Zettel aus dem Kästchen genommen und angeschaut, kamen auch<br />

schon zwei Wachposten zum ihm geeilt. Unsanft wurde ihm die Augenbinde über gestreift<br />

und die Kopfhörer auf die Ohren gesetzt. Dann wurde er, ohne Rücksicht auf seinen ver-<br />

letzten Fuß und die heftig pochende Hand in die Höhe gezerrt. <strong>Die</strong> Hände wurden auf den<br />

Rücken gedrückt und gefesselt. Er wurde offensichtlich in ein Fahrzeug gesetzt, mit dem er<br />

auch schon her gefahren worden war. Locke spürte nur noch Schmerzen. Er wollte einfach<br />

nur noch auf sein Bett und den Fuß und die Hand behandeln und dann schlafen und alles ver-<br />

gessen. Flüchtig dachte er daran, dass die Mitgefangenen sicher mit ähnlichen Hindernissen<br />

konfrontiert gewesen waren wie er selbst und fragte sich, ob wohl Jake, Booth und Ziva in<br />

vergleichbar elendem Zustand waren. Waren sie überhaupt schon an der Reihe gewesen?<br />

Locke spürte, dass die Wunde am Fuß immer noch blutete. Das war nicht gut. Er hatte sicher<br />

bereits eine Menge Blut verloren. Vielleicht war ihm davon so flau. Egal, Hauptsache, er hatte<br />

seine Aufgabe geschafft. Müde schloss er unter der Augenbinde die Augen. <strong>Die</strong> nächsten<br />

Minuten bekam er nur wie durch Watte mit. Irgendwann stoppte das Fahrzeug, man zerrte<br />

John heraus und er wurde zwischen zwei Bewachern, die ihn fast tragen mussten, durch Flure<br />

geschleppt, bis sie den Kerker erreicht hatten. Erst hier nahm man ihm Kopfhörer und<br />

Augenmaske ab. Augenblicke später ließen die Wachen ihn auf sein Bett fallen. „Er hat viel<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Blut verloren.“, wurde House, der bereits in Lockes Zelle geschafft worden war, informiert.<br />

Dann verschwanden die Wachen, und ließen die Gefangenen allein.<br />

„Danke für die Information.“, knurrte House wütend. „Sicher werdet ihr mir gleich<br />

alles bringen, was ich für eine Bluttransfusion brauche, echte Menschenfreunde, die ihr seid.“<br />

Er beugte sich über John und sprach diesen an. „Hey. Schamane, hörst du <strong>mich</strong>? Hey. Locke.<br />

Kannst du <strong>mich</strong> hören?“ Mühsam rappelte Locke seinen Verstand zusammen. „Ja, ich bin ...<br />

halbwegs bei mir ...“ „Was ist passiert? Woher stammen deine Verletzungen?“ House hatte<br />

begonnen, sich die sehr tiefe Wunde an Lockes Fuß anzuschauen. „Am Fuß ... Bin auf was<br />

getreten ... Keine Ahnung, was ... <strong>Die</strong> Hand ... eine ... Schnappschi ...“ Weiter kam Locke<br />

nicht. Der Blutverlust und alles, was in den letzten Stunden auf die Gefangenen eingestürmt<br />

war, forderten Tribut. Locke sank in eine tiefe Bewusstlosigkeit. House hatte aufmerksam<br />

zugehört. „Cameron. Was könnte er mit schappschi meinen?“ Cameron hatte bei Booth nach<br />

dem Rechten gesehen. Der war noch nicht wieder zu sich gekommen. Jake war eingeschlafen.<br />

Sara in ihrer Zelle hätte so gerne auch irgendwie geholfen, war aber, im Gegensatz zu Allison,<br />

sofort wieder eingesperrt worden, kaum, dass sie im Zellentrakt angekommen waren. Sie rief<br />

zu House hinüber: „Wie sieht die Wunde aus? Glatt, in der Mitte tiefer?“ „Ja, woher ...?“<br />

„Schnappschildkröte.“, erklärte Sara absolut sicher. „Natürlich.“ House schlug sich vor die<br />

Stirn. Wie konnte er nur so blöde sein. Schnappschi..., nicht schappschi ... Er ließ sich von<br />

Cameron, die bei ihm stand, erneut eine Nadel und Faden fertig machen und als sie ihm<br />

beides reichte, begann er, die tiefe, immer noch stark blutende Wunde an Lockes Fuß zu<br />

nähen. Cameron assistierte ihm, tupfte das austretende Blut weg und sagte zu Greg: „So, wie<br />

er aussieht, braucht er eigentlich Plasmaexpander.“ House war auf die Naht konzentriert und<br />

nickte. „Frag doch, ob wir was kriegen.“, sagte er genervt. Allison warf ihm einen ver-<br />

nichtenden Blick zu. Doch sie brauchte ihm gar nicht zu antworten, denn ein Wachposten<br />

kam in den Kerker, trat wortlos in Lockes Zelle und warf zwei Beutel Haemaccel und zwei<br />

Tropfkanülen auf den Laborwagen. Vollkommen verblüfft starrten Allison und House auf.<br />

„Danke sehr, Sir.“, sagte Allison ehrlich erfreut.<br />

„Was ist denn in die gefahren?“, fragte House verblüfft. Angesichts seiner eigenen Er-<br />

fahrungen mit den erstaunlichen Fähigkeiten des so unauffälligen Mannes konnte er sich<br />

denken, dass Locke für ihre Entführer wertvoll sein musste. Allison und er tauschten einen<br />

Blick stummen Einverständnisses, der ihnen sagte, dass auch der jeweils andere an dieses<br />

schreckliche Nagelbrett dachte. House nickte Allison zu und sagte ruhig: „Na, dann versehe<br />

Sitting Bull hier mal mit der Venenkatheter.“ Allison sah House verständnislos an, während<br />

sie Lockes linken Handrücken desinfizierte und dann langsam die Stahlkanüle in die Vene<br />

einführte. Mit dem Zeigefinger ertastete sie vorsichtig, ob die weiche Kunststoffspitze des<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Katheters ordnungsgemäß saß, dann zog sie langsam die Stahlmandrin des Katheters heraus.<br />

„Meine Güte, Cameron. Sitting Bull war einer der größten Schamanen, den die Sioux je<br />

hatten.“ Allison verdrehte die Augen und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie war<br />

ungemein dankbar, dass sie zu tun hatte und nicht gezwungen war, ihren Gedanken nachzu-<br />

hängen. Schon so fiel es ihr unglaublich schwer, nicht alle paar Augenblicke zu Danas oder<br />

Sawyers Zellen herüber zu schauen. So sehr sie sich auch um Kate und Mulder sorgte, so froh<br />

war sie, die Beiden im Moment nicht sehen zu müssen. Sie wäre im Augenblick damit über-<br />

fordert gewesen, in die verzweifelten Augen der Beiden zu schauen, wenn diese realisierten,<br />

dass die Restgruppe gerade um das Leben zweier weiterer Leidensgenossen kämpfte. Sie<br />

sicherte den Venenkatheter mit zwei Streifen Pflaster, schloss den Schlauch, der bei den<br />

Plasmaexpander-Beuteln lag, an den Venenkatheter und drückte das andere Schlauchende in<br />

die vorgesehene Öffnung am Beutel. Kurz überlegte sie, wie sie den Beutel am besten auf-<br />

hängen konnte. Sie schnitt ein Stück Mullbinde ab, zog es durch das Loch der Aufhänge-<br />

lasche des Beutels und knotete diesen am Gitter der Zelle fest. <strong>Die</strong> vertraute Tätigkeit ließ sie<br />

etwas ruhiger werden, genau wie das Bewusstsein, dass offenbar bisher alle ihre Aufgabe ge-<br />

meistert hatten Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, hoffte aber, es würde<br />

irgendwie helfen, dass ihre und Saras Aufgabe so schnell gelöst worden war. <strong>Die</strong> Verfassung,<br />

in der Jake, Booth und Locke jedoch waren, ließ sie schaudern.<br />

House bat Cameron: „Kannst du bitte den Fuß verbinden, während ich mir die Hand<br />

anschaue?“ Stumm nickte die junge Ärztin. Kurz schossen ihr Tränen in die Augen, als sie<br />

daran dachte, dass es noch nicht sehr lange her war, dass sie alle sich die Füße und Hände<br />

hatten behandeln lassen müssen. Und wie schlimm Sawyers Füße ausgesehen hatten, nach-<br />

dem er ohne sich helfen zulassen Karre um Karre ... Allison schüttelte ärgerlich den Kopf und<br />

fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sie durfte diese Gedanken nicht zulassen. Hier lagen<br />

Menschen, die ihre Hilfe brauchte. Für die sie noch etwas tun konnte. Sawyer konnte sie nicht<br />

mehr helfen ... Helfen, Menschen helfen jedoch war es, wofür sie lebte. Abgesehen von dem<br />

knurrigen Mann an ihrer Seite. House ahnte nach einen Seitenblick, was Allison durch den<br />

Kopf ging. Er reinigte die Bisswunde an Lockes Hand und entschied, auch hier ein paar<br />

Stiche zu machen, umso schneller würde das verheilen. Schließlich prangte auch um Lockes<br />

Hand ein Verband und House räumte zusammen. Sollte er den Wagen schon in Zivas Zelle<br />

bringen? Er seufzte. House machte sich keinerlei Illusionen über den Zustand, in dem man die<br />

rassige Israelin zurückbringen würde. Unter anderen Umständen hätte er sich nur zu gern<br />

diesem halb nackten Körper gewidmet, aber im Moment war ihm nach allem anderen zumute.<br />

Gedankenverloren sah er zu Jakes Zelle hinüber und stutzte. Er stand auf und eilte<br />

humpelnd zu Jake hinüber. Und sah, dass er sich nicht geirrt hatte. Der junge Mann lag<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zähneklappernd und zitternd im Bett. Er war aufgewacht und sah aus glasigen Augen zu<br />

House auf. „Mir ist saukalt.“, stieß er bebend hervor. - Verdammter Mist. - fluchte House in<br />

Gedanken. - Schüttelfrost. - Das hatte er erwartet, aber nicht darauf bestanden, Recht zu be-<br />

kommen. Er legte Jake die Hand erneut auf die Stirn und schüttelte den Kopf. Der Junge<br />

glühte. Das ging viel zu schnell. Es war nur mit dem extremen Stress zu erklären, dem außer-<br />

ordentlichen psychischen Druck, unter dem sie alle standen, dass Jakes Abwehrsystem so<br />

schnell vollkommen zusammen zu brechen schien. House versuchte, ein möglichst auf-<br />

munterndes Grinsen hin zu bekommen, als er Jake erklärte: „Du hast Schüttelfrost, hätte ich<br />

auch, wenn ich <strong>mich</strong> mit Haien und einer Muräne angelegt hätte. Versuch es nächstens mal<br />

mit einem Yorkshire Terrier. Und nun werde ich dir mal mein Zudecke spendieren, sonst<br />

weckst du mit deinem Zähneklappern noch die <strong>Anderen</strong> auf.“ Jake stöhnte leise auf, als er den<br />

linken Arm bewegte, um ihn tiefer unter die Bettdecke zu ziehen. „Ich fühl <strong>mich</strong> miserabel ...<br />

Das wird ... wird eine Blutvergiftung, Doc, oder?“ „Nein, Cowboy, das wird nicht, das ist<br />

schon eine, tut mir leid. Aber mach dir keine Sorgen, das kriegen wir schon wieder hin.“<br />

House humpelte mühsam in seine eigene Zelle hinüber. Er wunderte sich wirklich, dass sie<br />

ihm und Allison erlaubten, sich frei zu bewegen. Er fluchte innerlich, weil selbst diese paar<br />

Schritte ohne Gehhilfe für ihn so anstrengend waren. In seiner Zelle griff er sich seine Zu-<br />

decke und humpelte zu Jake zurück. Er legte seine Zudecke zusätzlich zu Jakes eigener über<br />

den heftig zitternden jungen Mann und wünschte, ein Fieberthermometer zu haben, um sicher<br />

bestimmen zu können, wie hoch das Fieber inzwischen war.<br />

Hindernisparkur<br />

Man kann einem Menschen nicht den Boden unter den Füßen wegziehen und<br />

erwarten, er werde sich normal benehmen.<br />

John Steinbeck<br />

Ziva war in einen Raum geschafft worden, der außer einem Stuhl, auf den man sie ge-<br />

drückt hatte, keine weiteren Möbelstücke enthielt. Mann hatte die Israelin an den Stuhl ge-<br />

fesselt und dann alleine sitzen lassen. Nichts, was sie hätte ablenken können. So kam sie nicht<br />

umhin, immer wieder an die sechs Menschen zu denken, deren Leben sich heute dramatisch<br />

geändert hatte. Sawyer und Dana tot, Mulder und Kate vollkommen gebrochen, Gibbs und<br />

Bones in akuter Lebensgefahr. Ziva kannte Sawyer nun seit dreiundvierzig sehr intensiven<br />

Tagen und wusste, er würde ihr fehlen wie ein langjähriger Freund. Sie hatte den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schnodderigen Südstaatler gerne gehabt. Er entsprach ihrer Art zu denken. Unter anderen Um-<br />

ständen war sie sicher, sie hätte etwas mit dem blonden Mann angefangen. Sie war froh ge-<br />

wesen, Kate nicht im Zellentrakt anzutreffen. Ziva hatte mit anderen Frauen, außer ihrer<br />

jüngeren Schwester Tali, nie groß etwas anfangen können. Und schon gar nicht eignete sie sich<br />

als Trösterin. Ein Manko, an dem sie während der ersten Monate beim NCIS immer wieder zu<br />

Knabbern gehabt hatte. Der Job brachte es nun einmal mit sich, auch schon einmal einem An-<br />

gehörigen, und da natürlich auch oft Ehefrauen, Müttern oder Schwestern, vom Tod des ge-<br />

liebten Mannes, Vaters, Sohnes, Bruders zu berichten. Ziva war dafür denkbar ungeeignet,<br />

hatte die Aufgabe aber nicht ständig auf McGee oder Tony abwälzen können. Jetzt Kate<br />

gegenüber treten ... Ziva schüttelte es innerlich.<br />

*****<br />

Booth trieb auf Wellen des Schmerzes dahin. Warum tat ihm nur alles weh? Er be-<br />

mühte sich, die Augen auf zu bekommen. Jemand schien seine Lider zugeklebt zu haben, denn<br />

irgendwie schaffte er es kaum, die Augen zu öffnen. Er hörte neben sich eine leise Stimme, die<br />

ihn sanft ansprach. „Booth, wach auf, komm schon, lass uns hören, wie es dir geht.“ Müde<br />

stieß Seeley hervor: „Wie seh ich denn aus?“ <strong>Die</strong> leise, sanfte Stimme lachte kurz. „Furchtbar.“<br />

„So fühl ich <strong>mich</strong> auch ...“ Endlich gelang es Booth, die Augen doch noch zu öffnen. Neben<br />

sich sah er nicht Bones, wie er halb gehofft hatte, sondern Allison, die ihm ein feuchtes Tuch<br />

auf die Stirn drückte. „Da bist du ja wieder, das wurde auch Zeit. Wir müssen wissen, was dir<br />

alles weh tut, damit wir etwas unternehmen können, weißt du.“, sagte die junge Ärztin besorgt.<br />

„Alles.“, ächzte Seeley verzweifelt. „Wie viel Zeit ist vorbei? Wie geht es Bones und Gibbs?“<br />

„Abby und Heather sowie Ziva und Gil sind noch nicht wieder hier, also werden die acht<br />

Stunden nicht um sein. Jake und Locke sind wieder da und Sara, House und ich.“ Booth ver-<br />

suchte, sich zu konzentrieren. „Jake ... Locke ... Wie geht es denen? Haben sie es geschafft?<br />

Sind sie okay?“ Zu lügen hatte keinen Sinn, also sagte Cameron ehrlich: „Ja, sie haben es beide<br />

geschafft, da mach dir mal keine Sorgen, wir kriegen Tempe da raus. Aber in Ordnung ... Nein,<br />

nein, Booth, das sind sie nicht. Jake hat eine ziemlich üble Bisswunde am linken Unterarm,<br />

von der Muräne, aus deren Höhle er die Zahl holen musste. Locke hat sich im Sumpf ziemlich<br />

schwer den Fuß verletzt und hat viel Blut verloren. Wir haben von unseren freundlichen Gast-<br />

gebern tatsächlich zwei Beutel Volumenzufuhr bekommen, um ihm zu helfen. Jetzt musst du<br />

mir aber ernsthaft sagen, was dir weh tut. Was ist überhaupt passiert? Fühlst du dich im Stande,<br />

mir das zu schildern?“ Booth nickte. „Ja. Kann ich Wasser bekommen?“ Cameron schüttelte<br />

bedauernd den Kopf. „Nicht, bevor wir nicht wissen, was mit dir ist.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth legte sich etwas anders hin, dann erzählte er Cameron mit wenigen Worten<br />

genau, was im Einzelnen passiert war. Als er zu dem Part kam, wo die Brücke abstürzte und er<br />

an die Felswand geschmettert worden war, nickte sie und rief dann nach Greg. <strong>Die</strong>ser kam um-<br />

gehend zu ihr. Er hatte in der Zelle Jakes alles mit gehört. „Na, mein Junge, dann lass den<br />

Onkel Doktor mal sehen, was in dir noch heil ist und was nicht.“ Allison trat ans Kopfende und<br />

lächelte Booth aufmunternd zu. Sie hielt ihn ein wenig an den Schultern fest. House klappte<br />

das Zudeck und den Kittel zurück und fing mit geübten Fingern an, Booth‟ Körper gründlich<br />

abzutasten. Er achtete auf extrem weiche oder aber sehr verhärtete Stellen im Leib, die auf<br />

innere Blutungen hindeuten konnten. Er untersuchte Arme, Beine und den Körper so gründlich<br />

es ohne jedes Hilfsmittel ging. In Seeleys Unterleib konnte er zum Glück nichts ertasten, was<br />

auf innere Verletzungen hingedeutet hätte. Keine besonderen Schmerzauffälligkeiten.<br />

Natürlich zuckte und stöhnte Seeley immer wieder heftig zusammen, aber es waren nur<br />

normale Schmerzen von dem Aufprall, beginnende Blutergüsse. Auch der Brust- und Bauch-<br />

raum wies keine empfindlichen Stellen auf. Bei zwei Rippen allerdings zuckte Booth stöhnend<br />

heftig zusammen, was zumindest auf Anbrüche hindeutete. Arme und Beine schienen aber<br />

ohne Brüche davon gekommen zu sein. Erleichtert nickte House. „Alles klar, scheint so, als<br />

würdest du überleben. Gib ihm Wasser und achte darauf, dass er ruhig liegt. Ich muss zu<br />

Locke, der Beutel muss getauscht werden. Und wir müssen uns was mit Jake einfallen lassen.<br />

Er schüttelt.“ Ein letztes Nicken zu Booth und House humpelte in die Zelle Lockes. Allison<br />

hatte schon nach der Wasserflasche gegriffen und gab Booth zu Trinken. Dann sagte sie liebe-<br />

voll: „Du solltest versuchen zu schlafen, du kannst ohnehin nichts tun.“ Sie hatte die Worte<br />

kaum zu Ende gesprochen, da fielen Booth auch schon die Augen zu.<br />

*****<br />

Ziva wurde immer unruhiger. Das gab es doch nicht. Was sollte das, sie hier stunden-<br />

lang hocken zu lassen. Das konnte nur eins bedeuten: Dass es der Reihe nach ging und sie ein-<br />

fach noch nicht dran war. Ziva dippte nervös mit den Füßen. Loslegen. Es hinter sich bringen.<br />

Das war alles, was sie denken konnte. Und dann ging die Tür plötzlich auf. „Es geht los.“ Ein<br />

Wachposten betrat den Raum und machte Ziva vom Stuhl los. Er packte sie am Oberarm und<br />

drückte sie aus dem Raum auf den Flur hinaus. - Endlich. - war alles, was Ziva durch den Kopf<br />

ging. Sie war gespannt, was die Typen sich hatten einfallen lassen. Sie wurde zu einer Tür<br />

schräg gegenüber gedrückt und diese öffnete sich. Ihre Handfesseln wurden geöffnet und Ziva<br />

bewegte die Arme, um die verspannten Muskeln zu lockern. Dann trat sie in den Raum und<br />

ihre dunklen, fast schwarzen Augen weiteten sich. Vor ihr lag ein riesiger Raum, mehr ein<br />

Saal, gefüllt mit unterschiedlich großen Becken, im Boden eingelassen, von unterschiedlicher<br />

Tiefe, mit unterschiedlichen Sachen gefüllt. Unmittelbar vor ihr lag das erste von insgesamt<br />

529


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

neun Becken. Es war gute zwei Meter breit und vielleicht vier bis fünf Meter lang. Es war mit<br />

rot glühenden Kohlen gefüllt. <strong>Über</strong> das Becken hinweg führten zwei schmale, höchstens fünf<br />

Zentimeter breite stabile Latten.<br />

<strong>Die</strong> beiden Wachleute, die Ziva her geführt hatten, lachten gehässig. „Du hast genau<br />

sechzig Minuten Zeit, um dort hinten ...“, er deutete auf eine zweite Tür, die in einiger Ent-<br />

fernung an derselben Wand zu erkennen war: „ ... anzukommen. Dort steht auch der Ofen.<br />

Schaffst du es nicht, wird per Fernzündung ein Feuer entfacht und die Zahl verbrennt.“ Ziva<br />

zog geringschätzig eine Augenbraue hoch, dann erwiderte sie kalt: „Das einzige, was hier<br />

brennen wird, seid ihr und eure Kumpels, in der Hölle.“ Sie trat sehr vorsichtig auf die beiden<br />

schmalen Latten und sagte: „Nun sagt schon: LOS.“ Eine der Wachen lauschte in sein Headset,<br />

dann nicht er. „Los.“ Ohne sich noch um die beiden Kerle zu kümmern, machte Ziva sich auf<br />

den Weg. Sie machte sich keine Illusionen, so selbstsicher sie sich eben auch gezeigt hatte, so<br />

sicher wusste sie, dass das hier erst der Anfang war und es sicher noch wirklich schwierig<br />

werden würde. Während sie sich schnell und geschickt über die schmalen Latten vorwärts<br />

schob, versuchte sie, zu ermitteln, was es mit den anderen Becken auf sich hatte. Und dann erst<br />

entdeckte die junge Frau an der Wand gegenüber eine Stoppuhr, die bei 57.46 stand. <strong>Die</strong><br />

letzten paar Schritte, und Ziva hatte problemlos das erste Hindernis überwunden.<br />

Sie sah sich das zweite Hindernis an. Stahlseile, die über einem vielleicht dreißig<br />

Zentimeter tiefen Becken gespannt waren. Irgendwas sagte Ziva, dass es für ihre Gesundheit<br />

sicher besser war, nicht an die Seile zu kommen. Seufzend ließ sie sich in einer Einstiegsecke<br />

vorsichtig, sehr vorsichtig, in das Becken gleiten und rutschte dann sehr langsam unter die ge-<br />

spannten Seile. Ganz kurz hatte sie überlegt, sich auf den Rücken zu legen, entschied sich aber<br />

doch schnell dagegen. Auf dem Bauch liegend hatte sie mehr Kontrolle, flach zu bleiben.<br />

Langsam schob die Agentin sich vorwärts und schließlich hatte sie es geschafft, ohne ein ein-<br />

ziges Mal an eines der Seile zu kommen. Sie zwängte sich schweißgebadet aus der Ausstiegs-<br />

ecke und da passierte es doch noch. Mit dem linken Arm kam sie ganz leicht gegen das letzte<br />

Seil und schrie gellend auf. „Ah. Verdammt.“ Wutentbrannt schob sich die Israelin ganz aus<br />

dem Becken und rieb sich keuchend den Arm. „Ihr elenden .....“ Sie schluckte alles, was ihr auf<br />

der Zunge lag, hinunter. Als sie aber die Scherben im nächsten Becken gewahr wurde, stieß sie<br />

auf Hebräisch „mag‟Il rozE‟ach“ hervor, was so viel wie: „Widerliche Mörder.“, hieß. Ein<br />

Blick auf die Uhr an der Wand, die inzwischen bei 47.23 angekommen war, sagte ihr, dass ihr<br />

zum Fluchen keine Zeit blieb. Das Becken war vielleicht drei Meter lang. Wenn sie es etwas<br />

geschickt anstellte, würde sie vielleicht ihren Kittel ein wenig zur Hilfe nehmen können. Ohne<br />

zu zögern entledigte sich die junge Frau des ohnehin sehr dürftigen Kleidungsstückes, stieg<br />

sehr vorsichtig in das Becken und schlang sich die äußeren Enden des Kittels um die Füße,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stecke die Enden gut fest und machte sich langsam und vorsichtig auf den Weg. Alles andere<br />

als geschmeidig, aber immerhin unverletzt erreichte sie vier Minuten später unbehelligt das<br />

andere Ende des Beckens. Sie wickelte sich den Kittel von den Füßen und war versucht, eine<br />

eindeutige Geste in Richtung der natürlich auch hier allgegenwärtigen Kameras zu machen.<br />

*****<br />

Jake ging es immer schlechter. Nachdem es House tatsächlich gelungen war, mit der<br />

zusätzlichen Wärme das Schütteln zu unterbrechen, war er in einen deliriumsähnlichen Zu-<br />

stand gefallen. House und Allison kümmerten sich zusammen um ihn, konnten jedoch nicht<br />

viel machen. Das Fieber war inzwischen so hoch, dass der jungen Mann zu glühen schien. Und<br />

endlich kam ein Wachposten und brachte den beiden Ärzten ein Thermometer. Es war eines,<br />

mit dem die Temperatur im Ohr gemessen werden konnte. Allison hielt es Jake ins rechte Ohr<br />

und schon Sekunden später konnte sie das Ergebnis ablesen. 41,3 ° „Oh Gott, er braucht<br />

dringend Metamizol, wie sollen wir das Fieber sonst gesenkt bekommen? Noch ein Grad mehr<br />

und er geht uns Ex.“ Allison sah ihren Boss verzweifelt an. „Gott verdammt.“ Greg stand auf<br />

und trat vor die Kameralinse in der Ecke der Zelle. Dann holte er tief Luft. „Ich weiß, dass Sie<br />

<strong>mich</strong> hören können. Wir benötigen hier dringend Metamizol und Linezolid, oder etwas<br />

ähnliches, sonst wird das hier nichts mehr. Wenn Sie wollen, dass er weiter lebt ... Bitte.“,<br />

würgte er zähneknirschend hervor. Cameron ahnte, wie schwer House das fiel. <strong>Die</strong>ser wandte<br />

sich wieder dem Verletzten zu, der sich in Fieberträumen leise stöhnend und keuchend im Bett<br />

hin und her wälzte. Allison hatte ihm einen nassen Waschlappen auf die Stirn gelegt und hielt<br />

Jakes linke Hand. Sie redete leise und begütigend auf den Kranken ein, ohne zu wissen, ob ihre<br />

Worte überhaupt bis zu Jake vordrangen. Darauf kam es auch nicht an, wichtig war nur, dass er<br />

spürte, dass er nicht alleine war. House sah Allison an und in seinen Augen leuchtete eindeutig<br />

Zuneigung, Liebe. Sein Kopf zuckte herum, als er hörte, wie die Kerkertür sich öffnete. Ein<br />

Wachmann kam herein, einen Erste Hilfe Kasten in der Hand. Er trat zu Jakes Zelle und reichte<br />

House den Kasten. „Da ist alles drinnen, was du brauchst, sieh zu, dass du Nummer 2 schnell<br />

wieder auf die Beine kriegst.“<br />

House sah den Wachposten giftig an. „Danke.“, stieß er mühsam beherrscht hervor. <strong>Die</strong><br />

Wache nickte. „Streng dich an.“ Er wollte sich herum drehen, als ihn House‟ Stimme zurück<br />

hielt. „Erst macht ihr ihn kaputt, dann kann ich zusehen, wie ich ihn schnell wieder auf die<br />

Beine kriege, damit ihr ihn weiter quälen könnt, ihr elenden Bas...“ Weiter kam er nicht mehr.<br />

Ein mörderischer Schmerz zuckte vom Halsband ausgehend durch seinen Körper, ließ ihn auf-<br />

brüllend die Hände an das Halsband reißen und seine Finger krallten sich unwillkürlich um den<br />

Metallring herum. Keuchend sackte er auf die Knie. Allison wollte sofort zu ihm eilen, aber ein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Blick der Wache ließ die junge Frau erstarren. Der Wachmann trat auf den am Boden knienden<br />

Greg zu, packte diesen brutal an den Haaren und zwang ihn so, zu sich auf zu sehen.<br />

Gefährlich leise zischte er diesem in das schmerzverzerrte Gesicht: „<strong>Über</strong>treib es nicht, Doc,<br />

das rate ich dir. Auch du bist ersetzbar. Wenn wir dich schon lassen, mach deinen Job und<br />

halte dein Maul.“ Mit einer verächtlichen Geste ließ er House los und verließ ruhig den Kerker.<br />

Kaum war der Mann verschwunden, war Cameron schon bei House und half diesem auf die<br />

Beine. Keuchend und zitternd ließ er sich auf die Bettkante von Jakes Bett sinken. Seine Hände<br />

zitterten heftig. „Es geht mir gut.“, stieß er giftig hervor. „Kümmere dich um Jake, sieh zu,<br />

dass er die Medis kriegt.“ Er streifte Allisons Hände ab und deutete mit zitterndem Finger auf<br />

Jake. Cameron nickte und griff nach dem Kasten, den die Wache mitgebracht hatte. Sie öffnete<br />

ihn und fand neben den erbetenen Medikamenten zwei weitere Beutel Plasmaexpander, einige<br />

Venenverweilkanülen, Einwegspritzen, mehrere Beutel Vollelektrolytlösung, zwei 10 ml<br />

Ampullen Oxycodon 16 . Allison zögerte nicht. Sie zog Metamizol 17 und Linezolid 18 in eine<br />

Spritze, in eine zweite 5 mg Oxycodon. auf. Sie nahm Desinfektionsmittel, griff nach Jakes<br />

linker Hand und desinfizierte den Handrücken, immer wieder kurze Blicke auf House werfend.<br />

Dann setzte sie wie schon bei Locke nun auch bei Jake eine Venenverweilkanüle und sicherte<br />

diese mit Pflasterstreifen. Als sie fertig war, verabreichte sie dem jungen Mann erst das<br />

Schmerzmittel, dann das Fiebermittel und die Antibiotika.<br />

*****<br />

Ziva sah sich das nächste Hindernis an. Ein Becken mit eindeutig kochendem Wasser,<br />

über das zwei Seile stramm gespannt waren: unten, knapp über der blubbernden Wasserfläche<br />

ein dünnes, weiter oben, in Hüfthöhe ein dickes Seil zum Festhalten. Ohne zu zögern nahm<br />

Ziva das Hindernis unter die Füße. Es machte der geschmeidigen jungen Frau kein Problem,<br />

ohne nasse Füße auf die andere Seite des Beckens zu kommen. Zwar tat das ziemlich dünne<br />

Seil schon nach wenigen Schritten an den Füßen heftig weg, aber das störte Ziva nicht. Sie war<br />

erleichtert, dass sie den Raum gewählt hatte. <strong>Die</strong> wesentlich schwereren Männer hätten hier<br />

erhebliche Probleme bekommen. Ziva sah kurz zur Uhr und stellte zufrieden fast, dass sie noch<br />

zweiundvierzig Minuten hatte. Sie machte sofort weiter, da sie nicht wusste, was noch auf sie<br />

wartete. Das nächste Hindernis sah anstrengend aus. Ein Boden, der sicher nicht berührt<br />

werden sollte, darüber eine ganze Reihe frei an Seilen hängende Holzringe. Alleine schon die<br />

16 Oxycodon: ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Opioide, der als Schmerzmittel bei starken Schmerzen angewendet wird.<br />

17 Metamizol: Metamizol ist ein Schmerzmittel aus der Gruppe der nichtsauren Nichtopioid-Analgetika. Es besitzt unter diesen<br />

die höchste schmerzlindernde und fiebersenkende Wirkung.<br />

18 Linezolid: ist ein Antibiotikum und gehört zur Gruppe der Oxazolidinone, einer der neuesten verfügbaren Antibiotikagruppen.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Tiefe bis zum Boden war nicht sehr angenehm, denn die Ringe hingen in bestimmt vier Metern<br />

Höhe unter der Decke. Der erste baumelte vor Zivas Nase. Ziva holte tief Luft, dann griff sie<br />

nach dem Ring und hielt sich fest. Und richtig. Sie wurde in die Höhe gezogen, bis sie das<br />

Niveau der anderen Ringe erreicht hatte. Sie wusste, dass sie nicht ewig die Kraft hatte, sich zu<br />

halten und so beeilte sie sich, loszuhangeln. <strong>Die</strong> ersten Ringe fielen der durchtrainierten Frau<br />

leicht, ungefähr auf der Hälfte der zwölf Ringe wurde es anstrengend. Ziva keuchte, Schweiß<br />

lief über ihren Körper. Immer schwerer fiel es ihr, nach dem nächsten Ring zu angeln. „Los<br />

doch, mach schon.“, trieb sie sich selbst keuchend an. Noch einer, und noch einer und der vor-<br />

letzte. Ihre Finger brüllten empört auf, als sie nach dem letzten Ring griff und dieser sich mit<br />

ihr dem Boden entgegen senkte.<br />

*****<br />

Kurz nachdem Allison Jake die Injektionen gegeben hatte, wurde die Kerkertür erneut<br />

geöffnet. Und dann brachten Wachen Heather und Abby zurück. Auf dem ersten Blick wirkten<br />

die beiden Frauen zwar erschöpft und am Ende ihrer Kraft, aber bis auf kleine Blessuren und<br />

Schrammen unverletzt, was Allison und House aufatmen ließ. Beide Frauen wurden rück-<br />

sichtslos in ihre Zellen gebracht, wie vorher bereits Sara. Abby starrte sehnsuchtsvoll zu der<br />

Glocke hinüber, in der Bones und Gibbs es sich auf dem Boden gemütlich gemacht hatten. Sie<br />

redeten wenig, was hätten sie auch sagen sollen. Erstens verbrauchte Sprechen Sauerstoff, zum<br />

Zweiten war die ganze Situation nicht gerade so angenehm, dass fröhliche Gespräche auf-<br />

kommen wollten. Sie hatten mit bekommen, wie nach und nach Jake, House, Booth, Allison,<br />

Sara und Locke zurück gebracht wurden, sahen, in welch schlechter Verfassung Jake, Booth<br />

und Locke gewesen waren und Bones schluchzte verzweifelt auf, als sie beobachtete, wie<br />

Booth in seine Zelle geschafft wurde. Gibbs hatte alle Hände voll zu tun, um sie zu beruhigen.<br />

In die Zelle hinein schauen konnte sie nicht, so wusste sie nicht, was weiter mit Booth geschah<br />

und das machte die junge Anthropologin fast wahnsinnig. Für den Moment hatte sie die Angst<br />

um das eigene Leben vollkommen vergessen. Nur noch die Sorge um Booth beherrschte sie.<br />

Gibbs ging es nicht viel besser. Nachdem er zusammen mit Tempe hatte beobachten müssen,<br />

in welcher Verfassung Locke, Booth und Jake zurück gebracht wurden, hatte er entsetzliche<br />

Angst um Abby und Ziva. Zwar wusste er nicht, welche der Aufgaben sie zu bestreiten hatten,<br />

war aber sicher, das Ziva bei einer der Körperlichen dabei war. So hockten die Beiden in trübe<br />

Gedanken versunken in ihrem kleinen Gefängnis und sahen zu, wie langsam, aber sicher die<br />

Zeit verging.<br />

*****<br />

533


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Heather war erschöpft, nervlich am Ende und wollte nur noch mit Jake reden. Kaum<br />

hatte sich die Zellentür hinter ihr geschlossen, trat sie schon an die Zellentür und sah zu Jakes<br />

Zelle hinüber. Was sie sah, ließ sie aufstöhnen. Sie glaubte sich in einem Albtraum gefangen,<br />

der mit Jakes Anblick seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Allison und House waren bei<br />

Jake in der Zelle, Allison schien gerade damit beschäftigt, einen Tropfbeutel am Gitter festzu-<br />

binden, aus dem ein Schlauch zu Jakes rechter Hand hinunter führte. Heather konnte sein Ge-<br />

sicht nicht sehen, aber sie sah, dass der Körper des jungen Mannes sich unruhig auf seiner<br />

Matratze wand. Sie sah House, der sich mit einem Gegenstand, einem Lappen, über Jake<br />

beugte und diesem das Gesicht und die Stirn abtupfte. All das war eindeutig zu viel für die<br />

junge Frau. Entsetzt schrie sie auf: „Lasst <strong>mich</strong> zu ihm. Was ist mit Jake? Was habt ihr ihm<br />

getan. Wie geht es ihm? Allison, um Himmels Willen, sag etwas.“ Allison war bei Jake erst<br />

einmal fertig und ging eilig zu der hysterischen jungen Frau hinüber.<br />

„Heather, hör zu. Jake geht es nicht besonders gut, er wurde bei seiner Aufgabe von der<br />

Muräne in den Arm gebissen. <strong>Die</strong> Wunde hat sich trotz Behandlung infiziert und hat bei ihm<br />

zu hohem Fieber und Schüttelfrost geführt. Wir haben die Erlaubnis, uns um alle Verletzten zu<br />

kümmern und haben auch Mittel und Möglichkeiten bekommen. Booth und Locke geht es<br />

ebenfalls nicht sehr gut. Wir tun unser Bestes. Du musst dich damit abfinden, dass sie dich<br />

nicht zu ihm lassen. Aber du hilfst uns nicht, wenn du hier durch drehst, verstehst du?“<br />

Natürlich sah Heather ein, dass ihre Hysterie nicht hilfreich war. Sie biss sich auf die Lippen,<br />

versuchte sich zusammen zu nehmen. „Bitte, helft ihm ... bitte ... Ich will ihn nicht verlieren.“,<br />

schluchzte die junge Frau vollkommen verzweifelt. „Ich will nicht wie Kate ... Bitte.“ Allison<br />

griff durch die Gitterstäbe nach Heathers Händen und drückte diese. „Wir tun, was wir nur<br />

können. Wenn du dich zu Booth setzen würdest, und du, Abby, dich um Locke kümmerst und<br />

sofort Bescheid sagst, wenn etwas ist, würde es uns sehr helfen, uns ausschließlich auf Jake zu<br />

konzentrieren.“ Von ihren Zellen aus waren die beiden Frauen in der Lage, die verletzten<br />

Männer in ihren Betten zu berühren und ein wenig zu betreuen. So waren sie abgelenkt von<br />

ihren Sorgen, wenigstens ein wenig. Heather half das sehr, so war sie sinnvoll beschäftigt und<br />

konnte obendrein auch wirklich helfen. Booth war unglaublich dankbar, dass jemand da war,<br />

der ihm einfach nur half, in dem er da war. Ebenso ging es Abby und Locke.<br />

*****<br />

Ziva sank keuchend auf den Boden und musste dringend erst einmal zu Luft kommen.<br />

Als sie sich etwas erholt hatte, wandte sie sich dem nächsten Hindernis zu. Sie betrachtete das<br />

große Becken, dass mit einer Glasplatte abgedeckt war. Tief genug, um darin zu tauchen, aber<br />

wie es aussah, keine Möglichkeit, zwischendurch aufzutauchen. Das Becken war nicht sehr<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

lang und so sah Ziva keine großen Probleme. Sie ließ sich ins Wasser gleiten, holte ein paar<br />

Mal tief Luft, dann tauchte sie unter. Nur, um entsetzt festzustellen, dass es nicht annähernd so<br />

einfach werden würde, wie sie gedacht hatte. Prustend kam sie erst einmal wieder an die Ober-<br />

fläche. Das verdammte Becken war unter Wasser ein Irrgarten. Ziva bekam erstmals Angst.<br />

Wenn sie es nicht auf Anhieb schaffte, würde sie ertrinken. Das konnte nicht wahr sein. Sie<br />

versuchte, sich zu konzentrieren. Zügig schwimmen, nicht in Panik geraten, sie war eine<br />

hervorragende Schwimmerin und konnte auch lange die Luft anhalten, also, sie würde es<br />

schaffen. Wieder atmete sie einige Male tief ein, dann hielt sie den Atem an und ließ sich ins<br />

Wasser zurück sinken. Schnell schwamm sie los. Und hatte Glück, sofort in die richtige<br />

Richtung abzubiegen. Sie tastete sich vorwärts, so schnell sie konnte. Aber langsam wurde es<br />

knapp. Ziva spürte, wie der Drang, zu Atmen, stärker wurde. Sie beschleunigte ihre Schwimm-<br />

bewegungen noch ein wenig und arbeitete sich im sprichwörtlichen Zickzack durch das<br />

Becken. Umdrehen hätte sie nicht mehr gekonnt, dafür reichte die Luft nicht mehr. Verzweifelt<br />

kämpfte sie sich vorwärts. Wieder Abbiegen, diesmal nach rechts. Wie weit noch? Ziva spürte<br />

