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By<br />
Frauke Feind<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Was du liebst lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.<br />
Konfuzius<br />
<strong>Über</strong> das Buch<br />
Eigentlich will Kelly nur in Ruhe ihren Feierabend genießen. Doch als ihr der schwer<br />
verletzte Sawyer vor die Füße fällt kann die junge Frau nicht die Augen vor seinem Leid<br />
verschließen. Sie nimmt ihn zu sich und pflegt ihn gesund. Damit nimmt ihr Leben eine<br />
Wendung wie sie schlimmer kaum sein kann. Sie wird in einen Strudel von Ereignissen<br />
gerissen, die sie an den Rand ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit treibt.<br />
Zusammen mit Sawyer, Kate, Jack und Sayid gelangt sie auf die Insel und lernt dort deren<br />
Bewohner kennen. Eine Bekanntschaft, auf die die junge Frau gerne verzichtet hätte. Nur die<br />
tiefe Liebe, die sie und Sawyer verbindet hilft Kelly, das Grauen zu überleben.<br />
Die Autorin<br />
Schon immer sagte man mir eine blühende Fantasie nach. Und ich hatte schon immer einen<br />
Hang zum Schreiben. Aufsätze, Diktate, später seitenlange Reiseberichte über unsere<br />
Urlaubsreisen. Meine erste Fanfiktion schrieb ich mit 26. Nicht, dass ich gewusst hätte, dass<br />
es eine Fanfiktion ist! Erst 2007 machte ich Bekanntschaft mit dieser ganz besonderen Art der<br />
Literatur. Und sah plötzlich eine Chance, meine kreative Seite mit anderen zu teilen. Ich legte<br />
los und veröffentlichte meine Ergüsse auf einer Website für Gleichgesinnte. Die ersten Leser<br />
stellten sich ein und ich schrieb wie im Rausch weiter. So ist es bis heute geblieben. Ich liebe<br />
das Schreiben und es macht <strong>mich</strong> süchtig, Kommentare von zufriedenen Lesern zu erhalten!<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Frauke Feind<br />
Mission<br />
impossible<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Alle Charaktere aus der Serie gehören dem jeweiligen TV Sender. Diese Fanfiktion dient<br />
der reinen Unterhaltung und ist ohne jedes finanzielle Interesse geschrieben<br />
und veröffentlicht worden.<br />
Verantwortung und Copyright für den Inhalt der Geschichte entspringen meiner Fantasie<br />
und sind daher mein Eigentum. Eine Verletzung von Urheberrechten ist nicht beabsichtigt.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
1) <strong>Der</strong> <strong>Angriff</strong> ............................................................................................................................ 6<br />
2) Sawyer .................................................................................................................................. 13<br />
3) <strong>Über</strong> die Insel ...................................................................................................................... 24<br />
4) Aufbruch nach LA .............................................................................................................. 38<br />
5) Verfolger .............................................................................................................................. 49<br />
6) Die Anderen ......................................................................................................................... 60<br />
7) <strong>Über</strong>fall! .............................................................................................................................. 71<br />
8) Eloise ................................................................................................................................... 83<br />
9) Absturz auf die Insel ........................................................................................................... 92<br />
10) Vereint ............................................................................................................................. 102<br />
11) Wann sind wir? ............................................................................................................... 114<br />
12) Gefangen ......................................................................................................................... 124<br />
13) Kein Ausweg .................................................................................................................... 137<br />
14) Sklaven ............................................................................................................................ 150<br />
15) <strong>Der</strong> Unfall ........................................................................................................................ 161<br />
16) Die Wahrheit ................................................................................................................... 171<br />
17) Verzweifelte Suche .......................................................................................................... 182<br />
18) Das Rad ........................................................................................................................... 196<br />
19) Die Entscheidung ............................................................................................................ 218<br />
20) Die DHARMA Initiative ................................................................................................. 228<br />
21) Mein Name ist Kelly ........................................................................................................ 237<br />
22) <strong>Der</strong> Schuss ....................................................................................................................... 249<br />
23) <strong>Der</strong> Lauf der Dinge ......................................................................................................... 263<br />
24) Fluch der bösen Tat ........................................................................................................ 276<br />
25) Todesurteil ....................................................................................................................... 287<br />
26) Die Flucht ........................................................................................................................ 300<br />
27) Gegen jede Chance .......................................................................................................... 310<br />
28) Oldham ............................................................................................................................ 320<br />
29) Daniels Plan .................................................................................................................... 330<br />
30) Aufarbeitung ................................................................................................................... 340<br />
31) Vorbereitungen ................................................................................................................ 348<br />
32) Die Bombe ....................................................................................................................... 360<br />
33) Auf Leben und Tod ......................................................................................................... 372<br />
34) John Locke ...................................................................................................................... 384<br />
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Frauke Feind<br />
35) Memorys .......................................................................................................................... 393<br />
36) Jacob und Samuel ........................................................................................................... 404<br />
37) Die Statue ........................................................................................................................ 415<br />
38) Todfeinde ......................................................................................................................... 428<br />
39) Abschied .......................................................................................................................... 443<br />
Prolog ..................................................................................................................................... 448<br />
1) <strong>Der</strong> <strong>Angriff</strong><br />
Erleichtert atmete ich auf. Für heute hatte ich es geschafft. Ich wollte nur noch nach-<br />
hause und die Beine lang machen. In der Praxis war die Hölle los gewesen. Die Erkältungs-<br />
welle hatte uns noch immer fest im Griff. Vor drei Tagen hatte sich auch mein Chef, Dr.<br />
Keith Emerson, mit Fieber ins Bett gelegt. Er hatte einen befreundeten Kollegen, der in einer<br />
Gemeinschaftspraxis in Skelton tätig war, gebeten, ihn für ein paar Tage zu vertreten. So<br />
mussten meine Kollegin Carrie Archer und ich uns für eine kurze Phase an einen anderen<br />
Chef gewöhnen. Die Vertretung, ein Dr. Martin Brewster, war ein fähiger Allgemein-<br />
mediziner, aber ein Frauenheld wie er im Buche stand. Kaum eine halbe Stunde in der Praxis,<br />
baggerte er bereits erst Carrie, kurze Zeit später <strong>mich</strong> an. Ich hatte <strong>mich</strong> vor fünf Monaten erst<br />
von meinem Freund getrennt, eine sehr hässliche Trennung, und das Letzte, was ich brauchen<br />
konnte, war männliche Gesellschaft! So ließ ich Brewster klar abblitzen und auch bei Carrie<br />
biss er auf Granit. Das hielt ihn nicht im Geringsten davon ab, seinen fragwürdigen Charme<br />
an alle weiblichen Wesen in Wright, die älter als fünfzehn und jünger als siebzig waren, zu<br />
versprühen. Carrie und ich beobachteten sein Treiben amüsiert und kümmerten uns ansonsten<br />
um unsere Patienten.<br />
Scheinbar hatte es aus jeder Familie in Wright und Umgebung mindestens ein<br />
Familienmitglied erwischt und so konnten wir uns über Zulauf an Patienten nicht beklagen.<br />
Dass ich die einzige Person war, die nicht nieste, hustete oder Halsschmerzen hatte erfüllte all<br />
die Erkältungsopfer mit stiller Wut. Ich lebte jetzt vier Jahre in Wright, hatte noch nie eine<br />
Erkältung gehabt und das, obwohl im Frühjahr und Herbst wirklich fast alle sich große Mühe<br />
gaben, <strong>mich</strong> anzustecken. Wie es aussah überstand ich auch das diesjährige Frühlings-<br />
bombardement mit Bazillen unbeschadet und war darüber keineswegs böse. Für heute jeden-<br />
falls hatten wir es geschafft. Wir hatten aufgeräumt, Carrie war gegangen und ich hatte noch<br />
ein paar Patientenakten weg sortiert. Nun war ich auch fertig und schloss die Praxis ab. Als<br />
ich nach draußen trat, verzog ich angewidert das Gesicht. Das Wetter war absolut grässlich,<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
selbst für April. Und selbst für die Appalachen. Genervt hetzte ich im Laufschritt zum kleinen<br />
Drugstore hinüber.<br />
Bridget, die Besitzerin, hatte meine Sachen bereits zusammen gepackt, ich hatte ihr<br />
am frühen Nachmittag telefonisch durchgegeben, was ich benötigte. Hustend und schniefend<br />
meinte sie:<br />
„Hier hast du alles. Ich leg <strong>mich</strong> jetzt hin, dass sage ich dir aber!“<br />
Ich nickte mitleidig. „Ja, mach das, du siehst schlecht aus.“<br />
„Du nicht, wie immer.“, giftete Bridget verschnupft.<br />
Ich schnappte mir lachend die Tüte mit den Lebensmitteln und verließ den Laden. Ich<br />
war nun besser gelaunt, wenn auch etwas müde. Hastig machte ich <strong>mich</strong> auf den Weg zu<br />
meinem Wagen. Die schwere Einkaufstüte in der Hand stiefelte ich durch Pfützen und Matsch<br />
zu meinem dunkelblauen Jeep Commander. Als ich nur noch wenige Meter entfernt war, kam<br />
plötzlich aus dem Gebüsch hinter der Praxis ein Mann getaumelt. Er wankte orientierungslos<br />
auf den kleinen Praxisparkplatz.<br />
- Auch eine Möglichkeit, Bazillen zu bekämpfen. -<br />
dachte ich grinsend. Mit der Fernbedienung öffnete ich den Jeep und wollte die letzten<br />
Schritte hinter <strong>mich</strong> bringen, als plötzlich an der anderen Seite des Gebüsches, vielleicht drei-<br />
ßig Meter entfernt, fünf Männer auf den Parkplatz hasteten. <strong>Der</strong> Mann, der taumelnd auf <strong>mich</strong><br />
zu kam, sah sich erschrocken um und keuchte entsetzt auf. Er drehte sich in meine Richtung<br />
und wankte schneller auf <strong>mich</strong> zu. Und erst jetzt sah ich sein Gesicht und erkannte, dass ich<br />
<strong>mich</strong> gründlich geirrt hatte. Sein Gesicht war nämlich blutverschmiert, das Hemd an vielen<br />
Stellen von Schnitten aufgeschlitzt und blutig, an seiner linken Seite zeichnete sich auf seiner<br />
hellen Lederjacke ein dunkler Fleck ab, auf den er seine linke Hand presste. Auch an der<br />
Jeans auf beiden Oberschenkeln waren dunkle Flecken zu sehen. <strong>Der</strong> Mann war keineswegs<br />
Betrunken, er war schwer verletzt!<br />
Ich stand einige Sekunden wie gelähmt da und sah ihn auf <strong>mich</strong> zu schwanken. Dann<br />
erkannte ich, dass die Männer, die auf uns zu hasteten, Waffen zogen. Sie richteten sie auf uns<br />
und fingen sofort an zu schießen. <strong>Der</strong> junge Mann hatte <strong>mich</strong> fast erreicht und wimmerte<br />
schmerzerfüllt:<br />
„Helfen Sie mir, bitte ...“<br />
Wieder wurde geschossen und ich sah, wie der junge Mann zusammen zuckte und wie<br />
von einer Faust getroffen auf <strong>mich</strong> zu stolperte. Ich ließ ohne nachzudenken die Tüte fallen,<br />
fing den jungen Mann auf und riss die hintere Tür des Wagens auf. Ihn rücksichtslos hinein zu<br />
schubsen und selbst vorne hinter das Steuer zu gleiten war eins. <strong>Der</strong> Wagen sprang sofort an<br />
und ich gab Gas. Es knackte und knirschte, als ich ohne Zögern durch das Gebüsch vor<br />
meinem Wagen brach. Fürs Rückwärtsfahren und Ausparken war keine Zeit mehr. Mit einem<br />
Hopser des Jeeps, der empört aufzuschreien schien, erreichte ich nach wenigen Metern die<br />
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Frauke Feind<br />
Hauptstraße. Die Typen schossen noch kurz hinter uns her, drehten dann ab und hetzten durch<br />
das Gebüsch zurück. Ich saß mit zitternden Händen und schwer atmend am Steuer und über-<br />
legte blitzschnell. Irgendetwas sagte mir, dass es sich bei den Typen, die auf uns geschossen<br />
hatten, nicht um Polizisten handelte. Wir hatten in Wright nur einen Dorfsheriff, der sein Büro<br />
im Postoffice hatte. Sollte ich dort hinfahren, würde es vermutlich zu einer Eskalation<br />
kommen, denn die Typen würde wohl auch dort keine Rücksicht nehmen und sofort schießen.<br />
Ihnen musste sehr wichtig sein, den jungen Mann auf meinem Rücksitz zum Schweigen zu<br />
bringen. Langsam fuhr ich die Straße entlang und überlegte. Als jedoch hinter mir in einiger<br />
Entfernung ein roter Ford Explorer mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf die Straße<br />
schoss, schenkte ich mir weitere <strong>Über</strong>legungen und gab Vollgas. Ich war sicher, dass mussten<br />
die Männer sein, die auf uns geschossen hatten.<br />
Hektisch bog ich in eine Seitenstraße vor uns ein, raste weiter und bog nach wenigen<br />
Metern erneut ab, in die Orwell Lane. Auch diese war kurz und ich riss das Steuer nach links,<br />
kurz darauf bereits wieder nach rechts. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass ich den<br />
Ford erst einmal abgeschüttelt hatte. Ich gab Gas und bog Minuten später scharf nach rechts<br />
in den Roseville Drive ab. Hier konnte ich wieder erheblich schneller fahren und erreichte<br />
schließlich wieder die Stonewall Road, die Verbindungsstraße nach Lanark. Erst hier wagte<br />
ich es, <strong>mich</strong> nach meinem Passagier umzusehen. Er lag besinnungslos auf der Rückbank und<br />
ich war nicht einmal sicher, ob er noch atmete.<br />
„Verdammte Scheiße, elende!“, fluchte ich verzweifelt.<br />
Was sollte ich tun? Unter Umständen fuhr ich hier gerade einen Toten spazieren. Die<br />
Typen, die ihm auf den Fersen gewesen waren, schienen äußerst brutal und rücksichtslos zu<br />
sein. Sie hatten ohne Rücksicht auf <strong>mich</strong> das Feuer eröffnet und irgendwie weckte das meinen<br />
Widerstandswillen! Plötzlich wusste ich, was ich machen konnte, ohne jemanden zu ge-<br />
fährden. Ich warf noch einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, sah den Explorer aber nicht<br />
und nickte zufrieden. Vor mir tauchte auf der rechten Seite die Norwoodlane auf und ich riss<br />
das Steuer herum. Dann gab ich wieder Vollgas und erreichte schnell das Ende der Straße.<br />
Hier begann ein schlecht befahrbarer Waldweg. Ohne zu Zögern fuhr ich in diesen ein. Erneut<br />
gab ich Gas und fuhr gute fünf Meilen im Zickzack durch das riesige Waldgebiet, das uns<br />
umgab.<br />
Die Appalachen waren ein dünn besiedeltes Gebiet und die Gegend um uns herum<br />
bildete da keine Ausnahme. Ich fuhr nach Nordosten und erreichte endlich die kleine Brücke,<br />
die über den Mill Creek führte. Gute zehn Minuten später hatte ich mein Ziel erreicht. Vor<br />
Jahren hatte mein inzwischen leider verstorbener Großvater hier eine Jagdhütte errichten<br />
lassen. Wobei das Wort Hütte stark untertrieben war. Es war ein richtiges Haus, mit Küche,<br />
Schlafzimmer, Bad und Wohnraum. Strom gab es nicht, aber das hatte uns nie gestört.<br />
Niemand hier wusste von dem Haus, Grandpa hatte Bauarbeiter aus Washington geholt, was<br />
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Frauke Feind<br />
ich nicht verstanden hatte. Aber er hatte gelacht und geantwortete, dass das Haus etwas war,<br />
das wirklich absolut niemanden etwas anging. Eigenartigerweise war es bisher auch nicht<br />
entdeckt worden. Allerdings führte auch nur ein sehr schlecht befahrbarer Weg hierher und<br />
die Umgebung gehörte nicht zum Wander- oder Jagdgebiet. Hinter dem Haus war eine große<br />
Garage und in diese fuhr ich den Jeep hinein. Ich sprang aus dem Wagen, schloss das<br />
Garagentor und hetzte zur Tür, die durch die Garage ins Haus führte. Ich schloss auf, zündete<br />
einige Gaslampen an, schlüpfte im Schlafzimmer aus meiner dicken Winterjacke und eilte,<br />
ein Stoßgebet zum Himmel sendend, wieder zum Jeep zurück. Ich riss die hintere Tür auf und<br />
holte erst einmal tief Luft. Ich griff nach dem jungen Mann und versuchte, ihn in eine sitzende<br />
Position zu ziehen.<br />
Als ich das geschafft hatte, legte ich ihm zwei Finger an die Halsschlagader und<br />
atmete erleichtert auf, als ich schwachen Puls fühlte. Gott sei Dank lebte er noch. Jetzt kam<br />
ein hartes Stück Arbeit für <strong>mich</strong>. <strong>Der</strong> Junge war groß, bestimmt 1,90 m und wog dement-<br />
sprechend, obwohl er schlank und durchtrainiert war.<br />
„Okay, dann wollen wir mal. Kraftsport soll ja gut sein ...“, flüsterte ich leise.<br />
Ich packte den jungen Mann unter den Achseln und war dankbar, dass er ohne Be-<br />
sinnung war. So spürte er wenigstens keine Schmerzen. Es kostete <strong>mich</strong> fast zehn Minuten,<br />
bis ich ihn aus dem Wagen ins Haus, durch den Flur ins Schlafzimmer und dort aufs Bett ge-<br />
hievt hatte. Mir zitterten vor Anstrengung die Knie und ich war schweißgebadet. Aber er lag<br />
auf dem Bett. Als ich wieder zu Atem gekommen war rannte ich ins Badezimmer und raffte<br />
dort Handtücher, Waschlappen und einen erstklassig ausgestatteten Erste Hilfe Kasten an<br />
<strong>mich</strong> und schleppte alles ins Schlafzimmer. Ich hatte meine dicke Winterjacke vorhin achtlos<br />
auf den Boden geworfen und stieß sie jetzt mit dem Fuß noch ein wenig weiter aus dem Weg.<br />
Nun zog ich mir einen kleinen Tisch ans Bett, der im Schlafzimmer stand. Dort stellte ich<br />
alles ab und eilte in die Küche. Hier griff ich mir einen Eimer, der unter der kleinen Spüle im<br />
Schrank stand und füllte ihn mit Wasser. Auch diesen schleppte ich ins Schlafzimmer und nun<br />
kam Teil zwei der Kraftanstrengung: Ich musste meinem Patienten irgendwie die Kleidungs-<br />
stücke ausziehen. Wer schon einmal einen besinnungslosen Menschen bewegt hat, weiß, wie<br />
schwer ein solcher Mensch ist. Ich kämpfte minutenlang, dann war ich erneut klatschnass<br />
geschwitzt, aber der junge Mann lag nur noch in Boxershorts vor mir. Und nun endlich konnte<br />
ich <strong>mich</strong> seinen Verletzungen widmen.<br />
Die Wunden an seiner Seite sowie die an den Oberschenkeln waren offensichtlich Ein-<br />
stiche, aber zu klein für ein Messer. Es wirkte eher, als hätte ihm jemand einen kleinen<br />
Schraubendreher oder ähnliches in den Körper gerammt. Die Wunden waren nicht wirklich<br />
gefährlich, aber geschickt an sehr schmerzempfindlichen Stellen platziert und hatten stark<br />
geblutet. Ich reinigte sie gründlich und legte Pflasterverbände an. Das Gleiche war es mit den<br />
vielen Schnittwunden, die sich über seinen ganzen Oberkörper verteilten. Alle nur oberfläch-<br />
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Frauke Feind<br />
lich, aber nichts desto weniger äußerst schmerzhaft. Wer immer sie dem jungen Mann zu-<br />
gefügt hatte, wusste was er tat. Mit geringstmöglichem Aufwand größtmögliche Schmerzen<br />
zufügen. Ich säuberte auch diese Wunden und verpflasterte sie. Nun musste ich <strong>mich</strong> um die<br />
Schusswunde kümmern und rollte den jungen Mann möglichst vorsichtig auf den Bauch. <strong>Der</strong><br />
Rücken war voller Blut und ich spülte den Waschlappen aus. Ich begann das Blut fort zu<br />
waschen. Und konnte endlich sehen, dass die Kugel etwa in Höhe des dritten Brustwirbels<br />
und ziemlich mittig, ganz leicht nach rechts versetzt, in seinen Rücken gedrungen war. Ich<br />
eilte in den kleinen Flur und suchte hektisch nach der leistungsstarken Taschenlampe, die im<br />
Flurschrank lag. Damit hetzte ich ins Schlafzimmer zurück. Mit Hilfe einer Pinzette er-<br />
weiterte ich das Einschussloch vorsichtig und konnte die Kugel schließlich sehen.<br />
„Verdammt!“ Ich fluchte ungehalten. Sie stecke im Querfortsatz des Brustwirbels,<br />
dicht am Spinalnerv und Rückenmark. „Oh, Gott.“<br />
Eine Kleinigkeit weiter rechts und er wäre für immer gelähmt gewesen oder tot. Ich<br />
überlegte hektisch. Raus musste sie. Wenn der junge Mann aber zu sich kommen sollte,<br />
während ich an seiner Wirbelsäule herum stocherte, und sich bewegte, konnte auch das eine<br />
Querschnittslähmung oder sogar seinen Tod bedeuten.<br />
„Es tut mir leid.“, sagte ich leise.<br />
Dann eilte ich in die Garage und raffte alles zusammen, was ich an Stricken finden<br />
konnte. Damit kehrte ich ins Schlafzimmer zurück. Nun begann ich, dem Jungen Hand- und<br />
Fußgelenke so stramm es ging an die Bettpfosten zu fixieren. Das war mir jedoch noch nicht<br />
sicher genug. Ich schob zwei Stricke unter ihm hindurch, schlang sie einmal um seinen<br />
Körper und zog sie nach rechts und links stramm. Die Enden verknotete ich fest am Bett-<br />
gestell. Ein Strick lag nun um seine Hüfte, der andere so hoch es ging um seinen Brustkorb.<br />
Einen letzten Strick warf ich über einen der Trägerbalken über dem Bett und band die<br />
Taschenlampe daran fest. Sie hing nun ziemlich genau über dem Einschussloch.<br />
Ich legte mir Watte, ein Skalpell, zwei kleine Wundspreizer, Pinzette und Verbands-<br />
material bereit. <strong>Über</strong>legend sah ich alles noch einmal an, dann schüttelte ich den Kopf. Was,<br />
wenn ich die Kugel mit der Pinzette nicht aus dem Knochen bekam? Okay, also noch einmal<br />
in die Garage und nach einer möglichst kleinen Zange suchen. Zum Glück war mein Groß-<br />
vater ein echter Handwerker und pedantisch ordentlich mit seinem Werkzeug gewesen und so<br />
fand ich an der Wand der aufgeräumten Werkbank eine kleine, spitz zulaufende, erstaunlich<br />
saubere Zange. Ich nickte zufrieden. Damit musste es gehen. Glücklicherweise hatte ich<br />
genug antiseptische Reinigungslösung da und in diese legte ich die Zange für einige<br />
Sekunden. Ich desinfizierte auch das Einschussloch gründlich. Ich war kein Arzt, aber die<br />
Kugel war gut zu sehen und ich musste es einfach riskieren.<br />
So sagte ich leise:<br />
„Es tut mir so leid!“, und erweiterte das Einschussloch mit einem kleinen Schnitt.<br />
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Frauke Feind<br />
Mein Patient stöhnte auf, kam aber nicht wirklich zu sich. Erst, als ich das Loch mit<br />
einem kleinen Wundspreizer auseinander drückte, wachte er keuchend vor Schmerzen auf. Ich<br />
konnte darauf keine Rücksicht nehmen und war dankbar für die Eingebung, ihn fixiert zu<br />
haben. Er konnte sich wirklich kaum einen Zentimeter bewegen und das war auch gut so. Ich<br />
sondierte mit der Zange vorsichtig die Wunde, bis ich auf Widerstand stieß. Mitleidig sagte<br />
ich:<br />
„Das wird jetzt sehr weh tun.“<br />
Entschlossen versuchte ich, die Kugel zu fassen zu bekommen. Zweimal rutschte ich<br />
ab, hielt beide Male vor Schreck die Luft an. Endlich spürte ich, dass die kleinen Greifbacken<br />
sich fest um das Projektil schlossen. Ich atmete tief durch und betete, dass ich keinen Fehler<br />
machen würde. Ich begann, die Kugel langsam und so gerade wie möglich aus dem Knochen<br />
zu lösen. <strong>Der</strong> wehrlose junge Mann quittierte meine Behandlung mit gequälten Schmerzens-<br />
schreien und versuchte verzweifelt, sich loszureißen, um den Schmerzen ein Ende zu machen.<br />
Endlich hatte ich die verdammte Kugel heraus. Und nun verlor mein Patient zum Glück auch<br />
wieder die Besinnung.<br />
Ich reinigte die Wunde noch einmal gründlich und legte auch hier einen festen Druck-<br />
verband an. Erst jetzt wusch ich das restliche Blut von seinem Rücken, so gut es ging. Nun<br />
war nur noch sein zerschlagenes Gesicht zu behandeln. Ich löste die Fesseln und warf die<br />
Sticke achtlos auf den Boden. Vorsichtig drehte ich den Jungen wieder auf den Rücken und<br />
beugte <strong>mich</strong> über ihn. Ich begann sanft, das Blut von seinem Gesicht zu waschen. Natürlich<br />
musste er nun wieder aufwachen. Als er sah, dass sich jemand über ihn beugte, keuchte er<br />
angstvoll auf und versuchte, nach mir zu schlagen.<br />
„Haut ab ... Lasst <strong>mich</strong> zufrieden ... Verschwindet ...“, keuchte er panisch.<br />
Ich hatte keine Schwierigkeiten, seine Hände zu greifen und diese festzuhalten. <strong>Der</strong><br />
junge Mann war viel zu geschwächt, um ernsthaft Widerstand leisten zu können. Leise und<br />
beruhigend redete ich auf ihn ein.<br />
„Ganz ruhig. Pssst. Ich will Ihnen nichts tun. Beruhigen Sie sich. Sie sind in Sicher-<br />
heit, okay. Ich helfe Ihnen.“<br />
Minutenlang redete ich so mit Engelszungen auf ihn ein und ganz langsam entspannte<br />
er sich ein wenig. Er tat mir unendlich leid. So zugeschwollen seine Augen auch waren,<br />
strahlten sie dennoch panische Angst aus. Ich wartete noch eine Weile, dann fragte ich leise:<br />
„Alles klar? Ich muss Ihr Gesicht reinigen, okay? Ich versuche, Ihnen nicht unnütz<br />
weh zu tun, aber die Wunden müssen gereinigt werden.“<br />
Hatte ich vorher seine Hände fest gehalten, war es jetzt der junge Mann, der sich an<br />
meine Hände klammerte. Sein Zittern, das ich bis eben gespürt hatte, ließ langsam nach und<br />
sein Kopf sank ins Kissen zurück.<br />
„Okay ...“, quetschte er mühsam hervor und ließ <strong>mich</strong> los.<br />
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Frauke Feind<br />
Angstvoll wartete er auf die Behandlung und ich begann, das Blut so sanft und vor-<br />
sichtig wie möglich abzuwaschen. Er hielt still, zuckte nur an besonders tiefen Platzwunden<br />
aufzischend vor Schmerzen zusammen. Endlich hatte ich alles Blut abgewaschen und ver-<br />
arztete die vielen kleinen Wunden, von denen einige ganz bestimmt nicht von Schlägen,<br />
sondern eindeutig von Schnitten herrührten. Einige Minuten später zierten diverse Pflaster<br />
sein Gesicht. Aber das Blut war weg und er sah nicht mehr wie ein Monster aus. Vollkommen<br />
erschöpft lag er still. Ich hob sanft seinen Kopf etwas an, zog das mit Blut und Wasser ver-<br />
schmierte Kissen unter ihm hervor und ersetzte es gegen das saubere zweite Kissen vom<br />
anderen Bett. Nun zog ich das Zudeck vorsichtig unter ihm heraus und deckte ihn damit zu.<br />
Er reagierte nicht mehr und ich dachte, er sei wieder besinnungslos, aber plötzlich sagte er<br />
leise und schwach:<br />
„Kann ... Kann ich was zu Trinken ... bekommen?“<br />
Ich griff mir den Eimer und erwiderte:<br />
„Natürlich, ich hole Ihnen etwas.“<br />
In der Küche schüttete ich das Wasser in die Spüle und griff aus der Speisekammer<br />
eine Flasche Wasser. Damit kehrte ich ins Schlafzimmer zurück. Ich setzte <strong>mich</strong> neben den<br />
jungen Mann auf das Bett, drehte die Flasche auf und hob erneut sanft seinen Kopf an.<br />
Vorsichtig ließ ich ihn Trinken. Dankbar murmelte er irgendwas und ich ließ seinen Kopf<br />
zurück sinken. Und eine Minute später war ich sicher, dass er tief und fest eingeschlafen war.<br />
Ich räumte im Schlafzimmer auf und als ich hier fertig war ging ich erneut in die<br />
Küche. Ich machte im Herd Feuer und kurze Zeit später stand ein Topf mit Dosensuppe über<br />
den Flammen, und ein zweiter Topf mit Wasser. Ich schnappte mir eine Kaffeekanne, Filter<br />
und Kaffee und brühte mir die ganze Kanne voll auf. Während der Kaffee durchlief, feuerte<br />
ich den großen Kamin, der das ganze Haus beheizte, an. Als das Feuer schließlich vernünftig<br />
brannte, nahm ich mir meine Suppe, die Thermoskanne mit dem Kaffee, eine Tasse und<br />
marschierte ins Schlafzimmer zurück. Während ich die heiße Suppe aß, hatte ich erstmals<br />
Zeit, über das nachzudenken, was in den letzten drei Stunden geschehen war. Und plötzlich<br />
überkam <strong>mich</strong> das große Zittern. Ich griff mir eine Decke aus dem Schrank, wickelte <strong>mich</strong><br />
darin ein und setzte <strong>mich</strong> zurück ans Bett des Verletzten. Ich konnte es nicht fassen. Um 17<br />
Uhr war meine Welt noch in Ordnung gewesen. Ich hatte <strong>mich</strong> auf einen ruhigen Feierabend<br />
vor dem Fernseher gefreut, vielleicht mit einem Glas guten Rotwein. Und jetzt saß ich hier bei<br />
einem mir vollkommen unbekannten jungen, schwer verletzten Mann am Bett. Man hatte auf<br />
<strong>mich</strong> geschossen. Irgendjemand hatte versucht, den Jungen umzubringen. Und sicherheits-<br />
halber <strong>mich</strong> gleich mit, vermutlich als unliebsame Zeugin. Das gab es doch alles nicht. Ich<br />
wusste ja nicht einmal, ob ich hier einen Verbrecher gerettet hatte. Ich kam mir vor wie in<br />
einem Film.<br />
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Frauke Feind<br />
Es dauerte eine Weile, bis ich <strong>mich</strong> wieder gefangen hatte. Dann begann ich rational<br />
darüber nachzudenken, wie es weiter gehen sollte. Wenn ich mir mit dem jungen Mann eine<br />
Laus in den Pelz gesetzt hatte, war ich ganz schön angeschissen. In den nächsten Tagen würde<br />
keine Gefahr von ihm ausgehen, die Verletzungen waren zu schwerwiegend und er hatte zu<br />
viel Blut verloren. Sollte ich das Gefühl haben, er wäre eine Gefahr für <strong>mich</strong> würde ich<br />
Gegenmaßnahmen ergreifen. Ich würde auf jedem Fall auf Nummer sicher gehen. Sobald ich<br />
merken würde, dass es ihm besser ging und er zu Kräften kam, würde ich ihm die Hände zu<br />
meiner eigenen Sicherheit ans Bett fesseln, bis ich sicher sein konnte, was und wer er war.<br />
Erst einmal war er für <strong>mich</strong> nur ein junger Mann, der verzweifelt Hilfe benötigt hatte. Alles<br />
andere würde sich in den nächsten Tagen zeigen. Ich griff nach seinem linken Handgelenk<br />
und tastete nach dem Puls. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, dass dieser zwar<br />
langsam, aber kräftig schlug. Eine Haarsträhne war dem Verletzten in die Stirn gerutscht und<br />
meine Finger reagierten von selber: Ich strich sie ihm sanft aus der Stirn. Ich war ziemlich<br />
fertig, und so überlegte ich nicht mehr lange. Ich warf den Kamin noch einmal randvoll und<br />
schüttete Kohle oben auf das gestapelte Holz. Müde kehrte ich ins Schlafzimmer zurück, legte<br />
<strong>mich</strong> neben meinen Patienten auf das Bett und war Minuten später eingeschlafen, sicher, mit-<br />
zubekommen, falls der Verletzte unruhig werden würde.<br />
2) Sawyer<br />
Mitten in der Nacht wachte ich auf und stellte fest, dass der junge Mann sich unruhig<br />
hin und her wälzte. Ich setzte <strong>mich</strong> auf und legte ihm sanft eine Hand auf die Stirn. Sie war<br />
heiß. Er hatte Fieber. Das war nicht weiter verwunderlich. Es gelang mir zum Glück, ihm<br />
Wasser einzuflößen. Müde legte ich <strong>mich</strong> wieder neben ihn und in einem Impuls griff ich<br />
nach seiner rechten Hand. Er wurde ruhiger und ich war zufrieden. Und schlief wieder ein.<br />
Als ich erneut erwachte, war es draußen schon fast hell. Ich sah auf meine Uhr. Kurz nach 7<br />
Uhr. Mein erster Blick galt dem Verletzten. Schweiß glänzte auf dessen verquollenem Ge-<br />
sicht, was darauf hindeutete, dass er noch immer Fieber hatte. Ich stand auf und streckte <strong>mich</strong>.<br />
Nun ging ich in den Wohnraum, stellte fest, dass der Kamin noch Glut hatte und warf ein<br />
wenig Holz auf. Ich verschwand ins Bad und machte <strong>mich</strong> frisch. Dabei überlegte ich, was ich<br />
gegen das Fieber machen konnte, sollte es sehr viel höher steigen. Im schlimmsten Fall würde<br />
ich dem jungen Mann ganz nach Großmutterart Wadenwickel machen müssen. Erst einmal<br />
machte ich nur den Waschlappen vom Vortag wieder feucht und kehrte damit ins Schlaf-<br />
zimmer zurück. Ich tupfte meinem Patienten vorsichtig das Gesicht ab und legte ihm erneut<br />
die Hand auf die Stirn. Er zuckte unter der Berührung zusammen und murmelte im Fieber-<br />
schlaf etwas, dass ich nicht verstehen konnte. Einen Namen jedoch konnte man ziemlich deut-<br />
lich verstehen. Kate. Ich zuckte die Schultern. Er würde ein paar Tage brauchen, sich zu er-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
holen, dann würde ich sicher einiges erfahren. Seufzend dachte ich an die Praxis und an<br />
Carrie. Sie würde sich wundern, wo ich abgeblieben war und sich Sorgen machen, das war<br />
mir klar. Aber ebenso klar war mir, dass es besser war, wenn niemand ahnte, wo ich hin ver-<br />
schwunden war.<br />
Ich schob den Gedanken an die Praxis entschlossen bei Seite. Erst einmal bemühte ich<br />
<strong>mich</strong> nun, meinem Patienten wieder schlückchenweise Wasser einzuflößen, was ganz gut<br />
klappte. Anschließend schlug ich die Bettdecke beiseite und löste vorsichtig die Verbände<br />
über den Stich- und Schnittwunden. Eine schwache Rötung der Wundränder deutete auf eine<br />
leichte Entzündung hin. Das war aber nichts Gefährliches, es durfte nur nicht mehr werden.<br />
Ich hatte die antiseptische Lösung noch auf dem Tischchen stehen und tränkte einen Watte-<br />
bausch damit. Ich tupfte die Wunden gründlich ab, was den jungen Mann zusammenzucken<br />
ließ. Das Zeug brannte höllisch, das wusste ich aus eigener Erfahrung. Als ich zufrieden war,<br />
legte ich neue Verbände an. Nun rollte ich den Jungen vorsichtig auf den Bauch und verfuhr<br />
mit dem Einschussloch genauso. Auch hier stöhnte er, wachte allerdings nicht ganz auf. Zum<br />
Schluss begutachtete ich drei besonders tiefe Platzwunden an Stirn und Wangen und reinigte<br />
auch diese noch einmal gründlich mit dem Octenisept. Unruhig versuchte der Verletzte, sein<br />
Gesicht zur Seite zu nehmen, was ihm jedoch nicht gelang. Schließlich war ich aber fertig und<br />
setzte <strong>mich</strong> einen Moment zu ihm auf die Bettkante. Ich griff nach seiner Linken und sagte<br />
leise:<br />
„Du hast es geschafft, ich quäle dich nicht weiter. Schlaf dich gesund.“<br />
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der junge Mann verdammt gut aussah, wenn man<br />
sich die vielen Verletzungen im Gesicht, die vielen Schwellungen, wegdachte. Er hatte<br />
blonde, nackenlange Haare, einen drei Tage Bart und graugrüne Augen, das hatte ich am Tag<br />
zuvor gesehen. Als ich die Zudecke wieder über ihn legte, kam ich nicht umhin, seine durch-<br />
trainierte, perfekte Figur zu begutachten.<br />
„Kate ist bestimmt deine Freundin, mein Lieber. So, wie du aussiehst, kannst du nicht<br />
alleine sein, das kann ich mir nicht vorstellen.“, sagte ich leise.<br />
************<br />
Die nächsten zwei Tage vergingen damit, dass ich meinem Patienten Wasser einflößte,<br />
wann immer es ging, ihm Händchen hielt, wenn er im Fieberschlaf zu unruhig wurde und be-<br />
gütigend auf ihn ein redete. Am Abend des zweiten Tages wurde er merklich ruhiger, das<br />
Fieber ging schnell zurück und er hatte eine friedliche, entspannte Nacht. Ich hatte ein<br />
schlechtes Gewissen, aber das ignoriert ich, als ich am Morgen mein mir selbst gegebenes<br />
Versprechen wahr machte, ihm die Arme über den Kopf drückte und seine Hände fest an die<br />
oberen Bettstreben fesselte. Ich saß neben ihm auf der Matratze und wartete, dass er endlich<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
aufwachen würde. Und er tat mir den Gefallen. Noch bevor er richtig bei sich war, merkte er,<br />
dass er gefesselt war. Er riss die Augen auf, in denen nackte Panik flackerte, und keuchte ent-<br />
setzt:<br />
„Lasst <strong>mich</strong> in Frieden, ihr Schweine! Ich bring euch um!“<br />
Er zerrte an den Fesseln, in der verzweifelten Hoffnung, frei zu kommen, aber meine<br />
Knoten hielten. Panisch versuchte er, sich aufzusetzen. Ich beugte <strong>mich</strong> über ihn und hielt ihn<br />
mit sanfter Gewalt fest, drückte ihn auf die Matratze zurück.<br />
„Psst, bleib ganz ruhig, es passiert dir nichts. Ich will dir nichts tun, okay, reg dich<br />
nicht auf. Bleib ganz ruhig. Ich habe dir den Arsch gerettet, also mach dir keine Sorgen. Du<br />
bist schon seit drei Tagen hier, verstehst du, wenn ich dir etwas hätte tun wollen, hätte ich es<br />
schon lange gemacht, okay. Du musst wirklich keine Angst haben.“<br />
Langsam dämmerte dem jungen Mann wohl, dass ihm von mir keine unmittelbare Ge-<br />
fahr drohte und er entspannte ein wenig. Nur seine Brust hob und senkte sich unter hastigen,<br />
flachen Atemzügen.<br />
„Wo ... wo sind wir ... hier?“, fragte er hoffnungslos verwirrt und seine Augen<br />
flackerten unruhig durch den Raum.<br />
„In Sicherheit.“, erklärte ich ruhig und sah ihm in die Augen.<br />
Er hielt meinem Blick stand, was ich als gutes Zeichen wertete.<br />
„Wie lange bin ... ich schon hier?“, wollte er noch einmal verstört wissen.<br />
Ich beugte <strong>mich</strong> über ihn und legte ihm eine Hand auf die Stirn, um zu prüfen, ob<br />
diese noch heiß war. Wieder verspannte er sich unwillkürlich, atmete aber auf, als er merkte,<br />
dass ich ihm nichts tun wollte. Während ich prüfte, ob er noch Fieber hatte, antwortete ich:<br />
„Heute Abend sind es genau drei Tage.“<br />
Er schloss kurz die Augen, dann sagte er leise:<br />
„Drei Tage ... Solange war ich weg? Wer ... wer bist du?“<br />
Ich lachte leicht ironisch.<br />
„Nein, Freundchen, so läuft das hier nicht. Du wirst erst einmal mir einiges erklären.<br />
Immerhin wurde deinetwegen auf <strong>mich</strong> geschossen. Ich möchte von dir hören, wer du bist,<br />
was du bist, was das für Typen waren, was sie von dir wollten. Aber vorher musst du etwas<br />
Essen, okay.“<br />
Seine Augen folgten mir angstvoll, als ich aufstand und den Raum verließ. Hilf- und<br />
wehrlos dazuliegen war nicht schön für ihn, aber für <strong>mich</strong> notwendig, bis ich sicher sein<br />
konnte, dass mir keine Gefahr drohte. Augenblicke später war ich mit einem Teller Suppe<br />
zurück, die ich zusammen mit dem Kaffee an diesem Morgen aufgesetzt hatte. <strong>Der</strong> Gefesselte<br />
lag immer noch ziemlich verkrampft da und beobachtete <strong>mich</strong> nervös. Als ich neben ihm saß,<br />
stellte ich den Teller auf den Nachtschrank und griff über den Verletzten hinweg nach dem<br />
zweiten Kissen. Ich hob sanft seinen Kopf an und stopfte ihm das zweite Kissen darunter. So<br />
konnte er Essen, ohne sich zu verschlucken.<br />
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ließ.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Das wird dir gut tun.“, sagte ich ruhig und begann, ihn zu füttern, was er verlegen zu-<br />
Als der Teller leer war, sagte ich:<br />
„So, jetzt erzähle mir ein wenig. Ich bin ganz Ohr.“ Und er begann zu Reden.<br />
„Mein Name ist ... Sawyer. Diese miesen Bastarde, ich weiß nicht, wer sie sind, sind<br />
schon ne ganze Weile hinter mir her. Sie wollten ... was von mir wissen, Informationen. Sie<br />
haben <strong>mich</strong> ... am ...“, er musste sich stark konzentrieren, das war zu merken. „Drei Tage?<br />
Dann haben sie <strong>mich</strong> Dienstagmorgen erwischt.“<br />
Er fing an zu zittern und atmete schnell und flach. Leise fuhr er fort:<br />
„Sie haben <strong>mich</strong> in den Wald geschleift und ... und gefoltert, damit ich ausspucke, was<br />
sie wissen wollten.“<br />
Er atmete heftig und in seinem gelb und blau schimmernden Gesicht sah man die<br />
Angst, die ihn umklammerte. Unwillkürlich legte ich meine Hand auf seine hastig sich<br />
hebende und senkende Brust und sagte beruhigend:<br />
„Keine Panik, hier bist du absolut sicher, wirklich. Keiner wird dir hier was tun.“<br />
Er seufzte leise und fuhr fort:<br />
„Irgendwie bin ich ihnen schließlich abgehauen. Sie hatten <strong>mich</strong> nicht gefesselt, nur<br />
festgehalten und ich konnte <strong>mich</strong> irgendwann losreißen und bin einfach gerannt. Dass ich dir<br />
dabei in die Arme gelaufen bin, erinner ich gar nicht mehr.“<br />
Er schwieg erschöpft und in seinem Gesicht war etwas, dass <strong>mich</strong> überzeugte, dass er<br />
die Wahrheit sagte.<br />
„Das waren keine Polizisten, oder?“<br />
Er lachte sarkastisch auf und schüttelte den Kopf.<br />
„Nein. Nein, das waren keine Bullen.“<br />
Ich sah ihn scharf an.<br />
„Ich weiß nicht, ob ich dir trauen soll. Aber ich glaube, ich riskiere es.“<br />
Ich öffnete die kleine Schublade im Nachttisch, griff nach einem Messer, das ich<br />
sicherheitshalber dort hinein gelegt hatte und beugte <strong>mich</strong> über ihn. Sofort war wieder Panik<br />
in seinen Augen. Er atmete keuchend und zuckte heftig zusammen. Aber ich durchtrennte nur<br />
die Stricke, die seine Arme in der unbequemen Position über dem Kopf an die Bettstreben<br />
gefesselt hatten. Erleichtert sackte er in sich zusammen und flüsterte:<br />
„Danke ...“<br />
Ich nickte, während ich ihm die Strickreste von den Handgelenken nahm.<br />
„Wenn du versuchst, mir etwas zu tun, werde ich dir das Messer so tief in den Bauch<br />
rammen, dass nicht mal ein Wunder dich retten kann, ist das klar?“<br />
Er nickte.<br />
wer du bist?“<br />
„Klar. Ich werde dir ganz bestimmt nichts tun.“ Zögernd fragte er: „Sagst du mir jetzt,<br />
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Ich nickte.<br />
„Ja. Ich bin Kelly Reardon.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
<strong>Der</strong> jetzt ungefesselt daliegende sah <strong>mich</strong> an. Was er sah, gefiel ihm. Eine vielleicht<br />
dreißig Jahre alte, brünette, schlanke junge Frau, die Haare in sanften Wellen bis fast zur<br />
Hüfte fallend, dunkle Augen, weich geschwungene Lippen, zarte Gesichtszüge, eine Frau, die<br />
Blicke auf sich zog. Er hob langsam die Rechte und hielt sie mir hin. Ich griff danach und er<br />
lächelte schwach. Erst jetzt bemerkte ich, dass er Grübchen hatte, die bei diesem wenn auch<br />
schwachen Lächeln aufblitzten. Er hielt meine Hand fest und sagte:<br />
„Hallo, Kelly. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Wenn du nicht ... Wenn du <strong>mich</strong><br />
einfach ... Wenn du abgehauen wärest, hätten sie <strong>mich</strong> in Streifen geschnitten.“<br />
Seine Stimme klang plötzlich, als kämpfe er mit Tränen.<br />
„Ich habe ehrlich nicht weiter darüber nachgedacht. Sie haben los geballert und ich<br />
habe dich ins Auto gestoßen und bin los gerast. Gedacht habe ich erst hinterher.“ Ich machte<br />
meine Hand sanft los und sagte: „Ich muss nach deinen Verletzungen sehen, okay?“<br />
Er nickte. „Wie kommt es, dass du das kannst?“, fragte er müde.<br />
„Ganz einfach. Ich bin Krankenschwester, Schwerpunkt Notfallmedizin, ich habe<br />
mein Examen in der Notaufnahme gemacht. Ich arbeite in Wright bei Dr. Emerson, bin seine<br />
Assistentin.“<br />
Ich hatte die Zudecke zur Seite geschlagen und löste vorsichtig die Pflaster, die die<br />
Verbände über den Wunden hielten. Sawyer versuchte, sich aufzurichten, um die Ver-<br />
letzungen ebenfalls anzusehen, schaffte es jedoch nicht. Er war noch zu schwach.<br />
„Bleib liegen, du bist noch lange nicht wieder fit. Du hast eine Menge Blut verloren.“<br />
Ich sah mir die Wunden an, tastete sie ab, aber Sawyer zeigte kaum noch Unbehagen.<br />
„Das sieht gut aus, da wird es auch ein Pflaster tun.“ Ich klebte also nur noch ein<br />
Pflaster über die kleinen Löcher und Schnitte und half Sawyer, sich auf den Bauch zu rollen.<br />
Die Einschusswunde nässte noch ein wenig und ich tupfte sie wieder gründlich mit Octenisept<br />
ab, was Sawyer zusammen zucken ließ.<br />
„Ah ... Verdammt, das Zeug brennt wie Feuer!“, keuchte er.<br />
Mitleidig sagte ich:<br />
„Ich weiß, aber es hilft sehr gut. Ich bin auch fast fertig.“<br />
Ich verband die Wunde neu, dann rollte mein Patient sich wieder auf den Rücken. Und<br />
nun löste ich die Pflaster im Gesicht.<br />
Dieses schillerte immer noch in allen Farben, aber die Schwellungen gingen deutlich<br />
zurück und die Wunden verheilten gut.<br />
„Ich denke, wir lassen die Pflaster weg, das heilt an der Luft am Besten. Du hast wirk-<br />
lich ganz schön was abbekommen. Die Wunden stammen aber nicht alle von Schlägen.“<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein ... Sie haben irgendwann mit nem Messer nachgeholfen.“<br />
Ich wurde blass.<br />
„Mein Gott ...“<br />
Sawyer fielen fast die Augen zu.<br />
„Ja, war nicht schön.“, murmelte er leise. „Ich bin saumüde.“ nuschelte er dann.<br />
„Schlaf ruhig, das wird dir gut tun. Ich bin hier und passe auf dich auf, versprochen.“<br />
Er öffnete noch einmal die Augen und jetzt lächelte er wirklich.<br />
„Danke. Für alles.“<br />
Er schloss die Augen und Sekunden später merkte ich an den tiefen, gleichmäßigen<br />
Atemzügen, dass er eingeschlafen war. Leise stand ich auf und ging in die Küche. Ich<br />
schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und setzte <strong>mich</strong> aufs Sofa. <strong>Der</strong> Kamin knisterte und es war<br />
gemütlich warm im Haus. Während ich meinen Kaffee trank, dachte ich darüber nach, was<br />
Sawyer erzählt hatte. Ich war mir darüber im Klaren, dass er lange nicht alles gesagt hatte.<br />
Was die Kerle von ihm hatten wissen wollen, hatte er nicht erwähnt. Ebenso, was er in dieser<br />
abgelegenen Ecke gewollt hatte. Er musste von nicht allzu weit weg, irgendwo aus den<br />
Appalachen stammen, das sagte mir sein stark Südstaaten angehauchter Akzent. So sicher ich<br />
das wusste, so sicher wusste ich auch, dass mir von ihm keine Gefahr drohte. Und so war ich<br />
zumindest in der Beziehung deutlich entspannter. Allerdings hatte ich nun Angst, dass Sawyer<br />
möglicherweise noch Gefahr drohte. Sollten die Typen doch irgendwie herausfinden, wo ich<br />
mit ihm abgeblieben war, drohte sicher Gefahr für uns beide. Ich dachte darüber nach, wie es<br />
weiter gehen sollte. Waren die Typen überhaupt noch in der Nähe? Das war sicher stark ab-<br />
hängig davon, was sie von ihm hatten wissen wollen, wie wichtig das für sie war und was er<br />
ihnen letztlich verraten hatte. Und auch, wie wichtig es ihnen war, Sawyer und nun sicher<br />
auch <strong>mich</strong> als unliebsame Zeugin zu beseitigen. Ich spürte eine Gänsehaut auf meinem<br />
Rücken und erhob <strong>mich</strong> spontan.<br />
Ich marschierte in die Garage und tastete auf der Arbeitsfläche der Werkbank herum<br />
nach einem losen Brett. Schließlich hatte ich es gefunden. Wenn man nicht wusste, dass es da<br />
war, man hätte es nie gefunden. Mein Großvater hatte es so geschickt angebracht, dass ein<br />
Außenstehender nie darauf gekommen wäre, in dieser Werkbank nach einem Versteck zu<br />
suchen. Ich aber wusste, dass Grandpa hier zwei 9 mm Waffen aufbewahrte, zusammen mit<br />
Munition. Ich zog die relativ große Metallkiste, in der die beiden Walther PPK verwahrt<br />
waren, aus dem Loch und verschloss es sorgfältig wieder. Mit dem Kasten unter dem Arm<br />
kehrte ich ins Haus zurück. Ich ging ins Schlafzimmer und sah, dass Sawyer tief und ruhig<br />
schlief. Seit ich ihn her gebracht hatte, wirkte er das erste Mal wirklich vollkommen ent-<br />
spannt. Ich setzte <strong>mich</strong> vorsichtig auf meine Betthälfte und öffnete den Kasten. Verblüfft<br />
stellte ich fest, dass noch einiges mehr darin lag als nur die Waffen. Die beiden 9 mm lagen<br />
oben drauf, in Wachspapier gründlich eingewickelt, und darunter war ein großer Brief-<br />
umschlag zu sehen. Ich nahm die Walther PPKs heraus und legte sie neben <strong>mich</strong> auf das Bett.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jetzt zog ich den dicken Briefumschlag hervor. Langsam öffnete ich ihn. Ich hatte plötzlich<br />
ein sehr merkwürdiges Gefühl im Magen. Als erstes sah ich einen weiteren, normalen Brief-<br />
umschlag, der ebenfalls ziemlich dick aussah. Ich zog diesen heraus und legte ihn unbeachtet<br />
neben <strong>mich</strong>. Dann zog ich den Schnellhefter hervor, der in dem Briefumschlag steckte. Ich<br />
lehnte <strong>mich</strong> an und schlug den Hefter auf. Er enthielt eine Reihe von Papieren, aber oben<br />
drauf war ein Brief in der Handschrift meines Großvaters geheftet. Ich fing an zu lesen.<br />
Liebste Kelly<br />
Wenn du das hier liest, bin ich vermutlich tot. Das ist okay. Ich habe ein<br />
langes, erfülltes Leben gehabt und es in vollen Zügen genossen.<br />
Meine liebe Kelly, es gibt in meinem Leben ein Geheimnis, dass ich dir nie<br />
verraten habe. Ich möchte, dass du weißt, dass dies zu deinem Schutz geschah,<br />
nicht etwa, weil ich dir nicht vertraut hätte! Auch über dich musst du etwas<br />
erfahren. Behalte dein neues Wissen für dich und nutze, was ich dir hinter-<br />
lassen werde.<br />
Kelly, es mag sein, dass eines Tages Fremde bei dir auftauchen. Sie werde dich<br />
vielleicht nach einer Insel fragen, von der du keine Ahnung hast. Du musst<br />
aber alles erfahren, daher sage ich es dir auf diesem Wege. Dein <strong>Über</strong>leben und<br />
dass vieler anderer Menschen hängt davon ab!<br />
Diese Insel ist etwas Besonderes! Wie besonders, kann selbst ich dir nicht sagen,<br />
der ich doch viele Jahre dort verbracht habe. Kelly, du selbst wurdest auf dieser<br />
Insel geboren! Deine Mutter starb bei deiner Geburt, das ist wahr, nur nicht<br />
in Lynchburg, wie dir erzählt wurde, sondern auf besagter Insel! Chrissy wäre<br />
in jedem Fall gestorben, das wusste sie auch. Kein Arzt dieser Welt hätte sie<br />
retten können. Sie hat nur noch den einen Wunsch gehabt, dir das Leben zu<br />
schenken. Alles andere war ihr egal. Dein Vater hat dich in Lynchburg auf-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
gezogen, bis er auf die Insel zurück beordert wurde. Ich weiß nicht, ob er noch<br />
am Leben ist. Wenn ja, wirst du das sicher herausfinden können.<br />
Diese Leute, die ich erwähnte, werden von einem Benjamin Linus oder, was<br />
genauso schlimm wäre, von Charles Widmore kommen. Die Beiden bekriegen sich<br />
seit Jahrzehnten. Jeder behauptet, dass Beste für die Insel zu wollen, aber,<br />
Kelly, traue keinem von ihnen! Linus ist derjenige, der den Weg zur Insel<br />
weiß. Widmore versucht seit Jahren, diesen Weg zu finden, um auf die Insel<br />
zurückkehren zu können.<br />
Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit! Es gibt eine Gruppe von<br />
Menschen, die von der Insel wissen und dieses Wissen aus Gründen, die du er-<br />
fahren wirst, für sich behalten haben. Eines Tages werden diese Menschen auf<br />
die Insel zurückkehren müssen! Du kannst ihnen dabei helfen, denn du hast<br />
die Gabe, diese Insel zu finden. Allerdings brauchst du Hilfe dabei. Sollte<br />
eines Tages jemand kommen, der verzweifelt nach mir sucht, dann hilf diesem<br />
Menschen! Egal, ob es eine Frau oder ein Mann ist! Du musst wissen, ob der<br />
oder die Betreffende von Linus oder Widmore kommt! Sie werden nach mir<br />
suchen, aber nicht unter dem Namen Timothy Walsh! Nur diese Leute wissen<br />
diesen Namen, Kelly! Nur ihnen kannst du vertrauen. Hilf ihnen! Ich kann es<br />
nicht mehr. Keiner der von Linus oder Widmore kommt weiß von dem Namen!<br />
Du musst nach Los Angeles gehen und dort nach einer gewissen Eloise<br />
Hawking suchen. Sie ist die Frau, die dir helfen wird, die Insel zu finden.<br />
Ihr Sohn, Daniel Faraday, wird 1977 von seiner eigenen Mutter auf der Insel<br />
getötet werden. Nicht absichtlich, sie weiß nicht, dass er ihr Sohn ist! Das<br />
muss auf jedem Fall verhindert werden! Dass wird deine Aufgabe und die der<br />
Gruppe von Leuten sein, die ich ansprach. Ich wünschte so sehr, ich könnte dir<br />
helfen. Ich kann es nur noch, indem ich dir Mittel zur Verfügung stelle, die<br />
ihr mehr als benötigen werdet. In dem zweiten Briefumschlag ist Geld und die<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Verfügungsberechtigung für ein Bankkonto, dass ich für dich eingerichtet habe.<br />
Nutze das Geld sinnvoll.<br />
Meine geliebte Enkelin, ich weiß, dass ich <strong>mich</strong> auf dich verlassen kann! Ich<br />
liebe dich und hoffe, dass der Brief dich nicht viel zu spät erreicht.<br />
Dein Großvater<br />
Ich saß da und begriff nichts! Von welcher Insel sprach Grandpa? Wieso sollte ich<br />
dort geboren sein? Die Namen sagten mir rein gar nichts. Widmore und Linus ... Ich war<br />
völlig verwirrt. Wie sollte ich denn bitteschön etwas verhindern, das vor über dreißig Jahren<br />
geschehen war? Ich fragte <strong>mich</strong> wirklich, ob Grandpa vielleicht nicht mehr klar im Kopf ge-<br />
wesen war. Aber das konnte nicht sein. Ich hatte ja schließlich bis zu seinem Tod bei ihm ge-<br />
lebt. Er war erst zweiundsiebzig und fit in jeder Beziehung gewesen. Geistesabwesend griff<br />
ich nach dem kleinen Briefumschlag und öffnete diesen. Und wäre fast vom Bett gerutscht.<br />
Da lagen 1.000 Dollar Scheine drinnen, und zwar zwei Päckchen. Auf den Banderolen stand:<br />
50.000 Dollar in Banknoten zu $ 1.000.-. Ich hielt hier also 100.000 Dollar in meinen Händen.<br />
Mir wurde schlecht. Hastig stopfte ich das Geld zurück in den Umschlag und starrte ins Leere.<br />
Was sollte das alles? Plötzlich wurde Sawyer neben mir unruhig und ich warf den Brief-<br />
umschlag schnell in die Schublade meines Nachtschränkchens. Immer unruhiger wurde der<br />
junge Mann und fuhr mit einem erstickten Keuchen in die Höhe.<br />
Ich reagierte, ohne nachzudenken. Mich zu ihm beugen und ihn beruhigend in den<br />
Arm nehmen war eins. Ich spürte, dass er am ganzen Körper zitterte und sagte beruhigend:<br />
„Alles in Ordnung, Sawyer, du hast schlecht geträumt.“<br />
Einen Moment ließ er es zu, dass ich ihn sanft fest hielt, dann machte er sich frei und<br />
sank aufstöhnend in die Waagerechte zurück.<br />
„Scheiße.“, schnaufte er. „Ich bin vor ner Weile bei nem Flugzeugabsturz ... Naja, ich<br />
war an Bord, als es abstürzte. Davon hab ich grade geträumt.“<br />
Er beruhigte sich langsam und prustete schließlich angespannt:<br />
„Man, was für‟n Albtraum.“<br />
Erst jetzt bemerkte er die beiden Walther, die ich achtlos liegen gelassen hatte. Sofort<br />
glomm wieder Angst und Misstrauen in seinen faszinierenden Augen auf und ich beeilte<br />
<strong>mich</strong>, ihm zu sagen:<br />
„Hey, keine Panik, die sind nicht dafür gedacht, dich in die ewigen Jagdgründe zu<br />
schicken. Ich habe sie aus ihrem Versteck genommen, weil ich nicht sicher bin, ob die Typen,<br />
die dich gejagt haben, nicht doch noch in der Nähe sind. Solange wir uns hier aufhalten, droht<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
uns wohl keine Gefahr, da niemand von dem Haus hier weiß, aber wir können nicht ewig hier<br />
bleiben. Irgendwann ist die Speisekammer leer und wir werden uns etwas einfallen lassen<br />
müssen. Dann brauchen wir die vielleicht.“<br />
Sawyer sah <strong>mich</strong> an und entspannte wieder.<br />
„Ich kann dich da nicht noch tiefer mit rein ziehen, Kelly. Du bist meinetwegen schon<br />
in Lebensgefahr geraten. Wenn es mir besser geht, hau ich ab.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, aber bis es soweit ist, kann noch viel passieren. Hör zu, ich kann mit einer Waffe<br />
umgehen, mein Grandpa hat es mir beigebracht. Ich bin durchaus im Stande, <strong>mich</strong> zu ver-<br />
teidigen. Mache dir erst mal um <strong>mich</strong> keine Sorgen. Du musst wieder gesund werden. Hast du<br />
Hunger?“<br />
auf.<br />
Sawyer nickte verlegen.<br />
„Und wie.“<br />
Ich lachte.<br />
„Ich werde dir etwas zu Essen machen.“<br />
Ich wollte aufstehen, aber noch viel verlegener hielt Sawyer <strong>mich</strong> zurück.<br />
„Warte mal. Ich ... ich müsste mal ... Ich ...“<br />
Er brachte nicht fertig, zu sagen, was ihn bedrückte, aber mir ging plötzlich ein Licht<br />
„Oh, du willst ins Bad, was? Komm, ich helfe dir.“<br />
Ganz langsam und vorsichtig half ich ihm, sich aufzusetzen und die Beine vom Bett zu<br />
schwingen. Er musste einige Male tief durchatmen, dann ging es ihm besser. Ich half ihm auf<br />
die Füße und erklärte:<br />
holfen.“<br />
„Stütz dich fest auf <strong>mich</strong>, ich habe im Krankenhaus schon ganz anderen Kalibern ge-<br />
Langsam setzten wir uns in Bewegung und erreichten das Bad. Mit zitternden Knien<br />
wankte Sawyer zum Klo hinüber und ich trat dezent auf den Flur hinaus. Nach ein paar<br />
Minuten hörte ich ihn leise sagen:<br />
„Bin fertig ...“<br />
Das klang so verlegen, dass ich grinsen musste. Schnell trat ich ins Bad und erwischte<br />
ihn gerade noch rechtzeitig, bevor seine Beine nachzugeben begannen. Ich umfasste seine<br />
schlanke Taille und er stützte sich stöhnend auf <strong>mich</strong>. So schaffte ich ihn ins Bett zurück.<br />
Schweißgebadet und vor Schwäche am ganzen Körper bebend lag er schließlich<br />
wieder lang. Ich hielt beruhigend seine Rechte und er hielt sich regelrecht an mir fest. Er<br />
brauchte mehrere Minuten, bis er sich einigermaßen gefangen hatte. Ich blieb bei ihm, bis sein<br />
Atem wieder ruhig kam und das Zittern aufgehört hatte. Lächelnd erklärte ich:<br />
„Ich mache uns mal was zu essen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er nickte nur und ich verschwand in die Küche, wo ich den Herd befeuerte. Ich kochte<br />
uns Nudeln und machte eine simple Tomatensoße dazu. Zwanzig Minuten später balancierte<br />
ich zwei Teller ins Schlafzimmer. Ich half Sawyer, sich aufzusetzen und stopfte ihm ein Sitz-<br />
kissen, das ich aus dem Wohnzimmer holte, in den Rücken.<br />
„Geht es so?“, fragte ich besorgt.<br />
Er nickte.<br />
„Jepp. Kein Problem.“<br />
Wir aßen unsere Nudeln und schließlich fragte ich beiläufig:<br />
„Sag mal, was hast du eigentlich in dieser abgelegenen Ecke getrieben?“<br />
Sawyer zögerte nur kurz.<br />
„Ach, was soll‟s. Hab jemanden gesucht. Nen nicht mehr ganz jungen Mann, der mir<br />
gegen diese Typen, die hinter mir her sind, helfen könnte.“ Er sah <strong>mich</strong> aus seinen grünen<br />
Augen an und fragte mit einem schiefen Grinsen: „Wie lange lebst du schon hier? Vielleicht<br />
kennst du ihn.“<br />
sein Name?“<br />
Ich schmunzelte.<br />
„Ich arbeite beim einzigen Arzt im Umkreis. Ich kenne wohl jeden hier. Wie ist denn<br />
Sawyer sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Er heißt Timothy Walsh!“<br />
Ich spürte, wie ich blass wurde und Sawyer anstarrte wie ein Kalb mit zwei Köpfen.<br />
„Was ist?“, fragte dieser erschrocken.<br />
starren.<br />
„Wie ... wie heißt der Mann?“<br />
„Walsh, Timothy Walsh. Soll um die siebzig sein.“<br />
Immer noch war ich zu nichts anderem fähig, als Sawyer weiterhin fassungslos anzu-<br />
„Kelly, was ist denn? Hab ich was Verkehrtes gesagt?“<br />
Endlich wachte ich aus meiner Erstarrung auf.<br />
„Bist du sicher, dass der Name stimmt?“<br />
„Absolut. Wir suchen ihn schon ne Weile.“<br />
Ich sah Sawyer misstrauisch an.<br />
„Wer ist wir?“<br />
<strong>Der</strong> blonde Mann atmete tief durch.<br />
„Freunde und ich.“<br />
„Was sind das für Freunde?“<br />
„Sie saßen damals auch in dem abgestürzten Flugzeug, haben mit mir zusammen über-<br />
lebt.“, erklärte Sawyer kurz. Er schaute <strong>mich</strong> auffordernd an. „Was ist denn nun mit diesem<br />
Walsh? Kennst du ihn? Offensichtlich, so wie du geguckt hast.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich überlegte hektisch und entschied <strong>mich</strong> spontan, auf mein Bauchgefühl zu hören,<br />
das mir sagte, dass ich Sawyer vertrauen konnte. Ich hätte nicht einmal sagen können, warum<br />
ich das Gefühl hatte. Es war plötzlich da und ich wusste, ich konnte <strong>mich</strong> darauf verlassen.<br />
Ich holte tief Luft und drückte dem jungen Mann den Brief meines Großvaters in die Hand.<br />
Minutenlang herrschte Stille zwischen uns, Sawyer las aufmerksam die Worte, die mein<br />
Großvater mir hinterlassen hatte. Dann sagte er fassungslos:<br />
„Das gibt es ja nicht!“<br />
3) <strong>Über</strong> die Insel<br />
Sawyer hielt den Brief in der Hand und in seinem Kopf arbeitete es, wie in meinem.<br />
Leise und ziemlich erschöpft meinte er:<br />
„Du bist die Enkelin von diesem Walsh?“<br />
Ich sah ihn an und bemerkte, wie blass und müde er aussah. Ich nickte.<br />
„Ja, das bin ich offensichtlich, aber darüber werden wir später reden. Du solltest dich<br />
eine Weile ausruhen.“<br />
Ich stand auf, nahm ihm das Sitzkissen hinter dem Rücken weg und half ihm, sich be-<br />
quem hinzulegen. Er lag da und klapperte vor Schwäche mit den Zähnen.<br />
„Ist dir kalt?“, fragte ich besorgt.<br />
„N bisschen.“<br />
Ich ging an den Schrank und holte eine Decke heraus, die ich über Sawyers Zudeck<br />
legte. Dankbar lächelte er.<br />
„Das ist besser. Kelly?“<br />
„Ja?“<br />
und erwiderte:<br />
„Du musst das alles nicht tun.“<br />
Ich schaute ihn kurz an und nickte.<br />
„Ich weiß. Aber ich mache es gerne.“<br />
„Wegen des Briefes ...“<br />
Das war weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung. Ich schüttelte den Kopf<br />
„Nein, nicht deswegen. Ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, weißt du? Als<br />
ich sah, dass diese Schweine zu fünft hinter dir her waren, wurde ich wütend. Ich hätte dir auf<br />
jedem Fall geholfen, selbst, wenn du ein Verbrecher wärest.“<br />
Sawyer sah <strong>mich</strong> lange still an. Ruhig meinte er:<br />
„Das glaub ich dir sogar.“<br />
Er zitterte immer noch vor Kälte und hatte Schwierigkeiten, nicht mit den Zähnen zu<br />
Klappern. Ich schüttelte den Kopf.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Du frierst ja immer noch. Das geht nicht.“<br />
Entschlossen legte ich <strong>mich</strong> zu ihm ins Bett und zog mein Zudeck auch noch über uns.<br />
„Versteh das nur nicht verkehrt, klar?“, sagte ich ruhig.<br />
Eng kuschelte ich <strong>mich</strong> an den kranken, jungen Mann und blieb so liegen, bis ich<br />
merkte, dass das Zittern endlich nachließ und ruhige Atemzüge mir verrieten, dass er ein-<br />
geschlafen war. Erst jetzt löste ich <strong>mich</strong> sehr vorsichtig von ihm, holte mir meine Winter-<br />
jacke, die ich über <strong>mich</strong> breitete und schlief schließlich auch ein.<br />
************<br />
Ich wachte mitten in der Nacht davon auf, dass Sawyer sich neben mir bewegte. Meine<br />
innere Alarmanlage hatte sich darauf eingestellt, jede Regung von ihm mitzubekommen.<br />
Noch war er nämlich nicht über den Berg. Er hatte sich auf die Seite gedreht und wachte<br />
gerade auf. Als er sah, dass ich nur mit meiner Jacke zugedeckt war, wurden seine Augen<br />
dunkel und er sagte unglücklich:<br />
wichtiger.“<br />
„Hey, das ist doch Scheiße. Nimm dein Zudeck, du muss ja frieren wie sonst was.“<br />
Ich drehte <strong>mich</strong> ebenfalls auf die Seite und erklärte:<br />
„Nein, mir ist nicht kalt. Das ist schon in Ordnung, wirklich. Dir war kalt, das war<br />
„Vergiss es, nimm deine Decke, verflucht!“<br />
Ich schüttelte stur den Kopf.<br />
„Nein, nur, wenn dir warm genug ist.“<br />
„Ja.“, meinte er im Brustton der <strong>Über</strong>zeugung. „Mir ist warm genug.“<br />
Ich sah ihn genau an und bemerkte eine Gänsehaut am Hals und auf seinen Schultern,<br />
die unter dem Zudeck hervor guckten. Ich lachte leise und erwiderte:<br />
„Klar, das sehe ich. Du behältst die Decke, Punkt.“<br />
Er verdrehte die Augen.<br />
„Meine Fresse, bist du stur!“, stieß er entnervt hervor. Ein Schauer lief über seinen<br />
Körper und er fluchte ungehalten. „Verfluchte Scheiße, wieso ist mir so beschissen kalt?“<br />
Ich sah ihn besorgt an und erklärte: „Das kommt vom Blutverlust. Das regeneriert sich<br />
nicht in so kurzer Zeit. Aber du hast Recht, ganz warm ist mir auch nicht. Dreh dich auf die<br />
andere Seite, wenn du kannst.“<br />
Vorsichtig drehte er sich mit dem Rücken zu mir und ich rutschte wieder unter die Zu-<br />
decken. Eng schmiegte ich <strong>mich</strong> erneut an ihn und war erstaunt, dass es sehr angenehm war,<br />
seinen Körper zu spüren. Ich legte den rechten Arm um ihn und schnell wurde uns angenehm<br />
warm. Wir schliefen wieder ein.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Als ich aufwachte, war es hell draußen, die Sonne schien und Vögel zwitscherten.<br />
Sawyer hatte sich im Schlaf herum gedreht und so lag ich jetzt in seinen Armen. Ich spürte,<br />
dass ich rot wurde und versuchte, <strong>mich</strong> frei zu machen, ohne ihn zu wecken. Als ich es ge-<br />
schafft hatte, glitt ich leise vom Bett und verschwand ins Badezimmer. Ich stellte <strong>mich</strong> unter<br />
die Dusche, die durch ein ausgeklügeltes System vom Kamin beheizt ihr warmes Wasser<br />
produzierte, und duschte ausgiebig. Anschließend schlich ich, nur mit einem Handtuch um<br />
den Körper, ins Schlafzimmer zurück. Grandpa und ich hatten immer ein wenig Ersatz-<br />
kleidung hier. Ich griff mir frische Unterwäsche, Socken, Jeans und einen Pullover und kehrte<br />
ins Bad zurück. Dort zog ich <strong>mich</strong> an. Als ich fertig war verschwand ich in die Küche und<br />
feuerte den Herd an. Wasser aufsetzen war schon Routine geworden. Ich sah in der Speise-<br />
kammer nach, was ich uns zum Frühstück machen konnte. Groß war die Auswahl nicht.<br />
Schließlich entschied ich <strong>mich</strong> für Schweinefleisch aus der Dose und öffnete dazu ein Glas<br />
Pilze, die ich uns briet. Als ich gerade fertig war und das lukullische Frühstück auf Teller ver-<br />
teilen wollte, hörte ich aus dem Bad ein Rumpeln. Erschrocken eilte ich los, um nachzusehen,<br />
was passiert war. An der Badezimmertür zusammen gesackt fand ich Sawyer, der offensicht-<br />
lich alleine versucht hatte, auf die Toilette zu kommen. Hastig kniete ich neben ihm nieder<br />
und sagte besorgt:<br />
„Hey, bist du verrückt? Willst du dich umbringen? Du bist noch nicht wieder so bei<br />
Kräften, dass du hier im Haus herum springen kannst.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und stöhnte kläglich:<br />
„Was du nicht sagst. Ist mir doch tatsächlich auch schon aufgefallen.“<br />
Ich griff nach ihm und sagte:<br />
„Komm, ich bringe dich ins Bett zurück. Und nächstes Mal rufe gefälligst, wenn du<br />
den Drang verspürst, herumzulaufen.“<br />
Mühsam und mit heftig zitternden Knien schafften wir es gemeinsam, Sawyer aufzu-<br />
richten und zurück ins Bett zu bringen. Vollkommen erledigt lag er still und starrte frustriert<br />
die Decke an. Schließlich sagte er leise:<br />
„Man, ich hab <strong>mich</strong> noch nie so hilflos und beschissen gefühlt. Und glaub mir, das<br />
sind nicht meine ersten Verletzungen.“<br />
Ich hatte ihn zugedeckt und sagte:<br />
„Weißt du, Blutverlust unterschätzen die meisten Menschen. Es wird einfach noch ein<br />
paar Tage dauern, dann bist du wieder auf den Beinen.“ Ich stand auf und sagte im Hinaus-<br />
gehen: „Jetzt gibt es erst mal Frühstück, danach wirst du dich schon besser fühlen.“<br />
Minuten später saßen wir auf dem Bett und futterten das dürftige Menü. Als wir fertig<br />
waren, erklärte ich Sawyer ruhig:<br />
„Kann ich dich eine Weile alleine lassen, oder versuchst du dann einen kleinen Aus-<br />
flug in den Wald? Ich möchte gerne ein paar Lebensmittel und Medikamente besorgen.“<br />
Sawyer verdrehte die Augen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Harhar. Ich verspreche, liegen zu bleiben. Aber denkst du nicht, dass könnte gefähr-<br />
lich für dich werden?“<br />
Ich seufzte.<br />
„Mag sein, aber wenn wir hier verhungern, bringt uns das auch nicht gerade weiter.<br />
Ich werde natürlich nicht nach Wright fahren, sondern nach Beckley. Das wird nur leider eine<br />
ganze Weile dauern. Es sind zehn Kilometer und ich werde Nebenstraßen benutzen, das heißt,<br />
ich werde vermutlich gute drei Stunden unterwegs sein.“<br />
Sawyer nickte.<br />
„Kein Problem. Ich kann ja nicht weglaufen. Genau genommen kann ich ja nicht mal<br />
alleine pinkeln gehen.“<br />
Er klang frustriert und wütend.<br />
„Ich werde <strong>mich</strong> beeilen, das verspreche ich.“ Ich nahm die beiden 9 mm Waffen aus<br />
der Nachttischschublade und legte eine auf das Bett. „Ich nehme eine mit, man weiß ja nie. Es<br />
weiß hier in der Umgebung zwar keiner, dass diese Hütte existiert, aber ... Lass uns einfach<br />
auf Nummer sicher gehen.“<br />
Er griff nach der Waffe und kontrollierte sie mit geübten Fingern.<br />
„Alles klar. Nun mach schon dass du los kommst.“<br />
Er warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Sorge, Frust, aber auch noch<br />
etwas anderes lag in ihm. Ich nickte.<br />
„Gut, ich mache <strong>mich</strong> auf die Socken. Ich beeile <strong>mich</strong>, so gut es geht.“<br />
Ich wollte <strong>mich</strong> erheben, aber Sawyer hielt <strong>mich</strong> an der Hand fest.<br />
„Pass auf dich auf, okay?“<br />
Ich sah ihn an und lächelte.<br />
„Mach ich, versprochen.“<br />
Zögernd ließ er meine Hand los und ich erhob <strong>mich</strong>. Ich schnappte mir meine Jacke<br />
und kontrollierte, ob mein Portemonnaie in der Tasche steckte. Eilig hastete ich ins Wohn-<br />
zimmer und griff mir aus dem Waffenschrank einer Eingebung folgend Grandpas Jagdgewehr<br />
und ein wenig Munition, dann hetzte ich in die Garage. Ich legte das Weatherby auf die<br />
Rückbank und deckte es mit einer alten Decke ab. Minuten später war ich bereits auf dem<br />
Weg. <strong>Über</strong> Waldwege gelangte ich nach Skelton und fuhr auf Nebenstraßen bis Beckley. Ich<br />
sah <strong>mich</strong> paranoid immer wieder um, ob ich irgendwo den Ford Explorer sah, aber dem war<br />
natürlich nicht so. Schließlich hatte ich mein Ziel, ein kleines Shoppingcenter am Rande<br />
Beckleys, erreicht.<br />
Ich parkte den Jeep etwas abseits und hastete erst in einen Supermarkt und deckte uns<br />
mit frischen Lebensmitteln wie Eiern, Speck, Aufbackbrötchen, Brot, Käse, Fleisch, Gemüse,<br />
Kartoffeln und viel Obst und Salat gründlich ein, schleppte alles zum Wagen und eilte an-<br />
schließend zu einer Apotheke. Hier besorgte ich ein Eisenpräparat und Vitamine für Sawyer,<br />
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Frauke Feind<br />
um ihm auf die Beine zu helfen. Aufatmend saß ich schließlich wieder im Wagen und machte<br />
<strong>mich</strong> auf den Rückweg. Es hatte länger gedauert als ich gedacht hatte, weil die Waldwege<br />
durch den vielen Regen der letzten Zeit noch schlechter zu befahren gewesen waren als üb-<br />
lich. Trotzdem nahm ich auf dem Heimweg die gleiche Route. Als ich vielleicht noch eine<br />
Meile vom Haus entfernt war, wurde ich plötzlich unruhig. Langsamer fuhr ich weiter und sah<br />
<strong>mich</strong> sehr aufmerksam um. Und dann blieb mein Herz vor Schreck fast stehen: Vor mir in<br />
vielleicht hundert Metern Entfernung stand ein roter Ford Explorer.<br />
„Oh Gott, Sawyer!“<br />
Ich setzte ein Stück zurück, stellte den Wagen ins Gebüsch und stieg aus dem Jeep.<br />
Ich griff mir die Walther aus dem Handschuhfach, steckte sie auf dem Rücken in den Hosen-<br />
bund, stopfte mir zwei Magazine in die Jackentasche und schnappte mir das Gewehr und die<br />
Munition. Hastig machte ich <strong>mich</strong> auf den Weg. Ich war wild entschlossen, Sawyer da raus zu<br />
holen! Mein Grandpa hatte gelehrt, <strong>mich</strong> anzupirschen und er hatte mir Schießen beigebracht.<br />
Er hatte dafür gesorgt, dass ich beim NRA als Schützin registriert worden war. Er hatte <strong>mich</strong><br />
immer mit auf die Jagd genommen und ich kannte <strong>mich</strong> im Wald mehr als gut aus. Leise und<br />
sehr vorsichtig schlich ich durch das dichte Gebüsch in einem Bogen zum Haus hinüber.<br />
Immer wieder sicherte ich meine Umgebung, konnte aber niemanden sehen. Plötzlich hörte<br />
ich vor mir Schüsse. Mir wurde schlecht. Aber ich zwang <strong>mich</strong>, langsam weiter zu gehen.<br />
Schließlich hatte ich die kleine Lichtung erreicht, auf der das Haus stand. Sofort sah ich, dass<br />
zwei Männer mit Waffen in den Händen auf der Terrasse standen und versuchten, die stabile<br />
Tür aufzubrechen. Ich zögerte keine Sekunde, sondern setzte das Gewehr an, zielte und<br />
drückte ohne Nachzudenken ab. <strong>Der</strong> erste Typ brach getroffen zusammen, dem Zweiten ge-<br />
lang es noch, herumzuwirbeln, doch schon traf auch ihn mein Schuss. Ich hetzte bereits<br />
weiter, zur Rückseite des Hauses. Wieder hörte ich Schüsse im Haus und erreichte keuchend<br />
die Garage. Eine Stimme schrie: „Das muss die Tussie sein, sieh nach. Tom und Harry<br />
werden sie erwischt haben. Mach schon. Wir schnappen uns Sawyer. Er hat keine Munition<br />
mehr.“ Angst um Sawyer schlug über mir zusammen wie eine Woge. Ich ging blitzschnell in<br />
Deckung und keine Sekunde zu früh. Ein Mann kam aus der Garage gehastet und eilte um das<br />
Haus herum. Wenn es noch immer die fünf Typen waren, die uns in Wright beschossen<br />
hatten, waren noch zwei im Haus. Ich hatte nur noch Angst, was ich drinnen vorfinden würde!<br />
Ich stellte das Gewehr ab, im Haus würde es <strong>mich</strong> nur behindern, und zog stattdessen die<br />
Walther aus dem Hosenbund, entsicherte sie und wartete.<br />
Kaum war der Typ um die Ecke verschwunden, rannte ich in die Garage und ins Haus.<br />
Leise bewegte ich <strong>mich</strong> in den Flur, hörte Kampfgeräusche und gleich darauf einen ab-<br />
gewürgten Schmerzensschrei, der eindeutig von Sawyer kam.<br />
„Los, raus jetzt hier. <strong>Der</strong> ist noch so fertig, er wird uns alles verraten. Und dann<br />
schneiden wir den Mistkerl in dünne Streifen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Mir lief eine Gänsehaut über den Körper. Dieselbe Stimme gab die Anweisung und<br />
schon tauchten zwei Typen im Flur auf, die Sawyer brutal gepackt hatten und zwischen sich<br />
schleppten. Sie blieben erstaunt stehen, als sie <strong>mich</strong> sahen und ich zögerte erneut keine<br />
Sekunde. Ich zielte und drückte ab. <strong>Der</strong> Typ links von Sawyer wurde gegen die Wand ge-<br />
schleudert und blieb verkrümmt liegen. <strong>Der</strong> andere ließ Sawyer ebenfalls los und riss seine<br />
Waffe hoch. Doch ich hatte meine eigene Waffe ja bereits im Anschlag und war daher erheb-<br />
lich schneller, drückte erneut ab. Getroffen sackte der Kerl zu Boden und ich fuhr herum, er-<br />
wartend, dass der fünfte Mann jeden Moment auftauchen würde. Das geschah jedoch nicht.<br />
Im Gegenteil hörte ich in einiger Entfernung einen Motor aufheulen. <strong>Der</strong> Kerl ergriff offen-<br />
sichtlich die Flucht. Ich eilte zu den zusammengebrochenen Mistkerlen und kontrollierte, ob<br />
sie tot waren. Das waren sie. Sekunden später lag ich schon neben Sawyer auf den Knien. Er<br />
blutete aus einer tiefen Platzwunde an der Stirn, kam aber gerade wieder zu sich. Er sah <strong>mich</strong><br />
und keuchte:<br />
Armen.<br />
Bett.“<br />
„Kelly ... Gott sei Dank.“<br />
Ich half ihm, sich aufzusetzen und in der nächsten Sekunde lagen wir uns in den<br />
Minutenlang hockten wir so da, dann stieß ich hervor:<br />
„Ich muss sehen, ob die beiden Typen draußen auch tot sind. Komm, ich helfe dir ins<br />
Mühsam stemmte er sich hoch und ich unterstützte ihn so gut es ging. Die paar<br />
Schritte bis ins Schlafzimmer forderten ihm alles ab, aber schließlich lag er wieder im Bett<br />
und ich eilte zur Vordertür und schloss diese auf. Sehr vorsichtig und mit der Walther im An-<br />
schlag trat ich nach draußen. Hier rührte sich nichts mehr. Einer der Typen lag verkrümmt am<br />
Boden und war tot, der andere war verschwunden. Offensichtlich hatte ich ihn nicht richtig<br />
getroffen und sein Kumpel hatte ihn mit genommen. Ich ließ den Kerl erst einmal liegen und<br />
eilte den Weg zurück, bis ich meinen Jeep erreicht hatte. Die nächsten Minuten spulte ich<br />
automatisch ab, wie von einem Computerprogramm gesteuert. Ich fuhr den Wagen zum Haus<br />
und stellte ihn in die Garage. Als nächstes holte ich das Gewehr aus dem Gebüsch, in dem ich<br />
es stehen gelassen hatte. Nun schleppte ich die Einkäufe in die Küche und verriegelte die<br />
Haustür wieder. Schließlich kehrte ich zu Sawyer zurück, der im Bett lag und ein Taschentuch<br />
auf die Wunde an der Stirn presste. Ich warf endlich meine dicke Jacke in die Ecke, ging ins<br />
Bad und holte den Erste Hilfe Kasten. Damit kehrte ich ins Schlafzimmer zurück, setzte <strong>mich</strong><br />
neben Sawyer auf das Bett und sagte sanft:<br />
„Lass mal sehen.“ Er nahm das Taschentuch weg und ich sah mir die Wunde an. Ich<br />
nickte und erklärte: „Da muss ich ein paar Stiche machen, tut mir leid.“<br />
Ich säuberte die Wunde vorsichtig, was Sawyer Tränen in die Augen trieb, nahm<br />
Nadel und Faden und verschloss die große Platzwunde mit vier Stichen. Sawyer biss<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
knirschend die Zähne aufeinander, doch ab und zu stöhnte er trotzdem leise auf. Als ich fertig<br />
war und ein breites Pflaster über die Wunde klebte, prustete er erleichtert:<br />
„Dr. Quinn, das war so schön ...“<br />
Ich sah ihn an und plötzlich, überwältigend brutal, wurde mir klar, dass ich gerade drei<br />
Menschen getötet hatte. Ich begann zu zittern und mir kamen Tränen. Ich heulte los wie der<br />
sprichwörtliche Schlosshund. Sawyer setzte sich mühsam auf und nahm <strong>mich</strong> in die Arme. Er<br />
hielt <strong>mich</strong> fest und streichelte mir beruhigend über den Rücken, sagte aber kein Wort. Es<br />
dauerte lange, bis ich <strong>mich</strong> endlich ein wenig gefasst hatte. Und erst jetzt machte der junge<br />
Mann den Mund auf.<br />
„Jetzt hast du mir schon zum zweiten Mal den Arsch gerettet. Ich weiß, wie schreck-<br />
lich es ist, Menschen zu töten, aber wenn du es nicht getan hättest, wäre ich jetzt tot und du<br />
vermutlich auch. Das hilft dir wenig, das ist mir klar, aber du hattest keine Wahl.“<br />
Ich schniefte und machte <strong>mich</strong> frei.<br />
„Du hast Recht, das hilft mir wirklich nicht.“<br />
Und plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, empfand ich irrationale Wut, Wut auf<br />
diesen Mann, der <strong>mich</strong> dazu gezwungen hatte, zu tun, was ich getan hatte. Ich stand abrupt<br />
auf und sah ihn kalt an.<br />
„Das ist deine Schuld. Deine verdammte Schuld! Wenn du nicht so dämlich gewesen<br />
wärest, dich schnappen zu lassen, wäre dass alles nicht passiert. Ich habe da draußen drei<br />
Leichen, die ich beseitigen muss. Ich hoffe, du bist zufrieden.“<br />
Ich drehte <strong>mich</strong> herum und eilte auf den Flur. Die Schlafzimmertür warf ich hinter mir<br />
zu, dass es krachte. Ich stand einen Moment reglos da und starrte die beiden Toten an, biss die<br />
Zähne zusammen und packte den Ersten unter den Achseln. Ich wollte gerade anfangen, ihn<br />
zur Garage zu ziehen, als die Schlafzimmertür wieder geöffnet wurde und Sawyer vor<br />
Schwäche zitternd im Türrahmen stand.<br />
„Ich ... helfe dir.“, stieß er verbissen hervor.<br />
Kalt sah ich ihn an.<br />
„Klar. Du hilfst mir. Sonst noch was? Schwing deinen Arsch bloß wieder ins Bett,<br />
sonst habe ich bald vier Leichen, die ich wegschaffen muss.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an, in seinen Augen eine Traurigkeit, die mir nun doch ins Herz schnitt,<br />
und drehte sich wortlos herum. Leise schloss er die Tür hinter sich und ich machte <strong>mich</strong> an<br />
die Arbeit.<br />
Mehr als drei Stunden brauchte ich, um die Toten in den Wald zu schaffen und zu ver-<br />
graben. Drei Stunden, in denen ich <strong>mich</strong> beruhigte, in denen mir immer klarer wurde, dass ich<br />
Sawyer verdammt Unrecht getan hatte und in denen mir meine harten Worte mehr und mehr<br />
leid taten. Als ich schließlich verschwitzt und dreckig wieder ins Haus ging, hatte ich <strong>mich</strong> in<br />
jeder Beziehung beruhigt. Ich ging gleich ins Badezimmer, wusch <strong>mich</strong> und marschierte zum<br />
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Frauke Feind<br />
Schlafzimmer. Einen Moment stand ich unschlüssig vor der Tür, doch schließlich öffnete ich<br />
sie entschlossen. Sawyer lag im Bett, drehte mir den Rücken zu und rührte sich nicht.<br />
Langsam ging ich zum Bett hinüber und setzte <strong>mich</strong> auf die Kante. Ich atmete tief ein.<br />
„Hör zu, es tut mir leid. Ich war vorhin völlig durcheinander. Verstehst du? Ich habe<br />
Menschen getötet! Ich habe die Beherrschung verloren. Ich hatte ... nicht das Recht, so was zu<br />
sagen, du hast wirklich keine Schuld daran.“<br />
Er reagierte nicht auf meine Worte und ich konnte es ihm nicht verdenken.<br />
„Sawyer, bitte, es tut mir wirklich leid, okay. Ich war mehr als ungerecht und habe nur<br />
einen Sündenbock gesucht.“<br />
Leise stieß er hervor:<br />
„Nein, du hattest absolut Recht. Ich hab dich in diese ganze Scheiße mit rein gezogen.<br />
Sobald es mir besser geht, werd ich verschwinden und du wirst <strong>mich</strong> nie wieder sehen, das<br />
versprech ich dir.“<br />
Komischerweise ließen seine Worte mir eine Gänsehaut über den Körper laufen. Ich<br />
legte ihm sanft eine Hand auf den Arm und sagte ruhig:<br />
„Du spinnst doch. Ich werde dir weiter helfen. Mehr als dich um Entschuldigung<br />
bitten kann ich nicht, aber ich werde dich bestimmt nicht alleine losrennen lassen.“<br />
Resigniert erwiderte Sawyer:<br />
„Ja, weil dein Großvater dich darum gebeten hat.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein! Weil ich dich mag. Und weil ich das Gefühl habe, du wirst noch öfter Hilfe<br />
brauchen. Irgendetwas sagt mir, dass du nicht das erste Mal in Schwierigkeiten steckst.“<br />
Mir war schon am ersten Abend bei seiner Wundversorgung eine Narbe wie von einer<br />
Schusswunde an seiner linken Schulter aufgefallen.<br />
Ich zog sanft an Sawyers Arm und rollte ihn auf den Rücken. Er versuchte, einen ab-<br />
weisenden Blick aufzusetzen, aber das gelang ihm nicht. Im Gegenteil. In seinen Augen<br />
waren immer noch eine undefinierbare, tiefe Traurigkeit zu sehen und eine erschreckende<br />
Resignation.<br />
geschafft?“<br />
„Wie kommst du darauf?“, fragte er leise.<br />
„Weil du den Eindruck machst, als hättest du schon einiges erlebt.“<br />
Er verzog das Gesicht.<br />
„Du hast ja keine Ahnung.“ Er schwieg kurz, dann fragte er verlegen: „Hast du ... es<br />
Ich wusste, was er meinte und nickte.<br />
„Ja, die sind versorgt. Ich habe sie ein ganzes Stück entfernt im Wald vergraben. Die<br />
findet keiner.“ Mir lief ein Schauer über den Rücken. „Wie lange dauert es, bis man das ver-<br />
gisst?“, fragte ich unglücklich.<br />
Sawyer zuckte die Schultern.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich glaub nicht, dass es dafür ne feste Regel gibt. Denk nicht drüber nach, das ist das<br />
Beste. Du musst dir einfach sagen, wenn du es nicht getan hättest, wären wir jetzt mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit beide tot. Ich auf jedem Fall.“ Ein dunkler Schatten huschte kurz über<br />
sein Gesicht. „Sie hätten <strong>mich</strong> ja nicht einfach nur gekillt ...“<br />
„Sie haben dich nicht gekriegt, das ist die Hauptsache. Und um das zu verhindern,<br />
würde ich es immer wieder machen ...“<br />
Ich schwieg verlegen. Sawyer grinste verhalten.<br />
„Ist das dein Ernst?“, fragte er <strong>mich</strong>. Ich nickte.<br />
„Ja, das ist es. Ich hatte solche ...“<br />
Verlegen verstummte ich. Ich wollte ihm nicht unter die Nase reiben, dass ich nur<br />
noch aus Angst um ihn bestanden hatte. Stattdessen fuhr ich fort:<br />
„Das sind Feiglinge.“ Ich stand etwas hektisch auf. „Ich habe dir ein paar Medis mit-<br />
gebracht und ich werde uns etwas vernünftiges zu Beißen machen.“<br />
Hastiger als geplant verließ ich das Schlafzimmer und marschierte in die Küche. Ich<br />
zündete den Herd an und räumte endlich die Einkäufe weg. Ich kochte uns Kartoffeln, Ge-<br />
müse und briet uns Steaks dazu. Ich war froh, trotz allem, dass ich den Ausflug in die Stadt<br />
gemacht hatte. Jetzt hatten wir frische Lebensmittel für mindestens zehn Tage und die Zeit<br />
würde reichen, Sawyer wieder auf die Beine zu bringen. Ich stellte die Teller, eine Flasche<br />
Wasser, eine weitere Flasche, Scotch, und Gläser, sowie die Medikamente auf ein Tablett,<br />
legte zusätzlich zwei Paracetamol dazu und trug alles ins Schlafzimmer. Sawyer lag ge-<br />
dankenverloren im Bett und sah mir entgegen. Dabei leuchteten seine Augen kurz auf, als ich<br />
das Schlafzimmer betrat. Doch sofort schaute er aus dem Fenster, wie, um zu verbergen, was<br />
in seinen Augen gefunkelt hatte. Ich sagte zufrieden:<br />
„So, jetzt gibt es etwas Anständiges zu Essen. Komm, ich helfe dir, dich hinzusetzen.“<br />
Ich reichte ihm eine Hand und zog ihn in eine sitzende Haltung, stopfte das Sitzkissen wieder<br />
in seinen Rücken und fragte:<br />
„Geht es so?“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, kein Problem. Danke.“<br />
Ich blieb am Tisch sitzen und stellte Sawyer das Tablett auf die Beine. Nun schenkte<br />
ich uns einen doppelten Scotch ein und reichte Sawyer ein Glas.<br />
„Hier. Ich habe das Gefühl, das könnten wir vertragen.“<br />
Wir prosteten uns zu und kippten den Alkohol auf Ex hinunter, was mir bewies, wie<br />
dringend wir ihn hatten gebrauchen können. Dann begannen wir zu Essen. Wir ließen es uns<br />
schmecken und als wir fertig waren, nahm ich Sawyer das Tablett ab und fragte:<br />
„Was sagt dein Kopf? Willst du dich wieder hinlegen oder möchtest du noch einen<br />
Moment sitzen?“<br />
Er verzog das Gesicht und erwiderte:<br />
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Frauke Feind<br />
„<strong>Der</strong> brummt, aber lass <strong>mich</strong> trotzdem noch ne Weile sitzen, okay.“<br />
„Klar. Hier, schluck die Tabletten, das ist Eisen, blutbildend, und das sind Vitamine,<br />
das wird dir helfen, wieder auf die Füße zu kommen. Außerdem habe ich dir zwei Schmerz-<br />
tabletten mitgebracht.“<br />
Sawyer griff nach den Tabletten und dem Glas mit Wasser und grinste frech.<br />
„Danke, Schwester Hathaway.“<br />
„Weißt du, ich möchte gerne wissen, wie die uns gefunden haben. Es hatte jedenfalls<br />
nichts mit meinem Ausflug zu tun.“ Ich sah Sawyer an. „Ich weiß nicht, ob wir hier noch<br />
halbwegs sicher sind. Sie kennen das Versteck und zwei sind entkommen. Wir sollten uns<br />
überlegen, wie es weiter gehen soll.“ Ich seufzte. „Es wäre schon sinnvoll, wenn du noch ein<br />
paar Tage Ruhe hättest. So, wie es dir jetzt geht, können wir nicht aufbrechen, wohin auch<br />
immer.“<br />
Er knurrte frustriert:<br />
„Ja, ich würd kaum bis zum Auto kommen. Ich hab keine Ahnung, ob es noch mehr<br />
sind oder ob sie nun ein paar Tage brauchen, um ihre Wunden zu lecken. Es waren immer nur<br />
diese fünf, die <strong>mich</strong> verfolgt haben. Aber das heißt nicht, dass sie nicht Verstärkung auf-<br />
treiben können. Wenn sie uns hier noch einmal überfallen, werden sie besser vorbereitet sein.<br />
Dann wird es nicht wieder gelingen, sie zu überraschen. Wir könnten uns hier zwar ver-<br />
schanzen, aber nicht für lange. Verdammt! Was denkst du, wann werd ich fit genug sein, dass<br />
wir hier abhaun können?“<br />
Ich antwortete spontan:<br />
„Drei, vier Tage wird es schon noch dauern, bis wir daran denken können, eine kleine<br />
Spritztour zu machen. Es nützt uns nämlich wenig, wenn wir zu früh aufbrechen und du<br />
unterwegs zusammen klappst. Wenn wir erst unterwegs sind können wir kaum irgendwo<br />
länger Rast machen. Wo sollen wir überhaupt hin, das ist die Frage.“<br />
Sawyer schmunzelte.<br />
„Zu Kate und Jack. Sie erwarten <strong>mich</strong> ohnehin zurück. Vermutlich denken sie sowieso<br />
schon das Schlimmste.“<br />
Ganz kurz huschte ein Schatten über sein Gesicht, als er die Namen im Zusammen-<br />
hang aussprach. Ich fragte interessiert:<br />
„Wer sind die Beiden?“<br />
Er biss sich kurz auf die Lippe und erklärte:<br />
„Sie saßen damals auch in der Maschine. Jack ist Arzt, wird dir gefallen. Und Kate ...<br />
Nun, sie ist jetzt mit ihm zusammen.“<br />
Wie er das sagte ließ vermuten, dass es ihm nicht schmeckte oder jedenfalls einmal<br />
nicht geschmeckt hatte. Ich fragte für den Moment nicht nach, denn Sawyer sah ziemlich er-<br />
schöpft und kaputt aus. Ich sah auf die Uhr. Es war fast 22 Uhr und so erklärte ich:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Du solltest schlafen, du musst ziemlich am Ende sein, was?“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, ich bin alle. Das nervt.“<br />
Ich trat zu ihm und nahm das Sitzkissen weg. Müde ließ Sawyer sich in die<br />
Waagerechte sinken. Sofort aber fragte er höchst verlegen:<br />
dann?“<br />
„Ich muss noch mal pinkeln, wenn ich es nicht alleine zurück schaff, hilfst du mir<br />
„Natürlich.“<br />
Langsam setzte er sich noch einmal auf und schwang die Beine vom Bett. Es gelang<br />
ihm recht gut, auf die Füße zu kommen und er schaffte den Weg ins Bad und zurück auch<br />
alleine. Er sank schweißgebadet zurück ins Bett.<br />
„Legst du dich auch hin?“, wollte er wissen.<br />
Ich zögerte.<br />
„Bald. Ich werde draußen noch mal nach dem Rechten sehen und sicherheitshalber<br />
alle Türen und Fenster verriegeln. Schlaf du nur schon, ich komme auch gleich.“<br />
Skeptisch sah er <strong>mich</strong> an, nickte aber.<br />
„Okay. Gute Nacht.“<br />
„Gute Nacht.“<br />
Ich verließ das Schlafzimmer und machte eine Runde durchs Haus. Ich schloss die<br />
äußerst stabilen Fensterläden und verriegelte sie sicher. Im Flur schob ich den kleinen<br />
Schrank vor die Haustür. Nun ging ich zur Tür, die in die Garage führte. Ich trat vorsichtig<br />
hinaus und sah <strong>mich</strong> um, aber es war keine Gefahr zu spüren, nichts zu sehen oder zu hören.<br />
So ging ich zum Jeep und öffnete die Motorhaube. Hier lockerte ich ein Zündkabel und<br />
konnte nun sicher sein, dass der Wagen nicht einfach gestohlen werden konnte. Ich kehrte<br />
zufrieden ins Haus zurück und verschloss auch diese Tür gründlich. Auch hier schob ich einen<br />
kleinen Schrank, der Jagdkleidung enthielt, vor die Tür. So konnte ich ziemlich sicher sein,<br />
dass wir nicht überrascht werden konnten. Ich griff mir das Jagdgewehr, das ich im Wohn-<br />
zimmer hatte liegen lassen, nahm auch die beiden anderen Gewehre und alle Munition an<br />
<strong>mich</strong> und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Ich schloss leise die Tür, um Sawyer nicht zu<br />
stören, der tief und fest schlief. Ich lud die Waffen und stellte sie griffbereit neben das Bett.<br />
Die Walther reinigte ich und schob ein neues Magazin ein. Sie legte ich unter mein Kopf-<br />
kissen und grinste still. Ich kam mir vor wie Ziva David in meiner Lieblingsserie NCIS. Aber<br />
jetzt war ich zufrieden und machte <strong>mich</strong> lang. Ich zog das Zudeck über <strong>mich</strong> und versuchte,<br />
einzuschlafen. Doch zu sehr drehten sich meine Gedanken noch um das, was vorgefallen war.<br />
Wieder und wieder sah ich die drei Männer unter den Kugeln zusammen brechen. Irgendwann<br />
schlief ich trotzdem ein.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
Drei weitere Tage vergingen ruhig und ungestört. Sawyer hielt sich tapfer daran, sich<br />
zu schonen und erholte sich schnell. Am Morgen des vierten Tages bat er <strong>mich</strong> verzweifelt:<br />
„Hey, Doc, wenn ich noch einen einzigen Tag hier herumliegen muss, dreh ich durch.<br />
Kann ich nicht mal ne Weile aufstehen?“<br />
Ich nickte.<br />
„Da ist nichts gegen einzuwenden.“<br />
Sawyer atmete erleichtert auf.<br />
„Oh, man, danke.“<br />
Er wollte sich aufsetzen, zuckte aber vor Schmerzen zusammen.<br />
„Was ist denn?“, fragte ich besorgt.<br />
„Nichts, mir tut nur das Kreuz weh von der verdammten Liegerei.“, schnaufte er und<br />
streckte sich ächzend.<br />
Ganz kurz hatte ich den Eindruck, einen dunklen Schatten über sein Gesicht huschen<br />
zu sehen, war mir aber nicht sicher, ob ich ihn mir nicht doch nur eingebildet hatte. Ich<br />
grinste.<br />
„Dann lass <strong>mich</strong> dich doch verwöhnen, ich bin gut darin, zu Massieren.“<br />
Erstaunt sah er <strong>mich</strong> an.<br />
„Ehrlich?“<br />
Ich nickte.<br />
„Warte.“<br />
Ich eilte ins Bad und nahm ein großes Badelaken und Massageöl aus dem Schrank.<br />
Damit kehrte ich ins Schlafzimmer zurück und breitete das Badelaken auf dem Bett aus.<br />
„Wenn ich bitten darf?“<br />
Er grinste frech und meinte:<br />
„Jederzeit.“<br />
Schnell rollte er sich auf den Bauch auf das Badelaken und ich turnte zu ihm auf das<br />
Bett. Ich träufelte ihm Massageöl auf den Rücken und bearbeitete ihn gute dreißig Minuten<br />
lang, den Bereich um die Wunde auslassend, bis ich deutlich spürte, dass sich die Ver-<br />
spannungen gelöst hatten.<br />
„So. Wie ist das?“, fragte ich und machte Platz, damit er sich aufsetzen konnte.<br />
Als er neben dem Bett stand, seufzte er wohlig.<br />
„Sehr viel besser. Danke ...“<br />
„Kein Problem. Willst du Duschen?“<br />
„Wenn ich darf?“<br />
Ich tat, als rieche ich etwas Unangenehmes und grinste.<br />
„Du darfst nicht nur, du musst sogar.“<br />
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Klamotten?“<br />
Er verzog das Gesicht und meinte:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Harhar.“ Kopfschüttelnd sah er an sich herunter und fragte: „Was ist mit meinen<br />
„Oh, die waren nur noch etwas für die Mülltonne, tut mir leid. Aber mein Großvater<br />
hatte annähernd deine Statur, nur etwas kräftiger.“<br />
Ich ging an den Schrank und öffnete ihn. Wehmütig betrachtete ich die Ersatzkleidung<br />
meines Großvaters, dann griff ich nach Jeans, Hemd, Socken und Boxershorts und drückte<br />
alles Sawyer in die Hand.<br />
„Hier, wenn es nicht ganz passt, wird das wohl nichts ausmachen. Während du duscht<br />
mache ich uns Frühstück, es ist ausnahmsweise mal herrlich warm draußen, wir können auf<br />
der Terrasse Essen. Wenn was ist rufe <strong>mich</strong>, verstanden!“<br />
Eine halbe Stunde später saßen wir gemeinsam am Terrassentisch und stopften zu-<br />
frieden Toast, Spiegeleier und Speck in uns hinein. Sawyer blühte regelrecht auf. Es war deut-<br />
lich zu merken, wie sehr er es vermisst hatte, an der frischen Luft zu sein. Als wir fertig ge-<br />
gessen hatten und ich uns eine zweite Tasse Kaffee geholt hatte, sagte ich:<br />
„Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, mir mal zu erzählen, was es mit der Insel<br />
und dem Absturz und allem anderen auf sich hat?“<br />
„Hm. Ja, vielleicht hast du Recht. Du hast wohl das Recht zu wissen, um was es geht.<br />
Aber ich warne dich. Du wirst sicher vieles nicht glauben können, ich hab ja selbst<br />
Schwierigkeiten gehabt, es zu glauben, dabei war ich mitten drin. Erklären kann ich dir vieles<br />
übrigens auch nicht, einfach, weil ich es selbst nicht kapiere. Okay ...“ Er atmete tief durch<br />
und sagte bedrückt:<br />
„Vielleicht sollte ich dir erst mal ein wenig über <strong>mich</strong> erzählen.“<br />
Er stockte und ich merkte, dass es ihm ungeheuer schwer fiel, anzufangen. Schließlich<br />
meinte er leise:<br />
„Das wird dir nicht gefallen ... Ich hab Angst, dass du ... dass du <strong>mich</strong> verachten wirst<br />
wenn du alles weißt. Aber du musst das wissen. Also, hör zu und versuch bitte, <strong>mich</strong> nicht zu<br />
Hassen, okay?“<br />
Er sah <strong>mich</strong> geradezu flehend an und ich nickte ernst.<br />
„Sawyer, ich ... ich mag dich, ich werde dich weder Hassen noch Verachten, halte<br />
<strong>mich</strong> bitte nicht für so oberflächlich.“<br />
Er biss sich auf die Lippe und fing leise an zu Reden.<br />
Ich saß da und hörte zu. Erfuhr, dass sein Vater seine Mutter und sich selbst getötet<br />
hatte, weil seine Mutter auf einen Betrüger hinein gefallen war und diesem das ganze Bargeld<br />
der Familie gegeben hatte. Ich erfuhr weiterhin, dass Sawyer nach Australien geflogen war,<br />
um dort eben diesen Betrüger zu Töten und dass er erst hinterher gemerkt hatte, dass er einen<br />
Unschuldigen umgebracht hatte. Und ich erfuhr von dem Flugzeugabsturz und den unfass-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
baren Geschehnissen auf der Insel. Ich hörte von Jack Shephard, Kate Austen, Hugo „Hurley„<br />
Reyes, Sayid Jarrah, Jin und Sun Kwon, Charlie Pace, Claire Littleton und vielen anderen, so<br />
vielen, dass ich mir die Namen nicht merken konnte. Ich erfuhr, dass Benjamin Linus und<br />
Charles Widmore, die beiden Männer, die mein Großvater in seinem Brief erwähnt hatte, aus<br />
unterschiedlichen Gründen die Insel schützen wollten und hörte, dass beide ohne Gnade über<br />
Leichen gingen, um das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen. Und ich erfuhr etwas absolut un-<br />
glaubliches: Nämlich, dass auf der Insel Zeitreisen möglich waren! Sawyer redete fast drei<br />
Stunden. Wir verbrauchten zwei Kannen Kaffee, dann endlich war er mit seiner Erzählung<br />
durch. Schweigen herrschte zwischen uns. Ich musste erst einmal sortieren, was ich alles er-<br />
fahren hatte. Zeitreisen. Mörder. Söldner. Eine Insel, die nicht gefunden werden konnte. Ich<br />
wusste nicht, ob ich hysterisch Kichern, Heulen oder doch lieber Sawyer in eine Psychiatrie<br />
bringen sollte. Er deutete mein Schweigen falsch und sagte bedrückt:<br />
„Ich bin ein Mörder und Betrüger, ich hab dich gewarnt. Jetzt wünscht du dir sicher,<br />
du hättest <strong>mich</strong> einfach den Kerlen überlassen, was? Ich kapier sowieso nicht, wieso ich dir<br />
das alles einfach so erzähle, irgendwie hast du was an dir, mir Sachen aus der Nase zu ziehen,<br />
die ich niemals sonst irgendjemandem erzählt hab. Ich weiß wirklich nicht, warum, aber ich<br />
hab absolutes Vertrauen zu dir. Ich kann‟s mir nicht erklären. Ist sonst wirklich nicht meine<br />
Art.“<br />
Ich erwachte wie aus einem Traum und sah den jungen Mann an.<br />
„Ich weiß nicht, vielleicht liegt es daran, dass ich dir auch absolut vertraue. Das habe<br />
ich eigentlich schon getan, als wir noch kein einziges Wort gewechselt hatten. Es ist einfach<br />
... Ich verlasse <strong>mich</strong> auf mein Gefühl und das sagt mir, dass ich dir unbegrenzt vertrauen<br />
kann. Das ruft wohl so was wie Gegenvertrauen hervor.“ Ich schüttelte den Kopf. „Und zu<br />
dem, was du mir gerade erzählt hast: Nein, das tue ich nicht. Ich verachte dich nicht und ich<br />
bin nach wie vor froh, dass ich dir geholfen habe, klar! Du bist kein schlechter Mensch, du<br />
hast nur viele schlechte Entscheidungen getroffen. Aber das ist Vergangenheit, dafür würde<br />
ich dich ganz bestimmt nicht Hassen oder Verachten. Was du als Kind erleben musstest,<br />
reicht locker, um jeden Erwachsenen aus der Bahn zu werfen. Dass das Erlebnis nachhaltige<br />
Auswirkungen auf dich hatte ist doch wohl natürlich.“<br />
dachte<br />
Er sah <strong>mich</strong> ungläubig an.<br />
„Was?“<br />
Ich schaute ihm in die Augen, die so sehr seine Emotionslagen ausdrückten, und<br />
- Du weißt es vermutlich nicht einmal, aber in deinen Augen kann man lesen wie in<br />
einem offenen Buch. –<br />
Fest wiederholte ich:<br />
„Sawyer, ich sage es gerne noch einmal: Es ist mir egal, was du früher getan hast,<br />
okay? Du hast wohl mehr als genug Strafe gehabt, wenn auch nur die Hälfte von dem, was du<br />
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Frauke Feind<br />
mir erzählt hast, stimmt. Von mir wirst du keinen mahnenden Zeigefinger sehen. Und weißt<br />
du was? Ich glaube dir. Alles, nicht nur die Hälfte. Die Geschichte ist viel zu unglaubwürdig<br />
und fantastisch, als dass man sie sich ausdenken könnte. Jetzt macht das, was Grandpa ge-<br />
schrieben hat, auch viel mehr Sinn. Wenn diese ... Zeitsprünge dort möglich sind, könnte es<br />
tatsächlich irgendwie eine Möglichkeit geben, diesen Daniel Faraday zu retten.“<br />
Sawyer nickte.<br />
„Mag sein. Allerdings scheint keiner so richtig zu wissen, wie und ob man es über-<br />
haupt steuern kann.“<br />
Ich nickte verstehend.<br />
„Damit können wir uns beschäftigen, wenn es soweit ist. Mir ist aufgefallen, dass der<br />
Betrüger, der für den Tod deiner Eltern verantwortlich ist, auch Sawyer hieß, was hat das zu<br />
bedeuten?“<br />
<strong>Der</strong> junge Mann wurde rot und sagte leise:<br />
„Als ich neunzehn war, hatte ich beim Wetten 6.000 Bucks verloren. Hatte mir das<br />
Geld bei nem Kredithai geliehen und musste es schließlich zurückzahlen. Natürlich hatte ich<br />
eine solche Summe nicht. Als ich später nur noch die Wahl hatte zwischen gekillt werden<br />
oder das Geld irgendwie schnell ranschaffen hab ich <strong>mich</strong> an ne junge Frau mit nem reichen<br />
Kerl ran gemacht. Es gelang mir, ihr das Geld aus den Rippen zu leiern.“ Er lachte verzweifelt<br />
auf. „Ich wurde so selbst zu dem Mann, den ich jagte seit ich alt genug war. Also nannte ich<br />
<strong>mich</strong> seither Sawyer.“<br />
sagte:<br />
kommen.“<br />
„Verstehe. Und wie heißt du wirklich?“<br />
„Ford. James Ford.“<br />
4) Aufbruch nach LA<br />
Gedankenverloren schaute er in den dichten Wald, der uns umgab. Ich sah ihn an und<br />
„Gut, also Jim ... Hör mal, wir sollten überlegen, wie es weiter gehen soll.“<br />
Er kehrte zu mir zurück und nickte.<br />
„Ich denke, wir sollten uns bald auf den Weg machen, um zu Jack und Kate zu<br />
„Gut. Du wirst inzwischen fit genug sein, eine längere Autofahrt zu überstehen. Wo<br />
sind die Beiden denn?“<br />
Jim seufzte.<br />
„In LA. Dort treffen wir uns mit ihnen und den Anderen. In LA lebt auch Faradays<br />
Mutter. Sie scheint die einzige Person zu sein, die im Stande ist, die Insel nicht nur zu finden,<br />
sondern auch zu wissen, wie man wann dort hingelangen kann.“<br />
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Ich überlegte. Dann sagte ich:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Grandpa hat mir eine ganze Menge Geld hier gelassen. So haben wir damit keine<br />
Probleme. Gut, wir werden morgen früh aufbrechen. Aber eines möchte ich noch wissen. Was<br />
ist mit Kate und dir, beziehungsweise mit Kate und Jack?“<br />
Jim seufzte.<br />
„Das ist auch ne lange Geschichte. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich hatte <strong>mich</strong><br />
schon kurz nach dem Absturz in Kate verliebt. Sie jedoch hing an Jack wie ein Hund. Alles,<br />
was er sagte und tat, war für Kate Gesetz, egal, wie dämlich seine Entscheidungen waren.<br />
Irgendwann fing sie an, <strong>mich</strong> zu benutzen, um Jack eifersüchtig zu machen. Ich blöder Idiot<br />
hab mitgespielt. Verflucht, sie war die erste Frau, für die ich wirklich was empfunden hab,<br />
verstehst du? Ich hätte alles für sie getan. Als sie das erste Mal zusammen mit Hurley, Sun,<br />
Jack, Sayid und Aaron von der Insel runter kam, und Juliet und ich bei der DHARMA<br />
Initiative landeten, kamen wir zusammen. Drei Jahre war es wirklich schön mit Jules. Ich war<br />
überzeugt, sie wirklich zu lieben und Kate ein für alle Mal aus meinem Kopf bekommen zu<br />
haben. Und dann kamen Hurley, Kate, Sayid und Jack plötzlich zurück. Und sofort war dieses<br />
Gefühl wieder da. Als ich merkte, dass Jack und Kate nicht mehr zusammen waren, hatte ich<br />
sofort wieder die irre Hoffnung, dass sie zu mir kommen würde. Naja, das war ein Irrtum<br />
meinerseits, sie hing noch immer an unserem lieben Doc. Juliet gab auf, als sie merkte, dass<br />
ich ihr und vor allem mir selbst all die Jahre was vorgemacht habe und ich ...“ Er schüttelte<br />
völlig resigniert den Kopf. „Ich liebe Kate noch immer. Und sie nutzt es immer noch aus, dass<br />
sie Jack eifersüchtig machen kann mit mir. Jetzt sind sie wieder fest zusammen und es tut<br />
noch immer saumäßig weh.“<br />
Ich hatte ruhig zugehört und sagte jetzt:<br />
„Das tut mir sehr leid. Und zu diesen beiden sollen wir fahren?“<br />
„Ja, wir müssen wieder alle zurück auf die Insel, das scheint immer der Dreh- und<br />
Angelpunkt zu sein. Locke ist da geblieben, und auch Ben ... Dachte ich wenigstens.<br />
Allerdings, seit die Typen <strong>mich</strong> verfolgt haben, bin ich nicht mehr sicher, ob er wirklich auf<br />
der Insel geblieben ist. Nur er oder Widmore kommen eigentlich dafür in Frage, <strong>mich</strong> auf-<br />
halten zu wollen. Da wir aber immer noch nicht wissen, was deren Gründe sind, ist es ver-<br />
dammt schwer, zu entscheiden, wer es nun wirklich ist, der uns diese Kerle auf den Hals ge-<br />
hetzt hat. Wenn sie auch hinter den anderen <strong>Über</strong>lebenden her sind, könnte es sein, dass die<br />
schon gar nicht mehr Leben sind.“<br />
verfolgt.“<br />
„Wann hast du das letzte Mal mit Kate oder Jack gesprochen?“, wollte ich wissen.<br />
Er überlegte.<br />
„Drei Tage bevor die <strong>mich</strong> zu fassen kriegten. Da wurden sie scheinbar noch nicht<br />
Ich nickte.<br />
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Bedenken.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Oder sie wurden nur beobachtet, weil sie nicht aktiv etwas versuchten.“, gab ich zu<br />
Er verzog das Gesicht genervt.<br />
„Das mag sein. Ich hab kein Handy benutzt, weil wir nicht sicher waren, ob sie das<br />
nicht orten könnten. Ich hab immer öffentliche Telefone benutzt. Und dabei sollten wir auch<br />
möglichst bleiben.“ Er sah <strong>mich</strong> direkt an und sagte: „Sag mal, wie hieß dein Großvater<br />
eigentlich richtig? <strong>Der</strong> Name Tim Walsh stimmt ja offensichtlich nicht.“<br />
„Den Namen habe ich nie von ihm gehört. Grandpa kam 1945 als zehnjähriger mit<br />
seinen Eltern Lena und Alvar Hanso aus Kopenhagen nach Amerika. Sein Vater Alvar war<br />
Geschäftsführer der Hanso Foundation. Grandpa hieß Lars, seine Schwester Rachel.“<br />
Jim stutzte.<br />
„<strong>Der</strong> Name kommt mir bekannt vor.“, sagte er überlegend.<br />
„Welcher? Lars?“<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
„Nein. Hanso ... Irgendwie hab ich den ... Moment. Hanso. Alvar? Alvar Hanso war in<br />
einem DHARMA-Schulungsfilm zu sehen. Er hat die DHARMA Initiative mit gegründet und<br />
finanziert!“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, von der Hanso Foundation weiß ich. Grandpa hat viel davon erzählt. Die<br />
Foundation hat einige wissenschaftliche Projekte betrieben. Soweit mir bekannt ist, wurde<br />
aber die Unterstützung der DHARMA Initiative 1987 beendet, was auch das Ende derselben<br />
einläutete.“<br />
Jim sah gedankenverloren ins Leere.<br />
„Wir haben nie wirklich herausgefunden, was die da eigentlich treiben, oder getrieben<br />
haben. Auch, warum die ‟Anderen‟, die sogenannten Hostiles, und die Dharmaisten sich bis<br />
aufs Blut bekämpft haben. Im Grunde wissen wir fast gar nichts. Jeder hat jeden immer nur<br />
belogen oder die Hälfte verschwiegen. Es sind so verdammt viele gestorben dort. Und so, wie<br />
ich das seh, wird auf der Scheißinsel sicher immer noch gestorben.“ Er seufzte. Dann sah er<br />
zu mir herüber. „Sag mal, Schwester Hathaway, wie sieht es denn mal mit was zu Beißen aus?<br />
Mir hängt der Magen in den Kniekehlen.“<br />
Ich sah auf meine Armbanduhr und erschrak. Es war schon kurz nach 17 Uhr. Kein<br />
Wunder, dass Jim Hunger hatte.<br />
„Himmel, das ist ja schon so spät. Klar mache ich etwas zu Essen. Es wird auch kalt,<br />
wir sollten langsam rein gehen.“<br />
Ich stand auf und Jim stemmte sich ebenfalls hoch. Er kam ein wenig ins Taumeln,<br />
sein Kreislauf war noch nicht wieder hundertprozentig in Ordnung. Ich war aber schon bei<br />
ihm und stützte ihn, indem ich meinen Arm um ihn legte.<br />
„Alles klar bei dir?“, fragte ich besorgt, aber er grinste frech.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Jepp. Ich hab‟s bloß so gerne, wenn du <strong>mich</strong> im Arm hältst.“<br />
Er atmete ein paar Mal tief ein.<br />
„Geht wieder.“<br />
Er streckte sich ein wenig und verzog das Gesicht.<br />
„Was?“, fragte ich besorgt.<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
„Nichts weiter, nur mein Rücken. Kein Problem.“<br />
Gemeinsam verschwanden wir ins Haus und ich marschierte in die Küche. Dort setzte<br />
ich Nudeln auf und bereitete uns eine kräftige Hackfleischsoße dazu. Wir setzten uns an den<br />
kleinen Esstisch und ließen es uns schmecken. Nach dem Abwaschen, bei dem Jim mir<br />
grinsend zuschaute, sagte ich streng:<br />
„So, mein Lieber, und jetzt schwingst du deinen Hintern wieder ins Bett. Das reicht<br />
für den ersten Tag.“<br />
Er widersprach nicht, sondern nickte.<br />
„Hast Recht, ich bin ziemlich alle.“ Kurz stockte er, dann fragte er <strong>mich</strong> leise:<br />
„Kommst du mit?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, ich werde für Morgen alles zusammen suchen, damit wir gleich aufbrechen<br />
können. Außerdem will ich versuchen, uns eine Route zusammen stellen, die ein wenig un-<br />
auffälliger ist als die Highways. Dort werden sie uns sicher am ehesten vermuten, wenn sie<br />
wissen, dass wir nach LA müssen. Und ich darf ja wohl davon ausgehen, dass sie es wissen<br />
werden.“<br />
Jim nickte.<br />
„Logisch. Sie wissen ja von den Anderen. Okay, dann mal gute Nacht.“<br />
Er drehte sich herum und verschwand Richtung Schlafzimmer. Müde stieg er aus den<br />
Sachen, die einmal Kellys Großvater gehört hatten und legte sich ächzend ins Bett. Dabei<br />
dachte er an die junge Frau, die ihm den Arsch gerettet hatte. Schließlich schüttelte er den<br />
Kopf und griff stattdessen nach dem Schnellhefter von Kellys Großvater, blätterte darin<br />
herum. Und konnte nicht verhindern, dass er alle paar Minuten auf den Wecker, der auf<br />
seinem Nachtschrank stand, guckte. Er hatte das Gefühl, schon Stunden alleine hier herumzu-<br />
liegen. Fast war er versucht, wieder aufzustehen und zu schauen, wo Kelly blieb. Doch er riss<br />
sich zusammen und blieb liegen. Aber in Gedanken war er nicht bei dem, was er las, sondern<br />
bei seiner Krankenschwester.<br />
Ich sah Jim nach, ging hinaus auf die Terrasse und sammelte die Stühle und den Tisch<br />
ein, verstaute alles in der kleinen Gartenhütte. Anschließend kehrte ich ins Haus zurück und<br />
räumte ein wenig auf. In der Küche stellte ich die Lebensmittel, die wir mitnehmen wollten,<br />
in einen großen Korb. Diesen schleppte ich in die Garage und stellte ihn auf die Ladefläche<br />
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Frauke Feind<br />
des Jeeps. Nun ging ich ins Bad und räumte auch hier ein wenig auf. Morgen früh würde ich<br />
die Badutensilien in eine Badetasche stecken. Soweit war alles fertig und ich wanderte ins<br />
Wohnzimmer zurück. Hier griff ich mir eine sehr detaillierte USA Karte aus dem Schrank und<br />
versuchte, eine etwas abseits der Hauptstraßen gelegene Reiseroute nach LA zu finden. Wir<br />
würden vier bis fünf Tage unterwegs sein, es waren 3.600 Kilometer. Um die Appalachen zu<br />
überqueren, würden wir auf der Interstate 64 bleiben müssen, da führte kein anderer Weg<br />
hinüber. Es ging nur über Charleston, Virginia, weiter über Lexington, Louisville und<br />
Owensboro nach Evansville. Von dort konnten wir über kleinere Straßen bis Springfield,<br />
Missouri fahren. Das waren etwas mehr als 1.000 Kilometer, die wir sicher nicht an einem<br />
Tag schaffen würden. Von Springfield würde es weiter gehen über Oklahoma City, Amarillo,<br />
Albuquerque, Gallup, Flagstaff und Kingman nach LA. Alles in Allem eine Fahrt durch acht<br />
Bundesstaaten. Mir sank das Herz in die Hose. 3.600 Kilometer, auf denen unsere brutalen<br />
Gegner eine Menge Gelegenheiten hätten, uns aufzuspüren und zu Jagen. Ich schrieb mir die<br />
Route stichpunktartig auf. Ächzend machte ich <strong>mich</strong> nun gerade. Es war schon nach 22 Uhr<br />
und ich war müde. Ich kontrollierte noch einmal, ob alle Fenster verriegelt und die Türen ver-<br />
schlossen und mit den Schränken gesichert waren, dann ging ich ins Bad. Minuten später be-<br />
trat ich leise das Schlafzimmer.<br />
Jim schlief. Er war mit dem Schnellhefter in der Hand eingeschlafen. Ich schaute ihn<br />
einen Moment an. Er hatte immer noch sehr viel Farbe im Gesicht, die nicht von der Sonne<br />
her rührte. Aber die Schwellungen waren fast vollständig zurückgegangen. Er hatte sich nicht<br />
zugedeckt, sondern das Zudeck nur zur Seite geschlagen. Ich trat ans Bett, nahm ihm vor-<br />
sichtig den Schnellhefter aus den Fingern und legte diesen auf den Nachtschrank. Behutsam<br />
deckte ich ihn, um ihn nicht zu stören, zu. Er seufzte im Schlaf und drehte sich auf die linke<br />
Seite. Ich zog <strong>mich</strong> bis auf Slip und T-Shirt aus und legte <strong>mich</strong> vorsichtig auf meine Bett-<br />
hälfte, zog die Zudecke über <strong>mich</strong> und pustete die Kerze auf meiner Seite aus. Auf Jims Seite<br />
war sie fast herunter gebrannt und würde in wenigen Minuten von ganz alleine verlöschen.<br />
Ich rollte <strong>mich</strong> auf die rechte Seite und hatte so noch ein paar Minuten Muße, ihn zu be-<br />
trachten. Ich konnte nicht abstreiten, dass er verdammt gut aussah. Unter den Hämatomen im<br />
Gesicht kam immer mehr der braun gebrannte Teint zum Vorschein. Scheinbar verbrachte er<br />
viel Zeit im Freien, denn er war am ganzen Körper braun. Seit es ihm deutlich besser ging<br />
blitzten seine Grübchen immer häufiger auf. Er hatte ein süßes, freches Grinsen und wenn er<br />
grinste sah man ebenmäßige, weiße Zähne zwischen seinen Lippen blitzen. Aber seine Augen<br />
hatten <strong>mich</strong> vom ersten Tag an fasziniert. Man sagte, die Augen seien der Spiegel der Seele<br />
und bei Jim stimmte das zu einhundert Prozent. Sie drückten seine jeweilige Gefühlslage so<br />
sehr aus, dass es schon fast erschreckend war. Ich seufzte leise. Zum Glück flackerte in<br />
diesem Moment die Kerze und verlosch. Sonst hätte ich <strong>mich</strong> in seinem Gesicht vollkommen<br />
verloren. Ich schloss die Augen und war Minuten später eingeschlafen.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Jim neben mir wälzte sich zitternd und<br />
keuchend hin und her Er schien so fest in einem Albtraum gefangen, dass er sich nicht daraus<br />
lösen konnte. Ich zündete meine Kerze an, beugte <strong>mich</strong> über ihn und schüttelte ihn sanft<br />
wach.<br />
„Jim. Wach auf, du hast einen Albtraum!“<br />
Ich musste energischer Schütteln, dann aber fuhr er mit einem keuchenden Schrei<br />
senkrecht in die Höhe.<br />
„Du hast geträumt, es ist alles in Ordnung.“, sagte ich besänftigend.<br />
Mit heftig zitternden Händen fuhr er sich durch das schweißnasse Haar. Aus Augen,<br />
ganz dunkel vor Grauen, starrte er geradeaus und schien immer noch in dem Traum zu<br />
stecken. Spontan legte ich einen Arm um ihn und zog ihn an <strong>mich</strong>. Sein Kopf kam auf meiner<br />
Schulter zu Ruhen und ich redete weiter beruhigend auf ihn ein.<br />
„Es ist alles in Ordnung. Das war nur ein Albtraum.“<br />
Langsam, ganz langsam beruhigte er sich ein wenig und ich ließ <strong>mich</strong> in die<br />
Waagerechte zurück sinken, Jim einfach mit mir ziehend. Leise fragte ich:<br />
zu Sprechen.<br />
„Magst du erzählen, was du geträumt hast?“<br />
Es dauerte eine Weile, in der er an <strong>mich</strong> gekuschelt liegen blieb, bevor er leise anfing<br />
„Als Dad damals Mum und sich umbrachte, da ... lag ich in meinem Zimmer unterm<br />
Bett, verstehst du? Mum hatte <strong>mich</strong> dort versteckt, als Dad am Abend plötzlich sturz-<br />
betrunken vor der Haustür stand und anfing, wie ein Irrer dagegen zu schlagen. Sie hatte mir<br />
eingebläut, <strong>mich</strong> nicht zu rühren, egal, was passieren würde. So lag ich da unten, starr vor<br />
Angst, und bekam alles aus erster Hand mit. Irgendwann hatte Dad es geschafft, die Tür auf-<br />
zubrechen. Mum schrie, er solle verschwinden. Dann ... Sie schrie immer wieder: Nein, nein<br />
... Ich lag da unter meinem Bett und hörte sie weinen. Dad erschoss Mum im Flur, dann kam<br />
er in mein Zimmer. Ich konnte seine Beine sehen. Er setzte sich auf mein Bett und dann ... Es<br />
gab einen lauten Knall und Dads Beine zuckten ...“<br />
Entsetzt lauschte ich und ohne darüber nachzudenken zog ich Jim fest an <strong>mich</strong>. Er ließ<br />
es zu und ich spürte seine Schultern zucken.<br />
sein, was ...“<br />
„Das ist schrecklich!“, sagte ich verstört.<br />
Mit tränenerstickter Stimme flüsterte er:<br />
„War nicht sehr lustig, nein. Da wird mir wohl ein Albtraum dann und wann erlaubt<br />
Er blieb liegen, wo er war und ganz allmählich entspannte er wieder. Sein linker Arm<br />
verirrte sich dabei auf meinen Körper. Nach endlosen Minuten sagte er leise:<br />
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören.“<br />
„Das hast du nicht. Meinst du, du kannst weiter schlafen?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er nickte. Ich wedelte mit einer Hand die Kerze aus, ohne Jim loszulassen und er blieb<br />
ebenfalls einfach so liegen, wie er lag. Die vertraute Nähe, die plötzlich zwischen uns<br />
herrschte, wollte keiner von uns aufgeben. Schweigend lagen wir in der Dunkelheit und<br />
spürten den anderen. Plötzlich sagte Jim ruhig:<br />
„Das hab ich noch nie jemandem erzählt.“<br />
Ich zuckte richtig zusammen, als seine Stimme so plötzlich durch die Dunkelheit des<br />
Raumes klang.<br />
„Vielleicht musstest du es mal loswerden. Ich bin kein Psychologe, aber über be-<br />
stimmte Sachen muss man einfach Reden.“<br />
Einen Moment schien er nachzudenken. Schließlich meinte er:<br />
„Mag sein.“<br />
Still lagen wir da, keiner von uns konnte sich aufraffen, den anderen loszulassen und<br />
so schliefen wir schließlich in genau dieser Haltung wieder ein.<br />
Am kommenden Morgen lagen wir beim Aufwachen noch immer eng aneinander ge-<br />
kuschelt da und lösten uns verlegen von einander.<br />
„Na, hast du noch gut geschlafen?“, fragte ich, um etwas zu sagen.<br />
Jim wurde rot und grinste verschämt.<br />
„Kann man wohl sagen. Bei so nem Kissen.“<br />
Irgendwie schaffte er es mit der frechen Bemerkung, die peinliche Verlegenheit<br />
zwischen uns zu beseitigen. Ich lachte.<br />
„Na, da bin ich ja beruhigt.“<br />
Wir lagen ziemlich dicht beieinander und sahen uns an. Jim schien zu überlegen.<br />
„Du ahnst nicht, wie sehr es mir heute Nacht geholfen hat, dass du ... naja, dass du für<br />
<strong>mich</strong> da warst. Wenn ich diesen Albtraum sonst hab, kann ich manchmal nächtelang nicht<br />
wieder richtig schlafen. Ich will dir bestimmt keinen Honig ums Maul schmieren, aber <strong>mich</strong><br />
so schnell so zu beruhigen hat noch niemand geschafft. Danke.“<br />
Er sagte dies ruhig und sah mir dabei auch ruhig in die Augen. Mir hatte eine flapsige<br />
Antwort auf der Zunge gelegen, aber diese schluckte ich hinunter und antwortete stattdessen<br />
genauso ruhig und ernst:<br />
„Das habe ich gerne getan, du brauchst dich nicht zu bedanken. Es freut <strong>mich</strong> wirk-<br />
lich, dass ich dir überhaupt helfen konnte. Was du da als Kind miterleben musstest, ist mehr,<br />
als jeder Erwachsene ertragen würde. Du hast jeden Grund, Albträume zu haben.“<br />
Ich wollte noch etwas hinzufügen, schluckte aber auch das hinunter.<br />
„Es ist schon komisch. Ich war immer extrem misstrauisch, selbst, wenn ich Leute<br />
lange kannte. Aber dir erzähle ich Dinge, die ich nicht einmal Kate erzählt hab. Bist du so was<br />
wie ne gute Fee?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Bei den letzten Worten funkelte wieder Frechheit in seinen Augen und ich grinste.<br />
„Ich glaube, dass würden die drei Herren dahinten im Wald anders sehen. Gute Fee wäre<br />
sicher das Letzte, was ihnen zu mir einfallen würde.“<br />
Das erste Mal, seit er bei mir war, lachte Jim wirklich völlig entspannt auf.<br />
„Das stimmt wohl. Ich nehme an, selbst Hexe würde nicht reichen, auszudrücken, was<br />
sie über dich denken.“<br />
Sein Lachen war ansteckend und obwohl ich noch lange nicht mit der Tatsache, drei<br />
Menschen getötet zu haben, fertig war, konnte ich nicht anders und stimmte in sein Lachen<br />
ein.<br />
Schließlich aber beruhigten wir uns und standen auf. Irgendwie hatte die vergangene<br />
Nacht eine Veränderung herbei geführt. Welcher Art diese Veränderung war, konnte ich noch<br />
nicht wirklich sagen, aber sie war zu spüren. Zusammen packten wir die letzten Sachen in<br />
einen Koffer, den ich im Schrank gefunden hatte. Sie Sachen meines Großvaters waren Jim<br />
nur unwesentlich zu weit und so bat er darum, sie mitnehmen zu dürfen. Viel war es ohnehin<br />
nicht. Zwei Jeans, vier T-Shirts, zwei dickere und zwei dünnere Hemden, eine fast neue<br />
Jeansjacke und Unterwäsche. Ich selbst hatte in der Hütte eine ähnliche Sammlung von<br />
Kleidungsstücken, die ich ebenfalls komplett einpackte. Grandpas dicken Parka und meine<br />
Winterjacke legten wir auf den Rücksitz. Wir schleppten die Waffen zum Wagen, verstauten<br />
sie ebenfalls auf dem Rücksitz, die Walthers steckten wir uns in den Hosenbund. Munition<br />
war noch reichlich da, wir nahmen natürlich alles mit. Sicherheitshalber packte ich auch den<br />
Kasten mit dem Erste Hilfe Material ins Auto. Nun verrammelten wir die Hütte gründlich und<br />
ich bat Jim, die Motorhaube zu öffnen. Erstaunt tat er, worum ich ihn bat und ich steckte das<br />
Zündkabel wieder fest. Er grinste begeistert und meinte:<br />
„Hey, du denkst wirklich an alles.“<br />
Ich starrte ihn dumm an und schlug mir mit der Hand vor die Stirn.<br />
„Eben nicht! Jetzt hätte ich fast das Geld und die Papiere hier gelassen.“<br />
Ich eilte noch einmal ins Haus und schnappte mir den Schnellhefter, den Brief-<br />
umschlag mit dem Geld, der Bankvollmacht und der dazugehörigen Bankkarte nebst Pin-<br />
Nummer, überlegte kurz und stopfte mir auch noch das Messer, dass seit dem ersten Tag in<br />
der Nachttischschublade lag, mit samt der Scheide in die Tasche, dann war ich sicher, wirk-<br />
lich alles zu haben. In der Garage stiegen wir ins Auto und ich startete den Jeep. Es ging los.<br />
3.600 endlose Kilometer Fahrt, quer durch die USA.<br />
Die ersten Kilometer durch den dichten Wald schwiegen wir. Ich sah <strong>mich</strong>, genau wie<br />
Jim, immer wieder paranoid um, ob ich irgendwo in einem Querweg einen roten Ford Ex-<br />
plorer sehen würde, aber das passierte nicht. Schließlich brach Jim das Schweigen.<br />
„Willst du in Wright niemandem darüber Informieren, wo du hin verschwindest?“<br />
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Frauke Feind<br />
Ich hatte über diese Frage lange und intensiv nachgedacht. Erst hatte ich Carrie Be-<br />
scheid sagen wollen, doch davon war ich ab gekommen. Wenn sie nicht wusste, wo ich hin<br />
verschwunden war, brauchte sie hoffentlich auch keine Angst vor Belästigungen haben.<br />
ich also.<br />
„Es ist das Beste, wenn niemand von mir erfährt. So gefährde ich keinen.“, erwiderte<br />
„Da hast du auch wieder Recht.“, stimmte Jim mir zu.<br />
<strong>Über</strong> diverse Waldwege gelangten wir schließlich nach Cranberry und von dort war es<br />
nur ein Katzensprung zur Interstate 64. Es war kurz nach halb 10 Uhr und ich gab Gas. Fünf-<br />
zig Kilometer später erreichten wir bei Chelyan den Kanawha River. Die 64 führte jetzt<br />
etliche Kilometer an dessen südlichen Ufer entlang. Vor Virginias Hauptstadt Charleston ver-<br />
lief die 64 über den Kanawha River, wir blieben allerdings auf der südlichen Seite. Noch vor<br />
11 Uhr hatten wir Charleston passiert und überquerten kurz darauf den Fluss, um wieder auf<br />
die 64 zu gelangen. Nun führte diese am nördlichen Ufer weiter. Doch nicht sehr weit. Bei<br />
Scary gelangten wir erneut über den Kanawha und hier verließen wir den Fluss auch end-<br />
gültig.<br />
Bis Chesapeake verlief die 64 durch die hügelige Landschaft der Allegheny Mountains<br />
von West Virginia und fünfundfünfzig Kilometer weiter, bei Huntington überquerten wir die<br />
Grenze nach Kentucky. Hier machten wir einen kurzen Stopp bei einem McDonalds, holten<br />
uns Kaffee und einen Cheeseburger und schon ging es weiter. Unser nächstes Ziel war das<br />
hundertachtzig Kilometer entfernte Lexington. Dort kamen wir gegen 14.30 Uhr an und<br />
machten erneut eine kurze Pause, um etwas zu Trinken und auf die Toilette zu gehen. Als wir<br />
weiter fuhren, fiel mir auf, dass Jim still und in sich gekehrt war. Schließlich fragte ich ihn:<br />
„Ist alles in Ordnung?“ Er nickte.<br />
„Ja, geht schon. Mach dir keine Sorgen.“<br />
Allerdings kam das ziemlich verkniffen über seine Lippen und ich erwiderte:<br />
„Das hört sich aber nicht wirklich so an.“<br />
Er schnaufte wütend und meinte gereizt:<br />
„Mir tut der Rücken weh, ich hab Kopfschmerzen und weiß nicht mehr, wie ich sitzen<br />
soll, zufrieden?“<br />
Ich sah ihn besorgt an und stellte fest, dass er ziemlich fertig aussah. So steuerte ich<br />
den nächsten Rastplatz an und hielt dort an. Ich stieg unter Jims Protest aus dem Wagen und<br />
forderte ihn auf, ebenfalls auszusteigen. Ich hatte aus der Hütte ein Kissen und beide Zu-<br />
decken in den Laderaum gestopft. Jetzt packte ich schnell ein wenig um, nahm die Gewehre<br />
nach vorne und bereitete Jim auf der Rückbank mit Decken und dem einen Zudeck ein mög-<br />
lichst bequemes Lager. Ich forderte ihn auf:<br />
„Mach es dir dort so bequem wie möglich.“<br />
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Frauke Feind<br />
Mürrisch und verlegen turnte er in den Wagen zurück und legte sich vorsichtig auf die<br />
Rückbank. Erstaunt merkte er, wie bequem er hier liegen konnte. Dass er die Beine nicht aus-<br />
strecken konnte, störte kaum. Dankbar ächzte er:<br />
„Das ist besser, danke.“<br />
Ich zog fürsorglich das zweite Zudeck über ihn, schloss die Tür und es ging weiter.<br />
Bei Louisville passierten wir die Grenze nach Indiana und durchquerten den Südzipfel<br />
des Bundesstaates und als wir gegen 16.30 Uhr Evansville passierten fragte ich Jim:<br />
„Geht es noch ein wenig?“<br />
„Wenn‟s unbedingt sein muss.“<br />
„Ich würde gerne bis Paducah kommen. Dann haben wir für den ersten Tag ganz gut<br />
was geschafft. Das sind noch ungefähr hundertvierzig Kilometer, wenn du die noch schaffst?“<br />
Müde nickte Jim.<br />
„Ja, aber beeil dich bitte, okay?“<br />
Ich lächelte.<br />
„Natürlich.“<br />
So gab ich wieder Gas und beeilte <strong>mich</strong> wirklich, ohne die Geschwindigkeitsbe-<br />
grenzung allzu sehr überzustrapazieren. Eben nach 18 Uhr fuhr ich auf den Parkplatz eines<br />
schönen Holiday Inn und sagte zu Jim:<br />
„Ich besorge uns ein Zimmer, warte hier solange.“<br />
Schnell eilte ich an die Rezeption und nahm ein Zimmer mit King Size Bett. Als ich<br />
bezahlt und den Schlüssel erhalten hatte, eilte ich zum Wagen zurück und fuhr direkt vor<br />
unser Zimmer. Jim hatte sich bereits aufgesetzt und ich half ihm ein wenig beim Aussteigen.<br />
Steif und verspannt streckte er sich erst einmal. Er wollte sich den Koffer greifen, aber ich<br />
war schneller. Er warf mir einen strafenden Blick zu, nickte jedoch ergeben. Zusammen be-<br />
traten wir das schöne, große Zimmer und Jim sank erleichtert auf das Bett. Ich stellte den<br />
Koffer ab und eilte noch einmal nach draußen, um die Waffen zu holen. Ich hatte Glück,<br />
niemand sah <strong>mich</strong>, als ich mit dem länglichen Deckenpaket das Zimmer betrat. Ich schloss die<br />
Tür ab und sah <strong>mich</strong> um. Auf dem Tisch lag eine Menu Karte von einer nahe gelegenen<br />
Pizzeria und ich fragte Jim:<br />
„Pizza?“<br />
Er grinste erschöpft.<br />
„Gute Idee. Salami mit Pilzen und extra viel Käse.“<br />
Ich bestellte und schon zehn Minuten später kamen die Pizzas. Hungrig futterten wir<br />
sie auf, wobei ich nicht alles schaffte, aber tatkräftig von Jim unterstützt wurde. Als auch er<br />
satt war, ließ er sich wieder auf das Bett sinken. Ich öffnete den Koffer und nahm die Tasche<br />
mit den Badutensilien heraus. In weiser Voraussicht hatte ich das Massageöl eingepackt und<br />
holte jetzt ein großes Badelaken und ein kleines Handtuch aus dem Bad. Beide legte ich auf<br />
das Bett und erklärte:<br />
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Frauke Feind<br />
„So, dann machen Sie sich mal frei, junger Mann.“<br />
Jim warf mir einen Blick zu, bei dem mir eigenartig warm wurde und begann, mit<br />
einem anzüglichen Grinsen sein Hemd und die Stiefel, Jeans und Socken auszuziehen.<br />
Schließlich stand er in Boxershorts vor mir und fragte:<br />
„Reicht das?“<br />
Bevor ich wusste, was ich sagte, rutschte mir:<br />
„Vorerst ...“, heraus und Jims Grinsen wurde noch breiter.<br />
Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und lachte nervös.<br />
„Leg dich endlich hin.“<br />
Steif und mit einem leisen Ächzen legte Jim sich auf den Bauch auf das Badelaken<br />
und ich kniete <strong>mich</strong> neben ihm auf das Bett. Ich träufelte Massageöl auf seinen Rücken und<br />
begann, ihn sanft zu massieren. Nach einigen Minuten wurde mein Griff fester und Jim<br />
konnte ab und zu ein wohliges Stöhnen nicht verhindern. Gute dreißig Minuten arbeitete ich,<br />
dann spürte ich, wie seine Muskulatur sich mehr und mehr löste und er unter meinen Händen<br />
entspannte. Während ich ihn massierte hatte ich Zeit genug, erneut zu bewundern, wie eben-<br />
mäßig und weich seine Haut war. Im Gedanken trat ich mir in den Hintern und erklärte<br />
schließlich fast enttäuscht:<br />
„So, das sollte reichen. Wie fühlt es sich an?“<br />
„Großartig, kein Vergleich, danke, Kelly. Wenn jetzt noch die Kopfschmerzen ver-<br />
schwinden, könnte ich Bäume ausreißen.“<br />
Er wollte sich herum drehen, aber ich bat:<br />
„Warte noch einen Moment, ich werde noch mal ein wenig deine Schultern und deinen<br />
Nacken bearbeiten.“<br />
Auch hier waren Verspannungen zu spüren, die ich schnell fort massiert bekam. Ich<br />
wischte ein paar Ölreste mit dem kleinen Handtuch fort, rutschte vom Bett und sagte:<br />
„So, das war es aber wirklich. Das wird in ein paar Tagen sicher völlig weg sein.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und diesmal irrte ich <strong>mich</strong> nicht: Eindeutig husche ein Schatten kurz<br />
über sein Gesicht.<br />
Jim drehte sich langsam auf den Rücken und schloss seufzend die Augen.<br />
„Meine Birne platzt noch immer. Aber sonst ist es erheblich besser.“<br />
Er stand vorsichtig auf und ich nahm das Badelaken weg. Er verschwand kurz im Bad,<br />
kam schnell zurück und sah, dass ich die Betten inzwischen aufgedeckt hatte. Kurz stockte<br />
sein Schritt, als ihm, wie Sekunden vorher mir, klar wurde, dass wir hier unter einem Zudeck<br />
liegen würden. Langsam kam er zum Bett hinüber und machte sich lang. Leise stöhnend rieb<br />
er sich die Stirn. Ich verschwand nun auch schnell ins Bad, wo ich unter anderem versuchte,<br />
meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, dann kehrte ich ebenfalls in das<br />
Schlafzimmer zurück. Ich entledigte <strong>mich</strong> nun auch meiner Sachen, zog den BH unter dem T-<br />
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Frauke Feind<br />
Shirt aus und legte <strong>mich</strong> ebenfalls ins Bett. Die lange Fahrerei hatte auch <strong>mich</strong> geschafft.<br />
„Immer noch Kopfweh?“, fragte ich mitleidig.<br />
Ein zustimmendes Grunzen antwortete mir. Ich stopfte mir das Kissen in den Rücken<br />
und setzte <strong>mich</strong> wieder auf. Jetzt erklärte ich:<br />
„Rutsch mal etwas herum, lege mir deinen Kopf auf die Beine, ja, so.“<br />
Als er bequem lag, fing ich sanft an, meine Fingerspitzen über seine Schläfen gleiten<br />
zu lassen. Er lag mit geschlossenen Augen da und genoss die Behandlung sichtlich. Und nach<br />
einiger Zeit meinte er verblüfft:<br />
„Hey, die Kopfschmerzen lassen nach!“<br />
Ich machte noch einige Minuten weiter, dann seufzte er:<br />
„Kann man dich kaufen?“<br />
Ich lachte.<br />
„Nein. Ich bin nicht käuflich.“<br />
„Schade. Ich würde jeden Preis bezahlen.“<br />
Ganz dunkel und sanft klang seine Stimme bei diesen Worten und er rutschte von<br />
meinen Beinen herunter und machte es sich bequem.<br />
„Wenn ich dich heute Nacht wieder nerv, hau mir eine rein.“<br />
Ich legte <strong>mich</strong> ebenfalls zurecht und erklärte:<br />
„Werde ich machen. Schlaf gut.“<br />
„Du auch. Gute Nacht.“<br />
************<br />
5) Verfolger<br />
Früh am nächsten Morgen waren wir bereits wieder auf der Straße. Wir hielten uns auf<br />
kleineren Straßen und so brauchten wir für die knapp vierhundertzwanzig Kilometer bis<br />
Springfield, Missouri, über fünf Stunden. Hier legten wir eine Pause ein und gönnten uns ein<br />
verspätetes Frühstück. Anschließend ging es weiter. Heute war Jim besser drauf und wir<br />
unterhielten uns viel. Ich fragte nach den unglaublichen Dingen, die auf der Insel passiert<br />
waren und Jim gab bereitwillig Auskunft, soweit es ihm möglich war.<br />
„Was hatte eure Entführung denn für einen Sinn?“, wollte ich wissen.<br />
Er hatte mir gerade erzählt, dass Kate, Jack und er einige Zeit in den Händen dieses<br />
Benjamin Linus gewesen waren. Jim schüttelte den Kopf und meinte:<br />
„Frag <strong>mich</strong> was Leichteres. Scheinbar ging es ihnen darum, Jack zu ‟überreden‟ Ben<br />
zu operieren, der irgendeinen ... Tumor an der Wirbelsäule hatte. Kate und ich waren nur<br />
Druckmittel.“<br />
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Frauke Feind<br />
Er schaute aus dem Fenster und war in Gedanken wohl wieder bei den ‟Anderen‟,<br />
denn sein Gesicht verzog sich angewidert.<br />
„Sie haben Kate und <strong>mich</strong> in Bärenkäfige gesteckt. Später haben sie uns für sie<br />
Schuften lassen. Wir mussten auf einem Weg durch den Dschungel Steine klopfen und weg<br />
schaffen. Dass sie drohten, <strong>mich</strong> zu erschießen, wenn Kate es nicht schaffte, Jack zu der<br />
Operation zu überreden, hab ich erst hinterher erfahren. Ein junger Bengel, der ebenfalls in<br />
einem dieser Käfige hockte, verhalf mir schließlich zur Flucht, aber wir wurden geschnappt,<br />
bevor wir auch nur das Lager verlassen konnten. <strong>Der</strong> Junge, Karl, wurde weg geschafft und<br />
ich wanderte wieder in meinen Käfig. Dann haben sie <strong>mich</strong> geholt. Ich wurde zusammen ge-<br />
schlagen und wachte auf, festgeschnallt an ein Art OP Tisch.“<br />
Seine Stimme zitterte bei der Erinnerung daran.<br />
„Sie haben mir ...“ Er musste tief durch atmen, dann fuhr er leise und stockend fort:<br />
„... eine Spritze direkt ... direkt ins Brustbein gerammt. Mir gingen die Lichter aus und als ich<br />
wieder zu mir kam, hatte ich ne Wunde auf der linken Brustseite und Ben hat mir erzählt, dass<br />
sie mir ne Art Herzschrittmacher eingesetzt hatten. Er machte mir klar, dass ich auf meinen<br />
Pulsschlag achten sollte. Alles, was über hundertvierzig ginge, würde mein Herz zum Platzen<br />
bringen dank des netten, kleinen Gerätes. Und er legte mir freundlich nahe, Kate nichts zu<br />
sagen, weil sie sonst mit ihr das Gleichen machen würden. Ein oder zwei Tage nach dem Ein-<br />
griff kam einer der Typen, ein völlig durch geknallter Psycho namens Danny zu uns und<br />
zerrte <strong>mich</strong> aus dem Käfig. Er fing an, <strong>mich</strong> windelweich zu schlagen und ich wehrte <strong>mich</strong><br />
nicht, weil ich dachte, es reißt mein verdammtes Herz auseinander. Er zwang Kate, zuzu-<br />
geben, dass sie <strong>mich</strong> liebt.“<br />
Jim lachte leise und frustriert.<br />
„Als sie es endlich sagte, zerrte der Kerl <strong>mich</strong> in den Käfig zurück. Was das sollte,<br />
weiß ich bis heute nicht. Irgendwann kam Ben, morgens, in aller Frühe, und schleppte <strong>mich</strong><br />
einen Berg hinauf. Ich hab ihn irgendwann gefragt, warum er, wenn er <strong>mich</strong> killen will, mir<br />
nicht einfach ne Kugel in den Kopf jagt, statt mein Herz zum Explodieren zu bringen. Am<br />
Gipfel angekommen erklärte er mir, dass das mit dem Schrittmacher nur Verarsche gewesen<br />
war und zeigte mir dann, dass wir auf einer anderen, erheblich kleineren Insel vielleicht zwei<br />
Kilometer vor der Küste waren. Fliehen hatte also keinen Zweck, wenn uns nicht Schwimm-<br />
häute oder Flügel wachsen würde.“<br />
Ich hatte erschüttert zugehört und fragte entsetzt:<br />
„Und wie seid ihr da wieder raus gekommen?“<br />
Jim schüttelte den Kopf, wie um trübe Gedanken zu vertreiben.<br />
„Naja, ein paar Tage später stand Danny erneut vor meinem Käfig. Es war mitten in<br />
der Nacht und Kate war bei mir. Sie hatte es geschafft, aus ihrem Käfig raus zu kommen und<br />
mit einem Stein mein Käfigschloss zu zerschlagen. Sie wollte, dass wir zusammen fliehen.<br />
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Frauke Feind<br />
Erst jetzt sagte ich ihr die Wahrheit, nämlich, dass wir auf ner anderen kleineren Insel waren,<br />
und fliehen keinen Sinn hatte. Sie blieb bei mir und so erwischte Danny uns. Ich weiß nicht,<br />
warum er so einen unbändigen Hass auf <strong>mich</strong> hatte, jedenfalls kam er mit nem Kumpel zu-<br />
sammen in den Käfig. Es kam zu nem kurzen Kampf, sein Freund überwältigte Kate und<br />
drohte, sie zu erschießen, wenn ich nicht aufgeben würde. Er zwang <strong>mich</strong> aus dem Käfig,<br />
befahl mir, <strong>mich</strong> in den Matsch zu Knien und wollte mir eine Kugel in den Kopf jagen.“<br />
den Arm.<br />
Jim zitterte bei der Erinnerung daran und ich legte ihm unwillkürlich eine Hand auf<br />
„Als er grade abdrücken wollte, ging sein Walkie Talkie los. Jack hatte schließlich<br />
doch mit der OP angefangen und Ben absichtlich lebensgefährlich verletzt. Er forderte unsere<br />
sofortige Freilassung und so konnten wir entkommen. Juliet und Bens Tochter Alex halfen<br />
uns bei der Flucht, unter der Bedingung, dass wir Karl mitnehmen sollten. Am Strand, als<br />
Alex uns gerade ein Boot geben wollte, wurden wir von Danny und ein paar seiner Kumpel<br />
erwischt. Bevor er <strong>mich</strong> doch noch killen konnte, gelang es Juliet, ihn zu erschießen. Wir<br />
kehrten ohne Jack zur Hauptinsel zurück und irgendwann später befreiten wir auch ihn<br />
schließlich.“<br />
Man merkte ihm an, dass er mit den Gedanken bei dieser grausamen Zeit der Ge-<br />
fangenschaft weilte. Vielleicht tat es ihm aber gut, einmal mit einem Außenstehenden darüber<br />
zu sprechen. Ich musste die Hand wieder von seinem Arm nehmen, da ich kurz beide Hände<br />
am Lenkrad brauchte, und hatte das Gefühl, ein kurzes Bedauern auf seinem Gesicht zu<br />
sehen. Ich überlegte, dann fragte ich:<br />
„Wie bist du zu der Schusswunde an der Schulter gekommen? Ist das auch auf der<br />
Insel passiert?“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, ungefähr acht Wochen nach dem Absturz hatten wir unter Anleitung von Michael<br />
alle zusammen ein Floß gebaut. Mike, Walt, Jin und ich machten uns mit dem Teil auf den<br />
Weg, Hilfe zu holen. Schon in der ersten Nacht kamen in nem alten Motorboot ein paar von<br />
den ‟Anderen‟ und überfielen uns auf dem Wasser. Sie entführten Walt und sprengten das<br />
Floß in die Luft, nachdem sie uns beschossen hatten. Wir trieben im Wasser, Jin wurde von<br />
uns getrennt. Ich hatte die Schusswunde ab bekommen und schaffte es trotzdem irgendwie,<br />
Mike aus dem Wasser zu ziehen und auf ein Wrackteil zu hieven. Und da hab ich mir die<br />
Kugel selbst raus geholt, mit den Fingern. An Land zurück fielen wir einer kleinen Gruppe<br />
von Leuten aus dem Heckteil des Flugzeugs in die Finger, die erst dachten, wir würden zu den<br />
‟Anderen‟ gehören. <strong>Der</strong> Irrtum klärte sich schnell und wir machten uns zusammen auf den<br />
Rückweg zu unserem Camp. Auf halber Strecke bin ich schließlich zusammen gebrochen und<br />
sie haben <strong>mich</strong> das letzte Stück geschleppt. Jack hat ne Menge zu tun gehabt, <strong>mich</strong> wieder auf<br />
die Beine zu kriegen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Das kam fast fröhlich und ich sah Jim an, dass er Spaß daran hatte, diesen Jack zu<br />
ärgern. Ungläubig fragte ich nach:<br />
„Du hast die Kugel wirklich mit deinen Fingern raus geholt?“<br />
Grinsend nickte Jim. „Jepp. Nur Pflaster hatten wir nicht dabei.“ Er sah wieder aus<br />
dem Fenster und meinte:<br />
„Wenn ich gewusst hätte, wie es endet, hätte ich vielleicht im wahrsten Sinne des<br />
Wortes die Finger davon gelassen.“<br />
Ich konnte mir denken, was passiert war.<br />
„Die Wunde hat sich sicher heftig entzündet, oder? All der Dreck, der eingedrungen<br />
sein dürfte, das feuchte Dschungelklima, idealer Nährboden für jede Infektion. Ich vermute,<br />
du hattest eine gepflegte Sepsis?“<br />
Jim nickte.<br />
„Aber wie. Ich hab scheinbar drei Tage regelrecht im Koma gelegen. Kate sagte, ich<br />
hätte extrem hohes Fieber gehabt, Schüttelfrost und es stand ziemlich auf der Kippe. Wir<br />
hatten ja auch keine vernünftigen Medikamente. Jack musste <strong>mich</strong> sprichwörtlich mit Spucke<br />
und Wasser zusammen flicken.“<br />
Irgendwie empfand ich Dankbarkeit für Jack, schüttelte den Gedanken aber schnell ab.<br />
Das war albern. Ich schaute in den Rückspiegel, um einen <strong>Über</strong>holvorgang einzuleiten, und<br />
schrak heftig zusammen. Vier Wagen hinter uns sah ich einen roten Ford Explorer. Nun gab<br />
es davon eine ganze Menge in den USA, aber als ich den Wagen erblickte, wurde mir heiß<br />
und kalt zugleich!<br />
Jim bemerkte mein Zusammenzucken und sah sich erstaunt um. Und wurde blass.<br />
„Scheiße!“, stieß er erschrocken hervor.<br />
Ich konnte ihm nur zustimmen. Unruhig sah ich immer wieder in den Rückspiegel.<br />
„Sind sie das?“, fragte ich nervös.<br />
Jim zuckte die Schultern.<br />
„Frag <strong>mich</strong> was Leichteres. Wie sollen sie uns aufgetrieben haben?“<br />
Ich schüttelte ratlos den Kopf. „Was weiß ich. Vielleicht sind sie es ja auch gar nicht.“<br />
Wir hatten vor einiger Zeit Tulsa, Oklahoma, passiert und hatten nun bis Oklahoma City<br />
hundertfünfzig Kilometer ohne eine Ortschaft vor uns. Sollten es unsere Verfolger sein, die da<br />
in dem Explorer saßen, hatten sie auf dieser Strecke jede Möglichkeit, uns anzugreifen.<br />
„Was sollen wir machen? So tun, als wären sie es nicht? Oder versuchen, irgendwo in<br />
Deckung zu gehen?“<br />
Jim war ähnlich ratlos.<br />
„Wenn sie uns hier auf der Straße angreifen, haben wir die Chance, ihnen davon zu<br />
fahren, wenn es uns gelingt, ihnen ein paar platte Reifen zu bescheren. Andererseits hätten wir<br />
vielleicht eine Chance, sie in Oklahoma City abzuschütteln.“<br />
Ich seufzte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Aber sie wissen scheinbar, wo wir hin wollen. Und sie wissen vielleicht auch schon,<br />
wer ich bin. Dann wird es garantiert gefährlicher für uns. Denn scheinbar lag ihnen ja sehr<br />
viel daran, dich aufzuhalten, zu Grandpa zu gelangen und ebenso viel, zu erfahren, zu wem du<br />
eigentlich wolltest.“<br />
Jim nickte.<br />
„Oh, ja, ihnen lag sehr viel daran.“<br />
Seine Linke strich unbewusst über seine Seite, dort, wo die Kerle ihm den Schrauben-<br />
zieher ins Fleisch gerammt hatten. Ihm war klar, dass er nicht sehr viel länger durchgehalten<br />
hätte, und wäre ihm nicht doch noch die Flucht gelungen, hätte er alles verraten, was er<br />
wusste. Dieses Wissen ärgerte und beschämte ihn, machte es ihm doch klar, dass er nicht so<br />
hart und stark war, wie er gerne gewesen wäre. Aber ein Fachmann hätte Jim sagen können,<br />
dass jeder Mensch Schmerzen nur begrenzt auszuhalten im Stande war und früher oder später<br />
bereit sein würde, alles zu tun, um weitere Qualen zu vermeiden. Aus diesem Grunde war<br />
Folter ja ein so probates Mittel, Informationen zu erhalten. Ich bemerkte, dass Jim offensicht-<br />
lich trüben Gedanken nach hing und frage:<br />
„Worüber denkst du nach? Wie wir ihnen entkommen können?“<br />
Ertappt schüttelte er den Kopf.<br />
„Nein, eigentlich hab ich darüber nachgedacht, dass ich kurz davor war, ihnen alles zu<br />
verraten, was sie wissen wollten.“<br />
Er starrte verbissen aus dem Fenster und ich ahnte, was ihm durch den Kopf ging.<br />
„Jim, das ist kein Zeichen von Schwäche, okay? <strong>Der</strong> menschliche Körper ist nicht so<br />
konstruiert, unbegrenzt Schmerzen ertragen zu können. In der Medizin waren Schmerzmittel<br />
das Erste, wonach geforscht wurde. Schon die Frühformen des Homo sapiens waren darauf<br />
aus, Möglichkeiten zu finden, Schmerzen zu lindern. Jedes Lebewesen möchte Schmerzen<br />
vermeiden. Du hast vermutlich länger durchgehalten als viele andere dies gekonnt hätten und<br />
bist sogar noch aus eigener Kraft entkommen. Du hast keinen Grund, dich zu schämen.“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und ein Lächeln umspielte kurz seine Lippen.<br />
„Kannst du Gedanken lesen?“, fragte er <strong>mich</strong>.<br />
Ich lachte.<br />
„Ja, wenn sie sich auf einem Gesicht so offen widerspiegeln wie gerade bei dir.“<br />
Ich warf erneut einen Blick in den Rückspiegel und erschrak. <strong>Der</strong> Ford war nur noch<br />
zwei Wagen hinter uns.<br />
„Scheiße!“, entfuhr mir.<br />
Jim drehte sich ebenfalls wieder herum und fluchte ungehalten.<br />
„Himmel, Arsch und Zwirn. Die kommen näher. Ich kann aber nicht erkennen, wer in<br />
der Karre sitzt.“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht und er fügte genervt hinzu: „Noch<br />
mal kriegen die <strong>mich</strong> nicht. Nicht lebend!“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er griff in die Mittelablage, wo wir die Walthers deponiert hatten und nahm eine der<br />
Waffen in die Hand. Er kontrollierte diese mit geübten Fingern und behielt sie in der Hand.<br />
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken und ich verspürte eine Angst, die mir gar nicht ge-<br />
fiel. Und nicht um <strong>mich</strong>! Da wir aus dem Einzugsbereich Tulsas heraus kamen, wurde der<br />
Verkehr deutlich weniger, was die Gefahr für uns größer machte. Wenn es wirklich die Typen<br />
waren, die uns folgten, wurde das Risiko für uns mit jedem Kilometer, den wir uns weiter von<br />
Tulsa entfernten, größer. Vor uns waren überhaupt keine Fahrzeuge mehr, der letzte Wagen<br />
war gerade auf eine Farmroad abgebogen. Hinter uns waren nur noch zwei Fahrzeuge und der<br />
Explorer. Ich gab Gas. In eine Polizeikontrolle zu geraten und wegen überhöhter Ge-<br />
schwindigkeit gestoppt zu werden erschien mir das kleinere Risiko zu sein.<br />
Mit jedem Kilometer, den ich schneller wurde, wurde deutlicher, dass in dem Ford<br />
wirklich Jims Verfolger sitzen mussten, denn auch dieser Wagen beschleunigte! Er überholte<br />
den letzten, uns trennenden Wagen und war nun unmittelbar hinter uns. Und noch 100 Kilo-<br />
meter bis Oklahoma City. Verzweifelt sah ich Jim an. Dieser grinste verkniffen.<br />
„Nun wissen wir es wenigstens sicher. Hast du dein Handy mit?“<br />
Ich nickte.<br />
„In meiner Jackentasche.“, erklärte ich.<br />
Jim griff auf die Rückbank und schnappte sich meine Jacke. Er zog das Handy heraus<br />
und fragte nach meinem Pin. Nachdem er diesen eingetippt hatte wählte er eine Nummer.<br />
Noch hatten wir Empfang, ob es so bleiben würde, wussten wir nicht.<br />
„Hey, ich bin‟s.“ Er hatte offensichtlich jemanden erreicht. „Ja, ich leb noch. Be-<br />
tonung auf noch. Hör zu, ich kann jetzt nicht alles erklären. Ich hab die Enkelin von Timothy<br />
Walsh ausfindig gemacht, sie ist hier bei mir. Wir sind auf dem Weg zu euch, aber ob wir es<br />
schaffen ist fraglich. Wir sind im Moment zwischen Tulsa und Oklahoma City unterwegs.<br />
Wir werden verfolgt und ob wir es schaffen, zu entkommen, ist nicht sicher. Die werden auch<br />
auf euch jemanden angesetzt haben. Passt auf euch auf. Sollte ich noch Gelegenheit be-<br />
kommen, melde ich <strong>mich</strong> wieder.“<br />
Er lauschte auf eine Antwort und sagte er sarkastisch:<br />
„Na klar, das ist im Augenblick auch meine größte Sorge. Ich melde <strong>mich</strong> wieder,<br />
wenn ich kann.“<br />
Er drückte das Gespräch weg und schüttelte den Kopf.<br />
„Die haben noch nichts von Beobachtern gemerkt.“ Er sah sich um und stellte fest,<br />
dass der Explorer langsam, aber sicher näher kam.<br />
„Wenn wir es bis Oklahoma City schaffen, könnten wir dort versuchen, uns einen<br />
anderen Wagen zu besorgen.“<br />
- 54 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Vor uns tauchte die Abfahrt nach Bristow auf und ich hatte eine Idee. Ohne weiter<br />
nachzudenken, riss ich das Steuer herum und schlitterte mit quietschenden Reifen in die Aus-<br />
fahrt. Jim klammerte sich erschrocken fest und keuchte:<br />
„Hey, du fährst wie ein Henker!“<br />
Ich antwortete nicht, sondern gab erneut Gas und Minuten später hatten wir die ersten<br />
Häuser erreicht.<br />
„Das ist unsere einzige und letzte Chance, würde ich sagen.“, erklärte ich.<br />
Bristow war keine ganz kleine Stadt, vielleicht gelang es mir hier, unsere Verfolger<br />
solange abzuschütteln, bis wir einen anderen Wagen gefunden hatten. Ich bog im Zickzack in<br />
verschiedene Straßen ein und sah immer wieder in den Rückspiegel. Vor uns tauchte ein<br />
Parkhaus auf und spontan riss ich das Steuer erneut herum und tauchte in das Parkhaus ein.<br />
Ich betete zu Gott, dass wir die Verfolger wenigstens für den Moment losgeworden waren und<br />
fragte:<br />
„Kannst du einen Wagen aufbrechen und kurzschließen?“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> erstaunt an, nickte aber.<br />
„Werd ich schon irgendwie schaffen.“<br />
Ich nickte und erklärte verbissen:<br />
„Wirst du schaffen müssen, sonst sind wir am Arsch!“<br />
Ich behielt den Rückspiegel im Auge, sah aber im Moment keinen Explorer hinter uns.<br />
Dass wir einen Wagen stehlen mussten war mir zwar alles andere als Recht, aber eine Wahl<br />
hatten wir nicht. Wir sahen uns die geparkten Autos im Vorbeifahren an und schließlich sagte<br />
Jim hastig:<br />
„Da, der wäre richtig.“<br />
Er hatte einen silbernen, älteren Cherokee Geländewagen mit getönten Scheiben ent-<br />
deckt. Neben dem Wagen war eine Parklücke und ich fuhr in diese hinein. Hastig sprangen<br />
wir aus dem Auto, Jim ein wenig steif, und sahen uns um. Mutterseelenallein standen wir in<br />
der Etage und ich nickte Jim zu.<br />
„Dann lass mal sehen.“<br />
Er nickte und überlegte kurz. Hastig öffnete er die Heckklappe des Jeeps und suchte<br />
nach dem Werkzeugkasten. Er öffnete diesen und wühlte darin herum, bis er ein Stück Binde-<br />
draht gefunden hatte. Mit einem Schraubenzieher hebelte er das Fenster auf der Fahrerseite<br />
vorsichtig ein kleines Stück auf, sodass er Platz für den Draht hatte, den er zu einer kleinen<br />
Schlinge gebogen hatte. Glücklicherweise hatte der Cherokee noch richtige Knöpfe zum<br />
Öffnen und so gelang es Jim relativ schnell, die Tür mit Hilfe der Schlinge zu öffnen.<br />
Unendlich erleichtert atmete ich auf. Während Jim die Kabel unterhalb der Lenksäule heraus<br />
riss lud ich unsere Sachen in den Cherokee um. Verlegen schrieb ich auf ein Stück Papier eine<br />