Panik in sich hoch kommen. Sie konnte nicht mehr. Sie hätte mehr als dringend Sauerstoff be-<br />

nötigt. Ihr Herz pumpte wie verrückt. Vor ihren Augen schien schon jetzt Silvester zu sein,<br />

denn sie sah Sterne. Sie konnte nicht mehr. Sie brauchte Luft. Und dann lag plötzlich keine<br />

weitere Kurve mehr vor der Agentin. Sie war am Ende ihrer Beherrschung angelangt. Nur noch<br />

der Wunsch zu Atmen war da. Und plötzlich spürte die junge Israelin, wie ihr Kopf durch die<br />

Wasseroberfläche stieß.<br />

Am ganzen Körper zitternd zog Ziva sich aus dem Becken und sank keuchend auf den<br />

Boden. Sie hustete Wasser aus und sog verzweifelt Luft in ihre malträtierten Lungen. Dass es<br />

Jake vor ein paar Stunden genau so gegangen war, konnte die junge Frau zu diesem Zeitpunkt<br />

nicht wissen. Sie brauchte wertvolle Minuten, um wieder zu sich zu kommen. Dann setzte sie<br />

sich noch leicht zitternd auf. Mühsam rappelte sie sich auf die Füße. Ganz leicht schwindelig<br />

sah sie sich einem zirka vier Meter langen und mindestens drei Meter hohen, schrägen Brett<br />

gegenüber. Okay, da sollte sie dran hoch? Sie warf einen Blick zur Uhr. 27.34 Wo war die Zeit<br />

geblieben. Noch drei Hindernisse. - Komm schon, David. Ausruhen kannst du später. - trieb sie<br />

sich selbst an. Nass, wie sie war, die hölzerne Barrikade hoch zu turnen würde schwer werden,<br />

aber nicht unmöglich. Wenn sie abrutschte, eben auf ein Neues. An einigen Stellen waren<br />

kleine Leisten angebracht, an denen sie sich festhalten konnte. Vorsichtig begann Ziva, sich an<br />

dem Hindernis empor zu arbeiten. Als sie die ersten vierzig Zentimeter geschafft hatte, hörte<br />

sie unter sich plötzlich ein metallisches Schaben. Erstaunt sah sie nach unten und erschrak.<br />

Unter ihr waren parallel zueinander drei verdammt scharf aussehende, vielleicht einen<br />

halben Meter lange Klingen aus der Wand geschossen gekommen. Soviel zum Thema ab-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

rutschen. Kaum wusste Ziva, dass Abrutschen keine gute Idee war, kam ihr die Wand gleich<br />

viel glatter und schlüpfriger vor. Und sie kam natürlich schon zwei Schritte weiter heftig ins<br />

Rutschen. Es war sonst nicht ihre Art, aber in diesem Moment schrie die junge Frau entsetzt<br />

auf. Sie war sich inzwischen darüber im Klaren, dass diese Leute über Leichen gingen und<br />

wenn sie nicht sehr aufpasste, war sie möglicherweise die nächste Leiche. Panisch krallten ihre<br />

Finger sich an einer der kleinen Leisten fest und im letzten Moment konnte sie verhindern, auf<br />

die Klingen zu glitschen. Hektisch versuchte Ziva, sich zu beruhigen. In Panik würde sie die<br />

verdammte Wand sicher nicht schaffen. Sie versuchte, an Tony zu denken, wie er lästern<br />

würde. Augenblicklich wurde sie ruhiger. Eigenartigerweise hatte sie seit ihrer Gefangen-<br />

nahme viel an Tony gedacht. Und ihre Gedanken an ihn waren nicht nur der Art gewesen, dass<br />

er sie schon irgendwie hier herausholen würde. Oft hatte Ziva sich dabei ertappt, dass sie<br />

dachte - Jetzt in Tonys Armen alles vergessen ... - bis sie sich selbst zur Ordnung gerufen hatte.<br />

Was waren das nur für dumme Gedanken. Und doch ... Ein Blick auf die Uhr und Ziva vergaß<br />

Tony, sie vergaß die lebensgefährlichen Klingen unter sich, sie vergaß alles. 22.56. Sie musste<br />

sich beeilen. Verzweifelt quälte sich die junge Frau höher und höher und unter ihr schossen<br />

immer mehr von den gefährlichen Klingen aus dem Brett. Wenn schon nicht tot, wäre sie zu-<br />

mindest schwerst verletzt, sollte sie doch noch abrutschen, das war Ziva klar.<br />

*****<br />

Jake lag im Bett und wand sich im Fieber. So sehr Heather auch bemüht war, ihre Auf-<br />

merksamkeit Booth zu widmen, ruckte ihr Kopf doch immer wieder hinüber in Jakes Zelle,<br />

wenn sie den Mann, den sie so sehr liebte, aufstöhnen hörte. Aber sie zwang sich, nicht<br />

dauernd nachzufragen. Ihr war klar, dass House und Allison alles in ihrer Macht stehende<br />

taten, Jake zu helfen. Allison saß bei dem jungen Mann, der im Fieberdelirium vor sich hin<br />

murmelte. Sie hatte inzwischen einzelne Namen verstanden. Immer wieder fiel der Name Stan.<br />

Auch nach einem Chris fragte Jake immer wieder. Eine Emily, sie wurde ebenfalls immer<br />

wieder genannt. Ab und zu stöhnte er: „Mum“. Und wieder und wieder fragte er nach Heather.<br />

Cameron hielt ihm die Hand, kühlte ihm die Stirn und redete leise und beruhigend auf ihn ein.<br />

Ihr tat der junge Mann unglaublich leid. Dank des Oxycodons hatte er zumindest keine<br />

Schmerzen. Aber das hohe Fieber und die Infektion, die in seinem Körper tobte, reichten voll-<br />

kommen, um seinen Körper vollkommen zu zermürben. Immer am Rande der Besinnungs-<br />

losigkeit, mehr weg getreten als bei sich, musste er die Fieberschübe hilflos ertragen. Wenn die<br />

Temperatur sich wieder der 41 Grad Marke näherte, hatten House und Cameron unglaubliche<br />

Sorge, dass Jake einen weiteren Schüttelfrost bekommen könnte. Dann hätte er keine Chancen<br />

mehr gehabt, zu überleben. Bei 42,6 Grad Körpertemperatur würde das Eiweiß in seinem Blut<br />

gerinnen und das würde unweigerlich zum Exitus führen. Wenn Jake anfing zu Schütteln,<br />

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by Frauke Feind<br />

würde das sein Fieber schnell um ein bis anderthalb Grad in die Höhe treiben und das wäre das<br />

Ende der Fahnenstange. Gerade flatterten seine Augenlider und er kam ein wenig zu sich. Es<br />

fiel Jake unendlich schwer, die Augen auch nur einen Moment offen zu halten. Statt Heather<br />

neben sich zu sehen, erkannte er Allison, die seinen Kopf stützte und ihm vorsichtig sofort<br />

Wasser einflößte. Gierig schluckte Jake die kühle Flüssigkeit in sich hinein. Dann murmelte er<br />

leise: „Heather ...“ Allison hielt seine Hand und sagte liebevoll: „Es geht ihr gut, mach dir<br />

keine Sorgen, Jake. Sie lassen sie nicht zu dir, aber es geht ihr gut. Und du wirst auch schnell<br />

wieder auf den Beinen sein.“ Jake drohten die Augen wieder zuzufallen. Mit aller ihm ver-<br />

bliebenen Kraft zwang er sich, noch kurz wach zu bleiben. Cameron sah, dass dem jungen<br />

Mann Tränen in die Augen stiegen. „... nicht ... sterben lassen ... bitte ...“<br />

Endspurt<br />

Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen.<br />

Konrad Adenauer<br />

Zentimeter für Zentimeter schob Ziva sich höher. Drei Mal waren ihre Füße abgerutscht<br />

und mit einer der extrem scharfen Klingen in Berührung gekommen. Dass sie davon bluteten<br />

half der jungen Frau beim Erklimmen des schrägen Brettes in keiner Weise. Atemlos, am Ende<br />

ihrer Kraft, fehlten ihr noch dreißig Zentimeter. Verzweifelt streckte sie sich nach der oberen<br />

Kante und verfehlte diese um Millimeter. Und rutschte schwungvoll zurück. Panisch suchten<br />

ihre blutenden Füße halt und bekamen eine Leiste zu fassen. Fast hätte Ziva vor Erleichterung<br />

aufgeschluchzt. Sie hatte nie ein Problem damit gehabt, irgendwann zu Sterben. Sie hatte ihren<br />

Halbbruder Ari erschossen, um ihn zu hindern, Gibbs zu töten. Ihre Schwester Tali war nach<br />

einem palästinensischen Selbstmordattentat in ihren Armen verblutet, im <strong>Die</strong>nst hatte Ziva<br />

etliche Menschen getötet. Nein, sie hatte keine Angst vor dem Tod, er hatte für sie den<br />

Schrecken verloren, aber sie war ehrlich: in Streifen geschnitten zu verbluten hatte sie sich als<br />

Todesart nicht vorgestellt. Noch einmal riss sie sich zusammen. - Komm schon. - trieb sie sich<br />

an - Komm schon. - Und ganz langsam schob sie ihre Finger näher an die obere Kante des<br />

Brettes heran. Dann spürte sie die Kante, griff blitzschnell zu und schrie triumphierend auf. Sie<br />

hatte es geschafft.<br />

537


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ziva zog die Beine über die Brettkante und ließ sich auf der anderen Seite keuchend zu<br />

Boden sinken. Sie war geschafft, am Ende. <strong>Die</strong> lange Gefangenschaft, der allgegenwärtige<br />

Horror, die körperlichen Anstrengungen, das alles forderte auch von der so starken Frau seinen<br />

Tribut. Keuchend nach Atem ringend, vor Anstrengung und Erschöpfung am ganzen Körper<br />

zitternd, lag sie am Boden und probierte, auf die Beine zu kommen. Sie zwang sich dazu, mög-<br />

lichst ruhig zu atmen, während sie versuchte, festzustellen, wie weit es noch bis zum Ende des<br />

Parcours war. Vor sich sah sie ein Becken, vielleicht zehn Meter lang, gefüllt mit Wasser, das<br />

ganz offensichtlich kurz vor dem Gefrieren war. Im Wasser sah sie eine Zickzacklinie, die<br />

offenbar ihre Schwimmrichtung vorgab. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, dass sie noch ganze 9.34<br />

Zeit hatte. Schnelles Schwimmen in Eiswasser, so erhitzt und abgekämpft, wie sie war?<br />

Natürlich hatte sie verschiedene survival Trainingseinheiten unter Extrembedingungen ab-<br />

solviert. Ziva wusste, dass die kommende Aufgabe erneut lebensgefährlich war. Sie versuchte,<br />

sich an alles zu erinnern, was sie gelernt hatte. Sie musste sich auf den Kälteschock vor-<br />

bereiten, streng auf ihre Atmung achten. Keine hastigen Bewegungen, unbedingt vermeiden,<br />

Wasser zu schlucken, rief sie sich ins Gedächtnis. Den Kopf warm halten. Entschlossen<br />

schlüpfte die Agentin erneut aus dem Kittel und schlang sich diesen wie einen Turban um den<br />

Kopf.<br />

Auf jeden Fall musste sie sich die Zeit nehmen, bis sich ihre Atmung normalisiert hatte,<br />

andernfalls hatte sie keine Chance. Mühsam richtete die Israelin sich auf und ging langsam auf<br />

das Becken zu. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen legte sie sich an den Rand des Bassins<br />

und ließ sich dann seitlich hinein rollen. Das verringerte die Gefahr des Kälteschocks. Mit den<br />

Füßen voran würde dieses Risiko erhöhen. Ziva hielt sich die Nase zu, sie musste unbedingt<br />

vermeiden, Wasser in die Atemwege zu bekommen. Wie erwartet, traf sie das eisige Wasser<br />

wie ein Schock. Obwohl die Zeit knapp wurde, zwang Ziva sich dazu, eine Minute so reglos<br />

wie möglich zu verharren und sich auf eine möglichst tiefe Atmung zu konzentrieren.<br />

Augenblicklich zitterte sie am ganzen Körper und ihre Zähne klapperten aufeinander. Sie<br />

strecke sich so lang wie nur möglich und begann mit raumgreifenden, Kräfte schonenden<br />

Zügen zu schwimmen. Ziva konzentrierte sich darauf, den Kopf aus dem Wasser zu halten,<br />

was ihr mit jedem Zug schwerer fiel. Sie begann doch, hastiger und oberflächlicher zu atmen,<br />

spürte Schwindelgefühl und alles verschwamm vor ihren Augen. Ihre Glieder schienen aus<br />

Blei zu bestehen, sie hatte das Gefühl durch dichten Morast zu schwimmen. Ziva konnte förm-<br />

lich spüren, wie ihr Herzschlag unregelmäßig wurde, ihre Finger verkrampften sich, sie konnte<br />

die Hände nicht mehr strecken. Mühsam rang sie nach Atem, kämpfte sich vorwärts und hatte<br />

doch das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Verdammt, dieser Zickzackkurs war un-<br />

glaublich anstrengend.<br />

538


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ziva riss sich zusammen, zwang sich, kurz innezuhalten und sich auf ihre Atmung zu<br />

konzentrieren. Sie musste weiter. Jedes Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen, auch die<br />

Orientierung fiel ihr immer schwerer. Sie musste ihre Atmung in den Griff bekommen. -<br />

Gleich ist es vorbei, ich schaffe das. - redete sie sich selbst Mut zu. Noch einmal mobilisierte<br />

sie alle Kräfte. Ja, da war er, der Rand des Beckens. Mit vor Kälte völlig verkrampften<br />

Fingern, am ganzen Leib schlotternd, versuchte die erschöpfte Frau, sich hochzuziehen,<br />

rutschte immer wieder ab. Immer tiefer drang die Kälte in ihren zitternden Körper ein. Ein paar<br />

tiefe Atemzüge, dann stieß sich Ziva mit letzter Kraft mit den Beinen ab, schnellte aus dem<br />

Wasser und bekam endlich die Kante zu fassen. Erschöpft, nach Atem ringend, blieb sie einen<br />

Moment liegen, versuchte sich zu orientieren. Wo war dieser verdammte Zettel? Da war dieser<br />

Ofen. Eine schier unmögliche Distanz. Ziva versuchte gar nicht erst, auf die Beine zu kommen.<br />

Auf allen Vieren schleppte sie sich vorwärts, überwand den letzten Meter, indem sie sich<br />

vorwärts warf, den Arm soweit ausgestreckt wie sie nur konnte. Und dann ertasteten ihre<br />

zitternden Finger das Papier, in dem Moment, als Flämmchen aufzüngelten, griffen zu ...<br />

Keuchend sank Ziva zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Tür wurde geöffnet und einer der allgegenwärtigen Wachposten kam in den<br />

riesigen Raum. Er sah kalt auf die besinnungslose, vor Kälte blau angelaufene junge Frau<br />

herunter, sah, dass sie es noch rechtzeitig geschafft hatte und zog sie an den Armen in eine<br />

sitzende Position. Er bückte sich und legte sich die Besinnungslose über die Schulter. Er trug<br />

die junge Frau zum Fahrstuhl und fuhr in die Kerkeretage hinunter. Den um den Kopf ge-<br />

wickelten Kittel hatte er in der Agentin abgenommen und hielt ihn in der anderen Hand. Dann<br />

erreichte er den Kerker, ließ die Tür öffnen und unter den vollkommen entsetzten Augen der<br />

anwesenden Gefangenen trug er die Agentin in ihre Zelle, ließ sie achtlos wie einen Gegen-<br />

stand auf ihr Bett fallen. Er sah House und Cameron an, die entsetzt gefolgt waren und sagte<br />

kalt: „Ihr schaut besser, dass ihr sie auftaut.“ Dann verließ er den Kerker und ließ vor Ent-<br />

setzen paralysierte Gefangene zurück. „Kein Problem, ich habe ja auch alle Mittel dazu zur<br />

Verfügung.“, knurrte House entnervt, während er sich äußerst besorgt über die Bewusstlose<br />

beugte. „Vielleicht erklärt mir mal jemand der Herrschaften, wie ich das anstellen soll. Mit<br />

bloßen Händen? Mehr als sie zudecken und ruhig halten kann ich absolut nicht machen.“<br />

Allison starrte auf Zivas bläulich angelaufenen Körper. Ohne eine Aufforderung abzuwarten<br />

eilte sie in die leeren Zellen und raffte Bettdecken zusammen. Als sie dabei auch in Sawyers<br />

Zelle eilte, die ja direkt neben Zivas lag, schossen ihr augenblicklich wieder Tränen in die<br />

müden Augen. Sie schluckte schwer, dachte bei sich - Verzeih mir, Sawyer, du brauchst sie<br />

nicht mehr. - und raffte sein Zudeck an sich. Damit eilte sie in Zivas Zelle zurück.<br />

539


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

<strong>Die</strong> Ärzte wickelten Ziva fest in ein Laken, damit sie sich nicht bewegen konnte und<br />

türmten die Decken über ihr auf. „Viel mehr können wir im Moment nicht tun. Wir haben aber<br />

wenigstens die Möglichkeit, festzustellen, wie tief ihre Körpertemperatur ist.“, sagte Allison<br />

und eilte in Jakes Zelle, wo sie sich das Thermometer griff. Damit hetzte sie zu Ziva zurück<br />

und hielt der bewusstlosen jungen Frau das Gerät ans Ohr. Dann las sie den Wert ab. 35,3<br />

„Mein Gott, was musste sie nur machen?“ Als sie Ziva so zugedeckt hatten, sah sie House an.<br />

„Ich sehe nach Booth und Locke, dann setzte ich <strong>mich</strong> wieder zu Jake, okay? Er braucht<br />

jemanden, der bei ihm ist.“ House nickte. „Ja, mach das.“ Er sah auf die Taucherglocke in der<br />

Mitte des Raumes. „Bald wird den Beiden da drinnen die Luft knapp ...“ Allison nickte nur,<br />

dann eilte sie, ohne einen Blick auf die Glocke zu werfen, in Lockes Zelle. Der Mann war<br />

wach. „Sind die anderen schon zurück? Haben wir es geschafft?“ fragte John schwerfällig und<br />

benommen. Allison lächelte beruhigend. <strong>Die</strong> junge Ärztin war zum Umfallen müde. Wie lange<br />

dauerte dieser Tag inzwischen? Sie sah John an und sagte leise: „Bis auf Gil sind alle zurück.<br />

Und alle haben es geschafft. Auch Gil wird es gelingen, seine Aufgabe zu lösen, da bin ich<br />

sicher.“ „Wie geht ... wie geht es den anderen?“ Cameron seufzte. „Booth, Jake und auch Ziva<br />

sind in keinem guten Zustand, wie du übrigens auch. Versuche, weiter zu schlafen, das wird dir<br />

gut tun.“ Müde nickte Locke. Dann fielen ihm die Augen von selbst wieder zu und Minuten<br />

später verrieten tiefe, ruhige Atemzüge der Ärztin, dass Locke wieder eingeschlafen war.<br />

Allison ging zu Booth in die Zelle. Heather passte gut auf diesen auf. Sie war voll-<br />

kommen fertig mit den Nerven, schaffte es aber, ihre Aufmerksamkeit dem verletzten jungen<br />

FBI Mann zu widmen. Sie hielt durch die Gitterstäbe seine rechte Hand und wenn er im Schlaf<br />

unruhig wurde oder aufwachte, weil Schmerzen ihn geweckt hatten, war sie da und redete be-<br />

ruhigend auf ihn ein oder beantwortete seine panischen Fragen nach Bones. Allison nickte der<br />

jungen Frau dankbar und aufmunternd zu. „Was ist mit Ziva?“, fragte die junge Lehrerin be-<br />

sorgt. „Sie ist aus irgendeinem Grunde nass und völlig unterkühlt. Keine Ahnung, was die ihr<br />

zugemutet haben. Aber sie wird wieder. Wie geht es ihm?“ Sie warf Booth einen besorgten<br />

Blick zu. Dann legte sie ihm die Hand auf die Stirn. Leichtes Fieber hatte er ebenfalls, das war<br />

keine <strong>Über</strong>raschung. Aber es war kein Vergleich zu Jake. Booth zuckte unter ihrer Hand leicht<br />

zusammen und murmelte: „Bones ...“ Cameron biss sich auf die Lippe. „Nein, ich bin es leider<br />

nur. Bones ist ... Gil ist noch nicht wieder da. Aber er wird es schaffen, da bin ich sicher. Wie<br />

fühlst du dich?“ Booth stöhnte leise auf, als er sich ein wenig herum drehte. „Soll das ein<br />

Scherz sein? Als wenn eine Walze über <strong>mich</strong> rüber ist. Ihr seid sicher, dass in mir drinnen noch<br />

alles da ist, wo es hin gehört?“ „Was ist denn? Hast du Schmerzen?“, fragte Allison alarmiert.<br />

„Nein, gar nicht, nur wenn ich lache.“, Seeley ächzte verzweifelt auf. Allison zögerte nicht<br />

lange, sie schlug das Zudeck bei Seite, schob auch Seeleys Kittel aus dem Weg und tastete<br />

dessen Körper noch einmal gründlich ab, ohne darauf zu reagieren, dass Booth immer wieder<br />

540


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gequält aufstöhnte. Heather hielt weiterhin Booth‟ Hand, schaute jedoch entsetzt zur Seite, als<br />

Allison einfach die Decke und den Kittel zur Seite schlug. Zum Glück entdeckte die Immuno-<br />

login auch diesmal keine Spuren, die auf innere Blutungen hingedeutet hätten. Allerdings war<br />

klar, dass Booth Prellungen hatte, die für drei Körper gereicht hätten. „Da scheint wirklich<br />

nichts zu sein, Booth, mach dir keine Sorgen. Wenn du irgendwas spürst, dass dir komisch<br />

vorkommt, musst du allerdings sofort Bescheid sagen, okay. Ich muss zu Jake, es geht ihm<br />

noch nicht besser, aber das war auch nicht zu erwarten. <strong>Die</strong> Medis brauchen eine Zeit, um an-<br />

zuschlagen. Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut gehen.“ Sie warf Heather noch einen be-<br />

ruhigenden Blick zu, während sie Booth wieder gut zudeckte, dann eilte sie zu Jake hinüber.<br />

*****<br />

Gil sah auf die Uhr, die man ihm hin gestellt hatte. Noch zwanzig Minuten. Fieberhaft<br />

rechnete der CSI Mann eine Aufgabe nach der anderen. Je mehr Zeit verging und je näher der<br />

Zeitablauf kam, desto schwer fiel es ihm, sich zu konzentrieren. Auch ihm war die grausame<br />

Hinrichtung schwer an die Nieren gegangen. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass die eine Nachbarzelle<br />

neben ihm nun leer stehen würde, machte Gil mehr zu schaffen, als er je gedacht hätte. <strong>Die</strong><br />

Gefangenen hatten im Laufe der Zeit eine tiefe Verbundenheit im gemeinsamen Leid ent-<br />

wickelt, in gemeinsam durchstandenen Qualen und Todesängsten, die weit über einfache<br />

Freundschaft hinausging. Das zwei von ihnen heute bereits gestorben waren und das Leben<br />

zweier weiterer Leidensgenossen vielleicht nur noch von ihm abhing, raubte dem sonst so be-<br />

herrschten und überlegenen Grissom ziemlich die Fassung. Nicht zu wissen, was mit den<br />

anderen Aufgaben war, ob die vier Mitgefangenen, die die körperlich anstrengenden und ge-<br />

fährlichen Aufgaben übernommen hatten, noch am Leben waren, ob das, was er hier tat, über-<br />

haupt noch Sinn machte, war unglaublich hart. Hatte nur einer der <strong>Anderen</strong> versagt, waren<br />

Bones und Gibbs so gut wie tot. Tod, wie Sawyer und Dana. Gil befahl sich selbst, nicht daran<br />

zu denken. Er zwang seine Konzentration auf die Rechenaufgaben vor ihm zurück. Wieder<br />

eine, und noch eine gelöst. Noch 6.24 und dann wäre die Zeit herum. Verzweifelt rechnete<br />

Grissom weiter.<br />

*****<br />

Bones sah auf die Uhr. Noch vier Minuten. Sie war dicht an Gibbs heran gerutscht und<br />

dieser hatte einen Arm um die junge Frau gelegt und versuchte, Ruhe und Zuversicht auszu-<br />

strahlen. Beide hatten das Gefühl, das Atmen wäre schon schwerer. Gibbs fühlte sich leicht<br />

schwindelig. Er dachte an Ziva und Abby. Wenn sie die junge Israelin nicht umbrachten,<br />

würde sie dies alles hier schaffen, da war Gibbs sich sicher. Bei Abby war er nicht so über-<br />

541


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zeugt. Nach dem heutigen Tag, nach der Hinrichtung, war Abbs am Ende gewesen. Und nun<br />

musste sie möglicherweise heute noch seinen Tod mit ansehen. Gibbs machte sich keine<br />

Illusionen. <strong>Die</strong> Aufgaben, das war ihm klar, waren hammerhart und die Körperlichen alle samt<br />

lebensgefährlich. Bones und er hatten mit Entsetzen gesehen, wie Ziva offensichtlich in ähn-<br />

lich schlechter Verfassung wie schon Jake, Booth und Locke zurück gebracht worden war.<br />

Wenn sie es richtig überblickten fehlte nur noch Gil. Gibbs hörte Bones neben sich schwer<br />

atmen. Eindeutig wurde die Luft in ihrem Gefängnis weniger, es ging dem Ende entgegen.<br />

Gibbs lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss müde die Augen. Er hatte sich oft Ge-<br />

danken über seinen Tod gemacht. So hatte er ihn sich nicht vorgestellt. Das Atmen fiel ihm<br />

von Sekunde zu Sekunde schwerer. Bones zitterte in seinem Arm vor Todesangst. Er hörte sie<br />

leise schluchzen und konnte nicht das Geringste für sie tun. Sollte er ihr erzählen, dass es<br />

schnell gehen würde? Sie war medizinisch wesentlich bewanderter als er selbst und wusste, es<br />

würde nicht schnell gehen. Ersticken ging nie schnell. Er konnte ihr ja nicht einmal sagen, dass<br />

es Booth gut gehen würde. Gibbs spürte, wie ihm schwindelig wurde. Krampfhaft bemühten<br />

sich beide, das bisschen noch verbliebenen Sauerstoff in ihre Lungen zu saugen. So gerne hätte<br />

Gibbs es Bones irgendwie leichter gemacht, er wusste nur nicht, wie. In einigen Minuten<br />

würden sie tot sein, aber bis es so weit war, würde es ein qualvolles Ersticken werden.<br />

*****<br />

Gil kämpfte mit den letzten Aufgaben. Ein Rechenfehler, verflixt. 1.34 Gil hatte das<br />

erste Mal in seinem Leben das ungute Gefühl, jeden Moment die Beherrschung völlig zu ver-<br />

lieren. Das konnte alles nicht wahr sein. Nicht noch zwei Tote an Weihnachten. - Gilbert<br />

Grissom, das hast du so nicht gelernt, also reiße dich gefälligst zusammen. - herrschte Gil sich<br />

in Gedanken selbst an. Zwei Aufgaben noch. Vierunddreißig Sekunden. Verdammt. Ein<br />

schrilles Klingeln deutete das Ende der sechzig Minuten an. - Oh, Gott, nein. - Mit heftig<br />

zitternden Fingern schrieb Gil die letzte Zahl hin, betend, dass sie richtig war. Und dann ging<br />

die Tür auf und ein Wachposten kam herein, drückte Gil kommentarlos einen Zettel in die<br />

Hand und meinte kalt: „Du beeilst dich besser, sonst war alles umsonst ...“ Gil sprang auf und<br />

eilte ohne Fesseln dem Wachmann hinterher. Er hatte den Eindruck, alleine für den Weg zum<br />

Kerker Stunden zu brauchen. Schneller, schneller. Da war die Tür. - Geh endlich auf. - schrie<br />

Gil die Tür gedanklich an. Herrgott, alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. <strong>Die</strong> Tür schwang<br />

langsam auf und Gil hetzte in den Zellentrakt. Da war die Glocke. House und Cameron standen<br />

verzweifelt davor. Sara in ihrer Zelle schluchzte zum Steinerweichen, Abby stand paralysiert<br />

am Gitter, Heather ebenfalls. Alle Köpfe wirbelten zu ihm herum, als er in den Kerker gerannt<br />

kam. „Schnell doch. Sie ersticken.“, schrie House Gil entgegen. Und dann keuchte Allison<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

entsetzt auf: „Wir haben alle Zahlen, nur Jakes nicht. Er ist ...“ In unsagbarem Grauen starrte<br />

sie zu Jakes Zelle hinüber ...<br />

Im Kerker hatte Cameron die ganze Zeit bei Jake gesessen, sie hatte das Vergehen der<br />

Zeit einfach weg ignoriert. Leider machten die Entführer da nicht ganz mit. Plötzlich und über-<br />

raschend ertönte aus dem Lautsprecher die Ansage „90... 89... 88 ...“ Allison erstarrte. <strong>Die</strong><br />

letzten anderthalb Minuten wurden herunter gezählt. Booth und Locke fuhren aus dem Schlaf<br />

hoch. Booth wollte sich aufsetzen, aber er schaffte es beim besten Willen nicht, zu groß waren<br />

die Schmerzen in seinem Körper. „Ist Gil da?“, keuchte er panisch. Heather schüttelte unter<br />

Tränen den Kopf und klammerte sich an Booth‟ Hand. House und Allison eilten zu der Glocke<br />

hinüber. Allison vermied es jedoch, hinein zu schauen. Greg warf einen kurzen Blick ins<br />

Innere und bekam mit, wie Gibbs langsam in sich zusammen sackte. „Herrgott, verfluchter<br />

Mist ...“ Unaufhaltsam zählte die Zeit rückwärts. 63 .. 62 .. 61 .. 60 .. Allison stand zitternd und<br />

schluchzend neben Greg und er legte die Arme um sie, zog sie an sich. Booth schluchzte auf<br />

seiner Liege verzweifelt vor sich hin. Abby wimmerte leise: „Gibbs ... nicht Gibbs ... bitte<br />

nicht ...“ Und dann tickten die letzten Sekunden. 5 .. 4 .. 3.. 2 .. 1....... <strong>Die</strong> plötzlich herrschende<br />

Stille ließ das Schluchzen überlaut erscheinen. „Bones ....“<br />

Bones und Gibbs sahen in ihrem Gefängnis hilflos ihrem Ende entgegen. Das Atmen<br />

fiel ihnen immer schwerer. Immer panischer wurde jeder einzelne Atemzug. Er spürte Bones<br />

heftig zittern. „Ich hab ... so Angst ...“, keuchte die junge Frau unter Tränen. Gibbs zog sie<br />

enger an sich. Ihre Hände krallten sich schmerzhaft in seinen linken Arm. <strong>Die</strong> Uhr stand bei<br />

1.03 als Gibbs merkte, dass Bones neben ihm gar keine Luft mehr bekam und er dachte noch -<br />

Sie hat es hinter sich. Abbs, halt die Ohren steif ... - dann wurde auch ihm schwarz vor<br />

Augen...<br />

Cameron rannte panisch zitternd in Jakes Zelle. Was sollte sie nur tun. Und dann<br />

wusste sie sich keinen anderen Rat mehr. Sie beugte sich über Jake und flüsterte:<br />

„Entschuldige, Jake.“ Dann holte sie aus und gab dem jungen Mann drei, vier kräftige Ohr-<br />

feigen, rief verzweifelt: „JAKE! Du musst aufwachen, du musst. Hörst du <strong>mich</strong>? Wir brauchen<br />

deine Zahl. Komm schon, Schätzchen, wach auf!“ Jake seufzte leise, dann nuschelte er<br />

„wasslos ...“ „Jake. Jake, wir brauchen deine Zahl, deine Zahl, verstehst du?“ Der Fiebernde<br />

wollte wieder weg driften, aber Cameron ließ es nicht zu. „Nein, komm schon, Schatz, komm.<br />

Nun mach schon, Jake, bitte, deine Zahl, komm schon, wir brauchen deine Zahl, streng dich<br />

an.“ Und ganz leise und fast nicht verständlich flüsterte Jake: „6“, dann war er wieder weg. „6,<br />

die 6, los.“, schrie Allison zu House und Gil hinüber. Dann rannte sie los, um den Männern zu<br />

helfen. House tippte bereits in das Display ein: 6 - seine eigene Zahl, 13 - Booth 2 - Allison<br />

543


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

stieß hektisch: „32“ hervor - Locke rief: „18“ Heather: „3“ in Zivas Hand hatten die Ärzte den<br />

Zettel mit der 9 darauf gefunden und Gil keuchte: „48“ Ein saugendes Geräusch und die Tür<br />

der Glocke schwang auf. Ob Bones und Gibbs jedoch noch zu retten waren ...<br />

External World 7) Stadt der Engel<br />

Man darf Menschen nicht wie ein Gemälde oder eine Statue nach dem ersten<br />

Eindruck beurteilen, die haben ein Inneres, ein Herz, das ergründet sein will.<br />

Jean de la Bruyère<br />

Sobald die Agenten in L.A. gelandet waren, begab Tony sich zum Serviceschalter der<br />

Qantas Airline. „Special Agent DiNozzo, NCIS. Das ist mein Partner, Special Agent McGee.<br />

Wir wollen jemanden sprechen, der uns sagen kann, wann die Passagiere aus Palangkaraya<br />

landen.“ „Bedaure, Sir, ich kann ihnen nicht weiter helfen. Uns ist nicht bekannt, wann die<br />

Maschine starten kann.“, erklärte die Frau am Schalter. „Dann greifen Sie zum Telefon und<br />

finden sie es heraus.“, verlangte Tony. „Hören sie, Sir. Wir werden einen Anruf aus<br />

Palangkaraya bekommen, sobald die Maschine startet. Dann wird offiziell bekannt gegeben,<br />

wann die Maschine hier erwartet wird. Vorher kann ich ihnen nichts sagen. Das gleiche habe<br />

ich auch schon den wartenden Angehörigen erklärt. Ich kann für Sie keine Ausnahme<br />

machen.“ „Und ob Sie das können. Ich bin vom NCIS. Naval Criminal Investigative Service.<br />

Wir ermitteln in diesem Fall.“<br />

Bevor Tony sich weiter mit der Frau streiten konnte, gesellten Monica und Doggett sich<br />

zu den NCIS Agenten. „Mein Name ist Monica Reyes, das ist mein Partner Agent John<br />

Doggett. Wir sind vom FBI und ermitteln ebenfalls in dem Fall. Ich weiß, dass Sie die An-<br />

weisung haben, auf Nachrichten aus Palangkaraya zu warten und dass Sie nichts tun können,<br />

um dafür zu sorgen, dass die Passagiere schneller herkommen. Aber Sie würden uns sehr<br />

helfen, wenn Sie am Flughafen von Palangkaraya anrufen und fragen könnten, wann der Ab-<br />

flug in etwa zu erwarten ist. Wir möchten einfach wissen, ab wann wir morgen mit der An-<br />

kunft der Maschine rechnen können.“ <strong>Die</strong> Frau zögerte kurz, nickte dann aber. „Einen Augen-<br />

blick.“ „Na großartig. Auf <strong>mich</strong> hören Sie nicht. Wahrscheinlich haben diese Idioten noch nie<br />

544


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

vom NCIS gehört. Und kaum zückt jemand eine FBI <strong>Die</strong>nstmarke, heißt es plötzlich‚ einen<br />

Augenblick.“ „Haben Sie schon einmal in Betracht gezogen, dass es nicht an der Marke,<br />

sondern an ihrem Tonfall liegen könnte?“, konterte Doggett. Er konnte den NCIS Agenten<br />

nicht leiden und gab sich keine Mühe, das zu verbergen. „Da könnte er durchaus Recht<br />

haben.“, sprang McGee Doggett bei.<br />

Tony warf beiden Männern einen wütenden Blick zu. Glücklicherweise wurde er von<br />

der Angestellten am Schalter daran gehindert, etwas zu erwidern. „<strong>Die</strong> Passagiere sind noch<br />

nicht am Flughafen eingetroffen, sie befinden sich noch auf der Polizeiwache, zur Klärung der<br />

Formalitäten. Aber es steht eine Maschine für sie bereit. Sobald die Passagiere vorläufige Visa<br />

haben, können sie fliegen. Das wird voraussichtlich heute Abend Ortszeit sein, also in den<br />

frühen Morgenstunden unserer Zeit.“ „Vielen Dank.“, erwiderte Monica „Könnten Sie uns<br />

bitte in unserem Hotel anrufen, sobald die Maschine gestartet ist?“, fragte McGee. „Aber das<br />

wird vermutlich nicht vor Mitternacht sein. Und danach dauert es noch etwa zwanzig Stunden<br />

bis sie hier sind.“, wandte die junge Frau ein. „Das spielt keine Rolle. Egal wie spät es ist,<br />

rufen Sie bitte an.“, beharrte McGee und schrieb seine Handynummer auf.<br />

*****<br />

Um 16 Uhr am Tag darauf waren Tony und McGee wieder am Flughafen. <strong>Die</strong><br />

Schalterangestellte hatte McGee am Abend angerufen und ihm gesagt, dass die Maschine<br />

gegen 19 Uhr landen würde. Nachdem er Tony informiert hatte, war er irgendwann in den<br />

frühen Morgenstunden eingeschlafen. Nach ein paar Stunden Schlaf war er wieder aufgewacht<br />

und an ein erneutes Einschlafen war nicht mehr zu denken gewesen. Also saß er schon um halb<br />

8 Uhr morgens im Frühstücksraum ihres Hotels. Tony gesellte sich eine halbe Stunde später zu<br />

ihm, was Tim als deutliches Zeichen dafür sah, dass auch sein Kollege nicht gut geschlafen<br />

hatte. <strong>Die</strong> nächsten Stunden verbrachten beide in ihren Hotelzimmern und versuchten, die Zeit<br />

totzuschlagen. McGee las sämtliche Tageszeitungen, während Tony sich lustlos durch die<br />

Fernsehprogramme zappte. Kurz nach 12 Uhr klopfte Tony an McGees Tür und schlug vor,<br />

schon mal zum Flughafen zu fahren und dort zu Mittag zu essen.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Stunden langweilten sich die beiden Agents dann auf dem Airport herum,<br />

aber hier gab es wenigstens durch die hektische Betriebsamkeit eine gewisse Ablenkung.<br />

Gegen 18.30 Uhr begaben die Agenten sich zu dem Gate, an dem die Passagiere aus Borneo<br />

ankommen sollten. Dort wurden sie schon von den FBI Agenten erwartet. Monica begrüßte die<br />

NCIS Agents und teilte ihnen mit, dass die Qantas Airline sich bereit erklärt hatte, den Agenten<br />

Büros für die Befragungen zur Verfügung zu stellen. „Das ist sicher angenehmer für die<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Passagiere, als noch mit in die FBI oder NCIS Niederlassung in LA zu kommen. Ich dachte,<br />

wir könnten es so machen, dass wir uns aufteilen. Agent Doggett und Agent McGee können<br />

die eine Hälfte der Passagiere befragen und Agent DiNozzo und ich die andere Hälfte.“, schlug<br />

Monica vor. „Ja, das ist eine gute Idee.“, stimmte McGee ihr zu. „So haben sowohl der NCIS<br />

als auch das FBI alle notwendigen Informationen und die Passagiere müssen nicht so lange<br />

warten. Sie haben einiges hinter sich und möchte bestimmt so schnell wie möglich nachhause.“<br />

Zwei Stunden später endlich trafen die Passagiere ein. <strong>Die</strong> Agenten ließen ihnen ein<br />

paar Minuten Zeit, ihre Familien zu begrüßen, die erleichtert waren, ihre Angehörigen wieder<br />

in die Arme schließen zu können. Dann ergrifft Doggett das Wort und teilte den Neuankömm-<br />

lingen mit, dass sie ihnen noch einige Fragen zu den vermissten Personen stellen müssten, was<br />

die Passagiere und ihre Angehörigen mit zum Teil mehr, zum Teil weniger Verständnis auf-<br />

nahmen. Einige Minuten später saßen Tony und Monica in einem kleinen Büro, zusammen mit<br />

einem ziemlich genervt wirkenden Mann Anfang vierzig. „Wird das hier lange dauern? Ich<br />

habe durch diese ganze Entführungsgeschichte schon drei Arbeitstage verloren. Ich muss wirk-<br />

lich wieder in meine Kanzlei.“ „Wir werden das so schnell wie möglich hinter uns bringen,<br />

Mr….?“ „Styles, Andrew Styles.“ „Hallo, Mr. Styles. Mein Name ist Anthony DiNozzo, ich<br />

bin vom NCIS, das hier ist Monica Reyes vom FBI. Wir haben nur ein paar kurze Fragen an<br />