Entschuldigung für den Wagenbesitzer, erklärte ihm, dass er den Jeep behalten konnte und<br />
- 55 -
By<br />
Frauke Feind<br />
warf die letzten Teile aus dem Cherokee in den Commander. Als Jim sah, dass ich den Zettel<br />
gut sichtbar am Jeep befestigte, zeigte er mir einen Vogel. Dann aber lächelte er.<br />
„Du bist unglaublich.“<br />
Ich wurde rot.<br />
„Was denn? Das ist ein Notfall, wir sind doch keine billigen Autodiebe! Die Besitzer<br />
machen einen guten Tausch und vielleicht hetzen sie uns so nicht gleich die Highwaypatrol<br />
hinterher.“<br />
Ich hatte alle Sachen ausgetauscht und fragte:<br />
„Was ist denn nun, Meister? Kriegen wir das noch vor Weihnachten hin?“<br />
Gerade in diesem Moment sprang der Cherokee endlich an und Jim grinste.<br />
„Ja, Ma‟am. Wenn ich denn mal bitten dürfte?“<br />
Wir stiegen ein, ich fuhr wieder, Jim war einfach noch nicht wieder fit genug. Er hatte<br />
damit auch keine Probleme.<br />
Uns immer wieder paranoid umschauend fuhr ich aus dem zweiten Ausgang des Park-<br />
hauses hinaus und ordnete <strong>mich</strong> auf der Straße in den ziemlich heftigen Verkehr ein.<br />
ich nervös.<br />
„Was wollen wir machen? Auf die Interstate zurück oder auf der 66 bleiben?“, fragte<br />
Jim überlegte und meinte:<br />
„Vielleicht sollten wir auf der 66 bleiben, da ist bestimmt etwas mehr Betrieb. Viele<br />
Touristen. Wenigstens ab und zu eine Ortschaft und wir könnten uns im Notfall schnell mal in<br />
die Büsche schlagen.“<br />
Ich nickte.<br />
„Hast Recht. Also, auf geht‟s, ich bin eigenartigerweise noch nie auf der Route 66<br />
unterwegs gewesen.“<br />
Ich achtete auf Verkehrsschilder, während Jim sich immer wieder umsah. Aber<br />
scheinbar hatten wir die Kerle erst einmal abgehängt.<br />
einer Weile.<br />
„Wir werden wohl einen Umweg nach LA in Kauf nehmen müssen.“, meinte Jim nach<br />
Ich hatte gerade ein Hinweisschild zur 66 entdeckt und bog ab. Genervt erwiderte ich:<br />
„Ja, da wird uns kaum was anderes übrig bleiben.“<br />
Er seufzte.<br />
„Noch länger den Arsch breit sitzen.“<br />
Ich grinste.<br />
„Lieber einen schmerzenden Hintern als eine Kugel im Kopf.“<br />
„Da hast du auch wieder Recht.“<br />
Er drehte sich erneut im Sitz herum und musterte aufmerksam die Fahrzeuge hinter<br />
uns, aber es war keine roter Ford Explorer zu sehen. Erleichtert schnaufte er und meinte zu-<br />
frieden:<br />
- 56 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wir haben sie scheinbar fürs Erste wirklich abgeschüttelt.“ Er sah <strong>mich</strong> an und fragte:<br />
„Sag mal, hat dein Handy GPS?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, hat es. Warum?“<br />
„Dann sollten wir es loswerden. Ich weiß nicht, aber die hatten auch auf der Insel<br />
schon ne Menge technische Möglichkeiten, wenn auch alles ein wenig veraltet war. Und falls<br />
die von Widmore kommen, haben sie hier sicher jede technische Spielerei zur Verfügung.“<br />
Ich nickte verstehend.<br />
„Okay, dann werden wir es in Depew verlieren.“<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, lass es uns lieber in Oklahoma City verlieren, da haben sie weniger <strong>Über</strong>sicht,<br />
wohin wir von dort verschwinden.“<br />
************<br />
Wir kamen gut voran, unsere Verfolger tauchten nicht wieder auf. Wir erreichten<br />
Oklahoma City gegen 16.30 Uhr. Und hier hatte ich eine Idee. Ohne etwas zu sagen steuerte<br />
ich den Airport an. Jim sah verwirrt aus der Wäsche, dann aber strahlte er. „Aber die<br />
Waffen?“ Ich zuckte die Schultern.<br />
„Das ist ja wohl in LA kein Problem, neue Waffen zu bekommen. Aber ich denke, so<br />
ist es am sinnvollsten. Im Flugzeug sind wir sicher.“<br />
ich:<br />
Ich steuerte auf die Abflughalle zu und bekam einen guten Parkplatz. Besorgt sagte<br />
„Na, komm, geht es?“<br />
Er nickte und stieg ein wenig steif aus und streckte sich ächzend. Zusammen<br />
marschierten wir zum Eingang und sahen uns um. Ich deutete auf den Ticket Counter der<br />
United Airlines und zehn Minuten später hatten wir Tickets für einen Flug nach LA in der<br />
Hand, der um 18.25 Uhr startete. Wir gingen zum Wagen zurück, stopften alles, was wir noch<br />
mitnehmen wollten, in den Koffer, deckten die Waffen gründlich ab und marschierten in das<br />
Airportgebäude zurück. Schnell checkten wir den Koffer ein, suchten uns ein Restaurant und<br />
aßen erst einmal etwas. Jim sah schlecht aus, ihn strengte die ganze Reise natürlich noch sehr<br />
an. Aufmunternd sagte ich:<br />
„Hey, wir haben es bald geschafft, dann kannst du dich ausruhen.“<br />
Verlegen, weil ich seine Erschöpfung bemerkt hatte, schnaufte er.<br />
„Ja, toll.“<br />
Ich legte ihm die Hand auf den Arm und erklärte:<br />
„Jim, dass du noch ziemlich schlapp bist, ist normal. Es dauerte eben eine Weile, bis<br />
der Körper Blutverlust ganz ausgeglichen hat. Mach dir darum keinen Kopf, okay.“<br />
- 57 -
Resigniert nickte er.<br />
„Du bist der Doc.“<br />
Ich lächelte und erklärte:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Genau. Und ich verordne dir ein wenig Ruhe, wenn wir erst in LA sind.“<br />
Er grinste.<br />
„Aber nur, wenn du <strong>mich</strong> wieder pflegst.“<br />
„Klar, <strong>mich</strong> wirst du so schnell nicht wieder los.“, schmunzelte ich.<br />
Leise, wie zu sich selber, meinte er:<br />
„Daran könnt ich <strong>mich</strong> gewöhnen ...“<br />
Die Zeit bis zum Abflug verbrachten wir auf einer Bank, von der aus man einen guten<br />
Blick auf die Eingänge hatte. Aufmerksam beobachteten wir die ein und ausgehenden<br />
Menschen, aber keiner schenkte uns Beachtung oder kam uns bekannt vor. Trotzdem wurden<br />
wir immer nervöser und als unser Flug endlich aufgerufen wurde, sprangen wir erleichtert auf<br />
und eilten zum Gate hinüber. Als wir schließlich in die Sitze des Flugzeugs sanken, fiel uns<br />
ein ganzes Gebirge vom Herzen. <strong>Der</strong> Start verlief problemlos und als wir in der Luft waren<br />
meinte Jim plötzlich grinsend:<br />
„Wenn ich n bisschen nervös werd, denkt dir nichts dabei, okay? Ich bin nicht mehr<br />
der ruhigste Passagier seit dem Absturz.“<br />
und dachte<br />
Lachend erklärte ich:<br />
„Wäre ich auch nicht, das kannst du mir gerne glauben.“<br />
Fünf Minuten später war er tief und fest eingeschlafen. Ich grinste still vor <strong>mich</strong> hin<br />
- Ja, die Nervosität in Person! –<br />
Eine Stewardess kam und fragte leise, ob sie etwas für uns bringen könnte. Ich bat um<br />
einen Scotch, Jim ließ ich schlafen, er hatte Ruhe wirklich noch bitter nötig. Ich bekam<br />
meinen Drink und hing meinen Gedanken nach. Irgendwann sackte Jims Kopf an meine<br />
Schulter und ich ließ ihn so sitzen. Erst, als wir zur Landung ansetzten, fast drei Stunden<br />
später, weckte ich ihn sanft.<br />
„Jim. Du musst aufwachen, wir landen gleich.“<br />
Seufzend schlug er die Augen auf und merkte, wie er saß. Verlegen machte er sich<br />
gerade und sagte gähnend.<br />
„Oh, man, tut mir leid.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Ist doch nicht das erste Mal, dass ich dir als Kopfkissen diene.“<br />
Irgendwie hatte ich den Eindruck, er überlege, ob er <strong>mich</strong> küssen sollte, und ich<br />
spürte, dass ich nichts dagegen gehabt hätte. Doch der Moment verflog, als die Durchsage<br />
kam, sich anzuschnallen, die Tische hoch zu klappen und die Sitze aufrecht zu stellen. Fast<br />
bedauernd wandten wir uns von einander ab.<br />
- 58 -
klärte:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
Eine Stunde später standen wir am Taxistand und ergatterten einen Wagen. Jim er-<br />
„Morningside Park, Crenshaw Blvd.“<br />
<strong>Der</strong> Taxifahrer nickte und reihte sich in den abendlichen Verkehr ein. Während der<br />
Fahrt stellten wir unsere Uhren zwei Stunden zurück, sie standen noch auf Central Standard<br />
und mussten hier in Kalifornien auf Pacific Standard umgestellt werden. Bis Morningside<br />
Park waren es etwas mehr als acht Kilometer und langsam nahm der Verkehr ab. Das Haus,<br />
zu dem Jim den Taxifahrer dirigierte, lag in einer sehr gepflegten Wohngegend mit hübschen<br />
Häusern. Ziemlich erledigt stiegen wir aus, bezahlten und Jim deutete auf eine Einfahrt.<br />
„Hier.“<br />
Wir marschierten den gepflegten Weg bis zum Haus hoch und er klopfte. Es dauerte<br />
nicht lange und ein Mann um die vierzig, schlank, mit kurzem, dunklem Haar und dunklen<br />
Augen öffnete die Tür. Grinsend meinte Jim:<br />
da!“<br />
„Hallo, Doc.“<br />
Jack starrte Jim an, dann <strong>mich</strong> und stieß verblüfft hervor:<br />
„Mensch, mit dir haben wir noch gar nicht gerechnet. Kommt rein. Kate. Sawyer ist<br />
Aus einer Tür trat eine bildhübsche junge Frau in den Flur. Sie sah Jim an und seufzte<br />
erleichtert auf. Im nächsten Moment hing sie ihm am Hals und stotterte:<br />
„Bin ich froh, dich zu sehen! Wir sind fast ausgeflippt. Was war denn los? Als wir<br />
nichts mehr von dir hörten, dachten wir, du wärest tot.“<br />
Jim ließ die Umarmung grinsend zu und erklärte:<br />
„Hallo, Sweet Cheeks. Das wär ich auch gewesen ohne die Hilfe Kellys.“<br />
Er machte sich sanft los und zog <strong>mich</strong> an sich.<br />
„Kelly, das sind Jack und Kate. Jack, Kate, dass hier ist meine gute Fee, Kelly<br />
Reardon. Sie ... Ach, das ist ne lange Geschichte und ich bin ziemlich alle. Lasst uns das<br />
später besprechen, okay?“<br />
Ich hatte Kate und Jack die Hand gereicht und sagte jetzt:<br />
„Jim müsste eigentlich ins Bett. Er war ziemlich schwer verletzt und ist lange noch<br />
nicht wieder fit. Und wir haben ein paar anstrengende Tage hinter uns.“<br />
Kate warf mir einen nicht zu deutenden Blick zu nickte aber.<br />
„Natürlich. Kommt, ich zeige euch das Gästezimmer.“<br />
- 59 -
By<br />
Frauke Feind<br />
6) Die Anderen<br />
Ich schnappte mir den Koffer, den ich abgestellt hatte und wir folgten Kate durch<br />
einen Flur bis zu einer Treppe, die in die erste Etage führte. Wir stiegen nach oben und<br />
schließlich öffnete die junge Frau vor uns eine Tür.<br />
„Hier. Ihr habt euer eigenes Bad. Wollt ihr noch etwas essen?“<br />
Jim nickte.<br />
„Gerne. Wir haben in Oklahoma City nur nen kleinen Snack gehabt.“<br />
Kate nickte verstehend.<br />
„Gut, macht euch frisch, ich mache etwas zu Essen für euch. Kommt einfach runter,<br />
wenn ihr soweit seid.“<br />
Sie warf Jim noch einen leidenschaftlichen Blick zu und verließ das Zimmer. Wir<br />
standen einen Moment still da. Schließlich fragte ich, um das verlegene Schweigen zu<br />
brechen:<br />
„Willst du schnell unter die Dusche?“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, würd ich gern.“<br />
„Gut, ich packe unsere Klamotten aus. Lass dir ruhig Zeit, das warme Wasser wird<br />
deinem Rücken gut tun. Nachher massiere ich dich wieder, wenn du möchtest.“<br />
Er grinste.<br />
„Dumme Frage, klar möchte ich.“<br />
Er verschwand ins Bad und ich packte die paar Sachen, die wir bei uns hatten in den<br />
Kleiderschrank, der im Gästezimmer stand. Plötzlich hörte ich Jim aus der Dusche rufen:<br />
„Kelly, kannst du mir die Duschsachen bringen?“<br />
Ich schnappte mir die Badetasche und stand einen Moment zögernd vor der Bade-<br />
zimmertür. Mädchenhafte Schamhaftigkeit war sonst nicht meine Art, das konnte man sich als<br />
Krankenschwester gar nicht leisten, aber jetzt verspürte ich plötzlich Hemmungen, einfach ins<br />
Bad zu gehen. Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das? Entschlossen öffnete ich die Tür und<br />
betrat den Raum. Ich packte die Badetasche aus und reichte Jim Shampoo, Seife, Zahnbürste<br />
und Zahncreme. Er hatte scheinbar keine Bedenken, denn er drückte die Duschtür auf und<br />
grinste dankbar. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick sekundenlang an seinem<br />
nackten Körper hängen blieb und wieder einmal stellte ich fest, wie gut dieser Kerl gebaut<br />
war und aussah. Ich wandte <strong>mich</strong> ab und verließ das Badezimmer ein wenig eiliger als ge-<br />
plant.<br />
Ich legte Jim saubere Sachen auf das Bett und zog mir selbst frische Jeans und ein<br />
sauberes Jeanshemd an. Dann setzte ich <strong>mich</strong> auf das Bett und wartete. Nach gut zehn<br />
Minuten kam Jim, nur mit einem Handtuch um die schlanke Hüfte, zurück ins Zimmer. Als er<br />
- 60 -
By<br />
Frauke Feind<br />
sah, dass ich ihm sauberes Zeug bereit gelegt hatte, strahlten seine Augen vor Freude kurz<br />
auf. Man merkte deutlich, dass er es nicht gewohnt war, dass jemand so simple Sachen für ihn<br />
tat. Ungeniert legte er das Handtuch aufs Bett und zog sich an. Gähnend erklärte er:<br />
„Lass uns runter gehen, bevor ich im Stehen einschlafe.“<br />
„Unbedingt. Ich habe Hunger.“<br />
Nebeneinander stiegen wir nach unten und wurden im Esszimmer bereits erwartet.<br />
Kate hatte uns Steaks, Bohnen und Pommes frites zubereitet und wir aßen mit gutem Appetit.<br />
Die Stimmung am Tisch war sehr eigenartig. Kate beobachtete <strong>mich</strong> misstrauisch, Jack be-<br />
hielt Jim und Kate sehr genau im Auge und ich kam nicht umhin, Jim zu beobachten. <strong>Der</strong><br />
jedoch blieb völlig gelassen und aß still sein Abendbrot. Als wir schließlich satt und zufrieden<br />
die Teller zurück schoben meinte Jack:<br />
„Was war denn nun, oder ist noch mit dir?“, und sah Jim abwartend an.<br />
„Nichts, was Kelly nicht in Ordnung bringen könnte, Chef.“, erwiderte Jim ruhig.<br />
„Seid uns nicht böse, aber ich würd <strong>mich</strong> gerne hinlegen. Wir werden morgen alles be-<br />
sprechen, da werd ich fitter sein.“<br />
Er stand auf und ich erhob <strong>mich</strong> ebenfalls.<br />
„Gute Nacht und vielen Dank für das Abendbrot.“, sagte ich freundlich und wir ver-<br />
abschiedeten uns von Jack und Kate für die Nacht.<br />
Wir stiegen wieder nach oben und Jim fragte:<br />
„Machst du dein Versprechen wahr?“<br />
„Welches Versprechen?“, fragte ich geistesabwesend.<br />
„Na, <strong>mich</strong> zu massieren.“<br />
Er grinste <strong>mich</strong> frech an und begann provozierend, sein Hemd aufzuknöpfen. Ich<br />
musste kichern.<br />
„Hey, ich wusste gar nicht, dass ich es dir versprochen habe.“<br />
Jim legte den Kopf auf eine unnachahmliche Weise ein wenig schief und sah <strong>mich</strong><br />
herausfordernd an.<br />
„Na, komm schon, du hast gesagt, du würdest <strong>mich</strong> massieren, da hab ich <strong>mich</strong> jetzt<br />
drauf verlassen.“<br />
Ich lachte.<br />
„Okay, mache dich frei, ich hole ein Handtuch.“<br />
Dass er mir verträumt nachschaute, als ich ins Bad verschwand, sah ich nicht. Ich<br />
suchte in dem kleinen Schrank im Bad nach einem großen Handtuch, schnappte mir zusätz-<br />
lich ein kleines Gästehandtuch, und griff nach dem Massageöl. Alles trug ich zu Jim zurück<br />
und breitete das Handtuch auf dem Bett aus. Auffordernd nickte ich und er legte sich auf das<br />
Badelaken, allerdings auf den Rücken. Grinsend sah er <strong>mich</strong> an und meinte:<br />
„Fang an.“<br />
Ich zeigte ihm einen Vogel und erklärte:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„So eine Masseuse bin ich nicht, Mister. Dreh dich gefälligst herum.“<br />
Beleidigt rollte er sich auf den Bauch und ich kniete <strong>mich</strong> neben ihm auf das Bett. Es<br />
war nur ein Queen Size und wir würden daher in der Nacht zwangsläufig enger nebeneinander<br />
liegen. Ich träufelte Massageöl auf Jims Rücken und begann an den Schultern und im Nacken<br />
mit der Massage und arbeitete <strong>mich</strong> bis zu den Lendenwirbeln hinunter. Ab und zu seufzte er<br />
wohlig und schließlich meinte er:<br />
„Du solltest Geld dafür nehmen, du machst das wirklich gut.“<br />
Ich lachte.<br />
„Wünsch dir das lieber nicht, ich wäre teuer. Du könntest dir <strong>mich</strong> gar nicht leisten.“<br />
Ich rieb das letzte Öl mit dem kleineren Handtuch ab und erklärte: „So, fertig.“<br />
Jim rollte sich auf die Seite und ich zog das Handtuch unter ihm hervor.<br />
Als ich aus dem Bad zurückkam, lag Jim auf dem Rücken, hatte die Arme entspannt<br />
unter dem Kopf verschränkt und sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Und? Wie findest du die Stimmung?“, fragte er grinsend.<br />
„Ehrlich?“<br />
„Ehrlich.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Nun, ich hatte das Gefühl, Kate wünscht <strong>mich</strong> zur Hölle, Jack dich.“<br />
Jim lachte.<br />
„Das trifft es in etwa. Aber ...“ Er stockte kurz, dann fuhr er ein wenig verlegen fort:<br />
„... das Komische ist, es war das erste Mal, seit ich Kate kenne, dass ich in ihrer Gegenwart<br />
nicht das Sabbern gekriegt hab.“<br />
Aus irgendeinem Grund freuten <strong>mich</strong> diese Worte und ich erwiderte:<br />
„Vielleicht kommst du ja doch langsam über sie hinweg?“<br />
Jim beobachtete aufmerksam, wie ich <strong>mich</strong> aus meinen Klamotten schälte, bis ich nur<br />
noch Slip und T-Shirt an hatte. Leise sagte er:<br />
nehmen.“<br />
„Ja, vielleicht hab ich meinen Blick für andere ... Menschen wieder gefunden.“<br />
Sein kurzes Zögern fiel mir nicht auf. Ich nickte.<br />
„Kann gut sein. Sie scheint mit Jack glücklich zu sein.“<br />
Ich reichte Jim die Hand und sagte:<br />
„Heb deinen Luxuskörper mal aus dem Bett, sonst kann ich die Decke nicht zur Seite<br />
Er ließ sich bereitwillig in die Senkrechte ziehen und sekundenlang standen wir uns<br />
ganz dicht gegenüber. Ich konnte den Duft seines frisch geduschten Körpers riechen und den<br />
leichten Hauch von Massageöl, der ihn umgab. Hastiger als ich es vorgehabt hatte trat ich<br />
zurück und beugte <strong>mich</strong> über das Bett. Ich schlug die Zudecke zur Seite und legte <strong>mich</strong> hin.<br />
Jim stand noch einen Moment still, dann legte er sich ebenfalls ins Bett. Fast parallel zogen<br />
- 62 -
By<br />
Frauke Feind<br />
wir das Zudeck über uns und lagen schweigend nebeneinander. Schließlich sagte ich wenig<br />
überzeugend:<br />
„Ich bin müde, lass uns Schlafen.“<br />
Ich streckte die Hand aus und schaltete die Nachttischlampe aus. Als es dunkel im<br />
Raum war sagte Jim ein wenig traurig:<br />
„Gute Nacht, schlaf gut.“<br />
Kurz erwiderte ich:<br />
„Gute Nacht.“<br />
Ich drehte <strong>mich</strong> auf die Seite und starrte die Wand an. In Gedanken war ich weiter bei<br />
Jim, grübelte darüber nach, dass meine Gefühle ihm gegenüber sich dramatisch einem Punkt<br />
näherten, den ich nicht geplant und auch nicht einkalkuliert hatte. Energisch versuchte ich, die<br />
Gedanken bei Seite zu schieben.<br />
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein. Ich wachte davon auf, dass Jim neben mir<br />
unruhig war. Im Raum war es dank einer Straßenlampe vor dem Haus nicht ganz dunkel und<br />
ich konnte sehen, dass er sich im Schlaf unruhig bewegte und Unverständliches vor sich hin<br />
murmelte. Ich seufzte leise. Bei dem, was er schon alles durch gemacht hatte, war es kein<br />
Wunder, dass er immer wieder von Albträumen gequält wurde. Ich überlegte kurz, ihn zu<br />
wecken, entschied <strong>mich</strong> aber anders. Stattdessen rollte ich <strong>mich</strong> auf die Seite zu ihm und griff<br />
mit meiner linken Hand nach seiner Rechten, die unruhig über die Bettdecke zuckte. Meine<br />
Rechte legte ich ihm nach kurzem Zögern auf die Brust. Ich konnte spüren, wie diese sich<br />
unter hastigen Atemzügen hob und senkte und sein Herz gegen die Rippen hämmerte. Im<br />
Schlaf umklammerte er meine Hand fest und sein Kopf bewegte sich unruhig auf dem Kissen<br />
hin und her. Aber schon nach kurzer Zeit wurde er deutlich ruhiger und schlief schließlich<br />
wieder ganz entspannt. Erleichtert atmete ich auf. Ich ließ meine Hände, wo sie waren und<br />
schlief selbst schnell wieder ein, sicher, dass er ohne weitere Albträume schlafen würde.<br />
Als ich erneut aufwachte hatte ich das Gefühl angeschaut zu werden. Müde öffnete ich<br />
die Augen und sah direkt in zwei faszinierend grüne Augen, die keine zwanzig Zentimeter<br />
von mir entfernt blitzten. Ertappt zuckte Jim zusammen. Er hielt noch immer meine Hand in<br />
seiner und hatte die andere Hand auf meine Rechte gelegt, die noch auf seiner Brust ruhte.<br />
„Hab ich wieder rum genervt heut Nacht?“, fragte er leise.<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, aber nicht schlimm, du wurdest sofort ruhiger, als ich ...“<br />
Ich verstummte verlegen.<br />
„Danke.“, sagte er leise und ließ zögernd meine Hände los.<br />
Er drehte sich auf den Rücken und erneut war ein schöner Moment vorbei. Einige<br />
Minuten lagen wir schweigend nebeneinander, dann erhob ich <strong>mich</strong> abrupt und sagte ein<br />
wenig genervt:<br />
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„Ich gehe unter die Dusche.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim verstand mein genervt sein falsch und biss sich auf die Lippe.<br />
- Schlag sie dir bloß schnell wieder aus dem Kopf, du Idiot! -<br />
fuhr er sich gedanklich an und erhob sich seufzend. Dass er anfing sich in Kelly zu<br />
verlieben machte die ganze Angelegenheit unnütz kompliziert. Als ob es in dieser ganzen<br />
Situation nicht schon Komplikationen genug gab.<br />
Ein Raum weiter, unter der Dusche, gingen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf.<br />
- Du solltest es am besten wissen, Lady. Selbst, wenn er glaubt, etwas für dich zu<br />
empfinden, bist du bestens darüber informiert, dass Männer dazu neigen, sich in ihre<br />
Krankenschwestern zu verlieben. Das hast du mehr als einmal erlebt. Also, schlage dir das<br />
aus dem Kopf! -<br />
Ich hielt mein Gesicht in den Wasserstrahl und hatte das Gefühl, damit auch Jim von<br />
mir abzuwaschen. Als ich ins Zimmer zurück kam, war Jim bereits fort. Ich zog <strong>mich</strong> an,<br />
kämmte meine Haare durch und ging ebenfalls nach unten. In der Küche traf ich auf Kate, die<br />
gerade frischen Kaffee aufsetzte.<br />
„Morgen. Jack und Sawyer sitzen auf der Terrasse. Magst du was essen?“, fragte sie<br />
<strong>mich</strong> freundlich.<br />
Ich erwiderte:<br />
„Guten Morgen. Nein, das ist lieb gemeint, aber eine Tasse Kaffee reicht mir morgens.<br />
Soll ich dir irgendwas helfen?“<br />
Kate lachte.<br />
„Nicht nötig. <strong>Der</strong> Kaffee ist gleich durch, setz dich gerne schon raus.“<br />
Ich nickte und sah <strong>mich</strong> suchend um. Kate erklärte:<br />
„Zweite Tür rechts.“<br />
Ich nickte abermals und marschierte los. Ich fand das Wohnzimmer und sah auf der<br />
Terrasse draußen Jack und Jim sitzen. Langsam trat ich zu den beiden Männern hinaus. Jack<br />
begrüßte <strong>mich</strong> ruhig.<br />
„Guten Morgen. Setz dich doch.“<br />
Ich nickte und suchte mir einen Stuhl gegenüber von Jim, in den ich <strong>mich</strong> fallen ließ.<br />
Minuten später kam Kate dazu und erklärte:<br />
„Sayid, Hurley, Sun und Jin werden gleich hier sein, so braucht ihr nur einmal zu<br />
erzählen, was los gewesen ist.“<br />
Ich sah sie an und meinte:<br />
„Na, da kriege ich gleich die ganze Mannschaft vorgestellte, was?“<br />
„Ja, wir haben nicht viel Zeit, daher ist es besser so.“<br />
Sie schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und fragte Jim:<br />
„Willst du auch noch?“<br />
Jim nickte.<br />
- 64 -
<strong>Über</strong>lebenden.<br />
„Gerne, danke, Freckles.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Er ließ sich seine Tasse noch einmal voll schenken, dann warteten wir auf die anderen<br />
Wir brauchten nicht lange zu warten. Als es Minuten später an der Haustür klingelte,<br />
stand Jack auf, um zu öffnen. Augenblicke später kam er mit vier Leuten im Schlepptau<br />
zurück, die Jim alle freudig umarmten. Nur der dunkelhäutige Sayid begrüßte Jim lediglich<br />
mit einem Nicken.<br />
„Sawyer.“<br />
Hurley war ein ungemein dicker junger Mann um die dreißig, dessen wilde Locken bis<br />
über seine Schultern hingen. Er hatte fröhliche Augen und grinste Jim an.<br />
„Mann, Alter, wir haben uns fast in die Hose gemacht, als du nichts von dir hast hören<br />
lassen. Was ist denn los gewesen?“<br />
Die Koreaner, Jin und Sun, nickten. Die hübsche, junge Frau warf Jim einen freund-<br />
lichen Blick zu. Mit nur sehr leichtem Akzent fragte sie:<br />
„Hurley hat Recht. Wir haben uns Sorgen gemacht. Was ist passiert?“<br />
Jack bat jetzt:<br />
„Setzt euch doch erst mal. Sawyer wird gleich alles erzählen. Das hier ist die Enkelin<br />
von Timothy Walsh. Kelly Reardon. Kelly, das sind Jin und Sun Kwon, Hugo Reyes, er wird<br />
allgemein Hurley genannt und Sayid Jarrah.“<br />
Wir begrüßten uns und erst jetzt setzten sich die Gäste. Sie sahen Jim auffordernd an.<br />
„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, erzähl schon, Alter.“, meinte Hurley.<br />
Ein wenig missmutig seufzte Jim.<br />
„Ja, ja, geht ja schon los, Moppelchen. So viel gibt es nicht zu erzählen. Dass diese<br />
Typen seit Charlotte hinter mir her waren, wisst ihr. Ich hatte von nem Kerl in Beckley er-<br />
fahren, dass ein Mann in Wright, einem winzigen Kaff in der Nähe von Beckley, unter dem<br />
Namen Walsh vor Jahren ein Abschleppunternehmen gehabt hatte. Also hab ich <strong>mich</strong> auf die<br />
Socken gemacht, um <strong>mich</strong> in Wright umzuhören. Dabei war ich leider unaufmerksam und hab<br />
<strong>mich</strong> in Lanark morgens beim Verlassen eines Drugstores schnappen lassen. Sie haben mir ne<br />
Waffe in den Rücken gerammt und <strong>mich</strong> zu ihrem Wagen gezwungen. Dann sind wir ein<br />
Stück gefahren und schließlich sind die Typen mit mir einen Waldweg rein. Sie sind ne ganze<br />
Ecke in den Wald rein, dann haben sie angehalten und <strong>mich</strong> aus dem Wagen gezerrt.“<br />
Er trank einen Schluck Kaffee und redete weiter.<br />
„Sie haben <strong>mich</strong> gefragt, wen ich suchen würde. Ich hab ihnen gesagt, dass ich<br />
niemanden suche, aber sie wussten genau Bescheid, nur den Namen wussten sie nicht. Erst<br />
haben sie es noch halbwegs freundlich versucht, dann fingen sie an, <strong>mich</strong> zu bearbeiten. Zwei<br />
hielten <strong>mich</strong> fest, die anderen drei benutzten <strong>mich</strong> als Punching-Ball.“<br />
- 65 -
fuhr er fort:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Ich sah, dass er schauderte. Jetzt wünschte ich, ich hätte <strong>mich</strong> neben ihn gesetzt. Leise<br />
„Als das nichts nützte fingen sie an, mir nen Schraubenzieher in den Körper zu<br />
Rammen und mir Schnitte am ganzen Oberkörper zu verpassen.“<br />
Sun, Kate und Hurley waren blass.<br />
„Alter. Scheiße Mann, das ist nicht gut!“, stieß Hurley hervor.<br />
Jim schluckte trocken.<br />
„Sie gaben nicht auf und fingen an, mir auch kleine Schnitte im Gesicht zu verpassen.<br />
Als das auch nichts nutzte kriegten sie sich in die Haare, wie es weiter gehen sollte. Tja, und<br />
da konnte ich <strong>mich</strong> irgendwie losreißen und bin nur noch gerannt. Fragt <strong>mich</strong> nicht, woher ich<br />
noch die Kraft hatte, weiß ich nämlich nicht. Sie sind hinter mir her. Irgendwann bin ich auf<br />
nen kleinen Parkplatz zwischen zwei Häusern getaumelt, ich war am Ende. Ich hab kaum<br />
noch was mit bekommen. Dr. Quinn, den Rest kannst du erzählen.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ich hatte gerade Feierabend gemacht und wollte zu meinem Wagen, als ich ihn aus<br />
dem Gebüsch taumeln sah. Erst dachte ich, er wäre betrunken, doch dann sah er <strong>mich</strong> an und<br />
ich konnte all das viele Blut sehen. Als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt war,<br />
kamen in einigem Abstand von uns fünf Männer aus dem Wald gerannt und haben quasi<br />
sofort das Feuer auf uns eröffnet. Jim wurde getroffen, doch es gelang mir, ihn in meinen<br />
Wagen zu befördern und wir konnten fliehen. Mein Großvater hat eine Jagdhütte in der Nähe<br />
von Wright im Wald, von der niemand etwas weiß. Dort habe ich Jim hingeschafft.“<br />
Jack unterbrach <strong>mich</strong> verwirrt.<br />
„Was? Er war schwer verletzt und du hast ihn in den Wald geschafft?“<br />
Kühl sah ich den Arzt an.<br />
„Ich bin Krankenschwester, Jack, ich konnte ihm helfen.“, erklärte ich. „Er hatte<br />
Stichwunden in der linken Seite und in beiden Oberschenkeln, der Schuss hatte ihn in Höhe<br />
des dritten Brustwirbels getroffen und sein Gesicht ...“<br />
Ich schüttelte <strong>mich</strong> unwillkürlich und wechselte einen Blick mit Jim, dessen Augen<br />
wieder einmal deutlich machten, was er fühlte. Dunkel vor Grauen und ein Ausdruck von<br />
Gehetztheit war in ihnen zu sehen, der <strong>mich</strong> erschütterte. Es war mir plötzlich vollkommen<br />
egal, was er oder die Freunde denken mochten, ich stand auf und trat zu Jim hinüber. Sanft<br />
legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. Und konnte spüren, wie er sofort ruhiger wurde.<br />
Schnell erzählte ich zu Ende.<br />
„Ich habe Jim verarztet, die Kugel steckte im Querfortsatz des dritten Brustwirbels,<br />
aber es gelang mir, sie herauszuholen. Er brauchte zwei Tage, um zu sich zu kommen. Dann<br />
erholte er sich langsam. Irgendwann gingen uns die Lebensmittel aus und ich entschied <strong>mich</strong>,<br />
nach Beckley zu fahren, um einzukaufen. Als ich zur Hütte zurück kam, waren die fünf Typen<br />
dort! Ich hatte sicherheitshalber ein Gewehr mitgenommen und so gelang es mir, drei der An-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
greifer zu ... Erschießen. Sie hatten Jim bereits überwältigt und wollten ihn weg schleppen.<br />
Zwei konnten fliehen, einer davon verletzt. Ein paar Tage später sind wir dann aufgebrochen<br />
hierher. Hinter Tulsa haben wir gemerkt, dass wir verfolgt wurden, aber es gelang uns, die<br />
Kerle in Bristow abzuhängen. Wir stahlen einen Wagen und fuhren weiter nach Oklahoma<br />
City, wo wir uns in den Flieger setzten. Und hier sind wir nun.“<br />
Schweigen herrschte in der Runde. Sayid sah <strong>mich</strong> misstrauisch an, Jack ungläubig.<br />
„Du hast die Kugel raus geholt? Aus seiner Wirbelsäule?“, fragte er jetzt perplex.<br />
„Stell dir vor, ja, das habe ich.“, erklärte ich grinsend.<br />
„Und ich kann <strong>mich</strong> noch bewegen, El Jacko.“, vervollständigte Jim den Satz.<br />
Ich sah ihn an und lächelte aufmunternd. Dann kehrte ich zu meinem Stuhl zurück.<br />
Sayid brachte auf den Punkt, was wir wohl alle dachten.<br />
„Wenn die Typen auch eure Spur verloren haben, wissen sie trotzdem, wo ihr hin<br />
wolltet. Sie werden also über kurz oder lang hier auftauchen. Wir sollten darauf vorbereitet<br />
sein. Du hast wirklich drei von ihnen erschossen?“<br />
Jetzt war es Jim, der mir einen aufmunternden Blick zuwarf. Leise sagte ich:<br />
„Ja, das habe ich. Es war schrecklich, aber Jim war in Gefahr und ... Ich musste doch<br />
etwas unternehmen.“<br />
Sayid sah immer noch voller Misstrauen zu mir herüber.<br />
„Okay, vergessen wir das mal für einen Moment. Wer sagt uns, dass du wirklich bist,<br />
wer du vorgibst zu sein?“<br />
Ich sah Jarrah verwirrt an und fragte:<br />
„Wer sollte ich denn wohl sonst sein?“<br />
Kalt erwiderte der Iraker:<br />
„Ein Spitzel?“<br />
Jim wurde rot vor Zorn und fuhr auf:<br />
„Du elender Dreckskerl wirst hier nicht sitzen und Kelly beschuldigen! Wenn sie nicht<br />
gewesen wäre, hätten die Mistkerle irgendwann alles aus mir heraus gefoltert und ich wäre<br />
schon lange tot. Sie hat einen Brief von ihrem Großvater, in dem er sie bittet, allen zu helfen,<br />
die ihn unter dem Namen Timothy Walsh kennen. Wisst ihr was? Wenn ihr so was denkt, seht<br />
doch zu, wie ihr ohne <strong>mich</strong> klar kommt. Ich hab von diesem paranoiden Iraker und diesem<br />
ganzen Scheiß die Schnauze so voll. Warum beschuldigst du nicht gleich <strong>mich</strong>, <strong>mich</strong> ihnen<br />
freiwillig ausgeliefert zu haben?“<br />
Alle starrten Jim überrascht an. Dieser stand auf und verließ wutschnaubend die<br />
Terrasse. Er stapfte ins Haus und ließ uns sprachlos zurück. Doch ich war nur für wenige<br />
Augenblicke sprachlos, dann sprang ich ebenfalls auf und erklärte kalt:<br />
„Jim hat Recht. Wir haben einiges auf uns genommen, um hier her zu euch zu<br />
kommen, und alles, was ihr mir entgegen bringt ist Misstrauen. Ich kann verstehen, dass ihr<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
alle ein wenig paranoid seid, wenn es stimmt, was Jim erzählt hat. Aber so schlimm, wie es zu<br />
sein scheint, solltet ihr wirklich darüber nachdenken, eure Paranoia von einem guten<br />
Therapeuten behandeln zu lassen.“<br />
zurück.<br />
Kate war aufgestanden und schickte sich an, Jim ins Haus zu folgen, aber ich hielt sie<br />
„Bleib hier bei deinen Freunden, ich denke, du hast lange genug mit ihm gespielt.“<br />
Ich drehte <strong>mich</strong> herum und folgte Jim ins Haus. Schnell stieg ich die Treppe nach oben<br />
und fand ihn auf dem Bett liegend, die Arme unter dem Kopf verschränkt.<br />
„Hey, du.“, sagte ich leise und setzte <strong>mich</strong> zu ihm.<br />
„Irgendwann reiß ich dem paranoiden Mistkerl den Arsch auf.“, stieß Jim wütend<br />
hervor. „<strong>Der</strong> hat doch wohl wirklich einen Knall. Er hat natürlich Verständnis für die Typen,<br />
er war Verhörspezialist.“<br />
Ich spürte eine Gänsehaut auf dem Rücken. Sanft legte ich Jim eine Hand auf den<br />
Körper. Ruhig fragte ich:<br />
„Wie soll es jetzt weiter gehen?“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und sagte ruhiger:<br />
„Das ist mir so was von egal. Ich hab die Schnauze echt voll. Wir werden gejagt, ge-<br />
foltert, fast umgebracht, eingesperrt und sollen uns immer und immer wieder um diese<br />
Scheißinsel kümmern.“<br />
Ich stand auf und ging an den Kleiderschrank. In die oberste der drei Schubladen des<br />
Schrankes hatte ich den Schnellhefter gelegt. Diesen nahm ich heraus und setzte <strong>mich</strong> wieder<br />
auf das Bett.<br />
„Vielleicht sollten wir ihnen die Unterlagen zeigen, die mein Großvater hinterlassen<br />
hat.“, sagte ich ruhig.<br />
Jim schien sich etwas beruhigt zu haben. Er richtete sich auf und schwang die Beine<br />
vom Bett. Ärgerlich sagte er:<br />
„Es tut mir so leid, dass ...“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Vergiss es. Das war ja nicht deine Schuld. Ich danke dir, dass du dich so vehement<br />
für <strong>mich</strong> eingesetzt hast.“<br />
Er grinste.<br />
„War mir ein Vergnügen. Willst du wirklich wieder runter?“<br />
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich, am liebsten ...“ Ich verschwieg sicher-<br />
heitshalber, was ich am liebsten getan hätte, nämlich mit Jim in unsere Hütte zurückkehren.<br />
Stattdessen seufzte ich und fuhr fort:<br />
„Aber es wird wohl keine andere Möglichkeit geben.“<br />
Resigniert nickte Jim.<br />
„Also, zum Henker, lass uns wieder nach unten gehen.“<br />
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Frauke Feind<br />
Einen Moment überlegte er, einfach den Arm um <strong>mich</strong> zu legen, ließ es aber. Wir<br />
setzten uns in Bewegung und kamen gerade rechtzeitig, mitzuerleben, wie auf der Terrasse<br />
alle durcheinander redeten. Jack versuchte, sich Gehör zu verschaffen, Hurley brabbelte auf<br />
Sayid ein und Jin versuchte, Sun zu beruhigen, die wiederum lautstark auf Kate einredete. Als<br />
Jim und ich auf die Terrasse zurücktraten, herrschte augenblicklich Ruhe.<br />
Schließlich sagte Jack verlegen:<br />
„Es tut uns leid, okay? Das war ein bescheidener Anfang. Lasst es uns noch einmal<br />
von vorne beginnen. Sayid ...“<br />
Dieser sah <strong>mich</strong> an und erklärte frustriert:<br />
„Hör zu, Kelly, es tut mir leid. Ich bin wirklich inzwischen krankhaft misstrauisch.<br />
Wenn Sawyer dir erzählt hat, was wir auf der Insel und später hier erlebt haben, kannst du das<br />
vielleicht ein wenig verstehen. Ich hoffe, du nimmst mir meine Worte nicht zu übel und ent-<br />
schuldige <strong>mich</strong> in aller Form bei dir.“<br />
Misstrauen.“<br />
lich<br />
Ich hatte ruhig zugehört und nickte jetzt.<br />
„Ist schon in Ordnung, vielleicht könnt ihr wirklich nicht mehr anders, als jedem zu<br />
Ich sah zu Kate hinüber, die <strong>mich</strong> finster musterte. Mein Blick signalisierte ihr deut-<br />
- Ich habe jedes Wort so gemeint wie ich es sagte! -<br />
und sie schluckte. Nun wandte sie den Blick Jack zu. Jim stand die ganze Zeit wortlos<br />
neben mir. Jetzt zog er <strong>mich</strong> auf einen der Stühle und diesmal setzte er sich neben <strong>mich</strong>.<br />
Damit demonstrierte er, dass wir auf jedem Fall zusammenhalten würden und ich war ihm<br />
dankbar. Nachdem wir alle wieder saßen, reichte ich Jack, der mir noch am vernünftigsten<br />
schien, den Schnellhefter.<br />
„Hier. Darin findest du den Brief meines Großvaters und eine Menge Informationen<br />
über ihn, die DHARMA Initiative und die Hanso Foundation.“<br />
Sayid fragte ernst:<br />
„Was weißt du über die DHARMA Initiative und die Foundation?“<br />
Ich schüttelte den Kopf und erklärte:<br />
„So gut wie nichts. Mein Urgroßvater war Alvar Hanso. Ihn kenne ich kaum, er war<br />
ein ebenso großer Paranoiker wie ... Jedenfalls lebte er sehr zurückgezogen und hat kaum<br />
einen Menschen zu sich gelassen. Ich habe ihn nur ein oder zwei Mal überhaupt gesehen.<br />
<strong>Über</strong> sein Unternehmen weiß ich nur, was mein Grandpa mir erzählt hat. Sein Vater hat die<br />
Foundation gegründet, wann genau ist nicht bekannt. Zusammen mit seiner Frau Lena und<br />
seinen Kindern Lars und Rachel kam er 1945 aus Kopenhagen nach Amerika. Damals scheint<br />
es die Foundation schon gegeben zu haben. Was die im Einzelnen gemacht haben, geht unter<br />
anderem aus den Unterlagen hervor. Sicher ist jedoch, dass die Foundation eure DHARMA<br />
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Frauke Feind<br />
Initiative finanziert hat. Diese wurde von zwei Doktoranden der Michigan State University<br />
gegründet, Gerald und Karen DeGroot. Sie werden in den Unterlagen ebenfalls erwähnt.<br />
Warum die Foundation die Finanzierung übernahm, weiß ich nicht.“<br />
Sayid hatte, wie die anderen auch, aufmerksam zugehört. Nun fragte er:<br />
„Weißt du etwas über die DHARMA Initiative?“<br />
Ich schüttelte bedauernd den Kopf.<br />
„Nein, nur, was aus den Unterlagen hervor geht und das ist wenig genug. Aber das<br />
wisst ihr schon selber, sagte Jim.“<br />
Jack nickte.<br />
„Ja, wir haben vieles auf der Insel erfahren. Aber eben lange nicht alles. Weißt du<br />
denn, worum es bei unserem Auftrag geht?“<br />
Jim antwortete an meiner Stelle.<br />
„Ja, ich hab es ihr gesagt.“ Ich nickte zustimmend.<br />
„Richtig. Wir sollen diesen Daniel Faraday retten, verhindern, dass seine eigene<br />
Mutter ihn tötet.“<br />
Ich sah die anderen der Reihe nach an und fragte schließlich:<br />
„Warum soll er unbedingt gerettet werden?“<br />
Allgemeines Schulterzucken antwortete mir.<br />
„Okay, und warum wollen diese Typen, die hinter Jim her waren, das unbedingt ver-<br />
hindern wie es scheint?“<br />
Erneutes Schulterzucken.<br />
„Das ist eben unser Problem.“, erklärte Hurley. „Wir sollen immer etwas machen,<br />
immer ist es sehr wichtig und nie wissen wir, warum wir es machen sollen.“<br />
ich jetzt.<br />
„Was hat es denn mit diesem Benjamin Linus und Charles Widmore auf sich?“, fragte<br />
„Nun, Ben war zusammen mit seinem Vater als Kind bei der DHARMA Initiative.<br />
Bens Vater Roger war einfacher Arbeiter, Trinker und behandelte Ben schrecklich. Als Ben<br />
noch ein Junge war, 1977, waren wir, Sawyer, Jack, Juliet, Sayid, Miles, Jin, Hurley und ich<br />
dort. Frag nicht.“<br />
Kate grinste <strong>mich</strong> an.<br />
„Sayid versuchte, Ben zu Töten, um die Zukunft zu verändern. Fast hätte er es ge-<br />
schafft, aber wir konnten nicht zuschauen, wie ein unschuldiges Kind stirbt. Deswegen haben<br />
Sawyer und ich den Verletzten zu den ‟Anderen‟ gebracht. Wie es aussieht, haben diese schon<br />
immer auf der Insel gelebt. Sie waren Feinde der Dharmaisten, warum genau, haben wir nie<br />
erfahren. Aus irgendeinem Grund konnte Ben bei ihnen gerettet werden. Und wurde einer von<br />
ihnen, irgendwann auch ihr Anführer. Er war es auch, der später, im Dezember 1992, die<br />
gesamte DHARMA Initiative ausrotten ließ. Er leitete einen Giftgasangriff, bei dem so gut<br />
wie alle Dharmaisten getötet wurden. Widmore war als junger Mann ebenfalls auf der Insel<br />
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Frauke Feind<br />
und scheint aus uns unbekannten Gründen verbannt worden zu sein. Seither versucht er ver-<br />
zweifelt, die Insel wiederzufinden, um zurück zu kehren. Was genau Ben und Widmore im<br />
Schilde führen ...“<br />
Ich unterbrach Kates Erklärung:<br />
„Lass <strong>mich</strong> raten: Wisst ihr nicht.“<br />
Kate nickte.<br />
„Du sagst es.“<br />
7) <strong>Über</strong>fall!<br />
„Was wir wissen ist, dass Daniels Mutter, Eloise Hawking, hier in LA lebt und sie<br />
weiß auch, wie wir auf die Insel zurückkommen.“, warf Jack ein.<br />
„Ich habe in Grandpas Unterlagen irgendwas über eine Ellie gelesen, die könnte mit<br />
Eloise identisch sein, gib mir doch bitte mal den Hefter.“, bat ich Jack.<br />
Dieser reichte mir den Schnellhefter und ich begann hektisch, darin herum zu blättern.<br />
Nach kurzer Zeit hatte ich gefunden was ich suchte.<br />
„... stellte sich heraus, dass Ellie von Charly schwanger war.<br />
Sie brachte einen gesunden Jungen zur Welt, den sie Daniel taufte<br />
...“<br />
Verblüfft starrten alle zu mir hinüber.<br />
„Demnach könnte Charles Widmore Daniels Vater sein. Ich glaub nicht, dass es so<br />
viele Charlys bei den ‟Anderen‟ gab. Das ist ja der Hammer.“<br />
Jim sprach aus, was scheinbar alle dachten.<br />
„Und nun ergibt auch alles einen Sinn. Dann wird es der liebe Ben sein, der uns ver-<br />
folgt. Widmore war derjenige, der die Söldner auf die Insel schickte, die Alex gekillt haben.<br />
Und Ben wird sich rächen wollen, in dem er Widmores Kinder tötet. Er hat versucht, Penny<br />
umzubringen ...“<br />
fluss.<br />
„Wer sind Alex und Penny?“, fragte ich dazwischen und unterbrach damit Jacks Rede-<br />
„Alex ist die Tochter einer Französin, die irgendwann 1988 nach einem Schiffbruch<br />
mit einigen Wissenschaftlern auf der Insel landete. Danielle Rousseau war damals hoch-<br />
schwanger und brachte ihr Baby, Alexandra, Alex, alleine zur Welt. Ben stahl dieses Baby<br />
kurz nach seiner Geburt und zog es als seine eigene Tochter auf. Penny ist die Tochter von<br />
Charles Widmore und die Frau von Desmond.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Und wer, um alles in der Welt, ist Desmond?“<br />
Jack schmunzelte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Sind eine Menge Leute involviert, ich weiß. Desmond hat eine Weile auf der Insel<br />
gelebt, auch nach einem Schiffbruch, er war mit einem Segelboot zu einer Weltumsegelung<br />
aufgebrochen, und hat auf der Insel für die DHARMA Initiative gearbeitet. Er ist heute unter-<br />
getaucht, mit Penny und seinem Sohn Charly.“<br />
Ich nickte.<br />
„Okay, dann will dieser Ben verhindern, dass wir Daniel das Leben retten, um sich an<br />
Widmore dafür zu Rächen, dass der indirekt dafür gesorgt hat, dass Bens Ziehtochter um-<br />
gebracht wurde ...“<br />
Ich überlegte. Nachdenklich fragte ich:<br />
„Was aber hat es damit auf sich, dass wir Daniel unbedingt retten sollen? Unter<br />
welchen Umständen wurde er denn erschossen?“<br />
Kate erklärte:<br />
„Er war 1977 ebenfalls wieder auf der Insel und hatte die Idee, eine dort von US<br />
Truppen zurückgelassene Wasserstoffbombe hochgehen zu lassen. Er hatte die irre Vor-<br />
stellung, dass das all die späteren Ereignisse würde verhindern können, in dem nämlich durch<br />
die Explosion der Bombe diese seltsame Energiequelle, die die Zeitreisen scheinbar möglich<br />
macht, für immer zerstört. Er wollte Richard zwingen, ihn zu dem Versteck der Bombe zu<br />
bringen, drohte damit, Richard zu töten. Eloise kam darüber zu. Und sie drückte ab, um<br />
Richard zu retten.“<br />
Noch ein neuer Name. Fast verzweifelt fragte ich:<br />
„Und wer ist jetzt bitte dieser Richard?“<br />
Jin antwortete:<br />
„Richard Alpert ist ein sehr geheimnisvoller Mann. Er scheint so was wie das ewige<br />
Leben zu besitzen, denn er altert nicht. Ist wahr.“<br />
Er grinste über mein ungläubiges Gesicht.<br />
„Na, großartig. Zeitreisen, Unsterbliche, Killer, Wasserstoffbomben, ich bin nicht<br />
sicher, ob ich wirklich auf diese Insel möchte.“<br />
Jim lachte.<br />
„Kann dir keiner verübeln, wir wollen eigentlich alle nicht wieder da hin. Aber danach<br />
scheint es nicht zu gehen.“<br />
Unbewusst griff er nach meiner Hand und Kate bemerkte diese kleine Geste sehr<br />
wohl. Ihre Stirn zog sich in Falten und sie sagte:<br />
„Die Frage ist, wie wir da hin kommen und ob es uns gelingt, zu einem geeigneten<br />
Zeitpunkt anzukommen. Letztes Mal sind wir in 1977 gelandet, diesmal könnten wir im Jahre<br />
2598 oder auch in der Eisenzeit dort landen.“<br />
Jack nickte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Unser Weg wird uns erneut zu Eloise führen. Sie wird uns vielleicht sagen können,<br />
was wir zu tun haben. Aber was machen wir mit Ben und seinen Leuten? Die werden weiter-<br />
hin alles versuchen, uns aufzuhalten.“<br />
Allgemeines Nicken antwortete Jack.<br />
„Wir werden aufpassen müssen und uns bedeckt halten. Keiner von uns sollte alleine<br />
unterwegs sein. Und wir müssen Eloise so bald wie möglich aufsuchen.“, erklärte Sayid mit<br />
ruhiger Stimme.<br />
„Wird das Beste sein, ja. Ihr beide bleibt bei uns, das ist klar. Und Hurley sollte bei dir<br />
bleiben, Sayid.“<br />
Jack hatte erst Jim und <strong>mich</strong> angeschaut, dann Hurley, der eifrig nickte.<br />
„Darauf kannst du Gift nehmen, Alter.“, erklärte er. „Ich werde ganz bestimmt nicht<br />
alleine rum latschen, wenn dieser Irre hinter uns her ist!“<br />
Jin sah seine Frau an.<br />
„Und wir werden versuchen, möglichst im Hotel zu bleiben.“<br />
Jack nickte.<br />
„Lasst keinen rein, bestellt nichts über den Zimmerservice und seid in diesem Fall<br />
wirklich misstrauisch gegen jeden. Wir alle kennen Ben und wissen, was er zu tun im Stande<br />
ist! Ich werde versuchen, mit Eloise Kontakt aufzunehmen. Sobald ich etwas weiß, gebe ich<br />
euch Bescheid.“<br />
Die Koreaner, Hurley und Jarrah erhoben sich und verabschiedeten sich von uns. Kate<br />
begleitete sie zur Tür und kam Minuten später wieder zu uns auf die Terrasse.<br />
„Wenn du zu Eloise willst, solltest du auch nicht alleine gehen, Jack.“, meinte sie be-<br />
sorgt. „Ben weiß von ihr und wird dort vielleicht auf uns warten.“<br />
Jack nickte.<br />
„Das ist richtig.“<br />
Er sah Jim an und fragte:<br />
„Fühlst du dich fit genug, uns auf die Insel zu begleiten?“<br />
Jim nickte.<br />
„Auf jedem Fall, Chef. Wir mussten unsere Waffen am Flughafen in Oklahoma City<br />
zurücklassen, wir werden uns also Neue besorgen müssen. Unbewaffnet werd ich bei dieser<br />
Sache sicher nicht mitmachen.“<br />
Kate nickte.<br />
„Sawyer hat Recht. Wir sollten uns dringend bewaffnen.“<br />
Jack überlegte. Ruhig erklärte er:<br />
„Gut, mein Vorschlag: Kate und ich machen uns auf die Socken, Waffen zu besorgen,<br />
ihr beide bleibt erst einmal hier, dann kannst du dich noch ausruhen. Wir sind in spätestens<br />
zwei Stunden wieder zurück.“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und ich nickte.<br />
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„Hört sich vernünftig an.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Haltet euch im Haus auf.“, meinte Jack und wir erhoben uns alle. „Gut, wir machen<br />
uns auf den Weg. Bleibt im Haus und ruht euch aus, es wird noch alles hart genug werden,<br />
denke ich.“<br />
Jim nickte.<br />
„Haltet die Augen offen.“, sagte er eindringlich.<br />
Kate und Jack machten sich auf den Weg und Jim und ich standen ein wenig un-<br />
schlüssig im Flur herum.<br />
„Womit vertreiben wir uns die Zeit?“, fragte ich grinsend.<br />
„Oh, ich wüsste da ne Beschäftigung, aber etwas sagt mir, dass du dagegen Einwände<br />
erheben würdest.“, meinte Jim mit einem anzüglichen Schmunzeln.<br />
Ich hätte gegen diese Art Beschäftigung keinerlei Einwände erhoben, aber das ver-<br />
schwieg ich selbstverständlich. Stattdessen sagte ich:<br />
„Wir könnten uns mit dem Haus vertraut machen, was meinst du? Oder warst du vor-<br />
her schon mal hier?“<br />
Er nickte, meinte aber:<br />
„Schon, aber nur für kurze Besuche. Du hast Recht, lass uns das Haus inspizieren,<br />
wohlmöglich gibt es Schwachstellen. Die sollten wir dann besser kennen. Ben ist mit allen<br />
Wassern gewaschen.“<br />
So machten wir uns zusammen daran, das Haus einer gründlichen Inspektion zu unter-<br />
ziehen. Im oberen Geschoss befand sich neben dem großzügigen Gästezimmer und dem Bad<br />
noch Jack und Kates Schlafzimmer, ebenfalls mit angeschlossenem Badezimmer. Ein<br />
Arbeitszimmer, in dem viele medizinische Bücher und Zeitschriften herum lagen und ein<br />
großzügiger Raum, der wohl als Kinderzimmer dienen sollte. Wir machten uns mit den<br />
Räumlichkeiten vertraut und marschierten zur Treppe zurück, um uns unten gründlich umzu-<br />
sehen. Als wir die Treppe zur Hälfte hinter uns hatten, gab Jim plötzlich ein überraschtes<br />
Keuchen von sich und taumelte kurz ein wenig. Blitzschnell legte ich ihm den Arm um die<br />
Taille und stützte ihn.<br />
„Was ist?“, fragte ich besorgt.<br />
Er hielt sich am Geländer fest und schnaufte genervt. Er atmete einige Male tief ein<br />
und aus und nickte schließlich.<br />
vorbei sein.“<br />
„Geht wieder. Mir war kurz ein bisschen komisch.“<br />
Ich sah ihn scharf an, aber er wirkte wieder normal und so ließ ich ihn los.<br />
„Das ist kein Grund zur Sorge, das war alles ein bisschen viel. Das wird schnell ganz<br />
Ich eilte die Treppe hinunter, gefolgt von Jim, der mir einen resignierten Blick hinter-<br />
her schickte. Unten sahen wir uns genauso gründlich um wie in der ersten Etage. Küche, Ess-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
zimmer, Wohnzimmer mit Zugang zur Terrasse, ein kleines Bad, Speisekammer, Flur und<br />
Zugang zum Keller.<br />
„Nach unten?“, fragte ich und Jim nickte.<br />
„Wenn schon, denn schon.“, grinste er.<br />
So stiegen wir auch noch in den Keller. Neben einem gut sortierten Weinregal war der<br />
Keller verhältnismäßig leer und sehr aufgeräumt. Man konnte ihn nicht von außen betreten<br />
und die Fenster waren vergittert, also waren wir relativ beruhigt, als wir wieder nach oben<br />
stiegen. Im Wohnzimmer ließen wir uns auf das Sofa sinken und sahen gedankenverloren auf<br />
die Terrasse und den kleinen, gepflegten Garten hinaus. Mir erschien hier alles eng und klein.<br />
Ich hatte mir vor drei Jahren in Wright ein Haus gekauft, dort war der Garten groß und frei,<br />
ich hatte keine direkten Nachbarn. Hier waren die Nachbarhäuser schon mit einem Ballwurf<br />
zu erreichen und der Garten wirkte im Vergleich zu meinem nicht größer als ein Handtuch.<br />
„Ich bin froh, dass ich hier nicht leben muss. Ich würde verrückt werden, <strong>mich</strong> würde das hier<br />
erdrücken.“<br />
Jim nickte.<br />
„Geht mir ähnlich. Ich komm aus Jasper, Alabama, <strong>mich</strong> würd das hier auch auf Dauer<br />
erdrücken. Jasper ist ein Kaff, zwar etwas größer als Wright, aber trotzdem ein Kaff.“<br />
Ich sah ihn an.<br />
„Da hast du aber nicht die ganze Zeit gelebt, oder? Dein Akzent deutet zwar auf die<br />
Appalachen hin, aber du wirkst nicht so, als hättest du dein Leben in einem Kaff verbracht.“<br />
„Nein, ich bin mit siebzehn weg von meinen Großeltern mütterlicherseits in<br />
Tennessee, bei denen ich gelebt hab nach dem Tod des Bruders meines Vaters. Er hatte <strong>mich</strong><br />
nach der Sache mit meiner Eltern bei sich aufgenommen, starb aber, als ich fünfzehn war, an<br />
nem Hirntumor. Bei Grandpa und Grandma hab ich es nicht mehr ausgehalten. Jeder zweite<br />
Satz bei ihnen war: Du hast Warrens Augen, du siehst dem Mörder unserer Mary so ähnlich ...<br />
Ich hab„s nicht mehr ausgehalten und bin mit 17 weg. Ich bin durch die Staaten getingelt.<br />
Richtig gelebt hab ich eigentlich nirgends. Hier mal ein paar Monate, da mal ein paar Monate,<br />
ich bin viel rum gekommen. Auf der Insel hab ich <strong>mich</strong> wirklich insgesamt fast am längsten<br />
aufgehalten.“<br />
Ich war ein wenig neugierig und fragte:<br />
„Erzähl doch mal, wo warst du so?“<br />
Er prustete leise. <strong>Über</strong>legend zählte er auf:<br />
„Hm, eine Reise quer durch die Staaten. Von Jasper aus bin ich nach Green Bay,<br />
Wisconsin, gezogen. Dann war ich ne ganze Weile in Macon, Georgia.“<br />
Er überlegte konzentriert, fuhr fort:<br />
„Kurze Zeit hab ich in Billings, Montana, gewohnt, dann wieder zurück in die Süd-<br />
staaten, nach Winston, North Carolina. Am längsten hab ich noch in Tuscaloosa, Alabama,<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
gewohnt. Fast vierundzwanzig Monate. Ach, und ne Weile hab ich es sogar in Florida ver-<br />
sucht, in Tampa.“<br />
Ich hatte interessiert zugehört und grinste.<br />
„Dass du die meiste Zeit in den Südstaaten verbracht hast, kann man nicht überhören.<br />
Du klingst wie ein richtiger Hillbilly.“<br />
Jim lachte.<br />
„Hillbilly? Ich helf dir gleich. Hillbilly!“<br />
Er tat empört und verzog beleidigt das Gesicht. Dann aber fragte er:<br />
„Und wie sieht es bei dir aus?“<br />
„Tja, ich wurde offensichtlich nicht in Lynchburg, sondern auf eurer Lieblingsinsel<br />
geboren, aber meine Stiefmutter lebte dort viele Jahre mit mir. Dann bin ich nach New York<br />
gegangen und habe an der Columbia acht Semester Medizin studiert, aber abgebrochen, weil<br />
meine Stiefmutter schwer erkrankte. Sie war umgezogen nach Washington und ich zog zu ihr<br />
zurück. Ein halbes Jahr später starb sie an Krebs und ich ging ans Bethesda, machte dort in<br />
der Notaufnahme mein Examen. Und von dort bin ich direkt zu Grandpa nach Wright<br />
zurück.“<br />
„Deine Stiefmutter ist tot? Das tut mir leid. Aber vielleicht lebt dein Vater ja tatsäch-<br />
lich noch? Dein Grandpa deutete so was ja in seinen Brief an.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Naja, andeuten ist wohl ein wenig übertrieben, er meinte lediglich, es könnte sein.<br />
Das würde doch aber wohl bedeuten, dass er bei den ‟Anderen‟ sein müsste, denn die<br />
Dharmaisten leben ja nicht mehr.“<br />
Jim nickte.<br />
„Wie heißt dein Vater denn?“ fragte er.<br />
„Ken, Ken Hanso. Meine Stiefmutter hat nach der Trennung wieder ihren Mädchen-<br />
namen angenommen.“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Nie gehört, aber ich kenn auch die wenigsten der ‟Anderen‟. Es wäre durchaus mög-<br />
lich, dass er noch am Leben ist.“<br />
Ich nickte.<br />
„Na, mit ein wenig Glück werde ich es erfahren.“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und sagte ernst:<br />
„Kelly, es gibt da noch was, dass du wissen musst. Als es damals mit der Zapperei<br />
durch die Zeit los ging, wurden wir alle krank. Es fing mit Nasenbluten und heftigen Kopf-<br />
schmerzen an und schließlich starb eine von uns, Daniel meinte, an einem Hirnaneurysma,<br />
ausgelöst durch das hin und her gespringe durch die Zeit. Wir anderen erholten uns, als das<br />
aufhörte. Und ...“ Er machte eine Pause, suchte ganz offensichtlich nach Worten.<br />
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Frauke Feind<br />
„... es gibt auf der Insel ... etwas, die Dharmaleute nannten es Sicherheitssystem, wir<br />
haben es Monster genannt. Ich kann dir nicht erklären, was es ist. Wir haben es am ersten<br />
Abend nach dem Absturz das erste Mal ... gehört und haben damals gesehen, zu was es fähig<br />
ist. Es war ein Höllenkrach und etwas raste durch den Dschungel und riss Bäume aus wie<br />
Spielzeug und ...“ Wieder machte er eine Pause und fuhr endlich fort:<br />
„Dieses Ding, es erscheint wie ne riesige, schwarze Rauchsäule, die ihre Form be-<br />
liebig verändern kann, kann Menschen töten. Ben hat es ne Weile scheinbar kontrolliert, er<br />
hat es auf die Söldner losgelassen, nachdem sie Alex getötet hatten. Kelly, ich hab erlebt, was<br />
dieses Etwas anrichten kann! Es hat die Söldner regelrecht in Stücke gerissen. Und nicht nur<br />
die, es hat ne ganze Menge Leute getötet.“<br />
Mir rieselte eine Gänsehaut über den Rücken.<br />
„Großer Gott. Das macht es mir doch gleich leichter, darüber nachzudenken, auf diese<br />
Insel zu gehen.“, keuchte ich erschrocken.<br />
genommen.“<br />
Jim seufzte.<br />
„Keiner von uns will da wieder hin. Aber ich fürchte, da wird keine Rücksicht drauf<br />
Ich schüttelte den Kopf. Leise fragte ich:<br />
„Magst du ein wenig von euren Anfängen nach dem Crash erzählen?“<br />
Einen Moment starrte Jim gedankenverloren aus dem Fenster, dann nickte er.<br />
„Klar.“<br />
Er berichtete von den ersten Tagen, der Suche nach Nahrung und Wasser, Sayids Ver-<br />
suchen, mittels des Flugzeugtranseivers Funkkontakt zur Außenwelt herzustellen und erzählte<br />
von einem in einer Dauerschleife ausgesendeten Notruf der Französin, der dabei entdeckt<br />
wurde. Er grinste frustriert.<br />
„Als Captain Falafel ausrechnete, dass dieser Notruf schon seit mehr als sechzehn<br />
Jahren ausgesendet wurde, sank die Stimmung unter null.“<br />
„Kann ich mir vorstellen.“, seufzte ich.<br />
Er erzählte auch von einer Episode, die mir heftige Wut verursachte. Es ging um eine<br />
junge Frau und ihren Bruder, die inzwischen beide tot waren. Die junge Frau, Shannon, litt an<br />
Asthma. Jim hatte aus dem Gepäck der Beiden ein Buch angespült am Strand gefunden,<br />
‟Watership down‟, es getrocknet und darin gelesen. Shannon bekam irgendwann einen<br />
Asthmaanfall und ihr jüngerer Bruder Boone beschuldigte Jim, ihr Gepäck, folglich auch das<br />
Asthmaspray gefunden zu haben.<br />
Keiner hielt es damals offensichtlich für nötig, Jim einfach mal zu fragen, alle be-<br />
schuldigten ihn sofort, das Spray versteckt zu halten und es nicht rausrücken zu wollen. Stur<br />
wie er war, und nachdem Mord in Sydney in dem festen Glauben, es nicht besser zu ver-<br />
dienen, klärte er den Irrtum auch nicht auf und am Ende wurde er von Jack und Sayid über-<br />
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Frauke Feind<br />
wältigt, in den Wald geschleppt und dort folterte Sayid ihn. Als er schließlich wutentbrannt<br />
drohte, Jim ein Auge auszustechen, musste dieser endlich nachgeben. Er erklärte, nur Kate<br />
verraten zu wollen, wo das Spray war. So waren Jack und Sayid gezwungen, Kate zu holen.<br />
Jim grinste.<br />
„Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, einen Kuss von ihr zu bekommen und erklärte ihr,<br />
dass ich ihr sagen würde, wo das Spray ist, wenn ich dafür den geforderten Kuss bekomme.<br />
Sie gab schließlich nach und so kam ich zu meinem ersten Kuss von ihr. Dann sagte ich ihr<br />
endlich, dass ich das dämliche Spray nie gehabt hatte, ich hatte wirklich nur das verdammte<br />
Buch gefunden, nichts weiter. Man, war die wütend.“<br />
Ich schüttelte verständnislos den Kopf.<br />
„Du hast ja einen Knall! Hat es sich wenigstens gelohnt?“<br />
Jim grinste.<br />
„Und wie. Kate stapfte wütend zu Saint Jack und Abdul zurück, die mir natürlich kein<br />
verdammtes Wort glaubten. Sie kamen zu mir zurück, aber ich hatte es inzwischen geschafft,<br />
<strong>mich</strong> von dem Baum, an den sie <strong>mich</strong> gefesselt hatten, zu befreien. Sayid ging auf <strong>mich</strong> los<br />
und es gab ne fröhliche Prügelei, in deren Verlauf er mir sein Messer, mit dem er herum-<br />
gespielt hatte, versehentlich in den rechten Oberarm rammte. Dass er dabei auch noch ne<br />
Arterie traf, war Pech. Jacko und Freckles blieben bei mir, Sayid rannte zum Lager, um Jacks<br />
Koffer zu holen. Ich war damals wirklich heftig drauf, weißt du, der Mord in Sydney hatte<br />
<strong>mich</strong> ziemlich fertig gemacht. Während Jack sich verzweifelt bemühte, die Blutung zu<br />
stoppen, in dem er die Arterie abdrücke, hab ich ihn angepflaumt, endlich loszulassen, dann<br />
hätten wir es alle hinter uns. Heute bin ich froh, dass er es nicht getan hat, sonst hätte ich<br />
keine Gelegenheit mehr gehabt, die beste Krankenschwester in ganz Amerika kennen zu<br />
lernen.“<br />
den Kopf.<br />
Ich hatte ziemlich fassungslos seinen Worten gelauscht und schüttelte immer wieder<br />
„Das ist ja alles nicht zu glauben! Es ist ein Wunder, dass ihr noch lebt, so, wie es da<br />
zugegangen zu sein scheint.“<br />
Jim nickte.<br />
„Kann man sagen. War mehr als einmal wirklich hart an der Grenze. Einige von uns<br />
können sich freuen, dass Jack dabei war.“<br />
Er stand auf, strecke sich erst einmal ächzend und fragte:<br />
„Willst du auch was zu Trinken?“<br />
Ich nickte.<br />
„Gerne, ob die Bier im Kühlschrank haben?“<br />
Jim lachte.<br />
„Wird sofort kontrolliert.“<br />
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Frauke Feind<br />
Er verschwand in die Küche und ich hing meinen Gedanken nach. Sayid. Ich glaubte<br />
nicht, dass ich ihn je mögen würde. Und Jack? Was für ein Arzt war er denn, dass er Folter<br />
unterstützt hatte? Das musste dort teilweise zugegangen sein wie bei ‟Herr der Fliegen‟! Ich<br />
schüttelte <strong>mich</strong> und vor meinem geistigen Auge formte sich ein Bild, Jim, am Boden liegend,<br />
in einer beständig größer werdenden Blutlache ... Ärgerlich verdrängte ich das Bild und sah<br />
stattdessen den realen Jim zur Tür hereinkommen, zwei Flaschen Bier in der Hand. Er hielt<br />
mir eine Flasche entgegen und ich nahm sie ihm dankbar ab. Wir öffneten die Flaschen und<br />
stießen an.<br />
„Auf nen netten Urlaub auf ner netten Insel ...“, meinte Jim grinsend.<br />
Kurze Zeit später kamen Kate und Jack zurück. Erleichtert setzten sie sich zu uns.<br />
„Alles erledigt. Hier sind die Waffen.“<br />
Kate drückte Jim eine Tüte mit einem schweren Karton in die Hand. Sie selbst packte<br />
einen weiteren Karton aus. Zwei halb automatische Glock 19 kamen zum Vorschein, genau<br />
wie in dem Karton, den Jim gerade öffnete. In einer weiteren Tüte hatte Jack zehn Päckchen<br />
mit je 10 33/9 mm Patronenmagazinen.<br />
„Damit sollten wir wohl ne Weile auskommen.“, meinte Jim trocken.<br />
„Allerdings. Wir wollen ja nicht in den Krieg ziehen.“<br />
„Und, habt ihr unterwegs was von Verfolgern gemerkt?“<br />
Jack schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, aber das heißt nicht, dass sie nicht da sind.“<br />
Er erhob sich. „Ich werde versuchen, Eloise zu erreichen.“<br />
Er verschwand nach oben und wir saßen mit Kate alleine da. Schon nach wenigen<br />
Minuten kam Jack zurück und erklärte:<br />
„Wir sollen um 22 Uhr bei ihr sein.“<br />
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass es kurz nach 16.30<br />
Uhr war. Jim fragte:<br />
„Wann müssen wir los?“<br />
Kate erwiderte:<br />
„Spätestens um 21.30 Uhr, ist eine Ecke zu Fahren.“<br />
Jim überlegte kurz und meinte nachdenklich:<br />
„Wisst ihr, ich denk, ich hau <strong>mich</strong> dann mal ne Stunde aufs Ohr. Wird mir bestimmt<br />
nicht schaden.“<br />
Er stand auf und ich erklärte:<br />
„Das ist eine gute Idee. Nutz es aus, das wir noch ein wenig Ruhe haben, bevor der<br />
Sturm losgeht.“<br />
Er nickte und verließ das Wohnzimmer.<br />
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Frauke Feind<br />
************<br />
Um kurz vor 21 Uhr ging ich nach oben, um Jim zu wecken. Ich hatte <strong>mich</strong> mit Jack<br />
und Kate unterhalten, noch eine ganze Menge über die Insel erfahren und sie hatten mir<br />
erzählt, dass sie alle von Oceanic Airways eine ziemlich große Entschädigung bekommen<br />
hatten. Kate hatte mir bedrückt von Aaron erzählt, dem Sohn Claires, die eines Tages einfach<br />
verschwunden war, ohne eine Spur, ohne ein Wort. Kate hatte sich des Babys angenommen<br />
und es erst kurz vor der ersten Rückreise auf die Insel an Claires Mutter übergeben. Sie hatte<br />
Tränen in den Augen, als sie von dem kleinen Jungen erzählte. Inzwischen hatten Jack und<br />
Kate auch noch erfahren, dass diese Claire Jacks Halbschwester war, entstanden bei einem<br />
Seitensprung Christian Shepards, Jacks Vaters. Daran dachte ich, als ich in unser Zimmer trat.<br />
Jim lag zusammen gerollt auf dem Bett und schlief noch tief. Einen Moment nahm ich mir<br />
Zeit, ihn einfach zu beobachten. Ein wenig bedrückt seufzte ich leise und setzte <strong>mich</strong> vor-<br />
sichtig auf das Bett. Einige Haarsträhnen waren ihm ins Gesicht gefallen und ich hob zögernd<br />
die Hand, um sie ihm sanft zur Seite zu streichen. Er seufzte leise und öffnete die Augen. Als<br />
er sah, dass ich bei ihm saß, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.<br />
liebevoll.<br />
„Hey, du Schlafmütze, es wird mal langsam Zeit, wir wollen bald los.“, sagte ich<br />
„Schon?“, murmelte er verschlafen und rollte sich auf den Rücken.<br />
Ich schmunzelte.<br />
„Was heißt schon? Du hast vier Stunden geschlafen.“<br />
Er grinste frech.<br />
„Na und? Ich bin schließlich krank, schwach und blutarm.“<br />
„So siehst du aus, meine Lieber.“, konterte ich und stand auf, was von Jim mit einem<br />
enttäuschten Blick quittiert wurde.<br />
Er stemmte sich ächzend hoch, hielt sich kurz den Rücken und streckte sich. Etwas<br />
steif stiefelte er ins Bad. Minuten später kam er deutlich frischer zurück und erklärte taten-<br />
durstig: <br />
kommen.“<br />
„So, dann wolln wir mal sehen, dass wir Tickets für die Reise in die Hölle be-<br />
Zusammen gingen wir nach unten und Kate reichte Jim eine Tasse Kaffee und zwei<br />
Sandwichs, die sie ihm inzwischen zubereitet hatte. Hastig aß er sie auf. Anschließend griffen<br />
wir uns die Glocks und stopften jeder zwei Magazine in die Jeanstaschen. Die Waffen ver-<br />
stauten wir auf dem Rücken im Hosenbund. Mich erschreckte dabei die Selbstverständlich-<br />
keit, mit der Kate, Jack und Jim die Waffen mit sich nahmen. Mir erschien meine eigene<br />
Glock wie ein unangenehmer Fremdkörper. Schließlich verließen wir das Haus und stiegen in<br />
Jacks alten Geländewagen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Was ist mit den Anderen?“, wollte Jim wissen.<br />
„Die werden auch zur Kirche kommen.“, antwortete Jack.<br />
Schweigend und die Straße hinter uns im Auge behaltend fuhren wir durch die nächt-<br />
lichen Straßen LA‟s und gegen viertel vor 10 Uhr erreichten wir eine Kirche, die etwas<br />
abseits der Häuser in einem kleinen Park stand. Jack stoppte den Wagen in einiger Entfernung<br />
und wir stiegen aus. Uns sichernd umschauend machten wir uns auf den Weg zum Kirchen-<br />
gelände. Jeder von uns hatte unwillkürlich die Hand auf dem Rücken am Griff der Waffe.<br />
Langsam und vorsichtig näherten wir uns der Kirche und sahen jetzt Jin, Sun, Sayid und<br />
Hurley im Schatten vor uns auftauchen. Sayid begrüßte uns ruhig.<br />
„Da seid ihr ja. Dann sollten wir ...“<br />
Weiter kam er nicht, denn plötzlich kamen aus dem Gebüsch links von uns dumpfe<br />
Schüsse, ganz offensichtlich aus Waffen mit Schalldämpfern!<br />
„Deckung!“, brüllte Sayid überflüssigerweise und wir spritzten auseinander.<br />
Hurley und Sun erreichten die Kirchentür und verschwanden nach drinnen, Jack warf<br />
sich hinter einen Pfeiler, Kate und Jin hechteten hinter eine kleine Mauer, die die Kirche um-<br />
gab. Sayid riss <strong>mich</strong> hinter ein geparktes Auto in Deckung und Jim rannte los, um sich etwas<br />
weiter rechts hinter einem Müllcontainer in Sicherheit zu bringen.<br />
Wir hatten alle unsere Waffen heraus gerissen, konnten aber in der Dunkelheit kein<br />
Ziel ausmachen. Sayid sah zu Jim hinüber und deutete ihm an, sich weiter nach rechts zu<br />
schleichen, in der Hoffnung, die Schützen, die uns unter Feuer nahmen, ein wenig zu um-<br />
gehen. Sayid selbst sah sich weiter links nach Deckungsmöglichkeiten um und entdeckte<br />
einen großen Gedenkstein, vielleicht zwanzig Meter entfernt. Zugleich mit Jim rannte er los<br />
und wieder war das dumpfe Ploppen von schallgedämpften Schüssen zu hören. Aus schreck-<br />
geweiteten Augen beobachtete ich Jim, der so schnell er konnte in Richtung einer riesigen<br />
Eiche ein Stück weiter rechts rannte. Kurz bevor er den Baum erreichte passierte es. Jack,<br />
Kate und ich hatten wahllos ein paar Schüsse in Richtung des Gebüsches, aus dem wir unter<br />
Feuer genommen wurden, abgegeben, um Jim und Sayid Deckung zu geben. Geholfen hatte<br />
es nicht. Sayid erreichte sein Ziel, Jim jedoch wurde wenige Schritte vom Baum entfernt<br />
plötzlich wie von einer Faust getroffen herum gerissen und stürzte zu Boden. Entsetzt schrie<br />
ich auf.<br />
„JIM! NEIN!“ und schoss aus meiner Deckung hoch.<br />
Ohne auf die Kugeln zu achten, die mir folgten, rannte ich panisch los und erreichte<br />
Jim in Rekordzeit. Vollkommen aufgelöst drehte ich ihn herum und hätte vor Erleichterung<br />
fast erneut aufgeschrien, diesmal triumphierend. Er hatte lediglich einen Streifschuss an der<br />
Schläfe abbekommen, der ihn zwar sofort ausgeknockt hatte, jedoch nicht weiter gefährlich<br />
war. Ich packte ihn unter den Achseln und schleppte ihn die letzten Schritte bis zum Baum.<br />
Dort sackte ich zitternd zu Boden und gab den Anderen mit erhobenem Daumen das Zeichen,<br />
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Frauke Feind<br />
dass alles in Ordnung war. Ich lehnte <strong>mich</strong> mit dem Rücken an den Baum und zog Jims Ober-<br />
körper an <strong>mich</strong>. Schützend hielt ich ihn in meinen Armen und mir kullerten Tränen der Er-<br />
leichterung über die Wangen. Mit einer Hand wühlte ich in meiner Jeans herum und bekam<br />
ein Taschentuch zu fassen, dass ich vorsichtig auf die blutende Schramme an Jims Stirn<br />
pressen. Er kam bereits wieder zu sich und fluchte ungehalten.<br />
fragte er:<br />
„Verdammter Scheiß!“<br />
Plötzlich aber merkte er, dass er in meinen Armen lag und sah zu mir auf. Ungehalten<br />
„Was machst du hier? Bist du verrückt geworden? Warum bist du nicht in Deckung<br />
geblieben, verdammt noch mal!“<br />
Ich schniefte und erklärte:<br />
„Was glaubst du denn, warum? Du bist getroffen worden.“<br />
„Na und? Das ist doch noch lange kein Grund, in einem Kugelhagel loszurennen!“<br />
Ich lachte leise und etwas hysterisch.<br />
„Na, wenn das kein Grund ist, was dann?“, fragte ich.<br />
Jim richtete sich vorsichtig auf und kniete sich hin. Er spähte ins Gebüsch, konnte aber<br />
nichts erkennen. In diesem Moment hörten wir plötzlich zwei Autos starten und eilig davon<br />
Fahren. Vorsichtig und fluchtbereit standen wir auf und traten aus unseren Deckungen hervor.<br />
Nichts passierte.<br />
Sayid rief: „Sie sind weg, abgehauen.“<br />
Mir zitterten plötzlich die Knie und Jim merkte das sofort. Er legte mir einen Arm um<br />
die Taille und führte <strong>mich</strong> zu den Anderen zurück. Besorgt wurde Jim gefragt:<br />
darauf.<br />
„Alles in Ordnung, Sawyer?“<br />
Er nickte.<br />
„Kein Problem, nur n Streifschuss, blutet nicht mal mehr.“<br />
Er deutete auf die Schramme an seiner Stirn und Jack warf einen prüfenden Blick<br />
„Ja, ist nicht schlimm, du hast mehr Glück als Verstand gehabt!“<br />
Aus der Kirche kamen Hurley und Sun, gefolgt von einer sehr eleganten, älteren,<br />
weißhaarigen Frau um die sechzig. Sun fiel ihrem Mann um den Hals und fragte aufgeregt:<br />
„Ist alles in Ordnung?“<br />
Jin nickte.<br />
„Ja, mach dir keine Sorgen.“<br />
Sayid meinte ruhig:<br />
„Lasst uns rein gehen. Demnächst wird die Polizei aufkreuzen, dann sollten wir nicht<br />
hier herumstehen.“<br />
Zustimmend nickten wir und betraten zusammen die Kirche.<br />
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Frauke Feind<br />
8) Eloise<br />
Als die schwere Tür hinter uns zufiel und von der Frau verriegelt wurde, atmeten wir<br />
alle auf. Sie sah uns an und fragte gelassen:<br />
„Sind alle in Ordnung?“<br />
Jack antwortete für uns alle.<br />
„Bis auf eine kleine Schramme ja.“<br />
Sie warf Jim einen fragenden Blick zu und dieser schnaufte.<br />
„Es ist wirklich nur ne Schramme.“<br />
Dass er immer noch den Arm um <strong>mich</strong> gelegt hatte, schien er gar nicht zu merken.<br />
Erst, als Kate ihm einen fragenden Blick zuwarf, schien er dessen bewusst zu werden und ließ<br />
<strong>mich</strong> los. Ich hätte Kate in diesem Moment treten mögen. Eloise unterbrach uns und erklärte:<br />
„Wir sollten ins Labor gehen, in Kürze wird es hier von Polizei wimmeln.“<br />
Sie musterte uns noch einmal prüfend, ihr Blick blieb kurz an mir hängen, dann drehte<br />
sie sich herum und wir marschierten hinter ihr her zu einer versteckten Tür in einer Wand-<br />
nische. Mittels eines kleinen Hebels, der durch ein schweres Brokattuch verborgen war,<br />
öffnete Eloise Hawking diese Tür und ging uns voran eine steile, alte Wendeltreppe hinunter.<br />
Es ging ziemlich tief hinab und ich frage <strong>mich</strong> schon, wie tief es noch gehen würde, als wir<br />
das Ende der Treppe erreichten. Durch einen langen Gang führte Eloise uns zu einer weiteren<br />
Tür, auf der ein seltsames Emblem zu erkennen war. Sie drehte ein Stahlrad und stieß die Tür<br />
energisch auf. Was hinter der Tür lag, war unbeschreiblich!<br />
In der Mitte des runden, großen Raumes schwang ein riesiges Pendel an einem sehr<br />
stabilen Faden aus einem Loch in der Decke hin und her. Es bewegte sich über eine Weltkarte<br />
und hinterließ bei jedem Schwung hauchfeine Linien auf dieser<br />
Karte. An den Wänden des Raumes erkannten wir ver-<br />
schiedene Computer, die vor sich hin tickten und irgendwelche<br />
Berechnungen anstellten. Eine Tafel an der Wand war mit<br />
Symbolen und Zahlen vollgeschrieben. <strong>Über</strong>all blinkten<br />
irgendwelche kleine Lämpchen an den veralteten Computern. Verwirrt sahen wir uns um.<br />
Jack und Sun waren schon einmal hier gewesen, sie konnten sich aber der Faszination dieses<br />
seltsamen Raumes auch nicht entziehen. Wir sahen uns um und Jim fragte fassungslos:<br />
„Was ist das hier?“<br />
Eloise lächelte milde.<br />
„Die DHARMA Initiative nannte es den Laternenmast. Von diesem Raum aus haben<br />
sie 1971 die Insel entdeckt. Er wurde vor vielen Jahren über einem einzigartigen Kessel<br />
elektromagnetischer Energie errichtet. Es gibt auf der ganzen Welt verteilt viele solcher<br />
Kessel, die durch die pure Energie miteinander verbunden sind. Die DHARMA Initiative<br />
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Frauke Feind<br />
jedoch war bei der Errichtung dieses Raumes nur an einem dieser Energiefelder interessiert:<br />
<strong>Der</strong> Insel. Sie sammelten lange Beweise für ihre Existenz und erfuhren so, dass sie irgendwo<br />
da draußen ist, fanden aber nicht heraus, wo.“<br />
klärung fort.<br />
Eloise deutete auf die große Weltkarte zu unseren Füßen. Nun fuhr sie mit ihrer Er-<br />
„Schließlich erbaute ein sehr kluger Kopf dieses Pendel. Seine zugegeben sehr<br />
spekulative Idee war, dass die DHARMA Initiative aufhören sollte, danach zu suchen, wo die<br />
Insel war, vielmehr suchen sollte, wo sie als nächstes sein würde.“<br />
Ich sah die Frau an und fragte skeptisch:<br />
„Was meinen Sie damit, wo sie sein würde?“<br />
Eloise lächelte sanft.<br />
„Nun, dieser Bursche vermutete, zu Recht, wie sich herausstellte, dass die Insel<br />
ständig in Bewegung ist. Ihr wisst inzwischen, dass das der Grund ist, warum ihr nie gerettet<br />
wurdet. Es schien, als wären die Bewegungen der Insel zufällig. Aber dieser Mann und sein<br />
Team stellten eine Reihe von Gleichungen auf, die uns mit einem hohen Grad an Wahrschein-<br />
lichkeit sagen, wo die Insel sich zu einem bestimmten Punkt der Zeit befinden wird.“<br />
Jack und Sun, die das alles schon einmal erklärt bekommen hatten, lauschten dennoch<br />
ebenso fasziniert wie wir Anderen, die die Erklärung zum ersten Mal hörten. Eloise redete<br />
weiter.<br />
„Man kann es mit Fenstern vergleichen, die während sie offen sind, die Route ver-<br />
raten. Leider sind diese Fenster immer nur für kurze Zeit offen. Euer Fenster schließt sich<br />
bereits in 28 Stunden.“<br />
Sie drückte Jack einen Ordner in die Hand und er sagte leise:<br />
„Déjà-vu.“<br />
Eloise nickte.<br />
„Ja, ich habe dir einen ähnlichen Ordner schon einmal überreicht. Auch dieses Mal<br />
enthält er alle Flugstrecken, die über die Koordinaten gehen, von denen ich glaube, dass die<br />
Insel sich auf ihnen aufhalten wird, in etwas mehr als einem Tag von jetzt an. Es gibt einen<br />
Flug, wieder von hier aus, von LA, der direkt über euer Fenster geht. Ihr müsst an Bord sein,<br />
wenn die Maschine startet. Alle!“<br />
Sie sah uns der Reihe nach an. Dann erklärte sie ruhig:<br />
„Ich bin nicht sicher, ob ihr alle auf der Insel ankommen werdet. Die Insel wird<br />
gleichsam selbst entscheiden, wer benötigt wird und wer nicht.“<br />
Allgemeines Erschrecken antwortete ihr auf diese Worte.<br />
„Was soll das heißen?“, fragte Jim hitzig.<br />
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Frauke Feind<br />
„Das, was ich sagte. Nicht alle werden für die Aufgabe benötigt. Diejenigen von euch,<br />
die die Insel aussucht, werden erneut einen Absturz erleben. Alle anderen werden ganz<br />
normal an ihrem Ziel landen.“<br />
Kate klammerte sich unwillkürlich an Jack und ich hatte ebenfalls das wilde Ver-<br />
langen, <strong>mich</strong> an Jim zu klammern. Sun und Jin schlossen sich ebenfalls in die Arme. Sayid<br />
fragte jetzt angespannt:<br />
weg?“<br />
„Was passiert mir denen, die auf die Insel gelangen? Wie kommen sie dort wieder<br />
Eloise sah Sayid eindringlich an. Sie erklärte:<br />
„Um dort wieder weg zu kommen, müsst ihr meinen Sohn um jeden Preis retten! Er<br />
weiß, wie ihr zurückkehren könnt. Falls ihr es wollt.“<br />
Wir sahen uns an und nickten. Jack seufzte.<br />
„Gut. Es ist also ein ziemliches Himmelfahrtskommando. Gesetzt den Fall, wir<br />
schaffen das unmöglich und retten Daniel das Leben, was genau soll er dort machen?“<br />
hindern.“<br />
Eloise sah ernst aus.<br />
„Er wird verhindern müssen, dass Jacob getötet wird. Nur er allein kann das ver-<br />
Verständnislos starrten wir Eloise an.<br />
„Wer ist Jacob?“<br />
Kühl erwiderte Eloise:<br />
„Das braucht euch nicht zu interessieren. Wenn ihr Daniel gerettet habt, müsst ihr ihm<br />
klar machen, dass die Zündung der Bombe außer sehr vieler Toter nichts bringen wird. Die<br />
Energiequelle kann man weder zerstören noch für immer verbergen. Ihr müsst ihn mitnehmen<br />
in die Gegenwart. Dort hält sich zu dem Zeitpunkt John Locke auf. Dieser will Jacob töten.<br />
Das muss unbedingt verhindert werden! Eigentlich gibt es keine Möglichkeit, Jacob zu töten,<br />
aber Locke ist etwas besonderes, er mag einen Weg finden.“<br />
Die vornehme Frau wandte sich jetzt direkt an <strong>mich</strong>.<br />
„Du bist die Enkelin von Tim?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, obwohl ich ihn nicht unter diesem Namen kannte.“<br />
Eloise lächelte wehmütig.<br />
„Tim ist der Vater Daniels. Charles war überzeugt, dass er Daniels Vater ist, aber das<br />
stimmt nicht. Ich habe ihn ein einziges Mal betrogen und wurde schwanger. Daniel ist das<br />
Resultat dieser Verfehlung. Er weiß es nicht und wird es auch nie erfahren. Kurz nach dem<br />
Fehltritt verließ Tim die Insel für immer, zusammen mit seinem Schwiegersohn, deinem<br />
Vater, und mit seiner Enkelin. Dir. Ich habe sehr viel später erfahren, dass dein Vater später<br />
erneut zur Insel gebracht wurde. Von Tim habe ich nie wieder etwas gehört. Er wusste nicht,<br />
dass ich schwanger war, daher ist es kein Wunder, dass er sich nie wieder meldete.“<br />
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Dass Daniel doch nicht Widmores Sohn war, war für uns alle eine <strong>Über</strong>raschung.<br />
Eloise schwieg einen Moment. Schließlich erklärte sie besorgt:<br />
„Es gib ein Problem bei allem. Ich habe nicht wirklich die Kontrolle darüber, wann ihr<br />
auf der Insel landen werdet. Wenn ihr in der Gegenwart oder zu einem Zeitpunkt nach<br />
Daniels Tod dort ankommt, wird es schwierig. Aber nicht unmöglich. Du, Kelly, bist im<br />
Stande, einen gezielten Zeitsprung in die Wege zu leiten. Ihr müsst zur Orchidee gehen. Dort<br />
ist das Rad, welches die Zeitsprünge ermöglicht. Ihr wisst bereits aus Erfahrung, dass ihr nicht<br />
unbegrenzt in der Zeit herum reisen könnt. Das menschliche Gehirn ist dafür zu empfindlich.<br />
Ihr habt gemerkt, was geschieht, wenn man den Zeitsprüngen zu lange ausgesetzt ist. Gut. Ihr<br />
müsst wie gesagt zur Orchidee Station gehen. Dort werdet ihr mit ein wenig Glück deinen<br />
Vater, Jack, treffen.“<br />
Jack riss den Mund auf und ächzte.<br />
„Meinen Vater? <strong>Der</strong> ist tot! Wie sollen wir ihn treffen können?“<br />
Wieder umspielte das sanfte Lächeln Eloises Lippen.<br />
„Nun, er ist nicht tot in dem Sinne, in dem wir es verstehen. Du wirst auf ihn treffen,<br />
vertraue mir einfach. Er wird euch sagen können, wie ihr den Sprung zum richtigen Zeitpunkt<br />
schaffen werdet. Und nur du, Kelly, kannst diesen Sprung einleiten. Oder Tim hätte es ge-<br />
konnt, wäre er noch am Leben.“<br />
Jack beschloss, die Frage nach seinem Vater zur Seite zu schieben, vorerst.<br />
„Wie sollen wir verhindern, dass Sie ihren Sohn erschießen?“, fragte er stattdessen.<br />
Eloise schüttelte den Kopf.<br />
„Ihr werdet improvisieren müssen, alles weiß ich auch nicht. Ich bin keine Hell-<br />
seherin. Und jetzt müsst ihr los. Ihr müsst Plätze für den Flug buchen. Es ist Flug 2712 von<br />
Los Angeles nach Kiribati, mit Aluana Airways.“<br />
Sie drehte sich herum und strebte dem Ausgang des Raumes zu. Sayid hielt sie zurück.<br />
„Warten Sie, bitte. Was ist mit Ben? Er hat schon mehrfach versucht, uns aufzuhalten.“<br />
Eloise drehte sich noch einmal zu uns herum. Kühl sagte sie:<br />
„Benjamin ist euer Problem. Ich kann ihn nicht aufhalten, keiner kann das. Wehrt euch<br />
gegen ihn. Lasst ihn nicht gewinnen. Ihr seid zu acht, ihr könnt es schaffen.“<br />
Sie verließ jetzt endgültig den Raum und wir mussten ihr folgen. Schließlich standen<br />
wir wieder oben in der Kirche. Eloise sah uns an.<br />
„Ich bitte euch inständig, meinem Sohn das Leben zu retten. Ich weiß, es ist viel ver-<br />
langt, aber auch ihr werdet davon Gewinn haben. Alle, die sich entscheiden, wieder von der<br />
Insel zu verschwinden, werden ein für alle Mal von ihr und den schlimmen Dingen, die dort<br />
geschehen sind, befreit werden. Und alle, die sich entscheiden, dort zu bleiben, werden ein<br />
wunderschönes Leben dort führen, wenn alles gerichtet ist. Es liegt in eurer Hand.“<br />
- 86 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Diese geheimnisvollen Worte waren das Letzte, was wir von der ebenso geheimnis-<br />
vollen Frau hörten. Sie öffnete uns die Kirchentür und wir traten hinaus in die kühle Nacht-<br />
luft. Bevor wir noch etwas sagen konnten, war die Tür hinter uns bereits wieder ins Schloss<br />
gefallen. Misstrauisch sahen wir uns um, aber wir konnten nichts entdecken und wurden auch<br />
nicht erneut beschossen. Hastig begaben wir uns zu den Autos und Jack erklärte:<br />
„Ich werde versuchen, Flüge zu buchen. Haltet euch bereit, ich sage Bescheid, sobald<br />
alles geklärt ist.“<br />
Nach diesen Worten stiegen wir in die Wagen und eine Stunde später saßen Jim und<br />
ich in unserem Zimmer und versuchten zu verarbeiten, was wir gehört hatten. Lange herrschte<br />
Schweigen zwischen uns, dann wachte ich wie aus einem Traum auf und zog den Erste Hilfe<br />
Kasten, den ich in Oklahoma City in den Koffer gestopft hatte, unter dem Bett hervor. Ich<br />
kniete <strong>mich</strong> vor Jim hin und sagte leise:<br />
„Lass <strong>mich</strong> mal nach der Schramme sehen, bitte.“<br />
Ungnädig grummelte er:<br />
„Das ist nichts.“<br />
„Ich möchte es mir trotzdem kurz ansehen, okay?“, bat ich leise und genervt ließ Jim<br />
es zu, dass ich mir die Schramme anschaute.<br />
Ich tränkte einen Wattebausch mit Octenisept und reinigte die Schramme gründlich,<br />
was Jim Tränen in die Augen trieb.<br />
„Na prima.“, knurrte er ärgerlich. „Bis eben hat es nicht weh getan.“<br />
Mir kamen ebenfalls Tränen, aber nicht vor Schmerzen. Hastig arbeitete ich weiter<br />
und klebte schließlich ein Pflaster über die kleine Wunde. Dass die Kugel nicht mehr Schaden<br />
angerichtet hatte grenzte an ein Wunder. Sie hatte Jim wirklich gerade so eben gestreift.<br />
Schnell räumte ich den Kasten wieder unter das Bett und wollte aufstehen. Jim hielt <strong>mich</strong><br />
jedoch fest.<br />
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fuhr er <strong>mich</strong> giftig an.<br />
Verwirrt antwortete ich:<br />
„Das musste gereinigt ...“<br />
Er verdrehte die Augen und knurrte wütend:<br />
„Das doch nicht. Dass du da einfach im Kugelhagel losgerannt bist, verdammt! Bist du<br />
denn vollkommen verrückt geworden? Meinst du, jemand wie ich ist es wert, dafür abgeknallt<br />
zu werden?“<br />
Ich starrte ihn an und jetzt liefen mir endgültig Tränen über die Wangen. Verzweifelt<br />
sah ich ihm ins Gesicht.<br />
„Ja. Das meine ich allerdings! Ich habe bereits für dich getötet, schon vergessen?<br />
Auch das war es wert.“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
- 87 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein, dass alles bin ich eben nicht wert! Also lass solchen Schwachsinn in Zukunft.“<br />
Ich riss <strong>mich</strong> wütend los und stieß unter Tränen hervor:<br />
„Was ich tue oder lasse wirst ganz bestimmt nicht du entscheiden. Zum Glück bist du<br />
hier im Raum der einzige, den deine schlechte Meinung über dich interessiert!“<br />
Ich wollte herum fahren doch Jim war schneller. Wieder erwischte er <strong>mich</strong> an der<br />
Hand und riss <strong>mich</strong> ziemlich unsanft zu sich herum.<br />
„Ist dir eigentlich klar, dass die mit echten Kugeln auf uns geschossen haben?“<br />
Ich nickte.<br />
„Oh, ja, das ist mir klar.“<br />
Ich deutete auf das Pflaster an seiner Stirn.<br />
„Das ist gut. Sehr gut. Dann sollte dir ja wohl auch klar sein, dass du hättest Sterben<br />
können. Und wozu?“<br />
Ich schnaufte und wischte mir ärgerlich mit der freien Hand Tränen fort.<br />
„Um dir erneut den Arsch zu Retten, du Idiot.“ Ich sah ihn an und sagte leise: „Ich<br />
würde es immer wieder tun, verstehst du?“<br />
Ruhiger fragte er jetzt:<br />
„Warum?“<br />
„Weil ich ...“ - dich liebe! - vervollständigte ich den Satz gedanklich. „... es für jeden<br />
machen würde.“ erklärte ich laut und hoffte, dass es überzeugend klang. Und ging zum<br />
Gegenangriff über.<br />
„Und warum regst du dich so sehr darüber auf?“<br />
„Weil ich ...“ - dich liebe! - Dass Jim in Gedanken die gleichen Worte folgen ließ wie<br />
ich, konnte ich natürlich nicht ahnen. „... es für Irrsinn halte, sich für jemanden wie <strong>mich</strong> in<br />
eine solche Gefahr zu begeben.“<br />
Noch immer hielt er <strong>mich</strong> fest und wir standen uns nahe gegenüber. Ich sah in seinen<br />
Augen Wut, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und ... Angst. Angst um <strong>mich</strong>! Und plötzlich<br />
war mir überdeutlich klar, warum er so wütend war. Er hatte Angst um <strong>mich</strong>. So, wie ich um<br />
ihn. Mir wurden die Knie weich und ich griff nach seiner anderen Hand. Noch einmal fragte<br />
ich: „Warum?“ Plötzlich wurde sein Griff sanft. Leise sagte er:<br />
„Weißt du das denn nicht?“<br />
Ich nickte.<br />
„Doch. Das weiß ich sehr wohl. Aus dem gleichen Grund, warum ich einfach los-<br />
gerannt bin. Weil ich schreckliche Angst um dich hatte. Weil ich dachte, ich hätte dich ... ver-<br />
loren.“<br />
Ich ließ den Kopf sinken und schloss die Augen. Und plötzlich spürte ich seine Hand<br />
sanft an meinem Kinn. Er hob mein Gesicht zu sich hoch und sah mir in die Augen. „Wie<br />
ich.“, flüsterte er und beugte sich zu mir herunter. Und dann klopfte es an der Tür. Wir<br />
drifteten auseinander, als wäre eine Bombe zwischen uns hoch gegangen und Jim sagte:<br />
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„Ja?“<br />
Die Tür ging auf und Jack kam herein.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Alles klar, ich habe die Plätze gebucht. Es geht um 11.25 Uhr morgen los. Schlaft<br />
euch aus, ist vielleicht das letzte Mal, dass wir halbwegs ruhig schlafen können.“<br />
Hätten Blicke Töten können, wäre Jack unter meinem garantiert tot umgefallen.<br />
„Na, großartig.“, meinte Jim und Jack nickte.<br />
„Gute Nacht.“<br />
Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Jim seufzte.<br />
„Dann sollten wir versuchen, noch etwas Schlaf zu bekommen.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, sollten wir.“<br />
Minuten später lagen wir nebeneinander im Bett. Jim hatte mir leise:<br />
„Gute Nacht.“, gewünscht und ich hatte ebenso leise geantwortet.<br />
„Schlaf gut.“<br />
Wir lagen nebeneinander und taten, als schliefen wir, doch das tat keiner von uns<br />
Beiden. Und es dauerte eine ganze Weile, bis ich einschlief. Zu vieles ging mir durch den<br />
Kopf. Die Erklärungen, die uns Eloise Hawking geliefert hatte, die Schießerei, und der unter-<br />
brochene Kuss. Ich hätte Jack erwürgen mögen. <strong>Der</strong> Moment war dahin, unwiederbringlich.<br />
Ob es noch einmal einen solchen Moment geben würde, wusste ich nicht. Jim war nicht<br />
gerade das, was man einen unkomplizierten Mann nennen konnte. Es war gut möglich, dass er<br />
es nicht wieder versuchen würde, weil er nicht eben viel von sich selbst hielt. All das ging mir<br />
durch den Kopf, bis mir endlich die Augen zufielen. Jim neben mir lag noch länger wach. Er<br />
war fast froh, dass Jack gekommen war. Okay, er konnte es nicht mehr abstreiten, er hatte<br />
sich in Kelly verliebt. Aber er wollte ihr nicht die Zukunft versauen, indem sie sich an einen<br />
Typen wie ihn verschwendete. Er war ein Mörder und Betrüger, nicht gerade der richtige<br />
Umgang für eine anständige Frau. Gott, da hatte er endlich eine Frau getroffen, die ihm Kate<br />
nachhaltig aus dem Kopf vertrieben hatte, nur, um Kates Platz dort einzunehmen. Eine Frau,<br />
die noch unerreichbarer war als Kate. Verzweifelt starrte Jim zur Decke hoch.<br />
************<br />
Als ich aufwachte, war es warm und hell im Zimmer. Sofort bemerkte ich, dass Jim<br />
nicht mehr neben mir lag. Unglücklich seufzte ich. Genervt stand ich schließlich auf und<br />
duschte in aller Eile. Als ich <strong>mich</strong> angezogen hatte, räumte ich die wenigen Kleidungsstücke,<br />
die wir dabei hatten, in den Koffer. Ich würde am Airport versuchen, noch mehr Kleidung zu<br />
besorgen. Andererseits ... Wer wusste schon, ob wir sie auf der Insel überhaupt bei uns<br />
hätten? Als ich all unsere Sachen zusammen gepackt hatte, verließ ich das Zimmer und ging<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
nach unten. Ich hörte Kate und Jim in der Küche, wo sie sich unterhielten. Gerade sagte Jim<br />
ruhig zu Kate:<br />
„Vergiss es, okay? Das ist ein für allemal vorbei. Ich bin dir lange genug hinterher ge-<br />
rannt. Die Zeiten sind vorbei.“<br />
Kate erwiderte:<br />
„Aber ich ... ich liebe dich doch!“<br />
Jim lachte, leise und fast freundlich.<br />
„Nein, Freckles, das tust du nicht und hast es auch nie getan. Du hast <strong>mich</strong> immer nur<br />
an der langen Leine gehalten und nur dann näher geholt, wenn es deinen Plänen nützlich war.<br />
Ich hab lange, viel zu lange mitgespielt, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Aber<br />
jetzt hab ich endlich erkannt, dass es keine Hoffnung für uns gibt. Du wirst in deinem Herzen<br />
immer Jack lieben, hast es immer getan. Ich weiß, dass ich Kelly auch nicht bekommen<br />
werde, aber das hat wenigstens andere Gründe.“<br />
Ich spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen und drehte <strong>mich</strong> zitternd herum,<br />
schlich die Treppe wieder hoch. Ich schlug die Zimmertür zum Gästezimmer etwas lauter zu<br />
und polterte möglichst laut die Treppe erneut hinunter. Kate und Jim hörten <strong>mich</strong> diesmal<br />
kommen und sahen mir entgegen.<br />
„Morgen. Na, gut geschlafen, Dr. Quinn?“, fragte Jim und grinste <strong>mich</strong> an.<br />
Ich begrüßte Kate, dann sah ich Jim an.<br />
„Morgen. Nein, hab ich nicht. Und du?“<br />
Er erwiderte meinen Blick und meinte dann:<br />
„Geht so. Aber ich hatte ja auch schon vier Stunden Schlaf hinter mir.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, war vielleicht ein wenig viel. Ich habe unsere Klamotten in den Koffer verpackt.<br />
Wo ist Jack? Wann wollen wir los?“<br />
Kate sah zur Uhr.<br />
„Er müsste jeden Moment zurückkommen. Er hat noch einige Medikamente besorgt,<br />
nur für den Notfall.“<br />
Gerade da kam ein Wagen die Einfahrt hoch und Jack stieg aus. Minuten später stand<br />
er bei uns in der Küche. Kate begrüßte ihn mit einem Kuss und fragte:<br />
„Alles bekommen?“<br />
Jack nickte.<br />
„Ja. Und keine Spur von Verfolgern. Vielleicht haben sie aufgegeben und werden auf<br />
der Insel etwas versuchen. Seid ihr fertig?“<br />
Wir nickten.<br />
„Ja, ich hole den Koffer.“<br />
Jim stiefelte nach oben und Jack folgte ihm. Kate und ich standen uns ein wenig un-<br />
schlüssig gegenüber. Schließlich sagte die junge Frau:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Wir werden versuchen, die Waffen einzuchecken. Jack hat einen Waffenschein, der<br />
ihm erlaubt, Waffen bei sich zu haben. Vielleicht haben wir Glück und bekommen sie im<br />
Koffer mit.“<br />
Ich sah Kate an und sagte:<br />
„Es ist doch nicht einmal sicher, ob unser Gepäck mit uns landet.“<br />
Sie schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, ist es natürlich nicht. Letztes Mal hat es nicht geklappt. Ich gebe die Hoffnung<br />
aber nicht auf.“<br />
Ich lachte.<br />
„Na, ich lasse <strong>mich</strong> überraschen.“<br />
Innerlich war mir jedoch nach allem mehr zu Mute als nach Lachen. Wir starteten eine<br />
Reise in eine unbekannte Zukunft. Und es war nicht einmal sicher, ob wir gemeinsam dort<br />
ankommen würden, wo wir hin wollten. Und wenn ja, ob wir alle den Absturz überleben<br />
würden. Plötzlich wusste ich sicher, dass ich auf keinem Fall den Flug antreten würde, ohne<br />
Jim gesagt zu haben, was ich für ihn empfand. Immerhin war es gut möglich, dass die<br />
kommenden Stunden die letzten waren, die wir zusammen verbrachten.<br />
„Entschuldige <strong>mich</strong> bitte ...“, stieß ich hervor und hetzte die Treppe hoch.<br />
Jim stand am Fenster und starrte in den Garten hinaus, als ich ins Zimmer platze. Er<br />
fuhr erschrocken herum und fragte:<br />
„Was ist passiert? Ist ...“<br />
Weiter kam er nicht. Ich war zu ihm getreten und schlang ihm ohne etwas zu sagen<br />
meine Arme um den Hals und zog seinen Kopf zu mir herunter. Er war viel zu verblüfft, um<br />
sich zu wehren. Und ehe ich wusste, was geschah spürte ich seine Lippen auf meinen und es<br />
war wie eine elektrische Entladung! Plötzlich und überwältigend riss er <strong>mich</strong> an sich und wir<br />
küssten uns wie Ertrinkende. Als wir uns von einander lösten sagte ich ruhig und bestimmt:<br />
„Ich liebe dich! Nur, damit das klar ist. Und komme mir nicht mit dem Spruch, ich<br />
hätte etwas Besseres verdient. Du bist das Beste, das ich je getroffen habe. Also versuche es<br />
erst gar nicht.“<br />
hervor:<br />
Er starrte <strong>mich</strong> so verwirrt an, dass ich lachen musste. Leicht verzweifelt stieß er<br />
„Kelly, ich liebe dich doch auch. Nicht, dass ich denke, es wäre richtig, aber ich kann<br />
es nicht ändern.“<br />
Jim leise:<br />
Wieder trafen sich unsere Lippen und als wir uns diesmal voneinander lösten sagte<br />
„Das ist nicht gut.“<br />
Energisch erwiderte ich:<br />
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Frauke Feind<br />
„Doch, das ist es. Mir ist gerade klar geworden, dass es vielleicht die letzten Stunden<br />
sind, die wir haben. Wir haben schon viel zu viele Chancen ungenutzt vorbei ziehen lassen.“<br />
Jim zog <strong>mich</strong> erneut an sich, sanft diesmal, und sagte leise:<br />
„Wenn wir wirklich getrennt werden sollten, werde ich nicht eher Ruhe geben, bis ich<br />
dich wieder habe.“<br />
Ich nickte.<br />
„Und ich auch nicht.“<br />
Es klang wie ein Schwur.<br />
Es fiel uns schwer, uns von einander zu lösen, aber wir hatten keine Wahl. Jim<br />
schnappte sich unseren Koffer und wir eilten nach unten, wo Jack und Kate bereits warteten.<br />
„Na endlich.“, meinte der Arzt und trieb uns zur Tür hinaus.<br />
Im Auto rutschten Jim und ich ganz dicht aneinander und auf dem Weg zum Airport<br />
schwiegen wir alle. In der Departure Hall stießen wir auf Jin und Sun sowie Sayid und<br />
Hurley.<br />
„Alles in Ordnung bei euch?“, fragte Hurley aufgeregt.<br />
„Ja, wieso?“<br />
Jack sah den jungen Mann erstaunt an.<br />
„Weil uns ein Auto gefolgt ist, und das ist keine paranoide Wahnvorstellung ge-<br />
wesen.“, erklärte Sayid.<br />
Er sah sich um und schüttelte langsam den Kopf.<br />
„Sie scheinen uns nicht hier hinein gefolgt zu sein. Vielleicht wollten sie nur sicher<br />
gehen, dass wir auch wirklich zum Flughafen fahren. Ich gehe jede Wette ein, dass Ben uns<br />
auf der Insel schon sehnsüchtig erwartet.“<br />
Jack zuckte die Schultern.<br />
„Noch hat er uns nicht und wir haben ohnehin keine Wahl. Lasst uns einchecken.“<br />
Wir verteilten uns auf zwei Check-in Schalter und nach einer halben Stunde hatten wir<br />
es alle geschafft. Jack hatte sogar durchgesetzt, die Waffen im Koffer sicher verschlossen mit<br />
an Bord zu bekommen. Die Zeit bis zum boarden saßen wir in einem Cafè und unterhielten<br />
uns über Eloise Hawking und ihre Erklärungen. Und endlich kam der Aufruf an die<br />
Passagiere des Fluges 2712 mit Aluana Airways, sich an Gate 26 einzufinden. Jim griff nach<br />
meiner Hand und hielt sie fest, als habe er Angst, <strong>mich</strong> jetzt schon zu verlieren. Aber auch<br />
Kate und Jack sowie Jin und Sun klammerten sich aneinander. Wir waren hochgradig nervös<br />
und hatten alle Angst.<br />
9) Absturz auf die Insel<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Das Boarden ging schnell, da die Maschine nur halb besetzt war. Wir erreichten<br />
unsere Sitze und machten es uns so bequem wie möglich. Zehn Minuten später bekamen wir<br />
bereits Startfreigabe und die Maschine setzte sich Richtung Flugfeld in Bewegung. Als wir in<br />
der Luft waren, kam die Flugzeugbesatzung herum und brachte uns etwas zu Essen und zu<br />
Trinken. Ich hätte hinterher nicht sagen können, was es gewesen war, dass man uns servierte.<br />
Die Zeit schien deutlich langsamer zu vergehen als üblich. In meinem Magen bildete sich<br />
langsam aber sicher eine eisige Faust, die immer größer zu werden schien. Es war ein sehr<br />
unangenehmes Gefühl, in einem Flugzeug zu sitzen und auf den Absturz desselben zu warten.<br />
Jim schwankte zwischen panischer Nervosität und kompletter Erstarrung. Er tat mir unendlich<br />
leid und ich kuschelte <strong>mich</strong> dicht an ihn, flüsterte ihm zu:<br />
„Es wird schon alles gut gehen, davon bin ich überzeugt. Wir sind zusammen, das ist<br />
doch das Wichtigste.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und ein befreiendes Lächeln huschte über sein Gesicht.<br />
„Da hast du Recht.“<br />
Plötzlich aber wurden seine Augen dunkel.<br />
„Die Frage ist nur, wie lange wir noch zusammen sind.“<br />
Ich schüttelte entschieden den Kopf.<br />
„Da dürfen wir nicht dran denken, wir werden zusammen bleiben.“<br />
Ich wollte nicht an irgendetwas anders denken.<br />
Die Minuten zogen sich weiter zäh wie Kaugummi dahin. Bei jedem noch so kleinen<br />
Ruck des Flugzeuges zuckten wir kollektiv zusammen und atmeten auf, wenn nichts geschah.<br />
Dabei war uns allen klar, dass irgendwann etwas geschehen musste. Wieder gab es einen<br />
Ruck, diesmal einen ziemlich starken. Ich klammerte <strong>mich</strong> an Jim und schloss die Augen.<br />
Doch erneut war es falscher Alarm und der Flieger setzte seinen Weg unverdrossen fort. Ich<br />
hatte inzwischen das Gefühl, jeden Augenblick los schreien zu müssen. Wir waren gute zwei<br />
Stunden unterwegs, was, wenn Eloise sich geirrte hatte?<br />
„Hey, alles in Ordnung?“<br />
Jims Stimme dran wie durch Watte an meine Ohren und ich schreckte hoch.<br />
„Nein, es ist absolut nicht alles in Ordnung.“, antwortete ich müde. „Wir sitzen in<br />
einem Flugzeug und warten darauf, abzustürzen, das kann man wohl kaum in Ordnung<br />
nennen, oder?“<br />
Es grinste <strong>mich</strong> frech an und erwiderte:<br />
„Frag Jack, Sayid, Hurley, Kate und Sun, die haben das schon einmal hinter sich.“<br />
Ich stieß einen kleinen, verzweifelten Lacher aus.<br />
„Wie haltet ihr alle das bloß schon solange alles aus?“, fragte ich.<br />
„Wir saufen heimlich ...“<br />
Jetzt konnte ich wirklich nur noch Lachen. Und war dankbar, dass Jims freche Klappe<br />
<strong>mich</strong> ein wenig ablenkte.<br />
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Ich gab ihm einen Kuss und fragte:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Sag mal, wie seid ihr eigentlich jeweils von der Insel weg gekommen?“<br />
Wir saßen alleine in einer vierer Sitzreihe und hatten daher viel Platz. Jim klappte die<br />
Armlehnen zwischen den Sitzen hoch, machte sich lang und legte seinen Kopf auf meine<br />
Oberschenkel. Erst jetzt antwortete er.<br />
„Naja, Kate, Jack, Hurley, Sun und Sayid sind zusammen mit Aaron und mir beim<br />
ersten Mal mit nem Hubschrauber weg gekommen.“<br />
Ich stutze.<br />
„Du auch?“<br />
Er verzog das Gesicht.<br />
„Nicht wirklich. Es gab einen Kampf um den Hubschrauber, mit den Söldnern, die<br />
auch Bens Tochter erschossen hatten. <strong>Der</strong> Hubschrauber hatte ein paar Schüsse abgekriegt<br />
und verlor Treibstoff, so schlimm, dass wir Ballast abwarfen.“ Er seufzte. „Schließlich ging<br />
nichts mehr und <strong>mich</strong> packte das Heldentum. Ich bat Kate, eine ... sagen wir mal, alte<br />
Freundin, von mir aufzusuchen, die ...“ Er stockte kurz, fuhr aber entschlossen fort: „... die ein<br />
Kind von mir hat. Ich bat Kate, zu ihr zu gehen und ihr auszurichten, wie leid mir alles tat.<br />
Und ihr ne Menge Geld zu bringen. Dann sprang ich aus dem verdammten Hubschrauber und<br />
schwamm zurück auf die Insel.“<br />
Ich wusste nicht, worüber ich erschrockener war: <strong>Über</strong> die Tatsache, dass Jim ein<br />
Kind hatte oder über die Vorstellung, dass er aus einem fliegenden Hubschrauber gesprungen<br />
war. Er sah aus seiner liegenden Position zu mir auf und ich fragte:<br />
„Du hast ein Kind?“<br />
„Ja.“ Er biss sich auf die Lippe und schaute gedankenverloren ins Leere. „Eine<br />
Tochter, um genau zu sein, Clementine. Jedenfalls behauptet meine Ehemalige das. Cassidy<br />
und ich waren ne Zeit lang zusammen. Allerdings muss ich zu meiner Schande gestehen, dass<br />
ich sie nur benutzt hab, ich hab sie nicht geliebt. Sie ist einfach ein weiteres Opfer auf meiner<br />
Liste.“<br />
und sagte:<br />
Unglücklich sah er zu mir hoch und wollte sich aufsetzen, aber ich hielt ihn sanft fest<br />
„Ich habe dir schon gesagt, dass es <strong>mich</strong> nicht stört, was du früher gemacht hast, okay?<br />
Du bist heute nicht mehr der Mann, der all diese Sachen tat. Also, höre bitte auf, deswegen zu<br />
denken, ich würde es dir nachtragen.“<br />
Zärtlich strich ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und er lächelte dankbar.<br />
„Du bist unglaublich. Kate hat nie weggeschaltet, was ich war und bin.“<br />
Er atmete tief durch und fuhr fort:<br />
„Wie gesagt, ob sie wirklich von mir ist, weiß ich nicht. <strong>Der</strong> Zeitraum stimmt aber. Ich<br />
hab ihr ne große Geldsumme zukommen lassen, damit wird sie ein gutes Leben haben. So<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
hartherzig es klingen mag, ich hab kein Interesse für sie, verstehst du das? Ich hab Cass nie<br />
geliebt und zu dem Kind absolut keinen Bezug. Ich denke, sie ist ohne <strong>mich</strong> erheblich besser<br />
dran.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> fast angstvoll an, scheinbar erwartete er eine empörte Reaktion von mir.<br />
Doch die kam nicht.<br />
„Hör zu, Jim, ich kann das verstehen. Du hast weder etwas von ihrer Schwangerschaft<br />
gewusst noch hat sie dich am Leben des Babys teilhaben lassen, wenn ich das richtig verstehe.<br />
Das Kind ist wie ein Fremdes für dich. Diese Cassidy wollte es ganz offensichtlich so.<br />
Vielleicht hat sie jemanden gefunden, der dem Kind ein guter Vater geworden ist, wer weiß.<br />
Womit ich nicht sagen will, dass du kein guter Vater sein würdest, nur, um das klar zu stellen.<br />
Aber es scheint nicht vorgesehen zu sein, dass du das bei Clementine sein sollst. Allerdings<br />
...“<br />
Ich ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und lächelte auf Jim hinab.<br />
„Allerdings was?“, fragte er leise und grinste frech zu mir hoch.<br />
„Allerdings möchte ich auch mal irgendwann Kinder.“<br />
„Oh, da würde ich doch wirklich gerne bei helfen.“, erklärte er schmunzelnd.<br />
Ich beugte <strong>mich</strong> zu ihm herunter und gab ihm einen Kuss. „Da können wir ja bei Ge-<br />
legenheit mal ernsthaft drüber diskutieren.“<br />
Und dann gab es einen so plötzlichen, so heftigen Ruck, dass mir unwillkürlich ein er-<br />
schrockener Aufschrei entwich. Es knisterte und knackte überall im Flugzeug und von einer<br />
Sekunde zur anderen brach sprichwörtlich die Hölle über uns herein! Jim, der ja nicht an-<br />
geschnallt war, wurde an die Flugzeugdecke katapultiert und <strong>mich</strong> hätte es auch aus dem Sitz<br />
gerissen, wäre ich nicht angeschnallt geblieben. Gegenstände flogen umher und ich spürte,<br />
wie <strong>mich</strong> etwas am Kopf streifte. Was mit den anderen geschah, bekam ich nicht mehr mit,<br />
ich schrie nur außer mir:<br />
„Jim!“, und bekam ihn an der Hand zu fassen.<br />
Wir hielten uns so fest es nur ging und ich fummelte mit einer Hand meinen Sicher-<br />
heitsgut auf. Als der Verschluss aufklappte, riss es <strong>mich</strong> endgültig aus dem Sitz und ich<br />
prallte gegen Jim, der immer noch wie von Bändern gehalten über mir an der Decke klebte.<br />
Ich spürte Blut über mein rechtes Auge laufen, krallte <strong>mich</strong> an Jim fest und schloss ver-<br />
zweifelt die Augen. Ich spürte seine Arme fest um meinen Körper geschlungen und dachte<br />
noch<br />
- Wir haben viel zu wenig Zeit gehabt. -<br />
Es gab ein derart grelles Licht, dass ich es durch die geschlossenen Augen wahrnahm.<br />
Eine Art Pfeifen erfüllte plötzlich die Luft, so laut, dass ich vor Schmerzen schrie. Und dann<br />
war es von einer Sekunde zur Anderen vollkommen still um <strong>mich</strong> und ich merkte nichts<br />
mehr...<br />
- 95 -
By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
************<br />
Ich spürte Feuchtigkeit auf mein Gesicht tropfen und stöhnte unwillig auf. Was sollte<br />
das? Wer spritzte <strong>mich</strong> denn nass? Genervt ächzte ich:<br />
„Hört auf, <strong>mich</strong> nass zu spritzen ...“<br />
Aber es hörte nicht auf. Ich vernahm ein Rauschen um <strong>mich</strong> herum und aus den<br />
Spritzern wurde ein Gießen. Mühsam öffnete ich die Augen, bereit, dem Schuldigen ins Ge-<br />
sicht zu springen. Was ich sah, ließ <strong>mich</strong> die Augen gleich wieder schließen. Ich schien zu<br />
Träumen. Vorsichtig öffnete ich die Augen erneut, der Anblick war der Gleiche. <strong>Über</strong> mir sah<br />
ich ein dichtes Blätterdach, aus dem es wie aus Kübeln auf <strong>mich</strong> herunter regnete. Ungläubig<br />
starrte ich nach oben. Minutenlang lag ich so still da. Schließlich versuchte ich vorsichtig,<br />
<strong>mich</strong> zu bewegen. Was war passiert? Mir tat jeder einzelne Knochen im Körper weh und jetzt<br />
spürte ich auch überall mehr oder weniger starkes Brennen. Mühsam hob ich den rechten Arm<br />
und stellte fest, dass er über und über mit kleineren und größeren Schrammen und Kratzern<br />
bedeckt war. Vermutlich sah ich am ganzen Körper so aus, dass würde zumindest das<br />
Brennen erklären. Und nun fiel die Erinnerung so plötzlich über <strong>mich</strong> her, dass ich keuchend<br />
in die Höhe schoss. Ich bereute es sofort, denn mein Schädel schien zu Explodieren. Ich<br />
schaffte es gerade noch <strong>mich</strong> herum zu drehen auf die Knie und musste <strong>mich</strong> heftig über-<br />
geben. Einen Moment blieb ich noch so hocken, dann krabbelte ich durch den Matsch zu<br />
einem kleinen Baum und zog <strong>mich</strong> stöhnend an ihm in die Höhe. Als ich schwankend und<br />
zitternd stand, sah ich <strong>mich</strong> um. Ich war definitiv mitten in einem tropischen Dschungel zu<br />
mir gekommen. Außer Bäumen, Büschen, Lianen sah ich nichts und niemanden. Ich stand da,<br />
starrte in das Grün um <strong>mich</strong> herum und ein verzweifelter Schrei stieg mir in die Kehle.<br />
„JIM!“<br />
************<br />
Jim musste sich mächtig zusammen reißen, um nicht vor Angst zu Schreien. Er klebte<br />
hilflos an der Decke und sah, wie Kelly den Sicherheitsgurt öffnete, der sie im Sitz gehalten<br />
hatte. Er wollte ihr verzweifelt ein - NEIN - zubrüllen, aber er brachte keinen Ton hervor. In<br />
der nächsten Sekunde riss es Kelly auch aus dem Sitz und sie prallte hart gegen ihn. Er spürte,<br />
wie sie sich an ihn klammerte, schlang seine Arme so fest er konnte um ihren schlanken<br />
Körper und schon gab es einen pfeifenden Ton, wie er es von den Zeitsprüngen auf der ver-<br />
fluchten Insel kannte, nur um ein vielfaches lauter. Ein greller Lichtblitz und schon spürte er,<br />
wie er das Bewusstsein verlor. Das Nächste, was er spürte, waren Schmerzen. Nicht unerträg-<br />
lich, aber unangenehm genug. Langsam öffnete Jim die Augen und sah über sich grauen,<br />
Wolken verhangenen Himmel. Himmel, aus dem es kräftig auf ihn herunter regnete. Neben<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
sich hörte er ein Rauschen wie von Wellen und er drehte den Kopf in die Richtung. Keine<br />
zehn Schritte entfernt krachten vom Sturm aufgewühlte Wellen an den Strand. Langsam und<br />
vorsichtig richtete Jim sich auf und stellte dabei fest, dass er sich offensichtlich nichts<br />
gebrochen hatte. Schwankend kam er in die Höhe und sah sich um. Und er brauchte nur einen<br />
Blick, um zu wissen, wo er sich befand. Frustriert lachte er kurz auf.<br />
„Home, sweet home.“<br />
Sein Blick wanderte den Strand entlang nach rechts und auch in die andere Richtung.<br />
Und jetzt wurde ihm schlagartig bewusst, dass er alleine<br />
war. Panisch sah er sich gründlicher um. Keine Spur von<br />
einem anderen Menschen. Wie erstarrt stand Jim am<br />
Strand und brüllte er verzweifelt los.<br />
„KELLY!“<br />
Abgesehen vom lauten Rauschen der Wellen und<br />
dem beinahe ebenso lauten Rauschen des Regens erhielt er keine Antwort. Noch einmal<br />
brüllte er aus voller Kraft: „KELLY!“, aber erneut antwortete ihm nur Schweigen.<br />
Hilflos stand der junge Mann im Regen und versuchte, einen klaren Gedanken zu<br />
fassen. Er wusste nicht, ob Kelly mit auf der Insel gelandet war. Er wusste nicht, ob sie, wenn<br />
ja, in der gleichen Zeit wie er gelandet war. Er wusste nicht, wo sie wenn gelandet war. Und<br />
er wusste nicht, wo er sie suchen sollte. Vollkommen verzweifelt sank er auf die Knie und<br />
stöhnte fassungslos:<br />
lappen!“<br />
„Kelly ...“<br />
Schließlich raffte er sich wieder auf und schnauzte sich selbst an:<br />
„Hör auf, hier rumzuheulen, überleg lieber, wie du sie finden kannst, du Jammer-<br />
Das half. Entschlossen stapfte er los. Er ging nach Norden, ohne dies zu wissen, jede<br />
Richtung war so gut wie die andere. Immer wieder blieb Jim stehen und brüllte nach Kelly,<br />
aber eine Antwort erhielt er nicht. Aber aufzugeben kam für ihn nicht in Frage. Im Moment<br />
waren ihm die Freunde vollkommen egal. Er wollte nur eines: Kelly finden.<br />
Weiter und weiter stapfte er am Strand entlang und hielt verzweifelt Ausschau nach<br />
der jungen Frau. <strong>Der</strong> Regen hörte irgendwann auf und schon kurze Zeit später brach die<br />
Sonne durch die Wolken. Seine Kleidung klebte ihm nass am Körper, aber das beachtete er<br />
gar nicht. Als es zu Dämmern begann, überlegte er hektisch, was er tun sollte. Wenn er weiter<br />
ging, würden ihm eventuelle Spuren entgehen. Wenn er für die Nacht rastete, konnte anderer-<br />
seits mit Kelly sonst was passieren. Er fluchte ungehalten und brüllte erneut nach der jungen<br />
Frau. Und zuckte heftig zusammen. Von irgendwo aus dem Dschungel hörte er eine leise<br />
Antwort. Er rannte los, in das Grün hinein und schrie wieder.<br />
„KELLY?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Irgendwo vor ihm antwortete eine leise Stimme.<br />
„Sawyer?“<br />
So schnell er konnte, rannte er weiter und hörte die Stimme deutlicher.<br />
„Sawyer!”<br />
„Hier!”, schrie er zurück.<br />
Er rannte weiter und sah vor sich Jack aus dem Gebüsch auf sich zu taumeln. <strong>Der</strong> Arzt<br />
sah aus, als wäre er durch Dornen gelaufen. Seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen, er<br />
hatte Schrammen und Kratzer am ganzen Körper, war aber, ähnlich wie Jim, offensichtlich<br />
nicht wirklich verletzt. Keuchend blieben die beiden Männer stehen und Jack fragte:<br />
„Sawyer. Geht es dir gut? Was ist mit den anderen?“<br />
Jim sah Jack an und erklärte:<br />
„Ich bin okay. Du bist der Erste, den ich seh. Keiner von den anderen da?“<br />
Jack schüttelte hoffnungslos den Kopf.<br />
„Ich suche schon seit Stunden.“<br />
Jim nickte.<br />
„Ich auch.“<br />
Verzweifelt fuhr er sich mit den Händen durch die Haare.<br />
„Doc, ich muss sie finden, verstehst du? Ich muss.“<br />
Jack nickte.<br />
„Wir bleiben zusammen und suchen alle gemeinsam, bis wir sie gefunden haben.“<br />
„Wir wissen ja nicht einmal, ob alle hier sind und noch weniger, ob alle leben ...“, stieß Jim<br />
kläglich hervor.<br />
Jack sah ihn an und senkte mutlos den Blick.<br />
************<br />
Kate hatte das Gefühl, der Boden schwanke unter ihr. Sie versuchte, sich zu bewegen<br />
und plötzlich hörte sie eine panische Stimme von weit unter sich: „Kate. Um Gottes Willen,<br />
bewege dich nicht! Bleibe ganz still liegen. Ich hole dich da runter. Rühre dich nicht.“<br />
Eindringlich klang die Stimme und Kate erstarrte in der Bewegung. Vorsichtig öffnete sie die<br />
Augen. Und erschrak heftig. Sie lag in einem Baum. Ziemlich weit oben, wenn sie das richtig<br />
deutete. Entsetzt wimmerte die junge Frau auf. Sofort war wieder die Stimme da, diesmal<br />
deutlich näher, aber immer noch unter ihr.<br />
„Bleibe ganz ruhig. Ich bin gleich bei dir.“<br />
„Sayid?“<br />
„Ja, Kate, keine Panik, wir schaffen das, halte nur noch einen Moment aus.“<br />
Reglos blieb Kate liegen und hörte es schließlich knapp unter sich rascheln.<br />
„Ich bin gleich da, Sekunde.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Hektisch versuchte Kate, mit den Augen Sayid auszumachen und endlich sah sie ihn.<br />
Dicht am Baumstamm setzte er sich gerade rittlings auf den Ast, auf dessen verzweigten Ende<br />
sie offensichtlich lag. <strong>Der</strong> Iraker hielt sich mit der Linken an einem weiteren Ast fest. Er<br />
rutschte so weit nach vorne, wie es seine Armlänge erlaubte. Er streckte sich und sagte ruhig:<br />
„Greif nach meiner Hand, Kate. Mach schon, wir schaffen das!“<br />
Zitternd und sehr langsam und vorsichtig streckte Kate ihre Linke aus und wimmerte<br />
leise vor Angst. Sie wusste nicht, wie tief es unter ihr herum ging, aber wenn sie die Sorge in<br />
Sayids Stimme richtig deutete, ziemlich tief. Jetzt konnten ihre Fingerspitzen Sayids Hand<br />
berühren. Noch ein wenig streckte Kate sich und endlich schlossen sich die kräftigen Finger<br />
des Irakers fest um ihre Hand und er sagte angespannt:<br />
„Halte dich einfach fest, es wird einen ziemlichen Ruck geben.“<br />
Kate nickte verängstigt. Sie spürte, wie Sayid sie mit einer heftigen Zugbewegung auf<br />
sich zu riss. Sie fühlte die Zweige unter sich nachgeben, spürte, dass sie durch die Blätter<br />
rutschte und schrie entsetzt auf. Doch Sayid hatte sie sicher gepackt. Langsam, Millimeter für<br />
Millimeter, zog er sie zu sich und schließlich konnte Kate selbst nach einen festen Ast greifen<br />
und war in Sicherheit.<br />
Fünf Minuten später standen die Beiden keuchend<br />
vor Anstrengung, aber erleichtert, am Boden.<br />
...“<br />
„Ich danke dir!“, stieß Kate inständig hervor. „Ich<br />
Sayid kam langsam wieder zu Atem und nickte.<br />
„Ist schon gut, alles in Ordnung bei dir?“<br />
Kate sortierte schnell ihre Knochen durch, aber abgesehen von Prellungen und<br />
Kratzern war sie unverletzt.<br />
„Ja, soweit alles in Ordnung. Und du?“<br />
„Bei mir auch.“<br />
Kate sah sich suchend um.<br />
„Wo sind die anderen?“<br />
Sayid zuckte die Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Ich bin zu mir gekommen, dort<br />
drüben und habe dich in dem Baum gesehen, das war alles, was ich bisher entdeckt habe.“<br />
Kate stöhnte entsetzt auf.<br />
„Jack ... Sawyer ... Wir müssen sie finden, Sayid.“<br />
<strong>Der</strong> Iraker nickte.<br />
„Wenn sie hier bei uns sind, werden wir das auch.“, erklärte er fest.<br />
Er sah sich um und schüttelte den Kopf.<br />
„Diesen Teil der Insel erinnere ich nicht, hier sind wir nie gewesen. Ich denke, es ist<br />
das Beste, wenn wir zum Strand gehen.“<br />
Kate nickte.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Dort würden wir uns am leichtesten finden. Gut, welche Richtung?“<br />
Sie sah sich um und versuchte, sich zu Orientieren.<br />
„Die Berge dort im Osten ... Sie sehen aus wie die Berge, die wir damals beim Golfen<br />
gesehen haben.“, meinte Kate plötzlich.<br />
Sayid sah sie fragend an.<br />
„Was? Beim Golfen?“<br />
Kate nickte.<br />
„Ja, als du unterwegs warst, die Insel zu erkunden ... Alle waren total fertig und<br />
Hurley hatte die Idee, einen Golfplatz zu bauen. Leider ist es nur bei einem Loch geblieben,<br />
aber für ein paar herrliche Stunden hatten wir alle Ablenkung ... Ich bin sicher, dass es die<br />
Berge sind. Dann müssen wir nur nach Westen gehen und stoßen früher oder später auf das<br />
Camp am Strand.“<br />
„Oder auch nicht, Kate. Wir wissen nicht, wann wir sind.“<br />
Kate nickte.<br />
„Das ist richtig, aber wir werden auf den Strand stoßen und dann können wir von dort<br />
nach Jack und den anderen suchen.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Du hast Recht. Also, lass uns aufbrechen.“<br />
************<br />
Ich stand im Regen und schrie ein ums andere Mal verzweifelt nach Jim, erhielt aber<br />
keine Antwort. Panik drohte <strong>mich</strong> zu überschwemmen. Ich kannte die verdammte Insel nicht,<br />
wusste nicht, nach welchen Landmarken ich <strong>mich</strong> wohin orientieren sollte, wusste nicht, wo<br />
Gefahren lauerten, wusste nicht, wie groß diese verdammte Insel überhaupt war, wusste nicht<br />
einmal, wohin ich <strong>mich</strong> wenden sollte, um vielleicht an den Strand zu gelangen. <strong>Der</strong> Strand.<br />
Irgendwo in meinem Gedächtnis klingelte etwas. Das Camp, dass sie damals nach dem Ab-<br />
sturz errichtet hatten, Jim hatte erzählt, es hätte an der Westküste ziemlich weit unten im<br />
Süden der Insel gelegen. Ich zwang <strong>mich</strong>, rational nachzudenken. Hier im Inselinneren war es<br />
erheblich schwerer, jemanden zu finden als am Strand. Hier konnten wir quasi in zwanzig<br />
Metern Abstand aneinander vorbei gehen und wir würden den Anderen nicht sehen können.<br />
Die sinnvollste Lösung war es wirklich, den Strand aufzusuchen. Ich betete zu Gott, dass,<br />
wenn Jim auch hier war, er auf denselben Gedanken kommen würde und sah <strong>mich</strong> suchend<br />
um. Ich hatte keine Ahnung, wo Westen war. Verdammter Regen! Ich hatte von meinem<br />
Großvater gelernt, <strong>mich</strong> an der Sonne zu orientieren. Aber wenn diese nicht schien, war es<br />
schwierig. Ich sah auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass es nach LA Zeit 15.40 Uhr<br />
war. Aber das musste nicht für die Insel gelten. Hektisch überlegte ich und marschierte los.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich hatte beschlossen, eine Lichtung zu suchen und dort bis zum Morgen zu warten. Wenn die<br />
Sonne aufging, würde ich wissen, wo Osten war.<br />
Etwa eine Stunde kämpfte ich <strong>mich</strong> durch den dichten Dschungel, dann hörte endlich<br />
der Regen auf und die Sonne schimmerte durchs Blätterdach über mir. Ich stapfte weiter und<br />
schließlich lichtete sich der Wald vor mir. Ich trat auf eine weite Hochebene hinaus. Hier sah<br />
ich <strong>mich</strong> gründlich um. Links von mir türmte sich eine Bergkette ziemlich hoch auf. Hinter<br />
mir war der Dschungel und auch rechts sah ich Berge aufragen. Nur vor mir war der Weg frei.<br />
Ich lief los und als es dämmerte, hatte ich rechts die Berge hinter mir gelassen. Eine schmale<br />
Schneise führte leicht bergab und wenn die Sonne hier nicht anders verlief als im Rest der<br />
Welt, musste dort Westen sein, denn die Sonne ging genau dort in einem glutroten Ball lang-<br />
sam unter. Ich dankte Gott dafür, dass der Regen aufgehört hatte, so brauchte ich nicht bis<br />
zum Morgen warten, um die Himmelrichtung zu Orten. Ich lief weiter, bis es so dunkel war,<br />
dass ich nichts mehr sehen konnte. Im Schutz einiger Bäume sank ich auf den Boden und<br />
rollte <strong>mich</strong> im Gras zusammen. Ich dachte an Jim und konnte die Tränen nicht mehr zurück<br />
halten. Gedanken wie<br />
- Er kann genauso gut tot sein. -<br />
- Du weißt ja nicht mal, ob er hier in dieser Zeit ist. -<br />
- Vielleicht liegt er irgendwo schwer verletzt herum und wartet auf dich. -<br />
schossen mir durch den Kopf und trieben <strong>mich</strong> fast in den Wahnsinn. Ich schluchzte<br />
heftig vor <strong>mich</strong> hin und schließlich weinte ich <strong>mich</strong> in einen Schlaf der völligen Erschöpfung.<br />
************<br />
„Ich glaube es ja nicht. Da ist der Strand.“<br />
Sayid rannte die letzten Schritte, dicht gefolgt von Kate. Die Sonne war vor etwa einer<br />
Stunde unter gegangen, aber sie waren weiter gelaufen. Jetzt erkannte auch Sayid die Um-<br />
gebung und musste zugeben, dass Kate Recht gehabt hatte. Hier hatten sie nach dem Absturz<br />
gelebt. Sie erkannten immer mehr Punkte wieder und schließlich erreichten sie den Strand,<br />
ziemlich genau an der Stelle, wo das Wrack des Flugzeuges gelegen hatte.<br />
Kate mutlos.<br />
„Es ist nicht da.“, stellte Kate sachlich fest.<br />
„Dann sind wir auf jedem Fall irgendwann davor.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Sollte man meinen.“<br />
Müde sank er in den noch leicht warmen Sand.<br />
„Hoffentlich kommen alle auf die Idee, an den Strand hinunter zu gehen.“, seufzte<br />
„Das denke ich doch. Wenn sie in der Lage sind ...“<br />
- 101 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Sayid starrte auf das dunkle Wasser hinaus. Falls sie die Freunde wiederfinden<br />
würden, mussten sie als nächstes überlegen, wie sie heraus finden konnten, wann sie waren.<br />
Das war auch keine leichte Aufgabe. Es war ja nicht gerade so, dass die psychopathischen<br />
Bewohner dieser verdammten Insel Fremde mit offenen Armen empfingen. Kate setzte sich<br />
neben den Iraker und seufzte.<br />
„Er liebt sie.“, sagte sie leise.<br />
Sayid verstand nicht, wovon Kate redete und sah sie fragend an.<br />
„Wer liebt wen?“<br />
„Sawyer. Er liebt Kelly. Er hat es mir gesagt.“<br />
Sayid nickte verstehend.<br />
„Und das gefällt dir nicht?“<br />
Kate seufzte erneut.<br />
„Ich weiß es nicht. Ich liebe Jack. Aber ...“<br />
„Kate, höre mir bitte mal zu. Du hast dir Sawyer all die Zeit hier auf der Insel an der<br />
langen Leine gehalten. Immer, wenn du dich über Jack geärgert hast, hast du Sawyer benutzt.<br />
Er hat dich geliebt, Kate. So sehr geliebt, dass er es mit sich hat machen lassen, in der<br />
Hoffnung, dass du ihn eines Tages auch wirklich lieben würdest.“<br />
Sayid sah Kate im Dunkeln an.<br />
„Weißt du, ich habe dich damals im Hatch, an Sawyers Bett, ungewollt belauscht. Du<br />
hast ... zu jemandem namens Wayne gesprochen. Du sagtest, dass du es hasst, dass er ein Teil<br />
von dir ist und immer sein wird. Dass du seinetwegen nie etwas Gutes tun oder haben wirst.<br />
Und dann sagtest du, dass du jedes Mal, wenn du Sawyer anschaust und etwas für ihn<br />
empfindest, diesen Wayne vor dir siehst und dass dich das krank machen würde. Erinnerst du<br />
dich?“<br />
Kate nickte.<br />
„Kate, du wärest nie im Stande gewesen, Sawyer vollkommen unvoreingenommen zu<br />
lieben. Ich kann dir nicht beantworten, ob du Jack wirklich aus tiefstem Herzen liebst, aber du<br />
hast immer nach Höherem als Sawyer gestrebt. Ich weiß nicht, ob Kelly Sawyers Vergangen-<br />
heit kennt, glaube aber, ja. Sie liebt ihn scheinbar aufrichtig, ohne ständig daran zu denken,<br />
was er war, was er getan hat. So, wie Nadja <strong>mich</strong> unvoreingenommen geliebt hat, obwohl<br />
auch sie genau wusste, was ich bin. Und Kate, ich bin ganz ehrlich, auch, wenn Sawyer und<br />
ich nie Freunde sein werden, das ist die Frau, die er mehr als verdient. Eine Frau, die in ihm<br />
immer nur das sieht, was er einmal war, ist nicht gut für ihn. Lasse ihn gehen und finde dein<br />
Glück bei Jack, sonst bist du es am Ende, die alleine zurück bleibt.“<br />
10) Vereint<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Am Morgen nach diesem Gespräch wachte Kate auf und wusste einen Augenblick<br />
nicht, wo sie war. Verwirrt sah sie sich um, dann kamen die Erinnerungen an den Vortag mit<br />
Macht zurück. Sayid kam gerade hinter ihr aus dem Dschungel, zwei große Mangos in der<br />
Hand. Er warf Kate eine zu und sagte:<br />
„Frühstück.“<br />
Kate fing das Obst geschickt auf und fragte:<br />
„Hast du ein Messer?“<br />
Sayid schüttelte den Kopf.<br />
„Natürlich nicht, bei den Kontrollen heutzutage ...“<br />
Also mussten sie die Mangos mit den Fingern und Zähnen schälen. Während sie ihre<br />
Früchte aßen, suchten ihre Blicke immer wieder den Waldsaum ab.<br />
„Wollen wir hier warten oder am Strand entlang gehen?“, fragte Kate schließlich.<br />
Sayid überlegte. Dann meinte er langsam:<br />
„Ich denke, wir sollten eine Weile warten, wir wissen nicht, wo die anderen wenn<br />
überhaupt gelandet sind. Lassen wir ihnen ein wenig Zeit, uns zu erreichen, ja?“<br />
Gestresst nickte Kate.<br />
„Aber vielleicht könnte einer von uns ein Stück den Strand hinauf oder hinunter<br />
gehen? Möglich, dass wir so auf jemanden stoßen.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Das ist eine gute Idee. Geh du zuerst, aber nicht weiter, als so, dass du mittags wieder<br />
hier bist. Ich werde dann am Nachmittag die andere Richtung nehmen.“<br />
Kate sprang auf.<br />
„Okay, dann mache ich <strong>mich</strong> auf die Socken. Bis später.“<br />
Sie eilte los, den Strand entlang, Richtung Norden und Sayid sah ihr besorgt nach. Sie<br />
wussten nicht, welche Gefahren jetzt hier lauerten. Aber dem Iraker war klar, dass Kate<br />
durchaus auf sich aufpassen konnte, das hatte sie mehr als einmal bewiesen. Er setzte sich in<br />
den Sand und richtete sich auf eine lange Wartezeit ein.<br />
************<br />
Ich wachte von lautem Vogelgezwitscher auf und hatte für eine Sekunde den Ge-<br />
danken, wieder in der Hütte zu sein. Als ich verwirrt die Augen aufschlug, wurde ich schnell<br />
eines Besseren belehrt. Ich war auf der Insel. Und ich hatte Jim verloren. Hastig rappelte ich<br />
<strong>mich</strong> auf die Füße und marschierte wieder los, weiter Richtung Westen. Ich rief immer wieder<br />
nach Jim, aber das Resultat war das Gleiche wie am Tage zuvor. Geradezu höhnisch schwieg<br />
<strong>mich</strong> die einzigartige Natur um <strong>mich</strong> herum an. Ich hatte Hunger und Durst, aber darauf<br />
achtete ich nicht. Ich hatte nur noch den einen Wunsch,<br />
Jim zu finden, lebend und halbwegs gesund. Plötzlich<br />
- 103 -
By<br />
Frauke Feind<br />
hatte ich das Gefühl, vor mir ein Rauschen zu hören und hastete eilig weiter. Vielleicht hatte<br />
ich endlich den Strand erreicht. Und dann endete der kleine Pfad, auf dem ich <strong>mich</strong> vorwärts<br />
bewegte, tatsächlich an einem herrlichen, weißen Strand. Wäre die Lage nicht so schlimm<br />
gewesen, man hätte denken können, im Paradies gelandet zu sein. Ich trat auf den weißen<br />
Sand hinaus und ging bis zum Wasser hinunter. Hoffnungsvoll sah ich <strong>mich</strong> um. Und hätte<br />
vor Erleichterung fast aufgeschluchzt.<br />
„Sayid!“<br />
Ich rief den Namen des Irakers und dieser fuhr herum.<br />
„Kelly. Bist du in Ordnung?“<br />
Wir eilten aufeinander zu und standen gleich darauf vor einander.<br />
„Hast du Jim gesehen?“, stieß ich aufgeregt hervor und packte Sayid an den Armen.<br />
Bedauernd schüttelte er den Kopf.<br />
„Es tut mir so leid, nein, ich habe bisher nur Kate getroffen. Sie ist am Strand entlang<br />
nach Norden unterwegs, müsste aber bald zurückkommen, wir hatten vereinbart, dass sie bis<br />
Mittag wieder hier sein soll.“<br />
Meine anfängliche Erleichterung machte sofort wieder einer tiefen Verzweiflung<br />
Platz. So grausam konnte das Schicksal einfach nicht sein! Es konnte nicht zulassen, dass Jim<br />
und ich uns für wenige, glückliche Stunden fanden, um uns gleich wieder zu verlieren. Es<br />
hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mit dem Fuß aufgestampft.<br />
„Ich muss ihn finden. Ich muss einfach. Ich werde nicht aufgeben, und wenn ich diese<br />
ganze beschissene Insel Stein für Stein absuchen muss!“, stieß ich wütend hervor.<br />
zweifeln.“<br />
Sayid sah <strong>mich</strong> an und sagte beruhigend:<br />
„Kelly, wir werden sie finden, wenn sie hier sind, daran darfst du keine Sekunde<br />
Ich atmete tief ein und nickte. Sayid fragte <strong>mich</strong>:<br />
„Hast du Hunger?“<br />
Ich nickte erneut.<br />
„Ja, und wie. Und Durst. Wo ist die Bar?“<br />
Er zeigte auf einen kleinen Stapel Mangos und erklärte:<br />
„Eine etwas einseitige Diät, aber besser als gar nichts.“<br />
Zusammen gingen wir zu dem kleinen Haufen hinüber und ich griff mir eine der<br />
Früchte. In Ermangelung eines Taschenmessers musste auch ich mit Fingern und Zähnen vor-<br />
lieb nehmen. So schälte ich die Frucht. Dann biss ich hinein und aß sie ganz auf. Durch den<br />
Saft war auch mein Durst ein wenig gestillt. Als ich gerade fertig war, kam Kate eilig auf uns<br />
zu. Sie sah <strong>mich</strong> und in ihrem Gesicht spiegelten sich sowohl echte Erleichterung als auch ein<br />
wenig Widerwillen.<br />
sehen?“<br />
„Kelly, Gott sei Dank. Wo kommst du her? Hast du etwas von Sawyer oder Jack ge-<br />
- 104 -
Ich schüttelte den Kopf.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Dann wäre ich kaum alleine hier.“, sagte ich bedrückt.<br />
„Natürlich nicht, du hast Recht.“<br />
Kate sank müde in den Sand und erklärte:<br />
„Ich habe keine Spur von ihnen gesehen.“<br />
Sayid seufzte.<br />
„Dann werde ich <strong>mich</strong> auf den Weg machen, nach Süden den Strand entlang.<br />
Vielleicht habe ich ja mehr Glück.“<br />
Er wandte sich um und sah den Strand hinunter.<br />
„Ich bin bei Dämmerung zurück. Passt auf euch auf.“<br />
„Du auch.“<br />
Sayid nickte, dann marschierte er los. Schnell verloren wir ihn aus den Augen. Ich<br />
schüttelte den Kopf und erklärte:<br />
„Ich kann hier nicht untätig herumsitzen. Ich werde <strong>mich</strong> ein wenig umschauen.“<br />
Kate schien meiner Stimme anzuhören, dass es keinerlei Sinn hatte, <strong>mich</strong> aufzuhalten.<br />
So nickte sie und sagte dann:<br />
„Pass auf dich auf, okay. Es gibt hier Gefahren, die du nicht kennst. Wenn du ein<br />
lautes Brüllen hörst, versuche, dich in irgendetwas zu verstecken. Es gibt bei größeren<br />
Bäumen Zwischenräume zwischen den Wurzeln, da kann man sich gut verstecken.“<br />
„Okay, werde ich mir merken. Drück mir die Daumen.“<br />
Ich sah <strong>mich</strong> um und konnte über den Baumwipfeln die Kuppe des Berges erkennen,<br />
den ich umgangen hatte und prägte mir diese Landmarke genau ein. Dann marschierte ich los,<br />
in den Dschungel.<br />
Als es dunkel wurde, meinte Jack:<br />
************<br />
„Wir sollten Rasten, es hat keinen Sinn, wenn wir im Stockfinsteren hier herum<br />
stolpern und uns den Hals brechen.“<br />
Widerwillig stimmte Jim zu. Jack gab zu bedenken:<br />
„Wir könnten auch etwas übersehen, vergiss das nicht.“<br />
„Ja, ja, ist ja schon gut, Jacko. Ich hab‟s kapiert.“, schnaufte Jim und ließ sich ächzend<br />
ins Gras sinken.<br />
Sie hatte gerade eine kleine Ebene überquert und das Gefühl gehabt, die Gegend<br />
wieder zu erkennen.<br />
„Ich denk, wir sind in der Nähe der Höhle.“, meinte Jim und sah im immer schneller<br />
schwindenden Licht des Tages zu Jack hinüber, der sich ebenfalls ins warme Gras gesetzt<br />
hatte.<br />
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Dieser nickte verhalten.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Kann sein, mir kommt es hier auch irgendwie vertraut vor.“<br />
Sie hatten sich vor Stunden darauf geeinigt, zum Strand zu marschieren. Jim hatte<br />
argumentiert, dass es sehr viel einfacher wäre, sich dort zu finden, als im Dschungel herumzu-<br />
irren. Jack hatte dem nichts entgegen zu setzen und so waren die Männer los marschiert. Erst,<br />
als die Sonne langsam begann, unter zu gehen, hatten sie eine feste Richtung erkannt, in der<br />
sie sich eilig auf den Weg gemacht hatten.<br />
Jim machte es sich so bequem wie möglich und fragte Jack:<br />
„Hey, Doc. Meinst du, wir finden sie?“<br />
„Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Wenn sie hier und jetzt auch auf der Insel sind und<br />
zwar lebend, werden wir sie früher oder später wohl finden, so groß ist die Insel nicht. Aber<br />
das kann dauern.“<br />
Jim stimmte dem Arzt gedanklich zu. Ein leises Stöhnen entrang sich seinen Lippen,<br />
ein Stöhnen der Verzweiflung.<br />
„Hat dich ganz schön erwischt, was?“, fragte Jack mitleidig.<br />
Jim zuckte ertappt zusammen.<br />
„Ja, und?“<br />
Jack lachte leise.<br />
„Nichts, und. Oder doch. Ich ... Ach, verdammt. Ich war all die Jahre eifersüchtig auf<br />
dich, weil ich nie sicher war, was Kate ... Vergiss es.“<br />
Er unterbrach sich ärgerlich und machte sich lang.<br />
„Sie hat dich immer wesentlich mehr geliebt als <strong>mich</strong>.“, sagte Jim ruhig und war er-<br />
staunt, dass ihm die Worte leicht und problemlos über die Lippen kamen. „Jetzt hast du<br />
keinen Grund mehr, eifersüchtig zu sein. Ich bin wirklich fertig mit Kate, für immer. Sie ge-<br />
hört dir, wie du sie hältst ist dein Problem.“<br />
Er lachte leise.<br />
„Weißt du, Doc, es ist schon komisch. Da hab ich sie jahrelang an gesabbert und plötz-<br />
lich ist es weg, das Gefühl, als wäre es nie da gewesen. Und zwar richtig weg, nicht wie bei<br />
Juliet, wo ich mir drei Jahre lang was vorgemacht hab. Kelly weiß alles über <strong>mich</strong>, über<br />
meine Vergangenheit. Ich hab ihr alles erzählt, wir hatten ja in der verdammten Hütte Zeit<br />
genug, als ich da nutzlos herumlag. Ich weiß nicht mal, warum ich ihr alles gesagt hab. Und<br />
sie ... naja, sie wirft es mir nicht vor, was ich mal war. Verstehst du?“<br />
Preis!<br />
Er schwieg und seine Gedanken kreisten um Kelly. Er musste sie finden, um jeden<br />
Noch vor Sonnenaufgang waren die Männer wieder unterwegs. In der Dämmerung<br />
waren sie aufgebrochen und kamen wegen der dichten Vegetation nur langsam und mühselig<br />
voran. Sie waren scheinbar doch noch weiter von der Höhle entfernt gewesen als sie ver-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
mutete hatten. Am frühen Nachmittag stolperten sie endlich über den kleinen Teich mit dem<br />
Wasserfall, den Jim und Kate damals entdeckt hatten. Sie machten kurz Rast, dann stiefelten<br />
sie erschöpft und hungrig weiter. Als sie durch ein besonders dickes Gestrüpp turnten, wurde<br />
der Boden plötzlich stark abschüssig. Und ehe Jim noch richtig wusste was geschah rutschte<br />
er aus und rollte sich überschlagend, immer schneller werdend Hang abwärts. Jack brüllte<br />
erschrocken:<br />
„Sawyer!“, und hastete so schnell er konnte hinterher.<br />
Er wusste plötzlich genau, wo sie waren. Hier war er damals auf der Suche nach<br />
seinem toten Vater fast in eine Schlucht gestürzt und genau auf diese Schlucht rollte Jim zu!<br />
Jim versuchte verzweifelt, irgendwo Halt zu finden, aber er schaffte es nicht. Und<br />
dann war der Boden unter ihm urplötzlich zu Ende. Er fiel! Panisch griff er nach einer<br />
Wurzel, die aus der Felswand vor ihm ragte und seine Hände bekamen diese im letzten<br />
Moment zu fassen. Schwer klatschte er gegen den Fels und keuchte vor Schmerzen auf. Er<br />
hörte Jack einen Meter über sich rufen.<br />
herunter.<br />
„Sawyer!“<br />
„Ich bin hier ... Verdammt, hol <strong>mich</strong> hier raus.“<br />
<strong>Über</strong> ihm erschien Jacks Kopf und starrte aus schreckgeweiteten Augen zu ihm<br />
„Halt dich fest. Ich hole dich hoch!“<br />
„Geht das vielleicht n bisschen schneller, verflucht, ich kann <strong>mich</strong> nicht mehr halten.“<br />
Jack legte sich auf den Bauch und glitt langsam weiter nach vorne. Und keuchte im nächsten<br />
Moment erschrocken auf, als auch er ins Rutschen kam. Heftig zuckte er zusammen, als er<br />
spürte, dass ihn jemand an den Beinen fest hielt. Er hörte eine Stimme hinter sich, zitternd vor<br />
Anstrengung.<br />
„Mach schon ...“<br />
Er streckte sich noch ein wenig und endlich<br />
konnte er Jim erreichen. Die Männer krallten ihre<br />
rechten Hände ineinander und dann begann Jack lang-<br />
sam und unter unglaublicher Kraftanstrengung, Jim<br />
hoch zu ziehen. Mehr als einmal dachte er, er würde<br />
es nicht schaffen, aber schließlich merkte er, dass er nicht mehr rutschte und dann lag plötz-<br />
lich Kelly neben ihm und schrie nach unten:<br />
„Nimm meine Hand. Nun mach schon!“<br />
Jim glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Da lag Kelly plötzlich neben Jack<br />
und hielt ihm die Rechte hin. Er zögerte, aber Kelly brüllte ihn an:<br />
„Nun mach schon, verdammt!“<br />
Und endlich griff er zu. Keiner der Drei hätte später sagen können, wie sie es<br />
schafften, aber schließlich lag Jim keuchend und vor Anstrengung am ganzen Leib zitternd<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
auf dem sicheren Boden und im nächsten Moment bereits in Kellys Armen. Jack rollte sich<br />
auf den Rücken und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er war fertig. Und neben ihm<br />
hockten Jim und Kelly auf den Knien und umklammerten sich, als wollten sie sich nie wieder<br />
los lassen.<br />
************<br />
Ich kämpfte <strong>mich</strong> durch den dichten Dschungel und suchte hoffnungslos nach Jim. Ob<br />
es überhaupt Zweck hatte, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich ihn niemals aufgeben<br />
würde. Und so arbeitete ich <strong>mich</strong> weiter vor, immer wieder die Richtung wechselnd. Ab und<br />
zu rief ich laut nach Jim, erhielt aber keine Antwort. Als ich schon überlegte, umzudrehen,<br />
hatte ich urplötzlich das eigenartige Gefühl, noch ein Stück weiter gehen zu müssen. Es war<br />
wie ein Zwang und ich beschloss, diesem nachzugeben. Ich hatte <strong>mich</strong> immer auf mein<br />
Bauchgefühl verlassen können, warum sollte es <strong>mich</strong> jetzt trügen? Etwas schneller ging ich<br />
weiter und dann hörte ich plötzlich vor mir Stimmen. Jemand rief laut:<br />
„Sawyer!“<br />
Ich hetzte los.<br />
- Bitte, lieber Gott, lass es Jim sein! -<br />
Ich eilte vorsichtig weiter, weil es hier sehr steil bergab ging und sah plötzlich Jack,<br />
der am Boden lag und sich auf einen klaffenden Spalt im Boden zu schob. Er kam ins<br />
Rutschen und ich warf <strong>mich</strong> hinter ihm auf den Boden, bekam seine Beine zu fassen und legte<br />
<strong>mich</strong> hin, stemmte <strong>mich</strong> verzweifelt gegen den Zug. Millimeterweise schob er sich zurück<br />
und als ich das Gefühl hatte, er rutsche nicht mehr, ließ ich ihn los und legte <strong>mich</strong> bäuchlings<br />
neben ihn. Mein Herz übersprang ein paar Schläge, als ich vielleicht fünfzig Zentimeter unter<br />
mir Jim an Jacks Hand hängen sah. Ich streckte <strong>mich</strong> und keuchte<br />
„Nimm meine Hand. Nun mach schon!“<br />
Jim sah zu mir auf und seine Augen weiteten sich. Er zögerte und ich brüllte ver-<br />
zweifelt erneut:<br />
„Nun mach schon, verdammt!“<br />
Und endlich griff er ächzend zu und ich spürte seine Hand in meiner. Langsam<br />
schoben Jack und ich uns fast millimeterweise zurück und schließlich lag Jim mit dem Ober-<br />
körper wieder auf festem Boden. Und dann streckte er sein Bein aus und schwang es ebenfalls<br />
auf den Boden und gleich darauf lag er keuchend und zitternd zwischen uns.<br />
Ich schluchzte hysterisch auf und schon lag ich in seinen Armen. Ich hatte ihn wieder.<br />
Lebend. Ich konnte es kaum fassen. Ich küsste sein schweißnasses Gesicht, alles, was ich er-<br />
reichen konnte. Und schmeckte Tränen, die ihm genauso über die Wangen kullerten wie mir.<br />
Es dauerte einige Minuten, bis wir uns wenigstens soweit erholt hatten, dass wir alle drei auf<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Händen und Knien vom Schluchtrand weg krabbeln konnte. Als wir in Sicherheit waren,<br />
lagen Jim und ich uns bereits wieder in den Armen und er stotterte überwältigt:<br />
„Ich hab dich wieder. Du lebst. Gott, ich dachte, ich hätte dich verloren.“<br />
Ich lachte und weinte gleichzeitig und stieß hervor:<br />
„Ich bin fast durchgedreht. Ich dachte, ich sehe dich nie wieder.“<br />
Ganz allmählich beruhigten wir uns etwas und Jim erwiderte:<br />
„Das dachte ich auch. Ich ...“<br />
Er fand keine passenden Worte, aber das brauchte er auch nicht, seine Augen<br />
spiegelten überdeutlich wieder, was er fühlte. Schließlich räusperte Jack sich leise und fragte:<br />
„Hast du Kate oder einen von den Anderen gefunden?“<br />
Noch in Jims Armen hängend erwiderte ich:<br />
„Ja, Kate und Sayid sind am Strand. Ich habe sie dort heute Vormittag gefunden. Von<br />
Jin, Sun und Hurley haben wir aber keine Spur gefunden.“<br />
Ich stand vorsichtig auf und zog Jim ebenfalls auf die Beine. Auch Jack stemmte sich<br />
hoch und sagte:<br />
„Okay, lasst uns an den Strand gehen.“<br />
Nur zu gerne stimmten wir zu.<br />
So machten wir uns nun zu dritt auf den Rückweg zum Strand, den wir vielleicht eine<br />
Stunde später erreichten, etwas nördlich des Abschnitts, an dem Kate und Sayid warteten.<br />
Hier endlich konnten Jim und ich eng umschlungen gehen und Jack hielt sich ein wenig<br />
abseits, er wollte uns die stille Zweisamkeit scheinbar gönnen. Durch den Sand zu stapfen war<br />
fast anstrengender, als sich durch den Dschungel zu kämpfen und als wir endlich vor uns Kate<br />
und Sayid auftauchen sahen, war ich mehr als dankbar, denn Jim sah inzwischen ziemlich<br />
erledigt aus. Er hatte sich wunderbar erholt, aber ganz waren die Nachwirkungen der Ver-<br />
letzungen nicht aus ihm verschwunden. Es war auch einfach viel zu viel geschehen, seit er bei<br />
mir in der Hütte aufgewacht war. Er hatte nicht wirklich Gelegenheit gehabt, sich in aller<br />
Ruhe zu erholen. Die ständige Bedrohung, bis wir in LA angekommen waren, und all das,<br />
was seither passiert war, zerrte an unserer aller Kräfte und an Jims besonders. Kate und Sayid<br />
sahen uns ziemlich im selben Moment wie wir sie und die Beiden sprangen auf. Kate rannte<br />
uns entgegen und es schien, als würde sie sich erst im letzten Moment entscheiden können,<br />
doch Jack in die Arme zu fallen und nicht Jim.<br />
„Endlich. Ich hatte solche Angst, dass dir was passiert ist oder du gar nicht erst mit<br />
hier gelandet bist.“, keuchte sie atemlos. „Geht es euch gut?“<br />
haben.<br />
Die Männer nickten.<br />
„Ja, Kate es ist alles in Ordnung.“<br />
Jack hielt Kate fest im Arm und es war zu spüren, wie erleichtert er war, sie wieder zu<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Gut dass ihr noch in einem Stück seid.“, schmunzelte Sayid und erklärte: „Ich bin<br />
eine ganze Ecke nach Süden, habe aber keine Spur von Jin, Sun oder Hurley gefunden. Ihr<br />
habt auch nichts von ihnen gesehen, darf ich annehmen?“<br />
Wir schüttelten die Köpfe und gingen gemeinsam die letzten paar Schritte bis zu dem<br />
kleinen Lager, das Kate und Sayid inzwischen errichtet hatten. Ein Lagerfeuer brannte und<br />
der Haufen mit Mangos war größer geworden.<br />
Unendlich erleichtert sanken Jack und Jim in den warmen Sand. <strong>Über</strong> dem Meer ging<br />
gerade die Sonne unter und wären wir nicht in Lebensgefahr gewesen, es wäre der<br />
romantischste Ort der Welt gewesen. Die beiden Männer griffen sich jeder eine Mango. Eilig<br />
zogen sie der Frucht die Haut ab und bissen herzhaft hinein.<br />
„Man, da kommen doch gleich heimatliche Gefühle hoch, was?“, grinste Jim und sah<br />
sich um. „Wir sind anscheinend noch nicht hier. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes<br />
Zeichen?“<br />
Jack zuckte die Schultern.<br />
„Frag <strong>mich</strong> was leichteres.“, sagte er frustriert.<br />
Dann gähnte er herzhaft.<br />
„Ich denke, wir sollten uns ausruhen, morgen müssen wir darüber Nachdenken, wie es<br />
weiter gehen soll.“<br />
den Mund.<br />
„Ausruhen hört sich gut an.“, meinte Jim und stopfte sich den letzten Bissen Mango in<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und ich nickte. Ich stand auf und reichte ihm die Hände, zog ihn eben-<br />
falls in die Höhe.<br />
„Wir suchen uns mal ein Motel.“, erklärte ich und Hand in Hand zogen Jim und ich<br />
ein Stück den Strand entlang, gingen zum Waldrand hoch und ließen uns im Schutz einer<br />
Palme auf ein wenig Gras, das hier wuchs, zu Boden sinken.<br />
„Ruhe ist wirklich gut, ich bin fix und fertig.“, seufzte Jim und machte sich lang, <strong>mich</strong><br />
mit sich ziehend.<br />
Ich beugte <strong>mich</strong> über ihn und sagte leise:<br />
„Ich bin fast wahnsinnig geworden als mir klar war, dass du nicht bei mir warst.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und unsere Lippen trafen sich zu einem zärtlichen Kuss, der<br />
schnell leidenschaftlicher wurde. Eng zog Jim <strong>mich</strong> an sich heran und flüsterte:<br />
Stimme:<br />
„Na, frag <strong>mich</strong> mal.“<br />
Ich kuschelte <strong>mich</strong> in seine Arme, so eng es nur ging und sagte mit tränenerstickter<br />
„Als ich euch hörte und mir klar wurde, dass du abzustürzen drohtest ...“<br />
Ich konnte nicht weiter sprechen, meine Kehle war wie zugeschnürt. Er strich mir<br />
sanft über den zuckenden Rücken und erklärte:<br />
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Frauke Feind<br />
„Bin ich aber nicht. Unter anderem dank dir. Als du plötzlich neben Jack auftauchtest,<br />
hab ich erst gedacht, ich seh Gespenster.“<br />
Ich lachte unter Tränen.<br />
„Nein, ich bin kein Gespenst.“<br />
„Zum Glück.“, erwiderte Jim leise und zärtlich.<br />
************<br />
Ich wachte davon auf, dass Jim neben mir sich rührte. Wir waren am Abend zuvor eng<br />
aneinander geschmiegt eingeschlafen und wachten genauso auch wieder auf. Jim sah erheb-<br />
lich besser aus als am Abend und ich atmete erleichtert auf. Nach einem ausgiebigen Guten<br />
Morgen Kuss zog er <strong>mich</strong> auf die Füße und fragte grinsend:<br />
„Lust auf einen kleinen Ausflug?“<br />
Erstaunt sah ich ihn an und nickte.<br />
„Ja, gerne, wohin denn?“<br />
Er lächelte und erklärte:<br />
„Ich möcht dir was zeigen. Ist n kleiner Fußmarsch, aber es ist ja noch früh.“<br />
Ein Blick zu Sayid, Kate und Jack hinüber, die sich ebenfalls an den Waldrand gelegt<br />
hatten, machte deutlich, dass sie noch schliefen. Ich nickte.<br />
„Dann los.“<br />
Wir stapften eine Weile durch den Dschungel.<br />
„Hier sind keine Pfade mehr zu sehen, das heißt, wir sind wirklich noch nicht ab-<br />
gestürzt. Wir haben hier einige Wege in den Dschungel getrampelt.“, meinte Jim unterwegs.<br />
„Klar, ihr wart ja auch lange hier. Da bilden sich schnell Trampelpfade. Und gerade um euer<br />
Camp herum wird sich da einiges getan haben, nehme ich an.“<br />
„Ja, zu den Höhlen hoch, zum Wasser, zu den besten Obstplantagen, zum Klo, zur<br />
Bar, zum Puff ...“<br />
Ich lachte.<br />
„Du spinnst. Wovon habt ihr eigentlich damals gelebt?“<br />
Jim schmunzelte.<br />
„Na, zum einen hat uns unser großer, weißer Jäger mit Wildschweinbraten versorgt,<br />
zum anderen hatten wir anfangs genug Obst. Und irgendwann fanden wir eine Ladung<br />
Lebensmittel, die für die DHARMA Initiative gedacht war. Das war damals wie im<br />
Schlaraffenland. Stell dir mal vor, da war sogar Bier bei.“<br />
Er stöhnte wohlig.<br />
„Dafür würd ich jetzt gerade schon wieder so einiges geben.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Dafür, und noch für so einiges mehr.“<br />
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Frischwasser versorgt wurde.<br />
„Na, was sagst du?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Während wir uns unterhielten, waren wir weiter gegangen<br />
und achteten dabei aufmerksam auch auf unsere Umgebung. Doch<br />
wir sahen und hörten nichts, dass auf die Anwesenheit anderer<br />
Menschen hindeutete. Schließlich lauschte Jim und nickte zu-<br />
frieden.<br />
„Wir sind gleich da, du wirst staunen.“<br />
Er nahm <strong>mich</strong> an der Hand und zog <strong>mich</strong> vorwärts, bis sich<br />
der Wald vor uns lichtete und wir urplötzlich an einem kleinen<br />
Teich standen, der von einem wunderschönen Wasserfall mit<br />
Ich sah <strong>mich</strong> um und drehte <strong>mich</strong> dann zu Jim herum.<br />
„Das ist zauberhaft!“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, und noch mehr, ist nämlich Süßwasser.“<br />
Ich seufzte auf und in der nächsten Sekunde begann ich bereits, <strong>mich</strong> aus meinen<br />
Sachen zu schälen. Jim machte es mir nach und schon standen wir uns, ein klein wenig ver-<br />
legen, nackt gegenüber. Aber die Verlegenheit dauerte nicht lange. Zu verlockend war das<br />
Wasser und Jim griff nach meiner Hand.<br />
„Komm, hier vorne kann man bequem hinein kommen.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> zu einem breiten, fachen Stein und deutete auf den Boden.<br />
„Hier, von dem Stein aus kann man rein springen. Komm schon.“<br />
Er stellte sich auf den Fels, den er mir gerade gezeigt hatte und hechtete kopfüber in<br />
das klare Wasser. Und ich folgte ihm sofort. Es war wundervoll kühl und ich spürte, wie<br />
einiges von mir abgewaschen wurde, als ich ein paar Züge tauchte und lachend wieder aus<br />
dem Wasser schoss. Meine Haare hingen mir wirr vor dem Gesicht und ich strich sie zur<br />
Seite. Jim tauchte eben vor mir auf und schüttelte sich ebenfalls die Haare aus dem Gesicht.<br />
Dann tauchte er erneut unter und ich tat es ihm gleich. Unter Wasser schwammen wir auf-<br />
einander zu und hier legten sich seine Arme zärtlich um meinen Körper. Seine Hände<br />
wanderten meinen Rücken hinunter und ich spürte eine wohlige Wärme, die von meiner<br />
Kopfhaut bis in die Füße schoss.<br />
Ich hatte ihn, seit er bei mir war, ja wirklich schon oft genug berührt, aber dies jetzt<br />
hier unter diesen vollkommen veränderten Bedingungen zu tun, war etwas ganz anderes. Ich<br />
ließ meine eigenen Hände erforschend und sinnlich über seinen im Wasser langsam ab-<br />
kühlenden Körper gleiten, spürte seine Muskeln, seine herrlich weiche, ebenmäßige Haut und<br />
war trotz der äußeren Umstände einfach nur glücklich. Langsam ließen wir uns zum Ufer<br />
treiben und verließen das Wasser gemeinsam. Im Gras, welches um den Teich herum wuchs,<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
sanken wir zu Boden. Jims Hände glitten sanft über meinen Körper und er erkundete ihn<br />
ebenso aufmerksam, wie ich es eben noch mit seinem getan hatte. Er achtete aufmerksam auf<br />
meine Reaktionen und prägte sich diese genau ein. So hatte er schnell heraus, wo meine<br />
erogenen Punkte zu finden waren. Wir ließen uns Zeit, das einzige, was wir im Moment<br />