Sie. Erinnern Sie sich an einige der vermissten Passagiere? Ist ihnen während des Fluges oder<br />

am Flughafen vielleicht jemand aufgefallen, der sich eigenartig benommen hat und jetzt nicht<br />

mehr da ist?“<br />

„Ich habe eigentlich nicht so sehr auf die anderen Passagiere geachtet, ich habe auf<br />

meinen Laptop einen Bericht getippt. Aber eine Person ist mir doch aufgefallen.“ „Ja?“, fragte<br />

Tony interessiert nach. „Ja, eine junge Frau. Sie hat sich wahnsinnig aufgeregt, als man ihr<br />

gesagt hat, dass ihr Flug ausfällt und dass sie den nächsten Flug nach LA nehmen muss.<br />

Grundsätzlich verstehe ich ja, dass man sich aufregt, wenn ein Flug ausfällt oder sich verspätet,<br />

man hat schließlich Termine. Aber diese Frau war wirklich extrem. Sie hat dem Mann am<br />

Schalter gedroht, ihn umzubringen. Sie hat ihm erzählt, dass es überhaupt kein Problem ist,<br />

dass sie keine ihrer Waffen im Handgepäck mitnehmen durfte, weil sie alleine achtzehn ver-<br />

schiedene Methoden kennt, jemanden mit einer Büroklammer zu töten.“ Monica sah sehr<br />

interessiert aus. „Können sie die Frau beschreiben?“ Bevor der Mann antworten konnte, sagte<br />

Tony: „Ende zwanzig, lange, dunkle Locken, dunkler Teint, braune Augen, sehr attraktiv.“ „Ja,<br />

genau.“, antwortete Styles überrascht. Monica sah Tony verwirrt an. Der erklärte beiläufig:<br />

„Das war nur Ziva. Sie hat ein ziemlich übles Temperament. Mir hat sie auch schon gedroht,<br />

<strong>mich</strong> mit einer Büroklammer umzubringen. Das tut sie manchmal, wenn sie schlecht drauf ist.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Ist ihnen sonst noch jemand aufgefallen?“ „Nein, wie gesagt, ich habe nicht so sehr auf andere<br />

Personen geachtet. Kann ich jetzt gehen?“ „Ja, können sie.“, erklärte Monica. „Vielen Dank.“<br />

„Na, das war wohl nichts.“, stellte Tony fest. Er trat an die Tür und rief: „Der nächste,<br />

bitte.“ Als nächstes betrat eine ältere Dame den Raum. „Guten Tag, mein Name ist Monica<br />

Reyes, FBI, dies ist Anthony DiNozzo, NCIS. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.<br />

Könnten Sie uns zuerst ihren Namen nennen?“ „Mein Name ist Cecilia Brown, ich lebe in L.A,<br />

zusammen mit meinem Mann Charles.“ „Danke, Mrs. Brown, der Name reicht schon, alles<br />

andere können wir den Flugunterlagen entnehmen. Ist Ihnen bei irgendeinem ihrer Mit-<br />

reisenden, die verschwunden sind, aufgefallen, dass sie sich ungewöhnlich benommen haben?“<br />

„Oh ja, allerdings. Sogar bei mehreren. Heutzutage wissen die Leute wirklich nicht mehr was<br />

sich gehört. Da war dieser unverschämte Kerl mit dem Gehstock. Er hat uns im Flugzeug mit<br />

dem Stock den Weg versperrt, als wir zu unseren Sitzen wollten. Er hat uns einfach nicht<br />

durchgelassen, weil er unbedingt den Fensterplatz haben wollte. Ich habe ihm erklärt, dass ich<br />

den Fensterplatz extra gebucht habe, aber er sagte, das hätte er auch, nur für einen anderen<br />

Flug, der aber ausgefallen ist. Mein Mann hat ihm erklärt, dass wir da ja nichts für können und<br />

er hat uns nur angeguckt und gesagt ‟Irgendwer muss ja die Inkompetenz der Fluggesellschaft<br />

ausbaden und das werde nicht ich sein.‟ Und dann hat er sich auf meinen Platz gesetzt. Er hatte<br />

diese reizende junge Frau dabei, die uns entschuldigend angesehen hat. Sie arbeitet wohl mit<br />

ihm zusammen, arme Frau. Wissen sie…“<br />

„Danke, Mrs. Brown. Sie sagten, Ihnen seien noch andere Leute aufgefallen. Machen<br />

wir doch mit denen weiter.“ Tonys Stimme klang mühsam beherrscht. „Also, da war noch<br />

dieses Paar. Eine junge Frau mit dunklen Haaren und ein blonder Mann mit einer unmöglichen<br />

Frisur…“ Jetzt sah Tony nicht mehr genervt, sondern sehr interessiert aus. „Waren es diese<br />

beiden?“, fragte er und holte Fotos von Sawyer und Kate hervor. „Ja, das sind sie. So was von<br />

schamlos haben die sich benommen. Sie haben sich immer wieder geküsst und zwar auf eine<br />

Art, die in der Öffentlichkeit ganz und gar nicht angemessen ist. Sie hat während der Wartezeit<br />

sogar auf seinem Schoß gesessen.“ Tony verdrehte entnervt die Augen. „Mrs. Brown, wir sind<br />

eher an verdächtigen Verhaltensweisen interessiert.“ „Ach so, warum sagen Sie das nicht<br />

gleich, junger Mann? Also, da war diese junge Frau, sie hat dem Schalterbeamten gedroht ihn<br />

umzubringen. Sie hat gesagt, dass sie weiß wie…“ „… wie man einen Menschen auf achtzehn<br />

verschiedene Arten mit einer Büroklammer umbringen kann. Ja, das wissen wir schon. Sonst<br />

noch jemand?“ „Nein, sonst ist mir niemand aufgefallen. Jedenfalls nicht negativ. Da war noch<br />

dieser nette Herr mit der Glatze, der mir freundlicherweise seinen Fensterplatz angeboten hat,<br />

nachdem dieser ungehobelte Kerl mir den Platz weggenommen hat. Und dann hat er mir noch<br />

geholfen, mein Gepäck in der Ablage zu verstauen. So ein netter Herr. Er...“ „Das reicht, Mrs.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Brown, danke.“, unterbrach Tony genervt. Aber Monica sah plötzlich interessiert aus. Sie hatte<br />

sich Fotos aller Passagiere angesehen, als sie sie mit der Datenbank des FBI abgeglichen hatte<br />

und nur einer von ihnen hatte eine Glatze gehabt, John Locke. Aber der saß ihres Wissens nach<br />

im Rollstuhl. Monica holte ein Foto von Locke hervor und zeigte es der Zeugin. „Ist das der<br />

Mann, von dem sie reden, Mrs. Brown?“ „Ja, das ist er.“ „Und er konnte gehen? Er saß nicht<br />

im Rollstuhl?“ <strong>Die</strong> ältere Frau sah die Agentin überrascht an. „Nein, ganz bestimmt nicht.“<br />

„Vielen Dank, Ma‟am.“, bedankte Monica sich und verabschiedete die alte Dame.<br />

In dem zweiten Büro befragten Doggett und McGee gerade eine nervös wirkende junge<br />

Frau. „Mein Name ist John Doggett, ich bin vom FBI, das ist Timothy McGee vom NCIS.“<br />

„Lisa Jackson.“, stellte die junge Frau sich vor. „Miss Jackson, ist Ihnen an einigen der ver-<br />

missten Passagiere irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?“ „Nun ja, da war diese junge Frau.<br />

Mitte bis Ende zwanzig, dunkle Haare, schlank. Sie ist richtig ausgeflippt, als der Schalter-<br />

beamte ihr gesagt hat, dass sie einen anderen Flug nehmen muss. Sie hat gedroht, ihn umzu-<br />

bringen.“ „Glauben Sie, Sie würden die Frau auf einem Foto wieder erkennen?“, fragte<br />

Doggett. „Nicht nötig.“ unterbrach McGee. „Das war bestimmt Ziva David, unsere Kollegin.“<br />

„Ihre Kollegin droht mit Mord, wenn sich ihr Flug verspätet?“, fragte Doggett fassungslos.<br />

„Sie war beim Mossad, wissen Sie.“, erklärte McGee etwas verlegen. „Als was? Als<br />

Auftragskillerin?“, fragte Doggett entnervt. „Das wohl auch. Aber hauptsächlich als Spionin.“,<br />

grinste McGee. Dann wandte er sich wieder an Lisa Jackson. „Ist Ihnen vielleicht sonst noch<br />

jemand aufgefallen, der ihnen unheimlich vorkam?“ „Na ja, meine Sitznachbarin kam mir<br />

schon irgendwie unheimlich vor. Ich habe ihr gesagt, dass ich Flugangst habe und dann hat sie<br />

mir erzählt, dass Flugzeuge statistisch gesehen viel seltener verunglücken als andere Trans-<br />

portmittel. Und dann hat sie gesagt, dass wir auf den hinteren Plätzen ziemlich gute <strong>Über</strong>-<br />

lebenschancen bei einem Absturz hätten, es sei denn, es fängt an zu brennen, weil es dann<br />

hinten heißer wird als vorne. Sie hat alle möglichen Arten von Unfällen und unsere <strong>Über</strong>-<br />

lebenschancen aufgezählt. Ich glaube, sie meinte es gut, aber mir hat sie damit ziemliche Angst<br />

gemacht. Dann war da noch der Mann in der Reihe vor uns, der hat ständig von Aliens ge-<br />

redet.“ „Aliens?“, fragte McGee überrascht. <strong>Die</strong>smal unterbrach Doggett. „Das war Mulder. Er<br />

und seine Partnerin arbeiten an den X-Akten. Sie untersuchen paranormale Phänomene.“ „Das<br />

FBI hat eine Abteilung, die paranormale Phänomene untersucht?“, fragte McGee überrascht.<br />

„Ja, sie besteht aus Mulder und Scully. Ist Ihnen noch etwas aufgefallen?“, fragte Doggett ihre<br />

Zeugin. „Nein, sonst nichts weiter.“<br />

Der nächste Passagier, den Doggett und McGee befragten, war ein misstrauisch aus-<br />

sehender Mann mittleren Alters. „Mein Name ist John Doggett, ich bin vom FBI, das ist<br />

Timothy McGee vom NCIS.“ „NCIS? Was soll das sein?“ „Naval Criminal Investigative<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Service.“, präzisierte McGee. „Wie ist ihr Name, Sir?“ „Howard Warner. Sie arbeiten für die<br />

Navy? Was hat das Militär hiermit zu tun?“ „Wie ermitteln normalerweise bei Verbrechen, in<br />

die Militärangehörige verwickelt sind. In diesem Fall ermitteln wir, weil drei unserer Agenten<br />

zu den Vermissten gehören. Mr. Warner, ist Ihnen an einigen der verschwundenen Personen<br />

irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?“ „Oh ja, allerdings. Da war eine arabisch aussehende<br />

Frau, die ist bestimmt eine irakische Terroristin. Sie hat gesagt, dass sie mehrere Waffen dabei<br />

hatte, die sie leider nicht im Handgepäck mitnehmen durfte. Und sie hat gesagt, dass sie einen<br />

Menschen mit einer Büroklammer töten kann.“ McGee seufzte. „Ich kann ihnen versichern,<br />

dass diese Frau keine Terroristin ist. Sie ist eine Kollegin von uns, die ein etwas hitziges<br />

Temperament hat. Ist ihnen sonst noch jemand aufgefallen?“ „Ja. Da war noch ein Mann, der<br />

die ganze Zeit so eine kleine Kiste festgehalten hat. Da war bestimmt das Gas drin, mit dem<br />

wir alle betäubt worden sind.“ „In der Kiste befanden sich Spinnen.“, erklärte Doggett. „Der<br />

Mann, den Sie gesehen haben, ist Insektenkundler und hatte eine Ausfuhrgenehmigung für die<br />

Spinnen. Sonst noch jemand?“ „Da war noch eine junge Frau, die ein verdächtiges Interesse an<br />

den Flugzeugen auf der Landebahn hatte. Sie hat ihren Begleiter nach allen möglichen<br />

technischen Details ausgefragt. Das war schon merkwürdig.“ Doggett ging nicht wirklich<br />

davon aus, dass die Frau zu den Entführern gehörte, trotzdem reichte er seinem Gesprächs-<br />

partner die Fotos aller vermissten Frauen. „Erkennen sie die Frau auf einem dieser Bilder<br />

wieder?“, fragte Doggett. Mr. Warner nickte und zeigte auf das Foto von Heather. „Das ist<br />

sie.“ „Danke, Mr. Warner, das wäre dann alles.“, verabschiedete Doggett sich.<br />

Zwei Stunden später saßen alle vier Agenten in einem der beiden Büros zusammen und<br />

trugen die Erkenntnisse zusammen, die sie bei den Befragungen gewonnen hatten. „Ich hoffe,<br />

ihr habt mehr herausgefunden als wir.“, sagte Tony frustriert und sah zu Doggett und McGee<br />

herüber. „Ich fürchte nein.“, antwortete Tim. „Das Interessanteste, das ich aus diesen Ge-<br />

sprächen mitnehmen konnte, ist die Information, dass das FBI eine Abteilung für paranormale<br />

Phänomene hat.“ „Das ist ein Scherz, oder?“, fragte Tony. „Nein, ist es nicht.“, antwortete<br />

John. „Agent Mulder und Agent Scully erforschen unerklärliche Phänomene.“ „Sie be-<br />

schäftigen eine Agentin, deren Hauptqualifikation ihr umfangreiches Wissen über<br />

Numerologie ist und bezahlen zwei Agenten dafür, E.T. zu suchen?“, fragte Tony fassungslos.<br />

Ohne sich die Mühe zu machen seinen Zorn zu verbergen antwortete Doggett: „Agent Reyes<br />

ist eine hoch qualifizierte Agentin. Und was die X-Akten betrifft: Ich war zu Beginn selbst<br />

mehr als skeptisch, was diese Dinge angeht. Aber ich habe Dinge gesehen, die ich mir nicht<br />

erklären kann. Und Agent Scully konnte auch keine wissenschaftliche Erklärung für gewisse<br />

Phänomene finden. Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll, aber ich habe genug<br />

gesehen, um davon überzeugt zu sein, dass diese Abteilung notwendig ist. Außerdem sollten<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sie besser nicht die Kriterien beanstanden, nach denen das FBI seine Agenten auswählt. Wie<br />

ich gehört habe arbeiten Sie beim NCIS mit einer ehemaligen Auftragskillerin zusammen, die<br />

offensichtlich emotional äußerst instabil ist. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie mit<br />

Mord droht, wenn sich ihr Flug verspätet.“<br />

Jetzt war es Tony, der wütend wurde. „Wenn Ziva eines nicht ist, dann emotional in-<br />

stabil. Sie hat Dinge hinter sich, an denen die meisten anderen zerbrochen wären und ich kenne<br />

vermutlich nur einen Bruchteil dessen, was sie erlebt hat. Ziva ist temperamentvoll, sie sagt<br />

vieles, was sie nicht wirklich meint. Mir hat sie auch schon gedroht <strong>mich</strong> umzubringen.“<br />

Doggett zog eine Augenbraue hoch. „Und sie sind sicher, dass sie das nicht so gemeint hat?“<br />

Monica beschloss, sich einzuschalten, bevor die Situation zwischen ihrem Partner und dem<br />

NCIS-Agenten eskalieren konnte. „Abgesehen davon, dass wir mehr über die vermissten<br />

Agenten herausgefunden haben, haben wir aber auch eine Information über einen der anderen<br />

Passagiere bekommen, die möglicherweise interessant ist. John Locke, der auf den Hinflug vor<br />

ein paar Monaten irreversibel wirbelsäulengeschädigt einen Rollstuhl gebraucht hat, war auf<br />

dem Rückflug offensichtlich völlig gesund. Wir haben routinemäßig überprüft, was die<br />

Passagiere in Sydney gemacht haben und Mr. Locke wurde in keinem Krankenhaus behandelt.<br />

Abgesehen davon dauert es auch nach einer erfolgreichen Operation viele Monate, bis jemand,<br />

der im Rollstuhl gesessen hat, wieder normal gehen kann. Und John Locke war nur zwei<br />

Monate in Australien.“ „Das ist interessant.“, kommentierte McGee. „Aber ich bin nicht sicher,<br />

ob das etwas mit seinem Verschwinden zu tun hat.“ „Das bin ich auch nicht. Aber möglicher-<br />

weise hat seine ungewöhnliche schnelle Genesung ja doch etwas mit seinem Verschwinden zu<br />

tun. Ich werde auf jeden Fall seinen behandelnden Arzt anrufen und ihn fragen, ob er sich die<br />

schnelle Heilung erklären kann.“, erwiderte Monica. McGee nickte. „Wir sollten auf jeden Fall<br />

jedem Hinweis nachgehen.“<br />

<strong>Die</strong> vier Agenten waren zu sehr in ihre Unterhaltung vertieft gewesen, um zu be-<br />

merken, dass eine junge Frau an ihren Tisch getreten war. „Entschuldigen Sie. Mein Name ist<br />

Beth Turner. Ich bin Journalistin bei Buzz Wire. Ich habe mitbekommen, dass sie Ermittler<br />

sind. Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?“ Tony musterte die junge Frau. Mitte zwanzig,<br />

lange blonde Haare, ausdrucksvolle dunkelblaue Augen, sehr hübsch. Er lächelte sie an.<br />

„Glauben Sie mir, Miss Turner, es wäre mir ein Vergnügen, <strong>mich</strong> mit Ihnen zu unterhalten.<br />

Leider können wir Ihnen über den Stand unserer Ermittlungen keine Auskunft geben. Aber<br />

setzen Sie sich doch trotzdem zu uns, ich lade sie auf einen Kaffee ein.“, lud Tony die junge<br />

Reporterin ein, die genervten Blicke der anderen Agenten ignorierend. „Danke, sehr gern,<br />

Agent...“ „DiNozzo, Tony DiNozzo. Ich bin gleich zurück.“ Tony stand auf, um Beth Turner<br />

Kaffee zu holen und die Reporterin nahm auf seinem leeren Stuhl Platz. Doggett sprach un-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

umwunden aus, was alle drei dachten: „Miss Turner, Sie verschwenden ihre Zeit. Wie Agent<br />

DiNozzo schon sagte, dürfen wir ihnen keine Auskünfte über laufende Ermittlungen geben.“<br />

„Das verstehe ich. Aber ein bisschen können Sie mir doch bestimmt erzählen. Ich habe<br />

gehört, dass auch Agenten des FBI und NCIS vermisst werden. Kennen Sie die Kollegen<br />

persönlich?“ Beth hatte genug von dem Gespräch der Agenten mitbekommen, um die Antwort<br />

auf diese Frage zu kennen, aber sie hielt es für taktisch klüger, das nicht zu erwähnen. Monica<br />

entschloss sich, zu antworten. Sie war genauso wenig begeistert von der Idee mit einer<br />

Reporterin zu reden wie ihr Partner, aber sie sah das pragmatisch: Je eher sie der jungen Frau<br />

ein paar Antworten gaben, umso eher würde sie wieder verschwinden. „Agent Doggett und ich<br />

haben mit zwei der vermissten FBI Agenten zusammen gearbeitet.“ Daraufhin sah Beth<br />

McGee fragend an. „Und Sie? Kennen Sie die vermissten NCIS-Angehörigen?“ „Mein Name<br />

ist Timothy McGee. Und ja, sie sind Mitglieder unseres Teams.“ Beth sah die Agenten mit-<br />

fühlend an. „Es ist sicher schwer für Sie, in diesem Fall zu ermitteln. Ich meine, in so einem<br />

Team steht man sich sicher sehr nahe.“ Tony kam in diesem Moment mit Beth„ Kaffee zurück.<br />

Er zog sich einen Stuhl heran und reichte der jungen Frau die Tasse. „So nahe, wie man einer<br />

Goth-Lady, die in einem Sarg schläft und mit Laborgeräten spricht, einem Ex-Marine und ein-<br />

samen Kämpfer und einer Spionin, deren Kampfkünste Jackie Chan neidisch machen würden,<br />

eben stehen kann.“<br />

Beth konnte deutlich den Respekt und die Zuneigung für seine Kollegen aus den<br />

Worten des jungen Agents raus hören, auch wenn dieser noch so sehr bemüht war, lässig zu<br />

klingen. Seinem Kollegen war der respektvolle Unterton aber anscheinend entgangen. „Das<br />

klingt ja so, als wäre Abby eine Art Freak.“, kommentierte Tim wütend, bevor er sich an Beth<br />

wandte. „Hören Sie nicht auf Agent DiNozzo. Er würde sich eher die Zunge abbeißen, als<br />

etwas Nettes über einen anderen Menschen zu sagen. Es sei denn, es handelt sich um eine Frau,<br />

die er ins Bett kriegen will. Unsere Labortechnikerin ist zwar ein wenig... nonkonformistisch,<br />

aber sie ist ein herzensguter Mensch. Wenn sie jemanden einmal ins Herz geschlossen hat, hat<br />

er für immer eine verlässliche Freundin in ihr, die alles tut, um einem zu helfen, wenn man in<br />

Schwierigkeiten steckt. Jeder im Team steht ihr nahe.“, erklärte McGee mit einem wütenden<br />

Blick in Tonys Richtung.<br />

„Sie mögen Sie sehr, nicht wahr?“, fragte Beth mitfühlend. „Es ist unmöglich, Abby<br />

nicht zu mögen.“, antwortete McGee. „Und was ist mit ihren anderen Kollegen?“, fragte Beth.<br />

<strong>Die</strong> Frage war sowohl an McGee als auch an Tony gerichtet. „In einem Team wie unserem<br />

stehen sich alle nahe.“, antwortete McGee offen. „Das bleibt nicht aus, wenn man so viel Zeit<br />

zusammen verbringt und sich hundert Prozent auf die Kollegen verlassen muss. Und auf Agent<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibbs, unseren Boss, und Officer David kann man sich immer verlassen. Gibbs stellt hohe An-<br />

forderungen an seine Mitarbeiter, aber er würde alles für uns tun. Und Ziva bemüht sich zwar,<br />

hart zu wirken, aber das ist sie ganz und gar nicht. Sie ist nur...“ McGee suchte noch nach den<br />

richtigen Worten, als Tony einsprang. „... darauf trainiert, keine Gefühle zu zeigen. Ziva kam<br />

vom Mossad zu uns, ihr Vater ist der amtierende Direktor dort. Nach dem Wenigen, was sie<br />

über ihn erzählt hat, war er mehr Drill-Sergeant als Vater. Aber naja, wenn er das erreichen<br />

wollte, hat er irgendwas falsch gemacht.“, erklärte Tony grinsend. „Ziva ist der temperament-<br />

vollste und leidenschaftlichste Mensch, der mir je begegnet ist. Man weiß nie, was man im<br />

nächsten Augenblick von ihr erwarten kann. Und man kann sie nicht belügen, völlig unmög-<br />

lich. Man hat oft den Eindruck, dass sie mehr über einen weiß, als man selbst. Das ist<br />

manchmal richtig unheimlich. Der einzige Trost ist, dass sie dieses Wissen nie gegen einen<br />

verwenden würde.“ Tony bemerkte Beth„ überraschten Gesichtsausdruck und redete schnell<br />

weiter, bevor Beth ihn über seine Gefühle für Ziva ausfragen konnte. „Und McGee hat Recht<br />

mit dem, was er über Abby gesagt hat. Sie hat sich auch für <strong>mich</strong> schon richtig reingehängt, als<br />

ich in der Klemme gesteckt habe. Und sie hat nicht mal ein 'Danke' erwartet. Und auch was<br />

Gibbs angeht, hat McGee Recht. Ich arbeite gerne unter ihm, ich habe von niemandem mehr<br />

gelernt.“<br />

Beth sah Tony einen Moment lang aufmerksam an. Ihr war klar, dass diese Ziva ihm<br />

erheblich mehr bedeutete, als er zeigen wollte. Der hastige Versuch, sie abzulenken, indem er<br />

über Abby und Gibbs gesprochen hatte, konnte Beth nicht täuschen. Sie beschloss, den jungen<br />

Agenten nicht auf Ziva anzusprechen. Beth war sicher, dass Tony abblocken würde, wenn sie<br />

nachhakte und das wollte sie im Moment nicht riskieren. Sie beschloss, sich erst mal den FBI -<br />

Agenten zuzuwenden. „Sie sagten, Sie hätten mit zwei der vermissten Ermittler zusammen<br />

gearbeitet. Kennen Sie sie gut?“, fragte Beth Monica. Gutmütig wie immer, beantwortete die<br />

junge Agentin die Frage. „Agent Scully kenne ich ziemlich gut. Als ich zu den X Akten ge-<br />

stoßen bin, hat sie als Pathologin fürs FBI gearbeitet und wir haben sie oft konsultiert. Agent<br />

Mulder kenne ich nicht so gut. Er hat aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit genommen,<br />

als ich nach Washington kam.“ „Nachdem er einige Monate lang vermisst war, richtig? Was<br />

genau ist damals mit ihm geschehen?“ Beth hatte ihre Hausaufgaben gemacht, hatte aber nicht<br />

viel über die X Akten oder Mulder und Scully herausfinden können. Sie hatte ihre Quellen,<br />

aber an vertrauliche Ermittlungsunterlagen kam auch sie nicht ran. „Es tut mir leid, aber diese<br />

Information ist vertraulich, Miss Turner.“, antwortete Monica bestimmt.<br />

„Seit wann ist denn eine abgeschlossene Ermittlung in einem Entführungsfall vertrau-<br />

lich? Oder ist die Ermittlung nicht abgeschlossen? Haben Sie die Entführer nicht gefunden?<br />

Handelt es sich hier vielleicht um die gleiche Personengruppe?“, hakte Beth interessiert nach.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Ich dachte, Sie wären hier, um über die Ermittlungen in diesem Fall zu berichten.“ Doggett<br />

klang äußerst genervt von der neugierigen Journalistin. „Eine gute Story beleuchtet auch die<br />

Hintergründe. Ich möchte mehr über die Vermissten erfahren. Wer sie sind, was ihnen wichtig<br />

ist, wem sie nahe stehen. Ich bin nicht auf eine oberflächliche Sensationsstory aus. Meine<br />

Geschichten sind immer gut recherchiert und ermöglichen es den Zuschauern, die Menschen<br />

hinter den Geschichten zu sehen.“ „Sie wollen wissen, wer Scully und Mulder sind?“, fragte<br />

Doggett wütend. „Sie sind hervorragende Agenten, die sich täglich mit Dingen befassen, die<br />

andere an ihrem Verstand zweifeln lassen würden. Sie haben Sachen durchgemacht, die sie<br />

sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können und haben trotzdem nie aufgegeben.<br />

Ich habe einige Monate lang mit Agent Scully zusammen gearbeitet. Sie ist eine sehr gute<br />

Agentin, eine verlässliche Partnerin und eine loyale Freundin. Agent Reyes und ich werden<br />

alles daran setzen, sie zurück zu holen, weil ich keinen Zweifel daran habe, dass sie das gleiche<br />

für uns tun würde. Ich hatte zwar keine Gelegenheit, Agent Mulder so gut kennen zu lernen,<br />

wie ich Agent Scully kenne, aber ich schätze ihn als hoch qualifizierten Ermittler und<br />

Kollegen. Und ich weiß von Agent Scully, dass auch er eher sterben würde, als einen Partner<br />

im Stich zu lassen. Wenn Sie ihren Lesern deutlich machen wollen, wer Mulder und Scully<br />

sind, dann schreiben Sie das. Mehr Informationen werden Sie vom FBI nicht bekommen. Und<br />

jetzt entschuldigen Sie uns, wir müssen uns darum kümmern unsere Kollegen zu finden.“<br />

Doggett stand auf und verließ den Tisch. Monica wandte sich Beth zu. „Es tut mir leid,<br />

Miss Turner. Ich weiß, Sie machen auch nur ihren Job. Und ich merke Ihnen an, dass Sie an<br />

das glauben, was Sie tun. Sie wollen ihre Zuschauer über alle Aspekte einer Geschichte<br />

informieren. Aber wir können ihnen wirklich nicht mehr sagen. Alles Weitere würde entweder<br />

die Ermittlungen gefährden oder die Privatsphäre unserer Kollegen verletzen. Und wie Agent<br />

Doggett schon sagte, liegen unsere Kollegen uns sehr am Herzen. Ihre sichere Heimkehr hat<br />

für uns erste Priorität. Agent Scully und Agent Mulder leben noch, das spüre ich. Ich nehme<br />

Schwingungen von Menschen wahr, wissen Sie. Deswegen weiß ich auch, dass Sie ein guter<br />

Mensch sind und nicht einfach eine Story um jeden Preis suchen. Ich würde fühlen, wenn<br />

meine Kollege tot wären. Und solange Scully und Mulder leben, werden wir nicht aufhören<br />

nach ihnen zu suchen.“ Monica verabschiedete sich von Beth und den NCIS-Agenten und<br />

folgte ihrem Partner. McGee nutze die Gelegenheit, um Beth möglichst höflich los zu werden.<br />

„Entschuldigen sie, Miss Turner, aber wir müssen auch los. Unsere Chefin erwartet unseren<br />

Bericht. Es hat <strong>mich</strong> gefreut, Sie kennen zu lernen.“<br />

Rehabilitatio<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele behandeln.<br />

Plato<br />

House und Gil drängten in die Glocke, House packte sich Bones, während Gil den reg-<br />

losen Gibbs an den Armen packte und gemeinsam zogen sie die Beiden aus dem kleinen Ge-<br />

fängnis heraus. Beide atmeten nicht mehr. Kein Puls, kein Herzschlag. Cameron und House<br />

warfen sich neben den Beiden auf die Knie und begannen sofort mit der Reanimation. Abby<br />

war vor Entsetzen wie paralysiert, Booth und Heather klammerten sich durch die Gitterstäbe<br />

regelrecht aneinander fest. Ein Wachposten kam und führte Gil konsequent in seine Zelle, die<br />

sich hinter ihm schloss. Verzweifelt arbeiteten House und Cameron, um Gibbs und Bones das<br />

Leben zu retten. Booth konnte vor Angst selbst nicht atmen. Wenn er Tempe verlieren würde,<br />

er wusste nicht, was er dann tun würde. <strong>Die</strong> Ärzte kämpften verbissen. Beide konnten sich<br />

nicht erinnern, das oft mit bloßen Händen getan zu haben, ohne Hilfsmittel und Assistenz.<br />

Allerdings war es hier schon das zweite Mal. Im Krankenhaus würde jemand mit dem Re-<br />

animationswagen angerannt kommen. Flüchtig schoss Allison der Gedanke durch den Kopf, ob<br />

sie ihr Krankenhaus je wieder sehen würde, während sie verzweifelt versuchte, Bones zu be-<br />

atmen. Zwei Luftstöße, fünfzehn Mal Herzdruck, noch einmal, und noch einmal. Booth rief<br />

verzweifelt: „Habt ihr sie?“ Er erhielt keine Antwort. House arbeitete an Gibbs. Das panische<br />

Wimmern aus Abbys Zelle versuchte er zu überhören. Und dann plötzlich hustete Gibbs ge-<br />

quält auf und riss den Mund auf, um zitternd und keuchend einzuatmen.<br />

House gestattete sich ein kurzes, erleichtertes Aufatmen, bevor sein Blick auf Allison<br />

fiel, der inzwischen Tränen über das leichenblasse Gesicht liefen. Mühsam kam Greg auf die<br />

Füße und humpelte zu Cameron hinüber, um zu helfen. Während er sich vorsichtig auf die<br />

Knie nieder ließ, hustete auch Bones endlich gequält auf und begann wieder selbstständig zu<br />

atmen. „Wir haben sie.“, schrie Allison überglücklich zu Abby und Booth herüber.<br />

Anerkennend legte House den Arm um Allison und diese kuschelte sich unendlich erleichtert<br />

und erschöpft an ihn. Dann jedoch widmeten sich beide Ärzte sofort wieder ihren neuen<br />

Patienten. Allison redete begütigend auf Bones ein, während House Gibbs auf die Beine half.<br />

„Geht‟s?“, fragte er besorgt. Gibbs stützte sich auf Gregs Arm und nickte keuchend. Dann aber<br />

rief er zu Abby hinüber: „Hey, Kleines, alles in Ordnung, mir geht es gut.“ Abby versuchte<br />

unter Tränen zu Lächeln, sackte jedoch völlig fertig, vor Erleichterung aufschluchzend, am<br />

Gitter auf die Knie und stammelte: „Gott sei Dank, Gott sei Dank.“ Booth liefen ebenfalls<br />

Tränen der Erleichterung über die blassen Wangen. Unter Tränen sahen er und Heather sich an<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

und die junge Frau nickte. „Geschafft, sie haben es geschafft.“, flüsterte sie leise. Dann glitt ihr<br />

Blick wieder zu Jake. Bones und Gibbs hatten es geschafft, ob Jake es auch schaffen würde ...<br />

Gibbs atmete keuchend, während sein Blick die Zellen entlang wanderte. Erschrocken<br />

stieß er hervor: „Was ist mit Ziva? Was zum Teufel haben diese Schweine mit ihr gemacht?“<br />

Eine der anwesenden Wachen packte Gibbs am Arm und sagte kalt: „Du kannst dich auch in<br />

deiner Zelle erholen.“ Gibbs war viel zu fertig, um Widerstand zu leisten. Willenlos ließ er sich<br />

in seine Zelle führen und sank dort hustend und zitternd auf sein Bett nieder. Klickend schloss<br />

sich die Zellentür hinter ihm. Gibbs hatte keine Chance, in Zivas Zelle zu schauen und so<br />

fragte er schließlich Sara, die ihm am nächsten war: „Wisst ihr, was mit Ziva ist? Und was ist<br />

mit Jake, Booth und Locke?“ Sara sah zu Gibbs hinüber. Dann sagte sie: „Bis auf ein paar<br />

Schnittwunden ist Ziva nur sehr erschöpft und etwas unterkühlt. Sie ist kräftig, sie wird sich<br />

sicher bald erholen.“ Sara versuchte, tröstlich zu klingen. „Booth ist mit der Hängebrücke ab-<br />

gestürzt und wurde dabei gegen die gegenüberliegende Felswand geschmettert. Locke hat sich<br />

schwer den Fuß verletzt und Jake ...“ Sie drehte sich herum und sah in die Zelle des immer<br />

noch in heftigen Fieber liegenden Mannes. „Er hat eine schwere Sepsis, hat schon seit Stunden<br />

extrem hohes Fieber. Er wurde bei seiner Aufgabe von einer Muräne in den Arm gebissen.<br />

House und Cameron kümmern sich um alle.“ Gibbs war sichtlich besorgt, schließlich hatten<br />

die Verletzten für ihn ihr Leben riskiert. „Danke euch allen, auch Greg und Allison. Ihr werdet<br />

die Verletzten doch wieder auf die Beine bringen?“ House sah ihn durchs Gitter an und<br />

schwieg.<br />

„Verdammt. Ihr beide seht ziemlich fertig aus. Ich wünschte, ich könnte irgendwie<br />

helfen.“ Gibbs sah frustriert zu Allison und House hinüber, die gerade die zitternde Tempe auf<br />

die Beine zogen. Verzweifelt schluchzend wollte die junge Frau zu Booth, wurde aber von<br />

einer der Wachen am Oberarm gepackt und gnadenlos in ihre Zelle verfrachtet. Dort sank sie<br />

weinend auf ihrem Bett zusammen. House und Cameron standen ein wenig unschlüssig in der<br />

Mitte des Raumes und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Doch schon kam die An-<br />

weisung. „Ihr beide habt ja wohl keine Zeit, hier blöde rum zu stehen. Kümmert euch um eure<br />

Patienten.“ Er gab House einen kleinen Schubs und dieser nickte, ging dann zu Ziva in die<br />

Zelle zurück. Allison eilte erst zu Booth. Der knirschte vor Wut mit den Zähnen und schluckte<br />

mühsam herunter, was ihm auf der Zunge lag. Stattdessen versuchte er in möglichst munterem<br />

Ton laut heraus zu bringen: „Ist ja okay, Bones. Wir haben es überstanden. Das wird schon<br />

wieder.“ „Du legst dich besser wieder hin und verhältst dich möglichst ruhig.“, riet Allison<br />

dem aufgebrachten Mann und drückte ihn sanft in das Kissen zurück. Stöhnend ließ Booth sich<br />

wieder in die Waagerechte sinken. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie ihn müde. „Wie vorhin,<br />

nicht schlechter, aber auch nicht besser.“, erwiderte Booth erschöpft. „Ruh dich aus, das ist das<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Beste, was du tun kannst. Wie sind die Schmerzen?“ „Schmerzhaft ...“ Booth lachte freudlos<br />

und biss sich auf die Lippe. „Ich werde dir eine Spritze geben, jetzt, wo Tempe in Sicherheit<br />

ist, kannst du in aller Ruhe schlafen und dich auskurieren. Ich bin gleich wieder da.“ Sie eilte<br />

in Jakes Zelle, packte eine Einwegspritze aus, zog 5 mg Oxycodon auf, griff sich einen Tupfer,<br />

Stauriemen und Desinfektionsmittel und eilte zu Booth zurück. Eine Minute später hatte sie<br />

Booth das Analgetikum verabreicht. „Jetzt wirst du gleich keine großen Schmerzen mehr<br />

haben und dann ruhig schlafen können, okay. Heather passt auf dich auf, ich muss zu Jake.“<br />

Sie lächelte Booth noch einmal aufmunternd zu, dann eilte sie zu Jake hinüber.<br />

House hatte sich über Ziva gebeugt und maß bei dieser die Temperatur nach. Immerhin<br />

von 35,3 auf 36,1 hoch. Sie lag aber immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit. „Wie geht es<br />

Ziva?“, wollte Gibbs nun wissen. House antwortete beruhigend: „Sie wird sich schnell erholen,<br />

ihre Körpertemperatur ist bereits gestiegen, mach dir keine Sorgen, sie wird wieder in Ordnung<br />

kommen. „ Bitte, kümmert euch doch um Jake.“, schluchzte Heather voller Angst und sah<br />

flehentlich zu Allison hinüber, die wieder bei Jake am Bett saß. Der junge Mann war wieder<br />

völlig weggetreten, nachdem es Cameron gelungen war, ihn kurz zu sich zu bringen. Er glühte<br />

immer noch, sprach, wenn überhaupt, sehr langsam auf die fiebersenkenden Mittel an. Allison<br />

hielt den Waschlappen unter den Wasserhahn und legte diesen dann auf die heiße Stirn. Viel<br />

mehr konnte sie mit den bescheidenen Mitteln nicht tun, die zur Verfügung standen. Sie nahm<br />

Jakes Hand und sagte leise: „Jake, mach keinen Ärger, dass kannst du uns nicht antun.“ Laut<br />

sagte sie, an Heather gerichtet: „Mach dir keine Sorgen, den kriegen wir schon wieder hin. Er<br />

ist stark, er wird sich erholen.“ Wenn sie nur selbst so überzeugt gewesen wäre. - Warum sinkt<br />

das Fieber nur nicht? - dachte Cameron. - Es müsste mit dem Metamizol langsam wirklich an-<br />

fangen herunter zu gehen. - Sie beschloss, sich die Wunde anzusehen. Sara stand am Gitter und<br />

schaute gleichermaßen besorgt zu Jake hinüber. „Wie geht es ihm?“, fragte sie so leise, dass<br />

nur Allison es hören konnte. <strong>Die</strong>se sah kurz von ihrer Arbeit auf und schüttelte den Kopf. Sara<br />

verstand. Seufzend sah sie zu Gil hinüber, der bereits in seinem Bett lag und vor Erschöpfung<br />

eingeschlafen war. Sie konnte ohnehin nichts machen, also legte sich die junge Frau ebenfalls<br />

in ihr Bett und war Minuten später eingeschlafen. Gibbs und Bones ging es nicht anders, kaum<br />

kehrte Ruhe ein, forderten die vergangenen Stunden energisch Tribut, den Beiden fielen die<br />

Augen zu.<br />

Allison konzentrierte sich auf Jake. Sie wickelte den Verband von dessen Arm und<br />

stellte nicht sonderlich überrascht fest, dass die Bisswunde von gelblich-grünem, nekrotischem<br />

Belag bedeckt war. Das musste unbedingt entfernt werden, sonst würden die Bakterien immer<br />

weiter den idealen Nährboden finden. Sie schnaufte leise. Dann eilte sie in Zivas Zelle und<br />

sagte: „Wir müssen noch mal an die Wunde. Nekrosen, die weg müssen. Hilfst du mir, bitte?“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

House stand wortlos auf und humpelte hinter Allison her zurück in Jakes Zelle. Gemeinsam<br />

sahen die beiden Ärzte die Dinge durch, die man ihnen freundlicherweise zur Verfügung ge-<br />

stellt hatte. Da war tatsächlich ein Skalpell, sie hatten reichlich Watte, Verbandsmaterial, eine<br />

Schere, Desinfektionsmittel, alles, was man brauchte, um die Wunde nachzubehandeln war da.<br />

Nur kein Lokalanästhetikum. House überlegte, ob er um Lidocain bitten sollte, hatte aber das<br />

deutliche Gefühl, das Ende der Fahnenstange bei den Entführern erreicht zu haben. So sagte er<br />

resigniert und sehr leise: „Na, mein Junge, du wirst begeistert sein. Hoffentlich wachst du nicht<br />

auf.“ Und dann machte er etwas, dass ihm ungeheuer leid tat, aber nicht zu ändern war. Er<br />

fixierte Jakes Beine und dessen rechten Arm mit den Karabinerhaken an den vorgesehenen<br />