hatten. Wir hatten beide nicht das Verlangen, wild übereinander her zu fallen, sondern wollten<br />
den Moment auskosten. Zu viele waren uns schon verloren gegangen. Hier und jetzt sollte uns<br />
nichts und niemand stören.<br />
Jim beugte sich über <strong>mich</strong> und küsste <strong>mich</strong>, erst sanft, dann immer fordernder. Seine<br />
Lippen glitten über meinen nassen Körper, liebkosten ihn und schließlich schlossen sie sich<br />
um meine linke Brustwarze, die sich augenblicklich verhärtete. Erfreut über seinen Erfolg<br />
machte Jim sofort auf der rechten Seite weiter und ich konnte ein Keuchen nicht mehr unter-<br />
drücken. Hitzewellen schossen durch meinen Körper und ließen meinen Unterleib pulsieren.<br />
Ich lag still da und wartete auf mehr. Und Jim gab mir mehr. Während er seine Lippen und<br />
Zunge um meine Brüste kreisen ließ, rutschte seine Hand langsam an meinem Körper<br />
hinunter und ich erzitterte vor Verlangen. Kurz vor meinem Schoss legte er eine künstlerische<br />
Pause ein und ich stöhnte enttäuscht auf. Mein ganzer Körper schrie nach ihm und ich drückte<br />
meinen Unterleib in die Höhe. Doch er ließ <strong>mich</strong> noch einen Moment zappeln. Endlich spürte<br />
ich, dass seine Hand tiefer rutschte und keuchte lustvoll auf, als er endlich das Ziel meiner<br />
Wünsche erreichte. Seine zärtlichen Finger liebkosten <strong>mich</strong> und ich wand <strong>mich</strong> unter ihnen<br />
lasziv auf dem Gras. Als ich schon dachte, es keinen Moment länger aushalten zu können,<br />
rollte Jim sich endlich auf <strong>mich</strong>. Ganz langsam und vorsichtig drang er in <strong>mich</strong> ein, dabei<br />
hätte es mir gar nicht schnell genug gehen können. Als ich ihn endlich tief in mir spürte,<br />
schloss ich die Augen und ließ <strong>mich</strong> ganz und gar treiben. Er lag einen Moment ganz still,<br />
während ich meine Beine um ihn schlang, um ihn fest an <strong>mich</strong> zu pressen. Dann begann er<br />
sanft, sich zu bewegen und trieb <strong>mich</strong> damit fast in den Wahnsinn. Ich hatte das Gefühl, jeden<br />
Moment explodieren zu müssen. Doch er hielt sich zurück, solange er konnte. Schließlich<br />
aber wurden seine Bewegungen schneller und fester und irgendwann vergrub er aufstöhnend<br />
sein Gesicht in meinen Haaren und wir kamen fast gleichzeitig zum Höhepunkt.<br />
Als wir anschließend noch aufeinander liegen blieben, hatte ich das wilde Verlangen,<br />
ihn nie wieder los zu lassen. Für immer so liegen bleiben, Jim tief in mir spürend, von dieser<br />
wundervollen, tiefen Entspannung erfasst, erschien mir das erstrebenswerteste Ziel überhaupt<br />
zu sein. Und ihm schien es ähnlich zu gehen, denn er rührte sich ebenfalls nicht. Irgendwann<br />
hob er das Gesicht aus meinen nassen Haaren und küsste <strong>mich</strong>. Immer wieder trafen sich<br />
unsere Lippen und unsere Zungen spielten miteinander. Seine Linke glitt streichelnd an<br />
meinem Körper entlang und erreichte meinen Po. Dort ließ er sie liegen und seine Finger<br />
strichen zärtlich über meine Haut. Ich spürte erneut Wärme in mir hochsteigen und ließ meine<br />
Hände ebenfalls an seinen Körper hinab rutschen, soweit ich reichen konnte. An seiner<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Wirbelsäule ließ ich sie massierende Bewegungen ausführen und nach ein paar Minuten<br />
merkte ich, dass er wieder reagierte. Er seufzte leise und seine Hand glitt an meinem Körper<br />
wieder hinauf. Unsere Hände verkrallten sich ineinander und Jim begann sich wieder in mir<br />
zu bewegen. Er konnte sich diesmal länger beherrschen und zögerte den erneuten Orgasmus<br />
qualvoll hinaus. Dann aber überwältigte uns die Erregung und wir sahen Sterne, als wir erneut<br />
zum Höhepunkt kamen.<br />
11) Wann sind wir?<br />
Erst jetzt glitt er langsam und sichtlich zufrieden aus mir heraus. Eng aneinander ge-<br />
drückt lagen wir da und genossen einfach die Nähe des anderen. Irgendwann setzte Jim sich<br />
auf und stemmte sich auf die Beine. Er zog <strong>mich</strong> mit sich und wir stiegen noch einmal ins<br />
Wasser, wo wir uns gründlich abspülten. Anschließend stellten wir uns nebeneinander in die<br />
Sonne und ließen uns trocknen. Schließlich zogen wir uns schweren Herzens an und machten<br />
uns auf den Rückweg. Man würde uns am Strand vermutlich ohnehin schon vermissen, aber<br />
das war uns vollkommen egal. Wir ließen uns viel Zeit und kurz bevor wir den Strand wieder<br />
erreichten, hielt Jim <strong>mich</strong> fest.<br />
„Warte.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss. Als er <strong>mich</strong> endlich<br />
los ließ, war ich ein wenig außer Atem.<br />
„Wer weiß, wie lange das reichen muss.“, erklärte er mit einem frechen Grinsen.<br />
Ich seufzte.<br />
„Ja, wir haben ja keine Ahnung, was auf uns zukommt in nächster Zeit. Ich habe<br />
schreckliche Angst. Um dich! Es wäre sehr viel einfacher, wenn ich dich nicht lieben würde.“<br />
Er lächelte sanft und sagte beruhigend:<br />
„Mir wird schon nichts passieren. Und außerdem, mein Schatz, hab ich um dich<br />
genauso viel Angst, wir sind also Quitt.“<br />
willst.“<br />
Noch einmal küsste er <strong>mich</strong> und sagte ernst:<br />
„Was immer auch passieren wird, <strong>mich</strong> wirst du nicht mehr los, wenn du es nicht<br />
„Nein, das will ich nicht, nie wieder.“<br />
Minuten später traten wir Hand in Hand auf den Strand hinaus. Kate, Sayid und Jack<br />
fuhren herum, als sie uns kommen hörten, und sofort ging Jack wutentbrannt auf uns los.<br />
„Seid ihr komplett übergeschnappt? Was habt ihr euch dabei gedacht, euch einfach zu ver-<br />
drücken? Habt ihr mal eine Sekunde daran gedacht, dass wir uns vielleicht Sorgen um euch<br />
machen? Wo wart ihr, verdammt noch mal?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
In Jim spannte sich alles, das konnte ich durch seine Hand spüren. Er versuchte, ruhig<br />
zu antworten, aber er war in Sekundenschnelle ebenfalls kurz vor dem Explodieren.<br />
„Halt mal die Luft an, Jacko, wir sind hier nicht im Kindergarten. Kelly und ich sind<br />
nicht deine Untergebenen. Wir sind ganz sicher nicht verpflichtet, Big Daddy erst um Erlaub-<br />
nis zu fragen, wenn wir uns ein wenig umsehen wollen. Also, reg dich ab.“<br />
Jack schnauzte ihn ungehalten an:<br />
„Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein. Wir sind hier zusammen, um etwas zu<br />
erledigen und ihr denkt überhaupt nicht nach. Ich will wissen, wo ihr euch herumgetrieben<br />
habt.“ Jetzt wurde ich auch langsam wütend.<br />
„Ersten haben wir uns nicht herum getrieben, zweitens sind wir dir keine Rechenschaft<br />
schuldig. Wir waren nicht tagelang verschwunden, haben das Recht auf ein wenig Privat-<br />
sphäre und wo wir waren geht dich absolut nichts an, also, reg dich ab.“<br />
kennst und ...“<br />
Jack sah <strong>mich</strong> wütend an.<br />
„Du verstehst nicht, um was es hier geht. Diese Insel birgt Gefahren, die du nicht<br />
Ich unterbrach ihn.<br />
„Nein, die kenne ich nicht, noch nicht, deswegen bin ich aber noch lange nicht auf<br />
einen Aufpasser angewiesen, der <strong>mich</strong> bemuttert. Und Jim kennt die Insel. Deutlich besser als<br />
du, nebenbei bemerkt, denn er hat im Gegensatz zu dir drei Jahre hier gelebt. Und er ist<br />
durchaus im Stande, alleine für sich zu denken, dafür braucht er dich nicht. Und wir können<br />
uns alleine genauso gut oder schlecht wehren wie mit euch zusammen. Wir sind wieder da,<br />
uns ist nichts passiert, also mach hier keinen Aufstand. Jim hat mir erzählt, dass du der<br />
Meinung bist, den großen Anführer spielen zu müssen, aber, Jack, ich lasse <strong>mich</strong> nicht gerne<br />
anführen. Wenn andere nach deiner Pfeife tanzen, mag das für sie in Ordnung sein, aber Jim<br />
und ich sind selbstständig denkende Menschen, wir brauchen kein Kindermädchen.<br />
Verschwende also deine Energie nicht unnütz, du wirst sie noch anderweitig brauchen<br />
können.“<br />
Jetzt mischte Kate sich ärgerlich ein.<br />
„Sag mal, wie sprichst du eigentlich mit Jack? Reiß dich mal zusammen, er ist hier ...“<br />
„Was? <strong>Der</strong> Boss? Das hat er schon öfter versucht, Freckles, schon vergessen? Ist nie was<br />
Gutes bei raus gekommen?“, grinste Jim.<br />
„Sawyer! Was soll das? Du warst doch bereit, zu helfen.“, giftete Kate.<br />
„Wer sagt denn, dass ich das nicht mehr bin? Aber, Sheena, du solltest es langsam be-<br />
griffen haben, ich lass mir nichts Befehlen, weder von Captain Jack noch von jemand<br />
anderem. Und wie ich das sehe, Kelly auch nicht. Und ganz bestimmt geht es euch nichts an,<br />
wenn Kelly und ich mal ne Weile alleine sein wollen. Nicht, dass wir dazu oft und viel Ge-<br />
legenheit haben werden.“<br />
Nun mischte sich auch Sayid ein.<br />
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Frauke Feind<br />
„Hört zu, wir sind alle angespannt und nervös, aber wenn wir uns gegenseitig an-<br />
schnauzen, hilft das auch niemandem. Jim hat Recht, es geht uns nichts an. Sie sind unverletzt<br />
wieder hier, wir haben nicht das Recht, ihnen Vorwürfe zu machen. Also sollten wir uns alle<br />
beruhigen und überlegen, wie es weiter gehen soll. Wir sollten das gemeinsam überlegen,<br />
nicht jeder für sich. Und wir sollten versuchen, gemeinsam zu handeln.“<br />
Ich nickte.<br />
„Du hast Recht. Aber ich möchte euch Bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir er-<br />
wachsen genug sind, nicht um Erlaubnis zu fragen, wenn wir mal alleine los marschieren<br />
wollen. Weder Jim noch ich sind Willens, nach irgendjemandes Pfeife zu tanzen, wir sind<br />
absolut fähig, für uns selbst zu entscheiden. Das ist nicht böse gemeint und wir werden euch<br />
nächstes Mal Bescheid sagen, aber das ist auch alles, was ihr erwarten könnt. Wegen der Ge-<br />
fahren, die ihr so betont … Keiner von euch hat solange auf der Insel verbracht wie Jim, wenn<br />
einer von uns um ihre Gefahren weiß, dann wohl er. Und jetzt sollten wir überlegen, wie es<br />
weiter gehen soll.“<br />
Jack und Kate schluckten schwer, Jim nickte verbissen und Sayid setzte sich in den<br />
Sand und sah uns auffordernd an. Wir setzten uns also alle und schwiegen einige Minuten.<br />
Dann hatten wir uns alle beruhigt und Jack meinte:<br />
„Okay, ich denke, das vorrangigste Ziel ist es, heraus zu finden, wann wir sind, oder<br />
sieht das jemand anders?“<br />
„Wäre es nicht auch wichtig, heraus zu finden, wer zur Zeit außer uns noch hier ist?“,<br />
fragte Kate besorgt. „Ihr wisst, die ‟Anderen‟ sind ziemlich hinterhältig und verschlagen, sie<br />
haben uns mehr als einmal überrascht und überwältigt. Und wenn Ben etwas angezettelt hat,<br />
um uns hier zu Schaden, sollten wir auch darauf vorbereitet sein.“<br />
Sayid nickte zustimmend.<br />
„Ja, aber wenn wir erst wissen, wann wir sind, kommt eins zum anderen und wir<br />
werden auch erfahren, wer jetzt unsere Gegner sein könnten. Unser Vorteil ist, dass wir von<br />
hier aus die Wege zu allen wichtigen Orten finden. Das Beste wird sein, uns auf den Weg zu<br />
machen und zu schauen, ob es die DHARMA Stationen schon gibt.“<br />
Jack nickte.<br />
„Das ist die logische Schlussfolgerung. Wir haben keine Waffen, das hat natürlich<br />
nicht geklappt. Keine Waffen, keine Kleidung, Essen wieder einmal nur das, was wir finden,<br />
das war es. Sollten wir also Gelegenheit bekommen, uns irgendwie zu bewaffnen, sollten wir<br />
das ausnutzen.“<br />
„Theoretisch könnten wir vor der Zeit der DHARMA Initiative gelandet sein. Dann<br />
würden wir es nur mit den ‟Anderen‟ zu tun bekommen, richtig? Wir haben gelernt, dass die<br />
sehr brutal und rücksichtslos sind. Und wenn Ben es irgendwie geschafft hat, auch durch die<br />
Zeit zu Reisen, wird er uns seine Leute auf den Hals hetzen.“, warf Jim ein. „Und wenn wir<br />
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Frauke Feind<br />
vor der DHARMA Initiative sind, wie sollen wir dann in die Orchidee kommen? Ist<br />
schwierig, wenn es sie noch nicht gibt.“<br />
Sayid grunzte unwillig. Dann sagte er:<br />
„Wenn es so ist, haben wir allerdings ein großes Problem. Aber wir wollen nicht<br />
gleich das Schlimmste annehmen, denke ich. Lasst uns erst einmal aufbrechen, sollte das<br />
Hatch nicht existieren, wissen wir, dass wir erheblich zu früh dran sind.“<br />
„Wo liegt dieses Hatch?“, fragte ich interessiert.<br />
„Das Hatch ist eigentlich die Swan Station. Sie liegt einige Meilen nordöstlich von<br />
hier, im Tal zwischen den Berghängen. Wir müssen zu den Höhlen und von dort aus weiter.“<br />
Ich nickte verstehend.<br />
nicht fit?“<br />
„Okay, wie viele Meilen?“<br />
„Drei, vier, wir haben es nie vermessen.“, erklärte Kate ungnädig. „Wieso? Bist du<br />
Ich grinste sie an.<br />
„Mit dir nehme ich es jederzeit auf. Es geht mir darum, dass Jim noch nicht wieder<br />
hundert Prozent fit ist. Es nützt wenig, wenn wir jetzt losstürmen, und wenn etwas passiert, ist<br />
er nicht voll einsatzfähig, falls du verstehst, was ich meine.“<br />
„Kelly hat Recht. Wir sollten es ruhig angehen lassen. Wir haben Zeit, so, wie ich das<br />
sehe, das Einzige, was wir haben. Wenn wir den Swan, so er denn existiert, erst morgen er-<br />
reichen, ist das auch in Ordnung. Lasst uns nichts überstürzen. Und behaltet auf dem Weg<br />
bitte alle sehr genau eure Umgebung im Auge.“<br />
Jack sah uns der Reihe nach an und diesmal konnte ich ihm zustimmen.<br />
„Gut, dann lasst uns los marschieren.“<br />
Wir setzten uns in Bewegung und stiefelten erneut in den dichten Dschungel hinein.<br />
Da es noch keine Wege gab, stellten die vier schon hier gewesenen schnell fest, dass das<br />
Vorankommen langsam ging und anstrengend und schwierig war. Wir kämpften uns quasi<br />
Schritt für Schritt vorwärts und waren schnell schweißnass.<br />
Unsere Kleidung klebte uns am Körper. Unter dem dichten<br />
Blätterdach stand die Luft. Warm, feucht, drückend. Jim und<br />
ich ließen uns ein wenig zurückfallen und unterhielten uns<br />
leise über das, was er von der Insel wusste. Am gefühlten<br />
frühen Nachmittag, der vom Sonnenstand her allerdings eher schon der frühe Abend war, er-<br />
reichten wir endlich ziemlich erledigt die Höhlen, von denen Jim mir berichtet hatte. Er war<br />
damals, kurz nach dem Absturz, nicht mit dort eingezogen. Er war, wie Sayid, Kate und gut<br />
die Hälfte der anderen <strong>Über</strong>lebenden damals der Meinung gewesen, am Strand wäre die<br />
Chance, von einem Rettungsteam gesehen zu werden, erheblich größer. So hatten sich die<br />
<strong>Über</strong>lebenden in zwei Gruppen geteilt. Als wir die Höhlen erreichten, waren wir alle er-<br />
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Frauke Feind<br />
leichtert und stürzten uns auf das kühle, klare Süßwasser, dass es hier gab. Das wir heute nicht<br />
mehr weiter gehen würden, war uns allen klar.<br />
ihr.<br />
„Ich werde mal sehen, ob ich etwas zu Beißen finde.“, erklärte Kate und Jack ging mit<br />
Jim, Sayid und ich untersuchten inzwischen die Höhle auf etwaige Gefahren, aber wir<br />
fanden nichts. Nicht einmal die beiden Toten, die Jack damals entdeckt hatte. Sayid schüttelte<br />
besorgt den Kopf.<br />
„Jack meinte, die Leichen lägen vierzig bis fünfzig Jahre hier, dem Verwesungsgrad<br />
ihrer Kleidung nach zu urteilen. Wenn es sie noch nicht gibt ...“<br />
gleich.<br />
„... sind wir vor 1954 ...“, beendete Jim den Satz und mir wurde heiß und kalt zu-<br />
„Dann hätten wir aber eine Chance, Daniel zu finden, wenn er bei den ‟Anderen‟ ein-<br />
trifft, zusammen mit Charlotte und Miles.“, stieß er aufgeregt hervor.<br />
„Dafür müssten wir nur genau wissen, wann wir sind. Es könnte noch Jahre dauern,<br />
bis die auftauchen.“, gab Sayid zu Bedenken. „Und die ‟Anderen‟ waren zu der Zeit auch<br />
nicht weniger feindselig als später.“<br />
Jim nickte.<br />
„Das ist richtig, Mohammed, aber vielleicht unsere einzige Chance.“<br />
„Was ist unsere einzige Chance?“<br />
Jack und Kate tauchten hinter uns auf, die Arme voller Obst.<br />
„Wir haben Adam und Eva nicht gefunden, was darauf hindeutet, dass wir in irgend-<br />
einer Zeit vor 1950 stecken. Du meintest damals, die Leichen würden hier vierzig bis fünfzig<br />
Jahre liegen. Wenn wir also vor dieser Zeit sind, könnte es möglich sein, Daniel zu erwischen,<br />
als er 1954 auf die ‟Anderen‟ trifft und die Wasserstoffbombe entschärfen soll.“, erklärte<br />
Sayid, während er Jack Obst abnahm, um es vorsichtig auf einen großen Stein am Höhlenein-<br />
gang zu legen.<br />
„Das ist sehr vage. Es könnte alles zwischen der Zeit der Dinosaurier und 1950 sein.“,<br />
meinte Kate frustriert.<br />
„Natürlich müssen wir genauer wissen, wann wir sind. Aber es scheint ja keine Zeit-<br />
sprünge zu geben, was gut ist. Wir werden schon noch erfahren, in welchem Jahr wir sind.“,<br />
meinte Jack beruhigend und griff sich eine Papaya von dem Haufen aus Obst.<br />
Schweigend kauten wir auf den Früchten herum und als wir halbwegs satt waren sah<br />
ich Jim an. Er sah müde aus, aber lange nicht mehr so fertig wie am Abend zuvor.<br />
„Wie fühlst du dich?“, fragte ich ihn erstaunt.<br />
„Bestens, nur müde, das sind wir alle.“, erklärte er lächelnd. „Irgendwie meint es die<br />
Insel immer wieder gut mit mir. Ist ja nicht das erste Mal, dass es mit der Heilung hier sehr<br />
schnell geht. Damals, nach der Schusswunde ...“<br />
Jack unterbrach ihn.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, das war unglaublich. In jedem Krankenhaus hätte es Wochen gedauert, bis<br />
Sawyer sich von der heftigen Sepsis erholt hätte, wenn er es überhaupt geschafft hätte. Hier<br />
brauchte er damals nur wenige Tage, um wieder fit zu sein.“<br />
Ferne.<br />
Ich konnte es zwar kaum glauben, war aber irgendwie beruhigt.<br />
„Denkt doch mal an Locke und Rose.“, warf Kate ein und sah gedankenverloren in die<br />
„Was war denn mit denen?“, fragte ich interessiert.<br />
„Naja, Locke war querschnittgelähmt und Rose unheilbar an Krebs erkrankt und John<br />
konnte sofort nach dem Absturz wieder laufen und Rose war geheilt.“, erklärte Kate. Sie<br />
grinste Jim an. „Wollen wir mal hoffen, dass dich die Gunst der Insel nicht verlässt. Du hast<br />
sie nötiger als jeder andere von uns.“<br />
Ganz kurz wirkte Jim bedrückt, dann aber warf er Kate einen gespielt strengen Blick<br />
zu und meinte:<br />
„Nun mach Kelly doch keine Angst. Das ist Wasser auf ihre Mühlen. Sie denkt<br />
sowieso schon, dass es besser für <strong>mich</strong> wäre, wenn ich immer nen Doc im Rucksack hab.“<br />
Ich wurde rot.<br />
„Na, meine Erfahrungen mit dir legen diese Vermutung ja auch nahe.“<br />
Jack grinste.<br />
„Meine auch.“<br />
Jim sah ihn an und verdrehte die Augen.<br />
„Na, was war denn sonst noch?“, fragte er aufmüpfig.<br />
„Oh, soll ich aufzählen?“ Kate lachte. „Das Loch im Arm, deine Augen, die Schuss-<br />
wunde, etwas später der Streifschuss am Hals, Dannys Behandlung bei den ‟Anderen‟, die<br />
angebliche Operation ...“<br />
Jim sah Kate herausfordernd an und fragte frech:<br />
„Und, was ist denn jetzt mit der Aufzählung?“<br />
Wir konnten alle befreit Lachen und vergaßen für den Moment, in welch unan-<br />
genehmer Lage wir steckten.<br />
ergeben ein.<br />
„Okay, ich neige vielleicht ein ganz klein wenig zu Verletzungen.“, räumte Jim jetzt<br />
„Was war denn das mit deinen Augen?“, fragte ich neugierig und ein wenig besorgt.<br />
Jack lachte gehässig.<br />
konnte.“<br />
„Das war mal eine der seltenen Gelegenheiten, wo ich Sawyer eins auswischen<br />
Jim schnaufte.<br />
„Du Arsch hast meine Angst schamlos ausgenutzt.“<br />
Kate kicherte.<br />
„Oh, das war nicht nett von dir, Jack.“<br />
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Und Sayid grinste ebenfalls breit.<br />
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Frauke Feind<br />
„Aber die Brille, die ich dir gebaut habe, war schon klasse.“<br />
„Kann <strong>mich</strong> vielleicht mal jemand aufklären?“, fragte ich ungeduldig.<br />
„Klar. Sawyer lief schon seit Tagen mit heftigen Kopfschmerzen herum. Er futterte<br />
unsere wenigen Aspirin wie Bonbons, aber es half nicht. Zu Jack wollte er aber auch nicht.<br />
Irgendwann konnte ich es nicht mehr mit ansehen und hab ihn doch zu Jack geschafft.“<br />
Jack fuhr mit der Erzählung fort.<br />
„All die Wochen vorher hatte Sawyer keine Gelegenheit ausgelassen, mir einen<br />
Seitenhieb zu verpassen. Als er jetzt zu mir kam, war ich trotzdem besorgt, wenn es etwas<br />
Schlimmes gewesen wäre, hätte ich ihm hier auf der Insel ja nicht helfen können. Er war<br />
überzeugt, einen Tumor zu haben, weil sein Onkel an einem solchen gestorben war.“<br />
Jim schnaufte unwillig.<br />
„Hatte ich nicht ...“<br />
Jack grinste und fuhr fort:<br />
„Dann habe ich ihn untersucht und schon nach wenigen Minuten war mir klar, was<br />
ihm fehlte. Ich habe die Gelegenheit genutzt, ihm vor Kate ein paar sehr interessante Fragen<br />
zu seinem Liebesleben zu stellen, wie zum Beispiel, ob er mal Sex mit einer Prostituierten<br />
hatte, an Geschlechtskrankheiten gelitten hatte, wann der letzte Ausbruch war ...“<br />
Ich konnte ein leises Kichern nicht ganz unterdrücken und fing mir von Jim einen<br />
strafenden Blick ein. Jack erzählte weiter:<br />
„Sawyer hatte nach dem Absturz ein neues Hobby, denn den Anderen beim Be-<br />
schaffen von Lebensmitteln oder dem Bau von Unterkünften zu helfen war nicht so sein Ding.<br />
Also las er alles, was ihm in die Finger kam.“<br />
Hier unterbrach ich Jack und sah erst ihn, dann Sayid ziemlich finster an.<br />
„Wie ‟Watership down‟?“, fragte ich kalt und Jack wurde tatsächlich rot.<br />
„Ja, genau. Und das viele Lesen bekam seinen Augen nicht, er litt an Hyperopie. Ich<br />
suchte alles Gepäck durch, sammelte sämtliche Brillen ein, die ich finden konnte und be-<br />
suchte Sawyer zwei Tage nach der Untersuchung am Strand. Hier klärte ich ihn dann auf. Wir<br />
fanden schließlich zwei Brillen, bei denen jeweils ein Glas auf Sawyers Augenschwäche<br />
passte und Sayid baute ihm daraus eine wirklich wunderschöne Brille.“<br />
Kate lachte Tränen, selbst jetzt nach all den Jahren noch.<br />
„Rodenstock ist ein Stümper dagegen. Ich kann <strong>mich</strong> noch genau erinnern, wie<br />
Sawyer sie aufsetzte und ausprobierte. Hurley kam vorbei und sah ihn mit der Brille. Er<br />
meinte damals, Sawyer sähe aus wie ein überrollter Harry Potter.“<br />
Genervt schnaufte Jim:<br />
„Schön, dass es euch auch heute noch eine Freude ist, euch über <strong>mich</strong> lustig zu<br />
machen. Ich dachte wirklich, ich hätte nen Hirntumor.“<br />
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Am Funken seiner Augen sah ich, dass er die Worte nicht so meinte, wie er sie sagte.<br />
Lachend erklärte ich:<br />
„Armer Schatz. Wenn du <strong>mich</strong> so geärgert hättest wie Jack offensichtlich, weiß ich<br />
nicht, ob ich der Versuchung, es dir mal ein wenig heimzuzahlen, widerstanden hätte.“<br />
Äußerst frustriert sah Jim zu mir hinüber, dann stöhnte er theatralisch:<br />
„Du auch, mein Sohn Brutus?“<br />
„Und dann hat er die schöne Brille, mit der ich so viel Arbeit hatte, auch noch auf dem<br />
Floß verloren.“, meinte Sayid traurig.<br />
„Ja, das gute Stück ...“, grinste Jim und gähnte herzhaft. „Ich glaub, ich leg <strong>mich</strong> hin.<br />
Wo ist das Bett?“<br />
Gras.“<br />
Ich sah <strong>mich</strong> suchend um.<br />
„Sieht ja alles ungemein einladend aus. Ich glaube, ich versuche es vor der Höhle im<br />
Jim nickte.<br />
„Ja, scheint mir sinnvoller als hier auf den Steinen. Komm, Baby, auf geht„s, ich such<br />
uns n nettes Nachtlager.“<br />
Wir erhoben uns und marschierten nach draußen. Wenige Meter vom Höhleneingang<br />
entfernt fanden wir ein Plätzchen mit üppigem Gras und legten uns hier hin. <strong>Über</strong> uns<br />
funkelten die Sterne und ich kuschelte <strong>mich</strong> in Jims Arme.<br />
„Gott, ich vermisse jetzt schon ein anständiges Bett.“, stöhnte ich unwirsch.<br />
„Na, frag <strong>mich</strong> mal. Aber man gewöhnt sich schnell daran. Allerdings hatten wir<br />
damals wenigstens die Flugzeugsitze, Decken, Kissen ... Aber ich hatte dich damals nicht.“<br />
Er zog meinen Kopf sanft zu sich und gab mir einen Kuss.<br />
„Wenn ich die Wahl hätte, ein Bett oder dich ... Keine Frage. Dich.“<br />
Dankbar sah ich ihn an und gab ihm nun meinerseits einen Kuss. Dann fragte ich:<br />
„Dir geht es wirklich besser, oder?“<br />
Er nickte.<br />
„Erheblich. Irgendwas Gutes muss die Insel ja haben und wenn es nur das ist.“<br />
„Das ist mehr, als es irgendwo anders gibt.“<br />
Eng aneinander geschmiegt schliefen wir irgendwann ein und wurden am Morgen<br />
vom Gezwitscher der Vögel geweckt. Steif und verspannt erhoben wir uns. Jim legte stöhnend<br />
die Hände an den Rücken und streckte und reckte sich ausgiebig. Als wir wach genug waren<br />
genehmigten wir uns einen großen Schluck Wasser.<br />
„Kaffee wäre mir deutlich lieber.“, grinste ich und schöpfte mir mit den Händen auch<br />
Wasser ins Gesicht, um zu mir zu kommen.<br />
Gerade stießen Jack und Kate zu uns.<br />
„Morgen.“, murmelte der Arzt verschlafen. „Man, ist das unbequem. Wie konnten wir<br />
uns nur darauf einlassen, wieder hierher zu kommen?“<br />
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Frauke Feind<br />
Er war ganz offensichtlich ziemlich schlecht gelaunt.<br />
„Ihr hättet euch auch hier draußen hinlegen sollen, im Gras war es ziemlich an-<br />
genehm.“, erklärte ich fröhlicher als ich <strong>mich</strong> fühlte.<br />
Mir tat alles weh. Nachdem alle sich frisch gemacht hatten, setzten wir uns vor der<br />
Höhle auf den Boden, aßen von den Früchten, die noch da waren und schließlich meinte<br />
Sayid:<br />
„Wir sollten aufbrechen. Heute müssten wir den Swan erreichen. Falls es ihn gibt, was<br />
ich immer mehr bezweifle.“<br />
Also machten wir uns wieder auf den Weg. Es ging zum Teil über Hochplateaus und<br />
wir kamen etwas schneller voran als am Tag zuvor. Gegen Mittag fing das Gelände an, abzu-<br />
fallen und Jack meinte:<br />
„Da unten zwischen den Bäumen sollte das Hatch liegen.“<br />
Bergab kamen wir noch ein wenig schneller voran und so hatten wir bald den Wald-<br />
rand erreicht. Hier wurde es wieder schwieriger, voran zu kommen und wir kämpften mit der<br />
dichten Vegetation. Dass es auch noch anfing, wolkenbruchartig zu regnen machte die<br />
Wanderung nicht angenehmer. Als der Regen endlich wieder nachließ, tropfte es aus Büschen<br />
und Bäumen weiter auf uns herab und wir waren alle gereizt und abgekämpft. Und dann blieb<br />
Kate, die die meiste Zeit voran ging, plötzlich stehen und lauschte. Sie zeigte deutliche<br />
Zeichen von Angst und keuchte:<br />
„Oh Gott!“<br />
Und jetzt hörten wir es auch!<br />
Ein metallisches Heulen, Rasseln und Brüllen war in der Ferne zu hören, dann konnten<br />
wir ein Krachen vernehmen, als brächen große Bäume auseinander. Jim griff nach meiner<br />
Hand und zog <strong>mich</strong> an sich.<br />
„Scheiße, Scheiße!“, keuchte er erschrocken.<br />
Verwirrt fragte ich:<br />
„Was, um Himmels Willen, ist das?“<br />
Kate wirbelte zu mir herum und stieß panisch:<br />
„Das Monster!“ hervor.<br />
Angespannt lauschten wir alle und die Geräusche kamen eindeutig näher, und zwar<br />
schnell. Hektisch sahen wir uns nach Deckungsmöglichkeiten um und Jim zog <strong>mich</strong> mit sich,<br />
während Kate und Jack zusammen mit Sayid in die<br />
andere Richtung losrannten. Vor uns tauchte ein<br />
riesiger, uralter Feigenbaum auf, dessen Luftwurzeln so<br />
viel Platz boten, dass Jim sich dazwischen quetschen<br />
konnte. Ich wollte ihm gerade folgen, als zwischen den<br />
Bäumen eine Art schwarze Rauchsäule mit rasender<br />
Geschwindigkeit auf <strong>mich</strong> zu geschossen kam. Entsetzt und fasziniert gleichermaßen stand<br />
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Frauke Feind<br />
ich wie gelähmt da und starrte das schwarze Etwas an. Irgendwo hinter mir hörte ich Jim ver-<br />
zweifelt brüllen:<br />
„Kelly!“<br />
Ich stand immer noch erstarrt dem Rauch gegenüber und dieser senkte sich langsam<br />
auf <strong>mich</strong> herunter. Hinter mir brüllte Jim panisch:<br />
„NEIN. Verschwinde! Lass sie in Ruhe!“<br />
Ich sah <strong>mich</strong> kurz um und stellte unterbewusst fest, dass er versuchte, zwischen den<br />
Wurzeln hervor zu kommen, aber aus irgendeinem Grund hing er scheinbar fest. Hysterisch<br />
riss und zerrte er, um sich zu befreien, aber es gelang ihm nicht. Ich sah wieder zum Rauch<br />
und dieser hatte sich so weit gesenkt, dass er <strong>mich</strong> fast berührte. Sekunden reihten sich an-<br />
einander und ich hatte das eigenartige Gefühl, von dem Etwas genau analysiert zu werden. Es<br />
schien <strong>mich</strong> zu Scannen. Sekunden reihten sich aneinander. Plötzlich brüllte das Ding ohren-<br />
betäubend auf, drehte sich herum und verschwand so schnell zwischen den Bäumen, wie es<br />
erschienen war. Und jetzt erst gelang es Jim, sich aus seinem Käfig zu befreien.<br />
Er war mit drei schnellen Schritten bei mir und riss <strong>mich</strong> in seine Arme.<br />
„Großer Gott, Kelly, ist dir was passiert? Geht es dir gut? Kelly?“<br />
Ich wachte aus meiner Erstarrung auf und klammerte <strong>mich</strong> zitternd an ihn.<br />
„Es ... es geht mir gut ...“, keuchte ich.<br />
„Oh, Gott. Ich ...“<br />
Ihm fehlten offensichtlich die Worte.<br />
„Es geht mir wirklich gut, Jim, bitte, halte <strong>mich</strong> einfach nur fest.“<br />
Und das tat er, und zwar so, als wolle er <strong>mich</strong> zur Sicherheit in sich hinein saugen.<br />
Und nun kamen auch Jack, Kate und Sayid auf uns zu gerannt.<br />
„Kelly, ist dir was passiert?“, fragte Jack fassungslos.<br />
„Nein, nein, wirklich nicht, mir geht es gut. Was ist das?“<br />
Sayid schüttelte den Kopf.<br />
„Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, zu was es fähig ist. Es hat dich nicht an-<br />
gegriffen. Das ... Warum nicht?“<br />
Ich lag immer noch in Jims Armen und zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.<br />
„Keine Ahnung. Ich hatte das Gefühl, es würde <strong>mich</strong> ... ja, Scannen, genau Abtasten, Ana-<br />
lysieren, ich kann es nicht beschreiben.“<br />
„Es ist mir so was von egal, warum es dich nicht attackiert hat, Hauptsache, es hat<br />
nicht.“, erklärte Jim mit zitternder Stimme. „Ich konnte nicht aus dem verdammten Baum<br />
raus. Erst, als es weg war, ging es plötzlich wieder. Ich kapier das nicht. Es war, als würde<br />
<strong>mich</strong> was zurückhalten, zu Kelly zu kommen.“<br />
„Vielleicht hat dir das das Leben gerettet.“, sagte Sayid überlegend. „Nicht sehr viele<br />
haben die Begegnung mit dem Monster bisher überlebt.“<br />
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Frauke Feind<br />
Es dauerte eine Weile, bis wir uns alle soweit gefangen hatten, dass wir weiter gehen<br />
konnten. Jim blieb dicht bei mir und hatte den rechten Arm um <strong>mich</strong> gelegt. Er war still und<br />
schien tief in Gedanken zu sein. Schließlich fragte ich ihn:<br />
„Was ist mit dir?“ Er sah <strong>mich</strong> an und seufzte.<br />
„Na, was denkst du denn? Ich hab mir fast in die Hose gemacht. Ich dachte, das war‟s.<br />
Dass es dich vor meinen Augen zerfetzen würde, so, wie es damals die Söldner zerfetzt hat.<br />
Kelly, du hast keine Ahnung, zu was dieses Ding in der Lage ist!“<br />
Ich spürte, dass ihm ein Schauer über den Körper huschte und war dankbar für seine<br />
Sorge und Angst. Ich wollte antworten, wurde aber von Kate unterbrochen, die einige Meter<br />
vor uns ging.<br />
„Hier. Hier ist es! Oder sollte es sein. Hier ist der umgestürzte Baum, auf dem du<br />
damals gesessen hast, als ich dir zeigte, dass wir noch auf der Insel sind.“<br />
Auch Jim erkannte die Umgebung jetzt wieder und Jack seufzte.<br />
„Wie zu erwarten war, keine Station. Wunderbar. Nun sind wir so schlau wie vorher.“<br />
Frustriert kickte Jack einen Stein in den Dschungel. Ratlos standen wir alle da und Sayid<br />
meinte:<br />
„Es bleibt uns keine andere Wahl, wir müssen versuchen, die ‟Anderen‟ zu finden.“<br />
„Und wie sollen wir das schaffen, Ali? Solange durch den verdammten Dschungel latschen,<br />
bis wir über sie stolpern?“, fragte Jim ruhig.<br />
„So in etwa.“, erwiderte Sayid und sah uns der Reihe nach an. „Oder hat einer von<br />
euch eine bessere Idee?“<br />
Frustriert schüttelten wir die Köpfe. Es war scheinbar unsere einzige Möglichkeit. Wir<br />
hatten noch einige Stunden Licht, also entschieden wir, uns wieder auf den Weg zu machen,<br />
Richtung Norden über die Berge. Das war laut Aussage der Freunde durchaus machbar.<br />
12) Gefangen<br />
Die nächsten Meilen wurden sehr anstrengend und ab und zu gefährlich. Zwar waren<br />
die Berge durchaus bezwingbar, aber es ging an einigen Stellen doch ziemlich steil in die<br />
Höhe und grenzte schon deutlich mehr an Bergsteigen als an Wandern. Einmal mussten wir<br />
ein Stück zurück, da es einfach nicht weiter ging, ohne wirklich Gefahr zu laufen, abzu-<br />
stürzen. Fluchend und keuchend stiegen wir also wieder gute dreihundert Meter tiefer und<br />
wandten uns deutlich weiter nach Westen. Als es dunkel wurde, hatten wir ein kleines Plateau<br />
erreicht und sanken dort völlig erschöpft zu Boden. Uns allen knurrte der Magen, aber hier<br />
oben gab es nichts mehr, was man hätte essen können. Und auch Wasser fanden wir nicht. So<br />
legten wir uns durstig, hungrig und vollkommen erschöpft ins Gras und schliefen Minuten<br />
später bereits wie die Toten.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Am folgenden Morgen ging die Quälerei übergangslos weiter. Wir wollten endlich aus<br />
den Bergen raus. Wäre Jim nicht auf wundersame Weise von der Insel geheilt worden, er<br />
hätte diese strapaziöse Wanderung nicht durchgehalten. So aber stieg<br />
er unverdrossen weiter, half mir, wo es nur ging. Ab und zu hielt er<br />
sich zwar stöhnend das Kreuz, machte aber kommentarlos weiter.<br />
Schließlich hatten wir gegen Mittag den höchsten Punkt erreicht.<br />
Unglaublich erleichtert begannen wir nun mit dem Abstieg in das<br />
große, lang gestreckte Tal zwischen den beiden die Insel be-<br />
herrschenden Bergketten. Als wir tiefer und tiefer stiegen, wurde die Vegetation wieder<br />
dichter und schließlich entdeckte Kate zu unser aller Freude den ersten Papaya Baum. Sie war<br />
es auch, die an dem Baum in die Höhe turnte und uns die Früchte herunter warf. Heißhungrig<br />
machten wir uns darüber her. <strong>Der</strong> Saft des reifen Obstes löschte auch unseren Durst ein<br />
wenig, obwohl wir alle auch danach noch eine Menge für frisches Wasser gegeben hätten.<br />
Als wir auf diese Weise endlich wieder etwas im Magen hatten, machten wir uns deutlich<br />
besser gelaunt noch einmal auf die Füße. Immerhin hatten wir noch mindestens zwei Stunden<br />
Tageslicht. Kurz bevor es endgültig dunkel wurde, hatten wir die Berge hinter uns gelassen<br />
und marschierten durch ein mit übermannshohem Gras bewachsenes Gebiet. Jim sah sich um<br />
und meinte:<br />
bin.“<br />
„Das sieht hier aus wie in dem komischen Feld, wo ich damals zusammen gebrochen<br />
Mir jagte bei seinen Worten ein Schauer über den Rücken. Er hatte mir erzählt, dass<br />
die Anführerin der Hecküberlebenden ihn einfach hatte zurücklassen wollen.<br />
„Ich hab damals eigentlich schon abgeschlossen gehabt. Hab nicht damit gerechnet,<br />
dass Mike und Jin sich für <strong>mich</strong> einsetzen würden. Ich war sicher, die lassen <strong>mich</strong> einfach<br />
alleine zurück, zum Krepieren.“ Er war bei diesen Worten ziemlich erschüttert gewesen. „Ich<br />
hab ne höllische Angst gehabt. Krank, schwach, am Ende, und Ana erklärte einfach: Wir<br />
lassen ihn zurück. Ich hätte keine Chance gehabt, Kelly.“<br />
Glücklicherweise stand diese Ana-Lucia mit dieser Meinung alleine da. Jin und dieser<br />
Michael, der Erbauer des Floßes, hatten vehement dagegen protestiert und mit Hilfe eines der<br />
Hecküberlebenden eine stabile Trage gebaut, in der sie Jim dann mit geschleppt hatten. Ich<br />
griff unwillkürlich nach seiner Hand und er lächelte dankbar.<br />
Wir beschlossen, für heute Schluss zu machen und versuchten, es uns in dem hohen<br />
Gras bequem zu machen. Wir waren zwar wieder ziemlich am Ende unserer Kräfte, aber nicht<br />
so fertig wie am Abend zuvor. So saßen wir noch zusammen, Jim hatte sich ausgestreckt und<br />
seinen Kopf auf meinen Schoss platziert, und unterhielten uns.<br />
„Was ist eigentlich aus den Leuten aus dem Heckteil geworden?“, fragte ich neugierig.<br />
Sofort wurde die Stimmung gedrückt. Dann erklärte Jack:<br />
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Frauke Feind<br />
„Die meisten von ihnen sind inzwischen tot. Ana-Lucia, das war die Anführerin, und<br />
eine junge Frau namens Libby, wurden ... sie wurden von Michael erschossen. Das erfuhren<br />
wir aber erst später. Er hatte den Verdacht geschickt auf Ben gelenkt, um uns dazu zu bringen,<br />
diesen zu verfolgen. Mike war vorher von den ‟Anderen‟ überwältigt, in eines ihrer Lager<br />
geschleppt und zu seinem Sohn gebracht worden. Dort befahlen ihm die ‟Anderen‟, Kate,<br />
Hurley, Sawyer und <strong>mich</strong> selbst zu ihnen zu bringen. Im Gegenzug würde er Walt zurück-<br />
bekommen und die Gelegenheit, mit einem Boot von der Insel zu verschwinden. Michael ver-<br />
sprach, alles genauso zu machen. Wir erfuhren zwar von der Falle, und Michael gab irgend-<br />
wann im Wald zu, dass er die beiden Frauen getötete hatte, aber unser Gegenplan ging schief.<br />
Du weißt, dass wir in ihre Gefangenschaft gerieten. Hugo wurde ins Camp zurückgeschickt<br />
mit der Auflage, den restlichen Leuten dort klar und deutlich zu machen, dass es keinen Sinn<br />
haben würde, nach uns zu suchen, und dass es katastrophale Konsequenzen haben würde,<br />
wenn sie sich nicht daran hielten.“<br />
Ich war entsetzt.<br />
„Und was ist aus diesem Michael geworden?“<br />
Jim lachte sarkastisch.<br />
„<strong>Der</strong> Bastard stieg vor unseren Augen in das verdammte Boot und zitterte mit Walt ab,<br />
ohne uns noch eines Blickes zu würdigen. Ich hoffe, er schmort inzwischen in der Hölle. Er<br />
hat mir zwar das Leben gerettet, aber dafür hat er uns alle chancenlos diesen Mistkerlen zum<br />
Fraße vorgeworfen.“<br />
Kate stimmte ihm zu.<br />
„Das hoffe ich auch. Kelly, du machst dir keine Vorstellung davon, wie grässlich es<br />
bei den ‟Anderen‟ war. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst gehabt.<br />
Dieser Danny ... Er war wirklich ein Psycho wie er im Buche steht. Jin, Sun und Sayid hatten<br />
damals versucht, uns zu helfen, weißt du. Sie hatten die Insel mit Desmonds Boot umsegelt<br />
und wollten die ‟Anderen‟ von der Wasserseite überraschen. Das ging jedoch schief. Die Frau<br />
von diesem Danny, sie hieß Coleen, wurde von Sun in Notwehr angeschossen und starb<br />
später. Daraufhin drehte Danny vollkommen durch und konzentrierte seinen ganzen Hass auf<br />
Sawyer. Es kam zu dem Zwischenfall, bei dem Danny ihn fast totgeschlagen hätte. Und als ob<br />
das noch nicht gereicht hätte, wollte er ihn dann ja vor meinen Augen erschießen.“<br />
Kate verstummte und ich sah, dass ihr Tränen über die Wangen kullerten. Jim lag auf<br />
meinem Schoss und seine Rechte tastete unwillkürlich nach meiner Hand. Kate fuhr leise fort:<br />
„Sie haben uns damals am Pier, nachdem Mike abgehauen war, Säcke über den Kopf<br />
gezogen und dann haben sie uns irgendwas gespritzt. Ich<br />
bin erst wieder zu mir gekommen auf der kleinen Insel.“<br />
„Ja, ich wachte in dem verdammten Bärenkäfig<br />
auf. War ein erhebendes Gefühl. Als sie dich später<br />
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brachten und in den Käfig gegenüber steckten, war ich erleichtert, dich überhaupt zu sehen.<br />
Wir wussten zu dem Zeitpunkt ja nicht, was noch auf uns zukommen würde.“<br />
Er schwieg gedankenverloren und ich wusste, er war wieder in dem Käfig. Und ich<br />
konnte wieder einmal nicht fassen, was den <strong>Über</strong>lebenden hier widerfahren war.<br />
Eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen zwischen uns, dann räusperte Jack sich.<br />
„Okay, wir sollten versuchen, zu schlafen. Morgen wird es wieder anstrengend.“<br />
Er hatte Recht. Wir versuchten, es uns so bequem wie möglich zu machen, wobei das<br />
Wort bequem eigentlich blanker Hohn war. Ich hatte es jetzt schon satt, auf dem nackten<br />
Boden liegen zu müssen, aber als Jim sich schließlich eng an <strong>mich</strong> kuschelte, hätte ich dieses<br />
wunderschöne Gefühl nicht gegen das beste Bett der Welt eingetauscht. Er gab mir einen<br />
Kuss und flüsterte:<br />
„Ich liebe dich.“<br />
Am liebsten hätte ich ihn in <strong>mich</strong> auf gesogen.<br />
„Ich liebe dich auch.“<br />
Seine Linke lag auf meinem Bauch und verursachte dort eine so angenehme Wärme,<br />
als wäre sie eine Daunenzudecke. Nach einigen Minuten verrieten mir seine ruhigen, gleich-<br />
mäßigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war. Ich jedoch lag noch lange wach, lauschte auf<br />
die nächtlichen Geräusche des Dschungels, die Atemgeräusche der Anderen und sah die<br />
Sterne über mir. Hier zu sein erschien unwirklich und fantastisch. Meine Gedanken kehrten<br />
noch einmal zu der unheimlichen Begegnung mit dem Rauchmonster zurück und ich<br />
schüttelte <strong>mich</strong> innerlich. Was immer es auch gewesen war, es wusste jetzt genau, wer und<br />
was ich war, da war ich mir sicher. Warum es <strong>mich</strong> nicht angegriffen hatte, konnte ich mir<br />
absolut nicht erklären. Aber das darüber Nachgrübeln half mir auch nicht weiter. Energisch<br />
schob ich die Gedanken zur Seite und schloss die Augen.<br />
************<br />
<strong>Der</strong> nächste Tag brachte erst einmal eine <strong>Über</strong>raschung. Als ich aufwachte, lag ich<br />
alleine im hohen Gras, Jim war nicht mehr bei mir. In einiger Entfernung hörte ich leise<br />
Stimmen sich unterhalten. Müde und steif setzte ich <strong>mich</strong> auf und sah zu den Stimmen<br />
hinüber. Die anderen saßen ein paar Schritte entfernt am Boden um ein kleines Lagerfeuer.<br />
Und über diesem Lagerfeuer brutzelte etwas, das wie ein Kaninchen aussah! Ich sprang auf<br />
und eilte zu ihnen hinüber. Jim drehte sich herum, als er <strong>mich</strong> kommen hörte und grinste.<br />
„Ich wollte schon den Doc zu dir schicken, ihn kontrollieren lassen, ob du über Nacht<br />
ins Koma gefallen bist.“, begrüßte er <strong>mich</strong> frech.<br />
„Was denn? Heute ist Sonntag, da schlaf ich immer aus.“, erwiderte ich schmunzelnd<br />
und kniete neben ihm nieder. „Was ist das?“, fragte ich sehr geistreich.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Na, ich würd es für n Lagerfeuer mit Frühstück halten. Du hast es übrigens nur dem<br />
Sonntagsbraten zu verdanken, dass du solange schlafen durftest.“<br />
Jim zog <strong>mich</strong> an sich und gab mir einen liebevollen Kuss, der von Kate frustriert be-<br />
obachtet wurde.<br />
„Ist es vom Himmel gefallen?“, fragte ich mit einem Nicken in Richtung des Bratens.<br />
„Nein, eher nicht. Davy Crockett hat es gefangen. Es war verletzt, sonst hätte er es nicht ge-<br />
kriegt.“<br />
Ich seufzte. Zwar war ich mit Grandpa auch auf der Jagd gewesen, aber wir hatten<br />
auch immer nur verletzte, schwache und kranke Tier geschossen. Spaß hatte es mir nie ge-<br />
macht, aber Grandpa hatte als Volontär fürs Forstamt gearbeitet und ich hatte die Notwendig-<br />
keit eingesehen, den Tierbestand auf diese fachmännische Weise unter Kontrolle zu halten. Er<br />
war ein hervorragender Schütze gewesen und die Tiere hatten nie gelitten. Und auch <strong>mich</strong><br />
hatte er erst zu einer wirklich guten Schützin ausgebildet, bevor ich das erste Mal ein Reh<br />
schießen durfte. Ich hatte damals Rotz und Wasser geheult, aber das Tier hatte sich das Bein<br />
gebrochen und wäre jämmerlich verendet, wenn wir es nicht von seinem Leiden erlöst hätten.<br />
Sayid testete gerade mit seinem kleinen Messer, wie weit das Fleisch war und nickte<br />
zufrieden. Er grinste Kate und <strong>mich</strong> an und fragte:<br />
Essen.“<br />
„Ladys, wie sieht es aus, sind die Kartoffeln und der Rotkohl fertig? Wir können<br />
Wir grinsten und ich nickte.<br />
„Ja, Sir, alles bereit.“<br />
Sayid nahm vorsichtig das fertig gegarte Kaninchen vom Feuer, wartete einige<br />
Minuten und zerlegte es in fünf Teile. Als wir auf dem warmen, zarten Fleisch herum kauten,<br />
kam es uns allen nach der Obstdiät der letzten Tage wie ein fünf Sterne Dinner vor. Zum<br />
Nachtisch gab es Papayas und fast satt erhoben wir uns schließlich, um uns wieder auf den<br />
Weg zu machen.<br />
Wir marschierten stetig weiter nach Norden und entdeckten nichts und niemanden.<br />
Einmal meinten wir in sehr weiter Ferne erneut die Geräusche des Monsters zu hören, waren<br />
uns aber nicht sicher, ob wir sie uns nicht doch nur eingebildet hatten. <strong>Der</strong> Tag verging ohne<br />
weitere Vorkommnisse und am frühen Abend meinte Jim schließlich:<br />
auch immer.“<br />
„Ich bin sicher, weiter westlich liegt das Dorf, oder wird es in Zukunft liegen, wie<br />
Jack überlegte.<br />
„Vielleicht sollten wir es einfach einmal probieren ...“<br />
Müde nickten wir. Dann setzten wir uns westlich in Bewegung. Jim war im Verlaufe<br />
des Tages langsam geworden und blieb immer wieder kurz stehen, um sich den Rücken zu<br />
halten. Schließlich fragte ich ihn:<br />
- 128 -
„Ist alles in Ordnung?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Er schüttelte ziemlich gereizt den Kopf und knurrte:<br />
„Kann man so nicht sagen. Mir tut das verdammte Kreuz weh.“<br />
Ein Schatten huschte dabei verräterisch über sein Gesicht, den ich nicht deuten konnte.<br />
„Das tut mir leid. Ich werde dich nachher massieren, das geht auch ohne Öl, okay?“<br />
Er verzog das Gesicht und nickte.<br />
„Ja, hört sich gut an.“<br />
Ich beobachtete ihn aufmerksam und mir ging durch den Kopf, dass es kaum noch<br />
vom langen Liegen in der Hütte kommen konnte, dass ihm der Rücken so oft so wehtat. Ich<br />
nahm mir vor, ihn später darauf anzusprechen.<br />
Als die Sonne unterging, waren wir nach Aussage Jims nur noch knapp eine halbe<br />
Meile vom Barackendorf entfernt. Aber wir wollten nicht im Dunkeln dort ankommen, zumal<br />
es irgendein Sicherheitssystem geben sollte, wie Kate erzählte. So lagerten wir auf einer<br />
kleinen Wiese und Jim und ich setzten uns etwas abseits in Gras. Ich bat ihn, sich das Hemd<br />
auszuziehen und sich auf den Bauch zu legen. Ohne das Massageöl war es zwar nicht ganz so<br />
angenehm, aber es gelang mir trotzdem, dafür zu sorgen, dass Jims Rücken sich entspannt.<br />
Was er nicht mitbekam war die Tatsache, dass ich seine Wirbelsäule diesmal gründlich ab-<br />
tastete und dabei an seiner Lendenwirbelsäule, am L 1, dem ersten Lendenwirbel, eine Ver-<br />
dickung fühlte. Erschrocken zuckte ich zusammen und rief ohne zu Zögern Jack.<br />
„Kannst du bitte mal kurz kommen?“<br />
Jim fuhr wütend auf.<br />
„Was soll das? Brauchst du Verstärkung?“<br />
Er versuchte, sich herum zu drehen, aber ich sagte ruhig:<br />
„Bitte, Jim, bleib liegen.“<br />
Knurrend und sehr widerwillig tat er mir den Gefallen. Jack kam zu uns herüber und<br />
fragte erstaunt:<br />
„Was ist denn los?“<br />
„Kannst du dir dass mal ansehen?“, bat ich ihn nervös und deutete auf die Stelle, die<br />
mir aufgefallen war.<br />
Jack nickte und kniete sich neben Jim, der genervt vor sich hin grummelte. Er legte<br />
seine Hände unterhalb der Stelle an Jims Wirbelsäule und tastete sich langsam hoch. Und<br />
dann hatte er die Stelle erreicht, die ich meinte. Er ließ seine Hände einen Moment dort und<br />
setzte sich neben uns. Einen Moment war er still, doch schließlich fragte er leise:<br />
„Wie lange weißt du es schon?“<br />
Ich hatte plötzlich einen Knoten im Hals. Und Jim setzte sich auf, schnappte sich sein<br />
Hemd und starrte verbissen ins Gras vor sich. Er atmete tief durch und sagte leise:<br />
„Seit ... acht Wochen ungefähr.“<br />
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Jack nickte ruhig.<br />
„Was ist es?“, fragte er.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim starrte immer noch auf den Boden und erklärte schließlich leise:<br />
„Kein Krebs, aber inoperabel.“<br />
Mir schossen Tränen in die Augen. Jack nickte frustriert und stemmte sich müde auf<br />
die Beine. Jim sah zu ihm auf und erklärte hart:<br />
„Kein Wort, klar?“<br />
Jack nickte. Langsam ging er zu den Kate du Sayid zurück. Ich hockte zitternd neben<br />
Jim und fragte schließlich mit tränenerstickter Stimme:<br />
„Wann hattest du vor, es mir zu sagen?“<br />
Unglücklich seufzte er und sagte:<br />
„Gar nicht ...“<br />
„Wie hast du es erfahren?“<br />
Er sah wieder auf den Boden und schließlich fing er zögernd an:<br />
„Ich war in nem Shopping Center und auf dem Parkplatz hat so ein Opa <strong>mich</strong> im<br />
Rückspiegel übersehen. War nicht schlimm, aber du weißt ja, wie das läuft. Halskrause, nicht<br />
bewegen, ab in die nächste Klinik. Dort haben sie ein CT gemacht, um sicher zu gehen, dass<br />
ich mir nichts gebrochen hatte.“<br />
Unter Tränen nickte ich.<br />
„Dabei haben sie es entdeckt.“, stieß ich hervor.<br />
Er nickte.<br />
„Sie habe es biopsiert, festgestellt, dass es kein Krebs ist, aber eben nicht zu<br />
Operieren. Es wird wachsen und ...“<br />
Er verstummte. Verzweifelt schluchzte ich auf und Jim zog <strong>mich</strong> an sich. Stumm<br />
saßen wir da und mir war plötzlich und überdeutlich klar, was seine bedrückten Blicke so<br />
dann und wann bedeutet hatten. Weinend hing ich in Jims Armen und wusste nicht, was ich<br />
sagen sollte. Irgendwann sagte er leise:<br />
hervor.<br />
„Hey, noch ist es nicht so weit, Süße.“<br />
Ich spürte ihn leicht zittern und wusste, dass er Angst hatte.<br />
„Du hättest nicht mit hierher kommen dürfen.“, stieß ich vollkommen verzweifelt<br />
„Warum nicht? Ist doch egal, wo ich bin, machen kann ohnehin keiner was. Ich hab<br />
nicht mit dir gerechnet, aber sonst dachte ich mir, hier geht‟s vielleicht schneller.“<br />
Ich hatte das Gefühl, als würde in mir etwas zerreißen.<br />
************<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Wann ich in dieser Nacht einschlief, konnte ich nicht sagen. Irgendwann fielen mir vor<br />
Erschöpfung die Augen zu. Als ich wieder aufwachte, hatte ich das Gefühl, keine Stunde ge-<br />
schlafen zu haben. Jim war nicht mehr bei mir, er stand ein wenig abseits, bei den anderen,<br />
und deutete in den Dschungel vor uns. Ich sah ihn an und mir schossen wieder Tränen in die<br />
Augen. Energisch zwang ich <strong>mich</strong>, sie herunter zu schlucken. Steif kam ich auf die Beine und<br />
trat zu Jim und den Freunden hinüber. Gerade meinte er:<br />
„Die müssten eigentlich schon in Sichtweite sein.“<br />
Mühsam beherrscht fragte ich:<br />
„Morgen. Was müsste zu sehen sein?“<br />
Jim drehte sich erschrocken zu mir herum und warf mir einen flehenden Blick zu.<br />
Schnell sagte er:<br />
„Die Pfeiler des verdammten Sonarzaunes.“<br />
Er sah sich suchend um und erklärte nachdrücklich:<br />
„Ich bin absolut sicher, dass sie dort drüben anfingen.“<br />
„Was denn bitte für ein Sonarzaun?“, fragte ich verwirrt.<br />
Jack erklärte mir:<br />
„Die DHARMA Initiative hatte um ihr Dorf herum einen Sonarzaun errichtet, der<br />
einen starken Fluss von Schallwellen mit hoher Intensität erzeugte. Diese Schallwellen ver-<br />
hinderten ein Passieren des Zaunes. Um durchzukommen, musste man ihn mittels eines sich<br />
ständig ändernden Codes deaktivieren. Wenn es das Dorf schon gäbe, würden wir diesen<br />
Zaun sehen können. Wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass es ihn eben noch<br />
nicht gibt, also auch das Dorf nicht.“<br />
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber dazu kam er nicht mehr. Plötzlich flogen von<br />
vor uns aus dem Gebüsch kleine Pfeile auf uns zu. Jack war der Erste, den einer dieser Pfeile<br />
traf. Aufschreiend vor Schmerzen ging er zu Boden und wand sich dort in Qualen. Kate<br />
wollte zu ihm eilen, wurde aber ebenfalls von einem der Pfeile getroffen und brach schreiend<br />
zusammen. Sayid warf sich geistesgegenwärtig auf den Boden und ich konnte ihn nicht mehr<br />
sehen, denn jetzt wurde auch Jim getroffen. Als ich ihn aufschreien hörte und zusammen<br />
brechen sah, rannte ich los, um zu ihm zu gelangen, aber ich kam keine zwei Schritte weit,<br />
dann erwischte es auch <strong>mich</strong>. Was immer es war, womit wir beschossen wurden, es ver-<br />
ursachte augenblicklich unerträgliche Schmerzen. Wie Stromstöße schossen sie durch den<br />
Körper und ich brüllte ebenfalls in Qualen auf. Aber nicht lange, denn mir wurde schwarz vor<br />
Augen und ich merkte nichts mehr.<br />
************<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich trieb auf Wellen von Übelkeit dahin. Es fiel mir unglaublich schwer, wieder in die<br />
Realität zurückzukehren. Mühsam versuchte ich, die Augen aufzubekommen. Neben mir<br />
hörte ich ein gequältes Stöhnen und endlich gelang es mir, die Augen zu öffnen. Mein<br />
Schädel hämmerte und brummte und es hätte nicht mehr viel gefehlt, und ich hätte <strong>mich</strong><br />
übergeben. Lediglich die Tatsache, dass ich nichts im Magen hatte, verhinderte dies. Mit<br />
offenem Mund atmete ich schnell und flach einige Male ein und aus, dann legte sich die<br />
Übelkeit endlich ein wenig. Sehr vorsichtig hob ich den Kopf. Was ich sah, hätte fast gereicht,<br />
<strong>mich</strong> gleich wieder ins Reich der Träume zurückzuschicken. Ich hing an einer Felswand, ge-<br />
halten von Stahlmanschetten am Handgelenk. Mir gegenüber hing Kate, in der gleichen<br />
Position. Von Jack, Sayid und Jim sah ich keine Spur. Kate schien auch eben erst zu sich ge-<br />
kommen zu sein, denn ihre Augen huschen genauso nervös umher wie meine. Mühsam<br />
richtete ich <strong>mich</strong> auf. Meine Schultern und Arme schienen dabei protestierend zu Jammern.<br />
Ich sah zu Kate hinüber und fragte schwerfällig:<br />
„Hey. Geht es dir gut?“<br />
Verzweifelt lachte sie.<br />
„Ging mir nie besser.“<br />
Ich sah <strong>mich</strong> etwas gründlicher um. Das Loch, in dem wir gefangen waren, war<br />
vielleicht zwei Meter im Durchmesser. Es war in den Fels gehauen worden und wurde durch<br />
eine einfache Gittertür verschlossen.<br />
„Wo ... wo sind die Männer?“, stieß ich panisch hervor.<br />
Mein Verstand realisierte langsam, dass werde Jim, noch Jack oder Sayid bei uns<br />
waren. Hoffnungslos schüttelte Kate den Kopf.<br />
„Ich habe keine Ahnung.“<br />
Verzweifelt ließ ich den Kopf gegen den Fels sinken.<br />
„Oh, Gott!“<br />
Minutenlang hingen wir schweigend da und versuchten, uns nicht von der um die Ecke<br />
lauernden Verzweiflung komplett überrollen zu lassen.<br />
„Was ist eigentlich passiert?“, fragte ich schließlich leise.<br />
„Die haben uns mit irgendwas beschossen, kleine Pfeile oder was immer es gewesen<br />
ist. Die haben sie damals auch benutzt, als sie uns nach Michaels Verrat geschnappt haben.<br />
Ich hab keine Ahnung, was das für Dinger sind.“<br />
„Sie haben jedenfalls höllisch wehgetan.“, bestätigte ich.<br />
In meinen Ohren hallten Jims Schreie nach und ich schüttelte <strong>mich</strong>. Es war entsetzlich<br />
gewesen, ihn vor Schmerzen schreien zu hören.<br />
herüber.<br />
„Wie lange mögen wir schon hier sein?“, fragte Kate verängstigt und sah zu mir<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„So, wie meine Arme schmerzen, mindestens ein paar Monate.“, erwiderte ich<br />
frustriert. „Aber ich denke, es sind vielleicht ein paar Stunden. Ich habe keine Vorstellung.<br />
Ohne Tageslicht ...“<br />
Wieder kreisten meine Gedanken um Jim. Und das war nichts, was ich mir wünschte,<br />
trieben mir diese Gedanken doch augenblicklich wieder die pure Verzweiflung in die Glieder.<br />
„Wo mögen sie nur die Männer hin geschafft haben?“, fragte Kate und sah zur Tür, ob nicht<br />
vielleicht jemand kommen und Jack, Sayid und Jim bringen würde. Natürlich passierte das<br />
nicht.<br />
Kate sah <strong>mich</strong> an und plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen. Man sah ihr deut-<br />
lich an, dass sie nur noch aus nackter Angst bestand. Immerhin hatte sie sich schon in den<br />
Händen dieser Leute befunden und wusste nur zu genau, wozu diese fähig waren.<br />
„Kate. Es wird schon alles irgendwie gut gehen.“, versuchte ich ihr Mut zu machen.<br />
Mut, den ich selbst nicht empfand.<br />
Meine Emotionen waren reif für eine Grundüberholung. Alles, was in den letzten drei<br />
Wochen auf <strong>mich</strong> eingestürmt war, was <strong>mich</strong> aus meiner beschaulichen, kleinen Welt ge-<br />
rissen hatte, traf <strong>mich</strong> jetzt mit voller Wucht, denn erst hier, gefesselt in diesem Loch, hatte<br />
ich wirklich ungestört Gelegenheit, über all das nachzudenken. Von Jims überraschendem<br />
Auftauchen an meinem Jeep in Wright bis zum Aufwachen hier war alles ein einziger, böser<br />
Traum gewesen, mit einigen wenigen lichten und schönen Momenten. Als krönender Ab-<br />
schluss des ganzen Horrors die Erkenntnis am Abend, dass Jim einen Tumor an der Wirbel-<br />
säule hatte, der ihn umbringen würde und die Gefangennahme. Ich konnte nicht mehr ver-<br />
hindern, dass auch mir Tränen über die Wangen kullerten. Und in meine Verzweiflung hinein<br />
platzte Besuch.<br />
Wir hörten Schritte sich nähern und dann stand plötzlich eine vielleicht vierzig jährige<br />
Frau vor der Gittertür. Sie sah zu uns hinein und grinste.<br />
„Da seid ihr ja wieder, wie schön.“<br />
Sie rief zu jemandem hinter sich:<br />
„Alles klar, Pete, sie sind wach.“<br />
Sie schloss die Tür auf. Augenblicke später kam ein junger Mann dazu und musterte<br />
Kate und <strong>mich</strong> geringschätzig. Die beiden Fremden traten zu uns in das kleine Loch und<br />
lösten unsere Fesseln mit dem Hinweis, dass ein falscher Blick genügen würde, uns in sehr<br />
ernste Schwierigkeiten zu bringen. Wir wagten daraufhin kaum, weiter zu atmen und ließen<br />
uns stöhnend vor Schmerzen die Hände auf den Rücken drücken und in dieser Haltung mit<br />
normalen Handschellen erneut fesseln. Jetzt packte Pete <strong>mich</strong>, die Frau Kate am Oberarm und<br />
man führte uns aus dem Loch hinaus, einen dunklen Gang entlang, der ebenso wie das Loch<br />
in den Fels gehauen worden war. Schließlich wurde es vor uns hell und wir standen im Freien.<br />
Hektisch sahen wir uns um, in der Hoffnung, irgendwo die Männer zu entdecken, aber diese<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Hoffnung wurde brutal enttäuscht. Keine Spur war von ihnen zu sehen. Dafür machten wir,<br />
als unsere Augen sich an das helle Licht gewöhnt hatten, einige Zelte aus, die sehr bewohnt<br />
aussahen. Zwischen diesen Zelten hindurch führte man uns zu einer riesigen Akazie, unter der<br />
ein einfacher Campingtisch, einige Stühle und andere Gegenstände standen. Man drückte uns<br />
auf zwei dieser Stühle und die Frau herrschte uns an, uns ja nicht zu rühren. Eingeschüchtert<br />
und verängstigt hockten wir da und harrten der Dinge, die da kommen mochten. Und sie<br />
kamen. In Form eines dunkelhaarigen, recht gut aussehenden Mannes um die vierzig. Kate<br />
keuchte erschrocken leise auf.<br />
„Richard ...“<br />
************<br />
Jim kam langsam zu sich. Er spürte die Nachwirkungen dessen, mit was auch immer<br />
man ihn und die Anderen beschossen hatte, in den Knochen und ihm war speiübel. Sein Kopf<br />
drohte zu platzen und er hätte ungehalten geflucht, hätte nicht ein unangenehmer Knebel in<br />
seinem Mund gesteckt. Er wollte die Augen öffnen, doch schnell merkte er, dass das nicht<br />
ging. Man hatte sie ihm mit einem Tuch verbunden. Außerdem spürte er schmerzhaft, dass er<br />
an den Handgelenken gefesselt vermutlich von der Decke hing. Seine Füße berührten eben<br />
noch den Boden und Jim hörte sein eigenes, schmerzerfülltes Stöhnen gedämpft durch den<br />
Knebel. Die Nachwirkungen des Betäubungsmittels ließen schnell nach und Jim versuchte,<br />
Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Leider gelang ihm das nur dürftig. Er versuchte aus-<br />
zumachen, ob jemand bei ihm war. Des optischen Sinnes beraubt, reagierten seine Ohren<br />
noch besser auf akustische Reize, als sie es ohnehin schon taten, und er hörte neben sich<br />
jemanden schwer atmen. Erneut verfluchte er den Knebel. Er wollte wissen, ob Kelly bei ihm<br />
war, ob es ihr gut ging, ob sie verletzt oder schlimmeres war. Er malte sich aus, dass sie ver-<br />
letzt sein konnte und sein Magen drehte sich augenblicklich herum.<br />
- Bitte, lieber Gott, lass ihr nichts passiert sein! -<br />
dachte er verzweifelt. Was in den Tagen, seit er sie kennen gelernt hatte, alles passiert<br />
war, ließ es an ein Wunder grenzen, dass bisher (hoffentlich) keinem von ihnen etwas ernst-<br />
haftes zugestoßen war. Allerdings konnte sich das schnell ändern. In wessen Händen sie sich<br />
auch immer befanden, Gute konnten es nicht sein.<br />
Er versuchte verzweifelt, seine Arme etwas zu entlasten, in dem er sich mehr auf die<br />
Fußspitzen stemmte, aber der wenige Bodenkontakt, den er hatte, ließ keinen Spielraum zu.<br />
So gab er schließlich auf und konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken sich selbstständig<br />
machten. Und dass Angst in ihm hoch kroch. Hier so vollkommen hilf- und wehrlos herum zu<br />
hängen, ließ ihm Schauer über den Körper jagen. Er lauschte auf jedes noch so kleine Ge-<br />
räusch, aber außer dem zweiten, schweren Atmen war nichts zu vernehmen. Wer mochte das<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
sein? Jack? Sayid? Oder eine der Frauen? Jims Gedanken kehrten zum vergangenen Abend<br />
zurück. Dass Kelly nun wusste, dass er einen Tumor hatte, war nicht geplant gewesen. Als er<br />
es im Krankenhaus zu erfahren bekommen hatte, war er wie paralysiert gewesen. Wut, Angst,<br />
Verzweiflung, all das war wie ein wildes Tier über ihn herein gebrochen und hatte ihn<br />
tagelang in den Klauen gehabt. Die Ärzte hatten ihm erklärt, was passieren würde. <strong>Der</strong> Tumor<br />
würde wachsen, irgendwann zwangsläufig zur Lähmung führen, später würden auch sehr<br />
starke Schmerzen einsetzen und schließlich würde er die Lebensleitung in der Wirbelsäule<br />
einfach abklemmen und das war‟s dann. Jim war tagelang sturzbesoffen gewesen. Schließlich<br />
aber hatte er sich gefangen und nun musste er damit leben, dass er eben nicht mehr lange<br />
leben würde. Die Ärzte hatten ihm höchstens noch ein Jahr gegeben, eher deutlich weniger,<br />
denn der Tumor wuchs schnell. Okay, er hatte sich letztlich damit abgefunden. Dass er dann<br />
aber Kelly kennen lernte, hatte alles über den Haufen geschmissen. Endlich hatte er eine Frau<br />
gefunden, die ihn liebte, obwohl sie alles über ihn wusste. Leute, die ihn näher kannten, und<br />
das waren wenige genug, hatten ihm immer eine gewisse Todessehnsucht nachgesagt.<br />
Wirklich abstreiten konnte Jim diese Annahme nicht. Aber jetzt wusste er nur eines: Nie<br />
zuvor war der Wunsch, alt zu werden, so groß in ihm gewesen. Und genau das würde er nicht<br />
werden.<br />
Plötzlich zuckte er erschrocken zusammen. Ganz deutlich hörte er Schritte sich<br />
nähern. Schritte von mindestens drei Menschen. Angespannt lauschte er und hörte unzweifel-<br />
haft, dass die Schritte sich ihm näherten. Und dann sagte eine Stimme unmittelbar vor ihm:<br />
„Na, wie nett, da weilt ihr ja wieder unter den Lebenden. Dann können wir uns ja ein wenig<br />
unterhalten.“<br />
Jim spürte Hände, die sich an der Augenbinde zu schaffen machten und nun wurde sie<br />
ihm endlich abgenommen. Geblendet schloss er die Augen. Er öffnete sie langsam wieder und<br />
nach einigen Augenblicken sah er mehr als grelle Blitze. Drei Männer standen vor ihm,<br />
keinen davon kannte er. Einer der Typen griff nach dem Knebel und nahm ihm diesen eben-<br />
falls ab. Und jetzt sah Jim auch endlich, dass es Jacks Atmen gewesen war, dass er die ganze<br />
Zeit neben sich gehört hatte. Dieser hing in der gleichen Haltung wie er selbst neben ihm und<br />
blinzelte gerade zu Jim hinüber. Sie befanden sich in einer kleinen, scheinbar in den Felsen<br />
gehauenen Höhle, vielleicht fünf Meter im Durchmesser. Kahle Wände, nur der Balken, von<br />
dem sie herunter hingen, war nachträglich angebracht worden. <strong>Der</strong> Mann, der ihnen die<br />
Knebel abgenommen hatte, grinste und sagte zu seinen Kumpels:<br />
sind.“<br />
„Viel Spaß. Ich werde mal Bescheid sagen, dass die Gentlemen zu sich gekommen<br />
Er drehte sich herum und verschwand. Die beiden anderen Typen allerdings blieben.<br />
Und das verursachte bei Jim eine Gänsehaut.<br />
Einer der Beiden trat dich an Jim heran.<br />
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Frauke Feind<br />
„Hallo, mein hängender Freund.“, sagte er ruhig. „Wir würden gerne ein wenig Kon-<br />
versation mit euch machen, wo ihr doch wieder ansprechbar seid. Wie sieht es aus? Seid ihr<br />
für eine kleine Unterhaltung bereit?“<br />
heiser sagte:<br />
Schwer atmend hingen sowohl Jack als auch Jim in ihren Fesseln und Jack war es, der<br />
„Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns?“<br />
Anscheinend war es nicht das, was die Kerle unter Konversation verstanden, denn fast<br />
bedauernd schüttelte der Mann, der vor Jack Aufstellung genommen hatte, den Kopf. Dann<br />
holte er kurz aus und drosch dem Arzt die Faust in dem Körper. Als Jack wieder zu Atmen<br />
gekommen war, sagte der Typ fast freundlich:<br />
stumm.<br />
seid ihr?“<br />
er:<br />
vor Jim:<br />
ihr her?“<br />
„Ihr redet nur, wenn ihr gefragt werdet, verstanden?“<br />
Giftig und verängstigt gleichzeitig starrten Jim und Jack die Männer an und nickten<br />
„So ist es besser. Also, meine Herren, fangen wir mit einer einfachen Frage an: wer<br />
Jack seufzte frustriert und sagte möglichst ruhig:<br />
„Mein Name ist Jack Shephard. Ich bin Arzt, Chirurg, um genau zu sein.“<br />
Jim biss sich auf die Zunge, um keine unerlaubte Bemerkung zu machen, dann erklärte<br />
„Ich heiße James Ford.“<br />
Offensichtlich waren ihre Besucher zufrieden, denn sie nickten. Nun erklärte der Typ<br />
„Das war schon mal sehr gut. Die nächste Frage wird schon schwieriger. Wo kommt<br />
Hektisch überlegte Jack, was er antworten sollte. Doch Jim kam ihm zuvor.<br />
„Wir sind mit nem Segelboot unterwegs gewesen und hatten technische Probleme. <strong>Der</strong><br />
verdammte Karren ist abgesoffen und wir konnten uns eben noch auf diese Insel retten.“<br />
Jack beglückwünschte Jim im Stillen für dessen auch in Krisensituationen blitzschnell<br />
funktionierenden Verstand und betete, dass diese Erklärung reichen würde.<br />
„Von wo seid ihr gekommen?“, fragte der Typ ruhig und Jim erklärte:<br />
„Wir sind schon Wochen unterwegs, sollte ne Weltumseglung werden. Wir sind auf<br />
Guam gestartet, von Hagåtña.“<br />
leise:<br />
ein.<br />
Ohne eine Gemütsregung zu zeigen sah der Typ Jim an. Dann fragte er gefährlich<br />
„Bist du sicher?“<br />
Jack wusste nicht, ob er sich den nächsten Schlag einfangen würde, mischte sich aber<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, sicher. Ich weiß nicht, welches Datum wir heute haben, aber wir sind am zehnten<br />
Februar von Hagåtña aus gestartet.“<br />
<strong>Der</strong> Typ, der vor ihm stand, fixierte Jack kalt und sagte:<br />
„Ich gebe euch noch eine Chance, euch eure Antwort zu überlegen.“<br />
Hektisch dachte Jack nach. Wollten die Typen sie nur in eine Falle locken oder<br />
wussten sie tatsächlich mehr? Er warf einen kurzen Blick zu Jim hinüber und sagte fest:<br />
haben.“<br />
„Da gibt es nichts zu überlegen. Wir werden doch noch wissen, was wir gemacht<br />
Ganz offensichtlich war das die falsche Antwort, denn ohne Vorwarnung holten die<br />
Kerle aus und droschen den Gefesselten die Fäuste einige Male brutal in die ungeschützten<br />
Körper. Die Wehrlosen zuckten unter den brutalen Hieben aufkeuchend zusammen. Die Luft<br />
blieb ihnen weg und Schmerzwellen schossen durch ihre Körper. Verzweifelt bemühten sich<br />
beide, die Bauchmuskulatur anzuspannen, um den Schlägen so die größte Wucht zu nehmen,<br />
aber es gelang ihnen nicht. Schließlich ließen die Typen von ihnen ab und gaben ihnen sogar<br />
Gelegenheit, zu Atem zu kommen. Dann fragte der Typ bei Jack erneut:<br />
„So, noch mal von vorne. Wo kommt ihr her?“<br />
Verzweifelt wechselten die Gefesselten einen Blick, der mehr als deutlich besagte:<br />
„Was nun?“<br />
************<br />
13) Kein Ausweg<br />
Kate starrte den dunkelhaarigen Mann an und biss sich auf die Lippen. Sie hatte ihn<br />
sofort wieder erkannt. Anscheinend veränderte der Typ sich nie. Ich beobachtete Kate auf-<br />
merksam und bemerkte ihre Unsicherheit. Richard. Den Namen hatte irgendjemand schon<br />
erwähnt. Richard ... Richard Alpert! Jetzt wusste ich es wieder. Das war der Mann, der<br />
scheinbar nicht alterte. Und nun stand er mir gegenüber. Auch in Grandpas Unterlagen war<br />
der Name erwähnt worden. Dort hatte es immer geheißen, Richard sei der geistige Anführer.<br />
Nervös sah ich zu ihm auf. Er lächelte beinahe freundlich und sprach uns ruhig an.<br />
„Es tut mir leid, dass wir euch ein wenig ruppig behandelt haben. Vielleicht möchtet<br />
ihr mir erzählen, wer ihr seid?“<br />
Kate biss sich nervös auf die Lippe, dann sagte sie unsicher:<br />
„Mein Name ist Kate, Kate Austen.“<br />
Richard wandte sich mir zu und sah <strong>mich</strong> auffordern an. Ich versuchte, meine Stimme<br />
nicht allzu sehr zittern zu lassen, als ich sagte:<br />
„Kelly Reardon.“<br />
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Frauke Feind<br />
Zufrieden nickte der Dunkelhaarige. Er setzte sich uns gegenüber an den Camping-<br />
tisch und behielt uns dabei aufmerksam im Auge.<br />
„Ich möchte so höflich sein, <strong>mich</strong> ebenfalls vorzustellen. Mein Name ist Richard<br />
Alpert. Ich bin ... nun, drücken wir es mal so aus: Man hört hier auf <strong>mich</strong>. Euer Wohlergehen<br />
liegt in meinen Händen. Allerdings nicht ausschließlich. Wenn ihr zu Kooperieren bereit seid,<br />
kann es euch nur helfen. Wir müssen erfahren, wer ihr seid, wie ihr hierher kommt und was<br />
ihr hier wollte. Je ehrlicher ihr seid, desto besser für euch.“<br />
Kate und ich wechselten einen verzweifelten Blick. Was sollten wir antworten?<br />
Schmerzhaft wurde uns klar, dass wir keinen Gedanken daran verschwendet hatten,<br />
uns zu überlegen, was wir im Falle der vorliegenden Situation sagen sollten. Wir hatten mit<br />
den Männern nichts abgesprochen, und abgesehen von der Wahrheit, die uns ohnehin<br />
niemand glauben würde, musste jede andere Geschichte in eine Katastrophe führen, da wir<br />
eben keine Erklärung abgestimmt hatten. Man würde uns blitzschnell die Lüge nachweisen<br />
können und ich mochte mir nicht vorstellen, was dann mit uns geschehen würde. Verzweifelt<br />
wagte ich einen Gegenangriff.<br />
„Sie wollen von uns wissen, wie wir hierhergekommen sind, das kann ich verstehen.<br />
Aber verstehen Sie bitte auch, dass wir erst einmal wissen möchten, warum Sie uns brutal<br />
überfallen und gefangen genommen haben! Wir haben niemandem etwas getan, waren halb<br />
verhungert und verdurstet, haben keine Waffen und führten nichts Böses im Schilde. Wo sind<br />
unsere Begleiter? Was haben Sie mit ihnen gemacht?“<br />
In Alperts dunklen Augen war plötzlich ein kalter Glanz, der sein freundliches<br />
Lächeln Lügen strafte. Ruhig erklärte er:<br />
„Oh, eure Begleiter ... Nun, ich fürchte, es geht ihnen nicht sehr gut. Sie lernen gerade,<br />
was geschieht, wenn man nicht kooperationsbereit ist.“<br />
Er achtete genau auf unsere Reaktionen und ein zufriedenes Grinsen legte sich auf sein<br />
Gesicht, als er bemerkte, dass sowohl Kate als auch ich leichenblass wurden.<br />
„Ich sehe, euch liegt das Wohl der Herren am Herzen.“<br />
Plötzlich schlug er heftig mit der flachen Hand auf den Tisch. Kate und ich zuckten<br />
vor Schreck in die Höhe. Und jetzt sagte Richard kalt und hart:<br />
„Wenn es euch etwas bedeutet, dass sie in einem Stück überleben, solltet ihr mir<br />
schnellstens alles erzählen, verstanden?“<br />
************<br />
Jack hatte keine Ahnung, was sie antworten sollten. Hektisch dachte er nach. Was<br />
immer sie sagen würden, alles, was nicht der Wahrheit entsprach, würde schnell als Lüge ent-<br />
tarnt werden. Jack dachte daran, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatten, eine<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Geschichte abzustimmen, für den Fall, dass sie in Gefangenschaft geraten würden. <strong>Der</strong> Arzt<br />
machte sich ernsthafte Sorgen um seine Gesundheit und um die der Freunde, aber im Augen-<br />
blick mochte es das Beste sein, einfach zu Schweigen. Ihm war klar, dass das schmerzhafte<br />
Konsequenzen haben würde, aber die Wahrheit zu sagen, hätte die gleichen Folgen. Egal, was<br />
auch immer sie erzählen würden, glauben würde ihnen zum jetzigen Zeitpunkt niemand.<br />
Hoffnungs- und mutlos ließ er den Kopf sinken.<br />
Ähnliche Gedanken gingen Jim durch den Kopf. Er wünschte verzweifelt, sie hätten<br />
darüber gesprochen, was in einer Situation wie dieser zu tun und vor allem zu sagen war. Sie<br />
hatten es nicht getan, und so blieb kein Ausweg. Was immer sie sagen würden, man würde<br />
ihnen nicht glauben. Er dachte an Kelly und betete zu Gott, dass die Typen ihr nichts antun<br />
würden. Sollten sie sich auf Jack und ihn konzentrieren. Er schluckte trocken und seufzte<br />
resigniert. Er sah den Kerl vor sich herausfordernd an.<br />
„Egal, was wir sagen, ihr glaubt uns ohnehin kein einziges beschissenes Wort. Also,<br />
bringt es hinter euch.“<br />
Innerlich bereitete er sich darauf vor, in absehbarer Zeit erneut kennen zu lernen, wie<br />
weit er Schmerzen ertragen konnte. Verkrampft wartete er darauf, dass es losgehen würde. Er<br />
sah kurz zu Jack hinüber und dieser nickte, um anzudeuten, dass er mit Jims Worten einver-<br />
standen war. Schwer atmend hingen die Männer in ihren Fesseln und warteten. <strong>Der</strong> Typ vor<br />
Jack sah seinen Kumpel an.<br />
„So, ihr beschließt also, das Maul zu halten? Nun, ich denke, es gibt Mittel und Wege,<br />
euch die Zungen zu lösen.“<br />
Er trat näher an den Wehrlosen heran und knöpfte ihm das Hemd auf. <strong>Der</strong> zweite Kerl<br />
verfuhr bei Jim genauso. Verbissen mussten die Männer es geschehen lassen, presste die<br />
Lippen fest zusammen und gaben keinen Laut von sich. Als man ihnen die Hemden ganz auf-<br />
geknöpft hatte, wurden diese in die Höhe geschoben und über ihre Schultern gestopft. Dann<br />
traten die beiden Kerle ein Stück zurück und begutachteten ihr Werk.<br />
„Wir werden euch den fähigen Händen eines Spezialisten überlassen. Ich an eurer<br />
Stelle würde es mir noch einmal gründlich überlegen. Die Entscheidung, zu Schweigen ist<br />
nicht die Klügste eures Lebens.“<br />
ihnen trat.<br />
Jim sah den Typen an und stieß verzweifelt:<br />
„Leck <strong>mich</strong>!“, hervor.<br />
<strong>Der</strong> Mann nickte.<br />
„Okay, ich wünsche euch viel Spaß. Hey, Parker, du kannst loslegen.“<br />
Das galt einem älteren Mann mit gepflegtem Vollbart, der langsam in die Höhle zu<br />
„Ich habe es dir gesagt, Tom, die sind stur.“, sagte der Mann namens Parker zu dem<br />
Kerl, der sich mit Jack befasst hatte.<br />
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erklärte:<br />
Jerry.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Mal sehen, ob du ihnen die Sturheit nicht austreiben kannst, Park.“, grinste dieser und<br />
„Na, dann lass uns mal Bescheid geben. Man wird schon auf unseren Bericht warten,<br />
Und damit verschwanden die beiden Männer nach draußen. Parker musterte seine hilf-<br />
losen Opfer gelassen. Kalt sagte er:<br />
„Ihr seid dumm. Ihr habt keine Vorstellung, zu was ich fähig bin. Aber ihr werdet es<br />
kennenlernen.“<br />
Er griff an seinen Gürtel und löste dort eine lange Peitsche. Jim und Jack schluckten.<br />
Parker trat hinter Jim und sagte:<br />
„Du hast vermutlich keine Ahnung, wie weh das tun wird, mein Junge.“<br />
Ohne ein weiteres Wort holte er mit der Peitsche aus und der Riemen wickelte sich<br />
brennend um Jims Körper.<br />
Aufkeuchend zuckte dieser in den Fesseln. Augenblicklich schossen ihm Tränen in die<br />
Augen. Und dann traf ihn der zweite Schlag. Seine gefesselten Hände ballten sich zu Fäusten<br />
und er knirschte mit den Zähnen. Die Striemen brannten wie Feuer. <strong>Der</strong> dritte und vierte<br />
Schlag folgten schnell und Jim brach der Schweiß aus. Beim fünften Hieb entwich ihm erst-<br />
mals ein leiser Aufschrei, den er verzweifelt versuchte, zu unterdrücken. Doch Parker wusste,<br />
wie er Jims Widerstand brechen konnte. Härter und schneller kamen die Hiebe und schließ-<br />
lich schaffte der Wehrlose es nicht mehr, sich zu beherrschen. Aufbrüllend hing er in den<br />
Fesseln und schrie bei jedem Treffer. Die Schmerzen waren unerträglich. Noch nie hatte Jim<br />
etwas Ähnliches gespürt. Er wollte sich so verzweifelt zusammen reißen, aber er hatte keine<br />
Chance. Irgendwann wollte er nur noch, dass es vorbei war. Jack musste hilflos zusehen und<br />
zuhören. Es war ihm klar, dass er der Nächste sein würde, der sich der liebevollen Be-<br />
handlung würde unterziehen müssen und Jack brach der Schweiß aus. Als Jim neben ihm<br />
leiser und kraftloser wurde und schließlich einfach in sich zusammen sackte, war Jack klar,<br />
dass es bei ihm losgehen würde. Und richtig, schon trat Parker mit einem verächtlichen<br />
Schnauben hinter Jack.<br />
„Na, Dr. Shephard, dann wollen wir doch mal sehen, ob du genauso widerstandsfähig<br />
bist wie dein Freund.“<br />
hatte!<br />
Und schon traf ihn der erste Hieb und Jack wunderte sich, wie Jim es solange ertragen<br />
************<br />
Vollkommen verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg. Ich bestand nur noch aus<br />
Angst. Die ersten Tränen kullerten mir über die Wangen und ich sah Kate an. Diese war nicht<br />
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Frauke Feind<br />
weniger verängstigt als ich und zuckte mutlos die Schultern. Was sollten wir antworten? Ich<br />
wusste es nicht und so fiel mir nichts anderes ein, als zu Schweigen. Kate raffte das letzte<br />
bisschen Mut, dessen sie noch fähig war, zusammen und flüsterte:<br />
„Ganz egal, was wir sagen, Sie werden uns ohnehin nicht glauben ...“<br />
Jetzt liefen auch ihr Tränen die Wangen hinunter. Und Richard musterte uns kalt.<br />
„Okay, ihr seid also nicht bereit, zu Kooperieren. Gut. Wir sind keine Monster, wir werden<br />
uns nicht an Frauen vergreifen. Ihr bekommt Gelegenheit, darüber nachzudenken, was ihr als<br />
nächstes tun werdet.“<br />
Zu den beiden Leuten, die uns her geschafft hatten sagte er:<br />
„Bringt sie zurück ins Loch. Ab morgen werden sie die Chance haben, ihre Kraft ein<br />
wenig für uns einzusetzen. Ihr bringt sie zur Baustelle, zusammen mit den anderen<br />
Arbeitern.“<br />
Er sah Kate und <strong>mich</strong> erneut an und erklärte:<br />
„Ihr werdet für uns arbeiten. Und wenn es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle, oder<br />
wenn ich merke, dass ihr faul seid und nicht mit vollem Einsatz dabei, werden wir nach-<br />
einander eure Begleiter erschießen. Habt ihr das verstanden?“<br />
Verzweifelt nickten wir.<br />
„Verstanden ...“<br />
Dann wurden wir an den Oberarmen gepackt und wieder weg geführt, zurück in das<br />
kleine Loch, in dem wir zu uns gekommen waren.<br />
Als wir dort ankamen, löste man uns die Handfesseln, dann schloss sich das Gitter<br />
hinter uns und wir waren alleine. Langsam trat ich an die Felswand und sank auf den Boden.<br />
Ich war am Ende meiner Beherrschung angekommen und schlug aufschluchzend die Hände<br />
vor das Gesicht. Kate ging es nicht besser. Sie sackte mir gegenüber in sich zusammen und<br />
lehnte weinend den Kopf an die Felswand. Minutenlang herrschte Schweigen zwischen uns.<br />
Schließlich flüsterte Kate verzweifelt:<br />
„Was haben diese Schweine nur mit Sawyer, Jack und Sayid gemacht?“<br />
Ich hatte versucht, diesen Gedanken zu verdrängen, doch nun kam er mit Macht<br />
zurück. Meine Fantasie spielte mir augenblicklich die schlimmsten Streiche. Ich sah Jim, ver-<br />
letzt, tot, misshandelt, und keuchte verzweifelt:<br />
„Nein!“<br />
Kate verstand nicht, und sah <strong>mich</strong> verwirrt an.<br />
„Was?“<br />
Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken daran, was mit Jim sein mochte, zu ver-<br />
treiben. Leise und verzweifelt sagte ich:<br />
verrückt.“<br />
„Wir müssen einfach daran glauben, dass es ihnen gut geht, Kate, sonst werden wir<br />
Ich ließ <strong>mich</strong> auf den nackten Boden sinken und rollte <strong>mich</strong> zusammen.<br />
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Frauke Feind<br />
Wir wachten davon auf, dass die Tür zu unserer Zelle geöffnet wurde und fuhren beide<br />
erschrocken in die Höhe. Das ich überhaupt eingeschlafen war, grenzte für <strong>mich</strong> an ein<br />
Wunder. Eine junge Frau brachte uns Sandwichs und Kaffee.<br />
„Hier, esst, vor heute Abend gibt es nichts wieder.“, herrschte sie uns an und wir<br />
griffen ausgehungert nach den Tellern.<br />
Gierig stopften wir das Brot in uns hinein und schon hieß es:<br />
„Los, hoch jetzt. Ihr werdet sehnsüchtig erwartet.“<br />
Steif kamen wir auf die Beine. Ungefesselt wurden wir nach draußen geführt und es<br />
ging ein kurzes Stück in den Dschungel. Endlich sagte die Frau:<br />
„So, da wären wir. Ihr seht die Bänder, die dort drüben gespannt sind?“<br />
Sie deutete auf ein rotes Band, das sich in einem großen Rechteck um kleine, in den<br />
Boden gerammte Pfähle zog. Es diente ganz offensichtlich als Markierung für ein größeres<br />
Gebäude. Wir nickten.<br />
„Gut. Hier sind Spaten und Schaufeln, ihr werdet an jedem Pfahl ein Loch buddeln.<br />
Einen Meter dreißig tief und vierzig Zentimeter im Durchmesser, verstanden?“<br />
Hastig nickten wir.<br />
„Was passiert, wenn ihr zu fliehen versucht oder nicht schnell genug arbeitet, hat<br />
Richard euch gesagt. Ihr solltet seinen Worten lieber Glauben schenken, das ist besser für die<br />
Kerle, die bei euch waren.“<br />
Sie drücke uns Spaten in die Hand und verschwand einfach. Wir waren auf der Bau-<br />
stelle hier nicht die einzigen Menschen. Einige andere Leute waren ebenfalls am Schaufeln.<br />
Es gab noch einige dieser gespannten Bänder auf der freien Fläche. Insgesamt schienen es<br />
acht Gebäude zu sein, die hier entstehen sollten. Sie würdigten uns keines Blickes und so be-<br />
schlossen wir, uns genauso zu verhalten. Gemeinsam gingen wir zum ersten Pfahl hinüber<br />
und begannen zu Buddeln.<br />
Schnell lief uns der Schweiß am Körper herab, aber wir strengten uns an. Die<br />
Drohung, die Männer zu erschießen, steckte uns mehr als nachhaltig in den Knochen. Wir<br />
wechselten kaum ein Wort und schufteten in der glühenden Sonne an den Löchern. Leider<br />
konnten wir nicht verhindern, dass auf diese Weise unsere Gedanken immer wieder zu Jim,<br />
Jack und Sayid drifteten. Was mochte mit ihnen geschehen sein? Wo waren sie? Mussten sie<br />
vielleicht auch irgendwo hier im Dschungel schuften? Jim würde ... Er würde starke Rücken-<br />
schmerzen haben, da war ich sicher. Fast hätte ich aufgeschluchzt, zwang aber die Tränen<br />
zurück. Wie lange er, wenn sie auch arbeiten mussten, diese Schufterei durchhalten würde,<br />
konnte ich mir ausrechnen. Nicht lange. <strong>Der</strong> Gedanke daran, dass er sehr schnell sehr starke<br />
Schmerzen bekommen würde, verursachte mir heftige Übelkeit und ich stöhnte gequält auf.<br />
- Hör auf, ständig an ihn zu denken! -<br />
giftete ich <strong>mich</strong> selbst an.<br />
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- Du quälst dich damit nur selber. -<br />
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Frauke Feind<br />
Ich seufzte. Meine Hände wiesen schon Blasen auf und mir tat jeder Knochen im<br />
Körper weh. Kate ging es nicht anders. Verbissen kämpften wir weiter mit dem harten Boden<br />
und langsam vertrieben die Erschöpfung und die eigenen Schmerzen die Gedanken an die<br />
Männer ein wenig aus unseren Köpfen. Als die Sonne senkrecht am Himmel stand, durften<br />
wir eine Pause einlegen. Wir bekamen Wasser und durften uns sogar kurz in den Schatten<br />
setzten.<br />
„Ich bin am Ende.“, stieß Kate hervor.<br />
„Ich auch, aber wir dürfen nicht nachlassen.“, stöhnte ich und rieb mir die Ober-<br />
schenkel, die von der ungewohnten Arbeit genauso schmerzten wie der Rest des Körpers.<br />
Kate sah sich hastig um, stellte fest, dass niemand in unserer Nähe war und flüsterte:<br />
„Siehst du die Typen dort drüben in den beigen Overalls? Die sind von der DHARMA<br />
Initiative. Anscheinend gibt es sie doch schon!“<br />
Diese neue Erkenntnis riss <strong>mich</strong> aus den trüben Gedanken und ich flüsterte ebenso<br />
leise zurück: „Dann ist der Kampf schon entbrannt und wir sind doch schon in den<br />
Siebzigern.“ Kate nickte.<br />
„Ja, scheint wohl so.“<br />
Was das für uns bedeuten mochte, mussten wir abwarten. Nach vielleicht dreißig<br />
Minuten wurden wir aufgefordert, weiter zu Arbeiten. <strong>Der</strong> Nachmittag wurde bald zu einer<br />
einzigen Qual. Aber wir kämpften verbissen weiter. Zu groß war unsere Angst, den Ärger<br />
dieser Leute auf die Männer zu lenken. Mit einer vom Stress hochdosierten Menge Adrenalin,<br />
Noradrenalin und Dopamin im Körper war der Mensch leistungsfähiger, als er sich je<br />
Träumen lassen würde, das lernten wir an diesen Nachmittag deutlich kennen. Als schließlich<br />
die Sonne anfing, unter zu gehen, hieß es:<br />
„Feierabend.“<br />
Vollkommen zerschlagen schleppten wir uns in das Lager zurück und waren dankbar,<br />
als wir in unserer Zelle auf den nackten, harten Boden sinken konnten. Wir schliefen, kaum<br />
dass unsere Körper sich ausgestreckt hatten und zuckten hoch, als jemand uns an den<br />
Schultern schüttelte.<br />
„Hier ist euer Abendbrot.“<br />
Müde richteten wir uns noch einmal auf. Man hatte uns Braten, Gemüse und<br />
Kartoffeln gebracht. Mit unseren wunden Händen konnten wir kaum das Besteck halten.<br />
Schweigend aßen wir die Teller leer und kaum, dass wir es geschafft hatten, sanken wir<br />
wieder in die Waagerechte. Wir lagen noch gar nicht richtig, da schliefen wir auch schon.<br />
Mein letzte Gedanke war der, wie wir das weiter durchhalten sollten.<br />
************<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim kam langsam wieder zu sich. Das Erste, was er wahrnahm, waren heftige<br />
Schmerzen. Es fühlte sich an, als würde jemand auf seinem Rücken ein Lagerfeuer ver-<br />
anstalten. Gequält stöhnte er auf. <strong>Der</strong> Schmerz, der nach wie vor in seinen Armen und<br />
Schultergelenken wütete, verschwand angesichts der Schmerzen auf seinem Rücken ins<br />
Nichts. Erneut stöhnte er auf und versuchte mühsam, die Augen auf zu bekommen. Als er es<br />
endlich geschafft hatte, glitt sein Blick nach rechts. Dort hing Jack, noch bewusstlos und<br />
damit zu Beneiden. Sie waren alleine, das realisierte Jim überdeutlich. Niemand, der ihn<br />
weiter auspeitschte. Er bemühte sich, auf den Füßen Halt zu finden, um die Arme ein wenig<br />
zu entlasten. Wirklich gelingen wollte es ihm nicht. Die heftigen Schmerzen, die in seinem<br />
ganzen Körper tobten, ließen ihn erneut aufstöhnen. Er hätte sonst was für einen Schluck<br />
Wasser getan. Und kaum, dass er wieder richtig denken konnte, waren seine Gedanken bei<br />
Kelly.<br />
„Es tut mir so leid ...“, flüsterte er verzweifelt.<br />
Wo sie wohl war? Ob man ihr etwas getan hatte? In welcher Verfassung mochte sie<br />
sein? Er konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken einzig um Kelly kreisten. Neben sich<br />
hörte er Jack qualvoll aufstöhnen. <strong>Der</strong> Doc kam also auch langsam wieder zu sich. Lange<br />
konnten sie nicht weg gewesen sein. Jim spürte noch Blut aus den offenen Striemen auf<br />
seinem Rücken tröpfeln.<br />
„Hey, Doc ... Wach auf!“<br />
Jack ächzte.<br />
„Bin wach ...“<br />
Allerdings dauerte es noch einige Minuten, bis der Chirurg wirklich ansprechbar war.<br />
„Alles in Ordnung?“, fragte Jim erschöpft.<br />
„Soll das ein Witz sein?“<br />
Jack stöhnte.<br />
„Wo ist ... ah ... wo ist dieser Dreckskerl hin?“<br />
Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß Jim hervor:<br />
„Hoffentlich in die Hölle. Jack, hör zu, noch so eine Behandlung und die können mit<br />
uns den Boden wischen. Was sollen wir machen?“<br />
Jack drehte mühsam den Kopf zu Jim.<br />
„Ich weiß es nicht, ehrlich. Egal, was wir sagen, glauben werden sie uns kein Wort.<br />
Wenn ich nur wüsste, dass Kate halbwegs in Ordnung ist ...“<br />
Jack schluckte. Er wollte noch etwas sagen, wurde aber von der Ankunft einiger<br />
Männer unterbrochen, die zu den Gefesselten traten.<br />
fallen?“<br />
„Da sind ja unsere Helden wieder. Wie hat euch die Unterhaltung mit Parker ge-<br />
Verbissen schwiegen die Gefesselten.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ihr seid beleidigt, das kann ich verstehen.“, erklärte der eine der Kerle ironisch.<br />
„Aber glaubt mir, das war erst der Anfang. Parker ist ein Fachmann. Habt ihr darüber nach-<br />
gedacht, uns nicht doch lieber alles zu sagen, was wir wissen wollen?“<br />
Erneutes Schweigen war die Antwort. <strong>Der</strong> Mann zuckte die Schultern.<br />
„Nun, wir sind keine Unmenschen. Wir geben euch noch eine Chance, bevor Park<br />
ernst machen darf. Und glaubt mir, für diese Chance solltet ihr eurem Schöpfer auf Knien<br />
danken. Ihr habt Glück. Ihr bekommt die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob ihr uns nicht<br />
doch lieber sagen wollt, was wir wissen möchten.“<br />
Je zwei Männer traten zu den Gefesselten und bevor diese realisierten, was geschah,<br />
holten zwei der Typen aus und droschen Jim und Jack die Fäuste an die Kinnspitzen.<br />
Augenblicklich gingen den ohnehin schon stark geschwächten Gefangenen die Lichter erneut<br />
aus.<br />
Als Jim abermals zu sich kam, merkte er, dass er lag. Die Schmerzen in seinem Körper<br />
waren auf ein halbwegs erträgliches Maß reduziert. Er spürte wie durch Watte, dass er auf<br />
dem Bauch lag und sich nicht rühren konnte. Hand- und Fußgelenke waren an metallene Bett-<br />
gestelle gefesselt worden. Mühsam versuchte Jim, den Kopf zu heben und nach Jack Aus-<br />
schau zu halten. Da hinten. Dort stand ein zweites, einfaches Metallbett und auf diesem lag<br />
der Doc. Gerade sah er zu Jim hinüber.<br />
„Willkommen im Paradies.“, grinste er verbissen.<br />
„Wo sind wir?“, fragte Jim und verrenkte sich fast den Hals, um sich umzuschauen.<br />
Sie lagen ganz offensichtlich in einem Zelt. Außer den beiden Betten enthielt es, wie Jim<br />
sehen konnte, nicht viel. Ein Schrank, ebenfalls aus Metall, stand in einer Ecke. Auf ihm<br />
konnte Jim ein rotes Kreuz erkennen. Zwei weitere, leere Betten, ein Waschtisch, ein kleiner<br />
Campingtisch mit zwei Stühlen, damit erschöpfte sich das Mobiliar auch schon.<br />
„Scheint so, als wären wir im Krankenhaus gelandet.“<br />
Jack nickte.<br />
„Sieht fast so aus.“<br />
Jim ließ den Kopf wieder auf die einfache Matratze sinken.<br />
„Was von Kate und Kelly gesehen?“<br />
Jack schüttelte den Kopf.<br />
„Natürlich nicht. Ich bin auch eben erst wieder zu mir gekommen.“<br />
Beide Männer zuckten heftig zusammen, als plötzlich die Plane des Zeltes geöffnet<br />
wurde und eine dunkelhäutige Frau in einem weißen Kittel zu ihnen trat. Ohne ein Wort zu<br />
sagen zog sie einen der Stühle neben das Bett, auf dem Jim lag. Sie stellte den kleinen Tisch<br />
daneben, suchte nun in dem Schrank nach ein paar Sachen, die sie auf dem Tisch abstellte.<br />
Zuletzt füllte sie die Waschschüssel mit Wasser und trug auch diese zum Tisch hinüber. Nun<br />
begann sie wenig rücksichtsvoll Jims Rücken zu säubern. Immer wieder entfuhren diesem bei<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
der ruppigen Behandlung leise Schmerzgeräusche. Endlich schien die Frau zufrieden zu sein<br />
und griff nach einer Flasche mit einer bräunlichen Flüssigkeit. Sie tränkte ein wenig Ver-<br />
bandsmull und begann, die Wunden, die die Peitsche auf Jims Rücken hinterlassen hatte, mit<br />
dieser Flüssigkeit abzutupfen. Jim wimmerte auf, obwohl er verzweifelt die Zähne auf-<br />
einander biss. Es brannte in den offenen Wunden wie Feuer. Aber auch diese Tortur war<br />
schließlich vorbei. Die Frau wartete einige Minuten, dann rieb sie Jim eine angenehm<br />
kühlende Salbe in die Wunden. Als sie fertig war, trug sie alles zu Jack hinüber und unterzog<br />
diesen der gleichen liebevollen Behandlung. Schließlich erklärte sie:<br />
„Ihr habt vierundzwanzig Stunden Ruhe, dann werdet ihr Arbeiten.“<br />
Sie verließ das Zelt und ließ die Männer verwirrt zurück.<br />
************<br />
Zwei Tage waren vergangen. Tage, in denen wir von morgens bis abends geschuftet<br />
hatten wie die Sklaven. Tage, an dessen Enden wir wie die Toten geschlafen hatten. Tage<br />
ohne ein Ende der Qual. Morgens und abends bekamen wir jeweils etwas zu Essen, mittags<br />
blieb es bei der halbstündigen Pause. Kate und ich bewegten uns inzwischen wie Roboter.<br />
Nur noch die Angst um Jim, Sayid und Jack hielt uns überhaupt auf den Beinen. Wir hatten in<br />
diesen insgesamt drei Tagen zwölf Löcher gebuddelt. Unsere Hände waren aufgescheuert bis<br />
aufs nackte Fleisch, wir hatten tatsächlich eine Salbe für sie bekommen, die wir uns abends<br />
leise wimmernd auf die offenen Wunden schmierten und die wenigstens ein bisschen<br />
Linderung brachte. Zum Grübeln waren wir viel zu erledigt. Und wenn wir einmal die Kraft<br />
fanden, nachzudenken, trieb es uns meistens Tränen in die Augen, denn dann dachten wir nur<br />
an Jim und Jack. Das wir keinen noch so kleinen Hinweis erhielten, was mit ihnen geschah,<br />
war Folter pur. Als uns an diesem Abend das Essen gebracht wurde, erklärte die Frau, die es<br />
uns immer brachte:<br />
wiedersehen.“<br />
„Morgen werdet ihr einer anderen Arbeit zugeteilt. Dann werdet ihr die Männer<br />
Diese Worte waren wie Stromschläge. Unsere Augen weiteten sich und wir starrten<br />
die Frau überrascht an.<br />
„Ihr werdet kein Wort wechseln, ihr werdet eure Arbeit machen. Ihr werdet euch<br />
einander nicht nähern. Habt ihr das verstanden?“<br />
Wie aus einem Mund stießen wir:<br />
„Ja, verstanden.“, hervor.<br />
Mein Herz polterte gegen meine Rippen und ich konnte es kaum fassen. Jim wieder-<br />
sehen. Und wenn es nur von weitem war. Endlich sehen, ob es ihm einigermaßen gut ging.<br />
Mir schossen unwillkürlich Tränen in die Augen. Als wir wieder alleine waren stieß Kate auf-<br />
geregt hervor:<br />
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dürfen?“<br />
„Hoffentlich!“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ob die das ernst meinen? Ob wir wirklich mit den Männern zusammen arbeiten<br />
Es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte die Hände betend zusammen gelegt.<br />
Wir rollten uns auf dem Boden zusammen. Aber trotz der völligen Erschöpfung<br />
konnten wir an diesem Abend nicht so schnell einschlafen. Und als mir dann endlich doch die<br />
Augen zufielen, schien mein Herz in einem ganz neuen Rhythmus zu schlagen: Jim sehen ...<br />
Jim sehen ... Jim sehen...<br />
************<br />
Jim fuhr erschrocken aus dem Schaf hoch. Jemand beugte sich über ihn und löste seine<br />
Fesseln. <strong>Über</strong> Jack gebeugt stand ebenfalls einer der ‟Anderen‟ und befreite auch ihn von den<br />
Fesseln.<br />
„Noch liegen bleiben.“, wurden sie angeherrscht und dann erfolgte eine erneute Be-<br />
handlung der Wunden auf ihren Rücken. Schließlich durften sie sich aufrichten und in ihre<br />
Hemden schlüpfen. Sie bekamen einen großen Teller mit belegten Broten gereicht und er-<br />
hielten dazu Kaffee. Während sie aßen, erklärte einer der Typen:<br />
„Ihr werdet ab jetzt arbeiten. Ihr seid zum Bäume fällen eingeteilt. Falls ihr Dumm-<br />
heiten macht, werden wir eure Begleiterinnen nacheinander erschießen. Habt ihr das ver-<br />
standen?“<br />
„Ja, ja, haben wir.“, sagte Jim tonlos.<br />
„Gut. Und nehmt unsere Worte lieber ernst. Ihr werdet sie heute wiedersehen. Ihr habt<br />
nicht die Erlaubnis zu Reden oder ihnen nahe zu kommen. Solltet ihr dies trotzdem ver-<br />
suchen, werdet ihr euch wünschen, nie geboren worden zu sein, klar? Und die Ladys eben-<br />
falls.“ Wieder nickten beide Männer.<br />
„Klar.“<br />
Jim und Jack aßen hastig ihr Brot auf und tranken den Kaffee. Dann standen sie etwas<br />
schwankend auf. Ungefesselt wurden sie nach draußen getrieben. Es ging kurz durch den<br />
Dschungel und endlich tat sich vor ihnen eine kleine Lichtung auf. Hier waren schon ein paar<br />
andere Leute damit beschäftigt, Bäume zu fällen und fort zu schaffen. Und plötzlich stockte<br />
den Männern das Herz. Dort hinten standen Kelly und Kate. Sie sahen zu ihnen hinüber und<br />
als die Männer näher kamen, sahen sie, dass beide Frauen unverletzt, aber vollkommen ver-<br />
dreckt und erschöpft wirkten. Und Beiden liefen Tränen über die Wangen!<br />
************<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Wir wurden am kommenden Morgen mit dem üblichen Brot versorgt, dann ging es<br />
los. Eine Weile führte man uns durch den Dschungel. Irgendwann erreichten wir eine kleine,<br />
künstlich geschaffene Lichtung. Man befahl uns, zu warten und Minuten später schien mein<br />
Herz einige Schläge zu überspringen. Da kamen Jack und ... Jim. Kate entdeckte sie im selben<br />
Moment und klammerte sich unwillkürlich an meinen Arm.<br />
„Da ...“, stieß sie atemlos hervor.<br />
Ich konnte nur nicken. Ich konnte es kaum glauben. Man führte die Männer bis auf<br />
wenige Schritte an uns heran. Hier mussten sie stehen bleiben. Jim stand mir genau gegen-<br />
über. Ich sah an seinem Gesicht, dass es ihm nicht besonders gut ging, aber seine Augen<br />
strahlten, als er <strong>mich</strong> sah. Unsere Blicke saugten sich aneinander fest und nicht nur meine<br />
Augen füllten sich mit Tränen. Nicht zueinander zu dürfen, nicht fragen zu dürfen, wie es<br />
ging, war grausam. Ich hätte mein Leben dafür gegeben, ihn in die Arme schließen zu können.<br />
Aber wir durften nicht. Stattdessen wurde uns erklärt:<br />
„Ihr werdet Bäume fällen und sie samt der Stümpfe wegschaffen. Dort hinten ist der<br />
Sammelplatz, von dort werden die Stämme abtransportiert. Sollten wir auch nur das Geringste<br />
von euch hören, werdet ihr es bitter bereuen. Und jetzt fangt an.“<br />
Jim und Jack bekamen Sägen in die Hände gedrückt, Äxte wurden vor uns auf den<br />
Boden geworfen, ebenso Spaten und Schaufeln und dann waren wir alleine. Um den gesamten<br />
Platz herum standen Wachen, mit Gewehren in den Händen, und ließen uns nicht eine<br />
Sekunde aus den Augen. Keiner von uns wagte, auch nur lauter zu atmen. Schweigend und<br />
immer scharf darauf achtend, einen Sicherheitsabstand zu einander zu halten, traten wir an<br />
den ersten Baum heran. Und genauso schweigend und peinlich darauf achtend, uns nicht zu<br />
nahe zu kommen, wurde der große Baum von uns gefällt. Mit den Sägen begannen Kate und<br />
ich, das Geäst abzutrennen, während Jim und Jack den Baumstumpf ausgruben. Suchend<br />
sahen Kate und ich uns um. Dort hinten war ein Platz geschaffen worden, an den auch die<br />
anderen Arbeiter das abgetrennte Geäst schafften. Wir begannen ebenfalls, das von uns ab-<br />
gesägte Geäst auf den Sammelplatz zu schaffen. Wir beeilten uns, um schnell wieder zu Jack<br />
und Jim zurückzukommen. Dass Sayid nicht bei den beiden Männern war, hatten wir, so<br />
hofften wir wenigstens, unbeeindruckt registriert. Wilde Hoffnung zuckte durch <strong>mich</strong> hin-<br />
durch, als ich es realisierte. Vielleicht war er tatsächlich entkommen und fand irgendwann<br />
eine Möglichkeit, uns zu Hilfe zu kommen. Gehässig erwiderte der Pessimist in mir<br />
- Oder er ist tot! -<br />
Ich schüttelte energisch den Kopf. Er lebte. Ich schob den Gedanken ganz zur Seite<br />
und konzentrierte <strong>mich</strong> auf die Arbeit und, was viel wichtiger war, auf Jim. Nur allzu deutlich<br />
war zu sehen, dass er Schmerzen hatte, aber dieselben Symptome beobachtete ich bei Jack.<br />
Was hatte man den Männern nur angetan? Beide bewegten sich vorsichtig und zuckten immer<br />
wieder zusammen. Ab und zu entrang sich ihren Lippen ein leises Ächzen oder Stöhnen. Und<br />
immer wieder verzogen sie vor Schmerzen das Gesicht. <strong>Der</strong> Drang, zu erfahren was los war<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
wurde immer größer, aber wir alle zwangen diesen Drang nieder. Vielleicht in der Mittags-<br />
pause ...<br />
Doch diese Hoffnung wurde brutal zerstört. Wir wurden getrennt, Jim und Jack<br />
wurden an das eine Ende der Lichtung, Kate und ich an das andere Ende geschafft.<br />
Verzweifelt schluchzte ich auf und sank auf den heißen Boden. Stumm hockten wir neben-<br />
einander und schauten sehnsüchtig zu den Männern hinüber. So nah, und doch unerreichbar.<br />
Es war grausam, schlimmer als jede körperliche Folter. War in den ersten Tagen die halbe<br />
Stunde Pause viel zu wenig gewesen, erschien sie uns heute beinahe unerträglich lang. Schon<br />
die körperliche Nähe, ohne sich berühren zu dürfen, hatte etwas Tröstliches. Und so warteten<br />
wir alle vier darauf, endlich weiter arbeiten zu dürfen. Kate und ich schwiegen. Wir hätten<br />
uns zwar unterhalten dürfen, aber keine von uns hatte das Verlangen, zu Sprechen. Unsere<br />
Augen und Gedanken waren bei den beiden Männern uns gegenüber. Ich wollte wissen, was<br />
mit ihnen los war, warum sie offensichtlich Schmerzen hatten. Was hatte man ihnen angetan?<br />
Ich konnte aus dieser Entfernung Jims Gesicht nicht gut genug erkennen, aber es war über-<br />
deutlich, dass er schon ziemlich am Ende war. Und Jack sah nicht besser aus.<br />
Endlich war die Pause vorbei und wir durften weiter arbeiten. In weniger als einem<br />
Meter Abstand voneinander schufteten wir den ganzen Nachmittag. Wir schafften gemeinsam<br />
noch einen weiteren Baum, mehr war nicht drin. Jack und Jim wurden immer langsamer und<br />
mussten immer häufiger durchatmen. In mir krampfte sich alles zusammen. Ich hätte mein<br />
rechtes Bein gegeben, hätte ich Jim dafür helfen dürfen. Kate und ich versuchten, sie<br />
wenigstens arbeitstechnisch so gut es nur ging zu unterstützen, mehr konnten wir nicht<br />
machen. Verzweifelt beobachtete ich die Sonne, die langsam begann, unter zu gehen. Ich war<br />
sicher, einen Schreikrampf zu bekommen, wenn man uns am Abend wieder trennen würde.<br />
Und dann kam der Befehl: Feierabend. Meine Beine fingen bedenklich an zu Zittern. Wie<br />
sollte ich das nur überstehen? Aber man nahm mir die Entscheidung ab. Zwei Männer kamen<br />
und führten Jim und Jack gnadenlos fort. Verzweifelt drehten sie sich noch einmal zu uns<br />
herum, dann verschluckte der Dschungel sie und ich brach zusammen. Schluchzend sank ich<br />
auf die Knie und weinte, dass es <strong>mich</strong> schüttelte. Kate versuchte, <strong>mich</strong> zu beruhigen, dabei<br />
liefen ihr selbst Tränen über die Wangen. Und schon wurde ich angeschnauzt, gefälligst auf<br />
die Beine zu kommen. Als ich nicht reagierte, wurde ich brutal am Haar gepackt und hoch<br />
gezerrt.<br />
„Du hast die Wahl: Entweder, du reißt dich zusammen und kommst mit, oder Ford<br />
wird die Abreibung seines Lebens kriegen.“, erklärte mir der Typ, der <strong>mich</strong> so gemein auf die<br />
Füße gezogen hatte.<br />
Panisch riss ich <strong>mich</strong> zusammen.<br />
„Nein, nein, bitte, ich komme ja schon, bitte.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich taumelte los und Kate folgte mir. Kurze Zeit später erreichten wir bereits das<br />
Camp und wurden in unsere Zelle geschafft. Hier sank ich wie paralysiert auf den Boden und<br />
starrte ins Leere. Als man uns unser Essen brachte, aß ich mechanisch ein wenig davon, dann<br />
schob ich den Teller zur Seite. Kate sah <strong>mich</strong> besorgt an.<br />
den Schlaf.<br />
„Du musst was Essen, Kelly.“<br />
Ich schüttelte nur den Kopf, rollte <strong>mich</strong> auf dem Boden zusammen und weinte <strong>mich</strong> in<br />
************<br />
14) Sklaven<br />
Jim zerriss es fast das Herz. Kelly zu sehen und doch nicht zu ihr zu dürfen überstieg<br />
fast seine Kräfte. Aber die Angst, dass man ihr etwas antun würde, hielt sowohl seine Lippen<br />
verschlossen als auch seine Hände davon ab, sie zu berühren. Als der Feierabend ausgerufen<br />
wurde und er zusammen mit Jack weg geführt wurde, hatte er das Gefühl, in zwei Hälften<br />
zerrissen zu werden. Verzweifelt sah er sich noch einmal nach Kelly um, dann verwehrte ihm<br />
der Wald die Sicht. Jack neben ihm stöhnte verzweifelt auf. Aber die Männer schwiegen, bis<br />
man sie in ihre neue Unterkunft gebracht hatte. Ein in die Felsen gehauenes Loch, vielleicht<br />
zwei Meter im Durchmesser, kahle Wände, kahler Fußboden, von einer Gittertür ver-<br />
schlossen. Kaum waren sie dort eingesperrt, kam eine Frau mit zwei Tellern und reichte diese<br />
durch ein dafür vorgesehenes Loch in den Gitterstäben in den Käfig hinein. Müde und mutlos<br />
nahmen die Männer die Teller entgegen und aßen mechanisch, was man ihnen zubereitete<br />
hatte. Dann sprach Jack aus, was auch Jim dachte.<br />
„Wenn ich die Wahl hätte zwischen ausgepeitscht werden und noch so einen Tag wie<br />
heute, so dicht bei Kate und doch so unerreichbar weit weg, ich würde <strong>mich</strong> für die Peitsche<br />
entscheiden.“<br />
Jim saß an die Wand gelehnt da und starrte vor sich hin. Sein Rücken brannte und er<br />
wünschte, man würde ihnen wieder von der Salbe auf die Striemen streichen. Er war ver-<br />
schwitzt, dreckig und hatte das Gefühl, zu stinken. Seit er mit Kelly in dem See gebadet hatte,<br />
war er ungewaschen. Er fühlte sich schrecklich. Am Ende seiner Kraft streckte er sich bäuch-<br />
lings auf dem harten Boden aus und versuchte, einzuschlafen. Leider gelang ihm das trotz<br />
aller <strong>Über</strong>müdung und Erschöpfung nicht so schnell. Zu sehr kreisten seine Gedanken um<br />
Kelly und das, was man da von ihnen verlangte. So nah und doch so fern. Wie sollten sie das<br />
nur auf Dauer aushalten?<br />
<strong>Der</strong> Morgen kam schnell und schon wurden sie wieder aus dem Käfig geholt. Bevor<br />
man sie in den Dschungel führte, wurde tatsächlich ihr Rücken noch einmal mit Salbe be-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
handelt. Jim war erstaunt darüber. Es ging bereits besser, aber ein paar Tage würde es sicher<br />
noch dauern, bis alles einigermaßen verheilt war. Dass sein Rücken überhaupt mitspielte,<br />
grenzte für Jim an ein Wunder. Er hatte gestern Abend, wie der Rest seines Körpers, höllisch<br />
weh getan, aber er konnte sich noch bewegen. Er war gespannt, wie lange noch. Jim hastete<br />
voran, um schnell die Lichtung und damit Kelly zu erreichen. Die Frauen waren noch nicht<br />
da, aber wenige Minuten kamen sie ebenfalls auf der Baustelle an. Heute war es fast noch<br />
schwerer, nicht zu einander zu dürfen. Jim sah Kelly mehr als deutlich an, wie fertig sie war.<br />
Ihre Blicke trafen sich immer wieder und die Sehnsucht zueinander war fast mehr, als sie er-<br />
tragen konnten. Sie wären schon für eine einzige Umarmung unendlich dankbar gewesen. Nur<br />
für eine Minute den Partner spüren. Nur wenige, kleine Worte wechseln. Aber sie mussten<br />
Schweigen und sich fern halten. Jim schloss vollkommen verzweifelt die Augen und stöhnte.<br />
<strong>Der</strong> Tag verging mit der schweren körperlichen Arbeit und der nächste, und der über-<br />
nächste. Von morgens bis abends waren sie damit beschäftigt, Bäume zu fällen, zu entasten,<br />
fort zu schaffen. Eine harte, kräftezehrende Arbeit. Sie hatten Schmerzen im ganzen Körper,<br />
die Hände waren wund und aufgescheuert, die Muskeln schrien bei jeder Bewegung gequält<br />
auf. Irgendwann schließlich kam ein Punkt, an dem sie aufhörten, ständig an einander zu<br />
denken, einfach, weil dafür keine Kraft mehr vorhanden war. Die wenigen Kräfte, die sie<br />
noch aufbringen konnten, mussten sie dafür verwenden, sich anzutreiben, durchzuhalten. Ein<br />
Tag verging wie der andere. In der glühenden Sonne wurde die Lichtung langsam größer.<br />
Mechanisch, wie programmiert, schufteten alle vier weiter. Fielen abends nach dem Essen auf<br />
den harten Boden und schliefen wie betäubt, am Rande der völligen körperlichen und<br />
seelischen Erschöpfung. Und dann kam der fünfte Tag der Schufterei. Und er brachte eine<br />
<strong>Über</strong>raschung.<br />
Morgens waren Jack und Jim wieder auf die Lichtung geschafft worden, die schon<br />
deutlich größer geworden war. Wie Maschinen, möglichst ohne nachzudenken, waren sie an<br />
die Arbeit gegangen. Das Nachdenken war zu schmerzhaft, denn dann drehten sich die Ge-<br />
danken ausschließlich um die grausame Folter, sich zu sehen und doch weiter voneinander<br />
getrennt zu sein, als wären sie auf Mars und Mond verteilt. Sie hatten weder ein Wort mit-<br />
einander gewechselt, noch sich berührt. Alles, was ihnen blieb war, sich mit Blicken sehn-<br />
suchtsvoll anzuschmachten. Jeder Abend war schlimmer gewesen als der Vorangegangene,<br />
jede Trennung schwerer zu ertragen, und jedes Wiedersehen am Morgen schmerzhafter. Man<br />
wusste, man war wieder den ganzen Tag zusammen und doch nicht. Jim verfluchte mehr als<br />
einmal das Schicksal, dass sie wieder auf diese elende Insel mit ihren geisteskranken Be-<br />
wohnern geführt hatte. Er sah zu Kelly hinüber. Sie sah so unglaublich erschöpft aus.<br />
Vollkommen verdreckt, die Kleidung zerrissen, Tränenspuren überdeutlich im schmutzigen<br />
Gesicht. Wie gerne hätte er sie in die Arme genommen und von hier fort gebracht. Stattdessen<br />
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Frauke Feind<br />
musste er zusehen, wie sie zusammen mit Kate weiter Äste absägte, fortschaffte, die nächsten<br />
holte. Jim konnte es nicht mehr ertragen.<br />
************<br />
Die Tage vergingen einförmig, vom Aufstehen am Morgen bis zum Einschlafen am<br />
Abend. Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm, immer weiter zu arbeiten, aber die<br />
schreckliche Angst, dass sie Jim vor meinen Augen einfach erschießen würden, trieb <strong>mich</strong><br />
voran. Meine Muskeln gewöhnten sich langsam an die ungewohnten Bewegungen, der<br />
Schmerz, der im ganzen Körper wütetet, ließ allmählich etwas nach. Und da ich nicht mehr<br />
ausschließlich mit meinen eigenen Qualen so viel zu kämpfen hatte, dass ich kaum einen<br />
Blick für etwas anderes hatte, merkte ich, dass Jim immer noch aufrecht stand. Er schuftete<br />
wirklich hart, was angesichts seines Zustandes erstaunlich war. Theoretisch hätte er schon<br />
längst zusammen gebrochen sein müssen. Unerträgliche Rückenschmerzen hätten ihn um-<br />
werfen müssen. Alles in mir schrie danach, ihn zu fragen, wie es ihm ging. Aber mehr, als<br />
ihm heimlich verzweifelte Blicke zuzuwerfen, wagte ich nicht. <strong>Der</strong> Abend des fünften Tages<br />
unseres Sklavendaseins brach an. <strong>Der</strong> Vorarbeiter erklärte kurz vor dem Sonnenuntergang:<br />
„Okay, das war‟s für heute.“<br />
Ich schluckte. Wieder würde ich zusehen müssen, wie man Jim weg brachte. Heute<br />
war es besonders schlimm gewesen, denn ich hatte gesehen, dass er sich an einem vor-<br />
stehenden Ast ziemlich übel den Oberschenkel aufgekratzt hatte. Die Wunde hatte eine Weile<br />
ziemlich geblutet, aber niemand hatte sich darum gekümmert. Als wir nun getrennt wurden<br />
und er humpelnd im Wald verschwand, zerriss es mir fast das Herz. Und dann kam etwas,<br />
womit ich nun wirklich überhaupt nicht gerechnet hatte. Wir wurden abgeholt und ins Lager<br />
zurück geführt. Dort jedoch brachte man uns nicht in die Zelle, sondern zu einer inzwischen<br />
erbauten, relativ großen Hütte. In der Hütte standen zwei einfache gusseiserne, mit Wasser<br />
gefüllte Badewannen. Ungläubig starrten Kate und ich uns an. Neben den Wannen stand ein<br />
Stuhl, auf dem saubere Jeans und frische T-Shirts lagen. Auf dem Rand der Wannen lagen<br />
Seifenstücke und kleine Fläschchen mit Shampoon. Wir zögerten nicht mehr, sondern stiegen<br />
aus den hoffnungslos verdreckten und teilweise zerrissenen Sachen, die wir jetzt seit der An-<br />
kunft auf der Insel trugen und stiegen in die Wannen.<br />
Es war ein unbeschreibliches Gefühl, das warme Wasser am Körper zu spüren. Wir<br />
wussten nicht, wie viel Zeit man uns geben würde, und so beeilten wir uns sicherheitshalber<br />
damit, uns zu waschen. Aber niemand kam und störte uns. So blieben wir lange in den<br />
Wannen und hatten endlich das Gefühl, wieder halbwegs sauber zu sein. Als wir gerade fertig<br />
waren mit Anziehen, kam Richard Alpert in die Hütte. Leutselig erklärte er:<br />
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Frauke Feind<br />
„Ihr habt gut gearbeitet und euch an die Befehle gehalten. Dafür werdet ihr eine Be-<br />
lohnung bekommen, die euren Wünschen entsprechen wird.“<br />
Nervös folgten wir ihm, als er uns dazu ein Zeichen gab. Er führte uns zu einem Zelt<br />
am Ende des Lagers und sagte:<br />
„Morgen habt ihr frei, nutzt die Zeit. Wenn ihr Gelegenheit hattet über alles<br />
Nachzudenken werden wir uns erneut unterhalten.“<br />
Verwirrt standen wir vor dem Zelt und wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten.<br />
Richard deutete auf den Zelteingang und sagte:<br />
„Nun geht schon hinein.“<br />
Langsam setzten wir uns in Bewegung, schlugen die Plane zurück und standen dann<br />
im Halbdunkel des Zeltes. Und glaubten, zu Träumen. Da standen Jim und Jack, ähnlich er-<br />
staunt wie wir, und starrten uns entgegen. In der nächsten Sekunde hing ich an Jims Hals und<br />
heulte wie der sprichwörtliche Schlosshund!<br />
Ich hatte das Gefühl, gleich zusammen zu sacken. Jim schien dies zu spüren, denn er<br />
nahm <strong>mich</strong> sicherheitshalber auf den Arm und trug <strong>mich</strong> zu einem Bett an der rechten Zelt-<br />
seite. Er setzte sich mit mir im Arm auf die Bettkanten und nun war es mit seiner Be-<br />
herrschung auch vorbei. Seine Augen schimmerten feuchte und er drückte <strong>mich</strong> zitternd an<br />
sich. Wir küssten uns wie Ertrinkende, flüsterten uns sinnlose Liebkosungen in die Ohren,<br />
streichelten einander wieder und wieder und irgendwann stotterte ich:<br />
„Wieso ... Ich verstehe das nicht ... Warum ...“<br />
Jim lächelte selig.<br />
„Das ist mir doch so scheißegal, Hauptsache, ich hab dich wieder.“<br />
Wieder spürte ich seine Lippen und hatte das Gefühl, aus der Hölle direkt in den<br />
Himmel katapultiert worden zu sein. Wir brauchten eine ganze Weile, uns wenigstens an-<br />
nähernd zu beruhigen. Jim hielt <strong>mich</strong> auf seinem Schoss fest und machte nicht den Eindruck,<br />
als wolle er <strong>mich</strong> je wieder los lassen. Und ich wollte auch nie wieder los gelassen werden.<br />
Doch irgendwann kam die Frau, die uns mit Essen versorgte, ins Zelt und stellte wortlos ein<br />
Tablett mit vier Tellern auf einen kleinen Tisch, den ich erst jetzt bemerkte. Schweren<br />
Herzens erhoben wir uns und setzten uns an diesen, da uns allen der Magen laut knurrte. Aber<br />
kaum waren die Teller leer, standen wir wortlos wieder auf und kehrten zu den beiden Betten<br />
zurück, die man uns aufgestellt hatte. Und endlich kamen wir dazu, uns gegenseitig zu<br />
Fragen, wie es uns ging.<br />
„Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Was ist mit dem Kratzer an deinem Bein? Was<br />
haben sie euch getan?“, sprudelte es aus mir hervor.<br />
Jim machte sich lang, zog <strong>mich</strong> eng an sich und gab mir erneut einen Kuss. Erst dann<br />
antwortete er auf meine Fragen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Mach dir keine Sorgen, Kelly, mir geht es soweit gut. Abgesehen vom Muskelkater<br />
fühl ich <strong>mich</strong> ... naja, den Umständen entsprechend, würde ich sagen. <strong>Der</strong> Kratzer ist wirklich<br />
nur ein Kratzer. Getan haben sie uns bisher nur am Anfang was. Sie wollten natürlich wissen,<br />
wer wir sind und woher wir kommen.“<br />
Ich unterbrach ihn.<br />
„Ja, das wollten sie von uns auch und wir merkten, dass wir es versäumt haben,<br />
darüber zu Sprechen.“<br />
Jim nickte.<br />
„Du sagst es. Das haben wir auch schnell gemerkt. Wie blöde muss man eigentlich<br />
sein, um das völlig zu vergessen? Erst haben wir ihnen eine Story aufgetischt von ner Welt-<br />
umseglung und nem Schiffbruch, aber sie schienen genau zu wissen, dass das ne Lüge war.<br />
Dann wurden sie ...“<br />
Er stockte und ich fragte alarmiert nach:<br />
„Was wurden sie? Bitte, Jim, was haben sie getan?“<br />
Jim seufzte. Schweren Herzens erzählte er weiter.<br />
„Naja, sie haben ... uns ausgepeitscht ...“<br />
Ich keuchte entsetzt auf.<br />
„Was? Diese Bastarde! Oh, Gott.“<br />
Wieder schossen mir Tränen in die Augen.<br />
„Halb so wild.“, versuchte Jim abzuwiegeln, aber ich glaubte ihm nicht.<br />
Jetzt war mir klar, warum er und Jack die ersten Tage immer wieder gequält auf-<br />
gestöhnt hatten.<br />
„Lass <strong>mich</strong> ... lass es <strong>mich</strong> ansehen, bitte.“, flüsterte ich geschockt.<br />
Frustriert seufzte Jim, dann rollte er sich auf den Bauch und ich schob sein T-Shirt,<br />
welches er wie wir anderen trug, in die Höhe. Und stöhnte entsetzt auf. Immer noch waren die<br />
Striemen auf Jims gesamten Rücken zu sehen, wenn sie auch so gut wie verheilt waren.<br />
„Oh, mein Gott. Das sind Monster!“, wimmerte ich entsetzt.<br />
Jim zog sich das T-Shirt wieder herunter und drehte sich zu mir herum.<br />
„Ich leb ja noch, Süße.“, sagte er beruhigend und zog <strong>mich</strong> wieder eng an sich.<br />
Er fuhr mir mit dem Zeigefinger zärtlich über die Wangen und wischte mir Tränen<br />
fort. Ich sah ihn an und flüsterte mutlos:<br />
nehmen!“<br />
„Ja, aber wie lange noch?“<br />
Kalt erklärte Jim:<br />
„Hoffentlich noch lange genug, ein paar von den Bastarden mit mir in die Hölle zu<br />
In meinem desolaten Zustand waren diese Worte für <strong>mich</strong> Anlass genug, erneut in<br />
Tränen auszubrechen. Erschrocken sagte Jim:<br />
„Hey, tut mir leid, dass war nicht so gut.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Schluchzend lag ich in seinem Arm und schließlich fragte ich leise:<br />
„Wie geht ... was macht dein Rücken?“<br />
Gereizt erwiderte Jim:<br />
„Nun vergiss mal, wie es mir geht. Ich will wissen, was sie euch angetan haben.“<br />
Ich schluckte die letzten Tränen hinunter und war dankbar, dass ich ihm sagen konnte,<br />
dass sie uns gar nichts getan hatten.<br />
„Dieser Richard Alpert hat uns am ersten Tag befragt, aber sie haben uns nichts getan,<br />
als wir keine Antwort gaben. Wir wurden nur eingesperrt und mussten von da an für sie<br />
Schuften. Zwei Tage lang haben sie uns Löcher graben lassen, dann ... Naja, das weißt du ja.“<br />
Jim schwieg einen Moment und ich spürte seine Erleichterung. Leise sagte er:<br />
„Wenn ich nur wüsste, warum die so erpicht darauf sind, zu erfahren, wer wir sind.“<br />
Er konnte ein Gähnen nicht mehr unterdrücken und auch ich war zum Umfallen müde.<br />
„Wir haben morgen frei, also sollten wir vielleicht versuchen, ein wenig zu Schlafen,<br />
wir sind alle vollkommen erledigt.“, meinte ich leise.<br />
Jim nickte.<br />
„Ich bin total alle.“<br />
Obwohl wir es eigentlich nicht wirklich wollten, forderte unser Körper energisch die<br />
dringend notwendige Ruhe und eng aneinander geschmiegt schliefen wir schließlich ein.<br />
Als ich am Morgen erwachte, war der erste Gedanken<br />
- Jim ist bei mir. -<br />
und dieser Gedanke ließ <strong>mich</strong> blitzschnell klar im Kopf werden. Ich spürte ihn in<br />
meinen Armen und in jeder Faser meines Körpers. Er schlief noch und ich rührte <strong>mich</strong> nicht,<br />
um ihn nicht zu stören. Aber er schien zu fühlen, dass ich wach war, denn schon Minuten<br />
später schlug auch er die Augen auf. Seine Augen leuchteten auf und er flüsterte leise:<br />
„Einen Moment lang dachte ich, ich hätte nur geträumt.“<br />
Ich lächelte.<br />
„Nein, ich bin real. Und du auch.“<br />
Wir küssten uns, erst sanft und zärtlich, dann aber zog Jim <strong>mich</strong> eng an sich und der<br />
Kuss wurde von einer geradezu verzweifelten Intensität. Dass Jack und Kate ebenfalls im Zelt<br />
waren, hatten wir komplett aus unseren Gedanken gestrichen, im Augenblick waren wir<br />
alleine auf der Welt. Wir lagen einfach still nebeneinander und genossen die Nähe des<br />
Anderen. Die Gedanken daran, dass wir uns am Ende des Tages wieder würden Trennen<br />
müssen, schoben wir erst einmal weit weg. Im Moment wollten wir einfach nur in vollen<br />
Zügen genießen, zusammen sein zu dürfen.<br />
Irgendwann kam unser Frühstück und wir erhoben uns schweren Herzens. Erst als wir<br />
an den Tisch traten wurde uns wieder bewusst, dass wir nicht alleine waren. Kate und Jack<br />
setzten sich zu uns und wir unterhielten uns erstmals miteinander.<br />
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Frauke Feind<br />
„Wie geht es dir?“, wollte Kate wissen und ich erklärte:<br />
„Na, wie schon? Im Moment bin ich im Himmel, das ist doch klar. Und ich will nicht<br />
daran denken, dass wir wieder in der Hölle landen werden.“<br />
Kate nickte.<br />
„Geht mir genauso. Hast du gehört, was sie Sawyer und Jack angetan haben?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, Jim hat es mir erzählt. Diese verfluchten Bastarde!“<br />
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einen Menschen so sehr hassen würde, dass ich<br />
im Stande gewesen wäre, ihn kalt lächelnd umzubringen. Aber wenn ich an den Mann dachte,<br />
der die Peitsche geschwungen hatte, wurde mir überdeutlich klar, dass ich genau dazu bereit<br />
gewesen wäre.<br />
„Wir sollten uns überlegen, wie es weiter gehen soll.“, sagte Jack leise.<br />
Ratlos sahen wir uns an.<br />
„Ich hab keine Ahnung. Die werden uns so oder so nichts, aber auch gar nichts<br />
glauben. Und wenn wir mit der Wahrheit rausrücken, kann ich das sogar verstehen.“<br />
Jim schnaufte genervt.<br />
„Aber irgendwas werden wir sagen müssen, sonst wird das hier in einer Katastrophe<br />
für uns enden.“, meinte Jack sehr leise.<br />
Wir nickten. Es war wirklich zum Verzweifeln, wir steckten in einer ziemlich unent-<br />
rinnbaren Falle.<br />
Um das Thema zu wechseln fragte Kate:<br />
„Habt ihr einen Anhaltspunkt dafür gefunden, wann wir uns befinden?“<br />
Jim und auch Jack schüttelten den Kopf.<br />
„Unsere Vermutung, dass wir vor 1950 sind war ja nur durch Adam und Eva be-<br />
gründet. Ich bin sicher, unter den anderen Arbeitern Leute von der DHARMA Initiative ge-<br />
sehen zu haben, jedenfalls trugen ein paar von ihnen die Overalls.“, überlegte Jack im Flüster-<br />
ton. „Das würde bedeuten, dass wir doch schon in den 70gern sind.“<br />
Kate lachte leicht hysterisch und meinte ebenso leise:<br />
„An Hand von Richards Alter können wir jedenfalls nicht ersehen, welches Jahr wir<br />
haben. <strong>Der</strong> Mann ist mir so was von unheimlich! Kelly, der sieht 2005 noch genauso aus wie<br />
jetzt. Das ist ... gruselig. Aber die Overalls habe ich auch erkannt.“<br />
Ich seufzte und spürte eine Gänsehaut auf dem Rücken.<br />
„Er machte mir eigentlich immer einen ziemlich vernünftigen Eindruck, im Gegensatz<br />
zu vielen anderen bei den ‟Anderen‟.“, meinte Jack und Kate und Jim nickten.<br />
tut.“<br />
„Irgendwas muss wohl geschehen sein, ihn so reagieren zu lassen, wie er es gerade<br />
„Wenn wir nur wüssten, was hier los ist. Die DHARMA Initiative wurde laut den<br />
Unterlagen Grandpas Anfang der Siebziger gegründet, davon ausgehend, dass einige von<br />
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Frauke Feind<br />
ihnen auch hier gefangen gehalten werden, muss es also schon soweit sein. Dann haben sie<br />
sicher auch gleich angefangen, die Stationen zu bauen. Vielleicht gibt es schon welche, nur<br />
eben den Schwan noch nicht.“<br />
Jack nickte.<br />
„Möglich. Was wir erfahren haben, als wir damals bei ihnen waren ist, dass der Swan<br />
ursprünglich für die Erforschung elektromagnetischer Energie gebaut wurde. Irgendwann hat<br />
es dann einen Vorfall gegeben, der es erforderlich machte, den Schwan umzubauen, um die<br />
elektromagnetische Energie zu Kontrollieren, die scheinbar zum Absturz der 815 geführt hat.<br />
Es ist also möglich, dass die Station erst noch gebaut wird.“<br />
„Wenn die DHARMA Initiative schon auf der Insel gelandet ist, kann das zu der<br />
Spannung hier geführt haben.“, warf Jim ein. „Was auch immer, im Moment können wir<br />
nichts machen als abwarten. Und wenn es hart auf hart kommt, müssen wir eben die Wahrheit<br />
sagen und mit fliegenden Fahnen und stolz untergehen.“<br />
Ich spürte bei diesen Worten einen Schauer über meinen Körper huschen und griff<br />
unwillkürlich nach Jims Hand. Dieser erhob sich und sagte:<br />
gezogen hatte.<br />
„Wir ziehen uns wieder zurück, wenn es euch nichts ausmacht.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> zum Bett zurück und wir legten uns wieder hin.<br />
„Ich möchte einfach nur mit dir alleine sein.“, sagte er sanft, als er <strong>mich</strong> wieder an sich<br />
„Ich auch.“, erwiderte ich leise.<br />
Seine Hand rutschte unter mein T-Shirt und streichelte zärtlich meine nackte Haut.<br />
„So alleine wir eben sind.“, flüsterte er und küsste <strong>mich</strong>.<br />
schäftigte.<br />
Ich seufzte. Dann aber stellte ich die Frage, die <strong>mich</strong> schon seit Tagen intensiv be-<br />
„Ich weiß, dass ich dich nerve, aber, bitte, Jim, sag mir, wie es deinem Rücken geht.<br />
Ist es schon sehr schlimm?“<br />
Er sah mir in die Augen und erklärte leise:<br />
„Du bist ne Nervensäge, weißt du das? Und da du sowieso keine Ruhe geben wirst:<br />
Nein, es ist nicht schlimmer geworden, so schnell trete ich nicht ab.“<br />
<strong>mich</strong>.“<br />
Er stockte und schien intensiv nachzudenken. Dann sagte er langsam:<br />
„Genau genommen ... ist es sogar besser geworden.“<br />
Ich griff nach seiner Hand und fragte:<br />
„Darf ich es mir anschauen?“<br />
Resigniert nickte er.<br />
„Du wirst ja doch nicht aufhören rumzunerven, also in Gottes Namen, untersuch<br />
Er streifte das T-Shirt über den Kopf und rollte sich auf den Bauch. Ich biss mir auf<br />
die Lippe. Einen Moment lang zögerte ich, hatte Angst, ihn zu berühren, Angst vor der Wahr-<br />
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Frauke Feind<br />
heit, schließlich jedoch tastete ich entschlossen seine Lendenwirbel ab. Bis zu den Brust-<br />
wirbeln hoch ließ ich meine Finger über seine Wirbelsäule gleiten, und dann noch einmal, und<br />
schließlich sogar noch ein drittes Mal. Mit dem gleichen Resultat. <strong>Der</strong> Tumor, den ich so<br />
deutlich gespürt hatte, war nicht mehr zu ertasten! Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen<br />
meine Rippen. Ich starrte blicklos vor <strong>mich</strong> hin, dann rief ich laut:<br />
„Jack. Komm sofort her, schnell!“<br />
Jim sah nervös zu mir auf.<br />
„Was?“<br />
hinüber eilte.<br />
Ich antwortete nicht, sondern sah ungeduldig Jack entgegen, der verwirrt zu uns<br />
„Was ist los?“<br />
Ich rutschte vom Bett und erklärte:<br />
„Fass mal an, taste mal nach dem Tumor.“<br />
Jim lag angespannt still und fragte noch einmal ungeduldig und verunsichert:<br />
„Was ist los, zur Hölle?“<br />
Jack beugte ich über ihn und ließ wie Minuten zuvor ich selbst seine Finger tastend an<br />
Jims Wirbelsäule hoch wandern. Er stutzte und mein Herz machte einen Luftsprung. Dann<br />
begann er noch einmal von unten, ging langsam Wirbel für Wirbel den ganzen Rücken hoch<br />
und stieß schließlich fassungslos hervor:<br />
„Das gibt es nicht! Das ist absolut unmöglich.“<br />
Jim reichte es. Wütend und angstvoll zugleich fuhr er auf:<br />
„Hätten Dr. House und Dr. Cameron vielleicht mal die Güte, mir zu sagen, was zum<br />
Teufel los ist?“<br />
da.“<br />
Von der anderen Seite des Zeltes war auch Kate herüber gekommen.<br />
„Was ist denn?“, fragte sie neugierig.<br />
Und jetzt sagte Jack vollkommen verwirrt:<br />
„Er ist weg.“<br />
Jim richtete sich auf.<br />
„Was ist weg?“<br />
Seine Stimme zitterte. Ich stotterte:<br />
„<strong>Der</strong> Tumor. Jim, er ist weg, nicht mehr da, nicht zu Ertasten!“<br />
„Was?“<br />
Heftig stieß Jim das Wort aus und Kate fragte alarmiert:<br />
„Was für ein Tumor?“<br />
Hastig erklärte ich:<br />
„Jim hatte einen Tumor an der Lendenwirbelsäule. <strong>Der</strong> ist weg! Einfach nicht mehr<br />
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„Tumor?“, fragte Kate entsetzt.<br />
Jim war blass geworden.<br />
„Wie, weg?“, keuchte er.<br />
Jack schüttelte den Kopf.<br />
„Bück dich mal.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim starrte ihn dumm an und Jack wiederholte ungeduldig:<br />
„Los, nun mach schon den Rücken krumm.“<br />
Ergeben und nervös beugte Jim den Oberkörper Richtung Boden und Jack tastete noch<br />
einmal alles gründlich ab. Dann trat er zur Seite und nickte mir zu. Und auch ich arbeitete<br />
<strong>mich</strong> noch einmal an den Wirbeln entlang, aber egal, wie gründlich ich auch vorging, das<br />
Resultat blieb das Gleiche: <strong>Der</strong> Tumor war nicht mehr zu spüren.<br />
„Er ist wirklich verschwunden.“, meinte Jack fassungslos.<br />
Jim richtete sich langsam auf und sah von Jack zu mir und wieder zurück. Er schüttelte<br />
entgeistert den Kopf.<br />
„Weg, wie ... weg?“<br />
Lachend und weinend gleichzeitig nickte ich.<br />
„Ja, Honey, weg wie weg. Weg!“<br />
Jim fing haltlos an zu Zittern. Und dann kullerten ihm erste Tränen über die Wangen.<br />
Jack und Kate zogen sich unauffällig zurück, aber sie hätten genauso gut einen Indianertanz<br />
um uns herum aufführen können, auch das hätten wir nicht bemerkt. Wir lagen uns in den<br />
Armen und heulten beide vor Glück. Als wir uns endlich ein wenig fingen, ließen wir uns<br />
wieder auf das Bett sinken.<br />
„Wie ist das möglich?“, fragte Jim immer noch mit zitternder Stimme.<br />
Ich zuckte die Schultern.<br />
„Ich weiß es nicht. Scheinbar ist die Insel dir wirklich wohl gesonnen. Jim, es ist voll-<br />
kommen egal, warum, Hauptsache, er ist fort. Er ist weg, du wirst ... Leben!“<br />
„Das ist ... Ich hab ... Kelly, ich hatte ne derartige Angst! Ich bin wirklich kein Feig-<br />
ling, wenn ich mir irgendwann ne Kugel gefangen hätte, wär das okay gewesen, aber so zu<br />
krepieren ... Und jetzt ...“<br />
Er biss sich auf die Lippe und schüttelte immer noch völlig fassungslos den Kopf.<br />
„Seit ich es wusste hab ich mir vorgestellt, dass ich ... dass ich irgendwann irgendwo alleine<br />
...“ Er musste tief durchatmen, dann fuhr er fort: „... jämmerlich verrecken würde. Die haben<br />
mir genau erklärt, wie es weiter gegangen wäre. Irgendwann in absehbarer Zeit gelähmt,<br />
Schmerzen, die nicht mal mit Morphium weg gewesen wären, dann irgendwann einfach<br />
Exitus. Dass du dazwischen kamst, machte die ganze Sache auch nicht besser, denn nun<br />
stellte ich mir vor, dass ich in deinen Armen genauso jämmerlich verrecken würde und du<br />
dabei hilflos zusehen müsstest. Und jetzt ...“<br />
Unaufhörlich liefen ihm Tränen über die Wangen und mir ging es nicht anders.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Und jetzt wirst du leben und mit neunzig in meinen Armen ganz ruhig einschlafen.“,<br />
schluchzte ich.<br />
Ganz allmählich machte die Fassungslosigkeit in seinen Augen einer unbändigen<br />
Freude Platz. Er stieß ein kurzes Lachen aus, dass dann in ein richtiges, befreites, überglück-<br />
liches Lachen überging. Und ich stimmte, wenn auch immer noch unter Tränen, in das Lachen<br />
ein. Wir vergaßen für den Moment, in welch prekärer Lage wir waren und empfanden einfach<br />
nur ein unglaubliches Glücksgefühl. Unbewusst glitten meine Finger immer wieder an seine<br />
Wirbelsäule, um <strong>mich</strong> davon zu überzeugen, dass da wirklich nichts mehr war. Aber so oft ich<br />
auch danach tastete, es blieb verschwunden.<br />
Wir blieben auf dem Bett liegen und versuchten einfach, so viel Kraft wie nur möglich<br />
aus dem Zusammensein zu ziehen. Uns allen war klar, dass es so nicht weiter gehen würde<br />
und in die Freude und das Glück mischte sich immer wieder der mahnende Zeigefinger, uns<br />
darauf vorzubereiten, dass man uns wieder brutal trennen würde. Doch erst einmal waren wir<br />
zusammen. Unterhalten taten wir uns nicht großartig. Das, was wir uns sagen wollten, war nur<br />
für unsere Ohren bestimmt, und es wäre nicht zu vermeiden gewesen, dass Kate und Jack<br />
etwas aufgeschnappt hätten, so, wie wir ihre leisen Stimmen zu uns herüber dringen hörten.<br />
Und außerdem wollten wir es einfach nur genießen, uns zu haben, nahe zu sein, den Anderen<br />
spüren zu können. Ich hatte meinen Kopf auf Jims Brust gelegt und meine Hand streichelte<br />
zärtlich immer und immer wieder über seine warme Haut. Da war kein Verlangen nach Sex,<br />
sondern einfach nur nach Zärtlichkeit. Seine eigene Hand strich über meinen Rücken und ich<br />
genoss die Berührungen. Als der Tag voran schritt, wurden wir zusehends bedrückter und<br />
dann geschah es, viel zu früh.<br />
Zwei Männer betraten die Arena und befahlen uns:<br />
„So, genug herumgelegen, hoch mit euch, Richard will euch sehen.“<br />
Mit wild klopfenden Herzen standen wir auf. Jim schlüpfte in sein T-Shirt zurück und<br />
legte nun einen Arm um <strong>mich</strong>. So verließen wir das Zelt, bewacht von den beiden Männern.<br />
Draußen blendet uns die Sonne. Angespannt folgten wir den Männern, die uns wieder zu der<br />
großen Akazie führten, unter der Kate und ich Richard erstmals getroffen hatten. Dieser<br />
wartete schon auf uns und nickte.<br />
„Da seid ihr ja, setzt euch bitte hin.“<br />
Nervös ließen wir uns auf die vier Stühle sinken, die vor dem Campingtisch standen.<br />
Dann schickte Richard die beiden Wachen fort.<br />
„Ich möchte gerne alleine mit unseren Gästen reden.“<br />
Wortlos zogen die Wachen ab und wir saßen dem unheimlichen Mann alleine gegen-<br />
über. Richard zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken. Er sah uns<br />
lange an, dann fing er an zu Sprechen.<br />
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Frauke Feind<br />
15) <strong>Der</strong> Unfall<br />
„Diese Insel ist etwas ganz besonderes. Mir drängt sich der Gedanke auf, dass ihr das<br />
genau wisst. Und ich bin überzeugt, dass ihr noch erheblich mehr wisst. Wir haben euch ein<br />
paar Tage Zeit gegeben, über eure Situation nachzudenken. Nicht, weil wir das Gefühl hatten,<br />
ihr würdet dann kooperationsbereiter sein, vielmehr, um euch Gelegenheit zu geben, euch<br />
darüber im Klaren zu werden, dass wir am längeren Hebel sitzen. Bisher waren wir aus-<br />
gesprochen rücksichtsvoll.“<br />
Uns wurde immer wärmer und wir starrten Richard unsicher an. Dieser fuhr fort:<br />
„Ich werde euch einmal sagen, was ich vermute.“<br />
Er sah uns der Reihe nach scharf an und fuhr kalt fort:<br />
„Vor einiger Zeit beschloss die U.S. Army, im Pazifik Bombentests zu machen. Dabei<br />
gelang es einer Einheit von achtzehn Mann, hier auf der Insel zu landen. Sie hinterließen uns<br />
ein kleines Geschenk, bevor wir sie alle töten konnten. Ich<br />
denke, ihr seid ein <strong>Über</strong>bleibsel dieser Einheit. Wir vermuten,<br />
dass ihr den Auftrag habt, die Bombe zu zünden. Meine Leute<br />
haben beschlossen, keine Geduld mehr mit euch zu haben.<br />
Entweder, ihr sagt uns freiwillig alles, was wir wissen wollen,<br />
oder ich habe keine andere Wahl mehr, als Parker auf euch los zu lassen. Er wird eher früher<br />
als später alles aus euch heraus foltern, was wir wissen müssen. Ich weiß, wie er arbeitet und<br />
glaubt mir, das möchtet ihr nicht wirklich erleben.“<br />
Dabei richteten sich Richards Augen auf Jack und Jim. Mir wurde schlecht und ich<br />
spürte, dass ich unkontrolliert zu Zittern begann. Ohne zu überlegen griff ich Jims Hand und<br />
klammerte <strong>mich</strong> an ihr fest. Panisch stieß ich hervor:<br />
„Das können Sie nicht machen. Das ist ... unmenschlich!“<br />
Jim und Jack saßen stumm und resigniert da und starrten blicklos auf den Tisch.<br />
„Unmenschlich? Nun, die Sicherheit einer Menge Leute hängt davon ab, zu erfahren,<br />
was ihr plant. Und nicht nur das. Ihr ...“<br />
Ich unterbrach ihn verzweifelt.<br />
„Alles, was wir sagen könnten, wird von euch als Lüge dargestellt werden. Egal, was<br />
wir auch erzählen würden! Die Wahrheit können wir nicht beweisen. Also wird, was immer<br />
ihr uns antun werdet, aus reinem Sadismus passieren. Das ist unmenschlich. Ihr seid nichts<br />
anderes als Bestien! Feige, widerliche Bestien! Ich begreife nicht, wie mein ...“<br />
Im letzten Moment biss ich mir auf die Zunge.<br />
Richard war allerdings ein guter Zuhörer. Er sah <strong>mich</strong> an und fragte sofort nach.<br />
„Du begreifst nicht, wie dein ... Was?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Nichts. Ich verstehe nicht, wie man so sein kann wie ihr.“<br />
Richard sah <strong>mich</strong> einen Moment fast mitleidig an. Dann sagte er:<br />
„Das kannst du nicht verstehen. Die Menschen hier bei mir sind gute Menschen. Sie<br />
würden alles tun, um die Insel zu schützen, vor Leuten wie euch. Wir alle hier leben schon ...<br />
lange auf ihr und kennen und schätzen ihre Wunder. Wenn ihre Geheimnisse an die<br />
Öffentlichkeit dringen würden, hätte das katastrophale Auswirkungen auf uns alle. Daher<br />
sehen wir uns gezwungen, zu drastischen Mitteln zu greifen.“<br />
„Klar, versteh schon, Parker sah auch ganz geknickt aus, als der miese Sadist uns aus-<br />
gepeitscht hat. Schickt den Penner doch mal zu mir, wenn ich <strong>mich</strong> wehren kann!“, stieß Jim<br />
giftig hervor.<br />
Ich hielt die Luft an, aber Richard nickte nur.<br />
„Du hast Recht, Parker ist ein brutaler, sadistischer Mann. Aus dem Grunde solltet ihr<br />
euch sehr genau überlegen, ob ihr es darauf ankommen lassen wollt, dass er noch einmal in<br />
eure Nähe kommt.“ Er sah Jim scharf an und meinte: „Ihr könnt sogar noch dankbar für die<br />
Tatsache sein, dass wir den Frauen kein Haar gekrümmt haben.“<br />
...“<br />
wurde.<br />
Jack schnaufte verzweifelt.<br />
„Ja, ungemein dankbar ...“, stieß er leise hervor.<br />
Richard schüttelte den Kopf.<br />
„Nicht wir sind in euer Haus eingedrungen, sondern ihr in das Unsere. Wir sind hier<br />
„Die Guten.“, entfuhr es Kate, ehe sie es verhindern konnte.<br />
Richard stutzte, dann sah er Kate so scharf an, dass diese in ihrem Stuhl immer kleiner<br />
Atemlos warteten wir, was geschehen würde. Richard wollte etwas sagen, aber in<br />
diesem Moment kamen zwei junge Männer angehetzt. Aufgeregt stieß der Eine hervor:<br />
„Es gab einen Unfall! Ellie ist verletzt und die Wehen haben eingesetzt und Jason ist<br />
eingeklemmt. Sein Bein sieht übel aus. Wir brauchen Hilfe.“<br />
Richard war aufgesprungen und erklärte:<br />
„Verflucht! Ich habe alle zum Dock 1 geschickt, bis wir sie hier haben, ist es vermut-<br />
lich zu spät.“ Er sah uns an und nickte dann entschieden. „Ihr kommt mit, na los, macht<br />
schon. Charly, hol den Erste Hilfe Koffer, dann komm uns nach. Kevin, du führst uns. Los,<br />
Bewegung.“<br />
<strong>Der</strong> junge Mann, der Bericht erstattet hatte, hastete los, zum Krankenzelt, um den<br />
Koffer zu holen. Wir sprangen auf und wurden von Richard und Kevin angetrieben, die<br />
Waffen in der Hand hatten, die sie ganz offensichtlich im Hosenbund getragen hatten. Es ging<br />
in den Wald und auf einem breiten Pfad eine Zeit lang bergan. Endlich sahen wir vor uns eine<br />
kleine Ebene auftauchen, die an einem steilen Felshang endete. Zu diesem Hang wurden wir<br />
geführt und sahen, was geschehen war. Eine Höhle in dem Felshang war offensichtlich bei<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Bauarbeiten eingestürzt, ein Träger hatte wohl nachgegeben und dazu geführt. Begraben von<br />
dem Träger sah ich eine blonde junge Frau am Boden liegen, etwas weiter rechts lag, eben-<br />
falls unter dem Träger vergraben, einen Mann. Bei der Frau, die vor Schmerzen gerade auf-<br />
schrie, kniete ein weiterer, noch junger Mann und hielt ihre Hand. <strong>Der</strong> Balken hatte sie auf<br />
den Oberschenkeln getroffen. Er drückte gegen ihren Körper und wenn sie Wehen hatte,<br />
wurde die Geburt durch den Balken verhindert. <strong>Der</strong> eingeklemmte Mann wimmerte ab und zu<br />
vor Schmerzen auf. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet und man konnte sehen, dass<br />
sein rechtes Bein in Höhe des Knies von dem Balken getroffen und scheinbar ziemlich zer-<br />
schmettert worden war.<br />
Richard erfasste, genau wie wir, die Situation mit einem Blick. Bevor er noch An-<br />
weisungen geben konnte, eilten wir schon zum Höhleneingang und Jim sagte hastig:<br />
„Kommt schon, wir sollten das Scheißding anheben können.“<br />
<strong>Der</strong> junge Mann, der bei der blonden Frau kniete, sprang auf und trat an den Holz-<br />
balken heran. Gerade kam auch Charly angehetzt und stürzte zu uns. Und auch Kevin und<br />
Richard packten mit an. Jack sah Kate und <strong>mich</strong> an.<br />
„Ihr müsst sie daraus ziehen, wenn es uns gelingt, ihn anzuheben.“<br />
Wir nickten. Kate war etwas kräftiger als ich, daher eilte sie zu dem Mann hinüber,<br />
während ich bei Ellie blieb. Gerade schrie diese wieder gellend auf vor Schmerzen und ich<br />
hielt ihre Hand. Beruhigend sagte ich:<br />
„Alles wird gut, wir holen dich daraus.“<br />
Richard sah die Männer an und sagte:<br />
„Hoch damit.“<br />
Verzweifelt versuchten sie, den Balken anzuheben, aber er schien sich verkeilt zu<br />
haben. Charly fluchte resigniert:<br />
„Das schaffen wir nicht.“<br />
Und dann glaubte ich zu Träumen. Urplötzlich tauchte aus dem Wald Sayid auf. Er<br />
schien über sich selbst den Kopf zu schütteln, eilte zu uns und packte ohne ein Wort mit an.<br />
Und endlich schafften es die Männer, den Balken wenigstens soweit anzuheben, dass Kate<br />
und ich die Eingeklemmten hervor ziehen konnten. <strong>Der</strong> Verletzte brüllte vor Schmerzen und<br />
verlor zum Glück schnell das Bewusstsein. Ellie wurde bereits von der nächsten Wehe über-<br />
rollt und Charly und der andere junge Mann eilten zu ihr.<br />
kniete.<br />
Jack kniete bereits bei dem verletzten Mann am Boden, während ich bei Ellie nieder<br />
„Schnell, wir müssen ihr die Jeans ausziehen.“<br />
Charly und der andere Mann sahen <strong>mich</strong> an, als hätte ich von ihnen verlangt, Ellie zu<br />
vergewaltigen. Wütend schnauzte ich die Beiden an.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Wir können natürlich auch warten, bis sich die Jeans irgendwann von selbst in Luft<br />
auflöst oder das Baby einen Weg findet, aus dem Hosenbein zu krabbeln. Los doch!“<br />
Jetzt endlich reagierten sie. Während ich Ellie die Hose öffnete, hoben Charly und der<br />
andere Mann die junge Frau an und ich streifte ihr die Blut getränkte Jeans samt Slip vom<br />
Körper. Als sie mit nacktem Unterleib vor uns lag, wandten sich die Männer geradezu panisch<br />
ab und gingen zu Jack und dem Verletzten hinüber. Kate kam zu mir und fragte:<br />
„Was soll ich machen?“<br />
„Hol mir bitte mindestens vier T-Shirts.“<br />
Kate nickte und eilte zu den Männern hinüber.<br />
„Ich brauch eure T-Shirts, schnell.“<br />
Jim, Jack, Kevin, Charly und der junge Mann, dessen Namen wir noch nicht kannten,<br />
zogen sich die Shirts, beziehungsweise Hemden aus und drückten sie Kate in die Hand. Diese<br />
eilte zu mir zurück. Ich half Ellie, den Unterleib ein wenig anzuheben und Kate breitete eines<br />
der Hemden unter ihr aus. Jetzt bat ich:<br />
leichter.“<br />
„Kate, hilf ihr, sich ein wenig aufzurichten und halte sie so fest, so presst es sich<br />
Kate kniete hinter Ellie, richtete diese in eine halb sitzende Position und rutschte unter<br />
die junge Frau. Ich kniete zwischen ihren angezogenen und gespreizten Beinen und unter-<br />
suchte sie. Ihr Muttermund war nahezu vollständig geöffnet, sie war also eindeutig bereits in<br />
der Austreibungsphase.<br />
Gerade kam wieder eine Presswehe und Ellie schrie. Sie klammerte sich an Kates<br />
Hände, während ich mit einem der T-Shirts, das ich zusammen gelegt hatte, sanften Druck auf<br />
Ellies Damm ausübte. Die Presswehen kamen alle zwei bis drei Minuten und jedes Mal<br />
konnte ich das Köpfchen ein wenig besser sehen. Ruhig erklärte ich Ellie:<br />
„Es geht los, dein Muttermund ist vollständig geöffnet, dein S ... Baby wird bald da<br />
sein. Du musst bei jeder Wehe pressen, mit aller Kraft. Durch den Balken wurde der Geburts-<br />
vorgang schon zu lange verzögert. Wir müssen uns beeilen, verstehst du? Es kann sein, dass<br />
das Baby zu wenig Sauerstoff bekommen hat, es steckt schon lange im Geburtskanal.“<br />
Ellie nickte verzweifelt und in diesem Moment wurde ihr Körper bereits von der<br />
nächsten Presswehe überrollt. Ich feuerte die junge Frau an, die am Ende ihrer Kräfte schien.<br />
„Komm schon, du packst das, es ist bald geschafft. Ja, komm, Pressen, los, mit aller Kraft!“<br />
Endlose Minuten quälte Ellie sich vor Schmerzen schreiend und endlich war das Köpfchen<br />
durch und der Rest war ein Kinderspiel. Nach wenigen weiteren Minuten rutschte mir der<br />
Säugling, von einer letzten Kraftanstrengung Ellies herausgedrückt, entgegen. Ich fing das<br />
Neugeborene sanft auf und reinigte ihm kurz das Gesicht. Es schrie bei dieser Behandlung<br />
empört auf und ich lachte erleichtert.<br />
„Na, du bist mir ja ein Schreihals.“<br />
Ich legte Ellie ihren Sohn auf den Bauch und dachte<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
- Na, großartig, jetzt weiß ich wenigstens, wie dieser Daniel nackt aussieht. -<br />
Kate und ich wechselten einen Blick und irgendetwas sagte mir, dass ihr ähnliche Ge-<br />
danken durch den Kopf gingen. Ich bat sie, bei Ellie zu bleiben und auf die Nachgeburt zu<br />
warten, während ich zu Jack und den Männern hinüber eilte. Dort passierte mir ein Fauxpas,<br />
der Richard augenblicklich auffiel. Ich erklärte nämlich Charly:<br />
„Dein Sohn ist da, geh zu ihr.“<br />
Sofort hätte ich mir auf die Zunge beißen mögen. Charly bemerkte es nicht, Richard<br />
dafür umso mehr. Er warf mir einen Blick zu, der eindeutig ‟später‟ besagte. Ich kniete neben<br />
dem Verletzten nieder und sah Jack an.<br />
„Wie sieht es aus?“<br />
„Beschissen. Das Bein, genauer das Knie ist vollkommen zertrümmert. In einem<br />
Krankenhaus wäre es vielleicht mit viel Glück zu Retten, hier ...“<br />
Er sah Richard an.<br />
„Wir brauchen Tragen für die Beiden und zwar schnell. Sein Leben kann ich vielleicht<br />
Retten, wenn er schnell ins Lager kommt. Sein Bein ...“<br />
Er schüttelte den Kopf. Richard nickte verstehend. Er sah den jungen Mann neben sich<br />
an und sagte ruhig:<br />
„Tim, du holst Tragen. Beeil dich.“<br />
Anscheinend war ich angeschlagener als ich vermutete hatte, denn als Richard den<br />
jungen Mann Tim nannte, fuhr ich unwillkürlich herum:<br />
„Tim Walsh?“<br />
Perplex starrte ich den Jungen an. Dieser nickte verwirrt, dann aber drehte er sich<br />
herum und rannte los. Und Richard warf mir einen neuerlichen Blick zu, der mir eine Gänse-<br />
haut verursachte. Meine Gedanken überschlugen sich. Mein Großvater. Ich hatte soeben<br />
meinen Großvater als jungen Mann kennen gelernt!<br />
Jack und ich bemühten uns in den folgenden Minuten, die Blutung zu stillen. Jim stand<br />
neben mir und war weiß wie eine Wand. Er starrte auf das, was einmal ein Knie gewesen war<br />
und würgte unwillkürlich. Ohne von meiner Arbeit aufzusehen sagte ich:<br />
„Schatz, warte da drüben, okay?“<br />
Schwer atmend nickte Jim und trat ein paar Schritte zur Seite. Richard und Sayid, der<br />
von diesem einen Wink bekommen hatte, folgten ihm. Ruhig erklärte Alpert:<br />
„Wir werden uns später ausgiebig unterhalten. Erst einmal danke ich euch für eure<br />
Hilfe. Das werden wir nicht vergessen, das verspreche ich euch.“<br />
Jim sank ächzend zu Boden und atmete tief ein und aus. Sayid hockte sich zu ihm und<br />
grinste verkniffen. Er sah sauberer aus als wir vor dem überraschenden Bad am Vortag. Jim<br />
hätte gerne Fragen gestellt, verkniff sich aber alles, was ihm auf der Zunge brannte.<br />
Ungeduldig warteten wir auf die Rückkehr Tims. Wir wurden auf eine harte Probe gestellt.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich sah zwischendurch nach Ellie, die sich ein wenig erholt hatte. Sie sah <strong>mich</strong> an und sagte<br />
schlicht: „Danke für deine Hilfe.“<br />
trennen.“<br />
Ich kniete <strong>mich</strong> neben sie und erwiderte:<br />
„Kein Problem. Kann ich ein Messer bekommen? Ich muss die Nabelschnur durch-<br />
Charly, der Ellie im Arm hielt, nickte.<br />
„Hier.“<br />
Er zog ein Taschenmesser aus der Hosentasche und reichte es mir. Ich griff danach,<br />
bat Kate, aus dem Erste Hilfe Koffer zwei Stücke Mullbinde zu holen und band damit die<br />
Nabelschnur in der Mitte ab. Nun durchtrennte ich sie vorsichtig. Ich griff nach dem Säugling<br />
und wickelte ihn sorgfältig in eines der T-Shirts ein. So legte ich ihn Ellie wieder in den Arm.<br />
Eines der Hemden breitete ich über Ellies entblößten Unterleib, was sie mit einem dankbaren<br />
Nicken zur Kenntnis nahm. Leise fragte sie:<br />
„Was ist mit Steve?“<br />
Ich seufzte.<br />
„Er ist sehr schwer verletzt, sein Knie ist vollkommen zertrümmert, ich weiß nicht, ob<br />
wir ihn durchbekommen werden.“<br />
„Oh, Gott.“<br />
Ellie stöhnte entsetzt auf.<br />
„Wir werden tun, was wir können.“, versprach ich und fragte <strong>mich</strong> ernsthaft, ob ich<br />
bei der Landung hier vielleicht einen irreparablen Hirnschaden davon getragen hatte. Wir<br />
waren von diesen Menschen brutal gefangen genommen, zu Sklavenarbeit gezwungen und<br />
Jack und Jim sogar gefoltert worden, und jetzt saßen wir hier und wollten ihnen helfen. Ich<br />
schüttelte den Kopf.<br />
„Was ist?“, fragte Ellie besorgt. „Stimmt etwas nicht?“<br />
Ein kurzes, verzweifeltes Lachen entfuhr mir.<br />
„So einiges, und das Meiste davon in meinem Kopf. Ich meine, ihr habt uns brutal<br />
überfallen als wir ohnehin schon halb verhungert und verdurstet „euren„, beschissenen Wald<br />
getaumelt sind, gefangen gehalten, gequält, wie Sklaven behandelt, uns mit dem Tode be-<br />
droht, die Männer gefoltert und wolltet es mit Vergnügen wieder tun, und jetzt sitzen wir hier<br />
bei euch und helfen euch. Das ist nicht normal. Wir sollten zusehen, wie ihr alle langsam ver-<br />
reckt. Das wäre es, was ihr verdient habt! Stattdessen kommt unser Freund sogar freiwillig<br />
aus seinem Versteck, um euch zu helfen, euch, die ihr uns noch vor einer Stunde weitere<br />
brutale Folter angedroht habt. Und wir helfen euch auch noch. Ihr seid nichts weiter als<br />
brutale, unmenschliche Bestien und wir sind so bescheuert und helfen euch ...“<br />
Dass alles sprudelte aus mir heraus und ich sah dabei zu Richard Alpert hinüber, der<br />
sich zu mir umgedreht hatte. Jim sah <strong>mich</strong> ebenfalls an. Ohne zu Zögern stand er auf und kam<br />
zu mir hinüber. Er nahm <strong>mich</strong> in den Arm und sagte:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Du hast zwar Recht, aber ... Komm schon, beruhig dich, Dr. Quinn.“<br />
In der Runde herrschte leicht verlegenes Schweigen, dass unterbrochen wurde von der<br />
Ankunft Tims, der atemlos und nass geschwitzt mit zwei einfachen Tragen unter dem Arm<br />
auf die Lichtung gehetzt kam. Auf einer der Tragen war eine Decke fest geschnallt. Damit<br />
eilte er zu Ellie hinüber, während Richard ihm die zweite Trage abnahm. Er hetzte damit zu<br />