Metallringen am Bett. Dann zog er sich den Hocker heran und setzte sich so, dass er Jakes ver-<br />

letzten Arm gut festhalten konnte. Er nickte Cameron zu und diese nahm das Skalpell. Tief<br />

atmete sie durch, dann griff sie eine Mullbinde und drückte Jake diese vorsichtig zwischen die<br />

Zähne. Jetzt erst begann sie ohne noch zu zögern, das entzündete Gewebe um die Wunde<br />

herum zu entfernen. Jake stöhnte nur leise auf, bewegte unruhig den Kopf, lag aber ansonsten<br />

noch still. An einigen Stellen musste Allison tiefer ins Gewebe schneiden und Jakes natürlicher<br />

Fluchtreflex setzte hier nun ein: Er versuchte, den schmerzenden Arm aus dem Gefahren-<br />

bereich zu ziehen. House packte fester zu und verhinderte dies. Jetzt kam eine besonders stark<br />

betroffene Stelle und hier geschah es. Jake zuckte heftig zusammen, zerrte unbewusst an den<br />

Fesseln und House gratulierte sich zu der Idee, den Jungen fixiert zu haben. Jake keuchte ge-<br />

quält auf und als Cameron weiter arbeitete, schrie er schließlich auf vor Schmerzen.<br />

Heather fuhr entsetzt hoch. „Was ist los, was macht ihr mit ihm?“, rief sie entsetzt, als<br />

sie Jake so schreien hörte. „Wir retten ihm das Leben, Kindchen.“, knurrte House gereizt. „Das<br />

könnten wir erheblich besser, wenn du uns nicht ablenken würdest.“ Greg war mittlerweile zu<br />

erschöpft, um auch noch sensibel auf die hysterische junge Frau einzugehen. Er brauchte<br />

einiges an Kraft, um Jakes Arm so still zu halten, dass Allison vernünftig daran arbeiten<br />

konnte. Verbissen machte die junge Ärztin weiter, obwohl ihr vor Mitleid Tränen über die<br />

Wangen stürzten. Sie konnte keine Rücksicht nehmen, sonst würde Jake das hier nicht über-<br />

leben und so ignorierte sie seine verzweifelten Schreie. Noch ein kleines Stück und nach einem<br />

letzten, gellenden Schmerzensschrei Jakes legte Allison das Skalpell aus der Hand. Mit<br />

zitternden Händen legte sie einen neuen Verband über die nun vollkommen saubere Wunde.<br />

Dann bat sie House: „Geh zu Heather und erkläre ihr, dass es nötig war, bitte, sie hat so ent-<br />

setzliche Angst.“ House nickte müde. Dann stand er auf und humpelte zu Heather hinüber.<br />

Cameron spülte den Waschlappen aus, dann eilte sie wieder an Jakes Seite. Sie wischte dem<br />

jungen Mann das Tränen und Schweiß überströmte Gesicht ab, nahm seine Hand und<br />

streichelte ihm sanft über die Wange. „Hey, Jake. Hörst du <strong>mich</strong>? Es tut mir unendlich leid,<br />

dass wir dir so wehtun mussten, aber jetzt hast du es hinter dir. Du warst sehr tapfer.“ Schnell<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

machte sie den jungen Mann los. <strong>Die</strong>ser blieb jedoch ganz still liegen, er war viel zu fertig, um<br />

sich groß zu bewegen. Aber im Moment war er bei sich. Aus verquollenen Augen sah er zu<br />

Cameron auf. Er versuchte, etwas zu sagen, aber die junge Ärztin sagte liebevoll: „Spar deine<br />

Kräfte, versuche, zu schlafen, dann bist du schnell wieder auf den Beinen, okay?“ Sie legte ihm<br />

eine Hand auf die Stirn und lächelte aufmunternd. „Wir passen auf dich auf, Jake, du kommst<br />

wieder in Ordnung, das schwöre ich dir. Ich lasse nicht zu, dass dir was passiert.“ Jake sah<br />

immer noch zu ihr auf, Tränen in den Augen und dann glitt er wieder in die Besinnungslosig-<br />

keit zurück.<br />

House war zu Heather hinüber gehumpelt, die weinend am Gitter stand und ihm aus<br />

panisch geweiteten Augen entgegen sah. Er trat zu ihr. Leise sagte er dann: „Es tut mir leid,<br />

Heather, aber es ging nicht anders. Jakes Wunde ist entzündet, wir mussten das befallene Ge-<br />

webe entfernen. Jetzt hat er gute Chancen, sich zu erholen.“ Heather griff schluchzend durch<br />

die Gitterstäbe nach House‟ Händen. „Er hat so furchtbare Schmerzen ...“ „Jetzt nicht mehr,<br />

hörst du? Er wird ruhig schlafen und sich erholen, vertraue uns. Was wir tun können, werden<br />

wir machen, er wird nicht ... sterben, in Ordnung?“ Heather sah House unter Tränen an. „Ich<br />

weiß, dass ihr alles tut. Ich habe nur solche Angst ...“ - <strong>Die</strong> haben wir wohl alle, Mädchen. -<br />

dachte Greg, sagte aber ruhig: „Du solltest unbedingt schlafen, du siehst aus, als würdest du<br />

jeden Moment umkippen, und wir können wirklich nicht noch einen Patienten brauchen, okay.<br />

Außerdem solltest du fit sein, wenn es ihm besser geht.“ Heather nickte. „Ich werde es ver-<br />

suchen. Danke.“ Sie schleppte sich zu ihrem Bett und legte sich hin. Und so sehr sie auch<br />

dachte, ohnehin nicht schlafen zu könne, so sehr forderte ihr Körper den Schlaf. Minuten,<br />

nachdem sie sich hingelegt hatte, war die junge Frau bereits tief und fest eingeschlafen. House<br />

schleppte sich zurück zu Ziva, um nach ihr zu sehen. Seine Augen brannten vor Müdigkeit.<br />

Aber Schlafmangel war er als Arzt nun wirklich gewohnt, auch wenn er meistens ziemlich ge-<br />

regelte Arbeitszeiten hatte. Er setzte sich zu der jungen Israelin aufs Bett und sagte leise: „Na,<br />

meine Hübsche, dann lass mal sehen, ob du aus dem Schneefrau-Stadium wieder raus bist.“ Er<br />

hielt Ziva das Thermometer ins Ohr und atmete erleichtert auf, als er es ab las. 37,2 „Na, siehst<br />

du. Willkommen zurück bei den Wohltemperierten. Wenn du nun auch noch zu dir kommst,<br />

wäre es nicht schlecht.“ Er sah durch die leere Zelle Sawyers hindurch zu Bones. <strong>Die</strong>se hatte<br />

sich auf ihrem Bett zusammen gerollt, ihr Zudeck lag auf Ziva, und schlief.<br />

Wie sie alle diese ganze Geschichte hier je verarbeiten sollten, war House ein Rätsel.<br />

Alleine Kate und Mulder. Und nun Gibbs und Bones, von allen anderen ganz zu schweigen. -<br />

Wir sind alle am Ende. Nicht mehr lange, und die werden keinen umbringen müssen, um<br />

jemanden los zu werden. - dachte Greg, während er Ziva anschaute. <strong>Die</strong> junge Frau müsste<br />

langsam mal aufwachen, aber vermutlich war auch bei ihr der Punkt erreicht, wo seelische und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

körperliche Erschöpfung einfach so groß geworden waren, dass nichts mehr ging.<br />

Wahrscheinlich wollte ihr Unterbewusstsein gar nicht, dass sie aufwachte. Schlafen, vergessen,<br />

statt sich neuem Horror zu stellen. Das war es, was auch er selbst am liebsten getan hätte.<br />

House nahm eine der Zudecken von Zivas Körper und verließ langsam und schwerfällig ihre<br />

Zelle. Er stopfte die Zudecke zurück in Bones Zelle, damit die junge Frau sie sich nehmen<br />

konnte, wenn sie aufwachte, schleppte sich dann selbst an Körper und Seele müde am Gitter<br />

entlang zu Booth. Der junge FBI Agent schlief ruhig, nachdem Cameron ihm Oxycodon ge-<br />

spritzt und damit seine Schmerzen auf ein Minimum reduziert hatte. House legte ihm vor-<br />

sichtig die Hand auf die Stirn und war nicht erstaunt, auch bei ihm leichtes Fieber zu spüren.<br />

Auch die Stärksten waren zu geschwächt, um solche Strapazen und Verletzungen einfach weg-<br />

stecken zu können. Müde, unendlich müde und mutlos waren sie alle. Allmählich wurde der<br />

<strong>Über</strong>lebenswille geringer, niemand hatte mehr viel Kraft zu kämpfen. Ob diese Bastarde, die<br />

sicherlich genau jede Reaktion dokumentierten, wohl einkalkulierten, dass alle mehr oder<br />

weniger dicht an der Grenze angelangt waren, wo sie einfach aufgeben, den Tod diesem<br />

stetigen Albtraum vorziehen würden?<br />

House musste selbst gegen eine bleierne Müdigkeit ankämpfen, die von seinem Körper<br />

Besitzt ergriffen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, wie lange es her war, dass er das letzte<br />

Mal geschlafen hatte. Er hatte sich auf Booth‟ Bettkante gesetzt und seine Augen fielen ihm zu.<br />

Bis er die aufgeregte Stimme Abbys vernahm. „House, du muss mal nach John gucken, ich<br />

glaube, dem geht es nicht so gut.“ House seufzte und blinzelte gähnend zu Abby hinüber. „Ich<br />

bin schon unterwegs ...“ Gut ging es ihm auch nicht und Allison sah aus, als würde sie jeden<br />

Moment umkippen. Aber solange sie noch stehen konnten, würden sie um jeden der Mit-<br />

gefangenen mit allen Mitteln kämpfen. House erreichte Johns Zelle und sah sofort, was Abby<br />

meinte. John war blass, er war unruhig und seine Haut fühlte sich kalt und feucht an. Der<br />

hypovolämische Schock war wohl schwerer als vermutet. House quälte sich zu Cameron und<br />

Jake hinüber und griff sich einen der letzten Hydroxyethylstärkebeutel, eilte damit, so schnell<br />

es ihm noch möglich war, in Lockes Zelle zurück und Minuten später tropfte die kolloidale<br />

Volumenzufuhr langsam, aber stetig, in den noch vorhandenen Venenzugang. „Das müsste die<br />

Symptome relativ schnell zum Abklingen bringen.“, erklärte er. „Für sein Alter ist unser<br />

Schamane in erstaunlich guter Grundverfassung, er wird sich erholen.“ Abby nickte ver-<br />

stehend. Dann fragte sie leise: „Wie geht es Gibbs und Bones?“ House verdrehte die Augen.<br />

Kam mal einer auf die Idee, ihn oder Allison zu fragen, wie es ihnen ging? „<strong>Die</strong> schlafen und<br />

das solltest du auch tun.“, sagte er gereizt. Abby nickte. „Du hast Recht, ich werde versuchen,<br />

ein wenig zu schlafen. Was ist mit euch, mit Allison und dir? Ihr müsst euch unbedingt auch<br />

ausruhen, was ihr heute hier leistet ist unglaublich.“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Es tat überraschend gut, dass endlich einmal jemand nach den Ärzten fragte, die wirk-<br />

lich alles gaben. „Na, ein wenig müde sind wir schon, aber Ärzte sind unmögliche Arbeits-<br />

zeiten gewöhnt. Wenn alle Patienten stabiler sind, werde ich Allison auch zu Bett schicken und<br />

wir werden abwechselnd ein wenig schlafen.“ House grinste müde. Nicht mal auf die Mit-<br />

gefangenen war Verlass. Kaum glaubte man, sie interessierten sich nicht im Geringsten dafür,<br />

wie Cameron und er sich fühlten, schon fragte einer von ihnen besorgt nach seinem und<br />

Allisons Befinden. Er wollte gerade zu Jake hinüber humpeln, als Abby und er heftig zu-<br />

sammen schraken. <strong>Die</strong> Plattform, auf der immer noch die Taucherglocke stand, senkte sich in<br />

eben diesem Moment langsam ab und verschwand im Boden. Endlich war das grässliche Ge-<br />

fängnis nicht mehr zu sehen. Alle hatten krampfhaft vermieden, dort hin zu sehen, sie wollten<br />

nicht daran denken, dass es für zwei von ihnen fast zum Grab geworden wäre. House erreichte<br />

die Zelle von Jake und sagte leise zu Allison: „Du siehst zum Umfallen müde aus. Unsere<br />

Patienten sind auf dem Weg der Besserung. Das schaffe ich eine Weile allein. Du musst un-<br />

bedingt etwas schlafen.“ „Du nicht? Jake geht es nicht besser. Es ist zum Verzweifeln. Das<br />

Fieber sinkt nur minimal.“ Allison sah Greg hoffnungslos an. „Hey, so schnell wird das nicht<br />

gehen, Cameron, das weißt du selbst. <strong>Die</strong> Infektion ist in seinem Körper und so angeschlagen,<br />

wie wir alle inzwischen sind, wird sein Immunsystem einige Zeit brauchen, um die Viren zu<br />

besiegen. Er wird nicht auf Knopfdruck gesund. Das wird noch etwas dauern. Ich bleibe bei<br />

ihm, okay, leg dich etwas hin.“ Plötzlich kullerten der jungen Frau Tränen über die Wangen.<br />

„Ich kann nicht, jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich Dana und Sawyer ...“ „Hör<br />

zu, das ist für uns alle nicht leicht zu verkraften, aber du klappst zusammen, wenn du nicht<br />

etwas schläfst. Damit ist niemandem gedient.“<br />

„Wie soll ich denn schlafen können, wenn ich jedes Mal zwei sterbende Menschen vor<br />

mir sehe.“ Allison schluchzte heftig auf, vor Müdigkeit, Erschöpfung, einfach dem blanken<br />

Horror, dem sie hier ausgesetzt waren. House trat zu ihr und zog sie in seine Arme. Zärtlich<br />

strich er über ihren Rücken. „Das verstehe ich und sicher geht das vielen von uns so. Aber das<br />

wird nicht dadurch besser, dass du wach bleibst, bis du umfällst. Glaub mir, dein Körper wird<br />

sich den Schlaf holen, den er braucht. Es ist nicht das erste Mal, dass du aufgewühlt und er-<br />

schöpft bist, so ging es dir immer, wenn du einen Patienten verloren hast. Trotzdem ging es dir<br />

besser, wenn du geschlafen hattest, das weißt du genau. Also sei vernünftig und ab ins Bett mit<br />

dir.“ „Aber Jake ...“ „Auf Jake passe ich schon auf. Außerdem bist du in drei Metern Ent-<br />

fernung nicht gerade aus der Welt, oder? Wenn etwas ist, wirst du es sofort mit bekommen.“<br />

House führte seine Assistenzärztin entschieden hinüber in ihre eigene Zelle. Er bestand darauf,<br />

dass sie sich ins Bett legte und blieb bei ihr stehen, bis Minuten später ihre ruhigen und tiefen<br />

Atemzüge ihm verrieten, dass sie vor Erschöpfung eingeschlafen war, kaum dass ihr Kopf das<br />

Kissen berührt hatte. Zufrieden humpelte Greg zu Jake zurück. Er spülte den Waschlappen,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

den Allison benutzt hatte und legte diesen vorsichtig auf Jakes heiße Stirn. „Du kannst langsam<br />

mal einen Gang runter schalten, mein Junge, du machst die Mädels ganz fertig. Langsam sollte<br />

es dir ein klein wenig besser gehen.“<br />

Greg war ebenfalls so müde wie er sich nicht erinnern konnte, schon jemals gewesen zu<br />

sein. Andererseits waren es die Leidensgenossen, die ihn brauchten, welche ihn kämpfen<br />

ließen. Er überschlug im Kopf die Zeit, die seit der der letzten Injektion mit Metamizol und<br />

Linezolid vergangen war und kam zu dem Schluss, dass Jake eine neuerliche Injektion ver-<br />

tragen konnte. So zog er beide Medikamente in eine Einwegspritze und injizierte sie dem<br />

jungen Mann in die Venenverweilkanüle auf seinem rechten Handrücken. Im Tropfbeutel war<br />

noch genug Restflüssigkeit, der Verband war sauer, die Wunde hatte also nach dem Reinigen<br />

nicht nachgeblutet. Da Jake immer wieder schmerzerfüllt aufstöhnte verabreichte House ihm<br />

auch gleich noch eine kleine Menge Oxycodon. Wenn der Junge endlich vernünftig und ruhig<br />

schlafen könnte, wäre er über den Berg. House hatte mit halbem Auge auch die Zellen von<br />

Locke, Ziva und Booth im Blick, aber dort herrschte überall Ruhe. So unmittelbar und allein<br />

verantwortlich für einen Patienten war House noch nie gewesen. Er war selbst erstaunt, wie<br />

sehr ihm dieser junge Mann am Herzen lag und wie gern er seiner Begleiterin gesagt hätte,<br />

dass ihr Freund über dem Berg war. Er maß noch einmal das Fieber und notierte im Geiste 40,8<br />

Immer noch viel zu hoch. Es war zum Verrücktwerden. Aber schließlich sagte Greg sich, dass<br />

das Linezolid auch nicht so schnell anschlagen konnte und somit war es ausgeschlossen, dass<br />

die Infektion schon spürbar zurückging. Man musste einfach Geduld haben. Im Krankenhaus<br />

wäre es auch nicht schneller gegangen. House legte Jake erneut den ausgespülten, frisch be-<br />

feuchteten Waschlappen auf die Stirn. Der Kranke murmelte leise und unverständlich vor sich<br />

hin. Er war sehr unruhig und fand einfach keine richtige Ruhe. Zwischendurch wurde er immer<br />

wieder kurz ruhiger, um sich dann erneut unruhig hin und her zu wälzen. Auch Greg hörte<br />

schnell die unterschiedlichen Namen heraus, die Jake ab und zu leise von sich gab. Chris.<br />

Emily. Und immer wieder das verzweifelte Flehen nach Heather.<br />

Oh holy night<br />

Lasse gehen was du liebst. Kehrt es zurück, gehört es dir für immer.<br />

Konfuzius<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

- Kate stand auf einem Friedhof. Es war nebelig. Sie fragte sich, was sie hier wollte.<br />

Schwerfällig ging sie ein paar Schritte auf einen großen, kreuzförmigen Grabstein zu. Statt<br />

Blumen hatte jemand kleine Bäumchen mit winzigen Gasflaschen an den Ästen um das Grab<br />

herum gepflanzt. Kate fragte sich verblüfft, wer wohl so etwas machte. Sie hatte das<br />

zwingende Gefühl, besser einen Bogen um das Grab zu machen. Doch irgendetwas an dem<br />

Grabstein zog sie gerade zu magisch an. Langsam näherte sie sich den Stein. Dabei bemerkte<br />

sie, dass sie einen kleinen Krankenhauskittel trug, schwarz, mit Rüschen. Und sie merkte,<br />

dass sie weinte. Warum weinte sie, noch bevor sie überhaupt wusste, was auf dem Stein<br />

stand? Warum konnte sie so klar denken? Sie holte tief Luft und machten den letzten Schritt<br />

auf den Grabstein zu. Komischerweise konnte sie nicht klar erkennen, was dort stand. Sie<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wischte sich über die Augen. Und dann wurde die Schrift immer klarer. J a m e s F<br />

o r d Kate erfasste den Namen, ohne ihn wirklich zu begreifen. Sie starrte auf die Schrift<br />

und langsam verschwamm diese vor ihren brennenden Augen und veränderte sich ... S a w<br />

y e r Kate glaubte zu Träumen. Ein Albtraum, wie er furchtbarer nicht sein konnte. -<br />

Sie fuhr keuchend aus dem Schlaf hoch. Aber das Wachsein war schlimmer als jeder Alb-<br />

traum es sein konnte. Wie ein schmerzhafter Blitz durchzuckte sie die grausame Erinnerung.<br />

Sawyer. Er war tot.<br />

Sie schluchzte verzweifelt und hoffnungslos auf. Und dann hörte sie seine Stimme.<br />

„Lovey. Nicht weinen. Ganz ruhig, Baby, ich bei ja bei dir.“ Kate schrie erschrocken auf. Sie<br />

riss die Augen auf und wusste nicht, ob sie noch immer schlief oder eine Halluzination hatte.<br />

Da saß Sawyer, etwas blass, ziemlich fertig aussehend, aber ganz offensichtlich am Leben. Er<br />

griff zärtlich nach ihrer Hand, sein Daumen strich liebkosend über ihren Handrücken, er<br />

lächelte müde und sagte dann: „Seh ich so schrecklich aus, dass du ...“ Weiter kam er nicht.<br />

Kate flog regelrecht aus dem Bett und um seinen Hals. Sie klammerte sich an ihm fest,<br />

stammelte vollkommen aufgelöst seinen Namen und weinte, dass es sie schüttelte. Sawyer<br />

hielt sie einfach in seinen Armen. Er hielt sie fest an sich gedrückt, wiegte sie in seinen<br />

Armen wie ein kleines Kind und konnte nicht mehr verhindern, dass ihm ebenfalls Tränen<br />

über die blassen, während der Gefangenschaft hier eingefallenen Wangen liefen. Seine Hände<br />

strichen beruhigend über Kates nackten Rücken. Wie lange die Beiden so saßen, hätten sie<br />

nicht sagen können, wundervolle Ewigkeiten. Kate wagte nicht, Sawyer loszulassen. Zu groß<br />

war die Angst, dass er dann verschwinden würde. Wieso er hier bei ihr war, war ihr im<br />

Augenblick vollkommen gleichgültig. Wichtig war nur, dass er da war. Irgendwann war sie<br />

im Stande, sich wenigstens so weit von ihm zu lösen, dass sie ihm ins Gesicht, in die Augen<br />

sehen konnte und sie erkannte, dass ihm, wie ihr, Tränen über die Wangen liefen. Sie griff<br />

sanft nach seinem Kopf und begann, ihn zu küssen. Auf die Augen, die Stirn, die Wangen, die<br />

Lippen, egal, wohin, Hauptsache spüren, dass er bei ihr war, lebte. Sawyer hielt still. Es tat so<br />

unendlich gut, ihre Lippen, ihre Hände zu spüren, überhaupt noch etwas zu spüren. Er zitterte.<br />

Er hatte, als er zusammen mit Scully in der Gaskammer saß, mit seinem Leben ab-<br />

geschlossen. Ohne Wut oder Angst war er bereit gewesen, zu Sterben. Er hatte das tödliche<br />

Gas letztlich tief eingeatmet, um es schnell hinter sich zu haben. Das Letzte, an das er sich<br />

bewusst erinnerte, war Kates Gesicht gewesen, das zu ihm geschaut hatte, mit einer Angst<br />

und Verzweiflung im Blick, die ihm Tränen in die Augen getrieben hatte. Dann war es<br />

schwarz geworden um ihn.<br />

Er war davon aufgewacht, dass jemand ziemlich unsanft seine Wangen bearbeitete.<br />

„HEY. Wach auf. Komm schon, mach die Augen auf.“ <strong>Die</strong> ruppigen Worte wurden von<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

wenig sanften Schlägen auf seine Wangen begleitet. Er versuchte mühsam, die Augen zu<br />

öffnen. Irgendwas drückte auf sein Gesicht und Sawyer merkte, dass er nicht richtig atmen<br />

konnte. <strong>Die</strong> Gaskammer. Was war schief gegangen? Er war ganz offensichtlich nicht tot.<br />

Großer Gott. <strong>Die</strong> würden ihn doch nicht erneut in die Kammer schicken, weil es beim ersten<br />

Mal nicht geklappt hatte? Bei der Vorstellung fing sein Herz an zu rasen. Wo war Dana?<br />

Hatte es bei ihr besser geklappt? War sie tot? Hatte sie den Horror hier schon hinter sich?<br />

Wieso nur bekam er so schlecht Luft? Er riss den Mund auf und versuchte verzweifelt,<br />

irgendwie Luft in seine Lungen zu saugen. Erneut hustete Sawyer gequält auf und zwang sich,<br />

die Augen zu öffnen. Erst sah er nur Sterne vor seinen Augen explodieren, dann klärte sich<br />

sein Blick langsam und er erkannte, dass er in einem Behandlungszimmer auf einer Liege lag.<br />

Jemand beugte sich über ihn, tätschelte unsanft seine Wangen und drückte ihm eine Sauer-<br />

stoffmaske über Mund und Nase. Er wollte nach der Hand greifen, die ihn ins Gesicht schlug,<br />

merkte aber sofort, dass das nicht ging, weil seine Hände, wie sollte es auch anders sein,<br />

fixiert waren. Mühsam und unter der Sauerstoffmaske ganz dumpf klingend stieß er hervor:<br />

„Ich bin wach.“ Erneut musste er krampfhaft Husten. Als er wieder sprechen konnte, fragte er<br />

verwirrt: „Wieso lebe ich noch? Was ist ... passiert? Hat das Gas nicht gewirkt? Muss ich ...<br />

muss ich wieder ... Bitte, nicht noch mal ....“ Er schluckte trocken. Der Typ, der ihn geweckt<br />

hatte, grinste diabolisch. „Oh, doch, das Gas hat perfekt gewirkt.“ „Aber ich lebe noch ...“<br />

Der Kerl lachte. „Ja, diesmal lebst du noch. Kein Wunder, wir haben Sevofluran in die Gas-<br />

kammer gepumpt. Ein starkes Narkosegas. Wir haben es etwas ... ein wenig modifiziert,<br />

damit es nebeliger wird und stärker riecht. Nebeliger musste es sein, sonst hätten die <strong>Anderen</strong><br />

gesehen, dass du und Nummer 7 noch geatmet habt.“<br />

Sawyer glaubte, sich verhört zu haben. Narkosegas? Was, um alles in der Welt sollte<br />

das alles? Warum nur wurden sie so grausam gequält? Was hatten die Entführer davon? Kate.<br />

Oh, Gott. Wo war sie? Wie ging es ihr? Sie musste durch die Hölle gegangen sein, als sie ge-<br />

zwungen worden war, ihm beim vermeintlichen Sterben zuzusehen. Sawyer fiel es unheim-<br />

lich schwer, sich zu konzentrieren. Dana ... Wenn er lebte, musste die FBI Agentin eigentlich<br />

auch noch leben. Aber das einzige, was ihn wirklich interessierte, war, wie es Kate ging. Er<br />

musste erneut Husten. Der Wachmann drückte ihm die Sauerstoffmaske wieder auf das Ge-<br />

sicht und dankbar atmete Sawyer den Sauerstoff ein. Nach einer ganzen Weile hatte er das<br />

Gefühl, jetzt problemlos alleine Atmen zu können. Leise sagte er: „Es geht wieder, ich brauch<br />

die Maske nicht mehr, okay.“ Der Wachposten nickte, dann nahm er die Maske von Sawyers<br />

Gesicht und stand von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte, auf. Er verließ den Raum, ohne<br />

den Gefesselten noch eines Blickes zu würdigen. Als Sawyer alleine war, konnte er nicht ver-<br />

hindern, dass er zu zittern begann. Was da auf ihn eingestürzt war, ging selbstverständlich<br />

auch an ihm nicht spurlos vorbei. Man wurde schließlich nicht jeden Tag hingerichtet. Er<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

starrte leicht apathisch zur Decke. Wenn sie ihn doch nur zu Kate lassen würden. In ihren<br />

Armen wollte er sich selbst und Kate alles vergessen lassen, all den Horror, der sie umgab.<br />

Statt Kates kam ein Arzt zu ihm in den Behandlungsraum. Er trat zu Sawyer ans Bett<br />

und fragte tatsächlich: „Nummer 3, wie fühlst du dich?“ Sawyer lachte freudlos. „Wie<br />

jemand, der hingerichtet wurde.“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Kannst du Atmen? Ist dir<br />

schlecht? Schwindelig?“ Sawyer schüttelte den Kopf. „Nicht sehr, Sir.“ Der Arzt maß seinen<br />

Blutdruck, horchte ihn gründlich ab und machte dafür sogar Sawyers Hände los, damit dieser<br />

sich aufsetzen konnte. Als er mit den Untersuchungen fertig war, sah er Sawyer ruhig an.<br />

„Wenn du dich anständig benimmst, werden wir dich zu deiner kleinen Freundin bringen. Du<br />

kannst mit ihr Weihnachten feiern. Du wurdest diesmal verschont, aus Gründen, die ich dir<br />

ganz bestimmt nicht näher erläutern werde. Bilde dir nur nicht ein, das wäre ein Garant dafür,<br />

dass es so bleiben wird. Es liegt nach wie vor alleine in unserem Ermessen, wer von euch hier<br />

lebend raus geht und wer nicht. Sicher ist, wir brauchen nicht notwendigerweise alle von<br />

euch. Wer stört oder überflüssig wird, wird entsorgt. Also hüte dich, etwas Dummes zu tun.<br />

Wirst du dich vernünftig verhalten?“<br />

Sawyer hatte zugehört. Mit welcher Gleichgültigkeit diese Leute über ihr Leben<br />

redeten, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Er nickte langsam. „Ja, Sir, das werde ich<br />

ganz bestimmt.“, sagte er fest. Er hätte alles versprochen und gehalten, nur, um zu Kate zu<br />

kommen. Der Arzt machte also seine Füße los. Sawyer stand vorsichtig auf. Er atmete einige<br />

Male tief durch, dann war leichter Schwindel, der ihn kurz packte, vorbei. Nun forderte der<br />

Arzt Sawyer auf: „Deine Hände, 3.“ Sawyer drehte sich sofort herum und hielt seine Hände<br />

auf den Rücken. Er merkte erst jetzt, dass er das Halsband auch bereits wieder trug. Als seine<br />

Handgelenke zusammen gefesselt waren, drückte der Arzt Sawyer am Oberarm Richtung Tür.<br />

Auf dem Flur stand ein Wachposten. Der Arzt erklärte: „Schaff ihn zu 8. Und die Beiden<br />

kriegen zu Essen und Trinken, was immer sie wollen, verstanden.“ Der Wachposten nickte.<br />

Dann packte er Sawyer am Arm und zog diesen mit sich, zum Aufzug. Es ging zwei Etagen<br />

nach unten, dann den Flur entlang, bis zu einer Tür. <strong>Die</strong>se wurde nun geöffnet. Der Wach-<br />

posten löste Sawyers Handfesseln, machte eine Geste Richtung Tür und sagte grinsend:<br />

„Frohe Weihnachten.“<br />

Mit leicht zitternden Beinen betrat Sawyer den Raum und war überwältigt. Kannte er<br />

bisher hier nur kalte, weiße Funktionalität, war er jetzt in einem Zimmer, welches man hier<br />

sicher als Letztes vermuten würde. Ein gemütliches Doppelbett, Tapeten und ein warmer<br />

Ockerfarbton an den Wänden, Weihnachtsschmuck überall, eine künstliche Fichte in einer<br />

Ecke, mit elektrischen Kerzen und Kugeln geschmückt, ein kleiner Esstisch, ein gemütliches<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Sofa mit einem kleinen Tisch davor, leise Weihnachtsmusik im Hintergrund aus einem Laut-<br />

sprecher. Sawyer schloss kurz die Augen, machte sie wieder auf und erblickte noch das<br />

gleiche Bild vor sich. Er schüttelte den Kopf. Dann erkannte er Kate in dem Bett liegen. Sie<br />

schien tief und fest zu schlafen. Er eilte zu ihr und setzte sich neben sie auf das Bett. Auf dem<br />

Nachtschrank lag eine leere Ampulle. Midazolam. Er zuckte die Schultern. Sicher ein Be-<br />

ruhigungsmittel, überlegte er. Sawyer wandte sich Kate zu. Er strich ihr mit einer unendlich<br />

zärtlichen Handbewegung eine Haarsträhne aus der Stirn. Während er sie beobachtete, wurde<br />

ihm plötzlich bewusst, dass es ein Geschenk war, dass er überhaupt noch hier neben ihr sitzen<br />

konnte. Ärgerlich wischte er sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus dem Gesicht.<br />

Lange saß er so still auf dem Bett neben der einzigen Frau außer seiner Mutter, die er je ge-<br />

liebt hatte und beobachtete sie im Schlaf. Kate war blass, hatte Schatten unter den leicht ver-<br />

schwollenen Augen, sah einfach selbst im Schlaf fix und fertig aus. Irgendwann wurde sie<br />

unruhig und im nächsten Moment schluchzte sie heftig auf. Sawyer beugte sich über sie und<br />

sagte sanft: „Lovey. Nicht weinen. Ganz ruhig, Baby, ich bei ja bei dir.“<br />

*****<br />

Wie aus tiefem Wasser kam Scully langsam an die Oberfläche. Sie spürte eine Sauer-<br />

stoffmaske über Mund und Nase und wollte diese von ihrem Gesicht reißen, bemerkte aber,<br />

dass sie dies nicht konnte. Verschwommen erkannte sie eine Gestalt, die sich über sie beugte.<br />

„Ganz ruhig, Dana, das ist nur Sauerstoff.“, sagte Mulder mit merkwürdig belegter Stimme.<br />

Er strich ihr sanft das schweißfeuchte Haar aus der Stirn und fuhr leise fort: „Ich bin zwar<br />

nicht dein Dad, aber ich hoffe, du freust dich trotzdem ein bisschen, <strong>mich</strong> zu sehen.“ Dana<br />

blinzelte, langsam klärte sich ihr Blick, saugte sich an dem vertrauten Gesicht fest. „Wieso ...<br />

wieso bist du hier? Ich bin doch tot.“, stammelte sie verwirrt. Mulder grinste dieses typische,<br />

jungenhafte Grinsen, das Dana so sehr an ihm liebte. „Sehe ich vielleicht wie ein Engel aus?<br />

Ich hoffe, der Himmel muss noch ein wenig auf dich warten.“ Widerwillig trat Mulder einen<br />

Schritt zurück, um einem anwesenden Arzt zu ermöglichen, seine Lebensgefährtin zu unter-<br />

suchen. Dazu löste dieser endlich die Fesseln, die Dana an die Liege fixiert hatten. Er maß<br />

den Blutdruck, überprüfte die Pupillenreflexe, horchte Dana gründlich auf Brust und Rücken<br />

ab und nickte zufrieden. Dann verließ er den Behandlungsraum. Und nun endlich konnte<br />

Spooky die geliebte Frau in seine Arme schließen und die Beherrschung, die sie bis jetzt ge-<br />

zeigt hatten, bröckelte in sich zusammen. Heftig zitternd hielten sie sich in den Armen.<br />

Minuten später kamen zwei Wachleute zu Mulder und Scully in den Raum. Einer von<br />

ihnen erklärte gleichgültig: „Wenn ihr beiden Turteltäubchen euch vernünftig verhaltet,<br />

werden wir euch zum Weihnachtsmann bringen, klar? Nur, weil du diesmal noch lebst,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nummer 7, heißt das nicht, dass es so bleiben wird. Fakt ist, wir benötigen nicht alle von<br />

euch, unabhängig von Beschäftigungsfeld, Herkunft oder sonst was, verstanden. Jeder von<br />

euch kann ab einem bestimmten Zeitpunkt wirklich überflüssig werden und wird dann ent-<br />

sorgt, da wir keinen unnötigen Mitwisser brauchen. Es geht um sehr viel mehr als eines eurer<br />

lächerlichen Leben. Also solltet ihr euch vernünftig verhalten. Habt ihr das verstanden?“<br />

Mulder, der Dana noch immer schützend im Arm hielt, hatte wie sie angewidert zugehört, wie<br />

dieser Wachmann über ihre Leben redete. Keiner der beiden FBI Agenten hatte irgendwelche<br />

Zweifel, dass es diesen Leuten absolut ernst war und Dana nur noch lebte, weil es in diesem<br />

Falle zu einem Plan gehörte, den sie nicht kannten. Fast zeitgleich antworteten sie:<br />

„Verstanden.“ Der Wachmann nickte. „Steh auf.“, sagte er ruhig zu Dana. <strong>Die</strong>se ließ sich von<br />

der Liege gleiten, auf der sie gelegen hatte und sofort sackten ihre Beine durch. Mulder griff<br />

geistesgegenwärtig zu und verhinderte, dass seine Lebensgefährtin zu Boden sank. Der<br />

Wachmann schüttelte leicht genervt den Kopf. Mulder sah ihn bittend an und erntet ein<br />

Nicken. Erleichtert nahm er Dana auf den Arm. Leicht zitternd kuschelte sie sich in seine<br />

Arme. Von vier Wachleuten begleitet, ging es auf den Flur hinaus und schließlich im Fahr-<br />

stuhl zwei Etagen nach unten. Vor einer Tür in der Etage blieben die Wachleute stehen.<br />

Mulder wartete und die Tür vor ihm ging auf. Eine einladende Geste eines der Posten und<br />

Mulder trat, mit Dana auf dem Arm, in den Raum ein. Hinter ihnen schloss sich die Tür. Was<br />

sie sahen, ließ sie kopfschüttelnd mitten in der Bewegung erstarren.<br />

Vor sich sahen sie einen ziemlich großen Raum, der neben einem gemütlichen<br />

Doppelbett eine kleine Sitzecke, einen ebenfalls kleinen Esstisch mit zwei Stühlen, und jede<br />

Menge Weihnachtsdekoration enthielt. Eine kleine, künstliche Fichte, mit elektrischen Kerzen<br />

und Tannenbaumschmuck behängt, stand auf einem Hocker in einer Ecke. Aus einem un-<br />

sichtbaren Lautsprecher ertönte die unverwechselbare Stimme Josh Grobans mit dem wunder-<br />

schönen Lied: „Oh holy night“. Fassungslos wankte Mulder zum Bett hinüber, ließ sich,<br />

immer noch Danas zitternden Körper an sich drückend, auf dem Bett nieder und dann konnten<br />

beide sich nicht mehr beherrschen. Endlich brachen die lange zurück gehaltenen Tränen aus<br />

ihnen heraus. Mulder küsste schluchzend Danas tränenüberströmtes Gesicht. <strong>Über</strong>wältigt<br />

stammelte er: „Ich liebe dich. Du ahnst nicht, wie sehr.“ Dana erwiderte die Küsse nicht<br />

minder leidenschaftlich. Sie stotterte, während ihr Tränen unaufhörlich über das Gesicht<br />

strömten: „Ich weiß, ich liebe dich auch. Ich wollte nicht ... aber ... Halt <strong>mich</strong> fest, hörst du.“<br />

Das ließ Mulder sich nicht zwei Mal sagen.<br />

Langsam beruhigten sie sich und Mulders Hände begannen, sanft unter Danas Kittel<br />

zu rutschen und ihre warme, samtweiche, nackte Haut zu liebkosen. Ihr Schluchzend versiegte<br />

und machte nach einigen Minuten einem wohligen Seufzen Platz. Ihre Lippen saugten sich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

aneinander fest, zielgerichtet, nicht mehr wahllos alles küssend, was sie trafen. Danas Hände<br />

glitten in Mulders Nacken und fummelten das Bändchen auf, welches seinen Kittel ver-<br />

schloss. Mulders Hände beschäftigten sich ebenfalls kurz mit dem Band und Sekunden später<br />

konnten sie sich gegenseitig die albernen Kleidungsstücke von den Schultern streifen. Im<br />

Licht der brennenden Kerzen glitten Mulders Augen überwältigt über Danas nackten Körper.<br />

Fassungslos wurde ihm ein ums anderen Mal bewusst, dass er sie nicht verloren hatte. Sie saß<br />

wirklich warm, atmend und gesund neben ihm, schöner denn je, und schaute ihn an. Ein ganz<br />

sanftes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Sie ließ sich langsam nach hinten sinken und<br />

Mulder brauchte keine Sondereinladung, um sich zu ihr zu legen und sie wieder in die Arme<br />

zu nehmen. Aus dem Lautsprecher ertönten weiterhin leise Christmas Carols. Mulder küsste<br />

Dana leidenschaftlich und sagte dann etwas außer Atem und mit Tränen in den Augen: „Frohe<br />

Weihnachten, Darling.“ Danas Lippen zitterten. Sie drückte Mulder heftig an sich und<br />

flüsterte: „Frohe Weihnachten.“ „Dass du noch lebst, dass ich dich hier und jetzt in meinen<br />

Armen halten kann, ist das schönste Weihnachtsgeschenk, welches es je für <strong>mich</strong> geben<br />

wird.“ Dana lächelte glücklich. Dann verschloss sie dem geliebten Mann den Mund mit ihren<br />

Lippen. Ihre Hände glitten über seinen Rücken und legten sich auf seinen Po. Seine Rechte<br />

streichelte über Danas Bauch und blieb schließlich sanft liebkosend auf ihrer linken Brust<br />

liegen. Aufseufzend bohrten sich ihre Finger in sein Fleisch und er keuchte vor Erregung auf.<br />