Jack. Vorsichtig wurde der verletzte Steve auf diese Trage gehoben und fest geschnallt. Jetzt<br />
griffen Jack, Jim, der wieder näher gekommen war, Sayid und Kevin zu und machten sich auf<br />
den Weg zum Camp. Ellie rutschte vorsichtig selbst auf die zweite Trage, ich deckte sie mit<br />
der Decke zu und diese schnappten Charly, Tim und Richard sich und marschierten ebenfalls<br />
los.<br />
Kate und ich blieben bei Jack und Jim. So schnell es möglich war, trugen wir die Ver-<br />
letzten zum Lager zurück. Dort angekommen<br />
eilten die Männer mit dem Schwerverletzten sofort<br />
zum Krankenzelt hinüber. Ellie wurde in ihr<br />
eigenes Zelt geschafft und Charly blieb bei ihr,<br />
ebenso wie ich. Ich versorgte hier die Wunden, die sie an den Oberschenkeln davon getragen<br />
hatte und ließ sie in der Obhut des jungen Mannes, der einmal der Multimillionär Charles<br />
Widmore werden würde. Mein Großvater war irgendwo anders hin verschwunden. Ich hetzte<br />
im Laufschritt zum Krankenzelt hinüber. Hier ließ Jack sich gerade alles zeigen, was an Aus-<br />
rüstung vorhanden war. Sayid und Jim standen ein wenig hilflos herum, wobei Jim den Blick<br />
auf den Verletzte vermied. Jack wühlte ungeduldig in dem Medizinschrank herum und fragte<br />
Richard, der dabei stand:<br />
„Habt ihr etwas zur Narkose hier?“<br />
Alpert zuckte die Schultern.<br />
„Alles, was wir an medizinischen Sachen haben, liegt hier im Schrank.“<br />
Jack seufzte.<br />
„Okay.“<br />
Er fand einige Skalpells, eine Menge Gefäßklemmen, mehrere Wundhaken, Pinzetten,<br />
Wundspreizer, Scheren, Stieltupfer, Nadeln und medizinisches Garn, Watte, Verbände waren<br />
genug da.<br />
Kevin sagte:<br />
„Ich brauche eine kleine Säge.“, erklärte er Richard, der nickte und zu dem wartenden<br />
„Du hast es gehört, besorge eine möglichst kleine Säge.“<br />
<strong>Der</strong> Mann rannte aus dem Zelt. Jack sah sich um.<br />
„Hier drinnen ist es zu dunkel, wir werden es draußen in der Sonne machen müssen.<br />
Ich brauche einen stabilen Tisch, heißes Wasser, und ich brauche mindestens drei Helfer.<br />
Kelly bleibt dabei, Kate?“<br />
Diese schüttelte entsetzt den Kopf.<br />
- 167 -
„Niemals!“, keuchte sie.<br />
Jack nickte.<br />
„Gut, dann Richard und Jim.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Richard nickte ruhig, Jim wurde wachsbleich, nickte aber auch.<br />
„Werd ich schon schaffen.“, erklärte er.<br />
Ungeduldig fuhr Jack ihn an:<br />
„Musst du, während der OP musst du voll da sein, kapiert? Sonst sag es jetzt.“<br />
Jim knurrte ungehalten.<br />
„Wenn ich sag, ich schaff das, dann schaff ich es auch.“<br />
„Wisst ihr, welche Blutgruppe der Mann hat?“, wollte Jack wissen.<br />
Richard nickte.<br />
„Ja, es gibt Unterlagen darüber, ich hole sie.“<br />
Er eilte aus dem Zelt und wir waren erstmals alleine. Alle schauten wir zu Sayid<br />
hinüber, der frustriert die Schultern zuckte.<br />
„Was hätte ich machen sollen? Alleine hättet ihr den Balken nicht bewegt be-<br />
kommen.“, sagte er ruhig.<br />
„Das stimmt. Wie bist du davon gekommen?“, stieß Jim gespannt hervor.<br />
„Hab <strong>mich</strong> fallen lassen, als es los ging und während sie damit beschäftigt waren, euch<br />
einzusammeln, habe ich <strong>mich</strong> ins Gebüsch rollen lassen. Dann bin ich gerannt.“<br />
„Schlau, der Mann.“, grinste Jim und sah Jack an. „Was soll ich gleich machen, Doc?“<br />
„Ausnahmsweise einmal alles, was ich dir sage, ohne zu Zögern, schnell und präzise, ver-<br />
standen?“<br />
Jim nickte und schluckte eine Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, gekonnt<br />
hinunter. Sayid sah Jack an.<br />
„Kann ich auch helfen?“, fragte er ruhig.<br />
Jack nickte.<br />
„Wir haben keine Narkotika. Wir werden ihn am Tisch festbinden müssen. Ich kann<br />
keine Leute um <strong>mich</strong> herum gebrauchen, die den armen Kerl festhalten, während ich an ihm<br />
herum säge.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Okay, ich werde etwas suchen, womit wir ihn festschnallen können.“<br />
Er verließ das Zelt und sah, dass draußen inzwischen ein großer, stabiler Tisch auf-<br />
gestellt worden war. <strong>Der</strong> junge Mann Tim schrubbte diesen mit Scheuerpulver ab. Sayid<br />
fragte: „Wir müssen euren Kollegen irgendwie fest binden, kannst du mir helfen, das zu<br />
organisieren?“<br />
lager.<br />
Tim nickte und spülte die letzten Seifenreste vom Tisch.<br />
„Komm mit.“, sagte er zu Sayid und die Beiden verschwanden Richtung Material-<br />
- 168 -
frieden.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jack trat an den Zeltausgang, sah, dass der Tisch schon bereit stand und nickte zu-<br />
„Dann mal raus mit ihm.“<br />
Zusammen trugen wir den Verletzten nach draußen und legten ihn dort vorsichtig auf<br />
den Tisch. Ich begann, ihm die Hose auszuziehen und bat Jim, mir zu helfen.<br />
Er nickte.<br />
„Bist du sicher, dass du es machen willst?“, fragte ich ihn besorgt.<br />
„Ja, ich schaff das schon. Vertrau mir einfach.“<br />
Ich lächelte.<br />
„Das tue ich ohnehin. Aber es wird eine ziemlich üble Schlachterei werden, Schatz.“<br />
„Ist mir klar. Aber ich bleib bei dir, okay.“<br />
Ich sah ihn an und gab ihm einen Kuss.<br />
„Und du wolltest mir erzählen, du seiest nicht gut genug für <strong>mich</strong>. Ich liebe dich.“<br />
Wir wurden von Jack unterbrochen.<br />
„Hey, das könnt ihr später klären.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, konnten wir nicht, das war etwas für sofort.“<br />
Gerade kamen Sayid und Tim zurück und hatten Seile in der Hand. Während Jack und<br />
ich zusammen mit Kevin ins Zelt zurück eilten, um die Instrumente und den kleinen Tisch<br />
nach draußen zu schaffen, fesselten Tim, Sayid und Jim den Verletzten an den großen Tisch.<br />
Jack hatte sie instruiert, das verletzte Bein frei zu lassen und sie hielten sich daran. Wir hatten<br />
den kleinen Tisch mit den Instrumenten ebenfalls draußen und ich fragte Jack:<br />
und bat Jim:<br />
„Soll ich eine Manschette improvisieren?“<br />
Jack nickte.<br />
„Ja, wir müssen die Blutung so gering wie möglich halten.“<br />
Ich suchte in dem Verbandsmaterial nach einer möglichst breiten elastischen Binde<br />
„Kannst du das Bein bitte ein wenig hoch halten?“<br />
Vorsichtig griff er zu und hielt das verletzte Glied in die Höhe. Ich legte einen sehr<br />
strammen Verband um den Oberschenkel und hoffte, dass das reichen würde. Ruhig sagte ich:<br />
„Okay, wir können.“<br />
Gerade kam Richard zurück und sagte:<br />
„A positiv.“<br />
Jack nickte und bat alle, die nicht halfen, sich zurückzuziehen. Jim, Richard und ich<br />
standen bereit. Jack erklärte schnell, welche Instrumente er brauchen würde. Er sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Du wirst mit schneiden müssen, schaffst du das?“<br />
Ich nickte ruhig.<br />
- 169 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ist mir klar. Jack, ich habe acht Semester Medizin studiert, Chirurgie, war mein<br />
Traumgebiet. Ich habe nur abgebrochen, weil meine Stiefmutter erkrankte. Es ist mir klar,<br />
dass das hier schnell gehen muss.“<br />
Ich nahm ein Skalpell in die Hand, Richard drückte dem Verletzten ein Stück Holz<br />
zwischen die Zähne und zügig fingen wir an. Jim stand am Instrumententisch, Richard sollte<br />
austretendes Blut weg tupfen. Wir machten beidseitig des Beines einen rundum laufenden<br />
Hautschnitt, dann arbeiteten wir uns durch Muskelgeweben und Blutgefäße. Das Abklemmen<br />
übernahm ich. Jim war großartig. Er reagierte sofort und reichte uns die Instrumente schnell<br />
und präzise zu. Wann der Verletzte vor Schmerzen zu sich kam, konnte ich hinterher nicht<br />
sagen. Jim und Richard hatten beide einen zartgrünen Tatsch im Gesicht, aber sie blieben<br />
konzentriert und gewissenhaft. Schließlich hatten wir alles Gewebe durchtrennt, zum Glück<br />
waren genug Gefäßklemmen da. Und nun mussten Richard und Jim richtig ran. Jack forderte<br />
sie auf, sich Wundhaken zu nehmen und auch ich griff mir einen. Wir zogen das Fleisch und<br />
die Haut soweit zurück, dass Jack die Säge hoch oben am Knochen ansetzten konnte, um so<br />
viel Fleisch und Haut zum Verschließen des Stumpfes zu erhalten wie nur möglich. Die<br />
Ohren gegen die verzweifelten Schreie des Verletzten verschließend begann Jack die Arbeit.<br />
Jim zitterte bedenklich und Jack schnauzte ihn nervös an:<br />
„Kipp hier ja nicht um, Sawyer!“<br />
Ich sah Jack an und erklärte ruhig:<br />
„Kümmere du dich um den Knochen, Jim wird schon nicht umkippen.“<br />
Verbissen sägte Jack weiter und schließlich hatte er es geschafft. Ich nahm ihm das<br />
Bein ab und trug es ein Stück zur Seite, deckte es mit einer Plane ab. Hastig eilte ich an den<br />
Tisch zurück. Mit einer Raspel glättete Jack den Knochenabsatz, bis wirklich keine scharfe<br />
Kante mehr vorhanden war. Anschließend begann er mit meiner Hilfe, Haut, verschlossene<br />
Blutgefäße und Muskeln über den Knochenstumpf zu ziehen und zu vernähen. Als alles fertig<br />
war, legten wir einen festen Druckverband an und schoben einen Drainageschlauch unter den<br />
Verband. Endlich nickte Jack zufrieden.<br />
„Wenn es nicht zu einer starken Sepsis kommt, hat er gute Chancen, zu <strong>Über</strong>leben.“<br />
Ich atmete auf und wollte anfangen, aufzuräumen, als ich sah, dass Jim bedenklich die<br />
Beine zitterten. Ich sah ihn an und fragte:<br />
„Ist alles in Ordnung?“<br />
Er schüttelte den Kopf, sagte aber gleichzeitig:<br />
„Ja.“<br />
Ich fragte Jack:<br />
„Kommt ihr alleine klar?“<br />
Jack nickte und so ging ich zu Jim und nahm ihn in den Arm. Wir zogen uns ein paar<br />
Schritte zurück und ließen uns im Schatten des kleinen Geräteschuppens auf den Boden<br />
sinken. Leise sagte Jim:<br />
- 170 -
„Mir ist schlecht.“<br />
Ich lachte.<br />
ausgehalten.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Das kann ich verstehen. Du warst eben großartig. Das hätte noch lange nicht jeder<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und meinte verkniffen:<br />
„Ich glaub, ich hab <strong>mich</strong> noch nie so nach nem doppelten Scotch gesehnt.“<br />
Ich sah zu unserem improvisierten OP Tisch hinüber, wo der wieder besinnungslose<br />
Steve gerade ins Zelt zurück geschafft wurde. Kate half beim Aufräumen und gerade kam<br />
Richard zu uns herüber. Er hockte sich vor uns hin und sagte ruhig:<br />
„Ihr habt Steve das Leben gerettet. Dafür danke ich euch. Leider müssen wir euch<br />
wieder einsperren, bis alles geklärt ist. Aber keine Sorge, ihr bleibt zusammen. Jack und Kate<br />
kommen in die eine Zelle, ihr Beide in die andere. Ich habe Betten hinein schaffen lassen und<br />
wenn morgen unsere Leute alle wieder da sind, werde ich eine Versammlung einberufen und<br />
klären, dass ihr nicht länger als Gefangene gehalten werdet.“<br />
Ich fragte:<br />
ihm zu folgen.<br />
„Was ist mit Sayid?“<br />
„Er wird unter Bewachung in einem Zelt untergebracht.“, erklärte Richard und bat uns<br />
Wir erhoben uns und ließen uns von ihm in eine der kleinen Zellen führen. Dort<br />
fanden wir eine Waschschüssel, etwas zu Essen und ein Bett vor und waren plötzlich gar nicht<br />
mehr böse, wieder eingesperrt zu sein. Eine Nacht allein, ohne störende Faktoren. Nur wir<br />
Beide. Wir konnten es kaum glauben! Richard lächelte und schien unsere Gedanken zu lesen.<br />
„Habt eine ruhige Nacht.“, sagte er, zog die Zellentür hinter sich zu und kaum waren seine<br />
Schritte verklungen, hatte Jim auch schon vergessen, dass ihm ja eigentlich schlecht gewesen<br />
war.<br />
Er riss <strong>mich</strong> stürmisch an sich und wir küssten uns, bis uns der Atem weg blieb.<br />
16) Die Wahrheit<br />
Langsam bewegte Jim sich rückwärts auf das Bett zu, ohne <strong>mich</strong> dabei loszulassen.<br />
Unsere Lippen schienen aneinander festgeklebt zu sein. Es würde die erste Nacht werden, seit<br />
wie zusammen waren, in der wir wirklich alleine sein würden. Und nach all dem Horror, den<br />
wir, seit Jim mir schwer verletzt in die Arme gestolpert war, erlebt hatten, würden wir uns<br />
diese Nacht von niemandem nehmen lassen. Als Jims Beine gegen das Bett stießen schob er<br />
seine Hände an mein T-Shirt und streifte es mir vorsichtig über den Kopf. Da meine Hände<br />
gerade genau das Gleiche machten, standen wir Sekunden später mit freien Oberkörpern eng<br />
aneinander geschmiegt da. Liebkosend glitten unsere Hände über den Körper des Anderen<br />
- 171 -
By<br />
Frauke Feind<br />
und ich konnte nicht verhindern, die frischen Striemen auf Jims Rücken zu spüren. Eine<br />
Gänsehaut bildete sich bei mir, die nicht angenehmer Natur war. Aber schnell wurde der Ge-<br />
danke daran, was man Jim angetan hatte, fortgespült von dem wunderbaren Gefühl, seine<br />
Hände zu spüren. Er ließ sie gerade tiefer gleiten, an den Bund meiner Jeans, und öffnete<br />
diese geschickt. Ungeduldig half ich nach, das störende Teil über meine Hüften gleiten zu<br />
lassen und Jim nutzte die gute Gelegenheit, den Slip gleich mit verschwinden zu lassen. Mir<br />
erschien das eine gute Idee zu sein und ich fummelte an Jims Hose herum, bis ich die Knöpfe<br />
geöffnet hatte. Ungeduldig schob ich ihm die Jeans herunter und wurde auf diese Weise auch<br />
den Boxershort los. Meine Hände streichelten zart über Jims Po und ich spürte seine Er-<br />
regung. Langsam ließ er sich auf das Bett sinken und nahm <strong>mich</strong> dabei mit. Blind tastete er<br />
nach der Decke, die auf dem Bett lag und zog diese zur Seite. Uns immer noch küssend<br />
sanken wir vorsichtig in die Waagerechte.<br />
Als wir auf dem schmalen Bett lagen, ließ Jim seine Hände sanft über meinen<br />
bebenden Körper gleiten und liebkoste diesen zärtlich. Er sah <strong>mich</strong> in dem dürftigen Licht in<br />
der Zelle an und sagte leise:<br />
„Du warst großartig vorhin, weißt du das? Wenn wir jemals in ein normales Leben<br />
zurückkehren sollten, solltest du dir überlegen, das Medizinstudium fortzusetzen.“<br />
Für einen Moment vergaß ich vollkommen, wo wir waren und was wir gerade taten<br />
und starrte Jim verblüfft ins Gesicht.<br />
„Ist das dein Ernst?“<br />
Er nickte und meinte:<br />
„Du bist wirklich gut und es wäre Verschwendung, wenn du weiter als Assistentin<br />
eines Landeis arbeiten würdest.“<br />
Die Vorstellung, dass er gerade meinen dynamischen, durchaus gut aussehenden und<br />
hochintelligenten Chef als Landei bezeichnet hatte, ließ <strong>mich</strong> kichern. Dann aber sagte ich<br />
ruhig:<br />
„Jim, Medizin kann ich nur in der ... realen Welt weiter studieren. Wenn wir die<br />
Möglichkeit bekommen, dorthin zurückzukehren, besteht die Möglichkeit, dass ...“ Ich musste<br />
tief durchatmen, um auszusprechen, was mir durch den Kopf schoss. „Es besteht die<br />
Möglichkeit, dass dein Tumor zurückkommt.“<br />
Er lächelte und erklärte ruhig:<br />
„Klar, möglich wär es, ich weiß nicht, wie weit die seltsamen Heilkräfte der Insel<br />
reichen, aber ich wär bereit, dafür das Risiko auf <strong>mich</strong> zu nehmen.“<br />
Ich sah ihm in die Augen und erklärte fest:<br />
„Ich aber nicht. Ich würde gerne Chirurgin werden und ich würde auch gerne nach-<br />
hause zurückkehren, aber nicht um diesen Preis. Ich habe beschlossen, hier zu bleiben, mit<br />
dir. Du warst hier drei Jahre lang mit Juliet sehr glücklich, wir werden für den Rest unseres<br />
Lebens hier glücklich sein, egal, wie immer es auch kommen mag.“<br />
- 172 -
Jim schüttelte langsam den Kopf.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein, das würde ich nie von dir verlangen. Du kannst nicht ernsthaft ein Leben auf<br />
dieser Insel in Erwägung ziehen.“<br />
Ich lachte leise.<br />
„Weißt du, mit dir würde ich sogar ein Leben in der Hölle in Erwägung ziehen. Im<br />
Moment ist mir allerdings mehr nach Himmel ...“<br />
Ich hatte meine Linke auf Reisen geschickt und erreichte gerade Jims Unterleib. Er<br />
zuckte leise aufstöhnend zusammen und schloss erregt die Augen.<br />
„Oh, mir auch ...“, stieß er atemlos hervor.<br />
Meine Hand liebkoste sanft weiter den derzeitigen Mittelpunkt von Jims Denken und<br />
Dasein und er wand sich keuchend auf der Matratze. Ich setzte <strong>mich</strong> auf und kniete rittlings<br />
über seinen Oberschenkeln. Meine Hände glitten streichelnd über seine Brust und seinen<br />
festen, flachen Bauch. Ich beugte <strong>mich</strong> vor und ließ meine Lippen meinen Händen folgen.<br />
Schwer atmend lag Jim still vor mir, zuckte nur hier und da vor Erregung heftig zusammen.<br />
Tiefer glitten meine Lippen und Jim hielt unwillkürlich die Luft an, als ich das Ziel seiner<br />
Wünsche erreichte. Er drückte aufstöhnend seinen Kopf in den Nacken und im Gegenzug<br />
seinen Unterleib in die Höhe. Langsam und sinnlich spielten meine Lippen mit ihm. Mein<br />
eigener Unterleib pulsierte mittlerweile vor Erwartung und schließlich hob ich meinen Körper<br />
ein wenig an, um <strong>mich</strong> vorsichtig auf Jim gleiten zu lassen. Seine Hände zuckten auf der<br />
Matratze und krallten sich schließlich um meine Oberschenkel. Ich saß einen Moment ganz<br />
still, genoss einfach das herrliche Gefühl, Jim tief in mir zu spüren. Das entsprach jedoch in<br />
keiner Weise mehr seinen Vorstellungen und er bewegte sich mir entgegen.<br />
Damit löschte er meine eigene Beherrschung augenblicklich komplett aus. Ich seufzte<br />
leise und ging auf seine Bewegungen ein. Wir wurden schneller und meine Hände tasteten<br />
nach seinen. Unsere Finger krallten sich ineinander und kurz vor dem Höhepunkt drückte ich<br />
seine Hände links und rechts seines Kopfes fest auf das Kissen. Nass geschwitzt und atemlos<br />
sank ich auf Jim herab und wir brauchten einige Minuten, bis wir beide wieder ruhiger<br />
atmeten. Dann rollten wir uns langsam auf die Seite und Jim flüsterte:<br />
„Ich liebe dich ...“<br />
Glücklich schmiegte ich <strong>mich</strong> an ihn und erklärte leise:<br />
„Ich liebe dich auch. Es ist unglaublich, da muss erst so etwas Unfassbares passieren,<br />
um <strong>mich</strong> den Mann finden zu lassen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will.“<br />
Jim gab mir einen zärtlichen Kuss und sagte:<br />
„Ich kapier sowieso nicht, wie ... Es gab nicht viele Frauen, die über <strong>mich</strong> Bescheid<br />
wussten, und die, die es taten, haben mir natürlich nicht gerade vertraut. Du tust es, ohne Ein-<br />
schränkungen. Warum?“<br />
Ich zuckte die Schultern.<br />
- 173 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich habe dir schon vertraut, als du besinnungslos in der Hütte auf dem Bett lagst. Ich<br />
kann es dir nicht erklären, es war einfach mein Bauchgefühl. Dass ich dich trotzdem erst ein-<br />
mal an das Bett gefesselt habe, hatte nichts mit mangelndem Vertrauen als vielmehr mit an-<br />
geborenem Selbsterhaltungstrieb zu tun. Ich musste es tun, verstehst du? Als du zu dir kamst<br />
und merktest, dass du gefesselt warst, da habe ich die Angst in deinen Augen gesehen und<br />
wollte dich sofort befreien. Nur meine Vernunft und mein Selbsterhaltungstrieb haben das<br />
verhindert. Mein Großvater hat mir beigebracht, immer auf mein Gefühl zu vertrauen, aber<br />
trotzdem rational zu Handeln, meinen Verstand zu benutzen, das habe ich in dem Moment<br />
getan. Es tut mir heute noch leid, dass ich dir das angetan habe, aber es war notwendig. Du<br />
warst so schwach und so voller Angst, es hat mir fast das Herz zerrissen.“<br />
Jim hatte mir ruhig zugehört und küsste <strong>mich</strong> erneut zärtlich.<br />
„Das brauchst du mir nicht zu erklären, Kelly. Du hattest jedes Recht dazu, dich zu<br />
überzeugen, dass ich kein irrer Psychopath bin, der bei der ersten, sich bietenden Gelegenheit<br />
über dich herfallen würde.“ Er grinste plötzlich. „Obwohl ich ja genau genommen gerade das<br />
getan hab.“<br />
dir sagen.“<br />
Ich lachte leise.<br />
„Oh, ja. Und ich habe jede einzelne Sekunde davon mehr als genossen, das kann ich<br />
Er grinste anzüglich und sagte mit ganz dunkler Stimme:<br />
„Jederzeit wieder.“<br />
Es war nicht zu glauben, wir lagen gefangen in einem Felsloch und waren doch im<br />
Augenblick die glücklichsten Menschen im ganzen Universum. Jim rollte sich ein wenig<br />
herum, sodass er sich über <strong>mich</strong> beugen konnte. Er küsste <strong>mich</strong> leidenschaftlich und löste<br />
damit wieder Hitzewellen aus, die durch meinen Körper schossen wie Feuerwerk. Das schien<br />
er zu spüren, denn seine Rechte verirrte sich auf meine linke Brust und massierte diese sanft<br />
und doch fordernd. Langsam rutschte sie tiefer und ich hielt erwartungsvoll die Luft an. Seine<br />
Finger spielten mit mir und ich wusste nicht, ob ich die Beine weiter spreizen sollte, um ihm<br />
den Zugang zu erleichtern, oder lieber zusammenkneifen, um seine Hand genau dort festzu-<br />
halten. Er nahm mir die Entscheidung ab, als er sich vorsichtig auf <strong>mich</strong> rollte und langsam in<br />
<strong>mich</strong> eindrang. Diesmal ließen wir uns mehr Zeit und zögerten den Orgasmus solange es nur<br />
ging hinaus.<br />
Als wir später rundherum glücklich und entspannt Arm in Arm unter der Decke lagen,<br />
fragte Jim leise:<br />
„Was glaubst du wird morgen passieren?“<br />
Ich zuckte ratlos die Schultern.<br />
„Ich habe keine Ahnung. Wir werden es auf uns zukommen lassen müssen. Ich neige<br />
dazu, auf eine bestehende Situation schnell zu reagieren, weißt du. Man kann sich vorher so<br />
- 174 -
By<br />
Frauke Feind<br />
viel den Kopf zerbrechen wie man will, meiner Erfahrung nach kommt es doch immer anders,<br />
als man es sich gedacht hat. Darum grübel ich nicht schon vorher lange darüber nach, was ich<br />
machen könnte, sondern tue gezielt etwas, wenn es wirklich nötig wird.“<br />
Jim nickte langsam.<br />
„Auch ne Einstellung.“, sagte er leise.<br />
„So bin ich bisher immer gut gefahren.“, erklärte ich schmunzelnd.<br />
Dann gähnte ich herzhaft. Es musste schon spät sein und ich war ziemlich müde.<br />
Meinen Kopf legte ich auf Jims Brust und meine Linke liebkoste sanft seine Haut. Müde<br />
murmelte ich:<br />
„Wir sollten versuchen zu schlafen. Ich weiß ja nicht, wie anstrengend die<br />
kommenden Tage werden.“<br />
Er nickte.<br />
„Hast Recht, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Schlaf gut, okay.“<br />
„Du auch ...“, nuschelte ich und schloss die Augen.<br />
Ich spürte Jims ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag und so schlief ich ein.<br />
<strong>Der</strong> Morgen kam erheblich schneller als wir vermutet hatten. Es war wohl am Abend<br />
zuvor doch sehr viel später geworden als gedacht. Als es an der Zellentür klapperte, fuhren<br />
Jim und ich erschrocken in die Höhe. Charly stand dort und sah uns grinsend an.<br />
„Richard will euch sehen, vielleicht solltet ihr euch aber vorher etwas anziehen.“<br />
Erst jetzt bemerkten wir, dass die Decke nicht mehr über uns lag. Anscheinend hatten<br />
wir sie irgendwann von uns gestrampelt, weil es sehr warm und stickig in der kleinen Höhle<br />
war. Verlegen angelte ich nach ihr und zog sie über uns.<br />
„Macht euch schnell fertig, ich bin in zehn Minuten wieder hier.“<br />
Charly nickte uns noch einmal zu, dann verschwand er und wir gaben uns erst einmal<br />
einen sehr ausgiebigen Kuss.<br />
grinsend.<br />
„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, fragte Jim liebevoll.<br />
„Und wie. Du hast absolut Recht, alles eine Frage des Kissens ...“, erklärte ich<br />
„Na, sag ich doch die ganze Zeit.“, schmunzelte Jim frech.<br />
Seufzend erhoben wir uns und versuchten, uns mit dem Wasser in der Waschschüssel<br />
ein wenig frisch zu machen. Wir kleideten uns an und kurz bevor Charly zurück kam, um uns<br />
abzuholen, zog Jim <strong>mich</strong> noch einmal an sich und küsste <strong>mich</strong> leidenschaftlich. Er sagte ernst:<br />
„Was immer auch passieren mag, vergiss nie, dass ich dich liebe.“<br />
Ich nickte.<br />
„So, wie ich dich, Schatz.“<br />
- 175 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Nervös warteten wir, dass Charly zurückkam. Angespannt ließen wir uns von ihm aus<br />
der Zelle nach draußen in die Morgensonne führen. Während wir erneut zu dem großen Baum<br />
hinüber gingen, fragte ich:<br />
„Wie geht es Ellie und dem Baby und Steve?“<br />
Charly sah <strong>mich</strong> an und erklärte:<br />
„Ellie geht es gut, der Kleine ist auch wohlauf, er wird scheinbar ein strammes Kerl-<br />
chen, so, wie er reinhaut. Steve ist gestern Abend noch zu sich gekommen. Es geht ihm den<br />
Umständen entsprechend. Er muss erst einmal damit fertig werden, dass er ein Bein verloren<br />
hat.“<br />
Ich nickte.<br />
„Das ist klar. Aber heutzutage gibt es ja schon so gute Prothesen, dass man es ...“<br />
Ich schluckte. Wenn wir richtig lagen mit unserer Vermutung über die Zeit, in der wir<br />
uns befanden, gab es diese guten Prothesen selbstverständlich noch nicht. Charly sah <strong>mich</strong><br />
sehr seltsam an und nickte.<br />
„Ja, ich verstehe.“<br />
Schweigend gingen wir weiter und Jim legte unwillkürlich einen Arm schützend um<br />
<strong>mich</strong>. Schließlich erreichten wir die große Akazie, wo Richard schon auf uns wartete. Neben<br />
ihm saßen Tim und Ellie. Jack, Kate und Sayid waren bereits dort und sahen uns entgegen.<br />
„Morgen.“<br />
Sayid grinste uns an und ich spürte, dass ich rot wurde.<br />
„Morgen.“, erwiderte Jim ebenfalls grinsend.<br />
Wir setzten uns auf die verbleibenden zwei Stühle und Charly nickte Richard noch<br />
einmal zu. Ruhig verschwand er nun irgendwo in die kleine Zeltsiedlung hinein. Suchend sah<br />
ich <strong>mich</strong> kurz um, aber weiter war kein Mensch im Lager zu sehen. Richard deutete meinen<br />
Blick richtig.<br />
„Wir werden ganz ungestört sein.“, erklärte er.<br />
Er deutete auf einen großen Teller Sandwichs und zwei Kannen Kaffee, die nebst<br />
Tassen auf dem Tisch standen und sagte:<br />
„Bedient euch.“<br />
Ich schenkte uns allen Kaffee ein und wir nahmen uns ein Sandwich vom Haufen.<br />
Richard beobachtete uns und als wir fertig waren mit dem Essen sagte er:<br />
fortsetzen.“<br />
„So, und jetzt werden wir unsere so unschön unterbrochene Unterhaltung von gestern<br />
Er musterte uns alle ruhig und sagte:<br />
„Ich möchte, dass ihr vollkommen vergesst, dass ihr davon ausgeht, dass, was immer<br />
ihr sagen werdet, von uns ohnehin nicht geglaubt wird. Im Gegenteil möchte ich, dass ihr so<br />
tut, als würdet ihr euch mit Freunden unterhalten, die jedes Wort glauben werden, dass ihr zu<br />
- 176 -
By<br />
Frauke Feind<br />
sagen habt. Bevor ihr aber anfangt, möchte ich wissen, woher du wusstest, dass Charly der<br />
Vater von Ellies Baby ist und woher du Tims Nachnamen kennst.“<br />
Genau damit hatte ich gerechnet. Ich schloss kurz die Augen und schüttelte resigniert<br />
den Kopf. Ich sah die Freunde an und diese nickten.<br />
lächelte milde.<br />
„Okay. Tust du uns vorher einen kleine Gefallen?“, fragte ich Richard und dieser<br />
„Ihr seid gestern anstandslos zu Hilfe gekommen, als wir euch brauchten, daher ist es<br />
nur Recht, wenn du um einen Gefallen bittest, solange er nichts damit zu tun hat, euch gehen<br />
zu lassen.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, absolut nicht. Wir möchten nur wissen, welches Datum wir heute haben.“<br />
Richard sah erstaunt aus, antwortete aber:<br />
„Heute ist der sechsundzwanzigste Mai.“<br />
„Nein, welches ... Jahr?“<br />
Jetzt sahen <strong>mich</strong> alle erstaunt an und Jim entfuhr ein leises Schnaufen. Angespannt<br />
und gleichermaßen verwirrt aber erklärte Richard:<br />
hervor:<br />
„1971.“<br />
Wir mussten alle erst einmal tief durchatmen. Jim lachte leicht hysterisch und stieß<br />
„Ich bin noch ein Baby ...“<br />
Das war allerdings ein sehr eigenartiges Gefühl. Und niederschmetternd, denn bis zu<br />
den Ereignissen, die uns hierher geführt hatten, waren es noch sechs Jahre hin. Was, um alles<br />
in der Welt, sollten wir machen? Eigenartigerweise blieben Richard, Ellie und Tim bei Jims<br />
Worten ganz ruhig. Sie sahen uns nur deutlich interessiert an und warteten auf unseren Be-<br />
richt. Richard wandte sich mir zu und sagte freundlich:<br />
„Vielleicht übernimmst du es, zu berichten?“<br />
Ergeben nickte ich.<br />
„Wir sind leider kaum in der Lage, etwas von dem, was wir erzählen werden, be-<br />
weisen zu können.“<br />
Richard nickte verstehend.<br />
„Das haben wir uns bereits gedacht. Versuche es doch einfach einmal.“<br />
Ich überlegte krampfhaft, womit ich anfangen sollte. Irgendeinen Beweis gleich zu<br />
Beginn würde sicher hilfreich sein. So sagte ich, <strong>mich</strong> Tim zuwendend:<br />
„Dein richtiger Name ist Lars Hanso, deine Eltern sind Alvar und Lena Hanso, die<br />
1945 mit dir und deiner Schwester Rachel von Kopenhagen in die USA auswanderten. Dein<br />
Vater ist Gründer und Leiter der Hanso Foundation. Du bist seit 1955 hier auf der Insel.<br />
Richard, du lebst schon sehr, sehr lange, und wirst auch noch sehr, sehr lange leben, ohne dich<br />
- 177 -
By<br />
Frauke Feind<br />
im Geringsten zu verändern. Ihr erhaltet eure Befehle von einem Mann Namens Jacob, den<br />
vermutlich kaum einer von euch je wirklich gesehen hat.“<br />
Richard sah <strong>mich</strong> ernst an und fragte:<br />
„Woher weißt du dass alles?“<br />
„Dazu komme ich noch, hört mir bitte einfach zu. Du warst es, der sagte, wir sollen so<br />
tun, als unterhalten wir uns mit Freunden, die uns jedes Wort glauben.“, bat ich und fuhr fort<br />
„Diese Insel birgt eine Energiequelle noch ungeahnten Ausmaßes. Anfang 1970 wird die Insel<br />
von einer Initiative, die sich DHARMA nennt, Department of Heuristics And Research on<br />
Material Applications, die dein Vater finanziert, Tim, gefunden und für Forschungszwecke<br />
genutzt. Ihr werdet aus Gründen, die wir noch nicht kennen, mit den Mitgliedern der<br />
DHARMA Initiative in einen heftigen Kampf verwickelt werden. <strong>Der</strong> Initiative wird es ge-<br />
lingen, die elektromagnetische Energie der Insel, oder besser die Energiequelle, die in den<br />
Bergen ein Stück weiter westlich liegt, zu nutzen. Sie entdecken den Ursprung der Energie<br />
und finden dort einen Mechanismus, der es erlaubt, Reisen durch die Zeit zu unternehmen.<br />
Leider kommt es irgendwann zu einem dramatischen Zwischenfall, der die immense Energie<br />
frei setzen wird. Daraufhin wird ein Mechanismus gebaut, der alle hundertacht Minuten er-<br />
neut aktiviert werden muss, um eine erneute Freisetzung der Energie zu verhindern. Durch<br />
einen Unfall wird im September 2004 diese Aktivierung zu spät vorgenommen und die<br />
Energie wird vorübergehend frei gesetzt werden. Dabei kommt es zu einem Flugzeugabsturz<br />
über der Insel, den nur achtundvierzig Menschen überleben. Viele von ihnen sterben in den<br />
kommenden Monaten, unter Anderen durch euch. Jack, Kate, Jim und Sayid hier sind <strong>Über</strong>-<br />
lebende dieser Katastrophe. Ihnen gelingt es, die Insel irgendwann zu verlassen. Soweit der<br />
einfache Teil.“<br />
Richard und seine Leute sahen uns an. Ihre Blicke konnte ich absolut nicht deuten. Sie<br />
waren jedenfalls nicht überrascht. Ich trank einen Schluck Kaffee und erzählte weiter.<br />
„Wie gesagt, dass war der unkomplizierte Teil unserer Geschichte. Jetzt kommt der<br />
Komplizierte. Genau genommen gelang es nur Kate, Jack und Sayid, die Insel zu verlassen.<br />
Jim blieb zurück, mit den wenigen noch lebenden Flugzeuginsassen, drei Wissenschaftlern,<br />
die, soweit bekannt ist, im Auftrag von Charles Widmore, ich komme später darauf zurück,<br />
okay, nach der Insel suchten, sowie mit einem späteren Mitglied eurer Gemeinschaft.<br />
Irgendwann in den Siebzigern erreichte ein Mann, Roger Linus, mit seinem Sohn Benjamin,<br />
der zu diesen Zeitpunkt vielleicht zwölf, dreizehn Jahre alt ist, die Insel als einfacher Arbeiter<br />
für die DHARMA Initiative. Dieser Benjamin Linus wir kurze Zeit später schwer verletzt zu<br />
dir, Richard, gebracht. Er bleibt in eurer Obhut, obwohl er zu seinem Vater in die DHARMA<br />
Initiative zurückkehrt, und wird zu einem späteren Zeitpunkt euer Anführer, der seine Befehle<br />
scheinbar auch von Jacob erhält. Nachdem Jack, Kate und Sayid die Insel verlassen haben,<br />
muss auch Ben gehen, da er einen schweren Fehler gemacht hat. Er wird verbannt und setzt<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
beim Verlassen der Insel mittels der Energiequelle einen verheerenden Mechanismus ver-<br />
sehentlich in Gange: Die Insel springt plötzlich wahllos in einem nicht erkennbaren Rhythmus<br />
durch die Zeit und mit ihr die letzten <strong>Über</strong>lebenden, Jim, Juliet, die Wissenschaftler. Bei<br />
diesen Zeitsprüngen kommt es immer wieder zu kurzen Konfrontationen mit euch.<br />
Schließlich gelingt es, dies zu stoppen und Jim, die Wissenschaftler, sowie die Ärztin, Juliet,<br />
die einmal bei euch gearbeitet hat, bleiben in 1974 hängen. Um zu <strong>Über</strong>leben schließen sie<br />
sich der DHARMA Initiative an und werden dort als vollwertige Mitglieder akzeptiert.“<br />
Ich ließ bewusst Locke und auch Jin und Hurley weg, das würde nur noch ver-<br />
wirrender werden. Nachdem ich einen weiteren Schluck Kaffee getrunken hatte, redete ich<br />
weiter. „Einer der Wissenschaftler, ein Physiker Namens Daniel Faraday, hat schließlich 1977<br />
die Idee, die Energiequelle mittels der Wasserstoffbombe, die von den US Militärs hier<br />
zurück gelassen wurde, zu vernichten, in der Hoffnung, damit alle Geschehnisse seit dem Ab-<br />
sturz zu verhindern. Er ist es, der 1962 zu euch gelangt und euch rät, die H-Bombe tief zu<br />
vergraben. Er sucht dich 1977 erneut auf, Richard, und will dich zwingen, ihn zu der Bombe<br />
zu bringen. Dabei wird er von dir, Ellie, getötete. Und damit kommen wir zum Grund unseres<br />
Besuches. In 2007 erhalten wir den Auftrag, zu verhindern, dass das geschieht. Du selber,<br />
Ellie, hilfst uns, hierher zurück zu kehren. Du kannst mit einem ausgeklügelten Computer-<br />
system und irgendwelchen Gleichungen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit errechnen, wann<br />
die Insel wo sein wird. Leider will jemand verhindern, dass wir zurückkehren. Wir vermuten,<br />
dass es Benjamin Linus ist. Und hier komme ich ins Spiel. Jim wird von Männern, die ihn<br />
verfolgen, gefangen genommen und schwer gefoltert, um von ihm Informationen zu be-<br />
kommen. Es gelingt ihm, zu fliehen und dabei trifft er auf <strong>mich</strong>. Ich nehme ihn mit zu mir und<br />
flicke ihn zusammen. Dabei stellt sich heraus, dass mein Großvater und meine Eltern hier auf<br />
der Insel waren und ich hier geboren wurde. Meine Eltern und mein Großvater verlassen die<br />
Insel, als ich noch klein bin. Mein Großvater, der inzwischen leider erstorben ist, hinterlässt<br />
mir einen Brief, in dem er <strong>mich</strong> bittet, einigen Leuten zu helfen, die ihn unter dem Namen<br />
Timothy Walsh eines Tages suchen mögen.“<br />
Jetzt starrte Tim <strong>mich</strong> an und stieß vollkommen fassungslos hervor:<br />
„Großvater? Ich bin ... dein Großvater?“<br />
Ich nickte langsam. Dann sagte ich:<br />
„Es kommt aber noch dicker. <strong>Der</strong> Wissenschaftler, den du tötest, Ellie, er ist ... er ist<br />
dein eigener Sohn, den du gestern geboren hast.“<br />
Ellie sah <strong>mich</strong> fassungslos an.<br />
„Warum sollte ich meinen eigenen Sohn töten?“, fragte sie und sah <strong>mich</strong> an, als ge-<br />
höre ich in die Irrenanstalt. Ich wollte gerade antworten, als Tim dazwischen fuhr.<br />
„Weil du es nicht wusstest! Das ist doch klar.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Erst einmal herrschte Schweigen. Jim griff nach meiner Hand und hielt diese fest in<br />
seiner. Richard überlegte. Langsam sagte er:<br />
„Damit, dass ihr das hier erzählt habt, ist eure Aufgabe theoretisch erledigt, oder?“<br />
Ich zuckte zusammen. An diese Möglichkeit hatte ich noch nicht gedacht.<br />
„Theoretisch, ja. Wie haben nur damals festgestellt, dass immer nur wir erinnerten,<br />
dass wir während der Zeitsprünge mit euch zusammen gestoßen sind, ihr selbst konntet euch<br />
nicht daran erinnern. Oder sagen wir mal so, ihr konntet euch nicht an alles erinnern. Daher ist<br />
es gut möglich, dass es auch in diesem Fall so ist.“, warf Jim ein.<br />
Richard nickte.<br />
„Gehen wir mal davon aus, dass alles stimmt, was Kelly gerade erzählt hat, und weiter<br />
davon, dass wir es vergessen werden ... Ihr seid hier, und wie ich das verstanden habe, gibt es<br />
keine Möglichkeit für euch, hier wieder weg zu kommen, da die Energiequelle erst irgend-<br />
wann in der Zukunft von der DHARMA Initiative frei gelegt wird. Richtig?“<br />
Resigniert nickten wir. Richard überlegte weiter.<br />
„Nun gehen wir mal weiter davon aus, dass Ellie ihren Sohn nicht erschießen wird.<br />
Das würde heißen, es könnte ihm gelingen, die Bombe in die Luft zu jagen. Was würde mit<br />
der Insel geschehen?“<br />
Jim hatte Richard genau zugehört und starrte blicklos vor sich hin. Sayid, Kate und<br />
Jack ging es nicht anders. Ich sah erschrocken zu Jim hinüber und wollte ihn ansprechen, aber<br />
Richard schüttelte den Kopf und machte mir ein Zeichen, zu Schweigen. Minuten vergingen,<br />
dann stieß Jim plötzlich heftig hervor:<br />
„Die darf niemals hochgehen!“<br />
Jack und Kate erwachten wie aus einem Traum. Sayid stieß leise hervor:<br />
„Ich ... lag im Sterben ...“<br />
Er fasste sich an den Bauch, als wäre dort eine Wunde, die er zuhalten musste. Und<br />
jetzt sagte Jack leise:<br />
„Das ist ... nicht das erste Mal, dass wir hier sitzen. Mein Gott! Ich weiß es wieder.<br />
Daniel wollte die Bombe zünden, er kam aber ja nicht mehr dazu. Also haben wir es getan.<br />
Kate wollte nicht, sie ... du bist abgehauen. Jim, Juliet und du, ihr wolltet es verhindern, aber<br />
ich habe euch überredet. Großer Gott ...“<br />
„Es kam bei der Baustelle zum Kampf mit der DHARMA Initiative, aber es gelang<br />
uns, die verdammte Bombe in den Schacht zu werfen.“, fuhr Jim tonlos fort. „Dann ...<br />
passierte irgendwas ... Plötzlich wurden alle metallischen Gegenstände von dem verfluchten<br />
Loch angezogen.“ Er starrte immer noch vor sich hin. „Juliet ...<br />
sie verhedderte sich in ne Stahlkette und ... oh, man, sie wurde in<br />
den Schacht gerissen. Ich konnte sie nicht mehr halten ...“ Er<br />
konnte kaum weiter sprechen, ein Kloß saß ihm in der Kehle.<br />
„Sie stürzte und dann ... Da war dieser grelle Blitz und ... als nächstes ...“<br />
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Frauke Feind<br />
„Sitzen wir wieder in der Oceanic 815 ...“, beendete Jack den Satz.<br />
Fassungsloses Schweigen herrschte am Tisch, nur Jims schweres Atmen war zu hören.<br />
Endlich sagte Sayid bis ins Mark getroffen:<br />
„Wir stecken in einer Zeitschleife fest.<br />
Ich aber saß da und war mir absolut sicher, bisher nicht Bestandteil dieser Zeitschleife<br />
gewesen zu sein. Und ich wusste nicht, wie ich auf Jims Reaktion selbst reagieren sollte. Ich<br />
sah zu ihm herüber und spürte einen Stich im Herzen, der mir sehr wehtat. Es war nicht<br />
gerade ein erhebendes Gefühl, nach einer solchen Eröffnung hier zu sitzen und zu sehen, wie<br />
der Mann, den man mehr liebte als alles andere auf der Welt, für den man bereit gewesen<br />
wäre, zu sterben, hilflos um eine andere Frau weinte. Richard, Ellie und Tim waren ebenfalls<br />
ratlos, und schienen das Gehörte erst einmal verarbeiten zu müssen. Irgendwann, es kam mir<br />
wie Stunden später vor, fragte Richard ruhig:<br />
„Wie mag es kommen, dass ihr euch vorher nicht daran erinnert habt, dass dies alles<br />
schon passiert ist? Habt ihr denn eine Idee, wie oft es schon geschehen ist? Und wie passt<br />
Kelly da hinein?“<br />
Jack sah auf und zuckte die Schultern.<br />
„Ich habe keine Ahnung, wirklich nicht. Wie oft? Ich weiß es nicht, ehrlich. Mög-<br />
licherweise schon ... Und Kelly? Ich kann <strong>mich</strong> nicht erinnern, dass du dabei gewesen<br />
wärest.“ Sayid und Kate schüttelten entschieden den Kopf.<br />
„Nein, ich auch nicht.“, erklärte Sayid überzeugt.<br />
Jim reagierte noch immer nicht, er weinte nicht mehr, saß aber wie paralysiert auf<br />
seinem Stuhl und blickte ins Leere. Plötzlich stemmte er sich hoch und stapfte ohne ein Wort<br />
oder einen Blick davon, Richtung Dschungel. Richard machte keine Anstalten, ihn zurückzu-<br />
holen oder auch nur zurückzuhalten.<br />
Jack sah Jim hinterher, dann aber sah er <strong>mich</strong> an.<br />
„Du warst nie dabei, Kelly, aus irgendeinem Grund bist du jetzt in der Geschichte<br />
mitten drinnen. Wir müssen ... jemand muss verhindern, dass wir diesen Irrsinn machen.<br />
Vielleicht ... Ich glaube, es ist auch das erste Mal, dass wir zu dieser Zeit hier bei euch landen.<br />
Ich kann <strong>mich</strong> immer nur daran erinnern, von Jin gefunden und zur DHARMA Initiative und<br />
damit zu Miles, Jin, Sawyer und Juliet gebracht worden zu sein. Wie sieht es bei euch aus?“<br />
Kate und Sayid nickten.<br />
„Diesmal ist etwas ganz anders. Jin, Sun und Hurley sind nicht bei uns. Dafür ist Kelly<br />
hier. Und wir sind nicht in 1977, sondern in 1971 gelandet. Woran liegt das? <strong>Der</strong> einzige<br />
Unterschied, der ... das bist du, Kelly. Nur du kannst der Auslöser dafür sein, dass wir uns<br />
abseits der bisherigen Geschichte befinden. Das mag bedeuten, dass wir im Stande sein<br />
werden, uns aus der Zeitschleife zu befreien.“<br />
Jack sah <strong>mich</strong> an und Kate fügte hinzu:<br />
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Frauke Feind<br />
„Oder uns schon befreit hast. Denn es ist ja diesmal ganz anders.“<br />
Ich hatte nur halb zugehört. In Gedanken war ich bei Jim. Auf der einen Seite schrie<br />
alles in mir danach, ihm zu folgen, auf der anderen Seite hatte <strong>mich</strong> seine Reaktion zutiefst<br />
getroffen. Ich sagte mir, dass dadurch, dass er sich gerade erst erinnert hatte, Juliets Tod oder<br />
Verschwinden für ihn ganz frisch war. Aber auf der anderen Seite dachte ich an die ver-<br />
gangenen fast vier Wochen und hatte das unangenehme Gefühl, jemand hätte mir ein Messer<br />
in den Rücken gestoßen. Ich sah Jack an und sagte unglücklich:<br />
„Ich ... Bitte, ich brauche ein wenig Zeit, um dass alles zu begreifen. Ich ... Das ist<br />
alles ein wenig viel, versteht ihr?“<br />
Langsam erhob ich <strong>mich</strong> ebenfalls und ohne zu fragen, ob es erlaubt war, entfernte ich<br />
<strong>mich</strong> ebenfalls von unserer kleinen Gesprächsrunde. Ich ging in die entgegen gesetzte<br />
Richtung, in der Jim verschwunden war und als ich zwischen die Bäume kam, liefen mir erste<br />
Tränen über die Wangen. Hastig eilte ich weiter, bis ich das Gefühl hatte, weit genug weg<br />
vom Lager zu sein. Dort sank ich auf den Urwaldboden und weinte...<br />
************<br />
17) Verzweifelte Suche<br />
Am Tisch herrschte Stille. So lange, bis Tim leise sagte:<br />
„Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was ihr gesagt habt, der Wahrheit entspricht,<br />
und ich bin ehrlich, ich gehe davon aus, müssen wir eine Antwort dafür finden, was diesmal<br />
anders ist und ob es dennoch zu dem Ereignis kommen wird, obwohl ihr Bescheid wisst.<br />
Kelly hatte also einen Brief von mir?“<br />
Jack nickte.<br />
„Ja, in diesem Brief hast du ihr klar gemacht, dass sie auf der Insel geboren wurde und<br />
dass sie vielleicht irgendwann einmal Besuch von jemandem bekommen würde, der nach dir<br />
unter dem Namen, den du hier benutzt, suchen würde. Nebenbei, warum benutzt du diesen<br />
Namen hier eigentlich, und nicht deinen Richtigen?“<br />
Tim überlegte.<br />
„Ich weiß es nicht. Als ich erfuhr, dass ich auf die Insel sollte, hielt ich es für besser,<br />
nicht mit meinem Vater in Verbindung gebracht zu werden. Ich weiß nicht, warum ...“<br />
Er schien sich das Gehirn zu zermartern, dann sagte er langsam:<br />
„Mein Vater ... Er hat die Insel erwähnt. Er wollte sie finden und hat daraufhin die<br />
DHARMA Initiative gegründet. Sie wollten die Energie der Insel vermarkten ... Woher weiß<br />
ich das? Dass geschieht erst in ein paar Jahren.“<br />
an.<br />
„Kellys Vater müsste doch schon geboren sein, wo ist er?“, fragte Jack und sah Tim<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, ich habe einen Sohn. Er ist mit den Anderen zum Pier. Er ist fünfzehn ... Meine<br />
Frau starb kurz nach seiner Geburt.“<br />
sagt hatte.<br />
Richard sah Ellie scharf an, die während der ganzen Unterhaltung noch kein Wort ge-<br />
„Geht es dir nicht gut?“, fragte er besorgt.<br />
„Ich bin ein wenig müde.“, erklärte die junge Frau etwas zu schnell und erhob sich.<br />
„Ich werde <strong>mich</strong> ein wenig ausruhen.“<br />
Sie stand auf und verließ mit klein Daniel, den sie die ganze Zeit in einer Trage-<br />
schlinge vor dem Körper gehalten hatte, die traute Runde in Richtung ihres Zeltes. Richard<br />
nickte. „Ich denke, wir sollten alle eine Pause einlegen. Wir haben sehr viel zu verarbeiten<br />
und sollten ein wenig Abstand gewinnen. Ich lasse euch ein Zelt räumen, in dem ihr wohnen<br />
könnt.“ Damit löste er die Runde auf und Jack, Kate und Sayid erhoben sich ebenfalls. Sie<br />
machten sich zusammen auf den Weg zum Krankenzelt, traten hinein und Jack sah nach<br />
Steve. Dann marschierten die drei gemeinsam zum Waldrand hinüber, ließen sich dort in das<br />
Gras sinken und versuchten, zu verdauen, was heraus gekommen war.<br />
************<br />
Jim war blind durch den Dschungel gestapft und war dabei irgendwann auf eine<br />
Klippe gestoßen, die eine kleine Schlucht begrenzte. Hier war er zu Boden gesunken und<br />
hockte nun schon seit vielen Minuten wie erstarrt am Boden. Sein Blick war über die Schlucht<br />
gerichtet, aber vor seinem geistigen Auge sah er etwas ganz anderes. Wie in einem Film liefen<br />
Bilder in seinem Kopf ab. Die Schießerei mit den Dharmaisten, dann plötzlich der<br />
magnetische Sog, all die Gegenstände, die auf das Loch im Boden zuflogen, Juliet, die plötz-<br />
lich entsetzt aufschrie und im letzten Moment von Kate erwischt wurde. Dann sah er sich<br />
selber, wie er verzweifelt halb in dem Loch hing und versuchte, Jules herauszuziehen. Er sah<br />
die entsetzliche Angst in ihren Augen, ihre Tränen und hörte sie verzweifelt schreien, er solle<br />
sie los lassen, als sie sah, dass er selbst in Lebensgefahr geriet, von herumfliegenden Gegen-<br />
ständen erschlagen zu werden. Er hörte sie sagen, wie sehr sie ihn liebte und spürte erneut,<br />
dass sie ihm aus der Hand rutschte, sah sie in den Schacht stürzen. Verzweifelt schlug er die<br />
Hände vor sein Gesicht. Minutenlang saß er wie gelähmt da, dann kehrte er langsam in die<br />
Gegenwart zurück, wie aus einem tiefen Traum erwachend. So plötzlich mit der schrecklichen<br />
Wahrheit konfrontiert zu werden, war zu viel gewesen. Er wusste nicht, wie oft sie das nun<br />
schon erlebt hatten. Wie oft hatte er Jules verloren? Und dann schoss ihm plötzlich ein<br />
anderer, genauso bedrückender Gedanke durch den Kopf. Kelly! Was hatte er getan? Er<br />
sprang auf die Füße und sah sich um. Wo, zum Teufel, war er hingelaufen? Er konnte sich<br />
nicht erinnern, wie er gegangen war und sah sich um. Nur undurchdringlicher Dschungel um<br />
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Frauke Feind<br />
ihn herum, der ihn höhnisch anzugrinsen schien. Glasklar wusste er: Er hatte sich hoffnungs-<br />
los verlaufen.<br />
Ein mulmiges Gefühl machte sich in Jim breit. Die Insel war durchaus groß genug, um<br />
tagelang hilflos darauf herumzuirren. Und er machte sich nichts vor: Wenn er etwas nicht<br />
war, dann ein Waldläufer, dass hatte er hinlänglich bewiesen, als er Wochen nach dem Ab-<br />
sturz versucht hatte, ein Wildschwein zu verfolgen. Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert<br />
und musste letztlich einen Deal mit Kate eingehen, die ihm glücklicherweise gefolgt war und<br />
ihm aus der Patsche half. Das Glück würde er heute bestimmt nicht haben. Und auf dieser<br />
beschissenen Insel alleine und unbewaffnet herumzuirren war nicht gerade eine angenehme<br />
Vorstellung. Genervt und verzweifelt sah Jim sich um. Irgendwo musste doch eine Spur sein,<br />
ein Hinweis, von wo er gekommen war. Warum, zum Teufel, hatte er nur nicht aufgepasst! Er<br />
gab sich selbst einige wenig nette Schimpfnamen, dann schüttelte er frustriert den Kopf und<br />
marschierte los, in die Richtung, die ihm am vertrautesten vorkam.<br />
Eine gute halbe Stunde kämpfte er sich so durch das Dickicht, dann musste er sich<br />
eingestehen, dass das definitiv nicht die Richtung gewesen war, aus der er gekommen war.<br />
„Verdammte Scheiße! Das gibt es doch nicht.“, fluchte er wütend.<br />
Er sah sich um, doch das half auch nicht im Geringsten. <strong>Über</strong>all sah die undurchdring-<br />
liche grüne Wand gleich aus.<br />
„Verdammte Scheiße!“<br />
Wut und Verzweiflung hielten sich die Waage, noch. Er war vielleicht eine Stunde ge-<br />
laufen, eine Stunde. Läppische sechzig Minuten, da konnte man sich doch nicht verirren.<br />
Hilflos sah Jim sich noch einmal um. <strong>Der</strong> verfluchte Wald sah überall gleich aus. Total ge-<br />
nervt marschierte er wieder los, diesmal in eine andere Richtung. Nur, um nach einiger Zeit<br />
festzustellen, dass auch das nicht der Rückweg zum Lager gewesen war. Langsam wurde Jim<br />
bewusst, dass er in Schwierigkeiten war. Genau genommen wusste er ja nicht einmal, in<br />
welchem Teil der Insel sich das Lager befand. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie nach<br />
der Attacke durch Alperts Leute besinnungslos gewesen waren. Man hätte sie Stunden oder<br />
sogar Tage betäubt halten und sonst wo hin schleppen können. Vor sich sah er einen um-<br />
gestürzten Baum und ließ sich entnervt darauf sinken. Wie konnte er nur so blöde gewesen<br />
sein, einfach wahllos drauflos zu rennen. Gut, er war emotional angeschlagen gewesen, aber<br />
trotzdem hätte er nicht einen solchen idiotischen Fehler machen dürfen. Er fuhr sich mit der<br />
Hand durch die Haare und schnaufte verzweifelt. Und dann schoss ihm der Gedanke an Kelly<br />
durch den Kopf. Großer Gott, was musste sie denken? Er hatte dort neben ihr gesessen und<br />
um eine andere Frau geheult. Sie musste verletzt sein und das zu Recht! Geradezu panisch<br />
sprang er auf und rannte los, in irgendeine Richtung, in der Hoffnung, wieder auf das Lager<br />
zu stoßen. Gute zwanzig Minuten hastete er so durch den Dschungel. Und dann, von einer<br />
Sekunde zur Anderen, geschah es. Jim spürte, wie der Boden unter ihm nach gab und bevor er<br />
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Frauke Feind<br />
auch nur geistig reagieren konnte, stürzte er schon ins Nichts. Unwillkürlich schrie er er-<br />
schrocken auf, als er in eine totale Dunkelheit fiel. Dann kam der Aufprall und Jim verlor<br />
augenblicklich die Besinnung...<br />
************<br />
Als ich <strong>mich</strong> ein wenig beruhigt hatte, begann ich, rational an die Sache heran zu<br />
gehen. Jim hatte Juliet sicher geliebt. Nicht so sehr, wie er Kate geliebt haben musste, aber er<br />
hätte sicher sein Leben mit Juliet verbracht, wäre nicht all das schreckliche Geschehen da-<br />
zwischen gekommen. Als er nach Kates Wiederauftauchen gemerkt hatte, dass er sie noch<br />
immer liebte, musste das ein Schock für ihn gewesen sein. So, wie ich Jim einschätzte und<br />
kennen gelernt hatte, musste sein Gewissen ihn ziemlich gequält haben. Er wollte mit Juliet<br />
zusammen bleiben, so viel war sicher. Als er sie dann auf so grausame Weise verlor, hatte er<br />
sich mit Sicherheit die Schuld gegeben. Etwas, wofür Jim prädestiniert war. Er würde immer<br />
die Schuld bei sich suchen, schon bei Kleinigkeiten. Dass es ihm nicht gelungen war, Juliet zu<br />
retten, musste für ihn die Hölle gewesen sein. Darum hatte ihn die plötzliche Erinnerung an<br />
das Desaster so überwältigt. Sicher war ich verletzt und ärgerlich und auch traurig, aber ich<br />
vertraute Jim letztlich uneingeschränkt und wusste, dass er <strong>mich</strong> aufrichtig liebte. So riss ich<br />
<strong>mich</strong> zusammen, rappelte <strong>mich</strong> auf die Füße und trat den Rückweg an.<br />
Zwanzig Minuten später erreichte ich das Lager wieder und sah <strong>mich</strong> um. Jack trat<br />
gerade aus dem Krankenzelt und sah <strong>mich</strong> kommen. Er winkte <strong>mich</strong> zu sich und fragte:<br />
„Kelly. Wo hast du gesteckt? Alles wieder klar bei dir?“<br />
Ich seufzte.<br />
„Ja, es geht wieder. Ich würde gerne mit Jim reden, weißt du, wo er ist?“<br />
Jack biss sich auf die Lippe und erklärte:<br />
„Er ist noch nicht wieder da. Er braucht wohl ein wenig Zeit, er wird sicher bald<br />
wieder auftauchen.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, wird er wohl.“<br />
Jack sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Dort hinten, das ist unser Zelt.“<br />
Er deutete auf eines der Zelte am Rande des Lagers.<br />
„Kate und Sayid sind dort. Falls du mit jemandem Reden willst, der dabei war. Du<br />
kannst natürlich auch mir helfen, Steves Verband zu wechseln.“<br />
Ich nickte.<br />
„Gerne. Ein wenig Ablenkung von all dem kann nicht schaden.“<br />
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Frauke Feind<br />
Ich folgte Jack in das Zelt und zusammen traten wir an das Bett des Verletzten. Steve<br />
war wach und sah <strong>mich</strong> an.<br />
liegen.“<br />
„Du musst Kelly sein. Ich hatte noch keine Gelegenheit, <strong>mich</strong> zu bedanken ...“<br />
„Das ist doch kein Problem. Wie geht es dir?“<br />
Seine Stimme war schwach und zitterte.<br />
„Ich habe ... ziemliche Schmerzen, aber sonst geht es.“<br />
Ich nickte.<br />
„Die werden bald nachlassen. Wir werden den Verband erneuern, bleibe einfach ruhig<br />
Er nickte müde.<br />
„Werd‟s versuchen.“<br />
Jack hob das Bein vorsichtig an und ich begann, den Verband zu entfernen.<br />
Schließlich war ich bei den letzten Lagen Verbandmull angelangt. Hier klebte das Material an<br />
der ausgetretenen Wundflüssigkeit und am nach gesickerten Blut. Ich nahm Ringerlösung aus<br />
dem Schrank und weichte den Verband sehr gründlich auf, um Steve weitere Schmerzen zu<br />
ersparen. Nun konnte ich den Verbandmull vom Stumpf lösen und Jack sah sich die Wunde<br />
gründlich an. Steve lag schwer atmend still und zitterte am ganzen Körper. Beruhigend sagte<br />
ich:<br />
„Du hast es geschafft, okay, es sieht sehr gut aus. Wir werden einen neuen Verband<br />
anlegen, dann bekommst du etwas gegen die Schmerzen und kannst Schlafen.“<br />
Eine halbe Stunde später war Steve frisch verbunden und mit Schmerztabletten ver-<br />
sorgt. Er war, kaum, dass wir fertig waren, eingeschlafen. Ich erklärte Jack:<br />
„Ich werde mal schauen, ob Jim wieder da ist. Bis später.“<br />
Jack nickte.<br />
„Bis später.“<br />
Ich trat in die Sonne hinaus und sah <strong>mich</strong> suchend um. Jim war nirgends zu sehen.<br />
Vielleicht war er im Zelt bei Kate und Sayid. Entschlossen marschierte ich zu unserer neuen<br />
Unterkunft, traf jedoch im Schatten davor nur Kate an.<br />
„Da bist du ja.“, sagte die junge Frau und sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Hast du Jim schon gesehen?“, fragte ich.<br />
Sie schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, er ist noch nicht wieder aufgetaucht, oder jedenfalls nicht bei mir.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Hm, na gut, ich werde mal sehen, ob ich ihn irgendwo auftreiben kann.“<br />
Kate erhob sich.<br />
„Warte, ich komme mit.“<br />
Zu zweit liefen wir also los, durchsuchten das ganze Lager und fragten Richard und<br />
Charly, die wir unterwegs trafen, ob sie Jim gesehen hatten, bekamen aber negative<br />
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Frauke Feind<br />
Antworten. Die Sonne fing allmählich an unter zu gehen und ich konnte nicht abstreiten, dass<br />
ich langsam etwas nervös wurde. Ich sah in die Richtung, in die er vor guten drei Stunden<br />
verschwunden war und erklärte Kate:<br />
Weg.“<br />
„Ich werde mal ein Stück in den Dschungel gehen, vielleicht läuft er mir ja über den<br />
Sie nickte und meinte:<br />
„Pass gut auf!“<br />
Ich nickte. Dann machte ich <strong>mich</strong> auf den Weg.<br />
Ich hatte nicht mehr viel Zeit, bevor die Sonne beginnen würde, unterzugehen, und so<br />
beeilte ich <strong>mich</strong>. So schnell es in dem dichten Wald möglich war, hastete ich voran.<br />
Irgendwann begann ich, nach Jim zu rufen, erhielt aber keine Antwort. Schließlich wurde es<br />
dämmrig und ich hatte keine Wahl als umzukehren. Wieder im Lager, eilte ich sofort zu<br />
unserer neuen Behausung, aber außer Kate, Sayid und Jack traf ich niemanden an. Und ob-<br />
wohl ich eigentlich nicht dazu neigte, schnell in Panik zu geraten, wurde ich doch sehr un-<br />
ruhig. Schön und gut, Jim hatte eine Weile alleine sein müssen, aber er war jetzt seit über vier<br />
Stunden fort. Solange würde er kaum brauchen, um sich zu fangen. Nervös sagte ich zu den<br />
Anderen:<br />
„Haltet <strong>mich</strong> meinetwegen für hysterisch, aber ich habe kein besonders gutes Gefühl.“<br />
Sayid war es, der mir zustimmte.<br />
ist.“<br />
„Du hast Recht, Kelly, das ist kein sehr gutes Zeichen, dass er noch nicht wieder hier<br />
Auch Kate nickte.<br />
„Sawyer ist im Wald eine absolute Niete. Er wird sich verlaufen haben.“, vermutete<br />
sie nachdenklich.<br />
Jack versuchte, uns zu beruhigen.<br />
„Wir müssen realistisch bleiben, vor morgen früh können wir nichts unternehmen,<br />
wenn wir im Dunkeln losmarschieren, haben wir nur jede Chance, uns den Hals zu brechen<br />
und Sawyer zu übersehen. Ihm wird schon nichts passiert sein. Vielleicht findet er bei Tages-<br />
anbruch den Weg ganz alleine zurück.“<br />
Verzweifelt musste ich Jack zustimmen. Im Dunkeln im Dschungel herumzuirren war<br />
dumm. So blieb mir nichts anderes übrig, als <strong>mich</strong> auf eine Nacht ohne Jim einzurichten. Wir<br />
legten uns irgendwann alle in die Betten und ich lag Stunde um Stunde wach, dachte an Jim<br />
und betete zu Gott, dass ihm nicht passiert war.<br />
************<br />
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Frauke Feind<br />
Jim kam langsam zu sich. Als sein Verstand klarer wurde, merkte er, dass er auf dem<br />
Rücken lag. Im ersten Moment wusste er nicht, was passiert war, doch schon Sekunden später<br />
schoss ihm die Erinnerung durch den Kopf. Er war in irgendetwas Tiefes im Boden gefallen.<br />
Vorsichtig bewegte er Arme und Kopf. Abgesehen davon, dass ihm alles wehtat, schien er<br />
sich nicht verletzt zu haben. Er versuchte, sich aufzurichten. Und jetzt durchfuhr ihn ein<br />
heißer Schreck! Er konnte seine Beine nicht bewegen. Wellen von Angst überrollten ihn.<br />
Hektisch stemmte er sich in eine sitzende Position und versuchte er es noch einmal. Aber<br />
seine Beine gehorchten ihm nicht.<br />
„Nein! Bitte! Nein!“, keuchte er verzweifelt.<br />
Er tastete nach seinen Beinen und erschrak bis ins Mark. Er konnte seine Hände an<br />
seinen Beinen nicht fühlen. Jetzt war es mit seiner Beherrschung endgültig vorbei!<br />
„NEIN!“<br />
Sein Schrei hallte in der Dunkelheit höhnisch zu ihm zurück. Vollkommen verzweifelt<br />
ließ er sich auf die Seite sinken und wimmerte:<br />
„Nein ... Das kann nicht sein. Bitte ... NEIN!“<br />
Er merkte nicht mehr, dass er das Bewusstsein erneut verlor.<br />
************<br />
Die Nacht war endlos. Ich döste zwar immer wieder ein, aber es war ein leichter<br />
Schlaf, von Albträumen durchsetzt. Träumen, in denen ich Jim mal von dem Rauchmonster<br />
zerfetzt im Wald fand, mal zerschmettert am Grund einer Schlucht, dann wieder verhungert<br />
und verdurstet in einer eingestürzten Höhle. Lange vor dem Morgengrauen hatte ich es satt<br />
und erhob <strong>mich</strong> leise. Ich schlüpfte aus unserem Zelt und setzte <strong>mich</strong> draußen auf den Boden.<br />
Tränen liefen mir über die Wangen, ohne dass ich es überhaupt merkte. Leise schluchzte ich:<br />
„Ich will ihn zurück haben, bitte, lieber Gott.“<br />
Mir wäre es sogar egal gewesen, wenn er Arm in Arm mit Juliet wieder gekommen<br />
wäre, Hauptsache, ihm war nichts passiert. Ich hatte das Gefühl, es dauerte noch Stunden, bis<br />
es langsam hell wurde und Leben ins Lager kam. Spät in der Nacht waren Menschen auf-<br />
getaucht, die sich auf die anderen Zelte verteilt hatten. Das mussten die Leute sein, die<br />
Richard zum Pier geschickt hatte. Als die ersten Leute aus ihren Zelten auftauchten, sah ich<br />
eine Menge unbekannter Gesichter und wurde von ihnen interessiert und nicht unfreundlich<br />
gemustert. Einer der Ersten, die aus ihrer Behausung kamen, war Richard. Er sah <strong>mich</strong> vor<br />
unserem Zelt hocken und kam zu mir.<br />
„Guten Morgen, Kelly. Ich habe gehört, was passiert ist. Mach dir keine Sorgen, wir<br />
werden ihn nachher suchen gehen. Ihm wird schon nichts passiert sein. Er wird sich nur ver-<br />
laufen haben. Wir werden, sobald es hell genug ist, aufbrechen, und ihn zusammen suchen.“<br />
Dankbar sah ich Richard an.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich hoffe, du hast Recht.“, stieß ich in brünstig hervor.<br />
Die Sonne ging schnell auf und schließlich kamen auch Jack, Kate und Sayid aus dem<br />
Zelt. Wir marschierten zusammen zum Versorgungszelt hinüber und halfen dort, Frühstück zu<br />
machen. Woher das Brot stammte, das wir aßen, hinterfragten wir nicht. Irgendwann würden<br />
wir es vielleicht erfahren. Ungeduldig wartete ich darauf, dass es endlich losging. Als alle satt<br />
waren, stand Richard auf und erklärte ruhig:<br />
„Ich weiß, dass ihr erst spät zurückgekehrt seid, aber ich muss euch dennoch bitten,<br />
euch an einer kleinen Suchaktion zu beteiligen. Einer der Neuzugänge ist gestern Nachmittag<br />
in nördlicher Richtung in den Dschungel gegangen und es besteht die Chance, dass er sich<br />
übel verlaufen hat. Ich möchte euch bitten, bei der Suche nach ihm zu helfen. Wir werden uns<br />
in fünf Gruppen aufteilen und das Gebiet nördlich, nordöstlich, nordwestlich und südlich ab-<br />
suchen. Jack, dich möchte ich bitten, hier zu bleiben und dich um Steve zu kümmern. Charly,<br />
du führst eine Gruppe, Tim, du ebenfalls, Kevin, die Dritte, ich selbst werde die vierte Gruppe<br />
führen und Ken, du übernimmst die fünfte Gruppe.“<br />
Kurz wurde ich aus meiner Angst gerissen und sah den vielleicht fünfzehn Jahre alten<br />
Jungen an, den Richard mit Ken ansprach. Ich erkannte in ihm gleich meinen Vater wieder.<br />
Aber sofort wurde dieser Gedanken von der Angst um Jim beiseitegeschoben. Die Gruppe<br />
hatte aufmerksam zugehört. Alles in allem waren es dreiundzwanzig Menschen, die hier ver-<br />
sammelt waren, Ellie und Steve fehlten. Richard sah <strong>mich</strong> an und bat:<br />
„Du kommst mit mir, ebenso Greg, Diane und Henry. Ihr anderen teilt euch bitte<br />
selbstständig in die Gruppen auf. <strong>Der</strong> Mann, den ihr sucht, heißt Jim. Und nun los.“<br />
Ohne Fragen zu stellen bildeten sich die von Richard geforderten Gruppen und dann<br />
machten wir uns auf den Weg. Wir marschierten in südlicher Richtung in den Dschungel und<br />
ich betete, dass wir Jim unverletzt finden würden.<br />
************<br />
Jim wachte langsam wieder auf. Einen Moment war er ziemlich orientierungslos, dann<br />
aber war sein Verstand voll da. Und mit diesem die Erinnerung. Die Erkenntnis, sich nicht<br />
bewegen zu können. Er lag auf der Seite und die Schmerzen in seinem Körper, die von dem<br />
Sturz herrührten hatten etwas nachgelassen. Jim schloss die Augen und wünschte sich ver-<br />
zweifelt, tot zu sein. Er war so unendlich dankbar und glücklich gewesen, als Jack und Kelly<br />
festgestellt hatten, dass der Tumor auf wundersame Weise verschwunden war und jetzt lag er<br />
in dieser Höhle oder was immer es war und war doch gelähmt. Tränen traten ihm in die<br />
Augen und er merkte, wie der Wunsch zu Sterben in ihm übermächtig wurde. Eine Weile gab<br />
er sich ganz seiner Verzweiflung hin, dann rollte er sich langsam wieder auf den Rücken.<br />
<strong>Über</strong> sich, in vielleicht drei Metern Höhe, sah er einen hellen Lichtfleck. Dass musste das<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Loch sein, durch das er gestürzt war. Unerreichbar selbst wenn er sich hätte bewegen können.<br />
Das Licht, welches durch das Loch in die Höhle drang, reichte nicht bis auf den Boden. Um<br />
Jim herum herrschte tiefe Dunkelheit. Müde schloss er die Augen. So oder so, sein Wunsch<br />
zu sterben würde sich erfüllen. Hier unten würde ihn niemand finden. Sie wussten ja nicht<br />
einmal, wo sie überhaupt nach ihm suchen sollten. Er würde verdursten. Auch gut. Alles<br />
hinter sich lassen. Sein Tod würde die verdammte Zeitschleife endgültig sprengen. Still lag er<br />
da und gab sich auf.<br />
Und dann zuckte er plötzlich wie elektrisiert zusammen. Eine leise, sanfte, ihm absolut<br />
vertraute Stimme sprach ihn an.<br />
„James. Honey, du darfst nicht aufgeben!“<br />
Er riss die Augen auf, fuhr hoch und erstarrte regelrecht. Er musste bei dem Aufprall<br />
doch härter mit dem Kopf aufgeschlagen sein als vermutet, denn sein Verstand hatte sich ganz<br />
offensichtlich verabschiedet, oder aber er war schon tot. Denn das, was er sah, war ein Trug-<br />
bild, eine Halluzination, eine Täuschung. Vor ihm stand Juliet und lächelte sanft auf ihn<br />
herab. Erschüttert starrte er die blonde Frau an.<br />
„Jules ...“<br />
Juliet sah mit einem Blick, in dem ihre ganze Liebe lag, auf Jim herab.<br />
„Ja, James, ich bin es. Hör mir genau zu. Ich habe nicht viel Zeit. Du bist nicht ge-<br />
lähmt! Du hast dir nur die Wirbelsäule sehr stark geprellt. Verstehst du? Das wird schnell<br />
vorbei gehen, wenn die Schwellung abklingt. Vertrau mir bitte. Du musst es schaffen!“<br />
Jim starrte immer noch fassungslos zu Juliet auf.<br />
„Jules, wie ... Was muss ich schaffen? Bitte, Juliet.“<br />
Sie ging auf seine Worte nicht ein, sondern flüsterte:<br />
„Kelly ... sie liebt dich, enttäusche sie nicht. Mir geht es gut, mache dir keine Sorgen.<br />
Du musst es schaffen ...“<br />
Leiser wurde Juliets Stimme und irgendwie wurde ihr Körper durchsichtig, waberte in<br />
der Luft wie Rauch und dann war sie von einer Sekunde zur Anderen verschwunden. Zurück<br />
blieb Jim, fassungslos, verwirrt, an seinem Verstand zweifelnd und alleine.<br />
************<br />
Gegen Mittag legten wir eine kurze Pause ein. Wir waren kreuz und quer durch den<br />
Dschungel gelaufen, hatten quasi unter jedem Busch und Baum nach Jim gesucht, aber noch<br />
keine Spur von ihm entdeckt. Ich war inzwischen nur noch in Panik. Wir hatten mit den<br />
anderen Gruppen ausgemacht, drei Schüsse abzugeben, sollte Jim entdeckt werden. Doch wir<br />
hörten nichts. Hoffnungslosigkeit und wilde Entschlossenheit, nicht aufzugeben, wechselten<br />
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Frauke Feind<br />
sich bei mir in fröhlicher Reihenfolge ab. Ich war heiser, immer wieder riefen wir nach Jim.<br />
Müde trank ich einen Schluck Wasser, dann fragte ich:<br />
„Wo wollen wir weiter machen?“<br />
Richard sah sich um.<br />
„Ich denke, wir werden ein wenig weiter südlich suchen. Dort ist das Gebüsch nicht<br />
ganz so dicht. Er wird ja nicht auf allen Vieren durch die Gegend gekrabbelt sein.“<br />
Ich nickte ergeben. Wir machten uns wieder auf den Weg. Wir suchten, bis es dunkel<br />
wurde, und hatten noch immer keine Spur von Jim gefunden. Als Richard schließlich ruhig<br />
erklärte, dass wir auf einer kleinen Lichtung die Nacht verbringen würden, hatte ich das Ge-<br />
fühl, er hätte von mir verlangt, Jim zum Tode zu verurteilen. Er musste verletzt sein, sonst<br />
wäre er sicher schon irgendwo aufgetaucht. Und nun musste er schon die zweite Nacht alleine<br />
irgendwo hier draußen verbringen, vielleicht von Schmerzen gequält und ohne Hoffnung,<br />
noch rechtzeitig gefunden zu werden. Ich sank zu Boden, wo ich gerade stand und schlug<br />
weinend die Hände vor das Gesicht. Richard setzte sich zu mir und sagte ruhig:<br />
„Jim wird von der Insel begünstigt, Kelly. Mach dir nicht zu große Sorgen.“<br />
Vollkommen verzweifelt sah ich Richard an.<br />
„Ich hoffe so sehr, dass du dich nicht irrst!“<br />
Die Nacht war noch schlimmer als die vorangegangene. Ich schlief unruhig, fuhr<br />
immer wieder hoch, weil ich mir einbildete, Jim verzweifelt schreien zu hören und gab<br />
schließlich entnervt auf. Leise erhob ich <strong>mich</strong>. Ich setzte <strong>mich</strong> an einen Baum gelehnt ein<br />
Stück abseits der Anderen auf den Boden und wartete ungeduldig darauf, dass es endlich<br />
dämmerte. Die nächtlichen Geräusche um <strong>mich</strong> herum waren gleichermaßen beruhigend wie<br />
auch bedrohlich. Einmal meinte ich in einiger Entfernung so etwas wie ein Knurren zu hören,<br />
dann aber sagte ich mir, dass es Einbildung gewesen sein musste. Als endlich die Dunkelheit<br />
von den ersten Strahlen der Sonne vertrieben wurde, atmete ich erleichtert auf. Und schon<br />
eine Stunde später waren wir wieder unterwegs. Weiter gingen wir im Zickzack durch den<br />
Wald, riefen und sahen quasi hinter jedem Baum nach, ob wir Jim irgendwo sehen konnten.<br />
Ich wurde mit fortschreitendem Tag immer mutloser und verzweifelter. Auch Richard schien<br />
immer öfter darüber nachzudenken, umzukehren. Sollte er dies beschließen, würde ich alleine<br />
weiter suchen, so viel war sicher. Als es erneut Abend wurde, mussten wir abermals Rasten.<br />
„Wie weit sind wir von eurem Lager jetzt entfernt?“, fragte ich unglücklich, als wir zu-<br />
sammen um ein kleines Lagerfeuer saßen.<br />
Richard überlegte nicht lange.<br />
„Wir sind kaum acht Kilometer entfernt. Gelaufen sind wir durch den Zickzackkurs<br />
natürlich erheblich weiter.“ Er sah ins Feuer, dann erklärte er ruhig: „Kelly, dir ist klar, dass<br />
die Chancen, ihn zu finden, immer geringer werden, oder? Wenn er verletzt ist, ist die<br />
Hoffnung, ihn nach drei Tagen noch lebend zu finden, sehr fragwürdig.“<br />
Ich nickte unter Tränen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Das ist mir klar. Aber egal, ob ihr mitkommt oder nicht, ich habe schon einmal ge-<br />
schworen, diese ganze beschissene Insel Stein für Stein nach ihm abzusuchen, und das werde<br />
ich auch diesmal tun. Und selbst, wenn ich ihn nur noch tot finde, ist das besser, als nie zu<br />
erfahren, was aus ihm geworden ist.“<br />
Richard sah <strong>mich</strong> erneut an, dann nickte er.<br />
„Das kann ich verstehen.“<br />
Wir legten uns auf den Waldboden und ruhige Atemzüge verrieten mir, dass meine<br />
Begleiter schnell eingeschlafen waren. Ich lag wach, obwohl mir die Augen brannten vor<br />
Müdigkeit. Wenn ich doch einmal weg dämmerte, hatte ich schreckliche Albträume und<br />
irgendwann mitten in der Nacht gab ich abermals auf und erhob <strong>mich</strong>, er-<br />
schöpft, verzweifelt, am Ende. <strong>Der</strong> Mond, der sich am Himmel über uns<br />
zeigte, war fast voll und spendete ein diffuses Licht. Ohne weiter darüber<br />
nachzudenken, setzte ich <strong>mich</strong> in Bewegung. Ich tappte vorsichtig durch den<br />
nächtlichen Dschungel und dann blieb mir vor Schreck fast das Herz stehen.<br />
In den Büschen vor mir stand von einer Sekunde auf die Nächste plötzlich eine schlanke,<br />
hübsche, blonde Frau. Ich wusste sofort, das war Juliet. Sie lächelte <strong>mich</strong> an und drehte sich<br />
wortlos herum. Ich zögerte keine Sekunde und folgte ihr. Vielleicht eine Stunde führte sie<br />
<strong>mich</strong> in nördlicher Richtung durch den Dschungel, dann blieb sie stehen. Ich ging langsam<br />
und vorsichtig näher und sah <strong>mich</strong> suchend um. Vor mir am Boden meinte ich, einen dunklen<br />
Fleck zu sehen. Ganz langsam näherte ich <strong>mich</strong> diesem und erkannte, dass es ein Loch im<br />
Boden war. Mein Herz hämmerte gegen die Rippen, dass es schmerzte. Ich legte <strong>mich</strong> auf den<br />
Bauch und schob <strong>mich</strong> langsam an das dunkle Loch heran. Schließlich konnte ich über den<br />
Rand hinein schauen, sah aber nur tintenschwarze Finsternis. Dass Juliet <strong>mich</strong> hierher geführt<br />
hatte, musste einen Grund haben! Sie liebte Jim, oder hatte ihn geliebt, also ging ich einfach<br />
davon aus, dass sie mir hatte helfen wollen. Ich zögerte kurz, dann rief ich in die Dunkelheit<br />
unter mir hinein: „JIM! Bist du da unten?“<br />
Ich erhielt keine Antwort, versuchte es noch einmal, aber mit dem gleichen Resultat.<br />
Verzweifelt überlegte ich. Ich hatte, als ich Juliet folgte, versucht, eine deutliche Spur zu<br />
hinterlassen, hatte so viele Äste wie möglich umgeknickt und so traute ich mir zu, den Weg<br />
zu meinen Begleitern zurück zu finden. Entschlossen machte ich <strong>mich</strong> auf den Weg, so<br />
schnell es mir möglich war. Als es gerade dämmerte, sah ich vor mir den Lichtschein eines<br />
kleinen Lagerfeuers und rannte die letzten Meter. Dann sah ich Richard, Greg, Henry und<br />
Diane zwischen den Bäumen auftauchen.<br />
„Kelly? Bist du das?“, fragte Richard besorgt.<br />
Atemlos erreichte ich die Vier und keuchte:<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja. Ich ... ich habe ein Loch im Boden gefunden, vielleicht eine Stunde von hier. Ich<br />
... konnte nicht hinein sehen, es war zu dunkel. Wir müssen da hin. Ich bin sicher, Jim ist dort<br />
unten.“<br />
Richard nickte entschlossen.<br />
„Gut, findest du den Weg?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, kein Problem, ich habe den Rückweg sogar im Dunkeln gefunden. Ti ... Mein<br />
Großvater hat mir gründlich beigebracht, <strong>mich</strong> im Wald zu orientieren.“<br />
Ruhig erklärte Richard:<br />
„Gut, dann führe uns dort hin.“<br />
Gemeinsam machten wir uns nun also wieder auf den Weg. Eine gute Stunde später,<br />
die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, hatten wir das Loch abermals erreicht. Ich<br />
rutschte wieder auf dem Bauch an den Rand heran, Richard legte sich neben <strong>mich</strong>. Zusammen<br />
starrten wir in die Dunkelheit unter uns und versuchten, etwas auszumachen. Erneut rief ich:<br />
„Jim!“, aber eine Antwort bekam ich nicht.<br />
Richard stand vorsichtig auf und befahl:<br />
„Macht eine Fackel fertig.“<br />
Sofort traten Greg und Diane an einen großen Baum und suchten nach einem<br />
passenden Ast, den sie abbrachen. Dann nahmen sie aus einem der mitgenommenen Ruck-<br />
säcke einige alte Lumpen und wickelten diese um den Ast herum. Schließlich entzündete<br />
Greg die Lumpen und reichte diese behelfsmäßige Fackel Richard. Dieser trat wieder an den<br />
Rand des Loches und ließ die Fackel schließlich ohne zu zögern in die Tiefe fallen. Sie schlug<br />
nach vielleicht drei Metern auf dem Boden auf und erhellte den Raum, der unter uns war. Ich<br />
strengte meine Augen an, um etwas erkennen zu können. Und dann schrie ich auf.<br />
„Dort! Das ist Jims T-Shirt!“<br />
************<br />
Jim wusste nicht, wie lange er nach Juliets Besuch wie erstarrt dagesessen hatte.<br />
Irgendwann fing er sich wieder und beschloss, ihr Erscheinen als gegebene Tatsache hinzu-<br />
nehmen. Wie so vieles auf dieser verhexten Insel. Er ließ sich langsam wieder in die<br />
Waagerechte sinken und versuchte, aus Juliets Worten Mut zu schöpfen. Was hatte sie ge-<br />
sagt? Es wäre keine Lähmung, nur eine Prellung, die vorübergehend Lähmungserscheinungen<br />
hervor rief? Er betete zu Gott, dass sie Recht haben würde. Erst einmal lag er hier, unfähig,<br />
sich zu Bewegen, hilflos, alleine und zugegeben völlig verängstigt in der Dunkelheit. Wäre<br />
ein <strong>Angriff</strong> auf ihn erfolgt, egal, welcher Art, er hätte nicht den Hauch einer Chance gehabt.<br />
Minute um Minute lag er so da und lauschte in die Finsternis. Seine Fantasie fing schnell an,<br />
ihm Streiche zu spielen. Mal meinte er, leise, schleichende Schritte zu hören, dann wieder war<br />
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Frauke Feind<br />
es ein Rascheln, schließlich ein Knurren. Schnell und flach atmete er und musste sich be-<br />
herrschen, seine Zähne nicht aufeinander klappern zu lassen vor Angst. Er hatte Hunger und<br />
Durst. Ob sie ihn wohl suchten? Natürlich. Kelly würde nicht aufgeben. Als er an sie dachte,<br />
füllten sich seine Augen mit Tränen und er schob den Gedanken energisch zur Seite.<br />
Stattdessen richtete er sich irgendwann wieder halb auf und fing an, sich langsam und vor-<br />
sichtig rückwärts zu schieben. Seine Beine schleiften nutzlos über den Boden und Jim stöhnte<br />
auf. Nein, er wollte auf das Vertrauen, was Jules ihm gesagt hatte! Er würde sich nicht auf-<br />
geben. Verdammt noch mal, er hatte schon ganz andere Situationen geschafft.<br />
Endlich spürte er hinter sich eine Wand. Erleichtert lehnte er sich dagegen und ver-<br />
suchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Mit zitternden Händen tastete er nach<br />
seinem Rücken und zuckte aufkeuchend zusammen, als er eine große, schmerzende Beule<br />
kurz oberhalb seines Hosenbundes spürte. Dann aber jagten Wogen der Erleichterung durch<br />
ihn hindurch. Juliet musste Recht haben. Das war eine heftige Prellung, die er sich bei dem<br />
Sturz zugezogen hatte!<br />
„Oh, Gott, danke.“, flüsterte er in die Dunkelheit hinein.<br />
Er saß in relativ entspannter Haltung still und bemühte sich, keine deprimierenden<br />
Gedanken zuzulassen. Er würde hier einfach ein wenig sitzen und warten, dass die<br />
Schwellung abklang. Und dann würde er einen Ausweg finden. Oder gefunden werden. Er<br />
warf immer wieder Blicke nach oben, zu dem hellen Fleck an der Höhlendecke. Das war<br />
sprichwörtlich sein Licht in der Finsternis. Als dieses Licht immer trüber wurde, wusste Jim,<br />
dass draußen die Nacht herein brach. Wieder spürte er Angst in sich aufsteigen. Lange<br />
Stunden totaler Dunkelheit warteten auf ihn. Sein Herz raste. Aber er zwang sich, ruhig zu<br />
bleiben. Panik nutzte ihm nichts. Irgendwann wurde er müde und ließ sich seitlich auf den<br />
Boden sinken. So gut es ging rollte er sich zusammen. Dann schloss er die Augen und hoffte,<br />
einschlafen zu können. Und schließlich gelang ihm dies auch.<br />
Als er aufwachte, war der helle Punkt in der Decke wieder da und Jim seufzte er-<br />
leichtert auf. Auch, wenn ihm das hier unten nichts nützte, war es doch wie ein Hoffnungs-<br />
schimmer, der dort über ihm leuchtete. Er setzte sich langsam auf und zuckte heftig zu-<br />
sammen. Unwillkürlich hatte er versucht, die Beine zu bewegen und sie gehorchten ihm<br />
wieder. Mühsam, aber er hatte wieder Gefühl in ihnen. Vor Erleichterung schossen ihm kurz<br />
Tränen in die Augen, die er ärgerlich fort wischte. Dann versuchte er, die Beine anzuziehen<br />
und auch da spielten sie mit. Jetzt setzte auch schlagartig sein in Krisen so gut<br />
funktionierender Verstand wieder ein. Er lag zwei Tage hier, keiner war gekommen, um ihn<br />
zu Retten, sie würden ihn hier nicht finden. Also musste er verdammt noch mal selbst etwas<br />
zu seiner Rettung tun. Entschlossen versuchte er, auf die Füße zu kommen und auch, wenn es<br />
zu ziemlichen Schmerzen im Rücken führte, schaffte er es schließlich. Wackelig und steif<br />
stand er da und wartete ein paar Minuten, dann hörte das Zittern der Beine langsam auf.<br />
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Frauke Feind<br />
„Okay, Ford, du wirst deinen Arsch in Bewegung setzen und sehen, ob es hier nen<br />
anderen Ausgang gibt!“, feuerte er sich selbst an.<br />
Er wollte losmarschieren, als ihm noch etwas einfiel. Er streifte sein Shirt über den<br />
Kopf und breitete es sauber und gut sichtbar unter dem Loch aus. Sollte Kelly doch noch das<br />
Loch finden, würde sie das T-Shirt sehen und wissen, dass er hier unten war. Mit knurrendem<br />
Magen und ausgetrocknetem Mund machte er sich schließlich ganz langsam und vorsichtig<br />
auf den Weg. Er tastete sich einmal an der Wand der Höhle entlang, stellte fest, dass es nur<br />
einen Ausgang gab und setzte sich in Bewegung.<br />
Außerordentlich vorsichtig tastete er vor jedem Schritt den Boden genau ab. Er wollte<br />
sich ja nicht doch noch den Hals brechen. Immer wieder musste er Pausen einlegen, weil<br />
seine Beine ihn noch nicht wieder so tragen wollten, wie er es gerne gehabt hätte. Aber er<br />
kam voran, wenn auch langsam. <strong>Der</strong> Gang, in dem er sich mühsam vorwärts tastete, war<br />
schmal und ging ziemlich steil bergab. Er konnte mit ausgestreckten Armen die gegenüber-<br />
liegende Wand ertasten. Es kostete Jim alle Kraft, die völlige Dunkelheit zu ignorieren, aber<br />
es gelang ihm. Irgendwann musste er eine längere Rast einlegen und streckte sich vorsichtig<br />
auf dem Boden aus, um den Rücken zu entlasten. Es war kalt und unangenehm, mit nacktem<br />
Oberkörper auf dem Boden zu liegen, aber diesen Gedanken schob er zur Seite. <strong>Der</strong> Durst war<br />
inzwischen so groß, dass Jim so ziemlich alles für einen Schluck Wasser getan hätte. Wütend<br />
zwang er sich, an etwas anderes zu denken. Wenigstens ließ der Hunger nach. Ob der Tag<br />
wohl schon um war? Kelly ... Sie würde inzwischen vollkommen am Ende sein. Was hatte er<br />
sich nur gedacht? Was er ihr gerade antat, war unentschuldbar. Sie würde ihn dafür hassen.<br />
Nein, würde sie nicht ... Seine Gedanken verwirrten sich und die Augen fielen ihm zu.<br />
Das Aufwachen fiel Jim schwer. Er brauchte eine ganze Weile, bis er wirklich bei sich<br />
war. Seine Zunge klebte ihm trocken am Gaumen und sein Hals tat weh.<br />
sich selbst an.<br />
„Los, du Schlappschwanz, schwing deinen faulen Arsch in die Höhe!“, schnauzte er<br />
Mühsam rappelte er sich auf und stellte fest, dass seine Beine wieder fast normal<br />
reagierten. Allerdings wurde jeder Schritt schwerer als der vorhergehende. Er baute rapide ab.<br />
Die Pausen wurden häufiger, das Vorankommen langsamer. Und dann zuckte er heftig zu-<br />
sammen. Vor sich sah er plötzlich einen sehr schwachen Lichtschein. Noch einmal raffte er<br />
alle Kraft zusammen und wankte auf dieses Licht zu. Dann stand er in einer kleinen Höhle.<br />
Ohne wirkliches Begreifen starrte er auf das, was er vor sich sah. Eine Felswand, aus der ein<br />
riesiges Rad mit Speichen hervor ragte. Die gemauerte Spalte, in der das Rad steckte,<br />
leuchtete hell und pulsierend. Es war eisig kalt hier und das Rad und die Felswand waren mit<br />
einer dicken Eisschicht überzogen. Schwer atmend und am ganzen Leib zitternd vor Kälte<br />
und Schwäche stand Jim da und sah sich weiter um. Doch es gab nichts mehr zu sehen. Hier<br />
endete der Gang und es führte kein Weg weiter. Er war in einer Sackgasse gelandet!<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Verzweifelt sank Jim auf die Knie und starrte minutenlang blicklos vor sich hin. Dann fror er<br />
so sehr, dass ein Selbsterhaltungstrieb ihn noch einmal auf die Beine jagte. Taumelnd<br />
schleppte er sich wieder in den dunklen Gang zurück, soweit, dass die Kälte hinter ihm zurück<br />
blieb. Hier jedoch war er mit seiner Kraft endgültig am Ende angelangt. Langsam sank er auf<br />
die Knie und weiter, bis er bäuchlings auf dem Boden des Ganges lag und schloss erschöpft<br />
die Augen. Er schlief ein...<br />
Aufgeregt packte ich Richard am Arm.<br />
„Wir müssen da runter! Schnell!“<br />
Richard nickte. Er sagte zu Greg:<br />
************<br />
18) Das Rad<br />
„Wir brauchen die Taue, dann werden Kelly und ich hinunter steigen. Ihr wartet hier.“<br />
Aus den Rucksäcken wurden die mitgebrachten Seile genommen und zusammen geknotet.<br />
Schließlich waren sie lang genug, uns auf den Boden der Höhle zu bringen. Schnell machte<br />
Diane noch drei weitere Fackeln, die wir in das Loch warfen. Wir nahmen nur einen Ruck-<br />
sack mit, in dem wir Wasser, Essen und Verbandmaterial mit uns trugen. Richard stieg zuerst<br />
an dem Seil nach unten, das wir um einen Baum geschlungen hatten. Dann folgte ich, ziem-<br />
lich unelegant, aber wild entschlossen. Unten sammelte Richard die brennende Fackel auf und<br />
sah sich um. Es gab nur einen Weg aus der Höhle und diesem folgten wir so schnell es sicher<br />
möglich war. <strong>Der</strong> Gang, der stetig bergab führte, war eben und gut begehbar und wir kamen<br />
schnell voran. Stunde um Stunde eilten wir weiter, immer mehr breitete sich die Angst, was<br />
wir vorfinden würden, in mir aus. Wenn wir Jim nur noch tot vorfinden würden, ich wusste<br />
nicht, was ich tun würde. Wir unterhielten uns kaum, während wir immer tiefer in den Berg<br />
vordrangen. Schließlich mussten wir anhalten, wir waren beide am Ende unserer Kräfte.<br />
Müde legten wir uns auf den Boden und selbst ich schlief ein, tief und fest.<br />
Als ich aufwachte, war Richard bereits auf den Beinen. Er hatte eine zweite Fackel<br />
angezündet und fragte:<br />
„Bist du bereit?“<br />
Ich rappelte <strong>mich</strong> auf die Beine und nickte.<br />
„Auf jedem Fall, wir müssen uns beeilen. Er ist schon über vier Tage ohne Nahrung<br />
und Wasser ...“<br />
Wir hasteten voran und hatten bald das Gefühl, schon eine Ewigkeit durch diese<br />
Dunkelheit zu laufen. Und dann, es musste schon wieder auf den Abend zugehen, so er-<br />
schöpft, wie wir waren, zuckte ich zusammen. Ich hatte nur wenige Schritte vor uns im<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
tanzenden Licht der Fackel etwas entdeckt. Mein Herz raste von einer Sekunde zur Anderen<br />
schmerzhaft gegen meine Rippen und in meiner Kehle schien sich ein Eisklumpen zu bilden.<br />
Mit heftig zitternden Knien wankte ich auf das zu, was ich dort am Boden gesehen hatte und<br />
dann traf es <strong>mich</strong> wie ein Vorschlaghammer. Dort vor uns am Boden lag Jim, auf dem Bauch,<br />
regungslos, wie tot. Ich wimmerte vor Angst auf und stand wie erstarrt da. Richard reagierte<br />
besser. Er machte drei schnelle Schritte, kniete neben Jims reglosen Körper nieder und legte<br />
diesem die Hand an die Halsschlagader. Er konzentrierte sich und ich wagte nicht zu Atmen.<br />
Endlich, ganz leise, dann lauter, stieß Richard hervor:<br />
„Er lebt ... Kelly, er lebt noch! Schnell, das Wasser.“<br />
Jetzt erwachte ich aus meiner Starre und warf <strong>mich</strong> ebenfalls neben Jim auf die Knie.<br />
Ich rollte ihn herum, sodass er halb auf meinem Schoss lag und während mir ununterbrochen<br />
Tränen über die Wangen stürzten, setzte ich ihm eine Wasserflasche an die trocknen, auf-<br />
gesprungenen Lippen. Sein Schluckreflex funktionierte und ich ließ ihn vier, fünf Schlucke<br />
trinken, dann nahm ich die Flasche weg. Weinend beugte ich <strong>mich</strong> über Jim und flüsterte:<br />
„Du bist in Sicherheit, Baby, ich bin bei dir, ich lasse nicht zu, dass du stirbst. Das<br />
habe ich schon einmal nicht zugelassen und werde es auch diesmal verhindern!“<br />
lebendig.“<br />
Richard ließ mir ein paar Minuten, doch schließlich sagte er sanft:<br />
„Wir sollten ihn so schnell wie möglich hier raus schaffen, Kelly. Er ist mehr tot als<br />
Ich nickte.<br />
„Wie wollen wir es machen?“<br />
Richard lächelte sanft.<br />
„Ich werde ihn tragen.“<br />
Entschlossen ließ ich Jim von mir gleiten und half Richard, sich den schlaffen Körper<br />
über die Schultern zu hieven. Ohne Zögern machten wir uns auf den Rückweg. Schon um Jim<br />
immer wieder Wasser einzuflößen, legten wir in regelmäßigen Abständen Pausen ein, die<br />
Richard auch mehr als nötig hatte. Immerhin kämpfte er mit guten achtzig Kilo auf seinen<br />
Schultern und es ging die ganze Zeit stetig, wenn auch nur leicht bergan. Als wir schließlich<br />
keinen Schritt weiter konnten, legte Richard Jim sanft ab und ich flößte ihm wieder Wasser<br />
ein, das er mechanisch schluckte. Ich lehnte <strong>mich</strong> an die Felswand und zog Jim auf meinen<br />
Schoss. Richard reichte mir ein Stück getrocknetes Fleisch aus unserem Rucksack und ich<br />
kaute darauf herum. Dabei streichelte ich immer wieder Jims Gesicht, das im Licht der dritten<br />
Fackel blass wirkte. Irgendwann fielen mir die Augen zu und als ich wieder aufwachte, hatte<br />
ich Angst, nach Jim zu gucken. Aber er atmete und mir schossen vor Erleichterung Tränen in<br />
die Augen. Richard wachte ebenfalls gerade auf und wir aßen abermals von dem getrockneten<br />
Fleisch. Dann seufzte Alpert und sagte:<br />
habe.“<br />
„Gut, lass uns den Rest des Weges in <strong>Angriff</strong> nehmen, bevor ich keine Kraft mehr<br />
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Frauke Feind<br />
Er schulterte Jim erneut und die Quälerei des Vortages ging weiter. Als wir schon das<br />
Gefühl hatten, die Höhle mit dem Loch nie wieder zu erreichen, wich der Gang vor uns einer<br />
großen Dunkelheit und wir wussten, wir hatten die Höhle wieder erreicht.<br />
„Hey! Greg, Henry, Diane! Wir sind wieder da. Wir haben ihn gefunden.“, rief ich laut<br />
und Sekunden später streckte oben Greg seinen Kopf durch das Loch.<br />
„Richard, Kelly, Gott sei Dank! Ihr habt ihn?“<br />
Richard hatte Jim ächzend zu Boden sinken lassen und keuchte:<br />
„Ja, wir haben ihn ... Es geht ihm sehr schlecht, wir müssen ihn schnellstens ins Lager<br />
schaffen. Ich komme hoch und dann müssen wir ihn daraus ziehen.“<br />
Er wartete ein paar Minuten, dann half er mir, Jim den Strick unter den Achseln um<br />
den Oberkörper zu legen und erst jetzt turnte er geschickt an dem Seil nach oben. Wenige<br />
Minuten später wurde Jim langsam und vorsichtig nach oben gezogen. Kaum war er außer<br />
Sicht, kam schon das Seil wieder herunter und nun wurde auch ich aus der Höhle gezogen.<br />
Sofort war ich wieder bei Jim, der regungslos neben dem Lagerfeuer auf dem Boden lag.<br />
Richard hatte seine Waffe in der Hand und feuerte drei Schüsse in den dunklen Nachthimmel,<br />
die sicher meilenweit zu hören waren. Dann erklärte er:<br />
Greg nickte.<br />
„Wir müssen ihn ins Lager schaffen. Am besten, wir bauen so was wie eine Trage.“<br />
„Ich werde zwei große Äste besorgen.“<br />
Er verschwand zusammen mit Henry im Wald und Diane forderte <strong>mich</strong> auf:<br />
„Komm mit, wir suchen dünne Lianen, aus denen wir eine Art Netz flechten können.“<br />
Ich folgte der Frau und im Dunkeln zeigte sie mir, welche Lianen geeignet waren. Als wir<br />
genug gesammelt hatten, kehrten wir an das Lagerfeuer zurück. Richard war gerade dabei,<br />
Jim wieder Wasser einzuflößen. Greg und Henry hockten am Boden und verbanden zwei<br />
stabile Zweige mit den Stricken, die wir dabei hatten.<br />
Ich eilte erst kurz zu Jim und half dann Diane, aus den Lianen etwas wie ein Netz zu<br />
flechten. Sie zeigte mir genau, wie ich es machen musste. Als es langsam dämmrig wurde,<br />
hatten wir es geschafft. Zwischen den beiden Ästen spannte sich ein stabiles Netz aus Lianen,<br />
unterstützt zusätzlich von den Seilen. Vorsichtig hoben wir Jim auf diese provisorische Bahre,<br />
Richard löschte das Feuer und wir hoben Jim zu viert an. Diane nahm die Rücksäcke und zu-<br />
sammen mit Greg packte ich am Fußteil an, die beiden anderen Männer am schwereren Kopf-<br />
teil. Durch den Wald schleppten wir Jim langsam dem Lager zu. Da wir einen direkteren Weg<br />
nehmen konnten, hatten wir es am frühen Nachmittag bereits geschafft. Nur Jack kam uns<br />
zusammen mit Ellie entgegen, die Anderen waren noch nicht wieder eingetroffen.<br />
„Was ist mit ihm? Wo habt ihr ihn gefunden?“, fragte Jack angespannt.<br />
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Frauke Feind<br />
„Er ist dehydriert und scheinbar vor Erschöpfung, Durst und Hunger zusammen ge-<br />
brochen. Ob er verletzt ist, weiß ich nicht, jedenfalls keine offensichtlichen Verletzungen.“,<br />
erklärte ich hektisch.<br />
Wir trugen Jim zu unserem Zelt hinüber und Minuten später lag er nur noch in Boxer-<br />
shorts auf unserem Bett. Zusammen mit Jack untersuchte ich ihn gründlich nach offenen oder<br />
verborgenen Verletzungen und ich war es auch, die den großen Bluterguss an Jims Wirbel-<br />
säule entdeckte.<br />
unverletzt.<br />
„<strong>Der</strong> wird von dem Sturz herrühren.“, sagte ich erschüttert.<br />
„Sturz? Welchem Sturz, verdammt? Wo habt ihr ihn gefunden?“<br />
Kurz erklärte ich:<br />
„In einer Höhle. Er ist in ein Loch im Waldboden gestürzt.“<br />
Wir untersuchten Jim weiter, aber abgesehen von dem Bluterguss war er scheinbar<br />
„Wir müssen schnellstens den Flüssigkeitsverlust ausgleichen und er muss essen.“,<br />
sagte ich nervös.<br />
„Hat er denn geschluckt?“, fragte Jack und sah Jim besorgt an.<br />
„Ja, hat er.“, nickte ich und setzte <strong>mich</strong> auf die Bettkante. „Vielleicht können wir eine<br />
kräftige Brühe mit Fleisch bekommen.“<br />
Jack nickte.<br />
„Das ist eine gute Idee. Vielleicht kann Ellie da helfen.“<br />
Er verschwand aus dem Zelt und ich war mit Jim alleine. Sanft streichelte ich ihm über<br />
die stoppelbärtige Wange.<br />
„Du schaffst das, ich habe dir versprochen, dass ich nicht zulasse, dass dir etwas<br />
passiert. Aber du musst mithelfen, Jim, alleine ... Du musst helfen, verstehst du? Und wenn du<br />
Juliet lebend wieder findest und sie so sehr liebst, dann musst du bei ihr bleiben, das ist ganz<br />
klar. Sie hat ja ältere Rechte. Ich liebe dich viel zu sehr, als dass ich deinem Glück im Wege<br />
stehen würde.“<br />
Mir liefen Tränen über das Gesicht und ich beugte <strong>mich</strong> herunter und gab Jim einen<br />
zarten Kuss auf die spröden, aufgesprungenen Lippen. Dann hob ich sanft seinen Kopf und<br />
sorgte dafür, dass er wieder ein paar Schlucke Wasser zu sich nahm. Ich deckte ihn zu und<br />
setzte <strong>mich</strong> wieder auf das Bett.<br />
„Lass <strong>mich</strong> hier nicht solange alleine, hörst du? Ich brauche dich, brauche deine freche<br />
Klappe, um dass alles hier zu überstehen.“<br />
Hand hielt.<br />
Hinter mir hörte ich, wie jemand das Zelt betrat. Es war Ellie, die eine Schüssel in der<br />
„Ich habe mir so was schon gedacht, darum habe ich eine kräftige Suppe vorbereitet.<br />
Es wäre gut, wenn er sie Essen würde.“, sagte die blonde Frau besorgt.<br />
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widerte ich.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Danke, vielen Dank. Ich werde sie schon irgendwie in ihn hinein bekommen.“, er-<br />
Ellie nickte, drehte sich schweigend herum und verließ leise das Zelt. Ich holte von<br />
einem der anderen Betten ein zusätzliches Kissen und stopfte es Jim unter den Kopf. Dann<br />
füllte ich ein wenig der Suppe in einen Becher um und hielt diesen an Jims Lippen. Ganz<br />
langsam ließ ich die kräftige Nahrung in seinen Mund laufen und wieder machte er auto-<br />
matisch Schluckbewegungen. So gelang es mir, nach und nach die ganze Schüssel voll in ihn<br />
hinein zu bekommen. Unendlich erleichtert atmete ich auf. Das war mehr als wichtig ge-<br />
wesen. Ich zog das zweite Kissen unter seinem Kopf hervor und legte es wieder auf das<br />
andere Bett. Noch einmal gab ich ihm Wasser und dann legte ich <strong>mich</strong> neben ihn. Ich stützte<br />
<strong>mich</strong> auf meinen rechten Arm und sah Jim an. Ganz sanft und zärtlich strichen meine Finger<br />
über sein Gesicht. Eng kuschelte ich <strong>mich</strong> an ihn, sicher, sofort zu spüren, wenn etwas sein<br />
sollte. Meine Augen fielen mir erschöpft zu und ich schlief tief und fest ein.<br />
Als ich vielleicht zwei Stunden später wieder aufwachte, waren wir immer noch<br />
alleine im Zelt. Die anderen Betten waren verschwunden, scheinbar gönnte man es uns,<br />
alleine zu sein. Ich erhob <strong>mich</strong> und gab als erstes Jim wieder Wasser. Dann tastete ich nach<br />
seinem Puls, der bereits wieder deutlich kräftiger schlug. Ich schob ihm sanft das linke<br />
Augenlid hoch und überprüfte so die Reaktion seine Pupille. Sie verengte sich normal und ich<br />
atmete erleichtert auf. Er war eindeutig auf dem Wege der Besserung. Ich setzte <strong>mich</strong> wieder<br />
zu ihm auf das Bett und nahm seine Linke in meine Hände. Leise sagte ich:<br />
„Hey, du. Ich bin es, Kelly. Es wäre nicht schlecht, wenn du langsam mal aufwachen<br />
könntest. Ich warte auf dich. Lass <strong>mich</strong> nicht zu lange warten, bitte.“<br />
So saß ich Stunde um Stunde bei ihm. Irgendwann kam Diane zu uns und brachte eine<br />
neue Schüssel mit Suppe für Jim, die ich ihm wieder vorsichtig und langsam, Schluck für<br />
Schluck zu Trinken gab. Draußen wurde es dunkel und ich entzündete die Gaslampe, die auf<br />
dem Tisch stand. Sie spendete genug Helligkeit, um Jims Gesicht aus der Dunkelheit im Zelt<br />
zu reißen. Irgendwann konnte ich die Augen vor Müdigkeit nicht mehr offen halten und legte<br />
<strong>mich</strong> erneut zu Jim auf das Bett. Ich legte den Arm über seinen Körper und schlief Minuten<br />
später bereits ein.<br />
Wach wurde ich davon, dass es warm und hell im Zelt war. Die Sonne war draußen<br />
aufgegangen und ich vernahm auch Stimmen, die zu uns herein schallten. Viele Stimmen.<br />
Scheinbar waren die anderen Suchtrupps auch inzwischen zurückgekehrt. Mein erster Blick<br />
galt Jim, der noch immer schlief. Aber er sah nicht mehr so schlecht aus und hatte wieder<br />
Farbe im Gesicht. Ich erhob <strong>mich</strong> vorsichtig und streckte <strong>mich</strong>. Nachdem ich ein paar<br />
Stunden wirklich tief geschlafen hatte, fühlte ich <strong>mich</strong> selbst erheblich besser. Auf dem Tisch<br />
stand eine inzwischen kalt gewordene Tasse Kaffee. Ohne zu Zögern trank ich sie aus. Dann<br />
schöpfte ich aus der Waschschüssel in der Ecke Wasser in mein Gesicht. Schließlich setzte<br />
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Frauke Feind<br />
ich <strong>mich</strong> wieder zu Jim auf das Bett. Ich wollte ihn nicht eine Sekunde alleine lassen. Die Zeit<br />
tickte langsam dahin und dann plötzlich sah ich seine Lider zucken. Ich hielt die ganze Zeit<br />
seine Hand und merkte, dass auch sie leicht zuckte. Ich strich ihm mit der anderen Hand sanft<br />
über die Haare und wartete. Und endlich schlug er langsam und schwerfällig die Augen auf.<br />
Einen kurzen Moment irrten sie orientierungslos herum, dann richteten sie sich auf <strong>mich</strong> und<br />
er schluckte schwer. Er sagte leise:<br />
„Kelly ...“<br />
Ich streichelte ihm sanft über die Wange und erwiderte liebevoll:<br />
„Ja, ich bin bei dir.“<br />
Er schluckte erneut und stieß verzweifelt hervor:<br />
„Es tut mir so leid ...“ Er sah <strong>mich</strong> an und in seinen Augen erkannte ich nackte Angst.<br />
„Du ... musst <strong>mich</strong> doch hassen ...“<br />
Ich schüttelte erschüttert den Kopf.<br />
„Blödsinn! Ich werde dich niemals hassen, Jim. Du hast ...“<br />
„Ich bin wegen ner Anderen heulend aus dem Lager gerannt und hab dich sitzen lassen<br />
...“, stieß er heftig hervor.<br />
nichts.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Na und? Du warst erschüttert, das ist doch kein Grund, dich zu hassen.“<br />
Er schloss die Augen und seufzte unglücklich.<br />
„Du musstest meinetwegen ... so viel Angst haben ...“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, die hatte ich, Baby, ich bin fast verrückt geworden. Aber dafür kannst du doch<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und erwiderte heftig:<br />
„Natürlich! Ich hab <strong>mich</strong> benommen wie der letzte Idiot. Abzuhauen in den Dschungel<br />
... Wenn ich nicht so verblödet gewesen wär, wär das nicht passiert.“<br />
Er drehte den Kopf zur Seite. Ruhig antwortete ich:<br />
„Wir alle machen mal etwas vollkommen blödes, da bildest du keine rühmliche Aus-<br />
nahme, okay? Du hast einen Fehler gemacht. Na und? Was wäre ich für eine Partnerin, wenn<br />
ich dich dafür gleich hassen würde. Jim, ich weiß nicht, ob du überhaupt kapierst, wie sehr ich<br />
dich liebe!“<br />
Er sah wieder zu mir und knurrte:<br />
„Das ist n Fehler! Jag <strong>mich</strong> zum Teufel, solange du es noch kannst.“<br />
Ich spürte langsam auch Ärger in mir aufsteigen.<br />
„Hör mir mal zu, okay! Ich mag es nicht, wenn du dich selbst so dermaßen schlecht<br />
machst. Das bist du nämlich nicht. Begreife das endlich. Jeder macht Fehler! Ich hätte dich<br />
aufhalten oder dir sofort nachgehen müssen, so angeschlagen, wie du gewesen bist. Ich hätte<br />
dich niemals einfach so weggehen lassen dürfen. Aber ich fand es ja wichtiger, mein an-<br />
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Frauke Feind<br />
geschlagenes Ego zu Pflegen. Ich habe also auch einen riesigen Fehler gemacht. Dass dir das<br />
passiert ist, ist genauso auch meine Schuld. Ich hätte es verhindern können!“<br />
„Red keinen Quatsch.“, stieß Jim heftig hervor. „Du hast nun wirklich keine Schuld.“<br />
„Oh doch. Ich habe gesehen, wie erschüttert du warst. Ich hätte dich niemals alleine in<br />
den Dschungel laufen lassen dürfen.“<br />
Er konnte es offensichtlich nicht fassen, dass ich mir wirklich Vorwürfe dafür machten<br />
und fragte leise:<br />
„Du meinst das ernst, oder?“<br />
Unter Tränen nickte ich.<br />
„Natürlich meine ich das ernst. Ich war egoistisch und habe <strong>mich</strong> lieber selbst be-<br />
mitleidet, statt dir zu helfen.“<br />
Erschüttert tastete er nach meiner linken Hand.<br />
„Hey, rede doch keinen Stuss. Das ist doch nicht deine Schuld.“<br />
Er setzte sich vorsichtig auf und schwang die Beine vom Bett. Dann zog er <strong>mich</strong> an<br />
sich. Und ich klammerte <strong>mich</strong> aufschluchzend an ihn und schwor mir, diesmal ernst zu<br />
machen und ihn nie wieder los zu lassen. Lange saßen wir so zusammen, eng umschlungen,<br />
und versuchten beide, uns wieder zu fangen. Schließlich sagte Jim leise:<br />
„Du bist mir nicht böse?“<br />
Ich schüttelte heftig den Kopf.<br />
„Natürlich nicht!“<br />
Er sah <strong>mich</strong> einen Moment lang an, zog <strong>mich</strong> fester an sich und gab mir einen Kuss.<br />
Und dann noch einen und noch einen ... Schließlich erklärte er:<br />
„Kelly, ich liebe dich. Als ich da unten alleine hockte, warst du das Einzige, was <strong>mich</strong><br />
angetrieben hat, nicht aufzugeben.“<br />
Kurz zögerte er, dann biss er sich auf die Lippe und sagte ruhig:<br />
„Ich hab Juliet gesehen. Sie stand plötzlich vor mir und hat ... Sie sagte mir, dass ich<br />
nicht gelähmt wäre, sondern ...“<br />
Ich erschrak zutiefst.<br />
„Gelähmt?“: keuchte ich entsetzt.<br />
Er nickte.<br />
„Ja, als ich nach dem Sturz unten zu mir kam, konnte ich meine Beine nicht mehr be-<br />
wegen. Ich dachte, ich dreh durch, Kelly. Ich hab noch nie solche Angst gehabt! Ich ... Ich<br />
wollte tot sein, verstehst du? Und dann war plötzlich Jules da und sagte, es wäre keine<br />
Lähmung, ich hätte nur ne Prellung, die diese Lähmungserscheinungen hervorruft. Sie hat ...<br />
Sie sagte, ihr ginge es gut und ich solle mir keine Sorgen um sie machen.“<br />
Ich starrte Jim fassungslos an.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich habe sie auch gesehen. In der Nacht, im Dschungel. Sie hat <strong>mich</strong> zu dem Loch<br />
geführt! Was geht hier nur vor?“<br />
Jetzt starrte Jim <strong>mich</strong> an, als hätte ich ihm erklärt, der Mann im Mond wäre zum<br />
Kaffee vorbei gekommen.<br />
„Du auch? Ich begreif das alles nicht. Sie muss doch tot sein. Sie ist in den Schacht<br />
gestürzt, was weiß ich, bestimmt zwanzig Meter tief. Wie kann sie da ...“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Ich weiß es auch nicht. Sie war es jedenfalls. Wir sollten nicht hinterfragen, wie das<br />
möglich ist, sondern uns freuen, dass es passiert ist.“<br />
Langsam nickte er.<br />
„Dann hast du <strong>mich</strong> also nur deswegen gefunden? Weil Jules dir geholfen hat?“<br />
Ich nickte.<br />
„Aber ich hätte auch sonst weiter gesucht, allerdings wäre es dann zu spät gewesen.“<br />
Ich angelte nach der Wasserflasche auf dem Tisch und reichte sie Jim.<br />
überhaupt?“<br />
„Hier, du musst viel Trinken, du warst vollkommen dehydriert. Wie fühlst du dich<br />
Er nahm einige große Schlucke und sagte dann:<br />
„Gut soweit. Bisschen matschig, aber das gibt sich, wenn ich was im Magen hab.<br />
Für‟n gutes Frühstück würd ich einiges geben.“<br />
Ich stand auf und fragte:<br />
„Kannst du aufstehen?“<br />
Er nickte.<br />
„Und ob.“<br />
Langsam stemmte er sich auf die Füße und sah sich suchend um.<br />
„Meine Klamotten?“<br />
Ich reichte sie ihm.<br />
„Hier. Zieh dich an, dann werden wir dir etwas zu Essen besorgen.“<br />
Jim schlüpfte in Jeans und ein neues Hemd, dass jemand für ihn bereit gelegt hatte,<br />
dann zog er seine Stiefel an. Noch einmal zog er <strong>mich</strong> an sich und sagte leise:<br />
„Wenn ich son Blödsinn noch mal versuch, erschieß <strong>mich</strong>, okay?“<br />
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und erwiderte ebenso leise:<br />
„Ich glaube nicht. Aber ich werde dich nie wieder allein in den Dschungel lassen,<br />
Finde dich damit ab, dass du von jetzt an einen Bluthund der übelsten Sorte an den Hacken<br />
hast.“ Erstmals, seit er aufgewacht war, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.<br />
„Ist das n Versprechen?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein. Ein Schwur!“<br />
„Noch besser. Kelly, es tut mir wirklich alles unglaublich leid, verstehst du?“<br />
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Ich nickte und erwiderte ernst:<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, das weiß ich, so wie mir. Aber lass uns das vergessen, okay? Wir haben beide<br />
Fehler gemacht, wir sind nur Menschen. Und Menschen machen Fehler. Aber ich möchte dich<br />
um eines bitten: Versprich mir, dass du dich nie wieder so ... so schlecht machst. Ich kann das<br />
nicht ertragen. Du bist für <strong>mich</strong> das Beste, was mir je passiert ist und wenn du dich dermaßen<br />
selbst zerfleischt und nieder machst, zerreißt es mir das Herz. Du bist mehr wert als die<br />
meisten anderen Menschen die ich kenne zusammen. Du hast es wirklich nicht nötig, dich so<br />
zu verachten.“<br />
Zelt.<br />
Er hatte mir bestürzt zugehört und nickte langsam.<br />
„Ich werd‟s versuchen, okay? Das versprech ich dir.“<br />
Wir küssten uns noch einmal leidenschaftlich, dann verließen wir Arm in Arm das<br />
Draußen wurden wir interessiert gemustert und zum Teil mit einem freundlichen<br />
Nicken begrüßt. Kate, Sayid und Jack entdeckten wir vor dem Krankenzelt und sie winkten<br />
uns zu sich. Vor ihnen stand ein Campingtisch, auf dem Kannen mit Kaffee, Tassen und<br />
etwas zu Essen standen. Als wir zu ihnen traten, stand Kate auf und umarmte Jim erfreut.<br />
Dann grinste sie.<br />
„Und du wunderst dich ernsthaft, dass Kelly das Gefühl hat, du müsstest ständig einen<br />
Arzt im Gepäck haben?“<br />
Jack grinste und begrüßte Jim mit den Worten:<br />
„Na, wie fühlst du dich?“<br />
Sayid nickte nur und meinte:<br />
„Gut, dich wieder auf den Beinen zu sehen, Sawyer.“<br />
Ein wenig verlegen ließ Jim sich in einen freien Stuhl fallen und erklärte todernst:<br />
„Mir geht‟s gut, ihr braucht euch um <strong>mich</strong> keinen Kopf machen …“<br />
Dann wurde ihm die Absurdität seiner Worte selbst bewusst und er fing an zu Lachen.<br />
„Na klar, um dich doch nicht.“, stimmte Jack lang gezogen zu.<br />
Ich fing ebenfalls an zu Kichern und schließlich lachten wir alle.<br />
„Wo du auch so gar nicht zu Unfällen neigst …“, stieß Kate atemlos hervor.<br />
„Genau. Du bist doch derjenige von uns, der die wenigstens Probleme hat.“, meinte<br />
Sayid todernst.<br />
Und ich setzte noch einen drauf, in dem ich sagte:<br />
„Eben. Jeder andere hier war schon öfter verletzt als du.“<br />
Jim grinste.<br />
„Sag ich doch. Um <strong>mich</strong> braucht man sich nun wirklich keine Sorgen zu machen.“<br />
Er biss in ein Stück kaltes Fleisch und trank einen Schluck Kaffee dazu. Wir ließen<br />
ihm die Zeit, in aller Ruhe etwas zu sich zu nehmen, dann aber fragte Jack:<br />
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Frauke Feind<br />
„Was ist nun wirklich passiert? Richard meinte nur, sie hätten dich in einer Höhle ge-<br />
funden.“ Jim seufzte. „Naja, da war son beschissenes Loch im Boden und in das bin ich natür-<br />
lich zielstrebig reingefallen. Bin wohl ne Weile weg gewesen und als ich wieder zu mir kam<br />
…“<br />
Er musste tief einatmen, dann erst konnte er weiter Sprechen.<br />
„… konnte ich meine Beine nicht bewegen.“<br />
„Oh, Gott! Wie das?“, fragte Kate erschrocken.<br />
„Hatte mir heftig die Wirbelsäule geprellt und nen dicken Bluterguss, der wohl auf die<br />
Nerven gedrückt hat.“<br />
Er sah Jack an.<br />
„Du bist hier der Knochenspezialist.“<br />
Jack nickte.<br />
„Ja, das kann nach Stürzen passieren, ist meistens nicht von langer Dauer.“<br />
Jim nickte.<br />
„Naja, mir hat‟s gereicht. Ich lag da zwei Tage gelähmt rum, weißt du. Lustig war das<br />
nicht. Absolut dunkel, bewegungsunfähig, hab <strong>mich</strong> wie auf nem Opfertisch gefesselt gefühlt.<br />
Dann merkte ich, dass das Gefühl in den Beinen zurückkehrte. Irgendwann hab ich <strong>mich</strong> auf<br />
die Socken gemacht, um nen anderen Ausgang zu finden.“<br />
Er stockte. Dann sagte er leise und langsam:<br />
„Ich hab da unten was entdeckt. Wir sollten mit Richard darüber reden.“<br />
„Was denn?“, wollte Sayid wissen.<br />
„Kann ich nicht genau sagen. Sah aus wie ein in der Felswand steckendes Rad, groß,<br />
mit Speichen. In ner Höhle am Ende eines Ganges. Das war schon seltsam, aber dass es in der<br />
Höhle eiskalt war, war noch merkwürdiger. So kalt, dass das Rad und die Wände mit ner<br />
dicken Eisschicht überzogen waren.“<br />
Wir starrten Jim an und schüttelten ungläubig den Kopf.<br />
„Das hast du dir nicht nur eingebildet?“, fragte Sayid vorsichtig.<br />
Jim schüttelte entschieden den Kopf.<br />
„Nein, glaub mir, hab ich nicht. Zusammengebrochen bin ich erst danach. Möchte<br />
wissen, was das ist.“<br />
Jack sah Jim an und meinte:<br />
„Wenn das stimmt, sollten wir wirklich mit Richard darüber sprechen. Vielleicht weiß<br />
er etwa darüber.“<br />
„Dann sollten wir das gleich machen.“, erklärte Sayid entschlossen und stand auf.<br />
Wir erhoben uns auch und machten uns gemeinsam auf die Suche nach dem Anführer.<br />
Schließlich entdeckten wir ihn unter seinem Baum.<br />
Wir traten zu ihm und Jim sagte:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Morgen. Wollte <strong>mich</strong> für die Rettung bedanken und … Hast du nen Moment Zeit?“<br />
Richard erwiderte den Gruß und nickte.<br />
„Natürlich, setzt euch, was kann ich für euch tun?“<br />
Wir ließen uns auf Stühle sinken und nun sagte Jim:<br />
„Als ich da unten rumgeirrt bin, hab ich was Seltsames entdeckt. Bin dem Gang, der<br />
von der Höhle weg führte, bis zum Ende gefolgt. Er endet in ner anderen, kleinen Höhle. Und<br />
dort hab ich ne … Maschine, oder wenigstens nen Teil davon gefunden. Maschine ist<br />
vielleicht auch nicht der richtige Ausdruck, es war n Rad, das aus ner gemauerten Spalte in<br />
der Felswand ragt. Die Höhle ist fast komplett mit Eis überzogen, war mörderisch kalt da<br />
unten. Kannst du da was mit anfangen?“<br />
Richard hatte aufmerksam zugehört. Jetzt spiegelte sich auf seinem Gesicht die gleiche<br />
Frage wie vorhin bei Sayid. Hatte Jim sich das alles vielleicht nur eingebildet? Geschwächt,<br />
dehydriert, verängstigt, verzweifelt … Da konnte einem die Fantasie schon mal Streiche<br />
spielen. Jim spürte die Zweifel und schüttelte den Kopf.<br />
„Vergiss es, ich hab mir das nicht eingebildet.“<br />
Richard nickte ruhig.<br />
„Dann werden wir uns das gemeinsam anschauen. Fühlst du dich …“<br />
Jim unterbrach ihn.<br />
„Auf jedem Fall, mir geht‟s gut.“<br />
„In Ordnung. Dann werde ich eine Gruppe zusammenstellen. Wie weit bist du von der<br />
Höhle aus wieder zurückgegangen?“<br />
Jim zuckte die Schultern.<br />
„Keine Ahnung, ehrlich, ich bin da nur wieder raus, weil ich sonst erfroren wäre. Wie<br />
weit ich es nach der Schlappe noch geschafft hab, weiß ich nicht.“<br />
Richard überlegte.<br />
„Gut, wir werden uns auf vier Tage einrichten, dass sollten wir schaffen.“<br />
Er stand auf und erklärte:<br />
„Wir brechen in einer Stunde auf, haltet euch bereit.“<br />
Wir erhoben uns ebenfalls und schlenderten zusammen zu unserem Zelt hinüber. Viel<br />
einpacken konnten wir ja nicht, da wir nichts besaßen. Aber schon kurze Zeit später kam<br />
Diane zu uns und hatte Wasserflaschen, trockenes Fleisch, ebenfalls getrocknetes Obst und<br />
auch für Jim einen Rucksack bei sich.<br />
„Hier, das werdet ihr brauchen.“<br />
Sie reichte uns die Sachen und wir bedankten uns. Dann packten auch wir unsere<br />
Rucksäcke. Ich zog Jim mit mir ins Zelt und fragte ihn dort:<br />
„Bist du sicher, dass du es schaffst?“<br />
Er nickte.<br />
„Auf jedem Fall. Mir geht‟s gut, wirklich.“<br />
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Ich seufzte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Gut, wenn du das sagst, muss ich es dir glauben. Wenn etwas ist, versprich mir, dass<br />
du Bescheid sagst, okay?“<br />
werden.“<br />
Er lächelte <strong>mich</strong> verliebt an und nickte.<br />
„Versprech ich.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und ich schlang ihm die Arme um die Taille.<br />
„Viel lieber hätte ich ja ne ungestörte Nacht mit dir, aber was nicht ist, kann ja noch<br />
Seine Hände verirrten sich unter mein T-Shirt und er grinste anzüglich.<br />
„Das werden wir nachholen. Das Rad ist vielleicht etwas Wichtiges. Wir sollten es auf<br />
jedem Fall untersuchen.“<br />
auf.“<br />
Er nickte etwas genervt.<br />
„Ja, scheinbar ist immer was wichtiger als wir. Aber ich geb die Hoffnung ja nicht<br />
Seine Hände glitten über meine nackte Haut und ich erschauderte wohlig. Ich ließ<br />
meine eigenen Hände auch unter sein Shirt rutschen und streichelte ihn sanft.<br />
hervor.<br />
„Mach so weiter und ich pfeif auf das dämliche Rad …“, stieß er ein wenig atemlos<br />
Sofort nahm ich ihn beim Wort und ließ meine Hände sanft in den Bund seiner Jeans<br />
gleiten. Sie war ihm zu weit und so hatte ich keine Probleme, hinein zu kommen. Ich schob<br />
sie tiefer bis zu seinem Po und er keuchte leise auf.<br />
„Du bist gemein …“<br />
Ich lachte.<br />
„Ich weiß. Später, ja?“<br />
Ich zog die Hände zurück und Jim stieß ein enttäuschtes Seufzen aus.<br />
„Ja, später.“<br />
Das klang wie ein Schwur.<br />
Etwas wehmütig traten wir wieder hinaus in die Sonne. Minuten später schon kam<br />
Richard zusammen mit Ellie, Tim, Charly und einem mir noch unbekannten Mann zu uns.<br />
„Das ist Mark, er ist Physiker. Er wird uns begleiten. Seid ihr soweit?“<br />
Wir nickten.<br />
„Ja, es kann losgehen.“<br />
Wir schulterten die Rucksäcke und marschierten los, abermals in den dichten<br />
Dschungel hinein. Es war warm und drückend und ein Gespräch wollte nicht aufkommen, zu<br />
sehr hatten wir alle mit der Wärme zu kämpfen. Nach vielleicht vier Stunden hatten wir das<br />
Loch erreicht. Jim verzog das Gesicht, als er es sah und ihm lief eine Gänsehaut über den<br />
Rücken. Ich trat zu ihm und legte ihm sanft einen Arm um die Taille.<br />
„Hey, alles in Ordnung?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er zuckte zusammen und sagte ein wenig zu schnell:<br />
„Jepp. Alles klar bei mir.“<br />
Ich sah ihn an und sagte ruhig:<br />
„Du bist diesmal nicht alleine und nicht verletzt. Deine gute Fee ist bei dir.“<br />
Er lächelte. Dann beugte er sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr:<br />
„Du bist mein Licht in der Dunkelheit, die Luft, die ich zum Atmen brauche und der<br />
Grund für <strong>mich</strong> zu leben.“<br />
steigen.“<br />
erledigen.“<br />
Er stutzte, dann lachte er leise.<br />
„Hab ich mal irgendwo gelesen. Klingt furchtbar schmalzig.“<br />
Ich lachte ebenfalls.<br />
„Ja, aber auch wunderschön. Ich kann das nur zurückgeben.“<br />
Sayid hatte uns beobachtet und meinte ironisch:<br />
„Wenn ihr Beiden mit Turteln fertig seid, können wir vielleicht in die Höhle ein-<br />
Jim drehte sich zu ihm herum und sagte frech:<br />
„Geht doch schon mal vor, wir kommen nach, haben noch was Wichtiges zu<br />
Ich gab ihm einen sanften Boxhieb gegen den Arm und er legte den Kopf auf die<br />
Seite, grinste und fragte:<br />
„Was denn? Etwa nicht?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, Mister, wir müssen jetzt da runter.“<br />
Er seufzte schwer.<br />
„Spielverderberin. Na gut, dann bringen wir es besser sofort hinter uns.“<br />
Wir knoteten einige Seile zusammen und befestigten ein Ende an einem Baum. Den<br />
Rest warfen wir in das finstere Loch unter uns. Als wir nacheinander in die Tiefe kletterten,<br />
lief mir ein Schauer über den Rücken. Gerne stieg ich nicht wieder hier hinunter. Als wir alle<br />
am Grunde der Höhle standen und Fackeln in den Händen hielten, sagte Richard:<br />
„So, dann wollen wir mal. Jim, kannst du noch eine Weile?“<br />
Jim verzog das Gesicht.<br />
„Um hier schnell wieder raus zu kommen, kann ich noch ne ganze Weile, glaub mir.“<br />
So setzten wir uns also langsam und vorsichtig in Bewegung. Bergab ging es leicht und wir<br />
kamen gut voran. Mark meinte irgendwann:<br />
„<strong>Der</strong> Gang ist nicht natürlichen Ursprungs, oder was meint ihr?“<br />
Sayid stimmte ihm zu.<br />
„Richtig. Es sieht künstlich angelegt aus, zu ebener Boden und die Wände sind auch<br />
sehr sauber und glatt. Da hat sich jemand richtig Mühe gegeben.“<br />
Nachdem wir gute fünf Stunden gelaufen waren, meinte Richard:<br />
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Frauke Feind<br />
„Wir sollten Schluss machen für heute. <strong>Der</strong> Rückweg wird erheblich anstrengender<br />
und wir sollten uns nicht verausgaben.“<br />
Erleichtert ließen wir uns auf den Boden sinken und steckten die Fackeln in den er-<br />
staunlich weichen Boden. Er war nicht aus Fels, scheinbar war nachträglich Erde herein ge-<br />
schafft worden. Ich lehnte <strong>mich</strong> an die Wand und Jim lag so schnell mit dem Kopf auf meinen<br />
Oberschenkeln, dass ich keine Chance mehr hatte, ihm dies auszureden. Nicht, dass ich es<br />
getan hätte.<br />
Wir kauten auf Fleisch und Obst herum und unterhielten uns leise. Die Dunkelheit um<br />
uns herum war bedrückend, trotz der Fackeln und ich fragte <strong>mich</strong> unwillkürlich, wie Jim sich<br />
hier in vollkommener Dunkelheit, alleine, halb verdurstet, verletzt und ohne Hoffnung gefühlt<br />
haben musste. Unwillkürlich traten mir Tränen in die Augen und ich legte ihm meine Hand<br />
auf die Brust.<br />
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich besorgt.<br />
„Ja, Sheena, mir geht‟s gut. Wie sieht‟s bei dir aus?“<br />
Ich schluckte.<br />
„Ich versuche mir gerade nicht vorzustellen, wie du dich gefühlt haben musst.“<br />
Ich spürte augenblicklich, wie sein Herzschlag sich beschleunigte und er leicht zitterte.<br />
„Nicht so toll, geb ich zu. War n Scheißgefühl.“<br />
Seine Rechte verirrte sich auf meine Hand und drückte diese sanft.<br />
„Bin froh, dass ich nicht wieder alleine und ohne Licht hier rumstolpern muss.“<br />
Mein Herz krampfte sich vor Mitgefühl zusammen.<br />
„Wenn du nicht wieder mal den Drang verspürst, abzuhauen, musste du nie wieder<br />
alleine sein, das schwöre ich dir.“, flüsterte ich so leise, dass nur Jim es hören konnte.<br />
Dankbar drückte er meine Hand.<br />
„Ich werd dich beim Wort nehmen.“, antwortete er ebenso leise.<br />
Ich seufzte bedrückt. So gerne wäre ich mir ihm irgendwo alleine gewesen, hätte ihm<br />
so gerne geholfen, die letzten Tage schnell zu vergessen. Aber das war nun leider im Moment<br />
nicht möglich und ich musste <strong>mich</strong> damit abfinden. Müde erklärte ich:<br />
„Lass <strong>mich</strong> mal bitte hoch, ich möchte <strong>mich</strong> auch hinlegen.“<br />
Enttäuscht hob er den Kopf und ließ <strong>mich</strong> unter sich hervor schlüpfen. Ich streckte<br />
<strong>mich</strong> neben ihm auf den Boden aus und wir versuchten, es uns so bequem wie möglich zu<br />
machen. Jim zog meinen Kopf auf seine Brust und so lag ich halbwegs gut.<br />
Es gelang uns ziemlich schnell, einzuschlafen. Irgendwann wachte ich davon auf, dass<br />
Jims Herz wild klopfte. Erschrocken fuhr ich hoch. Um uns herrschte absolute Dunkelheit,<br />
scheinbar waren die Fackeln heruntergebrannt. Jim war aufgewacht und hatte sich in dieser<br />
totalen Finsternis wieder gefunden. Er versuchte zwar, ruhig zu bleiben, konnte aber nicht<br />
verhindern, dass sein Herz wild zu Pochen begann. Und dies spürte ich. Leise sagte ich:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Alles in Ordnung, es sind nur die Fackeln, die sind heruntergebrannt.“<br />
Er atmete schnell und flach und flüsterte:<br />
„Ist mir klar. Aber diese Dunkelheit macht <strong>mich</strong> fertig. Du hast keine Vorstellung, wie<br />
entsetzlich das war. Du hast ständig das Gefühl, etwas schleicht um dich rum, hörst Ge-<br />
räusche, die es nicht gibt, hast sogar das Gefühl, Schatten huschen zu sehen. Ich bin wirklich<br />
kein Feigling, aber das möcht ich nicht noch mal erleben müssen.“<br />
„Glaube ich dir.“<br />
Ich zog ihn eng an <strong>mich</strong> und sagte:<br />
„Komm, mach die Augen zu, dann siehst du nicht, wie dunkel es ist. Du fühlst und<br />
hörst nur <strong>mich</strong>, okay?“<br />
Ich spürte, wie sein Kopf auf meiner linken Schulter zur Ruhe kam und konnte fühlen,<br />
wie er langsam wieder entspannte. Sehr leise sagte er:<br />
„Weißt du, bei dir hab ich nie das Gefühl, <strong>mich</strong> für irgendwas schämen zu müssen. Du<br />
akzeptierst so kommentarlos all meine … Empfindungen, Schwächen und Gefühle, es ist un-<br />
glaublich. Kate hat <strong>mich</strong> immer aufgezogen, wenn ich mal versucht hab, <strong>mich</strong> ihr zu öffnen.<br />
Darum hab ich‟s irgendwann gelassen.“<br />
Ich spielte sanft mit seinen Haaren und erklärte:<br />
„Jim, du bist doch kein gefühlloser Superheld. Wir alle haben vor irgendwas Angst,<br />
der eine mehr, der andere weniger. Aber sicher ist davor niemand. Wenn du wüsstest was mir<br />
alles Angst macht. Und meine allergrößte Angst ist, dass dir etwas zustößt. Weißt du, ich war<br />
vorher mit einem Mann zusammen, der seine Gefühle nie gezeigt hat. Er hielt sich für den<br />
Größten deswegen. Dachte, ich würde ihn auch für einen ganzen Mann halten, wenn er keine<br />
Emotionen zeigt. Ich wusste nie, woran ich war. Das war schlimm. Er gab sich immer cool<br />
und überlegen. Zu Anfang fand ich es bedingt ja noch halbwegs in Ordnung, irgendwann<br />
ödete es <strong>mich</strong> nur noch maßlos an. Eines schönen Tages erklärte ich ihm, dass er sich eine<br />
andere Frau suchen könnte. Da hat er dann plötzlich Gefühle gezeigt! Und was für welche. Er<br />
rastete vollkommen aus, schrie <strong>mich</strong> an, wie ich dazu kommen würde, zu denken, ich könne<br />
mit ihm Schluss machen. Ich erklärte ihm, dass ich ihn für einen Idioten hielt. Daraufhin …“<br />
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme anfing zu Zittern. „Daraufhin fing er an,<br />
<strong>mich</strong> zu Schlagen.“<br />
Ich spürte, wie alles in Jim sich verkrampfte.<br />
„Was?“<br />
Ich nickte in der Dunkelheit und fuhr fort.<br />
„Ja, er schlug <strong>mich</strong> windelweich. Ich versuchte, <strong>mich</strong> zu wehren und habe ihm mit<br />
aller Kraft zwischen die Beine getreten. Dann wollte ich fliehen, doch der Dreckskerl erholte<br />
sich schneller als ich gedacht hatte. Er rappelte sich auf die Beine und ging mit einem Messer<br />
auf <strong>mich</strong> los.“<br />
Ich zitterte am ganzen Leib. Und Jim bebte vor Wut.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Zum Glück hatten meine Nachbarn den Krach gehört und wollten nachschauen, was<br />
los war. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass er <strong>mich</strong> abstechen<br />
konnte.“<br />
Tränen liefen mir bei der Erinnerung daran über die Wangen und ich zitterte wie<br />
Espenlaub. Jim hatte <strong>mich</strong> fest in seine Arme genommen und so spürte ich ihn selbst zittern<br />
vor Wut.<br />
„Er ging mit dem Messer auf einen der Nachbarn los und verletzte diesen ziemlich<br />
schwer, dann gelang es endlich, ihn zu überwältigen. Die Polizei war informiert worden und<br />
nahm ihn fest. <strong>Der</strong> Nachbar und ich wurden nach Beckley ins Krankenhaus gebracht, mein Ex<br />
ins Gefängnis. Er sitzt jetzt fünfundzwanzig Jahre wegen schwerer Körperverletzung und ver-<br />
suchtem Mordes.“<br />
gut.<br />
Jims Hand strich mir beruhigend über den Rücken und seine Anteilnahme tat mir sehr<br />
„Ich habe zehn Tage im Krankenhaus gelegen, hatte eine Nieren- und eine Leber-<br />
quetschung, er hat mir nur in den Körper geschlagen, weißt du. Als ich entlassen wurde, habe<br />
ich <strong>mich</strong> sofort zu einem Karate- und einem Selbstverteidigungskurs angemeldet. Ich werde<br />
<strong>mich</strong> nie wieder wehrlos von einem Mann schlagen lassen, das habe ich mir geschworen.“<br />
umgebracht.“<br />
Leise sagte Jim:<br />
„<strong>Der</strong> Mistkerl kann sich freuen, dass er im Knast sitzt. Sonst hätte ich ihn gesucht und<br />
Ich beruhigte <strong>mich</strong> langsam und sagte leise:<br />
„Das ist er nicht wert.“<br />
Ich drückte <strong>mich</strong> noch enger an Jim und fuhr leise fort:<br />
„Und noch weniger ist er es wert, dass ich überhaupt noch einen Gedanken an ihn ver-<br />
schwende. Verstehst du, warum ich dich so sehr liebe? Du hast von Anfang an deine Gefühle<br />
nicht vor mir versteckt. Du hast mir ein Vertrauen entgegengebracht, das <strong>mich</strong> umgehauen<br />
hat. Du hast dich mir vorbehaltlos geöffnet. Und was das Wichtigste ist, in deiner Nähe fühle<br />
ich <strong>mich</strong> immer sicher und geborgen.“<br />
Jims Stimme klang in der Dunkelheit, als kämpfe er mit Tränen, als er antwortete:<br />
„Ich bring dir genauso viel Vertrauen entgegen wie ich von dir bekomm. Du hast mir<br />
sofort vertraut, als du noch gar nicht wusstest, wer oder was ich bin. Das hab ich auch noch<br />
nie kennen gelernt, weißt du. Jeder ist mir immer mit Misstrauen begegnet. Besonders die, die<br />
wussten, was ich mach. Ist klar. Wer vertraut schon nem Betrüger. Aber du hast es sogar noch<br />
gemacht, nachdem du alles erfahren hast. Das hat nie zuvor jemand getan. Und ehrlich, auf so<br />
viel Vertrauen kann man nur mit Gegenvertrauen antworten, ist so. Ich weiß genau, dass ich<br />
<strong>mich</strong> immer auf dich verlassen kann und dass kannst du auch.“<br />
„Ich weiß das. Und es gab auch nur einen Menschen, dem ich genauso vertraut habe.<br />
Meinem Großvater. Er ist fort, dafür habe ich jetzt dich.“<br />
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Frauke Feind<br />
Wir hatten nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war, während wir uns leise unter-<br />
hielten. Erst, als aus der Ecke von Jack und Kate ein verschlafenes:<br />
geredet hatten.<br />
„Hey, guten Morgen.“, kam, wurde uns bewusst, dass wir erheblich länger als geplant<br />
Seufzend mussten wir uns damit abfinden, dass die Schlafphase offensichtlich vorbei<br />
war. Nun wachten auch die Anderen auf. Als erstes zündeten wir neue Fackeln an, dann aßen<br />
wir in der deprimierenden Dunkelheit von unseren Vorräten.<br />
weit.“<br />
„Wie weit mag es noch sein?“, fragte Ellie an Jim gewandt.<br />
„Keine Ahnung. Hab dafür erheblich länger gebraucht. Ich denk, ist nicht mehr sehr<br />
Wir rappelten uns auf die Beine und es ging weiter.<br />
„Ich habe langsam das Gefühl, wir nähern uns dem Mittelpunkt der Erde.“, sagte Kate<br />
irgendwann. „Wenn ich daran denke, dass wir dass alles auch wieder hoch müssen, wird mir<br />
schlecht.“<br />
Richard lachte leise.<br />
„Ja, und wenn du dabei auch noch satte achtzig Kilo schleppst, weißt du erst so richtig,<br />
was du getan hast.“<br />
Jim knurrte irgendetwas, dass keiner von uns verstand. Ich kicherte.<br />
„Was war das gerade?“<br />
„Hab ich mir auch nicht ausgesucht, wie ein Kartoffelsack geschleppt zu werden.“<br />
„Dann pass in Zukunft einfach besser auf dich auf.“, schnaufte ich lachend.<br />
haft.“<br />
„Was, noch besser?“<br />
Jim lachte ebenfalls und zog <strong>mich</strong> an sich. Ich knuffte ihn in die Seite.<br />
„Ja, Meister, noch besser. Deine bisherigen Leistungen auf dem Gebiet waren mangel-<br />
„Und weniger ...“, grinste Kate.<br />
Richard, der vorweg ging, blieb plötzlich stehen.<br />
„Da vorne ist ein Lichtschein. Jim, ist es das?“<br />
Wir rückten auf und sahen uns den Lichtschein an. Jim nickte.<br />
hier nicht.“<br />
„Jepp, das muss es sein. N anderes Licht gab‟s<br />
Sehr vorsichtig gingen wir weiter und spürten<br />
nun auch die Eiseskälte, die uns aus der Höhle entgegen<br />
schlug. Wir nahmen unsere Rucksäcke ab und zogen<br />
Jacken hervor, die wir eingesteckt hatten. Dann gingen<br />
wir langsam weiter. Heller wurde das Licht und schließlich weitete sich der dunkle Gang in<br />
die kleine Höhle, die Jim erwähnt hatte. Vorsichtig traten wir ein. <strong>Der</strong> Boden war spiegelglatt<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
und fast hätte es <strong>mich</strong> hin gehauen. Im letzten Moment erwischte Jim <strong>mich</strong> und hielt <strong>mich</strong><br />
fest.<br />
grinste er.<br />
„Vorsichtig, Rena, wir sind hier doch nicht auf ner Schlittschuhbahn beim Paarlauf.“,<br />
Nachdem ich wieder Fuß gefasst hatte, starrte ich, wie die Anderen, fassungslos auf<br />
das große Rad, das aus der leuchtenden Spalte in der Wand heraus ragte. Es war ringförmig<br />
mit acht Speichen, das nahmen wir jedenfalls an, denn vier davon ragten aus der Wand. An<br />
den Eis überzogenen Wänden erkannten wir altägyptische Hieroglyphen. Wir traten näher an<br />
das Rad heran. Es schien aus Holz zu sein und wurde von Metallbändern zusammen gehalten.<br />
Die ganze Konstruktion implizierte ein hohes Alter.<br />
Aufmerksam sahen wir uns dieses Rad an und versuchten auch, in der Spalte, in der es<br />
steckte, etwas zu sehen. Doch dort war nur das helle Licht zu erkennen, das uns so stark<br />
blendete, dass niemand von uns länger als ein paar Sekunden hinein schauen konnte.<br />
„Nichts zu erkennen.“, meinte Sayid und griff probehalber nach einer der Speichen.<br />
Er drückte dagegen, aber das Rad war so schwer, oder so schwergängig, dass es sich<br />
nicht rührte. Dass es in Mauerwerk steckte, wie Jim gesagt hatte, stimmte nur zum Teil. Zwar<br />
waren Steine beschlagen und aufgeschichtet worden, aber sie waren nur übereinander gelegt<br />
worden und wurden von ihrem eigenen Gewicht, nicht von Verbundmaterial gehalten. Schon<br />
jetzt klapperten uns allen die Zähne aufeinander, mit der Kälte hier hatte Jim eher noch unter-<br />
trieben. Jack sagte langsam:<br />
„Das Ding hat einen gewisse Ähnlichkeit mit dem DHARMA-Cakra, das wir einige<br />
Male gesehen haben, findet ihr nicht auch?“<br />
Jim nickte zitternd.<br />
„Kann man sagen. Ja.“<br />
Plötzlich rief Kate, die sich in der kleinen Höhle umgesehen hatte:<br />
„Hey, kommt mal her. Hier ist eine Leiter.“<br />
So schnell es auf dem Eis möglich war, schlitterten wir zu ihr hinüber. Sie hatte Recht.<br />
Erst jetzt erkannten wir an einer Stelle der Wand eine hölzerne Leiter, mit Eis dick überzogen.<br />
„Wo mag die hinführen?“, fragte Ellie gespannt.<br />
„Denk mal, in die Orchidee. Oder was meint ihr?“<br />
Jim sah nach oben, wo sich die Sprossen in der Dunkelheit verloren. Richard und seine<br />
Leute sahen uns erstaunt an.<br />
„Was ist die Orchidee?“, fragte Tim.<br />
„Das ist die DHARMA-Station, von der aus Glupschauge und Lederstrumpf Zugang<br />
zu dem Mechanismus hatten, der die Zeitsprünge in Gange gesetzt hat.“<br />
Jim verzog das Gesicht.<br />
„Und wenn ich <strong>mich</strong> nicht irre, haben wir wohl diesen Mechanismus hier vor uns.“<br />
Richard sah Jim verwirrt an und Kate grinste.<br />
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Worte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ben Linus und John Locke, einer der mit uns abgestürzten.“, übersetzte sie Jims<br />
Dieser sah an der Leiter hoch und machte eine einladende Kopfbewegung.<br />
„Wie sieht‟s aus, Dr.Quinn, wollen wir mal die Kälte hier hinter uns lassen und nach-<br />
sehen, was da oben ist?“<br />
Dabei hielt er mir eine Hand entgegen. Ich nickte.<br />
„Klar, bevor wir uns hier noch wichtige Körperregionen erfrieren ...“<br />
Ich griff nach der Leiter und trat vorsichtig auf die unterste Sprosse. Es war höllisch<br />
glatt und ich krallte <strong>mich</strong> nervös fest, als ich höher stieg.<br />
„Sei vorsichtig!“, warnte Jim <strong>mich</strong> und behielt <strong>mich</strong> genau im Auge. „Ich fang dich<br />
auf, wenn was passiert.“<br />
Ich stieg höher und höher und dann war die Leiter zu Ende. <strong>Über</strong> mir war eine weiße<br />
Decke, die wie eine dünne Eisschicht aussah. „Geht mal ein paar Schritte zurück.“, rief ich<br />
nach unten und klopfte gegen das, was mir wie Eis aussah. Und ich hatte Recht. Als ich fester<br />
dagegen schlug, zerbröselte es und gab ein nahezu rundes Loch frei.<br />
„Hier ist eine weitere Leiter.“, gab ich nach unten weiter.<br />
Diese Leiter, ebenfalls aus Holz, war eisfrei und ich stieg die Sprossen empor. Die<br />
Leiter mündete in einem engen, niedrigen Gang.<br />
die Beste.“<br />
„Hier ist ein weiterer Gang.“, rief ich nach unten. „Passt auf, die Leiter ist nicht mehr<br />
Jim schickte sich an, mir zu folgen. Schon auf der dritten Sprosse knackte es und auf<br />
der fünften passierte es dann: Die Sprosse brach unter Jims Gewicht und er landete unsanft<br />
wieder am Boden, zwei weitere Sprossen dabei zerbrechend.<br />
„Vergiss es, ich schau <strong>mich</strong> hier kurz um, dann komme ich wieder runter.“, erklärte<br />
ich und turnte in den niedrigen, engen Gang hinein.<br />
Ich hatte eine Fackel mitgenommen und so konnte ich <strong>mich</strong> umschauen. <strong>Der</strong> Gang, in<br />
dem ich <strong>mich</strong> befand, war scheinbar natürlichen Ursprungs und mit kleinen und größeren<br />
spitzen Steinen übersät. Vorsichtig bewegte ich <strong>mich</strong> vorwärts. An einigen Stellen musste ich<br />
auf die Knie gehen. Und dann stand ich vor einer gemauerten Wand.<br />
„Kelly?“<br />
Ich hörte Jims Stimme besorgt zu mir dringen.<br />
„Ja, alles klar. Hier ist eine Mauer, es geht nicht weiter.“, rief ich zurück.<br />
Ich suchte mit Hilfe der Fackel die Mauer gründlich ab, in der Hoffnung, vielleicht<br />
einen Schalter oder Hebel zu finden, konnte jedoch nichts entdecken.<br />
„Verfluchter Mist.“<br />
Genervt sah ich <strong>mich</strong> um, doch es gab wirklich keine Möglichkeit, weiter zu kommen.<br />
„Ich komme wieder runter.“, rief ich also nach unten und machte <strong>mich</strong> auf den Rückweg.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Um beide Hände frei zu haben, warf ich die Fackel nach unten und stieg vorsichtig die<br />
Leitern herab. Dank Jim wurde der letzte Teil eine Rutschpartie, die in seinen Armen endete.<br />
„Hab ich doch gesagt, dass ich dich auffange, Félix Trombe.“, grinste er, als er <strong>mich</strong> zögernd<br />
absetzte.<br />
Ich meinte <strong>mich</strong> vage zu erinnern, über Trombe einmal in Bezug auf Höhlenforschung<br />
etwas gelesen zu haben und wunderte <strong>mich</strong> ein wenig, dass Jim ganz offensichtlich nicht nur<br />
mit Namen aus dem Fernsehen Bescheid wusste. Ich hatte <strong>mich</strong> schon vorhin gewundert, als<br />
er <strong>mich</strong> Rena nannte. Rena Inoue war nicht gerade ein Name, der in aller Munde war, auch,<br />
wenn sie zusammen mit ihrem Partner John Baldwin im Eiskunstlauf einige Erfolge zu ver-<br />
buchen hatte. Anscheinend konnte er meine Gedanken in meinem Gesicht lesen, denn er<br />
lachte leise.<br />
„Hab im Knast viel gelesen, Honey, und nicht nur dort.“<br />
Ich nickte verstehend. Dann erklärte ich:<br />
„Da oben ist eine stabile, gemauerte Wand, da kommen wir so nicht weiter.“<br />
Gemeinsam traten wir wieder an das Rad.<br />
„Sollen wir versuchen, es in Gange zu kriegen?“, fragte Charly gespannt.<br />
Richard überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.<br />
„Ich denke, wir sollten das lieber lassen, bis wir mehr darüber wissen, was das für ein<br />
Mechanismus ist.“<br />
hat.“<br />
Jim schnaufte.<br />
„Das wird die verdammte Zeitmaschine sein, die erst Ben und dann Locke bedient<br />
„Steht zu Vermuten. Aber da wir nicht wissen, was es auslöst, sollten wir die Finger<br />
davon lassen.“, meinte auch Ellie.<br />
„Gut, dann sind wir uns einig. Also, lasst uns Mary Byrd Land mal den Rücken<br />
kehren, ich erfriere.“, knurrte Jim zähneklappernd und wir stimmten nur zu gerne zu.<br />
Wir beeilten uns, in den Gang zurückzukehren und möglichst schnell bergan zu eilen,<br />
um die Kälte hinter uns zurück zu lassen. Zum Glück wurde uns bald wieder warm und<br />
schließlich konnten wir die Jacken ausziehen. Wir waren alle ziemlich erschöpft und be-<br />
schlossen, für heute Schluss zu machen. Müde machten wir es uns auf dem Boden gemütlich,<br />
wobei das natürlich blanker Hohn war, denn gemütlich war es nun wirklich nicht. Ich lehnte<br />
<strong>mich</strong> mit dem Rücken gegen die Wand und Jim nutzte natürlich sofort die sich bietende Ge-<br />
legenheit, <strong>mich</strong> wieder einmal als Kissen zu benutzen. Lächelnd ließ ich meine Finger durch<br />
seine Haare gleiten. Während wir dann auf unserem Trockenfleisch herum kauten, fragte Tim:<br />
„Wie wollen wir herausfinden, wie das Rad funktioniert?“<br />
Mark sinnierte:<br />
„Wenn es nach mir ginge, würde ich einfach einen Versuch starten.“<br />
- 215 -
Jim schnaufte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, und uns fliegen dann die Hirne auseinander. Hey, ich war dabei, als wir durch die<br />
Zeit gezappt sind, bis auf Daniel und Locke hatten wir alle schon Nasenbluten, Charlotte ist<br />
vor unseren Augen gestorben! Vorher hat sie sich aber geistig in Little Charlotte zurück ver-<br />
wandelt. Ich leg keinen gesteigerten Wert darauf, das wieder zu versuchen.“<br />
„Es wäre doch möglich, dass dieses Phänomen nur dadurch entstanden ist, dass das<br />
Rad sich verheddert hatte.“, warf Jack ein. „So habe ich das jedenfalls verstanden. Als Locke<br />
es erneut bewegt hat, hörte das doch auf, oder irre ich <strong>mich</strong>?“<br />
„Das nahmen wir an. Es gab noch einen letzten, überdimensionalen Flash, dann war es<br />
vorbei und wir hingen in 1974 fest. Aber wer sagt denn, dass das nicht wieder passiert, dann<br />
vielleicht irreparabel?“<br />
„Und wer sagt, dass es wieder passiert? Vielleicht gibt es auch nur einen Zeitsprung<br />
oder wir werden von der Insel geschafft?“, meinte Sayid ruhig.<br />
„Klar, Saddam, und wenn das passiert, hocken wir möglicherweise immer noch in der<br />
beschissenen Zeitschleife fest. Oder wir landen im Jurassic Park.“<br />
Jim warf Sayid einen giftigen Blick zu.<br />
„Das kann kaum sein, da ihr bereits einiges geändert habt.“, meinte Mark grübelnd.<br />
„Wenn es eine Möglichkeit gäbe, herauszufinden, wie man die Zeitsprünge steuern kann,<br />
könnten wir versuchen, euch in das Jahr 77 zu schaffen, damit ihr überprüfen könntet, ob der<br />
Supergau wirklich stattfindet.“<br />
„Ich hätte nichts dagegen, hier wieder zu verschwinden.“, meinte Kate. „Wie es aus-<br />
sieht, dürften wir den Gau ja bereits verhindert haben, da wir alle jetzt Bescheid wissen, was<br />
passieren wird. Also ist unsere Aufgabe erledigt, oder?“<br />
Ich sah Kate an und sagte dann:<br />
„Wenn das überhaupt die Aufgabe gewesen ist. Denn es scheint ja noch einiges mehr<br />
geschehen zu sein, dass auf diesen Vorfall basiert.“<br />
Jim sah zu mir auf und sagte dann leise:<br />
„Wenn es ne Möglichkeit gäbe, herauszufinden, was zum Beispiel bewirkt hat, warum<br />
ihr drei bei uns gelandet seid, zusammen mit Jabba. Und warum Sun, Locke und die Anderen<br />
nicht in der Flower Power Zeit landeten, sondern scheinbar in der Gegenwart der Insel ... Und<br />
warum man hier tote Leute sieht, würd <strong>mich</strong> auch interessieren. Irgendwie scheint die<br />
DHARMA Initiative ja auch ne große Rolle zu spielen. Eure Säuberungsaktion, Methusalem<br />
... Ihr werdet dabei über hundert Menschen killen.“<br />
Richard nickte langsam.<br />
„Scheinbar ist das doch auf den Befehl dieses Benjamin Linus entstanden. Da wir jetzt<br />
über ihn Bescheid wissen, sollte das alles auch zu verhindern sein.“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich weiß nicht, Daniel hat immer wieder darauf verwiesen, dass, was passiert ist,<br />
eben passiert ist. Er war der Meinung, man könne vielleicht die Umstände etwas verändern,<br />
aber nicht das Ereignis selber.“<br />
Mark hatte ruhig zugehört. Jetzt sagte er:<br />
„Die Diskussion über Zeitreisen ist schon sehr alt. Jeder Wissenschaftler oder Forscher<br />
denkt sicher ab und zu darüber nach. Obwohl physikalisch durch eine Ausnutzung der Zeit-<br />
dilatation ‟Reisen‟ in die Zukunft theoretisch möglich sind, gehören Zeitreisen im engeren<br />
Sinne der Science Fiction an, besonders wenn mittels Zeitmaschinen auch Reisen in die Ver-<br />
gangenheit bewerkstelligt werden sollen. Wenn wir hier tatsächlich etwas wie Zeitreisen<br />
machen können, wäre das die größte Entdeckung der Menschheit. Aber darauf wollte ich<br />
nicht hinaus. Die Debatten darüber, was einem Menschen theoretisch möglich wäre, könnte er<br />
in die Vergangenheit reisen, sind endlos. Manche denken, die Zukunft ließe sich ändern, wenn<br />
man in der Vergangenheit Veränderungen vornimmt, andere verwerfen diese Möglichkeit<br />
ganz. Euch von Gravitation, Relativitätstheorie, Raum-Zeit-Kontinuum, Raum-Zeit-<br />
Krümmung oder Zeitdilatation zu erzählen, würde voraussetzen, dass ihr Physiker seid.“<br />
Er sah uns an und fuhr dann fort:<br />
„Grundsätzlich würde ich sagen, wenn man an einem bestimmten Punkt in der Ver-<br />
gangenheit etwas verändert, muss das zwangsläufig auch zu einer veränderten Zukunft führen.<br />
Andere behaupten, man kann Dinge, die bereits geschehen sind, nicht verhindern, sondern nur<br />
verändern.“<br />
Hier unterbrach Jack den Physiker.<br />
„Das würde genau das belegen, was mit Charlie geschehen ist.“<br />
„Charlie?“, wollte Mark wissen.<br />
„Ein junger Mann, der mit uns zusammen den Absturz überlebte. Als die Swan-Station<br />
damals in die Luft flog, war ein Mann namens Desmond Hume, der vor der Insel Schiffbruch<br />
erlitten und von der DHARMA Initiative aufgenommen worden war, unmittelbar der<br />
elektromagnetischen Energie ausgesetzt. Er hatte danach Visionen der Zukunft, in denen er<br />
Charlie sterben sah. Jedes Mal auf eine andere Weise. Drei Mal verhinderte er dies, beim<br />
vierten Mal jedoch starb Charlie schließlich. Ergo, es wurde nicht verhindert, nur verändert.“<br />
Mark nickte.<br />
„Ja, der Zeitstrahl wurde abgewandelt, aber nicht das Endresultat völlig verhindert.<br />
Wenn es euch gelingen würde, oder sogar schon durch euer Erscheinen hier gelungen ist, den<br />
Zeitstrahl, auf dem ihr euch befindet, zu verändern, kann es durchaus sein, dass etwas ganz<br />
anderes geschehen wird, dass einen ebenso großen, wenn auch anderen Effekt hat.“<br />
Verwirrt hatten wir zugehört. Dann meinte Sayid:<br />
- 217 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Beweisen ließe sich das nur, wenn wir gezielt nach 1977 gelangen würden, um dabei<br />
zu sein, wenn diese Bombenexplosion stattfinden soll. Wobei wir wieder bei der Frage sind,<br />
wie wir dort hingelangen, ohne acht Jahre hier verbringen zu müssen.“<br />
Jim sah zu mir auf.<br />
„Hat Lady Einstein nicht gesagt, Kelly oder ihr Großvater wären die einzigen<br />
Menschen, die im Stande wären, einen gezielten Zeitsprung zu bewerkstelligen?“<br />
„Du meinst Eloise?“, wollte Jack wissen.<br />
Jim nickte. Ellie schüttelte den Kopf.<br />
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich zu diesem Wissen gekommen bin.“, sagte<br />
sie erschüttert. „Ich bin keine Physikerin.“<br />
„Du nicht, aber Daniel! Ich vermute, dass er vielleicht sogar derjenige ist, der den<br />
Raum mit dem Pendel baut.“, meinte Sayid langsam. „Du sagtest nur, ein kluger Kopf hätte<br />
den Raum gebaut und die Gleichung geschaffen, mit der die Position der Insel zu einem Zeit-<br />
punkt X in der nahen Zukunft errechnet werden kann. Sollte dieses Rad wirklich eine Art<br />
Zeitmaschine darstellen, müsste es doch möglich sein, dieses zu benutzen, um nach 1977 zu<br />
gelangen.“<br />
„Das birgt aber die Gefahr, dass ihr schon dort seid und ihr euch selbst begegnet und<br />
euch selbst daran hindern müsstet, die Bombe zu zünden.“, erwiderte Richard ruhig.<br />
Jim schnaufte.<br />
„Back to the future ...“<br />
Verständnislos sahen ihn Richard und seine Leute an. Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Ach, vergesst es.“, sagte er.<br />
19) Die Entscheidung<br />
„Genauso gut wäre es auch möglich, dass ihr durch eure Landung hier bei uns niemals<br />
nach 77 gelangt und nie Mitglieder der DHARMA Initiative werdet.“, warf Mark ein.<br />
Langsam schwirrte mir der Kopf.<br />
„All das ist nur Theorie. Gehen wir doch einfach mal davon aus, dass dieses Ereignis<br />
nicht mehr eintritt, weil ihr nicht da seid.“<br />
Ellie schüttelte den Kopf.<br />
„Dadurch, dass ich jetzt Bescheid weiß, dass ich meinen eigenen Sohn töte, werde ich<br />
das nicht machen, folge dessen wird er eure Aufgabe übernehmen und die Bombe hoch jagen<br />
...“<br />
plodieren.“<br />
Mark nickte.<br />
„Veränderung, nicht Verhinderung.“, sagte er leise. „Die Bombe wird so oder so ex-<br />
- 218 -
Jack schüttelte den Kopf.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wenn aber die Bombe hochgeht und zu dem Zeitparadoxon führt, in dem wir offen-<br />
sichtlich stecken, was würde passieren, wenn wir diese Bombe jetzt und hier zerstören oder so<br />
außer Funktion setzen, dass sie nicht mehr gezündet werden kann?“<br />
„Wir wissen ja eigentlich nicht einmal, ob es die Bombe war oder ob es aus ganz<br />
anderen Gründen, wie beispielsweise der Bohrung der DHARMA Initiative zu dem Zeitpara-<br />
doxon kam. Durch das eruptionsartige Freisetzen der elektromagnetischen Energie.“, meinte<br />
Jim genervt.<br />
„Das wäre allerdings durchaus möglich, denn die Energie hat ja erst dazu geführt, dass<br />
es zu dem Chaos kam, das Juliet letztlich das Leben gekostet hat. Die Bombe scheint nicht<br />
zum richtigen Zeitpunkt hochgegangen zu sein oder sie hat die elektromagnetische Energie<br />
noch forciert, sodass es zu dem Paradoxon kommen konnte.“, meinte ich überlegend. „An was<br />
genau könnt ihr euch erinnern, nachdem der magnetische Sog begann?“<br />
Jim seufzte und schwieg. Also sah ich Jack und Kate an.<br />
„Jack hat die Bombe in den Schacht geworfen. Wir warteten alle darauf, dass etwas<br />
passieren würde. Miles Vater versuchte, den Bohrer auszuschalten. Doch das funktionierte<br />
nicht. Er meinte, irgendwas würde den Bohrkopf quasi anziehen. Damit war klar, dass die<br />
Bohrung die Energietasche getroffen hatte. Dann ging alles ganz schnell. Alle Gegenstände<br />
aus Eisen flogen wie Geschosse in das Loch. <strong>Der</strong> Bohrturm begann sich zu verbiegen und<br />
wurde regelrecht in Richtung des Schachtes gesaugt. Juliet wurde von einer Stahlkette er-<br />
wischt, die sich durch den Magnetismus um ihren Körper wickelte und sie auf dem Weg zum<br />
Schacht mitriss. Ich bekam die Kette zu fassen und schrie nach Sawyer. Juliet verlor den Halt,<br />
aber Sawyer erwischte sie im letzten Moment.“<br />
Kate sah Jim an und dieser starrte an die Decke.<br />
„Ich kam nicht an die Kette ran und Juliet schaffte es alleine nicht, das verdammte<br />
Ding zu lösen. Sawyer hing inzwischen ebenfalls schon halb in dem Schacht und der elende<br />
Bohrturm gab immer mehr nach. Als Juliet merkte, dass Sawyer drohte, zerquetscht zu<br />
werden, ließ sie seine Hand schließlich los und wurde nach unten gerissen.“<br />
Ich spürte Jim zucken. Kate fuhr fort:<br />
„Ich versuchte, Sawyer vom Loch weg zu ziehen, aber ich schaffte es alleine nicht,<br />
also brüllte ich nach Jack, der mir half. Kaum hatten wir es geschafft, brach der ganze Turm<br />
auseinander und alles, was dazu gehörte, wurde in die Tiefe gesogen. Dann ... das absolut<br />
grelle Licht und das Nächste, an das ich <strong>mich</strong> erinnere, ist das Flugzeug, in dem wir sitzen<br />
und der Absturz.“<br />
Jack nickte.<br />
„Ist bei mir genauso.“<br />
Sayid sagte leise:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich lag im Sterben, Hurley, Jin und Miles waren bei mir. Doch bevor mein Herz auf-<br />
hörte zu schlagen, war da dieses grelle Licht und dann ... Oceanic 815.“<br />
„Ihr könnt euch nicht erinnern, schon einmal hier in 1971 gewesen zu sein?“<br />
Alle schüttelten den Kopf.<br />
„Gut, aber ihr konntet euch auch nicht daran erinnern, dass ihr den Absturz schon<br />
einmal erlebt habt. Es wäre durchaus möglich, dass auch das Auftauchen hier bereits ge-<br />
schehen ist, ihr es nur nicht erinnert. Also wäre ich die einzige Variable in der ganzen Sache.“<br />
Richard sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Das wäre durchaus möglich. Worauf willst du hinaus?“<br />
Ich kam mir zwar vor wie in einem Roman von Jules Verne, aber ich fuhr fort:<br />
„Wenn wir davon ausgehen, dass bei Auslösung eines neuen Zeitsprunges nach 1977<br />
alle Ereignisse vorher schon genauso geschehen sind, wie sie eben geschehen sind, und ihr<br />
dort seid, ohne euch an diese Landung hier zu erinnern, würdet ihr alles wieder so machen,<br />
wie es eben passiert ist, richtig?“<br />
Jack nickte.<br />
„Anzunehmen.“<br />
Ich überlegte weiter.<br />
„Dann würde es meine Aufgabe sein, da aufzuschlagen und euch darüber zu<br />
informieren, dass die Bombe die Zeitschleife erst auslöst.“<br />
Sayid konzentrierte sich und auch Kate und Jim schienen zu überlegen.<br />
„Miles ... Er hat so was gesagt, bevor wir die DHARMA Leute kommen sahen und<br />
Jack zur Hilfe eilten.“<br />
„Was hat er gesagt?“, fragte ich gespannt.<br />
„Ob wir schon mal an die Möglichkeit gedacht hätten, dass wir das Ereignis durch die<br />
Bombe erst auslösen.“, stieß Kate aufgeregt hervor.<br />
Ich sah die junge Frau an.<br />
„Was hat euch eigentlich zu eurem Meinungsumschwung gebracht?“<br />
Kate seufzte.<br />
„Ich weiß, was <strong>mich</strong> dazu gebracht hat: Jacks eindringlichen Worte. So, wie er es<br />
immer geschafft hat, <strong>mich</strong> auf seine Seite zu ziehen.“<br />
lich:<br />
Jack zog Kate an sich. Und ich fragte Jim:<br />
„Was war es bei dir?“<br />
Jim richtete sich langsam auf. Minutenlang starrte er zu Boden. Leise sagte er schließ-<br />
„Ich wollte Jack unbedingt aufhalten. Dann kam Juliet dazwischen und meinte plötz-<br />
lich, Jack hätte Recht und wir müssten ihm helfen. Ich wollte wissen, warum. Ich hab sie an-<br />
geschrien, mir eine verdammte Erklärung für ihren Meinungsumschwung zu geben. Sie<br />
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Frauke Feind<br />
meinte, sie hätte ... sie hätte den Blick gesehen, den ich Kate zuwarf. Ich hab ihr gesagt, dass<br />
der nichts zu bedeuten hätte, aber sie sagte, egal, wie sehr man sich lieben würde, manche<br />
Menschen wären nicht dafür bestimmt, zusammen zu sein. Ich hab ihr gesagt, dass ich sie nie<br />
verlassen würde, aber sie wusste, dass ich Kate noch immer liebte. Wenn Jacks Plan<br />
funktionierte, meinte sie, würde sie <strong>mich</strong> nie kennen lernen und demzufolge auch nie ver-<br />
lieren ...“<br />
Ich musste erst einmal schlucken bevor ich sagen konnte:<br />
„Okay, das waren eure Argumente. Die kann ich verstehen. Wenn wir nun eine<br />
Möglichkeit finden, zu diesem Zeitpunkt zurückzukehren, müsste es mir gelingen, euch daran<br />
zu hindern, die Bombe einzusetzen. Das hieße, der Vorfall würde so nicht geschehen und ihr<br />
würdet aus der Zeitschleife befreit.“<br />
„Aber wie würde es dann weiter gehen?“, fragte Jack nervös.<br />
„Nun, ich denke, ab da würde eure Zukunft neu geschrieben.“ meinte Richard ruhig.<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Wir würden neu anfangen können. Wir könnten alles irgendwie klären. Vielleicht.“<br />
Mir kullerten Tränen über die Wangen und Jim sah diese.<br />
den Kopf.<br />
„Was ist denn, Kelly?“, fragte er besorgt.<br />
Seine Augen weiteten sich in plötzlichem Verstehen.<br />
„Wir würden uns nicht kennen ...“, sagte er erschüttert.<br />
Ich nickte. Zu mehr war ich nicht fähig. Kate und Jack sahen <strong>mich</strong> an und schüttelten<br />
„Es muss ne andere Möglichkeit geben!“, stieß Jim panisch hervor.<br />
Richard seufzte.<br />
„Ich fürchte, die gibt es nicht.“, meinte er bedrückt.<br />
„Aber wir wissen immer noch nicht, wie wir den Zeitsprung hinbekommen sollen.“<br />
Tim sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Vielleicht reicht es, wenn du das Rad bedienst. Immerhin sollst du die Einzige sein,<br />
die gezielte Sprünge machen kann.“<br />
„Das ist doch Blödsinn! Wie sollten wir ihr Glauben schenken? Wir haben uns nicht<br />
mal gegenseitig vertraut, wie sollen wir da einer Wildfremden glauben? Es muss ne andere<br />
Möglichkeit geben!“<br />
„Jim, es ist doch nicht gesagt, dass wir Kelly nicht wiedererkennen würden. Genauso<br />
ist es möglich, dass uns alles wieder einfällt, wenn wir sie sehen.“, warf Kate ein.<br />
„Ich will aus diesem ganzen Mist endlich raus. Wer weiß, wie lange wir schon in<br />
dieser Falle stecken.“<br />
Ruhig meinte Jack:<br />
„Das würde bedeuten, dass du ins Gefängnis kommen würdest.“<br />
Kate biss sich auf die Lippen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, ich weiß. Aber da hätte ich trotzdem mehr Chancen als hier.“<br />
Jack sah Sayid an.<br />
„Sayid, du bist dir darüber im Klaren, dass es deinen Tod bedeuten würde, wenn das<br />
funktioniert? Ich kann dir nicht mehr helfen, du wirst verbluten.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Das ist mir klar. Aber das ist immer noch besser, als für immer und ewig in dieser<br />
Geschichte festzustecken.“, erklärte der Iraker ruhig.<br />
Ich konnte nur noch daran denken, dass ich Jim verlieren würde, sollten wir es auf<br />
diese Weise versuchen. So oder so. Er würde mit Juliet zusammen sein, Kate lieben und <strong>mich</strong><br />
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht kennen und sich fragen, was diese<br />
arme Irre ihnen da einreden wollte, die so plötzlich aufgetaucht war. Mein Herz krampfte sich<br />
vor Verzweiflung zusammen. Ich hatte nie zuvor jemanden so sehr geliebt und war sicher,<br />
auch nie wieder jemanden so sehr lieben zu können, das spürte ich tief in meinem Inneren.<br />
Und man erwartete von mir, dass ich ihn freiwillig aufgeben sollte. Die Vorstellung war der<br />
nackte Horror. Andererseits, wenn Kate bereit war, das Risiko, ins Gefängnis zu wandern auf<br />
sich zu nehmen und Sayid sogar bereit war, sein Leben zu opfern, um seinen Freunden die<br />
Möglichkeit zu geben, wieder in ein normales Leben zurückzukehren, durfte ich nicht<br />
egoistisch sein. Ich sah zu Jim hinüber, der wie erstarrt da saß.<br />
- Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe! -<br />
dachte ich und merkte, wie mir erneut Tränen über die Wangen kullerten.<br />
************<br />
Jim und ich saßen am Rande der kleinen Schlucht, die er bei seinem Ausflug in den<br />
Dschungel vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Wir hatten den Rückweg zum Lager hinter uns<br />
gebracht und liefen jetzt schon seit vierundzwanzig Stunden schweigend herum, keiner von<br />
uns mochte auf das Thema zu Sprechen kommen. Am späten Vormittag hatte ich mir Jim<br />
schließlich geschnappt und ihn gebeten, einen Spaziergang mit mir zu machen. Wir hatten die<br />
Schlucht gefunden und saßen bereits fast eine Stunde stumm nebeneinander. Schließlich hielt<br />
ich es nicht mehr aus.<br />
„Bitte, Jim, wir können so nicht weiter machen. Wir müssen Reden.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und seine Augen ... Sie waren so hoffnungslos und voller Ver-<br />
zweiflung, dass mir ein Schauer über den Rücken lief.<br />
„Was soll‟n wir denn noch Reden? Eure Entscheidung steht doch bereits fest.“, sagte<br />
er leise und starrte weiterhin in die Schlucht hinunter.<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
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Frauke Feind<br />
„Das steht sie nicht, aber, Jim, ihr müsst aus dem Teufelskreis raus, sonst werdet ihr<br />
ewig in dieser Zeitschleife fest hängen.“<br />
Resigniert meinte Jim:<br />
„Wir kehren nach 1977 zurück, du überzeugst uns, die Bombe nicht zu zünden und am<br />
Besten nicht einmal in der Nähe des Swan zu sein und dann?“<br />
Ich musste alle Kraft zusammen nehmen, um weiter zu Reden.<br />
„Juliet würde Leben, du würdest sie nicht verlieren. Ihr könntet irgendwo ein neues<br />
Leben beginnen.“<br />
Jetzt sah er <strong>mich</strong> erstmals direkt an.<br />
„Sie wollte <strong>mich</strong> verlassen, Kelly. Sie hat gemerkt, wie sehr ich immer noch an Kate<br />
hing. Es gab in meinem Leben nur fünf Menschen, die mir wirklich was bedeutet haben.<br />
Meine Eltern, Kate, Jules und am meisten du. Meine Eltern hab ich verloren, Kate nie gehabt,<br />
Juliet ... Ich hab sie wirklich geliebt, aber in keinem Vergleich zu dem, was ich für dich<br />
empfinde. Kelly, ich werd auch dich verlieren. Weißt du, ich bin wirklich kein Jammerlappen,<br />
aber ich ... ich ertrag das nicht noch mal. Ich hab dich gefunden, hab Kate dabei vergessen, als<br />
wär sie nie da gewesen und jetzt soll ich dich auch noch verlieren ...“<br />
Er verstummte und starrte wieder in die Schlucht hinunter.<br />
„Das weißt du doch gar nicht. Vielleicht erkennt ihr <strong>mich</strong> ja wieder.“<br />
Er atmete tief ein.<br />
„Vielleicht ... Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht verlier ich dich auch einfach nur.“<br />
Ich wusste nicht, was ich zum Trost sagen sollte. Nichts würde Jim trösten können, denn auch<br />
<strong>mich</strong> konnte nichts trösten. Die vage Hoffnung, dass sie sich würden erinnern können, reichte<br />
nicht. Sie hatten sich bisher nicht erinnert, hatten die ganze Sache möglicherweise schon x<br />
Mal durchgespielt und sich beim Einsetzen der Bombe nie erinnert, warum sollte es jetzt<br />
anders sein? Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Am liebsten hätte ich mir Jim<br />
geschnappt und wäre mit ihm geflohen. Irgendwo hin, wo wir für immer hätten zusammen<br />
sein können. Fort von hier. Aber mein Gewissen sagte mir, dass ich die Anderen nicht in<br />
dieser Klemme lassen konnte.<br />
„Jim, bitte, wenn wir uns dort neu kennenlernen, verlieben wir uns vielleicht auch neu.<br />
Wir haben uns einmal ineinander verliebt, diese Liebe muss doch reichen, es ein zweites Mal<br />
zu schaffen.“<br />
Jetzt sah er <strong>mich</strong> doch wieder an. In seinen Augenwinkeln hingen Tränen.<br />
„Wieder ein Vielleicht. Wir haben keine Ahnung, wie es nach dem Versuch weiter<br />
geht, Kelly, keine Vorstellung. Man wollte uns von der Insel schaffen. Vielleicht macht man<br />
das immer noch und ich seh dich nie wieder. Selbst ohne die Bombe herrschte dort plötzlich<br />
das absolute Chaos, verstehst du? Mit dem Wiedererscheinen Kates, Jacks, Hurleys und<br />
Sayids ging es nur noch bergab. Wir wissen nicht mal, ob das der Punkt ist, an dem wir die<br />
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Frauke Feind<br />
Abläufe ändern müssen. Vielleicht liegt der Punkt viel weiter zurück? Es ist, als ob man in ein<br />
Becken mit Haien springt und hofft, es zu überleben. Wir wissen nicht, was Locke und Ben in<br />
der Gegenwart getan haben, vielleicht lösen sie ja sogar alles aus. Wir wissen nichts, Kelly.<br />
Nur, dass ich dich nicht mehr kennen werde.“<br />
Ich schluckte.<br />
„Und wenn es so wäre, würdest du nicht darunter leiden müssen.“, sagte ich leise.<br />
Er nickte.<br />
Vorstellung.“<br />
„Das stimmt, ich wär wieder ne Marionette, die an Kates Fäden hängen würde. Tolle<br />
Er seufzte unglücklich.<br />
„Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.“, sagte er leise. „Wer soll<br />
<strong>mich</strong> denn dann wieder zusammenflicken?“<br />
Er riss <strong>mich</strong> verzweifelt in seine Arme und ich spürte seine Schultern zucken. Wie<br />
lange wir so still dasaßen, hätte ich nicht sagen können. Ich bestand nur noch aus purer Ver-<br />
zweiflung und Angst. Mir vorzustellen, <strong>mich</strong> von Jim vielleicht wirklich für immer trennen zu<br />
müssen, ging über meine Vorstellungskraft. Und doch wusste ich, dass es genau darauf<br />
hinauslaufen würde. Die kurze Zeit, die ich mit ihm hatte verbringen dürfen, war die Glück-<br />
lichste meines Lebens gewesen. Und nun sollte das alles schon wieder zu Ende sein? Ich<br />
konnte es nicht fassen. So grausam konnte das Schicksal es nicht mit uns meinen.<br />
Als es hinter uns im Dschungel raschelte, fuhren wir zusammen. Ich drehte <strong>mich</strong><br />
herum und sah Richard aus dem Gebüsch treten.<br />
„Ich habe mir gedacht, dass ich euch hier finde. Es wird Zeit, wir sollten nicht zu<br />
lange warten. Seid ihr bereit, eine Entscheidung zu treffen?“<br />
Er sah uns mitleidig an und wir erhoben uns, langsam, als würden wir von Blei-<br />
gewichten zurückgehalten.<br />
„Nein, sind wir nicht, aber das ändert nichts ...“, sagte Jim leise und fuhr sich unauf-<br />
fällig mit der Hand über das Gesicht.<br />
Wir folgten Richard schweigend ins Lager zurück und stießen dort auf Kate, Sayid<br />
und Jack, die uns bedrückt entgegen sahen. Wir gingen zusammen unter die Akazie und<br />
setzten uns. Richard, Tim und Ellie saßen bei uns. Richard war es auch, der das Wort ergriff.<br />
„Wir hätten ungeheuer viel zu ändern, was die Zukunft betrifft. Ob uns dies gelingt, wird sich<br />
zeigen müssen. Das vorrangigste Problem ist, die Zeitschleife zu lösen, in der wir alle fest<br />
stecken. Wir wissen nicht, welche Konsequenzen das auf jeden einzelnen von uns hat. Mit ein<br />
wenig Glück keine allzu gravierenden. Es mag sein, dass wir hier den Grundstein für eine<br />
bessere Zukunft legen werden. Oder es gelingt uns nur, euch zu befreien. Aber das alleine<br />
würde schon eine ungeheure Änderung der Zukunft nach sich ziehen. Wenn ihr bereit seid,<br />
dieses Wagnis einzugehen, sollten wir es nicht hinauszögern.“<br />
Ellie nickte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich bete zu Gott, dass ich <strong>mich</strong> daran erinnern werde, dass Daniel mein Sohn ist.<br />
Wenn dem nicht so ist, und es so kommen soll, dass ich ihn töte, muss ich das als mein<br />
eigenes Schicksal annehmen. Es mag in Zukunft Dinge geben, die mir eine solche Strafe auf-<br />
erlegen werden. Dann muss ich es akzeptieren. Wenn wir nichts unternehmen, werden wir bis<br />
in alle Ewigkeit in dieser Zeitschleife stecken. Ausgelöst wurde das Ganze offensichtlich mit<br />
der Betätigung des Rades durch diesen Benjamin Linus. Da aber die Ereignisse der Zukunft<br />
erst dazu führten, dass dies geschah, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es anders verlaufen wird,<br />
wenn unser Plan erfolgreich ist, sehr groß. Wir werden vermutlich unsere Geschichte neu<br />
schreiben können. Wir alle können nur hoffen, dass wir das Wissen, das wir haben, irgendwo<br />
in unseren Erinnerungen abrufen können, wenn es erforderlich ist. Die Frage ist, werden wir<br />
alle dieses Wagnis auf uns nehmen. Wir müssen uns entscheiden.“<br />
Richard sah Ellie kurz an, dann nickte er.<br />
„Wir alle werden Opfer bringen müssen. Ellies Opfer ist möglicherweise die Tötung<br />
ihres eigenen Sohnes, Sayids das seines Todes, Jim und Kelly werden sich unter Umständen<br />
für immer trennen müssen. Was es für den Rest von uns bringen mag, können wir nicht<br />
wissen. Die Frage ist, sind wir bereit, diese Opfer auf uns zu nehmen?“<br />
Sayid war der Erste, der antwortete.<br />
„Ich bin bereit. Alles, was ich nach dem Absturz erlebt habe, war schlimmer als das<br />
Wissen, zu Sterben und Frieden zu finden.“<br />
Jack und Kate nickten.<br />
„Was immer es sein mag, dass danach kommt, kann nur besser sein als das, was wir<br />
durchgemacht haben.“, erklärte Jack.<br />
sich.<br />
sie.<br />
Ellie liefen Tränen über die Wangen und sie drückte Daniel, den sie im Arm hielt, an<br />
„Wenn es hilft, eine bessere Zukunft zu schaffen, nehme ich es auf <strong>mich</strong>.“, schluchzte<br />
Aller Augen richteten sich auf Jim und <strong>mich</strong>. Mir war speiübel und ich hatte das Ge-<br />
fühl, jeden Moment den Verstand verlieren zu müssen. Leise hörte ich <strong>mich</strong> sagen:<br />
„Ich bin bereit ...“<br />
Jim neben mir sank in seinem Stuhl zusammen als hätte jemand die Luft aus ihm<br />
heraus gelassen. Tonlos sagte er:<br />
„Klar, warum nicht. Mein Leben ist ohnehin schon vollkommen zerstört, darauf<br />
kommt es nun auch nicht mehr an.“<br />
Er stand auf und ging langsam zu unserem Zelt hinüber. Mir liefen ununterbrochen<br />
Tränen über die Wangen und in mir zerriss etwas. Kate und Jack erhoben sich zusammen mit<br />
Sayid nun ebenfalls und schließlich saß ich alleine unter der Akazie.<br />
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Frauke Feind<br />
Lange saß ich dort und versuchte, irgendwie Beherrschung zurück zu erlangen. Es ge-<br />
lang mir nicht. Ich wusste nur eines: zu Jim zu gehen und <strong>mich</strong> zu verabschieden würde ich<br />
nicht schaffen. Würde ich zu ihm gehen und in seinen Armen liegen, wäre ich nie wieder im<br />
Stande, ihn loszulassen. Entschlossen erhob ich <strong>mich</strong> und eilte zu Richards Zelt hinüber. <strong>Der</strong><br />
Mann saß an einem Tisch im Zelt und blätterte in Akten herum.<br />
„Kann ich dich kurz sprechen?“, fragte ich. Richard nickte.<br />
„Natürlich, um was geht es denn?“<br />
„Kannst du mir eine Skizze machen, wo von der Höhle aus gesehen der Punkt ist, an<br />
dem ihr uns überwältigt habt?“<br />
Richard sah <strong>mich</strong> kurz an und nickte. Schnell zeichnete er auf einem Blatt Papier eine<br />
Skizze und drückte sie mir in die Hand.<br />
nicht ...“<br />
„Wirst du daraus schlau werden?“<br />
Ich nickte.<br />
„Auf jedem Fall. Danke. Ich mache <strong>mich</strong> auf den Weg, wenn ich warte, schaffe ich es<br />
„Das kann ich verstehen. Ich wünsche dir alles Glück.“<br />
Ärgerlich wischte ich mir Tränen vom Gesicht und bat:<br />
„Kannst du mir einen Rucksack und Seile mitgeben?“<br />
Er stand auf und nahm einen Rucksack von einem kleinen Ständer in einer Ecke des<br />
Zeltes. „Hier ist alles drinnen, was du brauchen wirst.“<br />
Ich griff nach dem Rucksack und trat ohne ein weiteres Wort in die Sonne hinaus.<br />
Plötzlich jedoch zuckte ein Gedanke durch meinen Kopf und ich drehte <strong>mich</strong> noch<br />
einmal zu Richard herum.<br />
„Wenn ihr euch nicht erinnern könnt, was ja immerhin denkbar wäre, wäret ihr in der<br />
Zukunft Feinde. Hättest du vielleicht eine Idee, wie wir, oder meinetwegen auch nur ich, dir<br />
klar machen könnten, dass wir uns kennen, irgendwas, dass ich als Beweis vorlegen könnte?“<br />
Richard hatte mir aufmerksam zugehört. Jetzt weiteten sich seine Augen und er nickte.<br />
„Das ist eine großartige Idee. Lass <strong>mich</strong> überlegen ...“<br />
Er dachte einige Minuten krampfhaft nach.<br />
„Es gibt etwas, das wir versuchen könnten.“<br />
Er trat in sein Zelt und ich folgte ihm langsam. An einem Tisch schrieb er einen Zettel:<br />
Ich, Richard Alpert, übergebe 1971 diese kurze Notiz an Kelly Reardon als Beweis, dass wir uns kennen.<br />
Er stand auf, ging an einen Schrank und nahm etwas heraus. Als er sich zu mir um-<br />
drehte, sah ich, dass er ein kleines Medaillon in den Händen hielt.<br />
„Das ist ein Erbstück meiner Mutter. Trage es bei dir, und sollten wir uns in der Zu-<br />
kunft begegnen, gib es mir. Wir werden die Notiz sicher darin verwahren.“<br />
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Frauke Feind<br />
Er öffnete das Medaillon, dass mit feinen, altägyptischen Schriftzeichen verziert war,<br />
faltete den Zettel so klein es ging und legte ihn in das ovale, vielleicht vier Zentimeter große<br />
Schmuckstück.<br />
„Voraussetzung ist natürlich, dass du es nicht verlierst. Wenn wir uns vielleicht<br />
wiedersehen, sage zu mir zusätzlich folgenden Satz: Quid cubitus umbrae statuae? Kannst du<br />
dir das merken?“<br />
„Ja, das kann ich. Muss ich die Antwort kennen?“<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, das brauchst du nicht. Du solltest jetzt lieber gehen.“, sagte er lächelnd.<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, du hast Recht. Bis vielleicht in ein paar Jahren.“<br />
Ich legte mir die Kette um den Hals und nickte noch einmal. Hastig trat ich dann er-<br />
neut in die Sonne hinaus. Niemand war zu sehen und so schlug ich <strong>mich</strong> hinter Richards Zelt<br />
ins Gebüsch und machte <strong>mich</strong> auf den Weg.<br />
************<br />
Jim war ins Zelt gegangen und legte sich müde auf das Bett. Er konnte nicht fassen,<br />
dass die Entscheidung so schnell gefallen war. Alles, was er wollte war, zusammen mit Kelly<br />
ein gemeinsames Leben führen! Er war egoistisch genug, dies zu wollen. Sein ganzes Leben<br />
war von schlimmen Verlusten geprägt gewesen. Scheinbar verlor er jeden Menschen, der ihm<br />
etwas bedeutet hatte. Das wollte er auf gar keinem Fall erneut erleben. Er würde, wenn Kelly<br />
ins Zelt kommen würde, alles tun, um ihr die Idee auszureden. Es musste einfach eine andere<br />
Möglichkeit geben. Es konnte nicht sein, dass es das gewesen war. Endlich hatte er einen<br />
Menschen gefunden, der ihm alles bedeutete und dem auch er alles bedeutete und schon sollte<br />
es wieder zu Ende sein? Wütend schüttelte Jim den Kopf. Nein, das kam einfach nicht in<br />
Frage! Ungeduldig wartete er, aber Kelly kam nicht. Sie brauchte bestimmt auch Zeit, um<br />
damit klar zu kommen. Als jedoch immer mehr Zeit verging und sie nicht auftauchte, wurde<br />
Jim unruhig. Er setzte sich auf und trat langsam vor das Zelt. Schnell sah er sich um, aber er<br />
sah Kelly nirgends. Wo mochte sie sein? Und dann, von einer Sekunde zur Anderen, wurde<br />
Jim überdeutlich klar, wo sie war.<br />
„Oh, verflucht, nein!“<br />
Er fuhr herum und rannte in den Dschungel.<br />
Da inzwischen ein richtiger, kleiner Pfad getrampelt worden war, kam er schnell<br />
voran. Sein Herz raste vor Angst und Anstrengung gleichermaßen. Dort vorne, da war der<br />
Höhleneingang. Ein Seil, das von einem der Bäume in das Loch hinein hing, zeigte ihm, dass<br />
er mit seiner Ahnung Recht gehabt hatte. Kelly war los marschiert, ohne auf Wiedersehen zu<br />
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Frauke Feind<br />
sagen. So schnell es ging ließ Jim sich an dem Seil in die Dunkelheit hinunter gleiten. Er hatte<br />
keine Fackel bei sich und so musste er sich mühsam, Schritt für Schritt, vorwärts tasten.<br />
Immer mehr machte sich Panik in ihm breit. Kelly würde erheblich schneller voran kommen,<br />
denn sie hatte sicher an eine Fackel gedacht. Er hastete weiter und weiter. Stunde um Stunde<br />
kämpfte er sich durch die Dunkelheit. An Pause dachte er nicht, ganz im Gegenteil hoffte er<br />
so sehr, dass Kelly eine Pause einlegen würde. So hätte er eine Chance, sie doch noch einzu-<br />
holen. Er wusste nicht, wie weit es noch war, konnte in der Dunkelheit nicht abschätzen, wie<br />
weit er schon gelangt war. Wie ein Roboter tappte er weiter und weiter, auch, als er fast am<br />
Ende seiner Kräfte war. Nach einer schier endlosen Zeit spürte Jim plötzlich ein Vibrieren<br />
unter seinen Füßen. Er erschrak. Was war das jetzt? Das Vibrieren wurde stärker und dann<br />
sah er vor sich in der Dunkelheit ein grelles Licht aufleuchten. Es war wie das Licht, an das er<br />
sich nach der mutmaßlichen Zündung der Bombe erinnerte und er wusste, Kelly hatte das<br />
verdammte Rad bedient! Alles, was Jim noch empfinden konnte, war ungeheure Angst. Er<br />
wollte weiter rennen, wollte noch irgendwas verhindern, aber das Vibrieren war jetzt so stark,<br />
dass er zu Boden gerissen wurde. Ein ohrenbetäubendes Pfeifen war zu hören und Jim schrie!<br />
„KELLY!“<br />
************<br />
************<br />
20) Die DHARMA Initiative<br />
James Lafleur zuckte aus dem Schlaf hoch. Das Telefon auf dem Nachttisch hatte ge-<br />
klingelt. Knurrig griff er über die blonde Frau neben sich im Bett hinweg und meldete sich<br />
„Was?“<br />
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Am anderen Ende der Leitung war sein<br />
Freund und Kollege, Jin Kwon. Aufgeregt sagte<br />
dieser:<br />
funden. Du kommst nie im Leben darauf, wen!“<br />
Giftig knurrte Lafleur:<br />
„Jim, du wirst nicht glauben, was ich dir<br />
jetzt sage. Ich habe gerade drei Leute im Wald ge-<br />
„Wenn du nicht willst, dass ich dir die Eier abreiß, solltest du <strong>mich</strong> eine Minute nach-<br />
dem du <strong>mich</strong> aus meinem wohlverdienten Schlaf gerissen hast, nicht Rätsel raten lassen, ver-<br />
dammt.“<br />
Jin lachte.<br />
„Halt dich fest, Mann. Jack, Kate und Hugo!“
Jim fiel der Kiefer herab.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wiederhol das noch mal.“, stieß er hervor.<br />
„Ja, Jim, wirklich! Jack, Kate und Hugo stehen hier vor mir. Soll ich sie rein bringen?“<br />
Jim überlegte hektisch.<br />
„Auf keinem Fall. Bring sie ins obere Tal, ich hol euch dort ab. Jin! Lasst euch<br />
nirgends sehen, verstanden?“<br />
Lafleur knallte den Hörer auf das altmodische Telefon und starrte einen Moment lang<br />
die Wand vor sich an. Dann sprang er hastig aus dem Bett. Die blonde Frau regte sich. Sie<br />
setzte sich schlaftrunken auf und beobachtete Jim, als dieser sich hektisch anzog.<br />
„Was ist passiert, James?“, fragte sie ruhig.<br />
„Du wirst es nicht glauben, Sweetheart, das war Jin. Er hat gerade Jack, Hurley und<br />
Kate im Wald gefunden! Frag <strong>mich</strong> nicht.“<br />
Er wusste, dass die nächste Frage lauten würde: Wie kann das angehen. Die Blonde<br />
war jetzt hellwach. Fassungslos stieß sie hervor:<br />
an.<br />
sie hier sind.“<br />
„Das gibt es ja nicht! Wie kommen die her? Was wollen die hier?“<br />
Jim schlüpfte in seinen Overall und sah, während er diesen schloss, die hübsche Frau<br />
„Juliet, ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Wir werden es erfahren, sobald<br />
Juliet stand ebenfalls auf. Nackt, wie sie war, trat sie an den blonden, gut aussehenden<br />
jungen Mann heran und griff nach seinen Händen.<br />
„Du willst sie her bringen? Wie stellst du dir das vor?“<br />
„Hör zu, heute kommt das U-Boot, ich werd sie unter die Rekruten mischen. Dabei<br />
brauch ich deine Hilfe. Du musst Papiere für sie erstellen, schaffst du das?“<br />
Juliet überlegte kurz und nickte.<br />
„Das bekomme ich hin. James, wenn das heraus kommt, sind wir in Schwierigkeiten.“<br />
Jim gab der jungen Frau einen Kuss.<br />
„Das kommt nicht raus, vertrau mir. Mach du hier alles fertig, ich hol sie ab.“<br />
Juliet sah ihrem Lebensgefährten nach, als er in den Flur und zur Haustür eilte. Sie<br />
hatte plötzlich ein komisches Gefühl im Bauch. Kurz stand sie noch regungslos da.<br />
Schließlich ging sie ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Zwanzig Minuten später bereits<br />
eilte sie ins Rekrutierungsbüro hinüber. Dort traf sie Doris, die eifrig Akten wälzte.<br />
„Guten Morgen. Kann ich dir helfen?“, fragte Juliet fröhlich.<br />
Doris nickte.<br />
„Das wäre super, guten Morgen. Ich muss hier noch einiges kopieren, wenn du die<br />
Liste und die Anmeldeformulare für die Neuen fertig machen könntest, wäre mir das eine<br />
große Hilfe.“<br />
Juliet nickte.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Mach ich gerne, gib mir alles, ich setze <strong>mich</strong> in die Sonne und bereite es vor.“<br />
Fünf Minuten später bereits fälschte Juliet drei Formulare und trug die Namen ein:<br />
Kate Austen, Mechanik, Jack Shephard, Arbeiter, Hugo Reyes, Küche. Nach guten dreißig<br />
Minuten hatte Juliet die Formulare und die Liste mit den Neuzugängen fertig und brachte<br />
alles zurück ins Büro zu Doris, die sich herzlich für die Hilfe bedankte. Jetzt marschierte die<br />
blonde Frau zur Autowerkstatt hinüber und meldete sich zum Dienst.<br />
Jim hastete ins Altkleiderlager und suchte dort hektisch nach einigen Kleidungs-<br />
stücken. Wenn Kate, Jack und Hugo in anderen Sachen als der Zeit entsprechend hier auf-<br />
kreuzten, würde das sofort auffallen. Als er für Kate eine Batik-Bluse und eine weite Schlag-<br />
jeans in einen Kleidersack stopfte, grinste er unwillkürlich. Für Jack fand er auch schnell<br />
etwas, und er hatte großes Glück, auch für Hurleys immensen Körperumfang fand er passable<br />
Sachen. Mit dem Kleidersack in der Hand eilte Jim nun zu seinem Dienstwagen, einem blau-<br />
weißen VW-Bus. Er warf den Sack hinein und gab Gas. Bereits vierzig Minuten später hatte<br />
er die Bucht erreicht, in der er sich mit Jin verabredet hatte. Jims Herz klopfte plötzlich heftig<br />
in seiner Brust. Kate. Er war sich so sicher gewesen, sie nicht mehr zu lieben, aber jetzt, als<br />
ein Wiedersehen nach drei Jahren unmittelbar bevor stand, merkte er schmerzlich, dass er sich<br />
etwas vor gemacht hatte. Mit gemischten Gefühlen hielt er den Bus an und stieg langsam aus.<br />
Vor ihm stand der Bus, mit dem Jin seine morgendliche Runde gemacht hatte. Plötzlich<br />
öffnete sich dessen Hintertür und Jack stieg aus, gefolgt von Hurley. Als letzte verließ Kate<br />
den Wagen. Jack ging auf Jim zu, reichte diesem die Hand und sagte schlicht:<br />
„Sawyer.“<br />
Hurley grinste. Er eilte auf Jim zu und nahm diesen begeistert in den Arm.<br />
„Sawyer! Alter! Gut, dich wiederzusehen.“<br />
„Ich freu <strong>mich</strong> auch, dich zu sehen, Moppelchen.“<br />
Jim versuchte, in der Umarmung Hugos noch Luft zu bekommen und lachte fröhlich,<br />
als dieser ihn absetzte. Nun wandte Jim sich zu Kate herum. Langsam ging diese auf ihn zu.<br />
„Hallo, Sawyer.“<br />
hatte. Und sofort schoss ihm durch den Kopf<br />
- Alter, du hast ein Riesenproblem! -<br />
Und dann hielt er sie das erste Mal seit drei Jahren in<br />
den Armen. Und es war, als wäre es erst einen Tag her, dass<br />
er den Duft ihrer Haare, ihrer Haut gerochen hatte, ihren<br />
schlanken, anschmiegsamen Körper in seinen Armen gehalten<br />
„Kommt mit, ich hab euch was zum Anziehen mitgebracht.“<br />
Jack sah Jim erstaunt an.<br />
„Wozu das? Was habt ihr eigentlich für Overalls an?“<br />
Jim grinste.<br />
- 230 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nun, Doc, wir sind jetzt in der DHARMA Initiative.“<br />
„Was? Die wurde doch 1992 ...“<br />
Jim unterbrach den Arzt.<br />
„Sundance, wir haben das Jahr 1977. Willkommen im Hippiezeitalter.“<br />
Mit offenem Mund starrten die Drei Jim an. „Ach du Scheiße!“, brachte Hurley<br />
schließlich auf den Punkt, was alle dachten.<br />
„Wie ist das möglich?“, fragte Kate nervös.<br />
„Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Hört zu, die Kurzfassung: Nachdem ihr weg wart,<br />
sind wir hier ne Weile durch die Zeit gezappt, führt zu weit, dass alles zu erklären. Als das<br />
aufhörte, waren wir in 1974. Juliet, Miles, Jin und ich haben uns der DHARMA Initiative<br />
angeschlossen um zu überleben und sind vollwertige Mitglieder. Ich bin Chef des Sicherheits-<br />
teams, Jin und Miles sind mir unterstellt. Wir führen hier ein ziemlich angenehmes Leben.<br />
Euch werden wir als neue Rekruten einführen, heute kommt das U-Boot mit Nachschub.<br />
Kommt schon, wir haben nicht viel Zeit.“<br />
An Jin gewandt erklärte Jim:<br />
„Du machst deine Runde zu Ende. Wiedersehen können wir später feiern.“<br />
Jin nickte.<br />
„Viel Glück.“<br />
Er stieg in sein Auto und fuhr davon.<br />
„Und ihr zieht euch jetzt um, macht schon.“<br />
Jim drückte Jack, Kate und Hugo die mitgebrachten Sachen in die Hand und Kate ver-<br />
zog das Gesicht, als sie die Bluse sah.<br />
„Was denn?“, fragte Jim grinsend. „Wird dir gut stehen, Freckles.“<br />
Kurze Zeit später saßen sie alle vier in Jims Bus.<br />
„Wie willst du uns denn dort rein Schmuggeln?“, fragte Kate.<br />
„Ganz einfach. Juliet hat die Ankunftslisten ein wenig frisiert. Es ist ganz simpel: Ihr<br />
wartet vor dem Rekrutierungsbüro, bis eure Namen aufgerufen werden. Seid freundlich und<br />
benehmt euch, als würdet ihr genau dort sein, wo ihr sein wollt. Ihr werdet willkommen ge-<br />
heißen, bekommt Klamotten und werdet euren Arbeitsdiensten zugeteilt. Dann werdet ihr<br />
Hütten zugewiesen bekommen. Und schon seid ihr Mitglieder der Initiative.“<br />
„Arbeit?“, fragte Jack lang gedehnt.<br />
„Ja, was denkst du denn? Dass ihr kostenlos durchgefüttert werdet?“<br />
Jim grinste still vor sich hin. <strong>Der</strong> Wagen fuhr auf der gut befahrbaren Straße durch den<br />
dichten Wald und Jack fragte:<br />
„Was macht Juliet? Geht es ihr gut?“<br />
Jim nickte.<br />
„Jepp. Sie ist jetzt eine perfekte Automechanikerin. Es gibt nichts, was sie nicht<br />
wieder zum Laufen kriegt.“<br />
- 231 -
Jack seufzte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Und was passiert, wenn sie dahinter kommen, dass wir nicht dazu gehören?“<br />
Jim wurde ernst.<br />
„Dann bin ich am Arsch und Juliet auch! Also, reißt euch zusammen und macht uns<br />
nicht alles kaputt, kapiert?“<br />
Gerade kamen sie an einem kleinen Hang an und vor ihnen breitete sich das Tal mit<br />
den vielleicht zwanzig Häusern aus. Kate, Hurley und Jack hatten es nur verlassen gesehen<br />
und waren wirklich überrascht, wie wunderschön es hier war. Gepflegte Gärten, die Häuser in<br />
erstklassigem Zustand, spielende Kinder, eine kleine Kirche, etwas, das wie eine Schule aus-<br />
sah, ein kleines Krankenhaus, alles, was man brauchte, war vorhanden. Jim hielt den Wagen<br />
hinter einem der Häuser und forderte die Drei auf:<br />
„Los, raus und mir nach.“<br />
Zwischen den Häusern hindurch dirigierte er die Drei, bis vor ihnen eine größere<br />
Menschenansammlung auftauchte.<br />
angespannt.<br />
„Mischt euch unauffällig unter sie.“, erklärte er leise.<br />
„Was ist, wenn die vom U-Boot merken, dass wir nicht an Bord waren?“, fragte Jack<br />
„Die sind schon wieder weg, mit denen, deren Dienstzeit abgelaufen ist. Ihr seid der<br />
Ersatz. Nun macht schon.“<br />
Jim trieb die Drei raus und beobachtete, wie sie sich unauffällig zu den wartenden<br />
Leuten begaben. Er seufzte und eilte zur Werkstatt hinüber. Er fand Juliet unter einem Ge-<br />
ländewagen.<br />
Nase.<br />
sanft frei.<br />
„Hey, Sweety, ich bin wieder da.“<br />
Juliet schob sich unter dem Wagen hervor und Jim grinste.<br />
„Was?“<br />
Er zog sie an den Händen auf die Beine und wischte ihr mit dem Handrücken über die<br />
„Öl.“, erklärte er grinsend. „Und, hast du es hinbekommen?“<br />
Juliet nickte und sagte leise:<br />
„Natürlich. Es ist alles klar. Doris war ganz dankbar, dass ich ihr geholfen habe.“<br />
Sie sah Jim ernst an.<br />
„Du riskierst unser Leben für sie.“<br />
Jim lächelte.<br />
„Mach dir keine Sorgen, okay, es wird alles gut gehen.“<br />
Er zog Juliet an sich und gab ihr einen Kuss. Kurz ließ sie es zu, dann machte sie sich<br />
„Ich hoffe, du behältst Recht.“<br />
„Klar, hab ich doch immer.“<br />
- 232 -
liebe dich.“<br />
Jim lachte vergnügt.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„So, ich werd mal gucken gehen, ob drüben alles klar ist. Wir sehen uns später. Ich<br />
„Ich liebe dich auch.“<br />
Juliet wandte sich wieder dem Wagen zu, an dem sie gearbeitet hatte. Bevor sie sich<br />
unter das Fahrzeug schob, warf sie Jim einen besorgten Blick hinterher.<br />
Am Rekrutierungsgebäude war gerade der Name Shephard, Jack, aufgerufen worden.<br />
<strong>Der</strong> Arzt betrat das Gebäude und ging zum Empfangstresen hinüber.<br />
„Jack Shephard?“<br />
Jack nickte.<br />
„Willkommen in Dharmaville. Hier hast du deine Arbeitskleidung. Du bist zum ein-<br />
fachen Arbeitsdienst eingeteilt worden. Wenn irgendwelche Fragen offen sind, kannst du dich<br />
jederzeit an deinen Vorarbeiter, an das Rekrutierungsbüro oder an den Chef unserer Sicher-<br />
heit, James Lafleur, wenden. Du wirst in Haus 12 wohnen, das ist das letzte Haus am Ende<br />
des Weges dort hinten, wo auch Schule und Krankenstation sind.“<br />
Jack starrte skeptisch auf die drei Overalls, die man ihm in die Hand gedrückt hatte.<br />
Jack, Workman, stand auf der Brusttasche. Missmutig stapfte der Arzt aus dem Büro und be-<br />
kam gerade noch mit, dass Hurley Name aufgerufen wurde. Draußen vor dem Büro sah Jack<br />
sich um. Dort hinten, da war die Schule. Er marschierte los und fand Haus 12 auf Anhieb.<br />
Erstaunt sah er sich um. Das kleine Haus war sehr nett eingerichtet, es gab eine Küche, zwei<br />
kleine Schlafzimmer, Bad, Wohnraum und eine wohlgefüllte Speisekammer. Jack betrat eines<br />
der Schlafzimmer und legte die Overalls auf das bezogene Bett. Genervt zog er einen der An-<br />
züge an. Als er diesen schloss hörte er jemanden zur Tür herein kommen. Sekunden später<br />
stapfte Hurley an seine Tür.<br />
„Mensch, Alter, wir wohnen zusammen, cool. Ich bin für die Küche eingeteilt worden.<br />
Kate ist gerade drinnen. Mal sehen, was das wird. Wir sollen noch mal raus kommen, wenn<br />
wir uns umgezogen haben, die wollen ein Foto machen von den Neuen.“<br />
nehmen.“<br />
„Na prima, zieh dir mal deinen Strampelanzug an und lass uns den Fototermin wahr-<br />
Zehn Minuten später standen alle Neulinge draußen vor dem Büro in der Sonne. Jim<br />
stand vor ihnen und wartete, bis alle anwesend waren. Grinsend erklärte er:<br />
„So, Leute, schenkt mir mal nen Moment eure Aufmerksamkeit. Es gibt ein paar<br />
Dinge, die ihr wissen müsst. Um unser Dorf herum ist ein Sonarzaun angebracht, der <strong>Angriff</strong>e<br />
verhindert. Diesen Zaun dürft ihr nicht übertreten. Er kann nur mittels eines Codes aus-<br />
geschaltet werden, und diesen Code wissen nur wenige Leute. Ihr habt auch keinen Grund,<br />
euch außerhalb aufzuhalten, denn alles, was ihr braucht,<br />
- 233 -
By<br />
Frauke Feind<br />
gibt‟s hier im Dorf. Im Wald um uns herum leben Eingeborene, die wir Hostiles nennen. Sie<br />
sind uns nicht besonders grün und wenn es auch ne Art Waffenstillstand gibt, vermeiden wir<br />
doch die Konfrontation mit ihnen. Wenn es mal zu Komplikationen kommen sollte, wird ein<br />
Alarm ausgelöst. Alle, die mit Waffen umgehen können, haben sich unmittelbar an der Schule<br />
einzufinden. Alle anderen begeben sich bei Ertönen des Alarms sofort in ihre Häuser und<br />
überlassen alles mir und meinen Leuten. So, und jetzt überlass ich euch den fähigen Händen<br />
von Wayne, der ein nettes Foto von euch machen wird.“<br />
Ein dunkelhaariger Mann um die dreißig trat vor die Rekruten und sagte fröhlich<br />
„Dann rückt mal schön zusammen unter das Schriftband.“<br />
Hinter ihnen wurde ein breites Band in die Höhe gehalten, auf dem: Namaste New<br />
Recruits stand. Als alle eng zusammen gerückt waren erklärte Wayne:<br />
„So, Freunde, ich will ein breites Namaste von euch hören!“<br />
Verlegen sagte die Gruppe laut: „Namaste!“ und Wayne drückte den Auslöser.<br />
************<br />
Kate, Jack und Hurley lebten sich schnell ein. Am zweiten Abend klopfte es bei Jim<br />
und Juliet an der Tür. Juliet ging, um zu öffnen. Vor der Tür stand Jack.<br />
„Hallo, Juliet. Ähm, ich ähm ich wollte eigentlich zu Sawyer, man sagte mir, ich<br />
würde ihn hier finden. Ist er ... hier ... ich meine, bei dir?“<br />
Juliet lächelte.<br />
„Hallo, Jack, lange her, was? Ja, Jim ist hier, wir leben hier zusammen, weißt du.<br />
Komm doch rein. Er ist im Wohnzimmer.“<br />
Jack trat ein und ging zum Wohnraum hinüber. Jim saß auf einem Sofa und las ein<br />
Buch. Er sah auf und ein Grinsen huschte über sein Gesicht.<br />
„Hey, Doc, was kann ich für dich tun?“<br />
Jack blieb etwas unschlüssig stehen. Jim machte keine Anstalten, ihn zum Sitzen auf-<br />
zufordern. So sagte der Arzt schließlich:<br />
„Folgendes. Zusammen mit uns saßen auch Sayid und Sun in der Maschine, mit der<br />
wir her gelangt sind. Sie müssten irgendwo im Dschungel sein. Hast du eine Möglichkeit,<br />
nach ihnen zu suchen?“<br />
Jim sah überrascht zum Arzt auf.<br />
„Was? Captain Arab und Madam Butterfly waren bei euch?“<br />
Jack grinste.<br />
„Hast dich nicht verändert, Sawyer.“<br />
Hinter Jack war Juliets Stimme zu hören.<br />
„Oh, doch, Jack, das hat er. James ist nicht mehr der Gleiche wie vor drei Jahren. Er<br />
hat hier Verantwortung für uns alle übernommen und wird geschätzt und respektiert.“<br />
- 234 -
Jack nickte langsam.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Okay, entschuldige. Also, hast du die Möglichkeit, nach ihnen zu suchen?“<br />
Jim nickte.<br />
„Sicher. Ich mach <strong>mich</strong> morgen früh gleich auf die Socken. Wenn ich einem der<br />
‟Anderen‟ begegne ist das nicht schlimm, wir haben mit Richard eine <strong>Über</strong>einkunft getroffen.<br />
Allerdings, Doc, ich sag es dir ganz ehrlich, ich kann die Beiden, wenn ich sie finde, nicht<br />
ganz so leicht hier einschmuggeln wie euch. Das muss klar sein.“<br />
Jack nickte.<br />
„Verstehe. Aber wenn wir schon mal wüssten, dass sie in Ordnung sind, wäre das eine<br />
Erleichterung.“<br />
Er drehte sich herum und lächelte Juliet an.<br />
„Ich gehe dann mal wieder. Wird sicher ein netter Abend mit Hurley. Gute Nacht.“<br />
Juliet begleitete den Arzt zur Tür und sagte: „Gute Nacht, Jack. Es ist schön, dich<br />
wieder zu sehen.“<br />
Sie sah dem Mann nach, als er zu seiner Hütte hinüber ging. Vor drei Jahren war sie in<br />
ihn verliebt gewesen. Juliet war sich nicht sicher, ob von diesen Gefühlen noch Reste vor-<br />
handen waren. Allerdings war sie sich sicher, dass Jim noch immer tiefe Gefühle für Kate<br />
hegte. Juliet schloss die Tür und seufzte frustriert. Warum hatten sie hier wieder auftauchen<br />
müssen?<br />
Sie setzte sich zu Jim ins Wohnzimmer auf einen Sessel und griff nach einer Strick-<br />
arbeit, die sie vor einigen Tagen angefangen hatte. Ruhig sagte sie:<br />
„Weißt du schon, dass Opal beim nächsten Abtransport dabei ist? Ich überlege, <strong>mich</strong><br />
für den Krankenstationsdienst zu melden.“<br />
Jim sah von seinem Roman auf.<br />
„Das ist ne ausgezeichnete Idee, Blondie. Du würdest mir mit weniger Motorenöl<br />
unter den Fingernägeln noch viel besser gefallen.“<br />
Er erhob sich langsam und setzte sich auf die Lehne des Sessels. Langsam nahm er<br />
Juliet die Strickarbeit aus der Hand und sagte sanft:<br />
„Ich könnte dir natürlich jetzt schon zeigen, wie gut du mir gefällst.“<br />
Er sah sie anzüglich an und Juliet lachte.<br />
„Das würdest du tun?“, fragte sie verliebt.<br />
„Aber hallo!“<br />
Jim stand auf und hob Juliet schwungvoll aus dem Sessel. Er trug sie zum Schlaf-<br />
zimmer hinüber und legte sie dort auf das Bett. Lächelnd ließ er sich neben sie fallen und zog<br />
sie an sich.<br />
„Ich werd dir noch ganz was anderes zeigen, wenn du <strong>mich</strong> lässt.“, sagte er sanft und<br />
ließ seine Hände unter Juliets Bluse rutschen.<br />
- 235 -
Jim.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Da bin ich aber mal gespannt.“, schnurrte die blonde Frau leise und schmiegte sich an<br />
„Wenn du Sun und Sayid finden solltest, was hast du mit ihnen vor?“, fragte Juliet,<br />
während sie Jim das Hemd aufknöpfte.<br />
„Da mach ich mir nen Kopf drüber, wenn es soweit ist.“, erwiderte Jim erregt.<br />
Und streifte Juliet die Bluse über den Kopf.<br />
„Jetzt werd ich da bestimmt nicht drüber nachdenken ...“<br />
************<br />
Am kommenden Morgen saß Jim bereits um 6 Uhr in der Frühe am Steuer seines<br />
Wagens. Er fuhr Wege innerhalb des Zaunes ab, stieg immer wieder aus und stapfte im<br />
Dschungel ein Stück herum, aber er fand keine Spur von Menschen. So entschied er sich,<br />
auch außerhalb des Zaunes zu suchen. Er deaktivierte den Zaun und fuhr langsam und vor-<br />
sichtig auch Straßen ab, die außerhalb des Dharma-Gebietes lagen. Er stieg auch hier immer<br />
wieder aus, um im Gebüsch zu suchen, fand jedoch auch hier niemanden. Mittags beschloss<br />
er, umzukehren und auf einem weiter westlich gelegenen Weg zum Dorf zurück zu fahren. Er<br />
suchte immer wieder mit dem Fernglas die Umgebung ab. Am frühen Nachmittag erreichte er<br />
eine kleine Hochebene, kaum noch drei Meilen vom Dorf entfernt. Noch einmal hielt er an<br />
und sah sich mit dem Fernglas gründlich um. Er wollte das Glas schon absetzen, als er plötz-<br />
lich meinte, am gegenüberliegenden Waldrand etwas im Gras liegen zu sehen. Schnell sprang<br />
er ins Auto und fuhr über die kleine Ebene zu der Stelle, wo er etwas gesehen zu haben<br />
glaubte. Als er näher kam, war er sicher, dass dort jemand lag. Er gab Gas und kam<br />
schlitternd bei der dort liegenden Gestalt an. Jim sprang aus dem Wagen und lief die letzten<br />
Schritte zu dem dunklen Haufen hinüber. Er erschrak. Da lag eine junge Frau im Gras, voll-<br />
kommen verdreckt und über und über blutverschmiert.<br />
„Scheiße!“<br />
Jim fluchte ungehalten. Er hob die Fremde vorsichtig hoch und trug sie im Laufschritt<br />
zum Wagen hinüber. Sanft ließ er sie auf den Boden des VWs gleiten, deckte sie mit einer<br />
Decke zu und sprang wieder hinters Steuer. So schnell er konnte fuhr er zum Zaun, de-<br />
aktivierte diesen wieder und raste weiter ins Dorf. Vor der Krankenstation kam er schlitternd<br />
zum Stehen. Er sprang aus dem Wagen und rief:<br />
„Opal. Schnell, ich hab ne Verletzte im Auto!“<br />
Die Tür zur Krankenstation ging auf und die dunkelhäutige Krankenschwester Opal<br />
Marsh stürzte zu ihm.<br />
„Wer ist das? Eine von denen?“, fragte sie erschrocken.<br />
„Keine Ahnung, ist doch scheißegal, sie ist schwer verletzt und wir müssen ihr helfen.<br />
Ich hol Juliet, du wirst sie brauchen.“<br />
- 236 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Er trug die verletzte junge Frau in das Gebäude und ließ sie auf eines der vier Betten<br />
sinken. Hastig rannte er zurück nach draußen und erreichte Augenblicke später das Haus, dass<br />
er mit Jules bewohnte. Er riss die Tür auf und rief:<br />
„Juliet, bist du da?“<br />
Die blonde Frau antwortete aus der Küche:<br />
„Ja, Honey, ich bin hier, was ...“<br />
Er ließ sie nicht ausreden.<br />
„Schnell, ich hab im Wald ne schwer Verletzte gefunden, wir müssen ihr helfen.“<br />
21) Mein Name ist Kelly<br />
Gemeinsam rannten die Beiden zur Krankenstation hinüber. Als Juliet neben dem Bett<br />
mit der Verletzten stand, seufzte sie entsetzt auf.<br />
„Mein Gott, was ist mit ihr geschehen? Opal, wir müssen sie erst einmal reinigen, ich<br />
kann vor Dreck nicht sehen, welche Verletzungen sie hat.“<br />
Jim sah den beiden Frauen kurz zu und meinte besorgt:<br />
„Ich werd mal Horace informieren, bin gespannt, was er sagt.“<br />
Jim warf noch einen Blick auf die Unbekannte, drehte sich herum und verließ die<br />
Krankenstation. Er marschierte zu Haus 2 hinüber und klopfte. Amy Goodspeed öffnete ihm<br />
die Tür.<br />
ruhigen.“<br />
„Oh, hallo, Jim. Kann ich was für dich tun?“<br />
Jim nickte.<br />
„Hallo, Amy, wie geht‟s dem Baby?“<br />
„Oh, Ethan geht es gut, er hat die halbe Nacht geschrien, ich konnte ihn kaum be-<br />
Jim grinste.<br />
„Liegt Horace in ner Ecke und holt Schlaf nach oder wo kann ich ihn finden?“<br />
Amy sah Jim besorgt an.<br />
„Ist etwas passiert?“ Jim nickte.<br />
„Kann man sagen. Ich hab im Wald ne schwer verletzte junge Frau gefunden.“<br />
Amy machte Oh. Sie deutete vage auf den Wald.<br />
„Er ist am Sonarzaun, da muss einiges neu eingestellt werden.“<br />
Jim erwiderte:<br />
„Okay, werd ich mal zusehen, dass ich Daddy auftreib. Bis dann.“<br />
Er verabschiedete sich und eilte zu seinem Wagen. Zehn Minuten später war er am<br />
Zaun und sah Horace und Phil, ein weiteres Mitglied des Security Teams. Er stieg aus und<br />
ging zu den Beiden hinüber.<br />
- 237 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Mahlzeit. Ist was passiert?“, wurde er begrüßt.<br />
„Hallo, Boss, ja, kann man sagen. Ich hab auf meiner Runde heute ne Verletzte ge-<br />
funden, geht ihr ziemlich mies. Juliet und Opal kümmern sich gerade um sie.“<br />
Horace überlegte. Angespannt fragte er:<br />
„Kann sie eine von den Hostiles sein?“<br />
„Was weiß ich, aussehen tut sie nicht so. Kannst sie ja fragen, falls sie es schafft.“<br />
Horace nickte.<br />
„Das werde ich machen. Okay, erst mal soll Juliet alles für sie tun. Ich mache hier<br />
fertig und komme später in die Krankenstation.“<br />
Jim nickte.<br />
„Gut. Ich mach <strong>mich</strong> wieder auf die Socken. Man sieht sich.“<br />
Er kehrte zu seinem Wagen zurück und fuhr zurück ins Dorf. Ein Blick zur Uhr sagte<br />
ihm, dass ohnehin Feierabend war. So stellte er den Wagen zuhause ab und ging zur Kranken-<br />
station hinüber. Juliet und Opal hatten die Unbekannte gewaschen und kümmerten sich bereits<br />
um ihre zahllosen Wunden.<br />
„Wie geht‟s ihr?“, fragte Jim gespannt.<br />
„Sie ist vollkommen dehydriert und halb verhungert. Die Wunden sehen aus, als wäre<br />
sie über Steine geschleift worden, sie hat eine ziemlich schlimme Platzwunde am Hinterkopf.<br />
Sie muss tagelang im Wald unterwegs gewesen sein, bevor sie endgültig zusammen ge-<br />
brochen ist. Sie hat hohes Fieber, eine schwere Sepsis und ich weiß nicht, ob sie es schaffen<br />
wird. Papiere oder etwas zur Identifikation hat sie nicht bei sich, wir haben ihre Sachen<br />
durchsucht.“<br />
Jim hatte ruhig zugehört. Jetzt sagte er:<br />
„Horace kommt später rein, will sie sich angucken. Ob sie zu den ‟Anderen‟ gehört?“<br />
Juliet zuckte die Schultern.<br />
„Keine Ahnung, obwohl ich eher denke, nicht.“<br />
Sie verband weiter zusammen mit Opal die vielen entzündeten Wunden der jungen<br />
Frau und als sie dies geschafft hatten, legte Juliet einen Venenkatheter und schloss die Ver-<br />
letzte an einen Volumentropf an, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. An Jim gewandt<br />
sagte sie:<br />
„Ich habe ihr unsere stärksten Antibiotika gegeben. Mehr können wir im Augenblick<br />
nicht tun. Ich werde uns jetzt etwas zu essen machen, kommst du mit?“<br />
sagte diese:<br />
Jim hatte die Unbekannte angestarrt und Juliets Worte gar nicht gehört. Noch einmal<br />
„James? Kommst du mit?“<br />
Jim zuckte aus seinen Gedanken hoch.<br />
„Was?“<br />
- 238 -
Juliet lächelte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich mache Abendbrot, kommst du mit?“<br />
„Nein, geh schon vor, ich warte hier auf Horace. Ich komm nach.“<br />
Juliet nickte.<br />
„Okay.“<br />
Sie gab Jim einen liebevollen Kuss und verließ den Raum. Opal räumte auf und Jim<br />
zog sich einen Stuhl heran, auf den er sich sinken ließ. Einige Zeit saß er so da und sah die<br />
Verletzte gedankenverloren an. Dann hörte er die Tür aufgehen und sah sich um.<br />
„Hey, großer Boss, alles klar am Zaun?“<br />
Horace hatte die Krankenstation betreten.<br />
„Ja, alles wieder in Ordnung. Das ist also deine Unbekannte?“<br />
Jim nickte und schob den Stuhl zur Seite. Horace sah sich die junge Frau genau an.<br />
„Sieht eigentlich nicht aus, als würde sie zur Truppe Alperts gehören.“<br />
Er griff nach der rechten Hand der jungen Frau. Abgesehen von den Abschürfungen<br />
sah die Hand gepflegt aus. Die Nägel waren manikürt und für körperliche Arbeit zu lang und<br />
gepflegt. Ohne Zögern schlug Horace die Bettdecke am Fußende zur Seite und sah sich auch<br />
die Füße der jungen Frau an.<br />
ihm zu.<br />
„Die ist nie barfuß im Dschungel rumgelaufen.“, stellte Jim fest und Horace stimmte<br />
„Demnach können wir davon ausgehen, dass sie keine der Feindlichen ist. Bleibt die<br />
Frage, wer sie ist und wo sie so plötzlich her kommt.“<br />
Jim zuckte die Schultern.<br />
„Wenn sie aufwacht, werden wir es erfahren. Falls sie aufwacht. Ich verdrück <strong>mich</strong><br />
mal, Jules wartet mit dem Abendbrot.“<br />
Er nickte Horace kurz zu und setzte sich in Bewegung, zu seinem eigenen Haus<br />
hinüber zu gehen. Auf halber Strecke lief ihm Kate über den Weg.<br />
Leise begrüßte sie ihn.<br />
„Hallo, Sawyer. Danke für den tollen Job.“<br />
Sie verzog angewidert das Gesicht. Jim grinste.<br />
„Da hab ich nichts mit zu tun, Juliet musste Improvisieren.“<br />
Kate sah Jim an.<br />
„Verstehe. Du bist ... mit ihr zusammen?“<br />
Jim nickte.<br />
„Jepp, seit drei Jahren.“<br />
Kurz zögerte Kate. Leicht ungnädig meinte sie erneut:<br />
„Verstehe.“<br />
Kurz herrschte verlegenes Schweigen. Schließlich sagte Jim:<br />
„Ja, also, ich werd mal, das Abendbrot wartet. Man sieht sich ...“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er ging weiter, wurde aber von Kate aufgehalten.<br />
„Sawyer.“<br />
Jim drehte sich langsam herum.<br />
„Was?“<br />
Kate trat dicht an ihn heran und fragte sehr leise:<br />
„Wie soll es weiter gehen?“<br />
Erstaunt fragte Jim<br />
„Was meinst du?“<br />
Genervt schnaufte Kate.<br />
„Hier. Das alles. Sollen wir jetzt hierbleiben, oder was? Wir haben 1977! Ich will hier<br />
nicht verschimmeln.“<br />
gut.“<br />
Ernst sagte Jim:<br />
„Tja, Freckles, bau dir ne Zeitmaschine und schwirr ab. Wenn du das schaffst, bist du<br />
Er sah sich um und sagte ruhig:<br />
„Das hier ist jetzt unser Zuhause. Hier werd ich nicht gesucht, hier weiß keiner von<br />
meiner Vergangenheit, abgesehen von Juliet, und die hat keine Probleme damit, und hier sieht<br />
<strong>mich</strong> niemand schief an, verstehst du?“<br />
zurück.“<br />
Kate schüttelte den Kopf.<br />
„Das hier ist nicht unser Leben, Sawyer! Wir hatten ein Leben in 2005, dahin will ich<br />
Jim zog die Stirn in Falten.<br />
„Mit Jack?“<br />
Kate nickte.<br />
„Ja, auch mit Jack, aber das ist vorbei.“<br />
„Das tut mir leid. Ist der große Medizinmann doch nicht das Gelbe vom Ei gewesen?“<br />
Kate sah Jim wütend an.<br />
„Doch, aber er hat sich verändert. Er hat angefangen zu Trinken und war<br />
Tablettensüchtig. Nachdem ich bei Cass war, um deinen Gefallen zu erfüllen, ist er aus-<br />
geflippt. Danach haben wir uns getrennt.“<br />
Jim sah Kate an.<br />
„Du hast es gemacht?“ Sie nickte.<br />
„Natürlich.“<br />
„Danke. Hör zu, wir Reden später weiter, ich muss ... Bye.“<br />
Hastig drehte Jim sich herum und eilte nun weiter nachhause.<br />
Juliet erwartete ihn bereits.<br />
„Was wollte sie?“, fragte sie ruhig.<br />
- 240 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Was schon, weg von hier. Sie hofft, H.G.Wells. Wells kommt mit seiner Zeit-<br />
maschine vorbei und schafft sie zurück nach 2005.“<br />
Juliet seufzte.<br />
„Kann ich aus ihrer Sicht sogar verstehen. Was wollen sie überhaupt hier?“<br />
Jim ließ sich am Esstisch auf einen Stuhl sinken und meinte:<br />
„Keine Ahnung, der Doc hat irgendwas gefaselt von uns alle Retten und Schicksal,<br />
frag ihn selber, ich hab keine Lust, mir dieses Locke-Gelaber anzuhören. Ich hoff nur für ihn,<br />
die stiften hier keinen Unfrieden, sonst gibt„s Zunder.“<br />
Dass er dabei an Kate und seine Gefühle für sie dachte, verschwieg er wohlweislich.<br />
„Das hoffe ich auch.“, sagte Juliet sehr ernst.<br />
Sie aßen schweigend, ihren nicht sehr erfreulichen Gedanken nachhängend. Nach dem<br />
Essen meinte Jim:<br />
„Ich werd noch mal ne Runde drehen, okay. Bin bald zurück.“<br />
Er schob den Stuhl zurück und ging zur Tür. Minuten später stand er wieder in der<br />
Krankenstation bei der Unbekannten am Bett. Die junge Frau lag in einem unruhigen Fieber-<br />
schlaf und murmelte ab und zu etwas Unverständliches vor sich hin. <strong>Über</strong>rascht horchte Jim<br />
auf. Ziemlich deutlich hörte er plötzlich, wie sie:<br />
„Jim ...“, nuschelte.<br />
„Na, das ist ja n Ding. Du kennst also auch nen Jim?“<br />
Hinter ihm war leises Lachen zu hören. Opal trat zu ihm und grinste.<br />
„Na, ist ja nicht gerade der seltenste Name der Welt, oder? Es soll doch tatsächlich<br />
noch ein oder zwei Andere geben, die so heißen. Soweit ich <strong>mich</strong> erinnere, steht er an Platz<br />
siebzehn der beliebtesten Namen ...“<br />
kennt.“<br />
Jim sah die Krankenschwester an. Er verzog das Gesicht und machte:<br />
„Harhar. Okay, ich hab also nen Sammelbegriff als Namen, schon kapiert.“<br />
Er grinste, dass seine Grübchen zuckten. Opal lachte.<br />
„So kann man es auch sehen. Ist also kein Wunder, wenn die Kleine auch einen Jim<br />
Opal sah die Verletzte an.<br />
„Sie tut mir leid. So, wie sie aussieht, hat sie einiges durchgemacht. Was, wenn Jim ihr<br />
Freund oder Mann ist und vielleicht auch irgendwo auf der Insel herumliegt?“<br />
Jim nickte.<br />
„Möglich. Ich werd morgen mal losziehen und <strong>mich</strong> umsehen. Vielleicht find ich ja<br />
noch jemanden. Na, ich verzieh <strong>mich</strong>, wenn was ist, hol uns, okay.“<br />
Opal nickte.<br />
„Klar, Jim, mach ich. Gute Nacht.“<br />
„Nacht.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
Zwei Tage vergingen, in denen Jim viel am Bett der jungen Frau saß. Irgendwas zog<br />
ihn immer wieder auf die Krankenstation. Er konnte sich selbst nicht erklären, was ihn immer<br />
wieder hierher zog. Wenn er bei der Unbekannten am Bett saß, hatte er das Gefühl, als ver-<br />
suche sein Hirn, sich an etwas Bestimmtes zu erinnern. Er sah der jungen Frau oft lange ein-<br />
fach nur in das blasse Gesicht, war sich aber absolut sicher, sie nie zuvor gesehen zu haben.<br />
Was auch immer er Erinnern wollte, konnte also definitiv nicht mit der jungen Frau zu-<br />
sammenhängen. Sie hatte immer noch hohes Fieber und flüsterte in wirren Fieberträumen<br />
immer wieder den Namen Jim. Ab und zu griff Sawyer nach ihrer Hand und hielt diese fest.<br />
Meistens beruhigte sich die Verletzte so schnell.<br />
- Wenn ich nur wüsste, was du durchgemacht hast. Deinen Jim such ich, wie Sayid und<br />
Sun. Aber irgendwie seh ich schwarz, Mädchen. Ich kann mir nur erklären, dass du auf nem<br />
Boot oder Schiff hier angekommen bist, zusammen mit diesem Jim, den du so verzweifelt ver-<br />
misst. Ich fürchte, er wird nicht wieder auftauchen. -<br />
Solche und ähnliche Gedanken schwirrten Sawyer durch den Kopf.<br />
Viel Zeit verbrachte er auch damit, nach Sayid und Sun zu suchen und hielt auch<br />
immer Ausschau, ob er irgendwo den geheimnisvollen anderen Jim fand. Doch er entdeckte<br />
keine Spur. Kate sah er kaum, was auch gut war. Viel zu oft für seinen Geschmack drifteten<br />
seine Gedanken zu ihr. Am Nachmittag des dritten Tages, Jim hatte gerade seine Runde im<br />
Dschungel beendet, rief Opal nach ihm.<br />
„Jim, komm schnell, sie scheint aufzuwachen!“<br />
Im Laufschritt rannte Jim hinüber zur Krankenstation und stürzte in den Schlafsaal. Er<br />
zog sich einen Stuhl an das Bett der jungen Frau und griff in einem Reflex nach ihrer rechten<br />
Hand. Sanft sagte er:<br />
„Lady, kommen Sie, versuchen Sie, aufzuwachen. Sie schaffen das.“<br />
Die Kranke murmelte etwas und schlug mühsam die Augen auf. Es dauerte einige<br />
Minuten, bis sie halbwegs klar war. Sie sah Jim an und Tränen traten ihr in die Augen.<br />
Verzweifelt schluchzte sie auf. Jim war vollkommen verwirrt und wusste nicht, was er tun<br />
sollte. Schließlich sagte er beruhigend:<br />
„Sie sind in Sicherheit, Ma‟am, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Sie sind in<br />
einem Krankenhaus ... sozusagen. Sie werden sich wieder ganz erholen.“<br />
Die junge Frau weinte noch heftiger und Jim war richtig erschrocken.<br />
„Hey, beruhigen Sie sich. Kommen Sie schon, Ihnen passiert hier nichts. Sie werden<br />
wieder. Und Ihren Jim finden wir mit etwas Glück auch.“<br />
Scheinbar war das nicht unbedingt das, was die Unbekannte hatte hören wollen, denn<br />
sie schien keine Veranlassung zu sehen, sich auch nur ansatzweise zu beruhigen. Nervös und<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
unsicher sah Jim sich um. Und plötzlich ging draußen der Alarm los. Jim sprang auf und rief:<br />
„Opal, komm her, schnell, sie ist wach. Kümmer dich um sie, ich muss raus!“<br />
sah er nicht.<br />
Schon rannte er los nach draußen. Dass die Verletzte ihm sehnsüchtig nachschaute,<br />
Draußen herrschte hektische Betriebsamkeit. Diejenigen, die mit Waffen umgehen<br />
konnten, rannten zum Schulgebäude, um sich zu bewaffnen. Alle anderen eilten in die Häuser.<br />
Mütter zogen ihre Kinder von den Spielgeräten auf dem Spielplatz weg und zerrten sie zu<br />
ihren Wohnungen. Innerhalb kürzester Zeit war der große Platz zwischen den Häusern ge-<br />
räumt und Jim, Horace, Jin und Miles waren die Einzigen, die abwartend in der Sonne<br />
standen, Gewehre im Anschlag. Hinter Deckungen an den Häusern hockten diejenigen, die<br />
nicht zur Security gehörten, als Rückendeckung. Und dann kam aus dem Gebüsch Phil mit<br />
einem Mann, bei dessen Anblick Jim sich mächtig zusammenreißen musste, um keine Regung<br />
zu zeigen.<br />
„Den Kerl hab ich gefunden, hinten am Zaun. Er war dabei, die Sperre zu passieren.“<br />
Phil trieb seinen Gefangenen vor sich her und dann standen beide vor Horace und<br />
Jim. Jim flehte mit den Augen darum, dass der Gefangene sich nicht verraten möge. Dann<br />
fragte er ruhig:<br />
„Wer bist du?“<br />
Ebenfalls ziemlich gelassen antwortete der Mann:<br />
„Mein Name ist Sayid Jarrah.“<br />
Jim atmete innerlich auf. <strong>Der</strong> Iraker hatte begriffen, um was es ging.<br />
„Wo kommst du her?“<br />
Sayid schwieg. Jim nickte.<br />
„Okay. Sperrt ihn ein.“<br />
Phil nickte eifrig.<br />
„Ja, Boss.“<br />
Er trieb Sayid mit einem Schubs seines Gewehrlaufs weiter, Richtung Schulgebäude.<br />
Hier waren in einem gesicherten Keller vier Zellen unter-<br />
gebracht. In eine dieser Zellen wurde Sayid geführt und<br />
schon schloss sich die Zellentür hinter ihm.<br />
„Du wirst uns schon alles erzählen, was wir wissen<br />
wollen, Meister. Unser Boss ist nicht sehr geduldig. Ich<br />
wünsche dir viel Spaß.“<br />
versuchen.“<br />
Jim unterhielt sich inzwischen mit Horace.<br />
„Vielleicht gehört er zu der jungen Frau. Ich werd mal ne kleine Unterhaltung mit ihm<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim nickte Horace zu und marschierte ebenfalls zum Schulgebäude hinüber. Auf<br />
halbem Weg überlegte er es sich anders und eilte zu seinem Haus. Juliet hatte, wie alle<br />
anderen Waffenkundigen, in Deckung gehockt und die Umgebung gesichert. Jetzt trat sie,<br />
noch mit einem Gewehr in der Hand, auf Jim zu und hauchte:<br />
„Sayid ...“<br />
Jim nickte.<br />
„Hör zu. Die junge Frau ist aufgewacht. Geh zu ihr und versuch, etwas herauszu-<br />
finden. Wir könnten versuchen, sie und Sayid in Zusammenhang zu bringen. Wenn sie klar<br />
genug ist, versuch, ihr das irgendwie begreiflich zu machen.“<br />
Juliet nickte und verschwand im Haus, während Jim nun weiter ging zum Schul-<br />
gebäude. Dabei begegnete er Kate und Jack, die zu ihm eilen wollten. Er warf den Beiden<br />
einen Blick zu, der ganz klar besagte: Jetzt nicht! Geschickt taten sie so, als wären sie auf dem<br />
Weg zu Kates Haus und achteten nicht mehr auf Jim. Dieser eilte weiter und stand Minuten<br />
später alleine im Keller. Da der Raum videoüberwacht wurde, musste er sehr vorsichtig sein<br />
bei dem, was er sagte. Langsam trat er an das Gitter heran und sagte ruhig und doch eindring-<br />
lich:<br />
„Dein Name ist Sayid Jarrah? Ich bin James Lafleur, Chef des Sicherheitsteams.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Lafleur ... Wie der Eishockeyspieler?“<br />
Jim sah, dass Sayid sich mächtig zusammenreißen musste, um nicht zu Grinsen. Jim<br />
ging nicht auf die Bemerkung ein. Er sah Sayid ernst an.<br />
„Wir haben feste Regeln hier: Keiner, der nicht zur DHARMA Initiative gehört, darf<br />
sich hier im Dorf aufhalten. Gehörst du zu den ‟Anderen‟?“<br />
Jim hoffte, dass die Ausdrucksweise gegenüber dem hier gebräuchlichen Wort<br />
Hostiles nicht auffiel. Fest erklärte Sayid:<br />
war.<br />
„Nein, ich gehöre zu keinen ‟Anderen‟, wer oder was immer das sein mag.“<br />
Kurz schloss Jim die Augen, um Sayid zu signalisieren, dass die Antwort gut gewesen<br />
Nun kam ein kniffliger Moment, denn Jim musste dem Iraker Worte in den Mund<br />
legen. Er hoffte inständig, dass Horace und Phil, die ihn garantiert beobachteten und zuhörten,<br />
den Schachzug nicht merken würden. Und er betete, dass Sayid schnell kapierte, worauf Jim<br />
hinaus wollte.<br />
„Hast du die Dunkelhaarige gesucht, die ich vor n paar Tagen besinnungslos und<br />
schwer verletzt eingesammelt hab?“<br />
klang.<br />
Sayid reagierte goldrichtig!<br />
„Ihr habt sie gefunden? Wie geht es ihr? Lebt sie?“, fragte er scheinbar aufgeregt.<br />
Bevor Jim antworten konnte, knackte es im Lautsprecher und die Stimme Juliets er-<br />
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Frauke Feind<br />
„James, ich brauche dich in der Krankenstation. Kannst du bitte kommen?“<br />
Jim atmete innerlich auf. Er sah Sayid an und sagte ruhig:<br />
„Du hast es gehört, ich werd gebraucht. Ich schick dir jemanden mit Essen vorbei und<br />
wir setzen unsere Unterhaltung später fort.“<br />
Er drehte sich herum und verließ den Keller. Hastig eilte er zur Krankenstation<br />
hinüber. Juliet saß am Bett der jungen Frau, die scheinbar vor Erschöpfung wieder ein-<br />
geschlafen war. Jim trat näher und sah Jules auffordernd an.<br />
„Was ist denn?“, fragte er gelassen.<br />
„Sie war kurz wach. Es geht ihr etwas besser. Sie konnte mir sagen, dass sie sich nicht<br />
daran erinnert, wie sie hierhergekommen ist. Sie wusste nur vage, dass mehrere Leute bei ihr<br />
waren und einer davon war Iraker.“<br />
Jim atmete erneut erleichtert auf. Das lief besser als erwartet. Laut sagte er:<br />
„Hab ich mir gedacht. <strong>Der</strong> Typ hat ziemlich besorgt nach ihr gefragt. Vielleicht kann<br />
er sich ja erinnern, was passiert ist. Vom Himmel werden sie nicht gefallen sein, ich vermute,<br />
dass sie Schiffbruch erlitten haben. Die elenden Klippen haben es ja wirklich in sich. Ich geh<br />
noch mal zu dem Kerl zurück. Bleib du doch hier bei ihr, sie war vorhin so schrecklich auf-<br />
geregt und hat jämmerlich geweint. Vielleicht wacht sie wieder auf und du kannst dich ein<br />
wenig mit ihr unterhalten.“<br />
Juliet nickte.<br />
„Mach ich. Sie muss sich schrecklich fühlen, verletzt, unter Fremden, keine Er-<br />
innerung, was passiert ist. Wenn sie tatsächlich Schiffbruch erlitten haben, kann das schon zu<br />
einem traumatischen Gedächtnisverlust führen. Kümmere du dich um den Mann.“<br />
Jim nickte. Er gab Juliet einen Kuss und flüsterte:<br />
„Ich liebe dich!“<br />
************<br />
Ganz langsam wachte ich auf. Es dauerte eine Weile, bis mein Hirn auch nur ansatz-<br />
weise wieder funktionierte. Kaum tat es das aber, schoss mir auch sofort Jim in den Kopf.<br />
Tränen traten mir in die Augen und ich sah <strong>mich</strong> um. Als ich das erste Mal wach geworden<br />
war, hatte er an meinem Bett gesessen. Es hatte mir fast das Herz zerrissen, dass genau das<br />
passiert war, was wir befürchtet hatten: Er hatte keine Erinnerung an <strong>mich</strong>. Als plötzlich eine<br />
Sirene oder etwas Ähnliches losheulte, verschwand er nach draußen und ich konnte nur<br />
hinterher schauen. Minuten später war Juliet bei mir am Bett erschienen. Ich hatte sie sofort<br />
wieder erkannt. Die unheimliche Begegnung im Wald würde ich nie vergessen. Sie hatte sich<br />
zu mir gesetzt.<br />
„Hallo. Ich bin Juliet Burke. Ich bin Ärztin und habe Sie versorgt. Wie geht es Ihnen?<br />
Wie fühlen Sie sich?“<br />
- 245 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ich sah die blonde, hübsche Frau an und flüsterte schwach:<br />
„Ich ... habe Fieber. Was ist passiert?“<br />
Juliet lächelte.<br />
„Ich hatte gehofft, Sie könnten mir sagen, was geschehen ist. Mein Partner hat Sie ver-<br />
letzt und halb tot im Wald gefunden. Wie sind Sie dort hingekommen?“<br />
Ich wusste es nicht. Wusste es wirklich nicht. Mühsam schüttelte ich den<br />
schmerzenden Kopf.<br />
„Keine Ahnung ...“<br />
Juliet nickte verständnisvoll.<br />
„Waren noch andere Leute bei Ihnen? Sie haben mehrfach den Namen Jim gesagt und<br />
vielleicht können Sie sich noch an andere Begleiter erinnern?“<br />
Irgendetwas an Juliets Frage ließ mein umnebeltes Gehirn aufhorchen. Es schien mir,<br />
als erwarte sie dringend die Antwort ja. Mühsam versuchte ich, <strong>mich</strong> zu konzentrieren, ob-<br />
wohl mir bei der Erwähnung Jims schon wieder Tränen kamen. Langsam nickte ich.<br />
...“<br />
„Ja, es waren ... mehr ... aber ...“<br />
Juliet nickte verständnisvoll.<br />
„Strengen Sie sich nicht zu sehr an. Wir haben heute im Wald einen Iraker gefunden<br />
Ich atmete auf. Soweit konnte ich denken, dass ich spontan sagte:<br />
„Jarrah, Sayid Jarrah ... Ich ... ich kenne ihn ...“<br />
Ich hoffte, die richtige Antwort gegeben zu haben. Juliet sah <strong>mich</strong> allerdings sehr ver-<br />
wirrt an. Sie konnte sich vermutlich nicht erklären, woher ich den Namen kannte. Aber ich<br />
war jetzt am Ende meiner ohnehin nur schwach vorhandenen Kräfte angelangt. Meine Augen<br />
fielen mir zu und ich schlief ein.<br />
************<br />
Juliet sah die junge Frau noch einen Moment skeptisch an. Schließlich stand sie lang-<br />
sam auf und ging zur Schule hinüber, in der Hoffnung, Jim zu finden. Er stand auf der<br />
Veranda der Schule und unterhielt sich mit Horace. Sie nickte dem Anführer kurz zu und<br />
wandte sich an Jim.<br />
„James, die junge Frau kann sich offensichtlich nicht erinnern, was geschehen ist, aber<br />
sie meinte, sich an einen Mann namens Jarrah erinnern zu können, Sayid Jarrah.“<br />
Horace stutzte.<br />
„Dann muss der Typ wirklich zu ihr gehören.“<br />
Er wollte noch etwas sagen, aber im Hintergrund rief Amy nach ihm.<br />
„Schatz, das Essen ist fertig, kommst du bitte.“<br />
Horace zuckte die Schultern.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Meine Regierung ruft nach mir. Hat der Gefangene etwas zu essen bekommen?“<br />
Jim nickte.<br />
„Jepp, hab ich veranlasst. Ich werd ihm noch ein wenig auf den Zahn fühlen.“<br />
Juliet meinte:<br />
„Ich setze <strong>mich</strong> noch eine Weile zu der jungen Frau. Falls sie wieder aufwacht, kann<br />
es ja sein, dass sie sich an mehr erinnert.“<br />
Jim sah Juliet dankbar an.<br />
„Das ist süß von dir. Ich komm nachher und hol dich ab.“<br />
Er wollte sich herum drehen und in das Schulgebäude verschwinden, aber Juliet hielt<br />
ihn am Arm fest.<br />
„Warte bitte eine Sekunde.“, sagte sie leise und eindringlich.<br />
Jim blieb stehen.<br />
„Was ist denn?“<br />
Juliet sah sich unauffällig um, aber es war niemand in der Nähe.<br />
„James, woher kennt die junge Frau Sayid?“<br />
Jim stutzte.<br />
„Sie hat den Namen von sich auch genannt?“, fragte er verblüfft.<br />
„Ja, genau das hat sie.“, erwiderte Juliet angespannt.<br />
„Irgendetwas ist seltsam mit ihr.“<br />
Jim überlegte, dann sagte er:<br />
„Okay, darüber werden wir später mehr erfahren, wenn sie sich erholt hat. Jules, hör<br />
zu: Wenn sie wieder wach wird, musst du ihr ne Story mit nem Schiffbruch einreden, alles<br />
andere geht nicht. Ich werd versuchen, Sayid auch in diese Richtung zu bringen.“<br />
Juliet nickte.<br />
„Ja, das ist die einzig gangbare Erklärung. Ich werde es versuchen. Sie scheint schnell<br />
zu reagieren. Vielleicht kommen wir irgendwie mit einem blauen Auge aus der Sache raus.<br />
James?“<br />
Jim sah Juliet an.<br />
„Ja?“<br />
„Ich habe Angst. Angst, dass alles, was wir hier haben, den Bach runter geht.“<br />
Jim hatte dieselbe Angst, sagte aber locker:<br />
„Hey, Buffy, mach dir keine Sorgen, das kriegen wir alles in den Griff.“<br />
Juliet sah ihn ernst an.<br />
„Hoffentlich hast du Recht.“<br />
Sie drehte sich langsam herum und ging wieder zur Krankenstation hinüber.<br />
Jim sah ihr einen Moment nach und machte sich nun wieder auf den Weg in den<br />
Keller. Sayid hörte ihn kommen und erhob sich von der einfachen Pritsche in der kleinen<br />
Zelle. Als Jim vor ihm stand fragte der Iraker scheinbar besorgt:<br />
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„Wie geht es ihr?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim verschränkte die Arme vor der Brust.<br />
„Sie kann sich an dich erinnern, Ali. Sie hat deinen Namen bestätigt.“<br />
Kurz huschte Verständnislosigkeit über Sayids Gesicht, doch er war Profi genug, sich<br />
sofort wieder zu fangen.<br />
„Dann wisst ihr komischen Typen ja jetzt, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“, meinte<br />
er ruhig und ließ sich wieder auf die Pritsche sinken.<br />
„Scheint so. Sie kann sich nicht erinnern, wie ihr auf die Insel gekommen seid.“<br />
Sayid hatte sich über diese zwangsläufig folgende Frage auch schon den Kopf zer-<br />
brochen und die einzig gangbare Erklärung, die ihm eingefallen war, war ein Schiffbruch. So<br />
sagte er:<br />
„Wir sind mit einem kleinen Kutter zu einer Urlaubsreise aufgebrochen. Es ging in<br />
Tijuana los und sollte bis Honolulu gehen. Irgendwann kamen wir in einen Sturm und die<br />
Bordmechanik fiel aus, irgendwann auch das Radar und der Funk. Wir kämpften tagelang<br />
ums nackte <strong>Über</strong>leben und dann ... Da waren Riffe oder Klippen, wir müssen Leck ge-<br />
schlagen sein. Ich bin am Strand zu mir gekommen und tagelang herum geirrt, hab nach den<br />
anderen Reisenden gesucht.“<br />
Jim gratulierte Sayid im Stillen für seinen Einfallsreichtum und fragte:<br />
„Wie viele wart ihr?“<br />
„Inklusive des Captains und zwei Besatzungsmitgliedern sieben Leute.“<br />
Sayid betete, dass er nicht zu hoch pokerte. Jim signalisierte ihm mit den Augen, dass<br />
das in Ordnung war.<br />
„Wie heißt die junge Frau?“<br />
Er musste diese Frage stellen, und er hoffte, dass Sayid auch jetzt richtig reagieren<br />
würde. Dieser zuckte die Schultern.<br />
„Sie hat sich nicht richtig vorgestellt, meinte nur, wir könnten sie Frisco nennen, weil<br />
sie wohl aus San Francisco kommt.“<br />
Jim atmete auf.<br />
„Wir werden uns überlegen, was mit dir passieren soll. Für diese Nacht wirst du hier<br />
in der Zelle bleiben müssen, Mohamed, tut mir leid. Mach es dir bequem.“<br />
Pritsche aus.<br />
Er nickte Sayid noch einmal zu, verließ den Keller und Sayid streckte sich auf der<br />
Jim beeilte sich, zu Juliet in die Krankenstation zu kommen. Seine Partnerin saß am<br />
Bett der Verletzten und sah auf, als Jim den Raum betrat. <strong>Der</strong> junge Mann zog sich einen<br />
zweiten Stuhl heran und setzte sich zu Juliet.<br />
„Na, ist Jane Doe wieder wach geworden?“<br />
Juliet schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, sie schläft sich gesund. Hast du noch etwas erfahren?“<br />
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Jim nickte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Jepp, die waren auf ner Kreuzfahrt, von Tijuana nach Honolulu. Sind in nem Sturm<br />
vom Kurs abgekommen, hatten Instrumentenausfall und sind auf den Klippen gekentert, auf<br />
denen wir damals wohl auch abgesoffen sind. Waren insgesamt zu siebt. Wer weiß, vielleicht<br />
haben noch mehr überlebt. Ich werd meine Leute noch mal suchen lassen.“<br />
Er sah die junge Frau im Bett an und wieder hatte er ein eigenartiges Gefühl dabei.<br />
„Sie hat sich wohl nicht richtig vorgestellt, Al-Jazeera da unten meint, sie hätte sich Frisco<br />
nennen lassen, weil sie aus Frisco kommt.“<br />
war.<br />
Er zuckte zusammen, als plötzlich schwach die Stimme der jungen Frau zu vernehmen<br />
„Mein Name ist ... Kelly ...“<br />
22) <strong>Der</strong> Schuss<br />
Langsam erholte ich <strong>mich</strong> und kam zu Kräften. Juliet war viel bei mir und versuchte,<br />
sich mit mir zu unterhalten. Ich wusste inzwischen von der Geschichte mit dem Schiffbruch,<br />
blieb aber sicherheitshalber bei meiner Version, <strong>mich</strong> an nichts erinnern zu können. Juliet<br />
bestätigte, dass dieser Gedächtnisverlust auf das Trauma zurückzuführen war, dass der<br />
tagelange Sturm und der Untergang des Kutters ausgelöst hatten. So brauchte ich mir nicht<br />
auch noch etwas auszudenken. Sayid war aus dem Keller geholt und ausgerechnet zu Jack und<br />
Hurley gesteckt worden. Glücklicherweise hatte sogar Hurley schnell reagiert und sich nicht<br />
verraten. <strong>Der</strong> Iraker wurde zum Dienst in der Technik eingeteilt, nachdem er Horace durch<br />
seine umfangreichen Kenntnisse beeindruckt hatte. Ich konnte das Bett schon stundenweise<br />
verlassen und hockte viel auf der kleinen Terrasse der Krankenstation. Dabei hatte ich ge-<br />
merkt, dass ich das Medaillon von Richard noch trug und war ungemein erleichtert. Wann<br />
immer ich Jim sah, und das war verhältnismäßig oft, musste ich mit aller Kraft gegen den<br />
Impuls kämpfen, heulend zu ihm zu rennen, ihn in die Arme zu nehmen und nie wieder loszu-<br />
lassen. Auch wenn ich mir zig Mal sagte, dass er <strong>mich</strong> nicht kannte, tat jede Berührung, die<br />
ich zwischen ihm und Juliet beobachtete, so weh, dass ich hätte schreien können. Jack, Hurley<br />
und Kate kümmerten sich nicht um <strong>mich</strong>, Sayid kam ab und an zu mir hinüber. Immerhin<br />
‟kannten‟ wir uns ja von der Reise. Es wäre stark aufgefallen, wenn er <strong>mich</strong> nicht aufgesucht<br />
hätte. Auch Horace, der hier offensichtlich der Anführer war, besuchte <strong>mich</strong> ab und zu, meist,<br />
um mir noch die eine oder andere Frage zu stellen. Da ich <strong>mich</strong> in der Tat nicht erinnerte, was<br />
sich abgespielt hatte, nachdem ich das Rad endlich bewegt bekommen hatte, konnte ich ihm<br />
mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich nicht wusste, wie ich auf die Insel gekommen war.<br />
Schließlich gab er sich zufrieden und ließ <strong>mich</strong> in Ruhe.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich hatte keine Idee, in welchem Zeitraum sich die dramatischen Ereignisse, die <strong>mich</strong><br />
letztlich her geführt hatten, abgespielt hatten. So saß ich da und beobachtete erst einmal meine<br />
neue Umgebung. Juliet versuchte oft, mit mir ins Gespräch zu kommen, aber ich ertrug es<br />
immer weniger, mit ihr zu Reden. Zu sehr war der Gedanke, dass sie bei Jim war und nicht<br />
ich, ein Störfaktor. Es kostete <strong>mich</strong> alle Kraft, überhaupt freundlich zu ihr zu sein, dabei<br />
mochte ich sie. Ihre ruhige, beherrschte Art entsprach ganz meiner Denkweise. Dass ich<br />
Krankenschwester war hatte ich Horace erzählt und so teilte er <strong>mich</strong> schließlich zum Dienst<br />
auf der Krankenstation ein, da Opals Dienstzeit gerade abgelaufen war. Ich übernahm ihre<br />
Wohnung, die sie sich mit einem jungen Mann Namens Wayne teilte. Er versuchte, bei mir zu<br />
landen, gab aber sehr schnell auf. Ungefähr eine Woche nachdem ich meinen Dienst an-<br />
getreten hatte, beobachtete ich zufällig, wie Sayid sich mit einem vielleicht dreizehn Jahre<br />
alten Jungen unterhielt. Aufmerksam behielt ich die Beiden im Auge. <strong>Der</strong> Junge schien Sayid<br />
einige Fragen zu stellen, die dieser bereitwillig beantwortete. Da der Ablauf der Geschehnisse<br />
sich bereits dadurch geändert hatte, dass Sayid nicht hatte aus dem Gefängnis ausbrechen<br />
müssen, konnte es sein, dass es nicht zu dem verheerenden Schuss auf Ben, denn er musste<br />
der Junge sein, kam. Aber sicher war ich mir nicht. Möglich war auch, dass es nur unter<br />
anderen Umständen geschehen würde. Sicher hätte Sayid diese Idee auf jedem Fall, da er Ben<br />
hasste wie kaum etwas anderes auf der Welt.<br />
Dass ich die Beiden in den nächsten Tagen häufiger zusammen sah, machte mir<br />
Sorgen. Bens Vater Roger beobachtete die Beiden ebenfalls mit erheblichem Misstrauen. Er<br />
schnauzte seinen Sohn wiederholt an, dass er sich von dem Fremden fernhalten sollte. Doch<br />
Ben kümmerte sich nicht um die Weisungen und besuchte Sayid weiter, sobald es ihm einmal<br />
möglich war. Da sich im Moment keine Gefahr dabei andeutete, beschloss ich, <strong>mich</strong> erst ein-<br />
mal damit zu beschäftigen, wie ich das Vertrauen Kates, Jacks, Hurleys und besonders Jims<br />
und Juliets erringen konnte. Hurley war kein Problem, ich fragte ihn einfach, ob er Back-<br />
gammon spielte und da ich wusste, dass er das tat, war es kein Problem, <strong>mich</strong> mit ihm anzu-<br />
freunden. Kate und Jack waren da schon ein größeres Problem, zumal ich zugeben musste,<br />
dass ich beide nicht besonders mochte. Das größte Problem aber waren Jim und Juliet, da ich<br />
die blonde Frau am liebsten von der Insel gebeamt hätte. Die Tage vergingen ruhig, ich ging<br />
meiner Arbeit nach und verhielt <strong>mich</strong> möglichst unauffällig. Schließlich, ungefähr zwei<br />
Wochen nach meiner Ankunft in Dharmaville, sortierte ich Medikamente in einen abschließ-<br />
baren Schrank, als plötzlich die Tür schwungvoll aufgestoßen wurde. Miles kam herein und<br />
rief: „Kelly, bist du da?“<br />
Ich eilte nach vorne in den kleinen Empfangsraum und blieb wie angewurzelt stehen.<br />
Miles war nicht alleine. Er hatte Jim bei sich, der sich stöhnend den linken Oberschenkel<br />
hielt. Blut lief an seinem Bein herunter und er wankte. Schnell trat ich zu ihm und legte auf<br />
der anderen Seite meinen Arm um ihn. Zusammen mit Miles schaffte ich ihn in den Be-<br />
handlungsraum und fragte dabei:<br />
- 250 -
Miles erklärte:<br />
„Was ist passiert?“<br />
Jim fluchte ungehalten.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Elende Scheiße! Bin auf der Baustelle an nem losen Metallteil hängen geblieben ...“<br />
„Er hat eine tiefe Schnittwunde und blutet wie ein Schwein.“<br />
Giftig sah Jim den Kollegen an. Wir halfen ihm, sich auf die Behandlungsliege zu<br />
legen. Miles meinte:<br />
Zähnen.<br />
„Ich geh mal Gucken, ob ich Juliet finde.“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Vergiss es, sie ist heute in der Hydra.“, knurrte er zwischen zusammengebissenen<br />
Ich hatte mir inzwischen eine Schere geschnappt und beugte <strong>mich</strong> über Jims Bein. Er<br />
hatte sich auf die Liege gelegt und atmete schwer vor Schmerzen. Vorsichtig schnitt ich das<br />
Hosenbein ab. Ich half ihm aus den Stiefeln und zog ihm das abgeschnittene Hosenbein aus.<br />
Jetzt sah ich die Wunde. Sie sah übel aus. Schnell griff ich mir Watte und tupfte das Blut weg,<br />
bis ich vernünftig sehen konnte.<br />
„Das muss ich nähen, das ist zu tief.“<br />
Jim versuchte, sich aufzurichten, aber ich fuhr ihn an:<br />
„Bleib liegen!“<br />
Schnell ging ich an den Medikamentenschrank und griff nach einer Einwegspritze. Ich<br />
packte diese aus und zog aus einer kleinen Glasflasche Lidocain in die Spritze.<br />
„Ich werde dir eine örtliche Betäubung geben, dann lassen die Schmerzen nach.“<br />
Schnell und präzise umspritzte ich die klaffende Wunde, was Jim mit einem gequälten<br />
Stöhnen quittierte. Ich wartete einige Augenblicke.<br />
„So, das sollte reichen.“<br />
Ich nahm Nadel und Faden und beugte <strong>mich</strong> konzentriert über das Bein. Miles stand<br />
neben mir und beobachtete interessiert, was ich tat.<br />
„Schalte bitte mal die Lampe an.“, bat ich ihn und er rückte die kleine Operations-<br />
lampe, die über der Behandlungsliege angebracht war, genau über die Wunde und legte den<br />
Schalter um.<br />
Ich tupfte noch einmal Blut fort und begann, die Wunde sorgfältig zu nähen. Jim lag<br />
still, das Lidocain wirkte und nahm ihm weitestgehend die Schmerzen. Ich brauchte zehn<br />
Stiche, bis ich die klaffende Wunde verschlossen hatte. Anschließend reinigte ich den Ober-<br />
schenkel gründlich und legte einen festen Verband an.<br />
„Wann kommt Juliet zurück?“, fragte ich Jim und dieser seufzte.<br />
„Morgen Mittag frühestens.“<br />
Ich nickte genervt.<br />
- 251 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Okay, dann bleibst du über Nacht hier. Miles, du kannst wieder an die Arbeit gehen.“<br />
<strong>Der</strong> junge Mann nickte und grinste Jim an.<br />
„Dann lass dich mal verwöhnen, Lafleur.“<br />
Er verschwand und Jim und ich waren alleine.<br />
„Bleib noch liegen, ich mache eines der Betten fertig.“, erklärte ich und verließ fast<br />
fluchtartig den Behandlungsraum.<br />
Im Schlafsaal bereitete ich ein Bett vor und musste zwangsläufig zu Jim zurückkehren.<br />
„So, Bett ist fertig, komm, ich helfe dir.“<br />
Jim richtete sich auf und schwang die Beine von der Liege. Er stützte sich auf <strong>mich</strong><br />
und so humpelte er in den Nebenraum hinüber. Aufseufzend sank er auf das Bett und ich half<br />
ihm, sich den Overall auszuziehen. Erleichtert machte er es sich bequem. Ich deckte ihn zu<br />
und als er dort in dem Bett lag, konnte ich nicht mehr verhindern, dass mir Tränen in die<br />
Augen schossen. Schnell drehte ich <strong>mich</strong> herum, murmelte etwas von Aufräumen und musste<br />
<strong>mich</strong> beherrschen, um nicht aus dem Saal zu rennen. Ich eilte auf die Toilette und dort brach<br />
ich weinend zusammen. Ich hatte das Gefühl, nicht wieder zurück in den Schlafsaal gehen zu<br />
können. Jim dort verletzt im Bett liegen zu sehen, war der berühmte Tropfen, der mein Fass<br />
zum <strong>Über</strong>laufen gebracht hatte. Die Erinnerung daran, wie ich ihn vor weniger als acht<br />
Wochen zu Großvaters Haus geschafft hatte, halb tot, von nackter Angst erfüllt, war zu über-<br />
wältigend. Wie, um alles in der Welt sollte ich zu ihm zurückgehen, ohne <strong>mich</strong> zu verraten?<br />
Hätte ich wenigstens einen Menschen gehabt, mit dem ich <strong>mich</strong> hätte über alles unterhalten<br />
können. Aber da gab es niemanden.<br />
Irgendwann hatte ich <strong>mich</strong> so weit beruhigt, dass ich den Mut aufbrachte, den Wasch-<br />
raum zu verlassen. Dass meine Augen vom Weinen geschwollen waren, vergaß ich komplett.<br />
Ich griff eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und kehrte damit zu Jim zurück, der mit<br />
zusammengebissenen Zähnen im Bett lag.<br />
„Schmerzen?“, fragte ich leise.<br />
Er knurrte genervt und grummelte:<br />
„Kann man so sagen ...“<br />
Ich nickte.<br />
„Ich werde dir was holen, Moment.“<br />
Ich eilte an den Medikamentenschrank und nahm zwei Schmerztabletten aus einem<br />
Glas. Damit kehrte ich zu Jim zurück und drückte ihm Wasser und Tabletten in die Hand. Er<br />
sah <strong>mich</strong> an und sagte:<br />
„Danke.“<br />
Plötzlich stutzte er. Er hatte meine rot geweinten Augen gesehen. Schnell spülte er die<br />
Tabletten hinunter und schaute <strong>mich</strong> erneut an.<br />
„Was ist denn los? Kann ich was für dich tun?“<br />
- Ja! Dich an <strong>mich</strong> erinnern! -<br />
- 252 -
schrie ich gedanklich. Leise sagte ich:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein, kannst du wirklich nicht, es ist nichts.“<br />
Er zog die Augenbrauen hoch und grinste.<br />
„Ja, so sieht du auch aus, als ob gar nichts wäre. Ist es wegen Jim?“<br />
Ich spürte, dass ich blass wurde.<br />
„Was meinst du?“, fragte ich nervös.<br />
„Du hast im Fieber immer wieder nach ihm gerufen. Ist er dein Freund? War er auch<br />
auf dem Schiff?“<br />
schaute.<br />
„Nein, er ist ... Ich kenne ihn von ... Er ist weg.“<br />
Hastig verließ ich wieder den Saal und wusste, dass Jim mir verblüfft hinterher<br />
Als es dunkel wurde rief ich in der Kantine an, dass man zwei Abendessen zu mir<br />
schicken sollte. Hurley war am Telefon und fragte:<br />
„Ist es für Sawy ... Jim ... ähm ... Lafleur?“<br />
Ich musste unwillkürlich schmunzeln. Hurley war einfach ein Plappermaul, er würde<br />
sicher irgendwann einen Fehler machen. Ich erwiderte:<br />
„Ja, für Lafleur und <strong>mich</strong>. Er bleibt über Nacht hier, also muss ich auch bleiben.“ „Ich<br />
mach euch was fertig und bring es gleich rüber, versprochen.“<br />
Zehn Minuten später kam der junge Mann mit zwei abgedeckten Tellern und drückte<br />
mir diese in die Hand.<br />
„Lasst es euch schmecken. Und sag Sawy... ähm ... Jim meine ich, gute Besserung.“<br />
Ich sah Hurley an und erklärte ruhig:<br />
„Du musst vorsichtiger sein, Hugo.“<br />
„Was? Wie? Ich ... ich muss los.“<br />
Fassungslos fuhr Hurley herum und verschwand. Ich holte tief Luft, trat mir selbst ge-<br />
danklich in den Hintern und ging entschlossen zum Schlafsaal hinüber. Jim sah mir entgegen<br />
und hatte einen sehr eigenartigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Ich erschrak ein wenig. Nein,<br />
er konnte doch meine Worte nicht gehört haben! Sieden heiß fiel mir ein, dass Jim ein außer-<br />
gewöhnlich gutes Gehör hatte. Mir wurde heiß. Möglichst locker stellte ich die beiden Teller<br />
auf einen Rollwagen und trat an Jims Bett. Wortlos stellte ich das Rückenteil aufrecht, bis er<br />
bequem saß. Jetzt griff ich nach einem Betttisch und platzierte ihn über Jims Beine.<br />
„Geht es so?“<br />
Jim nickte. Er sah <strong>mich</strong> immer noch an und auch, als ich ihm seinen Teller zu Recht<br />
gestellt hatte, beobachtete er <strong>mich</strong> noch genau. Schweigend aßen wir unser Abendbrot.<br />
Als wir fertig waren und ich Jim Teller und Betttisch abgenommen hatte, lehnte er<br />
sich gemütlich zurück und sagte:<br />
- 253 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich kann doch auch zuhause im Bett liegen, du brauchst dir nicht die Nacht für <strong>mich</strong><br />
um die Ohren haun.“<br />
Ich nickte.<br />
„Sicher, und wenn du was brauchst, flitzt du schnell mal los und holst es dir, richtig?“<br />
Er verdrehte die Augen.<br />
„Was soll ich schon brauchen? N gutes Buch, n Bier und das war„s. Oder ne gute<br />
Unterhaltung über etwas, das mir aufgefallen ist.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> aufmerksam an und fragte:<br />
„Woher weißt du, wie ich genannt werde? <strong>Der</strong> Name ich hier nicht gefallen.“<br />
Ich spürte, wie mir heiß wurde. Er hatte es also tatsächlich mitbekommen. Warum nur<br />
hatte ich nicht daran gedacht, wie gut er hörte? Hektisch suchte ich nach einer Erklärung.<br />
„Kate hat dich so genannt ... Sawyer.“<br />
„Klar, und warum soll Hurley deswegen vorsichtiger sein?“<br />
In meinem Kopf arbeitete es. Schließlich sagte ich langsam:<br />
„Weißt du, Lafleur, ich ... man sagt mir eine sehr gute Beobachtungsgabe nach. Ich<br />
habe drei Tage lang dort draußen auf der Terrasse herumgesessen und <strong>mich</strong> zu Tode gelang-<br />
weilt. Dabei hatte ich Zeit genug, vieles zu beobachten. Und du weißt so gut wie ich, dass<br />
Sayid und ich uns nicht kennen, das ist genauso sicher wie die Tatsache, dass Juliet, du, Jin,<br />
Kate, Jack, Hurley und Sayid, sowie Miles ... nun, dass ihr euch sehr wohl kennt, und nicht<br />
erst seit ... seit hier bei der DHARMA Initiative.“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und in seinen Augen funkelte Misstrauen und Besorgnis.<br />
„Wie kommst du darauf?“<br />
Ich atmete tief ein.<br />
„Nun, wie ich bereits sagte, ich habe eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe. Den<br />
Leuten hier ist nicht klar, dass ihr euch kennt. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“<br />
Schnell, viel zu schnell erwiderte Jim:<br />
„Ich mach mir keine Sorgen.“<br />
Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.<br />
„Nein, natürlich nicht. Warum hat Juliet mir dann geradezu in den Mund gelegt, dass<br />
Sayid mit an Bord des Schiffes war, von dem auch ich komme?“<br />
„Das hast du gemerkt?“<br />
Bevor Jim wohl überhaupt klar war, was er sagte, waren ihm diese Worte bereits ent-<br />
wichen. Etwas gestresst schnaufte er.<br />
verraten.“<br />
„Das hat sie nicht.“, versuchte er seinen Worten hektisch die Wirkung zu nehmen.<br />
Ich sah ihn ruhig an, obwohl ich innerlich nicht annähernd so ruhig war.<br />
„Mach dir bitte keine Gedanken darüber, ich werde ganz bestimmt niemandem etwas<br />
Skeptisch zog Jim die Augenbrauen in die Höhe.<br />
- 254 -
„Was auch ...“, meinte er leise.<br />
Genervt verzog er das Gesicht.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Hast du wieder Schmerzen?“, fragte ich besorgt.<br />
Er rieb sich unwillkürlich das Bein und nickte.<br />
„Ja, aber es ist auszuhalten.“<br />
„Möchtest du für die Nacht noch einmal Schmerzmittel haben?“<br />
Jetzt lächelte er.<br />
„Wenn ich noch was kriegen kann?“<br />
Sein Lächeln versetzte mir erneut einen schmerzhaften Stich im Herzen. Alles in mir<br />
schrie danach, ihn in die Arme zu schließen und ihn seine Schmerzen auf andere Weise ver-<br />
gessen zu lassen. Doch stattdessen stand ich auf und holte ihm noch einmal zwei Tabletten,<br />
die ich ihm reichte.<br />
„Hier, damit wirst du besser schlafen.“<br />
Dankbar schluckte er die Pillen und bat:<br />
„Kannst du das Bett runterlassen?“<br />
Sofort sprang ich auf und stellte das Rückenteil wieder waagerecht. Müde sagte Jim:<br />
„Danke für deine Hilfe.“<br />
Ich nickte und erwiderte:<br />
„Dafür bin ich ja da. Du solltest versuchen, zu Schlafen, Morgen wird es dir schon<br />
besser gehen, da bin ich sicher. Wenn etwas ist, ich bin nebenan.“<br />
Er gähnte herzhaft und meinte:<br />
„Werd ich mir merken. Gute Nacht.“<br />
Er drehte sich vorsichtig auf die Seite und ich verließ leise den Saal und schaltete das<br />
Licht aus. Ich räumte im Behandlungszimmer auf, dann schlich ich <strong>mich</strong> in den Schlafsaal<br />
zurück und kontrollierte, ob Jim eingeschlafen war. Seine ruhigen Atemzüge verrieten mir,<br />
dass er tief und fest schlief. Leise zog ich den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, dichter und<br />
ließ <strong>mich</strong> darauf sinken. Ich sah Jim an und seufzte. Wie sollte ich diese Nähe nur weiter aus-<br />
halten?<br />
************<br />
Am frühen Nachmittag des nächstens Tages kehrte Juliet von der Hydra Station<br />
zurück und eilte sofort zu Jim in die Krankenstation. Ich hatte gerade einen Verbandswechsel<br />
vorgenommen, als sie in den Saal kam.<br />
„Jim. Wie geht es dir?“<br />
Sie eilte zu ihm ans Bett und gab ihm einen liebevollen Kuss. Jim grinste.<br />
„Hey, Blondie. Keine Panik, bin sehr gut versorgt worden. Ist halb so wild.“<br />
Juliet sah <strong>mich</strong> an.<br />
- 255 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wie wild ist es wirklich?“, fragte sie ruhig.<br />
Ich biss mir auf die Lippe und erklärte:<br />
„Nun, ich musste zehn Stiche machen, aber die Wunde sieht gut aus, trocken, keine<br />
Entzündung, das wird schnell verheilt sein.“<br />
Erleichtert atmete Juliet auf.<br />
„Kelly, ich danke dir sehr. Dann werde ich dich mal von ihm befreien, was?“<br />
Ich nickte.<br />
„Du kannst ihn mitnehmen.“<br />
Juliet half Jim dabei, in den Overall zu steigen und er stand langsam auf. Das verletzte<br />
Bein trug ihn und so humpelte er langsam mit Juliet aus der Krankenstation hinaus. An der<br />
Tür drehte er sich noch einmal herum und sagte:<br />
„Noch mal vielen Dank. Für alles, okay.“<br />
Ich nickte.<br />
„Kein Problem, sagte ich ja schon.“<br />
Ich stand wieder einmal da und konnte den Beiden nur hinterher schauen, wie sie zu<br />
ihrem Haus hinübergingen. Aber etwas Gutes hatte die Verletzung wenigstens gebracht: Ich<br />
war mir ziemlich sicher, dass Jim jetzt ein gewisses Vertrauen zu mir aufbrachte.<br />
************<br />
Sayid bekam immer wieder Besuch von dem jungen Benjamin Linus, der später ein-<br />
mal der gewissenlose, psychopathische und manipulative Anführer der ‟Anderen‟ werden<br />
würde. In dem ehemaligen Angehörigen der republikanischen Garde im Irak reifte ein ver-<br />
hängnisvoller Plan: Er beschloss, Benjamin zu töten! Sayid war sich sicher, damit die Zu-<br />
kunft, in welcher Ben vielen von seinen Freunden und ihm selbst übel mitspielte, zu ver-<br />
ändern und war bereit, dafür die Tötung eines Kindes auf sich zu nehmen. Er hatte in seinem<br />
bisherigen Leben schon so viel Schlimmes getan, hatte gemordet, gefoltert, er war bereit, auch<br />
noch diesen in seinen Augen absolut notwendigen Schritt zu machen. Eine Waffe hatte er<br />
zugeteilt bekommen, da er sehr gut damit umgehen konnte und somit im Notfall zur Ver-<br />
teidigung eingesetzt werden konnte. Er hatte eine 9 mm Smith & Wesson erhalten und über-<br />
legt, wie er es am besten anstellen konnte, den Jungen zu erschießen. Diese Gelegenheit ergab<br />
sich schneller, als Jarrah erwartete hatte. Horace hatte ihm den Auftrag gegeben, zum U-Boot-<br />
Dock zu fahren, da es dort ein Problem mit der Funkanlage gegeben hatte. Sayid setzte sich in<br />
einen der kleinen Geländewagen und machte sich auf den Weg. Er benötigte für die Reparatur<br />
einige Zeit, dann konnte er melden, dass die Anlage wieder einwandfrei funktionierte. Er<br />
machte sich auf den Rückweg zum Dorf. Als er vielleicht noch eine halbe Meile entfernt war,<br />
gab es einen der verhassten, kräftigen Gewitterschauer. Fluchend saß Sayid in dem offenen<br />
Wagen und war binnen weniger Sekunden bis auf die Haut durchnässt. Und dann sah er plötz-<br />
- 256 -
By<br />
Frauke Feind<br />
lich vor sich auf der Straße einen Jungen rennen. Er erkannte, dass es Ben war. Blitzschnell<br />
beschloss Jarrah, die Gelegenheit zu nutzen. Ben hatte ihn ebenfalls entdeckt und kam zum<br />
Wagen gerannt.<br />
„Hallo, Sayid, nimmst du <strong>mich</strong> bitte ...“<br />
Weiter kam der Junge nicht. Plötzlich hatte der Mann, den Ben so bewunderte, eine<br />
Waffe in der Hand, zielte kurz und drückte ohne zu Zögern ab. Mit weit aufgerissenen Augen,<br />
in denen nur <strong>Über</strong>raschung zu erkennen war, brach Ben, von dem Schuss in die Brust ge-<br />
troffen, zusammen. Sayid biss die Zähne zusammen. Er zwang sich, daran zu denken, welches<br />
Leid dieser Junge später als Erwachsener verursachen würde. Er steckte die Waffe weg und<br />
gab Gas.<br />
************<br />
Horace‟ Frau Amy hielt mir ihren Säugling entgegen und ich nahm ihr das Baby<br />
lächelnd ab. Sanft legte ich den kleinen Jungen auf die Babywaage. Ich warf einen Blick auf<br />
die Anzeige und nickte zufrieden.<br />
„Wunderbar, Amy, er hat 200 Gramm zugenommen. Das ist genau richtig.“<br />
Dem Kleinen passte es überhaupt nicht, auf der Waage zu liegen und er schrie laut-<br />
stark seine Empörung hinaus. Lachend nahm ich den Winzling wieder auf den Arm und sofort<br />
beruhigte er sich. Draußen gab es einen heftigen Donnerschlag und das Baby zuckte er-<br />
schrocken zusammen und verzog das Gesicht.<br />
„Keine Angst, Klein Ethan, daran gewöhnst du dich besser.“, sagte ich liebevoll.<br />
Amy lachte.<br />
„Allerdings. Wie ich diese Sommergewitter hasse. Wenn man draußen ist, ist man<br />
immer sofort bis auf die Unterwäsche durchnässt.“<br />
„Ja, grässlich.“, stimmte ich ihr zu.<br />
Ich reichte ihr ihren Sohn und gemeinsam traten wir auf die überdachte Terrasse<br />
hinaus. Langsam beruhigte sich das Unwetter und Amy verabschiedet sich bei mir.<br />
„Ich werd dann mal, bis nächste Woche.“<br />
Sie eilte über die aufgeweichten Wege zu ihrem Haus hinüber. Ich widmete <strong>mich</strong><br />
wieder meiner Arbeit, die ich durch Amys Ankunft hatte unterbrechen müssen. Die Kartei-<br />
karten der Neuzugänge mussten aktualisiert werden. Ich hielt gerade Jacks Karte in der Hand<br />
und starrte sie gedankenverloren an, als draußen einer der VW Busse schlitternd zum Stehen<br />
kam. Alarmiert sprang ich auf. Wenn jemand es so eilig hatte, deutete das darauf hin, dass<br />
etwas geschehen war. Ich eilte zur Tür und dort kam mir Jin entgegen. Er war klatschnass und<br />
trug einen reglosen Körper auf seinen Armen. Geschockt starrte ich ihm entgegen. Ich wusste,<br />
wen er da trug, bevor ich es erkennen konnte. Großer Gott. Sayid hatte es getan!<br />
- 257 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Schnell, bring ihn rein.“, stieß ich ohne nachzudenken hervor.<br />
Dass ich gar nicht fragte, was passiert war, fiel Jin zum Glück nicht auf. <strong>Der</strong> Koreaner<br />
trug den schwer verletzten Jungen in den Behandlungsraum und legte ihn sanft auf die Liege.<br />
Ich beugte <strong>mich</strong> über ihn und bat Jin hastig:<br />
„Lauf schnell und hole Juliet, ich werde sie brauchen.“<br />
Jin nickte und rannte los. Ich zog Ben bereits die nassen Kleidungsstücke aus und eilte<br />
in den Nebenraum, wo ein funkelnagelneues Tropfgestell auf seinen ersten Einsatz wartete.<br />
Aus dem Kühlschrank griff ich mir zwei Beutel Volumenersatz. Damit hetzte ich an den<br />
Schrank und griff mir einen Venenverweilkanüle. Schon stand ich wieder neben der Liege<br />
und legte dem Jungen die Kanüle in den linken Handrücken. Schnell war der erste Beutel<br />
HyperHEAS 1 angeschlossen. Jetzt kam auch schon Juliet in den Behandlungsraum gehetzt, im<br />
Schlepptau Jim. Dieser konnte schon wieder gut laufen. Einmal mehr unterstützte ihn schein-<br />
bar die Insel bei der Heilung.<br />
passiert ist.“<br />
„Was ist ...“<br />
Ich unterbrach ihn und klärte Juliet auf.<br />
„Steckschuss in der Brust, die Kugel muss raus.“<br />
Jim wollte erneut eine Frage stellen, aber ruhig und bestimmt erklärte Juliet:<br />
„Du wirst jetzt verschwinden, James, du kannst uns hier nicht helfen. Frage Jin, was<br />
Kurz wirkte es, als wolle Jim aufbegehren, dann aber drehte er sich wortlos herum und<br />
verschwand nach draußen.<br />
Juliet und ich kümmerten uns um Ben und schnell wurde uns klar, dass wir einen<br />
echten Chirurgen brauchten. Juliet konnte die Kugel nicht entfernen. Und auch ich war damit<br />
überfordert. Hastig erklärte sie:<br />
„Hör zu, Kelly, geh zu Jack. Er ist ...“<br />
Bevor sie zu Ende sprechen konnte, nickte ich bereits.<br />
„Ich weiß.“<br />
Ohne eine Erklärung abzugeben rannte ich los, um Jack zu suchen, auch wenn ich<br />
wusste, dass er seine Hilfe bereits verweigert hatte. Meine Hoffnung war, dass er es diesmal<br />
vielleicht nicht tun würde. Ich fand ihn zusammen mit Kate, Hurley und Miles in seinem<br />
Haus.<br />
„Jack, hört zu, jemand hat auf Ben geschossen, wir brauchen deine Hilfe. Juliet und<br />
ich bekommen die Kugel nicht heraus, das erfordert einen Chirurgen.“<br />
1 hyperosmolare Infusionslösung, die das intravasale Volumen besonders rasch und effektiv er-<br />
höht, da sie den Effekt hyperosmolarer kristalliner mit dem kolloider Volumenexpander<br />
kombinieren. <strong>Der</strong> Volumenersatz soll die Hypovolämie ausgleichen, aber nicht zu einer<br />
nennenswerten Hypervolämie führen<br />
- 258 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Jack hatte mir ruhig zugehört. Scheinbar hatte sich bereits bis hier herum gesprochen,<br />
was geschehen war, denn Jack wirkte nicht überrascht. Er sah <strong>mich</strong> an und erklärte seelen-<br />
ruhig:<br />
„Ich werde nicht helfen.“<br />
Zwar war mir das klar gewesen, aber es so kalt aus Jacks Mund zu hören, der immer-<br />
hin Arzt war und den hippokratischen Eid geleistet hatte, schockierte <strong>mich</strong> doch. Bevor ich<br />
noch etwas sagen konnte, fuhr Kate dazwischen.<br />
plant zu Ende.<br />
„Das kannst du nicht machen, Jack!“<br />
„Doch, dass kann ich. Du weißt, warum.“<br />
Kate schüttelte entsetzt den Kopf.<br />
„Jack, er ist ein Kind.“<br />
Ruhig nickte der Arzt.<br />
„Ja, das ist er. Und wir wissen, was aus ...“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und unterbrach sich. Schließlich führte er seinen Satz anders als ge-<br />
„Du weißt, was passiert, wenn ich <strong>mich</strong> als Arzt oute.“<br />
Er warf mir einen harten Blick zu und ich nickte.<br />
„Das weiß hier keiner?“, tat ich unwissend und Jack erklärte kühl:<br />
„Und dabei muss es auch bleiben.“<br />
Mir kräuselten sich die Nackenhaare.<br />
„Du hast als Arzt geschworen, Menschenleben zu retten.“<br />
Jack sah <strong>mich</strong> überheblich an und erwiderte:<br />
„Das ist mir klar. Ich habe aber meine Gründe. Und jetzt lass <strong>mich</strong> zufrieden.“<br />
Kate sah Jack verwirrt und entsetzt an und sagte betroffen:<br />
„Ich mag den neuen Jack nicht.“<br />
Jack verzog das Gesicht.<br />
„Du mochtest auch den alten Jack nicht.“<br />
Er drehte sich brüsk herum und verließ das Haus. Hurley und Miles sahen sich be-<br />
troffen an, schwiegen aber.<br />
„Er braucht Blut.“, sagte ich jetzt, um das verlegene Schweigen zu brechen.<br />
„Ich muss in den Akten gucken, welche Blutgruppe er hat.“<br />
Ich schickte <strong>mich</strong> an, das Haus ebenfalls zu verlassen, als Kate <strong>mich</strong> zurückhielt.<br />
„Ich bin Universalspenderin. Ich mache das.“<br />
Dankbar sagte ich:<br />
„Das ist nett von dir. Komm mit.“<br />
Zusammen eilten wir zurück zur Krankenstation. Auf der Terrasse standen Jim und<br />
Roger in aufgeregtem Gespräch. Als wir kamen, unterbrachen sie ihre Unterhaltung und Jim<br />
fragte:<br />
- 259 -
„Was ist los?“<br />
Kate antwortete im Vorbeigehen:<br />
„Ich werde Blut spenden.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Hastig folgte sie mir in die Station. Juliet sah erstaunt auf, als wir in den Behandlungs-<br />
raum stürzten. Schnell erklärte ich ihr:<br />
„Jack weigert sich, zu helfen. Er wird nicht kommen. Kate hier ist bereit, Blut zu<br />
spenden, sie ist Universalspenderin.“<br />
Juliet sah <strong>mich</strong> fassungslos an, während ich bereits bei Kate alles für eine Blutent-<br />
nahme fertig machte.<br />
traurig.<br />
„Was? Er weigert sich?“<br />
Ich nickte wütend.<br />
„Ja, er sagte, er habe seine Gründe ...“<br />
Dass ich wusste, welche Gründe Jack vorschob, verschwieg ich wohlweislich.<br />
„Ja, er wird unter keinen Umständen helfen, Bens Leben zu retten.“, meinte Kate<br />
Ich hatte ihr eine Kanüle in die Armvene geschoben und verband diese mit einem<br />
Schlauch, an dessen Ende ein Blutbeutel hing. Als dieser voll war, entfernte ich vorsichtig die<br />
Kanüle und bat Kate:<br />
„Leg dich bitte ein wenig hin und wenn du nachher nachhause gehst, esse etwas und<br />
vor allem musst du viel Trinken.“<br />
Ich reichte Juliet den Beutel und sie bereitete die Bluttransfusion bei Ben vor. Wir<br />
hatten keine Zeit, das Blut erst zu untersuchen, was der normale Weg gewesen wäre. <strong>Der</strong><br />
Junge musste es sofort bekommen. Kate hatte sich auf der zweiten Behandlungsliege aus-<br />
gestreckt und fragte:<br />
„Hat er so eine Chance?“<br />
Juliet fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Ruhig sah sie Kate an.<br />
„Nein, eigentlich hat er die nicht. Die Kugel müsste raus, dann bestünde die be-<br />
rechtigte Hoffnung, dass er es schafft. So ... zögern wir das Unvermeidliche nur ein wenig<br />
hinaus.“ Kate verzog angewidert das Gesicht.<br />
„Ich verstehe Jack einfach nicht mehr.“<br />
Juliet warf ihr einen warnenden Blick zu, den ich aus den Augenwinkeln sehr genau<br />
bemerkte. Sie eilte auf die Terrasse, wo Roger nervös wartete. Er fuhr zu ihr herum, als sie<br />
aus der Station trat und fragte sofort:<br />
„Was ist? Wie geht es ihm? Konntest du etwas für ihn tun?“<br />
Juliet sah Roger ruhig an.<br />
„Hör zu, Kelly und ich tun, was in unserer Macht steht. Mir fehlt einiges an Material,<br />
kannst du zum Stab fahren und die Dinge, die ich benötige, dort abholen? Ich werde anrufen<br />
und denen alles durchgeben. Du kannst hier im Augenblick ohnehin nichts tun.“<br />
- 260 -
Roger nickte verzweifelt.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, mach ich. Bitte, Juliet, rette meinen Jungen.“<br />
Juliet sah Roger fest an.<br />
„Ich verspreche dir, dass wir alles tun was wir können.“<br />
<strong>Der</strong> Hausmeister setzte sich in Bewegung, zum Wagenpark, um sich einen Dienst-<br />
wagen zu nehmen. Juliet sah ihm nach. Langsam ging sie in die Station zurück. Kate und ich<br />
sahen ihr entgegen, als sie wieder den Behandlungsraum betraten. Scheinbar dachte die<br />
blonde Frau über etwas nach. Sie sah uns an und meinte langsam:<br />
„‟Sie‟ könnten ihn vielleicht retten.“<br />
Kate und ich verstanden aus unterschiedlichen Gründen sofort, was Juliet meinte.<br />
Kate, weil sie von den ‟Anderen‟ wusste, ich, weil ich wusste, dass Ben zu ihnen geschafft<br />
wurde. Ich musste <strong>mich</strong> natürlich ahnungslos stellen und fragte:<br />
„Welche ‟Sie‟ meinst du?“<br />
„Nun, die Eingeborenen. Sie haben einen ... großartigen Arzt bei sich.“<br />
„Wie soll er denn dort hinkommen?“, fragte ich scheinbar erstaunt.<br />
„Ich werde ihn hinbringen!“, erklärte Kate sofort bestimmt.<br />
Ohne <strong>mich</strong> weiter zu beachten, nickte Juliet.<br />
„Wenn du das machen würdest ...?“<br />
Kate nickte.<br />
„Ja, ich werde es machen. Ich besorge einen Wagen.“<br />
Schnell verließ sie die Station und ich konnte es nicht verhindern, ohne <strong>mich</strong> zu ver-<br />
raten. Da ich immer noch davon ausging, die Zeitschleife durchbrechen zu können, beschloss<br />
ich, es geschehen zu lassen. Wenn ich Erfolg hatte, würde Ben zwar immer noch zu dem<br />
werden, was er später war, hätte aber keinen Einfluss mehr auf das Leben Jims und der<br />
Freunde.<br />
Kate kam bereits mit einem der VW Busse zurück und zusammen verluden wir den<br />
schwer verletzten Jungen. Kate stieg ein und nickte uns noch einmal zu.<br />
„Ich werde es schaffen.“, sagte sie zuversichtlich.<br />
„Beeile dich, er hat nicht mehr viel Zeit.“, sagte Juliet ernst.<br />
Kate startete den Wagen und ich sah Juliet an.<br />
„Was willst du Roger erzählen?“<br />
Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare.<br />
„Das werde ich mir überlegen, wenn es soweit ist. Ich werde Jim suchen, er muss Kate<br />
helfen, sie weiß nicht, wo sie hingehen muss, um die Hostiles zu finden.“<br />
Schon hastete die blonde Frau los, um Jim zu suchen. Dieser war jedoch nicht zuhause<br />
und so beschloss Juliet, Jack aufzusuchen. Sie platzte ohne anzuklopfen in das Haus, dass er<br />
sich mit Hurley und Sayid teilte. Erstaunt hörte die Ärztin Jims Stimme im Wohnzimmer.<br />
- 261 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Du blöder Hund hast ihn gerettet, als er ein erwachsener Psycho war und als unschuldiges<br />
Kind willst du ihn krepieren lassen? Sag mal, hast du sie noch alle?“<br />
zurück.<br />
Aggressiv antwortete Jack:<br />
„Du weißt, warum ich es nicht tue. Ich will uns alle vor ihm bewahren.“<br />
„Ach, ist Dr. Do-right plötzlich Herr über Leben und Tod, oder was?“, knurrte Jim<br />
Und in diesem Moment betrat Juliet den Raum.<br />
„Kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?“, fragte sie Jim, als dieser sich er-<br />
staunt zu ihr herum drehte.<br />
„Hey, du, wie geht‟s Ben?“, fragte Jim gespannt und folgte Juliet nach draußen.<br />
Hastig erklärte sie:<br />
„Bescheiden, ohne Jack können Kelly und ich nichts für ihn tun. Wenn ich versucht<br />
hätte, die Kugel selbst zu entfernen, hätte ich ihn nur schnell umgebracht. James, Kate ver-<br />
sucht, ihn zu Richard zu bringen ...“<br />
„Was? Ist sie komplett verrückt?“<br />
Jim starrte Juliet entgeistert an.<br />
„Es war meine Idee. Nur dort kann er noch gerettet werden, wenn es nicht ohnehin<br />
schon zu spät ist. James, Kate wird Hilfe brauchen, sie kann das nicht alleine.“<br />
Juliet sah Jim an und griff nach dessen Händen.<br />
„Verdammt! Okay, bin schon unterwegs.“<br />
Jim gab Juliet einen Kuss, eilte, so schnell sein Bein es schon zuließ, zu ihrem Haus<br />
hinüber und sprang in seinen Dienstwagen. Er fuhr los. Juliet sah ihm besorgt nach. Ihn aus-<br />
gerechnet zu Kate zu schicken war nicht gerade das, was sie unter einer guten Idee verstand.<br />
Aber eine andere Möglichkeit gab es nicht. Langsam drehte sich die Ärztin herum und betrat<br />
wieder das Haus. Sie fand Jack in der Küche, er hatte sich gerade eine Tasse Kaffee ge-<br />
nommen. Erstaunt sah er auf, als er die blonde Frau eintreten sah.<br />
„Du bist noch hier?“, fragte er sie kühl.<br />
„Ja, Jack, ich bin noch hier. Wie konntest du deine Hilfe Verweigern?“<br />
Jack sah Juliet kalt an und erklärte:<br />
„Juliet, das ist Ben!“<br />
„Nein, Jack, das ist ein dreizehnjähriger Junge, der nichts dafür kann, was sein er-<br />
wachsenes Alter Ego später einmal machen wird. Er ist ein Kind. Ein sterbendes Kind, das<br />
Hilfe brauchte!“<br />
Jack schüttelte den Kopf.<br />
„Es tut mir leid, ich kann dir nicht helfen.“<br />
Juliet nickte kalt.<br />
- 262 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Das brauchst du auch nicht mehr. James und Kate bringen ihn zu Richard. Sie sind<br />
nicht wie du, sie werfen keinem Kind vor, was es später einmal machen wird. Sie machen sich<br />
Sorgen um ihn.“<br />
Jack schüttelte frustriert den Kopf.<br />
„Ich habe mir auch Sorgen gemacht, Juliet. Um euch. Darum bin ich zurück-<br />
gekommen, um euch zu helfen.“<br />
Jetzt war es Juliet, die Jack kalt musterte.<br />
„Wir brauchten keine Hilfe. Wir haben nicht darum gebeten. Uns ging es hervorragend<br />
hier. Seit ihr wieder hier seid, schweben wir erst in Gefahr.“<br />
Jack schnaufte.<br />
„Ihr habt Hilfe gebraucht, sonst hätte man uns nicht so dringend wieder hier benötigt.“<br />
Juliet lachte leise.<br />
23) <strong>Der</strong> Lauf der Dinge<br />
„Jack, du bist nicht zurückgekommen um uns zu helfen, sondern um dir selbst zu<br />
helfen. Du bist ein Wrack. Lass uns in Frieden!“<br />
Sie sah Jack kühl an, drehte sich wortlos herum und verließ das Haus. Jack sah ihr<br />
nach und schüttelte den Kopf. Juliet eilte wieder in die Krankenstation und ich sah ihr ent-<br />
gegen. Ich hatte inzwischen aufgeräumt und hin und her überlegt, was man Roger Linus als<br />
Erklärung liefern konnte, aber mir war ehrlich gesagt auch nicht nur etwas halbwegs Ver-<br />
nünftiges eingefallen. Juliet sank erschöpft auf einen Stuhl und sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Hör zu, Kelly, wenn Roger kommt, müssen wir sagen, dass wir nicht wissen, wo Ben<br />
hin verschwunden ist. Ich muss <strong>mich</strong> da auf dich verlassen können. Hilfst du mir?“<br />
Ich nickte.<br />
„Natürlich. Aber wie willst du das machen?“<br />
„Ganz einfach. Du musstest Material besorgen und ich war nur ganz kurz bei Jim, um<br />
ihn zu fragen, ob es schon etwas Neues gibt. Als ich zurückkam, war Ben verschwunden. Es<br />
wird so oder so Ärger geben. Also ist es fast egal, was wir sagen. Wenn ich nur wüsste, wer es<br />
war. Aber James wird es heraus finden, da bin ich ganz sicher.“<br />
Da die ganze Sache anders verlaufen war, war ich selbst nicht so sicher. Fast hoffte<br />
ich, er würde nicht dahinter kommen, was geschehen war. Laut sagte ich:<br />
„Ja, bestimmt wird man den Schuldigen finden.“<br />
Dass Sayid gerade draußen an der Krankenstation vorbei eilte, ließ diese Worte<br />
geradezu prophetisch erscheinen.<br />
************<br />
- 263 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim erwischte Kate, als sie ratlos am Sonarzaun stand und nicht wusste, wie es von<br />
hier aus weiter gehen sollte. Sie wirbelte erschrocken herum, als sie ein Auto kommen hörte.<br />
Erleichtert atmete sie auf, als sie sah, dass es Jim war, der aus dem Wagen stieg.<br />
„Sawyer, ich ...“<br />
Jim winkte ab.<br />
„Ich weiß, was du planst. Ich bin hier, um dir zu Helfen.“<br />
Kate nickte.<br />
„Verstehe. Danke.“<br />
Jim sah sie an und schüttelte den Kopf.<br />
„Bedank dich nicht bei mir. Juliet hat <strong>mich</strong> darum gebeten. Ich halt das Ganze für Irr-<br />
sinn. Seit ihr zurück seid geht hier alles den Bach runter. Wir hatten uns hier ein Leben auf-<br />
gebaut. Ein gutes Leben! Mit eurer Ankunft bricht langsam alles zusammen. Was willst du<br />
eigentlich hier? Warum bist du zurückgekommen?“<br />
Er trat an den Zaun und öffnete an einer der Säulen in unteren Bereich eine Klappe.<br />
Schnell tippte er ein paar Zahlen ein und sah Kate auffordernd an.<br />
„Weißt du das nicht?“, fragte die dunkelhaarige Frau ruhig.<br />
„Nein, Freckles, das weiß ich nicht, sonst hätt ich kaum gefragt.“, antwortete Jim ge-<br />
nervt und dirigierte Kate zum Wagen mit dem verletzten Jungen zurück.<br />
Sie stiegen ein und Jim fuhr los, einer der Straßen der DHARMA Initiative folgend.<br />
Im Wagen fuhr Jim fort:<br />
„Du hast es so eilig gehabt, wegzukommen, dass du vermutlich nicht mal zurück ge-<br />
schaut hast ob ich abgesoffen bin oder nicht. Darum wunder ich <strong>mich</strong> ein wenig, dass du<br />
wieder da bist.“<br />
Kate sah stur geradeaus.<br />
„Ich bin zurückgekommen, um Claire zu finden.“, erklärte sie genervt.<br />
Jim warf ihr von der Seite einen Blick zu und nickte langsam.<br />
„War klar.“<br />
„Was war klar?“, wollte Kate wissen.<br />
„Dass du nicht ... Ach, vergiss es. Zu den ‟Anderen‟ ist es noch ne Strecke zu fahren,<br />
sieh doch mal nach Ben.“<br />
Kate nickte und stand auf. Sie turnte nach hinten, wo der Junge sich unruhig auf der<br />
Trage hin und her wälzte. Sie blieb einen Moment neben ihm sitzen und kletterte wieder nach<br />
vorne zu Jim.<br />
„Es geht ihm glaube ich sehr schlecht. Wie lange dauert es noch, bis wir da sind?“<br />
Jim seufzte.<br />
„Wir können nicht ganz bis zu ihnen fahren, ne Weile müssen wir laufen.“, erklärte er.<br />
Er gab etwas mehr Gas. Zwanzig Minuten später etwa hielt er am Waldrand an.<br />
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„Da geht‟s lang.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„So, von hier geht‟s zu Fuß weiter.“<br />
Er stieg aus und Kate folgte. Vorsichtig hob Jim den<br />
Jungen aus dem Wagen, dann nickte er in Richtung Nordosten<br />
in den Dschungel.<br />
Nebeneinander marschierten sie los. Eine ganze Weile gingen sie schweigend neben-<br />
einander her. Irgendwann sagte Kate plötzlich:<br />
vertragen.“<br />
„Du weißt ja, ich war bei Cassidy.“<br />
<strong>Über</strong>rascht sah Jim sie an.<br />
„Ich habe deine Tochter gesehen. Sie hat dein Lächeln. Aaron und sie haben sich gut<br />
Jim fragte leise:<br />
„Und, wie geht‟s Cass?“<br />
Kate sah Jim an.<br />
„Es geht ihr gut.“<br />
Sie stockte kurz und fuhr fort:<br />
„Sie meinte, du wärest damals nur aus dem Hubschrauber gesprungen, um mir aus<br />
dem Weg zu gehen. Um zu vermeiden, dass es zu etwas Festem wird.“<br />
Jim lachte sarkastisch.<br />
„Sie denkt das also, was?“<br />
Er schwieg einen Moment und sagte schließlich ruhig:<br />
„Du weißt genau, dass es mit uns nie was Festeres geworden wäre.“<br />
„Warum?“, wollte Kate wissen.<br />
Jim verzog ironisch das Gesicht.<br />
„Warum? Wer hat denn immer kalte Füße gekriegt, wenn es drohte, was Ernsteres zu<br />
werden? Kate, du bist immer im Galopp zurück zu Jack, wenn du das Gefühl hattest, ich<br />
komm dir zu nah.“<br />
Kate schnaufte.<br />
„Du warst nicht bereit.“<br />
„Wir waren es beide nicht. Ich hab <strong>mich</strong> so wenig in ner festen Partnerschaft gesehen<br />
wie du. So wenig, wie ich <strong>mich</strong> als Vater von Clementine gesehen hab. Und nebenbei be-<br />
merkt, es wär nie gut gegangen mit uns.“<br />
Kate sah Jim wieder an und fragte sarkastisch:<br />
„Ach, aber mit Juliet geht es plötzlich?“<br />
Jim nickte.<br />
„Ja, ich muss wohl erwachsen geworden sein in den letzten drei Jahren.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er wollte noch etwas hinzufügen, als plötzlich aus dem Gebüsch um sie herum fünf<br />
bewaffnete Männer auftauchten. Kate und Sawyer blieben stehen und warteten. Einer der<br />
Männer richtete das Gewehr auf Jim und herrschte ihn an:<br />
Gebiet?“<br />
„Was soll das? Warum brecht ihr die Abmachung? Was wollte ihr hier in unserem<br />
Jim warf Kate einen bedeutsamen Blick zu und sagte ruhig:<br />
„Es geht um den schwerverletzten Jungen hier. Bei uns denkt man, ihr habt ihn an-<br />
geschossen. Also ist es ein Problem, was beide Gruppen betrifft. Wir wollen zu Richard, wir<br />
müssen mit ihm Sprechen, klaro?“<br />
<strong>Der</strong> Anführer der kleinen Gruppe überlegte kurz und nickte.<br />
„Also gut, da lang.“<br />
Er deutete mit dem Gewehr in Richtung Westen und Jim und Kate setzten sich in Be-<br />
wegung. Ungefähr zehn Minuten liefen sie zusammen durch den Dschungel, als plötzlich vor<br />
ihnen Richard aus dem Gebüsch trat. Er warf einen kurzen Blick auf Jim und Kate, dann<br />
schaute er den Jungen in Jims Armen an.<br />
„Das ist Benjamin Linus. Was ist geschehen?“<br />
Jim kniff die Augen kurz zusammen. Er registrierte sehr genau, dass Richard Ben<br />
kannte. Er dachte sich seinen Teil dazu. Ruhig sah er den charismatischen Führer der<br />
‟Anderen‟ an und sagte:<br />
„Jemand hat auf ihn geschossen. Unsere Ärztin kann ihm nicht helfen.“<br />
Richard nickte verstehend.<br />
„Wer ist sie?“<br />
Er sah Kate misstrauisch an.<br />
„Sie gehört zu mir.“, erklärte Jim fest.<br />
„Kannst du ihm helfen? Kannst du sein Leben retten?“, fragte Kate den dunkel-<br />
haarigen Mann gespannt.<br />
Ruhig sagte Richard: „<br />
Wenn ich das mache, wird er nie wieder der Gleiche sein. Er wird seine kindliche Un-<br />
schuld verlieren, wird vergessen, was gewesen ist und für immer einer von uns werden. Seid<br />
ihr sicher, dass ihr das wollt?“<br />
Jim nickte. Ihm wurde in diesem Moment klar, dass erst dieser Schuss Ben zu dem<br />
gemacht hatte, was Sayid mit seiner verzweifelten Tat hatte verhindern wollen. Und hätte<br />
Jack ihn operiert, wäre er auch nicht zu dem Ben geworden, den sie später alle so sehr hassen<br />
würden. Ironie des Schicksals. Trotzdem sagte er ruhig:<br />
„Die Alternative ist, dass er bei uns sterben wird.“<br />
Jetzt trat einer der Männer, derjenige, der die Gruppe angeführt hatte, vor und sagte:<br />
„Du solltest erst mit Ellie reden, bevor du das entscheidest. Außerdem frage ich <strong>mich</strong> ernst-<br />
haft, was Charles dazu sagen wird.“<br />
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Frauke Feind<br />
Richard warf dem Mann einen kühlen Blick zu und erwiderte:<br />
„Ich bin keinem der Beiden Rechenschaft schuldig.“<br />
Er nahm Jim den verletzten Jungen vorsichtig aus den Armen, drehte sich um und ver-<br />
schwand, gefolgt von seinen Leuten, im Dschungel. Kate fragte laut:<br />
„Wo bringst du ihn hin?“, aber Jim packte sie am Arm und zog sie mit sich, in die<br />
Richtung, aus der sie gekommen waren.<br />
Dharma.“<br />
„Wir müssen zurück, wenn Roger merkt, dass Ben weg ist, gibt es big trouble in little<br />
Er beeilte sich, zum Wagen zurück zu kommen und knapp fünfundvierzig Minuten<br />
später erreichten sie den Sonarzaun.<br />
„Wenn du die Karre zurück bringst, lasst dich möglichst nicht sehen.“<br />
Kate nickte.<br />
„Ist schon klar. Danke für deine Hilfe, Sawyer.“<br />
Jim sah sie an.<br />
„War das Einzige, was wir tun konnten.“<br />
Er kniete am Sonarzaun nieder und schaltete diesen wieder ein.<br />
************<br />
Ich beobachtete Juliet unauffällig, während wir warteten, dass Roger auftauchen und<br />
nach seinem Sohn würde gucken wollen. Lange dauerte es nicht. Juliet sprang auf und tat so,<br />
als wolle sie gerade hastig die Krankenstation verlassen. Sie wäre fast in Linus hinein gerannt.<br />
„Oh, Roger ... Ich bin auf dem Weg zu Horace. Es ist etwas passiert. Ben ist verschwunden!“<br />
Roger starrte die Ärztin verwirrt an.<br />
„Was? Wie, verschwunden?“<br />
„Er ist weg. Kelly war im Materiallager und ich habe die Station vielleicht fünf<br />
Minuten verlassen, um mit Jim zu Sprechen, ob er schon etwas Neues wüsste, und als ich<br />
zurück kam, war Ben weg. Ich muss Horace informieren.“<br />
Roger flippte aus.<br />
„Wie kann ein schwer verletztes Kind verschwinden? Das gibt es doch gar nicht.<br />
Jemand hat meinen Sohn entführt! Wie konntest du ihn alleine lassen?“<br />
Er rannte neben Juliet her zum Haus der Goodspeeds. Juliet hetzte weiter und erreichte<br />
die Haustür. Heftig klopfte sie und Sekunden später wurde die Tür geöffnet. Horace starrte<br />
die Ärztin verwirrt an.<br />
„Was ist passiert?“, fragte er alarmiert.<br />
Juliet holte tief Luft.<br />
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Frauke Feind<br />
„Jemand scheint Ben gekidnappt zu haben, Horace. Ich war nur ganz kurz bei Jim, um<br />
<strong>mich</strong> nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen und als ich zurückkam, war Ben ver-<br />
schwunden.“<br />
Horace starrte Juliet an, als hätte sie ihm gerade erzählt, der Osterhase wäre zum<br />
Kaffee vorbei gekommen.<br />
„Wer entführt denn ein schwer verletztes Kind?“<br />
Und dann sagte Roger etwas, das Juliet eine Gänsehaut über den Rücken jagte.<br />
„Diese Neue, Kate, die hat sich auffallend für Ben interessiert, Horace. Sie hat sich ja<br />
richtig aufgedrängt, ihm Blut zu spenden. Das ist nicht normal, sie kennt meinen Jungen doch<br />
gar nicht. Sie und dieser Iraker, der angeblich Schiffbruch erlitten haben, sie haben sich regel-<br />
recht an Ben ran gemacht. Du musst sie überprüfen. Die sind ein Sicherheitsrisiko, da bin ich<br />
sicher. Mit denen stimmt was nicht, das spüre ich. Und Lafleur hat ne Menge für diese Kate<br />
übrig, das sieht doch ein Blinder.“<br />
************<br />
„Roger hat genau den Punkt getroffen.“<br />
Juliet saß mir gegenüber und fuhr sich nervös mit den Händen durch die langen,<br />
blonden Haare. Sie hatte mir gerade erzählt, was Roger zu Horace gesagt hatte und ich war<br />
schockiert. Roger Linus war nicht gerade ein Genie, aber er hatte mit einer guten Be-<br />
obachtungsgabe, einer gehörigen Portion sogenannter Bauernschläue und der Eingebung eines<br />
Vaters genau die Personen ins Spiel gebracht, die nie und nimmer hätten unter Verdacht ge-<br />
raten dürfen. Kate und Sayid ... Sie waren schon schlimm genug, aber Jim! Er steckte jetzt<br />
ebenfalls mittendrin. Bisher verlief alles so, wie es immer verlaufen war, mit nur gering-<br />
fügigen Abwandlungen. Das konnte nicht sein. Es musste eine Möglichkeit geben, das zu<br />
durchbrechen. „Wir müssen Sayid und Kate warnen und Jim ...“<br />
Juliet sah <strong>mich</strong> überlegend an.<br />
„Ich werde wieder deine Hilfe benötigen. Kelly, das Problem ist, dass ich dich nicht<br />
einschätzen kann. Du verbirgst einiges und du weißt zu viel. Aber ich muss dir einfach Ver-<br />
trauen, denn viele sind es nicht, denen ich vertrauen kann.“<br />
Ich biss mir auf die Lippe und spürte, dass ich blass wurde.<br />
„Woher weißt du so viel?“, fragte Juliet <strong>mich</strong> auch schon rundheraus.<br />
„Wenn ich dir das erklären würde, säßen wir in drei Tagen noch hier.“, sagte ich leise.<br />
„Versuche eine Kurzfassung.“, schlug die blonde Frau vor.<br />
kommt.“<br />
„Selbst das ist schwierig. Ich weiß ... alles, verstehst du? Wer ihr seid, wo ihr her-<br />
„Was weißt du?“<br />
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Frauke Feind<br />
„Nun, ich weiß vom Absturz der 815, von dem <strong>Über</strong>lebenskampf, wie du dazu ge-<br />
stoßen bist, von Ben, von der Heimkehr Kates, Jacks, Hurley, Sayids und Suns.“<br />
Juliet starrte <strong>mich</strong> misstrauisch an.<br />
„Woher?“<br />
„Von den fünf. Ich habe sie 2007 in LA kennen gelernt und bin mit ihnen zusammen<br />
hierher zurückgekommen.“<br />
„Warum kennen sie dich nicht?“<br />
„Das weiß ich nicht, sie können sich an nichts erinnern. Ich habe keine Ahnung,<br />
womit das zusammen hängt.“<br />
Dem Gesicht der Ärztin war überdeutlich anzusehen, dass sie starke Zweifel hegte.<br />
Das konnte ich ihr nicht verdenken.<br />
„Hör zu, Juliet, ihr habt hier Zeitsprünge auf der Insel gemacht, du weißt, dass es mög-<br />
lich ist, auch Kate, Jack und Hurley sind zusammen mit Sayid aus der Zukunft hierher<br />
zurückgekommen nach 1977. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt helfen kann, aber was ich tun<br />
kann, werde ich machen. Du musst dich entscheiden, ob du mir Vertrauen willst oder nicht.<br />
Ich hätte euch alle schon längst verraten können, wenn ich es gewollt hätte.“<br />
Dass ich auch wusste, was geschehen würde, verschwieg ich lieber, mir schien es<br />
wichtig, dies nicht zu sagen. Oftmals trafen Dinge erst zu, wenn jemand von ihnen wusste und<br />
das Geschehen unbewusst forcierte. Ich hatte bisher nicht aktiv in das Geschehen ein-<br />
gegriffen. Das würde ich erst machen, wenn es wirklich eine Möglichkeit gab, durch mein<br />
direktes Eingreifen etwas zu verhindern oder zu verändern. Ich sah Juliet an, dass sie ver-<br />
unsichert war. Endlich aber nickte sie entschlossen.<br />
„Wenn du all das weißt und es bisher für dich behalten hast, wirst du dies sicher auch<br />
weiterhin machen.“, sagte sie ruhig. „Ich werde dir vertrauen und hoffen, dass ich <strong>mich</strong> nicht<br />
irre. Wir müssen versuchen, Kate und James abzufangen und sie zu warnen. Und auch Sayid<br />
muss gewarnt werden.“<br />
Ich sah aus dem Fenster und stöhnte entsetzt:<br />
„Scheiße! Dafür ist es zu spät.“<br />
************<br />
Draußen fuhr Jim vor und aus Richtung des Fuhrparks kam gerade Kate gelaufen. Und<br />
plötzlich war draußen alles in Aufruhr. Phil eilte auf Kate zu und packte sie hart am Arm.<br />
Juliet und ich waren auf die Terrasse hinaus getreten und beobachteten die Szene. Wir hörten,<br />
wie Phil zu Kate sagte:<br />
„Du wirst zu einer Befragung benötigt. Und bis nicht gewisse Dinge geklärt sind,<br />
stehst du unter Arrest.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Kate versucht, aufzubegehren. Sie machte sich mit einem Ruck von Phil los und fuhr<br />
diesen ärgerlich an:<br />
„Was soll das? Was willst du von mir?“<br />
Jim war inzwischen ausgestiegen und ging eilig zu Phil hinüber.<br />
„Hey! Was soll der Quatsch?“, fuhr er diesen an.<br />
„Das ist kein Quatsch, Boss, es sind ernste Anschuldigungen gegen sie ausgesprochen<br />
worden. Horace will sich mit ihr unterhalten. Und mit diesem Sayid. Ach, und eh ich‟s ver-<br />
gesse, mit dir will er auch reden.“<br />
Jim biss sich auf die Lippe. Er hatte es befürchtet und nun war der Stein ins Rollen ge-<br />
kommen. Vielleicht schaffte er es noch, zu verhindern, dass aus dem Stein eine Lawine<br />
wurde. Er sah sich um. Das halbe Dorf sah inzwischen zu und so sagte er laut:<br />
„Wenn das so ist, lass es uns hinter uns bringen. Du kannst sie aber trotzdem loslassen,<br />
sie wird schon nicht abhaun.“<br />
Genervt ließ Phil daraufhin Kates Arm los und herrschte sie nur an:<br />
„Los, Lady, setzt dich in Bewegung, der Chef will dich sehen.“<br />
Kate verdrehte die Augen und marschierte los, Richtung Haus 2. Jim blieb dicht hinter<br />
Kate und Phil und überlegte hektisch, was er Horace antworten konnte. Viel Zeit, einen Plan<br />
auszuhecken, blieb ihm nicht. Schon hatten sie das Haus erreicht und Phil klopfte.<br />
Horace öffnete die Tür und sagte ernst:<br />
„Oh, da seid ihr ja, kommt rein.“<br />
Er ging vorweg und sie erreichten gemeinsam sein Arbeitszimmer. An Kate und Jim<br />
gewandt sagte der Anführer:<br />
„Setzt euch hin.“<br />
Jim ließ sich scheinbar gelangweilt auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch fallen,<br />
Kate setzte sich zögernd.<br />
„Was ist eigentlich los? Kann mir das mal jemand erklären?“, fragte Jim gedehnt.<br />
Horace nickte.<br />
„Das kann ich, James. Wo hast du den ganzen Morgen gesteckt?“<br />
Jim zog eine Augenbraue in die Höhe.<br />
„Was glaubst du denn? Hab <strong>mich</strong> umgesehen, da, wo Benjamin angeschossen wurde.<br />
Hab nach Spuren gesucht, bin durch den Monsterdschungel gelatscht, hab mir den Arsch auf-<br />
gerissen, um was zu finden.“<br />
Horace sah Jim an.<br />
„Und, hast du etwas gefunden, James?“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Nix, was auf ne Spur des Schützen hindeutet.“<br />
- 270 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Horace schien sich mit der Erklärung erst einmal zufrieden zu geben. Er sah Kate an.<br />
„Und du? Roger behauptet, du hättest ein auffälliges Interesse für Ben an den Tag gelegt. Du<br />
hast ihm Blut gespendet, wieso?“<br />
Kate sah Horace böse an und sagte giftig:<br />
„Seit wann wird man dafür verhört, wenn man einem sterbenden Kind freiwillige zu<br />
helfen versucht? Ist das bei euch ein Verbrechen? Hätte ich ihn Sterben lassen sollen? So<br />
ignorieren, wie ihr alle hier fröhlich ignoriert habt, wie Benjamin von seinem Vater miss-<br />
handelt wurde? Sein eigener Vater hat ihn immer behandelt wie Müll. <strong>Der</strong> Junge tat mir Leid.<br />
Mein Vater war genauso. Ich wollte nur helfen.“<br />
Phil mischte sich ein.<br />
„Warum gerade ihm? Hier sind noch andere Kinder, warum keines von denen?“<br />
Kate drehte sich zu Phil herum und sagte sarkastisch:<br />
„Bist du so dämlich, oder tust du nur so? Zufällig ist Ben das einzige angeschossene<br />
Kind, das gerade im Sterben liegt. Wie blöde war denn die Frage?“<br />
Jim lachte.<br />
„Da hat sie allerdings Recht. Verdammt, Horace, was ist eigentlich los?“<br />
„Ben wurde entführt. Kelly war im Materiallager und Juliet hat nach dir gesucht, und<br />
als sie wieder zur Krankenstation zurück kam, war Ben weg.“<br />
Jim gelang es ganz hervorragend, einen schockierten Gesichtsausdruck auf sein Ge-<br />
sicht zu zaubern.<br />
„Was? Das gibt es doch nicht! Wer entführt denn ein schwerverletztes Kind?“, fragte<br />
er scheinbar fassungslos.<br />
„Roger hat Kate in Verdacht. Weißt du, wo Sayid ist? Ich werde ihn auch befragen<br />
müssen. Roger hat auch gegen ihn Anschuldigungen erhoben, denen ich nachgehen muss.“<br />
Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Hab keine Ahnung, wie sein Dienstplan aussieht, fällt ja wohl nicht in meinem Zu-<br />
ständigkeitsbereich. Wenn ich immer wüsste, wo jeder hier gerade steckt, wär ich verdammt<br />
gut und hätte ne Menge Arbeit weniger.“<br />
bitte zu mir.“<br />
Horace nickte.<br />
„Da hast du allerdings Recht. Ich will, dass du losziehst und ihn suchst. Bringe ihn<br />
Jim seufzte innerlich und stand langsam auf. Kate erhob sich ebenfalls, wurde jedoch<br />
von Horace zurückgerufen.<br />
„Nein, Kate, wir sind noch nicht fertig. Jim, du schwirrst ab. Mach schon.“<br />
Jim konnte nicht anders. Er stand auf und verließ mit sehr gemischten Gefühlen das<br />
Haus der Goodspeeds. Und Kate blieb sitzen, mit nicht weniger gemischten Gefühlen.<br />
„Woher kamst du noch gleich?“, fragte Horace und sah die junge Frau an.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Spencer, Iowa.“, erwiderte diese ruhig.<br />
„Richtig, und du wurdest geboren ...?“<br />
Kate sah erstaunt auf.<br />
„Was? Ich bin 28, falls du das wissen willst.“<br />
Horace schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, ich will wissen, wann du geboren wurdest.“<br />
Kate schnaufte.<br />
„13.05.49“, sagte sie ruhig. „Willst du auch noch meine Maße?“<br />
Horace ging auf die Bemerkung nicht ein.<br />
„Wie wurdest du rekrutiert?“<br />
Kate erschrak. Was sollte sie sagen?<br />
„Da war so ein Typ ... Auf dem Arbeitsamt. Er wollte wissen, ob ich nen Job<br />
brauche.“, sagte sie lapidar.<br />
war ruhig.“<br />
„Und wie war die <strong>Über</strong>fahrt?“<br />
Kate erklärte ruhig:<br />
„Wie soll ich das wissen? Die haben uns ja mit Drogen vollgestopft. Ich hoffe mal, sie<br />
Zum Glück hatte Sawyer ihnen gesagt, dass die Leute im U-Boot ein Schlafmittel be-<br />
kamen. Horace sah sie aufmerksam an.<br />
„Hast du es gut vertragen?“<br />
„Was? Eure Droge? Ja, hab ich, bin da nicht so empfindlich.“<br />
Goodspeed schien nachzudenken und Kate fragte sich, ob sie etwas Falsches gesagt<br />
hatte. Minutenlang schwieg der Anführer, dann sagte er langsam:<br />
„Phil, ich möchte, dass du Kate, Hurley und diesen Jack in Haus 12 bringst und dort<br />
unter Arrest stellst, bis die ganze Angelegenheit geklärt ist. Kate, du musst verstehen, ihr seid<br />
die Neuen und wir kennen euch nicht. Wir werden auch alle anderen Neuen genau über-<br />
prüfen. Da hier ein sehr großes Sicherheitsrisiko besteht, möchte ich die ganze Sache<br />
komplett aufklären. Solange bleibt ihr zu eurer eigenen Sicherheit in Hausarrest.“<br />
Er stand auf und damit war das Gespräch beendet. Zehn Minuten später saß Kate<br />
schwer genervt auf dem Sofa im Hause Jacks und Hurleys. Die Beiden wurden gerade von<br />
Miles und Jin herein geführt. Jin zischte ihnen leise zu:<br />
„Verhaltet euch friedlich, das wird sich alles schnell klären ...“<br />
Laut sagte er:<br />
„Ihr bleibt hier, bis wir Sayid gefunden haben und die Angelegenheit klären konnten.“<br />
Zusammen mit Miles verließ er das Haus und ließ die Drei alleine.<br />
************<br />
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Jim war kurz zu uns gekommen.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Roger verdächtigt wohl alle, was?“, sagte er leise, als er bei uns stand.<br />
Juliet war zu ihm getreten und umarmte ihn liebevoll.<br />
„Habt ihr es geschafft?“, hauchte sie, während sie einander scheinbar liebkosten.<br />
Ebenso leise erwiderte Jim:<br />
lich:<br />
„Klar, alles gut gegangen. Wie es hier weiter geht weiß ich allerdings nicht.“<br />
Er trat ein wenig zurück, nahm Juliet an den Oberarmen und sagte laut und eindring-<br />
„Baby, das ist nicht deine Schuld! Mach dich nicht verrückt damit. Wer kann denn<br />
Ahnen, dass jemand ein sterbenskrankes Kind entführt. Ich werd noch mal losfahren und<br />
sehen, ob ich den Iraker irgendwo finde. Kelly, hast du ne Ahnung, ob er was mit der Ent-<br />
führung zu tun haben könnte?“<br />
Ich schüttelte den Kopf und erwiderte ebenfalls laut und deutlich:<br />
„James, ich kann <strong>mich</strong> gerade einmal vage daran erinnern, dass er an Bord war. Damit<br />
hat es sich aber auch schon. Ich maße mir nicht an, darüber Urteilen zu können, ob er zu einer<br />
Kindesentführung fähig wäre. Aber, mal ganz ehrlich, wozu sollte er das tun? Hätte er den<br />
Jungen umbringen wollen, hätte er nur zu warten brauchen. Dafür das Risiko einer Ent-<br />
führung auf sich zu nehmen ist idiotisch. Und wer sollte denn wirklich Interesse daran haben,<br />
einen dreizehnjährigen, sterbenden Jungen zu entführen? Vielleicht ... Menschen neigen dazu,<br />
unglaubliche Kräfte zu entwickeln, wenn sie in außergewöhnlichen Situationen stecken. Unter<br />
bestimmten Umständen können sie dann Leistungen erbringen, die jenseits jeder Vor-<br />
stellungskraft liegen. Vielleicht ist Ben alleine verschwunden. Auf ihn wurde geschossen, er<br />
ist vollkommen verängstigt, vielleicht schon im Delirium, möglicherweise hatte er sich ein-<br />
gebildet, dass seine Mörder hierher kommen könnten und hat sich fort geschleppt. Wir sollten<br />
vielleicht einfach gründlich die Umgebung absuchen.“<br />
Juliet griff meine verrückte Idee sofort auf.<br />
„Kelly hat Recht, James, du solltest das wirklich in Erwägung ziehen. Ich habe selbst<br />
oft genug erlebt, wozu Menschen in Extremsituationen fähig sind. Benjamin ist verwirrt, ver-<br />
letzt, voller Angst, es scheint zwar unvorstellbar aber durchaus möglich, dass er alleine ver-<br />
schwunden ist. Suche du nach diesem Sayid, und schicke ein paar Leute los, die die Um-<br />
gebung absuchen.“<br />
kam, zu sich.<br />
Jim sah uns an, dann nickte er.<br />
„Okay, Doc‟s, wenn ihr das für möglich haltet, werd ich n paar Leute losschicken.“<br />
Er verließ die Station und rief draußen Phil, Miles, Jin und Wayne, der gerade vorbei<br />
„Hört mal, es besteht vielleicht die Möglichkeit, dass Ben sich alleine weg geschleppt<br />
hat. Sucht alle gründlich die Umgebung ab, los. Roger soll auch helfen, dann macht er zur<br />
Abwechslung wenigstens mal was Sinnvolles und verdächtigt nicht unschuldige Leute.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Juliet und ich atmeten erleichtert auf, als wir sahen, dass tatsächlich einige Leute außer<br />
denen, die Jim aufgefordert hatte, sich eifrig an der Suche beteiligten. Leise sagte ich:<br />
„Erst mal haben wir die auf eine andere Idee gebracht. Aber da er nicht alleine ab-<br />
gehauen ist, wird das schnell auffliegen.“<br />
abzulenken.“<br />
Juliet nickte.<br />
„Natürlich. Aber vielleicht haben wir es geschafft, den Verdacht von Kate und Sayid<br />
Sie seufzte.<br />
„Ich habe von Anfang an befürchtet, dass das plötzliche Auftauchen der vier nichts<br />
Gutes bringen konnte.“ Sie sah <strong>mich</strong> an und lächelte müde. „Hör mal, du hast uns heute sehr<br />
geholfen, willst du nicht nachher zum Essen zu uns kommen?“<br />
Erschrocken wollte ich den Kopf schütteln, aber mein Mund war schneller.<br />
„Ja, gerne.“<br />
Bevor ich es noch verhindern konnte, hatte ich schon zugesagt. Juliet freute sich.<br />
„Gut, dann gegen 19 Uhr, okay, ich werde mal Feierabend machen, war ein an-<br />
strengender Tag. Du solltest auch nachhause gehen.“<br />
Frustriert nickte ich.<br />
„Hier ist sowieso nichts mehr zu tun. Dann bis später.“<br />
Juliet verschwand und ich schloss die Station ab. Langsam und in Gedanken ver-<br />
sunken ging ich zu meiner Unterkunft hinüber. Dabei wanderte mein Blick unwillkürlich zum<br />
Haus Nummer 12 hinüber. Doch schnell dachte ich an den bevorstehenden Abend. Was hatte<br />
ich mir nur dabei gedacht? Zwei, drei Stunden zu beobachten, wie liebevoll Jim und Juliet<br />
miteinander umgingen. Ich neigte eigentlich nicht zum Masochismus. Müde schloss ich<br />
unsere Haustür auf und stand Minuten später unter der Dusche. Dass draußen inzwischen Jim<br />
zurückkam, mit Sayid, den er nun gefunden hatte, konnte ich nicht ahnen.<br />
Kurz vor 19 Uhr machte ich <strong>mich</strong> auf den Weg und klopfte Augenblicke später an<br />
Jims Tür. Er öffnete mir selbst und bat <strong>mich</strong> herein.<br />
„Schön, dass du gekommen bist. Juliet ist noch nicht ganz fertig, geht aber gleich los.<br />
Sie ist ne tolle Köchin, wird dir schmecken.“<br />
Mein Herz klopfte so stark, als ich Jim so gegenüber stand, dass ich befürchtete, er<br />
müsse es hören können. Eilig sagte ich:<br />
„Na, dann werde ich ihr mal helfen.“, und ließ Jim im Flur stehen.<br />
In der Küche war Juliet dabei, den Tisch zu decken.<br />
„Hallo, kann ich dir noch etwas helfen?“, fragte ich gezwungen fröhlich.<br />
„Klar, wenn du magst, kannst du den Tisch decken, es wird noch ungefähr zehn<br />
Minuten dauern.“<br />
„Mache ich gerne.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Wir unterhielten uns, während ich Teller und Besteck auf den Tisch stellte und sahen<br />
uns erstaunt an, als es an der Tür klopfte. Juliet ging in den Flur und ich konnte hören, wie sie<br />
sagte:<br />
„Nanu, Phil, was ist?“<br />
„Entschuldige die Störung, Juliet, Jack hat <strong>mich</strong> gebeten, ihn zu euch zu bringen, er<br />
will mit dem Boss reden.“<br />
reden.<br />
stehen?“<br />
Buch.“<br />
Juliet antwortete:<br />
„Na, dann komm mal rein, Jack. Jim bringt ihn zurück, kannst abschwirren.“<br />
Das galt offensichtlich Phil. Kurze Zeit später hörte ich die Männer im Wohnzimmer<br />
„Hallo, Doc. Was kann ich für dich tun?“<br />
Jacks Stimme antwortete:<br />
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht damit, dass wir unter Arrest<br />
Ruhig erklärte Jim:<br />
„Daran arbeite ich, Doc.“<br />
Ironisch antwortete Jack:<br />
„Ach ja? Für <strong>mich</strong> sieht es so aus, als sitzt du gemütlich auf dem Sessel und liest ein<br />
Juliet war in die Küche zurückgekommen. Wir konnten beide Jims leises Lachen<br />
hören. Ruhig gab er zur Antwort:<br />
„Weißt du, Doc, ich hab mal gehört, dass Winston Churchill jeden Abend gelesen hat,<br />
sogar während des Blitzkrieges. Soll ihm geholfen haben, nachzudenken. Das mach ich<br />
genauso. Ich denke nach.“<br />
Seine Stimme wurde kühler.<br />
„Ich weiß, damit kannst du nichts anfangen. Damals, als du der Boss warst, hast du<br />
immer nur reagiert. Du hast nie nachgedacht. Und, unterbrich <strong>mich</strong>, wenn ich was Falsches<br />
sage, aber das hat doch viele Menschen das Leben gekostet.“<br />
Jack erwiderte genervt:<br />
„Ich habe uns immerhin von der Insel herunter geholt.“<br />
Unterkühlt meinte Jim:<br />
„Aber du bist wieder hier, genau da, wo du angefangen hast. Und jetzt hab ich das<br />
Sagen. Also werd ich weiter mein Buch lesen, und ich werd Nachdenken, denn so hab ich<br />
euch schon den Arsch gerettet, und auf dieselbe Art hol ich euch und uns aus dieser ganzen<br />
Scheiße raus. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Geh nachhause, schlaf dich aus und<br />
verhalt dich still. Ist das nicht mal ne Erleichterung? Ach, und noch was, Doc, was zum<br />
Nachdenken für dich. Wenn du dich nicht geweigert hättest, Ben zu operieren, wäre er nicht<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
bei Richard gelandet und dann erst wäre aus ihm nicht das geworden, was er in 30 Jahren ist.<br />
Das, was du so unbedingt verhindern wolltest, tritt jetzt erst durch dich Arsch ein!“<br />
Wir hörten Schritte und gleich darauf, wie die Haustür geöffnet wurde. Offensichtlich<br />
warf Jim Jack regelrecht raus. Er blieb noch solange auf der Terrasse stehen, bis er sicher war,<br />
dass Jack auch wirklich zu seinem Haus hinüber ging, dann schloss er die Tür. Dass ich bei<br />
Juliet in der Küche jedes Wort gehört hatte, schien Jim vergessen zu haben oder es war ihm<br />
schlicht egal.<br />
24) Fluch der bösen Tat<br />
Juliet war das Ganze sichtlich peinlich. Verlegen sagte sie:<br />
„Die Beiden mögen sich nicht sehr.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ich weiß. Kann ich verstehen. Ich mag Jack auch nicht wirklich. Und das hat nichts<br />
mit seiner Weigerung uns zu helfen zu tun.“<br />
Juliet seufzte.<br />
„Ich war ziemlich verliebt in Jack ...“<br />
Sie erschrak, schüttelte aber resigniert den Kopf.<br />
„Du weißt das vermutlich sowieso.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, es ist mir bekannt. Hast du Jim erzählt, dass ich ...“<br />
Juliet schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, habe ich noch nicht. Ich denke, dass sollten wir beim Abendessen machen.“<br />
„Bist du sicher?“, fragte ich nervös.<br />
hinüber.<br />
„Ja, das bin ich. Er sollte es wissen.“<br />
Ergeben nickte ich.<br />
„Gut, wenn du meinst.“<br />
„Wenn du magst, kannst du ihn holen, ich bin fertig.“<br />
Das war zwar das Letzte, was ich wollte, aber ich marschierte in das Wohnzimmer<br />
„Du kannst kommen, Juliet ist fertig, wir können Essen.“, sagte ich angespannt und<br />
verschwand schon wieder Richtung Küche.<br />
Wie ich das überstehen sollte, Jim gegenüber am Tisch zu sitzen, ihm so nah zu sein<br />
und doch nichts sagen zu dürfen, war mir schleierhaft. Schon kam er in die Küche, wieder<br />
fröhlich und entspannt.<br />
„Hey, Schatz, das riecht gut.“, sagte er blendend gelaunt.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jack ein paar Takte erzählt zu haben, schien seine Laune beflügelt zu haben. Er ließ<br />
sich mir gegenüber auf einen Stuhl sinken und Juliet stellte einen Braten auf den Tisch.<br />
Kartoffeln und Gemüse standen schon bereit. Während wir aßen, herrschte weitgehend<br />
Schweigen, aber als wir die Teller schließlich vom Tisch räumten und Jim uns einen guten<br />
Rotwein eingeschenkt hatte, sagte Juliet ruhig:<br />
„James, wir müssen dir etwas erzählen.“<br />
„Nanu, das hört sich ja dramatisch an. Was habt ihr beiden Ladys denn ausgeheckt?“<br />
Juliet holte tief Luft.<br />
„Kelly weiß alles, James.“<br />
Jims Gesicht wurde ernst.<br />
„Was heißt das, sie weiß alles?“<br />
Ich starrte in mein Weinglas. Leise seufzend erklärte ich:<br />
„Ich weiß, wer ihr seid, wo ihr her kommt, ich weiß von den Zeitsprüngen ...“<br />
Jims Gesicht spiegelte jetzt eindeutig Misstrauen wider. Er kniff die Augen zusammen<br />
und fixierte <strong>mich</strong> scharf.<br />
„Wo kommen wir denn bitte her?“<br />
Ich atmete tief ein.<br />
„Aus der Zukunft. Ihr seid aus dem Jahr 2004 hierher zurück ... versetzt worden, durch<br />
die Zeitsprünge, die Ben ausgelöst hat.“<br />
„Verfluchter Mist. Woher weißt du davon? Wer hat dir davon erzählt?“<br />
Ich sah ihm in die Augen und sagte fest:<br />
„Du selber.“<br />
Jim starrte <strong>mich</strong> an als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen.<br />
„Was?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, du selbst hast es mir erzählt. 2007, in LA. Dort haben wir uns kennengelernt.“<br />
Jim lachte etwas unsicher.<br />
„Red keinen Stuss, wenn ich dich kennen würde, wüsste ich es ja wohl.“<br />
Ich schüttelte bedrückt den Kopf.<br />
„Nein, das weißt du nicht. Irgendwas hat eure Erinnerung ausgeschaltet. Nur ich weiß,<br />
dass wir uns in LA getroffen haben.“<br />
Jim schüttelte den Kopf und gab ein leises Lachen von sich.<br />
„Klar. So wird es gewesen sein. Dann erzähl doch mal: Was ist mit uns passiert?“<br />
Ich schwieg einen Moment und überlegte, wo ich beginnen sollte.<br />
„Du warst auf dem Rückweg von Sydney nach LA, wie die Anderen auch, als euer<br />
Flug Oceanic 815 abstürzte. Ihr wart achtundvierzig <strong>Über</strong>lebende und habt euch mühsam auf<br />
der Insel durchgeschlagen. Du brauchtest eine Lesebrille, wurdest von Sayid gefoltert und<br />
unglücklich schwer verletzt, von Tom auf dem Floß angeschossen ... Soll ich weiter machen?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim hatte immer fassungsloser gelauscht. Leise sagte ich:<br />
„Hör zu, ich werde euch nicht verraten, du brauchst dir da keine Sorgen zu machen.<br />
Ich will ja selbst nicht auffliegen. Du weißt so gut wie ich, dass weder Sayid noch ich mit<br />
einem Boot hier gekentert sind. Ich werde jetzt gehen und ihr könnt in Ruhe alles Besprechen.<br />
Eins noch, Jim, dass solltest du wissen um Maßnahmen ergreifen zu können. Es war Sayid,<br />
der auf Ben geschossen hat.“<br />
„Was?“<br />
Juliet war entsetzt und Jim nickte langsam.<br />
„Hab ich mir fast gedacht. Er weiß, wer Ben ist und was aus ihm mal wird. Vermutlich<br />
hat er versucht, das zu verhindern. Dieser Vollidiot! Nicht nur, dass er damit Bens Werdegang<br />
erst ausgelöst hat, er hat uns alle damit in Lebensgefahr gebracht.“<br />
tolle Essen.“<br />
Ich erhob <strong>mich</strong> und sagte leise:<br />
„Denkt über alles nach, okay. Wir sehen uns morgen.“<br />
Juliet erhob sich ebenfalls und brachte <strong>mich</strong> zur Tür.<br />
„Weißt du, was weiter passieren wird?“<br />
Ich seufzte.<br />
„Nichts Genaues. Lass uns später darüber reden. Gute Nacht und vielen Dank für das<br />
„Gute Nacht, bis morgen.“<br />
Juliet sah mir nach, als ich langsam zu meinem Haus hinüber ging. Wayne saß im<br />
Wohnzimmer und hatte eine Dose Bier in der Hand. Fröhlich begrüßte er <strong>mich</strong>.<br />
„Hey, meine Mitbewohnerin. Immer wieder ein schöner Anblick. Wie habt ihr das<br />
bloß geschafft, dass euch ein Kind abhandenkommt?“<br />
Ich warf ihm einen genervten Blick zu und erklärte:<br />
„Wenn wir damit gerechnet hätten, dass er spurlos verschwindet, während wir fünf<br />
Minuten abwesend waren, hätten wir ihn selbstverständlich ans Bett gefesselt.“<br />
Lafleur, was?“<br />
„Oh, wir sind aber empfindlich heute Abend.“, grinste Wayne und fragte nun:<br />
„Und, wie war es beim Großmeister unser aller Sicherheit? Schwer genervt, der gute<br />
„Keineswegs. Gute Nacht.“<br />
Ich ließ Wayne einfach sitzen und zog <strong>mich</strong> in mein Zimmer zurück. Ich war ge-<br />
spannt, was die nächsten Tage bringen würden und hatte Angst davor.<br />
************<br />
Am kommenden Morgen war Jim schon früh unterwegs. Er hatte Miles, der Dienst in<br />
der Flamme hatte, per Funk angewiesen, das <strong>Über</strong>wachungsvideo des Sonarzaunes von<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
gestern zu löschen. Jim war klar, dass er und Kate auf den Band zu sehen sein würden. Er<br />
selbst wollte mit Sayid reden. Er wies Phil an, diesen in sein Büro im Schulgebäude zu<br />
bringen und wenig später bereits erschien dieser mit Sayid.<br />
„Du kannst gehen, ich werd mit ihm wohl auch alleine klar kommen. Phil, ihr müsst<br />
noch einmal die Umgebung absuchen, konzentriert euch auf die Abschnitte A1-10, weiter<br />
kann Ben es alleine nie und nimmer geschafft haben. Achtet auf jede noch so kleine Spur,<br />
kapiert!“<br />
Phil nickte genervt.<br />
„Wenn es sein muss. Du glaubst doch selbst nicht an den Quatsch. <strong>Der</strong> Junge war so<br />
gut wie tot, wie soll er da alleine weit gekommen sein?“<br />
Jim sah Phil kalt an.<br />
„Wir sind keine Ärzte, Phil. Was wissen wir, zu was jemand in ner Notlage fähig ist?<br />
Also, schwing deinen Arsch nach draußen und such gefälligst noch einmal gründlich.“<br />
setzen.<br />
Vor sich hin grummelnd verzog der Mann sich und Jim forderte Sayid auf, sich zu<br />
„Hör zu, ich möchte von dir wissen, wo du zum Zeitpunkt, als auf den Jungen ge-<br />
schossen wurde, warst. Und ich möchte wissen, warum du dich mit ihm befasst hast.“<br />
Jim senkte ein wenig den Kopf und sah aus dem Augenwinkel zu der <strong>Über</strong>wachungs-<br />
kamera hoch, die hier angebracht war. Sayid verstand den unauffälligen Blick und sagte<br />
ruhig:<br />
„Ich verstehe, dass ihr das sehr gründlich untersuchen müsst, Lafleur. Das ist ein ge-<br />
meines Verbrechen. Wie kann nur jemand auf ein unschuldiges Kind schießen? Ich war im<br />
Pfeil, die Computeranlage hatte einen unbedeutenden Fehler im System. Von dort bin ich<br />
noch zum Stab gefahren, ich hatte dort vorgestern ein Prüfgerät vergessen. Auf dem Rückweg<br />
bin ich in das Unwetter geraten und habe <strong>mich</strong> beeilt, um nachhause zu kommen. Ich habe<br />
von Ben weder etwas gesehen noch etwas gehört.“<br />
gelassen:<br />
Jim war erneut erstaunt, wie kalt und beherrscht Sayid sein konnte. Er nickte und sagte<br />
„Und warum hast du dich so mit ihm befasst?“<br />
Ebenso gelassen erklärte Sayid:<br />
„Nun, ich habe, scheinbar im Gegensatz zu euch anderen, beobachtet, wie sein Vater<br />
mit dem armen Jungen umgesprungen ist. Er tat mir leid. Er scheint hier kaum Freunde zu<br />
haben, war immer alleine. Und er hat sich für meine Arbeit interessiert. Was sprach dagegen,<br />
freundlich zu ihm zu sein?“<br />
„Gut, das sollte erst mal reichen, ich denk, wir können den Hausarrest vorerst auf-<br />
heben. Du bleibst aber bis auf weiteres hier im Dorf, verstanden?“<br />
Sayid nickte. Entspannt verließ er das Büro.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
In der Flamme wollte Miles gerade dabei gehen, das Videoband zu löschen, als plötz-<br />
lich Horace aufgeregt in die Station gestürmt kam.<br />
„Miles, wo ist Lafleur?“<br />
Miles war erschrocken herum gefahren, als Horace so plötzlich in den Raum stürzte.<br />
„Hallo, Boss, was ist denn los?“, stotterte er nervös.<br />
Perle.“<br />
„Wo ist Lafleur?“, wiederholte Goodspeed hektisch seine Frage.<br />
„Nicht hier.“, erwiderte Miles schlau.<br />
„Das sehe ich, du Trottel!“<br />
„Oh, sorry, klar. Er ... Er ist dabei, den Iraker zu verhören. Und dann wollte er zur<br />
„Verfluchter Mist. Okay, Straume, hör genau zu. Ich werde dich jetzt in den Kreis der<br />
Eingeweihten aufnehmen.“<br />
Verständnislos sah Miles den Anführer an.<br />
„Hä?“<br />
„Es geht dabei um einige auserwählte Leute, die über den Swan Bescheid wissen. Das<br />
ist jetzt nicht wichtig. Du wirst sofort zu Punkt 3/34 fahren. Komm mal mit raus.“ Miles<br />
folgte dem Anführer und zusammen traten die beiden Männer nach draußen. Horace ging zu<br />
seinem Wagen und holte etwas Längliches, in schwarzen Stoff eingewickelt, vom Beifahrer-<br />
sitz. Er drückte Miles dieses Paket in die Hand und sagte:<br />
„Du wirst damit zu Punkt 3/34 fahren, es abgeben und dafür etwas anderes erhalten.<br />
Kann ich dir vertrauen, Miles?“<br />
„Absolut, ja. Sag mal, 3/34 ... das liegt auf dem Territorium der Hostiles, richtig?“<br />
„Das ist richtig. Sei also vorsichtig. Und beeil dich.“<br />
Miles nickte. „Bin schon unterwegs.“<br />
Er stieg in seinen Wagen, legte das Paket auf den Beifahrersitz und fuhr los. Und in<br />
der Flamme steckte das <strong>Über</strong>wachungsvideo noch im Rekorder!<br />
Miles fuhr so schnell es die Straße zuließ zu dem angegebenen Punkt. Etwa eine<br />
Stunde später war er da. Langsam fuhr er weiter, als plötzlich vor ihm ein Kollege namens<br />
Radzinsky mit zwei weiteren Männern aus dem Gebüsch trat, Gewehre im Anschlag.<br />
„Was machst du hier?“<br />
Erschrocken bremste Miles den Bus und starrte die Kollegen<br />
durch die Windschutzscheibe entgegen. Radzinsky trat an den<br />
Wagen heran, das Gewehr auf Miles gerichtet, und fragte miss-<br />
trauisch:<br />
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Frauke Feind<br />
„Hey, ganz ruhig, Kumpel, ich bin für Lafleur hier, der Boss schickt <strong>mich</strong>. Ich soll dir<br />
das hier geben und etwas dafür mitnehmen.“<br />
Sofort entspannte Radzinsky sich und ließ sich das eingewickelte Paket aushändigen.<br />
Er nickte seinen Begleitern zu und Augenblicke später traten die zwei Männer wieder aus<br />
dem Gebüsch, in das sie kurz verschwunden waren. Sie trugen eine Bahre, auf der ein dritter<br />