Minuten später rollte Mulder sich langsam auf sie und sie liebten sich, leidenschaftlich wie<br />

noch nie zuvor.<br />

*****<br />

Mulder erwachte aus einem wirren Traum und tastete neben sich. Dana schlief noch<br />

fest. Er hatte Mühe sich zu orientieren. Wo war er? War das alles nur ein furchtbarer Alb-<br />

traum gewesen? Um sich herum erkannte er in einem warmem Pfirsichton gestrichene<br />

Wände, Tannengirlanden, Weihnachtsschmuck, Kerzenlicht, aus einem Lautsprecher tönten<br />

Christmas Carols, und Dana lag neben ihm, schlief. Dana? Wieso ... Mulder fuhr hoch. Sie<br />

war doch ... <strong>Die</strong> Hinrichtung, was war geschehen? Mulder begriff im Moment nichts mehr.<br />

Allmählich forderte der allgegenwärtige Horror auch von dem sonst eher gelassenen Agenten<br />

seinen Tribut. Ganz besonders das bizarre Wechselspiel aus extremer Grausamkeit und plötz-<br />

licher Großzügigkeit, die absolute Unmöglichkeit, sich auf irgendetwas einzustellen, zerrte<br />

auch an den stärksten Nerven. Der Psychologe war im Moment nicht sicher, ob die Hin-<br />

richtung oder das weihnachtliche Ambiente eine Halluzination gewesen waren. Mit zu-<br />

nehmendem Wachseinsgrad kehrte aber auch Erinnerung an die letzten Stunden langsam<br />

zurück. <strong>Die</strong> Hinrichtung war ein grausamer, morbider Fake gewesen. Sie hatten Dana und<br />

Sawyer nicht hingerichtet, sondern lediglich mit einem Narkosegas betäubt. Wenn er doch nur<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

imstande wäre, ein System hinter der Willkür ihrer Entführer zu erkennen. Extreme Ver-<br />

unsicherung wollten sie sicher erreichen und das schafften sie mit erschreckender Mühelosig-<br />

keit. Dem smarten FBI Agenten, der so viele kritische Situationen gemeistert hatte, ging jeg-<br />

liches Verständnis für die Handlungsweise ihrer Entführer ab. <strong>Die</strong>ses Wechselspiel der Grau-<br />

samkeiten, Psychotests, Ruhephasen, vollkommen willkürliche Behandlung, egal, was die<br />

Gefangenen taten, all das diente nur dem einzigen Zweck, sie alle so gründlich zu Zermürben,<br />

wie es nur ging. Und bei sehr vielen von ihnen war dieses Ziel erreicht worden.<br />

Bisher war die extremste Aktion ein Fake gewesen, aber ob es dabei bleiben würde?<br />

Offenbar gingen diese Leute nach streng wissenschaftlichen Kriterien vor, behandelten ihre<br />

Gefangenen wie Versuchstiere, um ihre Belastungsgrenzen zu testen. Das musste durchaus<br />

nicht bedeuten, dass Probanden, die sich aus irgendeinem Grund als ungeeignet für was auch<br />

immer erwiesen, nicht so kalt und sachlich entsorgt würden wie Laborratten. Mulder war sich<br />

darüber im Klaren: Nur, weil Dana diesmal nicht getötet worden war, hieß das nicht, dass es<br />

so bleiben würde. Er war mehr denn je überzeugt, dass die Leute, in deren Händen sie sich<br />

befanden, keine Sekunde zögern würden, einen oder mehrere von ihnen wirklich gnadenlos<br />

und eiskalt zu entsorgen. Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken. Entschlossen schüttelte<br />

Mulder die belastenden Gedanken erst einmal ab. Leise und vorsichtig, um Dana nicht zu<br />

stören, stieg er aus dem Bett und sah sich in dem Raum, in dem er sich befand, um. Da hinten<br />

war ein kleiner Kühlschrank, an der Wand in der Ecke. Nackt ging Mulder hinüber und war<br />

einen Blick in den Kühlschrank. Er hatte Durst und griff nach einer Cola, die er fand. Er<br />

wollte so weit wie möglich sein inneres Gleichgewicht wieder finden. Es hatte keinen Zweck,<br />

eine der kostbaren Ruhephasen damit zu verschwenden, in Grübeleien zu verfallen, Fragen zu<br />

stellen, auf die es ohnehin keine Antworten geben konnte, weil sie entschieden zu wenig<br />

Informationen über ihre Entführer hatten.<br />

Er drehte sich zu Dana herum und beobachtete die geliebte Frau ein paar Augenblicke<br />

lang. Im Schlaf schienen all der Druck und die Angst von ihr abgefallen und sie lag entspannt<br />

und friedlich still. Mulders Augen füllten sich mit Tränen, die er ärgerlich weg wischte. Dass<br />

er sie nicht verloren hatte, drang immer noch nur Bruchstückchenweise in seinen Verstand<br />

vor. Es war das Furchtbarste gewesen, was ihm je widerfahren war, als er hilflos mit ansehen<br />

musste, wie sie hingerichtet wurde. Er hatte nicht das Geringste tun können, um sie zu be-<br />

schützen. Mehr als alles andere wünschte er sich, ihr glaubhaft versichern zu können, dass sie<br />

dieses Grauen überleben würden, aber sie war viel zu klug, um ihm eine solche Aussage ab-<br />

zunehmen. Er konnte nicht sagen, was ihn mehr belastete: die Angst um Dana und die Ver-<br />

zweiflung, als er sie vermeintlich hatte Sterben sehen, oder die Vorwürfe, die er sich machte,<br />

weil er sie nicht hatte schützen können. So sehr ihm bewusst war, dass solche Gedanken nicht<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gerade dazu angetan waren, sein Gleichgewicht wieder zu finden, im Moment konnte er nicht<br />

verhindern, dass das Bild so unendlich vieler Albträume vor seinem inneren Auge entstand.<br />

Wie er als Zwölfjähriger hilflos der Entführung seiner Schwester hatte zusehen müssen, war<br />

das Schlimmste gewesen, was ihm bisher in seinem Leben zugestoßen war, bis vor einigen<br />

Stunden. Waren es Stunden? Oder Minuten oder Tage? Mulder verbarg das Gesicht in den<br />

Händen. <strong>Die</strong> Ohnmacht, ja das war das Schlimmste.<br />

Er hatte wohl unwillkürlich laut aufgestöhnt, denn Dana fuhr erschrocken aus dem<br />

Schlaf hoch. „Mulder? Was ist? Ist alles in Ordnung?“ Sie saß senkrecht im Bett und sah<br />

verwirrt um sich, dann fixierten ihre Augen ihn. Mulder stellte die Cola Dose achtlos auf den<br />

kleinen Esstisch und eilte zum Bett hinüber. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken. Hast<br />

du gut geschlafen? Wie fühlst du dich?“ Dana sah sich um, unstet irrten die Augen umher,<br />

nicht wirklich in der Lage, die Bilder, die sie sah, zu erfassen und zu verarbeiten. Schließlich<br />

fixierten ihre Augen das einzig Vertraute, das Gesicht des geliebten Mannes. „Wo, um alles in<br />

der Welt sind wir hier? Warum ... Wieso haben die das gemacht? Warum haben die so getan,<br />

als wenn ... Sawyer ... Hast du ihn gesehen, weißt du, was mit ihm und Kate ist? Gott. Wie<br />

fühlst du dich?“ <strong>Die</strong> sonst so beherrschte Agentin war, das gab sie unumwunden zu, im<br />

Moment vollkommen durch den Wind. Kein Wunder, wenn man die Tatsache berück-<br />

sichtigte, dass sie eigentlich tot sein sollte. Mulder setze sich zu ihr und nahm ihr Gesicht in<br />

beide Hände. Er bemühte sich, soviel Gelassenheit wie nur möglich in seinen Blick und die<br />

Stimme zu legen. „Wo wir hier sind? Nun, offensichtlich hat es unseren freundlichen Gast-<br />

gebern gefallen, uns in die Christmas Wonderworld zu schicken. Ich habe Sawyer zwar nicht<br />

gesehen, aber wir können wohl davon ausgehen, dass Kate und er an einem ähnlich<br />

lauschigen Plätzchen sind. Mir geht es gut. Warum das alles? Ich schätze, das war ein Test für<br />

unsere Leidensgenossen. <strong>Die</strong> wollen sehen, wie destabilisierend der Verlust zweier Mit-<br />

gefangener auf die Einzelnen wirkt.“<br />

*****<br />

Als Kate sich langsam ein wenig beruhigt hatte, fragte sie Sawyer mit tränenerstickter<br />

Stimme: „Wie geht es dir, Baby? Wieso ... Ich verstehe das alles nicht. Warum ... Ich kann es<br />

noch gar nicht fassen. Du lebst ... Was, um Himmels Willen sollte das? Warum haben die das<br />

gemacht?“ Sawyer sah Kate in das verweinte Gesicht und hatte selbst erhebliche Probleme,<br />

irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. „Freckles, ich weiß es doch auch nicht. Sie haben ...<br />

ein Narkosegas in die Kammer gepumpt. Warum, haben sie mir nicht gesagt. Abgesehen<br />

davon, dass ich heute hingerichtet wurde, geht es mir gut. Für dich muss es viel schlimmer<br />

gewesen sein ...“ Er biss sich auf die Lippen und stieß dann hervor: „Als mir klar wurde, dass<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

du ... dass du es mit ansehen musst ... Ich wusste nicht, was schlimmer war, verstehst du? <strong>Die</strong><br />

Vorstellung, dass du es siehst, oder die Vorstellung, dich nicht bis zum letzten Atemzug sehen<br />

zu können ...“ Kate sah, dass er heftig zitterte. Sie kuschelte sich fester an ihn und flüsterte:<br />

„Und ich wollte nicht, dass du ... <strong>mich</strong> vollkommen aufgelöst ... Gott, ich hatte solche Angst.“<br />

Sie klammerte sich wie die sprichwörtliche Ertrinkende an Sawyer und stieß heftig hervor:<br />

„Noch einmal schaffe ich das nicht. Ich verliere hier noch den Verstand. Ich kann es nicht<br />

noch einmal ertragen, dieses Gefühl, dich zu verlieren.“ Sawyer hielt die zitternde junge Frau<br />

in seinen Armen und wünschte sich nichts so sehr, wie ihr Versprechen zu können, dass sie<br />

das auch nicht wieder müsste, nur lag das leider nicht in seiner Macht. Wie er es ertragen<br />

würde, sollten die noch einmal auf die Idee kommen, ihn hinzurichten, wusste er auch nicht.<br />

Er hatte sich ohnehin gefragt, woher er die Kraft genommen hatte, so ruhig in den Tod<br />

zu gehen. So groß war seine Todessehnsucht nun wirklich nicht, dass er gerne gestorben<br />

wäre. Nicht mehr, seit er Kate hatte. Aber die Erleichterung, dass sie weiter leben durfte, hatte<br />

in den Minuten einfach alles andere überwogen. Für Kate würde er noch zehn Mal sterben,<br />

wenn es sein musste. Als die Wachen vor ihn hin getreten waren, hatte er für einen Moment<br />

das Gefühl gehabt, sich übergeben zu müssen. Dann hatte er begriffen, dass sein Tod be-<br />

deutetet, dass Kate weiter leben durfte und dieses Wissen hatte ihm die Kraft gegeben, auf-<br />

recht und stolz in die Gaskammer zu gehen. Er hatte Dana bewundert, die genau so aufrecht<br />

neben ihm saß. Als er an den Stuhl gefesselt worden war, hatte er nur noch gehofft, dass es<br />

schnell gehen würde. Danas Rates hätte es nicht bedurft. Es war ihm klar gewesen, dass er<br />

möglichst tief das Giftgas einatmen musste. Ganz kurz war Panik in ihm hoch geschossen, als<br />

das leise Zischen verraten hatte, dass das Gas nun zugeführt wurde. Als er daran dachte,<br />

konnte er ein Zittern nicht ganz verhindern. Kate spürte das sofort. „Ist alles in Ordnung,<br />

Honey?“, fragte sie alarmiert. Er lachte leise. „Ja, ja, es ist ... Ja, ich lebe noch.“ Von einer<br />

Sekunde zur anderen drang dieser Gedanke richtig in sein Hirn. Aus den Lautsprechern klang<br />

gerade der Titel Dream a dream, gesungen von der wundervollen Stimme der zu dem Zeit-<br />

punkt, als der Titel aufgenommen worden war, gerade einmal vierzehn Jahre alten Charlotte<br />

Church:<br />

When the night is still and the sea is calm.<br />

Lonely Shadow. You’ll fall upon me.<br />

Lay by my side fear not tonight.<br />

Lonely Shadow. You’ll find a new light.<br />

Dream a dream.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

As if though angel's eyes.<br />

A place where we can fly away.<br />

Glide with me upon a shining star.<br />

Above the moonlit sky we will find Elysium.<br />

Sawyer lauschte dem Text und biss sich auf die Lippen. Er zog Kate heftig an sich und<br />

begann, sie leidenschaftlich zu küssen. „Ja, du bist noch lebendig.“ Kate lachte unter Tränen.<br />

Sie gab sich sofort und ganz seiner Leidenschaft hin. Aufseufzend sanken die Beiden eng um-<br />

schlungen auf das Bett und Sawyer flüsterte leise in Kates Ohr: „Soll ich dir beweisen, wie<br />

lebendig ich bin?“<br />

*****<br />

Sawyer richtet sich schlaftrunken auf. Er fühlte sich immer noch matt und zerschlagen.<br />

Sein Kopf brummte leicht und er hatte Durst. Sie waren eingeschlafen, nachdem sie sich<br />

leidenschaftlich bewiesen hatten, wie lebendig sie waren. Vorsichtig, um Kate nicht zu<br />

wecken, stieg er aus dem Bett und natürlich wachte Kate sofort auf. Sie war unglaublich<br />

sensibilisiert, was das Spüren Sawyers neben sich betraf und merkte augenblicklich, dass er<br />

nicht mehr an ihrer Seite lag. „Sawyer?“ Erschrocken fuhr sie hoch. Sawyer eilte sofort zu ihr<br />

zurück. „Hey, Sweety, ich bin ja hier. Mach dir keine Sorgen, ich komme nicht abhanden.“,<br />

sagte er sanft und beruhigend, während er nach Kate griff und sie an sich zog. „Genau das<br />

kommst du eben doch.“, erwiderte Kate leise, als sie sich schließlich langsam aus seinen<br />

Armen löste. „Möchtest du auch was Trinken?“, fragte Sawyer sie und grinste leicht. Wenn er<br />

abhanden kam, dann sicher nicht aus eigenem Willen. Kate nickte. „Gerne, was haben wir<br />

denn so da? Kaltes Bier?“ Sawyer stand wieder vom Bett auf und sah sich um. Er fand in einer<br />

Ecke einen kleinen Kühlschrank, öffnete die Tür und sah hinein. Cola, Wasser, und, nicht zu<br />

fassen, Bier. Zwei Dosen Heineken, wie auch immer hier Holländisches Bier hinkam. Sawyer<br />

lachte. „Was ist?“, fragte Kate vom Bett her. „Freckles, du wirst es nicht glauben.“ Er drehte<br />

sich herum und warf Kate grinsend eine der Dosen zu. Kate fing diese geschickt auf und<br />

staunte nicht schlecht, als sie sah, was Sawyer ihr da zu geworfen hatte. „Das gibt es nicht. Ein<br />

Bier.“ Sie riss den Verschluss auf und als Sawyer wieder zu ihr ins Bett stieg, prosteten sich<br />

die Beiden zu. „Cheers.“<br />

Kate trank einen Schluck und seufzte. Sawyer hatte sich an das Fußende des Bettes<br />

gesetzt und lehnte nun gemütlich gegen die untere Bettbekleidung. Er nahm einen Schluck und<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schloss die Augen. Kate sah ihn aufmerksam an. Blass und kaputt sah er aus, aber sie machte<br />

sich nichts vor, besser sah sie selbst auch nicht aus. Sie hätte gerne gewusst, wie es in ihm aus-<br />

sah, wollte aber auf keinem Fall alles wieder aufreißen, was gerade erst kurz unter der Ober-<br />

fläche dümpelte. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie Sawyer in der Gaskammer in sich zu-<br />

sammen gesackt war und spürte heiße Wellen der Angst durch sich hindurch jagen. Nur nicht<br />

daran denken. Sie schüttelte sich. Sawyer öffnete die Augen und sah sie an. „Was ist, Süße?“<br />

Er hatte Kates Erbeben gespürt. „Nichts. Ich ... kalt, mir ist etwas kalt.“, antwortete Kate viel<br />

zu schnell, als das Sawyer nicht klar gewesen wäre, dass etwas ganz anderes war. Er sagte<br />

jedoch nichts, sondern hing seinen eigenen Gedanken nach, die alles andere als angenehm<br />

waren. Er war noch müde, das war wohl eine Müdigkeit, die der seelischen Erschöpfung ent-<br />

sprang. Sawyer trank sein Bier aus, nahm Kate die inzwischen ebenfalls leere Dose ab und<br />

legte sich dann wieder zu ihr. „Ich bin so müde, als hätten wir seit Tagen nicht geschlafen.“,<br />

erklärte Kate, kaum, dass sie eng aneinander gekuschelt wieder unter der Decke lagen. „Geht<br />

mir genau so, ich weiß auch nicht, woran das liegt. Wir haben gerade erst stundenlang ge-<br />

schlafen und ich fühle <strong>mich</strong>, als wäre ich seit Tagen wach.“<br />

Kate gab Sawyer einen zärtlichen Kuss und sagte sanft: „Dann lass uns die unerwartete<br />

Ruhe ausnutzen, Honey, und schlafen, solange es uns erlaubt wird.“ Sie legte ihren Kopf auf<br />

Sawyers Brust. Kate versuchte, weg zu dösen, dann merkte sie, dass Sawyers Atem ruhig und<br />

gleichmäßig kam, er war eingeschlafen. So müde Kate auch war, ihr gelang es nicht. Minuten<br />

reihten sich aneinander und sie lauschte unendlich glücklich auf Sawyers ruhige Atemzüge.<br />

Dass er überhaupt noch atmete, kam ihr immer noch wie ein Wunder vor. Dann aber merkte<br />

sie, dass sein Atem unregelmäßiger und flacher wurde. Und plötzlich ging es blitzschnell:<br />

Sawyer wurde unruhig, zitterte am ganzen Leib und sein Kopf wand sich auf dem Kissen<br />

fahrig hin und her. Bevor sie noch Gelegenheit bekam, ihn zu wecken, fuhr er mit einem<br />

Keuchen hoch und zitterte nach Atem ringend am ganzen Körper. Kate nahm seine Hände und<br />

sagte eindringlich: „Pssst, ganz ruhig, Baby, du hast nur geträumt. Es ist alles okay.“ Sawyer<br />

saß mit weit aufgerissenen Augen im Bett und versuchte, sich zu beruhigen. „Scheiße.“, fluchte<br />

er atemlos. „Was für ein Albtraum ...“ Er ließ es zu, das Kate ihn an sich zog und so sanken sie<br />

ins Kissen zurück. Nach einigen Minuten merkte Kate, dass Sawyer sich entspannte und fragte<br />

leise: „Geht es wieder? Willst du drüber sprechen?“ „Nein, eigentlich gibt es nichts zu Reden.<br />

Ich hatte einen Albtraum. Das ist alles. Komm, lass uns weiter schlafen.“ Sawyer machte dicht<br />

und Kate wusste, jetzt würde sie kein weiteres Wort aus ihm heraus bekommen.<br />

*****<br />

573


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Linderung<br />

Selbstaufopferung ist das eigentliche Wunder, aus dem alle anderen Wunder entspringen.<br />

Ralph W. Emerson<br />

Greg sah zu Heather hinüber. Eigentlich erwartete er, dass die junge Frau im Bett lag<br />

und schlief, stattdessen sah er, dass sie an der Zellentür stand und zu ihm herüber schaute.<br />

House lächelte ihr beruhigen zu. Dann bemerkte er, wie die junge Frau anfing, hektisch auf<br />

und ab zu laufen. Er zuckte zusammen, als sie plötzlich zu toben begann. „Einen von diesen<br />

Schweinen will ich zu fassen kriegen. <strong>Die</strong> sollen bereuen, was sie Jake angetan haben.“, platze<br />

es hasserfüllt aus der sonst so sanften Lehrerin heraus. In ohnmächtiger Wut trommelte sie mit<br />

den Fäusten an die Gitterstäbe. So schnell es sein krankes Bein zuließ, humpelte House zu ihrer<br />

Zelle und versuchte, ein paar beruhigende Worte zu finden. Ebenso unvermittelt wie der Wut-<br />

anfall begonnen hatte, war er auch schon vorbei und Heather sackte hemmungslos schluchzend<br />

zusammen. - Verfluchter Mist. Booth schläft und Mulder ist nicht da, niemand, der jetzt für<br />

Heather da sein kann. - dachte House. „Heather, hörst du <strong>mich</strong>? Ich bin da, redete mit mir.“<br />

<strong>Die</strong> junge Frau hatte aufgehört zu schluchzen, sie reagierte nicht, ihr Blick ging teilnahmslos<br />

ins Leere. Eindringlich sagte House: „Heather, hör mir zu. Ich habe alle Hände voll mit Jake zu<br />

tun. Allie ist total fertig, du musst mir helfen. Ich habe nicht genug Medikamente für Seeley<br />

und Jake. Du musst ihn kühlen, um seine Temperatur zu senken, sonst stirbt er.“ Greg hoffte<br />

inständig, überzeugend geklungen zu haben. Booth hatte zwar Fieber, aber keineswegs bedroh-<br />

lich. Akute Belastungsreaktionen von hilflosen Angehörigen hatte Greg aber oft genug erlebt,<br />

um zu wissen, dass man ihnen etwas zu tun geben, ihnen Handlungsspielraum verschaffen<br />

musste. Er humpelte also in Booth‟ Zelle und stellte dort fest, dass dessen Fieber tatsächlich<br />

gestiegen war. Verfluchter Mist. Das fehlte auch noch. Musste denn alles schief gehen? Zu<br />

allem <strong>Über</strong>fluss wurde Booth nun auch wieder unruhig. So war der Einsatz Heathers gar nicht<br />

mehr nur Beschäftigungstherapie.<br />

Heather hörte die Worte wie durch Watte, begriff ihre Bedeutung nicht wirklich. Ihr<br />

Herz raste, Schweiß lief in Strömen über Gesicht und Rücken. Seltsam unwirklich war das<br />

alles, eher wie ein böser Traum als Realität. Wer war sie und was tat sie hier? Jake, sie musste<br />

zu ihm. Fast blind vor Tränen stürzte sie vorwärts und knallte schmerzhaft gegen unerbittliche<br />

Gitterstäbe. Aufstöhnen und resigniert ließ sie sich zu Boden sinken. Sie alle würden hier<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sterben, ganz gleich, was sie taten. Eine Hand griff nach ihr, warum konnte man sie nicht ein-<br />

fach in Ruhe lassen? Es hatte doch alles keinen Sinn. Wozu noch kämpfen? Niemand würde<br />

sie finden, niemand je erfahren, was aus ihnen geworden war. „Lass <strong>mich</strong> in Ruhe. Wer ist<br />

Seeley?“ Fest umschloss diese Hand die ihre und diese lästige Stimme hörte nicht auf, auf sie<br />

einzureden, nannte immer wieder ihren Namen. „Heather, ich brauche deine Hilfe. Ich werde<br />

Jake nur retten können, wenn du dich um Booth kümmerst, verstehst du?“ Langsam drang die<br />

eindringliche Stimme zu ihr durch, erfasste ihr verschleierter Blick das kantige Gesicht, nur<br />

durch die Gitterstäbe von ihr getrennt. Das war der zynische Arzt, dessen überwältigen blaue<br />

Augen gerade nahezu warm auf ihr ruhten.<br />

Ein Ruck ging durch den zierlichen Körper. Was tat er hier, während der geliebte Mann<br />

ihn brauchte? „Was tust du hier? Du musst zu Jake.“, entrang sich ihr ein Schrei höchster Ver-<br />

zweiflung. Beruhigend klang die Stimme: „Du hast ein wenig schlapp gemacht, nur zu ver-<br />

ständlich. Ich kümmere <strong>mich</strong> sofort um Jake, wenn du mir hilfst, Booth zu retten. Er wird von<br />

Bones genauso geliebt wie du Jake liebst, wir dürfen ihn auch nicht sterben lassen.“ Das be-<br />

rührte die verliebte junge Frau. „Was kann ich schon tun?“ House atmete auf, das Schlimmste<br />

war überstanden. „Alles was nötig und möglich ist. Mach den Waschlappen nass, kühle ihn<br />

überall, wo du herankommst, damit rettest du ihm das Leben. Rede mit ihm, sei für ihn da,<br />

wenn er im Fieber jemanden braucht. Willst du das tun?“ Entschlossen nickte Heather und<br />

rappelte sich auf, obwohl ihre Glieder sich anfühlten, als seien sie aus Blei. „Ja, ich werde tun,<br />

was nur möglich ist.“ Schon schleppte sie sich zum Waschbecken und hielt den Lappen unter<br />

den Wasserstrahl und House humpelte nach einen letzten ermutigenden Lächeln zu seinem<br />

Sorgenpatienten zurück. Wie fertig mussten die Leidensgenossen sein, dass niemand durch<br />

Heathers Ausbruch aufgewacht war.<br />

In den folgenden Stunden kühlte die Lehrerin unermüdlich Seeleys ebenfalls im Fieber<br />

glühenden Körper, so gut es ihr durch die Gitterstäbe eben möglich war, während House das<br />

gleiche bei Jake tat. Er hatte Booth tatsächlich ebenfalls Metamizol injizieren müssen, denn<br />

dessen Fieber war urplötzlich ebenfalls dramatisch in die Höhe geschossen. Jake wand sich<br />

immer noch in heftigen Fieberschüben, keuchte immer wieder Heathers Namen hervor. House<br />

und die junge Frau arbeiteten verbissen und wechselten nur wenige Worte, sie waren einfach<br />

zu erschöpft. Greg rief nur jedes minimale Absinken der Temperatur zu Heather hinüber. Unter<br />

40,0 sank es aber sowohl bei Booth als auch bei Jake einfach nicht ab. Allison wachte<br />

zwischendurch kurz auf, nuschelte etwas von Helfen und war schon wieder eingeschlafen.<br />

Locke und Ziva, die normale Temperatur wiedererlangt hatte, schliefen den Schlaf der totalen<br />

Erschöpfung. House hatte bei Locke die Volumenzufuhr nach dem letzten Beutel beendet. Es<br />

schien ihm, als wäre das ausreichend gewesen, Locke hatte wieder Farbe, seine Haut fühlte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

sich nicht mehr kalt und feucht an und er atmete ganz ruhig und schlief tief und entspannt.<br />

Heather war total erschöpft, arbeitete nur noch wie ein Automat, aber diese schreckliche<br />

Hoffnungslosigkeit war von ihr abgefallen. Sie würden überleben und hier raus kommen. Und<br />

dann begann das Leben, ein Leben mit Jake …<br />

House saß nun schon seit Stunden neben Jake und versuchte, dessen glühenden Körper<br />

wenigstens ein wenig Hilfe zukommen zu lassen. Er hätte dringendlich etwas Schlaf gebraucht,<br />

um sich ein wenig zu regenerieren. Als er merkte, dass er im Sitzen einschlief, erhob er<br />

schwerfällig und schleppt sich zu Ziva hinüber. Der jungen Frau ging es offensichtlich wieder<br />

gut, sie schien zu Schwitzen und so nahm House vorsichtig auch das letzte zusätzliche Zudeck<br />

von ihrem Körper, es war Sawyers, und warf dies zurück in die leere Zelle. Langsam verließ er<br />

Zivas Zelle und humpelte, sich immer wieder an den Gitterstäben festhaltend, zu Locke<br />

hinüber. Aus dem Augenwinkel bekam er mit, dass eine Wache den Kerker betrat, reagierte<br />

jedoch gar nicht darauf. Er hörte im Unterbewusstsein das leise Klicken einer Zellentür und<br />

vermutete, dass der Wachmann Zivas Zelle wieder verschlossen hatte. Frustriert schüttelte er<br />

den Kopf. Bei Booth machte er Halt und trat an dessen Bett. Heather starrte ihn durch die<br />

Gitter aus vor Müdigkeit roten Augen an. Greg maß das Fieber, seufzte resigniert und<br />

schüttelte den Kopf. Es war wie verhext. 40,4 Es musste doch allmählich sinken, zumal Booth‟<br />

Wunden absolut sauber und in keiner Weise entzündet waren. <strong>Die</strong> einzige logische Erklärung<br />

war, dass die Körper und viel mehr die Psyche der beiden Männer so angeschlagen waren, dass<br />

die Abwehrkraft vollkommen zusammen brach. So, wie Zivas Körper sich strikt weigerte, auf-<br />

zuwachen. „Kannst du noch?“, fragte er Heather, die halb tot vor Erschöpfung neben Booth in<br />

ihrer eigenen Zelle kniete und dessen Hand durch die Gitterstäbe hielt, ihm mit der anderen<br />

Hand sanft durch das Haar streichelte und ab und zu leise und beruhigend auf ihn ein redete.<br />

„Ich bin so fertig, ich wäre eben fast eingeschlafen. Und du auch. Du brauchst auch Ruhe.“,<br />

flüsterte sie matt. House wusste das. Sehr viel länger würden weder er noch Heather weiter<br />

durchhalten können. Wenn die beiden Männer nur endlich zur Ruhe kommen würden, könnte<br />

ihr Organismus Selbstheilungskräfte mobilisieren. House seufzte schwer. Er würde Allison<br />

wecken, sie konnte sich weiter um Jake kümmern und er würde bei Booth sitzen bleiben, dann<br />

konnte wenigstens Heather sich hinlegen.<br />

Vorher humpelte Greg aber noch zu Locke in die Zelle. Der schlief ruhig, seufzte aber,<br />

als er House‟ Hand auf seiner Stirn spürte und schlug die Augen auf. „Hallo, Greg, habe ich<br />

lange geschlafen?“, fragte er leicht nuschelig. House nickte. „Eine ganze Weile. Wie fühlst du<br />

dich, Crocodile Dundee?“ Locke lächelte. „Naja, nicht gerade fit für das nächste Abenteuer,<br />

aber sonst fast wie neu.“ Locke setzte sich langsam auf. „Wie geht es den anderen? Und dir.<br />

Du siehst aus wie ...“ Er schluckte herunter, was er hatte sagen wollen. „Den anderen geht es<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

gut, die schlafen wie die Toten. Jake und Booth ... Bescheiden ... Um es mal elegant auszu-<br />

drücken. Es wäre ein Wunder, wenn wir sie durch bekommen. Das trifft es wohl eher.“ John<br />

hatte sich aufgesetzt und merkte, dass er sich wirklich gut fühlte. Er sah House ruhig an.<br />

„Vielleicht kann ich helfen.“, sagte er zögernd. „Wenn du dich zu einem der Beiden ans Bett<br />

setzen kannst, für eine Stunde oder so, könnte ich ein wenig schlafen.“ Greg sah hoffnungsvoll<br />

in Lockes Gesicht. „Gerne, falls unsere Gastgeber es zulassen.“, antwortete John, während er<br />

bereits die Beine aus dem Bett schwang. „Aber ich habe so ein Gefühl, dass <strong>mich</strong> niemand<br />

hindern wird.“ House stemmte sich ächzend hoch. „Dann bleib du bei Booth, okay, ich wecke<br />

Allison, sie muss sich wieder um Jake kümmern. Ich muss unbedingt ein wenig schlafen.“ Das<br />

Locke den verletzten Fuß ganz normal belastete, fiel House nicht mehr auf, viel zu müde war<br />

der Mediziner. Er schleppte sich in Cameron Zelle hinüber, weckte die junge Frau mit einem<br />

sanften Schütteln an der Schulter und als sie wach genug war, zu begreifen, erklärte er ihr, dass<br />

Locke bei Booth bleiben, er selbst sich jetzt hinlegen würde und sie sich um Jake kümmern<br />

müsste. Keine Minute später sank er aufstöhnend auf sein Bett und war schon eingeschlafen,<br />

bevor sein Kopf noch das Kissen berührte.<br />

Locke stand einen Moment unschlüssig da, dann machte er sich in dem kleinen Wasch-<br />

becken ein wenig frisch und marschierte zielstrebig zu Booth in die Zelle. Heather hatte ihn<br />

kommen sehen, nickte müde, legte sich auf ihr Bett und war ähnlich schnell eingeschlafen wie<br />

House. Locke sah auf Booth herunter. Er warf einen flüchtigen Blick zu Allison hinüber und<br />

bemerkte, wie elend sie immer noch aussah, begnügte sich aber mit einem aufmunternden<br />

Nicken, bevor er seine ganze Konzentration Booth zuwandte. Er wollte nicht voreilig etwas<br />

versprechen, von dem er nicht sicher war, ob er es halten konnte. Er wusste, dass er seine<br />

Lähmung mit seinen Kräften geheilt hatte und einige Male war ihm das Heilen auch bei seinen<br />

Freunden geglückt, aber das war an einem Ort voller spiritueller Energie geschehen. John griff<br />

nach der heißen, schlaffen linken Hand des FBI Agenten und schloss die Augen, versuchte,<br />

seinen Geist für die Energie zu öffnen. Er atmete tief und gleichmäßig, fühlte, wie sich die ver-<br />

traute Wärme in ihm ausbreitete. <strong>Die</strong> Energie, die er selbst nicht erklären konnte, begann durch<br />

Johns Körper zu fließen und er konzentrierte sich darauf, diese in seine rechte Hand und in den<br />

Körper des Fiebernden zu leiten. Locke konnte den Kampf fühlen, der in dem Fieber<br />

glühenden Körper tobte, er war in diesem Körper, fühlte, wie er Kraft übermittelte und<br />

wanderte weiter, berührte den unruhigen Geist. Er konnte spüren, wie sich seine Ruhe über-<br />

trug, das andere Bewusstsein erreichte.<br />

Ob es eine Minute oder Stunden dauerte, hätte John nicht zu sagen vermocht, Zeit und<br />

Raum spielten keine Rolle, wenn er sich ganz dieser Energie überließ. Endlich öffnete er die<br />

Augen, löste vorsichtig seine Hand und blickte auf den Kranken. <strong>Die</strong>ser hatte aufgehört, sich<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

unruhig hin und her zu werfen, ruhig und gleichmäßig ging der vorher so keuchende Atem, die<br />

verkrampften Gesichtszüge entspannten sich. Tief atmete John durch und nahm ein paar<br />

Schlucke aus seiner Wasserflasche. Er fühlte sich matt und ein wenig schwindelig, gönnte sich<br />

aber nur einen kurzen Moment der Ruhe, eher er sich erhob und zu Jakes Zelle ging. „Booth<br />

wird es schaffen, er schläft sich jetzt gesund und seine Temperatur wird fallen.“, sagte er ruhig<br />

zu Cameron. „Ich sehe kurz nach ihm, kümmerst du dich um Jake?“ Nachdem, was sie mit<br />

Locke erlebt hatte, traute sie ihm einiges zu, aber er war kein Mediziner, sie wollte sich selbst<br />

überzeugen, ob es mehr als ein subjektiver Eindruck war und eilte zu Booth. <strong>Die</strong> Ärztin nahm<br />

das Thermometer und ging zu ihrem anderen Patienten. Schon der erste Blick zeigte ihr, dass<br />

der geheimnisvolle Mann Recht hatte. Booth schlief ruhig und entspannt, atmete tief und<br />

regelmäßig. Allison tastete nach seinem Puls und bemerkte dabei sofort, dass der Agent nicht<br />

mehr so extrem vor Fieber glühte. Sie hatte das Thermometer mitgenommen und hielt es Booth<br />

ins Ohr. Sekunden später hatte sie das Ergebnis. 39,5 Immerhin war sein Fieber endlich unter<br />

die 40,0 Grad Marke gesunken. Vor Erleichterung wären Allison fast Tränen gekommen.<br />

Locke fühlte sich müde, wie immer wenn er seine Gabe benutzt hatte, aber ein Blick<br />

auf Jake sagte ihm, dass dieser tapfere junge Mann nicht warten konnte, bis er sich erholt hatte.<br />

So kurz hintereinander hatte John es noch nie versucht, aber diesmal musste es einfach ge-<br />

lingen. John schloss die Augen, versuchte tief zu atmen und sich zu entspannen. Das Wissen,<br />

dass ein Leben davon abhing, machte es nicht leichter. Das hatte er schon mehrmals erlebt, die<br />

Bilder von Jake und der Säge drängten sich in sein Bewusstsein. - Verdammt, John Locke, da<br />

hast du es auch geschafft. Reiß dich zusammen, du musst. - Je verzweifelter Locke die Kraft zu<br />

zwingen versuchte, desto mehr entzog sie sich ihm. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach<br />

und es in seinen Schläfen zu hämmern begann. Locke atmete schwer, versuchte, sich zur<br />

Konzentration zu zwingen, es ging nicht. Er zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine<br />

Schulter legte. Ganz sanft sprach Allison ihn an: „Du hast Booth gerettet, John, deine Gabe ist<br />

einfach einzigartig.“<br />

John fuhr hoch, den Tränen nahe. „Ich schaffe es nicht, Allison. Ich habe keine Kraft<br />

mehr. Jake wird sterben, weil ich versage.“ „Beruhige dich, John, du hast bisher noch nie ver-<br />

sagt. Du zitterst ja am ganzen Leib, bestimmt brauchst du einfach nur etwas Zeit, um dich zu<br />

erholen. Ich verstehe nichts von dem, was du da tust, aber es scheint dich unheimlich viel Kraft<br />

zu kosten. Leg dich einen Moment hin und ruh dich aus. So schnell stirbt es sich nicht, wenn<br />

man so jung und in so guter Konstitution ist wie Jake.“ <strong>Die</strong> Immunologin versuchte, mehr Zu-<br />

versicht in ihre Stimme zu legen, als sie empfand. Natürlich würde der geschwächte Körper<br />

nicht mehr lange durchhalten. Auch der Lebenswille des jungen Mannes war im Moment nicht<br />

stark genug, der Infektion, die in seinem Körper tobte, etwas entgegen zu setzen. Aber den<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

verzweifelten Mann mit den besonderen Kräften unter Druck zu setzen, würde ihm sicher nicht<br />

helfen, diese zu mobilisieren. Allison zwang sich zur Ruhe. Vielleicht reichte eine kurze Pause,<br />

damit John die dringend benötigte Hilfe leisten konnte. Locke nickte und erhob sich schwer-<br />

fällig. „Du hast Recht, ich brauche ein wenig Zeit, um <strong>mich</strong> zu erholen.“ Mühsam machte er<br />

einen Schritt auf die Tür zu, als Cameron ihn in einer plötzlichen Eingebung aufhielt.<br />

„Nicht John, leg dich einfach zu Jake aufs Bett. Es ist breit genug und vielleicht hilft es<br />

ihm ja schon, dass du überhaupt in seiner Nähe bist.“ Locke stutzte, da war etwas, das er nicht<br />

zu fassen bekam, ein Erinnerungsfetzen … Plötzlich spürte er, dass die Ärztin recht hatte und<br />

er ließ sich neben dem Kranken auf das Bett sinken und schloss die Augen. Völlig erschöpft<br />

überließ er sich seiner Schwäche, die Gedanken verschwammen. Allison beobachtete beide<br />

Männer besorgt, durfte sie zulassen dass John einschlief? Angespannt lauschte sie auf seine<br />

ruhigen Atemzüge und das keuchende Atmen Jakes. Mehr, als die glühende Stirn kühlen<br />

konnte sie nicht tun, der Körper und vor allem der Wille des jungen Mannes mussten die<br />

Infektion besiegen. War es Wunschdenken, bildete sie sich ein, dass Jake ein wenig ruhiger,<br />

seine Atmung etwas regelmäßiger wurde? John murmelte unverständliches. „... durchhalten,<br />

kämpfen, du musst…ruhig…“, glaubte die Ärztin zu verstehen. Immer wieder ein Name,<br />

Jeannie. Jeannie? Doch, Jake atmete definitiv etwas ruhiger, gleichmäßiger. Nur die<br />

Temperatur wollte einfach nicht fallen. So rat- und hilflos hatte Allison sich selten an einem<br />

Krankenbett gefühlt. Wenn John doch endlich aufwachen würde. Sie wagte nicht, ihn zu<br />

wecken, er musste sich ausruhen, um seine Kräfte entfalten zu können. Außerdem schien seine<br />

Anwesenheit dem Schwerkranken irgendwie Erleichterung zu verschaffen.<br />

„Heather…“, murmelte Jake und Allison fuhr hoch, sie musste eingenickt sein. Sie<br />

brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen. Locke kniete neben Jake, die Augen<br />

geschlossen, beide Hände auf die fieberheiße Stirn gelegt, ein Bild höchster Konzentration. <strong>Die</strong><br />

Ärztin wagte nicht, sich zu rühren aus Angst, was auch immer John da tat, zu stören.<br />

„Heather…“, stammelte der Kranke wieder, aber nicht im Tonfall verzweifelten Flehens, der<br />

ihr in den vielen Stunden an Jakes Bett fast das Herz zerrissen hatte. „Baby ... für dich…“ Ein<br />