Mann lag. Auf der Stirn des Arbeiters erkannte Miles etwas, das wie eine Schusswunde aus-<br />
sah.<br />
„Scheiße, was ist passiert?“, fragte Miles nervös.<br />
„Nichts, was dich etwas angehen würde. Es gab einen Unfall, das ist alles. Hilf uns,<br />
ihn in den Leichensack zu stecken.“<br />
Radzinsky wickelte das Paket aus, das Miles ihm übergeben hatte und dieser erkannte,<br />
dass es sich tatsächlich um einen Leichensack handelte. Gemeinsam steckten sie den Toten in<br />
den Sack und verluden ihn anschließend in Miles‟ Dienstwagen.<br />
standen?“<br />
„So, mach dich auf den Rückweg, du bringst ihn ins Sicherheitsbüro zu Horace, ver-<br />
Miles nickte.<br />
„Bin schon weg.“<br />
Er startete den Wagen und drehte vorsichtig um. Eilig fuhr er los. Einen Kilometer<br />
weiter hielt er an und öffnete den Sack. Er sah den Toten an und setzte seine Gabe ein, mit<br />
Toten kommunizieren zu können. Konzentriert lauschte er dem, was der Mann ihm zu sagen<br />
hatte.<br />
************<br />
Kate, Jack und Hurley waren wie Sayid aus dem Hausarrest entlassen worden. Jim<br />
hatte sie eindringlich gewarnt, sich unauffällig zu verhalten und war später zu mir gekommen.<br />
„Morgen. Na, noch nichts los hier, was? Alle gesund?“<br />
„Guten Morgen. Ja, zum Glück ist nichts los. Wie geht es deinem Bein?“<br />
Jim verzog das Gesicht und sagte:<br />
„Null Problemo. Juliet wird morgen die Fäden ziehen. Es ziept nur noch ein wenig.<br />
Ich hab ne gute Heilhaut.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, das weiß ich ...“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und sagte ruhig:<br />
„Genau darum bin ich hier. Ich möchte mal in Ruhe mit dir Reden, das geht hier aber<br />
nicht. Die Wände haben mir hier zu viele Ohren, du verstehst?“<br />
Ich nickte.<br />
„Hast du Lust, ne kleine Tour mit mir zu machen?“<br />
- 281 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Nein! Die hatte ich ganz bestimmt nicht! Alleine mit Jim unterwegs zu sein war nun<br />
wirklich das Letzte, was ich wollte. Aber dafür würde er sicher kein Verständnis haben, also<br />
nickte ich zögernd.<br />
„Gut, dann werd ich mal mit dir ne Sightseeing Tour machen. Wenn jemand fragt,<br />
sagen wir, wir machen ne Fahrt zur Perle, da haben ein paar Leute ne Erkältung, das zieht als<br />
Ausrede.“<br />
Ich nickte und überlegte laut.<br />
„Ich sollte vielleicht ein paar Medis mitnehmen.“<br />
Schnell packte ich einige Medikamente in eine Tasche und hängte nun ein Schild an<br />
die Tür: Bin bald zurück, in Notfällen bitte an Juliet wenden. Jetzt erst folgte ich Jim zu<br />
seinem VW Bus. Ich setzte <strong>mich</strong> steif auf den Beifahrersitz und Jim fuhr los.<br />
Er sagte bis zum Sonarzaun kein Wort. Erst, als wir diesen passiert hatten, meinte er:<br />
„Ich werd dir mal meine Lieblingsstelle zeigen. Da wird nichts überwacht, das heißt, wir sind<br />
ungestört und können uns unterhalten.“<br />
- Wie schön, ungestört ... -<br />
dachte ich gestresst. Wir fuhren eine ganze Weile schweigend, bevor Jim meinte:<br />
„So, haben‟s gleich geschafft. Ein kleines Stück müssen wir zu Fuß gehen.“<br />
Er fuhr so weit in den Dschungel wie es ging und hielt schließlich an. Ich ahnte plötz-<br />
lich, wo er <strong>mich</strong> hinführen würde, und mir wurde schlecht. Zehn Minuten später bestätigte<br />
sich meine Befürchtung. Wir standen an dem kleinen Teich mit dem Wasserfall. Mein Herz<br />
krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich daran dachte, wie Jim <strong>mich</strong> das erste Mal hier-<br />
her gebracht hatte. Dass er sich auch noch auszog bis auf den Boxershort machte die ganze<br />
Sache nicht leichter für <strong>mich</strong>. Lachend meinte er:<br />
„Was ist, bist du wasserscheu?“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, bin ich, geh du nur.“<br />
Um nichts in der Welt wäre ich hier mit ihm Schwimmen gegangen. Jim zuckte die<br />
Schultern, meinte:<br />
„Dann eben nicht.“, und sprang selbst geschmeidig ins Wasser.<br />
Er drehte ein paar Runden, stieg endlich wieder heraus und setzte sich neben <strong>mich</strong> auf<br />
einen Stein, um sich zu Trocknen.<br />
„So, dann wollen wir mal n bisschen Klartext reden.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> auffordernd an.<br />
„Was möchtest du wissen?“, fragte ich unsicher.<br />
Dass er so eng bei mir saß, machte mir schwer zu schaffen. Er hatte keine Ahnung,<br />
was er mir damit antat. Jim lachte ironisch.<br />
„Du hast gesagt, wir hätten uns in LA kennen gelernt, richtig?“<br />
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Ich nickte.<br />
„Ja, das ist richtig.“<br />
„Unter welchen Umständen?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Ich schluckte. Ich konnte und durfte ihm das nicht erzählen. Er war mit Juliet zu-<br />
sammen und ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als zu erzählen, wie wir uns kennen<br />
gelernt hatten und dass wir einander liebten. Ich wollte seinem Glück nicht im Wege stehen.<br />
Ich würde ihm nichts verraten. Nicht, solange nicht klar war, wie es hier weiter gehen würde.<br />
„Warum ist das so wichtig für dich? Entweder, du glaubst mir so, oder ich kann dir<br />
sagen, was immer ich will, du wirst mir dann ohnehin nichts glauben.“<br />
„Ich will es einfach wissen.“<br />
Ich sah ihn an und sagte fest:<br />
„Und ich will es dir nicht erzählen.“<br />
Erstaunt weiteten sich seine Augen.<br />
„Was soll das? Warum? Ist es ein Geheimnis?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Grundsätzlich nicht, aber ich möchte einfach nicht darüber reden. Es hat rein private<br />
Gründe, die dich nichts angehen, okay. Wir haben uns bei Kate und Jack kennen gelernt, dass<br />
muss dir erst einmal reichen. Vielleicht erzähle ich dir irgendwann mehr, jetzt nicht, fertig.“<br />
„Hör zu, wenn du erwartest, dass ich dir vertrauen soll, musst du schon ehrlich zu mir sein.“<br />
Ich nickte.<br />
„Das werde ich, aber wie wir uns kennen gelernt haben, werde ich dir trotzdem nicht<br />
erzählen. Das ist irrelevant für die Situation.“<br />
Giftig sah Jim <strong>mich</strong> an.<br />
„Okay, dann sag mir wenigstens, wie wir her gekommen sind.“<br />
Ich lachte missmutig.<br />
„Na, was denkst du denn, im Flugzeug.“<br />
„Waren noch andere von uns dabei?“<br />
Ich nickte.<br />
„Allerdings. Kate, Jack, Hurley, Sayid, Sun und Jin.“<br />
„Sun auch? Wo ist sie denn?“<br />
Ich zuckte die Schultern.<br />
„Da fragst du <strong>mich</strong> zu viel. Sie war nicht mehr hier, als wir auf der Insel ankamen.“<br />
Ich merkte, dass Jim sehr skeptisch war und verstand jetzt seine Worte, dass er eigentlich<br />
nicht dazu neigte, Fremden zu vertrauen, oder überhaupt jemandem zu vertrauen, besser. Er<br />
war wirklich extrem misstrauisch, kein Vergleich zu dem Jim, den ich schwer verletzt und<br />
verängstigt eingesammelt hatte. Er würde mir nicht wirklich glauben, davon war ich über-<br />
zeugt.<br />
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Frauke Feind<br />
„Jim, ich merke dass du mir nicht glaubst. Dann glaube mir wenigstens, dass ich euch<br />
nicht verraten werde. Ich weiß von eurem Geheimnis und werde es garantiert niemandem<br />
verraten, das schwöre ich dir. Wir sollten zurück fahren, das Gespräch hier ist sinnlos und es<br />
fällt auf, wenn wir zu lange weg sind.“<br />
Jim nickte.<br />
„Du hast Recht. Ich kann dir einfach nicht wirklich vertrauen, okay. Das ist nichts<br />
Persönliches. Ich denke, du wirst dicht halten und uns nicht verraten, weil dein eigenes<br />
kleines Geheimnis dann auffliegen würde, aber dass wir uns kennen sollen, sorry, das er-<br />
scheint mir zu ... unglaubwürdig.“<br />
oder?“<br />
Er stand auf und schlüpfte in seine Sachen.<br />
„Du erinnerst dich doch aber an die Zeitsprünge, die ihr gemeinsam gemacht habt,<br />
Während er seinen Overall zuknöpfte, nickte er.<br />
„Ja, sicher, war ja komisch genug.“<br />
„Einen solchen Zeitsprung habe ich noch einmal ausgelöst. Und dabei sind eure Er-<br />
innerungen daran, dass wir gemeinsam zurück auf die Insel kamen, irgendwie verloren ge-<br />
gangen.“<br />
„Sagst du. Oder aber du spinnst dir das zu Recht.“<br />
„Wenn ich das täte, woher weiß ich dann so viel?“, fragte ich und sah Jim an.<br />
„Was weiß ich? Vielleicht kennst du Ben als Erwachsenen oder du hast in die Akten<br />
geguckt, oder du hast es irgendwo aufgeschnappt.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Okay, vergiss es, bring <strong>mich</strong> zurück, ich ...“<br />
Ich stand auf und eilte den Waldweg zurück, den wir gekommen waren. Schnell er-<br />
reichte ich das Auto und Jim folgte Augenblicke später.<br />
Die Rückfahrt verlief schweigend. Ich starrte aus dem Fenster und wusste nicht, wie es<br />
weiter gehen sollte. Jim sagte ebenfalls kein Wort. Zum Glück bemerkte uns niemand, als wir<br />
ins Dorf zurückkamen. Kein Mensch war zu sehen. Ich nickte Jim nur kurz zu und eilte zur<br />
Krankenstation hinüber. Ich schloss auf und war froh, als ich die Tür hinter mir schließen<br />
konnte. Schnell räumte ich die Medikamente in den Schrank zurück und wollte nun die Akten<br />
der letzten Tage aufarbeiten, als plötzlich die Tür aufging. Wayne stand in der Tür und sah<br />
<strong>mich</strong> ernst an.<br />
„Hallo, Kelly, ich soll dich abholen, wir haben in der Schule eine Versammlung.“<br />
„Hallo, Wayne. Sei mir nicht böse, ich habe noch eine Menge zu tun und weder Zeit noch<br />
Lust, an irgendeiner Versammlung ...“<br />
„Tut mir Leid, Kelly, es geht nicht mehr nach Lust oder Zeit. Du hast mit mir zu<br />
kommen, das ist keine Bitte, sondern ein Befehl.“ Ich erschrak. Was war passiert?<br />
Erschrocken sagte ich:<br />
- 284 -
fehl ist.“<br />
Schule folgte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Oh, das habe ich wohl falsch verstanden. Natürlich komme ich mit, wenn das ein Be-<br />
Ich verließ die Krankenstation und schloss hinter uns ab.<br />
„Was ist denn los? Ist etwas geschehen?“, fragte ich nervös, während ich Wayne zur<br />
„Das kann man sagen, ja. Wirst du gleich erfahren.“, erklärte Wayne kurz angebunden.<br />
Schnell hatten wir die Schule erreicht, die groß genug war, alle Bewohner aufzunehmen. Und<br />
wie ich das sah, waren auch alle anwesend. Vorne, dort, wo sonst die Tafel angebracht war,<br />
saßen Kate und Sayid, beide hatten die Hände scheinbar auf den Rücken gefesselt. Sayid sah<br />
aus, als hätte er sich gegen die Festnahme gewehrt. Kate wirkte verängstigt. Ich wurde eben-<br />
falls nach vorne gebracht und Wayne sagte:<br />
„Setzt dich da hin.“<br />
Ich ließ <strong>mich</strong> auf einen freien Stuhl sinken und zitterte innerlich. Irgendetwas<br />
Gravierendes musste passiert sein. Die Schultür ging auf und ich erschrak jetzt wirklich. Juliet<br />
wurde in den Raum geführt, sie hatte Tränenspuren auf den Wangen und sah blass und ver-<br />
ängstigt aus. Und hinter ihr kamen Radzinsky und Phil, und sie hatten Jim zwischen sich. Und<br />
bei ihm war es nicht zu übersehen: Er hatte sich nach Kräften gewehrt und sah dement-<br />
sprechend aus. Wütend ließ er sich zu uns führen und wurde brutal in einen Stuhl gedrückt.<br />
Seine Handgelenke waren ebenfalls auf dem Rücken gefesselt und er starrte genervt auf den<br />
Boden vor sich. Als nun scheinbar alle anwesend waren stieß Horace zu uns.<br />
„Ihr fragt euch, warum wir euch haben herbringen lassen, nehme ich an. Nun, das<br />
werde ich euch sagen. Miles, das Video.“<br />
Verlegen und sehr betroffen trat Miles in den Raum und hatte ein Videoband in der<br />
Hand. Jin war ebenfalls anwesend, das sah ich erst jetzt. Er hatte ein Gewehr in der Hand und<br />
versuchte krampfhaft, seine Betroffenheit zu verbergen. Miles hatte das Video in einen<br />
Rekorder geschoben und schaltete auf Play. Und Jim wusste offensichtlich genau, was kam,<br />
denn er senkte resigniert den Kopf, den er gehoben hatte, als Horace den Befehl an Miles er-<br />
teilte. Schon flackerte ein Bildschirm, der an Stelle der Tafel angebracht worden war, auf und<br />
zeigte ein sehr deutliches Bild, dass nicht falsch verstanden oder auch nur fehl interpretiert<br />
werden konnte: Jim und Kate, die sich am Sonarzaun trafen, Jim, der den Zaun ausschaltete<br />
und mit dem Wagen, mit dem Kate gekommen war, den verletzten Ben weg fuhren. Beide,<br />
wie sie mit dem Jungen im Auto im Dschungel verschwanden. Entsetzte Stimmen wurden im<br />
Raum laut und Roger Linus brüllte:<br />
„Was habt ihr mit meinem Jungen gemacht, ihr miesen Schweine?“<br />
Es gab einen ziemlichen Aufruhr nach diesen Worten und es dauerte einige Minuten,<br />
bis Horace für Ruhe gesorgt hatte. Dann sagte er:<br />
„Juliet, Kelly, wusstet ihr davon?“<br />
Jim fuhr dazwischen, bevor wir etwas sagen konnten.<br />
- 285 -
„Nein, sie wussten nichts.“<br />
Auch Kate schüttelte den Kopf.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich habe gewartet, bis sie Beide weg waren ...“ sagte sie leise.<br />
„Ist das wahr?“, fragte Horace ruhig.<br />
Jim warf Juliet einen Blick zu, der mehr als deutlich sagte: Bleib dabei! Juliet liefen<br />
Tränen über die Wangen. Sie nickte.<br />
langsam.<br />
„Ja, das ist wahr. Wir hatten keine Ahnung.“<br />
Nun sah Horace Kate an.<br />
„Was habt ihr mit den Jungen gemacht?“<br />
Kate schwieg verzweifelt und Jim erklärte an ihrer Stelle:<br />
„Wir haben ihm das Leben gerettet, verdammt noch mal.“<br />
Horace sah Jim erstaunt an.<br />
„Ihr habt was?“<br />
Jim schnaufte resigniert.<br />
„Wir haben ihm das Leben gerettet.“<br />
<strong>Der</strong> Blick, den der Anführer ihm und Kate zuwarf, verhieß nichts Gutes. Er nickte<br />
„Okay, darauf komme ich später.“<br />
Er wandte sich Sayid zu.<br />
„Nun kommen wir zu dir, Sayid. Du wurdest an dem Tag, als Ben angeschossen<br />
wurde, gesehen.“<br />
arbeitet.“<br />
Sayid blieb gelassen.<br />
„So? Wurde ich das? Ist ja wohl kaum verwunderlich, oder? Immerhin habe ich ge-<br />
Horace nickte.<br />
„Das ist richtig, aber du wurdest nicht beim Arbeiten gesehen, sondern in unmittel-<br />
barer Nähe der Stelle, wo Ben gefunden wurde. Und zwar zu der Zeit, als der Schuss auf Ben<br />
abgegeben wurde.“<br />
Sayid schüttelte stur den Kopf.<br />
„Ich habe Ben an jenem Tag nicht gesehen.“, erklärte er.<br />
„Nun, dann kannst du uns sicher erzählen, wieso eine Kugel in deiner Dienstwaffe<br />
fehlt, nehme ich an?“<br />
Ich hielt die Luft an. Das konnte doch nicht wahr sein! So dumm konnte Sayid doch<br />
nicht gewesen sein.<br />
„Du hast meinen Jungen erschossen!“, tobe Roger los und im Saal ertönte zu-<br />
stimmendes Gemurmel.<br />
Jack, der zusammen mit Hurley ziemlich weit vorne saß, ließ resigniert den Kopf<br />
hängen. Ich wusste, dass er sich etwas in der Art gedacht hatte. Jack war nicht dumm.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Vielleicht waren ihm sogar ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. Er hatte ja aus<br />
diesem Grunde verweigert, Ben zu operieren. Eine günstige Gelegenheit, durch dessen Tod<br />
die Zukunft gründlich zu verändern. Er hatte klar und deutlich gesagt, dass das, was aus Ben<br />
werden würde, nicht wert war, gerettet zu werden. Hurley selbst starrte Sayid so entsetzt an,<br />
dass niemand auch nur im Geringsten den Verdacht haben würde, er hätte etwas gewusst.<br />
Sayid war merklich zusammen gezuckt. In seinem Gehirn arbeitete es. Konnte das sein? Er<br />
versuchte krampfhaft, sich an den Tag zu erinnern. Sollte er tatsächlich etwas so wichtiges<br />
übersehen haben? Aber es war ohnehin zu spät. Durch sein unwillkürliches Zusammenzucken<br />
hatte er sich schon genug verraten.<br />
„Ich will wissen, ob du es warst.“, fuhr Horace ihn an.<br />
Sayid hob den Kopf, sah dem Anführer in die Augen und sagte ruhig:<br />
„Das wirst du wohl nie erfahren.“<br />
Horace nickte.<br />
„Da magst du Recht haben. Aber das ist auch egal. Ihr drei habt euch schuldig ge-<br />
macht gegen unsere Gemeinschaft, die auf Vertrauen und Zusammenhalt basiert. Ihr kennt die<br />
Regeln. Ich habe keine Wahl: Ihr werdet zum Tode verurteilt. Jeder hier weiß, was auf Ver-<br />
gehen dieser Art steht. Ich bin großzügig und gebe euch Gelegenheit, noch einmal darüber<br />
nachzudenken, was ihr getan habt. In zwei Tagen kommen wir hier wieder zusammen. Dann<br />
werden wir das Urteil vollstrecken. Ihr werdet erschossen. Bringt sie weg.“<br />
25) Todesurteil<br />
Wie ich nachhause kam, wusste ich später nicht mehr zu sagen. In meinem Kopf<br />
hämmerte das Wort ‟erschossen‟ einen brutalen Rhythmus und ich war wie in Trance. Juliet<br />
war weinend zusammen gebrochen, Kate vor Entsetzen wie erstarrt gewesen. Sayid und Jim<br />
hatten das Urteil ruhig und resigniert hingenommen. Man hatte die Drei aus dem Saal ge-<br />
schafft und dieser hatte sich auch schnell geleert. Juliet wurde in Frieden gelassen. Sie war<br />
von Amy nachhause begleitet worden, das hatte ich gesehen. Vollkommen paralysiert vor<br />
Entsetzen hatte ich mein Haus erreicht und war in mein Zimmer gewankt. Dort war ich<br />
weinend auf dem Bett zusammen gebrochen. Ich war fassungslos. Dass sich die ganze Sache<br />
so zuspitzte war neu. Also konnte der Lauf der Dinge doch in gewisser Weise verändert<br />
werden, denn so drastisch war es bisher ja nicht abgelaufen. Ich wusste nicht, was ich tun<br />
sollte. Jim würde in zwei Tagen hingerichtet werden, das war alles, was ich derzeit denken<br />
konnte. Ich spürte, wie mir schlecht wurde und sprang auf. Gerade noch schaffte ich den Weg<br />
ins Bad, dann brach ich vor der Toilette zusammen und übergab <strong>mich</strong> keuchend. Natürlich<br />
musste in dem Moment Wayne nachhause kommen und <strong>mich</strong> finden.<br />
„Hey, geht‟s dir nicht gut?“, fragte er besorgt.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein, mir geht es nicht gut, lass <strong>mich</strong> in Ruhe, bitte.“, keuchte ich schwer atmend und<br />
versuchte, auf die Füße zu kommen.<br />
mir auf.<br />
Wayne dachte nicht im Traum daran, <strong>mich</strong> in Ruhe zu lassen. Er trat zu mir und half<br />
„Ja, ist schon hart, dass einer von uns das getan hat. Und Lafleur und Kate ... Was sie<br />
wohl mit dem armen Benjamin gemacht haben.“<br />
Wütend fuhr ich herum.<br />
„Ach, jetzt ist er plötzlich der „arme Benjamin„, was? Als sein lieber Vater den Jungen<br />
psychisch und physisch misshandelt hat war er für euch auch nicht der „arme Benjamin„! Ihr<br />
seid eine elende Bande von verlogenen Heuchlern!“<br />
Wayne zuckte angesichts meiner harten Worte zurück.<br />
„Hey, ist ja gut. Das war Rogers Problem, nicht unseres.“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Verschwinde endlich, lass <strong>mich</strong> in Ruhe. Geh zu deinen Mörderfreunden und sprecht<br />
weiter Todesurteile aus als redet ihr über das Wetter. Ihr habt ja alle einen Schaden im Hirn.“<br />
Ich riss <strong>mich</strong> los und eilte in mein Zimmer zurück. Die Tür knallte hinter mir zu und ich sank<br />
erneut weinend auf das Bett nieder. Lange lag ich schluchzend da, doch schließlich begann<br />
ich <strong>mich</strong> ein wenig zu beruhigen. Wir hatten zwei Tage. Zwei Tage, in denen ich ganz be-<br />
stimmt nicht untätig herumsitzen würde um darauf zu warten, dass man Jim umbrachte. Und<br />
wenn es <strong>mich</strong> selbst das Leben kosten würde, irgendwas würde ich tun, um Jim da raus zu<br />
helfen. Wild entschlossen richtete ich <strong>mich</strong> auf. Ich liebte ihn, und auch, wenn er hier mit<br />
Juliet zusammen war, würde ich nicht zusehen, wie man ihm eine Kugel in den Kopf jagte.<br />
************<br />
Das U-Boot tauchte langsam aus den Tiefen des Ozeans an die Oberfläche. An Bord<br />
befanden sich technische Geräte, Lebensmittel, Material und zwei Männern, die gerade lang-<br />
sam zu sich kamen. Einer davon, Kevin Marsters, war der Kinderarzt der DHARMA<br />
Initiative. Er hatte Landurlaub gehabt und kehrte jetzt zurück. <strong>Der</strong> zweite Mann war sehr<br />
schlank, dunkelhaarig, um die vierzig, mit einem recht ungepflegten Bart und er wurde Joe<br />
genannt. Er sollte den Toten Alvarez ersetzten, den Mann, den Miles bei Radzinsky hatte ab-<br />
holen müssen. Marsters und Joe bekamen einen Kaffee von Glen Bird, dem Captain der<br />
Galaga, gereicht und kurze Zeit später legte das U-Boot bereits am Pala-Pier an. Die beiden<br />
Männer verließen das U-Boot und wurden ins Dorf gebracht. <strong>Der</strong> Arzt wurde freudig zurück<br />
begrüßt, der Arbeiter willkommen geheißen und in die Regeln eingeweiht. Er bekam für<br />
einige Nächte ein Quartier zugewiesen. Später sollte er wie seine Kollegen bei der Swan-<br />
Baustelle wohnen. Nach der Begrüßung sah sich Joe um. Und glaubte seinen Augen nicht zu<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
trauen, als er einen Mann im beigefarbenen Overall sah, der mit einer Harke bewaffnet gegen<br />
das Laub auf dem Rasen zwischen den Häusern vorging. Er kannte diesen Mann! Als dieser<br />
später Feierabend machte, beobachtete Joe genau, in welches Haus der Mann verschwand. Joe<br />
wartete, bis es dunkel geworden war, dann ging er zu dem Haus hinüber. Er klopfte leise an<br />
die Tür und wartete ungeduldig, bis diese geöffnet wurde. <strong>Der</strong> Mann mit den kurzen, dunklen<br />
Haaren öffnete selbst die Tür. Er starrte Joe an und sein Kiefer klappte auf.<br />
„Hallo, Jack.“<br />
„Daniel?“<br />
************<br />
Jim, Kate und Sayid waren in den kleinen Zellentrakt der Schule geschafft worden.<br />
Erst dort hatte man ihnen die Handschellen abgenommen. Drei der vier Zellen waren nun be-<br />
legt. Jim hatte sich auf die Pritsche sinken lassen und schloss müde die Augen. Damit hatte er<br />
wirklich nicht gerechnet. Zum Tode verurteilt! Er lachte verzweifelt auf. Hätte er damals, vor<br />
drei Jahren, nur auf Juliet gehört. Dann wären sie schon seit drei Jahren in Sicherheit ge-<br />
wesen. Er stöhnte frustriert auf. Kates Stimme drang zu ihm, ganz dünn und voller Angst.<br />
„Sawyer?“<br />
Er öffnete die Augen und sah in die Zelle neben sich. Kate sah ihn an, ihre Augen<br />
schwammen in Tränen.<br />
meinen.“<br />
„Das können die doch nicht ernst meinen. Sawyer, sag, dass die das nicht ernst<br />
Jim seufzte.<br />
„Freckles, ich fürchte, die meinen das sogar noch viel ernster. Wir haben feste Regeln.<br />
Und die dulden keine ...“<br />
„Sawyer! Du sprichst hier von unserem Leben.“, fuhr Kate panisch dazwischen.<br />
Jim stemmte sich hoch und trat an das Gitter.<br />
„Komm her.“, sagte er leise.<br />
Kate trat zu ihm und Jim griff durch die Gitterstäbe hindurch nach der jungen Frau.<br />
„Hey, Freckles, noch sind wir nicht tot. Du bist eine Kämpferin. Meine große, weiße Jägerin.<br />
Gib nicht jetzt schon auf.“<br />
Kate sah ihn an und schluchzte sie los.<br />
„Sawyer, ich will nicht erschossen werden.“<br />
Jims Herz krampfte sich zusammen. Er hatte alles mit Kate ertragen, ihre offene Ab-<br />
lehnung, dass sie ihn benutzt hatte, ihre geradezu hündische Ergebenheit an Jack, aber sie hier<br />
in Todesangst weinen zu sehen, war mehr, als Jim ertragen konnte. Er zog sie ans Gitter und<br />
dann die Arme um die junge Frau.<br />
„Hey, Sheena, gib nicht auf, okay, irgendwas wird uns einfallen.“<br />
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Frauke Feind<br />
Später, Kate hatte sich irgendwann beruhigt, lag Jim auf seiner Pritsche und starrte<br />
durch die herrschende Dunkelheit an die Decke. Er ließ sein Leben Revue passieren und<br />
dachte an die zwei Frauen, die ihm wirklich etwas bedeutet hatten. Kate, die ihn nie so lieben<br />
würde, wie er es sich immer gewünscht hatte, und Juliet, die er nie so lieben könnte, wie sie<br />
es sich wünschte und verdient hätte. Jim war unglaublich dankbar, dass Jules wenigstens aus<br />
dem Schneider war. Sie war stark. Wenn ihm nichts einfiel, sein Leben zu retten, würde Juliet<br />
irgendwie damit fertig werden, da war er sicher. Sie war eine absolute Kämpfernatur. Seine<br />
Gedanken schweiften zu dem verräterischen Video. Er begriff nicht, warum Miles das Band<br />
nicht vernichtet hatte. Er hatte ihm absolut vertraut. Und nun das. Jim wälzte den Gedanken<br />
um und um, kam aber zu keinem Ergebnis. Plötzlich ging die Tür auf und genau dieser Miles<br />
kam herein. Er hatte eine Papiertüte in der Hand und drückte Sayid, der ans Gitter getreten<br />
war, diese in die Hand.<br />
„Hier, euer Abendbrot.“, sagte er laut.<br />
Dann sah er Jim an und flüsterte:<br />
„Horace hat <strong>mich</strong> gestört ... Er hat <strong>mich</strong> weg geschickt, zu 3/34. Ich hab das ver-<br />
dammte Video vergessen.“<br />
Laut sagte er:<br />
„Tut mir leid, Boss. Ich wünschte, ich könnte was für dich tun.“<br />
Er drehte sich herum und verließ ohne ein weiteres Wort den Keller. Und Jim war<br />
irgendwie erleichtert. Zu wissen, dass die ganze Situation aus einer Verkettung unglücklicher<br />
Umstände entstanden war, machte es zwar nicht besser, aber wenigstens wusste Jim jetzt, dass<br />
Miles ihn nicht verraten hatte.<br />
Sie aßen ihre Sandwichs und dann machte Sayid plötzlich den Mund auf. „Hört mal,<br />
es tut mir leid, dass ich euch da mit rein gezogen habe. Das war nicht meine Absicht.“ Jim<br />
stieß ein kurzes, sarkastisches Lachen aus.<br />
„Weißt du, Mohamed, das hilft uns irgendwie auch nicht weiter.“<br />
Sayid nickte.<br />
„Ich weiß das, Sawyer. Aber ich hatte keine Wahl. Ich musste es einfach versuchen.<br />
Nachdem Nadia damals getötet worden war, kam er zu mir und ...“<br />
Jim unterbrach den Iraker.<br />
„Wer zur Hölle ist Nadia?“<br />
Sayids Stimme klang plötzlich, als kämpfe er mit den Tränen, etwas, das Jim und Kate<br />
während all der Zeit nur einmal bei Sayid erlebt hatten, nämlich bei der Beisetzung Shannons.<br />
„Nadia ... Ich habe sie als Junge im Irak kennen gelernt. Wir gingen auf die gleiche Schule.<br />
Sie ist als Erwachsene den Gegnern Saddams beigetreten. Später war sie eine Kriegs-<br />
gefangene und ich hatte als Verhöroffizier der republikanischen Garde den Befehl,<br />
Informationen aus ihr heraus zu bekommen, so sah ich sie wieder. Ich war schon da in sie<br />
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Frauke Feind<br />
verliebt. Ich habe sie nicht gefoltert, sondern ihr zur Flucht verholfen. Ich dachte jahrelang,<br />
sie wäre tot, auf der Flucht umgekommen. Als wir zurückkehrten, habe ich sie wieder ge-<br />
sehen, sie war am Flughafen und hat <strong>mich</strong> in Empfang genommen. Wir heirateten. Kurze Zeit<br />
später wurde sie in LA von einem Wagen überfahren, der Fahrer beging Fahrerflucht. Dann<br />
kam Ben zu mir und erzählte mir, der Fahrer wäre ein Scherge Widmores gewesen. Er er-<br />
klärte mir, dass er die Hintermänner kenne, die für das Attentat verantwortlich waren. Er<br />
überredete <strong>mich</strong>, den Drahtzieher, Ishmael Bakir zu töten und dann noch weitere sechs Leute.<br />
Irgendwann bekam ich raus, dass Ben <strong>mich</strong> nur benutzt hatte, um diese Menschen zu Töten,<br />
weil sie hinter ihm her waren.“<br />
Jim kam diese Situation bekannt vor. Hatte doch sein ‟Freund‟ Hibbs ihn auf ähnliche<br />
Weise damals nach Sydney geschickt, in dem er Jim weis machte, der echte Sawyer würde<br />
dort unter dem Namen Frank Duckett eine Shrimpsbude führen. Jim hatte den Unterlagen, die<br />
Hibbs vorlegte, geglaubt und war nach Sydney geflogen. Er hatte Duckett aufgetrieben und<br />
getötet. Erst, als es zu spät war merkte er, dass er einen Unschuldigen umgebracht hatte, der<br />
Mann hatte mit dem echten Sawyer nicht das Geringste zu tun gehabt. Er war nur ein armes<br />
Schwein gewesen, welches bei Hibbs eine Menge Schulden gehabt hatte. Dieser Mord be-<br />
drückte Jim noch immer schwer, er war sicher, das nie ganz verwinden zu können.<br />
„Dann hat Ben dich eiskalt benutzt, um aufzuräumen, was?“, fragte er Sayid.<br />
„Dieser nickte.<br />
„Ja, er hat <strong>mich</strong> zum Killer gemacht. Ich war sicher, wenn ich ihn hier töte, könnte ich<br />
die Zukunft für uns alle verändern, die Welt wäre ein besserer Ort ohne ihn. Ihr hättet ihn ein-<br />
fach sterben lassen sollen.“<br />
Das war kein Vorwurf, sondern einfach eine Feststellung. Jim schüttelte den Kopf.<br />
„Er ist ein Kind, Sayid, du machst da einen gewaltigen Denkfehler. Mit diesem Ver-<br />
such, Ben zu töten, hast du ihn erst zu dem gemacht, was er wird. Richard hat das ganz klar<br />
gesagt.“ Sayid nickte.<br />
„Ja, weil ihr ihn erst dorthin gebracht habt, wo er zu dem wird, was er später ist. Das<br />
ist mir inzwischen auch klar geworden.“<br />
Aus Kates Zelle kam ein bedrücktes:<br />
„Selbst wenn es so ist, ich konnte nicht still zusehen, wie ein unschuldiges Kind stirbt.<br />
Als Erwachsenen würde ich den Bastard selbst abknallen wie einen tollwütigen Hund, aber so<br />
... Sawyer, meinst du wirklich, wir haben ihn erst zu dem gemacht, was er später ist?“<br />
Jim hatte sich wieder auf seiner Pritsche ausgestreckt. Er hatte den rechten Arm unter<br />
seinen Kopf geschoben und nickte.<br />
„Ich geh davon aus. Richard meinte ja, er würde hinterher nie wieder derselbe sein.<br />
Was sagte er? Ben würde seine Unschuld verlieren. Dannyboy hat immer gesagt, man kann<br />
die Zukunft nicht verändern, nur die Umstände, die zu ihr führen. Vielleicht hat er Recht ge-<br />
habt. Ich weiß es nicht genau, das weiß wohl keiner.“<br />
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Frauke Feind<br />
************<br />
Juliet war nach der Versammlung weinend aus dem Schulgebäude gewankt. Sie be-<br />
kam nur unterbewusst mit, das Amy zu ihr trat und sie in den Arm nahm.<br />
„Komm, ich bringe dich nachhause.“, sagte die junge Frau ruhig.<br />
Minuten später saß Juliet auf dem Sofa und schluchzte trostlos vor sich hin. Amy saß<br />
neben ihr und sagte:<br />
„Er hat es sicher gut gemeint, aber du weißt, wie unsere Regeln sind. Wo hat er den<br />
Jungen hingeschafft, Juliet?“<br />
Die blonde Ärztin sah Amy aus verweinten Augen an.<br />
„In Sicherheit. Er wird leben.“<br />
Amy nickte.<br />
„Du willst es mir nicht sagen, gut. Du hast Glück, dass du von Jims Plan nichts<br />
wusstest, sonst ...“<br />
„Du kannst mir glauben, ich würde lieber selbst in der Zelle sitzen, als zusehen zu<br />
müssen, wie ihr James umbringt!“, stieß Juliet wütend hervor.<br />
Boot.“<br />
Amy nickte.<br />
„Auch das kann ich verstehen. Du solltest die Insel verlassen, mit dem nächsten U-<br />
Sie erhob sich und verließ langsam das Haus. Juliet saß lange auf dem Sofa und ver-<br />
suchte, zu begreifen, was heute passiert war. Aber ihre Gedanken drehten sich immer nur um<br />
den einen Punkt: James würde sterben. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie solche<br />
Angst gehabt. Wie sollte sie das nur überstehen? Ihr Gehirn war wie paralysiert, sie sah<br />
keinen Ausweg. Ihn und die Anderen zu befreien war unmöglich, sie wurden zu gut bewacht.<br />
Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte.<br />
************<br />
Ich versuchte am kommenden Morgen, Horace dazu zu überreden, <strong>mich</strong> zu den Ge-<br />
fangenen zu lassen, aber er erklärte mir freundlich:<br />
„Das kann ich dir leider nicht erlauben. Niemand außer der Security darf zu ihnen. Es<br />
tut mir leid. Du solltest froh sein, dass du mit alledem nichts zu tun hast. Sonst würdest du<br />
diesen Mördern und Verrätern Gesellschaft leisten. Ich kann verstehen, dass du uns sicher<br />
auch für Killer hältst, aber was wir hier machen ist zu wichtig, als dass wir es leichtfertig aufs<br />
Spiel setzen dürfen. Wenn du vielleicht auch Lachen wirst, aber diese Insel ist ... etwas Be-<br />
sonderes und ihr Schutz und Nutzen wiegt schwerer als einzelne Menschenleben. Solltest du<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
dich entschließen, bei uns zu bleiben, wirst du es vielleicht irgendwann verstehen. Und jetzt<br />
musst du <strong>mich</strong> bitte Entschuldigen, ich habe zu tun.“<br />
Unglücklich schob ich also wieder ab. <strong>Der</strong> Tag verging wie im Fluge. Es war wie ver-<br />
hext. Wartete man auf schöne Dinge, schien sich die Zeit zäh wie ein Kaugummi zu ziehen,<br />
doch sobald man auf etwas Unangenehmes wartete, hatte die Zeit die Angewohnheit, doppelte<br />
und dreifach so schnell zu vergehen. Ich hatte stundenlang darüber gegrübelt, wie ich Jims<br />
Leben retten konnte, aber die Schule wurde bewacht wie Fort Knox und jeder Versuch, die<br />
Gefangenen gewaltsam zu befreien würde in einem Desaster enden. Juliet schlich ebenfalls<br />
immer wieder draußen herum und schien nach einer Lösung zu suchen. Aber selbst sie wurde<br />
überwacht und jeder ihrer Schritte wurde Horace gemeldet.<br />
Von Jack und Hurley sah ich den ganzen Tag nichts, obwohl ich sicher war, auch Jack<br />
zermarterte sich das Hirn, wie er Kates Leben retten konnte. Doch auch er musste einsehen,<br />
dass ein gewaltsamer Befreiungsversuch zum Scheitern verurteilt war. An die zwölf Security<br />
Leute hielten sich beständig in und um die Schule herum auf und ließen nicht einmal eine<br />
Maus in den Keller dringen. Als der Tag sich dem Ende neigte, geriet ich langsam aber sicher<br />
in Panik. Morgen Vormittag war es soweit. Ich brauchte in dieser Nacht gar nicht an Schlaf<br />
denken. Stundenlang hockte ich auf der Terrasse und sah so, dass auch bei Jack und Hurley<br />
die ganze Nacht das Licht brannte, ebenso bei Juliet. Als es dämmerte, war ich einem Zu-<br />
sammenbruch nahe. Immer wieder überlegte ich, zu Juliet zu gehen, aber ich konnte ihr ja<br />
schlecht sagen, warum ich so aufgelöst war. Sie würde dafür wohl kaum Verständnis auf-<br />
bringen. Ich sah unbewusst einen dunkelhaarigen, bärtigen Mann zu Jacks Haus gehen und<br />
klopfen, speicherte diese Beobachtung jedoch gar nicht, da mein Gehirn viel zu voll war mit<br />
nackter Angst. Die Hinrichtung war für 11 Uhr festgelegt worden. Um halb 10 Uhr war ich<br />
kurz vor einem hysterischen Schreikrampf. Ich war sicher, Jim heute Sterben zu sehen. Ein<br />
Gedanke war mir in den Kopf geschossen, den ich im allerletzten Fall in die Tat umzusetzen<br />
gedachte: In Lagerhaus lag Dynamit, das hatte ich eines Tages gesehen. Sollte es keine<br />
Wende der Dinge mehr geben würde ich mir von dem Dynamit nehmen und das ganze, ver-<br />
dammte Dorf in Fetzen sprengen!<br />
************<br />
Juliet hatte eine schlaflose Nacht verbracht. Die Zeit rannte ihr davon. Immer<br />
panischer wurde die Ärztin und als es am kommenden Morgen auf 10 Uhr zuging, fasste sie<br />
einen verzweifelten Entschluss. Eilig verließ sie das Haus und eilte zu Horace und Amy<br />
hinüber. Hektisch klopfte sie an die Tür und stand gleich darauf Horace gegenüber, der<br />
öffnete.<br />
„Was kann ich für dich tun, Juliet?“, fragte er freundlich.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich muss dich sprechen.“, erklärte die blonde Frau nervös.<br />
„Jetzt? In einer Stunde ...“<br />
„Ja, jetzt! Es geht immerhin um Jims Leben, verflucht noch mal! Du bist es mir und<br />
auch ihm mehr als schuldig, mir kurz zuzuhören.“<br />
Juliet war kurz davor, mit dem Fuß aufzustampfen. Horace nickte.<br />
„Da hast du Recht. Okay, komm doch herein.“<br />
Juliet folgte dem Anführer ins Wohnzimmer. Dort angekommen bat Horace:<br />
„Setz dich doch.“<br />
Angespannt und mit den Nerven am Ende ließ Juliet sich auf das Sitzmöbel sinken.<br />
Amy kam mit Ethan im Arm und einer Tasse Kaffee aus der Küche und begrüßte Juliet be-<br />
drückt.<br />
„Guten Morgen. Wie geht es dir?“<br />
Juliet sah die Frau an.<br />
„Beschissen. Darum bin ich hier. Horace, hör zu. Wir haben gelogen. Ich wusste nicht<br />
nur von Bens ... Entführung, ich habe sie sogar vorgeschlagen.“<br />
Horace sah die Ärztin überrascht an.<br />
„Was?“<br />
Juliet nickte.<br />
„Ich habe die Idee gehabt, nachdem ich merkte, dass ich nicht in der Lage war,<br />
Benjamin zu helfen. Ich bin keine Chirurgin, dass weißt du. Er hätte aber einen echten<br />
Chirurgen benötigt und selbst dann wäre es sehr fraglich gewesen, ob wir ihn durch be-<br />
kommen hätten. Ich hatte die Wahl, zuzusehen, wie der Junge stirbt, oder zu versuchen, sein<br />
Leben zu retten. Ich habe Kate gebeten, ihn zu ...“ Sie atmete tief durch. „... ihn zu den<br />
Feinden zu bringen. Jim bat ich, Kate zu helfen, da sie es alleine nie geschafft hätte. Ich habe<br />
Kelly ins Materiallager geschickt und dann haben wir Ben in einen der Busse geschafft. Kate<br />
ist mit ihm losgefahren und ich habe Jim hinterher geschickt. Er hat sie am Zaun eingeholt<br />
und gemeinsam haben sie den Jungen von dort aus zu Richard Alpert geschafft.“<br />
Horace und Amy hatten angespannt zugehört. Jetzt fragte Amy:<br />
„Warum, um Gottes Willen?“<br />
Juliet sah Amy an.<br />
„Hast du nicht zugehört? Er hätte sonst den Tag nicht überlebt, Amy, er wäre in jedem<br />
Fall gestorben. In jedem Falle, verstehst du das? Es ist so, dass ich Richard kenne, woher ist<br />
unwichtig. Er hat Fähigkeiten und Möglichkeiten, von denen ihr nur träumen könnt. Er hat<br />
Benjamin übernommen und dem Jungen geht es inzwischen wieder gut, da bin ich sicher.“<br />
„Woher kennst du den Mann?“<br />
Horace sah Juliet sehr misstrauisch an.<br />
„Das ist unwichtig. Wichtig ist nur, dass ihr James und Kate nicht dafür verantwortlich<br />
machen könnt, was ich angezettelt habe. Ihr dürft sie nicht Töten.“<br />
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Juliet sah Amy verzweifelt an.<br />
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Frauke Feind<br />
„Amy, Jim und ich haben dir zwei Mal das Leben gerettet! Kannst du das einfach so<br />
vergessen? Wenn wir nicht gewesen wären, hätten die Feinde dich mitgenommen und getötet<br />
und du wärest ohne James bei Ethans Geburt gestorben, und dein Sohn ebenfalls, denn James<br />
war es, der <strong>mich</strong> anflehte, den Kaiserschnitt bei dir vorzunehmen. Du kannst nicht einfach<br />
dasitzen und ihn diesen Killern überlassen!“<br />
Die Goodspeeds sahen sich an.<br />
„Juliet hat Recht, Horace, wir können das nicht vergessen. Und wenn dieser Alpert<br />
dem Jungen wirklich das Leben gerettet hat, hat Juliet dies in die Wege geleitet. Du musst<br />
etwas unternehmen.“<br />
schießen?“<br />
Horace überlegte.<br />
„Weißt du etwas darüber, warum und ob dieser Sayid Benjamin versucht hat, zu er-<br />
Ruhig erwiderte Juliet:<br />
„Nein, Horace, das musst du mir glauben, ich weiß weder, ob er es wirklich war, noch,<br />
wenn ja, warum er es getan haben könnte, das schwöre ich. Und Kate und James wissen<br />
darüber genauso wenig.“<br />
Horace nickte.<br />
„Ich glaube, du sagst die Wahrheit. Du hast Recht, ich kann das, was Jim für Amy und<br />
<strong>mich</strong> und uns alle hier getan hat, nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Dir ist klar, dass<br />
deine Entscheidung, uns die Wahrheit zu sagen, Konsequenzen für dich haben wird, oder?“<br />
Juliet nickte.<br />
„Selbstverständlich ist mir das klar. Aber ich kann nicht ruhig zusehen, wie James er-<br />
schossen wird, das ist dir doch wohl auch klar. Er wäre ohne <strong>mich</strong> nie auf die Idee ge-<br />
kommen, Ben zu Richard zu schaffen. Er darf nicht für etwas bestraft werden, was ich be-<br />
schlossen habe. Und auch Kate darf das nicht. Hätten wir es nicht getan, wäre jetzt das Grab<br />
eines dreizehnjährigen Kindes auf dem Friedhof und Roger könnte seinen Sohn nur noch dort<br />
besuchen.“<br />
Horace stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Juliet saß angespannt und zitternd<br />
auf dem Sofa und beobachtete den Anführer. Schließlich sagte dieser:<br />
„Ich werde Jim begnadigen, aber er wird aus dem Dorf verbannt und wird sehen<br />
müssen, wie er sich alleine durchschlägt. Kate wird ebenfalls begnadigt und mit dem nächsten<br />
regulären U-Boot von der Insel geschafft. Sayids Hinrichtung wird um vierundzwanzig<br />
Stunden verschoben. Und du, Juliet, wirst mit dem U-Boot sofort von der Insel geschafft<br />
werden. Das ist das Einzige, was ich für dich noch tun kann. Und damit kommst du gut weg.<br />
Bis du zum Pier geschafft wirst, stehst du unter Hausarrest. Du wirst Jim nicht wieder sehen,<br />
er wird noch heute fort geschafft werden. Mehr kann ich nicht für dich tun, ohne eine<br />
Meuterei zu riskieren.“<br />
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Frauke Feind<br />
Juliet war blass geworden, aber sie sagte mit fester Stimme:<br />
„Ich danke dir, Horace. Das ist mehr, als ich erwartet hatte.“<br />
Sie stand auf und meinte:<br />
„Ich werde zu unserem Haus gehen und es nicht verlassen, bis du jemanden schickst,<br />
der <strong>mich</strong> zum Pier bringt. Ich müsste noch einmal mit Kelly sprechen, sie braucht einige An-<br />
weisungen medizinischer Art.“<br />
Horace nickte.<br />
„Das geht in Ordnung, ich werde sie zu dir bringen lassen.“<br />
Juliet nickte. Sie ging zur Haustür und ihr Herz klopfte wie wild. Jim würde nicht<br />
sterben. Sie hatte es geschafft. Und vielleicht würde sie ihn sogar eines Tages wieder sehen.<br />
Sie liebte ihn viel zu sehr, als dass sie dieses Opfer nicht für ihn gebracht hätte. Selbst wenn<br />
sie ihn nie wieder sehen würde, war das immer noch besser, als ihn tot zu wissen!<br />
************<br />
Die Gefangenen hatten kaum geschlafen. An keinem von ihnen ging die Aussicht, dass<br />
sie in Kürze sterben würden, spurlos vorbei. Sayid ertrug den Gedanken mit der stoischen<br />
Ruhe eines gläubigen Moslems. Er glaubte an ein Leben nach dem Tod und war sicher, von<br />
Allah wohlwollend empfangen zu werden. Er hatte in der Nacht noch am besten geschlafen.<br />
Kate war ununterbrochen unruhig in der Zelle auf und abgelaufen und geriet immer mehr in<br />
Panik. Als es draußen hell wurde, sank sie weinend am Gitter zu Jims Zelle zusammen.<br />
Dieser hatte ebenfalls eine mehr oder weniger schlaflose Nacht hinter sich. Er dachte an<br />
Juliet, an das, was sie heute mit ansehen sollte. Und er sah Kate, die in Todesangst in ihrer<br />
Zelle auf und ab wanderte. Er hatte selbst Angst, weniger vor dem Tod als vielmehr vor dem<br />
Sterben. Sein Herz schlug bei dem Gedanken, in Kürze vor dem Exekutionskommando zu<br />
stehen, bis in den Hals. Er hätte Juliet so gerne noch vieles gesagt, wozu er nun keine Chance<br />
mehr erhalten würde. Als Kate weinend an dem trennenden Gitter zwischen den Zellen zu-<br />
sammen bracht, sprang er von der Pritsche auf und war mit zwei schnellen Schritten bei ihr.<br />
Er wusste nicht, was er sagen sollte, hockte sich nur auf den Boden und zog Kate durch die<br />
Gitterstäbe an sich. Mehr konnte er nicht tun. So saßen sie zusammen, bis die Kellertür auf-<br />
ging und sechs Leute des Sicherheitskommandos in den Raum traten. Jin und Miles waren<br />
nicht dabei, ihnen hatte man es offensichtlich erspart, den Freund zur Hinrichtung zu bringen.<br />
Kate wimmerte entsetzt auf und Jims Herz schien ein paar Schläge zu überspringen, um dann<br />
umso heftiger in seiner Brust weiter zu schlagen. Er hatte nur noch den einen Wunsch: Dass<br />
er die Kraft aufbringen würde, seinen Mördern ruhig und gelassen gegenüber zu treten.<br />
Phil führte die Sicherheitsleute an und trat an die Zellentür zu Jims Zelle.<br />
„Los, hoch mit euch.“, sagte er kalt und Jim erhob sich.<br />
- 296 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Kate stemmte sich schluchzend ebenfalls auf die Beine. Die Hände wurden ihnen<br />
durch die Gitterstäbe hindurch mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Erst jetzt wurden<br />
die Zellen geöffnet. Phil und zwei der Männer nahmen Jim zwischen sich, die anderen drei<br />
blieben bei Kate. Sayid rechnete damit, ebenfalls jeden Moment aus der Zelle geholt zu<br />
werden, aber das geschah nicht. Vermutlich würde er später abgeholt werden.<br />
„Wir sehen uns im nächsten Leben, wenn nicht in diesem.“, sagte er zu Jim und dieser<br />
nickte wortlos.<br />
Widerstandslos ließ er sich aus dem Keller führen. Kate war wie erstarrt vor Angst.<br />
Sie musste fast mitgeschleift werden. Ihre Beine zitterten und Tränen liefen ihr ununter-<br />
brochen über die Wangen. Als sie ins Sonnenlicht traten, schoss Jim der Gedanken durch den<br />
Kopf, dass es das letzte Mal sein würde, dass er die zauberhafte Umgebung hier sehen würde.<br />
Er atmete tief durch und sah zu Kate hinüber. Starr schaute diese geradeaus. Sie war para-<br />
lysiert vor Angst. Sie hatten den Dorfplatz erreicht, wo die Hinrichtung stattfinden würde.<br />
Aber sie wurden weiter geführt. Jims Herz machte erneut einen Satz. Was sollte das werden?<br />
Verwirrt registrierte er, dass sie zum Haus Nummer 2 gebracht wurden. Wollte Horace vor<br />
der Hinrichtung noch einmal mit ihnen reden?<br />
Die Haustür wurde geöffnet und der Anführer trat auf die Terrasse hinaus. Er sah Jim<br />
und Kate an und schwieg eine Weile. Dann sagte er entschlossen:<br />
„Es hat sich eine neue Sachlage ergeben, die <strong>mich</strong> zwingt, das Urteil gegen euch neu<br />
zu überdenken.“<br />
erstaunt an.<br />
Kate sah aus tränenverschleierten Augen zu ihm auf und auch Jim sah den Anführer<br />
„Ich weiß inzwischen, dass ihr Benjamin auf die Bitte Juliets hin weg geschafft habt,<br />
um ihm das <strong>Über</strong>leben zu sichern.“<br />
Jim ließ resigniert den Kopf hängen. Vermutlich würde jeden Moment die Erklärung<br />
kommen, dass auch Juliet sich damit zum Tode verurteilt hatte. Er spürte, wie seine Be-<br />
herrschung abbröckelte und biss sich auf die Lippe. Horace fuhr fort:<br />
„Dass sie mir das gebeichtet hat, hat <strong>mich</strong> in eine Zwangslage gebracht. Jim, du hast<br />
Amy zwei Mal das Leben gerettet, das habe ich nicht vergessen. Das Todesurteil gegen dich<br />
wird aufgehoben. Du hast den Jungen nicht aus eigenem Willen entführt, sondern auf An-<br />
weisung der behandelnden Ärztin. Somit trifft dich nicht die volle Schuld und ich kann dich<br />
dafür nicht hinrichten lassen. Du wirst noch in dieser Stunde für immer aus dem Dorf ver-<br />
bannt. Keiner von uns wird dich jagen oder bedrohen, aber du wirst von jetzt an alleine im<br />
Dschungel leben.“<br />
Jims Verstand registrierte nur langsam, dass er heute nicht sterben würde. Bevor er<br />
noch groß über das Gehörte nachdenken konnte, fuhr Horace bereits fort:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Kate, auch du bist durch die Aussage Juliets entlastete. Du hast in besten Glauben<br />
gehandelt, den Jungen damit zu Retten, das du ihn fortbringst. Auch dein Urteil wird auf-<br />
gehoben. Du wirst bis zur Abfahrt des nächsten regulären Shuttles unter Hausarrest gestellt<br />
und später aufs Festland geschafft.“<br />
Kate glaubte, nicht richtig zu hören. Nicht erschossen werden? Ihre Knie fingen be-<br />
denklich an zu zittern.<br />
„Danke!“, sagte sie in brünstig. „Vielen, vielen Dank!“<br />
Jim sah Horace an.<br />
„Was ist mit Juliet? Und was geschieht mit Sayid?“<br />
„Er wird morgen hingerichtet, da unzweifelhaft feststeht, dass er den Schuss auf<br />
Benjamin abgegeben hat.“<br />
Horace ging auf die Frage nach Juliet nicht ein. Jim versuchte es noch einmal.<br />
„Horace, bitte, was geschieht mit Juliet?“<br />
<strong>Der</strong> Anführer sah Jim kalt an.<br />
„Sie wird ihre Strafe erhalten, darauf kannst du dich verlassen.“<br />
Er wandte sich an die Leute des Sicherheitsdienstes.<br />
„Schafft Kate in ihr Haus und bringt Jim aus dem Dorf.“<br />
Horace drehte sich herum und ging ins Haus zurück.<br />
„Du hast es gehört, vorwärts.“, herrschte Phil Jim an und stieß diesen zu einem<br />
parkenden Geländewagen.<br />
her schaute.<br />
machen.<br />
Widerwillig setzte Jim sich in Bewegung. Er sah Kate an, die ihm verzweifelt hinter-<br />
„Mach dir keine Sorgen, Freckles, alles wird gut werden.“, versuchte er ihr Mut zu<br />
Schon hatten sie den Wagen erreicht und Jim musste einzusteigen. Kurz blieb er noch<br />
einmal stehen und ließ seine Blicke verzweifelt schweifen, aber er sah nirgends eine Spur von<br />
Juliet. Hart wurde er in den Rücken gestoßen.<br />
„Los, komm in Wallung, Mr. Lafleur.“, schnauzte Phil ihn an.<br />
Jim warf diesem einen kalten Blick zu und sagte leise:<br />
„Eines Tages begegnen wir uns wieder.“<br />
Er stieg in den Wagen. Jim war klar, dass die Verbannung in den Dschungel im<br />
Grunde auch einem Todesurteil gleich kam. Er machte sich nichts vor: Er war im Dschungel<br />
hilflos. Einzig der Unterschied, dass er sich heute, nach drei Jahren auf der Insel, sehr gut<br />
auskannte, machte das Ganze etwas leichter. Trotzdem wusste er, dass er eine verdammte<br />
Portion Glück brauchen würde, um da draußen zu überleben.<br />
************<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Nach der schlaflosen Nacht kam der Morgen, an dem Jim sterben sollte. Ich war in-<br />
zwischen an einem Punkt angekommen, an dem mir alles besser erschien, als zusehen zu<br />
müssen, wie Jim starb. Alles! Auch die Vorstellung, selbst zu sterben. Ich erwog ernsthaft,<br />
mir Waffen zu besorgen und zu versuchen, das Gefängnis zu stürmen und zusammen mit Jim<br />
bei dem Versuch zu sterben. Und dann plötzlich sah ich Juliet zum Haus Nummer 2 gehen.<br />
Was hatte sie vor? Ich wäre am liebsten hinüber gelaufen und hätte sie gefragt, was sie vor-<br />
hatte. Aber ich konnte nur abwarten. So hilflos hatte ich <strong>mich</strong> in meinem ganzen Leben noch<br />
nicht gefühlt. Sicher war nur, ich würde nicht zusehen, wie diese Leute Jim erschossen. Eher<br />
würde ich <strong>mich</strong> noch schützend vor ihn stellen und die Kugeln abfangen. Juliet blieb eine<br />
ganze Weile im Haus des Anführers. Als sie endlich wieder heraus kam, wirkte sie ... er-<br />
leichtert. Mein Herz raste. Was hatte sie gemacht? Sie ging zu ihrem Haus und verschwand<br />
dort. Kurze Zeit später kam Wayne zu mir.<br />
„Kelly, du sollst kurz zu Juliet kommen, ich werde dich hinbringen.“<br />
Zitternd folgte ich Wayne und stand Minuten später alleine mit Juliet in der Küche.<br />
„Was ist los?“, fragte ich sie hektisch.<br />
„Ich habe Horace alles gesagt, Jim und Kate werden nicht erschossen. Jim wird in den<br />
Dschungel verbannt, Kate mit der nächsten regulären Lieferung von der Insel geschafft. Ich<br />
selbst werde noch heute fort gebracht. Hör zu, Kelly, Jim ist im Dschungel hilflos, kümmere<br />
dich bitte um ihn, ich vertraue dir. Und du musst noch einiges über ein paar Patienten<br />
wissen.“<br />
Sie klärte <strong>mich</strong> über einige wichtige Dinge auf, dann sagte sie:<br />
„Du gehst besser wieder, du sollst nicht noch nachträglich Ärger bekommen.“<br />
Tränen kullerten ihr über die Wangen.<br />
„Sag Jim bitte, dass ich ihn unendlich liebe und ihn nie vergessen werde. Vielleicht<br />
sehen wir uns irgendwann wieder. Und bitte, hilf ihm.“<br />
Asthma.“<br />
Sie nahm <strong>mich</strong> in die Arme und wir hielten uns einige Augenblicke fest.<br />
„Ich schwöre, dass ich tue, was in meiner Macht liegt.“, erklärte ich fest.<br />
Dann verließ ich das Haus.<br />
Wayne hatte auf <strong>mich</strong> gewartet.<br />
„Alles geklärt?“, fragte er ruhig.<br />
„Ja, ich weiß über die Patienten jetzt genau Bescheid. Zum Beispiel über dich und dein<br />
Wayne wurde rot.<br />
„Hm, sehr schön.“<br />
Er schlenderte neben mir her und plötzlich hatte ich eine Idee. Ich musste einfach<br />
sicher gehen können, dass Juliet wirklich gut an Land ankam.<br />
„Weißt du, wer Juliet zum Pier bringt?“, fragte ich möglichst gleichgültig.<br />
Wayne nickte stolz.<br />
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„Jepp, ich.“<br />
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Frauke Feind<br />
„Oh, das trifft sich gut. Kannst du mir einen großen Gefallen tun?“<br />
Misstrauisch sah der junge Mann <strong>mich</strong> an.<br />
„Was denn?“, fragte er lauernd.<br />
Ich lächelte.<br />
„Mir fehlen zwei meiner Lieblingsbücher. Vielleicht kann Bird sie mir ja besorgen,<br />
wenn er an Land ist. Ich schreibe sie dir schnell auf, geht das in Ordnung?“<br />
Erleichtert nickte Wayne.<br />
„Klar, das ist gar kein Problem. Das macht er öfter, dass er Sachen mitbringt.“<br />
Wir hatten die Krankenstation erreicht und betraten sie zusammen. Schnell schrieb ich<br />
auf einen Zettel: Chirurgische Operationslehre Band 2/1, Operationen an Kopf, Nervensystem<br />
und Wirbelsäule von August Bier, Heinrich Braun und Hermann Kümmell und Anästhesiologie<br />
und Intensivmedizin von P. Frey. Etwas Besseres fiel mir so schnell nicht ein. Ich drückte<br />
Wayne den Zettel in die Hand und sagte:<br />
„Das ist wirklich sehr nett von dir, danke schön.“<br />
„Kein Problem, mach ich gerne. Man sieht sich.“<br />
Er verschwand mit dem Zettel und ich sah ihm nach. Schnell jedoch wurde ich davon<br />
abgelenkt, dass Kate und Jim aus der Schule geschafft wurden.<br />
Kate war kaum fähig, alleine zu gehen und Jim ... Nun, er versuchte, Haltung zu<br />
wahren, aber ich kannte ihn zu gut, um nicht zu bemerken, dass auch er Angst hatte. Man<br />
brachte die Beiden zu Horace und wenn ich auch von meinem Standort nicht verstehen<br />
konnte, was der Anführer sagte, wusste ich es ja schon von Juliet und mein Herz schlug<br />
Purzelbäume vor Freude. Langsam änderte sich die Haltung Jims und Kates und schließlich<br />
wurde Kate fort gebracht zu ihrer Unterkunft. Jim dagegen wurde von Phil ruppig zu einem<br />
Geländewagen gestoßen. Ich schluckte die aufsteigenden Tränen herunter und beobachtete,<br />
wie Jim zu dem Wagen geführt wurde, sich noch einmal bedrückt umschaute und schließlich<br />
nach einem brutalen Stoß in den Rücken einstieg. Schon setzte sich der Wagen in Bewegung.<br />
Radzinsky saß am Steuer, Phil hatte neben Jim auf dem Rücksitz Platz genommen. Langsam<br />
fuhren sie aus dem Dorf, um Jim irgendwo im Dschungel auszusetzen. Aber er lebte. Nun<br />
musste ich versuchen, in Erfahrung zu bringen, was mit Sayid war.<br />
************<br />
26) Die Flucht<br />
Jack glaubte, seinen Augen nicht zu trauen.<br />
„Daniel!“<br />
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schüttert.<br />
<strong>Der</strong> bärtige Mann nickte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, Jack, ich bin es. Kann ich kurz mit dir sprechen?“<br />
Jack war zwar wenig in Stimmung, aber er nickte.<br />
„Ja, natürlich, komm doch herein.“<br />
Daniel folgte dem Arzt und stand nun im Wohnzimmer.<br />
Hurley war nicht anwesend, er war bei Miles. Jack sagte bedrückt:<br />
„Setz dich. Kann ich dir ein Bier anbieten?“<br />
Daniel nickte.<br />
„Gerne, danke.“<br />
Als auch Jack saß und sie anstießen, fragte Daniel:<br />
„Was ist hier eigentlich los?“<br />
In kurzen Worten erklärte Jack, was vorgefallen war. Daniel hörte betroffen zu.<br />
„Wir müssen uns etwas überlegen, die Drei da raus zu holen.“, meinte der Physiker er-<br />
„Würdest du helfen?“, fragte Jack gespannt und Daniel nickte.<br />
„Ja, ich verdanke Sawyer eine ganze Menge. Wenn es eine Möglichkeit gibt, werde<br />
ich dir helfen.“<br />
Jack seufzte erleichtert.<br />
„Vielleicht ergibt sich eine Chance. Aber erzähl doch mal, wie kommst du wieder her?<br />
Wo warst du?“<br />
Daniel nahm einen Schluck Bier und berichtete dann:<br />
„Als wir 74 hier sozusagen hängen blieben, habe ich als Einziger die Galaga benutzt,<br />
um von der Insel zu kommen. Sawyer, Juliet, Miles und Jin entschieden sich schnell, zu<br />
bleiben. Ich habe im DHARMA Hauptquartier in Ann Abor meine Studien bezüglich der<br />
Zeitsprünge und des elektromagnetischen Feldes unter der Insel fortgesetzt. Ich bin dabei zu<br />
einigen interessanten Ergebnissen gekommen. Ich würde dir gerne davon erzählen, aber wir<br />
sollten erst die Sache mit Sayid, Sawyer und Kate hinter uns bringen. Dann aber würde ich dir<br />
gerne eine Theorie darlegen, die ich entwickelt habe.“<br />
Jack seufzte. Doch er nickte.<br />
„Gut, aber die andere Sache hat Vorrang. Wenn das geschafft ist, bin ich gerne bereit,<br />
mir deine Theorie anzuhören.“<br />
Daniel nickte dankbar.<br />
„Gut, dann werde ich dich mal wieder alleine lassen. Wir werden Kate da schon<br />
irgendwie heraus boxen, Jack.“<br />
Doch der kommende Tag zeigte, dass das ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen<br />
sein würde. Jack wurde immer verzweifelter. Er liebte Kate. Wie sollte er zugucken, wenn sie<br />
hingerichtet wurde? Er verbrachte eine unruhige Nacht, in der Hurley bei ihm saß. Und er-<br />
lebte, wie Kelly, am kommenden Morgen die <strong>Über</strong>raschung, die ihn schlagartig aus seiner<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Verzweiflung riss. Er konnte zwar nicht hören, was Horace sagte, aber dass Kate an-<br />
schließend in ihr Haus gebracht wurde, sprach Bände. Und Jack war auch erleichtert, als er<br />
beobachtete, dass Sawyer offensichtlich auch am Leben gelassen wurde. Man schien ihn nur<br />
aus dem Dorf zu bringen. Hurley und er fielen sich in die Arme.<br />
„Man, Alter, jetzt haben wir uns ein Bier verdient!“<br />
Jack nickte.<br />
„Nicht nur eins. Wenn wir noch erfahren, was mit Sayid ist, können wir vielleicht<br />
wirklich aufatmen.“<br />
Die beiden Männer tranken ihr Bier gemütlich aus. Anschließend gingen sie nach<br />
draußen an ihre jeweiligen Beschäftigungen. Schnell sprach sich die Begnadigung Jims und<br />
Kates im Dorf herum. Einige Bewohner waren offensichtlich froh, dass die Beiden, in diesem<br />
Falle natürlich speziell Jim, nicht hingerichtet wurden. Dass man Jim aus dem Dorf verbannt<br />
hatte, war zwar auch nicht sonderlich angenehm, aber alle Mal besser als jede Alternative.<br />
Jack bekam heraus, dass Kate mit dem nächsten offiziellen Transport von der Insel geschafft<br />
werden sollte. Das war in einigen Wochen. Bis dahin mochte sich noch vieles ergeben. Und<br />
Jack bekam mit, dass Juliet noch heute von der Insel deportiert werden sollte. Betroffen be-<br />
obachtete er, wie sie von dem jungen Security Mann Wayne in ein Auto gesetzt wurde. Die<br />
blonde Ärztin weinte bitterlich, das konnte Jack sehen. Er wäre gerne zu ihr gegangen und<br />
hätte ihr ein paar tröstende Worte gesagt, aber Jack hielt es für sicherer, sich fern zu halten. Er<br />
sah dem abfahrenden Auto nach und Juliet und Sawyer taten ihm unendlich leid.<br />
************<br />
Jim saß neben Phil im Wagen und grübelte darüber nach, wie es mit ihm weiter gehen<br />
würde. Er zog ernsthaft in Erwägung, sich an Richard zu wenden. Soweit war es aber noch<br />
nicht. Phil stieß ihn gerade an und sagte:<br />
„Los, dreh dich um, ich will meine Handschellen wieder haben.“<br />
Jim verdrehte genervt die Augen und drehte Phil den Rücken zu. Er spürte, wie ihm<br />
die Handschellen abgenommen und gegen einen Strick ersetzt wurden. Er grinste.<br />
„Du musst ja mächtig viel Angst vor mir haben.“, sagte er sarkastisch.<br />
„Vor dir bestimmt nicht, Lafleur!“, giftete Phil und zog die Fesseln extra stramm.<br />
Vor ihnen tauchte der Sonarzaun auf und Radzinsky hielt an. Er trat an eine der<br />
Säulen, gab den Code ein und es ging weiter. Eine gute Stunde fuhren sie auf den von der<br />
DHARMA Initiative angelegten Straßen. Plötzlich aber hielt Radzinsky an.<br />
hässig.<br />
„So, Meister, Ende der Tour. Raus aus dem Wagen.“<br />
Jim turnte etwas unbeholfen aus dem Auto und sah Phil auffordernd an. <strong>Der</strong> lachte ge-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Sieh zu, wie du klar kommst, du bist doch so ein Held.“, erklärte er und stieg zu<br />
Radzinsky ins Auto zurück.<br />
„Viel Spaß.“, rief er Jim im Wegfahren zu.<br />
„Du dreckiger Schweinehund! Wir sehen uns wieder!“, brüllte Jim wutentbrannt hinter<br />
dem Wagen her.<br />
<strong>Der</strong> war schnell außer Sichtweite und Jim war alleine. Mit auf den Rücken gefesselten<br />
Händen, ohne Waffen und Nahrung stand er mitten im Dschungel, sicher, irgendwo im<br />
dunklen Territorium zu sein.<br />
„Dieser miese Arsch!“, fluchte Jim wütend.<br />
Abgesehen davon, dass in diesem Gebiet das Rauchmonster sehr oft zu sehen und zu<br />
hören war, galt das Gebiet als sehr schwer begehbar und gefährlich.<br />
Hektisch überlegte Jim, was er machen sollte. Vage erinnerte er sich, dass die Black<br />
Rock, dieses uralte Sklavenschiff, hier irgendwo weiter nördlich im Dschungel lag. Mit etwas<br />
Glück fand er dort eine Möglichkeit, wenigstens die Fesseln loszuwerden. Mit dem Mut der<br />
Verzweiflung machte er sich auf den Weg. Langsam und sehr vorsichtig bewegte er sich<br />
durch den Dschungel, immer darauf lauschend, ob er irgendwas von dem Monster hörte. Aber<br />
der Wald um ihn herum blieb ruhig und friedlich. Jim hatte das Gefühl, schon Stunden unter-<br />
wegs zu sein. Die Hilflosigkeit, mit auf den Rücken gefesselten Händen herumzulaufen,<br />
machte ihm mehr zu schaffen als ihm lieb war. Er konnte nicht wie Kate mit einigen<br />
akrobatischen Verrenkungen seine Beine durch die gefesselten Arme bugsieren. Bei jedem<br />
ungewöhnlichen Geräusch zuckte er zusammen, immer bereit, die Flucht zu ergreifen.<br />
Endlich sah er vor sich im dichten Gebüsch etwas Dunkles, Großes auftauchen und wusste<br />
sofort, dass er die Black Rock erreicht hatte. Erleichtert atmete er auf. Dunkel und unheimlich<br />
ragte das alte Sklavenschiff vor ihm auf. Sichernd sah Jim sich um, konnte aber nichts ent-<br />
decken, was auf Gefahr hindeutete. Sehr vorsichtig tastete er sich in den Rumpf des Schiffes<br />
hinein. Er sah sich in der herrschenden Dämmerigkeit gründlich um und schüttelte frustriert<br />
den Kopf. Er konnte aber auch gar nichts entdecken, was ihm irgendwie geholfen hätte, seine<br />
Fesseln loszuwerden. Wenn er doch nur so beweglich gewesen wäre wie Kate. Die schaffte es<br />
spielend, auf den Rücken gefesselte Hände nach vorne zu bekommen. Jim war klar, dass er<br />
das gar nicht erst versuchen brauchte. Immer tiefer drang er in das Schiff vor und plötzlich<br />
war er wie elektrisiert.<br />
Er sah vor sich ein Gerippe am Boden liegen, das noch einen Säbel in der Scheide<br />
stecken hatte. Das Teil war schartig und verrostet, aber immerhin etwas, mit dem Jim es ver-<br />
suchen konnte. Unbeholfen griff er nach der alten Waffe und bekam sie zu fassen. So schnell<br />
es ging, eilte er damit nach draußen ins Sonnenlicht zurück. Er sah sich suchend um und ent-<br />
deckte ein paar Felsen, zu denen er hinüber hastete. Er brachte sich fast um bei dem Versuch,<br />
den Säbel mit dem Griff so fest zwischen die Felsen zu klemmen, dass er Druck auf die<br />
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Frauke Feind<br />
Klinge ausüben konnte. Endlich hatte er es geschafft. Klatschnass geschwitzt musste er erst<br />
einmal tief durchatmen. Er kniete sich rückwärts zum Säbel hin und tastete so lange, bis er<br />
eine gute Position gefunden hatte. Langsam fing er an, das Seil über die alte Klinge hin und<br />
her zu schieben. Seine Hände waren taub, die Fesseln saßen sehr stramm. Jim bewegte immer<br />
wieder die Finger, um die Blutzirkulation halbwegs aufrecht zu erhalten und rieb das Seil<br />
wieder und wieder über die Klinge. Phasenweise hatte er das Gefühl, einfach nicht mehr die<br />
Kraft zu haben, weiter zu machen. Seine Handgelenke bluteten, weil er immer wieder gegen<br />
den rostigen, schartigen Stahl kam. Aber endlich, Stunden später, so kam es ihm vor, spürte<br />
er, wie das Seil sich etwas lockerte. Verbissen arbeitete er weiter und schließlich gab es einen<br />
Ruck. Jim spürte unendlich erleichtert, wie das Seil unter einer letzten Kraftanstrengung von<br />
seiner Seite durchriss.<br />
Stöhnend nahm Jim die endlich befreiten Hände nach vorne und rieb sich abwechselnd<br />
die Schultergelenke. Langsam ließen die Schmerzen dort nach und er bewegte vorsichtig die<br />
Arme, um die verspannte Muskulatur zu locken. Nun aber setzte die Durchblutung der Hände<br />
schwungvoll wieder ein und verursachte für einige Minuten so heftiges Kribbeln und<br />
Brennen, dass Jim die Zähne knirschend aufeinander biss. Krampfhaft versuchte er, die Finger<br />
zu bewegen, um den Vorgang zu beschleunigen. Und endlich ließen auch diese Schmerzen<br />
nach. Er betrachtete wehmütig seine Handgelenke. Diese waren an vielen Stellen aufgerissen<br />
und bluteten. Nicht zu ändern. Er überlegte ernsthaft, wie es weiter gehen sollte. Und kam<br />
schnell zu dem Schluss, dass er versuchen würde, zurück zum Dorf zu kommen. Er musste<br />
wissen, was mit Kate und Juliet passierte. Und vielleicht erwischte er Jin und Miles auf einem<br />
Kontrollgang und konnte sich von ihnen helfen lassen. Jim erhob sich und machte sich auf<br />
den Weg. Er blieb im Dschungel, obwohl er auf der Straße besser vorangekommen wäre.<br />
Aber das Letzte, was er wollte, war, einem der Leute aus der DHARMA Initiative zu be-<br />
gegnen. Auf der Wanderung fand er Obst und konnte damit Hunger und auch Durst stillen.<br />
Schließlich war Jim weniger als eine viertel Meile vom Sonarzaun entfernt. Es wurde langsam<br />
dunkel. So machte er für heute Schuss und versuchte, sich aus Laub und Gras ein halbwegs<br />
bequemes Nachtlager zu bauen. Er dachte an Kate und Juliet und daran, wie knapp er heute<br />
dem Tod davon gekommen war. Erst jetzt kam er wirklich dazu, darüber nachzudenken. Er<br />
war schon oft in Lebensgefahr gewesen, aber noch nie hatte er die Hilflosigkeit kennen ge-<br />
lernt, eingesperrt darauf zu warten, dass man ihn aus der Zelle holen würde, um ihn zu töten.<br />
Nachträglich spürte er, wie ihm Schauer über den Körper liefen. Juliet hatte sich für ihn ge-<br />
opfert, hoffentlich musste sie das nicht zu teuer bezahlen.<br />
************<br />
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Frauke Feind<br />
Kate war in ihre Unterkunft gebracht worden und ein Wachposten stand vor ihrer Ein-<br />
gangstür. Aus dem Fenster beobachtete sie, dass Juliet im Wagen fort gebracht wurde. Und<br />
sie beobachtete, dass die vielen Posten von der Schule abgezogen wurden. Scheinbar hielt<br />
Horace es nicht mehr für notwendig, das Gebäude durch mehr als zehn Wachleute zu sichern.<br />
Sofort reifte in Kate ein Entschluss. Ihre panische Angst war wie weggeblasen und ihr Ver-<br />
stand konnte seine Tätigkeit wieder aufnehmen. Sie würde Sayid nicht seinem Schicksal über-<br />
lassen, egal, was er auch getan hatte. Er hatte es nicht aus Mordgier gemacht, sondern um sie<br />
alle später vor Ben zu schützen. Er hatte einen falschen Weg gewählt, aber da Kate selbst<br />
schon viele Fehler in ihrem Leben begangen hatte, wollte sie dem Iraker helfen. Sie wartete,<br />
bis es dunkel geworden war. Das Abendessen bekam sie ins Haus geliefert und sofort saß der<br />
Posten wieder vor ihrer Tür.<br />
- Da kannst du hocken, bis du Wurzeln schlägst. -<br />
dachte die junge Frau. Sie räumte in der Küche auf und suchte bei dieser Gelegenheit<br />
nach einem dünnen, metallenen Fleischspieß, den sie schließlich auch fand. Sie versuchte, ob<br />
sie das Metall verbiegen konnte und es klappte. Zufrieden nahm sie das Teil mit ins Schlaf-<br />
zimmer. Sie zog sich aus, schloss die Rollos, schaltete das Licht aus und legte sich ins Bett.<br />
Nun wartete sie. Gegen 1 Uhr nachts erhob Kate sich sehr leise und vorsichtig, schlüpfte in<br />
dunkle Sachen und schlich zum Badezimmer, das nach hinten hinaus lag. Ganz langsam<br />
öffnete sie das kleine Fenster und quetschte sich vorsichtig hindurch. An der Hauswand sank<br />
sie auf die Knie und krabbelte in der tiefen Dunkelheit an der Hauswand weiter, bis sie das<br />
Gebüsch erreichte, welches den großen Spielplatz vom Rest der Häuser abschirmte. Hier<br />
richtete sie sich langsam auf und schlich durch das dichte Gebüsch weiter, bis sie schließlich<br />
die Rückseite der Schule erreicht hatte.<br />
Sie sah sich nach dem Kellerfenster um, dass sie während ihrer Arbeit vor ein paar<br />
Tagen entdeckt hatte und stellte begeistert fest, dass es immer noch einen Spalt offen stand.<br />
Sich noch einmal gründlich umschauend schlich sie zu dem Fenster hinüber. Es war groß<br />
genug, um auch Sayid durchzulassen. Schnell hatte Kate es ganz geöffnet und war erleichtert,<br />
dass die Häuser so gut in Schuss waren, es gab kein Geräusch, als sie das Fenster öffnete. Sie<br />
glitt in die Dunkelheit des Kellers hinein und landete geschmeidig auf dem Boden. Er gab ein<br />
leises Klatschen und Kate erstarrte zur Salzsäule, aber niemand kam, um nachzuschauen. Sie<br />
schlich weiter und erreichte die Tür zu den Zellen. Sehr vorsichtig öffnete Kate diese einen<br />
kleinen Spalt und schielte in den Zellenraum. Niemand war zu sehen, nur Sayid, der in seiner<br />
Zelle auf der Pritsche lag und schlief. Kate überlegte, was sie mit der Kamera machen sollte,<br />
die den Raum überwachte, und entschied sich schließlich dafür, diese einfach ein wenig zu<br />
verdrehen. Sie betete zu Gott, dass nicht gerade in dieser Sekunde jemand auf das Bild<br />
schaute und streckte sich, soweit sie konnte. Mit dem Fleischspieß konnte sie die Kamera<br />
knapp berühren und drehte diese so ganz langsam weiter nach links, bis sie sicher war, dass<br />
Sayids Zelle nicht mehr erfasst wurde. Vorsichtig trat sie an die Zellentür und hatte mit dem<br />
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Frauke Feind<br />
selbst gebauten Dietrich das simple Schloss schnell aufbekommen. Sayid erwachte bei den<br />
leisen Geräuschen und sah Kate verblüfft an. Doch er reagierte blitzschnell. Er schoss in die<br />
Höhe und schon waren die Beiden aus dem Zellenraum heraus. Kate eilte vorweg, Sayid<br />
folgte ihr stumm. Schon hatten sie das Kellerfenster erreicht und turnten nach draußen. Kate<br />
wies Richtung Nordosten und die Beiden hasteten los. Zehn Minuten später hatte der<br />
Dschungel um das Dorf sie verschluckt. Schweigend rannten sie in der Dunkelheit weiter, bis<br />
sie den Sonarzaun vor sich sahen. „Wir brauchen den Code.“, stieß Kate hektisch hervor.<br />
Plötzlich gab es ein schrilles Alarmsignal, man hatte ihre Flucht also bemerkt. Panisch sah<br />
Kate sich um und dann glaubte sie zu Träumen. Auf der anderen Seite des Zaunes stand wie<br />
aus dem Himmel gefallen Sawyer.<br />
„6, 1, 0, 9, 6, 6! Los, macht schon.“, rief er den Beiden zu.<br />
Kate riss die Klappe am Fuß der Säule vor sich auf und tippte hektisch die Zahlen ein.<br />
„Meinst du nicht, die haben das geändert?“, rief Sayid.<br />
„<strong>Der</strong> deaktiviert nicht, der vermindert nur die Wirkung. Jetzt haltet euch so fest ihr<br />
könnt die Ohren zu und dann nichts wie weg hier.“<br />
Kate holte tief Luft, stopfte sich die Finger so fest es ging in die Ohren und rannte los.<br />
Sayid zögerte ebenfalls keine Sekunde. Und schon standen beide unversehrt draußen bei<br />
Sawyer.<br />
„Wohin?“<br />
Jim rannte vor, in südöstlicher Richtung auf den Dschungel zu und Kate und Sayid<br />
folgten. Keine Sekunde zu früh, denn schon flammten bei den Säulen Suchscheinwerfer auf<br />
und tauchten die Umgebung in ein helles Licht. Und Sekunden später fuhren die ersten<br />
Wagen vor. Die drei Flüchtlinge hetzten durch den Dschungel und schließlich war hinter<br />
ihnen nichts mehr von Verfolgern zu hören. Erschöpft sanken sie zu Boden. Als sie wieder zu<br />
Atem gekommen waren, fragte Jim:<br />
„Wie seid ihr raus gekommen?“<br />
„Sie haben die Wachen abgezogen, nachdem wir raus waren. Ich habe <strong>mich</strong> aus dem<br />
Haus geschlichen, Sayid befreit und weg waren wir.“, erklärte Kate erleichtert.<br />
„Wie soll es weiter gehen?“, fragte Sayid ruhig.<br />
„Ich bleib in der Nähe des Dorfes, ich muss wissen, was mit Juliet ist.“<br />
„Sie haben sie mit einem Auto weg gefahren, keine Ahnung, wohin.“, erklärte Kate.<br />
Jims Augen strahlten die Besorgnis aus, die er empfand.<br />
„Wenn sie ihr was tun, geh ich zu Richard und bitte ihn, mir zu helfen, den ganzen<br />
Laden platt zu machen.“<br />
„Apropos, Richard, können wir nicht bei ihm um Hilfe bitten? Was meinst du,<br />
Sawyer, könnte das klappen?“<br />
Jim zuckte die Schultern.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Frag <strong>mich</strong> was Leichteres. Ihr könnt es versuchen. Ich erklär euch, wie ihr hinkommt.<br />
Ich werd versuchen, Juliet ausfindig zu machen.“<br />
Kate sah Jim besorgt an.<br />
„Bist du sicher, dass du das riskieren willst? Wenn sie dich erwischen, bist du diesmal<br />
wirklich fällig.“<br />
Jim nickte.<br />
„Ist mir klar, Sheena. Aber sie hat alles für uns riskiert, das ist das Wenigste, was ich<br />
tun kann. Sie ist nur wegen mir überhaupt hier auf der Insel geblieben.“<br />
Er setzte sich etwas bequemer hin und erklärte ruhig:<br />
„Ihr solltet nicht hier bleiben. Macht euch auf den Weg. Ich beschreib euch, wo ihr<br />
Richard und seine Leute findet. Ob ihr sie um Hilfe bittet, überlass ich euch.“<br />
den Kopf.“<br />
Er sah Kate und Sayid an und diese nickten.<br />
„Okay, Lafleur, lass hören.“, grinste der Iraker.<br />
Jim schmunzelte.<br />
„Was denn? Ich musste damals improvisieren. <strong>Der</strong> Name schoss mir spontan durch<br />
Er sah Sayid an und sagte:<br />
„Hör zu, Ali, ihr haltet euch im Dschungel immer nach Süden. Erinnert ihr euch an<br />
den kleinen Fluss, der aus der großen Höhle raus kam, kurz vor dem Hatch?“<br />
Sayid nickte.<br />
„Ja, ich erinnere <strong>mich</strong> daran.“<br />
„Da müsst ihr euch bemerkbar machen, dann finden die euch schon, keine Sorge. Und<br />
haltet euch von den Straßen weg, die werden nach euch suchen wie verrückt.“<br />
Sayid und Kate nickten.<br />
„Okay, und wie wirst du klar kommen? Schaffst du es, zu überleben, so, wie du im<br />
Wald drauf bist?“<br />
Jim nickte.<br />
„Ich komm schon klar. Haut jetzt lieber ab, hier ist es zu gefährlich. Ich kenn die<br />
Gegend inzwischen wie meine Hosentasche, ich werd klar kommen.“<br />
Arme.<br />
Kate und Sayid erhoben sich. Die junge Frau sah Jim an und nahm ihn spontan in die<br />
„Pass auf dich auf, Sawyer.“<br />
Jim hielt Kate kurz fest, dann ließ er sie widerwillig los.<br />
„Ihr auch.“<br />
Die Beiden nickten und setzen sich in Bewegung. Jim verlor sie schon nach wenigen<br />
Schritten aus den Augen.<br />
- 307 -
By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
Dass Kate und Sayid entkommen waren, war natürlich am Morgen Gesprächsthema<br />
Nummer eins im Dorf. Schon eben nach 6 Uhr waren alle Bewohner auf den Beinen. Die<br />
Security tobte. Dass sie die Flüchtlinge am Zaun nicht erwischt hatten, war demütigend. Und<br />
das Jim ihnen zur Flucht verholfen hatte, in dem er ihnen half, den Zaun zu überwinden,<br />
setzte dem Ganzen die Krone auf. Horace war außer sich.<br />
„Wenn ihr sie nicht wieder heranschafft, reiße ich euch persönlich den Kopf ab! Ist<br />
euch klar, was passiert, wenn sie zu den Hostiles gehen? Wir alle sind dann in Gefahr. Die<br />
Drei haben Informationen, die den Hostiles nie in die Hände fallen dürfen, besonders Jim. Er<br />
ist in fast alles eingeweiht, was hier abläuft. Schafft sie wieder her.“<br />
Ich hatte diesen Anpfiff mit angehört und zitterte einmal mehr um Jim. Wenn sie ihn<br />
erwischten, würde diesmal nichts und niemand ihm mehr helfen können. Hoffentlich war er<br />
bereits bei Richard in Sicherheit. Ich hatte zu Horace gehen wollen, um ihn zu fragen, ob ich<br />
nicht auch alleine zu den Stationen fahren könnte, um Kranke und Verletzte zu versorgen.<br />
Aber bei seiner schlechten Laune verschob ich das lieber. Amy war zusammen mit Ethan und<br />
einem Arbeiter, Jerry, mit der Galaga nach Tahiti gefahren, sonst hätte ich sie auf meine Seite<br />
gezogen. Aber sie war für zwei Wochen fort und ich musste ohne ihre Hilfe den Anführer<br />
davon überzeugen, <strong>mich</strong> alleine losziehen zu lassen. Und dann kam mir der Zufall zu Hilfe.<br />
Die Security war geschlossen unterwegs, um die drei Flüchtlinge zu suchen. Horace stand im<br />
Videoüberwachungsraum und schaltete alle paar Sekunden die Monitore um. Plötzlich kam<br />
eine Meldung von der Perle herein.<br />
„Horace?“<br />
<strong>Der</strong> Anführer meldete sich genervt.<br />
„Ja, was ist?“<br />
Die Stimme aus dem Lautsprecher antwortete:<br />
„Wir haben hier einen Unfall gehabt, einer der Arbeiter ist verletzt, kannst du Kelly<br />
her bringen lassen, es eilt.“<br />
Horace fluchte.<br />
„Verdammter Mist! Alle Sicherheitsleute sind im Dschungel, die Flüchtlinge suchen.<br />
Okay, ich werde sehen, was ich machen kann.“<br />
Er unterbrach das Gespräch und überlegte. Schließlich entschied er sich spontan und<br />
eilte zur Krankenstation hinüber. Ich sah erschrocken von meiner Arbeit auf, als unser An-<br />
führer so plötzlich in die Station stürzte.<br />
„Hör zu, Kelly, es gibt ein Problem in der Perle. Ich muss eine Entscheidung treffen,<br />
und hoffe, dass ich sie nicht wie bei Jim bereuen werden. Ich habe niemanden, der dich fahren<br />
könnte, daher musst du alleine los. Kann ich wenigstens dir vertrauen?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Mir tat Horace leid, er war kein schlechter Mensch, aber Jim war mir erheblich<br />
wichtiger. So fiel es mir leicht, todernst zu nicken.<br />
„Horace, du kannst dich auf <strong>mich</strong> verlassen. Ich brauche nur einen ... Plan, oder etwas<br />
Ähnliches. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich hin muss.“<br />
Horace nickte.<br />
„Den wirst du bekommen. Pack alles, was du für die Behandlung eines Unfalles<br />
brauchst, zusammen und komm dann in den Videoraum, okay.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ich werde <strong>mich</strong> beeilen.“<br />
<strong>Der</strong> Anführer verschwand und ich hätte fast in die Hände geklatscht. Stattdessen aber<br />
packte ich schnell eine Tasche mit Verbandmaterial, Nadeln, Faden, und allem, was ich für<br />
eine Wundversorgung brauchte. Ich schloss die Station ab und eilte im Laufschritt zu Horace<br />
hinüber. Er erwartete <strong>mich</strong> schon und zeigte mir eine Karte, die sehr anschaulich war. Etwas<br />
unsicher sagte ich jedoch:<br />
„Ich warne dich lieber vor, ich habe ein sehr schlechtes Orientierungsvermögen. Sei<br />
bitte nicht sauer, wenn ich <strong>mich</strong> verfahre.“<br />
Horace verzog das Gesicht.<br />
„Solange du überhaupt etwas findest bin ich in der derzeitigen Situation schon zu-<br />
frieden. Und nun mach dich auf den Weg. Nimm einen der VW Busse, die Geländewagen<br />
sind ja alle im Einsatz. Schlüssel stecken. Hier ist der Code für den Zaun.“<br />
Er drückte mir einen Zettel in die Hand. Ich sah mir die Zahlen an und fragte:<br />
„Was ist, wenn ich den Zaun passiert habe? Dann ist er doch deaktiviert, oder? Ist das<br />
nicht gefährlich für uns?“<br />
Horace schüttelte den Kopf.<br />
„Das ist schon in Ordnung. Du musst dir da keine Sorgen machen. Das Sonar geht<br />
nach zwei Minuten selbstständig wieder an. Du musst die Nummer erneut eingeben, wenn du<br />
zurückkommst. Außen an den Säulen sind ebenfalls Tastaturen angebracht.“<br />
„Verstehe. Okay, dann mache ich <strong>mich</strong> auf die Socken. Bis später.“<br />
Ich eilte also zum Fuhrpark hinüber und setzte <strong>mich</strong> in einen der Busse. Ich fuhr los<br />
und hatte binnen Kurzem den Zaun erreicht. Es war ein eigenartiges Gefühl, den Code zu<br />
kennen und den Zaun deaktivieren zu können. Ich holte tief Luft, sah <strong>mich</strong> unauffällig nach<br />
Kameras um und notierte gedanklich, wo ich welche erkennen konnte. Eilig stieg ich wieder<br />
in den Wagen und fuhr los. Die Perle lag eine ganze Ecke weiter südlich und ich beeilte <strong>mich</strong><br />
erst einmal wirklich. Ich kam an einigen Kreuzungen vorbei und hielt jedes Mal einige<br />
Minuten an, tat so, als müsse ich <strong>mich</strong> erst orientieren. Immer wieder entdeckte ich Kameras.<br />
Sollten die Kreuzungen auch überwacht werden, konnte ich durch die kurzen Stopps meine<br />
Ausrede, schlechtes Orientierungsvermögen zu haben, aufrechterhalten. Auf diese Weise<br />
brauchte ich zur Perle gute siebzig Minuten und tat erleichtert, als ich die Station schließlich<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
gegen 8 Uhr erreichte. Mein Patient war ein junger Mann, der sich beim Baumfällen mit der<br />
Axt verletzt hatte. Ich konnte ihn behandeln und schließlich lag er gut versorgt im Bett.<br />
„Ich werde morgen wieder nach dir sehen. Halte das Bein schön hoch und wenn etwas<br />
sein sollte, gebt uns sofort Bescheid. Das ist keine leichte Verletzung.“<br />
Ein wenig hektisch verabschiedete ich <strong>mich</strong> und machte <strong>mich</strong> auf den Rückweg. Ich<br />
hatte mir die Positionen von <strong>Über</strong>wachungskameras gemerkt und sie auf einer während der<br />
‟Orientierungspausen‟ von mir angefertigten Skizze der Karte eingetragen. Als ich an eine<br />
Stelle kam, die definitiv nicht überwacht wurde, hielt ich an. Hier war weit und breit kein<br />
Mensch zu sehen. Ich stieg aus dem Wagen und ging ein Stück in den Dschungel hinein. Aufs<br />
Geratewohl nach Jim zu suchen war natürlich kein so großartiger Plan, aber da ich nicht<br />
wusste, wo er sich aufhielt, die einzige Hoffnung, die mir blieb. Leise rief ich immer wieder<br />
nach ihm, aber nur Schweigen antwortete mir. So marschierte ich schließlich zum Wagen<br />
zurück und fuhr weiter. Als ich das Dorf gegen halb 12 Uhr wieder erreicht hatte, meldete ich<br />
<strong>mich</strong> bei Horace zurück, der mir auf der Straße in die Arme lief. Und erlebte eine wirklich<br />
böse <strong>Über</strong>raschung! Horace begrüßte <strong>mich</strong> sehr aufgeräumt und guter Dinge.<br />
„Hallo, Kelly, da bist du ja wieder. Und, alles geklappt?“<br />
Ein wenig erstaunt über den Stimmungswandel nickte ich.<br />
„Ja, ich habe <strong>mich</strong> kaum verfahren, konnte den Verletzten behandeln und habe sogar<br />
den Rückweg relativ gut gefunden.“<br />
holt hätte.<br />
Horace nickte zufrieden. Dann aber sagte er etwas, was <strong>mich</strong> fast aus den Schuhen ge-<br />
„So war es ja alles in allem nach dem Desaster der Nacht ein erfolgreicher Vormittag.<br />
Stell dir vor, Phil und Wayne haben Jim erwischt!“<br />
************<br />
27) Gegen jede Chance<br />
Als es dämmerte, wachte Jim aus einem unruhigen Schlaf auf. Solange Zeit in einem<br />
richtigen Bett geschlafen zu haben machte das Nächtigen auf dem Dschungelboden nicht<br />
gerade angenehm. Er brauchte ein paar Minuten, bis er richtig bei sich war. Steif stemmte er<br />
sich auf die Füße und streckte sich. Noch ziemlich tranig setzte er sich in Bewegung, um nach<br />
Mangos oder Papayas Ausschau zu halten. Er hatte Glück und entdeckte schon nach wenigen<br />
Metern einen Mangobaum. Während er auf dem frischen Obst herum kaute, dachte er an die<br />
vergangene Nacht. Er hatte nicht einschlafen können und als das leise Geräusch des im Dorf<br />
ausgelösten Alarms durch den nächtlichen Dschungel zu ihm gedrungen war, hatte er sich<br />
sofort auf den Weg zum Sonarzaun gemacht. Vollkommen überrascht hatte er Kate und Sayid<br />
entdeckt. Jim war ungeheurer erleichtert, dass die Beiden in verhältnismäßiger Sicherheit<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
waren. Wenn er jetzt noch herausfinden konnte, was mit Juliet geschehen war, oder sie wohl-<br />
möglich ebenfalls befreien konnte, wäre alles soweit gut. Er stopfte sich das letzte Stück<br />
Mango in den Mund und überlegte, wie er am besten vorgehen sollte. In nördlicher Richtung<br />
vom Dorf lag der kleine Flusslauf, der im See hinter den Spielplätzen mündete. Von dort<br />
wollte Jim es versuchen. Er setzte sich in Bewegung und umging den Sonarzaun in einem<br />
weiten Bogen. Endlich erreichte er den kleinen Fluss und ging in einem dichten Gebüsch in<br />
Deckung. Er hoffte darauf, dass jemand aus dem Dorf vielleicht zum Bootshaus ging oder das<br />
Gelände aus einem anderen Grund in diese Richtung verlassen würde. Stunde um Stunde saß<br />
Jim still dort im Gebüsch, als er plötzlich Ronnie und Clive, zwei der Arbeiter, sich unter-<br />
haltend den Weg zum Bootshaus entlang kamen. Wie elektrisiert schoss Jim in die Höhe.<br />
Konzentriert beobachtete er, wie die Beiden eine der Säulen mit Schalter erreichten und den<br />
Code eingaben. Sie passierten den Zaun und verschwanden schnell aus Jims Blickfeld. Und<br />
diese Gelegenheit nutzte er aus. Kaum waren sie außer Sichtweite, rannte er bereits los, auf<br />
die Umzäunung zu. Als er die Säulen passierte, zuckte urplötzlich ein heftiger Schmerz durch<br />
seinen Schädel. Er sank stöhnend und sich den Kopf haltend auf die Knie und sein letzter Ge-<br />
danke war<br />
- Das war ne Falle! -<br />
Als er wieder zu sich kam, hatte er das Gefühl, sein Kopf stecke zwischen zwei<br />
Hämmern. Er stöhnte gequält auf und hörte eine wohlbekannte Stimme.<br />
„Was macht der Schädel?“<br />
Frustriert schnaufte Jim und versuchte, sich aufzusetzen. Das ging jedoch nicht, weil<br />
er bereits saß, wie er langsam merkte.<br />
„<strong>Der</strong> tut weh.“<br />
Er sah auf und blickte in das höhnisch grinsende Gesicht Horace‟, der vor ihm stand.<br />
„Man lernt einen Menschen in drei Jahren doch verdammt gut kennen, Jim. Du hättest nicht<br />
so dumm sein sollen, zurückzukehren. Mir war klar, dass du ohne Rücksicht auf deine eigene<br />
Sicherheit hierher kommen würdest, um zu erfahren, was mit Juliet passiert ist. Ich brauchte<br />
nur zu überlegen, von wo du es versuchen würdest.“<br />
Jim stieß ein leises, resigniertes Lachen aus.<br />
„Okay, ich bin dir auf den Leim gegangen. Gratuliere, Hoss. Und wie geht‟s weiter?“<br />
Horace sah Jim in die Augen.<br />
„Du weißt, dass dich dieses Mal nichts und niemand mehr retten wird, oder?“<br />
Jim nickte resigniert.<br />
„Ja, ist mir klar. Warum leb ich noch?“<br />
Horace schmunzelte.<br />
„Na, was denkst du denn? Wir müssen wissen, wo Kate und Sayid sind. Und wir<br />
müssen wissen, ob du bereits bei Richard Alpert gewesen bist. Und last, but not least, würden<br />
wir sehr gerne erfahren, ob nicht vielleicht doch noch andere involviert sind.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim spürte, wie sich in seinem Magen eine eisige Faust bildete. Er stieß ein hartes<br />
Lachen aus und sagte kalt:<br />
„Viel Spaß.“<br />
Horace seufzte.<br />
„Willst du es dir nicht leichter machen? Ich kann dir ein schnelles, schmerzloses Ende<br />
versprechen, wenn du uns sagst, was wir wissen müssen.“<br />
Jim sah seinen ehemaligen Anführer ruhig an.<br />
„Wer sagt denn, dass ich auf‟n schnelles Ende steh?“<br />
Horace schüttelte fast mitleidig den Kopf.<br />
„Mach es dir nicht unnütz schwer, Jim. Wir werden sowieso erfahren, was wir wissen<br />
müssen, dass ist dir klar.“<br />
„Viel Spaß.“, wiederholte Jim leise.<br />
Diesmal war es Horace, der resigniert seufzte.<br />
„Du hast es nicht anders gewollt.“<br />
Er verließ kurz den Videoraum, in dem sie sich befanden, und kam kurze Zeit später<br />
ausgerechnet mit Phil und Radzinsky zurück. Jims Herz verkrampfte sich. Er war wahrhaftig<br />
kein Masochist. Und es war ihm klar, dass es verdammt hart werden würde. Er schloss kurz<br />
die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel<br />
- Bitte, lass <strong>mich</strong> durchhalten! -<br />
Phil trat mit einem Grinsen auf den Lippen vor Jim und sagte gehässig:<br />
„So ändern sich die Dinge. Dann wollen wir mal sehen, wie hart du wirklich im<br />
Nehmen bist, Lafleur.“<br />
Jim schwieg. Was hätte er auch sagen sollen. Er wappnete sich gegen das, was<br />
kommen würde und dachte an Kate und Juliet. Und schon kam es. Phil holte aus und schlug<br />
Jim mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Jims Kopf wurde<br />
herum gerissen. Sofort traf ihn ein weiterer Schlag, diesmal<br />
von der anderen Seite. Einige Male drosch Phil so zu und Jim<br />
brauchte alle Beherrschung, um nicht aufzukeuchen.<br />
Schließlich machte der Mann eine Pause und sagte:<br />
„Das können wir fortsetzen, bis dein Kopf Brei ist.“<br />
Jim nickte. Er spuckte Blut auf den Fußboden und sagte sarkastisch:<br />
„Klar, du Schlauberger. Dann kann ich aber garantiert nichts mehr verraten.“<br />
Wütend schlug Phil erneut zu, diesmal auch in den Körper. Jim hustete gequält auf, als<br />
ihm so die Luft aus den Lungen getrieben wurde und fuhr sich mit der Zunge über die auf-<br />
geplatzte Lippe.<br />
„Ist das alles, was du drauf hast?“, fragte er schwer atmend.<br />
Aus schon zu schwellenden Augen sah er Phil müde an. Dieser zitterte vor Hass. Und<br />
schon gingen die Schläge erneut los. Irgendwann traf einer der Hiebe so stark, dass der Stuhl,<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
an den Jim gefesselt war, umstürzte. Zwei, drei Mal trat Phil dem hilflos auf der Seite<br />
liegenden Gefangenen kräftig in den Leib, doch schließlich wurde er von Horace unter-<br />
brochen.<br />
„Es reicht. Hebt ihn auf, los doch.“<br />
Phil und Stuart Radzinsky richteten Jim wieder auf. Dieser taumelte inzwischen am<br />
Rande der Besinnungslosigkeit dahin. Vor seinen Augen tanzten blutrote Kreise. Er wünschte<br />
sich, ganz ohnmächtig zu werden, um nichts mehr zu spüren.<br />
************<br />
Zum Glück war ich in den letzten Wochen mehr als daran gewöhnt worden, in einem<br />
ständigen Wechselbad der Gefühle herumgerissen zu werden. So schaffte ich es auch diesmal,<br />
halbwegs Haltung zu bewahren. <strong>Über</strong>rascht machte ich:<br />
ich aber.“<br />
„Oh!“ Dann lachte ich verkrampft. „Das erklärt deinen Sinneswandel. Da gratuliere<br />
Meine Knie zitterten bedenklich und ich hatte Angst, dass Horace es bemerken würde.<br />
Daher fuhr ich hastig fort:<br />
„Ich mache <strong>mich</strong> mal wieder an die Arbeit. Annie wollte noch vorbei kommen um<br />
sich ihre Medizin abzuholen.“<br />
Ich nickte Horace zu und eilte fast fluchtartig weiter Richtung Krankenstation. Ich<br />
schaffte es, die Tür hinter mir leise zu schließen, obwohl ich sie liebend gerne zugeschmissen<br />
hätte. Hastig warf ich die Tasche auf den Tisch und eilte in den Waschraum. Hier endlich<br />
konnte ich <strong>mich</strong> gehen lassen. Ich sank weinend auf die Knie und hockte dort mehrere<br />
Minuten lang wie erstarrt, heftig schluchzend. Sie hatten ihn also erwischt. Und diesmal<br />
würde nur noch ein Wunder verhindern können, dass sie ihn endgültig umbrachten. Bevor es<br />
aber so weit sein würde, das war mir klar, würden sie alles versuchen, aus Jim Informationen<br />
heraus zu holen. Und wie das aussehen würde, war mir ebenfalls mehr als klar!<br />
Irgendwann fing ich <strong>mich</strong> ein wenig und stand auf. Ich schaufelte mir solange kaltes<br />
Wasser ins Gesicht, bis ich nicht mehr total verheult aussah. Dann biss ich die Zähne zu-<br />
sammen und kehrte in den Behandlungsraum zurück. Keine Minute zu früh, denn kurz darauf<br />
kam Annie zur Tür herein. Fröhlich begrüßte sie <strong>mich</strong>.<br />
„Hallo, Kelly, da bist du ja wieder. Und, wie war dein erster unbewachter Ausflug?“<br />
„Das hat sich also herum gesprochen?“, fragte ich, <strong>mich</strong> zu einem Lächeln zwingend.<br />
wieder da.“<br />
„Klar, hier spricht sich alles schnell herum. Die Galaga ist zum Beispiel auch schon<br />
Ich sah überrascht auf.<br />
„Oh, wirklich? Das ist gut, ich habe bei Bird zwei Bücher bestellt.“<br />
- 313 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ich trat an den Schrank, in dem wir die Medikamente verwahrten und schloss diesen<br />
auf. Ich gab Annie die Medizin, die sie für ihre schwere Allergie benötigte und erklärte:<br />
„Du nimmst sie weiterhin genau nach Vorschrift und kommst in drei Tagen bitte<br />
wieder zu mir, damit wir besprechen können, ob es so wirkt, wie wir es uns wünschen, okay.“<br />
Das junge Mädchen nickte.<br />
„Alles klar. Dann sehen wir uns Freitag. Bye.“<br />
Vergnügt schwirrte sie ab. Und ich stand da und war in Gedanken sofort wieder bei<br />
Jim. Ich beschloss, für heute Schluss zu machen, wenn etwas sein sollte, würde man <strong>mich</strong><br />
ohnehin von zuhause abholen. Es war kurz vor 14 Uhr und hier lag im Moment nichts<br />
Aktuelles mehr an. Am Nachmittag wollte Jeanette Lewis mit ihrer Tochter vorbei kommen,<br />
solange konnte ich aber auch zuhause bleiben. So setzte ich <strong>mich</strong> in Bewegung und<br />
marschierte zu meiner Unterkunft. Allerdings stellte ich schnell fest, dass das auch nicht die<br />
beste Idee gewesen war, denn hier hatte ich noch mehr Zeit, ständig daran zu denken, wie es<br />
Jim wohl gerade gehen mochte. Um <strong>mich</strong> wenigstens ein bisschen abzulenken machte ich<br />
<strong>mich</strong> daran, einen Schokoladenkuchen zu Backen. Wirklich helfen tat das jedoch auch nicht,<br />
denn ich konnte auch dabei die Gedanken schweifen lassen. So einfach, wie Kate es geschafft<br />
hatte, Sayid aus der Zelle zu befreien, würde es nicht mehr werden. Ich machte mir nichts vor.<br />
Die Chancen, Jim zu helfen, lagen nahe null.<br />
Fast wären mir wieder die Tränen gekommen. Zum Glück klopfte es in diesem<br />
Moment an die Tür. Ich sah auf die Küchenuhr. Eben nach 15 Uhr. Wer mochte das sein? Ich<br />
ging, um zu öffnen. Vor der Tür stand der Captain der Galaga. Bird hatte meine Bitte erfüllt.<br />
Kaum hatte das U-Boot wieder angelegt, hatte er sich auf den Weg zu mir gemacht und<br />
brachte mir nun die beiden von mir erbetenen Bücher. <strong>Der</strong> arme Kerl hatte keine Ahnung,<br />
dass diese nur ein Vorwand gewesen waren. Ich bat ihn herein.<br />
„Das ist wirklich süß von dir, Glen, vielen, vielen Dank. Die habe ich wirklich<br />
schmerzlich vermisst. Ich habe vorhin einen Schokoladenkuchen gebacken, kann ich <strong>mich</strong> mit<br />
einer Tasse Kaffee und einem Stück davon bei dir bedanken?“<br />
Bird nickte erfreut.<br />
„Gerne.“<br />
Ich bat ihn ins Wohnzimmer.<br />
„Setze dich doch schon mal, der Kaffee ist gleich durch.“<br />
Während Bird sich auf das Sofa fallen ließ, eilte ich in die Küche und schenkte ihm<br />
einen Becher Kaffee ein. Ich schnitt ein großes Stück Schokokuchen ab und legte es auf einen<br />
Teller. Aus dem Küchenschrank griff ich meine Geldbörse und trug alles zu Bird zurück.<br />
„Hier, lass es dir schmecken und nochmals vielen Dank. Wie viel Geld bekommst du von<br />
mir?“ <strong>Der</strong> Captain sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Danke, Kelly, hab ich aber wirklich gerne gemacht. Zusammen $ 38,50“<br />
Ich setzte <strong>mich</strong> ihm gegenüber, gab ihm das Geld und fragte locker:<br />
- 314 -
„Und, wie war die <strong>Über</strong>fahrt?“<br />
Er grinste.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Hör bloß auf. Ethan hat die ganze Zeit gebrüllt wie am Spieß, Amy wusste gar nicht,<br />
wie sie ihn beruhigen sollte. Jerry hat gekotzt, der Kerl kann das U-Boot absolut nicht ver-<br />
tragen und Juliet hat die ganze Zeit geflennt.“<br />
Ich brauchte meine Betroffenheit nicht verbergen, da ja schließlich jeder wusste, dass<br />
ich <strong>mich</strong> mit Jules gut verstanden hatte.<br />
„Oh, das tut mir so leid. Sie und Lafleur ... Hat sie gesagt, was sie vorhat?“<br />
Bird schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, sie ist ausgestiegen und ... naja, weg war sie. Sie weiß, dass sie nie wieder auf<br />
die Insel zurückkommen wird.“<br />
Mir tat Juliet wirklich leid, gleichzeitig war ich erleichtert, dass sie lebte. Sie würde<br />
nicht auf der Insel sterben. Das war immerhin schon mal eine deutliche Änderung im Ablauf<br />
der Geschehnisse. Ich unterhielt <strong>mich</strong> noch eine Weile mit dem Captain des U-Bootes, doch<br />
schließlich verabschiedete er sich und ich brachte ihn zur Tür. Gedankenverloren räumte ich<br />
auf. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, Jim irgendwie Bescheid zu geben, dass Juliet in<br />
Sicherheit war. Ich machte mir schreckliche Sorgen um ihn. Er würde niemals verraten, wo<br />
Kate und Sayid hin verschwunden waren. Ich hatte ihn fast zwei Tage nicht gesehen und hatte<br />
nur noch Angst. Horace war kein brutaler Mensch, Phil und Radzinsky dafür umso mehr. Ich<br />
war nicht sicher, wie weit sie gehen würden, um Informationen zu erhalten. Ich sollte es aber<br />
schneller erfahren als ich vermutete hatte. Als ich am frühen Nachmittag in der Kranken-<br />
station wie abgesprochen den Verband am Knie der kleinen Charlotte wechselte, kam Casey<br />
in den Raum.<br />
gut aus.“<br />
„Hallo, Jeanette, hallo Charlotte, na, wie geht es deinem Knie?“<br />
Quietsch vergnügt antwortete das rothaarige kleine Mädchen:<br />
„Kelly hat mir geholfen, ich war ganz tapfer.“<br />
Ich lachte.<br />
„Ja, Süße, das warst du. Und du brauchst auch nicht wiederkommen, dein Knie sieht<br />
An Jeanette gewandt erklärte ich:<br />
„Lass den Verband noch ein, zwei Tage drauf, dann kann er ab. Und du, junge Frau,<br />
bist beim nächsten Mal am Klettergerüst vorsichtiger, verstanden?“<br />
sah Casey an.<br />
Charlotte kicherte.<br />
„Ja, das verspreche ich. Danke, Kelly.“<br />
Jeanette bedankte sich ebenfalls und verschwand mit ihrer Tochter nach draußen. Ich<br />
„Was kann ich denn für dich tun? Auch ein aufgeschlagenes Knie?“<br />
Die junge Frau schüttelte ernst den Kopf.<br />
- 315 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nein, Kelly, wohl eher nicht. Horace schickt <strong>mich</strong>, du sollst in den Videoraum<br />
kommen. Und du sollst Verbandszeug und so mitbringen.“<br />
Mir wurde schlecht. So gleichgültig wie möglich sagte ich aber:<br />
„Klar, bin schon fast da.“<br />
Fünf Minuten später stand ich vor der Tür des <strong>Über</strong>wachungsraumes und hatte Angst,<br />
zu Klopfen. Ich wusste nicht, ob ich so viel Beherrschung aufbringen würde, mir nichts an-<br />
merken zu lassen. Zögernd klopfte ich schließlich doch an die Tür. Horace‟ Stimme<br />
antwortete:<br />
„Ja, wer ist da?“<br />
„Ich bin es, Kelly.“<br />
Die Tür wurde geöffnet und unser Anführer bat <strong>mich</strong> herein.<br />
„Kümmere dich um Jim, okay?“, bat Horace verlegen.<br />
Ich trat in den Raum und sah Phil und Radzinsky an der Wand gelehnt stehen und kalt<br />
auf Jim herunter blicken, der an einen Stuhl gefesselt vor ihnen saß. Sein Gesicht sah fast<br />
ebenso schlimm aus wie bei unserer ersten Begegnung, die mir Jahre her zu sein schien.<br />
Entsetzt keuchte ich:<br />
Wilden!“<br />
„Was habt ihr mit ihm gemacht? Seid ihr denn wahnsinnig? Wir sind doch keine<br />
Giftig fuhr Phil <strong>mich</strong> an:<br />
„Halt die Klappe und kümmer dich um den Helden. Wie wir einen Verräter behandeln<br />
geht dich einen feuchten Dreck an.“<br />
Hasserfüllt sah ich Phil an.<br />
„Du bist ein widerlicher Dreckskerl, weißt du das? Kannst dich nur an Wehrlosen ver-<br />
greifen, du schleimige, feige Ratte. Sonst bist du vor Jim auf dem Bauch gerutscht!“<br />
Phil wollte auf <strong>mich</strong> losgehen, aber Horace trat entschlossen dazwischen.<br />
„Halt dich zurück, Phil, sonst werfe ich dich raus, hast du das verstanden? Kelly hat<br />
absolut Recht.“<br />
Ich warf Phil noch einen geringschätzigen Blick zu und trat mit wild klopfendem<br />
Herzen zu Jim. Er sah <strong>mich</strong> aus verquollenen Augen an und versuchte ein Grinsen.<br />
„Hallo, Dr. Quinn ... Schön, dich zu sehen ...“<br />
Ich schüttelte schockiert den Kopf.<br />
„Was seid ihr nur für Menschen ...“<br />
Ich warf einen hasserfüllten Blick zu Radzinsky und Phil hinüber. Angewidert sah ich<br />
Horace an. Kalt erklärte ich:<br />
„Ich brauche Wasser.“<br />
Horace nickte.<br />
„Warte, ich hole dir eine Schüssel.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Eilig verließ er den Raum und kam kurze Zeit<br />
später mit einer großen Porzellanschüssel voll warmem Wasser zurück. Ich zog mir einen<br />
zweiten Stuhl heran und setzte <strong>mich</strong> vor Jim hin.<br />
„Dann lass <strong>mich</strong> mal sehen, du Held.“, sagte ich liebevoll.<br />
Jim hob mühsam den Kopf und ich begann sanft, ihm das viele Blut fort zu Waschen.<br />
Er hielt still, zuckte nur hin und wieder zusammen.<br />
„Kannst du dich vielleicht mal beeilen?“, knurrte Phil genervt.<br />
Ich ignorierte ihn vollständig. Stattdessen sagte ich besorgt zu Jim:<br />
„Warum sagst du ihnen nicht einfach, was sie wissen wollen?“<br />
Er lachte kurz schmerzerfüllt und sarkastisch auf.<br />
„Weil ich diese miesen Wichser gerne ärger ...“<br />
Phil wollte wutentbrannt auf ihn losgehen, aber als er <strong>mich</strong> dafür an der Schulter<br />
packte und vom Stuhl hoch zerren wollte, hakte bei mir etwas aus. Ich kam blitzschnell auf<br />
die Füße, drehte <strong>mich</strong> herum und trat dem widerlichen Mann mit aller Kraft zwischen die<br />
Beine. Aufquiekend beugte er sich unwillkürlich nach vorne und ich riss mein Knie hoch. Er<br />
wurde voll im Gesicht getroffen und brach jappsend und blutend zusammen. Horace und<br />
Radzinsky sahen <strong>mich</strong> einigermaßen überrascht an. Das hatten sie mir wohl nicht zugetraut.<br />
Und Jim lachte.<br />
„Gratuliere, Sheena!“, sagte er zufrieden, obwohl ihm garantiert alles weh tat.<br />
Ich achtete gar nicht mehr auf die beiden Männer hinter mir, sondern warf Horace<br />
einen fragenden Blick zu.<br />
werden?“<br />
„Darf ich vielleicht meine Arbeit machen, ohne von der kleinen Ratte belästigt zu<br />
Horace nickte.<br />
„Ja, darfst du.“<br />
Ich widmete <strong>mich</strong> wieder Jims Gesicht und reinigte es zu Ende. Dass er mir dabei in<br />
die Augen schaute, in denen ich sehr wohl Schmerz, Angst und Resignation lesen konnte,<br />
machte es mir nicht gerade einfacher. Ich arbeitete eine Weile konzentriert, doch endlich war<br />
er versorgt so gut es möglich war.<br />
verbittert.<br />
„Und, geht es hier weiter? Soll ich das Verbandmaterial gleich hier lassen?“, fragte ich<br />
Horace schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, wir schaffen ihn zu Oldham, der wird schon aus ihm raus bekommen, wo<br />
Austen und Jarrah sind. Danke, Kelly. Es tut mir leid, du wirst uns für Monster halten, aber<br />
wir kämpfen hier ums <strong>Über</strong>leben, wenn die Beiden zu den Hostiles sind, ist das eine ernste<br />
Bedrohung für unserer aller Sicherheit.“<br />
Ich nickte.<br />
„Klar, und das gibt euch das Recht, einen wehrlosen Menschen zu schlagen ...“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich schüttelte den Kopf. Wütend griff ich nach meinen Sachen, sah Phil an, der lang-<br />
sam wieder auf die Beine kam, und erklärte kalt:<br />
„Wenn du abartiger Bastard noch einmal Hand an <strong>mich</strong> legst, schneide ich dir die Eier<br />
ab und trete nicht nur nach ihnen. Hast du das kapiert?“<br />
Hasserfüllt stieß Phil hervor:<br />
„Das werden wir noch sehen ...“<br />
Jim knurrte:<br />
„Wenn du sie auch nur schief ansiehst, bring ich dich um ...“<br />
Horace beendete die Debatte, indem er <strong>mich</strong> regelrecht raus warf.<br />
„Du bist hier fertig, geh wieder an deine Arbeit.“<br />
Ich verließ den Raum und stand Minuten später vor Hütte 14. Ohne zu Zögern riss ich<br />
die Tür auf und rief:<br />
los?“<br />
„Miles?“<br />
Erstaunt kam der junge Mann in den Flur geeilt.<br />
„Ist was passiert?“<br />
Ich trat ein und fragte leise:<br />
„Wer ist Oldham?“<br />
Miles sah <strong>mich</strong> verwirrt an.<br />
„Warum willst du das wissen?“, fragte er sichtlich bestürzt.<br />
Ich erklärte genervt:<br />
„Verdammt noch mal, sag es mir einfach!“<br />
„Jaja, ist ja schon gut. Er ist ... der Verhörspezialist der Initiative. Was ist eigentlich<br />
Ich war blass geworden.<br />
„Oh, Gott.“<br />
Jetzt wurde Miles ungeduldig.<br />
„Kannst du mir vielleicht mal sagen, was los ist?“<br />
Entsetzt stotterte ich:<br />
„Sie wollen Jim zu diesem Oldham schaffen.“<br />
Miles erschrak.<br />
„Scheiße! Na, da wird er bald alles verraten, so viel ist sicher. Wir sollten schon mal<br />
Koffer packen, denn dann wird es hier sehr lustig werden.“<br />
Ich überlegte hektisch.<br />
„Wo finde ich ihn?“<br />
Miles schüttelte den Kopf.<br />
„Den findest du alleine nicht. Was hast du denn bitteschön vor?“<br />
Ich sah Miles an und entschied <strong>mich</strong> spontan, ihm die Wahrheit zu sagen.<br />
„Ich werde Jim da raus holen.“<br />
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Frauke Feind<br />
„Bist du irre? Dass kannst du vergessen.“<br />
„Nein, weder bin ich irre noch kann ich das vergessen. Du wirst <strong>mich</strong> da hin bringen.“<br />
Miles schüttelte den Kopf.<br />
„Die werden uns alle umbringen.“<br />
Ich trat an den jungen Mann heran und packte ihn an den Schultern.<br />
„Hör mir mal genau zu: Jim hat das alles hier für Juliet, Daniel, Jin und dich möglich<br />
gemacht, als ihr 74 hier als letzte <strong>Über</strong>lebende von Oceanic 815 und der Kahana durch die<br />
Gegend gewankt seid. Ohne ihn hätte euch die DHARMA Initiative vermutlich wieder raus<br />
geworfen oder gleich getötet. Also bist du ihm verdammt noch mal schuldig, ihn aus der<br />
Klemme zu holen.“<br />
Fassungslos starrte Miles <strong>mich</strong> an.<br />
„Woher weißt du das?“, fragte er besorgt.<br />
„Das tut nichts zur Sache. Du wirst jetzt Waffen besorgen und zwar 9 mm und Ge-<br />
wehre und dann wirst du <strong>mich</strong> zu Oldham schaffen!“<br />
Miles sah <strong>mich</strong> sehr skeptisch an.<br />
„Wenn das rauskommt, sind wir fällig.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, das sind wir wohl. Und wenn wir uns nicht beeilen und Oldham Jim zum Reden<br />
bringt, sind wir ebenfalls fällig. Aber wenn wir den Kopf in den Sand stecken und nichts tun,<br />
ist Jim fällig. Das kann ich nicht zulassen!“<br />
Fragend sah Miles <strong>mich</strong> an.<br />
„Warum tust du das? Was hast du mit Lafleur zu schaffen? Ihr kennt euch kaum.“<br />
„Ich habe weder Zeit noch Lust, dir das alles genau zu erklären, aber Jim und ich<br />
kennen uns nicht nur, wir sind ... zusammen. Und jetzt sieh zu, dass du die Waffen ranschaffst<br />
und bringe gleich einen Wagen mit. Los.“<br />
Ich seufzte.<br />
Miles war immer noch nicht bereit, in die Gänge zu kommen.<br />
„Wie, ihr seid zusammen? Bist du ... Ich meine, du bist keine Schiffbrüchige, richtig?”<br />
„Ist das jetzt wirklich wichtig? Jim soll zu einem brutalen Folterer geschafft werden,<br />
verdammt noch mal! Und sie haben ihn bereits übel zusammen geschlagen.“<br />
fahren, oder?“<br />
„Wenn ich schon meinen Arsch riskieren soll, habe ich wohl das Recht, etwas zu er-<br />
Verzweifelt über so viel Sturheit erklärte ich:<br />
„Jim und ich kommen aus 2007, auch, wenn du ihn erst seit der Insel kennst. Das ist<br />
eine sehr lange, komplizierte Geschichte. Du weißt von den Zeitreisen, also wirst du es<br />
glauben müssen: Wir sind zusammen auf die Insel zurückgekehrt, um ein schreckliches Un-<br />
glück zu verhindern, dass euch alle in eine endlose Zeitschleife versetzt hat. Wir sind zurück-<br />
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Frauke Feind<br />
gekommen, um diese Schleife zu durchbrechen. Bislang haben wir nur verhindern können,<br />
dass Juliet stirbt. Aber ich werde nicht aufgeben, verstehst du?“<br />
„Warum können wir uns dann nicht an dich erinnern?“, wollte Miles wissen.<br />
„Weil ich bisher nicht dabei war, verstehst du? Ich bin eine neue Variable. Du musst<br />
mir einfach glauben. Wenn sich Zeit und Gelegenheit ergibt, werde ich dir gerne alles er-<br />
klären, jetzt müssen wir uns erst einmal um Jim kümmern.“<br />
Penetrant misstrauisch fragte Miles jedoch nach:<br />
„Und Jim weiß auch nichts davon, dass ihr ... zusammen seid?“<br />
Ich wurde immer ungeduldiger.<br />
„Nein, irgendetwas verhindert, dass ihr euch daran erinnern könnt. Ab einen Zeitpunkt<br />
in nicht mehr allzu ferner Zukunft werdet ihr in dieser Zeitschleife gefangen und erlebt alles<br />
wieder und wieder, ohne euch erinnern zu können. Es hängt mit den Zeitreisen zusammen,<br />
vermutlich auch mit den Entscheidungen, die ihr trefft. Vielleicht muss sich gar nicht viel<br />
ändern, um den Lauf der Dinge zu unterbrechen. Aber wenn wir nicht bald los kommen, wird<br />
Jim seine Entscheidung, Kate zu helfen, bitter bereuen.“<br />
Endlich nickte Miles.<br />
28) Oldham<br />
„Gut, ich helfe dir. Aber wir werden Jin suchen, er muss dabei sein. Ich glaube, er ist<br />
heute bei der Flamme. Oldham ist gefährlich und Phil und Radzinsky werden garantiert dabei<br />
sein.“<br />
Willen.“<br />
„Oh Gott, dann such ihn. Ich warte am Bootshaus auf euch. Beeilt euch um Gottes<br />
Miles nickte.<br />
„Jaja, ich bin ja schon unterwegs.“<br />
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Frauke Feind<br />
Er drängte <strong>mich</strong> aus dem Haus und ging ruhig zu seinem Geländewagen hinüber.<br />
Fröhlich winkte er mir noch einmal zu, warf den Motor an und fuhr in aller Ruhe die Straße<br />
entlang aus dem Dorf hinaus. Ich musste <strong>mich</strong> zusammenreißen, um nicht hysterisch zu<br />
schreien. Langsam marschierte ich zur Krankenstation zurück und grüßte Leute, die ich traf,<br />
freundlich. In der Station stopfte ich ein wenig Verbandsmaterial, Wasser, antiseptische<br />
Lösung und Pflaster in meinen kleinen Rucksack, verließ die Station wieder und ging gemüt-<br />
lich zu meinem Haus. Wayne war zum Glück nicht anwesend und so konnte ich mir Jeans und<br />
Bluse anziehen, ohne dumme Fragen zu beantworten, warum ich keinen Dienst hatte. Als ich<br />
<strong>mich</strong> umgezogen hatte, verließ ich das Haus durch die Hintertür, sah <strong>mich</strong> um und schlug<br />
<strong>mich</strong> durch die Büsche zum Teich mit dem kleinen Bootshaus durch. Meine Geduld wurde<br />
auf eine harte Probe gestellt, denn es dauerte eine ganze Weile, bis ich endlich Miles‟ Wagen<br />
kommen sah. Jin saß auf dem Beifahrersitz und sah <strong>mich</strong> fragend an.<br />
„Stimmt es, was Miles erzählt hat?“<br />
Ich nickte, stieg ein und ließ <strong>mich</strong> auf die Rückbank sinken.<br />
„Ja, und wenn wir uns jetzt vielleicht beeilen könnten, Jim ist schon viel zu lange bei<br />
diesem Oldham. Die haben inzwischen zwei Stunden Vorsprung. Wer weiß, was sie ihm<br />
schon angetan haben.“<br />
Mir liefen Tränen über die Wangen.<br />
„Wir fahren ne gute halbe Stunde.“, erklärte Miles und gab endlich Gas.<br />
************<br />
Jim saß angespannt in dem VW Bus. Phil hatte ihn unsanft hinein gestoßen und seine<br />
Hände mit Handschellen an den Haltegriff auf der der Tür abgewandten Sitzseite befestigt.<br />
An Flucht war somit nicht zu denken. Jim hatte Oldham selbst noch nicht in Aktion erlebt,<br />
kannte aber die Geschichten, die über den brutalen Mann erzählt wurden. Je näher sie ihrem<br />
Ziel kamen, desto nervöser wurde der blonde junge Mann. Er war wild entschlossen, nichts zu<br />
verraten, wusste aber nicht, wie lange er würde durchhalten können. Krampfhaft bemühte er<br />
sich, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Er hätte sonst was dafür gegeben, zu er-<br />
fahren, was mit Juliet passiert war. Er machte sich extreme Sorgen um die Ärztin. Sie hatte<br />
alles riskiert, um ihn zu schützen. So, wie er jetzt alles Riskieren würde, um Kate zu schützen.<br />
Sayid war ihm scheißegal. Für ihn alleine hätte Jim dass alles nicht auf sich genommen. Aber<br />
Kate war bei dem Iraker. Und Kate würde er niemals verraten.<br />
an und sagte:<br />
„Wir sind gleich da, freust du dich?“<br />
Phils Stimme riss Jim aus den Gedanken. Er sah seinen ehemaligen Untergebenen kalt<br />
„Leck <strong>mich</strong>. Wie geht‟s deinen Eiern? Klingeln sie noch?“<br />
Phil packte Jim wütend in den Haaren und riss seinen Kopf zurück.<br />
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Frauke Feind<br />
„Dir wird das freche Maul gleich gestopft werden, Lafleur. Du hast uns die längste<br />
Zeit verarscht.“<br />
Er gab Jims Kopf einen kräftigen Stoß. Grinsend meinte er:<br />
„Mal sehen, wie lange du hier den Helden geben kannst.“<br />
Gerade hielt der Wagen und Radzinsky sagte:<br />
„Wir sind da.“<br />
Er drückte kurz auf die Hupe und Augenblicke später kam ein älterer, grauhaariger,<br />
ziemlich ungepflegter Mann aus einem Gebüsch vor ihnen auf die Straße. Radzinsky stieg aus<br />
und begrüßte den Mann.<br />
„Da bist du ja. Dein Kunde ist ziemlich stur, ich hoffe, du kriegst das hin.“<br />
<strong>Der</strong> Mann, es musste sich wohl um Oldham handeln, grinste.<br />
„Bei mir singen noch alle, mach dir keine Sorgen.“<br />
Er trat an den Bus heran und sah Phil an, der inzwischen Jims Fesseln gelöst hatte.<br />
„Na, dann schafft ihn mal in mein Lager.“<br />
Kalt musterte er Jim.<br />
„<strong>Der</strong> ehemalige Boss der Security. Wer hätte das erwartet? Da kann man mal wieder<br />
sehen: Je höher man steigt, desto tiefer kann man fallen. Mein Junge, du solltest es dir besser<br />
noch mal überlegen.“, sagte er ruhig.<br />
Jim schwieg verbissen. Phil schloss die Handschellen auf Jims Rücken und nun<br />
packten er und Radzinsky den blonden Mann an den Oberarmen und stießen ihn so vorwärts.<br />
Ungefähr zehn Minuten ging es durch den Wald, dann erreichten sie eine Lichtung, auf der<br />
eine kleine Hütte stand. Gleichgültig erklärte Oldham:<br />
„Fesselt ihn an die Säule, Stricke liegen da.“<br />
Er selbst ging in die Hütte und Sekunden später war aus einem versteckten Laut-<br />
sprecher klassische Musik zu hören. Jim lief ein Schauer über den Körper. Er wurde zu der<br />
Steinsäule geschafft, die Handschellen wurden ihm abgenommen und Phil stieß ihn hart mit<br />
dem Rücken gegen die Säule. Hilflos musste Jim sich gefallen lassen, dass seine Arme um die<br />
Säule herum gelegt und mit einem Strick fest zusammen gebunden wurden. Einen weiteren<br />
Strick schlang Phil um Jims Fußgelenke. Bewegungsunfähig stand er da. Sein Herz raste.<br />
Gerade kam Oldham aus der Hütte und trat langsam vor Jim hin.<br />
„Wie sieht es aus, mein Freund, hast du dir noch einmal durch den Kopf gehen lassen,<br />
was gesünder für dich wäre?“<br />
Jim schüttelte mit dem Mut der puren Verzweiflung den Kopf.<br />
„Du kannst <strong>mich</strong> mal.“<br />
Oldham nickte.<br />
„Okay. Dann hör mir genau zu. Es läuft folgendermaßen. Ich werde dich eine Stunde<br />
lang behandeln. Danach bekommst du die Gelegenheit, dich zu meinen Fragen zu äußern.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Solltest du dich immer noch entscheiden, nicht zu reden, kommt die nächste Stunde Be-<br />
handlung. Dazwischen wirst du keine Chance haben, es doch auszuspucken, hast du das ver-<br />
standen?“<br />
nickte.<br />
Jim hörte entsetzt zu. Er schloss kurz verzweifelt die Augen, atmete tief durch und<br />
„Fang schon an, du blöder Wichser.“, stieß er hervor und Oldham grinste.<br />
„Gut, es ist deine Entscheidung.“<br />
An Radzinsky und Phil gewandt sagte er:<br />
„Stopft ihm das Maul.“<br />
Hilflos musste Jim sich gefallen lassen, einen Schaumstoffball, vielleicht doppelt so<br />
groß wie ein Tischtennisball, in den Mund gestopft zu bekommen. Innerhalb von wenigen<br />
Augenblicken saugte dieser Ball sämtlichen Speichel auf und verursachte heftigen Würgereiz.<br />
Hastig atmete Jim durch die Nase. Alles in ihm krampfte sich zusammen. Jetzt hatte er keine<br />
Chance mehr, durch Reden dem zu entrinnen, was nun kommen würde.<br />
Oldham trat mit einem Messer in der Hand zu ihm und Jim verkrampfte sich vor<br />
Angst. Aus geweiteten Augen starrte er panisch auf das Messer. Aber der Mann schlitzte ihm<br />
nur in aller Ruhe das T-Shirt auf, bis er Jim dieses mit einem Ruck vom Körper reißen konnte.<br />
Geradezu sanft ließ er seine Finger über Jims Brust gleiten, was alleine schon reichte, um<br />
diesem eine Gänsehaut des Ekels über den Körper zu jagen.<br />
„Weißt du, wie weh Stromschläge hier tun?“, fragte Oldham und zog einen Taser aus<br />
der Tasche, wie Jim ihn von seiner Gefangenschaft bei den ‟Anderen‟ her kannte.<br />
Er konnte nicht mehr verhindern, dass er zu Zittern begann. Oldham schaltete den<br />
Taser ein und drückte Jim diesen kalt lächelnd auf die Brust. Hätte der Ball es nicht ver-<br />
hindert, Jim hätte gebrüllt vor Schmerzen. Zu wissen, dass er das eine Stunde lang ertragen<br />
musste, war grausam. Wieder und wieder drückte Oldham den Taser an verschiedenen Stellen<br />
und in wohl dosierten Abständen an Jims Oberkörper. Hilflos zuckend hing dieser in den<br />
Fesseln. Phil und Radzinsky sahen ungerührt zu. Und im Hintergrund erklang unwirklich die<br />
wunderschöne klassische Musik. Irgendwann hatte Jim das Gefühl, es keinen weiteren Strom-<br />
schlag lang auszuhalten. Hätte er keinen Knebel im Mund gehabt, er hätte vermutlich alles<br />
hinaus geschrien was er wusste. Tränen, die ihm der Schmerz unkontrolliert in die Augen<br />
trieb, vermischen sich auf seinem Gesicht mit Schweiß. Er wünschte nur noch, dass die<br />
Stunde bald zu Ende war und fragte sich verzweifelt, wie er eine weitere Stunde überstehen<br />
sollte. Wieder traf ihn ein Schlag, diesmal an der linken Seite und der Schmerz zuckte durch<br />
seinen ganzen Körper. Vor seinen Augen tanzten bunter Kreise und Jim hoffte verzweifelt,<br />
die Besinnung zu verlieren.<br />
Es dauerte einige Minuten, bis er merkte, dass keine weiteren Stromschläge mehr<br />
kamen. Fast hätte er aufgeschluchzt vor Erleichterung. Zu wissen, dass die Qual eine volle<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Stunde dauern würde, egal, ob er zu Reden bereit war oder nicht, machte das Ganze noch un-<br />
erträglicher. Jim zitterte am ganzen Leib. Wie durch Watte bekam er mit, dass Phil ihm den<br />
Schaumstoffball aus dem Mund zog. Er hörte die Stimme Oldhams.<br />
„Na, mein Junge, wie war deine erste Stunde?“<br />
Jim war nicht fähig, irgendeine Antwort zu geben. Sein Mund war ausgetrocknet, er<br />
keuchte nach Luft und kämpfte verzweifelt dagegen an, hysterisch alles herauszubrüllen, was<br />
diese Schweine wissen wollten. Als er sich ganz allmählich etwas gefangen hatte keuchte er<br />
hasserfüllt:<br />
„Ich bring dich um, du miese Sau ...“<br />
Oldham lachte leise.<br />
„Oh, dazu wirst du keine Gelegenheit mehr haben, wenn ich mit dir fertig bin, fürchte<br />
ich. Ich habe die Erlaubnis, dich zu Entsorgen, weißt du.“<br />
Er wandte sich an Phil und Radzinsky.<br />
„Ihr könnt ins Dorf zurück, ich brauche euch hier nicht mehr. Sobald er geredet hat,<br />
werde ich euch informieren.“<br />
Widerspruchslos setzten sich die Männer in Bewegung und verschwanden. Jim hatte<br />
die Gelegenheit genutzt, wieder etwas zu Atem zu kommen. Er zitterte immer noch, und hatte<br />
Angst vor der zweiten Runde, aber er war wild entschlossen, kein Wort zu sagen. Oldham sah<br />
ihn an.<br />
Kopf.<br />
„Und, wie sieht es aus? Bereit zu reden?“<br />
Vollkommen verzweifelt, nichts desto weniger aber entschlossen schüttelte Jim den<br />
„Du bist dümmer als ich dachte, mein Junge.“, grinste Oldham gehässig. „Du kannst<br />
dir deinen Tod erheblich erleichtern, wenn du redest.“<br />
Jim sah den Kerl aus rotgeränderten, von den eingesteckten Schlägen an-<br />
geschwollenen Augen an.<br />
„Fick dich.“<br />
Oldham lachte erneut leise.<br />
„Du weißt nicht, auf was du dich einlässt, mein Junge. Warum willst du es dir un-<br />
bedingt so schwer machen? Sind deine Freunde das wirklich wert? Würden sie das Gleiche<br />
auch für dich auf sich nehmen?“<br />
Damit traf der Kerl einen wunden Punkt. Jim wusste es nicht. Aber es war ihm auch<br />
egal. Er presste die Lippen fest zusammen und bemühte sich, den Folterer zu übersehen.<br />
Dieser nickte zufrieden.<br />
läuten.“<br />
„Okay, du willst nicht, kann ich verstehen. Dann wollen wir mal Stunde zwei ein-<br />
Er verschwand kurz in seiner Hütte und große Scheinwerfer erleuchteten die in-<br />
zwischen fast im Dunkeln liegende Lichtung. Jim presste verbissen die Lippen zusammen, um<br />
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Frauke Feind<br />
nicht wieder mit dem Knebel beglückt zu werden, aber er hatte keine Chance, sich dagegen zu<br />
wehren. Ein einziger fester Griff an seinen Kiefer und er musste den Mund öffnen. Gnadenlos<br />
stopfte Oldham ihm den Ball wieder in den Mund. Er zog eine kleine Zange aus der Hosen-<br />
tasche und trat hinter die Säule. Leise die Melodie aus dem Lautsprecher mit pfeifend griff er<br />
nach Jims kleinem Finger der linken Hand. Panisch spürte der Gefesselte, wie die Zange an<br />
seinem Fingernagel angesetzt wurde. Und schon begann Oldham zu ziehen. Hatte Jim vorher<br />
schon gedacht, es gäbe kaum noch eine Steigerung zu den Stromschlägen wurde er schnell<br />
eines Besseren belehrt. Verglichen zu den Schmerzen, die das Nagelziehen mit sich brachte,<br />
erschienen ihm die Stromschläge geradezu harmlos! Gepeinigte Laute drangen dumpf durch<br />
den Knebel und Jim wand sich gequält in den Fesseln. Oldham ließ sich Zeit und Jim liefen<br />
Tränen über das leichenblasse Gesicht.<br />
Als der Verhörspezialist es schließlich geschafft hatte, trat er grinsend vor Jim und<br />
hielt diesem den ausgerissenen Nagel vor das Gesicht.<br />
„Das war Nummer eins. Neun haben wir noch nach, dass schaffe ich in einer Stunde.<br />
Du hättest es dir lieber doch vorher überlegen sollen.“<br />
Er ließ den Nagel fallen und mit panisch geweiteten Augen beobachtete Jim, wie der<br />
Kerl wieder hinter ihn trat. Hysterisch zerrte er an den Fesseln und wusste doch, dass er keine<br />
Chance hatte. Er spürte die Zange an dem kleinen Finger der rechten Hand und wimmerte<br />
verzweifelt auf. <strong>Der</strong> Schmerz schien noch schlimmer zu sein als beim ersten Nagel. Hätte er<br />
doch wenigstens Erleichterung daraus schöpfen können, seine Schmerzen hinaus zu brüllen.<br />
Doch der Knebel verhinderte nachhaltig, dass mehr als dumpfe, leise Geräusche von dem Ge-<br />
folterten zu hören waren. Als Jim glaubte, es keine Sekunde länger mehr auszuhalten ohne zu<br />
sterben geschah es. Urplötzlich gab es einen lauten Knall, der Jim heftig zusammenzucken<br />
ließ. <strong>Der</strong> Schmerz ließ nach und Oldham sackte neben ihm zu Boden, ein rotes Loch in der<br />
Stirn! Fassungslos starrte Jim auf den Folterer hinab und sein Blick fuhr herum auf die<br />
Büsche hionter ihm. Seine Augen weiteten sich in unermesslichem Staunen, als plötzlich<br />
Kelly auf die Lichtung trat, ein Gewehr im Anschlag. Hinter ihr erschienen Jin und Miles,<br />
ebenfalls Gewehre in der Hand. Als Jim das realisierte, schluchzte er vor Erleichterung auf.<br />
Die beiden Freunde sicherten wachsam die Umgebung und Kelly trat schnell an die Säule und<br />
befreite Jim erst einmal von dem Knebel. Sie wollte gerade hinter die Säule treten, um die<br />
Fesseln zu lösen, als in der Nähe lautes Brüllen und metallisches Rasseln zu hören war.<br />
Entsetzt keuchte Jim:<br />
„Haut ab! Weg! Verschwindet!“<br />
Kelly sah Jin und Miles an und rief:<br />
„Bringt euch in Sicherheit, los doch.“<br />
Die Beiden rührten sich nicht und Kelly schrie noch einmal:<br />
„Verschwindet!“<br />
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Frauke Feind<br />
Zögernd nur setzten sich die Männer in Bewegung. Schließlich wurden sie schneller<br />
und rannten in den Dschungel. Jim keuchte entsetzt:<br />
„Hau auch ab, Kelly, los! Wir müssen hier nicht beide krepieren!“<br />
Die junge Frau schüttelte den Kopf und blieb direkt vor ihm stehen, so dicht, dass er<br />
ihren Körper spürte. Und schon kam das, was sie als Monster bezeichneten, mit der Gewalt<br />
einer Dampflok aus den Büschen vor ihnen auf sie zu gewalzt. Jim schrie!<br />
************<br />
Ich hatte das Gefühl, die Fahrt dauere ewig. Langsam dämmerte es. Endlich stoppte<br />
Miles den Wagen in einem lichten Gebüsch und erklärte:<br />
„Von hier gehen wir zu Fuß.“<br />
Wir sprangen aus dem Auto und griffen uns die Gewehre. Miles ging voran. Er sagte:<br />
„Wir müssen leise sein, okay. Wir wollen sie schließlich überraschen.“<br />
Vorsichtig schlichen wir also durch den Dschungel. Plötzlich hörten wir vor uns in<br />
einiger Entfernung laute klassische Musik. Jin und Miles schwärmten zu den Seiten aus, ich<br />
schlich geradeaus weiter. Und dann sah ich vor mir eine Holzhütte auftauchen. Noch vor-<br />
sichtiger pirschte ich weiter und konnte schließlich um die Hütte herum schauen. Was ich zu<br />
Sehen bekam trieb mir sofort Tränen des Entsetzens in die Augen. Ein grauhaariger Mann trat<br />
gerade vor Jim hin, der an eine Steinsäule gefesselt hilflos dastand. <strong>Der</strong> Typ hielt ihm eine<br />
Zange vor die Nase und erklärte:<br />
„Das war Nummer eins. Neun haben wir noch nach, dass schaffe ich in einer Stunde.<br />
Du hättest es dir lieber doch vorher überlegen sollen.“<br />
Da die kleine Lichtung von hellen Scheinwerfern erhellt wurde, konnte ich selbst auf<br />
die Entfernung die panische Angst und Verzweiflung in Jims Augen erkennen. <strong>Der</strong> Typ ließ<br />
den ausgerissenen Nagel fallen und trat wieder hinter die Säule. Sekunden später begann Jim<br />
sich zu Winden vor Schmerzen. Grinsend schaute Oldham hinter der Säule hervor, um die<br />
Qualen seines hilflosen Opfers besser mit zu bekommen. Etwas in mir machte klick und ich<br />
riss ohne Zögern das Gewehr hoch. Kurz zielte ich, dann drückte ich ab und wusste, ich hatte<br />
den Typen direkt in den Kopf getroffen. Jim zuckte heftig zusammen, als sein Quälgeist<br />
plötzlich neben ihm zusammen brach. Sein Blick flackerte zu mir hinüber und ich sah Un-<br />
glauben und eine unermessliche Erleichterung in ihm.<br />
Schnell rannte ich zu Jim hinüber. Rechts und links kamen auch Jin und Miles aus<br />
dem Gebüsch gestolpert. Sie sicherten die Umgebung, während ich Jim den grässlichen<br />
Knebel, den man ihm in den Mund gestopft hatte, entfernte. Er keuchte vor Schmerzen und<br />
klapperte mit den Zähnen. Ich wollte hinter die Säule treten,<br />
um Jim zu befreien, als hinter uns im Dschungel plötzlich ein<br />
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Frauke Feind<br />
vertrautes, lautes Brüllen und Rasseln zu vernehmen war. Jim begann sofort zu brüllen, dass<br />
wir verschwinden sollten. Ich konnte ihm nur zustimmen und schrie Miles und Jin zu, dass sie<br />
sich in Sicherheit bringen sollten. Nach kurzem Zögern taten sie es. Jim keuchte noch einmal<br />
panisch:<br />
„Hau auch ab, Kelly, los! Wir müssen hier nicht beide krepieren!“<br />
Ruhig schüttelte ich den Kopf und stellte <strong>mich</strong> schützend vor ihn. Und schon stürmte<br />
das Rauchwesen auf die Lichtung und baute sich in Sekundenschnelle turmhoch vor mir auf.<br />
Es senkte sich langsam auf uns herab und Jim schrie entsetzt auf. Ich konnte spüren, wie er<br />
unwillkürlich an seinen Fesseln zerrte, obwohl er genau wusste, dass ihm das nicht helfen<br />
würde. Ich stand still da, eng an Jim gedrückt, und sah dem Rauch entgegen. Leise sagte ich:<br />
„Du wirst ihm nichts tun.“<br />
Ich konnte regelrecht spüren, wie der Rauch in meine Gedanken eindrang und <strong>mich</strong><br />
höhnisch zu fragen schien, warum er Jim nicht hier und jetzt zerreißen sollte. Verzweifelt<br />
sagte ich noch einmal:<br />
„Du hast mir nichts getan, du wirst auch ihm nichts tun!“<br />
Hinter mir war Jim still geworden. Ich wagte nicht, <strong>mich</strong> zu ihm herum zu drehen,<br />
spürte aber seinen rasenden Herzschlag an meinem Rücken und wusste so zumindest, dass er<br />
noch am Leben war. Und plötzlich ritt <strong>mich</strong> der Teufel. Laut und deutlich sagte ich:<br />
„Du wirst ihm jetzt augenblicklich seine Erinnerung wieder geben!“<br />
Ich war mir von einer Sekunde zur Anderen absolut sicher, dass dieses Etwas in<br />
direktem Zusammenhang mit den Gedächtnisverlusten stand.<br />
„Du willst etwas von uns. Also tue es!“<br />
Es hatte den Anschein, als würde der Rauch richtiggehend die Luft anhalten. Plötzlich<br />
brüllte das Wesen vor Wut ohrenbetäubend auf. Ich sah entsetzt, wie es sich auf Jim herab<br />
senkte, der wieder schrie, nun eindeutig vor Schmerzen. Panisch wirbelte ich herum. Hatte ich<br />
<strong>mich</strong> so geirrt? <strong>Der</strong> Rauch waberte um Jims Kopf herum und diesem schoss Blut aus der<br />
Nase. Dann verstummte er plötzlich und sackte in den Fesseln zusammen. Und im selben<br />
Moment brüllte der Rauch noch einmal auf, fuhr herum und verschwand so schnell, wie er<br />
gekommen war.<br />
Ich zögerte keine Sekunde mehr, sondern zog ein Messer aus dem Gürtel, das Miles<br />
mir zusätzlich zu den Waffen in die Hand gedrückt hatte und bückte <strong>mich</strong>. Mit einem<br />
schnellen Schnitt trennte ich das Seil, das Jims Beine an die Säule fesselte, durch. Nun beugte<br />
ich <strong>mich</strong> vor, stemmte meine rechte Schulter in Jims Körper und säbelte mit ausgestrecktem<br />
Arm auch das Seil an seinen Händen mühsam durch. Jim sackte in sich zusammen und ich<br />
ließ ihn so vorsichtig es mir möglich war zu Boden sinken. Hastig riss ich mir den Rucksack<br />
von den Schultern und setzte <strong>mich</strong> auf den Boden. Ich richtete Jim halb auf und lehnte ihn so<br />
an <strong>mich</strong>. Mit zitternden Fingern fummelte ich den Rucksack auf und zog Verbandsmull aus<br />
ihm heraus. Diesen presste ich fest an Jims heftig blutende Nase. Hinter mir hörte ich<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Rascheln im Gebüsch und kurze Zeit später traten Jin und Miles verstört auf die Lichtung.<br />
Neben uns blieben sie stehen.<br />
„Was ist passiert?“, keuchte Miles entsetzt.<br />
„<strong>Der</strong> Rauch hat Jim angegriffen.“, erklärte ich kurz angebunden.<br />
Jetzt zu erklären, was los gewesen war, führte zu weit.<br />
„Könnt ihr den Wagen her holen? Wir müssen ihn hier schnellstens weg schaffen.“<br />
Ich wollte die Beiden einfach eine Weile los werden. Jin nickte.<br />
„Natürlich.“<br />
Schon rannten sie los in den Dschungel. Ich wandte <strong>mich</strong> wieder Jim zu, der immer<br />
noch heftig aus der Nase blutete. Er kam langsam wieder zu sich und ich hatte Angst. Angst<br />
davor, was der Rauch verursacht hatte. Ich hielt Jim fest in meinen Armen, als er stöhnend in<br />
die Höhe schießen wollte.<br />
„Psst, bleib ganz ruhig liegen, Jim. Es ist vorbei.“, sagte ich liebevoll.<br />
Er stöhnte erneut auf und griff sich an den Kopf.<br />
„Mein Schädel ...“<br />
Mit einer Hand angelte ich nach der Wasserflasche in meinem Rucksack und fischte<br />
ein weiteres Stück Verbandmull hervor. Dieses tränkte ich mit Wasser und legte es Jim auf<br />
die Stirn.<br />
Er hustete gequält, da ihm vermutlich Blut den Rachen hinunter lief und versuchte<br />
wieder, sich aufzurichten. Ich hielt ihn sanft fest und wiederholte leise:<br />
„Du musst liegen bleiben, Jim, du hast sehr heftiges Nasenbluten. Dir passiert nichts<br />
mehr, okay, Oldham ist tot. <strong>Der</strong> Rauch ist weg. Du bist in Sicherheit.“<br />
Ganz langsam und vorsichtig öffnete er die Augen. Ich hatte das Gefühl, die Blutung<br />
aus seiner Nase wurde weniger und atmete erleichtert auf. Mit einem Ächzen schloss Jim die<br />
Augen wieder, scheinbar verursachte das helle Scheinwerferlicht Explosionen in seinem<br />
malträtierten Schädel. Aber ich spürte, dass er sich langsam entspannte. Als er nach einigen<br />
Minuten die Augen erneut öffnete, gelang es ihm besser, sie offen zu halten. Und jetzt war ich<br />
auch sicher, dass die Blutung nachließ. Jim sah zu mir auf und sein Blick traf auf mein Ge-<br />
sicht. Plötzlich sagte er leise und vollkommen verwirrt:<br />
„Kelly ...“<br />
In einem Tonfall, der keine Fragen mehr offen ließ. Vor Freude und Erleichterung<br />
kullerten mir Tränen über die Wangen. Jim starrte <strong>mich</strong> fassungslos an. Mühsam fragte er:<br />
„Wieso ... kann ich <strong>mich</strong> plötzlich wieder ... erinnern ...“<br />
Er war noch zu verwirrt, um überhaupt etwas zu begreifen. Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Später, okay, erhole dich erst mal.“<br />
Das Nasenbluten hatte ganz aufgehört, aber ich ließ Jim nicht los. Zu schön war es, ihn<br />
nach so langer Zeit wieder im Arm zu halten. Wäre um uns herum die Insel explodiert, in<br />
diesem Augenblick wäre ich glücklich gestorben!<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim rührte sich nicht, auch er schien das Gefühl, von mir gehalten zu werden sehr zu<br />
genießen. Schließlich aber richtete er sich langsam auf. Sein Gesicht verzog sich vor<br />
Schmerzen und er ächzte:<br />
„Ich hab ne Birne als hätt ich drei Tage durchgesoffen.“<br />
Ich lachte unter Tränen.<br />
„Hast du nicht, keine Sorge.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> an und endlich schien es in seinem Hirn wirklich klick zu machen. Noch<br />
einmal stieß er:<br />
„Kelly ...“, hervor und dann riss er <strong>mich</strong> an sich, so heftig und unerwartet, dass ich<br />
richtig erschrak.<br />
Er hielt <strong>mich</strong> fest und ich umklammerte ihn, als wäre er das Einzige, was <strong>mich</strong> von<br />
einem Sturz in den Tod abhalten würde. Sanft drückte er meinen Kopf ein wenig von sich<br />
weg und seine Lippen küssten meine Augen, meine Wangen, meine Lippen. Wieder und<br />
wieder, sanft und zärtlich, küsste er <strong>mich</strong>. Und ich heulte wie ein Schlosshund. Aber schließ-<br />
lich beruhigte ich <strong>mich</strong> und konnte seine zärtlichen Küssen endlich erwidern. Wir lösten uns<br />
erst von einander, als ein Auto durch das Gebüsch rechts von uns brach. Erschrocken zuckten<br />
wir im Gleichtakt herum, ich riss das achtlos hingeworfene Gewehr hoch, aber es waren nur<br />
Jin und Miles, die wieder zu uns stießen. Als sie uns eng umschlungen am Boden hocken<br />
sahen, weiteten sich ihre Augen verblüfft. Ich stemmte <strong>mich</strong> auf die Füße und zog Jim vor-<br />
sichtig ebenfalls hoch. Schnell bückte ich <strong>mich</strong> und sammelte Gewehr, Rucksack und Wasser<br />
auf.<br />
„Lasst uns hier verschwinden. Wenn Oldham nichts von sich hören lässt, kommen be-<br />
stimmt bald welche von der Initiative nach dem Rechten gucken.“, sagte ich besorgt.<br />
Arm in Arm traten Jim und ich an den Wagen heran und ließen uns auf die Rückbank<br />
sinken. Jin, der am Steuer saß, fragte:<br />
er:<br />
„Wohin?“<br />
Jim hatte sich an <strong>mich</strong> gelehnt und die Augen geschlossen. Vollkommen erledigt sagte<br />
„Zur Caldera ... Da werden sie uns nicht suchen.“<br />
Miles nickte Jin zu.<br />
„Lafleur hat Recht. Los.“<br />
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, bat ich Jim:<br />
„Zeig mal deine Hand, Schatz, ich muss deine Finger verbinden. Das blutet zu stark.“<br />
Müde machte Jim sich gerade und hielt mir seine Linke hin. Sein kleiner Finger blutete noch<br />
immer heftig, die Fingerspitzen waren eine gut durchblutete Region. Ich biss mir auf die<br />
Lippe und musste gegen den Hass ankämpfen, der in mir hoch kam. Ich fischte Verbands-<br />
material aus dem Rucksack und reinigte die kleine Wunde gründlich, was Jim erneut Schweiß<br />
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Frauke Feind<br />
aus den Poren trieb. Er stöhnte leise auf. Schnell legte ich eine Schicht Verbandsmull auf und<br />
umwickelte seinen Finger mit Binde. Erleichtert atmete Jim auf und ich bat ihn: „Die andere<br />
Hand auch, okay.“ Zitterig vor Erschöpfung hielt Jim mir also auch die andere Hand hin und<br />
ich sah sofort, dass ich den Nagel ganz würde entfernen müssen. Voller Mitleid sah ich Jim an<br />
und dieser nickte ergeben. Er verstand, was der Blick bedeutete. Unendlich müde schloss er<br />
resigniert die Augen.<br />
„Miles, habt ihr eine Zange bei euch?“, wandte ich <strong>mich</strong> an die Freunde.<br />
Jin nickte.<br />
„Ich habe, Moment.“<br />
Er griff in seine Hosentasche und fischte ein Leatherman heraus, das er mir reichte.<br />
„Kannst du kurz anhalten?“, bat ich ihn und der Koreaner stoppt den Wagen.<br />
anschaute.<br />
Miles und Jin schauten angestrengt aus dem Fenster, während Jim <strong>mich</strong> verzweifelt<br />
„Es tut mir so leid, aber der ist schon zu weit raus, das können wir nicht so lassen.“<br />
Ergeben seufzte Jim und lehnte sich zurück. Er schloss die Augen. Ich öffnete das Multitool<br />
und klappte die kleine Zange auf. Sanft griff ich nach Jims heftig zitternder Hand und setzte<br />
die Zange an dem schon halb ausgerissenen Fingernagel an. Ich schloss selbst kurz die<br />
Augen, dann begann ich entschlossen, so schnell es ging zu ziehen. Jim wimmerte und<br />
keuchte auf vor Schmerzen, seine Linke klammerte sich unwillkürlich an mir fest. Seine<br />
Zähne knirschten aufeinander. Schnell jedoch hatte er es hinter sich. Fix und fertig sackte er<br />
in sich zusammen. Ich legte nun auch hier einen festen Verband an und wir fuhren weiter. Als<br />
ich fertig war, rückte ich ganz an die Tür und zog Jim in eine liegende Position. Sein Kopf<br />
kam auf meinem Schoss zur Ruhe und trotz allem war ich einfach glücklich, ihn wieder zu<br />
haben.<br />
************<br />
29) Daniels Plan<br />
Im Dorf herrschte Aufruhr. Dass jemand Jim befreit hatte, sprach sich wie ein Lauf-<br />
feuer herum. Als Oldham sich nicht gemeldet hatte, waren Radzinsky und Phil zu seiner Be-<br />
hausung zurück gefahren und hatten den Folterer erschossen aufgefunden. Lafleur war ver-<br />
schwunden. Und schnell stellte sich heraus, dass nicht nur Lafleur, sondern auch Kelly, Miles<br />
und Jin verschwunden waren. Miles und Jin waren keine allzu große <strong>Über</strong>raschung, immerhin<br />
waren sie und Lafleur fest befreundet. Aber Kellys Verschwinden warf Fragen auf. Horace<br />
vermutete:<br />
„Sie werden sie gewaltsam gezwungen haben, mit zu kommen.“<br />
Phil widersprach heftig.<br />
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Frauke Feind<br />
„Niemals, die kleine Bitch ist doch verschossen in unseren Helden! Die wird garantiert<br />
mit fliegenden Haaren zu ihm geeilt sein.“<br />
Hasserfüllt fasste Phil sich bei dem Gedanken an Kelly unwillkürlich zwischen die<br />
Beine. Horace überlegte.<br />
„Du könntest Recht haben, sie war ... Verdammter Mist! Wenn die alle zu Alpert sind,<br />
müssen wir uns auf einen <strong>Angriff</strong> vorbereiten. Ich will jeden Mann und jede Frau in Bereit-<br />
schaft haben, verstanden? Informiert die Stationen. Ausgangsverbot für alle, die nicht zur<br />
Security gehören. Bird soll die Galaga startklar machen, wir brauchen dringend Ersatz für<br />
Kelly und Juliet. Und stellt die Suche ein, dass bringt nichts mehr, die haben einen Wagen, sie<br />
werden über alle Berge sein und wenn jemand auf der Insel nicht gefunden werden will, der<br />
sich hier so gut auskennt wie Jim, Miles und Jin, wird er auch nicht gefunden.“<br />
Jack und Hurley hatten die ganze Aufregung ungemein erleichtert beobachtet. Zu<br />
wissen, dass die Freunde in Sicherheit waren, war ein gutes Gefühl. Die Beiden verhielten<br />
sich unauffällig und gingen ihrer Arbeit nach. Drei Tage verstrichen auf diese Weise. Am<br />
Abend des dritten Tages erschien erneut Daniel bei den Beiden am Haus.<br />
„Hallo, Jack. Hast du einen Moment Zeit?“, fragte er und Jack nickte.<br />
„Ich habe schon auf deinen Besuch gewartet.“<br />
Er bat Daniel herein und sie setzten sich zu Hurley ins Wohnzimmer.<br />
„Hallo, Hugo.“<br />
Hurley nickte Daniel zu.<br />
„Dan.“<br />
Daniel sah Jack und Hugo an. Nervös sagte er:<br />
„Ich bin hier, um euch etwas zu erzählen. Ich habe die letzten drei Jahre in Ann Abor<br />
verbracht. Ich habe versucht, mehr über die Zeitsprünge und die elektromagnetische Energie<br />
der Insel herauszufinden. Die Zeitreisen werden durch diese erst möglich. Ich bin zur Arbeit<br />
am Swan eingeteilt worden und dort finden derzeit unter Aufsicht Stuart Radzinskys<br />
Bohrungen zu dieser Energiequelle statt. Ich bin sicher, dass diese Bohrungen und das Auf-<br />
spüren der Energie zu einem Unfall führen werden, der die DHARMA Initiative zwingt, die<br />
Swan Station umzubauen und mit dem Mechanismus auszustatten, der später unter Anderem<br />
von Desmond bedient wird, um weitere Ausbrüche der elektromagnetischen Energie zu ver-<br />
hindern.“ Hurley unterbrach Daniel.<br />
„Du meinst das Eintippen der Zahlen?“<br />
Dan nickte.<br />
„Genau das. Und erst das führt zu dem Absturz eurer Maschine.“<br />
Er machte eine kleine Pause, um seine Worte sacken zu lassen. Aufgeregt fuhr er fort:<br />
„Während unserer Zeitsprünge hier auf der Insel sind wir unter Anderem in 1954 ge-<br />
landet. Wir wurden von den ‟Anderen‟ gefangen und meine Mutter führte <strong>mich</strong> zu einer von<br />
US Militärs zurückgelassenen Wasserstoff-Bombe. Sie verlangten von mir, dass ich diese<br />
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Frauke Feind<br />
entschärfen sollte. Die Bombe war jedoch beschädigt und radioaktives Material drang nach<br />
außen. Ich empfahl, diese Bombe tief in der Erde zu deponieren und einzubetonieren. Da die<br />
Insel 2007 noch existiert, werden sie sich wohl an meinen Rat gehalten haben. Nun zu<br />
meinem Plan. Wenn es uns gelingen würde, die Bombe, oder vielmehr den Zünder der Bombe<br />
zum Swan zu schaffen und in das Bohrloch zu versenken, sollte die Explosion im Stande sein,<br />
die Energiequelle zu zerstören und alle aus dem noch erfolgenden Unfall resultierenden Er-<br />
eignisse zu verhindern.“<br />
************<br />
Jim lag mit dem Kopf auf meinem Schoss und war eingeschlafen vor Erschöpfung. Ich<br />
ließ meine Finger immer wieder sanft durch seine Haare gleiten und hielt ihn mit der anderen<br />
Hand fest. Gegen Mitternacht sagte Jin:<br />
„Wir sind gleich da. Wir sollten Jim wecken, er muss uns sagen, wo er hin wollte.“<br />
Miles schüttelte den Kopf.<br />
„Lass ihn schlafen, er hat es sich verdient. Fahr nach links, da gibt es irgendwann<br />
einen Durchgang in die Caldera hinein. Jim hat ihn mir mal gezeigt. Er liegt versteckt und Jim<br />
hat ihn nur zufällig entdeckt, als er die Gegend kontrolliert hat. In der DHARMA Initiative<br />
weiß keiner von dem Durchgang. Jim hat es in weiser Voraussicht niemandem erzählt. Wir<br />
sollten dort sicher sein.“<br />
Jin nickte.<br />
„Gut, dann bring uns da hin.“<br />
Er fuhr wieder an und knappe zwanzig Minuten später sagte Miles:<br />
„Halt, hier muss es sein. Dort vorne, siehst du?“<br />
Er deutete auf ein dichtes Gebüsch.<br />
„Dahinter ist es.“<br />
Jin hielt den Wagen an und Miles stapfte im Licht der Scheinwerfer zu dem Gebüsch<br />
herüber. Er bog es in der Mitte auseinander und ein Durchgang, breit genug für den kleinen<br />
Geländewagen, tat sich auf. Vorsichtig steuerte Jin den Wagen hindurch und auf der anderen<br />
Seite konnten wir schließlich im Schutz einiger Felsen anhalten. Miles folgte uns und sagte:<br />
„So, jetzt kannst du ihn wecken, Kelly.“<br />
Er und Jin machten sich an der kleinen Ladeluke des Geländewagens zu schaffen und<br />
ich beugte <strong>mich</strong> über Jim. Zärtlich streichelte ich ihm über das zerschlagene Gesicht. Dabei<br />
flüsterte ich:<br />
„Jim, wach auf, Honey, wir sind da.“<br />
Jim zuckte zusammen und fuhr erschrocken hoch.<br />
„Was?“<br />
Ich beruhigte ihn.<br />
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Frauke Feind<br />
„Keine Aufregung, wir sind im Krater. Komm, draußen ist es bequemer für dich.“<br />
Mühsam rappelte Jim sich auf. Steif turnte er aus dem Wagen und ich folgte ihm. Leicht<br />
schwankend stand Jim da und sah abwesend in den Dschungel. Jin und Miles hatten in-<br />
zwischen Schlafsäcke und Decken aus dem winzigen Ladefach gezogen und diese auf dem<br />
Boden ausgebreitet. Ich zog Jim sanft zu einem der Schlafsäcke und sagte liebevoll:<br />
„Komm, leg dich hin, du brauchst unbedingt Ruhe.“<br />
Langsam ließ er sich zu Boden sinken und streckte sich stöhnend auf einem der<br />
Schlafsäcke aus. Er sah <strong>mich</strong> an und ich nickte. Ich schob den zweiten Schlafsack eng an ihn<br />
heran und legte <strong>mich</strong> neben ihn. Wir stopften uns eine zusammengerollte Decke als Kissen<br />
unter die Köpfe, breiteten eine weitere Decke über uns und dann rollte Jim sich zu mir herum.<br />
Er kuschelte sich so eng es ging an <strong>mich</strong> und war Sekunden später bereits wieder ein-<br />
geschlafen.<br />
Wir verbrachten eine halbwegs bequeme Nacht und wachten erst auf, als es schon hell<br />
war. Jim rührte sich nicht, er schlief wie ein Toter. Ich machte <strong>mich</strong> sehr vorsichtig von ihm<br />
los und stand auf. Jin reichte mir eine Wasserflasche und ich nahm einen tiefen Schluck.<br />
Unsere Blicke wanderten wie abgesprochen zu Jim hinüber und Miles sagte hasserfüllt:<br />
„Was sind das nur für Schweine! Und bei so was haben wir drei Jahre lang gelebt.<br />
Was haben sie ihm nur angetan.“<br />
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Jetzt, im hellen Licht der Sonne, sah man die<br />
Misshandlungsspuren in Jims Gesicht und die Spuren von Tritten und Schlägen sowie die<br />
Brandmarken von dem Taser überall auf seinem Oberkörper mit grausamer Deutlichkeit.<br />
„Wir werden ein paar Tage hier bleiben müssen, bis er wieder einigermaßen fit ist.“, meinte<br />
Jin.<br />
Ich nickte.<br />
aufzutreiben?“<br />
„Zwei, drei Tage bestimmt. Würdet ihr wohl versuchen, etwas zu Essen und Wasser<br />
Miles und Jin nickten.<br />
„Hatten wir ohnehin vor.“, erklärte Miles.<br />
Sie ließen mir Waffen, Wasser und die Tasche mit dem Verbandsmaterial da und<br />
machten sich mit dem Wagen auf den Weg.<br />
Als sie verschwunden waren, kniete ich <strong>mich</strong> neben Jim und seufzte. Er hatte sich auf<br />
den Rücken gerollt und von der Decke frei gestrampelt, es war warm genug. Ich legte ihm<br />
sanft eine Hand auf die Stirn und atmete erleichtert auf. Sie war nicht heiß, also hatte er wohl<br />
kein Fieber. Allerdings zuckte er unter meiner Berührung zusammen und fuhr mit einem<br />
keuchenden Aufschrei in die Höhe. Panisch sah er sich um. Schließlich fiel sein Blick auf<br />
<strong>mich</strong> und er seufzte erleichtert auf. Langsam ließ er sich wieder in die Waagerechte sinken<br />
und stöhnte leise.<br />
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Frauke Feind<br />
„Oh, man, mir tut alles weh. Diese elenden Schweine.“<br />
Er hielt mir seine Rechte hin und ich griff vorsichtig danach. Lange sah er <strong>mich</strong><br />
schweigend an. Leise meinte er endlich:<br />
„Ich kapier das alles nicht. Was ... Ich meine, du bist schon solange im Dorf gewesen,<br />
warum hab ich <strong>mich</strong> nicht an dich erinnert? Und Jack, Kate, Hurley, Sayid ... Die auch nicht.“<br />
Ich strich ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn und sagte:<br />
„Du solltest dich erst mal ausruhen, du hast es bitter nötig. <strong>Über</strong> all das können wir<br />
später reden, wenn es dir besser geht.“<br />
Gedankenverloren schaute er <strong>mich</strong> an und nickte.<br />
„Ist wohl besser, ich schnall sowieso nichts im Moment.“<br />
Er lag einige Minuten still, doch plötzlich schoss er hoch.<br />
„Was ist mit Juliet?“, fragte er erschrocken.<br />
Ich lächelte.<br />
„Keine Sorge, sie ist in Sicherheit. Sie haben sie nach Tahiti geschafft. Sie hat dort die<br />
Galaga verlassen und ...“<br />
sein!“<br />
„Sie ist weg von der Insel?“, hakte Jim nach.<br />
„Ja, Schatz, das ist sie. Sie ist in Sicherheit und wird leben.“<br />
„Gott, ich danke dir.“, seufzte Jim unendlich erleichtert.<br />
Betroffen sah er <strong>mich</strong> an.<br />
„Du hast dich erinnert, richtig?“<br />
Ich nickte.<br />
zu können ...“<br />
„Kelly ... Das muss ... Verfluchte Scheiße, dass muss die Hölle für dich gewesen<br />
Ich nickte langsam.<br />
„Das war es, ja. Dich Tag für Tag zu sehen, dir so nahe zu sein und doch nicht zu dir<br />
„Darum hast du im Fieber immer wieder Jim gesagt. Ich versteh nicht, wieso ich das<br />
nicht kapiert hab.“<br />
gelöscht.“<br />
Bestürzt sah er <strong>mich</strong> an.<br />
„Kelly, ich ...“<br />
Ich legte ihm zärtlich einen Finger auf die geschwollenen Lippen.<br />
„Psst, vergiss es. Das ist nicht deine Schuld.“, sagte ich liebevoll.<br />
„Es fühlt sich aber genauso an!“, stieß Jim heftig hervor.<br />
Unglücklich sah er <strong>mich</strong> an.<br />
„Nein, da kannst du nichts für, ihr alle nicht. Etwas hat euch die Erinnerung aus-<br />
Zögernd erwiderte er:<br />
„<strong>Der</strong> Rauch ...“<br />
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Ich nickte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Dieses Ding hat zumindest etwas damit zu tun.“<br />
Egal, wie kaputt er auch war, fing er doch an, zu überlegen.<br />
„Das Letzte, an das ich <strong>mich</strong> erinnere, bevor wir in der DHARMA Initiative waren,<br />
ist, dass du ... verschwunden warst. Dass du allein los bist, in die Höhle, zu dem verdammten<br />
Rad. Ich hab es viel zu spät gemerkt, bin dir nach. Aber ich hab dich nicht mehr eingeholt. Ich<br />
hab nur noch ein grelles Licht gesehen und dann ...“<br />
Er fasste sich an die Stirn und seufzte gequält.<br />
„Dann waren wir im Dorf.“<br />
Ich nickte. Im Kopf hallte mir Jims verzweifelter Schrei nach.<br />
„Ja, ich bin im Dschungel aufgewacht, tagelang herum geirrt und irgendwann zu-<br />
sammen gebrochen. Da hast du <strong>mich</strong> dann gefunden.“<br />
Jims Griff an meiner Hand wurde fester und er sagte leise:<br />
„Als mir klar wurde, dass ich es nicht mehr schaffen würde, dich aufzuhalten, dachte<br />
ich, ich dreh durch.“<br />
Er übte sanften Zug auf meinen Arm aus und ich ließ <strong>mich</strong> nur zu gerne neben ihn<br />
ziehen. Ganz sanft und vorsichtig küsste ich seine geschwollenen Lippen, aber er zog <strong>mich</strong><br />
fester an sich und nahm keine Rücksicht darauf, dass ihm vermutlich alles wehtat. Wir<br />
konnten uns minutenlang nicht von einander lösen.<br />
Schließlich fielen Jim aber die Augen wieder zu und ich kuschelte <strong>mich</strong> eng an ihn.<br />
Nach einigen Minuten verrieten mir seine ruhigen Atemzüge, dass er wieder eingeschlafen<br />
war. Ich überlegte ernsthaft, <strong>mich</strong> ein wenig umzusehen, aber das hätte bedeutet, Jim alleine<br />
zu lassen und dazu war ich nicht fähig. Schon <strong>mich</strong> vorsichtig aus seinen Armen zu lösen<br />
forderte mir alle Selbstüberwindung ab, derer ich im Augenblick fähig war. Langsam stand<br />
ich auf und überlegte, was ich tun konnte, während er schlief. Und ich dachte daran, wie es<br />
weiter gehen sollte. <strong>Der</strong> Zeitablauf war anders als sonst, aber irgendwann musste es zu dem<br />
Ereignis kommen, dass wir verhindern sollten. Dass Daniel inzwischen wieder eingetroffen<br />
war, hatte ich nicht mit bekommen. So wusste ich nichts davon, dass er und Jack bereits dabei<br />
waren, Pläne zu Schmieden. Vielleicht war es das Beste, zu Richard und seinen Leuten zu<br />
gehen, denn dort würde Daniel über kurz oder lang auftauchen müssen. Wollte er den Zünder<br />
der Bombe haben, musste er dort erscheinen. Ob Kate und Sayid bei den ‟Anderen‟ an-<br />
gekommen waren, wussten wir auch nicht. Es war durchaus möglich, dass sie sich dagegen<br />
entschieden hatten und irgendwo im Wald campierten. Immerhin waren sie in die Gescheh-<br />
nisse ebenfalls voll involviert. Wenn die Erinnerungen bei ihnen nicht auch irgendwie<br />
zurückkehrten, hatten Jim und ich das zusätzliche Problem, sie davon überzeugen zu müssen,<br />
von ihrem Plan abzulassen. Alles in allem keine schönen Aussichten für die nahe Zukunft.<br />
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Frauke Feind<br />
Jim schlief eine ganze Weile, was ich sehr begrüßte. Jin und Miles kamen gegen Mit-<br />
tag zurück und hatten jede Menge Früchte und Wasser bei sich. Jim wachte auf, als sie in<br />
unser provisorisches Camp gefahren kamen. Mühsam kam er auf die Beine. Auf seinem<br />
gesamten Oberkörper zeichneten sich neben Blutergüssen durch die eingesteckten Schläge<br />
deutlich kleine Brandmale ab, die von dem Taser herrührten, mit dem Oldham ihn gefoltert<br />
hatte. Ich spürte erneut Wellen von Hass in mir und war dankbar dafür, dass ich den Drecks-<br />
kerl hatte töten können. Jim spürte meinen Blick und sagte:<br />
„Halb so wild, das ist schon vergessen.“<br />
Er sah Jin und Miles ernst an und sagte mit belegter Stimme:<br />
„Ich hab noch keine Gelegenheit gehabt, euch vernünftig dafür zu danken, dass ihr mir<br />
geholfen habt. Ihr habt dafür beide euer Leben im Dorf aufgegeben. Dank. Danke, dass ihr<br />
<strong>mich</strong> da raus geholt habt.“<br />
Verlegen grinste Miles.<br />
„Na, Kelly hätte <strong>mich</strong> kastriert wenn ich nein gesagt hätte.“<br />
Ich grinste.<br />
„In kleine Streifen hätte ich dich geschnitten.“, sagte ich überzeugt.<br />
Jin schüttelte den Kopf.<br />
„Das war doch selbstverständlich. Wir konnten ja sonst nicht viel machen.“<br />
Wir setzten uns auf den Boden und ich fragte Jim:<br />
„Wie fühlst du dich?“<br />
Er lachte sarkastisch.<br />
„Na, wie schon. Als wäre ich stundenlang gefoltert worden?“<br />
Er sah mein Erschrecken und meinte beruhigend:<br />
„Mach dir keine Sorgen, es geht schon besser. Die Finger tun weh, aber alles andere<br />
ist soweit in Ordnung.“<br />
Wir machten zwei Tage Pause im Krater, Tage, in denen Jim sich schnell erholte. Jin<br />
und Miles ließen uns viel alleine, sie untersuchten die Caldera gründlich, kontrollierten die<br />
Umgebung und gaben Jim und mir Gelegenheit, alleine zu sein. Zeit, die wir dringend<br />
brauchten und Zeit, die wir nutzten. Viel reden taten wir nicht. Es reichte uns einfach, zu-<br />
sammen zu sein. Den ersten Tag verbrachte Jim überwiegend in der Waagerechten, am späten<br />
Vormittag des zweiten Tages zog er <strong>mich</strong> mit sich, tiefer in die Caldera hinein. Er zeigte mir<br />
eine Stelle, von der aus man die ganze riesige Senke überblicken konnte. Es war ein traumhaft<br />
schöner Anblick. Ich drängte <strong>mich</strong> eng an seinen Körper und sagte leise:<br />
beinhalten?“<br />
„Wie kann etwas so wunderschönes nur gleichzeitig etwas so Grausames und Brutales<br />
Jim zuckte die Schultern.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich glaub, gut und böse liegen immer so eng nebeneinander, es ist nur nicht überall so<br />
offensichtlich zu spüren. Komm, ich zeig dir noch was.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> mit sich und vielleicht eine Stunde später, in der wir beständig dem Rand<br />
des Kessels talwärts gefolgt waren, lag plötzlich ein kleiner See vor uns. Ich sagte über-<br />
wältigt:<br />
„Bist du ein Wasserdetektor oder wieso findest du hier immer die schönsten Seen?“<br />
Jim lachte. Das erste Mal überhaupt, seit wir ihn befreit hatten. Er zog <strong>mich</strong> an sich,<br />
sah mir ins Gesicht und sagte todernst:<br />
„Ich bin gerne sauber, weißt du, darum finde ich jede Bademöglichkeit.“<br />
Ganz langsam fing er an, meine Bluse aufzuknöpfen und streifte sie mir schließlich<br />
über die Schultern. Lächelnd griff er um <strong>mich</strong> herum und fummelte am Verschluss meines<br />
BHs herum, bis er auch diesen geöffnet hatte. Sekunden später lag er neben der Bluse im<br />
Gras. Jims Hände glitten streichelnd über meinen Oberkörper und ich wagte nicht, <strong>mich</strong> zu<br />
rühren, aus Angst, er würde aufhören. Meine eigenen Hände glitten über seinen Rücken,<br />
spürten seine warme, weiche Haut, die Gänsehaut, die sich auf ihr unter meinen Händen<br />
bildete. Ich ließ meine Hände nach vorne gleiten und öffnete langsam Jims Jeans. Als ich es<br />
geschafft hatte, streifte ich diese über seine Hüften nach unten. Bei dieser Gelegenheit ver-<br />
schwand auch gleich sein Boxershort. Offensichtlich hielt Jim dies für eine gute Idee, denn er<br />
machte mit meiner Jeans das Gleiche. Umständlich befreiten wir uns selbst nun noch von<br />
unseren Schuhen und Strümpfen. Dann nahm Jim <strong>mich</strong> an der Hand und zog <strong>mich</strong> Richtung<br />
Wasser.<br />
<strong>Der</strong> See war erstaunlich kalt und ich zuckte zusammen, als das Wasser Sekunden<br />
später über mir zusammen schlug. Lachend und zähneklappernd kam ich wieder an die Ober-<br />
fläche. Jim tauchte neben mir auf und schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht. Die<br />
Schwellungen gingen langsam zurück und durch das Wasser lösten sich nun Verkrustungen,<br />
die sich über den Platz- und Schürfwunden gebildet hatten. Ich schwamm zu ihm und schlang<br />
meine Arme seufzend um seinen Hals. Wir küssten uns und unsere Hände strichen über<br />
unsere Körper, rieben Schmutz, Schweiß und alles fort, was uns belastete. So kam es mir<br />
jedenfalls vor. Als ich vor Kälte anfing zu zittern, zog Jim <strong>mich</strong> zurück zum Ufer. Er nahm<br />
<strong>mich</strong> auf den Arm und trug <strong>mich</strong> auf den Grasstreifen, der den See umgab. Vorsichtig ließ er<br />
sich mit mir auf den Boden sinken und plötzlich lagen wir eng umschlungen da, küssten uns<br />
wie Ertrinkende. Fast schien es, als würde uns erst jetzt bewusst, dass wir einander wieder<br />
hatten. Ich seufzte:<br />
„Gott, ich habe dich so sehr vermisst ...“<br />
Jims Gesichtsausdruck wurde traurig und er sagte leise:<br />
„Ich hab ein derart schlechtes Gewissen ...“<br />
Ich verschloss ihm die Lippen mit einem weiteren Kuss und sagte ärgerlich:<br />
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stehst du?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Nun hör schon auf damit, dir die Schuld zu geben. Du kannst nichts dafür, Jim, ver-<br />
Um ihm klar zu machen, dass ich ihm keinen Vorwurf machte, ließ ich meine Lippen<br />
langsam an seinem nassen Körper herab gleiten. Ich spielte kurz mit seinen Brustwarzen und<br />
rutschte tiefer und tiefer. Jim lag still da und hielt die Luft an, als ich schließlich das Ziel<br />
seiner Wünsche erreicht hatte. Erregt stöhnte er auf. Ich ließ meine Zunge sanfte Kreise<br />
ziehen und Jim wand sich im Gras. Zwischen meinen Beinen pulsierte die Erregung und<br />
schließlich ließ ich <strong>mich</strong> langsam und sinnlich auf ihn gleiten. Jim bäumte sich mir entgegen<br />
und keuchte. Unsere Bewegungen wurden schneller und kurz vor dem Höhepunkt ließ ich<br />
<strong>mich</strong> nach vorne auf seinen Körper sinken. Für einen Moment waren wir im Himmel, ver-<br />
gaßen, wo wir wirklich waren, was bereits geschehen war, und vor allem, was noch ge-<br />
schehen würde. Wir hatten bisher so wenig Gelegenheit gehabt, uns unsere Liebe zueinander<br />
auch körperlich zu zeigen und wie es aussah, würde es auch in Zukunft auf gestohlene<br />
Momente hinauslaufen.<br />
Später lagen wir halb aufeinander im Gras und genossen die Nähe des Anderen. Ich<br />
beugte <strong>mich</strong> ein wenig über Jim, küsste zart seine geschlossenen Augen, seine Wangen, seine<br />
Lippen und flüsterte:<br />
„Du ahnst nicht, wie sehr ich dich liebe. Ich würde ohne zu Zögern für dich sterben.“<br />
Jim öffnete die Augen und ich sah, dass sie feucht schimmerten.<br />
„Das würde ich für dich auch. Ich hab nur ein schlechtes Gewissen wegen Jules.“<br />
Das konnte ich sogar verstehen. Sie hatte mir unendlich leid getan, wusste ich doch<br />
nur zu genau, wie sie sich gefühlt haben musste, als man sie brutal von Jim weg riss. Ich<br />
seufzte.<br />
„Jim, das kann ich verstehen, wirklich. Ich mag sie sehr. Auch, wenn ich sie ab und zu<br />
zum Mond gewünscht habe. Du hast keine Vorstellung, wie schwer es war, euch zu be-<br />
obachten.“<br />
Ich konnte jetzt darüber lachen.<br />
„Sie muss durch die Hölle gegangen sein. Aber Juliet ist eine ungemein starke Persön-<br />
lichkeit, sie wird es schaffen.“<br />
Jim nickte langsam.<br />
„Ich denke auch. Ich bin ein schrecklicher Mensch, aber ich bin einfach nur unendlich<br />
dankbar, dass ich dich wieder hab. Weder Juliet noch Kate noch irgendwer sonst kann dich<br />
ersetzen. Ich werd dich nie wieder weg lassen.“<br />
Ich blieb noch einen Moment an ihn geschmiegt liegen. Schließlich erklärte ich:<br />
„Ich würde gerne die Verbände von deinen Fingern entfernen. So etwas heilt am<br />
besten an der Luft. Jetzt sind sie nass und durchgeweicht, ich sollte sie gut abbekommen.“<br />
„Okay, Doc, dann mal los.“, meinte Jim und hielt mir liegend seine Rechte hin.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich wickelte den nassen Verband ab und merkte, dass Jim sich verkrampfte. Zu frisch<br />
war die Erinnerung an den Schmerz noch, als dass er ganz locker hätte bleiben können.<br />
„Ich bin ganz vorsichtig, das verspreche ich dir.“, sagte ich beruhigend.<br />
Er lachte etwas verkniffen.<br />
„Versprochen?“<br />
„Absolut.“<br />
Ganz vorsichtig hob ich die Wundauflage an. Ich hatte Recht gehabt, sie war durch-<br />
weicht und hatte die Kruste, die sich über der kleinen Wunde gebildete hatte, ebenfalls auf-<br />
geweicht. Ganz langsam und behutsam entfernte ich die Auflage und Jim atmete unwillkür-<br />
lich erleichtert auf, als sie ganz herunter war. Nun machte ich gleich an der anderen Hand<br />
weiter. Hier ziepte es ein wenig, einige Fasern lösten sich nicht sofort. Aber schließlich war<br />
auch der Verband ganz ab. Ich sah mir die Finger an und nickte zufrieden.<br />
„Es wird noch einige Tage wehtun, aber dann wird die Haut verhärten und unempfind-<br />
lich werden.“, erklärte ich.<br />
„Du bist der Doc, Doc.“, schmunzelte Jim und zog <strong>mich</strong> wieder an sich.<br />
************<br />
Jack und Hurley sahen Daniel bestürzt an.<br />
„Und du meinst, das funktioniert, Alter?“, fragte Hugo unsicher.<br />
Faraday nickte.<br />
„Ja, davon bin ich überzeugt.“<br />
Jack sah skeptisch aus.<br />
„Du meinst also, dann würde der Absturz nie stattfinden? Wir würden planmäßig in<br />
LA landen? Ist das richtig.“<br />
„Ja, Jack, genauso wird es laufen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ihr würdet in<br />
LA ankommen und nichts von alledem hier würde geschehen.“<br />
geschehen?“<br />
Jack nickte langsam.<br />
„Gut, gehen wir aber mal davon aus, dass es nicht so funktioniert. Was würde dann<br />
Daniel seufzte.<br />
„Im schlimmsten Falle würde die Energie frei gesetzt und wir wären da, wo wir jetzt<br />
sind. Aber meinen Berechnungen nach muss es funktionieren. Davon bin ich wirklich über-<br />
zeugt, sonst würde ich eine so gefährliche Idee nicht vorschlagen.“<br />
Jack überlegte. Langsam sagte er:<br />
„Die Bombe ist bei den ‟Anderen‟, sie ist versteckt, vergraben, wie auch immer. Wie<br />
willst du an sie heran kommen?“<br />
Entschlossen erwiderte Daniel:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich werde zu Richard gehen und ihn zwingen, mir die Bombe auszuhändigen.<br />
Vielleicht kann ich ihm klar machen, wofür ich sie benötige. Er ist intelligent, kein Killer wie<br />
Ben später sein wird. Meine Mutter ist bei ihm, sie müsste jetzt fast vierzig sein. Wenn er es<br />
nicht freiwillig macht, werde ich ihn mit Waffengewalt zwingen.“<br />
Hurley und Jack sahen Daniel besorgt an.<br />
„Das Ganze ist ein Himmelfahrtskommando. Du hast keine Ahnung, was wirklich<br />
passiert, wenn die Bombe im Bohrloch der elektromagnetischen Energie gezündet wird. Es<br />
kann genauso gut sein, dass es uns alle zerfetzt. Möglich ist auch, dass Richards Leute uns<br />
einfach zusammen schießen. Oder die Leute der DHARMA Initiative auf der Baustelle dies<br />
übernehmen. Alles in allem sind unsere Chancen, es zu überleben, sehr gering, so sehe ich das<br />
jedenfalls. Aber ... ich denke, ich werde dir trotzdem helfen.“<br />
Daniel atmete erleichtert auf.<br />
„Du hast die richtige Entscheidung getroffen, Jack, du wirst sehen, mein Plan wird<br />
funktionieren. Ich werde zur Baustelle zurück gehen und beobachten, wie weit die Bohrung<br />
ist. Ich schätze, in drei Tagen ist der Bohrkopf genau über der Quelle, das wäre der perfekte<br />
Zeitpunkt. Wenn du es schaffst, bis dahin zum Swan zu kommen, gehen wir gemeinsam zu<br />
Richard, holen den Sprengkopf, kehren damit zur Baustelle zurück und vernichten die Energie<br />
für immer.“<br />
Er sah Jack an und dieser nickte.<br />
„Hugo, bist du dabei?“, fragte der Arzt.<br />
Hurley sah immer noch sehr bestürzt aus, doch er nickte.<br />
„Wenn wir dadurch aus dieser ganzen Scheiße hier ein für alle Mal raus kommen, auf<br />
jedem Fall, Alter.“<br />
Faraday sagte:<br />
„Gut, es wäre wichtig, dass ihr Waffen mitbringt. Schafft ihr das?“<br />
Jack nickte entschlossen.<br />
„Ja, wir werden es irgendwie schaffen, verlass dich auf uns. Wir sehen uns in drei<br />
Tagen am Swan.“<br />
************<br />
30) Aufarbeitung<br />
Miles und Jin saßen uns gegenüber und lauschten immer verwirrter unserer<br />
Geschichte. Jim und ich hatten uns entschlossen, ihnen vorbehaltlos alles zu erzählen.<br />
Fassungslos hörten sie zu und besonders Jin war erschüttert.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Sun ist ganz sicher nicht mit euch in 1969 gelandet, und ich auch nicht?“<br />
Ich nickte.<br />
„Richtig, und auch Hurley war nicht bei uns. Wir waren lange genug bei Richard,<br />
wäret ihr auch dort gelandet, ihr wäret entdeckt worden.“<br />
Jim stimmte mir zu.<br />
„Hör mal, Jin-Bo, mach dir keine Sorgen um deine Lotusblüte, ihr seid zumindest da<br />
zusammen geblieben, so viel ist sicher. Wir sollten uns lieber Gedanken machen, wie wir das<br />
mit der Bombe verhindern können.“<br />
Miles nickte.<br />
„Okay, alles kapieren werden wir sowieso nicht. Ich denke, wir sollten uns aufteilen.<br />
Jin und ich werden die Baustelle überwachen, Kelly und du, ihr solltet zu Alpert gehen und<br />
dort auf Faraday und Jack warten. Vielleicht findet ihr Kate und Sayid auf die Weise auch und<br />
könnt sie überzeugen, nicht zu helfen.“<br />
Jim nickte.<br />
„Und vielleicht können wir auch verhindern, dass Ellie ihren eigenen Sohn über den<br />
Haufen schießt. Gut, dann lasst es uns in <strong>Angriff</strong> nehmen.“<br />
Wir brachen unser kleines Camp also ab und machten uns mit dem Geländewagen auf<br />
den Weg zur Swan Station. Schließlich sagte Jim:<br />
„Hier könnt ihr uns rauswerfen. Passt auf euch auf.“<br />
Jin hielt den Wagen an und Jim und ich stiegen aus. Als wir den Wagen nachsahen,<br />
der weiter fuhr, schoss mir unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf, dass Jim und ich wirk-<br />
lich das allererste Mal, seit wir zusammen waren, vollkommen alleine waren. Jim sah <strong>mich</strong> in<br />
diesem Moment an und zog <strong>mich</strong> an sich. Leise und liebevoll sagte er:<br />
„Weißt du was, Dr. Quinn? Ich hab dich das erste Mal seit LA ganz für <strong>mich</strong> alleine.“<br />
Ich lachte. Er hatte also genau den gleichen Gedanken gehabt wie ich. Und wenn wir auch in<br />
permanenter Lebensgefahr und in einer vollkommen irren Situation steckten, war das doch ein<br />
absolutes Highlight für uns!<br />
Ich schlang ihm die Arme um den Hals und sagte:<br />
„Genau das Gleiche habe ich auch gerade gedacht. Wir sind furchtbar. Wir stecken in<br />
der Hölle und denken nur an den Himmel.“<br />
Jim grinste, dass seine Grübchen zuckten.<br />
„Hey, das ist ja wohl unser gutes Recht. Das haben wir uns mehr als verdient. Wir<br />
bleiben heut Nacht hier im Wald und ich werd dir den Himmel auf Erden bescheren, was<br />
hältst du davon?“<br />
Ich sah <strong>mich</strong> um. Still und unheimlich lag der Urwald vor uns wie eine grüne Mauer.<br />
Irgendwo steckte das Rauchmonster, die Schergen der DHARMA Initiative suchten uns ver-<br />
mutlich wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen, um uns alle umzubringen, wir bereiteten<br />
uns darauf vor, die Explosion eine H-Bombe zu verhindern und waren auf dem Weg zu<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Leuten, die uns auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen würden, und doch war ich<br />
einfach nur glücklich. Grinsend sagte ich:<br />
„Na, ich kann es kaum erwarten.“<br />
Wir setzten uns in Bewegung und marschierten lange durch den Dschungel, immer<br />
genau unsere Umgebung in den Augen behaltend. Dann lauschte Jim plötzlich und zog <strong>mich</strong><br />
schließlich eilig vorwärts. Und schon lag der kleine See mit dem Wasserfall vor uns in der<br />
Abendsonne.<br />
„Aha, mein Wasserdetektor schlägt wieder zu.“, schmunzelte ich.<br />
Jim sah <strong>mich</strong> todernst an. <strong>Über</strong>zeugend erklärte er:<br />
„Vor dem Sex ist Baden doch was sehr Angenehmes.“<br />
Ich tat erstaunt.<br />
„Sex? Hier? Du spinnst wohl.“<br />
Anzüglich grinsend zog er <strong>mich</strong> mit sich zu der Stelle, wo wir uns das allererste Mal<br />
überhaupt geliebt hatten. Und schon machte er kurzen Prozess. Es war erstaunlich, wie<br />
schnell er sich und <strong>mich</strong> aus den Kleidungsstücken gefummelt hatte.<br />
„Komm schon, letztes Mal wolltest du nicht mit mir Baden. Heute wirst du dich nicht<br />
Sträuben, oder?“<br />
Ich ließ meine Blicke über seine nackten Körper gleiten und war erneut verzückt von<br />
dem Anblick. Entschieden schüttelte ich den Kopf.<br />
„Nein, ganz bestimmt nicht.“<br />
Minuten später schwammen wir nebeneinander auf den Wasserfall zu und ließen dort<br />
das herabfallende Wasser auf unsere Köpfe prasseln. Es war ein herrliches Gefühl. Sauber<br />
und kühl regnete es auf uns nieder und wir blieben einige Minuten, wo wir waren. Schließlich<br />
schwammen wir langsam zum Ufer zurück. Kurz rubbelten wir uns gegenseitig ab, einfach<br />
nur mit den Händen, stiegen aus dem Wasser heraus und ließen uns auf eine der beiden<br />
Decken sinken, die wir mitgenommen hatten. Jim streckte sich gemütlich aus und ich be-<br />
trachtete seinen Körper. Deutlich waren noch die Spuren der Misshandlung zu sehen. Blaue<br />
Flecke, Blutergüsse und die Brandmarken des Tasers sprangen mir regelrecht in die Augen.<br />
Meinem Gesicht war wohl anzusehen, was ich dachte, denn Jim sagte ruhig:<br />
„Baby, das ist vorbei, dank dir, okay.“<br />
Mir schossen Tränen in die Augen und ich flüsterte verzweifelt:<br />
„Wenn wir nicht solange gebraucht hätten, hätte ich dir das ersparen können ...“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> ruhig an.<br />
„Hey, Schwester Hathaway, du hast den Dreckskerl getötet, was besseres hättest du<br />
noch machen können? Du hast mir so vieles erspart.“<br />
„Aber ich habe es nicht geschafft, zu verhindern, dass er ... dass er ... Er hat dir so<br />
schrecklich wehgetan.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Es war, als würde das Wissen, dass Oldham Jim gefoltert hatte, erst jetzt wirklich in<br />
mein Hirn vordringen. Verzweifelt schluchzte ich los und Jim setzte sich erschrocken auf, zog<br />
<strong>mich</strong> an sich.<br />
„Du musstest so leiden ...“, wimmerte ich vollkommen aufgelöst.<br />
Jim war angesichts meines plötzlichen Ausbruchs ein wenig hilflos. Er hielt <strong>mich</strong> fest<br />
an sich gedrückt und streichelte mir zärtlich über den zuckenden Rücken. All das, was ich in<br />
den letzten Wochen angesammelt hatte, brach plötzlich mit Macht aus mir heraus. Die Vor-<br />
stellung, dass Jim dort an der Säule gefesselt vor Schmerzen geschrien hatte, oder besser ge-<br />
schrien hätte, wäre er nicht durch den Knebel stumm gemacht worden, warf <strong>mich</strong> nun voll-<br />
kommen um. Zitternd und schluchzend klammerte ich <strong>mich</strong> an ihn. Er versuchte sehr besorgt,<br />
<strong>mich</strong> irgendwie zu beruhigen, aber gegen meinen Ausbruch hatte er keine Chance. Diese<br />
ständigen Wechselbäder der letzten Tage, mal unendliche Erleichterung, sofort wieder ab-<br />
gelöst von hoffnungsloser Verzweiflung, die beständige Angst um Jim, all das musste<br />
irgendwann hervor brechen. Hilflos schluchzend hing ich an ihm und es dauerte eine Ewig-<br />
keit, bis ich <strong>mich</strong> auch nur halbwegs beruhigt hatte. Immer wieder zuckte das Bild von Jim,<br />
sich windend vor Schmerzen, an die Steinsäule gefesselt, hilflos, wehrlos, hoffnungslos, ver-<br />
zweifelt, durch meinen Kopf. Ich hatte es in den letzten Tagen erfolgreich verdrängt, zu groß<br />
war die Freude darüber, dass Jims Erinnerung wieder aktiviert worden war, gewesen. Doch<br />
jetzt brach es durch und malträtierte <strong>mich</strong> höhnisch. Irgendwann hatte ich schlicht nicht mehr<br />
die Kraft, weiter zu weinen. Vollkommen ausgelaugt hing ich in Jims Armen und zitterte wie<br />
Espenlaub. Er angelte mit einer Hand nach der zweiten Decke und zog diese um uns. So ließ<br />
er sich langsam in die Waagerechte sinken und zog <strong>mich</strong> mit sich. Ich wickelte Arme und<br />
Beine um ihn, hätte ich gekonnt, ich hätte ihn in <strong>mich</strong> aufgesaugt.<br />
sehen ...“<br />
Sanft fragte Jim <strong>mich</strong>:<br />
„Na, geht‟s wieder?“<br />
Leise wimmerte ich:<br />
„Nicht wirklich. Du machst dir überhaupt keine Vorstellung, wie es war, dich so zu<br />
Ich hatte meinen Kopf auf seine Brust gelegt und konnte hören, wie sein Herzschlag<br />
sich beschleunigte.<br />
„Kann ich schon, wenn ich‟s mir anders herum vorstell ...“, sagte er leise und zog<br />
<strong>mich</strong> ebenfalls noch enger an sich.<br />
„Aber der Mistkerl ist in den ewigen Jagdgründen, er wird weder mir noch dir noch<br />
irgendwem mehr was tun, Sheena.“<br />
„Es ging viel zu schnell!“, stieß ich hasserfüllt hervor. „Ich hätte ihn nur verletzen<br />
sollen und langsam und qualvoll töten.“<br />
- 343 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Nie hätte ich mir zugetraut, so abgrundtiefen Hass für einen Menschen zu empfinden.<br />
Jim gab ein leises Lachen von sich.<br />
„Ich hab nen schlechten Einfluss auf dich, hab ich den Eindruck. Solche Gedanken<br />
solltest du nicht haben.“<br />
Er zuckte zusammen, weil er gegen den kleinen Finger seiner linken Hand gekommen<br />
war und schimpfte:<br />
„Verflucht noch mal, hast Recht, der Kerl ist wirklich zu schnell gestorben.“<br />
Ich kämpfte immer noch mit meinen überschäumenden Emotionen und merkte, dass<br />
mir schon wieder Tränen in die Augen schossen.<br />
„Wäre ich schneller bei dir gewesen ...“<br />
Jim unterbrach <strong>mich</strong> ärgerlich.<br />
„Nun mach mal nen Punkt. Ich brauch bald ne Strichliste, damit ich mir merken kann,<br />
wie oft du mir schon den Arsch gerettet hast. Wenn du Miles nicht in den Hintern getreten<br />
hättest, dich zu fahren, hätt ich jetzt keinen einzigen Fingernagel mehr. <strong>Der</strong> Kerl hätte <strong>mich</strong><br />
vermutlich in Streifen geschnitten.“<br />
Ich spürte Jim zittern und komischerweise gab mir das Kraft.<br />
„Du hast Recht, Babe, er ist tot, er kann dir nichts mehr tun.“, sagte ich beruhigend.<br />
Jim schwieg eine Weile, dann spürte ich, wie er tief einatmete. Er hatte sich bisher<br />
ebenfalls noch nicht zu dem geäußert, was er empfunden hatte. Jetzt kam es auch beim ihm an<br />
die Oberfläche.<br />
„Als sie <strong>mich</strong> im Videoraum zusammengeschlagen haben dachte ich, wenn ich durch-<br />
halte würd vielleicht noch n Wunder geschehen. Dich da zu sehen war fast eins. Die Genug-<br />
tuung, dabei zu sein, als du Phil die Eier weggetreten hast, war es wert, zu Brei geschlagen zu<br />
werden. Als Horace dich raus warf und ich wusste, dass sie <strong>mich</strong> nun zu Oldham schaffen ...“<br />
Er schluckte schwer.<br />
„Ich hab den Arsch nie kennengelernt, aber jede Menge Geschichten über ihn gehört.<br />
Ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst hatte: Vor den Schmerzen oder davor, nicht durchzu-<br />
halten. Wenn der verdammte Knebel nicht gewesen wäre, Kelly, ich hätte schon während der<br />
ersten Runde alles hinaus gebrüllt, was sie wissen wollten. Er hat mir vorher genau be-<br />
schrieben wie er arbeitet. Ne Stunde Foltern, dann die Möglichkeit, zu reden, wenn nicht, die<br />
nächste Stunde, ohne zwischendurch aufgeben zu können.“<br />
helfen.<br />
Ich stöhnte entsetzt auf.<br />
„Das ist ... unmenschlich.“<br />
Ich fühlte Jims Herz wie wild schlagen und hätte alles getan, ihm darüber hinweg zu<br />
„Als er mir den ersten Nagel raus riss, dachte ich ... Verdammt, das hat so wehgetan.<br />
Ohne den Knebel ...“<br />
Er schwieg erschüttert.<br />
- 344 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ich hob den Kopf von seiner Brust und sah ihn an.<br />
„Wir müssen das beide irgendwie verarbeiten. Das wird nicht leicht, aber wenn wir<br />
uns gegenseitig helfen, schaffen wir das.“, sagte ich leise.<br />
Ich gab ihm einen zärtlichen Kuss. Jims Rechte rutschte in meine Haare und er hielt<br />
meinen Kopf fest. Unsere Lippen saugten sich aneinander fest, ich spürte seine Zunge erst<br />
sanft, dann leidenschaftlicher mit meiner spielen und seufzte auf. Jim rollte sich mit mir im<br />
Arm langsam herum, bis er halb auf mir zu Liegen kam. Sein linkes Bein rutschte wie ver-<br />
sehentlich zwischen meine Oberschenkel. So, wie uns unsere Emotionen zuvor überrollt<br />
hatten, wurden wir jetzt von Leidenschaft überrollt. Wir hielten uns nicht mehr mit Vorspielen<br />
auf, sondern liebten uns stürmisch und leidenschaftlich. Alles, was sich in den vergangenen<br />
Wochen in uns angesammelt hatte, brach wie eine Eruption aus uns heraus. Wir brauchten die<br />
Nähe, die körperliche Nähe, und hatten nach dem Orgasmus das Gefühl, vollkommen aus-<br />
gelaugt zu sein. Lösen konnten wir uns nicht von einander und so schliefen wir schließlich<br />
eng umschlungen ein.<br />
Und genauso eng umschlungen wachten wir am kommenden Morgen auch auf. Jims<br />
Gesicht war meinem so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte.<br />
„Guten Morgen ...“, sagte er leise und gab mir einen Kuss.<br />
„Guten Morgen. Gott, ich habe geschlafen wie eine Tote.“<br />
Jim grinste.<br />
„Ich auch. Naja, nach dem ... Ausbruch.“<br />
Ich seufzte.<br />
„Ja, nach dem Ausbruch. War wohl nötig. Ich hoffe, ich muss nie wieder sehen, wie<br />
jemand dir so was antut. Was wollen wir jetzt machen? Richard suchen?“<br />
Jim nickte.<br />
„Ja, lass es uns bei ihnen versuchen. Jin und Miles werden schon lange die Baustelle<br />
im Auge behalten. Und wir beiden Hübschen sollten auch mal langsam in Gange kommen.<br />
Sonst verpassen wir das Beste.“<br />
Ich stöhnte genervt.<br />
„Das tun wir sowieso.“<br />
Meine Hand streichelte sanft über Jims Bauch und ich spürte ihn zusammenzucken.<br />
„Sollten wir jemals zur Normalität zurück kommen, bleiben wir einen Monat im Bett.“<br />
Po.<br />
rutschen.<br />
Jim rollte sich ein wenig weiter zu mir herum und grinste.<br />
„Willst du <strong>mich</strong> verführen?“, fragte er sanft und seine Rechte verirrte sich auf meinen<br />
„Wie kommst du auf so eine Idee?“, fragte ich lächelnd und ließ meine Hand tiefer<br />
Er atmete scharf ein und sagte gepresst:<br />
- 345 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Weiß auch nicht, wie ich darauf komm ...“<br />
Er stöhnte leise auf, als meine Hand ihn sanft streichelte.<br />
„So wird das aber mal gar nichts mit dem in Gange kommen.“<br />
„Findest du?“, fragte ich harmlos.<br />
„Du scheinst mir gerade ziemlich in die Gänge zu kommen ...“<br />
Er wollte etwas erwidern, aber das Wort blieb ihm im Halse stecken, als meine Be-<br />
rührung etwas fester wurde. Er schloss die Augen und seufzte erregt. Nun aber glitt seine<br />
Hand an meinen Schoss, und schon war ich es, die scharf einatmen musste. Wir brachten uns<br />
gegenseitig immer mehr in Stimmung und holten ausgiebig nach, was wir am Abend sträflich<br />
vernachlässigt hatten. Schließlich konnte Jim sich nicht mehr zurückhalten und rollte vor-<br />
sichtig auf <strong>mich</strong>. Als er langsam in <strong>mich</strong> glitt, keuchte ich vor Erregung auf und schlang<br />
meine Beine um ihn. Als seine Bewegungen schneller und fordernder wurden, stieß ich<br />
hervor:<br />
„Ich liebe dich so sehr ...“<br />
Dann verschlug es mir endgültig die Sprache.<br />
Eine Stunde später kämpften wir uns durch den Dschungel. Jim führte <strong>mich</strong> in nord-<br />
westlicher Richtung durch den dichten Wald, bis wir am frühen Nachmittag eine kleine baum-<br />
lose Ebene erreichten. Hier legten wir eine Pause ein und aßen unterwegs gesammelte<br />
Mangos. Jim zerrte ein wenig ungeduldig an dem Hemd herum, das er jetzt trug. Es gehörte<br />
Miles und war Jim zu eng. Genervt meinte er:<br />
„<strong>Der</strong> Schweinehund hätte mir mein T-Shirt ja auch einfach ausziehen können. Musst<br />
er es denn zerschneiden?“<br />
„Sei doch froh, dass Miles dir das Hemd gegeben hat. Sonst müsstest du mit freiem<br />
Oberkörper herumlaufen.“<br />
Meine Augen hingen an Jims Körper und ich fügte leise hinzu:<br />
„Obwohl ich da auch nichts gegen hätte.“<br />
Jetzt grinste er.<br />
„Lüstling. Da wär ich doch eher dafür, dass du oben ohne herumläufst.“<br />
Ich kicherte.<br />
„Aber <strong>mich</strong> nennst du Lüstling.“<br />
„Man tut, was man kann.“<br />
Jim grinste frech und streckte sich gemütlich im warmen Gras aus. Ich legte <strong>mich</strong><br />
neben ihn und nutzte die günstige Gelegenheit, <strong>mich</strong> an ihn zu kuscheln. Mein Kopf lag auf<br />
seiner rechten Schulter und mein rechter Arm über seinem Körper.<br />
„Es könnte hier so schön sein ...“, seufzte ich leise.<br />
Eine Weile lagen wir schweigend nebeneinander, dann sagte Jim:<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Was war eigentlich zum Schluss los? Ich krieg das nicht mehr ganz auf die Reihe.<br />
Smokey ... Hab ich das richtig mitbekommen, dass du ... Hast du dem Rauch wirklich gesagt,<br />
er soll <strong>mich</strong> ... nicht killen?“<br />
Ich erschrak ein wenig über diese unerwartete Frage. Kurz prustete ich angespannt.<br />
„Es hatte mir nichts getan, also dachte ich irgendwie, ich sei ... vielleicht wichtig für das<br />
Ding. Aber dass ich das gesagt habe, entsprang mehr der Angst um dich als einer vernünftigen<br />
<strong>Über</strong>legung.“<br />
Jim seufzte.<br />
„Hat ja scheinbar gewirkt. Als es ... als es so auf <strong>mich</strong> losging, hab ich gedacht, okay,<br />
Sawyer, verabschiede dich von deinem Arsch.“<br />
Ich konnte spüren, wie ein Zittern durch seinen Körper huschte.<br />
„Woher wusstest du eigentlich, dass es meine Erinnerung auffrischen konnte?“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Das wusste ich nicht. Ich ... Ich habe dir mal gesagt, dass ich dazu neige, <strong>mich</strong> ganz<br />
auf mein Bauchgefühl zu verlassen. Und das hat mir einfach in dem Moment gesagt, versuch<br />
es. Ich habe dem Rauch gesagt, es soll deine Erinnerung wiederherstellen und es hat ge-<br />
klappt.“<br />
Jetzt zitterte Jim richtig.<br />
„Es war, als krieche dieses Ding in mein Hirn hinein und ... Es hat da drinne irgend-<br />
was gemacht, Kelly. Es fühlte sich an, als wäre außer mir noch jemand da oben am Denken.<br />
Es hat zwar geholfen, aber das Gefühl war schrecklich. Ich weiß nicht, als ob jemand in dir<br />
drinnen die Kontrolle über dich übernimmt. Ich konnte nichts machen, als zu hoffen, dass es<br />
mein Hirn nicht zu Grütze verarbeitet. So hat sich‟s nämlich angefühlt.“<br />
Er atmete tief durch.<br />
„Ich hab es langsam wirklich satt, ständig vollkommen hilflos jemandem ausgeliefert<br />
zu sein. Wenn man sich wehren kann, ist der schlimmste Schmerz nicht annähernd so<br />
schlimm wie der Schmerz, den man wehrlos über sich ergehen lassen muss. Ich würde lieber<br />
gegen nen Grizzly kämpfen als noch mal irgendwo gefesselt herumzustehen und alles er-<br />
tragen zu müssen, was irgend so ein Bastard mit mir anstellt.“<br />
Die letzten Worte stieß er schwer atmend hervor. Er seufzte und sagte ruhiger:<br />
„Tut mir leid, ich will dir nicht die Ohren voll jammern.“<br />
Ich strich sanft mit den Fingern über seine Brust und sagte:<br />
„Das tust du nicht. Ich bin froh, dass du darüber Reden kannst. Ich kann mir vor-<br />
stellen, welch schreckliches Gefühl das sein muss. So ähnlich ging es mir ja auch. Ich sah,<br />
was mit dir passierte und konnte es nicht verhindern. Ich hätte sonst was dafür gegeben, dir<br />
helfen zu können. Als Horace verkündete, dass Kate, Sayid und du hingerichtet werden<br />
sollten, dachte ich, es zerreißt <strong>mich</strong>. Eher hätte ich den ganzen Laden in die Luft gejagt, als<br />
das zuzulassen.“<br />
- 347 -
Jim lachte leise.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Das klingt, als ob du das ernst meinst.“<br />
„Und wie! Ich hätte niemals dabei zugeguckt, wie sie dich erschießen. Ich hätte mir<br />
Dynamit aus dem Lager geholt und das ganze verdammte Dorf in Fetzen gesprengt. Inklusive<br />
aller Bewohner.“<br />
Darüber nachgedacht hatte ich wirklich. Ich wusste, dass im Materiallager Dynamit<br />
vorrätig war. Als letzten Ausweg hätte ich es versucht.<br />
„Was bist du nur für eine Frau?“, sagte Jim leise und verliebt. „Du hast für <strong>mich</strong> ge-<br />
tötet und alles riskiert. Ich weiß nicht, womit ich dich und auch Juliet verdient hab.“<br />
Ich stemmte <strong>mich</strong> ein wenig hoch und sah ihm ins Gesicht.<br />
„Da fragst du noch? Du bist ein wunderbarer Mensch, egal, was du mal getan hast. Du<br />
warst bereit, dich selbst zu opfern, um anderen zu helfen. Du gibst einer Frau genau das, was<br />
sie sich wünscht: Geborgenheit, genügend Freiraum, Liebe, Zärtlichkeit ...“ Ich spürte, dass<br />
ich rot wurde „... und bist ein ... wundervoller Liebhaber ...“<br />
Verlegen verstummte ich und registrierte fast erleichtert, dass auch Jim zart rot anlief.<br />
„Hey, nun mach aber mal nen Punkt.“, sagte er verschämt.<br />
Ich lachte immer noch ein wenig verlegen und sagte:<br />
„Das stimmt aber. Punkt für Punkt. Punkt.“<br />
Ich sah ihm ins Gesicht und ließ meine Augen an seinem Körper herunter wandern.<br />
„Ach, und bevor ist es vergesse: Du sieht umwerfend aus.“<br />
steckend.<br />
Todernst meinte Jim „Das stimmt.“<br />
Ich war einige Sekunden wirklich verblüfft, dann kicherte ich los.<br />
„Schön, ich habe noch vergessen zu erwähnen, wie bescheiden du bist.“<br />
Und jetzt lachte auch Jim fröhlich, endlich einmal wieder. Befreit, vergnügt, an-<br />
************<br />
31) Vorbereitungen<br />
Als Jin und Miles Kelly und Jim abgesetzt hatten, fuhren sie weiter Richtung Swan<br />
Baustelle. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern, dann meinte<br />
Miles:<br />
„Schwer vorzustellen, was die Beiden erzählt haben, oder?“<br />
Jin warf dem Freund einen kurzen Blick zu.<br />
„Als ich damals aufwachte, nach der Explosion der Kahana, umgeben von Franzosen,<br />
und die schwangere junge Frau mir erzählte, sie sei Danielle<br />
- 348 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Rousseau, dachte ich, ich hätte bei der Explosion den Verstand verloren. Und als sie alle am<br />
Tempel nach dem <strong>Angriff</strong> des Monsters plötzlich von einer Sekunde zur Anderen ver-<br />
schwunden waren, als hätten sie sich aufgelöst, hab ich das als Bestätigung gesehen.“<br />
Er dachte daran zurück, wie der junge Franzose Montand von dem Rauch angegriffen<br />
worden war. <strong>Der</strong> Rauch wollte den jungen Mann in ein Loch am Boden der Außenwand der<br />
Tempelruine zerren. Jin schüttelte sich bei der Erinnerung. Sie hatten Montand verzweifelt<br />
festgehalten, als der Rauch sich wie eine Schlange um dessen linke Schulter geschlungen<br />
hatte. Im nächsten Moment war dem armen Mann der Arm abgerissen. Und Sekunden danach<br />
war der nächste Zeitsprung erfolgt, die Franzosen verschwunden und Jin mit dem inzwischen<br />
mumifizierten Arm alleine gewesen.<br />
„Wir haben es alle erlebt, die Zeitsprünge waren real.“<br />
Miles nickte.<br />
„Sicher, klar waren sie real. Aber wir erinnern uns an alles, warum nicht daran, dass<br />
wir in einer Zeitschleife stecken und das alles wieder und wieder erleben?“<br />
Jin zuckte die Schultern.<br />
„Was fragst du auf einer Insel, auf der man in der Zeit herumreisen kann und auf der<br />
ein Monster aus Rauch lebt, nach Gründen für einen Gedächtnisverlust?“, fragte er<br />
sarkastisch.<br />
Miles stutzte.<br />
„Hm, da hast du auch wieder Recht. Okay, nehmen wir also mal an, es stimmt alles,<br />
was Jim und Kelly erzählt haben. Wie, um alles in der Welt, sollen wir Daniel, Hurley, Sayid,<br />
Kate und Jack von der Story überzeugen? Jack ist selbstherrlich, stur und verbohrt, Dan stur<br />
und blasiert, Sayid stur und hasserfüllt, Hurley stur und dumm, Kate stur und Jack hörig ...<br />
Klasse Aussichten, doch, wirklich.“<br />
Jin steuerte den Wagen von der Straße herunter in ein sehr dichtes Gebüsch.<br />
„Von hier müssen wir laufen.“<br />
Die beiden Männer stiegen aus und griffen sich die Waffen, die sie bei sich hatten,<br />
alles, was noch an Wasser und Lebensmitteln da war und die Decken, die auf dem Rücksitz<br />
lagen.<br />
„Dann wollen wir mal.“, sagte Miles genervt.<br />
Sie arbeiteten sich schweigend durch den Dschungel, bis sie schließlich die Baustelle<br />
erreichten. Sehr vorsichtig suchten sie sich einen Standpunkt, der sie sicher vor Blicken von<br />
unten verbarg und der ihnen gleichzeitig erlaubte, die in einer Senke unter ihnen liegende<br />
Baustelle detailliert zu überblicken. Dort unter ihnen herrschte rege Betriebsamkeit und der<br />
Bohrer war im Einsatz. Von eventuellen Angreifern war nicht das Geringste zu sehen.<br />
„Dann wollen wir es uns mal gemütlich machen.“, meinte Miles und streckte sich<br />
bäuchlings am Boden aus. „Von hier können wir wirklich alles sehr gut übersehen. Da sollten<br />
keine Probleme auftreten, uns wird nichts entgehen.“<br />
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Jin nickte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Denke ich auch. Ob Sawyer und Kelly schon bei Alpert sind?“<br />
Miles überlegte.<br />
„Rein zeitlich sollten sie es geschafft haben, aber vielleicht brauchen sie auch einfach<br />
ein wenig Zeit für sich. Dass war ja alles ziemlich hart für beide. Wenn ich mir vorstelle, wie<br />
das für Kelly gewesen sein muss ... Man, sie ist ... wirklich eine starke Persönlichkeit. Und sie<br />
kann schießen wie der Teufel! Hast du gesehen, dass sie Oldham die Kugel direkt in den Kopf<br />
gejagt hat? <strong>Der</strong> wusste nicht mal, warum er starb, so präzise hat sie getroffen. Wenn es zu<br />
einem Schusswechsel kommt, kann sie glatt als Scharfschützin helfen.“<br />
Jin nickte.<br />
„Ja, sie ist großartig, kaum zu glauben. Und sie war eiskalt, als sie abgedrückt hat,<br />
keine Sekunde gezögert. Sie muss Sawyer wirklich sehr lieben.“<br />
Jin verstummte und dachte traurig an Sun. Wo sie jetzt wohl war? Ob es ihr gut ging?<br />
Sein Kind war geboren und Sun hatte die ganze Zeit gedacht, er, Jin wäre tot. Aber er würde<br />
sie ja offensichtlich wiedersehen, wenn er zusammen mit seiner Frau in LA gewesen war. Das<br />
Wissen half Jin, mit der derzeitigen Trennung klar zu kommen, obwohl ihm Sun jede einzelne<br />
Minute fehlte.<br />
Als es dunkel wurde, kehrte unter ihnen in der Senke Ruhe ein. Jin schlief die erste<br />
Nachhälfte, dann weckte er Miles und dieser übernahm die zweite Hälfte der Nacht. Doch es<br />
geschah nichts. Am kommenden Morgen übernahm Jin erneut die Wache, während Miles sich<br />
in einem sehr großen Bogen einmal um die Baustelle herum schlich. Er sah sich sehr gründ-<br />
lich alles an, aber er entdeckte keine Spur von irgendeinem Menschen. Als er wieder bei Jin<br />
ankam, sagte er:<br />
„Nichts zu sehen gewesen. Das kann unter schlechtesten Umständen noch Tage<br />
dauern, bis sich was tut. Wird eine langweilige Zeit werden.“<br />
Jin nickte.<br />
„Ja, aber das, was zwangsläufig kommen muss wird umso weniger langweilig, da bin<br />
ich sicher. Was sollen wir machen, wenn die sich nicht überzeugen lassen? Hast du da schon<br />
mal drüber nachgedacht? Wir können doch nicht auf die Freunde schießen!“<br />
Miles seufzte.<br />
„Das wird nicht ganz einfach werden, da hast du Recht, aber mir wird es vermutlich<br />
im schlimmsten Fall leichter möglich sein als dir. Ich hab ja nicht die Zeit mit ihnen verbracht<br />
wie du. Und wenn es darum geht, uns aus dieser Scheiße herauszuholen, werde ich nicht<br />
lange Zögern.“<br />
Jin sah den Kollegen an.<br />
„Du hast nicht die moralischen Vorbehalte, die ich zwangsläufig habe. Ich habe mit<br />
Jack und Kate viele Monate in einer Extremsituation verbracht. Ich weiß nicht, ob ich im<br />
Stande sein werde, auf sie zu schießen.“<br />
- 350 -
By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
Jack hatte eine Harke in der Hand und nahm damit Laub um das Schulgebäude herum<br />
zusammen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei einige Sicherheitsleute, die aufmerk-<br />
sam durch das kleine Dorf patrouillierten. Er seufzte genervt. Seit das alles hier ins Rollen<br />
gekommen war, war die <strong>Über</strong>wachung sehr viel intensiver als vor den Ereignissen. Wie sollte<br />
er es nur schaffen, unbemerkt in das Gebäude hinein zu gelangen, Waffen zu organisieren und<br />
auch noch mit diesen das Gebäude wieder zu verlassen? Jack dachte an Kate, Sawyer, Sayid,<br />
Kelly. Wo sie wohl stecken mochten? Ob sie überhaupt noch am Leben waren? Waren es<br />
wirklich Miles und Jin gewesen, die Sawyer zur Flucht verholfen hatten? Und hatten sie Kelly<br />
wirklich gezwungen, mitzugehen, oder war es so wie einige vermuteten, dass Kelly Sawyer<br />
liebte und so freiwillig mitgegangen war? Jack fluchte tonlos. So vieles war nicht sicher.<br />
Warum nahm er an, dass ausgerechnet Daniels Plan sicher sein würde? Hurley hatte Zweifel,<br />
war aber bereit, zu helfen, wie es in seiner Macht lag. Gerade, als Jack an Hurley dachte, kam<br />
dieser mit einem VW Bus den Weg hochgefahren. Er hielt in der Mitte des Dorfes an und<br />
stieg aus dem Wagen.<br />
„Hey, Leute! Ich hab ne <strong>Über</strong>raschung für euch! Kommt mal her. Ich dachte mir, wo<br />
ihr so gut für unsere Sicherheit sorgt, habt ihr euch mal was Besonderes verdient.“<br />
Die Wachen traten langsam und ziemlich verblüfft an den VW Bus heran. Hurley<br />
öffnete die Schiebetür und stieg in den Wagen. Die Wachen traten alle, ohne Ausnahme, zu<br />
ihm und da Hurley so geparkt hatte, dass er quasi die Sicht auf das Schulgebäude verwehrte,<br />
ging Jack in diesem Moment ein Licht auf. Hurley versuchte, die Wachen abzulenken. Ein<br />
blitzschneller, sichernder Blick zeigte dem Arzt, dass wirklich alle Wachleute am Wagen<br />
standen und Jack nutzte die einmalige Gelegenheit sofort aus. Er sah niemand anderen auf<br />
dem Dorfplatz und eilte ohne zu Zögern los.<br />
Er betrat das Schulgebäude, sah sich nach Kameras um und umging die, die er ent-<br />
deckte, geschickt. Schon hatte er den Raum erreicht, in dem die Waffen aufbewahrt wurden.<br />
Er trug schon seit dem Gespräch mit Dan immer seine Schlüssel mit sich. So konnte er schnell<br />
den Raum und gleich darauf den Waffenschrank öffnen. Hektisch griff er sich zwei Gewehre<br />
und drei 9 mm Glock aus dem Schrank. Schnell noch Munition, dann war er schon wieder aus<br />
dem Raum hinaus. Er eilte mit den Waffen zu einem der hinteren Fenster und öffnete dieses.<br />
Sichernd schaute er sich um, aber niemand war zu sehen. Hastig warf er die Waffen aus dem<br />
Fenster in ein nahes Gebüsch, schloss das Fenster und stand zwei Minuten später bereits<br />
wieder draußen vor dem Gebäude und harkte weiter. Hurley war noch damit beschäftigt, die<br />
Wachen mit Sandwiches und Kuchen zu versorgen. Und Jack atmete auf. So wie es aussah<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
hatte niemand seine kleine Exkursion in die Schule bemerkt. Jack gratulierte Hurley im<br />
Stillen für die großartige Idee.<br />
Etwa eine halbe Stunde später war er mit dem Harken fertig. Hurley war nach einem<br />
freundlichen Nicken in seine Richtung wieder verschwunden, die Wachen an ihre Plätze<br />
zurückgekehrt. Jack ging zum Materiallager und holte eine Schubkarre. Damit ging er zu den<br />
Laubhaufen, die er zusammen gekratzt hatte, zurück. Leise pfeifend kehrte er das Laub auf<br />
und füllte nach und nach die Schubkarre damit. Nun schob er diese immer noch vergnügt<br />
pfeifend Richtung Abfallhaufen. Er kehrte hier und da noch ein wenig Laub zusammen und<br />
gelangte so unauffällig hinter die Schule. Schnell sah er sich um und konnte nirgends<br />
jemanden entdecken. Jack ging zu dem Gebüsch hinüber, in das er die Waffen geworfen hatte<br />
und Sekunden später lagen diese unter dem Laub verborgen in der Schubkarre. Diese war<br />
vielleicht zu zwei Dritteln gefüllt und Jack schob sie weiter, hinter die Wohnhäuser. Als er so<br />
Haus 12 erreichte, schaute der Arzt sich erneut um, hatte jedoch wieder Glück, niemand war<br />
zu sehen. Schnell schob Jack die Waffen durch ein offenes Fenster in das Haus hinein und<br />
machte seine Arbeit weiter, als wäre nichts gewesen. Gegen 16 Uhr machte er Feierabend und<br />
auch Hurley kam gerade nachhause.<br />
„Hey, Alter, wie war dein Tag?“<br />
Jack nickte.<br />
Hurley sofort:<br />
lenken.“<br />
„Wenn man Laubharken mag, war er sicher gut. Und deiner?“<br />
Zusammen, sich unterhaltend, betraten die beiden Männer ihr Haus und hier fragte<br />
„Hast du es geschafft, Alter? Ich dachte mir, ich versuch mal, unsere Deputys abzu-<br />
Jack grinste.<br />
„Das war eine großartige Idee, Hurley. Ich weiß nicht, wie ich es sonst geschafft hätte.<br />
Die passen auf wie Teufel. Wenn wir nun noch unbemerkt aus dem Dorf kommen, haben wir<br />
es schon fast geschafft.“<br />
„Hast du mal darüber nachgedacht, wie wir durch den Zaun kommen sollen?“, wollte<br />
Hurley besorgt wissen.<br />
Jack schüttelte den Kopf.<br />
„Nicht wirklich. Aber Dan meinte, wenn wir uns dort auf die Lauer legen, am Sonar-<br />
zaun, würde über kurz oder lang schon jemand nach draußen Fahren und so haben wir eine<br />
Chance, ebenfalls zu verschwinden.“<br />
Die Beiden waren ins Wohnzimmer getreten und staunten nicht schlecht, als sie dort<br />
Daniel sitzen sahen.<br />
„Oder wir benutzen den Code.“<br />
Jack und Hugo starrten Dan an.<br />
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aten.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Woher weißt du den Code? Bist du schon lange hier?“<br />
„Ich warten schon eine gute Stunde auf euch. Und den Code hat mir Dr. Chang ver-<br />
Hurley riss die Augen auf.<br />
„Miles Dad? Warum?“<br />
Er ließ sich schwer auf das Sofa fallen und Jack setzte sich zu ihm. Plötzlich sprang er<br />
noch einmal auf.<br />
„Warte eine Minute, ich werde die Waffen mal vorsichtshalber verstecken.“<br />
Er eilte in das kleine Abstellzimmer, in das er die Waffen hatte fallen lassen und trug<br />
diese in sein Schlafzimmer, wo er sie unter der Bettdecke verbarg. Nun eilte er ins Wohn-<br />
zimmer zurück.<br />
„So, erzähl. Wer ist dieser Chang?“<br />
Hurley hatte in der Zwischenzeit drei Dosen Bier geholt und die Männer tranken einen<br />
Schluck. Hektisch begann Dan zu reden.<br />
„Dr. Pierre Chang ist Astrophysiker und leitet zusammen mit Stuart Radzinsky das<br />
Swan Projekt. Er ist der Vater von Miles. Ich habe ihn heute Morgen gesprochen. Ich habe<br />
ihm vieles erzählt und er hat mir geglaubt. Er weiß um die ungeheuren Kräfte, die unter dem<br />
Swan ruhen. Noch ruhen! Die Bohrungen gehen nämlich gut voran. Es wird nicht mehr lange<br />
dauern, wir müssen uns beeilen. Chang wird veranlassen, dass alle Frauen und Kinder von der<br />
Insel evakuiert werden. Er hat selbst schon seine Bedenken zu den Bohrungen geäußert und<br />
wollte diese abbrechen lassen, aber Radzinsky ist wie besessen davon. Wir haben wirklich nur<br />
noch wenig Zeit, wir müssen unbedingt noch heute hier weg kommen.“ Er sah Hugo an.<br />
„Kannst du uns ein wenig Proviant zusammenstellen? Und wir bräuchten Taschenlampen, im<br />
Dunkeln durch den Dschungel zu stapfen ist gefährlich. Und vielleicht auch Messer, man<br />
weiß ja nie, wofür man sie einmal benötigt.“<br />
Hurley nickte.<br />
„Klar, Mann, das krieg ich hin. Wenn wir Laufen schaffen wir das aber nicht bis<br />
Morgen. Das ist wohl eine ganz schöne Strecke.“<br />
Dan nickte.<br />
„Ich weiß. Wir werden einen Wagen stehlen müssen. Ich hatte gehofft, Jack, dass du<br />
mir dabei hilfst.“<br />
Jack kam das Ganze immer mehr wie ein Himmelfahrtskommando vor, aber er nickte.<br />
„Wir treffen uns hinter Haus 4. Roger ist total besoffen und er hat sogar noch eine Flasche<br />
Scotch bei sich gehabt, als er vorhin nachhause ist, der würde nicht mal mit bekommen, wenn<br />
eine Herde Elefanten hinter seinem Haus eine Party feiern würde. Hugo, beeil dich ein wenig<br />
und nimm nicht zu viel mit. Wir werden trotzdem noch eine ganze Strecke zu Fuß gehen<br />
müssen.“<br />
Hurley nickte.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Klar, Alter, ich mach das schon. Holt ihr lieber einen Wagen.“<br />
Er erhob sich und verließ das Haus. Jack und Dan warteten eine Weile, erst dann<br />
folgten sie Hugo und schlenderte, die Bierdosen in der Hand, scheinbar gelangweilt über den<br />
Dorfplatz zum Fuhrpark hinüber. Hier war kein Mensch zu sehen. In der inzwischen<br />
herrschenden Dämmerung näherten sie sich einem der Jeeps. Schnell sahen sie sich noch<br />
einmal um, stiegen in den Wagen und starteten diesen. Hinter den Häusern entlang fuhren sie<br />
zu Haus 12 zurück und Jack eilte in sein Schlafzimmer, um die Waffen und die Munition zu<br />
holen. Zusammen machten sie sich, wieder hinter den Häusern entlang, auf, Hurley einzu-<br />
sammeln. Dieser wartete schon auf sie und warf zwei große Rucksäcke auf die Rückbank,<br />
bevor er selbst dazu stieg.<br />
„Los, verschwinden wir hier.“, sagte er und machte es sich bequem.<br />
Jack fuhr los. Zuerst hatten sie Glück, niemand schien sie zu bemerken. Doch als sie<br />
das Dorf verlassen hatten, verließ sie auch ihr Glück. Mitten auf der Straße standen vier<br />
Wachleute der DHARMA Initiative, Waffen in den Händen, und grinsten im Licht der<br />
Scheinwerfen Jack an.<br />
„Sieh an, sieh an, unser Hausmeister noch so spät unterwegs? Noch dazu mit unserem<br />
Sternekoch? Was sollen wir denn davon halten? Auf der Suche nach euren lieben Freunden?“<br />
************<br />
Wir wanderten schon seit gut drei Stunden durch den Wald. Langsam wurde es<br />
dämmerig und das Vorankommen schwieriger. Jim fluchte ungehalten vor sich hin, als er im<br />
Dunkeln eine Baumwurzel übersah und fast gestürzt wäre.<br />
„Verdammter Mist, ich hasse den elenden Wald!“<br />
„Dann solltest du hier nicht herum latschen und unsere Grenze überschreiten.“, sagte<br />
plötzlich eine kalte Stimme im Gebüsch vor uns.<br />
Nicht nur meine Hand, auch Jims zuckte sofort an die Waffen, die wir im Hosenbund<br />
auf dem Rücken stecken hatten. Jim hatte allerdings damit gerechnet, dass wir über kurz oder<br />
lang den Leuten Richards in die Arme laufen würden, und so sagte er beherrscht:<br />
„Wir kommen in Frieden, Old Shatterhand. Macht keinen Stress. Wir müssen dringend<br />
mit Richard sprechen. Es ist wirklich wichtig!“<br />
Vor uns traten vier bewaffnete Männer aus dem Gebüsch. Einer von ihnen musterte<br />
Jim und sagte sarkastisch:<br />
„Sieh an, Winnetou. Kann es sein, dass ihr Dharmaisten in letzter Zeit erheblich mehr<br />
mit unserem als mit eurem eigenen Boss sprecht?“<br />
Jim grinste.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Liegt vielleicht daran, dass euer Boss mehr Grips hat als unserer. Aber wir sind keine<br />
Dharmaisten, nicht mehr. Könnten wir jetzt ... Vielleicht sagt euch das Wort wichtig nicht so<br />
viel, aber es geht um Leben und Tod, und das ist kein hohler Spruch.“<br />
<strong>Der</strong> Wortführer der vier Männer war auch jetzt noch nicht bereit, uns weiter zu führen.<br />
Er musterte <strong>mich</strong> und grinste.<br />
züglich.<br />
„Du wechselst deine Begleiterinnen häufiger als deine Kleidung, was?“, fragte er an-<br />
Jim grinste zurück.<br />
„Nur kein Neid. Ich würd <strong>mich</strong> ja gerne weiter mit dir darüber unterhalten, wie du<br />
mehr Erfolg bei Frauen haben kannst, aber ...“ Er machte eine kurze Pause, dann sagte er:<br />
„Unsere Ex-Kollegen sind dabei, eure schöne Insel in Fetzen zu sprengen. Könnten wir<br />
vielleicht mal in die Gänge kommen? Richard wird einen Hinweis von uns, die Insel davor zu<br />
retten, für immer von der Bildfläche zu verschwinden, sicher sehr zu schätzen wissen,<br />
Freunde.“<br />
<strong>Der</strong> Mann sah uns giftig an und meinte im Befehlston:<br />
„Gut, ich will mal nicht so sein, ihr kommt mit. Richard hat an dir ja scheinbar einen<br />
Narren gefressen, also vorwärts.“<br />
Wir wurden in die Mitte genommen und regelrecht abgeführt. Man nahm uns die<br />
Waffen ab und trieb uns vorwärts. Nervös ließen wir uns<br />
durch den nächtlichen Dschungel führen. Jim hatte nach<br />
meiner Hand gegriffen und drückte diese sanft, wie, um <strong>mich</strong><br />
zu beruhigen. Schon nach kurzer Zeit tauchten vor uns<br />
flackernde Lichter auf. Und dann betrat ich nach acht Jahren,<br />
eigentlich aber nur ein paar Wochen, erneut das Lager Richard Alperts. Nur, dass es heute an<br />
einer ganz anderen Stelle der Insel untergebracht war. Angesichts dessen, was uns hier beim<br />
ersten gemeinsamen Besuch angetan worden war, konnte ich <strong>mich</strong> eines komischen Gefühls<br />
nicht erwehren. Ich klammerte <strong>mich</strong> an Jims Hand und wir traten zwischen die Zelte und<br />
Hütten. Und schon kam Richard aus einem der Zelte getreten und musterte uns skeptisch. <strong>Der</strong><br />
Mann, der uns im Dschungel aufgelesen hatte, sagte sarkastisch:<br />
„Er war der Meinung, du freust dich über seinen Besuch. Außerdem faselt er was<br />
davon, dass der Insel eine Gefahr droht.“<br />
Richard sah Jim an und sagte ernst: „Du bist ja neuerdings sehr anhänglich. Ich habe<br />
das Kind für euch gerettet, was willst du jetzt wieder von uns?“<br />
Jim spannte sich, das konnte ich an seiner Hand überdeutlich spüren.<br />
„Wir sind gekommen, um dir etwas zu erzählen. Allerdings würd ich das gern in etwas<br />
intimerer Atmosphäre machen, wenn es dir Recht ist.“<br />
Richards Gesicht verzog sich zu einem leicht ironischen Grinsen. Er zog die Augen-<br />
brauen in die Höhe und lachte kurz.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich mag dich. Du bist selbstbewusst und kaltschnäuzig. Eigenschaften, die ich an<br />
einem Menschen zu schätzen weiß. Ich werde ein weiteres Mal großzügig sein und deiner<br />
Bitte entsprechen. Treibe es aber nicht zu weit, Lafleur, das könnte schnell sehr gefährlich für<br />
dich werden.“<br />
Miles gähnte gelangweilt.<br />
************<br />
„Man, wir spielen uns hier die Eier rund. Wann passiert denn endlich was? Ich lang-<br />
weile <strong>mich</strong> zu Tode.“<br />
Jin hatte es sich auf einem Schlafsack gemütlich gemacht und beobachtete mit einem<br />
Fernglas die große Baustelle unter ihnen. Gelassen antwortete er dem Freund und Kollegen:<br />
„Ich denke, du wirst dich schnell genug nicht mehr langweilen. Die kommen gut<br />
voran da unten, irgendwann wird schon etwas passieren.“<br />
Miles schnaufte.<br />
„Ob Daniel Jack schon überzeugt hat, ihm zu helfen?“<br />
Jin zuckte die Schultern.<br />
„Woher soll ich das wissen? Wir müssen wohl davon ausgehen.“<br />
Miles knurrte total genervt irgendetwas, das Jin nicht verstehen konnte. <strong>Der</strong> Koreaner<br />
behielt weiter die Baustelle im Auge und sagte:<br />
„Da kommt dein Vater, Miles. Er streitet wieder mit Radzinsky herum. Scheinbar will<br />
er ihn noch einmal dazu überreden, die Bohrungen abzubrechen.“<br />
Unten auf der Baustelle stritten Radzinsky und Chang tatsächlich heftig. Was genau<br />
gesagt wurde, konnten die heimlichen Zeugen des Streits nicht verstehen, aber der Gestik der<br />
Kontrahenten war eindeutig zu entnehmen, dass es keine freundliche Unterhaltung war. Als es<br />
in der Debatte immer hitziger zuging, wehten Wortfetzen zu den heimlichen Beobachtern<br />
hinauf. Chang schrie wütend:<br />
„Egal, was du sagst, ich habe jedenfalls veranlasst, dass alle Frauen und Kinder von<br />
der Insel evakuiert werden.“<br />
Radzinsky keifte zurück:<br />
„Du bist paranoid. Gar nichts wird passieren! Du machst dich lächerlich, Chang.“<br />
Miles schnaufte vor Wut.<br />
„<strong>Der</strong> Dreckskerl soll aufhören, meinen Vater anzuschreien! Wie konnten wir so ein<br />
Arschloch nur als Kollegen tolerieren?“<br />
Jin zuckte die Schultern.<br />
„Er dreht erst so durch, seit die Energiequelle gefunden wurde. Und Phil ... Er ist ein<br />
Arschkriecher, solange Jim am Ruder war, ist er ihm hinten rein gekrochen, jetzt hat er Ober-<br />
wasser und nutzt das aus.“<br />
- 356 -
Miles nickte.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, so sieht es aus. Ich glaube, wenn Kelly die beiden Idioten vor die Flinte kriegt,<br />
sieht es schlecht für die aus. Nach dem, was die Jim angetan haben wird Kelly nicht lange<br />
zögern.“<br />
Jin nickte.<br />
„Davon gehe ich auch aus. Es wird so oder so zum Kampf kommen, freiwillig werden<br />
die nicht zulassen, dass Jack daher kommt und eine Bombe in ihr Bohrloch wirft.“<br />
Miles nickte geistesabwesend. Er hatte seinen Blick wieder auf die Baustelle gerichtet,<br />
wo sein Vater Radzinsky jetzt einfach stehen ließ. Dieser sah dem Astrophysiker nach und<br />
tippte sich an die Stirn. Er sagte etwas zu einem der Arbeiter und beide Männer lachten. Miles<br />
juckte es in den Fingern, seine Waffe zu heben und auf Radzinsky anzulegen, aber er be-<br />
herrschte sich. Er beobachtete, wie Chang in seinen Wagen stieg und die Baustelle verließ.<br />
Und dort ging die Bohrung weiter.<br />
************<br />
Jack starrte die Männer vor ihnen auf der Straße geschockt an und ein leises Ächzen<br />
entfuhr ihm unwillkürlich. Hurley, der auf der Rückbank saß, keuchte vor Schreck auf. Und<br />
Daniel hielt die Luft an. <strong>Über</strong> eine Ausrede brauchten sie nicht nachzudenken, das war ihnen<br />
klar. Die Wachen nahmen an, dass sie auf der Suche nach den Geflohenen waren. Zum Glück<br />
ahnten sie nicht, was wirklich der Plan war. Sonst hätten sie vermutlich keine Zeit mehr damit<br />
vergeudet, den Wagen zu stoppen, sondern hätten gleich wild drauf los geballert. Jack be-<br />
wegte sehr langsam und vorsichtig die Rechte vom Lenkrad weg auf seinen rechten Ober-<br />
schenkel zu. Er hatte sich eine 9 mm unter diesen geklemmt, um im Notfall schnell an die<br />
Waffe zu kommen. Um die Kerle vor sich abzulenken, sagte er laut:<br />
„Wir dachten, wir könnten euch vielleicht bei der Suche unterstützen.“<br />
Ihm war durchaus klar, dass die Wachen ihm nicht glauben würden, aber darauf kam<br />
es auch gar nicht an. Wichtig war nur, dass sie auf das hörten, was er sagte, und weniger auf<br />
das achteten, was er tat. Hurley plapperte aufgeregt los:<br />
„Und ich wollte zur Perle, hab das Frühstück für die dabei. Ist was ganz besonderes,<br />
darum muss es ...“<br />
Weiter kam er nicht, denn Jack hatte seine Waffe erreicht und seine Hand schloss sich<br />
fest um den Griff der Glock. Und nun ging alles sehr schnell.<br />
Jack riss die Waffe hoch und fing an, wahllos auf die Wachen zu feuern. Daniel<br />
reagierte schnell und riss seine eigene Waffe ebenfalls in die Höhe, um Jack zu unterstützen.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Hurley ging mit einem erschrockenen Quieken in Deckung. Die Wachen spritzten aus-<br />
einander und gaben auf diese Weise unfreiwillig den Weg frei. Jack nutzte die Chance.<br />
Rücksichtslos gab er Vollgas und jagte den Wagen hüpfend und schlitternd die Straße ent-<br />
lang. Hinter ihnen kamen die Wachleute aus der Deckung und feuerten wild hinter dem sich<br />
rasch entfernenden Auto hinterher. Dan zuckte zusammen und fasste sich keuchend an den<br />
Hals. Eine Kugel hatte ihn gestreift.<br />
„Alles in Ordnung?“, stieß Jack hastig hervor.<br />
Dan nickte nervös.<br />
„Ja, nur ein Streifschuss. Wir müssten gleich den Zaun erreichen. Das muss blitz-<br />
schnell gehen!“<br />
Jack nickte verbissen.<br />
„Hoffentlich stimmen die Zahlen noch, sonst sind wir am Arsch. Noch mal werden die<br />
nicht erst Fragen, sondern gleich schießen.“<br />
Er fuhr immer noch mit hoher Geschwindigkeit und schließlich tauchten in der<br />
Dunkelheit vor ihnen die Säulen des Sonarzaunes auf. So schnell es ging sprang Daniel aus<br />
dem Fahrzeug, hetzte zu einer der Säulen und riss die Klappe auf, die die Tastatur verbarg.<br />
Hektisch tippte er die Zahlen ein und im selben Monet ertönte der Alarm und Scheinwerfen<br />
erleuchteten plötzlich die Umgebung. Dan saß bereits wieder im Wagen und sah Jack an.<br />
Dieser prustete angespannt, dann sagte er entschlossen:<br />
„Okay, hoffen wir, dass sie noch richtig war.“<br />
Er atmete noch einmal tief durch und gab Gas!<br />
************<br />
Richards Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Wir hatten den Mann als<br />
harten Anführer seiner Leute kennen gelernt und mir war klar, dass wir ihn schnell würden<br />
überzeugen müssen, sonst würden wir in ernste Schwierigkeiten geraten. Richard schien noch<br />
zu überlegen, dann nickte er entschlossen.<br />
„Gut, ihr sollt eure Chance haben, kommt mit.“<br />
Er führte uns zu einem der Zelte hinüber, hielt uns die Plane auf und sagte:<br />
„Bitte.“<br />
Wir betraten das Zelt und Richard deutete auf einen Tisch, um den vier Stühle verteilt<br />
standen. Angespannt ließen wir aus auf diese sinken. Richard setzte sich uns gegenüber und<br />
ich dachte<br />
- Das hatten wir doch schon mal! -<br />
Wie ein Déjà-vu kam mir die Situation vor. Auffordernd sah der charismatische Mann<br />
uns an. Ich griff nach dem Medaillon, dass ich die ganze Zeit um den Hals getragen hatte und<br />
zog es hervor. Jim sah <strong>mich</strong> fragend an. Und Richards Augen weiteten sich!<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Wo hast du das her?“, fragte er misstrauisch und kalt.<br />
Ich atmete tief durch und erklärte:<br />
„Du hast es mir bei unserer letzten Begegnung gegeben. Als Beweis, dass wir uns<br />
kennen, für den Fall, dass du dich nicht mehr daran erinnerst. Mach es auf.“<br />
Ich drückte Richard das Schmuckstück in die Hand und erntete einen vollkommen<br />
verständnislosen Blick von Jim. Richard nahm das Medaillon in die Hand und öffnete es lang-<br />
sam. In dem Schmuckstück lag ein zusammengefalteter Zettel, den Alpert jetzt heraus nahm.<br />
Er entfaltete das Papier und starrte fassungslos auf den kleinen Zettel. Ich, Richard Alpert, über-<br />
gebe 1971 diese kurze Notiz an Kelly Reardon als Beweis, dass wir uns kennen.<br />
Minutenlang schwieg er. Endlich sagte er ruhig:<br />
„Ich darf wohl annehmen, dass du diese Kelly Reardon bist.“<br />
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich nickte.<br />
„Du sagtest zu mir, ich soll dich folgendes fragen: Quid cubitus umbrae statuae?“<br />
Richard antwortete spontan:<br />
„Ille qui nos omnes servabit.“<br />
Ich fragte <strong>mich</strong>, was das für eine Frage und Antwort war. Bedrückt antwortete ich:<br />
„Man kann nur hoffen, dass der Beschützer seinen Job gut macht.“<br />
Erstaunt fragte Richard:<br />
„Du kannst Latein?“<br />
Ich nickte verwirrt.<br />
„Ja, ich habe acht Semester Medizin studiert und Latein war bereits in der Highschool<br />
mein Wahlfach. Aber das ist jetzt unwichtig. Du erinnerst dich also nicht an unsere Be-<br />
gegnung?“<br />
Richard schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, das tue ich nicht. Aber ich glaube meinen eigenen Worten und daher gehe ich<br />
einfach davon aus, dass wir uns in der Tat kennen. 1971 ... Wo wart ihr denn die letzten sechs<br />
Jahre?“<br />
Jim, der uns ziemlich verwirrt zugehört hatte, erklärte:<br />
„Wir waren vor nicht mal vier Wochen bei euch, aber das ist im Augenblick neben-<br />
sächlich, okay? Richard, das alles zu erklären beansprucht Stunden, die wir nicht haben. In<br />
Kürze werden hier einige Leute aufschlagen und von euch die Herausgabe der Wasserstoff-<br />
bombe, die die US Army freundlicherweise hier gelassen hat, fordern. Sie wollen damit ...“<br />
Mehr verwirrt als misstrauisch unterbrach Richard:<br />
„Woher wisst ihr von der Bombe?“<br />
Ich seufzte.<br />
„Auch das fällt unter die Kategorie dauert zu lange. Wir wissen es eben. Was ihr nicht<br />
wisst ist folgendes: Einer der Männer, die kommen werden, ist Daniel Faraday, ein Physiker.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Richard, du musst mir das jetzt einfach glauben, er ist Ellies Sohn, den ich vor nicht einmal<br />
vier Wochen hier bei euch auf die Welt geholt habe. Sie war unter einem Trägerbalken ein-<br />
geklemmt, zusammen mit Steve, dem wir das Bein abnehmen mussten.“<br />
Richard starrte <strong>mich</strong> und Jim abwechselnd an, als wären wir vom Mond.<br />
„Woher wisst ihr das alles? Und wie kann Daniel hier auftauchen und nach einer<br />
Bombe fragen? Er ist sechs Jahre alt!“<br />
Ich schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, wenn er her kommt, ist er erwachsen. Richard, er kommt, wie wir, aus der Zu-<br />
kunft. Ellie wird ihn erschießen, weil Daniel dich mit einer Waffe bedroht. Das muss un-<br />
bedingt verhindert werden.“<br />
Richard prustete angespannt. Langsam sagte er:<br />
„Gut, gehen wir mal davon aus, dass alles stimmt was ihr sagt. Dann erklärt mir<br />
wenigstens, was er mit der Bombe will.“<br />
Ich sah den charismatischen geistigen Führer der Hostiles an. Krampfhaft überlegte<br />
ich, wie ich ihm klar machen konnte, um was es ging, ohne allzu viel Zeit zu vertun. Jim kam<br />
mir jedoch zuvor. Er sagte sarkastisch:<br />
„Er will mit der Bombe etwas Schlimmes verhindern, macht es damit aber unbewusst<br />
nur noch viel schlimmer. Mal was ganz anderes: Ihr habt nicht zufällig die hübsche, dunkel-<br />
haarige Frau, die <strong>mich</strong> neulich begleitet hat, und ihren jetzigen Begleiter, nen Iraker, gesehen?<br />
Sie wollten eigentlich zu euch.“<br />
Richard schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, abgesehen von dir und Kelly haben wir seit deinem letzten Besuch keine<br />
Fremden gesehen.“<br />
Er wollte noch etwas hinzu fügen, doch plötzlich herrschte Aufruhr im Camp. Leute<br />
brüllten, rannten durcheinander und schrien nach Ellie, Richard und Charles. Und dann fielen<br />
Schüsse!<br />
32) Die Bombe<br />
Jack hielt die Luft an. Unmittelbar vor dem Zaun kniff er die Augen zusammen und<br />
betete. Nichts geschah! Unglaublich erleichtert riss der Chirurg die Augen wieder auf. Er<br />
konnte es kaum fassen: Die Sonaranlage hatte ihre Gehirne nicht zu dampfendem Brei ge-<br />
macht. Vor ihm und seinen Begleitern lag die Straße, frei und unbewacht. Jack gab noch mehr<br />
Gas und der Wagen machte regelrecht einen Satz nach vorne.<br />
„Wo müssen wir lang?“, fragte er Daniel aufgeregt.<br />
„Ich hab keine Ahnung, wo wir sind und wo der verdammte Swan ist.“<br />
Daniel hielt sich ein Taschentuch an die Halsverletzung und deutete nach Süden.<br />
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Frauke Feind<br />
„Wir müssen bis zur Ebene und dann südlich, bis wir den Fluss erreichen. Dort ist eine<br />
Kreuzung, da müssen wir Richtung Westen abbiegen. Die Straße zum Swan führt durch die<br />
Berge.“<br />
Jack nickte. Er lenkte den Wagen an einigen kleinen Gabelungen vorbei aus den<br />
Bergen hinaus und erreichte nach kurzer Zeit die große Ebene zwischen den beiden die Insel<br />
beherrschenden Bergketten. Hier gingen unbefestigte, doch gut ausgebaute Straßen in ver-<br />
schiedene Richtungen ab. Doch Jack hielt sich an Daniels Angaben und fuhr nach Süden.<br />
Hurley rührte sich erstmals seit der Schießerei und beugte sich nach vorne.<br />
„Alter! Die haben irgendwie gewusst, dass wir abhauen wollen.“, stieß er hervor.<br />
Daniel schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, das denke ich nicht. Ich vermute, Horace hat nur die Sicherheitsvorkehrungen<br />
verstärkt. Er wird im Augenblick alle Straßen und Wege, die aus Dharmaville herausführen,<br />
überwachen lassen. Ich habe das nicht bedacht, das war ein Fehler.“<br />
Eine Weile schwiegen die drei Männer. Dann fragte Hurley:<br />
„Ich will ja nicht nerven, aber hast du mal daran gedacht, dass ... Naja, dass der Ein-<br />
satz der Bombe vielleicht erst der Auslöser für ... für dieses Lichtdings ist, dass unser Flug-<br />
zeug zum Absturz bringt?“<br />
den Kopf.<br />
Jack sah im Rückspiegel Hurleys Gesicht und war überrascht. Aber Daniel schüttelte<br />
„Das kann nicht sein. Es ist ohne uns zu diesem Ereignis gekommen, dass beweist<br />
unser aller Anwesenheit hier. Wir können es verhindern, da bin ich ganz sicher!“<br />
Hurley überlegte.<br />
„Weißt du denn auch, wo wir die Anderen finden?“<br />
Daniel nickte.<br />
„Ja, Hugo, ziemlich genau. Sie haben westlich des Swan ihr Lager. Wenn wir am<br />
Fluss angekommen sind, wirst du mit dem Wagen weiter fahren zum Swan, Jack und ich<br />
werden uns zu Fuß auf den Weg zu Richard und seinen Leuten machen.“<br />
Jack sah Daniel erstaunt an.<br />
„Warum fahren wir nicht? Das geht doch erheblich schneller.“<br />
Dan nickte.<br />
„Grundsätzlich würde es das, aber das Gelände ist zu unwegsam. Wir kommen dort<br />
nur zu Fuß vorwärts. Hugo, du musst sehr aufmerksam sein, wenn du dich der Baustelle<br />
näherst. Es kann sein, dass die dort schon über unsere Flucht informiert sind. Wir können<br />
sogar davon ausgehen. Es ist möglich, dass sie uns am Swan erwarten. Oder jedenfalls sehr<br />
viel aufmerksamer sind als üblich.“<br />
Hurley sah unglücklich aus der Wäsche.<br />
„Was ist mit Kelly und Sawyer und Jin und Miles? Und mit Kate und Sayid?“<br />
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Frauke Feind<br />
************<br />
„Bist du sicher, dass wir noch die richtige Richtung drauf haben?“<br />
Kate war stehen geblieben und trank einen Schluck Wasser aus einer Plastikflasche,<br />
die sie bei ihrer Flucht aus Dharmaville mitgenommen und unterwegs wo immer möglich<br />
aufgefüllt hatte. Es war drückend warm und irgendwie schien etwas in der Luft zu liegen.<br />
Etwas Unangenehmes. Sayid ließ sich das Wasser geben und trank ebenfalls einen Schluck.<br />
Er sah sich um. Links von ihnen ging es relativ steil bergan.<br />
Fluss sein.“<br />
uns schon ...“<br />
„Ich bin sicher, dass dort etwas weiter westlich die Höhle liegt. Dann müsste dort der<br />
Er deutete nach Osten.<br />
„Sawyer meinte, wir sollten uns in dieser Gegend bemerkbar machen, dann würden sie<br />
Er zuckte zusammen und zischte Kate zu:<br />
„Runter!“<br />
Es hätte dieses Hinweises nicht bedurft, denn auch Kate hatte sich nähernde Schritte<br />
gehört. Angespannt hockten die Beiden hinter einem Dickicht und warteten. Und glaubten<br />
ihren Augen nicht zu trauen!<br />
hinüber.<br />
entgegen.<br />
„Jack!“<br />
Kate schoss hinter dem Busch hervor und eilte zu den beiden Neuankömmlingen<br />
„Kate! Sayid! Wo kommt ihr denn her?“<br />
Jack war herumgewirbelt und starrte vollkommen fassungslos den beiden Freunden<br />
„Was macht ihr hier?“, fragte Sayid ein wenig misstrauisch und starrte Daniel an. „Wo<br />
kommt der denn plötzlich her?“<br />
Jack hatte Kate kurz umarmt, jetzt prustete er angespannt.<br />
„Daniel ist zurück auf die Insel gekommen, um zu versuchen, den Vorfall, der unser<br />
Flugzeug zum Absturz brachte, zu verhindern. Er glaubt, eine Möglichkeit gefunden zu<br />
haben. Daniel, erkläre doch selber, was wir vorhaben.“<br />
Dan seufzte.<br />
„Hört zu. Am Swan, der Station, die ihr später Hatch nennt, werden derzeit Bohrungen<br />
durchgeführt, um eine unvorstellbar große Magnetenergiequelle, die sich unterhalb der<br />
Station befindet, zu Erschließen. Meine Recherchen und Forschungen in den letzten drei<br />
Jahren haben mir eindeutig gezeigt, dass das Freisetzen dieser unglaublichen Energie der Vor-<br />
fall ist, der eure Maschine in 2004 zum Absturz bringt. Nachdem ihr von der Insel ver-<br />
schwunden wart, sind Sawyer, Juliet, Miles, Charlotte und ich eine Weile durch die Zeit ge-<br />
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Frauke Feind<br />
zappt. Ausgelöst wurden die Zeitsprünge durch die Betätigung einer Vorrichtung, die vermut-<br />
lich ebenfalls durch diese Energie genährt wird. Ben war es, der die Vorrichtung in Gange<br />
setzte. Er gelangte auf diese Weise von der Insel herunter. Die wahllosen Zeitsprünge, die<br />
damit einsetzten, wurden dadurch ausgelöst, dass sich die Vorrichtung bei der Betätigung<br />
durch Ben irgendwie verhakte. Erst, als Locke die Vorrichtung erneut betätigte, um die Insel<br />
ebenfalls zu verlassen, nämlich, um euch zu überreden, wieder hierher zurück zu kommen,<br />
löste sich die Vorrichtung aus ihrer Verhakung und die Zeitsprünge hörten auf. Wir saßen<br />
aber nun in 1974 fest. Sawyer, Juliet, Miles und Jin, der inzwischen zu uns gestoßen war, be-<br />
schlossen, auf der Insel zu bleiben, ich selbst verließ sie aber mit dem U-Boot und hielt <strong>mich</strong><br />
die letzten Jahre im DHARMA Hauptquartier in Ann Arbor auf. Dort habe ich die Energie<br />
und ihre Folgen genau studiert. Auf einem unserer Zeitsprünge landeten wir damals in 1954.<br />
Wir gerieten in die Gefangenschaft Richard Alperts und seiner Leute. Er war überzeugt, dass<br />
wir ein <strong>Über</strong>bleibsel einer Einheit US Soldaten waren. Diese hatte die Insel irgendwie ge-<br />
funden und waren von den Anderen getötet worden. Sie hatten jedoch eine Wasserstoffbombe<br />
zurückgelassen.“<br />
Daniel machte eine Pause und ließ die Worte, die er schnell hervor gesprudelt hatte,<br />
erst einmal sacken.<br />
„Wasserstoffbombe?“, fragte Sayid ungläubig.<br />
„Zeitsprünge?“ Kate sah fassungslos von Jack zu Daniel. „Das würde dann wohl auch<br />
erklären, warum wir in 1977 gelandet sind.“<br />
Dan nickte.<br />
„Ja, das ist nur durch die Möglichkeit der Zeitsprünge hier zu erklären. Okay, Richard<br />
wollte von uns, dass wir die Bombe entschärfen. Das war jedoch nicht möglich, da die<br />
Außenhülle leck geschlagen war. Ich riet ihnen, die Bombe unter einer dicken Schicht Beton<br />
zu vergraben. Scheinbar hielten sie sich an meinen Vorschlag.“<br />
„Wie kommst du darauf?“, fragte Sayid langsam.<br />
„Weil die Insel noch existiert.“, meinte Jack lakonisch.<br />
Sayid nickte.<br />
„Du hast Recht. Und wie ...?“<br />
Er sah Dan auffordernd an.<br />
„Wir entkamen, da es zu einem erneuten Zeitsprung kam. Diese Bombe nun ... Sie ist<br />
noch immer auf der Insel und ich bin überzeugt, wenn es mir gelingt, den Zünder in das Bohr-<br />
loch zu werfen, ist es mir möglich, das Ereignis, das zum Absturz führte, und damit alles, was<br />
seither geschah, zu verhindern.“<br />
Sprachlos starrten sowohl Kate als auch Sayid den Physiker an.<br />
„Wie das?“, wollte Sayid wissen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Nun, ganz einfach, Sayid. Indem die Explosion die Energiequelle ein für alle Mal<br />
zerstört!“, erklärte Jack ruhig. „Wir würden dann nicht auf die Insel stürzen, sondern sicher in<br />
LA landen.“<br />
Kate starrte kopfschüttelnd auf den Waldboden.<br />
„Wenn wir nicht abstürzen, werde ich in LA ... Ich werde ins Gefängnis gesteckt.“<br />
Ihre Stimme klang dünn und verängstigt. „Die werden <strong>mich</strong> wegen Mordes anklagen.“<br />
Jack sah ebenfalls zu Boden. Sayid überlegte. Alles, was seit dem Absturz mit ihm ge-<br />
schehen war, war die Hölle gewesen. Er hatte die Frau verloren, die er mehr geliebt hatte als<br />
irgendein anderes menschliches Wesen. Er war zum Killer für einen psychopathischen Irren<br />
geworden. Sayid seufzte leise. Ruhig sagte er:<br />
„Kate, alles, was uns auch in LA erwarten mag, scheint mit deutlich besser zu sein, als<br />
das, was wir hier und nach der Insel erleben mussten. Denke doch nur einmal daran, dass du<br />
dich von Aaron trennen musstest. All das wird dann möglicherweise nicht geschehen.“<br />
Eifrig nickte Daniel.<br />
„Nicht nur möglicherweise, es wird nicht geschehen.“<br />
Kate seufzte unglücklich.<br />
„Ihr alle habt es leicht.“, stieß sie heftig hervor. „Ihr wandert nicht in den Knast, kaum,<br />
dass ihr in LA gelandet seid. Mars wird dann leben und es wird ihm ein persönliches Ver-<br />
gnügen sein, <strong>mich</strong> einzusperren. <strong>Der</strong> Mann hasst <strong>mich</strong>. Ich werde ... Ich habe gemordet. Ich<br />
werde lebenslänglich kriegen.“<br />
Sie geriet richtig in Panik. Jack trat zu ihr und zog sie an sich.<br />
„Kate, du bringst ein unglaubliches Opfer, aber ...“<br />
Abwehrend schüttelte Kate den Kopf.<br />
„Nein! Was ihr da von mir verlangt ist zu viel. Ich ... bevor ich für den Rest meines<br />
Lebens eingesperrt im Gefängnis sitze, bleibe ich lieber auf dieser verhexten Insel. Dass könnt<br />
ihr nicht ernsthaft von mir verlangen!“<br />
************<br />
Ich duckte <strong>mich</strong> unwillkürlich und spürte, wie Jim <strong>mich</strong> an der Hand packte und mit<br />
sich in Deckung hinter einem Schrank zog.<br />
was los war.“<br />
„Was ist da los? Ist das schon Daniel?“, keuchte ich erschrocken.<br />
Draußen wurde es bereits wieder ruhig.<br />
„Falscher Alarm?“<br />
Jim sah Richard fragend an. Dieser schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, irgendetwas muss gewesen sein. Bleibt ihr hier, ich werde mal nachschauen,<br />
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Frauke Feind<br />
Richard verschwand nach draußen und wir waren alleine. Jim zog <strong>mich</strong> an sich und<br />
hielt <strong>mich</strong> in seinen Armen. Schon nach wenigen Minuten erschien Richard wieder im Zelt.<br />
Und Jim und ich rissen die Augen weit auf, als wir sahen, wen er bei sich hatte.<br />
wirrt.<br />
Sayid?“<br />
hervor:<br />
„Kate! Hurley! Wo kommt ihr denn so plötzlich her?“, fragte Jim vollkommen ver-<br />
Richard nickte langsam.<br />
„Er gehört zu euch?“, fragte er und deutete auf Hurley.<br />
„Ja, er ... Das ist Hugo, Hugo Reyes. Er saß damals mit im Flugzeug. Was ist ... Wo ist<br />
Kate hatte erleichtert aufgeatmet, als sie Jim und <strong>mich</strong> erkannt hatte. Jetzt sprudelte sie<br />
„Sayid ist bei Jack und Daniel Faraday. Er will ihnen bei einem irrsinnigen Plan<br />
helfen. Sawyer, weißt du was von einer Wasserstoffbombe?“<br />
Jim nickte.<br />
„Ja, ich weiß auch, was Starsky und Hutch vorhaben. Sie wollen die Energiequelle<br />
unter dem Hatch wegpusten.“<br />
Jetzt war es an Kate und Hurley, Jim vollkommen verwirrt anzustarren.<br />
„Woher weißt du ...?“<br />
Jim schüttelte ungeduldig den Kopf.<br />
„Scheißegal, woher ich es weiß, ich weiß es eben. Das dürfen sie nicht machen. Die<br />
Idioten lösen damit ne Katastrophe aus!“<br />
Skeptisch kniff Kate ein Auge leicht zusammen.<br />
„Eine Katastrophe? Was für eine Katastrophe denn?“<br />
Jim fuhr sich mit der Rechten durchs Haar.<br />
„Hör zu, Freckles, wenn ich jetzt anfange, das alles zu erklären, hocken wir Ostern<br />
noch hier. Vertrau mir einfach ein einziges verdammtes Mal und glaub mir, wenn ich sag,<br />
dass es n Desaster gibt, wenn die Schwachköpfe das schaffen, was sie vorhaben!“<br />
Eindringlich waren seine Worte gewesen und überzeugend. Hurley hatte Jim aufmerk-<br />
sam zugehört. Jetzt meinte er:<br />
„Daniel sagt, wenn er schafft, was er will, würden wir nicht Abstürzen und alles, was<br />
dann passiert, würde nicht passieren. Sawyer, Charlie würde nicht sterben. Und Boone und<br />
Shannon und alle auch nicht.“<br />
Er sah Jim mit einem merkwürdigen Blick an und irgendwo tief in mir schrillte eine<br />
Alarmglocke los. Jim schüttelte energisch den Kopf.<br />
„Vergiss es. Dass ist Blödsinn. Er kann es nicht verhindern, glaub mir!“<br />
Hurley war neben <strong>mich</strong> getreten und sah bedrückt zu Boden. Und dann ging alles so<br />
blitzschnell, dass keiner von uns mehr reagieren konnte. Hurley, dem wir am wenigsten etwas<br />
Böses zugetraut hätten, bewegte sich plötzlich mit einer Geschwindigkeit, die niemand bei<br />
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Frauke Feind<br />
ihm vermutet hätte. Er packte <strong>mich</strong> und eine Sekunde später hing ich bereits hilflos in seinem<br />
festen Griff, ein Messer, das er von irgendwo her gezaubert hatte an meiner Kehle. Kate hatte<br />
genauso schnell reagiert und hielt plötzlich ebenfalls ein Messer in der Hand, dass sie ohne zu<br />
Zögern Richard an die Kehle setzte, an den sie unauffällig heran getreten war. Jim stand wie<br />
gelähmt da und starrte Hugo an. Wir hörten ein reißendes Geräusch hinter uns. Die Zeltplane<br />
wurde aufgeschlitzt und niemand geringeres als Jack, Sayid und Daniel traten durch einen<br />
Schlitz hindurch hastig in das Zelt. Jack richtete eine Waffe auf Jim und sagte ruhig:<br />
„So sieht man sich wieder, Sawyer. Jetzt hast du kein Buch, in dem du zur Ent-<br />
spannung lesen kannst, um eine Entscheidung zu treffen.“<br />
************<br />
„Kate, ich schwöre dir, dass ich alles Menschenmögliche tun werde, um dich aus dem<br />
Gefängnis zu holen. Ich werde den besten Anwalt besorgen, ich werde dich da raus holen. Du<br />
weißt, dass ich dich über alles Liebe. Was gewesen ist tut mir unglaublich leid, aber ich kann<br />
es nicht mehr ändern oder rückgängig machen. Aber ich kann dafür sorgen, dass wir eine neue<br />
Chance bekommen werden. Eine neue Chance für eine neue, gemeinsame Zukunft, Kate.“<br />
Kate sah Jack an.<br />
„Wer sagt dir denn, dass wir uns erinnern werden? Die Chancen, dass wir uns gar<br />
nicht kennen sind doch viel größer.“<br />
Unglücklich und fast panisch starrte Kate Jack an. Daniel schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, Kate, die Möglichkeit, dass wir uns nicht erinnern werden ist minimal. Jack hat<br />
Recht, ihr könnt einen Neuanfang schaffen. Du hast ihm immer vertraut, tue dies noch ein<br />
einziges Mal und wir werden dieses ganze Chaos ein für alle Mal beseitigen.“<br />
Kate wollte etwas antworten, aber in diesem Moment knackte es hinter ihnen im<br />
Dschungel. Alarmiert fuhren die Vier herum und richteten ihre Waffen in das Gebüsch, aus<br />
dem das Geräusch zu ihnen drang. Plötzlich ertönte eine mehr als bekannte Stimme.<br />
„Hey, Leute, ballert <strong>mich</strong> nicht über den Haufen.“<br />
„Hurley?“<br />
gestapft kam.<br />
Ungläubig starrte Jack in das Gebüsch, aus dem Augenblicke später tatsächlich Hurley<br />
„Was machst du hier? Du solltest ...“<br />
Hurley unterbrach Jack.<br />
„Hör zu, Alter, das kannst du vergessen. Die Baustelle ist bewacht wie Fort Knox! Da<br />
komm ich nicht ran, vergiss es. Ich kann euch hier helfen.“<br />
Er ließ sich schwer atmend auf einen umgestürzten Baum in der Nähe sinken und<br />
wischte sich Schweiß von der Stirn. Jack zuckte die Schultern und wandte sich wieder Kate<br />
zu.<br />
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„Wie sieht es aus, Kate, bist du dabei?“<br />
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Frauke Feind<br />
Mehrere Minuten grübelte Kate herum, dann nickte sie langsam.<br />
„Ich weiß nicht, ob ich einen riesigen Fehler mache, aber, ja, ich bin dabei.“ Resigniert<br />
sah sie Jack an. „Wie wollen wir vorgehen?“<br />
Bombe.“<br />
„Wir müssen zu Richard und die Bombe holen, beziehungsweise den Zünder der<br />
„Die passen auf wie Teufel, da kommt laut Sawyer nicht mal eine Maus unbemerkt ins<br />
Camp.“, stieß Kate hervor.<br />
„Dann müssen wir ihnen eine Ablenkung bieten, die ihre Aufmerksamkeit so auf sich<br />
ziehen wird, dass sie weitere Aktionen nicht oder jedenfalls zu spät mitbekommen.“, erklärte<br />
Daniel hastig. „Uns läuft die Zeit davon. Wir müssen schnell entscheiden, was wir tun.“<br />
Sayid hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Jetzt fragte er ruhig:<br />
„Kate, Hurley, ich habe eine Idee, dabei kommt es aber sehr auf euch an. Traut ihr<br />
euch zu, in Richards Lager zu gehen und ihn als Geisel zu nehmen?“<br />
Kate sah Hurley an. Blass, aber entschlossen nickte dieser.<br />
„Alter, ich schaff alles, wenn ich dafür meinen Arsch endlich von dieser scheiß Insel<br />
weg gebeamt kriege.“<br />
Auch Kate nickte.<br />
„Ja, wie stellst du es dir vor?“<br />
Sayid erklärte langsam:<br />
„Ihr werdet ins Lager gehen, oder euch bringen lassen und Richard von unserem Plan<br />
erzählen. Es muss euch gelingen, die so abzulenken, dass sie nicht bemerken, dass wir uns<br />
anschleichen. Ihr müsst Richard in eure Gewalt bringen, Kate, für ihn werden seine Leute<br />
alles tun. Wir drei werden uns an seine Unterkunft heranschleichen und euch zu Hilfe<br />
kommen. Kriegt ihr Beide das hin?“<br />
Energisch nickte Kate und auch Hurley nickte, wenn auch lange nicht so überzeugt.<br />
„Hurley, du wirst Kate aktiv unterstützen müssen.“, sagte Jack eindringlich.<br />
„Ja, Alter, das ist mir klar. Ich krieg das hin!“<br />
„Woher wisst ihr, welche Unterkunft Richards ist?“, fragte Kate jetzt.<br />
„Wir werden euch beobachten und sehen, wo man euch hin bringt. Lass dass nur<br />
meine Sorge sein.“, erklärte Sayid beherrscht.<br />
Kate nickte.<br />
„Okay, Hurley, alles klar bei dir?“<br />
<strong>Der</strong> junge Mann nickte nervös.<br />
„Wie wollen wir an die Baustelle heran kommen, wenn wir es geschafft haben, den<br />
Zünder der Bombe zu bekommen? Wenn sie so gut bewacht wird, wie Hurley sagt ...“<br />
Kate ließ die Worte in der Luft hängen.<br />
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Frauke Feind<br />
„Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Wir könnten beispielsweise<br />
Richard mitnehmen und als Ablenkung zur Baustelle hinunter bringen. Wenn die DHARMA<br />
Leute den Anführer ihrer Gegner in die Hand bekommen, sind sie möglicherweise genügend<br />
abgelenkt, nicht mit zu bekommen, dass sich einer von uns dem Bohrloch nähert. Aber<br />
darüber können wir uns Gedanken machen, wenn wir dort sind. Zur Not schießen wir uns den<br />
Weg frei.“, erklärte Sayid hart. „Ich würde alles riskieren, um dieser ganzen Hölle zu ent-<br />
kommen.“<br />
hatten.<br />
Er wirkte so hart und entschlossen, wie Kate, Hurley und Jack ihn noch nie erlebt<br />
„Selbst, wenn ich dabei sterbe, ist das noch besser als alles, was seit dem Absturz ge-<br />
schehen ist. Wir werden so viele Leben retten.“<br />
Kate ließ sich von Sayids leidenschaftlichen Worten mitreißen.<br />
„Du hast Recht, wenn es eine Chance gibt, all das ungeschehen zu machen, müssen<br />
wir sie ergreifen.“<br />
Zögernd meldete sich Daniel zu Wort.<br />
„Vielleicht wird es einfacher als wir denken. Wenn die beim Swan in die Energie-<br />
tasche Bohren, werden sie vermutlich ganz andere Probleme haben, als auf unerlaubte Ein-<br />
dringlinge zu achten, die Dharmabekleidung tragen.“<br />
Jack nickte.<br />
„So sehe ich das auch. Gut ...“<br />
Er griff an seinen Gürtel, wo er eine Scheide mit einem Messer befestigt hatte, bevor<br />
er zusammen mit Dan und Hugo Dharmaville verlassen hatte. Er löste diese und drückte sie<br />
Kate in die Hand. Dan hatte ebenfalls ein Messer mitgehen lassen und drückte dieses Hurley<br />
in die Hand, der es angewidert entgegen nahm.<br />
„Damit müsst ihr auskommen. Wenn es euch gelingen würde, eine blonde Frau, sie<br />
müsste um die vierzig sein und ist neben Richard die Anführerin der Anderen, ebenfalls in<br />
eure Gewalt zu bekommen, wäre das großartig. Sie heißt Ellie.“<br />
Kate nickte.<br />
„Wir werden sehen.“, sagte sie entschlossen und verbarg das Messer in ihrem Hosen-<br />
bund unter dem T-Shirt.<br />
Nun sah sie Hurley an.<br />
„Alles klar bei dir?“<br />
Ergeben nickte dieser.<br />
„Ja. Wo müssen wir hin?“<br />
„Wir gehen noch ein Stück zusammen, dann werdet ihr direkt in das Lager<br />
marschieren, während wir die Unruhe, die dabei entstehen wird, ausnutzen werden, uns anzu-<br />
schleichen. Viel Glück.“<br />
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Frauke Feind<br />
************<br />
Ich hing wie paralysiert in Hurleys Arm und spürte das Messer an meiner Kehle.<br />
Hurley wirkte unglaublich entschlossen und ich hatte im Augenblick nur Angst. Richard stand<br />
relativ ruhig in Kates Griff und fragte:<br />
„Wie soll es weiter gehen?“<br />
Daniel trat zu dem charismatischen Anführer hinüber und erklärte angespannt:<br />
„Du wirst jetzt Ellie rufen, Richard. Wenn ihr tut, was wir verlangen, wird niemandem<br />
etwas geschehen. Wir sind nicht hier, um irgendeinen Menschen zu verletzen. Rufe sie jetzt.“<br />
Jim stand angespannt da und sah Hurley an.<br />
„Wenn du ihr etwas tust, schwöre ich, werde ich dich umbringen!“<br />
Hugo zuckte zusammen aber Jack erklärte ruhig:<br />
„Wir sind nicht hier, um irgendwem etwas zu tun, Sawyer. Wir wollen nur die Bombe<br />
und dann werden wir uns alle retten.“<br />
sein.“<br />
Jim bewegte sich ein wenig und Jack lachte leise.<br />
„Vergiss es, Sawyer, okay, ich werde nicht zögern zu schießen, das muss dir klar<br />
Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.<br />
„Bitte, Jim, versuche nichts. <strong>Der</strong> Schwachkopf ist verrückt genug, dich über den<br />
Haufen zu schießen, um seinen sinnlosen und katastrophalen Plan in die Tat umzusetzen.“<br />
Giftig stieß Kate hervor:<br />
„Er ist kein Schwachkopf. Er wird uns alle retten.“<br />
Sarkastisch erklärte Jim:<br />
„Ja, so wie er uns schon mal gerettet hat, was?“<br />
„Er hat uns hier weg geschafft.“, stieß Hurley erregt hervor.<br />
„Klar, Moppelchen, und wohin dich das gebracht hat sieht man ja. Du stehst hier und<br />
hältst einer Unschuldigen ein Messer an den Hals. <strong>Der</strong> große Doc versucht hier den lieben<br />
Gott zu spielen und ihr Idioten folgt ihm wie die Lemminge. Er wird uns alle ...“<br />
„Halt dein Maul, Sawyer. Deine Zeit ist vorbei. Jetzt wird wieder getan was ich sage.<br />
Du verschwendest deinen Atem. Du wirst mir in absehbarer Zeit dankbar sein, dass ver-<br />
spreche ich dir.“<br />
Während unserer Debatte war Richard, von Sayid mit einer Waffe bedroht, an den<br />
Zelteingang getreten und zögerte deutlich, zu tun, was von ihm verlangt wurde.<br />
„Mach schon, wenn du zögerst, machst du alles nur noch schlimmer.“, erklärte Sayid<br />
ruhig und gab Alpert einen Stoß mit der Waffe.<br />
Richard atmete tief ein, dann rief er:<br />
„Ellie, kannst du bitte mal kurz zu mir kommen?“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Eine schlanke, gut aussehende Frau um die vierzig, die ein kleines Stück entfernt mit<br />
zwei jungen Männern sprach, drehte sich zu Richard herum und setzte sich in Bewegung.<br />
„Was gibt es?“, fragte sie und erstarrte.<br />
Sie sah plötzlich einen schlanken, bärtigen Mann hinter Richard, der in einer ein-<br />
deutigen Geste eine Waffe auf sie richtete.<br />
„Was ...?“<br />
„Bleib ganz ruhig und komm ins Zelt.“, sagte Daniel angespannt.<br />
Die Frau hatte sich verändert, aber Dan erkannte trotzdem sofort die junge Frau<br />
wieder, die ihn 1954 zur Bombe geführt hatte.<br />
fragend an.<br />
„Mach keinen Ärger, dann wird niemandem etwas passieren.“<br />
Zögernd trat die Frau näher. Schließlich stand sie bei uns im Zelt und sah Richard<br />
„Sie wollen, dass wir sie zur Bombe führen. Wenn wir tun, was sie verlangen wird<br />
keinem etwas geschehen.“, erklärte Richard ruhig.<br />
Kate sah sich im Zelt um und sah in einer Ecke ein paar Stricke liegen. Sie griff sich<br />
diese und trat damit an Richard heran.<br />
„Leg die Hände auf den Rücken, mach schon.“<br />
Innerhalb kürzester Zeit hatte sie Jim, Richard, Ellie und mir die Hände auf den<br />
Rücken gefesselt. Jetzt verschwand endlich das Messer von meinem Hals und Jim atmete er-<br />
leichtert auf. Er warf mir einen liebevollen Blick zu und nickte aufmunternd.<br />
„Noch ist es nicht zu spät, Baby.“, sagte er leise.<br />
Ich nickte ebenfalls, wenig überzeugt.<br />
„Wie geht es weiter?“, fragte Richard langsam.<br />
„Wir werden uns zusammen auf den Weg zur Bombe machen, ganz einfach. Wenn<br />
eure Leute Zicken machen, werden sie einen ihrer Anführer verlieren. Wenn ihr tut, was wir<br />
verlangen, werden wir euch unverletzt gehen lassen. So einfach ist das.“<br />
Sayid sah Richard an und deutete mit einem Nicken auf den Zeltausgang.<br />
Von vier Waffen bedroht traten Ellie und Alpert vor das Zelt. Sofort wurden die ersten<br />
Anwesenden aufmerksam. Doch bevor es zu einer Eskalation kommen konnte, erklärte<br />
Richard laut und unmissverständlich:<br />
„Bleibt alle ganz ruhig! Es nützt keinem, wenn es hier zu einem Blutbad kommt. Wir<br />
werden tun, was man von uns verlangt und niemandem wird etwas geschehen. Ihr bleibt alle<br />
hier im Lager, das ist ein Befehl. Tim, Charles, ihr sorgt dafür, dass keiner uns folgt.“<br />
Ich sah zu den beiden Männern hinüber und erkannte in Tim meinen Großvater. Neben<br />
ihm stand ein junger Mann, den ich sofort als meinen Vater identifizierte. Er musste dreiund-<br />
zwanzig Jahre alt sein. Warum mir ausgerechnet dieser Gedanke durch den Kopf schoss war<br />
mir unverständlich. Ich war bereits geboren, irgendwo hier lag ich in einer Kinderwiege und<br />
stand gleichzeitig an den Händen gefesselt neben Jim, von Waffen bedroht. Ich konnte ein<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
hysterisches Kichern nicht unterdrücken. Diese ganze Situation war derart irrational, dass es<br />
meinen Verstand zu Sprengen drohte. Doch als Jack Jim mit seiner Waffe einen harten Stoß<br />
in den Rücken verpasste und ihn anherrschte:<br />
Lage zurück.<br />
„Setz dich in Bewegung, Sawyer.“, kehrte mein Versand augenblicklich zur aktuellen<br />
„Ich hasse dich, Jack. Wenn du Jim etwas tust, werde ich dich umbringen!“<br />
Jim lächelte mir zu.<br />
„Er wird mir nichts tun, Baby, keine Bange.“<br />
Richards Leute waren aufgesprungen, hatten zu ihren Waffen gegriffen und einen<br />
Moment war es in der Schwebe, ob es doch zu einem Kampf kommen würde. Angespannt<br />
standen wir alle da und warteten. Sayid presste Richard zur Unterstützung seiner Worte den<br />
Waffenlauf an die Schläfe. Ohne mit der Wimper zu zucken sagte Richard noch einmal:<br />
„Macht euch keine Sorgen um uns, es wird uns nichts geschehen. Bleibt ruhig, dann<br />
sind Ellie und ich in Kürze wieder unversehrt bei euch. Tim, ich verlasse <strong>mich</strong> auf euch.“<br />
Und endlich nickte mein Großvater energisch.<br />
„Das kannst du, Richard, wir werden auf eure Rückkehr hier warten. Sollte euch<br />
jedoch etwas zustoßen, wird keiner von euch überleben.“<br />
Diese Worte galten Jack, Kate, Daniel, Hurley und Sayid. Unbeeindruckt sahen diese<br />
kurz zu den Anwesenden hinüber. Dann setzten sie sich, und damit auch uns Gefangene in<br />
Bewegung. Immer von mindestens zwei Waffen bedroht führten Richard und Ellie uns aus<br />
dem Camp in den Dschungel. Schweigend marschierten wir unter den wachsamen Augen<br />
Sayids und Jacks auf einem kleinen Pfad in nördlicher Richtung aus dem Lager. Knappe zwei<br />
Stunden wurden wir durch den Wald geführt, Stunden, in denen kaum gesprochen wurde.<br />
Alle schwiegen angespannt, jeder beobachtete aus anderen Gründen sehr gründlich die Um-<br />
gebung. Jim versuchte zwischendurch, Jack zu überzeugen, dass sein Plan nicht funktionieren<br />
würde. Er sagte:<br />
könnte?“<br />
„Hör mal, Jacko, hast du dir mal überlegt, dass eure scheiß Bombe alles erst auslösen<br />
Jack gab Jim einen harten Schubs in den Rücken und erklärte giftig:<br />
„Halt den Mund, Sawyer. Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Du weißt ja nicht,<br />
was wir alle durchgemacht haben.“<br />
„Ach, weiß ich nicht, Doc? Schon vergessen? Ich hab euren Arsch gerettet und bin auf<br />
der Insel geblieben, damit ihr abzitternd konntet. Ich hab hier auch nicht gerade das Paradies<br />
auf Erden gehabt, kannst du mir glauben. Trotzdem ist es Irrsinn, was ihr vorhabt.“<br />
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Frauke Feind<br />
33) Auf Leben und Tod<br />
Daniel hatte zugehört und sagte in seiner üblich hektischen Art: „Nein, nein, das ist es<br />
nicht. Sawyer, du musst uns vertrauen. Wir werden euch alle endgültig aus dieser misslichen<br />
Lage befreien. Ich habe in Ann Arbor Zeit genug gehabt, <strong>mich</strong> mit den Zeitsprüngen und der<br />
Energie zu beschäftigen. Wenn unser Plan gelingt, werdet ihr nie auf der Insel abstürzen. Das<br />
musst du mir glauben. Ihr werdet all diesen Horror nie erleben.“<br />
Jim lachte leise.<br />
„Du willst nur verhindern, dass dein Rotschopf hier abkratzt.“, erklärte er ironisch.<br />
„Wir anderen sind dir scheißegal, Einstein.“<br />
Kurz zuckte Dan zusammen, als Jim ihn so offen mit seiner Vermutung konfrontierte.<br />
„Natürlich ist das auch eine wichtige Option in meinem Plan, das streite ich gar nicht<br />
ab. Wenn ich sie damit vor den Sterben bewahren kann, ist das doch nicht verkehrt. Du<br />
würdest für Kelly auch alles versuchen.“<br />
Jack machte der Diskussion ein Ende.<br />
„Seid still, alle beide. Wir werden alle vom Gelingen unseres Plans profitieren. Wir<br />
werden uns alle im Flugzeug wieder finden und niemand wird sterben.“<br />
Jim schüttelte frustriert den Kopf.<br />
„Ich wusste, dass du stur und dämlich bist, Doc, aber dass du so stur und so dämlich<br />
bist ist selbst mir neu.“<br />
Wütend stieß Jack Jim den Waffenlauf in die Nierengegend.<br />
„Halt jetzt deinen Rand, sonst werde ich dich knebeln, Sawyer, das schwöre ich dir.“<br />
Jim war zusammen gezuckt und ich sagte resigniert:<br />
„Lass es, Schatz, du wirst sie nicht überzeugen. Gegen Dummheit ist kein Kraut ge-<br />
wachsen. Was musst du für eine traurige Kindheit gehabt haben, Jack, dass du jetzt hier deine<br />
erzwungene Macht derart ausnutzen musst. Du tust mir leid.“ Jack zuckte unter meinen<br />
Worten zusammen und irgendwie tat mir das gut. Ich konnte nur noch hoffen, dass es uns<br />
später gelingen würde, den Plan an der Baustelle zu vereiteln. Sie ahnten nichts von Jin und<br />
Miles, das war unser Vorteil. Und immerhin lebte Daniel noch. Ein wichtiger Punkt auf<br />
unserer Liste. Obwohl ich langsam anfing <strong>mich</strong> zu fragen, ob das nicht zu unserem Nachteil<br />
gereichte.<br />
Vor uns blieben Ellie und Richard stehen. Ein Höhleneingang war in ein paar Schritten<br />
Entfernung vor uns aufgetaucht.<br />
„Dort müssen wir rein.“, sagte Richard ruhig.<br />
„Dann los.“, erklärte Sayid und gab Richard einen sanften Stoß.<br />
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Frauke Feind<br />
Ellie und der Anführer setzten sich wieder in Bewegung und betraten die Höhle. „Dort<br />
in der Ecke liegen Fackeln.“, erklärte die Frau und deutete mit einem Nicken in eine Ecke der<br />
kleinen Höhle.<br />
Kate eilte in die angewiesene Richtung und kam mit fünf Fackeln in der Hand zurück.<br />
Sie wurden entzündet, dann trat Sayid mit einer Fackel in der Hand zu Richard.<br />
„Wir gehen voran.“ erklärte er kalt.<br />
Die Höhle verjüngte sich, je tiefer wir eindrangen, bis sie schließlich nur noch ein<br />
schmaler Gang war, der stetig abwärts führte. Misstrauisch fragte Daniel:<br />
„Wie wollt ihr denn bitte hier die Bombe hinein bekommen haben?“<br />
Ellie drehte sich zu ihm herum.<br />
„Stell dich nicht dümmer an als du bist! Natürlich nicht auf diesem Wege! Wir haben<br />
sie auf einem anderen Weg hier herunter geschafft und dann haben wir die Höhle von oben<br />
verschlossen, wie du es uns damals geraten hast. Wie kommt es eigentlich, dass du kaum älter<br />
aussiehst?“<br />
Daniel gab keine Antwort. Er schwieg verbissen und wir folgten alle dem Pfad in den<br />
Berg hinein. Schließlich standen wir vor einer gemauerten Wand.<br />
„Dahinter ist eine weitere Höhle, in der die Bombe nun schon seit dreiundzwanzig<br />
Jahren sicher verwahrt ist.“, erklärte Richard ruhig. „Dort vorne liegt ein schwerer Vorschlag-<br />
hammer, damit könnt ihr die Mauer einschlagen.“<br />
Hurley sah sich um und entdeckte den Hammer.<br />
„Hier ist er.“, erklärte er und hob das Werkzeug auf.<br />
Sayid löste Richards Fesseln und sagte kalt lächelnd: „Bitte, tob dich aus.“ Richard<br />
griff nach dem Hammer und trat langsam an die Wand heran. Gute dreißig Minuten schlug er<br />
mit aller Kraft auf die Mauer ein. Schließlich war er so fertig, dass er den Hammer nicht mehr<br />
in die Höhe bekam. Er hatte es geschafft, fünf Steine zu lösen. Jack schüttelte genervt den<br />
Kopf. Er machte nun Jims Hände los und nickte in Richtung Wand.<br />
„Na los, du Held, weiter machen.“<br />
Hasserfüllt sah Jim den Arzt an. Wortlos griff er nach dem Hammer und trat an die<br />
Wand heran. Sein Hass half ihm bei der schweren Arbeit und nach vielleicht fünfundvierzig<br />
Minuten hatte er das Loch so weit vergrößert, dass wir uns hindurch zwängen konnten.<br />
Vollkommen erschöpft sank Jim auf der anderen Seite erst einmal auf die Knie. Schweiß lief<br />
ihm in Strömen über das Gesicht und er keuchte nach Luft.<br />
„Verdammt, ich hätte doch nicht Rauchen sollen ...“, stieß er atemlos hervor.<br />
Sayid und Daniel waren mit Fackeln in der Hand in die kleinere Höhle vorgedrungen.<br />
Und jetzt konnten wir alle die Bombe sehen. Sie hing in einem Holzgestell sicher verwahrt.<br />
Die Zeit hatte ihre Außenhülle an vielen Stellen rosten lassen, aber wie Daniel mit einem<br />
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Frauke Feind<br />
schnellen, prüfenden Blick feststellte, hatte sich der Riss nicht vergrößert. Er nickte dem<br />
Iraker zu und dieser sagte:<br />
„Okay. Hier ist sie. Schnell, das Werkzeug.“<br />
Er ließ sich von Dan dessen Rucksack geben und entnahm diesem einige Werkzeuge,<br />
Schraubendreher, Zange, Maulschlüssel. Er trat an die große Wasserstoffbombe heran und<br />
löste eine Abdeckung an der Spitze der Bombe. Sehr vorsichtig und langsam. Nun machte er<br />
sich daran, den Zünder auszubauen. Er arbeitete konzentriert und weiterhin langsam und vor-<br />
sichtig. Nach einiger Zeit sagte er angespannt:<br />
„Ich hab ihn! Gib mir bitte den Rucksack.“<br />
Dan reichte dem Iraker den Rucksack und dieser legte den ausgebauten Zünder vor-<br />
sichtig in diesen hinein.<br />
zu erklären.“<br />
„So, das war es. Jetzt schnell zum Swan. Du wirst so nett sein, uns den kürzesten Weg<br />
Er sah Richard auffordernd an. Ich war neben Jim zu Boden gesunken und hatte an-<br />
gespannt zugeschaut, als Sayid sich bemühte, den Zünder aus der Bombe zu entfernen.<br />
Verzweifelt sah ich Jim an, der wieder zu Atem gekommen war und sah ein giftiges Funkeln<br />
in seinen Augen. Er lächelte mir beruhigend zu.<br />
„Alles wird gut, Sheena, vertrau darauf.“<br />
Leider konnte ich die Zuversicht derzeit nicht teilen. Ich frage <strong>mich</strong> im Gegenteil, ob<br />
Jim und mir ein ruhiges Zusammenleben aus irgendeinem Grunde von einer höheren Macht<br />
nicht gegönnt wurde.<br />
Wenn es uns doch noch gelang, Jack an der Baustelle aufzuhalten, war die Chance,<br />
dort im Kampf getötet zu werden, sehr groß. Wenn es uns nicht mehr gelingen würde, ihn<br />
aufzuhalten, würde der verfluchte Kreislauf von vorne losgehen und es war mehr als fraglich,<br />
ob Jim und ich eine zweite Chance erhalten würden. Wie ich es auch drehte und wendete, für<br />
ein friedliches Leben zu zweit, irgendwo auf dieser Welt, sah es im Moment für Jim und <strong>mich</strong><br />
nicht gut aus. Ich konnte nicht mehr verhindern, dass mir Tränen über die Wangen kullerten.<br />
Jim sah dies und rückte ohne auf Hurley und Kate, die uns scharf im Auge behielten, zu<br />
achten, dicht an <strong>mich</strong> heran. Er zog <strong>mich</strong> an sich und sagte leise:<br />
„Wir werden es schaffen, Babe. Mach dir keinen Kopf. Schlauer als Jack bin ich alle<br />
mal und du erst Recht. Wir schaffen das.“<br />
Schluchzend ließ ich <strong>mich</strong> gegen ihn fallen. Wir wurden jedoch von Jack und Sayid<br />
unterbrochen, die wieder zu uns traten.<br />
„Tut mir leid, aber ihr werdet eine Weile hier bleiben müssen, bis wir an der Baustelle<br />
sind. Kelly, ich weiß, dass du <strong>mich</strong> hasst. Du und Sawyer, ihr werdet euch vermutlich nie<br />
kennen lernen. Aber wir alle bringen Opfer, um endlich aus dieser Geschichte heraus zu<br />
kommen. Sieh es mal von der Seite: Wenn ihr euch nie kennen lernt, werdet ihr euch hinter-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
her auch nicht vermissen.“ Er sah uns an und nickte. „Los, hoch mit dir, ich muss dich leider<br />
wieder fesseln.“<br />
Jim warf dem Arzt einen mörderischen Blick zu, stand aber auf. Widerwillig und<br />
zitternd vor unterdrückter Wut ließ er sich die Hände wieder auf den Rücken fesseln. Dann<br />
hatte er sich wieder zu setzen. Mit weiteren Stricken, die Kate eingesteckt hatte, wurden wir<br />
aneinander gefesselt. Mit Richard und Ellie verfuhren die Anderen genauso. Jack sah uns<br />
noch einmal an.<br />
„Tut mir leid.“, sagte er und erklärte an die Anderen gewandt: „Wir machen uns auf<br />
den Weg. Wenn alles geklappt hat, werdet ihr bei euren Leuten, du im Flieger und du, Kelly<br />
zuhause landen.“<br />
Er drehte sich ohne ein weiteres Wort herum und stieg aus dem Loch in der Mauer,<br />
gefolgt von Daniel und Sayid. Hurley sah Sawyer unglücklich an.<br />
„Man, Alter, es tut mir echt so leid, aber wir müssen endlich aus dieser ganzen<br />
Scheiße raus. Wir sehen uns im Flieger. Kelly, es ...“<br />
Jim unterbrach Hurley hart.<br />
„Verpiss dich, Jabba, und häng dich wieder an Jacks Rockzipfel. Und nimm Jacks<br />
Hundedame mit.“<br />
gewidert.<br />
Er warf Kate einen derart abfälligen Blick zu, dass diese wütend schnaufte:<br />
„Du wirst Jack auch noch auf Knien danken.“<br />
„Es reicht doch, wenn ihr dem großen Doktor in den Arsch kriecht.“, sagte ich an-<br />
Kate sah aus, als überlege sie, mir eine Ohrfeige zu verpassen. Schließlich jedoch<br />
zuckte sie nur die Schultern und sagte:<br />
„Komm, Hurley, es hat keinen Sinn, die werden nie begreifen, was Jack für sie tut.“<br />
Sie drehte sich um und folgte zusammen mit Hurley Jack und den anderen.<br />
Als wir alleine waren fragte Jim:<br />
„Was nun, Cochise?“<br />
Er sah Richard an.<br />
„Wir müssen hier raus. Wir haben nur noch eine Chance, Jack und Daniel an der Bau-<br />
stelle aufzuhalten!“, stieß ich nervös hervor.<br />
„Ja, eine andere Option gibt es nun leider nicht mehr. Irgendwie muss es uns gelingen,<br />
die Fesseln los zu werden.“<br />
Entnervt stieß Jim hervor:<br />
„Kate versteht was davon, verdammt noch mal. Das rührt sich nicht einen Millimeter.“<br />
Ich spürte, wie er an den Fesseln zog und zerrte, aber da rührte sich wirklich nichts.<br />
„Könnt ihr euch hochstemmen?“<br />
Richard sah fragend zu Jim und mir hinüber.<br />
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„Wir können es versuchen.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Die nächsten Minuten kämpften Jim und ich, wie ein paar Meter entfernt Richard und<br />
Ellie, darum, uns auf die Beine zu stemmen. Endlich hatten wir es geschafft. Wir konnten es<br />
kaum glauben. Mühsam stolperten wir zu unseren Leidensgenossen hinüber und halfen<br />
diesen, ebenfalls auf die Beine zu kommen.<br />
„Wir müssen irgendetwas finden, womit wir die Fesseln durchtrennen können. Seht<br />
euch um.“, stieß Richard etwas atemlos hervor.<br />
Schwerfällig schleppten wir uns alle durch die kleine Höhle, in der Hoffnung, etwas<br />
zu finden, dass uns helfen konnte, die verfluchten Fesseln loszuwerden. Irgendwann gaben<br />
wir verzweifelt auf. Nichts Scharfkantiges war zu finden. Ich bat Jim:<br />
„Halt mal eine Weile ganz still, okay.“<br />
Ich hatte gemerkt, dass ich ein Stück des Strickes, der unsere Handfesseln verband,<br />
mit fast affenartigen Verrenkungen erreichen konnte. Ich fummelte, bis ich das Gefühl hatte,<br />
mir würden jeden Moment die Finger abfallen, doch irgendwann hatte ich es tatsächlich ge-<br />
schafft. <strong>Der</strong> Strick, der uns verband, löste sich und wir waren zumindest schon einmal frei<br />
von einander.<br />
Ich ließ <strong>mich</strong> vorsichtig zu Boden sinken und keuchte wütend:<br />
„Was Kate schafft, schaffe ich auch!“<br />
Genervt versuchte ich, meine Beine durch die gefesselten Arme zu bekommen.<br />
Schweißgebadet kämpfte ich verbissen und wurde dabei von Jim unterstützt, so gut es ihm<br />
möglich war. Er drückte und schob mit und plötzlich war ich durch. Ich hatte zwar das Ge-<br />
fühl, mir die Wirbelsäule gebrochen und beide Arme ausgekugelt zu haben, aber ich hatte es<br />
geschafft. Als ich wieder zu Atem gekommen war, war es nun ein Leichtes, die Fesseln, die<br />
Jims Hände einschnürten, zu lösen. Sekunden später war auch ich frei und wir nahmen uns die<br />
Zeit, uns kurz fest in die Arme zu nehmen. Dann eilten wir zu Richard und Ellie hinüber und<br />
befreiten diese nun ebenfalls. Hastig erklärte Richard:<br />
„Wir werden euch zu Hilfe kommen, das betrifft uns alle hier. Vorne in der Höhle<br />
haben wir ein paar Waffen für den Notfall versteckt, die werdet ihr mit euch nehmen. Beeilt<br />
euch, zur Baustelle zu kommen. Wir werden ins Lager zurückkehren und unsere Leute holen.<br />
Solange müsst ihr alleine klar kommen.“<br />
Schon stiegen wir durch das Loch in der Mauer und hetzten den Weg zurück zur<br />
Höhle. Im Dunkeln, ohne Fackeln, dauerte dies natürlich eine Weile. Endlich aber tauchte vor<br />
uns Lichtschein auf und wir schafften die letzten Meter im Laufschritt. Wir standen wieder in<br />
der großen Höhle und Richard eilte in eine entlegene Ecke. Gleich darauf kam er mit zwei<br />
Springfield M1 sowie zwei Walther PPK und Munition zurück. Er sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Kannst du ...“<br />
Jim unterbrach Richard.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Sie schießt besser als wir beide zusammen.“, grinste er, prüfte mit geübtem Griff die<br />
Walther und steckte diese hinten in seinen Hosenbund.<br />
Erschrocken stellte ich fest, dass ich inzwischen schon genauso selbstverständlich<br />
nach den Waffen griff und diese prüfte. Was machte die Insel nur aus uns?<br />
Gemeinsam traten wir vor die Höhle. Ellie erklärte eilig:<br />
„Wenn ihr euch von hier aus genau südlich haltet, werdet ihr nach ungefähr zwei<br />
Meilen auf die Baustelle stoßen. Ihr müsst auf jedem Fall erst alleine klar kommen, denn es<br />
wird einige Zeit in Anspruch nehmen, unsere Leute zu überzeugen.“<br />
aussieht.“<br />
zurück.<br />
Richard nickte.<br />
„Ellie hat Recht. Ihr solltet euch beeilen, wir wissen nicht, wie der Plan eurer Freunde<br />
Die Beiden drehten sich herum und wollten los eilen, aber ich hielt sie noch einmal<br />
„Ellie, warte bitte eine Sekunde. Was ich dir jetzt sage, wird dir irre vorkommen, aber<br />
bitte, du musst mir einfach glauben, okay. Daniel, der Mann mit dem Bart, er ist ... Ellie, er ist<br />
dein Sohn, als erwachsener Mann.“<br />
Komischerweise nickte Ellie nur langsam.<br />
„Ja, ich ... weiß das irgendwie. Woher weißt du es?“<br />
„Lass dir das von Richard erklären. Er weiß Bescheid über uns. Beeilt euch, bitte.“<br />
Wir trennten uns und hasteten in verschiedene Richtungen davon.<br />
„Was denkst du, wie viel Zeit haben wir noch? Haben wir überhaupt noch Zeit?“,<br />
fragte ich Jim, während wir voran eilten. Er sah <strong>mich</strong> an. Ernst und besorgt. „Die haben nen<br />
ziemlichen Vorsprung. Wenn die DHARMA Leute sie nicht aufgehalten haben ... Ich weiß es<br />
nicht, ganz ehrlich.“<br />
„Das könnte bedeuten, dass von einer Sekunde zur anderen alles vorbei ist.“, keuchte<br />
ich erschrocken.<br />
Jim nickte langsam.<br />
„Du hast Recht, ja. Aber das wird nicht passieren, Baby. Das wird nicht passieren!“<br />
Das klang mehr wie ein Gebet, als wie eine bestehende Tatsache.<br />
Irgendetwas tat sich auf der Baustelle.<br />
************<br />
„Siehst du, da ist Radzinsky und ... was geht da vor?“, fragte Miles nervös.<br />
Er deutete in die Baustelle hinunter, wo plötz-<br />
lich am Bohrturm hektische Unruhe entstand. Stimmen<br />
drangen zu Jin und Miles hinauf, aufgeregte Stimmen.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Abschalten! Schaltet den verdammten Bohrer ab!“<br />
„Geht nicht. Das elende Mistding wird regelrecht angezogen, verdammte Scheiße!“,<br />
brüllte einer der Arbeiter.<br />
Miles konnte beobachten, wie sein Vater zu dem Arbeiter hinüber rannte, um diesem<br />
beim Abschalten des Bohrers zu helfen.<br />
„Ich habe es dir gesagt. Ich habe dich gewarnt, du verbohrtet Extremist!“, hörte er die<br />
Stimme Changs durch den entstehenden Lärm hindurch schreien.<br />
„Halt dein dummes Maul, hilf lieber, den verdammten Bohrer abzuschalten!“, brüllte<br />
Radzinsky den Wissenschaftler an.<br />
Mit inzwischen sechs Helfern versuchten sie, die Bohrung zu unterbrechen, doch<br />
selbst, als der Strom endlich gekappt worden war, drehte sich der Bohrer weiter. Und um die<br />
Verwirrung zu Komplettieren hallten aus dem Gebüsch oberhalb der Baustelle plötzlich<br />
Schüsse.<br />
„Das müssen Jack und Daniel sein. Verfluchter Mist, jetzt geht es los. Wo stecken<br />
Lafleur und Kelly denn bloß?“, keuchte Miles geschockt.<br />
Und wäre fast kopfüber in die Grube gefallen, als plötzlich hinter ihm die Genannten<br />
aus dem Gebüsch traten!<br />
************<br />
Wir hetzten weiter und nach einer guten halben Stunde, in der wir uns durch dichtes<br />
Unterholz und Büsche gekämpft hatten, hörten wir vor uns plötzlich leisen, aber beim<br />
Vorwärtshasten stetig lauter werdenden Krach.<br />
„Das muss die Baustelle sein.“, schnaufte Jim und wischte sich Schweiß aus der Stirn.<br />
Einige Minuten gönnten wir uns, durchzuatmen, dann schlichen wir, bedeutend vor-<br />
sichtiger jetzt, weiter. Was auf der Baustelle geschrien wurde konnten wir nicht verstehen,<br />
aber wir konnten uns denken, was vorging.<br />
„Vermutlich hat sich der Bohrer festgefressen und sie kriegen das Scheißding nicht<br />
ausgeschaltet.“, meinte Jim, als wir geduckt näher an den Krach heran schlichen.<br />
Plötzlich hörten wir vor uns eine Stimme.<br />
„Das müssen Jack und Daniel sein. Verfluchter Mist, jetzt geht es los. Wo stecken<br />
Lafleur und Kelly denn bloß?“<br />
Grinsend traten wir aus dem Gebüsch hervor und Miles wäre vor Schreck fast<br />
vorwärts in die Baugrube gefallen.<br />
Dschungel.<br />
„Himmel, Lafleur, willst du <strong>mich</strong> umbringen?“, keuchte er zitternd.<br />
Jim wollte etwas erwidern, doch in dem Moment schallten wieder Schüsse durch den<br />
„Wo stecken die?“, fragte Jin angespannt.<br />
- 378 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Krampfhaft bemühten wir uns alle vier, gegenüber am Rande der Baustelle etwas zu<br />
entdecken. Plötzlich stieß Miles hervor:<br />
„Da. Da ist Kate! Verdammt, was tut ...“<br />
„Sie hilft Jack, ebenso wie Hurley.“, schnaufte ich wütend.<br />
„Woher ...?“<br />
„Sie haben uns bei Richard überwältigt und ihn und Ellie gezwungen, sie zu der ver-<br />
dammten Bombe zu bringen.“, giftete Jim. „Wenn ich Jack erwische, drehe ich ihm diesmal<br />
den Hals um.“<br />
In diesem Moment gab es auf der Baustelle unter uns ein lautes Krachen und ein Teil<br />
des Bohrturmes verbog sich leicht. Dadurch wurde die Steuerkonsole, an der sich Pierre<br />
Chang immer noch zu schaffen machte, zusammen gedrückt wie ein Kartenhaus. Chang wich<br />
erschrocken zurück und griff, ohne überhaupt hinzuschauen, nach einem Stahlgeländer, dass<br />
die Bohrgrube umschloss. Er bekam nicht mit, dass in diesem Moment ein Stück Gestänge<br />
aus dem Bohrturm abbrach und sich auf das Geländer senkte. Wir konnten nichts mehr tun,<br />
nur entsetzt zuschauen, wie Changs Hand von dem schweren Metallteil eingeklemmt wurde.<br />
Miles keuchte entsetzt auf.<br />
Unter uns brach das absolute Chaos aus. Immer mehr Metallteile fingen wie von<br />
Geisterhand geworfen an, auf das Bohrloch zuzufliegen. Immer stärker wurde der<br />
magnetische Sog.<br />
„Sie müssen die Energietasche getroffen haben.“, rief Jin geschockt.<br />
„Das ist es, was du erzählt hast ... So ist Juliet ums Leben gekommen. Mein Gott!“<br />
Jin starrte von morbider Faszination gepackt hinunter in die Baustelle, wo sich auch<br />
große Eisenteile selbstständig machten. Sich dort unten zu bewegen war nun lebensgefährlich,<br />
denn überall flog Eisen herum, wie Schrapnellgeschosse. Und dann glaubte ich meinen Augen<br />
nicht zu trauen. In mitten des Chaos und der immer wieder aufklingenden Schüsse sah ich<br />
Miles, der zu seinem Vater hinüber rannte!<br />
„Scheiße, was macht der Idiot da?“<br />
Jim starrte fassungslos auf seinen Freund hinunter.<br />
„Wir müssen ihm helfen.“, keuchte Jin erschrocken und ohne ein weiteres Wort<br />
hasteten wir ebenfalls in die Baugrube hinunter.<br />
Und die gleiche Idee schien auch Jack und Co. zu kommen, denn diese kamen jetzt<br />
ebenfalls aus dem Dickicht uns gegenüber gestürzt. Doch noch waren die Leute der<br />
DHARMA Initiative nicht geschlagen. Wenn auch um uns herum die Hölle ausgebrochen zu<br />
sein schien, waren die Typen doch gewillt, ihre Entdeckung mit allen Mitteln zu verteidigen.<br />
Ich sah Phil, Radzinsky, Paul, der nach Jims Verhaftung der Leader der Security geworden<br />
war, viele Arbeiter, die mir unbekannt waren, alle bewaffnet und willig, die Baustelle zu ver-<br />
teidigen bis aufs Blut. Und sie schossen sowohl auf uns als auch auf die neuen Angreifer.<br />
Hurley konnte ich nirgends entdecken, aber Kate, Jack, Daniel und Sayid versuchten, näher an<br />
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Frauke Feind<br />
das Bohrloch heran zu kommen. Sie wurden durch den vehementen Widerstand, der ihnen<br />
entgegen schlug allerdings genauso in alle Richtungen zerstreut wie wir. Wir mussten nicht<br />
nur vor den herumfliegenden Metallteilen Deckung suchen, sondern auch vor Revolver- und<br />
Gewehrkugeln, die uns um die Ohren flogen!<br />
Ich sah aus den Augenwinkeln, dass Jim hinter einem Werkzeugschrank Deckung<br />
suchte. Jin hatte sich bereits hinter ein paar Fässern in Sicherheit gebracht. Kate und Sayid<br />
duckten sich hinter einen Jeep, er auf der Baustelle herum stand. Ich sah, dass Miles seinen<br />
Vater erreicht hatte und sich, die Kugeln, die herum schwirrten ignorierend, bemühte, dessen<br />
eingequetschte Hand zu befreien. Er versuchte verzweifelt, das Stahlrohr, das auf die Hand<br />
drückte, irgendwie wenigstens soweit zu lüften, dass Chang seine Hand heraus ziehen konnte.<br />
Ich hetzte geduckt näher und stand schnell neben den beiden Männern.<br />
„Hilf mir, ich schaff es nicht allein.“, keuchte Miles hektisch und duckte sich blitz-<br />
schnell, als irgendein metallisches Werkzeug wie ein Geschoss auf ihn zukam und im Bohr-<br />
loch verschwand.<br />
Ich richtete <strong>mich</strong> ein wenig auf und zusammen mit Miles gelang es tatsächlich, das<br />
Geländer wenigstens einige Zentimeter anzuheben, sodass Chang seine Hand heraus ziehen<br />
konnte. Wimmernd vor Schmerzen presste er diese in seine rechte Achselhöhle und ließ sich<br />
von Miles zu Boden ziehen. Ich sah <strong>mich</strong> um, griff nach meinem Gewehr, das am Gurt über<br />
meine Schulter hing und riss es in die Höhe. Hinter uns schoss jemand auf Miles und ich<br />
wirbelte herum. Am Rande der Baugrube stand ein Arbeiter und zielte erneut auf uns. Ich war<br />
schneller, zielte kurz und drückte ab. <strong>Der</strong> Arbeiter sackte getroffen zusammen.<br />
Ich schaute zu Jim hinüber, der ebenfalls um sich schoss. Jedoch musste ich meine<br />
Aufmerksamkeit Kate und Sayid widmen, die sich schießend vorwärts bewegten. Kate sah<br />
<strong>mich</strong> und schüttelte genervt den Kopf. Jack und Daniel konnte ich im Augenblick nirgends<br />
ausmachen. Dafür sah ich plötzlich Phil, der, das Gewehr im Anschlag, unmittelbar hinter Jim<br />
auftauchte. Er schrie diesen an:<br />
„Na, Lafleur, hat sich ausgeführt. Du kannst in der Hölle weiter den Boss spielen.“<br />
Er legte an und Jim, der erschrocken herumgewirbelt war, hockte hilflos da und<br />
konnte nichts mehr zu seiner Verteidigung unternehmen. Bevor ich mein Gewehr in Anschlag<br />
bringen konnte krachte es hinter Phil plötzlich laut. Jims Augen weiteten sich erschrocken<br />
und Phil vergaß, dass er eigentlich hatte Schießen wollen. Er wirbelte erschrocken herum und<br />
starrte wie gelähmt auf ein Baugerüst, das sich unter dem zunehmenden Sog der Magnetkraft<br />
gerade in seine Bestandteile auflöste. Er wollte noch in Deckung gehen, aber es war zu spät.<br />
Wie Speere schossen einzelne Stahlstangen aus dem Gerüst heraus und unmittelbar bevor sie<br />
Phil durchbohrten wandte ich den Kopf ab. Jim selbst widmete Phil keine Aufmerksamkeit<br />
mehr. Er warf sein scheinbar leer geschossenes Gewehr achtlos zur Seite und sah sich nach<br />
- 380 -
By<br />
Frauke Feind<br />
einer neuen Deckung, näher am Bohrloch, um. Er hastete los. Und plötzlich sprang Jack<br />
hinter einem aufgeschütteten Sandhaufen hervor, die Waffe in der Hand, und zielte auf Jim.<br />
den Rücken.<br />
...“<br />
„Geh mir aus dem Weg, Sawyer. Ich will dich nicht erschießen müssen!“<br />
Ich konnte in all dem Chaos Jims Antwort hören. Sie jagte mir eine Gänsehaut über<br />
„Das wirst du müssen, Doc, denn freiwillig lass ich dich nicht an das verdammte Loch<br />
Ich sah, wie Jack langsam den Finger um den Abzug krümmte. In mitten des Chaos<br />
standen sich die beiden Männer, die wohl von Anfang an Rivalen gewesen waren, gegenüber.<br />
Jim sah Jack ruhig an und schüttelte resigniert den Kopf. Er wollte seine eigene Waffe hoch-<br />
reißen, doch soweit kam er nicht. Plötzlich schrie Kate, die wie ich die beiden Männer be-<br />
obachtet hatte, laut:<br />
„Nein! Sawyer, nicht.“<br />
Sie zielte auf Jim und drückte ab. Entsetzt schrie ich selbst auf.<br />
„Nein!“<br />
Ich sah Jim zusammenzucken, doch er blieb auf den Beinen. Nur die Waffe fiel ihm<br />
aus der plötzlich nutzlos gewordenen Hand. Kate hatte ihm am Oberarm einen Streifschuss<br />
verpasst. Wutschnaubend ließ Jim sich zu Boden fallen lassen, um mit der anderen Hand nach<br />
der Waffe zu greifen. Jack schüttelte verzweifelt den Kopf und brüllte:<br />
„Lass es!“<br />
Doch Jim grinste nur und bekam die Walther zu fassen. Er wollte sie hochreißen, doch<br />
nun schien Jack genug zu haben. Ich beobachtete entsetzt, wie er den Abzug langsam durch-<br />
zog und zögerte keine Sekunde. Zielen und abdrücken war eins und ich atmete erleichtert auf,<br />
als ich sah, dass Jack seinen Schuss, von meiner Kugel in den Oberschenkel getroffen, verriss<br />
und aufstöhnend zu Boden ging. Jetzt war es an Kate, entsetzt aufzuschreien.<br />
„Jack!“<br />
Sie rannte geduckt im Zickzack los und erreichte Jack in Rekordzeit. Jim hockte am<br />
Boden, die Walther in der rechten Hand haltend. Ich hetzte ebenfalls geduckt zu ihm hinüber<br />
und zusammen rissen wir, mit einem hasserfüllten Blick von Kate bedacht, den Rucksack von<br />
Jacks Schultern. Wir öffneten diesen hastig, sicher, den Zünder der Bombe endlich in den<br />
Händen zu halten. Atemlos sahen wir in den Rucksack hinein, schon <strong>Über</strong>legungen an-<br />
stellend, wie wir den Zünder hier weg schaffen konnten. Was wir jedoch sahen, riss uns fast<br />
von den Beinen. Statt des Zünders entdeckten wir einen kleinen, vermoderten, dicken Ast in<br />
dem Rucksack und als wir beide gleichzeitig die Köpfe hoch rissen und Jack anschauten,<br />
sahen wir ein zwar schmerzgequältes, nichts desto weniger aber zufriedenes Grinsen auf<br />
seinem und auch Kates Gesicht.<br />
„Tja, mal verliert man, mal gewinnen die Anderen.“, erklärte Jack höhnisch.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Geräusche um uns herum nur noch gedämpft<br />
wahrzunehmen. Auch das Geschehen selbst schien sich plötzlich gedämpft, wie in Zeitlupe<br />
abzuspielen. Gerade neigte sich der Bohrturm wie in einer<br />
Verbeugung in das Bohrloch hinein. Das Gestänge zer-<br />
knitterte, wie man ein Blatt Papier zerknüllen würde.<br />
Fasziniert beobachteten wir zu viert, dass sich das Stahlrohr<br />
dem Loch entgegen drehte. Auch die sehr schweren<br />
metallischen Teile wie Schränke mit Werkzeug, Fässer samt Inhalt und die herumstehenden<br />
Fahrzeuge wurden inzwischen knirschend und zitternd von der ungeheuren Magnetenergie<br />
angezogen. Erst langsam, dann immer schneller werdend zuckten sie auf das unheimliche<br />
Loch zu. Jim und ich sahen uns an und wussten nicht mehr weiter. Wo war der verdammte<br />
Zünder? Uns war schlagartig klar geworden, dass Jack uns gelinkt hatte. Dieser hockte am<br />
Boden und presste verzweifelt seine Hand auf die stark blutende Oberschenkelwunde. Ein<br />
Blick genügte mir, um sicher zu sein, seine Oberschenkelarterie getroffen zu haben.<br />
Gleichgültig kam mir der Gedanke, dass der Arzt, der Jim hatte erschießen wollen, hier ver-<br />
bluten würde. Kate bemühte sich verzweifelt, die Blutung zu stoppen. Sie sah <strong>mich</strong> an und<br />
schrie über den Lärm, der selbstverständlich noch ungebrochen um uns herum tobte:<br />
„Du musst ihm helfen.“<br />
Ich beachtete sie gar nicht. Ich starrte wie Jim hektisch umher, in der Hoffnung,<br />
Daniel oder Sayid zu entdecken. Nur einer von ihnen konnte die verfluchte Zündvorrichtung<br />
bei sich haben. Wir waren so damit beschäftigt, nach den beiden Männern zu suchen, dass wir<br />
nicht mitbekamen, dass sich von rechts jemand an uns heran schlich. Als wir es merkten, war<br />
es zu spät. Radzinsky stand grinsend neben uns, Jack und Kate keines Blickes würdigend, und<br />
zielte auf <strong>mich</strong>.<br />
„Hab ich doch gewusst, dass du dämliche Bitch mit fliegenden Haaren zu Lafleur ge-<br />
rannt bist. Jetzt seid ihr beide fällig.“<br />
Jim wurde leichenblass, als er sah, das Radzinsky ohne auch nur eine Sekunde zu<br />
zögern den Abzug betätigen wollte. Er keuchte entsetzt:<br />
der Schuss.<br />
„Nein! Kelly ...“<br />
Ich schoss die Augen, wollte nicht sehen, wie Radzinsky abdrückte. Und schon knallte<br />
Ich wartete auf den Schmerz des Einschlages, doch der erfolgte nicht. Stattdessen<br />
fühlte ich <strong>mich</strong> von Armen gepackt und umarmt. Ich öffnete langsam die Augen und sah Jims<br />
Gesicht, das panisch zu mir herunter schaute. Seine Arme waren es, die um <strong>mich</strong> geschlungen<br />
waren. Zitternd hielt er <strong>mich</strong> fest und flüsterte:<br />
„Alles ist gut, Baby, er ist tot.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich bekam nur unterbewusst mit, dass die Schüsse um uns herum langsam ver-<br />
stummten. Am ganzen Leib zitternd sah ich <strong>mich</strong> um und erblickte Jin einige Schritte ent-<br />
fernt, das Gewehr noch im Anschlag, zu uns herüber schauen. Als er sah, dass mir nichts ge-<br />
schehen war, hob er die Rechte und zeigte uns den Daumen zum Zeichen, dass alles in<br />
Ordnung war. Plötzlich bemerkte ich ein Aufleuchten in Kates Augen, die das Bohrloch im<br />
Blick behalten hatte, während sie gleichzeitig versuchte, die Schusswunde an Jacks Bein ab-<br />
zudrücken. Und da wusste ich, dass etwas geschah. Ich folgte ihrem Blick und erkannte<br />
Sayid, der, ein Bündel in der Hand, neben dem Bohrloch stand und sich anschickte, das, was<br />
er in dem Bündel eingewickelt hatte, auszupacken. Hastig schlug er den Stoff zur Seite und<br />
hielt den Zünder in der Hand. Jin, der meinem Blick gefolgt war, riss das Gewehr hoch und<br />
zielte auf Sayid, aber er konnte es nicht. Er konnte nicht auf den Iraker schießen. Zu viel<br />
hatten sie gemeinsam durchgemacht, als dass er ihn jetzt kaltblütig hätte über den Haufen<br />
schießen können.<br />
Ich hatte diese moralischen Bedenken nicht. Es musste unbedingt verhindert werden,<br />
dass es Sayid gelang, den Zünder ins Loch zu werfen! Noch immer wurden vereinzelte<br />
Gegenstände auf das Loch zugesaugt und Sayid musste höllisch aufpassen, nicht getroffen zu<br />
werden. Er hielt den Zünder in der Hand und wollte sich über das Loch beugen. Ich reagierte<br />
wie ferngesteuert. Blitzschnell bückte ich <strong>mich</strong>, riss Jacks Gewehr, das neben ihm am Boden<br />
lag, an <strong>mich</strong> und zielte. Kalt drückte ich ab. Sayid wurde von der Wucht des Einschlages<br />
herum gerissen und der Zünder fiel auf den Boden neben dem Loch. Jack und Kate schrien<br />
gleichzeitig wütend und entsetzt auf. Wir warteten mit angehaltenem Atem, aber Sayid<br />
tauchte nicht wieder auf, scheinbar hatte mein Treffer ihn gründlich außer Gefecht gesetzt.<br />
Irgendwo am Rande der Baustelle hörte ich einen wütenden und verzweifelten Aufschrei. Ich<br />
fuhr zu dem Schrei herum. Daniel Faraday stolperte hinter einem Sandhaufen hervor und<br />
wollte auf das Bohrloch zulaufen. Doch so weit kam er nicht mehr. Von einer Sekunde zur<br />
Anderen schien die Welt unter zu gehen. Unter unseren Füßen setzte ein derart heftiges<br />
Vibrieren ein, dass es Jim und <strong>mich</strong> von den Füßen riss. Panisch klammerte ich <strong>mich</strong> an ihn.<br />
Aus dem Bohrloch ertönte ein Heulen und Pfeifen, das in den Ohren so schmerzte, dass ich<br />
schrie. Unerwartet schoss eine Art Lichtstrahl in den blauen Himmel über uns, der so grell<br />
war, dass wir alle den Blick abwenden mussten. Ich wusste, dass ich schrie vor Angst, hörte<br />
jedoch durch das unglaubliche Pfeifen meine Stimme überhaupt nicht. Ich spürte Jims Arme<br />
um <strong>mich</strong>, so fest, dass mir fast die Luft weg blieb und klammerte <strong>mich</strong> genauso fest an ihn.<br />
Was auch immer gerade geschah, es würde uns nicht trennen! Das Heulen und Pfeifen wurde<br />
noch lauter und plötzlich gab es einen Lichtblitz, der alles voran Gegangene dunkel er-<br />
scheinen ließ. Ich spürte Jims rasenden Herzschlag, fühlte mein eigenes Herz hoch in meiner<br />
Kehle schlagen, wusste, dass wir beide schrien. Das grelle Licht durchbohrte meine ge-<br />
schossenen Augenlider, wühlte sich durch den Sehnerv in mein Hirn und ... dann wurde es<br />
dunkel...<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
************<br />
************<br />
34) John Locke<br />
Richard Alpert sah auf das Türkis schimmernde Wasser hinaus. <strong>Der</strong> dunkelhaarige<br />
Mann zerbrach sich seit zwei Tagen den Kopf. Er wusste nicht, was seine Wachsamkeit aus-<br />
gelöst hatte. <strong>Der</strong> attraktive Mann, der wie ein 35 - 40 Jähriger aussah, in Wahrheit jedoch um<br />
so vieles älter war, zermarterte sich das Gehirn, doch er kam erneut zu keinem Ergebnis. Was<br />
immer seine innere Alarmglocke zum Klingen gebracht hatte, zeigte sich nicht in einer<br />
Offenbarung. Er drehte sich langsam herum und ließ seinen Blick über die Gruppe von<br />
Menschen gleiten, die sich hinter ihm am Strand niedergelassen hatten. Gedankenverloren<br />
musterte er sie. Neben seinen eigenen Leuten, mit denen er seit Jahren zusammen war, und<br />
denen er zu einhundert Prozent vertraute, waren einige Menschen bei ihm, die er kaum<br />
kannte, denen er nicht traute und die er eigentlich nicht bei sich haben wollte. Doch er hatte<br />
keine Wahl gehabt. <strong>Der</strong> Mann, dem er jetzt zu Gehorsam verpflichtet war, hatte die An-<br />
weisung gegeben, seine Begleiter mitzunehmen. Er war zusammen mit einem Mann, der eine<br />
Pilotenuniform trug und einer jungen Asiatin vor drei Tagen zu Richard und seinen Leuten<br />
gestoßen. Noch eine dritte Person war bei ihnen gewesen. Ein Mann, schüttere schmutzig<br />
blonde Haare, um die fünfzig, mit auffallend hervorstehenden Augen, die im Gegensatz zu<br />
früher jetzt leer und verloren guckten.<br />
dachte er<br />
bleiben? -<br />
Richards Blick blieb an diesem Mann hängen und wie so oft in den letzten Tagen<br />
- Du hättest nicht wieder kommen sollen, Ben. Warum konntest du dich nicht weg<br />
<strong>Der</strong> Mann, Benjamin Linus, schien den Blick zu spüren, denn er hob müde den Kopf.<br />
- Was willst du hier noch? Du hast so unendlich viel Leid und Blutvergießen ver-<br />
ursacht. Und warum? Aus Geltungssucht. Aus übersteigerter, nicht kontrollierbarer<br />
Geltungssucht. Dein Platz ist nicht mehr hier. -<br />
Richard sah seinen ehemaligen Anführer an und schüttelte unmerklich den Kopf.<br />
Linus schien nicht nur Richards Blick gespürt zu haben, er schien auch zu ahnen, was in dem<br />
geheimnisvollen Mann vorging. Er seufzte und senkte den Blick. Den stummen Vorwurf in<br />
den Augen des Dunkelhaarigen wollte Linus nicht sehen. Er konnte ihn nicht ertragen, diesen<br />
berechtigten Vorwurf. Bens Aufmerksamkeit wurde durch das Erscheinen eines Mannes<br />
unterbrochen, der sich leise seufzend neben ihn in den warmen Sand sinken ließ.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Er scheint nicht übermäßig erfreut, dich wieder zu sehen.“, stellte der Mann mit<br />
einem Nicken in Richards Richtung ruhig und mit leicht ironischem Tonfall fest.<br />
Ben nickte ohne aufzuschauen. Seine Augen waren auf den fast weißen Sand gerichtet.<br />
„Nein, er ist gar nicht erfreut.“, erwiderte er kurz angebunden.<br />
Plötzlich schaute Ben seinen Gesprächspartner doch an.<br />
„Was ist es, was du hier willst, John?“<br />
<strong>Der</strong> mit John angesprochene, kräftige, kahlköpfige Mittfünfziger grinste verhalten.<br />
„Nun, das, was du ganz offensichtlich nie geschafft hat, Ben. Ich werde Jacob auf-<br />
suchen und mit ihm sprechen.“<br />
Erstaunt über die klare Aussage funkelte erstmals seit der Wiederankunft auf der Insel<br />
so etwas wie Leben in Benjamins Augen auf.<br />
„Du willst mit ihm sprechen? Deshalb lässt du dich von Richard zu ihm führen?<br />
Warum glaubst du, er würde dir Gewähren, was er mir in all den vielen Jahren, die ich klaglos<br />
seine Befehle ausgeführt habe, nicht gewährte?“<br />
Lauernd sah Ben John an. Dieser strich gedankenverloren mit den Fingern seiner<br />
Rechten durch den warmen Sand. Ruhig und bestimmt antwortete dieser:<br />
„Weil ich denke, er wird einem Toten keinen Wunsch abschlagen können!“<br />
„Was meinst du damit, einem Toten?“<br />
John und auch Ben hatten nicht gehört, dass sich ihnen von hinten eine junge, hübsche<br />
Asiatin genähert hatte. Ertappt fuhren beide Männer herum.<br />
„Was meinst du damit, John?“, wiederholte die junge Frau energisch ihre Frage.<br />
<strong>Der</strong> Angesprochene hatte sich bereits wieder unter Kontrolle.<br />
„Sun. Setzt dich doch zu uns.“, sagte er freundlich.<br />
Sun Kwon ließ sich neben John in den warmen Sand sinken. Sie wirkte müde, er-<br />
schöpft und hoffnungslos, nichts desto weniger aber wild entschlossen. Auffordernd sah sie<br />
John an. <strong>Der</strong> Kahlköpfige lächelte freundlich.<br />
„Das ist ganz einfach, Sun. Unser gemeinsamer Freund hier hat <strong>mich</strong> vor ein paar<br />
Tagen in Santa Monica umgebracht.“<br />
Ben gab ein undeutbares Geräusch von sich, ein Keuchen, Ächzen. Sun starrte John<br />
an, als wäre er verrückt geworden.<br />
„Was sagst du da?“, fragte sie fassungslos.<br />
John lächelte immer noch freundlich.<br />
„So ist es, Sun. Ich wollte <strong>mich</strong> umbringen, weil ich keinen anderen Ausweg mehr<br />
sah. Jemand hatte mir gesagt, dass ich erst Sterben müsste, um uns alle Retten zu können.<br />
Offensichtlich war diese Prophezeiung richtig, denn ich lebe wieder, bin hier und werde dafür<br />
sorgen, dass wir alle in ein normales Leben zurückkehren werden.“<br />
Sun war immer noch fassungslos. Sie sah Ben an.<br />
„Du hast ... ihn wirklich umgebracht?“<br />
- 385 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ben schien unter dieser Frage zu Schrumpfen. Er sackte regelrecht in sich zusammen.<br />
„Sun, ich ... Er stand auf einem Tisch, die Schlinge bereits um den Hals ... Ich habe<br />
ihn überredet, es zu lassen. Dann hat er mir erzählt, dass er keinen Erfolg hatte, euch alle zu<br />
überreden, wieder auf die Insel zu kommen. Jack, Sayid, Kate, Hurley, es gelang ihm nicht,<br />
sie zu überzeugen. Daraufhin wollte er die Vorhersage, dass sein Tod dafür ... Er wollte es<br />
wahr machen. Ich wollte unbedingt auch wieder kommen. Ich sah keine andere Möglichkeit<br />
mehr, als der Prophezeiung zu glauben. Darum tat ich es. Und es war die richtige Ent-<br />
scheidung! Wir sind hier, er lebt ...“<br />
„Aber wieso lebst du wieder? Du warst nicht wirklich tot ...“<br />
Sun wurde es kalt in der heißen Sonne. John zuckte gelassen die Schultern.<br />
„Doch, ich war tot. Ich lebte nicht mehr, Sun. Warum ich es jetzt wieder tue, kann ich<br />
dir erst beantworten, wenn ich einen kleinen Plausch mit dem geheimnisvollen Jacob geführt<br />
habe. Darum sind wir hier, auf dem Weg zu seinem Versteck.“<br />
Sun schüttelte den Kopf.<br />
„Das kann ich nicht glauben.“, stieß sie hervor.<br />
Sie stemmte sich auf die Beine und ließ Ben und John im Sand sitzen. Suchend sah sie<br />
sich um und entdeckte den Piloten, der ein kleines Stückchen entfernt im Sand saß. Sie eilte<br />
zu ihm und er sah ihr entgegen.<br />
„Na, hast du etwas erfahren?“, fragte er sie, als sie sich zu ihm setzte.<br />
Sun nickte.<br />
„Frank, ich glaube, John hat den Verstand verloren. Er behauptet ernstlich, vor<br />
wenigen Tagen in Santa Monica von Ben umgebracht worden zu sein. Jemand hätte ihm ge-<br />
sagt, er müsse erst Sterben, um uns alle zu retten. Das ist Wahnsinn! Und Ben hat auch noch<br />
zugegeben, John getötet zu haben. Die haben beide den Verstand verloren.“<br />
Frank Lapidus warf einen Blick zu John und Ben hinüber, die immer noch reglos<br />
nebeneinander im Sand saßen. Langsam sagte er:<br />
„Ich weiß nicht, Sun. Langsam fange ich an, zu glauben, dass auf dieser Insel so ziem-<br />
lich alles möglich ist. Oder sagen wir es mal so: Ich halte hier nichts mehr für unmöglich. Ich<br />
meine, was sind hier denn bei euch schon für Wunder und unglaubliche Dinge geschehen.“<br />
Sun dachte kurz an die Zeit nach dem Crash. Sie hatten herausgefunden, dass John<br />
Locke vor dem Absturz jahrelang im Rollstuhl gesessen hatte, gelähmt, unfähig, die Beine zu<br />
benutzen. Rose Nadler, sie war unheilbar an Krebs erkrankt gewesen und war auf der Insel<br />
innerhalb kürzester Zeit vollkommen genesen. Sie selbst und Jin, es war ein Wunder gewesen,<br />
dass sie schwanger geworden war, Jin war nachgewiesen unfruchtbar. Sun konnte nicht<br />
anders, sie musste Frank Lapidus zustimmen.<br />
„Du hast Recht, Frank, hier gehen die seltsamsten Dinge vor. Aber ... Tote, die wieder<br />
Leben? Wäre nicht die minimale Hoffnung gewesen, Jin doch noch leben wieder zu finden<br />
- 386 -
By<br />
Frauke Feind<br />
wäre ich niemals auf diese verfluchte Insel zurückgekehrt. Ich weiß ja nicht einmal, ob er<br />
noch lebt.“ Sie musste mit aller Kraft Tränen zurückhalten. „Wo wohl die Anderen sind ...“,<br />
überlegte sie laut.<br />
Sie hatte Frank unmittelbar nachdem sie entdeckt hatte, dass er der Pilot der Maschine,<br />
in der sie alle gesessen hatten, war, alles erzählt. Von der Aufforderung, zur Insel zurück zu<br />
kehren, dass Sayid, Kate, Jack, Hurley und sie selbst die Maschine der Ajira Airways, Flug<br />
316 nach Guam, bestiegen hatten. Aber nur sie war hier angekommen, in dieser Zeit. Von den<br />
Anderen war keine Spur zu finden gewesen. Sun hoffte so verzweifelt, Jin wieder zu finden.<br />
Als sie zusammen mit Frank und Benjamin Linus, den sie im Flieger nicht wahrgenommen<br />
hatte, am Strand, ziemlich genau dort, wo damals nach dem Crash ihr Camp gewesen war, zu<br />
sich gekommen war, hatte sie schnell festgestellt, dass sonst niemand anwesend war. Keine<br />
Spur von Kate, Sayid, Jack oder Hurley war zu finden gewesen. Sun hatte es nicht glauben<br />
wollen. Sie hatte zusammen mit Frank, der sich sofort angeboten hatte ihr zu helfen, auf die<br />
Suche gemacht, doch schnell waren sie auf John und die Gruppe um Richard Alpert gestoßen.<br />
John hatte ihnen erklärt, dass er ebenfalls in der Maschine gewesen und dass sonst niemand<br />
auf der Insel eingetroffen war. Er hatte sie aufgefordert, mit ihnen zu kommen. Gemeinsam<br />
waren sie zu Ben zurückgekehrt. John war unangenehm berührt gewesen, als ihm klar wurde,<br />
dass auch Benjamin Linus wieder auf der Insel war. Er hatte jedoch nichts gesagt, sondern nur<br />
erklärt, dass er und Alperts Leute auf dem Weg zu Jacob waren, um die ganze Angelegenheit<br />
ein für alle Mal zu beenden. Da sie keine andere Hoffnung hatte, Jin wieder zu sehen, war sie<br />
John gefolgt. Und nun saß er hier und erklärte ihr so ganz nebenbei, dass er tot gewesen war.<br />
Sun seufzte. Und dann erging der Befehl von John:<br />
„So, wir haben uns genug ausgeruht, wir werden weiter gehen. Je eher wir bei Jacob<br />
sind, desto eher werden wir alle wieder in Frieden leben können.“<br />
Die Anwesenden erhoben sich nach und nach und Minuten später waren wieder alle<br />
auf den Beinen und auf dem Weg, den Strand entlang nach Norden. Sun und Lapidus hatten<br />
sich in der Nähe Lockes in die Gruppe eingereiht und beobachteten den Mann aufmerksam.<br />
Gut gelaunt und energiegeladen marschierte er neben Richard durch den Sand. Alpert selbst<br />
wirkte nicht annähernd so gut gelaunt. Er warf immer wieder fragende Seitenblicke auf John<br />
Locke.<br />
„Alpert scheint nicht sonderlich erbaut über Johns Plan zu sein.“, meinte Frank nach<br />
einer Weile leise zu Sun.<br />
auch?“<br />
nickte.<br />
„Er wirkt, als wolle er lieber in die entgegen gesetzte Richtung gehen, findest du nicht<br />
Sun hatte die besorgten und zum Teil richtig mürrischen Blicke ebenfalls bemerkt. Sie<br />
„Ja, etwas scheint ihm an Johns Plan nicht zu behagen.“<br />
- 387 -
wieder.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Das Laufen in dem weichen Sand war anstrengend und so schwiegen Frank und Sun<br />
************<br />
Richard hätte einiges dafür gegeben, hätte er die Gedanken Lockes lesen können.<br />
Irgendetwas war anders an dem Mann, Richard konnte nur leider nicht den Finger darauf<br />
legen, was ihn störte. Er wusste nur, dass er kein gutes Gefühl hatte und normalerweise hatte<br />
er sich immer auf sein Gefühl verlassen können. Er lebte nun schon so lange, hatte Anführer<br />
kommen und gehen sehen, hatte unzählige Kämpfe für die Insel ausgefochten, zahllose Be-<br />
fehle ausgeführt, meist, ohne sie zu hinterfragen. Das war nicht seine Aufgabe. Jetzt jedoch<br />
hatte er erstmals in seinem langen Leben das dringende Bedürfnis, einem direkten Befehl<br />
eines Anführers nicht zu gehorchen. Doch er wusste, ihm blieb keine Wahl. John war ihm als<br />
neuer Anführer angekündigt worden und er hatte diesem zu Gehorchen. Und doch ...<br />
Irgendetwas in ihm sagte dem geheimnisvollen Mann, dass etwas nicht stimmte. Richard<br />
hoffte, dass Locke sich auf eine längere Rast einlassen würde, sobald es dunkel war. Alpert<br />
spürte, dass es wichtig war, die Ankunft bei Jacob noch ein wenig hinaus zu zögern. Er wurde<br />
unmerklich langsamer und die Gruppe hinter ihm passte sich ebenso unmerklich an seine Ge-<br />
schwindigkeit an. Locke schien es nicht aufzufallen. Richard sah sich um. Er war Locke am<br />
südöstlichen Strand begegnet und hatte ihn von dort aus durch den Dschungel zu seinen<br />
Leuten geführt. Schon da hatte Richard deutliches Unbehagen in der Nähe Lockes verspürt.<br />
Richard wusste um das Geheimnis der Insel, um all ihre Geheimnisse. Es war ihm bekannt,<br />
dass Jacob einen gefährlichen Widersacher auf der Insel hatte. Seine, Richards Aufgabe, war<br />
es all die vielen Jahre gewesen, das Gleichgewicht zwischen den beiden Gegnern zu wahren.<br />
Bislang war nie etwas geschehen, das dieses Gleichgewicht gestört hatte. Das hieß aber nicht,<br />
dass es dabei bleiben würde. Richard nahm sich fest vor, weiter wachsam zu sein und die<br />
Augen offen zu halten.<br />
************<br />
Locke lief eine Weile neben Richard her, dann ließ er sich zurückfallen, ganz ans Ende<br />
der Gruppe, wo Ben alleine durch den Sand stapfte. Dieser sah Locke entgegen.<br />
„Du willst nicht nur mit Jacob Plauschen, nehme ich an ...“<br />
„Nun, ich möchte endlich einiges Klären, ist das nicht auch in deinem Sinne? Du<br />
kannst mit mir kommen, Ben, dann kannst du Jacob persönlich fragen, warum er dich in all<br />
den Jahren, die du sein ergebener Diener warst, nie<br />
mit einer Audienz beglückt hat.“<br />
- 388 -
schwer.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Sarkastisch und sehr verletzend kamen die Worte aus Johns Mund. Ben schluckte<br />
„Nun, irgendetwas muss ich wohl falsch gemacht haben, sonst ...“<br />
„Vielleicht hast du einmal zu oft dein eigenes Süppchen gekocht?“, unterbrach John<br />
den ehemaligen Anführer der Anderen.<br />
gemacht.“<br />
„Was immer ich getan habe, habe ich zum Wohl ...“<br />
Erneut wurde Ben unterbrochen.<br />
„Was immer du getan hast, Benjamin, hast du zu deinem eigenen Wohl und Nutzen<br />
Ben schüttelte den Kopf.<br />
„Das stimmt nicht. Ich habe vieles selbst entschieden, aber nicht alles.“<br />
Ben klang beleidigt, nie hätte er ausgerechnet vor John zugegeben, allzu oft seinen<br />
eigenen Willen durchgesetzt zu haben. John sah den Mann von der Seite ironisch an.<br />
„Du hast Leid und Tod über die Menschen gebracht, die dir vertraut haben, zuletzt<br />
über deine Ziehtochter Alexandra.“<br />
Bei der Erwähnung des Namens wurde Ben blass.<br />
„Ich habe sie gesehen.“, sagte er leise.<br />
„Wie meinst du das?“, fragte Locke lauernd.<br />
„Ich habe sie in der Höhle gesehen. Sie hat ...“ Ben biss sich auf die Lippe. „Sie hat<br />
mir gesagt, wenn ich nicht alles tun würde, was du sagst, würde sie <strong>mich</strong> umbringen.“<br />
leise:<br />
John sah Ben jetzt scharf an.<br />
„Das hat sie gesagt?“<br />
Ben nickte.<br />
„Ja, ich soll dir gehorchen, ohne Kompromisse.“<br />
In Johns Augen glomm ein kalter Funke auf. Er schwieg eine Weile, dann erklärte er<br />
„Du hast <strong>mich</strong> gefragt, was ich bei Jacob will. Nun, Ben, ich war nicht ganz ehrlich zu<br />
dir. Ich werde dir sagen, was ich bei Jacob will. Ich werde ihn umbringen!“<br />
kommen.“<br />
Ben stoppte unwillkürlich.<br />
„Was willst du?“<br />
John erklärte ruhig und kalt:<br />
„Ich wollte Jacob umbringen.“<br />
Ben holte tief Luft.<br />
„Du wolltest?“<br />
John nickte langsam.<br />
„Ja, ich wollte das gute Werk selbst tun. Aber jetzt ist mir eine bessere Idee ge-<br />
- 389 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ben schien zu schrumpfen. Er hatte so eine Ahnung, welche Idee John Locke ge-<br />
kommen war. Innerlich zitternd wartete er auf die nächsten Worte. Und diese kamen, kalt und<br />
überlegen.<br />
„Willst du gar nicht erfahren, welche Idee mir gekommen ist?“<br />
Ben biss die Zähne aufeinander.<br />
„Du wirst es mir sicher gleich erzählen.“, erklärte er leise.<br />
John lachte.<br />
„Da hast du allerdings Recht, denn du bist ein wichtiger Bestandteil meiner Idee.<br />
Nicht ich werde Jacob töten, du wirst das für <strong>mich</strong> übernehmen.“<br />
Ben hatte etwas Ähnliches vermutet. Doch nun zuckte er dennoch heftig zusammen.<br />
„Was?“ fragte er bestürzt. „Du verlangst allen Ernstes von mir, dass ich Jacob töte?<br />
Er ist unser Führer. Er hält alle Fäden in der Hand. Du weißt nicht, was geschieht, wenn er<br />
stirbt.“<br />
John blieb ganz ruhig.<br />
„Oh, darüber mache dir keine Gedanken, Benjamin. Alles wird anders und besser,<br />
wenn er vernichtet ist. Das sagt mir mein Gefühl.“<br />
- Und du wirst dafür sorgen. -<br />
fügte Locke in Gedanken grinsend hinzu. Ben war erschüttert. Die Vorstellung Jacob<br />
zu Töten glich der Vorstellung, Gott zu Töten. Das konnte John nicht ernst meinen. Aber ein<br />
Blick in die kalten Augen Lockes sagte Ben, dass dieser es sehr wohl sehr ernst meinte.<br />
„Was ist? Du selbst hast doch mehr Grund als alle anderen, Jacob umzubringen. Du<br />
hast so viele Jahre seinen Befehlen gehorcht und was hast du davon gehabt? Hat er es dir je<br />
gedankt? Hat er sich je dazu herab gelassen, dir zu gewähren mit ihm zu reden? Er hat zu-<br />
gelassen, dass Keamy Alex erschießt, Benjamin. Woher kommen deine Skrupel? Du hast nie<br />
Probleme mit dem Töten gehabt! Auf deinen Befehl hin wurde die ganze DHARMA Initiative<br />
ausgelöscht, du hast deinen eigenen Vater umgebracht, du hast deine eigenen Leute betrogen<br />
und manipuliert, Jack, Kate und Sawyer entführt und schwer misshandelt, Walter seinem<br />
Vater entrissen, <strong>mich</strong> kalt lächelnd umgebracht. Warum hindert dich nun plötzlich dein Ge-<br />
wissen, dieses gute Werk auch bei Jacob zu vollbringen?“<br />
************<br />
Ben war unter den kalten Worten, die John hier so ruhig von sich gab, zusammen-<br />
gezuckt. Er wusste, dass Locke Recht hatte, er hatte nie Skrupel empfunden. Bens Leben war,<br />
bevor er Anführer der Inselbewohner um Richard wurde, schlicht und ergreifend grässlich<br />
gewesen. Seine Mutter hatte ihn in einer Sturzgeburt irgendwo im Wald auf einem Ausflug<br />
zur Welt gebracht und war anschließend in den Armen seines Vaters verblutete. Roger Linus<br />
- 390 -
By<br />
Frauke Feind<br />
war über den Tod seiner geliebten Emily nie hinweg gekommen und hatte unterschwellig<br />
seinen Sohn Ben für ihren Tod verantwortlich gemacht. Unmittelbar nach der Geburt war<br />
Roger mit der noch lebenden Emily im Arm zur Straße gerannt und dort hatte er einen Wagen<br />
gestoppt. In diesem Wagen saßen Horace Goodspeed und eine junge Frau namens Olivia. Sie<br />
hatten noch versucht, Hilfe zu leisten, doch es war bereits zu spät gewesen. Zwischen Roger<br />
und Horace hatte sich eine lockere Freundschaft gebildet und als Roger 1973 nach langer<br />
Arbeitslosigkeit wieder einmal mit Horace zusammen traf, hatte dieser ihm angeboten, doch<br />
der DHARMA Initiative beizutreten. So war Ben auf die Insel gelangt.<br />
Nun eine feste, sichere Anstellung zu haben hatte an Rogers Verhalten nicht das<br />
Geringste geändert. Er hatte getrunken, Ben bei jeder Gelegenheit gemaßregelt, geschlagen,<br />
eingesperrt, hatte Bens Geburtstage ignoriert und den Jungen ohne jede Zuneigung oder gar<br />
Liebe aufgezogen. Roger hatte auch in der DHARMA Initiative kaum Freunde gefunden. Ben<br />
hatte unter dem Verhalten seines Vaters unglaublich gelitten. Er war zu einem Einzelgänger,<br />
einem stillen, verschlossenen Jungen geworden. Als er 13 Jahre alt gewesen war, hatte er<br />
einen Mann kennen gelernt, der von den Sicherheitsleuten der DHARMA Initiative im Wald<br />
aufgegriffen worden war. Er hatte sich mit diesem Mann angefreundet. Sein Vater hatte ge-<br />
tobt, aber das war Ben egal gewesen. Schließlich war dieser verregnete Abend gekommen,<br />
den Ben nie wieder vergessen würde. Er war von einem heftigen Unwetter überrascht worden<br />
und plötzlich hatte der Mann wie aus den Wolken gefallen vor Ben gestanden. Ben hatte sich<br />
gefreut, den Freund zu treffen und hatte gehofft, dass dieser ihn auf seiner offensichtlichen<br />
Flucht mitnehmen würde. Doch der vermeintliche Freund hatte ganz anders reagiert. Er hatte<br />
Ben angeschaut, eine Waffe gezogen und ohne zu Zögern abgedrückt. An die Ereignisse<br />
danach hatte Ben lange nur vage Erinnerungen gehabt. Auch an den Mann selbst hatte er sich<br />
viele, viele Jahre nicht erinnert. Ben wusste, dass er zu Richard Alpert, den er bereits vorher<br />
gekannt hatte, gebracht worden war. Er hatte Richard im Wald kennen gelernt, als er ungefähr<br />
10 Jahre alt gewesen war. Eine Vision seiner Mutter hatte ihn damals in den Wald getrieben,<br />
er hatte gehofft, sie zu finden. Doch stattdessen war er Richard begegnet und hatte diesen an-<br />
gefleht, ihn, Ben, bei sich aufzunehmen. Richard hatte ihm ruhig erklärt, dass die Zeit noch<br />
nicht gekommen war und ihn zu seinem verhassten Vater zurück geschickt. Nach dem <strong>Angriff</strong><br />
auf Ben jedoch hatte Richard den halb toten Jungen doch aufgenommen und ... irgendwie<br />
geheilt. Sehr viel später hatte er Ben zurück zu seinem Vater und der DHARMA Initiative<br />
geschickt mit dem Hinweis, wenn die Zeit gekommen wäre, würde er, Ben die Chance be-<br />
kommen, zu den Anderen zurück zu kehren.<br />
Viele Jahre später, nachdem Ben mit Hilfe der Anderen die DHARMA Initiative aus-<br />
gelöscht und seinen eigenen Vater umgebracht hatte, als er schon lange der Anführer war,<br />
hatte er den Mann wieder gesehen, der ihn als Kind so dermaßen verraten und umzubringen<br />
versucht hatte! Plötzlich und unerwartet war dieser auf der Insel erschienen, <strong>Über</strong>lebender<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
eines Flugzeugabsturzes. Ben hatte ihn sofort wieder erkannt und schlagartig waren auch die<br />
verschütteten Erinnerungen klar und deutlich gewesen. Er hatte sofort beschlossen, sich zu<br />
Rächen. Und hatte seine Leute gnadenlos in diesen Rachefeldzug eingespannt. Als er die Insel<br />
verlassen hatte, nach Alex gewaltsamen Tod, war es endlich so weit gewesen. Er ließ die ein-<br />
zige Frau, die dem Mann je etwas bedeutet hatte, umbringen und zwar vor dessen Augen.<br />
Autounfall, Fahrerflucht. Es war nun ein leichtes gewesen, dem Mann einzureden, dass der<br />
Tod der Frau auf das Konto von Charles Widmore gehe. Er hatte den Mann eiskalt eingesetzt,<br />
um unter den wichtigen Anhängern Widmores aufzuräumen, dann hatte er ihn fallen lassen.<br />
Sollte er doch mit seinem Gewissen und der Tatsache, die Frau, die er mehr geliebt hatte als<br />
sein Leben verloren zu haben klar kommen. Ben hatte seine Rache gehabt und den Mann,<br />
Sayid Jarrah, gebrochen zurück gelassen.<br />