Lächeln breitete sich auf den bisher so schmerzverzerrten Zügen aus, der Körper entspannte<br />

sich sichtlich. „Liebe dich … glücklich …“, flüsterte Jake. Plötzlich sackte John einfach lautlos<br />

zusammen, schwer nach Atem ringend. Sofort war Cameron bei ihm. „Was ist, John? Du<br />

musst tief atmen.“, sagte sie besorgt. Es dauerte einige Minuten, bis Locke genug Luft hatte,<br />

um zu antworten. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Alles in Ordnung, Allison, ich bin nur so<br />

müde. Mach dir keine Sorgen um Jake, er wird sich selbst heilen.“ Das konnte die Ärztin<br />

sehen, die Veränderung war offensichtlich. „Was hast du gemacht?“ „Ich hatte einfach nicht<br />

mehr genug Kraft, ihn zu heilen, aber er ist in seinem Inneren stark. Er glaubt, Heather ist bei<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

ihm, er wird alle Kraft mobilisieren und Kämpfen.“ „Danke John.“, sagte Allison in brünstig.<br />

„Jetzt ruh dich aus.“ „Falls du <strong>mich</strong> brauchen solltest, ruf <strong>mich</strong>.“, murmelte Locke mit<br />

schwacher Stimme, während er schwerfällig zu seiner Zelle zurückging.<br />

In den nächsten Stunden schien Allison die Einzige zu sein, die nicht im Tiefschlaf lag.<br />

Dass es Jake und Booth merklich besser ging, hatte die junge Frau motiviert. Sie sah ab-<br />

wechselnd nach den drei Männer, schaute ab und zu auch in House‟ Zelle, blieb immer wieder<br />

bei Ziva und Heather am Gitter stehen, aber außer gleichmäßiger Atemzüge und ab und zu<br />

leisen Schnarchern war aus keiner der Zellen etwas zu hören. Das Fieber der beiden Kranken<br />

sank ganz langsam, aber es sank. Bei Booth lag es inzwischen bei durchaus vertretbaren 38,6<br />

bei Jake war es erst mal seit einer kleinen Ewigkeit unter 40,0 gesunken, mit fallender<br />

Tendenz. Beide Männer lagen vollkommen entspannt und schliefen einfach gelöst tief und fest.<br />

Und Allison machte sich nichts vor: in der derzeitigen Situation war es für die Beiden das<br />

Beste, was ihnen passieren konnte. Schlaf war eben in vielen Fällen einfach noch die beste<br />

Medizin.<br />

Allison saß bei Booth, als dieser erwachte. Sie hatte sein Gesicht gerade feucht ab-<br />

gewischt, als er seufzend die Augen aufschlug. „Hey, du bist immer noch nicht Bones ...“,<br />

nuschelte er matt. Er sah sich müde und etwas orientierungslos um. „Wie lange ... Man, ich<br />

fühl <strong>mich</strong>, als ob ich von Ziva durch drei Marathons gejagt wurde. Was habt ihr bloß mit mir<br />

gemacht?“ Allison lächelte. „Du warst der Meinung, Jake in Sachen Fieber einholen zu<br />

müssen. Wir haben uns wirklich große Sorgen um euch gemacht. Aber jetzt scheinst du auf<br />

dem besten Wege zu sein, dich zu erholen.“ Dass er diese Tatsache scheinbar Locke zu ver-<br />

danken hatte, verschwieg sie wohlweislich erst mal. Booth sah sie erschöpft an. Obwohl er<br />

scheinbar etliche Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich unglaublich müde und zerschlagen.<br />

Er schluckte trocken. „Kannst du mir etwas zu Trinken geben, bitte?“, fragte er verlegen.<br />

„Natürlich.“ Allison griff sofort zur Wasserflasche, half Booth vorsichtig, den Kopf zu heben<br />

und gab ihm das dringend notwendige Wasser. Als er getrunken hatte, fragte er schwerfällig:<br />

„Wie geht es Tempe? Ist sie okay?“ Allison war glücklich, dass sie ihm nichts vorzumachen<br />

brauchte. „Ja, ja es geht ihr gut, sie schläft seit Stunden, wie alle anderen, und das solltest du<br />

auch wieder machen. Der Fieberschlaf war nicht erholsam, deshalb fühlst du dich auch so zer-<br />

schlagen. Versuche, wieder einzuschlafen und wenn du dann aufwachst, wirst du dich um<br />

einiges besser fühlen, glaube mir.“ Booth sah sie aus leicht glasigen Augen an. „Bones geht es<br />

wirklich gut?“ „Deutlich besser als dir, Seeley, und nun versuche, zu schlafen okay?“ Allison<br />

lächelte und legte dem jungen Mann eine Hand auf die Stirn. „Schlaf.“, sagte sie noch einmal<br />

eindringlich und Booth nickte. Augenblicke später verrieten tiefe, gleichmäßige Atemzüge,<br />

dass er wieder eingeschlafen war.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron eilte nun schnellstens wieder ans Bett des Sorgenkindes Jake. Als sie sich<br />

gerade wieder zu ihm ans Bett gesetzt hatte, regte sich einige Zellen weiter House auf seinem<br />

Bett. Erschrocken fuhr er hoch, schwang die Beine aus dem Bett und humpelte, so schnell es<br />

ihm möglich war, zu ihr in Jakes Zelle. „Du hast <strong>mich</strong> viel zu lange schlafen lassen. Wie geht<br />

es ...“ Er warf einen Blick auf Jake und sah sofort mit geschultem Auge, dass es dem Jungen<br />

erheblich besser ging. „Es geht ihm besser. Das ist ... Wie geht es Booth?“ „Auch besser.<br />

Deshalb habe ich dich schlafen lassen. Es geht beiden besser. Das Fieber sinkt, Booth war<br />

gerade einige Minuten wach, er ist klar gewesen und gerade wieder eingeschlafen.“ „Was ist<br />

denn passiert, dass es beiden ... Das ist ... Wie ist das möglich?“ House maß selbst kurz bei<br />

Jake Fieber und stellte fest, dass es bei 39,2 lag. Allison überlegte, wie sie ihm erklären sollte,<br />

was geschehen war. „Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat, aber John hat Booth geheilt und<br />

Jake die Illusion vermittelt, Heather sei bei ihm, um seinen Willen zu mobilisieren.“ Allison<br />

wartete darauf, das House gehässig lachen würde, aber seit der Sache mit dem Nagelbrett war<br />

House der Geschichte mit den besonderen Fähigkeiten viel aufgeschlossener gegenüber. Ohne<br />

Erinnerung daran, dass er selbst Locke gebeten hatte, sich um Booth zu kümmern, fragte<br />

House: „Er war auch wach?“ Cameron nickte. „Nicht nur wach, er war bei Booth und an-<br />

schließend hier bei Jake. Greg, dieser Mann ist ... unheimlich, unglaublich, ich weiß auch<br />

nicht. Er macht mir Angst, Unbehagen. Angst nicht im negativen Sinne, aber ... ich weiß auch<br />

nicht.“ Sie konnte ihre Gefühle bezüglich John Locke nicht definieren. House nickte ver-<br />

ständnisvoll, dann humpelte er langsam zu Booth hinüber. Er hätte kein Fachmann sein<br />

müssen, um zu sehen, dass es dem FBI Agent erheblich besser ging. Entspannte Gesichtszüge,<br />

ruhige, gleichmäßige Atmung, das Gesicht nicht mehr vom Fieber gerötet, lag er da und schlief<br />

tief und fest seiner Genesung entgegen. House drehte sich herum und sah durch die Gitterstäbe<br />

hindurch bis in John Lockes Zelle. - Wie immer du das gemacht hast, Mann, so, wie ich das<br />

sehe, darfst du dich ohne weiteres Rühmen, zwei Leben gerettet zu haben. <strong>Die</strong> Beiden haben<br />

dir einiges zu verdanken. Hoffentlich hat es sich gelohnt. - Und House meinte mit gelohnt<br />

nicht, ob die beiden jungen Männer es wert gewesen waren ...<br />

Nach und nach wachten die ersten Gefangenen langsam auf. Der erste, der zu sich kam,<br />

war Gil. Schlaftrunken setzte er sich in seinem Bett auf und sah sofort zu Jake hinüber. „Hey.<br />

Wie geht es Jake und den anderen? Bones und Gibbs, sind sie okay?“ Er machte sich immer<br />

noch Vorwürfe, dass er nicht schneller gewesen war, um den Beiden das Ersticken zu ersparen.<br />

Dabei sagte Grissom sich selbst immer wieder, dass er auf jedem Fall sechzig Minuten ge-<br />

rechnet hätte, egal, wie schnell oder langsam er gewesen wäre. <strong>Die</strong> Entführer hatten sechzig<br />

Minuten Zeitvorgabe gehabt und die hätte er nicht unterschreiten können. Trotzdem schlug ihm<br />

das Gewissen. Immer wieder sah er die leblosen Körper Tempes und Gibbs‟ vor sich. Gil<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schüttelte entschieden den Kopf. Nein, er durfte sich nicht von vergangenen Sachen herunter<br />

ziehen lassen. Hier musste man für die Gegenwart und die Zukunft gewappnet sein, durfte sich<br />

nicht damit schwächen, über Vergangenes, das nicht mehr zu ändern war, nachzugrübeln.<br />

House und Allison hatte sich herum gedreht, als hinter ihnen die Stimme Gils erklang. Jetzt<br />

sagte Cameron freundlich: „Guten Morgen, mach dir keine Sorgen, okay, es geht allen gut und<br />

auch Jake und Booth geht es deutlich besser.“ Gil nickte verstehend. Dann warf er unwillkür-<br />

lich einen Blick in die leere Zelle neben ihm. - Ihr seid umgebracht worden, ohne dass wir<br />

etwas hätten tun können. Wenigstens war es uns möglich, Bones und Gibbs zu retten. - dachte<br />

er bedrückt. Gil schwang die Beine aus dem Bett und wankte verschlafen zum Waschbecken.<br />

Er klatschte sich händeweise Wasser ins Gesicht, um zu sich zu kommen. Dann trat er an das<br />

Gitter und lehnte sich dagegen. „Von Mulder und Kate habt ihr nichts gesehen oder gehört,<br />

vermute ich?“<br />

Allison schüttelte den Kopf und House sagte hasserfüllt: „Den Beiden wird es sicher<br />

ganz hervorragend gehen. Sie werden mit unseren edlen Gastgebern Weihnachten feiern.“ Er<br />

wurde davon unterbrochen, dass eine leise Stimme neben ihm müde und schwach fragte:<br />

„Haben ... haben wir es geschafft?“ Cameron wirbelte herum uns strahlte erfreut. „Hallo, Jake,<br />

da bist du ja endlich wieder.“ Sie griff nach seiner Linken und stich ihm mit einer liebevollen<br />

Geste eine Haarsträhne aus der noch immer ziemlich heißen Stirn. Dann sagte sie beruhigend:<br />

„Ja, wir haben es geschafft, Bones und Gibbs geht es gut. Nun muss es nur noch dir gut gehen,<br />

dann ist ...“ Sie unterbrach sich, denn selbstverständlich war dann nicht alles in Ordnung wie<br />

sie hatte sagen wollen. Jake versuchte, das Gehörte zu sortieren. Dann murmelte er: „Ist<br />

Heather okay?“ Allison nickte. „Mach dir keine Sorgen, ihr geht es gut. Sie schläft, nachdem<br />

sie sich stundenlang um Booth gekümmert hat.“ Ein schwaches Lächeln huschte ganz kurz<br />

über Jakes Gesicht. „War sie ... hier bei mir?“, fragte er verwirrt. „Ich hatte das Gefühl, sie ...“<br />

Er verstummte völlig konsterniert. Cameron sah Jake an, dann schüttelte sie langsam den Kopf.<br />

„Nein, tut mir leid, sie haben sie nicht zu dir gelassen, du hast es dir im Fieberdelirium ein-<br />

gebildet, House und ich waren die Einzigen, die hier bei dir waren.“ Dass Locke ebenfalls bei<br />

dem Kranken gewesen war, wollte sie ihm noch nicht sagen, Jake hätte es in seinem ge-<br />

schwächten und verwirrten Zustand ohnehin nicht verstanden. Wenn es ihm besser ging, würde<br />

sie versuchen, ihm das, was da geschehen war, irgendwie zu erklären.<br />

„Ich habe furchtbaren Durst.“, sagte dieser gerade schwach. House bückte sich und<br />

reichte Cameron eine Wasserflasche. Fürsorglich hob diese Jakes Kopf an und gab ihm dann<br />

reichlich zu trinken. „Danke.“, seufzte dieser schließlich leise. „Ich bin total fertig, als hätte ich<br />

tagelang nicht geschlafen.“ House grinste. Er freute sich aufrichtig, dass es dem jungen Mann<br />

besser ging. „Du hast heftiges Fieber gehabt, nachdem du mit der Muräne spielen musstest,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cowboy. Wenn hier jemand tagelang nicht geschlafen hat, dann sind wir das.“ Verständnislos<br />

schaute Jake zu House auf. Cameron schüttelte den Kopf. „Du hattest sehr hohes Fieber, da<br />

schläft man nicht entspannt und gut, deshalb fühlst du dich so zerschlagen. Deine Wunde hat<br />

sich infiziert, weißt du. Wir sollten mal nach ihr gucken.“, erklärte sie ruhig. Kurz zuckte<br />

Angst über Jakes Gesicht. Schwach und verschwommen erinnerte er sich an extrem heftige<br />

Schmerzen. Cameron bekam diese sehr wohl mit und sagte sofort beruhigend: „Hab keine<br />

Angst, wir werden dir nicht wieder so wehtun müssen, mach dir keine Sorgen. Aber das ließ<br />

sich leider nicht vermeiden. Es tut mir so leid.“ Jake atmete tief ein, dann sagte er matt: „Schon<br />

okay, ich hab‟s nur halb mit bekommen, glaube ich.“ Mit einem mulmigen Gefühl streckte er<br />

den Arm aus und hielt ihn den Ärzten hin. Ganz sanft und vorsichtig entfernte Cameron den<br />

Verband und sah sich zusammen mit ihrem Chef die Bisswunde an. Keine neuen Ent-<br />

zündungsherde, alles sah sauber und trocken aus. Zufrieden nickte House. „Sieht so aus, als<br />

können wir das Amputationsbesteck erst mal wieder weg packen.“, sagte er todernst. Jake<br />

zuckte unwillkürlich zusammen, er war einfach zu angeschlagen, um House‟ Worte sofort zu<br />

durchschauen. Cameron schüttelte den Kopf. „Rede doch keinen Blödsinn.“, sagte sie ärgerlich<br />

und warf House einen vernichtenden Blick zu. „Reich mir lieber das Desinfektionsmittel.“<br />

House reichte ihr grinsend das Octenisept und Cameron tränkte einen Tupfer mit der Des-<br />

infektionslösung. Sanft und vorsichtig tupfte sie die Wunde damit ab. Jake schossen Tränen in<br />

die Augen, es brannte an einigen Stellen heftig, aber er hielt still.<br />

Als Cameron die Wunde rundum versorgt hatte, legte sie mit geschickten Fingern einen<br />

neuen Verband an und zog eine Spritze mit Linezolid auf und injizierte das Mittel in die<br />

Venenkanüle. „Was ist das ...?“, fragte Jake müde. Allison war dabei, den kleinen Verband von<br />

Jakes rechter Hand abzuwickeln und erklärte ihm freundlich: „Ein sehr gutes Antibiotikum,<br />

dass die uns dieses Medikament überhaupt gegeben haben ist erstaunlich. Wenn es vernünftig<br />

angeschlagen hat, wird es schnell helfen.“ Sie hatte den Verband entfernt und sah sich die<br />

Wunde an der Hand genau an. <strong>Die</strong>se verheilte allerdings problemlos. „Das sieht gut aus. Haie<br />

bekommen dir scheinbar besser als Muränen.“ Allison legte einen frischen Verband an und sah<br />

dann in Jakes blasses und müdes Gesicht. „Hör zu, Jake, du solltest versuchen, wieder zu<br />

schlafen, okay. Es wird deinem Körper helfen, sich zu erholen, wenn du vernünftig schläfst.<br />

Das Fieber hat dich völlig ausgezehrt. Du kannst dich nur erholen, wenn du viel schläfst. Und<br />

je schneller du wieder gesund wirst ...“ „Desto schneller können die sich den nächsten Spaß<br />

einfallen lassen, war es das, was du sagen wolltest?“, unterbrach Jake sie kraftlos und<br />

resigniert. Cameron biss sich auf die Lippen und House biss wütend die Zähne zusammen.<br />

Gedacht hatten es beide Ärzte. „Nein, das wollte ich nicht sagen.“, log Allison wenig über-<br />

zeugend. „Ich wollte sagen, je schneller du gesund wirst, desto weniger Sorgen braucht<br />

Heather sich zu machen.“<br />

583


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

*****<br />

Sawyer wanderte über ein Schlachtfeld. Er suchte nach etwas, war sich aber nicht<br />

sicher, ob es gut war, es zu finden. <strong>Über</strong>all um ihn herum lagen Tote und Verletzte, eigen-<br />

artigerweise aus den verschiedensten Kriegen. Er erkannte die Uniformen von Nazis, die<br />

blauen und grauen Anzüge der Nord- und Südstaaten Armeen, altertümliche Uniformen,<br />

Männer in Rüstungen der Kreuzritter ... Ein verwirrendes Durcheinander. Vor ihm schossen<br />

aus einem Schützengraben plötzlich einige Süd-Vietnamesen hoch und brüllten ihm wild<br />

gestikulierend irgendetwas zu, was er nicht verstand. Hinter sich hörte er ein eigenartiges<br />

Pfeifen und dann geschah es. Unmittelbar neben ihm fiel mit lautem Krachen eine Napalm<br />

Bombe auf den Boden. <strong>Die</strong> Vietnamesen standen von einer Sekunde zur anderen in Flammen<br />

und Sawyer sah die Flammenwand auch auf sich zu rasen und schrie vor Entsetzen. Bevor er<br />

noch reagieren konnte, spürte er die Flammen um sich, sah an sich herunter, sah, wie seine<br />

Haut Blasen warf, wie sie regelrecht weg schmolz. Er starb ....<br />

Mit einem entsetzten Keuchen fuhr er aus dem Albtraum hoch. Er war Schweiß ge-<br />

badet. Kate hatte auf dem Sofa gesessen, als sie Sawyer von einer Sekunde zur anderen plötz-<br />

lich unruhig werden hörte. Sie war aufgestanden, um nach ihm zu sehen und trat gerade ans<br />

Bett, als er mit einem entsetzten Keuchen aus dem Schlaf hoch schoss. Sie rutschte zu ihm auf<br />

das Bett und sah ihn besorgt an. Ausgesprochen genervt sah Sawyer Kate an. „Hey, hab dich ja<br />

offensichtlich nicht wieder geweckt, was?“ „Nein, diesmal nicht. Was war? Schon wieder ein<br />

Albtraum?“ Kate konnte Sawyer so unendlich gut verstehen. Sie wurde ja selbst immer wieder<br />

von Albträumen heim gesucht, seit ... <strong>Die</strong> junge Frau fragte sich, was sie machen konnten, um<br />

den Horror zu verarbeiten. Ein Psychologe hätte ihr erklären können, dass Sawyer und auch sie<br />

selbst unter posttraumatischem Stress litten und noch lange brauchen würden, um den Horror<br />

zu verarbeiten. Dass die Sicherheit, in der sie sich im Augenblick befanden, mehr als trügerisch<br />

war und jederzeit durch den nächsten Schrecken ersetzt werden konnte, machte es nicht gerade<br />

leichter. Natürlich hätte die Beiden über das Reden müssen, was geschehen war, um<br />

wenigstens den Versuch zu unternehmen, das Grauen zu verarbeiten, aber beide waren es nicht<br />

gewohnt, dass jemand da war, der ehrlich an ihnen interessiert war. Beide waren in<br />

schwierigen Lebenslagen immer allein gewesen und hatten gelernt, ihre Gefühle tief in sich zu<br />

verschließen. Natürlich wussten sie, dass Verleugnen extreme Erfahrungen nicht ungeschehen<br />

machte, aber eine andere Strategie hatten beide nie gelernt. Der gesunde Menschenverstand<br />

sagte Kate zwar, dass es besser gewesen wäre, über all das Geschehene zu reden, über ihre<br />

Ängste, ihre Gefühle, aber sie wusste, wenn sie Sawyer bedrängte, würde er dicht machen und<br />

584


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

kein Wort mehr von sich geben. Wenn sie ihn dazu bringen wollte, über seine eigenen<br />

Empfindungen zu sprechen, musste sie dies sehr geschickt anfangen.<br />

Sie setzte sich eng zu ihm und ließ sich von ihm umarmen. Dann sagte sie leise und mit<br />

vor Schrecken immer noch bebender Stimme: „Ich habe nie zuvor in meinem Leben so eine<br />

Angst gehabt. Nicht mal, als ich als Kind unter Sandmassen verschüttet wurde. Da hatte ich<br />

wohl teilweise Todesangst, aber das war was anderes.“ Sie verstummte. Sie wusste nicht, wie<br />

sie ihm ihre Empfindungen richtig erklären sollte. <strong>Die</strong> entsetzliche Angst, ohne ihn weiter<br />

leben zu müssen. <strong>Die</strong> absolute Hilflosigkeit, Ohnmacht, noch irgendetwas für ihn tun zu<br />

können, all das war für Kate schwer in Worte zu fassen. <strong>Die</strong> entsetzliche Leere, die sie gespürt<br />

hatte, als sein Monitor Nulllinie anzeigte. Sie stammelte, während ihr Tränen über die Wangen<br />

kullerten: „Weißt du ... <strong>Die</strong>ses Gefühl, nichts mehr für dich tun zu können ... Ich wusste, ich<br />

verliere dich. Ich hatte wirklich den Eindruck, ich verliere jeden Moment den Verstand. Ohne<br />

dich weiter leben zu müssen ... Noch einmal ertrage ich das nicht, dann verabschiedet sich<br />

mein Verstand wirklich. Gott, ich hatte solche Angst ...“ Sie kroch fast in Sawyer hinein in<br />

dem Bemühen, ihm noch näher zu kommen. „Halt <strong>mich</strong> fest und lass <strong>mich</strong> nie wieder los,<br />

bitte.“<br />

„Man, da kann man ja neidisch werden. <strong>Die</strong> haben sich gesucht und ge-<br />

funden. Wer hätte das gedacht.“<br />

Lieben.“<br />

„Ich hätte jede Wette gehalten, dass Ford gar nicht fähig ist, so zu<br />

„Und ich hätte nie gedacht, dass Austen sich so aufgeben könnte für<br />

einen anderen Menschen. Nicht bei ihrer Einstellung.“<br />

„<strong>Die</strong> Beiden sind das perfekte Beispiel dafür, dass außergewöhnliche<br />

Umstände außergewöhnliche Maßnahmen nach sich ziehen.“<br />

„Wenn sie getrennt agieren müssen, dürfte es Probleme geben.“<br />

„Da könntest du Recht haben. Na, wir werden es ja erleben. Nicht mehr<br />

allzu lange, und die ersten Feldversuche stehen an.“<br />

„Da sind wir wohl alle sehr gespannt drauf, denke ich.“<br />

„Weiß schon einer, wer die Ersten sein werden?“<br />

„Nein, steht noch gar nichts fest.“<br />

Sawyer hatte Kate schweigend zugehört. Er hatte die Arme fest um sie gelegt und<br />

spürte ihr Zittern. Er vergrub sein Gesicht in Kates langen Haaren und hielt sie einfach fest. Er<br />

spürte, wie all die Anspannung, die sich in ihm angesammelt hatte, dringend nach einem Ventil<br />

suchten. Dass er hatte umgebracht werden sollen und es nur den eigenartigen Launen der Ent-<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

führer zu verdanken hatte, dass er noch am Leben war, ging selbstverständlich auch an Sawyer<br />

nicht einfach vorbei. Dass Kate ihn nicht fragte, nicht bedrängte, was er empfand, fand er sehr<br />

angenehm. Seine Gefühlswelt war derart durcheinander, dass er nicht annähernd hätte be-<br />

schreiben können, was in ihm vorging. Trotzdem spürte er, dass es ihm geholfen hätte, etwas ...<br />

„Es tut mir leid, Freckles, wenn ich ... Es ist ... Als ich da in der Gaskammer hockte, und dich<br />

plötzlich sah ... Ich wollte nicht, dass du <strong>mich</strong> ... sterben siehst, gleichzeitig wollte ich nicht ...<br />

Ich hab mir gewünscht, dein Gesicht bis zum letzten Moment zu sehen, weißt du.“ Sawyer<br />

merkte gar nicht, dass ihm ebenfalls Tränen über die Wangen liefen. Kate hörte nur<br />

schweigend zu. Worte hätten nur gestört. Sie wollte, dass er weiter sprach, wenigstens etwas<br />

von dem, was ihn bewegte, raus ließ. „Ich hab <strong>mich</strong> wie ein mieser Egoist gefühlt. Ich dachte<br />

die ganze Zeit, dass es ... was ich dir damit antue.“ Sawyer merkte den Denkfehler nicht, den er<br />

machte. Nicht er hatte entschieden, dass die anderen Gefangenen Zeugen seiner und Danas<br />

Hinrichtung werden sollten, sondern die Entführer. Kate sah diese Tatsache sofort. „Baby,<br />

nicht du hast entschieden, dass ich es mit ansehen musste, das waren diese kranken<br />

Schweine.“, sagte sie leise. Sawyer stutzte kurz, dann nickte er langsam. „Ist richtig, aber dass<br />

ich mir gewünscht habe, dich bis zum letzten Moment zu sehen ... Es hat mir so sehr geholfen.<br />

Und dich so schrecklich gequält. Es tut mir so unendlich leid. Ich hatte nicht das Recht, das zu<br />

wollen.“ Verzweifelt schwieg er.<br />

Kate hob den Kopf und sah ihm ins Gesicht. „Ich habe es dir schon einmal gesagt und<br />

ich wiederhole es gerne noch mal: Wenn es das Einzige ist, was uns am Ende bleibt, dem<br />

anderen beim Sterben zuzuschauen, dann ist es das. Ich wäre mit dir gegangen, wenn ich ge-<br />

konnt hätte, das hätte mir weniger Angst gemacht als die Vorstellung, ohne dich weiter ...“ Sie<br />

brach erschüttert ab. Sawyer küsste sie zart und flüstere: „Ich liebe dich.“ Dann schwieg er<br />

kurz und fuhr schließlich sehr leise fort: „Wenn ... Ich weiß nicht, ob ich noch einmal so ... Ich<br />

habe Angst, falls die es doch noch irgendwann ernst meinen, ob ich wieder die Kraft habe ...<br />

Kate, die Einschläge kommen dichter. <strong>Die</strong> Bestrafung, der Galgen, das hier ... Ich habe keine<br />

Ahnung, wie lange ich das noch schaffe, ohne selbst den Verstand zu verlieren. So oft inner-<br />

halb so kurzer Zeit fast umgebracht zu werden ... Beim nächsten Mal habe ich vielleicht ...“ Er<br />

biss sich auf die Lippe und verstummte. Er schaffte es nicht, ihr zu erklären, dass er die größte<br />

Angst davor hatte, Angst zu haben. Kate verstand, worauf Sawyer hinaus wollte. „Bitte, das<br />

darf einfach nicht noch einmal ... Aber ich bin sicher, wenn ... Du würdest es schaffen, das<br />

weiß ich. Du bist so ... stark, du würdest ihnen wieder ins Gesicht spucken. Aber es wird kein<br />

nächstes Mal geben, hörst du, das darf es einfach nicht, es darf nicht ... Ich würde es nicht er-<br />

tragen ... ich will dich nicht verlieren ... ich brauche dich so sehr ...“ Kate Stimme war immer<br />

panischer geworden und jetzt drückte sie Sawyer an sich und er streichelte ihr beruhigend über<br />

den nackten Rücken. Seine Lippen küssten ihr tränenüberströmtes Gesicht. Kate erwiderte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

seine Küsse mit einer geradezu verzweifelten Leidenschaft. Ihre Hände glitten über seinen<br />

warmen Körper, strichen über seine Haut und Sawyer empfand jede ihrer Berührungen wie<br />

einen Stromschlag, der durch ihn hindurch fuhr. Seine Hände fuhren mit nicht weniger Er-<br />

regung über Kates weichen, beweglichen Körper und innerhalb weniger Minuten hatten sie<br />

sich gegenseitig so in Ekstase gebracht, dass sie sich mit einer Leidenschaft liebten, als wäre es<br />

wirklich das letzte Mal.<br />

Phase 4: Am Boden<br />

Das ist so im Leben der Heiligen und Helden: es gibt Stunden<br />

der Verblendung, der Verwirrung, des Unterliegens.<br />

Alphonse Daudet<br />

Happy New Year ...<br />

Jeder hat Grund, den Beginn des neuen Jahres zu feiern, er hat ja das Alte<br />

überlebt.<br />

Lothar Schmidt<br />

Einige Tage waren vergangen. Tage, in denen Jake und Booth sich erstaunlich schnell<br />

erholt hatten. Tage, in denen die erschöpften Gefangenen versucht hatten, zu verarbeiten, was<br />

in den schlimmsten zehn Stunden der Gefangenschaft geschehen war. Tage, in denen immer<br />

wieder über Scully und besonders Sawyer gesprochen wurde, der mit seiner auffälligen,<br />

schnoddrigen, frechen Klappe ein großes Loch hinterlassen hatte. Wie oft hatte er in den un-<br />

erträglichsten Situationen mit einer dummen Bemerkung zum richtigen Zeitpunkt die <strong>Anderen</strong><br />

zum Grinsen gebracht, hatte mit dummen Sprüchen die Gefangenschaft wenigstens für kurze<br />

Momente erträglicher gemacht. Das war nun vorbei. Seine Stimme würde nie wieder im<br />

Kerker für etwas bessere Laune sorgen. Nachdem House und Cameron sich nicht mehr um<br />

Jake und Booth kümmern mussten, brach besonders über Allison die Tatsache, dass Sawyer tot<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

war, umgebracht, gnadenlos gekillt, wieder wie eine Woge zusammen. <strong>Die</strong> Tatsache, dass<br />

sowohl Booth als auch Jake sich gut erholten, riss die junge Ärztin aber immer wieder aus den<br />

trüben Gedanken heraus. Angst hatten alle vor dem Moment, wenn Mulder und Kate wieder zu<br />

ihnen gebracht werden würden. Dass das geschehen würde, war allen klar. Erst einmal jedoch<br />

kam unerwartet und herrisch der Befehl via Lautsprecher: „Los, alle hoch und an die Gitter.“<br />

Kaum war die Aufforderung ergangen, sich an die Zellentüren zu bewegen, beeilten<br />

sich auch schon alle Gefangenen, diesem Befehl Folge zu leisten. Wächter kamen, fesselten<br />

Hände zusammen und führten zum Teil vor Angst zitternde Gefangene aus dem Kerkertrakt<br />

und draußen den Flur entlang, bis dieser am Ende einen 90 ° Knick machte. Hier wurden sie in<br />

einen großen Raum geführt und glaubten, ihren Augen nicht trauen zu können. Der Raum war<br />

mit Papierschlangen geschmückt, ein großer Tisch, U-förmig aufgebaut und gedeckt für je<br />

sechs Personen rechts und links außen und vier Personen an der Stirnseite. Den Gefangenen<br />

wurden die Fesseln gelöst und einer der Wachen sagte ruhig, als wäre es das Natürlichste auf<br />

der Welt: „Setzt euch.“ Einige Sekunden standen alle noch ein wenig unschlüssig herum, dann<br />

machten Bones und Booth den Anfang, setzten sich nebeneinander an den Tisch. Jake nahm<br />

Heather an die Hand und die Beiden setzten sich Booth und Bones gegenüber. House zog<br />

Allison hinter Heather und Jake her, ihnen folgten Sara und Gil. Ziva, Gibbs, Abby und Locke<br />

nahmen neben Booth Platz. Auf dem Tisch, der komplett gedeckt war mit tiefen und fachen<br />

Tellern, Salatschüsseln, Wein und Sherrygläsern sowie Wassergläsern, standen bereits mehrere<br />

Flaschen 1982er Château Ducru-Beaucaillou sowie zwei Flaschen Sherry, Oloroso extra viejo,<br />

eine Rarität, wie Gil mit Kennerblick fest stellte. Er sah Sara an und sagte: „Der Sherry dürfte<br />

pro Flasche um die 200 - 220 $ kosten ...“ House nahm eine Flasche des Rotweins in die Hand<br />

und sah sich das Etikett an. „Der ist noch teurer, die spinnen ...“, meinte er kopfschüttelnd. Er<br />

griff nach einem auf dem Tisch liegenden Korkenzieher und öffnete eine Flasche des edlen<br />

Rotweins. Gibbs machte das Gleiche auf seiner Tischseite und reichte die geöffnete Flasche<br />

dann an Bones, die sich und Booth einschenkte. <strong>Die</strong> Wachen verließen bis auf vier, die sich auf<br />

die verbleibenden Plätze an der Stirnseite des Tisches setzten, den Raum.<br />

Alle saßen angespannt da und harrten der Dinge, die kommen würden. Das Ganze war<br />

unwirklich und beunruhigend, zumal vor dem Tisch, unmittelbar vor der U-förmigen Passage,<br />

zwei Metallstangen aus dem Boden gefahren wurden, wie sie allen von der Plattform her unan-<br />

genehm bekannt vorkamen. Alle hatten sich Wein eingeschenkt, die ersten drei Flaschen waren<br />

dabei geleert worden. Plötzlich knisterte es statisch aus einem Lautsprecher und eine Ansage<br />

erfolgte. „Gefangene. Heute ist der letzte Tag eines überaus erfolgreichen Jahres. Da wir mit<br />

euren Fortschritten einigermaßen zufrieden sind, geben wir euch die einmalige Gelegenheit,<br />

am heutigen Silvesterabend hier ein gutes Essen zu euch zu nehmen und ein paar entspannte<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Stunden zu verbringen. Genießt die Zeit, man weiß nie, was als nächstes kommt.“ Kalt und<br />

sarkastisch klangen die letzten Worte und allen Gefangenen lief eine Gänsehaut über den<br />

Rücken. Und dann ging die Tür des Raumes auf und vier Gestalten mit dunklen Säcken über<br />

den Köpfen wurden in den Raum geführt. <strong>Die</strong> Gefangenen starrten erschrocken zu den vier<br />

Personen hinüber. <strong>Die</strong>sen wurden die Säcke von den Köpfen genommen und die Handfesseln<br />

gelöst. Und nun brach ein regelrechter Tumult unter den Gefangenen aus. Niemand anderes als<br />

Sawyer, Dana, Kate und Mulder standen blinzelnd und verwirrt da und starrten überrascht in<br />

die Gesichter ihrer Mitgefangenen.<br />

Allison war die Erste, die sich fing. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob<br />

es ihr erlaubt war oder nicht, sprang sie auf und war mit ein paar schnellen Schritten bei den<br />

vier Neuankömmlingen. Sie fiel lachend und weinend gleichzeitig Sawyer um den Hals, der<br />

hoffnungslos verlegen da stand und sich, genau wie Dana, von allen anderen ebenfalls um-<br />

armen und auf die Schulter klopfen ließ. Alles redete durcheinander und keiner verstand wirk-<br />

lich, was der Andere von sich gab. „Das gibt es nicht ...“ „Ihr lebt ...“ „Ich verstehe nicht ...“<br />

„Mein Gott, das ist ja ...“ „Wie kann das sein?“ „Wo wart ihr denn die ganze Zeit?“ „Wie fühlt<br />

ihr euch?“ „Was haben die gemacht?“ Es dauerte lange, bis sich alle soweit beruhigt hatten,<br />

dass sie wieder am Tisch Platz nahmen, Sawyer, Kate, Mulder und Scully an der Stirnseite, die<br />

vier Wachen waren jetzt verschwunden. Booth war es, der eine der Sherry-Flaschen öffnete,<br />

wie ein Kellner herum ging und allen einschenkte. Zurück an seinem Platz hob er noch stehend<br />

sein Glas, prostete den anderen zu und sagte mit leicht belegter Stimme: „Dana, Sawyer, ich<br />

weiß nicht, wieso ihr noch am Leben seid, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich darüber<br />

sehr, sehr froh bin. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, dass es unerträglich<br />

war, euch beim ... Sterben zusehen zu müssen. Kate, Spooky, ich wünsche euch nichts so sehr,<br />

als dass ihr so was nie wieder durchmachen müsst.“ <strong>Die</strong> Stimme versagte dem jungen FBI<br />

Agent und er war nicht der Einzige am Tisch, der Tränen in den Augen hatte. Bis auf Scully<br />

und Sawyer, denen ebenfalls Tränen über die Wangen liefen, erhoben sich alle und Gibbs sagte<br />

laut: „Willkommen zurück in unserem trauten Kreis.“ Im Chor wiederholten die anderen<br />

„Willkommen zurück.“ Booth wandte sich nun zu House und Cameron herum und hob erneut<br />

sein Glas. „Und wo wir schon mal dabei sind, Doc, Doc, ich weiß nicht, wie ich euch danken<br />

soll, was ihr für <strong>mich</strong> getan habt. Ihr habt mir den Arsch gerettet, und nicht nur mir.“ Jake er-<br />

hob sich ebenfalls und erklärte mit Tränen in den Augen: „Ich kann <strong>mich</strong> Booth nur an-<br />

schließen. Ihr habt uns quasi mit Spucke und Wasser zusammen geflickt. Wie lange ihr bei uns<br />

gesessen und um unser Leben gekämpft hat weiß ich nicht, aber ...“ Dem jungen Mann blieb<br />

die Stimme weg und er musste einige Male tief einatmen. Schließlich stieß er mit Tränen<br />

kämpfend hervor: „Ich danke euch ...“ Gibbs prustete. „Auch Bones und ich haben euch unser<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Leben zu verdanken. Auf House und Allison!“ Alle hoben noch einmal die Gläser. „Auf House<br />

und Allison!“<br />

Gerade, als alle sich wieder nieder gelassen hatten, ging die Tür auf und zwei Wachen<br />

sowie zwei Kellner in schwarzen Anzügen betraten den Raum. Sie arbeiteten schnell und ver-<br />

teilten Teller mit einer Vorspeise, Garnelen am Spieß mit Curry-Ingwer Sauce und Duftreis.<br />

Ungläubig starrten alle eine halbe Sekunde lang auf die Teller, dann griffen sie nach dem Be-<br />

steck und begannen, das ausgezeichnete Silvesterdinner zu genießen. Nach den Garnelen<br />

wurde Kraftbrühe mit Creperöllchen und Eierstich serviert. Unterhaltung kam noch nicht auf,<br />

alle waren viel zu sehr mit Essen beschäftigt. Kate und Mulder sahen immer wieder zu ihren<br />

Partner, die sehr wohl die verstohlenen Blicke der anderen spürten. Nach der äußerst leckeren<br />

Kraftbrühe wurde der Hauptgang serviert. Es gab Schweinefilet mit Steinpilzen in Kräuterrahm<br />

mit Spätzle und Salat. Selbst Sara und Kate überwanden sich und versuchten das zarte Filet.<br />

Als sich nun nach und nach bei allen deutliches Sättigungsgefühl breit machte und der Rotwein<br />

für eine etwas gelockerte Stimmung gesorgt hatte, fragte Heather schließlich: „Was haben<br />

diese kranken Typen denn mit euch gemacht?“ Sawyer biss sich auf die Lippe. Dann sagte er<br />

leise: „Sie haben statt Giftgas ein Narkosegas in die Kammer geleitet. <strong>Die</strong> Monitore waren<br />

getürkt. Kate und ich waren die ganze Zeit seit ... Sie haben uns in einem Raum eingesperrt<br />

und gut versorgt.“ Er schwieg und griff unauffällig nach Kates Hand. Mulder sah sich unter<br />

den Leidensgenossen um, sah den Verband an Jakes Arm, die verkrustete kleine Narbe auf<br />

Booth‟ Stirn, und fragte: „Bei euch war auch einiges los, was?“<br />

Verlegenes Schweigen herrschte am Tisch, dann war es Locke, der ruhig erwiderte:<br />

„Nun, während wir alle noch versuchten, damit fertig zu werden, dass sie euch beide vor<br />

unseren Augen umgebracht hatten, hielten unsere freundlichen Gastgeber schon die nächste<br />

<strong>Über</strong>raschung für uns bereit. Sie sperrten Gibbs und Temperance in eine luftdichte Kammer,<br />

und gaben uns acht Stunden Zeit, ihnen das Leben zu retten, indem sie uns acht nette, unter-<br />

haltsame Aufgaben stellten. Jake, Booth, Ziva und meiner Wenigkeit hätten diese kleinen Auf-<br />

gaben fast das Leben gekostet. Aber daran, das Bones und Special Agent Gibbs noch unter uns<br />

weilen, könnt ihr sehen, dass es uns gelang, die Aufgaben zu erledigen.“ Er schwieg und nahm<br />

einen Schluck Wein. Scully wollte gerade fragen, was das denn für Aufgaben gewesen waren,<br />

als ein Knistern im Lautsprecher eine weitere Ansage ankündigte. „Gefangene, wir hoffen,<br />

euch hat das Essen geschmeckt. Wir möchten die Gelegenheit nutzen und euch um kleine<br />

Demonstrationen eures neu erlernten Gehorsams bitten. Nummer 13, du wirst Nummer 9 zu<br />

den beiden Stangen führen, sie entkleiden und zwischen die Stangen fesseln.“ Entsetztes<br />

Schweigen folgte diesen Worten. Heather schossen Tränen in die Augen. Jake holte tief Luft,<br />

spürte aber Heathers Hand auf seinem Arm. Er biss die Zähne zusammen, dass es knirschte,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

schluckte aber alles, was ihm unsinnigerweise auf der Zunge lag, hinunter. Heather erhob sich,<br />

ebenso wie Gil. Stumme Tränen liefen der jungen Frau die Wangen hinunter. Zwischen den<br />

Stangen angelangt, fummelte Gil mit zitternden Händen das Bändchen von Heathers Kittel auf,<br />

zog der jungen Frau diesen aus und legte ihn auf die Tischecke. Dann trat Heather zwischen<br />

die Stangen, streckte zitternd die Arme in die Höhe und ließ sich widerstandslos zwischen die<br />

Stangen fesseln. Gil biss sich auf die Lippe dass es schmerzte, dann kehrte er an seinen Platz<br />

zurück. <strong>Die</strong> Unterhaltung war verstummt. Mulder war es, der Heather einen entschuldigenden<br />

Blick zuwarf und diese nickte unter Tränen kaum merklich. <strong>Die</strong> Entführer erwarteten sicher,<br />

dass die anderen sich weiter normal verhielten. So fragte Mulder so locker wie es ihm möglich<br />

war: „Was waren das für Aufgaben? Jake?“ Jake zuckte zusammen und riss sich gewaltsam<br />

von Heathers Anblick los. Mit zitternder Stimme erzählte er dann von seiner Aufgabe. <strong>Die</strong> vier<br />

lauschten angespannt und Kate hielt geschockt weiter Sawyers Hand fest. Mulder wollte<br />

gerade nach den anderen Aufgaben fragen, als erneut eine Durchsage erfolgte. „Nummer 8, du<br />

wirst Nummer 9 los machen und an ihrer Stelle Nummer 15 ebenfalls nackt zwischen die<br />

Stangen fesseln, mit dem Gesicht zur Tür.“ Kate spürte Sawyers Händedruck, erhob sich lang-<br />

sam und folgte mit leicht zittrigen Beinen Mulder, der sich ebenfalls erhoben hatte. Er wartete,<br />

bis Kate Heather befreit und dieser den Kittel gereicht hatte, dann ließ er sich von Kate den<br />

Kittel öffnen und trat, mit dem Rücken zum Tisch, kommentarlos zwischen die Stangen. Er<br />

streckte die Arme in die Höhe und Kate streckte sich, um diese an Halterungen, ein Stück<br />

höher als vorher bei Heather, zu fesseln. Dann eilte sie an ihren Platz zurück.<br />

<strong>Die</strong>smal war es Locke, der die Unterhaltung vorantrieb. Er forderte Allison und Sara<br />

auf, von ihrer Aufgabe zu erzählen, was die Beiden, sich zur Ruhe zwingend, auch ab-<br />

wechselnd taten. Als die beiden jungen Frauen mit ihrem kurzen Bericht fertig waren, ging die<br />

Tür des Raumes erneut auf. <strong>Die</strong> beiden Kellner kamen zusammen mit einigen Wachen herein,<br />

einen Servierwagen mit sich führend, und räumten in Rekordzeit den großen Tisch ab. Wein<br />

und Sherry ließen sie stehen. Als sie alles abgeräumt hatten, verließen sie zusammen mit den<br />

Wachen den Raum wieder. Einer der Wachposten legte beiläufig eine abschreckend aus-<br />

sehende Riemenpeitsche auf den Tisch. Dann verließ er als letzter ebenfalls den Raum. Ohne<br />

Ausnahme waren alle zusammen gezuckt, als sie die Peitsche sahen. Und dann erfolgte<br />

gnadenlos eine weitere Ansage. „Nummer 3, du wirst die Peitsche nehmen und Nummer 15<br />

damit zehn Schläge auf den Rücken geben. Und denke nicht, wir seien blind, verstanden?<br />

Wenn du es wagst, nicht vernünftig zuzuschlagen, wird einer unserer Leute Nummer 8<br />

zwanzig Schläge geben.“ Sawyer wurde blass. Verzweifelt schloss er kurz die Augen, dann<br />

stand er langsam auf und ging zögernd nach vorne, zum Tischende. Er nahm äußerst wider-<br />

willig die Peitsche in die Hand und trat an Mulder heran. Mit zitternder Stimme sagte er zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

dem Gefesselten: „Man, es tut mir so leid ...“ „Red keinen Quatsch, okay, es ist nicht deine<br />

Schuld. Mach schon und denke an Kate.“<br />

Mulder versuchte krampfhaft, ein Zittern zu unterdrücken. Er biss die Zähne zusammen<br />

und versuchte, sich auf den Schmerz vorzubereiten. Er merkte gar nicht, wie seine Hände sich<br />

zu Fäusten ballten. Sawyer ging es nicht einen Deut besser. Er musste sich zwingen, den Arm<br />

mit der Peitsche zu heben. Als er dann den ersten Schlag auf Mulders Rücken klatschen ließ,<br />

wäre ihm fast das Essen wieder hoch gekommen. Er sah Mulder hilflos zuckend in den<br />

Fesseln, hörte ihn Aufkeuchen und schloss verzweifelt die Augen. Unbändiger Hass tobte in<br />

seinem Innern. Er drehte sich zu Dana und Kate herum und seine Augen bettelten Dana<br />

geradezu um Verzeihung an. Dann wandte er sich wieder zu Mulder herum und holte erneut<br />

aus. Beim vierten Schlag gelang es Mulder nicht mehr, einen gequälten Schrei zu unter-<br />

drücken. Kate zuckte heftig zusammen, genau wie Dana und alle anderen am Tisch. Ihr liefen,<br />

genau wie der FBI Agentin, Tränen über das blasse Gesicht. Sawyer zitterte nicht weniger<br />

heftig als sein wehrloses Opfer. <strong>Die</strong> letzten Schläge führte er schnell und möglichst ohne nach-<br />

zudenken aus. Als er bei zehn angelangt war, fiel ihm nicht nur die Peitsche aus der zitternden<br />

Hand, sondern er selbst gleich auf die Knie. „Es tut mir leid. Verdammt, es tut mir so leid.“<br />

schluchzte er verzweifelt.<br />

„Du wirst dich jetzt hinsetzen, Nummer 3.“ <strong>Die</strong> kalte Stimme fuhr fort, Befehle durch-<br />

zugeben, als spräche sie über das Wetter. Schwer atmend stemmte Sawyer sich auf die Füße<br />

und wankte mehr als dass er ging, an seinen Platz zurück. Kate war egal, was passieren würde.<br />

Sie legte Sawyer einen Arm um die Schulter und zog ihn an sich. „Es war nicht deine Schuld.<br />

Verstehst du, Baby? Es war nicht deine Schuld.“ Sawyer zitterte vor Verzweiflung und Hass<br />

am ganzen Leib. Vereinzelte Tränen liefen ihm noch über die so blass gewordenen Wangen. Er<br />

nickte langsam und flüsterte: „Weiß ich, ja, aber das macht es nicht leichter.“ <strong>Die</strong> beiden<br />

wurden von der nächsten Durchsage unterbrochen. „5 und 13, macht Nummer 15 los.“ Ziva<br />

und Abby sprangen hastig auf, um den armen Mulder aus seiner schrecklichen Lage zu be-<br />

freien. Augenblicke später saß er, keuchend und zitternd, auf seinem Stuhl neben Dana und<br />

sackte mit dem Oberkörper langsam auf den Tisch. Sein Körper war scheißnass. Er brauchte<br />

einige Minuten, um sich zu fangen. Dana legte den Arm vorsichtig, um ihm nicht weh zu tun,<br />

um ihn und fragte sehr besorgt: „Geht es einigermaßen?“ Mulder nickte und richtete sich auf.<br />

Er biss die Zähne zusammen und nickte Sawyer beruhigend zu. Ziva und Abby waren stumm<br />

an ihren Platz zurückgekehrt. Keiner hatte mehr Lust, etwas zu trinken. Alle hatten einmal<br />

mehr Angst vor der nächsten Lautsprecherdurchsage. Und die kam. Schonungslos, kalt, ohne<br />

die geringsten Emotionen.<br />

592


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

„Nummer 11, du wirst jetzt aufstehen, dich entkleiden und zwischen die Stangen<br />

stellen, Gesicht zum Tisch, Arme hinter dem Rücken.“ Sara schrak zusammen. Sie biss sich<br />

auf die Lippe, dann erhob sie sich langsam und ging nach vorne, stellte sich zwischen die<br />

Stangen, wie man es ihr befohlen hatte. Sie fummelte mit zitternden Händen an dem Band<br />

herum, welches ihren Kittel verschloss und als sie es endlich geöffnet bekommen hatte, ließ sie<br />

den Kittel von ihrem Körper gleiten. Mit tränenfeuchten Augen stand sie schließlich da, die<br />

Hände wie befohlen, auf dem Rücken ineinander verkrampft. Am Tisch bemühte Gibbs sich,<br />

das Gespräch aufrecht zu halten. Er sprach Ziva an. „Was musstest du denn machen Ziva? Was<br />

war deine Aufgabe?“ Krampfhaft bemüht, Normalität aufrecht zu erhalten, sagte auch Bones<br />

jetzt: „Ja, erzähl doch, was hast du ... Um uns da raus zu holen.“ Sie tastete unwillkürlich nach<br />

Booth‟ Hand. Ziva schluckte, dann begann sie von ihrem Hindernisparcours zu berichten. Sara<br />

war unendlich dankbar, dass keiner der Gefangenen sie anstarrte. Während Ziva berichtete,<br />

durch welch teuflische Hindernisse sie sich hatte durch arbeiten müssen, warf nur Gil Sara ab<br />

und zu einen aufmunternden Blick zu. Als Ziva bei dem Eiswasserbecken anlangte, ertönte<br />

erneut die Stimme des Lautsprecheransagers. „Nummer 11, zurück an deinen Platz, zieh dich<br />

wieder an.“ Sara bückte sich augenblicklich und schlüpfte wieder in ihren Kittel. Still setzte sie<br />

sich an ihren Platz zurück. Gil griff sich ihre Hand und hielt diese sanft fest.<br />

Eine Weile ließ man sie in Ruhe. Locke stand irgendwann auf und verteilte noch einmal<br />

Sherry in die Gläser seiner Mitgefangenen. Plötzlich öffnete sich die Tür und zwei Wachen<br />

rollten eine der verhassten Liegen in den Raum. Dafür demontierten sie die Stangen. Zwei<br />

weitere Wachen kamen mit zwei Handtüchern, einem großen und einem kleinen, zwei Gieß-<br />

kannen und einem großen Wasserfass auf Rollen in den Raum, stellten die Sachen neben die<br />

Liege und verließen den Raum mit ihren Kollegen wieder. Booth, Ziva, Gibbs und Jake<br />

konnten ein erschrecktes Zusammen zucken nicht verhindern. Sie konnten sich denken, was<br />

das werden würde. Ziva hatte es beim Mossad schon selbst angewandt. Erneut erklang die<br />

kalte Stimme. „Nummer 6, du wirst Nummer 16 auf die Liege schnallen, Arme über den Kopf,<br />

und den Kopf fixieren.“ Bones erhob sich und Gibbs folgte ihr schweigend und mit wild<br />

klopfendem Herzen. Wenn die das machen würden, was er vermutete ... Vor der Liege blieb<br />

Gibbs kurz stehen und atmete tief ein. Dann legte er sich hin. Er spürte, dass das Kopfende der<br />

Liege niedriger eingestellt war als das Fußende und das bestärkte ihn in der Annahme, was mit<br />

ihm geschehen würde. Innerlich zitternd streckte er die Arme über den Kopf und ließ sie sich<br />

von Bones, die ihn verständnislos anschaute, die Hände fesseln. Als nächstes fixierte die<br />

Anthropologin Gibbs‟ Fußgelenke und schlussendlich legte sie den Lederriemen über seine<br />

Stirn und der Kopf den NCIS Agenten war bewegungsunfähig gemacht. „Nummer 6, hin-<br />

setzen.“ Bones eilte an ihren Platz zurück.<br />

593


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Allison hatte, wie die meisten anderen, verständnislos bei den Vorbereitungen zu ge-<br />

schaut. Sie hatte keine Vorstellung, was das werden könnte. Nun ertönte erneut die Stimme<br />

„Nummer 5. Du wirst so freundlich sein und Nummer 9 und 10 erklären, was sie zu tun haben.<br />

Du weißt, was gemeint ist.“ Ziva wurde unter ihrer von Natur aus leicht gebräunten Haut blass.<br />

Allison und Heather schauten zu der jungen Mossad Agentin hinüber und hatten ein großes<br />

Fragezeichen im Gesicht stehen. „Was ...?“, fragte Allison verwirrt. Ziva biss die Zähne zu-<br />

sammen. Dann sagte sie so ruhig wie möglich: „Ihr geht zu Gibbs, macht das kleine Handtuch<br />

nass, dass es tropft, und legt es ihm über das Gesicht.“ Wenn auch immer noch die meisten<br />

sich nicht vorstellen konnten, was das für Gibbs bedeuten würde, war den Gefangenen bis auf<br />

wenige Ausnahmen urplötzlich doch klar, auf was es hinaus lief. Sawyer, Mulder, Dana, Gil,<br />

Sara, sie alle wussten, was mit Gibbs geschehen sollte. Zu ihrem Glück hatten sie keine wirk-<br />

liche Vorstellung davon, wie schlimm diese Art der Verhörmethode war. Cameron schob den<br />

Stuhl zurück und trat zu Gibbs an die Liege. „Ich weiß nicht wirklich, was das werden soll,<br />

aber es tut mir sehr leid, okay.“, sagte sie leise. Heather blickte ebenfalls verstört auf den ge-<br />

fesselten Mann und schluckte. Gibbs lag bewegungsunfähig da und konnte die Angst, die er<br />

empfand, nur schwer vor den jungen Frauen verbergen. Er versuchte, ein Lächeln auf seine<br />

zitternden Lippen zu quälen. „Das braucht dir nicht leid zu tun, ist nicht deine Entscheidung,<br />

okay. Tut einfach, was Ziva euch erklärt, sonst seid ihr die jenige, die Leiden werden.“ Allison<br />

und Heather nickten. Allison bückte sich nach dem kleinen Frotteehandtuch und tunkte es in<br />

das Wasserfass.<br />

Dann legte sie mit zitternden Händen das triefend nasse Handtuch über Gibbs Gesicht.<br />

Ohne es zu wollen, starrten alle Gefangenen, von einer Art morbiden Faszination gepackt, auf<br />

die Liege mit dem hilflosen Gibbs. <strong>Die</strong>ser konnte nicht verhindern, dass er heftig zusammen<br />

zuckte, als das Handtuch sich auf sein Gesicht legte, an dessen Konturen schmiegte. Er konnte<br />

auch ein Keuchen nicht mehr zurück halten, dass unter dem nassen Handtuch gedämpft klang.<br />

Seine gefesselten Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. Das Atmen fiel ihm sofort<br />

schwer und Wasser aus dem Handtuch drang ihm in Nase und Mund. Ziva erklärte mit<br />

zitternder Stimme: „Füllt die Kannen mit Wasser. Dann ... Gibbs, verflucht. Ich habe doch<br />

keine Wahl ... Dann gießt ihr abwechselnd langsam Wasser über das Handtuch, macht schon.“<br />

Heather und Allison waren bei Zivas Worten zusammen gezuckt. Waterboarding ... Wie<br />

Glockenhall dröhnte dieses Wort plötzlich durch die Köpfe der Frauen. Wenn sie auch noch<br />

nie gesehen hatten, wie es angewendet wurde, und erst Recht keine Vorstellung, wie ver-<br />

heerend diese Folter war, hatten sie doch gerade in letzter Zeit viel darüber gehört und gelesen.<br />

<strong>Die</strong> Empörung darüber, dass beispielsweise in Guantànamo diese Art der Folter verwendet<br />

wurde, oder die CIA öffentlich zugegeben hatte, Verhöre unter zu Hilfenahme dieser Folter-<br />

594


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

methode durchzuführen, hatten nicht nur in den Vereinigten Staaten heftige Kontroversen aus-<br />

gelöst. Und nun sollten sie diese grässliche Folter bei einem der ihren anwenden.<br />

Mit Tränen in den Augen füllten Heather und Cameron die Kannen. Sie waren beide<br />

dankbar, Gibbs Augen nicht sehen zu müssen. Keine der Frauen konnte sich entscheiden, anzu-<br />

fangen. Abby starrte fassungslos auf das Bild und schüttelte apathisch den Kopf. Ziva<br />

schnauzte schließlich los: „Fangt endlich an, damit er es hinter sich hat, verdammt.“ Der<br />

Agentin kullerten Tränen über die Wangen. Und Allison war es, die begann, langsam Wasser<br />

über das Handtuch laufen zu lassen. Gibbs hatte unter dem Handtuch schon heftig nach Luft<br />

gerungen. Als jetzt frisches Wasser auf das Handtuch lief, verstärkte sich das Gefühl, keine<br />

Luft zu bekommen, sofort. Zusätzlich wurde ein heftiger Würgereflex ausgelöst, welcher den<br />

Eindruck des Ertrinkens vermittelte. Obwohl in einem entfernten Winkel von Gibbs Gehirn<br />

eine Stimme ruhig zu ihm sagte - Du kannst gar nicht ertrinken, Gunny, das Wasser kann nicht<br />

in deine Lungen dringen, wegen der abgesenkten Haltung des Kopfes. - keuchte Gibbs vor<br />

Todesangst heftig auf. Seine Hände zuckten, sein ganzer Körper wand sich, soweit es die<br />

Fesseln zuließen, schon nach kurzer Zeit auf der Liege. Husten und würgendes Keuchen drang<br />

unter dem Handtuch hervor. Als Allisons Kanne leer war, machte Heather schluchzend weiter.<br />

Abby weinte, dass es sie schüttelte. Locke, der neben ihr saß, zog die junge Frau an sich und<br />

hielt sie im Arm. „Er wird es überstehen, keine Angst.“, versuchte er sie zu beruhigen. Kate<br />

hatte sich längst angewidert abgewandt, barg ihr Gesicht zitternd an Sawyers Brust. Dana<br />

starrte auf den Tisch vor sich. Sie brauchte nur die gequälten Geräusche zu hören, die unter<br />

dem Handtuch hervor drangen und sie wusste, was der arme Gibbs gerade ertragen musste.<br />

Der kämpfte in Todesangst heftig, aber vergeblich, gegen die Fesseln, die ihn hielten.<br />

Er hatte noch nie zuvor eine solche Angst empfunden. Wasser drang ihm langsam in Nase und<br />

Mund und machte das Gefühl des Ertrinkens immer unerträglicher. Kein Wunder, dass fast alle<br />

Gefolterten bei dieser Methode schon nach wenigen Minuten um Gnade winselten. Er hätte es<br />

auch getan, hätte er nur gekonnt. Heftig würgend und hustend lag er da, sich in den Fesseln<br />

hilflos windend und zuckend und wünschte nur noch, dass es endlich vorbei war. Nie hätte der<br />

harte Navy Sergeant geglaubt, dass er durch irgendwas so stark beeinträchtigt werden könnte.<br />

Als er glaubte, jeden Moment zu sterben, wenn nicht endlich Schluss war, tönte die Stimme<br />

aus dem Lautsprecher. „Gut, ihr könnt aufhören. Nehmt ihm das Handtuch ab und macht<br />

Nummer 16 los.“ Allison musste sich beherrschen, die Kanne nicht an die Wand zu werfen.<br />

Hastig stellte sie sie ab und riss dann so schnell wie nur möglich das nasse Handtuch von<br />

Gibbs Gesicht. Heather hatte bereits angefangen, die Fußfesseln zu lösen. Keuchend und heftig<br />

hustend lag Gibbs da und wimmerte verzweifelt: „Losmachen ... bitte.“ Mit zitternden Händen<br />

löste Allison die Handfessel auf ihrer Seite, Heather die zweite. Dann löste sie den Leder-<br />

595


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

riemen, der den Kopf hielt und Gibbs fuhr hoch, würgend, verzweifelt nach Luft schnappend.<br />

Er spuckte Wasser, hustete krampfhaft und zitterte am ganzen Körper. Heather hatte sich ge-<br />

bückt und das größere Handtuch aufgehoben. Sie drückte es Gibbs in die Hand und Allison<br />

half diesem, sich ein wenig abzutrocknen. Minutenlang keuchte und hustete dieser, bevor er<br />

sich ganz langsam ein wenig fing. Heather hatte ihm immer wieder sanft auf den Rücken ge-<br />

klopft und Allison versuchte, ihm durch beruhigendes Zureden zu helfen. Ganz langsam ließ<br />

das krampfhafte Würgen und Husten nach. Erschöpft, immer noch leicht zitternd und hustend,<br />

saß Gibbs auf der Liege, lehnte sich kraftlos an Allison und wartete darauf, dass er sich etwas<br />

besser fühlen möge.<br />

Minuten später schaffte er es, sich zu seinem Stuhl zu schleppen und fix und fertig<br />

darauf nieder zu sinken. Abby und Ziva bemühten sich sofort um ihn. „Gibbs, geht es dir<br />

gut?“, fragte Abby mit zitternder Stimme. Heiser antwortete Gibbs: „Abbs, beruhige dich ...“<br />

Ein Hustenanfall unterbrach ihn. Dann fuhr er fort: „Es geht mir gut, okay. Mach dir keine<br />

Sorgen.“ <strong>Die</strong> machte Abby sich natürlich doch. Gibbs wandte sich an Ziva. Ein ironisches<br />

Lächeln huschte kurz über sein blasses Gesicht. „Officer David, ich werde mit Direktor<br />

Shepard über ihre weitere Beschäftigung ein ernstes Wort reden müssen.“ Ziva lachte leise,<br />

konnte aber nicht verhindern, dass ihre dunklen Augen sich wieder mit Tränen füllten. „Gibbs<br />

... Es tut mir wirklich unendlich leid, ich hatte doch keine Wahl.“ Müde nickte Gibbs. „Das<br />

weiß ich doch ...“ Als dunkle Bedrohung stand die Liege noch an derselben Stelle. Auch das<br />

Wasser war noch lange nicht alle. Jeder einzelne Gefangene hatte panische Angst, dass er oder<br />

sie die nächste sein würden, die auf der Liege Platz zu nehmen hatte. <strong>Die</strong> Minuten vertickten,<br />

nichts geschah. Dann knackte es im Lautsprecher und ein kollektives Zusammenzucken ging<br />

durch die Gruppe. „Ihr werdet aufstehen, euch gegenseitig die Hände auf den Rücken fesseln<br />

und dann warten, bis wir euch abholen und in eure Zellen zurück bringen. Jetzt.“ Sofort<br />

standen alle kommentarlos auf. Schweren Herzens fesselten sie sich gegenseitig die Hände auf<br />

den Rücken. Der letzte war Gil, er wartete auf die Wachen und drehte sich dann sofort herum,<br />

damit auch seine Fesseln noch geschlossen werden konnten.<br />

Zehn Minuten später waren alle Gefangenen wieder in ihren Zellen. Gibbs sank er-<br />

schöpft auf seine Liege. Abby sah zu ihm herüber. Sie machte sich wirklich Sorgen. Aber sie<br />

kam nicht dazu, lange darüber nachzudenken, denn erneut knackte es im Lautsprecher.<br />

„Achtung, Probanden! Ihr habt genau zwei Stunden Zeit, euch noch einmal ganz ausführlich<br />

eure Lebensgeschichten zu erzählen, nicht alle haben während der Befragung alles mit be-<br />

kommen. In zwei Stunden ist Nachtruhe und morgen, nach dem Wecken, wird euch ein sieben-<br />

seitiger Fragebogen ausgehändigt. Zu jedem von euch stehen drei Multiple Choise Fragen auf<br />

dem Fragebogen. Ihr werdet alle Fragen beantworten. Drei Fehler, mehr gestehen wir euch<br />

596


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

nicht zu, also seid besser gut vorbereitet. Jeder von euch, der mehr als drei Fehler macht, wird<br />

für fünf Tage in die camera silens gehen.“ Wieder einmal herrschte nach diesen Worten<br />

tosende Stille im Zellentrakt. Dann stieß Allison hastig hervor: „Gott, ich habe gar nichts mit<br />

bekommen. Wie wollen wir es machen? Den Nummer nach? Booth. Du bist der erste. Bitte.“<br />

<strong>Die</strong> nächsten zwei Stunden redete ständig einer der Gefangenen, hektisch versuchte jeder, so<br />

viele Infos wie möglich über sich heraus zu geben. <strong>Die</strong> Zuhörer waren ebenso hektisch be-<br />

müht, die Infos, die sie erhielten, in sich aufzunehmen. Schon nach der Hälfte der Gefangenen<br />

waren sie alle der <strong>Über</strong>zeugung, nichts mehr behalten zu können. <strong>Die</strong> Drohung, in diese Iso-<br />

lationszelle zu gehen, hatte bei fast allen heftige Angst ausgelöst. Sie waren alle überzeugt,<br />

mehr Fehler zu machen. Jake und Kate gerieten schon jetzt in Panik. Sie waren während der<br />

gesamten Schulzeit bei solchen Multiple Choise Fragebögen nicht sehr gut gewesen, bildeten<br />

sie sich ein. Verzweifelt versuchten sie, sich zu merken, was sie zu hören bekamen. Jake und<br />

Sawyer begriffen nicht, dass sie gar nichts davon mitbekommen hatten, was die Mitgefangenen<br />

berichteten. Nur, als Gibbs vom Silver Star erzählte, dämmerte es den beiden jungen Männern,<br />

dass sie das damals registriert hatten.<br />

Zwei Stunden waren schnell um. Als das rote Licht angeschaltet wurde, waren aus-<br />

nahmslos alle der Meinung, sie könnten sich gleich zu einem Gruppenfoto in die Isolierungs-<br />

zelle begeben. Müde und erschöpft lagen sie auf ihren Betten und warteten darauf, gefesselt zu<br />

werden. Es kam jedoch niemand. Man ließ sie in Frieden und alle, ohne Ausnahme, genossen<br />

es, sich endlich einmal wieder gemütlich auf die Seite drehen zu können, oder sich einfach nur<br />

frei zu strampeln, wenn es unter der Decke warm wurde. Nach kurzer Zeit waren alle, ohne<br />

Ausnahme, eingeschlafen.<br />

Front yard to hell<br />

Sei dazu entschlossen und die Sache ist getan.<br />

Buddha<br />

Das Röhren des Weckers riss die Gefangenen aus dem ruhigen, erholsamen Schlaf.<br />

Nicht gefesselt zu sein, war ein erhebendes Gefühl, dass jedoch nicht lange anhielt an diesem<br />

Morgen. Wie ein Damoklesschwert hing die Androhung der Fragebögen über den Gefangenen.<br />

Das Licht blieb rot, sodass sie keine Infos mehr auffrischen konnten. Man ließ sie eine Weile<br />

in Ruhe wach werden, dann kamen Wachen in den Kerker, brachten Kaffee und die Vitamine,<br />

597


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

jedoch nichts zu Essen. Aber schon alleine Kaffee zu bekommen, war ein Geschenk des<br />

Himmels. Kurze Zeit später, alle hatten erst eine Tasse Kaffee getrunken, erschienen wieder<br />

Wachen, einem Stapel Briefumschläge im Din A 4 Format, Klemmbretter und Stifte auf einem<br />

Rollwagen mit sich führend. Sie gingen nacheinander in jede Zelle, fixieren die Gefangenen<br />

bequem sitzend mit den Füßen an die Liegen, sodass sie nicht herum laufen konnten, drückten<br />

jedem einen verschlossenen Briefumschlag in die Hand mit der Auflage, diesen bis zum aus-<br />

drücklichen Befehl, ihn zu öffnen, geschlossen zu lassen. Als alle an die Betten gefesselt und<br />

mit den Briefumschlägen, einem Klemmbrett und einem Bleistift versorgt waren, verließen die<br />

Wachen den Kerker. Und plötzlich zuckten die Gefangenen zusammen, als nämlich die<br />

Wände, die sie ganz am Anfang ihrer Gefangenschaft hier einmal gesehen hatten, plötzlich<br />

hoch gefahren wurden und ihnen die Sicht auf die Leidensgenossen versperrte. Als sie Wände<br />

die Sicht zur Gänze verwehrten, knackte es im Lautsprecher und die Stimme erschallte, kalt<br />

wie immer. „Ihr habt zur Beantwortung aller Fragen dreißig Minuten Zeit. Öffnet die Brief-<br />

umschläge. Ab jetzt läuft die Zeit.“ Ein Pfeifen ertönte. Alle Gefangenen rissen hektisch die<br />

Briefumschläge auf. Und dann starrten sie mit unterschiedlichen Gefühlen auf die Fragebogen.<br />

1) Wer ist Parker?<br />

2) Sucht?<br />

Multiple Choise Fragebogen<br />

30 Minuten Zeitlimit, erlaubt sind 3 Fehler.<br />

2) Wer ist Gen. Raddick?<br />

Nummer 1)<br />

a: Bruder □<br />

b: Sohn □<br />

c: Vater □<br />

a: Kokain □<br />

b: Wetten □<br />

c: Spiel □<br />

a: Vater eines Schulfreundes □<br />

b: Massenmörder, den 1 tötete □<br />

c: Vorgesetzter bei der Army □<br />

598


1) Wer ist Chris Prowes?<br />

2) Was geschah in Afghanistan?<br />

2) Wie starb sein Freund?<br />

1)Wie verdient 3 sein Geld?<br />

2) Wen jagt 3?<br />

3) Wo sind seine Eltern?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Nummer 2)<br />

a: Bruder □<br />

b: Freund □<br />

c: Ein Policeofficer □<br />

a: 2 wurde angeschossen □<br />

b: 2 wurde suspendiert □<br />

c: 2 tötete ein Kind □<br />

a: Erschossen □<br />

b: Ertrunken □<br />

c: Autounfall □<br />

Nummer 3)<br />

a: Söldner □<br />

b: Betrüger □<br />

c: KFZ Mechaniker □<br />

a: Seine Ex-Frau □<br />

b: Mörder seine Eltern □<br />

c: Seinen Vater □<br />

a: Tot □<br />

b: In Australien □<br />

c: In DC □<br />

Nummer 4)<br />

599


1) Was tat Vater mit ihm?<br />

2) Beruf seines Vaters?<br />

3) Wo promovierte 4?<br />

1) Was macht ihr Vater?<br />

2) Wer ist Ari?<br />

3) Wie starb ihre Schwester?<br />

1) Was waren ihre Eltern?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Schenkte Geld □<br />

b: Lehrte ihn Autofahren □<br />

c: Misshandelte ihn □<br />

a: Sergeant beim NYPD □<br />

b: Chirurg an der Mayo □<br />

c: Pilot bei den Marines □<br />

a: University of Michigan □<br />

b: Johns Hopkins □<br />

c: UCLA □<br />

Nummer 5)<br />

a: Professor an der Uni Tel Aviv □<br />

b: Direktor beim Mossad □<br />

c: General bei der Garde □<br />

a: Bruder □<br />

b: Sohn □<br />

c: Vater □<br />

a: Bombenanschlag □<br />

b: Autounfall □<br />

c: Haiattacke □<br />

Nummer 6)<br />

600


2) Wer ist Kyle?<br />

3) Wo sind die Eltern heute?<br />

1) Warum kam sie zu den X Files?<br />

2) Was ist mit ihrem Vater?<br />

4) Was passierte mit ihrer Schwester?<br />

1) Wer ist Tom Brennan?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Bankräuber □<br />

b: Lehrer □<br />

c: Arzt und Verkäuferin □<br />

a: Bruder □<br />

b: Sohn □<br />

c: Vater □<br />

a: Leben in DC □<br />

b: Ausgewandert nach Deutschland □<br />

c: Vater im Gefängnis, Mutter tot □<br />

Nummer 7)<br />

a: Um Versetzung dorthin gebeten □<br />

b: Um Mulder als Spinner zu entlarven □<br />

c: Strafversetzt □<br />

a: Starb an Herzinfarkt □<br />

b: Ist in Rente □<br />

c: Lehramt in Berkeley □<br />

a: Ging mit Ehemann nach Afrika □<br />

b: Wurde geschieden □<br />

c: Wurde an ihrer Stelle erschossen □<br />

Nummer 8)<br />

601


2) Wen tötete 8?<br />

3) Wer ist Edward Mars?<br />

1) Woher kommt sie?<br />

2) Wo ist ihre Mutter?<br />

3) Ihr Beruf?<br />

1) Wer ist Colin Bennet?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Ein Freund □<br />

b: Ihr Ehemann □<br />

c: Stiefvater □<br />

a: Bruder □<br />

b: Vater □<br />

c: Onkel □<br />

a: Ihr Lehrer □<br />

b: US Marshall □<br />

c: Stiefvater □<br />

Nummer 9)<br />

a: New Braunfeld □<br />

b: New Hampton □<br />

c: New Bern □<br />

a: Im Krankenhaus □<br />

b: Tot □<br />

c: Verschollen □<br />

a: Kindergärtnerin □<br />

b: Lehrerin □<br />

c: Altenpflegerin □<br />

Nummer 10)<br />

a: Ehemann □<br />

b: Bruder □<br />

602


2) Mit wem hatte sie Sex?<br />

3) Warum heiratete sie?<br />

1) Was tat ihre Mutter?<br />

2) Wo wuchs sie auf?<br />

3) Geschwister?<br />

1) Wer war Jeannie?<br />

2) Was ist mit seiner Niere?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

c: Professor an der Mayo □<br />

a: Eric Foreman □<br />

b: Robert Chase □<br />

c: James Wilson □<br />

a: Weil sie schwanger war □<br />

b: Aus Liebe □<br />

c: Mitleid □<br />

Nummer 11)<br />

a: Ging fremd □<br />

b: Tötete Ehemann □<br />

c: Verließ die Familie □<br />

a: Pflegefamilien □<br />

b: Bei Onkel & Tante □<br />

c: Vater □<br />

a: Bruder, Danny □<br />

b: Schwester, Danielle □<br />

c: Keine □<br />

Nummer 12)<br />

a: Seine Mutter □<br />

b: Seine Tochter □<br />

c: Pflegeschwester □<br />

603


3) Wie kam er in den Rollstuhl?<br />

1) Wo ist seine Mutter?<br />

2) Wer ist Lady Heather?<br />

4) Was bei Heather gelernt?<br />

1) Warum verhaftet?<br />

2) Wovor starke Angst?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Verlor er durch Unfall □<br />

b: Musste entfernt werden □<br />

c: Spendete er Vater □<br />

a: Mordanschlag durch Vater □<br />

b: Nach Flugzeugabsturz □<br />

c: Badeunfall □<br />

Nummer 13)<br />

a: Tot □<br />

b: Pflegeheim □<br />

c: Bei seinem Vater □<br />

a: Prostituierte □<br />

b: Freundin der Mutter □<br />

c: Stiefmutter □<br />

a: Zu stehlen □<br />

b: Unterwürfig zu sein □<br />

c: Zeichensprache □<br />

Nummer 14)<br />

a: <strong>Die</strong>bstahl □<br />

b: Betrug □<br />

c: Sittenwidriges Verhalten □<br />

604


3) Fachgebiet?<br />

1) Was geschah mit Schwester?<br />

2) Wer war Steve Wallberg?<br />

2) Was tat er bei L. Jenkins?<br />

1) Welche Auszeichnung?<br />

2) Wer ist Kate Todd?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Fahrstühlen □<br />

b: Menschenmengen □<br />

c: Hunden □<br />

a: Nuklearmedizin □<br />

b: Ballistik □<br />

c: Ägyptologie □<br />

Nummer 15)<br />

a: Starb an Krebs □<br />

b: Wurde entführt □<br />

c: Ging nach Deutschland □<br />

a: Bruder □<br />

b: FBI Agent □<br />

c: Freund □<br />

a: Regressionshypnose □<br />

b: Studierte Psychologie □<br />

c: Lernte Scully kennen □<br />

Nummer 16)<br />

a: Distinguished Service Medal □<br />

b: Armed Force Service Medal □<br />

c: Silver Star □<br />

a: Ex-Frau □<br />

b: Ex-Kollegin □<br />

c: Ehefrau des Bruders □<br />

605


3) Wie starb Kelly?<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

a: Leukämie □<br />

b: Flugzeugabsturz □<br />

c: Autounfall □<br />

Jeder von ihnen nahm sich natürlich erst einmal die Fragen vor, die ihn selbst betrafen.<br />

Dana und Mulder hatten keinerlei Schwierigkeiten, da sie sich so viele Jahre kannten, wussten<br />

sie sie so gut wie alles über einander. So hatten sie schon sechs der insgesamt achtundvierzig<br />

Fragen in Rekordzeit fertig. Dann überflogen sie den Rest der Fragen und kreuzten auf diesem<br />

Wege schon einmal die an, von denen sie sicher waren, sie zu wissen. Bei Gil und Sara war es<br />

ähnlich, auch die kannten sich schon so viele Jahre, dass die gestellten Fragen relativ einfach<br />

zu beantworten waren. Heather hatte mit ihrem fast fotografischen Gedächtnis überhaupt keine<br />

Probleme, sie hatte alle Fragen innerhalb von nicht einmal zwanzig Minuten fertig. Bones hatte<br />

ebenfalls keine Schwierigkeiten, da sie es gewohnt war, sich viele Dinge merken zu müssen.<br />

Sie schaffte die Fragen in ähnlich rekordverdächtiger Zeit und saß dann abwartend auf ihrem<br />

Bett. Mulder war inzwischen bei den Fragen zu Sara angelangt. Kurz war er unsicher, als es<br />

um die Frage nach Saras Geschwistern ging. Dann aber erinnerte er sich. Danny. Bei der Frage<br />

nach Abbys Ängsten war Mulder sich auch ganz kurz nicht ganz sicher. Waren es Menschen-<br />

mengen oder Hunde gewesen? Dann aber fiel ihm ein, dass sie krank geworden war, nach dem<br />

Biss eines Hundes. Also machte Mulder das Kreuz bei den Hunden. Dana wurde gerade fertig<br />

und legte Stift und Zettel aus der Hand. Sie hatte nur bei einer Frage scharf nachdenken<br />

müssen, nämlich bei der Frage, mit wem Allison geschlafen hatte. Fast hätte Dana James<br />

Wilson angekreuzt, entschied sich dann aber intuitiv doch für die Nummer b, Robert Chase.<br />

Damit hatte sie es auch geschafft.<br />

Locke hatte die Fragen überflogen. Er hatte sich konzentriert und dann der Reihe nach<br />

angefangen, die Bögen abzuarbeiten. Er brauchte fast die ganze Zeit, dann war er sicher, mit<br />

drei oder weniger Fehlern davon zu kommen. Booth hatte zu Kämpfen, obwohl er sonst eigent-<br />

lich ein sehr gutes Gedächtnis hatte. Aber die Geschehnisse hier hatten Spuren an dem FBI<br />

Mann hinterlassen. Er hatte bei Sawyer, Sara, Gil und Mulder einige Probleme, und kreuzte<br />

schließlich verzweifelt an, was er glaubte, in Erinnerung zu haben. Dann legte er die Bögen<br />

entschlossen zur Seite, weil er sicher war, auch durch weiteres <strong>Über</strong>legen auf keinen anderen<br />

Nenner mehr zu kommen. Ziva in ihrer Zelle arbeitete schnell und präzise. Sie hatte ein aus-<br />

gezeichnetes Gedächtnis und war sich sicher, keine Fehler zu machen. Gibbs und Abby, die<br />

Infos würde sie nie wieder vergessen, und auch einige andere Schicksale hier hatten sich un-<br />

606


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

auslöschlich in das Hirn der jungen Frau gebrannt. Sie war nach zwanzig Minuten fertig und<br />

sicher, keine gravierenden Fehler gemacht zu haben. Allison hatte am Abend ebenfalls sehr<br />

genau aufgepasst. <strong>Die</strong> junge Immunologin war sehr merkfähig, das zahlte sich jetzt aus. Ohne<br />

nennenswerte Probleme arbeitete sie sich durch die achtundvierzig Fragen hindurch und hatte<br />

es noch vor Ablauf der dreißig Minuten geschafft. Sie betete, nicht mehr als drei Fehler ge-<br />

macht zu haben. Kate und Jake lasen die Fragen durch und erschraken heftig. Sie waren beide<br />

überzeugt, als Kandidaten für die Isolationshaft fest zu stehen. Kate hatte fast Tränen in den<br />

Augen, als sie begann, die Kreuze zu machen. Sie hatte entsetzliche Angst vor der camera<br />

silens. Beide brauchten die volle Zeit, um alle Fragen zu beantworten. Aber auch Sawyer und<br />

House benötigten die volle Zeit. Krampfhaft versuchte Sawyer, sich an bestimmte<br />

Informationen zu erinnern. Als das Pfeifen, das das Ende der dreißig Minuten anzeigte, ertönte,<br />

machte er schnell das letzte Kreuz. Er war sich sicher, mehr als drei Fehler gemacht zu haben<br />

und wusste nicht, was auf ihn zukommen würde in dieser Isolationszelle.<br />

Kaum ertönte das Pfeifen, kamen auch schon Wachen in den Zellentrakt und die<br />

Zellentüren gingen auf. Schnell wurden die Stifte und Fragebögen eingesammelt, dann senkten<br />

sich die Wände und die Gefangenen konnten sich wieder sehen. <strong>Die</strong> Gefangenen wurden von<br />

den Betten los gemacht und streckten sich. <strong>Die</strong> Zellentüren wurden geschlossen und die<br />

Wachen verschwanden aus dem Zellentrakt. Eine Weile geschah nichts. <strong>Die</strong> Gefangenen saßen<br />

auf ihren Betten oder wanderten unruhig in den Zellen herum. Sawyer sah zu Kates Zelle<br />

hinüber und lächelte ihr Mut machend zu. Jake starrte dumpf vor sich hin. Er war sicher, in der<br />

Isolationshaft zu landen. <strong>Die</strong> Zeit tröpfelte quälend und zäh dahin, jeder wollte endlich das<br />

Ergebnis erfahren. Und dann ging die Kerkertür auf und sechs Wachen betraten den Kerker.<br />

Wenn es so ablief, wie es bisher immer abgelaufen war, hatten drei von ihnen mehr als drei<br />

Fehler gemacht. Der Lautsprecher knackte. Und dann ertönte die Stimme. „Nummer 15.“<br />

Mulder stand auf und trat ans Gitter. „0 Fehler. Nummer 6. 0 Fehler. Nummer 7. 0 Fehler.<br />

Nummer 9. 0 Fehler.“ <strong>Die</strong> vier Gefangenen atmeten auf. Sie waren durch. Es ging sofort<br />

weiter. „Nummer 5. 1 Fehler. Nummer 12. 1 Fehler.“ Auch Locke und Ziva atmeten unwillkür-<br />

lich auf. Und es ging weiter. „Nummer 4. 2 Fehler. Nummer 13. 2 Fehler. Nummer 14. 2<br />

Fehler.“ Kate und Jake schluckten verzweifelt. Sie mochten nicht hinhören. Und dann<br />

„Nummer 3, 2 Fehler. Nummer 2. 3 Fehler. Nummer 8. 3 Fehler. Nummer 11. 3 Fehler.“ Kate<br />

schossen vor Erleichterung Tränen in die Augen und auch Sawyer und Jake fielen ganze Ge-<br />

birge vom Herzen. Booth, Allison und Gibbs jedoch ließen resigniert die Köpfe hängen. Dann<br />

ertönte die Lautsprecherstimmer erneut. „Nummer 10. 4 Fehler. Nummer 1. 5 Fehler. Nummer<br />

16. 5 Fehler. Steht auf und tretet an die Zellentüren.“<br />

607


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Gibbs erhob sich und trat an die Zellentür, drehte sich vorschriftsmäßig herum. Booth<br />

und Cameron folgten seinem Beispiel. <strong>Die</strong> Wachen traten an die Zellen und die drei spürten,<br />

wie sich die Karabiner ineinander klickten. <strong>Die</strong> Zellentüren öffneten sich und die drei traten<br />

zögernd aus den Zellen heraus. Bones sah mit leichter Panik in den Augen zu Booth hinüber.<br />

In dessen Augen war nicht weniger Panik zu sehen und er schaute verzweifelt zu Bones<br />

hinüber. Etwas zu sagen wagte er jedoch nicht. Gibbs war ruhiger als der junge FBI Agent. Er<br />

fügte sich in das Unvermeidliche. Cameron hatte nicht die leiseste Ahnung, was auf sie zukam.<br />

Sie versuchte, aus den Reaktionen von Gibbs und Booth zu erstehen, was ihr bevor stand. In<br />

Booth‟ Augen las sie Angst, in Gibbs Augen Resignation. Sie hatte keine Zeit mehr, darüber<br />

nachzudenken, denn schon wurden sie an den Oberarmen gepackt und aus dem Zellentrakt<br />

geführt. House sah ihr verkrampft nach. Bones hatte die Angst in Booth‟ Augen gesehen und in<br />

ihren eigenen Augen sammelten sich Tränen. <strong>Die</strong>ses Gefühl, permanent Angst um Booth zu<br />

haben, war ihr noch unvertraut und bereitete ihr zuweilen starkes Unbehagen. Sie kannte<br />

solche Emotionen nicht. <strong>Über</strong>mäßige Sorge um andere Menschen hatte sie sich nie gemacht.<br />

Sicher war sie auch um Angela, Zack oder Jack besorgt gewesen, aber auf völlig andere Weise.<br />

Das sie so viel Angst um Booth hatte, irritierte sie sehr. Sie fühlte sich von ihren<br />

Empfindungen überrumpelt, konnte sie jedoch nicht mehr beeinflussen. Als sie hinterher<br />

schauen musste, wie Booth aus dem Kerker geführt wurde, liefen ihr, ohne dass sie es hätte<br />

verhindern können, Tränen über die blassen Wangen.<br />

<strong>Die</strong> drei Abgeführten wurden eine Etage hochgefahren und den Flur entlang geführt.<br />

Vor einer Tür am Ende des Flurs hielten die Wachen an. <strong>Die</strong> Tür öffnete sich automatisch und<br />

die drei wurden in den dahinter liegenden Raum gedrückt. Vor sich sahen sie drei Türen. <strong>Die</strong><br />

Wachen lösten die Fesseln. Eine weitere Wache kam dazu und reichte den Dreien sehr stabile<br />

Gürtel, die auf gleiche Weise verschlossen wurden wie die Halsbänder und die Hand- und<br />

Fußgelenkringe. <strong>Die</strong> Gürtel mussten sie sich um die Taille legen. Erstaunt gehorchten die drei.<br />

<strong>Die</strong> Wachen rückten die Gürtel ein wenig zu recht, dann wurden die Handfesseln an<br />

Metallösen am Gürtel vor dem Bauch befestigt, in einem Abstand, dass sie die Hände nicht<br />

zusammen bringen konnten. Zwischen ihren Fußgelenken wurde eine kurze, vielleicht zwanzig<br />

Zentimeter lange Kette an den Karabinern befestigt. Dann wurde Cameron an den Oberarmen<br />

gepackt und auf die linke äußere Tür zu geschoben. <strong>Die</strong>se öffnete sich und Cameron erschrak,<br />

als sie sah, wo sie hinein gedrückt wurde. Ein winziger Raum, keine zwei Mal zwei Meter, in<br />

einer Ecke ein offenes Klo, Decke, Wände und Boden aus schwarzen, dickem Gummi. Keine<br />

weiteren Einrichtungsgegenstände. Cameron zitterte plötzlich am ganzen Leib und fing<br />

hysterisch an zu schluchzen. „NEIN! Ich will nicht da rein. Bitte.“ Aber gnadenlos wurde sie in<br />

die kleine Zelle gestoßen, die Tür ging zu und schlagartig war nichts mehr zu sehen oder zu<br />

hören. In panischem Entsetzen sank Allison auf die Knie. Sie war vor Angst wie paralysiert.<br />

608


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Booth war der Nächste, der mit der Black Box Bekanntschaft machte. <strong>Die</strong> mittlere Tür<br />

ging auf und auch Seeley schreckte unwillkürlich zurück, als er sah, was da auf ihn wartete. Er<br />

brauchte seine ganze Beherrschung, um sich nicht heftig zu Sträuben, in den winzigen,<br />

schwarzen Raum einzutreten. Als die Tür hinter ihm geschlossen wurde, stand Booth wie ge-<br />

lähmt in der völligen Schwärze, die ihn umgab. Er versuchte verzweifelt, irgendein Geräusch<br />

von außerhalb aufzuschnappen, aber da hatte er keinerlei Chancen. Es herrschte absolute Stille.<br />

Er sah nichts, hörte nichts und konnte dankt der gefesselten Hände auch nichts ertasten. „Oh<br />

Gott. Scheiße, nein. Ich will hier raus.“, stammelte er leise. Er versuchte, ruhig einzuatmen und<br />

tastete sich langsam an die linke Wand hinüber. Er hätte nicht sagen können, was im Moment<br />

schlimmer war: <strong>Die</strong> absolute Dunkelheit oder die vollkommene Stille. Er hätte sich gerne über<br />

Augen und Ohren gewischt, aber das ging nicht, weil er die Hände nicht bewegen konnte.<br />

Nicht einmal Tasten zu können war blanker Horror. Wie sollte er das nur fünf Tage aushalten.<br />

Kein Mensch konnte das ertragen, ohne verrückt zu werden. Seeley sank langsam auf die Knie<br />

und blieb bewegungslos so hocken.<br />

Gibbs waren die Reaktionen Camerons und Seeleys nicht entgangen. Als nun auch<br />

seine Tür sich öffnete, schluckte der erfahrene Agent trocken. Er trat in die schwarze Zelle<br />

hinein und drehte sich um. Schwer atmend sah er zu, wie die Tür sich langsam schloss. Bevor<br />

sie ganz zuging, schloss Gibbs die Augen, wie um zu vermeiden, die Dunkelheit über sich<br />

herein brechen zu sehen. Er hörte die Tür ins Schloss schnappen und öffnete erst jetzt die<br />

Augen langsam wieder. Er schrak zusammen, als er die vollständige Finsternis um sich herum<br />

wahrnahm. Gibbs war alles andere als ein ängstlicher Mensch, das konnte er sich in seinem<br />

Job nun wirklich nicht leisten, aber als die Dunkelheit und Stille über ihn her fielen, musste er<br />

sich zwingen, ruhig zu bleiben. Er atmete tief ein und aus. Das war auch das Einzige, was er<br />

hörte. <strong>Die</strong> Isolation war perfekt. Wirklich nicht das kleinste bisschen Licht drang durch irgend-<br />

einen Ritz, kein noch so leises Geräusch war zu hören. Der Hände als Tastorgan auch noch<br />

beraubt, fühlte Gibbs eine Welle der Panik über sich zusammen schlagen. Krampfhaft war er<br />

bemüht, diese zurück zu drängen. - Das können ein paar wunderschöne Tage werden. - dachte<br />

er sarkastisch und ließ sich langsam zu Boden sinken. - Prima, Jethro, willkommen im Vorhof<br />

zur Hölle. -<br />

Deprivation<br />

Von allen Gefühlen ist die Angst dasjenige, das die Urteilskraft am meisten<br />

schwächt.<br />

609


Cameron, Allison<br />

Zelle 1, Tag 1, 14.30 Uhr<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Jean François Paul de Gondi<br />

Einbringung erfolgt. Deutliche Zeichen von Angst, Puls 135.<br />

Allison konnte es nicht fassen. Nach ein paar Minuten hatte die junge Frau sich<br />

wenigstens soweit beruhigt, dass sie über ihre Situation halbwegs ruhig nachdenken konnte.<br />

Das Fehlen jeglicher Reize, seien sie akustischer, taktiler oder visueller Art, war derart über-<br />

wältigend beängstigend, dass Cameron glaubte, es nicht mal fünf Stunden, geschweige denn<br />

fünf Tage auszuhalten. Bei der Vorstellung, hier hundertzwanzig Stunden in diesem Loch zu<br />

hocken, liefen der Ärztin erneut Tränen über die Wangen. Panisch wimmerte sie auf. Sie war<br />

überzeugt davon, nach fünf Tagen verrückt geworden zu sein. Wie sollte ein Mensch so eine<br />

Tortur aushalten? Langsam sank Allison in sich zusammen, bis sie am Boden lag. Schluchzend<br />

rollte sie sich zusammen. Sie schloss die Augen, um die vollständige Dunkelheit um sich<br />

herum nicht mehr sehen zu müssen. Verzweifelt versuchte sie, ihre Gedanken auf House zu<br />

fokussieren. Sie dachte an seine blauen Augen, an seine sensiblen Hände, den Sarkasmus in<br />

seiner Stimme, die ihr gegenüber so sanft und liebevoll klingen konnte und flüsterte ver-<br />

zweifelt: „Ich will hier raus ....“<br />

Booth, Seeley<br />

Zelle 2, Tag 1, 14.30 Uhr<br />

Einbringung erfolgt. Deutliche Zeichen von Angst, Puls 122.<br />

Eine Tür weiter kämpfte Booth mit dem Verlangen, zu schreien. Er hatte sich nach<br />

einigen Minuten ebenfalls etwas gefangen und sich ganz vorsichtig an eine Wand vor-<br />

gearbeitet, wobei er heftig zusammen gezuckt war, als er die Wand schließlich tatsächlich ge-<br />

spürt hatte. Langsam ließ er sich zu Boden gleiten und lehnte mit dem Rücken gegen das<br />

Gummi. Er zog die Beine an und so hockte er in der vollkommenen Dunkelheit und Stille, ver-<br />

suchte, sich Brennans Gesicht, ihre Augen, ihren Duft vorzustellen. Er wusste nur zu genau,<br />

was ihn in den nächsten, endlosen Stunden erwarten würde. Am Schnellsten würden vermut-<br />

lich Halluzinationen einsetzen. Seeley hatte in Berichten gelesen, dass optische oder akustische<br />

Halluzinationen bereits nach zwanzig bis dreißig Minuten einsetzen konnten. Er starrte in die<br />

Dunkelheit in der gänzlich vergeblichen Hoffnung, irgendwo einen winzigen Schimmer Licht<br />

610


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

zu entdecken. Booth hatte keine Angst vor der Dunkelheit, aber diese Dunkelheit, gepaart mit<br />

dem absoluten Fehlen jeglicher akustischer Reize war beängstigend, entsetzlich, erdrückend.<br />

Booth schloss die Augen, um die Finsternis nicht mehr sehen zu müssen und ließ stöhnend den<br />

Kopf gegen die Wand hinter ihm sinken. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er seine Hände zu<br />

Fäusten geballt hatte. Jetzt zwang er sich, sie zu öffnen und zu entspannen. Bewusst legte er<br />

seine Handflächen auf seinen Körper und spürte durch den Stoff des Kittels seine eigene<br />

Körperwärme, empfand dies im Augenblick als Tröstlich und Beruhigend. Er konzentrierte<br />

sich darauf, zu spüren, wie seine Bauchdecke sich unter seinen Atemzügen sanft hob und<br />

senkte. - Gott, wie soll ich das durchstehen? -<br />

Gibbs, Jethro<br />

Zelle 3, Tag 1, 14.30 Uhr<br />

Einbringung erfolgt. Schwache Zeichen von Angst, wirkt relativ ruhig,<br />

Puls 88.<br />

Gibbs hatte sich im Schneidersitz auf den Boden sinken lassen. Er bemühte sich um<br />

ruhige Atmung und kämpfte gegen das Gefühl der Hilflosigkeit an, dass ihn überwältigen<br />

wollte. Er war Marine, verflucht noch mal. Da würde er sich doch von ein bisschen Dunkelheit<br />

und Stille nicht einschüchtern lassen. Gibbs trat sich selbst gedanklich in den Hintern und<br />

schaffte es auf diese Weise tatsächlich, sich zu entspannen. Langsam und vorsichtig, da er<br />

nicht schätzen konnte, wie weit entfernt die Edelstahltoilette war, ließ Gibbs sich nach hinten<br />

sinken, bis er schließlich lag. Gerne hätte er die Hände unter dem Kopf verschränkt. Er lag da,<br />

starrte in die Dunkelheit über ihm und seine Gedanken schweiften ab, zu seinem Team in<br />

Washington, zu Jenny ... Sie saß vermutlich, sofern denn Tag war, in ihrem Büro im dritten<br />

Stock des Gebäudes, hatte ihren Drehstuhl zum Fenster gedreht und blickte vielleicht in diesem<br />

Moment gedankenverloren auf den in der Sonne blitzenden Anacostia River hinaus. Nach so<br />

langer Zeit keinerlei Spuren von ihm und den beiden Frauen zu haben, wovon Gibbs ausging,<br />

sonst wären sie schon lange befreit worden, musste Jenny fast wahnsinnig machen. Er wusste<br />

genau, wie es ihm gehen würde. Und Jenny entsprach vom Temperament her durchaus seinem<br />

eigenen. Daher war ihre Beziehung letztlich in die Brüche gegangen. Gibbs verzog das Gesicht<br />

zu einem Grinsen. Damals in Paris ...<br />

Er versuchte, die Erinnerung an die heißen Tage und Nächte mit seiner heutigen<br />

Direktorin fest zu halten. Um sie hier zu finden würde Jen mit den anderen Bundesbehörden<br />

zusammen arbeiten müssen. Gibbs bedauerte fast die Mitarbeiter, die sich mit der Entführung<br />

beschäftigen würden. Jenny würde ihnen derart Feuer unter dem Hintern machen, dass sie<br />

einem fast leidtun konnten. Gibbs kannte den Assistent Direktor des FBI, Walter Skinner,<br />

611


<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

persönlich. Sie hatten sich drei, vier Mal bei Veranstaltungen getroffen. Skinner war ein Mann,<br />

mit dem Jen über kurz oder lang zusammen krachen würde, da war Jethro sich sicher. Ob wohl<br />

Tobias sich in die Ermittlungen eingebracht hatte? Tobias Fornell. Gibbs grinste erneut. Er<br />

dachte an so manchen Whiskey, den er mit Fornell getrunken hatte. Ohne es je zuzugeben,<br />

waren er und Fornell Freunde geworden im Laufe der Jahre. Fornell hatte Gibbs zweite Ehe-<br />

frau trotz intensiver Warnungen geheiratet und war inzwischen ebenfalls von dieser ge-<br />

schieden. Gibbs achtete Fornell als zuverlässigen und in seinem begrenzten Rahmen hilfs-<br />

bereiten FBI Agenten. Er hatte oft genug seine Kompetenzen überschritten, um Gibbs und<br />

seinem Team Unterstützung zukommen zu lassen. Der alte Konkurrenzkampf zwischen den<br />

Ermittlungsbehörden: CIA rümpfte über FBI und NCIS die Nasen, NCIS traute dem FBI nicht<br />

über den Weg, FBI empfand sich als sehr viel effektiver als NCIS. Gibbs war klar: In diesem<br />

Falle mussten die Behörden auf Gedeih und Verderb zusammen arbeiten.<br />

Booth, Seeley<br />

Zelle 2, Tag 1, 15.08 Uhr<br />

Status: Anzeichen von starker Unruhe, Atmungsfrequenz deutlich erhöht,<br />

Puls 105, erste Halluzinationen scheinen aufzutreten.<br />

Booth versuchte, an irgendetwas Schönes zu denken, um sich von seiner Lage abzu-<br />

lenken. Krampfhaft bemühte er sich, Parker vor seinem geistigen Auge entstehen zu lassen.<br />

Parker, wie er Fahrrad fahren lernte. Parker, wie er nach der Geburt vom Entbindungshelfer<br />

erstmals in Seeleys Arme gelegt worden war. Parker, wie er die ersten Schritte machte. Parker<br />

... Booth zuckte heftig zusammen. Schlagartig verdoppelte sich sein Atemrhythmus. Er<br />

lauschte angespannt und seine Hände, die bis eben entspannt auf seinem flachen Bauch geruht<br />

hatten, verkrampften sich erneut zu Fäusten. Da. Deutlich hörte Booth die verhasste Stimme<br />

Sergeant Abdul Rahims, des Verhörspezialisten der Taliban-Einheit, in deren Gefangenschaft<br />

Booth in Afghanistan geraten war. Jetzt schnauzte die Stimme ihn brutal an: „Steh gefälligst<br />

auf, du Penner, wenn ich mit dir rede. Los, beweg deinen Arsch in die Höhe, du<br />

amerikanisches Schwein.“ Booth lief ein Schauer über den Rücken. Zitternd stemmt er sich<br />

hoch, versuchte verzweifelt, den Ausgangspunkt der Stimme zu lokalisieren. Zwar sagte ihm<br />

sein gesunder Menschenverstand durchaus, dass Rahim nicht hier sein konnte, um ihn zu<br />

Schikanieren, zu Quälen, zu Foltern, aber er und seine Mitgefangenen in dem Lager hatten so<br />

verinnerlicht, auf die brutale Stimme Rahims zu hören, dass Booth sich dem auch hier nicht<br />

entziehen konnte. Kaum hatte er sich in die Höhe gestemmt, fuhr Rahims Stimme ihn erneut<br />

an. „Du dreckiger, kleiner Bastard wirst mir sagen, wer euer nächstes Ziel ist. Und versuch erst<br />

gar nicht, <strong>mich</strong> zu belügen. Das würdest du sehr schnell bereuen.“ Booth stand zitternd in der<br />

Dunkelheit und atmete flach und unregelmäßig. Sein Kopf bewegte sich unruhig hin und her,<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

um einen unsichtbaren Gegner ausfindig zu machen. Er wollte der Stimme antworten, als sie<br />

ihn anbellte: „Geh gefälligst auf die Knie, du mieser Killer.“ Erschrocken beeilte Booth sich,<br />

auf die Knie zu sinken. <strong>Die</strong> Stimme Rahims lachte ihn aus. „So gefällst du mir, Mr. Scharf-<br />

schütze. So bleibst du hocken. <strong>Die</strong> Haltung ist angemessen für dich.“<br />

Booth kniete in der unüberwindlichen Dunkelheit, zitternd, in angstvoller Erwartung,<br />

was Rahim als nächstes von ihm verlangen würde. Er wagte nicht, sich zu rühren, aufzustehen<br />

oder die Haltung in irgendeiner Form zu verändern. Doch nichts geschah. Rahim war nicht<br />

mehr zu hören. Minuten reihten sich aneinander. Booth starrte in die Schwärze vor seinen<br />

Augen. Und plötzlich und überwältigend wurde ihm klar, dass er einer Sinnestäuschung auf-<br />

gesessen war. Er sackte in sich zusammen, schloss verzweifelt die Augen und flüsterte: „Shit,<br />

shit, shit.“ Er zitterte immer noch am ganzen Körper und war schweißgebadet. Langsam ließ er<br />

sich seitwärts zu Boden sinken und blieb zusammen gerollt auf der Seite liegen. „Bones ... Hilf<br />

mir. Ich weiß nicht, wie ich das hier überstehen soll.“, flüsterte er erschöpft. Lieber würde er<br />

noch hundert Mal den Weg über die Hängebrücke zurücklegen, als hier in dem schwarzen<br />

Nichts zu hocken. Booth konnte mit Schmerzen umgehen, aber diese psychische Belastung<br />

hier ... Jeder Mensch hatte eine Achillesferse, bei Booth war es diese erzwungene Isolation.<br />

Cameron, Allison<br />

Zelle 1, Tag 1, 16.45 Uhr<br />

Status: Apathisch, bewegt sich kaum, verhält sich ruhig, Pulsfrequenz 84.<br />

Cameron hatte das Gefühl, schon seit Tagen in diesem grässlichen Gefängnis zu<br />

stecken. Sie hatte sich kaum bewegt, jetzt aber spürte sie den dringend Wunsch, die Toilette zu<br />

finden. Vorsichtig richtete sie sich auf, bis sie kniete. Dann begann sie, sich in die Richtung<br />

vorzuschieben, in der sie meinte, die Toilette in Erinnerung zu haben. Als sie auf eine Wand<br />

stieß, keuchte Allison vor Schreck auf. Sie richtete sich auf und tastete sich an der Wand ent-<br />

lang. Hier musste doch die Toilette irgendwo sein. Nach fünf, sechs zögernden, kleinen<br />

Schritten stieß Allison auf die nächste Wand, tastete sich weiter. Und die nächste Wand.<br />

Wieder keine sechs Stritte. Und dann stöhnte Cameron leise auf: Sie war mit dem nackten Fuß<br />

gegen einen harten Gegenstand gestoßen. Als sie fertig war, rutschte sie an der Wand entlang<br />

etwas weg von dem WC, dann ließ sie sich zu Boden sinken. Sie spürte Tränen auf ihren<br />

Wangen und konnte diese nicht einmal fort wischen, da sie mit den Händen nicht an ihr Ge-<br />

sicht kam. Cameron starrte blicklos in die Schwärze. Was wohl Booth und Gibbs in den Zellen<br />

neben ihr durchmachten? Allison schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie dank der<br />

Fesselung ihrer Hände nicht einmal im Stande war, sich nach der Benutzung der Toilette zu<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

reinigen. Schlimmer war nur noch das Wissen, gar nicht auf die Toilette zu können. <strong>Die</strong> junge<br />

Frau empfand die Demütigung, die man ihr hier antat, als Extrem.<br />

Sie saß an die Wand gelehnt da und plötzlich erschien vor ihren Augen das grinsende<br />

Gesicht ihres Kollegen Eric Foreman. Er sah sie ironisch an und sagte dann laut und deutlich,<br />

verletzend: „Du bist vielleicht eine Schlampe. Wie siehst du nur aus. Du bist total verdreckt<br />

und stinkst.“ Allison schossen Tränen in die Augen und sie stammelte verzweifelt: „Ich kann<br />

doch nichts dafür.“ Foreman sah sie angewidert an. „Wie lange hast du nicht geduscht, sag<br />

mal? So wird dich keiner ans Bett des Patienten lassen.“ Allison geriet in helle Aufregung. „Ich<br />

muss ihn untersuchen, Foreman. Du musst <strong>mich</strong> zu ihm lassen. Ich kann doch nichts dafür,<br />

dass ich nicht Duschen kann.“ Verzweifelt wollte sie ihrem Kollegen klar machen, dass es<br />

nicht ihre Schuld war, dass sie unangenehm roch. Aber noch bevor sie weitere Erklärungen<br />

abgeben konnte, verblasste das Bild des Neurologen und sie sah wieder nur noch alles um-<br />

fassende Dunkelheit. Cameron wimmerte leise auf. Sie wollte nicht, dass Foreman wieder<br />

ging. Selbst, wenn er sie angriff, war das immer noch besser, als hier alleine zu bleiben.<br />

„Komm zurück ....“<br />

Gibbs, Jethro<br />

Zelle 3, Tag 1, 21.20 Uhr<br />

Status: Vermehrte Unruhe, offensichtlich z.T. Halluzinationen, hohe Atem-<br />

frequenz, rezidive Tachykardie, Pulsfrequenz jetzt 144.<br />

Gibbs fuhr erschrocken zusammen, als sich plötzlich die Zellentür öffnete. Allerdings<br />

wurde es nur unwesentlich heller. Ein Wachmann mit einem Nachtsichtgerät vor den Augen<br />

trat in die Zelle und befahl Gibbs: „Aufstehen, 16.“ Gibbs kam ein wenig unsicher auf die<br />

Füße. Er spürte, dass sich an seinen Handfesselns zu schaffen gemacht wurde. Dann waren die<br />

Fesseln gelöst und er spürte, wie ihm ein Teller in die Hände gedrückt wurde. Unter den linken<br />

Arm klemmte die Wache ihm eine Flasche, Gibbs vermutete Wasser. Dann wurde er auch<br />

schon wieder alleine gelassen. Sehr vorsichtig, um nichts zu verschütten, machte Gibbs die<br />

paar Schritte bis an die Wand, dort, wo die Tür war. Hier bückte er sich und stellte den Teller<br />

links neben der Tür auf den Boden. <strong>Die</strong> Flasche nahm er mit sich und tastete sich von der Tür<br />

weg. <strong>Die</strong> Hände bewegen zu können war ein schönes Gefühl. Gibbs hatte in den vergangenen<br />

Stunden kurze Halluzinationen gehabt. Nichts wirklich erschreckendes, allerdings hatte es aus-<br />

gereicht, seinen Puls in die Höhe zu treiben. Er brauchte immer wieder einige Zeit, um sich zu<br />

erholen. Gibbs öffnete die Flasche und trank vorsichtig einen Schluck. Es handelte sich wirk-<br />

lich um Wasser. Gibbs hatte schon vor Stunden entschieden, nichts zu Essen. Da er durch die<br />

Fesselung an den Gürtel die Hände nicht benutzen konnte, und er sich nicht der demütigenden<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Erfahrung aussetzen wollte, sich nach Benutzen des WCs nicht säubern zu können, wollte er<br />

auf Nahrung verzichten. Außerdem bot ihm die Verweigerung von Nahrung wenigstens eine<br />

kleine Genugtuung gegenüber den Entführern. So saß er nun in der Dunkelheit und trank nur<br />

hin und wieder einen Schluck Wasser.<br />

Wie lange sie ihn ungefesselt ließen, konnte der Agent nicht schätzen. Irgendwann<br />

jedoch ging die Tür zu seiner Zelle erneut auf. Wieder trat ein Wachposten mit Nachtsichtgerät<br />

zu ihm. Erneut wurde er aufgefordert, sich zu erheben. Kommentarlos stemmte er sich in die<br />

Höhe. Und erschrak ein wenig, als der Befehl: „Umdrehen.“, erfolgte. Mit klopfendem Herzen<br />

drehte Gibbs sich herum und die Wache packte seine Hände, und fesselte diese nun auf seinem<br />

Rücken an den Gürtel, der scheinbar einen reichhaltigen Vorrat an Metallösen zum Einhängen<br />

der Karabinerhaken hatte. Seine Hände waren nun seitlich auf den Rücken gefesselt. Ohne ein<br />

weiteres Wort verließ die Wache mit dem noch vollen Teller Gibbs und die Tür fiel wieder ins<br />

Schloss. Der NCIS Agent war abermals allein. Mühsam ließ er sich wieder zu Boden sinken.<br />

Das Liegen war jetzt erheblich unbequemer und so ließ Gibbs es bleiben, rutschte stattdessen<br />

an die Wand und lehnte sich dagegen. Er versuchte, an etwas Schönes zu denken, aber die<br />

Konzentration fiel ihm extrem schwer. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, er konnte<br />

sie nicht mehr steuern. Und dann riss Gibbs entsetzt die Augen auf. Aus der Dunkelheit kam<br />

ein Mann auf ihn zu. Es wurde hell und Gibbs erkannte den Mann klar und deutlich. Niemand<br />

anderes als der Terrorist Ari Haswari kam auf ihn zu. Breit grinsend, ihn höhnisch musternd.<br />

Einen Moment lang starrte Ari ihn kalt an. Dann sagte er mit vor Hass vibrierender Stimme:<br />

„So sieht man sich wieder, Special Agent Leroy Jethro Gibbs, und hier ist keine Caitlin, die<br />

sich schützend vor dich stellt und auch meine geliebte Schwester ist nicht da, um dir dein<br />

mieses, nichtsnutziges Leben zu retten. Ich werde dich jetzt Killen und keiner kann das mehr<br />

verhindern. Vorher werde ich aber Kate töten.“ Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah<br />

Gibbs, wir Ari Kate, die urplötzlich neben ihm stand, an den Haaren packte und vor sich auf<br />

die Knie zwang. Und dann zog Ari ein Messer aus dem Gürtel und bevor Gibbs überhaupt be-<br />

griff, was passierte, schnitt das Messer blitzschnell in Kates Kehle. Gibbs spürte ihr Blut auf<br />

sich spritzen und tat etwas, was er seit dem Tode Shannons und Kellys nicht mehr gemacht<br />

hatte: Er schrie gellend auf. Und plötzlich hatte Ari seine „Kate„, das Scharfschützengewehr, in<br />

der Hand und der Lauf der Waffe drückte gegen Gibbs Stirn.<br />

Booth, Seeley<br />

Zelle 2, Tag 1, 23.50 Uhr<br />

Status: Nach einer Panikattacke wieder ruhiger, halluziniert immer wieder,<br />

vereinzelnd Selbstgespräche, Pulsfrequenz schwankend, derzeit 95.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Als die Wache in die kleine Zelle gekommen war und Booth nach öffnen der Hand-<br />

fesseln einen Teller in die Hand gedrückt hatte, war dem jungen FBI Agent bereits klar, dass er<br />

garantiert kein Essen anrühren würde. Zwar knurrte ihm lautstark der Magen, aber der De-<br />

mütigung, auf die Toilette zu müssen, ohne die Hände benutzen zu können, wollte der junge<br />

Mann sich ganz bestimmt nicht aussetzen. Als ihm die Fesseln gelöst worden waren, hoffte er<br />

nur, die einmalige Gelegenheit nutzen zu können, und die Toilette in dieser Zeit aufsuchen zu<br />

können. Booth stellte den Teller auf den Boden neben der Tür und öffnete die Flasche, die ihm<br />

ebenfalls in die Hand gedrückt worden war. Vorsichtig nippt er daran und stellte erleichtert<br />

fest, dass es nur Wasser war. Er nahm einige kräftige Schlucke. Dann verschloss er die Flasche<br />

gewissenhaft und stellte sie an die Wand, dort würde er sie wieder finden. Seeley hatte tatsäch-<br />

lich Glück, er konnte die ungefesselte Zeit tatsächlich nutzen. Kurz darauf kam allerdings auch<br />

schon erneut eine Wache in die Zelle. Dass sie Nachtsichtgeräte verwendeten, verhinderte, dass<br />

Licht gemacht werden musste. Booth erhielt den präzisen Befehl: „Aufstehen.“, und stemmte<br />

sich unsicher in die Senkrechte. Er spürte, wie der Wachmann nach seinen Armen griff und<br />

diese auf seinen Rücken drückte. <strong>Die</strong> Karabiner wurden in andere Ösen, diesmal links und<br />

rechts auf dem Rücken, eingeklickt und dann verließ der Wachposten wortlos Booth‟ Zelle.<br />

Noch hilfloser als vorher, sackte Seeley an der Wand zu Boden. Als er dort saß, war er<br />

bemüht, an Bones zu denken. Aber er merkte schnell, dass er ihr Gesicht nicht festhalten<br />

konnte. <strong>Die</strong> Konzentration fiel ihm schwerer als während seines Schlafentzugs. Kaum hatte er<br />

Tempes Gesicht vor seinem geistigen Auge visualisiert, wurde es schon von anderen Gedanken<br />

davon gespült. Wirr, ohne Sinn schossen Erinnerungsfetzen durch Seeleys Verstand. Und dann<br />

hörte er plötzlich wieder, brutaler und lauter als zuvor, Sergeant Rahim. „Auf die Füße, du<br />

elende Ratte.“ Erschrocken taumelte Booth auf die Füße. Rahim stand vor ihm, die schwere<br />

Bullenpeitsche, die er immer bei sich trug, ließ er spielerisch an seine Stiefel klatschen. Booth<br />

und seine Mitgefangenen fürchteten diese Peitsche und den, der sie so virtuos einzusetzen<br />

wusste. Und er fürchtete den Mann, der diese Peitsche schwang. Ihm verdankte Booth auch die<br />

Bastonade, die er hatte über sich ergehen lassen müssen. Abdul Rahim grinste den jungen<br />

Special Agent an. „Hinknien.“ Booth sank sofort auf die Knie. Hass und Panik kämpften in<br />

ihm um die Oberhand. Rahim hob die Peitsche und ließ sich in seine behandschuhte Hand<br />

klatschen. „Wir werden uns jetzt mal ganz ausführlich unterhalten, Killer.“ Eiskalt starrte<br />

Rahim Booth in die Augen. Dann stieß der brutale Verhörspezialist hervor: „Haltet ihn fest.“<br />

Booth spürte in wilder Panik Hände, die ihn packten und zu Boden drückten. Er spürte, wie<br />

seine Fußgelenke umklammert wurden und wusste, dass nun grausame Schmerzen auf seinen<br />

Fußsohlen folgen würden. Als Rahim die Peitsche hob, wand Booth sich panisch in den<br />

Händen, die ihn festhielten. Verzweifelt brüllte er: „NEIN!“<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

Cameron, Allison<br />

Zelle 1, Tag 3, 7.15 Uhr<br />

Status: Anzeichen von Unruhe, leicht erhöhter Puls, 87, Selbstgespräche,<br />

Schlafstörungen, motorische Störungen.<br />

Allison saß an die Wand gelehnt da. <strong>Die</strong> Hände waren an dem Ring an ihrem Hals be-<br />

festigt. Sie versuchte, die Durchblutung in Schwung zu halten, in dem sie die Finger bewegte.<br />

Sie hatte Durst, konnte jedoch nicht trinken, da sie die Hände nicht benutzen konnte. Laut<br />

sagte sie: „Ich habe solchen Durst.“ Sie murmelte etwas, dann fuhr sie laut fort: „Chase, ich<br />

liebe dich nun mal nicht ... Was rede ich denn da? Er sollte wissen, dass ich House liebe.<br />

Warum begreift er es denn nicht? Ich muss mit Greg darüber sprechen.“ Wieder murmelte die<br />

junge Ärztin etwas Unverständliches. Äußerst mühsam kam sie auf die Füße und begann, un-<br />

ruhig in der winzigen Zelle auf und ab zu schlurfen. Als sie die Tür aufgehen hörte, fuhr sie<br />

herum. Ein Wachmann kam herein, Allison hörte ihn atmen, dann wurden ihre Hände von dem<br />

Ring gelöst und stattdessen mit einer zwanzig Zentimeter langen Kette zwischen den<br />

Karabinerhaken vor den Körper wieder zusammen gefesselt wurde. Nun bekam sie eine neue<br />

Flasche Wasser und eine Tüte in die Hände gedrückt. Dann war sie wieder alleine. Tränen<br />

traten ihr in die Augen. Sie wollte nicht mehr alleine sein. Sie wollte nie wieder alleine und im<br />

Dunkeln sein. Sie wollte hier raus. Sie wollte in ihre helle, große Zelle im Verließ zurück,<br />

wollte sich unterhalten, wollte ihre Mitgefangenen sehen, wollte zu House. „Bitte. Ich tue alles,<br />

was Sie wollen, aber lassen Sie <strong>mich</strong> bitte, bitte hier raus.“<br />

Erschrocken fuhr sie zusammen, als die Tür zu ihrer Zelle sich erneut öffnete. Dann<br />

sagte eine ruhige Stimme: „Du würdest alles tun?“ Cameron versuchte verzweifelt, mit den<br />

Augen die Dunkelheit zu durchbrechen. „Ja, ja, das würde ich.“, stammelte sie verzweifelt. <strong>Die</strong><br />

Stimme sagte: „Gut, darauf kommen wir zurück, verlass dich drauf.“ Cameron fühlte sich an<br />

den Armen gepackt und aus der Zelle geführt. Augenblicke später öffnete sich die Tür zum<br />

Flur und Allison schloss mit einem leisen Stöhnen die geblendeten Augen. Rücksichtslos<br />

wurde sie weiter gedrückt und zu einer anderen Tür in dem Flur gezogen. Der Wachposten<br />

hatte das Nachtsichtgerät vor seinen Augen hochgeklappt und drehte Allison zu sich herum. Er<br />

öffnete die Karabinerhaken und nahm ihr die Kette sowohl zwischen den Fußgelenken als auch<br />

die zwischen den Händen ab. Dann öffnete er den Gürtel und befreite die Immunologin auch<br />

davon. <strong>Die</strong> Tür, vor der sie standen, ging auf und Allison wurde in den dahinter liegenden<br />

Raum komplimentiert. Dann schloss sich die Tür wieder.<br />

Ganz zaghaft wagte sie es, die Augen zu öffnen. Es dauerte Minuten, bevor sie etwas<br />

erkennen konnte. Sie stand in einen Raum von mindestens vier Mal fünf Metern. Ein Bett, ein<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Anderen</strong><br />

by Frauke Feind<br />

bequem aussehender Sessel, TV mit DVD Player, ein Regal mit Büchern, und was das<br />

wichtigstes überhaupt war: In einer Ecke des Raumes sah Allison eine Dusche. Sie wartete<br />

noch ein paar Minuten, bis sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse ganz gewöhnt<br />

hatten, dann stolperte sie zu der Duschkabine hin, schlüpfte aus dem Kittel und stand Sekunden<br />

später unter dem warmen Wasserstrahl. Unendlich dankbar ließ sie das Wasser auf ihren<br />

Körper regnen. Sie schloss die Augen und hielt das Gesicht in den Wasserstrahl. Nach einiger<br />

Zeit sah sie sich um und entdeckte Shampoo. Sie schäumte sich die Haare drei Mal hinter-<br />

einander ein, dann seifte sie sich selbst ab, auch drei Mal hintereinander. Schließlich hatte sie<br />

das Gefühl, wieder sauber zu sein. Sie stieg aus der Dusche, und griff sich ein Handtuch, das<br />

an einem Haken an der Wand hing. Während sie sich trocken rubbelte, sah sie sich um. Auf<br />

dem Bett lag, das sah sie erst jetzt, ein frischer Kittel. Unendlich erleichtert zog sie diesen über.<br />

Dann sank sie auf das Bett nieder, schlug die Hände vor ihr Gesicht, und weinte, dass es sie<br />

schüttelte. Sie hatte es überstanden.<br />

Ende Part 1<br />

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