************<br />
An all das dachte Ben nach den Worten Lockes. Und da Ben eine ziemlich gestörte<br />
Persönlichkeit war, suchte er Fehler für das, was ihm widerfahren war, nur bei anderen. Und<br />
auf Jacob hatte er seinen Hass ohnehin schon fixiert. Nur über die Möglichkeit, sich an<br />
diesem zu Rächen, hatte er nie nachgedacht. Warum eigentlich? Weil Ben nie heraus be-<br />
kommen hatte, wo er Jacob finden konnte. Egal, wie sehr er Richard bedrängte, dieser hatte<br />
ihn immer wieder mit dem Hinweis abgewimmelt, dass Jacob entscheiden würde, ob Ben er-<br />
fuhr, wo er diesen finden konnte. Nun kam Locke daher, befahl Richard, ihn zu Jacob zu<br />
bringen, und Richard gehorchte. In Bens gestörtem Selbstwertgefühl wuchs die Wut. Wut auf<br />
Richard, der ihm den Zugang zu Jacob verwehrt hatte, Wut auf alle, die diesen geheimnis-<br />
vollen Mann kennen lernen durften und Wut und Hass auf Jacob selbst! Er, Ben, hatte es<br />
mehr als verdient, zu erfahren, warum Jacob ihn nie zu sich gelassen hatte. Er hatte alles getan<br />
und war nur abgespeist worden. Immer brennender wurde der Hass, den Ben in sich spürte.<br />
Sein Begleiter, der Ben sehr genau beobachtete, grinste. Er spürte überdeutlich, dass seine<br />
Saat aufgegangen war. Sie war auf idealen Nährboden gefallen und wuchs schnell und<br />
effektiv heran. Locke sagte ruhig:<br />
„Jacob war es, der zuließ, dass Martin Keamy deine Tochter vor deinen Augen er-<br />
schoss, Benjamin.“<br />
Linus nickte.<br />
„Du hast Recht, John. Ich habe es verdient, mehr als jeder andere, endlich eine Er-<br />
klärung von Jacob zu erhalten. Und er verdient es nicht besser, als umgebracht zu werden!“<br />
************<br />
- 392 -
By<br />
Frauke Feind<br />
35) Memorys<br />
Ich hatte das Gefühl, in Wackelpudding zu stecken. So oft ich versuchte, meine<br />
Gliedmaßen zu bewegen, so oft kam es mir vor, als würden sie in einer zähen, wabbeligen<br />
Masse feststecken. Unendlich mühsam öffnete ich meine Augen einen Spalt, immer darauf<br />
vorbereitet, dass sie wieder von dem bohrend grellen Licht geblendet wurden. Doch das ge-<br />
schah nicht. Stattdessen sah ich nichts. Absolut nichts. Komplette Dunkelheit hüllte <strong>mich</strong> ein<br />
und mein Herz schlug von einer Sekunde zur Anderen schmerzhaft in meiner Brust. Panisch<br />
riss ich die Augen ganz auf, aber das Resultat blieb das Gleiche. Vollkommene Schwärze um<br />
<strong>mich</strong> herum. Ich konnte nichts fühlen, nichts sehen und geriet in Panik. Wie lange dieser Zu-<br />
stand anhielt konnte ich nicht sagen, es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Tränen stürzten mir<br />
über die Wangen und ich war kurz davor, hysterisch los zu schreien. Doch bevor es dazu<br />
kommen konnte sah ich plötzlich und unerwartet doch etwas. Ein winziges Licht, warm und<br />
sanft rot schimmernd, tauchte in einiger Entfernung von mir auf und wurde schnell größer.<br />
Unendlich erleichtert merkte ich, dass ich nicht erblindet war. Vor Erleichterung kamen mir<br />
schon wieder Tränen. Nun konnte ich <strong>mich</strong> auch bewegen. Das Licht kam näher und un-<br />
willkürlich versuchte ich, etwas von meiner Umgebung zu erkennen, doch die blieb im<br />
Schwarz um <strong>mich</strong> herum verborgen.<br />
So konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf das Licht, dass sich mir bis auf<br />
wenige Schritte genähert hatte. Plötzlich glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. In mitten<br />
des Lichtes erkannte ich eine Gestalt. Ein alter Mann, der <strong>mich</strong> liebevoll anlächelte.<br />
„Grandpa?“ In der nächsten Sekunde schon hing ich weinend an seinem Hals und spürte seine<br />
Arme fest und beschützend um <strong>mich</strong>. Ein ungeheures Glücksgefühl überschwemmte <strong>mich</strong><br />
und ich hatte nur noch den einen Wunsch, dieses Gefühl nie wieder zu verlieren. So geborgen<br />
und fern ab jeder noch so geringen Gefahr, es war wie im Paradies. Grandpa hielt <strong>mich</strong><br />
minutenlang fest, dann sagte er leise und beruhigend:<br />
„Mein kleiner Schatz ... Du darfst nicht hier sein!“<br />
Erschrocken sah ich auf, schaute in die gütigen Augen, die <strong>mich</strong> besorgt musterten.<br />
„Was sagst du da? Ich bin so glücklich, dass ich dich wieder habe. Du kannst <strong>mich</strong><br />
nicht fort schicken!“<br />
„Das muss ich leider, Kelly. Noch hast du hier nichts zu suchen. Dein Platz ist an der<br />
Seite Jims. Du hast noch so unendlich viel zu tun.“<br />
Ich schüttelte hektisch den Kopf.<br />
„Nein. Nein, ich will nichts mehr tun müssen. Ich habe keine Kraft mehr. Du weißt ja<br />
nicht, was in den letzten Wochen los war. Ich ertrage das nicht mehr, bitte! Ich möchte hier<br />
bleiben, bei dir, und alles vergessen.“, stieß ich atemlos hervor.<br />
- 393 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Grandpa zog <strong>mich</strong> zu einem Baumstamm, der sich aus der Dunkelheit schälte und wir<br />
setzten uns. Er nahm meine Hände und sah <strong>mich</strong> ernst an.<br />
„Ich weiß, es ist viel verlangt, aber du bist der stärkste Mensch, den ich kenne, mein<br />
Engel. Du schaffst das, davon bin ich überzeugt. Und, Liebling, denke doch an Jim. Ahnst du,<br />
wie unendlich verzweifelt er ist?“<br />
Langsam dämmerte mir, was los war. Ruhig fragte ich:<br />
„Ich bin tot, richtig?“<br />
Grandpa nickte. Dann aber sagte er:<br />
„Nun, noch kannst du dich entscheiden. Du musst nur den Mut und die Kraft auf-<br />
bringen, zurück zu kehren, mein Schatz. Es ist noch zu früh, deine Aufgaben sind noch nicht<br />
erfüllt. Jim verdient es nicht, dass du ihn alleine zurück lässt. Er liebt dich mehr, als irgend-<br />
jemand sonst dich liebt. Du darfst ihn nicht im Stich lassen. Er würde daran zerbrechen.“<br />
Ich dachte an Jim und spürte erneut Tränen auf meinem Gesicht. Einerseits war da die<br />
Nähe und die Stimme meines Großvaters, andererseits sah ich jetzt plastisch Jims Gesicht vor<br />
mir, spürte seine liebevollen, beschützenden Hände, hörte seine Stimme, die mir Lieb-<br />
kosungen in die Ohren flüsterte. Ich hatte das Gefühl, nur die Hand ausstrecken zu brauchen,<br />
um ihm über die Wangen zu streicheln. Er weinte. Warum weinte er? Wie ein Blitz zuckte es<br />
durch <strong>mich</strong> hindurch.<br />
„Du hast Recht. Ich kann ihn nicht alleine lassen! Aber wirst du auf <strong>mich</strong> warten?“<br />
Grandpa lächelte.<br />
„Natürlich werde ich das. Und in sehr vielen Jahren, wenn deine Zeit auch gekommen<br />
ist, werde ich dich empfangen. Du wirst zu mir kommen, zusammen mit Jim. Du wirst deine<br />
Mutter wieder sehen, deinen Vater, der, bis es so weit ist, auch schon bei mir sein wird, Jim<br />
wird seine Eltern wieder sehen. Aber noch ist es nicht so weit.“<br />
Ich nickte.<br />
„Ja, ich weiß. Du hast Recht, Grandpa, ich muss zu Jim zurück.“<br />
Ich wollte aufspringen, aber mein Großvater hielt <strong>mich</strong> zurück.<br />
„Kelly, du musst es verhindern.“<br />
„Was?“ fragte ich verwirrt.<br />
„Das John seinen Plan wahr macht!“<br />
************<br />
Jim kam langsam zu sich. Er spürte, dass er im Wasser lag. Und er spürte, dass er<br />
Kelly fest in den Armen hielt. Erleichtert atmete er auf. Wie er dort, wo auch immer sie jetzt<br />
waren, hingelangt war, war im Moment unwichtig. Wichtig war nur, dass Kelly bei ihm war.<br />
Er öffnete mühsam die Augen und flüsterte:<br />
- 394 -
„Kelly ...“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Eine Antwort erhielt er nicht. Er zwang sich, richtig zu sich zu kommen. Müde öffnete<br />
er die Augen und nachdem die Sterne und Kreise, die daraufhin vor ihm aufblitzten ver-<br />
schwunden waren, erkannte er, dass er am Ufer lag, auf dem Rücken, halb noch im Wasser.<br />
Kelly lag reglos in seinen Armen. Erschrocken war er nun schnell richtig bei sich. Hastig<br />
kniete er sich hin und untersuchte Kelly. Und hatte das Gefühl, ein Eiszapfen würde in sein<br />
Herz eindringen. Er hatte sie neben sich, aber sie atmete nicht mehr! Vollkommen verzweifelt<br />
wimmerte er:<br />
„Nein ... Kelly ...“<br />
Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich.<br />
„Sawyer, was ist mit ihr?“<br />
In der nächsten Sekunde kniete Jack neben ihm. Er blutete heftig am Bein, war weiß<br />
wie eine Wand, beugte sich aber ungeachtet dessen über Kelly und fing sofort an, Herz-<br />
druckmassage auszuführen.<br />
schon.“<br />
„Beatme sie, los, drei Mal!“, herrschte er Jim an und dieser gehorchte wie in Trance.<br />
Er sah Jack fragend an und dieser erklärte:<br />
„Kopf etwas in den Nacken, Nase zuhalten und drei Mal in ihren Mund, nun mach<br />
Hastig tat Jim, was ihm gesagt wurde. Blind vor Tränen sah er zu, wie Jack wieder<br />
und wieder kurze, kräftige Druckbewegungen auf Kellys Brust ausführte.<br />
„Wieder beatmen.“<br />
Erneut beugte Jim sich zu Kelly herunter und blies ihr drei Mal hintereinander seinen<br />
Atem in die Lungen. Nach endlosen Minuten, in denen Jim schon jede Hoffnung aufgegeben<br />
hatte, passierte es endlich. Plötzlich hustete Kelly krampfhaft, ein Schwall Wasser lief aus<br />
ihrem Mund und sie öffnete die Augen. Jack sank ächzend auf den Rücken und Jim riss die<br />
junge Frau in seine Arme und stotterte schluchzend und zitternd Liebkosungen in ihre Ohren,<br />
von seiner Umgebung nichts mehr registrierend.<br />
************<br />
Krampfhaft hustend kam ich zu mir. Eben noch hatte ich die eindringliche Stimme<br />
meines Großvaters gehört, nun war es die tränenerstickte Stimme Jims, die mir Liebkosungen<br />
in die Ohren flüsterte. Ich hatte das Gefühl, gar nicht genug Luft in meine Lungen pumpen zu<br />
können. Abgesehen von Jims Stimme hörte ich Rauschen von Wellen, Blätter, die im Wind<br />
raschelten und über allem immer wieder Jims Stimme. Ich öffnete langsam die Augen, hatte<br />
Angst vor dem, was ich zu sehen bekommen würde. Doch es war ganz harmlos. <strong>Über</strong> mir<br />
blauer Himmel, neben mir Jim, der <strong>mich</strong> krampfhaft schluchzend an sich presste und in<br />
- 395 -
By<br />
Frauke Feind<br />
seinen Armen wiegte, wie man einen Säugling gewiegt hätte. Ich wollte so liegen bleiben, für<br />
immer, aber plötzlich drang noch eine andere Stimme an mein Ohr.<br />
„Du musst verbunden werden. Jack. Du wirst verbluten!“<br />
Ich reagierte auf diese verängstigten Worte wie ein Roboter. Langsam versuchte ich,<br />
<strong>mich</strong> aus Jims Umarmung zu lösen. Das war jedoch ein schwieriges Unterfangen, denn er<br />
klammerte sich an <strong>mich</strong> als wolle er <strong>mich</strong> nie wieder loslassen.<br />
„Baby, es geht mir gut ... Ich muss ... ich muss <strong>mich</strong> um Jack kümmern ...“<br />
Wieder hustete ich und spürte erneut Salzwasser auf der Zunge. Jim sah mir ins Ge-<br />
sicht, dann spürte ich seine Lippen. Auf den Augen, der Stirn, den Wangen, meinen eigenen<br />
Lippen.<br />
stört.<br />
„Geht es dir gut? Bitte, Kelly, geht es dir wirklich gut?“, keuchte er vollkommen ver-<br />
Es kostete <strong>mich</strong> ungeheure Kraft, weniger physisch als vielmehr psychisch, <strong>mich</strong> lang-<br />
sam aus seinen Armen zu lösen.<br />
kümmern.“<br />
„Baby, ja, es geht mir wieder gut, alles in Ordnung. Ich muss <strong>mich</strong> wirklich um Jack<br />
Und erst jetzt ließ Jim <strong>mich</strong> ganz langsam los.<br />
Etwas schwankend kam ich auf die Beine und sofort waren Jims Arme wieder um<br />
<strong>mich</strong>, mir zu helfen.<br />
„Wir müssen dich aus dem Wasser kriegen.“, erklärte ich Jack kalt.<br />
Kate, ihre Stimme war es, die ich gehört hatte, nickte heftig.<br />
„Jin, fass mit an.“<br />
Miles eilte ebenfalls neben Jack und zusammen mit Jin richtete er den Arzt auf, half<br />
ihm den Strand hinauf. Jetzt sah ich auch Daniel, Sayid und Hurley. Und ich sah, dass Jim am<br />
linken Oberarm eine blutende Schramme hatte, Miles an der linken Seite und Daniel am Hals.<br />
Sayid blutete an der rechten Schulter, wo ihn mein Schuss getroffen hatte. Jin und Kate waren<br />
ebenfalls nicht ohne Verletzungen davon gekommen. Lediglich Hurley blutete nicht. Ich<br />
hustete immer noch ein wenig, fühlte <strong>mich</strong> aber von Minute zu Minute besser. Wir hatten die<br />
Baumgrenze erreicht und Miles und Sayid ließen Jack langsam zu Boden sinken. Ich kniete<br />
<strong>mich</strong> neben dem Arzt in den warmen Sand und erklärte Kate:<br />
„Zieh ihm die Schuhe aus, die Hose muss runter.“<br />
Hastig kniete Kate sich ebenfalls hin und zog Jack die Schuhe aus. Nun halfen wir ihm<br />
aus dem Overall. Ich beugte <strong>mich</strong> über ihn und sah mir die Wunde an. Die Kugel steckte noch<br />
und ich schaute <strong>mich</strong> um.<br />
„Hat einer von euch ein Messer ...?“<br />
Bevor ich die Frage noch ganz stellen konnte, zogen sowohl Miles als auch Jin Messer<br />
aus der Tasche. Jin hatte sein Leatherman noch bei sich, das schon einmal bei Jim zum Ein-<br />
satz gekommen war, und ich griff danach.<br />
- 396 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wir brauchen schnell ein Feuer, kümmert euch darum.“<br />
Hurley, Dan und Sayid eilten los, um trockenes Geäst zu suchen. Ich sah Jin an.<br />
„Halte du seinen Oberkörper, Jim, du hältst das Bein fest.“<br />
Jack lag still, der Blutverlust machte sich langsam bemerkbar. Ich drückte das Ein-<br />
schussloch auseinander und sondierte es wenig vorsichtig mit dem kleinen Messer des<br />
Multifunktionstools. Jack keuchte auf vor Schmerzen, doch darauf nahm ich keine Rücksicht.<br />
Es war mir schlicht egal, ob der Mann, der gedroht hatte, Jim zu erschießen, Schmerzen hatte.<br />
Sayid stapelte bereits Holz übereinander und suchte in seiner Hosentasche nach einen Feuer-<br />
zeug, dass er auch fand. Sofort züngelten an dem trocknen Holz Flammen und kurze Zeit<br />
später brannte ein kleines Feuer. Ich wusste inzwischen, dass die Kugel, die ich selbst Jack<br />
verpasst hatte, nicht tief saß. So nahm ich nun die Zange zu Hilfe und sah Jim an, der immer<br />
noch vollkommen neben sich wirkte.<br />
„Gut festhalten jetzt.“, sagte ich sanft und Jim nickte.<br />
Ich drückte die Wunde erneut auseinander und senkte die Spitzzange des Tools in<br />
Jacks Fleisch. Schnell spürte ich die Kugel und bekam sie schon beim ersten Versuch ver-<br />
nünftig zu packen. Ohne auf Jacks gequälten Aufschrei zu achten entfernte ich die Kugel und<br />
ließ sie in den Sand fallen. Ich bat Miles um sein breites Jagdmesser und reichte es Daniel, der<br />
neben Sayid, der sich die Schulterwunde hielt, am Feuer saß.<br />
„Zum Glühen werden wir es nicht kriegen, aber es muss sehr heiß sein, damit ich die<br />
Ader verschließen kann.“, erklärte ich schnell.<br />
Daniel nickte, hielt das Messer minutenlang an die heißeste Stelle in dem kleinen<br />
Feuer, dort, wo die Flammen weiß leuchteten. Schließlich drückte er mir das Messer wieder in<br />
die Hand und ich hielt es ohne zu Zögern an die Wunde. Jack brüllte erneut auf, sackte in sich<br />
zusammen und verlor die Besinnung.<br />
Kate war kreidebleich. Ich sah Hurley an.<br />
„Ich brauche dein T-Shirt, Hurley.“<br />
Wortlos nickte der dicke, junge Mann und zog sein Shirt unter dem DHARMA<br />
Overall aus. Ich warf es Daniel zu.<br />
„In Streifen.“<br />
Er fing das Kleidungsstück auf und begann, es in Streifen zu schneiden. Abgesehen<br />
davon, dass ich mir vorkam wie im Wilden Westen, wo Schusswunden kurzerhand aus-<br />
gebrannt worden waren um Blutungen zu stoppen hatte ich das Gefühl, Jack das Leben ge-<br />
rettet zu haben. Was für eine Ironie. Erst schoss ich ihn selbst an, dann musste ich die Folgen<br />
meiner eigenen Tat beseitigen! Kate reichte mir Streifen von Hurleys T-Shirt und ich wickelte<br />
diese fest, aber nicht abschnürend um Jacks Oberschenkel. Nun wandte ich <strong>mich</strong> an Jim.<br />
„Was ist mit deinem Arm, Schatz?“, fragte ich ihn.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jim sah <strong>mich</strong> unverwandt an und schien gar nicht mitbekommen zu haben, was ich ihn<br />
gefragt hatte. In einer derart desolaten Verfassung war er nicht einmal am Beginn unserer<br />
Bekanntschaft gewesen. Ich beschloss, die Anderen erst einmal zu Ignorieren und meine<br />
ganze Aufmerksamkeit Jim zu widmen. Ich nahm ihn an der Hand und zog ihn mit mir ein<br />
Stück den Strand entlang. Schweigend folgte er mir, wie eine Marionette. Als wir außer Sicht-<br />
und Hörweite waren zog ich ihn in den warmen Sand hinunter. Langsam und geistesabwesend<br />
ließ er sich neben mir nieder. Leise sagte ich:<br />
verloren.“<br />
„Honey, es geht mir gut. Du musst dich fangen, okay?“<br />
Er wandte sich mir zu und atmete tief ein. Fassungslos stieß er hervor:<br />
„Gott, Kelly, ich ... du warst tot ... Ich hab ... hab gedacht, ich hätte dich doch noch<br />
Wieder kullerten Tränen über seine blassen, verdreckten, von der Folter ge-<br />
schwollenen und in allen Farben schimmernden Wangen. Wir alle sahen aus wie Vogel-<br />
scheuchen, das wurde mir bei diesem Anblick allzu bewusst. Er sah <strong>mich</strong> an und riss <strong>mich</strong> an<br />
sich, so heftig und unerwartet, dass mir kurz die Luft weg blieb. Jedoch presste ich ihn genau-<br />
so fest an <strong>mich</strong> und hielt ihn fest.<br />
Unsere Lippen fanden sich zu einem innigen Kuss. Meine Hände glitten unter Jims<br />
Hemd, das nun zu allem <strong>Über</strong>fluss an vielen Stellen Löcher und Risse aufwies. Meine eigene<br />
Kleidung sah nicht einen Deut besser aus. Vogelscheuchen! Wir lagen im Sand, küssten uns<br />
immer wieder leidenschaftlich und streichelten uns gegenseitig all die Angst und Anspannung<br />
fort. Endlich hatte ich das Gefühl, dass Jim sich entspannte. Als unsere Lippen sich kurz von<br />
einander lösten sagte er mit deutlich ruhigerer Stimme:<br />
„Oh, man, langsam reicht es wirklich. Das alles hier ist mehr, als der stärkste Mann er-<br />
tragen kann. Wie schaffst du es nur, immer noch aufrecht zu stehen und auch noch vernünftig<br />
und überlegt zu handeln?“ Ein Lächeln umspielte dabei endlich wieder seinen Mund und<br />
seine Grübchen zuckten. „Warum hast du dem Doc eigentlich den Arsch gerettet?“, fügte er<br />
grinsend hinzu.<br />
schießen.“<br />
„Das habe ich <strong>mich</strong> auch schon gefragt.“, erklärte ich. „<strong>Der</strong> Mistkerl wollte auf dich<br />
Ich konnte meiner eigenen Stimme den Hass und die Wut, die ich empfand, anhören.<br />
Ich zwang diese Emotionen mühsam zurück und sagte stattdessen:<br />
„Weißt du, ich muss <strong>mich</strong> eigentlich um all die kleineren Verletzungen kümmern. Wie<br />
geht es deinem Arm?“<br />
Jim sah auf die blutige Schramme hinunter und zuckte die Schultern.<br />
„Kein Problem, geht nicht sehr tief in die Haut.“, erklärte er kopfschüttelnd. „Kate ...<br />
Sie hat es tatsächlich getan.“<br />
Ich nickte.<br />
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Frauke Feind<br />
„So wie ich. Ich hätte Jack auch den Kopf wegpusten können.“ Ich sah Jim an. „So,<br />
wie Jin Radzinsky den Kopf weg gepustet hat.“<br />
Wir erhoben uns und kehrten eng umschlungen zu den Anderen zurück. Jack war in-<br />
zwischen wieder zu sich gekommen und sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Kelly, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich ...“ Er verstummte kurz resigniert, fuhr<br />
endlich leise fort: „Ich kann <strong>mich</strong> wieder erinnern. An alles. Fragt <strong>mich</strong> nicht, warum. Wir<br />
wurden her geschickt, um genau das, was ich plante, zu verhindern. Ich wusste es nicht mehr.<br />
Es war, als hätte es LA nie gegeben. Es tut mir leid, was geschehen ist. Ich habe keine<br />
Ahnung, warum ich <strong>mich</strong> nicht an all das erinnern konnte und noch weniger, warum ich es<br />
jetzt plötzlich kann.“<br />
Kate, die neben ihm im Sand saß, nickte.<br />
„Geht mir genauso. Kelly, ich ... weiß nicht, wie ich dir danken soll, dass du Jack nicht<br />
erschossen hast. Du hättest es tun können, ohne Probleme.“<br />
Ihre Augen schimmerten feucht und meine Wut verflog langsam. Sie konnten wirklich<br />
nichts dafür, dass sie keine Erinnerung mehr an unser Zusammentreffen in LA gehabt hatten.<br />
Aus ihrer Sicht hatten sie das Richtige getan. Ich sah Kate an und nickte langsam.<br />
„Ja, ich hätte es tun können, so, wie du Jim hättest erschießen können. Zum Glück ist<br />
es nicht so weit gekommen, obwohl es verdammt knapp war.“<br />
Daniel, der von alledem nichts verstand, fragte fast schüchtern:<br />
„Wieso ähm ... kennt ihr euch? Aus LA? Ich verstehe nichts!“<br />
Ich sah den Wissenschaftler an und sagte:<br />
„Ich werde mir erst einmal eure Verletzungen anschauen, danach werden wir über das,<br />
was geschehen ist, sprechen, okay?“<br />
Ich begann mit Sayid, der neben Jack am schwersten verletzt war und behandelte auch<br />
seine Schusswunde. Er biss die Zähne knirschend aufeinander, als ich die Kugel entfernte,<br />
hielt aber durch. Ich verband die Wunde mit einem weiteren Streifen von Hurleys T-Shirt und<br />
wandte <strong>mich</strong> dem Nächsten zu.<br />
Eine Stunde später waren alle Schrammen und Beulen versorgt. Miles und Jin waren<br />
im Wald gewesen und kamen mit Papayas und Mangos zurück, wir aßen davon und nun<br />
wurde es langsam dunkel.<br />
„Ich möchte nicht nerven, aber ich würde gerne erfahren, was eigentlich los ist und<br />
warum ihr euch kennt und euch vorher nicht an Dinge erinnern konntet.“, meinte Daniel leise.<br />
Und wir erzählten ihm alles. Angefangen bei meiner ersten Begegnung mit Jim, über<br />
unsere Fahrt und den anschließenden Flug nach LA, bis zu dem Zeitpunkt, als ich das Rad<br />
betätigt hatte. Auch Miles hörte mehr als Aufmerksam zu.<br />
„Ihr musstet also mit aller Macht verhindern, dass wir den Zünder in das Bohrloch<br />
werfen.“, meinte Daniel schließlich fassungslos.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, das hätte die Schleife erneut ausgelöst.“, sagte Jim ruhig.<br />
„Es grenzt an ein Wunder, dass wir uns nicht gegenseitig umgebracht haben.“, meinte<br />
Daniel erschüttert. „Ihr habt mir also schon das Leben gerettet, habt verhindert, dass meine<br />
Mutter <strong>mich</strong> erschießt?“, sagte er ziemlich betroffen.<br />
„Ja, damit haben wir wohl einen wichtigen Punkt auf unserer Liste erledigt. Eigentlich<br />
ist es doch damit vorbei, oder?“, meinte Kate müde.<br />
Ich seufzte. Dann berichtete ich von meiner Begegnung mit meinem Großvater.<br />
„Er sagte deutlich zu mir, wir müssten verhindern, dass John seinen Plan wahr<br />
macht.“, schloss ich meinen Bericht.<br />
„John ... Damit kann nur Locke gemeint sein, denke ich. Aber von welchem Plan<br />
sprach dein Großvater?“<br />
Jack sah <strong>mich</strong> über das Lagerfeuer hinweg verwirrt an. Ich zuckte die Schultern.<br />
„Wenn ich das wüsste, wäre ich um einiges schlauer. Wir wissen ja derzeit nicht ein-<br />
mal, wann wir sind.“<br />
Jim lachte frustriert.<br />
„Mal wieder.“<br />
„Das können wir euch sagen.“<br />
Eine Bombe hätte keine größere Wirkung haben können wie diese Worte von einer<br />
Stimme hinter uns im Dschungel. Abgesehen von<br />
Hurley, der wegen seines Körperumfangs nicht so<br />
schnell reagieren konnte und Jack, der auf Grund seiner<br />
Beinverletzung nicht hochfahren konnte, sprangen wir<br />
alle auf die Füße und starrten in den dunklen Wald<br />
hinter uns. Unsere Hände zuckten automatisch auf den<br />
Rücken an den Hosenbund, bevor wir realisierten, dass wir dort keine Waffen stecken hatten,<br />
mit denen wir uns im Zweifelsfall hätten verteidigen können. Aus dem Wald hinter uns traten<br />
eine Frau und vier Männer zu uns an den Strand. Alle fünf waren bewaffnet und starrten uns<br />
misstrauisch an. Unsere eigenen Waffen waren uns abhanden gekommen, als der Flash ge-<br />
schah. So sahen wir uns einmal mehr unbewaffnet und wehrlos von seltsamen Gestalten be-<br />
droht.<br />
Schützen.<br />
„Wer seid ihr?“, fragte Jim angespannt und schob sich langsam vor <strong>mich</strong>, um <strong>mich</strong> zu<br />
Die Neuankömmlinge reagierten auf eine Weise, die wir nun als letztes erwartet<br />
hatten. Die junge Frau sah uns abschätzend an und fragte völlig zusammenhanglos:<br />
„Quid cubitus umbrae statuae?“<br />
Sieden heiß durchzuckte <strong>mich</strong> die Erinnerung an die Worte, die Richard mir vor langer<br />
Zeit beigebracht hatte. Wie aus der Pistole geschossen kam meine Antwort, während die<br />
Anderen verwirrt und fassungslos die Frau anstarrten.<br />
- 400 -
„Ille qui nos omnes servabit!“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jetzt war es an der dunkelhaarigen Frau, <strong>mich</strong> leicht irritiert anzuschauen. Dann sagte<br />
sie ruhig zu den sie begleitenden Männern:<br />
„Nehmt die Waffen runter.“<br />
Ohne zu Zögern senkten die Männer die Waffen.<br />
„Holt ihn her.“, gab die junge Frau eine weitere Anweisung und wortlos drehten sich<br />
die Männer herum, um wieder im Dschungel zu verschwinden. „Darf ich <strong>mich</strong> zu euch<br />
setzen?“, fragte die Unbekannte uns freundlich.<br />
„Klar, wir lieben es, Leute, die uns erst mit ner Knarre unter der Nase rumgewedelt<br />
haben und die es nicht für nötig halten, sich vorzustellen, an unser Lagerfeuer zu bitten.“,<br />
meinte Jim sarkastisch. „Wie wär‟s denn, wenn du uns mal verrätst, wer ihr seid.“<br />
Die Frau musterte Jim und fragte: „Bist du hier der Anführer?“<br />
Bevor jemand anderes antworten konnte erklärte ich: „Das ist er.“<br />
Jack nickte nur langsam und auch Kate schwieg.<br />
„Gut, du hast selbstverständlich Recht. Mein Name ist Ilana. Meine Begleiter stelle ich<br />
euch vor, sobald sie wieder bei uns sind. Verratet ihr mir, wer ihr seid?“<br />
Wir stellten uns der Reihe nach vor und die Frau schien sich unsere Namen genau ein-<br />
zuprägen. Als wir mit der Vorstellung fertig waren, raschelte es im Dschungel hinter uns und<br />
Augenblicke später traten die vier Männer an den Strand, eine schwere Metallkiste zwischen<br />
sich tragend. Vollkommen verwirrt starrten wir diese Kiste an und Jim konnte sich erneut eine<br />
ironische Bemerkung nicht verkneifen.<br />
„Schleppt ihr nen ganzen Hausstand mit euch herum oder ist das n aufblasbares Flug-<br />
zeug, um von dieser beschissenen Insel zu verschwinden?“<br />
Ilana schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, weder das Eine noch das Andere. Es ist spät, wenn es euch Recht ist, werden<br />
wir euch morgen früh zeigen, was wir bei uns haben.“ Sie deutete der Reihe nach auf die<br />
Männer, die bei ihr waren. „Das sind Bram, Spencer, Dean und Marcos.“, erklärte sie.<br />
Bram war kräftig gebaut mit dunklen, kurzen Haaren und einem fülligen Gesicht,<br />
Dean ein junger Schwarzer, der uns jetzt zunickte, Spencer war um die vierzig, hatte dunkel-<br />
blonde Haare und helle Augen und der letzte in der Gruppe, Marcos, war ein südländischer<br />
Mann mit schwarzen Haaren, sehr dunklen Augen und verschlossenem Gesichtsausdruck. Wir<br />
stellten uns nun auch kurz noch einmal vor, dann stellte Jim die Frage, die uns alle vor dem<br />
Einschlafen noch brennend interessierte.<br />
„Du sagtest, du könntest uns sagen, wann wir sind?“<br />
Er sah Ilana herausfordernd an. Diese nickte ruhig.<br />
„Wenn ich auch die Frage nur ansatzweise verstehe, aber ihr seid im Oktober 2007.“<br />
Fassungslos starrten wir Ilana an.<br />
- 401 -
wirrt.<br />
müde.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Mein Gott, wir sind im April hier aufgeschlagen.“, meinte Kate erschüttert.<br />
„Fast ein halbes Jahr. Solange ist es mir nicht vorgekommen.“, erklärte auch ich ver-<br />
„Nun, hier läuft die Zeit ein wenig anders ab als in der Restwelt.“, erläuterte Daniel<br />
„Wir alle sind erschöpft, lasst uns morgen weiter reden, okay?“, sagte Ilana ruhig und<br />
traf damit unseren Nerv.<br />
Jim stemmte sich schwerfällig auf die Füße und zog <strong>mich</strong> ebenfalls hoch.<br />
„Komm, wir suchen uns n Best Western ...“, meinte er und zog <strong>mich</strong> mit sich, ein<br />
Stück den Stand entlang.<br />
Im Dunkeln suchten wir uns einen Platz unter einer Palme, wo etwas Gras wuchs, und<br />
machten es uns dort so gemütlich es nur möglich war. Eng aneinander geschmiegt lagen wir<br />
da und waren vor Erschöpfung innerhalb weniger Minuten eingeschlafen.<br />
************<br />
Am kommenden Morgen wachte ich durch Vogelgezwitscher auf. Jim schlief noch tief<br />
und fest und ich betrachtete ihn eine Weile. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde gezögert<br />
haben, zu ihm zurück zu kehren? Grandpa ... Ich konnte noch nicht fassen, was da geschehen<br />
war. Ähnliche Erzählungen kannte ich von Patienten, die kurze Zeit klinisch tot gewesen<br />
waren. Sie berichteten auch von Begegnungen mit verstorbenen Verwandten oder Freunden.<br />
Scheinbar waren das keine Hirngespinste, verursacht durch die Ausschüttung irgendwelcher<br />
Stresshormone, wie ich bisher eigentlich angenommen hatte. Mir lief ein Schauer über den<br />
Rücken. Ich war tatsächlich tot gewesen, ertrunken. Wäre Jack nicht bei uns gewesen, wäre<br />
ich auch tot geblieben. Ertrunken! Wie, um alles in der Welt, waren wir ins Wasser geraten?<br />
Ich war jetzt hellwach und zermarterte mir den Kopf, was zuletzt geschehen war. <strong>Der</strong> Kampf,<br />
die ungeheure Magnetkraft, die die halbe Baustelle in das Bohrloch gesaugt hatte, der Tod<br />
Radzinskys und Phils, mein Schuss auf Sayid, um zu verhindern, dass er den Zünder warf.<br />
Dann das heftige Vibrieren des Bodens, das schmerzhafte Pfeifen, das ebenso schmerzhafte<br />
Licht ... Was danach geschehen war, wusste ich nicht mehr. So sehr ich auch nachdachte, an<br />
mehr konnte ich <strong>mich</strong> nicht erinnern. Meine Erinnerungen setzten erst wieder ein, als mein<br />
Großvater plötzlich auf <strong>mich</strong> zukam. Was, um alles in der Welt, war geschehen? Ich kam<br />
nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn urplötzlich wurde Jim unruhig und noch bevor<br />
ich reagieren konnte, fuhr er mit einem entsetzten Schrei in die Höhe!<br />
„Kelly!“<br />
Ich hielt ihn schon in den Armen, bevor er richtig aufrecht saß.<br />
- 402 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Hey, alles in Ordnung, Baby, du hast geträumt. Es geht mir gut, ich bin ja bei dir.“,<br />
erklärte ich sanft und eindringlich.<br />
tot bist!“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> aus vor Grauen dunklen Augen verwirrt an und fluchte verzweifelt:<br />
„Man, als ob ich nicht schon genug Gründe für Albträume hatte, auch ohne dass du<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und wir hielten uns minutenlang eng umschlungen. Schließlich<br />
merkte ich, dass sein rasender Herzschlag sich beruhigte und die Spannung aus seinem<br />
Körper wich.<br />
„Geht es wieder?“, fragte ich liebevoll und Jim nickte.<br />
„Ja. Ich dachte, ich hätte dich verloren ...“<br />
Er fuhr sich mit der Rechten durch die verdreckten Haare. Langsam ließ er sich wieder<br />
in die Waagerechte sinken, <strong>mich</strong> mit sich ziehend. Unsere Umgebung ausblendend widmeten<br />
wir uns eine Weile ausgiebig der Morgenkuschelei, die wir in all den Monaten so selten<br />
hatten genießen können. Eigentlich war auch jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, aber das war<br />
uns vollkommen egal. Wir hatten uns nach all dem Horror der vergangenen Wochen ein zärt-<br />
liches Beisammensein mehr als verdient. Und dass sollte uns keiner nehmen. Ohne viel zu<br />
Sprechen lagen wir, uns küssend und liebkosend, wohl fast eine Stunde in der warmen Sonne,<br />
die auf den Strand nieder brannte. Dann sagte ich:<br />
„Wir sollten mal nachsehen, wie es den Anderen geht. Und ich möchte mehr über<br />
diese Ilana und ihre Begleiter erfahren.“<br />
Jim zog <strong>mich</strong> noch zu einem letzten Kuss an sich und erhob sich etwas steif.<br />
„Ob wir wohl mal ne längere Zeit in gemütlichen Betten verbringen werden?“, fragte<br />
er sarkastisch und half mir auf die Füße.<br />
kann.“<br />
Ich zuckte resigniert die Schultern.<br />
„Da habe ich so meine Zweifel. Ist mir auch egal, solange ich nur neben dir schlafen<br />
Befreit lachten wir auf und machten uns Arm in Arm auf den Weg zu den Anderen<br />
zurück. Hier waren alle schon auf den Beinen und sahen uns entgegen.<br />
„Morgen.“, begrüßte Daniel uns und wir erwiderten den Gruß.<br />
Erst einmal kümmerte ich <strong>mich</strong> um die Schusswunden Jacks und Sayids. Beide sahen<br />
gut aus und so konnten wir uns nun dem nahe liegenden widmen.<br />
„Wer seid ihr, wo kommt ihr her und was habt ihr bei euch?“, fragte Jim die fünf Neu-<br />
ankömmlinge gerade heraus.<br />
Ilana schien die Wortführerin zu sein, denn sie war es, die Jim antwortete.<br />
„Wenn es dir nichts ausmacht, würden wir eigentlich erst einmal ganz gerne erfahren,<br />
wer ihr seid und, was noch viel interessanter ist, warum ihr nicht wusstet, in welchem Jahr ihr<br />
seid.“<br />
- 403 -
By<br />
Frauke Feind<br />
Ilana sah uns interessiert der Reihe nach an. Daniel warf Jim einen fragenden Blick zu<br />
und dieser nickte.<br />
grinste Jim.<br />
„Na los, Einstein, du brennst doch schon darauf, mit deinem Wissen zu Glänzen.“,<br />
Und Daniel legte los. Ich behielt während seiner Erklärungen Ilana genau im Auge<br />
und bemerkte, dass sie keineswegs erstaunt wirkte, als sie von den Zeitsprüngen erfuhr. Kurz<br />
schilderte nun auch Jim, was wir erlebt hatten und ich schloss unsere Geschichte mit dem<br />
Verweis auf die Bemerkung meines Großvaters, John an seinem Plan zu hindern. Ilana und<br />
ihre Begleiter hatten gespannt, aber keineswegs sonderlich überrascht, zugehört. Als wir mit<br />
unseren Berichten fertig waren meinte Ilana ruhig:<br />
„Nun, John Locke, denn natürlich ist er gemeint, daran zu hindern, seinen Plan, wie<br />
immer dieser aussehen mag, auszuführen, dürfte nicht allzu schwer sein.“<br />
Sie warf Bram und Spencer einen Blick zu und diese erhoben sich. Sie machten sich<br />
an den Verschlüssen der Kiste zu schaffen und hoben langsam den Deckel ab.<br />
„Seht selber.“, sagte Ilana ruhig.<br />
Wir erhoben uns, auch Jack, und traten gemeinsam an die geheimnisvolle Kiste heran.<br />
Abgesehen von mir selbst zuckten alle anderen heftig zusammen und Kate keuchte:<br />
„Oh, mein Gott.“<br />
In der Kiste lag ein Mann, dem Aussehen nach in den Fünfzigern, sonnengebräunte<br />
Haut, die jetzt fahl wirkte, kahlköpfig, in einem teuren Anzug, die Augen geschlossen, die<br />
Hände auf der Brust, mehr als offensichtlich tot. Ich sah Jim fragend an und dieser keuchte:<br />
„Das ist Locke!“<br />
36) Jacob und Samuel<br />
Minutenlang herrschte erschrockenes Schweigen in der Runde. Abgesehen von Miles<br />
und Daniel, die Locke nur flüchtig kannten, und mir, die ich ihn überhaupt nicht gekannte<br />
hatte, waren alle anderen schockiert. Jim flüsterte:<br />
„<strong>Der</strong> große, weiße Jäger ...“, und starrte auf den toten Mann herunter.<br />
„Wie ...?“, stieß Kate geschockt hervor.<br />
„Alter, was ist bloß los? Warum ist John ... tot?“, keuchte Hurley fassungslos.<br />
Bram und Spencer legten den Deckel wieder über die Kiste und sahen uns der Reihe<br />
nach ernst an. Aber sie warteten, dass erneut Ilana das Wort ergriff. Ilana ließ sich langsam<br />
zurück in den warmen Sand sinken und auch wir setzten uns wieder.<br />
„Ihr möchtet nun gerne erfahren, wie euer Freund ums Leben gekommen ist, das kann<br />
ich verstehen.“ Sie fixierte Sayid mit den Augen. „Wenn dein Plan geklappt hätte, wäre Johns<br />
Tod verhindert worden. Möglicherweise.“<br />
- 404 -
staunt an.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Sayid sah die junge Frau mit den langen, dunklen Locken und den dunklen Augen er-<br />
„Welcher Plan? Wovon sprichst du?“<br />
Ilana lächelte.<br />
„Von deinem Plan, Benjamin Linus zu erschießen. Er war es, der John Locke tötete.“<br />
Neben Daniel war ich die Einzige, die Benjamin nur als Kind kennen gelernt hatte,<br />
nicht als den skrupellosen, manipulativen Psychopathen, der er als Erwachsener gewesen war<br />
und sicher immer noch war.<br />
„Ben hat John umgebracht?“, fragte Jack konsterniert.<br />
Ilana nickte. „Das hat er. Welchen Plan er damit verfolgte, ist uns nicht bekannt.<br />
Sicher ist nur, Ben saß in eurem Flugzeug, als ... nun, als ihr wieder hier ankamt. Und auch<br />
Locke, in seinem Sarg liegend, war in der Maschine. Linus hatte dafür gesorgt. Und auch wir<br />
saßen in der Ajira Maschine.“<br />
Verwirrt sahen wir alle Ilana an.<br />
„Ajira?“, fragte Jim verdutzt.<br />
„Wir sind mit ner Aluana Airways Maschine geflogen, Flug 2712 von Los Angeles<br />
nach Kiribati, als wir ...“<br />
Ilana schüttelte den Kopf, selbst deutlich verwirrt.<br />
„Nein, wir saßen in Flug 316 der Ajira Airways. Von LA nach Guam. Ich hatte dich<br />
...“, sie sah Sayid scharf an: „... bei mir, als meinen Gefangenen und ...“<br />
Heftig unterbrach Sayid die junge Frau.<br />
„Jetzt erkenne ich dich wieder! Aber, nein, das war beim ersten Mal, als wir von<br />
Locke aufgefordert worden waren, hierher zurück zu kehren.“<br />
Ilana überlegte. Dann sagte sie langsam:<br />
„Ich will nicht behaupten, dass ich durch all das durchblicke. Mir sind auch nur<br />
wenige Seiten in dem dicken Buch Insel bekannt. Sicher ist, dass wir alle gemeinsam mit der<br />
Ajira hier abgestürzt sind. Wie es angehen kann, dass ihr euch an einen anderen Flug erinnert,<br />
ist mir selbst ein Rätsel. Die Maschine liegt drüben auf Hydra Island, wir sind mit einem Boot<br />
hier auf die Hauptinsel gekommen.“ Sie warf Jin einen langen Blick zu. „Eine junge Frau,<br />
eine Asiatin, war an Bord, sie sucht dich.“<br />
Jin schüttelte fassungslos den Kopf.<br />
„Nein, ich war doch mit ... Nein, war ich nicht, ich war mit an Bord der Aluana ... Ich<br />
verstehe das alles nicht mehr. Sun ist hier? Geht es ihr gut?“<br />
Kate nervös.<br />
Ilana nickte.<br />
„Ja, sie ist unverletzt. Sie blieb bei Frank Lapidus, dem ...“<br />
„Bei wem? Frank Lapidus? Er war damals mit unter den Leuten der Kahana.“<br />
„Stimmt, er war der Hubschrauberpilot, der uns hier weg geschafft hat.“, stotterte<br />
- 405 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Er war es, der die Ajira geflogen hat.“, nickte Ilana. Sie fixierte <strong>mich</strong> und Jim. „Ihr<br />
beide wart nicht an Bord, da bin ich sicher.“<br />
Jim nickte.<br />
„Nein, ich war ja auf der Insel ... Aber wir waren in der Aluana mit dabei ... Man, leck<br />
<strong>mich</strong> am Arsch, das versteht kein Schwein. Vergessen wir das Mal für nen Moment. Lasst uns<br />
mal darüber reden, dass wir Johns Plan verhindern sollen. Ich mein, hat sich das nicht damit<br />
erledigt, dass er hier bei uns ist, mausetot?“<br />
Ilana zuckte die Schultern.<br />
„Wohl eher nicht.“, erklärte sie ruhig.<br />
„So? Und warum nicht? Er war zwar ne Nervensäge, aber irgendwie denk ich, als<br />
Toter kann er nicht mehr rum nerven.“, meine Jim ironisch.<br />
drang!“<br />
Und jetzt, erstmals, machte Bram den Mund auf.<br />
„Als Toter nicht, aber er ist bei der anderen Gruppe, sehr lebendig und voller Taten-<br />
Einen Moment lang waren wir sprachlos. Wir starrten Bram an, als hätte er soeben be-<br />
hauptet, Elvis Presley im Dschungel getroffen zu haben. Grinsend brachte Jim in einem Ton-<br />
fall, der keine Zweifel offen ließ, auf den Punkt, was wir alle dachten.<br />
„Ihr habt sie ja nicht mehr alle!“<br />
Ilana lächelte sanft.<br />
„Ich kann verstehen, dass ihr das nicht glauben könnt, aber wenn ihr euch uns an-<br />
schließt werden wir es euch beweisen können. Ich weiß nicht, was ihr über die Insel wisst.“<br />
Keiner von uns konnte ein ironisches Auflachen unterdrücken.<br />
„Mehr, als wir jemals wissen wollten.“, meinte Kate überzeugt.<br />
Ilana sah sie an.<br />
„Ich denke, du sprichst auf die offensichtlichen Dinge an. Heilungskräfte, Zeitsprünge,<br />
Menschen, die tot sind und doch wieder auftauchen ...“<br />
Jim und ich sahen uns an und stießen fast parallel:<br />
„Juliet!“, hervor.<br />
„Das Monster, Eisbären.“, ergänzte Hurley unsicher.<br />
„Ja, all das sind augenfällige Dinge. Es gibt hier aber etwas, das weder zu sehen noch<br />
zu hören ist. Seit Urzeiten beherbergt die Insel zwei vollkommen gegensätzliche ... nennen<br />
wir es einfach einmal Kräfte. Eine dieser Kräfte ist Jacob, euch allen inzwischen wenigstens<br />
vom Hörensagen her bekannt. Jacob ist ... das Gute. Obwohl es aus eurer Sicht sicherlich<br />
nicht immer so aussah. Jacob hat einen Gegenspieler, der sozusagen das Böse repräsentiert.<br />
Obwohl auch das eine zu einfache, simple Erklärung ist. Diese beiden Männer, Jacob und<br />
Samuel, vertreten vehement ihre Standpunkte. Ricardus, ihr kennt ihn als Richard, ist, solange<br />
Jacob und Samuel schon hier auf die Insel verbannt sind, der Mittler, er sorgt dafür, dass sich<br />
das Gleichgewicht nicht zu sehr auf die eine oder andere Seite verlagert.“<br />
- 406 -
sam:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Jim hatte, wie wir anderen, gespannt und aufmerksam zugehört. Jetzt fragte er lang-<br />
„Sag mal, Ponce de Leon, von welchem Zeitraum sprichst du?“<br />
Ilana sah Jim an und seufzte. „Nun, über einen Zeitraum, der eure Vorstellungskräfte<br />
übersteigt. Samuel und Jacob wurde hier auf die Insel verbannt ... 2300 vor Christi Geburt.“<br />
Nicht nur mir entwich ein hysterisches Kichern. Fassungslos starrten wir erneut Ilana<br />
und ihre Begleiter an.<br />
„Ja, klar. Demnach ist der gute Ricky 4300 Jahre alt?“<br />
Jim konnte den Sarkasmus in seiner Stimme nicht unterdrücken. Ilana nickte ernst.<br />
„Das ist er, ja. Er hat sich freiwillig zu dieser Aufgabe gemeldet. Unzählige Jahre<br />
konnte er verhindern, dass der Eine oder Andere die Oberhand gewann. Jacob lenkte die Ge-<br />
schicke der Menschen, die ihr immer ‟die Anderen‟ nennt, von den Leuten der DHARMA<br />
Initiative ‟Hostiles‟ genannt. Solange sie hier alleine auf der Insel waren, gab es nie<br />
Schwierigkeiten. Dann jedoch, im Jahre 1845, am 22.ten März, brach von Portsmouth,<br />
England, ein Dreimastschoner zu einer Handelsreise nach Siam, dem heutigen Thailand, auf.<br />
Irgendwie gelang es Jacob, den Schutzschild, der die Insel normalerweise vollständig ver-<br />
birgt, zu durchbrechen und die Fregatte hierher zu locken. Damit kamen erstmals unerlaubt<br />
Fremde hier an. Jacob und Samuel begannen, die <strong>Über</strong>lebenden in ihrem Sinne zu<br />
manipulieren. Jacob wollte beweisen, dass Menschen gut sein können, Samuel wollte das<br />
Gegenteil beweisen. Jeder von ihnen machte sich die <strong>Über</strong>lebenden auf seine Weise nutzbar.<br />
Samuel konnte mit lebenden Menschen nichts anfangen, aber er lernte es, sich ihrer toten<br />
Körper zu bedienen. Jacob lernte im Gegenzug, für kurze Zeit von der Insel zu verschwinden,<br />
aber er konnte sich immer nur wenige Minuten in der realen Welt aufhalten. Dummerweise<br />
behielt Samuel Recht mit seiner Vermutung, dass Menschen immer kämpfen, zerstören und<br />
vernichten. Doch Jacob gab nicht auf. Er ...“ Sie sah uns an und biss sich auf die Lippe. „Er<br />
sorgte dafür, dass euer Flugzeug auf die Insel stürzte und eine auserwählte Gruppe von<br />
Passagieren überlebte. Dann ...“ Wieder stockte sie, als fiele ihr schwer, auszusprechen, was<br />
wir längst wussten.<br />
„Dann steckte der Dreckskerl uns in eine Zeitschleife, richtig? Er benutzte uns wie<br />
Versuchskaninchen, in der Hoffnung, beweisen zu können, dass wir Menschen auch ohne<br />
Kämpfe auskommen würden.“<br />
erfüllt.<br />
Bedrückt nickte Ilana.<br />
„Ja, Jim, das tat er. Samuel sucht seit unzähligen Jahren einen Weg, Jacob zu töten.“<br />
„Warum hat er das gute Werk nicht selbst in die Hand genommen?“, fragte Jim hass-<br />
Bram war es, der an Ilanas Stelle antwortete.<br />
- 407 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Weil das nicht möglich ist. Die Beiden können sich nicht gegenseitig töten. Nun sieht<br />
es aber so aus, als hätte Samuel einen Weg gefunden, wie er diese Schranke umgehen kann.<br />
Wir befürchten, er hat einen Weg gefunden, Jacob umzubringen.“<br />
„Gut. Sehr gut. Meinen Segen hat er!“, stieß Kate verzweifelt hervor.<br />
„Ist er sich auch nur ansatzweise darüber im Klaren, was er uns allen angetan hat?“<br />
<strong>Der</strong> Dunkelhaarigen liefen Tränen über die Wangen. Sayid schüttelte fassungslos den<br />
Kopf, Hurley murmelte irgendetwas vor sich hin und Jim stieß erschüttert hervor:<br />
„Er hat uns benutzt, wir waren Marionetten, Schachfiguren in seinem perfiden Spiel.<br />
Zum Teufel, ich schwör, wenn Samuel jemanden braucht, der dem Dreckskerl das Licht aus-<br />
pustet, werd ich <strong>mich</strong> selbst zur Verfügung stellen!“<br />
Ilana und ihre Begleiter blieben bei Jims leidenschaftlichem Ausbruch ruhig.<br />
„Ich kann euren Hass und eure Verbitterung mehr als gut verstehen. Aber es ist so,<br />
dass weder Jacob noch Samuel so etwas wie Mitleid empfinden können. Sie sind beide nicht<br />
gut und nicht böse. Menschliche Belange, Leid, Schmerz, all das kennen sie nicht, da sie dem<br />
am Nächsten kommen, was wir Gottheiten nennen würden. Ihnen fehlt die Möglichkeit,<br />
menschliche Empfindungen und Emotionen einordnen zu können.“<br />
„Das gibt ihnen noch lange nicht das Recht, mit uns zu spielen.“, stieß Jack mühsam<br />
beherrscht hervor.<br />
„Du hast absolut Recht, Jack. Darum sind wir hier. Wir müssen versuchen, dahinter zu<br />
kommen, was der Doppelgänger eures Freundes hier ...“ Sie deutete auf die Kiste. „... vorhat.<br />
Wenn wir mit unseren Vermutungen richtig liegen, setzt Samuel Locke als Waffe gegen<br />
Jacob ein.“<br />
„Und warum sollten wir ausgerechnet das verhindern nach allem, was wir wegen<br />
dieses neckischen Spielchens erleiden mussten?“, fragte Miles sarkastisch. „Lass <strong>mich</strong> raten:<br />
Die Welt geht unter, wenn Jacob gekillt wird?“<br />
einander.“<br />
Ilana warf Miles einen durchdringenden Blick zu.<br />
„So was in der Art, ja. Wenn das Gleichgewicht gestört wird, gerät einiges durch-<br />
Ich war von dem Gehörten genauso betroffen wie die <strong>Über</strong>lebenden von Flug 815.<br />
Wenn ich auch erst seit Kurzem eine Rolle in diesem Spiel übernommen hatte, konnte ich<br />
doch nur zu gut nachempfinden, was Jim und die Anderen hier schon durchgemacht hatten.<br />
Es fiel mir sehr schwer, mir vorzustellen, dass wir verhindern sollten, was jeder von uns selbst<br />
nur zu gerne getan hatte: Diesen Jacob umzubringen.<br />
„Wenn wir euch helfen, was geschieht dann mit uns?“, fragte ich die Frau.<br />
„Ich nehme an, damit seid ihr aus dem Spiel raus.“, meinte diese.<br />
„Du nimmst es an. Genauso gut kann es sein, dass Jacob beschließt, wir könnten noch<br />
weiter an seinen Fäden zappeln. Und wenn wir raus sind, wer sagt uns, dass er sich nicht die<br />
nächsten armen Schweine greift und mit ihnen das gleiche, morbide Spiel spielt wie mit uns?“<br />
- 408 -
By<br />
Frauke Feind<br />
„Am besten ist es, wir schicken beide in die Hölle!“, schnaufte Jim wütend.<br />
„Wir werden mit Richards Hilfe dafür sorgen, dass diese Insel wirklich nur noch von<br />
den Leuten gefunden werden kann, die hierher gehören.“, erklärte Ilana. „Dann kann etwas<br />
wie das, was euch widerfahren ist, nicht mehr passieren.“<br />
die Hose.“<br />
„Sagst du, Magellana. Aber wie ich das seh, wurde das schon mal versucht und ging in<br />
Jim hatte Recht. Es war offensichtlich schon einmal danebengegangen, Menschen von<br />
der Insel fern zu halten. Ich sah Ilana an und fragte:<br />
„Was hat es mit der Magnetenergie und den Zeitsprüngen auf sich?“<br />
Die junge Frau sah <strong>mich</strong> an und schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf.<br />
„Jedenfalls hat das nichts mit Jacob und Samuel zu tun. Das sind Dinge, die un-<br />
abhängig von den Beiden hier aufeinander treffen. Allerdings haben beide sich diese Dinge zu<br />
Nutze gemacht.“ Sie stand abrupt auf. „Wir müssen los. Werdet ihr uns begleiten?“<br />
Jim und ich sahen uns an. Wir nickten übereinstimmend.<br />
„Ja, wir kommen mit euch. Was wir letztlich tun werden, muss man abwarten. Wie<br />
sieht es mit euch aus?“<br />
Wir sahen Jack und die Anderen an. Miles und Jin nickten. Jin meinte:<br />
„Selbstverständlich. Sun ist bei den Anderen.“<br />
Hurley und Daniel erhoben sich ebenfalls.<br />
„Wie auch immer, Leute, ich will endlich weg hier, egal, was ich dafür machen<br />
muss.“, erklärte Hurley.<br />
Sayid, Kate und Jack zögerten kurz, dann nickten sie ebenfalls ergeben.<br />
„Zum Teufel, was soll„s, eine Wahl haben wir ohnehin nicht, wie es scheint. Ich weiß<br />
nicht, ob mein Bein <strong>mich</strong> soweit trägt. Wo müssen wir denn überhaupt hin?“<br />
Jim hatte sich am Strand umgesehen und meinte:<br />
„Wir sind, wenn <strong>mich</strong> nicht alles täuscht, am nördlichen Strand, was meint ihr?“<br />
Er sah Miles und Jin an und diese nickten.<br />
„Denke ich auch. Dann können wir quer durch den Dschungel die Inselspitze mit der<br />
Sturm-Station abkürzen.“<br />
Kate warf ein:<br />
„Das schafft Jack nie mit seinem verletzten Bein.“<br />
Sie warf mir bei diesen Worten einen wütenden Blick zu. Ich sah sie kalt an.<br />
„Er kann sich freuen, dass ich ihm nur ins Bein geschossen habe!“<br />
Bevor die Situation eskalieren konnte erklärte Bram:<br />
„Das ist kein Problem. Jack kann sich auf die Kiste setzen. Dass schaffen wir, die<br />
Tragestangen sind lang genug, da könnt ihr noch mit anfassen und helfen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Jack verzog das Gesicht, doch als er mit Hurleys und Kates Hilfe auf die Füße ge-<br />
kommen war musste er wohl oder übel zugeben, dass er keine Chance hatte, weit zu laufen.<br />
So setzte er sich möglichst bequem auf die große Alukiste und neben Bram, Dean, Spencer<br />
und Markos griffen auch Jin, Miles, Hurley und Daniel zu. Gemeinsam schafften sie es<br />
spielend, die Kiste anzuheben. Jim und ich gesellten uns zu Ilana, die sich gerne Jims Führung<br />
unterwarf. Jim suchte den einfachsten Weg, doch trotzdem wurde es ein sehr anstrengender<br />
Marsch und wir redeten kaum, während wir uns vorwärts kämpften. Gegen Abend hatten wir<br />
die Berge und den Wald hinter uns gelassen und erreichten wieder den Strand. Unendlich er-<br />
leichtert sahen wir uns um.<br />
„Wir sind etwas südlich des Docks.“, stellte Jim fest. „Wo genau müssen wir hin?“<br />
Er sah Ilana an.<br />
„Heute Abend nirgendwo mehr. Wir sind alle erschöpft und sollten uns ausruhen, be-<br />
vor wir morgen auf die andere Gruppe stoßen.“<br />
Keiner hatte Einwände. Da wir alle mehr oder weniger verletzt waren, kam uns eine<br />
ruhige Nacht sehr zu Gute. Ich kontrollierte die Wunden, aber alle verheilten gut. Kate ver-<br />
schwand zusammen mit Miles kurz im Wald und kam bald darauf mit einigen Früchten<br />
zurück, die sie an uns alle verteilte.<br />
„Verflucht, ich würd sonst was dafür geben, mal wieder n anständiges Steak auf dem<br />
Teller zu haben.“, seufzte Jim wehmütig, während er einer Mango aus der Schale half.<br />
„Nicht nur du, Alter.“, schnaufte Hurley.<br />
„Klar, Moppelchen, du schiebst Kohldampf.“, grinste Jim und bekam dafür von<br />
Hurley eine Mango an den Kopf geworfen.<br />
Lachend ging er in Deckung.<br />
„Hey, Jabba, bleib friedlich.“<br />
Hurley grinste.<br />
„Dann halt gefälligst dein Schandmaul, Alter.“<br />
Wir aßen uns so gut es möglich war satt. Anschließend hockten wir zusammen in der<br />
Dunkelheit. Ein Lagerfeuer wollten wir nicht machen, dass konnte zu weit gesehen werden.<br />
„Wie passt ihr eigentlich in die ganze Geschichte?“, wollte Sayid wissen, als wir es<br />
uns nach dem voluminösen Mahl versuchten, bequem zu machen.<br />
Ilana seufzte leise.<br />
„Ich hatte einen schweren Unfall, vor ein paar Jahren, in Russland. Dabei erlitt ich<br />
schwerste Gesichtsverletzungen. Ich lag in einer Klinik und hatte keine Hoffnung mehr,<br />
gesund zu werden. Ich wollte sterben, mein Gesicht war vollkommen zerstört. Dann eines<br />
Tages kam eine Krankenschwester zu mir. Sie erzählte mir, dass ich Besuch hätte und plötz-<br />
lich stand Jacob an meinem Bett. Er sprach mit mir und bat <strong>mich</strong> um Hilfe. Er fragte, ob ich<br />
bereit wäre, ihm zu helfen, wenn er <strong>mich</strong> rufen würde. Um ihn loszuwerden stimmte ich zu.<br />
Ich war überzeugt, nie wieder irgendjemandem helfen zu können. Er ging, zufrieden, meine<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Zusicherung zu haben. Am kommenden Morgen war Visite und Verbandswechsel. Und als<br />
meine Verbände abgenommen waren, brach das totale Chaos aus. Mein Gesicht wies nicht<br />
mehr den kleinsten Kratzer auf. Das Krankenhauspersonal stritt sich darüber, ob ich als Hexe<br />
verbrannt oder als Heilige verehrt werden sollte. Ich nahm ihnen die Entscheidung ab und<br />
verzog <strong>mich</strong>, so schnell es mir möglich war. Dann vor einiger Zeit hörte ich tatsächlich<br />
wieder von Jacob. Er schickte mir eine Nachricht, dass es nun an der Zeit wäre, mein Ver-<br />
sprechen einzulösen.“<br />
Wir hatten interessiert zugehört und mussten nun ein weiteres unerklärliches<br />
Phänomen schlucken. Hurley sah Ilana in der Dunkelheit an und fragte:<br />
„Sag mal, weißt du auch was über ... über das ... das Monster?“<br />
Wir waren alle mehr als gespannt auf die Antwort, wurden jedoch enttäuscht. Die<br />
junge Frau schüttelte den Kopf.<br />
hört.“<br />
„Nein, ich weiß nicht, was es ist. Ich selbst habe es noch nicht gesehen, nur davon ge-<br />
„Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn mal jemand mit ner Erklärung rüber ge-<br />
kommen wäre.“, meinte Jim lakonisch.<br />
Kate wissen.<br />
„Warum können Jacob und Samuel sich nicht einfach gegenseitig umbringen?“, wollte<br />
„Das wurde von den Mächten, die die Beiden auf diese Insel verbannten, beschlossen.<br />
Wer diese Mächte sind, kann ich euch auch nicht sagen. Möglicherweise weiß Richard mehr<br />
darüber.“ erwiderte die Frau.<br />
„Er ist echt schon so alt?“<br />
Hurley konnte es offensichtlich nicht fassen.<br />
„Ja, das ist er.“<br />
Ilana nickte.<br />
„Ist er überhaupt ein Mensch?“, fragte Kate nervös.<br />
Sie hatte vor dem unheimlichen Mann schon immer eine ziemliche Angst gehabt.<br />
Ilana musste über diese Frage einige Augenblicke nachdenken.<br />
„Ja, ich denke, dass ist er schon. Im Grunde ist er auch nicht unsterblich. Er kann im<br />
Kampf durchaus getötet werden. Was er nicht kann ist krank werden, alt, solange er seine<br />
Aufgabe zu erfüllen hat. Und er kann sich nicht selbst töten.“<br />
„Was würde passieren, wenn er sterben würde?“, fragte Miles interessiert.<br />
Ilana zuckte die Schultern.<br />
„Das möchte ich lieber nicht herausfinden.“ Scheinbar hatte sie es satt, Fragen be-<br />
antworten zu müssen, denn sie meinte gähnend: „Wir sollten schlafen, wer weiß, was der Tag<br />
morgen bringen wird.“<br />
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Frauke Feind<br />
Keiner von uns hatte Einwände, wir waren alle müde und erschöpft. Jim erhob sich<br />
und zog <strong>mich</strong> abermals mit sich, ein Stück weg vom Lager. Wir wollten die wenigen<br />
Möglichkeiten, alleine zu sein, nutzen.<br />
Als wir einen Platz weit genug entfernt von den Anderen gefunden hatten, zog Jim<br />
<strong>mich</strong> an sich und sagte leise und sanft:<br />
lasse?“<br />
„Was hältst du davon, wenn ich uns die ganze Scheiße hier mal für ne Weile vergessen<br />
Seine Hände waren bei diesen Worten sanft streichelnd unter mein T-Shirt gerutscht<br />
und strichen liebkosend über meinen Rücken. Ich spürte eine angenehme Wärme von ihnen<br />
ausgehen, die meinen ganzen Körper erfasste. Beschämt fragte ich:<br />
„Sind wir denn weit genug weg ...?“<br />
Er lachte leise.<br />
„Wenn du nicht zu laut wirst ...“<br />
Dass seine Linke in den Bund meiner Jeans rutschte und meinen Po umschloss half<br />
mir bei meiner Entscheidung sehr. Ich ließ <strong>mich</strong> langsam in die Knie sinken und zog Jim mit<br />
mir. Unter uns war kein Sand, sondern weiches Gras. Langsam streifte Jim mir mein T-Shirt<br />
über den Kopf und legte es achtlos neben uns. Sein eigenes folgte Sekunden später.<br />
Gegenseitig fummelten wir die Verschlüsse unserer Jeans auf und befreiten uns von den<br />
störenden Kleidungsstücken. Nackt sanken wir uns in die Arme. Wir blendeten einmal mehr<br />
aus, wo wir waren und streichelten einander, erst sanft und zurückhaltend, schnell aber<br />
leidenschaftlicher. Wir hatten so sehr das Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Zärtlichkeit<br />
nach all dem Horror, dass wir uns rasch nicht mehr beherrschen konnten. Jim rollte sich vor-<br />
sichtig auf <strong>mich</strong> und ich öffnete ihm nur zu gerne die Beine. Ich spürte ihn in <strong>mich</strong> gleiten<br />
und war einfach nur glücklich. Wie immer, wenn ich mit Jim alleine sein konnte. Und diese<br />
Gelegenheiten boten sich uns viel zu selten. Aber für diesen Moment, für diese kurze Zeit, die<br />
wir uns hier stahlen, waren wir alleine auf der Welt und nichts und niemand konnte uns be-<br />
helligen. Niemand bedrohte uns, für ein paar wenige Minuten war die Insel nicht die Hölle,<br />
sondern unser Paradies!<br />
************<br />
<strong>Der</strong> Morgen kam viel zu schnell. Wir hatten uns nicht die Mühe gemacht, uns wieder<br />
anzukleiden und so wachten wir, von der Sonne geweckt, nackt und eng umschlungen auf.<br />
Etwas verlegen sah ich <strong>mich</strong> um, doch niemand war zu sehen. Jim lachte leise.<br />
„Mach dir keinen Kopf darüber, dass uns einer unserer lieben Freunde überraschen<br />
könnte, Honey. Und wenn, wäre es auch scheißegal. Hier haben andere viel mehr zu ver-<br />
bergen als wir.“<br />
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Frauke Feind<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und küsste <strong>mich</strong>, lange und leidenschaftlich.<br />
„Das war wunderschön gestern Nacht.“, flüsterte ich verliebt und ließ meine Hand<br />
über Jims warmen Körper gleiten.<br />
Dabei stieß ich auf Dreck, Schrammen, verkrustetes Blut und Grashalme, die uns<br />
beiden am Körper klebten. Auf Jims rechter Wange prangte ein Schmierfleck und ich lächelte.<br />
„Was hältst du davon, wenn wir noch ein paar Minuten länger so tun, als wären wir<br />
alleine auf der Welt, und versuchen, uns mal ein wenig zu reinigen?“<br />
Ich strich zärtlich mit meinem Finger über die vielen Schrammen und Dreckflecke, die<br />
auch Jims Brust zierten.<br />
„Und wenn wir dabei auseinander fallen?“, fragte er ernsthaft. „Hab mal gelesen, dass<br />
Dreck zusammen hält.“<br />
Ich kicherte.<br />
„Na, wenn du beim Baden in mehrere Teile zerfällst habe ich mehr von dir.“<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und schüttelte empört den Kopf.<br />
„Hey! Ich bin nur am Stück ein ganzer Mann.“<br />
Er stemmte sich auf die Füße und zog <strong>mich</strong> ebenfalls hoch. Wir pfiffen noch einmal<br />
darauf, eventuell gesehen werden zu können und liefen Hand in Hand ins Wasser. Es war<br />
warm und wir genossen das Bad in vollen Zügen. Gegenseitig rubbelten wir uns vorsichtig,<br />
um einander nicht weh zu tun, den Schmutz und Krusten vom Blut von der Haut. Auch aus<br />
den Haaren spülten wir den Dreck soweit es möglich war heraus. Endlich hatten wir das Ge-<br />
fühl, wenigstens wieder halbwegs zivilisiert auszusehen und schwammen ans Ufer. Wir<br />
stellten uns ein paar Minuten in die Sonne und zogen uns nun schweren Herzens die<br />
schmutzigen, zerrissenen Kleidungsstücke wieder an.<br />
„Du ahnst ja nicht, was ich für frische Kleidung alles tun würde ...“, seufzte ich und<br />
sah wehmütig an mir herunter.<br />
Jim folgte meinem Blick und meinte unglücklich:<br />
„Du solltest irgendwo in nem Krankenhaus am OP Tisch stehen und jemandem das<br />
Leben retten und nicht hier auf der Insel immer wieder um dein Leben kämpfen müssen.“<br />
Ich zog ihn an <strong>mich</strong> und erklärte fest:<br />
„Ich bin genau da, wo ich sein sollte und, noch viel wichtiger, sein will: An deiner<br />
Seite. Und wenn du demnächst beschließt, in die Hölle hinunter zu steigen, um Luzifer einen<br />
Besuch abzustatten und dort ein wenig aufzuräumen, werde ich wieder an deiner Seite sein.“<br />
Jims faszinierenden Augen sahen auf <strong>mich</strong> herab. In ihnen spiegelte sich Fassungs-<br />
losigkeit, Unglauben, Sorge, aber auch unglaubliches Glück.<br />
egal, wo.“<br />
„Ich liebe dich.“, sagte er schlicht und ich nickte.<br />
„Ich weiß. Ich liebe dich auch. Und darum wird mein Platz immer an deiner Seite sein,<br />
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Frauke Feind<br />
Vorerst war dieses Wo dort, wo die Anderen auf uns warteten. Ilana sah uns entgegen<br />
und erklärte ruhig:<br />
„Wir wollten euch gerade holen. Wir müssen uns auf den Weg machen, sonst wird es<br />
knapp für uns. Wenn es das nicht ohnehin schon geworden ist.“<br />
Jim zog eine Augenbraue in die Höhe und fragte:<br />
„Was liegt jetzt eigentlich genau an, Sheena?“<br />
Ilana sah ihn ein wenig irritiert an, ignorierte aber gekonnt die eigenwillige Anrede<br />
und erklärte ruhig:<br />
„Wir müssen Richard zeigen, was wir bei uns haben. Es könnte sein, dass es dann, je<br />
nachdem, was für einen Plan John verfolgt, zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung<br />
kommen wird. Ihr habt keine Waffen, das ist schlecht.“<br />
Jim lachte sarkastisch.<br />
„So, schlecht ... Ich würd mal sagen, das ist für‟n Arsch! Wenn es zu ner Schießerei<br />
kommt, sind wir wehrlos. Wir können natürlich mit Matsch werfen, aber ich vermute mal, das<br />
wird niemanden sonderlich beeindrucken.“<br />
Ilana nickte.<br />
„Da hast du allerdings Recht. Aber dagegen können wir etwas machen.“<br />
Sie gab Bram einen Wink und dieser trat an die Kiste heran. Er öffnete eine Klappe,<br />
die links außen an der Kiste angebracht war und zog nacheinander mehrere Waffen, alles 9<br />
mm SIG hervor.<br />
fragend an.<br />
„Es reicht nicht für alle, zwei von euch gehen leer aus.“, erklärte er und sah uns<br />
„Hoss und Plato, ihr werdet in einem Kampf keine große Hilfe sein, okay, ihr bleibt<br />
besser in Deckung, bis die Luft nicht mehr bleihaltig ist.“<br />
Jim sah Hurley und Daniel auffordern an und diese nickten.<br />
„Alter, nichts, was ich lieber täte.“, bestätigte Hurley und auch Daniel gab zu:<br />
„Ich ... Nun, ich bin kein Kämpfer, ich wäre vermutlich wirklich keine Hilfe.“<br />
Verlegen sah er zu Boden. Jim nickte. Er verteilte die Waffen an Jin, Miles, Kate,<br />
Jack, Sayid und <strong>mich</strong>. Eine behielt er. Bram warf uns noch je zwei Magazine zu, dann seufzte<br />
er.<br />
„Das war‟s. Mehr kann ich euch nicht anbieten.“<br />
„Hey, Scotty, das ist schon mal deutlich mehr als nichts. Damit kommen wir schon<br />
mal ne ganze Ecke weiter. Sind alles gute Schützen hier, selbst Doktor Do-Right.“<br />
Er warf Jack einen nicht übermäßig freundlichen Blick zu, den dieser nicht mitbekam,<br />
da er gerade seine Waffe prüfte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Jim und Jack ...<br />
Zwei Welten prallten aufeinander. Ich wusste aus Erzählungen inzwischen mehr als genug,<br />
um mir vorstellen zu können, wie es zwischen den Beiden vom ersten Tage an gefunkt hatte.<br />
Und ich konnte Jim so gut verstehen. Ich hatte ebenfalls seit der ersten Begegnung eine<br />
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Frauke Feind<br />
Aversion gegen Jack, die ich nicht verbergen konnte. Und ich konnte meine Hand dafür ins<br />
Feuer legen, dass ich nicht durch Jims Erzählungen voreingenommen gewesen war. Sicher<br />
hatte <strong>mich</strong> einiges von dem, was Jim mir berichtet hatte, aufgeregt, aber ich bildete mir<br />
dennoch immer ein eigenes Urteil. Und das fiel sowohl für Jack als auch für Kate verheerend<br />
aus, so war es nun einmal. Sayid war ein anderes Kaliber, er war auf seine Art erheblich ehr-<br />
licher als Jack. Ich mochte den Iraqui auch nicht übermäßig, aber wenn ich hätte wählen<br />
müssen, wen ich auf meiner Seite hätte haben wollen, ich würde immer Sayid gewählt haben.<br />
Wir alle prüften die Waffen mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es mir graute. Auch<br />
ich empfand den Umgang mit ihnen inzwischen als vollkommen normal und legitim.<br />
Nachdem wir alle unsere Waffen, bis auf Dan und Hugo, in den Hosenbund verstaut<br />
hatten, machten wir uns auf den Weg, den Strand entlang nach Süden. Wir hielten uns am<br />
Waldrand, einmal wegen der gnadenlos brennenden Sonne, zum Anderen, um nicht sofort<br />
gesehen zu werden. Jack hockte wieder genervt auf der Kiste und Jim und ich hielten uns<br />
neben Ilana.<br />
„Was könnte John Boys Plan sein, Xena, was denkst du?“<br />
Schmunzelnd fragte ich <strong>mich</strong> ein Mal mehr, ob Jim die Spitznamen je ausgehen<br />
würden. Dass sie auch immer passten, machte das Ganze perfekt. Ilana schien nicht zu<br />
wissen, wer Xena war, aber ich konnte <strong>mich</strong> vage daran erinnern, dass es sich dabei um einen<br />
Seriencharakter aus einer US Serie handelte. Wenn meine Erinnerungen <strong>mich</strong> nicht ganz<br />
trogen, war Xena eine Kriegerin gewesen. Ilana sah Jim wieder einmal leicht verdutzt an,<br />
dann aber schien sie zu beschließen, vollkommen zu ignorieren, dass dieser unmögliche<br />
Mensch scheinbar niemanden mit seinem richtigen Namen ansprach. Sie erwiderte ruhig:<br />
„Ich kann auch nur Vermutungen anstellen. Jacob hat sehr eindringlich um meine<br />
Hilfe gebeten. Er ... er meinte in seiner Nachricht, es könnte sein, dass Samuel ... wie drückte<br />
er es aus ... ein Schlupfloch gefunden haben könnte.“ Sie schüttelte den Kopf und meinte:<br />
„Ich weiß nicht wirklich, was er damit gemeint haben könnte.“<br />
Jim wirkte sehr konzentriert, als er jetzt sagte:<br />
„Wenn bei Methusalem eine Art Doppelgänger von Locke das Sagen hat, könnte es<br />
denn nicht sein, dass Samuel sich Lockes Aussehen bedient, um Jacob zu Killen?“<br />
Ilana schüttelte den Kopf.<br />
37) Die Statue<br />
„Eigentlich nicht, denn wie gesagt, sie können sich gegenseitig nicht umbringen. Auch<br />
wenn Samuel aussehen würde wie John Locke, wäre er ja immer noch Samuel. Er muss einen<br />
anderen Plan verfolgen.“<br />
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Jim nickte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Okay, verstehe, aber wenn er da den großen Cochise macht, könnte er nicht einfach<br />
einem anderen befehlen, Jacob zu töten?“<br />
Wieder schüttelte Ilana den Kopf.<br />
„Soweit geht seine Macht nicht. Keiner von Richards Leuten würde das tun.“<br />
„Dann hat es vielleicht gar nichts mit Jacob zu tun.“, mutmaßte ich nervös. „Was<br />
könnte es sonst sein?“<br />
Hilflos zuckte die hübsche, junge Frau die Schultern.<br />
„Ich weiß es wirklich nicht. Wenn ich es wüsste, würde ich <strong>mich</strong> um einiges besser<br />
fühlen, das könnt ihr mir gerne glauben.“<br />
Ich schnaufte angespannt.<br />
„Was mag aus dem Aluana Flug geworden sein? Es scheint ja fast, als könnten wir uns<br />
daran erinnern, und doch scheint er nie stattgefunden zu haben.“<br />
Ilana sah <strong>mich</strong> an und erklärte:<br />
„Ich denke, einige Dinge darf man hier einfach nicht hinterfragen, weil es keine<br />
normale Erklärung dafür gibt. Das mit dem Flug ist wohl eines dieser Phänomene, für die es<br />
keine befriedigende Erklärung geben wird. Ihr seid jetzt hier, offensichtlich, um zu helfen.<br />
Das ist es, was derzeit zählt.“<br />
Jim grinste frustriert.<br />
„Klar, mal wieder ohne gefragt zu werden.“ Er sah uns anderen an und meinte genervt:<br />
„Ob irgendeins dieser ganzen Arschlöcher hier je auf die Idee kommen wird, dass wir<br />
eventuell die Schnauze gestrichen voll haben, immer wieder unseren Arsch zu riskieren, um<br />
hier zu helfen?“<br />
Ich schmiegte <strong>mich</strong> an ihn und erwiderte resigniert:<br />
„Kann ich mir nicht vorstellen. Wie es aussieht geht es hier ja um höhere Ziele.“<br />
************<br />
John war mehr als zufrieden. Sei Plan funktionierte besser als er es sich in seinen<br />
Sun und Frank ihn beobachteten.<br />
kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Endlich, endlich konnte er<br />
erledigen, was schon lange in seinem Kopf herum spukte. Er<br />
würde sich Jacobs entledigen, ein für alle Mal. <strong>Der</strong> hatte ihm<br />
einfach schon zu oft in die Suppe gespuckt. John schmunzelte<br />
zufrieden und diabolisch vor sich hin. Er bekam nicht mit, dass<br />
„Was denkst du, Sun, was plant unser Anführer?“<br />
Die hübsche Asiatin schüttelte sachte den Kopf.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ich weiß es nicht, Frank, er sieht sehr zufrieden aus.“ Sie sah unauffällig zu Ben<br />
hinüber. „Und der Mistkerl auch.“, meinte sie leise. „Gott, wie ich ihn hasse.“<br />
„Er hat euch allen übel mitgespielt, was?“<br />
Sun nickte energisch.<br />
„Du ahnst nicht, wie sehr. Sawyer, Kate und Jack waren eine ganze Weile in den<br />
Händen dieses ... Kate hat erzählt, was man ihr und Sawyer angetan hat. Es muss entsetzlich<br />
gewesen sein. Und alles nur, damit Jack diesen Bastard operiert. Hätte er ihn doch nur bei der<br />
OP umgebracht!“ Leidenschaftlich stieß Sun diese Worte hervor. „Ich wollte ihn selbst töten,<br />
weißt du. Ich habe mit Charles Widmore einen Pakt geschlossen. Aber als ich Ben vor meiner<br />
Waffe hatte, zeigte er mir Jins Ehering. Er meinte, Jin lebe noch. Er könnte <strong>mich</strong> zu ihm<br />
bringen. So landete ich in der Maschine, zusammen mit Kate, Jack, Hurley ...“<br />
Sun stutzte. Wie ein Déjà-vu hatte sie plötzlich vor Augen, wie sie zusammen mit Jin<br />
ein Flugzeug bestieg, Jim und Kelly ... Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Welche Kelly? Und<br />
Sawyer, er war nicht mit in dem Flugzeug, er war doch bei Jin auf der Insel. Sie musste da<br />
irgendwelche Erinnerungen durcheinander bringen. Energisch schob Sun diese seltsamen Ge-<br />
danken zur Seite.<br />
„Wie bist du eigentlich zu Ajira gekommen?“, fragte sie Frank stattdessen.<br />
Dieser grinste.<br />
„Na ja, nach der Geschichte damals hatte ich das Gefühl, mein Image aufpolieren zu<br />
müssen. Ich hatte es einfach satt, als Söldner jeden kranken Psychopathen hinzufliegen wo<br />
immer der Betreffende hinwollte. Ich bin Pilot, kein Handlanger. Weißt du, ich sollte ur-<br />
sprünglich eure Oceanic damals fliegen. Ich habe bei Oceanic als Pilot gearbeitet. Im letzten<br />
Moment musste ich ersetzt werden, stell dir vor, ich hatte total verschlafen.“ Verlegen grinste<br />
Frank. „Aber nach der ganzen Scheiße mit der Kahana, Keamy und der Flucht von dieser<br />
wundervollen Insel dachte ich mir, ein anständiger Job bei einem anständigen Arbeitgeber<br />
wäre nicht das schlechteste. Ich bewarb <strong>mich</strong> bei Ajira und flog erst Frachtmaschinen, dann<br />
ihre Linienmaschinen national und später eben auch <strong>Über</strong>see. Dass ich nun doch noch auf der<br />
Insel abgestürzt bin, nur ein paar Jahre später, lässt <strong>mich</strong> allerdings Zweifeln, ob ich die<br />
richtige Entscheidung getroffen habe.“<br />
Er grinste. Sun lächelte.<br />
„Wir sind wenigstens freiwillig hier ...“, meinte sie kopfschüttelnd.<br />
Sie warf einen Blick zu Ben und Locke hinüber, die stumm nebeneinander her liefen.<br />
„Frank, irgendwie erscheint Locke mir ... verändert. Er ist mir unheimlich. Ich<br />
wünschte fast, wir wären nicht mit ihm mit gegangen.“<br />
Lepidus sah ebenfalls zu den beiden Männern am Ende der Gruppe hinüber und kniff<br />
die Augen zusammen.<br />
„Ich habe ihn kaum kennen gelernt. Das Einzige, was ich weiß ist, dass er Naomi ge-<br />
killt hat. Und da hatte er Recht. Ob er anders ist als sonst, darüber kann ich mir kein Urteil<br />
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Frauke Feind<br />
bilden. Aber wenn du das sagst ... Ich meine, du hast Monate mit ihm verbracht, du kennst ihn<br />
sicher sehr gut.“<br />
Sun dachte kurz über die Monate nach, die sie alle zusammen hier auf der Insel ver-<br />
bracht hatten und schüttelte langsam den Kopf.<br />
ursachte.<br />
„Nein, wenn ich ehrlich bin, kenne ich ihn nicht wirklich gut.“<br />
Vor ihnen wurde es plötzlich unruhig. Und dann sahen sie, was die Unruhe ver-<br />
************<br />
Schweigend marschierten wir etwa eine Stunde weiter als Jin plötzlich meinte:<br />
„Sawyer, ich glaube, hier bin ich noch nie gewesen. Diesen Strandabschnitt kenne ich<br />
nicht. Wie sieht es bei dir aus?“<br />
Jim sah sich um, in der Hoffnung, irgendeine Landmarke zu erkennen, doch er musste<br />
ebenfalls einräumen, hier noch nicht gewesen zu sein.<br />
„Ich hab die komische Statue damals während der Zeitsprünge mal irgendwann von<br />
weitem gesehen, aber direkt an dem Strandabschnitt, wo sie steht, war ich noch nie.“<br />
„Als wir damals um die Insel rum sind, mit dem Boot von Desmond, da haben wir sie<br />
vom Wasser aus gesehen, oder vielmehr das, was noch von ihr übrig war. Sie muss einmal<br />
sehr beeindruckend ausgesehen haben. Heute sind nur noch Reste zu sehen.“<br />
Ilana hatte zugehört und sagte:<br />
„Sie war einmal das Abbild Tawerets, der Schutzgöttin der Schwangeren.“<br />
Ich überlegte.<br />
„Eine altägyptische Göttin, wenn ich <strong>mich</strong> Recht erinnere.“<br />
Ilana nickte.<br />
„Das stimmt.“<br />
„Wie, zur Hölle, kommt ne Statue aus dem alten Ägypten auf unsere entzückende<br />
Südseeinsel?“, fragte Jim konsterniert.<br />
Ilana lächelte.<br />
„Das weiß wohl abgesehen vielleicht von Richard, Jacob und Samuel kein lebender<br />
Mensch mehr.“<br />
Kate schnaufte verbittert.<br />
„Na prima, Rauchmonster, Zeitsprünge, Unsterbliche, Götter und nun auch noch<br />
ägyptische Statuen. Diese Insel wird mir immer sympathischer.“<br />
Wenn ich Kate auch sonst nicht allzu oft Recht gab, aber in diesem Fall konnte ich ihr<br />
nur von Herzen zustimmen.<br />
Ilana hob ihre rechte Hand und erklärte:<br />
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Frauke Feind<br />
„Bevor wir die Statue erreichen, sollten wir uns ein wenig ausruhen. Wir wissen nicht,<br />
auf was wir gefasst sein müssen, wenn wir die Gruppe um Richard erreichen.“<br />
antworten.“<br />
Wir ließen uns alle in den warmen Sand sinken. Dann fragte Kate nervös:<br />
„Was sollte denn wohl so passieren?“<br />
Bram zuckte die Schultern.<br />
„Da wir nicht wissen, wer oder was der andere John ist, ist diese Frage schwer zu be-<br />
Er stockte kurz, als wolle er noch etwas hinzu fügen, wurde aber durch einen Blick<br />
Ilanas gebremst. Jim bemerkte diesen Blick sehr wohl.<br />
„Was ist los? Was verschweigt ihr uns, kommt schon, raus damit. Wir riskieren hier<br />
unseren Arsch, also haben wir ja wohl das Recht, zu erfahren, was da abgehen kann!“<br />
Ilana seufzte.<br />
„Du hast selbstverständlich Recht. Es besteht die Möglichkeit, dass Samuel sich<br />
Lockes Körpers bemächtigt hat. Wenn wir ihn mit dem echten Locke konfrontieren, mag es<br />
...“ Sie brach ab und sah bedrückt zu Boden.<br />
„Es mag was, Ilana?“<br />
Ich sah die hübsche junge Frau herausfordernd an.<br />
„Es mag sein, dass das, was ihr das Monster nennt, erscheinen wird. Wir vermuten,<br />
dass Samuel in dieser Erscheinungsform auftritt. Oder wenigstens eine Möglichkeit gefunden<br />
hat, dieses Ding zu beherrschen.“<br />
Ich war unter diesen Worten geschrumpft, aber nicht nur mir ging es so. Jim hatte mit<br />
ansehen müssen, wie das Ding, frei gelassen von Ben, die Söldner um Martin Keamy zer-<br />
rissen hatte. Die Vorstellung, dass es am Strand erscheinen würde, um uns möglicherweise<br />
anzugreifen, war mehr als beängstigend. Jim atmete tief durch und fragte frustriert:<br />
„Wann genau hattet ihr vor uns das zu sagen?“ Er schüttelte genervt den Kopf. „Ist ja<br />
nicht so, dass das eine völlig nebensächliche Info ist, oder? Habt ihr das Scheißding mal er-<br />
lebt? Nein? Ich schon. Es hat ne Gruppe von schwer bewaffneten Söldnern in der Luft zer-<br />
rissen wie Papier und das mein ich wörtlich, okay. Was denkt ihr denn, was wir gegen das ...<br />
was auch immer machen sollen? Mit Bananen bewerfen?“ Er redete sich in Rage. „Ich hab ja<br />
kein Problem damit, ein paar Dharmaisten den Kopf weg zu ballern, aber gegen dieses Ding<br />
sind wir machtlos. Verdammt noch mal, wie sollen wir es bekämpfen?“<br />
Er fuhr sich in einer hilflosen Geste durchs Haar. Ilana hatte beschämt zugehört und<br />
zuckte die Schultern.<br />
„Ihr habt Recht, wir hätten es euch vorher sagen müssen. Ich bin ehrlich zu euch: Wir<br />
wissen auch nicht, wie wir diesem Ding begegnen sollen. Wir können nur hoffen, dass Jacob<br />
uns vor ihm schützen kann.“<br />
Jim schnaufte.<br />
„Sonst wird„s n verdammt kurzer Kampf.“<br />
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Frauke Feind<br />
Ich spürte eine Gänsehaut über meinen Körper huschen und drückte <strong>mich</strong> unwillkür-<br />
lich eng an Jim heran. Dieser legte den Arm um <strong>mich</strong> und hielt <strong>mich</strong> fest.<br />
„Das ist alles ne riesige Scheiße.“, meinte er gestresst.<br />
Jin seufzte.<br />
„Ich fange an zu hoffen, dass es nicht Sun ist, die mit Locke zusammen ist.“<br />
Jack sah zu Kate hinüber und lächelte dieser aufmunternd zu.<br />
„Wird schon gut gehen.“, sagte er beruhigend.<br />
Jim sah Ilana an und meinte:<br />
„Wie wär‟s denn mit nem anständigen Plan, wie wir vorgehen wollen? Einfach in die<br />
Aufführung rein Platzen scheint mir nicht sehr schlau zu sein.“<br />
Ich konnte ihm da nur Zustimmen.<br />
„Darüber sollten wir wirklich sprechen.“<br />
Bram und Ilana tauschten einen Blick und nickten.<br />
„Das Sinnvollste wär‟s, ihr geht alleine zu ihnen und wir umgehen sie ein wenig und<br />
stoßen dann in ihren Rücken. Doc, wie sieht‟s aus, schaffst du n paar Meter, ohne getragen zu<br />
werden?“<br />
Seite.“<br />
zu Rechnen?“<br />
Jack nickte giftig.<br />
„Auf jedem Fall.“<br />
Sayid stimmte zu.<br />
„Das ist eine gute Idee. So haben wir den <strong>Über</strong>raschungsmoment doppelt auf unserer<br />
Jim wandte sich erneut an Ilana.<br />
„Was denkst du, Ištar, haben wir bei Richard und seinen Leuten auch mit Widerstand<br />
Verblüfft sah ich Jim an. Er kannte also nicht nur Fernsehserien, sondern auch alt-<br />
babylonische Götter und spanische Forscher. Er hatte Ilana vor einiger Zeit Ponce de leon<br />
genannt, nach einem spanischen Forscher und Konquistador, der 1508 die erste Siedlung in<br />
Puerto Rico gründete. Ilana zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern.<br />
„Er muss dem Führer gehorchen, aber da er gleichzeitig als Mittler fungiert, wird er<br />
nicht tatenlos zusehen, wie jemand oder irgendwas Jacob einfach etwas antut, davon bin ich<br />
überzeugt. Die Minuten, bis wir ihnen präsentiert haben, was wir mit uns führen, werden die<br />
Kniffligsten werden. Danach ist alles stark abhängig davon, wie der andere Locke reagiert.“<br />
„Gut, das werden wir erleben. Danny Boy, Jabba, ihr bleibt im Wald, bis die Lage,<br />
wie auch immer, unter Kontrolle ist, verstanden? Jin-Bo, Bonsai, ihr bleibt an Kellys Seite,<br />
klar soweit? Egal, was passiert, passt auf sie auf! Ali, Doc Hollywood und du, Freckles, ihr tut<br />
ausnahmsweise mal, was ich sag, verstanden?“<br />
Verbissen nickten Jack und Kate, Sayid zuckte nur gelassen die Schultern.<br />
„Du bist der Boss.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ich wollte etwas einwenden, aber Jim sah <strong>mich</strong> scharf an und grinste.<br />
„Du tust zur Abwechslung auch mal, was ich möchte, Babe! Keine Alleingänge, um<br />
Smokey zu bremsen, verstanden?“<br />
Ergeben seufzte ich.<br />
„Wir werden sehen.“<br />
„Gut, Ilana, du und deine Leute, ihr marschiert direkt in sie hinein. Gebt uns ein wenig<br />
Zeit, uns um die Herrschaften herum zu schleichen, okay? Bevor wir nicht hinter ihnen auf-<br />
tauchen, zeigt ihnen nicht, was ihr in eurer Wunderkiste mit euch schleppt. Du hast absolut<br />
Recht, das wird n kniffliger Moment werden, wenn der falsche große weiße Jäger mit dem<br />
echten großen weißen Jäger bekannt gemacht wird. Abgesehen von Methusalem kennt wohl<br />
keiner hier Dean und Sammy wirklich. Wir wissen nicht, wie sie reagieren, also rechnen wir<br />
sicherheitshalber mit dem Schlimmsten. Vielleicht schlagen sie sich nur gegenseitig die<br />
Schädel ein, vielleicht überlegen sie aber auch, dass sie genauso gut uns die Birnen weg<br />
pusten könnten. Sollten wir das hier auch wieder überleben, werde ich mit Kelly auf den<br />
Mond ziehen, damit niemand je wieder auf die Idee kommt, uns noch mal auf diese be-<br />
schissene Insel zu holen!“<br />
Ich musste trotz des Ernstes der Lage lachen.<br />
„Da könnten wir sicher sein, das stimmt.“<br />
Keiner von uns sagte noch etwas. Angespannt und hochgradig nervös versuchten wir,<br />
uns auf die bevorstehende Konfrontation vorzubereiten. Doch abgesehen von Ilana und ihren<br />
Leuten gelang das keinem von uns. Jin starrte in den Sand vor sich und versuchte, sich auf ein<br />
Wiedersehen mit Sun einzustellen. Miles hatte sich in den Sand gelegt und sah zu den weißen<br />
Wolken am Himmel hinauf. Er dachte an seinen Vater, mit dem er nur so kurz Gelegenheit<br />
gehabt hatte, zusammen zu sein. Hurley sah aus als würde er jeden Moment schreiend in die<br />
entgegengesetzte Richtung fliehen. Daniel wirkte noch nervöser, als er ohnehin schon ständig<br />
war. Kate versorgte noch einmal Jacks Wunde, die aber bereits gut verheilt war. Und Jim und<br />
ich? Wir versuchten hektisch, eine Möglichkeit zu finden, den anderen irgendwie zu schützen.<br />
Da wir aber nicht wussten, was uns letztlich wirklich erwartete, war das ein verflucht<br />
schweres Unterfangen!<br />
...“<br />
Ilana war es schließlich, die uns wieder auf die Beine trieb.<br />
„Wir sollten das letzte Stück in <strong>Angriff</strong> nehmen, ich habe das Gefühl, es könnte eilen<br />
Keiner von uns zeigte wirklich Begeisterung für diesen Vorschlag, aber da wir ohne-<br />
hin keine andere Wahl hatten, machten wir uns letztlich wieder auf den Weg. Jim hielt <strong>mich</strong><br />
die ganze Zeit im Arm und schließlich sagte er leise:<br />
„Mir wär‟s lieber, wenn du ... naja, wenn du dich zurück halten würdest, Babe.“<br />
Ich nickte.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Klar. Gerne doch. Ich bleibe im Hintergrund und schaue seelenruhig zu, wie du dich<br />
in Lebensgefahr begibst. Sonst noch was?“<br />
Kurz wirkte Jim, als ob er nicht sicher war, ob er lachen oder weinen sollte.<br />
Schließlich prustete er genervt und meinte:<br />
„Ich hab‟s dir schon mal gesagt, du bist stur wie n Maulesel.“<br />
Ich nickte.<br />
„Das weiß ich. Vergiss es einfach, Jim, ich bleibe bei dir, egal, was passieren wird.<br />
Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass es unser Schicksal ist, von diesem Rauchding ge-<br />
fressen zu werden. Und zusammen werden wir auch das hier schaffen. Und nebenbei, an<br />
deiner Seite bin ich ohnehin in Sicherheit, egal, was passiert.“<br />
Ich sah den Strand entlang und dann stockte mir der<br />
Atem. Da war sie, die Statue. Wir hatten unser Ziel erreicht!<br />
Obwohl nur noch der Sockel und ein Fuß übrig waren, wirkte<br />
dieses Bauwerk immer noch gigantisch groß. Ich versuchte<br />
mir vorzustellen, wie groß es gewesen sein mochte, als es<br />
noch unbeschädigt gewesen war. Doch schon wurde meine<br />
Aufmerksamkeit davon abgelenkt, dass eben von der anderen Seite der Statue eine große<br />
Gruppe Menschen kam.<br />
************<br />
Sun und Frank starrten auf einen riesigen steinernen Fuß, der auf einem fast zwei<br />
Meter hohen und bestimmt zehn Meter langen, aus Felsblöcken gefertigten Sockel ruhte. Von<br />
dem Sockel aus führte ein natürlicher Wall über den Strand in den Dschungel hinein.<br />
„Die muss mal gigantisch groß gewesen sein.“, stellte Frank verblüfft fest.<br />
„Wir haben sie damals vom Wasser aus gesehen, als wir Jack, Kate, Sawyer und<br />
Hurley zu Hilfe kommen wollten.“, erklärte Sun angespannt.<br />
Von hinten näherten sich Locke und Ben. Locke wandte sich leutselig an Richard:<br />
„Wo ist der Eingang?“<br />
Richard sah den Mann erstaunt an.<br />
„Willst du nicht bis morgen früh warten, John?“<br />
<strong>Der</strong> Kahlköpfige schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, Richard, das will ich ganz bestimmt nicht. Was würde sich bis dahin ändern?<br />
Also, wo ist der Eingang?“<br />
Richard zuckte ergeben die Schultern.<br />
„Wie du möchtest. <strong>Der</strong> Eingang befindet sich auf der anderen Seite des Sockels.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Er setzte sich in Bewegung, um den Wall, an dessen Ende der Sockel errichtet worden<br />
war, zu bewältigen. Seine Leute folgten ihm, ergriffen von dem Anblick dieses einst ge-<br />
waltigen Baudenkmals.<br />
„Wen hat diese Statue einst dargestellt?“, fragte Locke den dunkelhaarigen Anführer.<br />
„Sie stellte Taweret, die altägyptische Schutzgöttin der Schwangeren, dar. Im Alten<br />
Reich galt Taweret den Menschen als besonders wohlwollend, speziell bei der Entbindung. In<br />
späteren Zeiten wurden ihr auch Wesenszüge eines Dämons zugeordnet. So sollte sie bei-<br />
spielsweise Tote verschlingen, die das Totengericht vor Osiris nicht bestanden, und ihnen<br />
damit die Möglichkeit eines ewigen Lebens nehmen.“, erklärte Richard ruhig.<br />
In Lockes Augen war etwas, das Richard deutlich machte, das John dies genau wusste.<br />
Erneut fragte er sich, was an dem Mann anders war. Doch er kam nicht mehr dazu, weiter<br />
darüber nachzudenken, denn jetzt hatte er den Wall überwunden und konnte den Strand auf<br />
der anderen Seite der Statue sehen. Und was er dort sah, ließ ihn augenblicklich seine Waffe<br />
ziehen. Da kamen fünf unbekannte Personen den Strand entlang auf sie zu. Eine Frau und vier<br />
Männer. Die Männer trugen eine große Metallkiste zwischen sich. Nicht nur Richard zog<br />
seine Waffe, seine Leute reagieren genauso.<br />
************<br />
Als wir die Gruppe um Alpert auftauchen sahen, reagierten wir automatisch.<br />
Blitzschnell verzogen wir uns in den Dschungel und hatten Glück, dass uns keiner sah. So<br />
schnell es ging, hasteten wir durch das Dickicht vorwärts, mög-<br />
lichst jedes laute Geräusch vermeidend. Jim führte uns an. Er<br />
bewegte sich geschickt und geschmeidig und ich kam nicht<br />
darum hin, unglaublich stolz auf ihn zu sein. Vor uns tauchte<br />
ein aus Sand, Steinen und Buschwerk bestehender, vielleicht anderthalb Meter hoher Wall<br />
auf, der sich in den Dschungel zog. Wir turnten über diesen Wall hinweg und schlichen auf<br />
der anderen Seite geduckt an den Strand hinunter. Nun konnten wir die Stimmen auf der<br />
anderen Wallseite hören.<br />
Leuten herum.<br />
„Wer seid ihr? Wie kommt ihr hierher?“<br />
Das war Richards Stimme. Ilana antwortete ihm, ruhig und beherrscht.<br />
„Wir sind keine Feinde, Ricardus.“<br />
Richard stutzte, als er seinen Namen so ausgesprochen hörte und drehte sich zu seinen<br />
„Nehmt die Waffen herunter. Keiner schießt, verstanden?“<br />
Er wandte sich wieder Ilana zu.<br />
„Eigentlich ist mein Name Richard. Wer seid ihr?“<br />
An Stelle einer Antwort auf die Frage sagte Ilana die magischen Worte:<br />
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„Quid cubitus umbrae statuae?“<br />
Ohne zu Zögern erwiderte Richard:<br />
„Ille qui nos omnes servabit!“<br />
Ilana nickte.<br />
„Und genau der ist in Gefahr.“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Das war unser Stichwort. Abgesehen von Dan und Hurley, die im Wald geblieben<br />
waren, turnten wir schnell über den Wall zurück und stießen so in den Rücken der Gruppe.<br />
Jim war es, der die Anderen auf uns aufmerksam machte.<br />
„Hallo, Methusalem.“<br />
Hätten wir eine Bombe hinter der Gruppe hochgehen lassen, die Wirkung hätte nicht<br />
durchschlagender sein können. Alle wirbelten zu uns herum und im nächsten Moment lagen<br />
sich Jin und Sun bereits schluchzend in den Armen. Frank wirkte erleichtert, als er uns so<br />
überraschend auftauchen sah, Ben und Locke eindeutig bestürzt. Richard sah Jim an und<br />
irgendwie hatte ich das eigenartige Gefühl, zwischen den beiden Männern wurde blitzschnell<br />
ein stummer Dialog geführt. Ilana nickte zufrieden. Richard wandte sich wieder ihr zu und<br />
stellte die entscheidende Frage.<br />
„Wieso ist er in Gefahr?“<br />
Ilana gab ihren Männern einen Wink, während wir unauffällig dichter an Locke heran<br />
rückten, der zusehends genervt wirkte. Er sah gerade Jack an und sagte:<br />
„Hallo, Jack. Schön, dich gesund wieder zu sehen.“<br />
Jack beobachtete John aufmerksam und nickte kurz. Jim war es, der leise und an-<br />
gespannt antwortete:<br />
„Wäre schön, wenn wir das von dir auch behaupten können, Lederstrumpf.“<br />
Seine Worte waren für Ilanas Männer der Startschuss. Sie hatten die große Kiste ab-<br />
gestellt und hoben jetzt den Deckel ab. Ich behielt diesen John Locke im Auge und merkte,<br />
dass er immer nervöser wurde. Ilana forderte Richard auf:<br />
„Wirf einen Blick hinein.“<br />
Langsam trat Richard an die Kiste heran und schaute hinein. Und erstarrte.<br />
Einmal mehr überschlugen sich die Ereignisse nun. <strong>Der</strong> falsche John Locke hatte<br />
offensichtlich geahnt, was in der Kiste lag. Er war unbemerkt an <strong>mich</strong> heran getreten, und<br />
Ben hatte sich ebenfalls unbemerkt an Jack heran geschlichen. Die Beiden reagierten wie ab-<br />
gesprochen. Bevor Jack und ich auch nur ahnten, was los war, spürten wir beide Messer-<br />
klingen am Hals. Ich erstarrte vor Schreck. Locke erklärte kalt:<br />
blass.<br />
„Ladys, Gentlemen, darf ich kurz um ihre Aufmerksamkeit bitten?“<br />
Erst jetzt merkten die Anderen, was los war. Jim wirbelte herum und wurde leichen-<br />
„Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst ...“<br />
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Frauke Feind<br />
Weiter kam er nicht, denn Locke unterbrach ihn kalt.<br />
„Mach dich nicht lächerlich, James, du wirst gar nichts machen. Ihr alle werdet das<br />
nicht, sonst ist die Lady hier Filet. Richard, ich möchte, dass du mir sofort verrätst, wie ich zu<br />
Jacob gelange. Und stelle meine Geduld nicht auf die Probe, sonst ...“<br />
Er drückte das Messer unmissverständlich fester gegen meinen Hals und ich spürte,<br />
die wie scharfe Klinge in meine Haut eindrang. Jim keuchte entsetzt:<br />
„Richard, bitte. Sag ihm schon, wie er zu Jacob kommt. Ich flehe dich an!“<br />
Jack ging es nicht besser als mir. Er hing hilflos in Bens Griff und wurde langsam<br />
rückwärts auf den Sockel zu dirigiert. Auch Locke zog <strong>mich</strong> rückwärtsgehend mit sich.<br />
Richard biss die Zähne zusammen, dann trat er sehr langsam und vorsichtig zu uns hinüber<br />
und stieg auf den Sockel hinauf. Er drückte an einen Stein an den Resten der Statue und lang-<br />
sam öffnete sich eine schwere, bis eben verborgene Tür, die in den Fuß hinein führte. Ben gab<br />
Jack einen Stoß, der diesen vom Sockel hinunter beförderte und packte stattdessen Richard<br />
am Arm.<br />
„Du kommst mit, mein Ex-Freund.“<br />
Langsam bewegten wir uns in die Statue hinein, verzweifelt im Auge behalten von den<br />
hilflosen Zuschauern. Jim wirkte, als würde er jeden Moment Amok laufen. Als wir alle vier<br />
im Gang hinter der Tür standen erklärte Locke:<br />
„Du wirst so freundlich sein und die Tür schließen, und zwar so, dass sie nicht wieder<br />
zu öffnen ist, verstanden?“<br />
Tief atmete Richard ein und drückte die Tür langsam wieder zu. Und erst jetzt sahen<br />
wir, dass von Innen ein baumstammgroßer Riegel vorgelegt werden konnte. Ich schluckte.<br />
Wenn dieser Riegel die Tür verschloss, würde nur eine Atombombe die Tür von außen wieder<br />
öffnen können. Richard war gezwungen, den Riegel in die Halterung zu legen. Die Anderen<br />
waren jetzt nachhaltig ausgesperrt. Locke ließ <strong>mich</strong> los und gab mir einen Schubs, der <strong>mich</strong><br />
den Gang entlang trieb. Ben sagte liebenswürdig zu Richard:<br />
„Nun darfst du <strong>mich</strong> endlich dem großen Jacob vorstellen. Nach all den vielen Jahren<br />
habe ich das wohl mehr als verdient!“<br />
************<br />
Jim bestand nur noch aus Angst. Seit er gesehen hatte, was der falsche Locke tat,<br />
wagte er nicht, sich zu rühren, aus Angst, Locke könnte die Bewegung falsch auffassen.<br />
Hilflos musste er mit ansehen, wie Locke und Ben zusammen mit Richard und Kelly in der<br />
Statue verschwanden. Jack hatte sich nach seinem Sturz bereits wieder aufgerappelt und<br />
humpelte zu Kate hinüber, die ihn mit einer heftigen Umarmung empfing. Kaum hatte sich<br />
die steinerne Tür hinter Locke geschlossen, rannte Jim schon los, um diesem zu folgen. Auch<br />
Sayid und Ilana eilten zur Statue hinüber. Doch sie wurden bitter enttäuscht. So sehr sie auch<br />
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Frauke Feind<br />
auf den Stein drückten, den Richard benutzt hatte, um die geheime Tür zu öffnen, es gelang<br />
ihnen nicht, den Mechanismus wieder in Gange zu setzen. Vollkommen verzweifelt<br />
trommelte Jim schließlich mit den Fäusten gegen den Stein und brüllte:<br />
„Mach auf, du verdammter Drecksack.“<br />
Kate eilte zu ihm und legte ihm begütigend die Hand auf den Arm.<br />
„Komm schon, Sawyer, wenn du dir die Hände zerschlägst, kannst du Kelly nicht<br />
mehr helfen. Wir werden eine Möglichkeit finden, hinein zu gelangen, aber ganz sicher nicht<br />
mit Gewalt.“<br />
Inzwischen waren auch Richards Männer und die Begleiter Ilanas näher gekommen.<br />
„Nichts zu machen?“, fragte Bram besorgt.<br />
„Nein, gar nichts, genauso gut könnten wir versuchen, die Statue zu verschieben.“, er-<br />
klärte Ilana bedrückt.<br />
Jim fuhr sich in einer hilflosen Geste durch die Haare. Jack sah den ewigen<br />
Konkurrenten fast mitleidig an.<br />
„Sawyer, wir kriegen sie da raus, irgendwie. Du wirst Kelly zurück bekommen.“<br />
Einer der Männer aus Richards Gruppe fragte nach:<br />
„Wie heißt die junge Frau?“<br />
Kate erklärte:<br />
„Kelly. Warum? Ist das wichtig?“<br />
<strong>Der</strong> Mann, er war um die fünfzig, schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, nicht wirklich. Ich habe nur eine Tochter, die auch Kelly heißt. Sie müsste un-<br />
gefähr im gleichen Alter sein wie die junge Frau.“<br />
Jim sah den Mann an.<br />
„Wie heißt du denn?“, fragte er angespannt.<br />
„Hanso, Ken Hanso.“<br />
Jim riss die Augen auf.<br />
„Du bist Ken? <strong>Der</strong> Sohn von Lars Hanso alias Tim Walsh?“<br />
<strong>Der</strong> Mann nickte.<br />
„Ja. Woher kennst du meinen Vater?“<br />
„Unwichtig, ich hatte das Vergnügen, ihn kennen zu lernen. Du wirst es nicht glauben,<br />
Kelly IST deine Tochter.“<br />
Ken riss die Augen auf.<br />
„Was sagst du da?“<br />
Jim nickte unglücklich.<br />
„Sie ist deine Tochter. Ihre Mutter war Christine Marsh.“<br />
Ken sah Jim fassungslos an. Dann sprang er völlig überraschend auch auf den Sockel<br />
der Statue und begann, ebenfalls gegen die versteckte Tür zu hämmern. Aber natürlich hatte<br />
auch er keinen Erfolg.<br />
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Ilana?“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Wir müssen sie da raus holen.“, schnaufte er gestresst.<br />
„Ja, aber wie?“, fragte Jack, der sich nun ebenfalls zu ihnen auf den Sockel gesellte.<br />
Jim sah sich nach den Leuten Richards um.<br />
„Wisst ihr denn nicht ne andere Möglichkeit, in die verdammte Statue zu kommen?<br />
Keiner reagierte auf Jims Worte. Plötzlich jedoch stutzte Ken Hanso.<br />
„Mein Vater hat mal erwähnt, dass es vom Stab aus einen geheimen Gang gibt ...“<br />
Jin, der mit Sun und Frank unten am Sockel der Statue stand, fragte:<br />
„Gibt es denn die Stationen noch?“<br />
Ken nickte.<br />
„Nicht alle, einige sind vollkommen zerstört, aber der Stab ist noch gut erhalten. Wenn<br />
es uns gelänge, den Gang zu finden ...“<br />
Jim nickte entschlossen.<br />
„Kate, Miles, Dan, ihr kommt mit. Ken auch. Ilana, du bleibst mit deinen Leuten hier,<br />
aber ich brauch noch n paar Freiwillige, die mit uns kommen. Bis zum Stab sind es nicht mal<br />
anderthalb Kilometer. Das schaffen wir schnell.“<br />
nickte.<br />
Dan, der zusammen mit Hurley schon vor Minuten aus dem Dschungel getreten war,<br />
„Okay, ich bin bereit.“<br />
Aus der Gruppe Richards folgten fünf jüngere Männer. Jim fragte:<br />
„Wisst ihr, wo der Stab ist?“<br />
Ken nickte.<br />
„Ja, wir kennen alle Stationen. Kommt schon, wir müssen uns beeilen!“<br />
Er setzte sich zusammen mit Jim an die Spitze und führte die Gruppe im Laufschritt in<br />
den Dschungel. Vollkommen abgekämpft erreichten sie nach zirka zwanzig Minuten den ver-<br />
steckten Eingang zum Stab. Jim klebte das Hemd am Körper und er jappste krampfhaft nach<br />
Luft, genau wie seine Begleiter. Aber die Angst um Kelly trieb ihn voran.<br />
„Wir müssen die verdammte Station durchsuchen, alles, was an Räumen noch<br />
existiert. Wir müssen den Gang finden!“<br />
Hastig machten sich alle daran, die Räumlichkeiten gründlich zu durchsuchen. Die<br />
Zeit lief ihnen davon. Kate wühlte in einem Raum herum, der Schränke und zwei Schreib-<br />
tische beherbergte. Sie klopfte Wände ab, warf rücksichtslos die Schränke um, um hinter<br />
ihnen die Wände zu untersuchen. Nichts deutete hier auf einen versteckten Gang hin. Kate<br />
hetzte ins nächste Zimmer. <strong>Über</strong>all aus dem großen Gebäude waren laute Geräusche zu hören,<br />
die daraufhin deuteten, dass die Anderen ähnlich rücksichtslos bei der Suche vorgingen. Kate<br />
sah sich um. Hier hatte scheinbar schon jemand etwas gesucht oder aus purer Zerstörungswut<br />
Einrichtungsgegenstände durch die Gegend geworfen. Auf dem Boden entdeckte sie einen<br />
verdreckten Teppich, der fest verlegt war. Einer Eingebung folgend riss sie an einer losen<br />
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Frauke Feind<br />
Stelle diesen Teppich hoch und dann sah sie es. Eine Klappe war in den Boden eingearbeitet.<br />
Kate brüllte laut:<br />
schauen.“<br />
„Sawyer! Schnell, komm her, ich habe hier etwas gefunden, dass solltest du dir an-<br />
Sekunden später kam Jim zusammen mit Ken Hanso in den Raum gehetzt, dicht ge-<br />
folgt von den Anderen, die Kates Ruf ebenfalls gehört hatten. Zusammen rissen Jim und Ken<br />
den Teppich noch ein ganzes Stück weiter vom Boden ab. Nun konnten alle die Luke sehen,<br />
die in den Boden eingelassen unter dem Teppich verborgen gewesen war.<br />
„Oh, Gott, lass es der Gang sein!“, flehte Jim in brünstig.<br />
Er fasste in die kleine Griffmulde, die den Metallbügel der Klappe beinhaltete und zog<br />
an diesen. Knarrend öffnete sich die Luke und Jim ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Er<br />
beugte sich über das dunkle Loch, dass sich unter der Klappe verborgen hatte.<br />
folgen.“<br />
„Hat jemand Licht?“, fragte er seine Mitstreiter.<br />
Einer der Männer aus Richards Gefolge reichte Jim eine kleine Taschenlampe.<br />
„Hier, mehr kann ich dir nicht anbieten.“<br />
Jim bedankte sich und leuchtete in das Loch hinein.<br />
„Da sind Metallsprossen an der Wand. Ich geh da runter, wer mit will, kann mir<br />
Er wartete keine Antwort ab, sondern begann bereits mit dem Abstieg. Er musste<br />
sechsundzwanzig Sprossen hinab steigen, dann hatte er den Boden erreicht. Ken folgte ihm<br />
unmittelbar, ebenso Miles und Daniel. Auch Kate und zwei der jungen Männer Richards<br />
turnten noch nach unten.<br />
„Die Anderen sagen Bescheid, dass wir den Gang wohl gefunden haben.“, erklärte<br />
einer der Beiden.<br />
Jim nickte.<br />
„Okay, dann wollen wir mal.“<br />
So schnell es bei der mehr als spärlichen Beleuchtung möglich war hasteten sie voran.<br />
Plötzlich sahen sie fast gleichzeitig in einiger Entfernung vor sich ein flackerndes Licht wie<br />
von einer Fackel auftauchen.<br />
************<br />
38) Todfeinde<br />
Ich sah <strong>mich</strong> zögernd um während ich langsam los marschierte. Um uns herum waren<br />
hohe Wände aus behauenen Steinquadern zu erkennen. In Abständen von vielleicht einem<br />
Meter waren an diesen Wänden Halterungen für einfache Fackeln angebracht. Diese ver-<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
breiteten ein unruhiges, warmes Licht. Richard hielt sich an meiner Seite. Er schwieg ver-<br />
bissen und führte uns langsam den langen Gang entlang. Immer wieder waren in regel-<br />
mäßigen Abständen runde Steinsäulen in den breiten Gang eingearbeitet, die wohl die Auf-<br />
gabe hatten, die Decke zu stützen. An den Wänden waren altägyptische Malereien zu sehen<br />
und immer wieder Hieroglyphen. Locke und Ben, die hinter uns gingen, sahen sich genauso<br />
aufmerksam um. Wobei Locke nicht den Eindruck machte, als würde das alles hier neu für<br />
ihn sein. Ben jedoch war offensichtlich fasziniert. Wir wurden nicht angetrieben, sondern<br />
konnten uns gründlich umschauen. Nach vielleicht zwanzig Metern traten wir in eine riesige,<br />
runde Halle, die ebenfalls einige dicke Steinsäulen beinhaltete. In der Mitte des großen<br />
Raumes brannte ein offenes Feuer in einer runden Steinschale. An den Wänden steckten zahl-<br />
reiche Fackeln in Halterungen. Auch hier waren die Wände mit Hieroglyphen verziert. Ein-<br />
fache Bänke, aus Stein gehauen, mit ebenfalls aus Stein gearbeiteten Tischen, verteilten sich<br />
auf zwei Nischen. Vor uns waren vier Stufen, die wir jetzt langsam hinunter traten.<br />
Aufmerksam sahen wir uns um. Ich konnte in der schummrigen Beleuchtung mindestens zwei<br />
Gänge ausmachen, die von der Halle ab gingen.<br />
Uns gegenüber stand ein sehr großer Webrahmen, auf den ein fast fertiger Teppich ge-<br />
spannt war. Langsam traten wir alle vier zu diesem Kunstwerk hinüber.<br />
Ganz oben am Rand war in altgriechischen Buchstaben: ΘEΟΙ ΣΟΑ<br />
ΓΟΙEΝ ΟΑ ΦΡEΙ ΗΙ ΜEΝΟΙΝΑΖ eingewebt. Mühsam kramte ich<br />
in meinen Erinnerungen herum. Ich hatte <strong>mich</strong> von jeher für Mythologie<br />
interessiert und hatte zusammen mit einer guten Freundin, die Ägyptologie<br />
studiert hatte, in DC Kurse in Altgriechisch und Hebräisch belegt. Meine<br />
Freundin hatte mir auch große Einblicke in die Mythologie Ägyptens ge-<br />
geben. Wenn ich <strong>mich</strong> nicht vollkommen falsch erinnerte, hieß dieser Satz<br />
sinngemäß etwa: Mögen die Götter dir gewähren, was dein Herz begehrt.<br />
Unter dem Satz war eine Abbildung des sogenannten geflügelten Horus-Auge zu erkennen. Es<br />
wirkte, als würden die von ihm ausgehenden Sonnenstrahlen nach einigen Menschen, die<br />
unter dem Auge abgebildet waren, greifen. <strong>Der</strong> Ausgangspunkt der Strahlen, ein Kreis, sollte<br />
möglicherweise Aton darstellen. Aton war eine Erscheinungsform Amun Res, des Gottes der<br />
Sonne, des Windes und der Fruchtbarkeit, des Königs der Götter. Aton hatte unter dem<br />
Pharao Echnaton für eine kurze Zeit die Stellung des Hauptgottes der Ägypter eingenommen.<br />
Mir schoss durch den Kopf, dass dies möglicherweise ein Hinweis auf die heilenden Kräfte<br />
der Insel darstellen konnte. Horus, ein Lichtgott, hatte nach einem Kampf mit Seth, Gott der<br />
Wüste, des Chaos, der Gewalt und des Verderbens, ein künstliches Auge, das sogenannte<br />
Udjat-Auge als Ersatz für ein von Seth in diesem Kampf ausgestochenes Auge erhalten.<br />
Dieses künstliche Auge war zu einem Symbol für Heilung geworden.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Unter diesem Bild folgten zwei weitere Darstellungen, einmal Menschen, die um<br />
einige Krüge herum tanzten, dann eine Abfolge von Bildern, die den Vorgang der Getreide-<br />
ernte von der Aussaat bis zur Ernte darstellten. Zwischen den Tänzern und der Erntedar-<br />
stellung war ein weiterer Satz gewebt worden. ΘEΟΙ ΓE ΣΟΙ ΟΛΒΙΑ ΓΟΙEΝ. Das hieß so<br />
viel wie: Mögen die Götter dir Fröhlichkeit gewähren. Die letzte Darstellung am unteren<br />
Rand des Teppichs stellte wohl ebenfalls eine kleine Geschichte dar, in die ein Schiff in-<br />
volviert war. Deutlich war zu erkennen, dass auch die Statue Tawerets hier abgebildet war.<br />
Dann folgte noch einmal ein Satz in Altgriechisch. Ι ΜONOITO TOΤ ΠOIΛEMOT<br />
TEAO EOΡAKAI, was so viel hieß wie: Sie sind die, die das Ende des Krieges sehen<br />
werden oder möglicherweise hieß es auch: gesehen haben. Außerdem waren in den Teppich<br />
auch viele Hieroglyphen eingearbeitet, von deren Bedeutung ich leider keinerlei Ahnung<br />
hatte. Fasziniert betrachtete ich das Kunstwerk. Schließlich jedoch riss ich <strong>mich</strong> los und sah<br />
<strong>mich</strong> weiter in dem großen Raum um. Doch abgesehen von kleinen, in die Wände ein-<br />
gearbeiteten Nischen, in denen verschiedene Gebrauchsgegenstände zu erkennen waren, wie<br />
Becher, kleine Krüge, Schüsseln, Dinge des täglichen Gebrauchs eben, gab es hier nichts<br />
spannendes mehr zu sehen. Und was es ebenfalls deutlich nicht gab war Jacob. Diese Tat-<br />
sache jedoch ließ den falschen Locke scheinbar kalt. Ben jedoch sah sich hektisch um und<br />
schließlich fuhr er Richard genervt an:<br />
„Wo ist er? Wo ist Jacob?“<br />
Richard, der sich den Teppich ebenfalls angeschaut hatte, drehte sich zu Ben herum.<br />
„Das weiß ich nicht, Ben, ich besitze leider keinen eingebauten Jacob-Detektor. Er<br />
wird bereits wissen, dass wir hier sind, und wird sicher in Kürze erscheinen.“<br />
Locke sah erst Richard dann <strong>mich</strong> an.<br />
„Wäre gesünder für euch. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein unerwarteter Todes-<br />
fall in seiner guten Stube für Jacob Grund genug wäre, schnell zu erscheinen. Und zwei<br />
Todesfälle würden dies sicher noch mehr unterstreichen.“<br />
Richard blieb gelassen, mir jedoch wurde trotz der Wärme in diesem Raum eiskalt.<br />
Locke ließ sich entspannt auf eine der steinernen Bänke sinken und lächelte Richard wie eine<br />
Schlange an.<br />
„Was meinst du, wessen Ableben wird Jacob schneller hervor locken, dass einer un-<br />
schuldigen jungen Frau oder das deine?“<br />
Er spielte mit dem Messer in seiner Hand herum. Jim hatte mir erzählt, dass der echte<br />
Locke virtuos mit Messern umgehen konnte. Scheinbar hatte auch der falsche Locke diese<br />
Fähigkeit. Richard schien statt Blut Eiswasser in seinen Adern zu haben. Kalt erwiderte er:<br />
„Du weißt besser als jeder von uns, dass man Jacob nicht zwingen kann. Also höre<br />
mit den leeren Drohung auf.“<br />
Er ließ sich gegenüber Lockes auf ein Sitzmöbel sinken und sah diesen ruhig an.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Dein perfider Plan wird auch diesmal nicht funktionieren, auch das weißt du. Du<br />
kannst Jacob nicht töten!“<br />
Richards Worten entnahm ich, dass er, wie auch ich inzwischen, wusste, dass Samuel<br />
sich des Erscheinungsbildes Lockes bediente. John lächelte immer noch.<br />
„Nun, wir werden es auf einen Versuch ankommen lassen, oder? In meiner eigenen<br />
Erscheinungsform ist es mir nicht möglich, Ricardus, aber vielleicht geht es in dieser?“<br />
Irgendetwas an seinen Worten störte <strong>mich</strong>, aber ich wusste nicht, was. Linus stand<br />
immer noch vor dem Teppich und betrachtete diesen interessiert. Plötzlich drehte er sich zu<br />
uns herum und sagte:<br />
„Ich würde es durchaus begrüßen, wenn dein Plan funktionieren würde, John. Ich habe<br />
immer gewusst, dass du etwas ganz Besonderes bist. Ich unterstütze dich weiterhin, solange<br />
du mir nur meinen Wunsch gewährst, Jacob selbst zu fragen, warum er <strong>mich</strong> all die vielen<br />
Jahre ignoriert hat. Ich habe ein Recht, zu erfahren, warum ich es ihm nicht wert war, sich mir<br />
vorzustellen.“<br />
Aus jedem dieser Worte ging hervor, wie frustriert und ungerecht behandelt sich<br />
dieser Benjamin Linus fühlte. Ich sah ihn an und fragte:<br />
„Ist dir bewusst, dass ich zu den Personen gehöre, die dir vor sehr vielen Jahren dein<br />
erbärmliches Leben gerettet haben?“<br />
Ben nickte.<br />
„Oh ja, ich erinnere <strong>mich</strong> an alles. Du hast geholfen, in dem du weg geschaut hast.<br />
James und Kate waren es, die <strong>mich</strong> zu Richard gebracht haben. Und Sayid war es, der <strong>mich</strong><br />
zu erschießen versuchte. Er wurde dafür von mir bestraft. Oh ja. Ich war es, der den Anschlag<br />
auf Nadia anordnete. Und Sayid hat in seiner vollkommenen Verzweiflung nach dem<br />
seidenen Faden gegriffen, den ich ihm zu warf. Er hat an meinen Fäden gehangen wie eine<br />
Marionette und in der Organisation Widmores gründlich aufgeräumt. Er ist der geborene<br />
Killer!“<br />
Kurz verstummte Ben, dann stieß er hasserfüllt hervor:<br />
„Charles war es, der Keamy und seine Söldner auf die Insel schickte! Er ist Schuld<br />
daran, dass meine Tochter getötet wurde.“<br />
schüttelnd:<br />
Ich hatte die ganze Geschichte von Jim genau erzählt bekommen und erwiderte kopf-<br />
„Du weißt im Grunde deines Herzens, dass das nicht stimmt. Du alleine bist daran<br />
schuld! Du warst zu feige, dich zu stellen, dein Egoismus ging soweit, dass du zuschautest,<br />
wie deine Tochter erschossen wurde, dabei lag es in deiner Hand alleine, das zu verhindern.<br />
Außerdem war sie nicht einmal deine Tochter. Du hast keine Hemmungen gehabt, sie einer<br />
jungen Frau fort zu nehmen und diese vollkommen verzweifelt zurück zu lassen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Ben wurde blass, das war selbst in der schummrigen Beleuchtung hier zu sehen.<br />
Richard behielt ihn scharf im Auge.<br />
„Woher willst du das wissen? Du warst nicht dabei.“, giftete Linus <strong>mich</strong> an.<br />
„Das stimmt, aber Hugo und Jim waren dabei. Sie haben mir von allem erzählt.“<br />
Ben kam auf <strong>mich</strong> zu und knurrte:<br />
„Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest. Ich hatte keine Schuld daran. Charles hat<br />
die Regeln geändert. Ihn alleine trifft die Schuld an Alex„ Tod. Ihn ganz alleine!“<br />
„Benjamin, du weißt, dass das nicht stimmt.“<br />
Linus und ich wirbelten gleichermaßen erschrocken herum, als wir plötzlich eine<br />
sanfte, freundliche Stimme hinter uns hörten. Aus einem der Gänge, die ich beim Betreten der<br />
Halle ausgemacht hatte, war ein Mann getreten, groß, schlank, um die vierzig, dunkelblonde,<br />
kurze Haare, blaugraue, freundliche Augen. Lächelnd trat der Mann zu uns und sagte ruhig:<br />
„Welch überraschender Besuch.“<br />
„Jacob!“ stieß Ben hervor. „Du bist Jacob.“<br />
kurz.<br />
<strong>Der</strong> Mann lächelte immer noch.<br />
„Ja, das bin ich, das hast du klug erkannt.“, erwiderte er<br />
Er sah Richard an und dieser erwiderte den Blick. Nun<br />
wandte sich der Mann mir zu.<br />
„Kelly. Ich hätte nicht erwartet, dich hier vor zu finden. Du hast mehr als bewiesen,<br />
dass dein Großvater sich in dir nicht getäuscht hat.“<br />
Ich wusste, dass ich einen selten dämlichen Gesichtsausdruck zur Schau stellte, kam<br />
aber nicht umhin, verblüfft zu Fragen:<br />
„Woher kennst du <strong>mich</strong>? Und woher kennst du meinen Großvater?“<br />
Jacob lächelte sanft.<br />
„Er war ein guter Freund, Kelly. Und er bat <strong>mich</strong>, ein Auge auf dich zu haben. Diesen<br />
Gefallen tat ich ihm gerne.“<br />
hast.“<br />
Verwirrt fragte ich:<br />
„Was bedeutet das?“<br />
Jacob lächelte sanft.<br />
„Das bedeutet, Kelly, dass ich über dich gewacht habe, seit du unsere Heimat betreten<br />
Fassungslos starrte ich Jacob an.<br />
„Dann warst du es, der den Rauch gehindert hat, <strong>mich</strong> zu töten?“<br />
Jacob nickte.<br />
„Das, und einiges mehr.“<br />
„Hast du auch dafür gesorgt, dass Jim sich wieder erinnern konnte?“<br />
Jacob nickte erneut.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Ja, das habe ich, obwohl meine Pläne ursprünglich anders geartet waren. Du musst<br />
wissen, ich habe nicht die alleinige Gewalt über die Macht.“<br />
grinste er kalt.<br />
Er sah jetzt John an, der ruhig unsere Unterhaltung beobachtet hatte.<br />
„Du hast also dein Schlupfloch gefunden, was?“<br />
John nickte langsam.<br />
„Und du hast überhaupt keine Vorstellung, was ich dafür unternehmen musste.“,<br />
Ben hatte scheinbar genug davon, dass Jacob ihn nicht weiter beachtete. Er stieß <strong>mich</strong><br />
hart zur Seite und baute sich herausfordernd vor Jacob auf. Dieser sah Ben ruhig an.<br />
„Du weißt, dass du die Wahl hast, richtig? Was immer er dir erzählt hat, Benjamin, du<br />
hast eine Wahl.“<br />
Ben schaute Jacob mit einem fast mitleiderregenden Gesichtsausdruck an.<br />
„Ich habe die Wahl? So, wie ich fünfunddreißig Jahre die Wahl hatte, was? Plötzlich<br />
hast du Zeit, mit mir zu reden? Jetzt plötzlich? Ich habe dich all die vielen Jahre nur durch<br />
Zettel und Listen kennen gelernt. Deine schriftlichen Instruktionen ... Ich habe nie hinterfragt,<br />
habe alles getan, was du mir auf trugst. Aber wenn ich es wagte, direkt nach dir zu Fragen, zu<br />
bitten, zu dir gebracht zu werden, wurde mir freundlich mitgeteilt „Du musst warten, du musst<br />
geduldig sein.„ Doch für Richard hast du immer Zeit gehabt.“ Er schluckte heftig, dann fuhr<br />
er hasserfüllt fort: „Und für ihn ...“ Er deutete auf Locke. „... hast du sofort Zeit, was? Er<br />
kommt hierher, fragt nicht lange, sondern dringt hier ein. Und du erscheinst. Und was ist mit<br />
ihr? Auch ihr widmest du deine Aufmerksamkeit. Aber was ist mit mir? Was ist mit mir.“<br />
Die letzten Worte schrie er fast heraus. Und Jacob? <strong>Der</strong> schaute Ben nur verständnis-<br />
los an und fragte gleichgültig:<br />
„Was ist mit dir?“<br />
Ben gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Leise und gefährlich sagte er:<br />
„So ist das ...“<br />
Und plötzlich wussten sowohl Richard als auch ich, dass wir falsch vermutet hatten.<br />
Vollkommen falsch. Nicht John Locke wollte Jacob töten. Benjamin würde es tun!<br />
Alles Weitere schien sich plötzlich in Zeitlupe abzuspielen. Kaum war die Gewissheit<br />
über Johns perfiden Plan in unsere Hirne vorgedrungen, sprang Richard schon auf, wurde<br />
jedoch von Locke, der ebenfalls aufgesprungen war, gehindert, zu Jacob zu gelangen. Locke<br />
hatte plötzlich wieder sein Messer in der Hand und ehe Richard begriff was los war, rammte<br />
John ihm dieses schon in den Rücken. Aufseufzend ging Richard zu Boden und Locke blieb<br />
über ihm stehen, sah auf den Dunkelhaarigen hinunter und sagte angewidert:<br />
„Ich habe euch so satt. Du und Jacob, ihr seid seit zu vielen Jahrtausenden der Dorn in<br />
meinem Fleisch. Endlich habe ich die Möglichkeit, euch beide heraus zu reißen.“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Während er über Richard stand, schien er sich zu verändern. Er wurde schlanker, be-<br />
kam Haare und plötzlich stand ein Mann mit kurzen, grauen Haaren, sehr dunklen Augen und<br />
einem drei Tage Bart über Richard. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, das Phänomen zu be-<br />
obachten, denn auch Ben hatte sein Messer gezogen, und ehe ich noch reagieren konnte, hatte<br />
er es dem überraschten Jacob in den Bauch gerammt. Zu einem zweiten Stoß kam er jedoch<br />
nicht, denn ich warf <strong>mich</strong> gegen ihn und versuchte, ihn zu entwaffnen. Normalerweise wäre<br />
es mir sicher gelungen, immerhin hatte ich dies in intensivem Training erlernt, doch ich hatte<br />
nicht mit der unglaublichen Wut, dem Hass gerechnet, der Ben beherrschte. Dieser verlieh<br />
ihm unglaubliche Kräfte. Plötzlich sah ich die Hand mit dem blutigen Messer darin auf <strong>mich</strong><br />
zukommen und schon versenkte Ben die Klinge in meiner linken Seite.<br />
Schlagartig blieb mir die Luft weg. Ich keuchte entsetzt auf und presste die Rechte auf<br />
die blutende Wunde. Und Ben wirbelte bereits wieder zu Jacob herum, der zu Boden ge-<br />
gangen war. Er wollte sich über ihn beugen, um ihm den Rest zu geben, doch soweit kam es<br />
nicht mehr. Von irgendwo hörte ich vollkommen unerwartet Jims Stimme schreien:<br />
„Kelly!“<br />
Etwas knallte laut und zwischen Bens Augen war plötzlich ein kleines, blutiges Loch.<br />
Weitere Schüsse fielen und auch Samuel ging getroffen zu Boden. Und nun schien die Hölle<br />
loszubrechen. Von morbider Faszination gepackt starrte ich auf Samuels Körper und ver-<br />
suchte zu erfassen, was ich sah. Irgendwie schien Samuel dunkler zu werden. Und sein<br />
Körper schien an Festigkeit zu verlieren. Er waberte, wie Rauch ... Und dieser Rauch wurde<br />
dunkler, gewann an Größe und plötzlich war der Raum erfüllt von dem nur allzu bekannten<br />
Brüllen. Flüchtig registrierte ich, dass Jim, Kate, Miles, Daniel, mein Dad und einige mir<br />
unbekannte Männer in den Raum getreten waren. Entsetzt<br />
blieben sie stehen und starrten auf die schwarze, decken-<br />
hohe Rauchsäule, die sich zwischen ihnen und uns aus-<br />
breitete. Ich hörte Jim panisch etwas schreien, konnte<br />
jedoch durch den Lärm nicht verstehen, was es war. Noch<br />
einmal brüllte die Rauchsäule auf, verstummte und stürzte sich auf die Neuankömmlinge.<br />
Ich konnte meine eigene Stimme in der plötzlichen Stille überdeutlich hören, als ich<br />
jetzt entsetzt schrie:<br />
„NEIN!“<br />
Einer der Männer wurde von der Rauchsäule gepackt<br />
und seine Schreie waren das Schlimmste, was ich je gehört<br />
hatte. So schnell, wie sie aufgeklungen waren verstummten<br />
sie auch wieder und die blutige Leiche, kaum noch als<br />
Mensch zu erkennen, klatschte unmittelbar vor Jim auf den<br />
Boden. Erneut schrie ich.<br />
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„Jacob! Du musst ihn aufhalten!“<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
Trotz der Schmerzen in meiner Seite war ich zu dem am Boden liegenden Mann<br />
herum gewirbelt. Er war noch bei Besinnung und ich taumelte zu ihm hinüber, ging neben<br />
ihm auf die Knie.<br />
Schultern.<br />
„Du musst ihn aufhalten!“, schrie ich noch einmal und packte den Verletzten an den<br />
Er sah <strong>mich</strong> aus leicht glasigen Augen an, dann flüsterte er schwach:<br />
„Du ... du kannst ... das ...“<br />
Die Rauchsäule schickte sich an, sich auf Kate und Jim, die dicht beieinander standen,<br />
zu stürzen. Ich hörte wie durch Watte Kates panischen Schrei, als der Rauch auf sie und Jim<br />
nieder raste. Ich spürte Jacobs rechte Hand nach meiner greifen und von einer Sekunde zur<br />
Anderen waren seine Gedanken in meinem Kopf.<br />
„Du kannst ihn aufhalten Kelly, rette ihr Leben!“<br />
Es war, als würde nicht ich sprechen, sondern jemand durch <strong>mich</strong>. Die Worte polterten<br />
plötzlich durch meinen Verstand.<br />
„Lass sie in Frieden. Du hast verloren, deine Zeit hier ist vorbei. Du hast, wie Ptah,<br />
deine Chance vertan. Du hast nicht die Macht, dich mir zu Widersetzen. Verschwinde,<br />
Apophis. Ich, Aton, befehle es dir.“<br />
<strong>Der</strong> Rauch, der sich schon um Jim und Kate gewickelt hatte, brüllte erneut auf, plötz-<br />
lich jedoch begann er, sich zurück zu ziehen. Er waberte zögernd in die Hallenmitte,<br />
sammelte sich über dem immer noch dort brennenden Feuer und stieg langsam zur Decke<br />
empor. Müde hob ich den Kopf und sah dem Rauch nach, wie er allmählich aus unserem<br />
Blick verschwand. Mir wurde eiskalt und ich sank langsam ebenfalls ganz zu Boden. Und<br />
plötzlich waren Arme da, die <strong>mich</strong> hielten.<br />
„Kelly! Nein, bitte, bleib bei mir. Bitte. Kelly!“<br />
Aus Tränen verschleierten Augen sah ich Jims Gesicht über mir, leichenblass und mit<br />
panisch aufgerissenen Augen. Ich wollte etwas sagen, ihn beruhigen, aber ich hatte nicht mehr<br />
die Kraft dazu. Ich merkte, wie ich die Besinnung verlor.<br />
hatte.<br />
************<br />
Jim war stehen geblieben und deutete nach vorne.<br />
„Da, Licht.“ „Ob wir es geschafft haben?“, fragte Ken, der sich neben Jim gehalten<br />
„Hoffentlich. Vorsichtig weiter.“<br />
Jim setzte sich wieder in Bewegung und sie schlichen auf das diffuse Licht zu, lang-<br />
sam, leise und vorsichtig. Nun konnten sie eine große, runde Halle überblicken, die sich vor<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
ihnen auf tat. Und was sie dort sahen, ließ Jim entsetzt aufstöhnen. Ben stand vor einem<br />
Mann, der Jim vage bekannt vor kam. Kelly kämpfte mit Ben, der sich rasend vor Wut<br />
wehrte. Bevor Jim reagieren konnte, stieß Ben mit dem Messer zu und mit vor Entsetzen weit<br />
aufgerissenen Augen musste Jim mit ansehen, wie das Messer Kelly in die linke Seite traf. Er<br />
riss seine Waffe aus dem Hosenbund und noch bevor Ben sich gebückt hatte, um dem am<br />
Boden liegenden Mann den Rest zu geben, zielte Jim bereits und drückte ohne zu Zögern ab.<br />
Ben brach zusammen. Jim wollte zu Kelly hinüber eilen, doch so weit kam er nicht. <strong>Der</strong><br />
Mann, der bei Richard stand, wollte diesem das Messer noch einmal in den Körper rammen,<br />
doch auch soweit kam es nicht. Ken, Miles und einer der jungen Männer rissen gleichzeitig<br />
ihre Waffen in die Höhe und schossen. <strong>Der</strong> Mann wurde zurück geschleudert und ging zu<br />
Boden. Und kaum lag er zusammen gekrümmt still, schien er sich aufzulösen. Geschockt<br />
starrten Jim und seine Begleiter auf den unbekannten Mann und sahen, wie sich aus dessen<br />
Körper der verhasste und gefürchtete schwarze Rauch löste!<br />
Kate wich zurück und stand unmittelbar neben Jim, der ebenso entsetzt auf den Rauch<br />
starrte wie alle anderen Anwesenden. Das bekannte Brüllen erfüllte die Halle und nun stürzte<br />
der Rauch sich auf einen der Männer, den, der auf den Kerl bei Richard geschossen hatte.<br />
Kate schrie vor Entsetzten, als der Rauch den Mann in die Höhe riss. Dessen Todesschreie<br />
füllten die Halle, wie vor Sekunden noch das Brüllen des Rauchmonsters. Doch schnell ver-<br />
stummten die fürchterlichen Schreie und der zerfetzte, blutige Körper klatschte unmittelbar<br />
vor Jim und Kate auf den Boden. Sofort wirbelte der Rauch auf sie zu. Unfähig, sich zu<br />
Rühren, etwas zu ihrer Rettung zu unternehmen, wurden Jim und Kate von dem Rauch um-<br />
schlossen. Doch bevor dieser sie attackieren konnte, drang plötzlich Kellys Stimme durch die<br />
Halle.<br />
„Lass sie in Frieden. Du hast verloren, deine Zeit hier ist vorbei. Du hast, wie Ptah,<br />
deine Chance vertan. Du hast nicht die Macht, dich mir zu Widersetzen. Verschwinde,<br />
Apophis. Ich, Aton, befehle es dir.“<br />
Fassungslos hörten alle diese Worte. Und das unglaubliche geschah. <strong>Der</strong> Rauch zog<br />
sich widerwillig zurück, waberte in die Hallenmitte und tanzte einen Moment lang über der<br />
offenen Feuerstelle, die dort angelegt worden war. Dann konnten alle sehen, dass er langsam<br />
zur Hallendecke aufstieg und ... verschwand. Jim verschwendete keinen weiteren Gedanken<br />
an das, was gerade geschehen war. Mit wenigen, schnellen Schritten überwand er stattdessen<br />
die Entfernung und warf sich neben Kelly auf die Knie. Er zog die junge Frau, die zu Boden<br />
gesunken war, an sich und Tränen stürzten ihm über die Wangen.<br />
„Kelly. Nein, bitte, bleib bei mir. Bitte. Kelly!“, stammelte er panisch.<br />
Er sah, dass Kellys Augen sich verdrehten und dann hatte sie bereits die Besinnung<br />
verloren. Plötzlich war Kate neben ihm.<br />
„Wir müssen sie schnellstens zu Jack bringen, Sawyer. Komm schon!“<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
Wie in Trance hob Jim Kelly auf und sah sich suchend um. Zwei weitere Gänge<br />
mündeten in die Halle, aber welcher führte zum Ausgang? Plötzlich hörte er Richards<br />
Stimme, schwach und schmerzerfüllt:<br />
„Links, Jim ...“<br />
Ohne zu Zögern rannte Jim los, dicht gefolgt von Kate und Ken Hanso. <strong>Der</strong> Gang, in<br />
dem sie sich befanden, endete nach einigen Metern vor einer Wand, in die die Tür, durch die<br />
Locke und Ben mit Kelly und Richard verschwunden waren, eingearbeitet war. Kate und Ken<br />
hoben den dicken Riegel aus den Halterungen und stemmten sich gemeinsam gegen die Tür,<br />
die erstaunlich leicht auf ging. Blendendes Licht schlug ihnen entgegen und sie traten auf den<br />
Sockel hinaus. Unter sich am Strand waren die Zurückgebliebenen versammelt. Alle starrten<br />
gerade in den Himmel, wo eine schwarze Rauchsäule sich im lauen Wind langsam auflöste.<br />
Sie fuhren herum, als sie plötzlich eine Stimme hörten.<br />
wesenden zu:<br />
raus holen.“<br />
„Jack. Schnell, ich brauch Hilfe!“<br />
Jim hastete schon an den Strand hinunter, dicht gefolgt von Ken. Kate rief den An-<br />
„Richard ist verletzt, und noch zwei andere Männer ebenfalls. Kommt, wir müssen sie<br />
Mehrere Leute, unter ihnen Ilana und Bram, setzten sich eilig in Bewegung. Jim hatte<br />
mit Kelly im Arm Jack erreicht.<br />
„Was ist passiert?“, fragte der Arzt hastig.<br />
„Ben. <strong>Der</strong> Dreckskerl hat ihr ein Messer in die Seite gerammt. Bitte, Jack, du musst<br />
sie retten, bitte, ich flehe dich an!“<br />
Jim war außer sich vor Angst. Und nicht nur er. Auch Ken Hanso, der Jim dicht auf<br />
gefolgt war, flehte:<br />
und erklärte:<br />
„Kannst du ihr helfen, Doktor? Sie ist meine Tochter! Bitte.“<br />
Jim hatte sich in den Sand gekniet und hielt Kelly im Arm. Jack kniete sich neben ihn<br />
„Lass <strong>mich</strong> die Wunde ansehen, Sawyer.“<br />
Jim reagierte gar nicht.<br />
„Sawyer! Ich muss sie mir anschauen.“, wiederholte Jack eindringlich.<br />
Und erst jetzt löste Jim die Umarmung so weit, dass Jack an Kelly heran konnte.<br />
Hastig untersuchte der Arzt die junge Frau. Die Stichwunde saß links unterhalb der Organe,<br />
außerhalb des Darmbereichs, da war Jack sich sicher. Sie hatte heftig geblutet und tat dies<br />
immer noch, war jedoch nicht lebensgefährlich. Erleichtert atmete der Arzt auf. Er rief:<br />
„Ich brauche Verbandsmaterial. Schnell!“<br />
Eine Frau kam angerannt und reichte ihm einen Kasten.<br />
„Da ist Verbandsmaterial drin.“, erklärte sie.<br />
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Frauke Feind<br />
Dankbar nickte Jack und riss den Kasten auf. Er nahm ein Päckchen Verbandsmull<br />
heraus und drückte diese auf die Stichwunde.<br />
„Festhalten.“, wies er Ken an.<br />
Dieser drückte den Verbandsmull auf die Wunde und Jack legte einen festen Druck-<br />
verband an. Dann sagte er ruhig:<br />
„Sawyer, sie wird gesund, keine Angst. Sie wird wieder gesund, hörst du?“<br />
Zu mehr kam er nicht, denn gerade wurden aus der Statue auch Richard und Jacob an-<br />
geschleppt. Jack stemmte sich mühsam in die Höhe und eilte zu den Verletzten hinüber.<br />
************<br />
Langsam kam ich zu mir. Wo war ich? Ich lag in einem Bett, so viel war sicher.<br />
Fassungslos sah ich <strong>mich</strong> um. Ein hübscher, heller Raum, offensichtlich ein Schlafzimmer.<br />
Schrank, Spiegel, Fenster, alles war vorhanden. Vorsichtig setzte ich <strong>mich</strong> auf. In meiner<br />
linken Seite pochte es heftig, aber durchaus erträglich. Schlagartig setzte meine Erinnerung<br />
ein. <strong>Der</strong> Kampf in der Statue. Ben, der mir ein Messer in den Körper gerammt hatte. Jim, der<br />
plötzlich bei mir gewesen war ... Und dann Dunkelheit. Wo, um alles in der Welt, war ich?<br />
Ich merkte, dass ich ein sauberes, langes T-Shirt trug. Sauber. Ich war sauber. Erstaunt schlug<br />
ich die Bettdecke zur Seite und schwang langsam und vorsichtig die Beine aus dem Bett.<br />
Kurz wurde mir schwindelig, doch schnell hatte mein Kreislauf sich gefangen. Ich stemmte<br />
<strong>mich</strong> auf die Füße und hielt mir mit zusammen gebissenen Zähnen die Seite. Aber die<br />
Schmerzen hielten sich auch jetzt in durchaus erträglichen Grenzen. Ich sah <strong>mich</strong> um und<br />
entdeckte eine Tür. Etwas schwerfällig ging ich zu dieser hinüber und öffnete sie. Ein Flur.<br />
Plötzlich hörte ich in einiger Entfernung zwei Stimmen. Unsicher bewegte ich <strong>mich</strong> darauf zu.<br />
Durch eine offene Tür konnte ich in eine Küche schauen. Und da stand Jim, einen Wasser-<br />
kessel in der Hand, und ließ aus diesem gerade Wasser in einen Kaffeefilter laufen.<br />
„Jack meint, sie müsste demnächst aufwachen. Anderthalb Tage. Ich schwör dir, das<br />
sind die längsten sechsunddreißig Stunden meines Lebens gewesen.“<br />
<strong>Der</strong> andere Mann lachte mitleidig. Und ich sagte leise:<br />
„Sie ist aufgewacht, Jack hatte Recht.“<br />
Hätte ich eine Bombe zwischen die Männer geworfen, die Wirkung hätte nicht um-<br />
werfender sein können. Jim wäre fast der Kessel aus der Hand gefallen vor Schreck und der<br />
andere Mann, ich erkannte, dass es sich bei ihm um meinen Vater handelte, war nicht weniger<br />
erschrocken.<br />
„Kelly. Bist du irre?“<br />
Blitzschnell war Jim an meiner Seite und schon lag ich in seinen Armen.<br />
„Was läufst du hier rum, spinnst du denn?“, fragte er besorgt.<br />
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By<br />
Frauke Feind<br />
„Mir geht es gut, wirklich, nur wenn du <strong>mich</strong> so drückst tut es weh.“<br />
Das war beides keine Lüge. Es ging mir wirklich erstaunlich gut. Dafür, dass man mir<br />
ein langes Messer in den Körper gerammt hatte, fühlte ich <strong>mich</strong> erstaunlich wohl. Sofort<br />
lockerte Jim seinen Griff und sah <strong>mich</strong> an.<br />
liebevoll.<br />
„Du siehst viel besser aus. Gott, Kelly, ich hab solche Angst um dich gehabt.“, sagte er<br />
Seine Augen schimmerten feucht. Er ließ <strong>mich</strong> zögernd ganz los und machte etwas<br />
Platz. Mein Vater war zu mir getreten und sah <strong>mich</strong> stumm an. Dann seufzte er leise und im<br />
nächsten Moment hing ich heulend an seinem Hals.<br />
„Daddy ...“<br />
er fassungslos.<br />
„Mein kleiner Schatz. Das ich dich wieder in meinen Armen halten kann ...“, stotterte<br />
Es dauerte einige Minuten, bis wir uns ein wenig beruhigt hatten. Dann nahm Jim<br />
<strong>mich</strong> vorsichtig auf den Arm und trug <strong>mich</strong> ins Schlafzimmer zurück. Mein Vater folgte uns,<br />
mit einem Tablett in der Hand, auf das er in aller Eile den fertigen Kaffee, drei Tassen und<br />
einen Teller mit Sandwiches gestellt hatte. Jim legte <strong>mich</strong> aufs Bett zurück und mein Vater<br />
stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch unter dem Fenster.<br />
meine.<br />
„Wie geht es dir wirklich?“, fragte Jim besorgt und ich nahm seine Hände liebevoll in<br />
„Es geht mir gut, Baby, wirklich. Die Wunde tut noch ein wenig weh, das ist aber auch<br />
alles. Scheinbar sind die heilenden Kräfte der Insel auch bei mir zur Wirkung gekommen.“<br />
leise:<br />
Jim sah <strong>mich</strong> an und seufzte. Er schloss <strong>mich</strong> noch einmal in die Arme und sagte<br />
„Ich liebe dich, Kelly.“<br />
Glücklich ließ ich mir die Umarmung gefallen. Schließlich ließ er <strong>mich</strong> los und setzte<br />
sich aufs Bett zu mir. Und nun endlich stellte ich die Frage, die mir seit dem Aufwachen auf<br />
der Zunge brannte.<br />
„Wo sind wir?“<br />
Jim grinste.<br />
„Home, sweet home. Wir stecken wieder in Dharmaville.“<br />
Fassungslos starrte ich ihn an.<br />
„Was?“<br />
Mein Dad lachte.<br />
„Ja, wir sind umgezogen. Wir haben dich her geschafft, nachdem Jack dich versorgt<br />
hatte. War ja nicht so weit zu gehen.“<br />
Jim grinste.<br />
„Ken und ich haben hier ein wenig aufgeräumt, während du geschlafen hast. Ist fast ne<br />
Luxusbehausung.“<br />
- 439 -
Ich schüttelte den Kopf.<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Vielleicht sollte ich erst mal eine Tasse Kaffee trinken.“, schnaufte ich verwirrt.<br />
Mein Vater schenkte uns Kaffee ein und endlich hatte ich nach so langer Zeit wieder<br />
meinen geliebten <strong>Über</strong>lebenssaft in den Händen. Seufzend vor Wonne trank ich einige<br />
Schlucke und stöhnte wohlig:<br />
„Gut ...“ Nun bekam ich auch ein Sandwich gereicht und nachdem ich dies gegessen<br />
hatte, wollte ich natürlich wissen, was weiter passiert war, nachdem mir die Lichter aus-<br />
gegangen waren.<br />
„Jack hat dich verarztet und dann hat er sich um Richard und Jacob gekümmert. Wir<br />
haben nicht solange gewartet, sondern sind mit dir sofort hierher. Die Anderen sind uns<br />
irgendwann nach gekommen.“<br />
„Richard ... Wie geht es ihm? Und wie geht es Samuel und Jacob? Und Kate, Jack ...<br />
Wo sind sie alle?“<br />
Jim erklärte:<br />
„Sie sind alle erst mal hier. Sie haben sich auf die Häuser verteilt, sind ja genug da. In<br />
einigen Hütten ist es n bisschen voll, aber was soll‟s. Ist ja nicht von Dauer.“<br />
Ich stutzte.<br />
„Wieso nicht von Dauer?“<br />
Jim lachte ironisch.<br />
„Na, wir wollen doch wohl schnellstens alle hier weg.“<br />
Ich nickte langsam.<br />
„Wo seid ihr überhaupt so plötzlich her gekommen?“<br />
Mein Vater schmunzelte.<br />
„Dein Großvater hat mir gegenüber mal erwähnt, dass es von der Stab-Station zur<br />
Statue einen geheimen Gang gibt. <strong>Der</strong> wurde vor langer Zeit für Jacob als Fluchtmöglichkeit<br />
angelegt, verstehst du? Nachdem die Dharma-Leute weg waren. Das fiel mir glücklicherweise<br />
ein. Jim und ich sind zusammen mit Daniel, Kate und Miles sowie zwei unserer Leute durch<br />
diesen Gang geturnt und kamen gerade in dem Moment in Jacobs Wohnbereich an, als Ben<br />
dir das Messer in ...“<br />
kalt.<br />
Er verstummte und schüttelte sich.<br />
„Wer hat ihn erschossen?“, fragte ich hasserfüllt.<br />
„Jim. Und wenn er es nicht getan hätte, hätte ich es gemacht.“, erklärte mein Vater<br />
Ich sah Jim dankbar an.<br />
„Wir haben eine Fehler gemacht, als wir ihm das Leben retteten.“, sagte ich leise.<br />
„Ja, wir haben ihn erst zu dem gemacht, was er war. Naja, nun ist der Mistkerl<br />
Geschichte. Und auch Samuel ist Geschichte.“<br />
- 440 -
Ich trank meinen Kaffee aus und bat:<br />
By<br />
Frauke Feind<br />
„Ich würde gerne Duschen, falls das möglich ist. Und ich brauche nicht im Bett zu<br />
liegen, okay. Mir geht es wirklich gut.“<br />
Knurrig wurde mir erlaubt, aufzustehen.<br />
„Ich komm mit, dass ist dir wohl klar, oder?“, erklärte Jim bestimmt.<br />
Lächelnd nickte ich.<br />
„Ohne dich würde ich nicht gehen.“<br />
Mein Vater nahm uns die leeren Tassen ab und trug das Tablett in die Küche. Ich<br />
stand vorsichtig auf und Jim legte einen Arm um <strong>mich</strong>.<br />
„Komm, mein Schatz, ich werd dich abseifen.“, erklärte er grinsend.<br />
Er führte <strong>mich</strong> in ein Badezimmer das sehr ähnlich dem war, welches es in meinem<br />
Haus gegeben hatte. Hier streifte ich mir das T-Shirt über den Kopf und löste vorsichtig den<br />
Verband über der Wunde. Ich war erstaunt, wie gut diese verheilt war.<br />
staunt.<br />
„Da ist ja kaum noch was zu sehen!“, stieß auch Jim verwirrt hervor.<br />
„Offensichtlich profitierst nicht nur du von den Heilkräften der Insel.“, meinte ich er-<br />
Sekunden später standen wir unter dem warmen Wasserstrahl. Jim machte sein Ver-<br />
sprechen war und seifte <strong>mich</strong> gründlich ein. Dann wusch er mir die Haare. Zwanzig Minuten<br />
später stand ich vor dem Schrank im Schlafzimmer und starrte verblüfft auf einige saubere,<br />
wenn auch altmodische Kleidungsstücke. Mehrere Jeans lagen dort, T-Shirts, Blusen, einige<br />
kurze Röcke hingen auf Kleiderbügeln, sogar zwei oder drei Kleider gab es. Alles im Stil der<br />
siebziger Jahre. Erst jetzt fiel mir auch auf, dass Jim ebenfalls Kleidungsstücke aus der<br />
Flower Power Zeit trug. Ich zuckte die Schultern, griff mir ein leichtes Kleid mit vielen<br />
Rüschen in lila Blumenmuster und schlüpfte in BH und Slip. Nun zog ich das Kleid an. Jim<br />
grinste breit, als er <strong>mich</strong> sah.<br />
„Ist n Tick zu weit, aber es geht.“<br />
Er zog <strong>mich</strong> an sich und seine Lippen küssten meine Stirn, meine Augen, meine<br />
Wangen, meine Lippen. Minutenlang. So lange, dass mir die Luft weg blieb.<br />
Wir gingen zusammen auf die Terrasse hinaus. Und nun sah ich auch, dass wir im<br />
Haus von Horace und Amy waren. Mein Vater saß auf einem bequemen Stuhl und hatte uns<br />
auch Stühle bereit gestellt. Wir setzten uns zu ihm und wurden von einigen vorbeikommenden<br />
Leuten begrüßt. Plötzlich sahen wir Kate und Jack vorbei gehen. Sie waren in Begleitung von<br />
Sun und Jin und begrüßten uns freundlich.<br />
„Jack, vielen Dank, dass du <strong>mich</strong> verarztet hast. Jetzt sind wir Quitt.“<br />
Jack nickte.<br />
„War mir ein Vergnügen. Schön, dass du wieder auf den Beinen bist.“<br />
<strong>Der</strong> Arzt sah Jim an.<br />
„Heute Nachmittag ist Versammlung im Schulgebäude. Um 15 Uhr, okay.“<br />
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Frauke Feind<br />
Jim nickte. Mir jedoch lief eine Gänsehaut über den Rücken. Das letzte Mal, als wir<br />
dort zu einer Versammlung gerufen worden waren, hatte man Jim, Sayid und Kate zum Tode<br />
verurteilt. Jim schien meine Gedanken zu ahnen. Er warf mir einen beruhigenden Blick zu<br />
und sagte:<br />
„Hey, Kleines, heut wird uns keiner zum Tode verurteilen, okay?“<br />
Ich tastete nach seiner Hand du drückte diese fest.<br />
„Ich weiß. Es sind nur nicht die schönsten Erinnerungen, die ich an diesen Ort habe.“<br />
Jim nickte.<br />
„Die haben wir alle nicht, jedenfalls nicht vom Ende.“<br />
Wir saßen bis kurz vor 15 Uhr zusammen auf der Terrasse, unterhielten uns. Mein<br />
Vater und ich hatten uns natürlich unglaublich vieles zu erzählen. Ich erfuhr, warum meine<br />
Mutter mit mir von der Insel verschwunden war. Dass mein Vater verzweifelt versucht hatte,<br />
sie und <strong>mich</strong> aufzutreiben. Dass er in ständigem Kontakt mit meinem Großvater gestanden<br />
hatte. All das war neu für <strong>mich</strong>. Im Gegenzug berichtete ich ihm von meinem Leben, als<br />
meine Mutter noch gelebt hatte, später von meiner Stiefmutter, von meinem begonnenen<br />
Studium, vom Tod meiner Stiefmutter und meinem Umzug nach Wright. Und in diesem Zu-<br />
sammenhang fiel mir ein, dass wir noch immer nicht wussten, wer damals die Typen auf Jim<br />
gehetzt hatte. Ich fragte meinen Vater und er meinte: „Ich würde denken, es war Ben. Aber<br />
sicher bin ich mir da nicht. Charles ist nicht weniger durch geknallt, nur anders. Sein wir froh,<br />
dass es nicht geklappt hat.“<br />
Schließlich mussten wir uns auf den Weg zum Schulgebäude machen. Jim legte<br />
fürsorglich den Arm um <strong>mich</strong> und führte <strong>mich</strong> so zum Haus Nummer 8 hinüber. Die meisten<br />
Plätze in der kleinen Aula waren schon belegt, aber wir hatten trotzdem keine Schwierig-<br />
keiten, noch drei freie Stühle zu finden. Ich sah <strong>mich</strong> um. Kate und Jack waren da, Jin und<br />
Sun, Miles, Hurley, Daniel, Sayid, Ilana und ihre Männer, und viele unbekannte Gesichter,<br />
die wohl zu Richard gehören mussten. Insgesamt vielleicht dreißig Menschen. Wir wurden<br />
immer wieder freundlich begrüßt und schließlich ging die Tür zu der kleinen Empore der<br />
Aula auf und Richard und Jacob traten heraus. Jim stutzte, dann sagte er erstaunt:<br />
„Das ist Jacob? Ich kenn den Mann!“<br />
Erstaunt fragte ich:<br />
„Woher denn das?“<br />
Jim atmete tief durch.<br />
„Von der Beerdigung meiner Eltern ... Er war da. Er gab mir den Kugelschreiber, mit<br />
dem ich den Brief an Sawyer fertig schrieb.“<br />
wie Jim.<br />
Ich hörte hinter uns Kate und Jack und auch Jin und Sun erstaunt das Gleiche sagen<br />
„Ich kenne den Typen.“<br />
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Und auch Hurley stieß erstaunt hervor:<br />
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Frauke Feind<br />
„Alter, wir haben uns in der Taxe vorm Knast gesehen.“<br />
Richard war es, der anfing zu Reden.<br />
39) Abschied<br />
„Jack, ich möchte <strong>mich</strong> bei dir bedanken, dass du mir das Leben gerettet hast. Was<br />
passiert ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wir alle haben schlimme Zeiten durch ge-<br />
macht. Viele von euch haben alles riskiert, um alles zum Guten zu wenden. Ich möchte euch<br />
allen jetzt Jacob vorstellen. Die wenigsten von euch kennen ihn.“<br />
Jacob, der noch ein wenig zittrig wirkte, stand auf und sah uns alle an.<br />
„Viele von euch kennen <strong>mich</strong> nur von seltsamen Anweisungen, die Benjamin an euch<br />
weiter gegeben hat. Keiner von euch hat <strong>mich</strong> je persönlich kennen gelernt. Aber es gibt <strong>mich</strong><br />
wirklich. Wir müssen heute hier vieles klären. Ihr habt alle eine Menge Fragen an <strong>mich</strong>,<br />
nehme ich an. Doch erst einmal möchte ich <strong>mich</strong> bei meiner Lebensretterin bedanken.“<br />
Er sah <strong>mich</strong> direkt an und fuhr fort:<br />
„Kelly, du hast durch dein selbstloses Eingreifen verhindert, dass Benjamin sein Vor-<br />
haben erfolgreich beenden konnte. Ich stehe tief in deiner Schuld. Wenn du einen Wunsch<br />
hast, lasse es <strong>mich</strong> bitte wissen. Und nun beantworte ich euch gerne eure Fragen.“<br />
fragte kalt:<br />
Jim war es, der als erstes den Mund aufmachte. Er sah Jacob herausfordernd an und<br />
„Warum hast du uns das alles angetan? Warum hast du uns in diese beschissene Zeit-<br />
schleife gesteckt? Warum, verdammt noch mal?“<br />
Jacob hörte sich die leidenschaftlichen Worte an und seufzte.<br />
„Was ihr alle durchmachen musstet ist fast mehr als mancher ertragen kann. Ihr habt<br />
die Hölle erlebt und habt allen Grund, <strong>mich</strong> zu hassen und verfluchen. Ich werde meine ge-<br />
rechte Strafe erhalten, sobald ich hier alles geklärt habe. Apophis und ich selbst stehen schon<br />
seit Urzeiten in ständigem Streit mit einander. Schließlich wurden wir auf diese Insel verbannt<br />
und bekamen Maat als Mittler zugeteilt. Er übernahm diese Aufgabe freiwillig. Viele Zeitalter<br />
war die Insel geschützt, niemand konnte sie finden. Apophis und ich langweilten uns zu Tode.<br />
Dann aber gelang es mir endlich, den Schutz der Insel solange zu durchbrechen, dass ein<br />
Schiff den Weg hierher finden konnte. Viele von euch wissen, welches Schiff ich meine.“<br />
Jim meinte laut: „<br />
Die Black Rock, nehm ich an.“<br />
Jacob nickte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Ja, und mit ihr kamen Menschen auf die Insel. Sie liefen hier auf Grund und bildeten<br />
schnell zwei Gruppen. Dank Apophis, dem es gelang, einige von ihnen auf seine Seite zu<br />
ziehen, fingen sie an, sich zu bekämpfen. Wir hatten gewettet, dass sie nicht lange friedlich<br />
miteinander leben würden. Apophis setzte auf Kampf, ich auf friedliches Nebeneinander.<br />
Apophis gewann. Und so kam unser Wettstreit erst richtig in Schwung. Schon lange vor<br />
diesem Zeitpunkt beschloss Apophis, <strong>mich</strong> zu Töten. Da wir uns nicht gegenseitig umbringen<br />
konnten, schmiedete er einen sehr aufwendigen Plan, der erst nach vielen Anläufen gelang.<br />
Immer wieder machtet ihr seine Pläne zunichte, in dem ihr die Bombe zündetet. Was ich auch<br />
versuchte, letztlich entschiedet ihr euch immer für den gleichen Weg.“<br />
Einen Moment musterte er uns alle still. Dann fuhr er fort:<br />
„Lars Hanso bemerkte schließlich, was vor ging. Er spürte, dass hier etwas nicht<br />
normal lief. Es gelang ihm, die Insel zu verlassen, sorgte dafür, dass seine Schwiegertochter<br />
und seine Enkelin mit ihm gingen und wir konnten ihn lange Jahre nicht finden. Er hatte seine<br />
Spur gut verwischt. Da er wusste, dass hier eine Zeitschleife lief, traf er Vorkehrungen, um<br />
dabei zu helfen, diese zu durchbrechen. Er wusste, dass seine Enkelin die Kraft in sich trug,<br />
alles zu verändern. Er sorgte dafür, dass sein Name ins Spiel kam, wie, ist auch mir nicht klar.<br />
Aber auch euch gelang es viele Jahre nicht, ihn aufzufinden. Erst James schaffte es schließ-<br />
lich, die einzige lebende Person zu finden, die in der Lage war, eure Handlungsweise soweit<br />
zu verändern, dass es auf ein anderes Ende hinaus lief: Kelly, Lars Enkelin. In dem Moment,<br />
als sie auf der Insel ankam, wusste ich, dass ihr wirklich gerettet seid. Aber auch Apophis war<br />
dies klar. Er warf seine letzten Trümpfe ins Spiel und bemächtigte sich endlich des toten<br />
Körpers eures Freundes John Locke. Und das Ende kennt ihr nun. Die Zeitschleife wurde end-<br />
lich durchbrochen. Apophis konnte vernichtet werden, ich werde an einen Ort verbannt, den<br />
kein lebender Mensch mehr erreichen kann und werde in Vergessenheit geraten. Maat, den ihr<br />
als Richard kennt, hat sich entschieden, hier auf der Insel zu bleiben. Er wird nun ganz normal<br />
altern und irgendwann sterben. Und ihr könnt wählen, was ihr gerne möchtet: Hier bleiben<br />
oder in euer Leben außerhalb der Insel zurück kehren.“<br />
Fassungslos hatten wir Jacobs Worten gelauscht. Apophis ... Maat ... Ich kannte diese<br />
Namen, hatte über sie gehört, als meine Freundin in DC studiert hatte. Ägyptische Götter. Ein<br />
leicht hysterisches Kichern stieg mir in die Kehle. Mühsam kämpfte ich es nieder. Stattdessen<br />
fragte ich:<br />
„Was war der Rauch? Warum konnte ich ihn aufhalten?“<br />
Jacob sah <strong>mich</strong> an.<br />
„Er ist quasi die Sichtbarmachung unserer Macht. Und es lag in deiner Macht, ihn auf-<br />
zuhalten, weil du in dem Moment Aton als Gefäß dientest. Du weißt, wer Aton ist. Du hast<br />
unsere Macht ein für alle Mal vernichtet. In diese Zeit passt sie nicht mehr. Sie war uns dien-<br />
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Frauke Feind<br />
lich, doch nun ist es vorbei. Mit dem Rauch verschwinde auch ich für immer von der Erde.<br />
Eines jedoch kann ich noch für dich tun, was immer es auch sein mag.“<br />
Ich wusste, was ich von ihm wollte.<br />
„Die Heilkräfte der Insel, sind sie an euch gebunden?“<br />
Jacob schüttelte den Kopf.<br />
„Nicht ausschließlich. Sie werden fort bestehen, auch wenn Apophis und ich schon<br />
lange in Vergessenheit geraten sind. Aber sie dürfen nicht in die falschen Hände geraten.<br />
Sollte je an die Öffentlichkeit dringen, was diese Insel für Kräfte birgt, werden sie aufhören<br />
zu existieren und die Insel wird jeglicher Macht beraubt werden.“<br />
Ich nickte verstehend.<br />
„Und wirken die Kräfte über die Insel hinaus fort?“<br />
Jim wusste plötzlich, worauf ich hinaus wollte. Er versuchte, etwas zu sagen, wurde<br />
aber von Jacob unterbrochen.<br />
„Nein, Kelly, das tun sie nicht. Sie wirken hier. Und nur hier.“<br />
„Dann lautet mein Wunsch an dich, die Insel für eine gewisse Zeit verlassen zu dürfen,<br />
mein Studium zu beenden und als vollwertige Ärztin zurück zu kehren.“, erklärte ich fest.<br />
Jacob lächelte.<br />
„Ihr alle werdet immer auf die Insel zurück kehren können, wenn ihr es wünscht.<br />
Richard wird das weiterhin ermöglichen. Wer von euch möchte hier bleiben?“<br />
Alle aus Richards Gruppe hoben sofort die Hand, ebenso Miles und Daniel. Sie waren<br />
beide hier geboren worden, es war kein Wunder, dass sie den Wunsch hatten, zu bleiben. Dass<br />
ich bleiben wollte, hatte ich ja bereits gesagt. Kate, Jack, Jin, Hurley, Sayid, Sun und Frank<br />
schüttelten die Köpfe.<br />
„Niemals, Alter.“, brachte Hurley auf den Punkt, was in ihnen vor ging.<br />
Jacob nickte.<br />
„Ich kann verstehen, dass ihr nur den einen Wunsch habt, hier fort zu kommen. Kelly,<br />
warum ist es dein Wunsch, auf der Insel zu bleiben?“<br />
„Das ist es nicht. Sie macht das nur für <strong>mich</strong>. Vergiss es, Kelly, du wirst hier nicht den<br />
Rest deines Lebens versauern! Wir hauen auch ab.“<br />
Kopf.<br />
Jim hatte sich nicht mehr zurück halten können. Ich sah ihn an und schüttelte den<br />
„Nein, das werden wir nicht. Dein Tumor ...“<br />
„Vergiss das Scheißding, Kelly, ich werd nicht die Schuld daran haben, dass du ...“<br />
Jetzt war es an mir, Jim zu unterbrechen.<br />
„Baby, du hast gehört, was Jacob gesagt hat. <strong>Der</strong> Tumor wird zurück kehren, wenn du<br />
die Insel verlässt.“<br />
ein.<br />
Bevor unsere hitzige Debatte zu einem Streit auswachsen konnte, mischte Jacob sich<br />
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Frauke Feind<br />
„Kelly, du hast mein Leben gerettet, wenn es dein Wunsch ist, kann ich es dir ver-<br />
gelten, in dem ich Jims Leben rette. Wenn es nur deine Sorge um ihn ist, die dich hier auf der<br />
Insel hält, kann ich dir diese Sorge nehmen. Das war es, was ich meinte, als ich dich auf-<br />
forderte, einen Wunsch zu äußern.“<br />
Ich starrte Jacob verblüfft an.<br />
„Ich dachte, deine Macht sei gebrochen ...“, stotterte ich verwirrt.<br />
„Das ist sie. Aber dieses Eine kann ich noch für dich tun. Du und James, ihr könnte die<br />
Insel gefahrlos verlassen, sein Tumor wird nie zurück kehren.“<br />
Ich sah Jim an und im nächsten Moment lagen wir uns in den Armen. Unter Freuden-<br />
tränen stotterte ich:<br />
„Wo ist die nächste Maschine nach LA?“<br />
************<br />
„Es wird Zeit, Freunde, seid ihr bereit?“<br />
Frank stand vor uns und sah uns der Reihe nach an. Alle nickten.<br />
„Dann nichts wie weg hier und auf Nimmerwiedersehen.“, sagte der Pilot in brünstig.<br />
Er verschwand in der Kanzel und schloss die Tür hinter sich. Ich klammerte <strong>mich</strong> an<br />
Jim und hielt unwillkürlich die Luft an, als die Motoren aufheulten und die Maschine sich in<br />
Bewegung setzte. Wir hatten nur eine ziemlich kurze Startbahn, doch es reichte. Wir alle<br />
hatten in den vergangenen Tagen Wunder vollbracht. Die Maschine, mit der Frank und die<br />
Anderen auf Hydra gelandet waren, war nicht schwer beschädigt. Gemeinsam war es ge-<br />
lungen, die wenigen defekten Teile zu Reparieren. Und der Rest von uns hatte Schwerstarbeit<br />
an einer kleinen Startbahn geleistet. Neben den überlebenden Passagieren, die auf Hydra ge-<br />
blieben waren, hatten auch Richards Leute geholfen und gemeinsam war es uns gelungen,<br />
eine Startbahn quasi aus dem Boden zu stampfen. Und nun saßen wir in der Maschine und<br />
hofften, dass der Fluch der Insel uns endlich los lassen würde.<br />
Ich konnte den Ruck spüren, als die Reifen den Bodenkontakt<br />
verloren und dann waren wir in der Luft. Es war kaum zu<br />
glauben. Schnell lag Hydra Island hinter uns und wir konnten<br />
im Steigen einen letzten Blick auf Dharmaville werfen, wo von<br />
nun an Richard und seine Leute wohnen würden. Glücklich sahen wir aus dem Fenster. Wir<br />
schwebten wirklich davon, unter uns wurde die Insel schnell kleiner. Ken, der rechts neben<br />
mir saß, grinste.<br />
„Hey, Fliegen ist ... wow!“<br />
Ich lachte befreit auf.<br />
„Ja, wenn die Dinger in der Luft bleiben. Bist du immer noch sicher, das Richtige ge-<br />
tan zu haben, Dad?“<br />
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Frauke Feind<br />
Mein Vater griff nach meiner Hand und drückte diese sanft.<br />
„Kleines, ich war mir in meinem ganzen Leben nur einer Sache genauso sicher, und<br />
das war die, deine Mutter zu heiraten. Ich habe achtundzwanzig Jahre deines Lebens verpasst,<br />
und werde, das schwöre ich bei Aton ...“ Er grinste vergnügt. „... keinen einzigen weiteren<br />
Tag verpassen.“<br />
Aton. Wir alle hatten in den vergangenen Tagen so viel über die Geschehnisse ge-<br />
sprochen, doch wirklich begreifen konnten wir sie wohl alle nicht. Besonders Jack hatte er-<br />
hebliche Schwierigkeiten gehabt, sich mit der Tatsache abzufinden, dass wir es ganz offen-<br />
sichtlich mit wahrhaftigen Göttern zu tun gehabt hatten. Nachdem Jacob mir versichert hatte,<br />
dass Jim nicht mit einer Rückkehr des Tumors rechnen brauchte, hatte er sich noch einmal bei<br />
uns allen entschuldigt. Und dann ... Es war schwer zu fassen gewesen, aber wir hatten es alle<br />
mit eigenen Augen gesehen, war er von einer Sekunde zur anderen einfach verschwunden<br />
gewesen. Weg. Als hätte es ihn nie gegeben. Fassungsloses Schweigen hatte geherrscht, doch<br />
nicht für lange. Plötzlich hatten wir alle wild durcheinander geredet und unzählige Fragen<br />
waren auf Richard nieder geprasselt. Doch auch er konnte lange nicht alle beantworten.<br />
Vieles, was von der Insel selbst ausging, entzog sich auch seiner Kenntnis. Jedoch konnte er<br />
uns erklären, dass das seltsame Erscheinen verstorbener Personen von Apophis gesteuert ge-<br />
wesen war. In diesem Zusammenhang erfuhren wir nun auch, dass Juliet ebenfalls nicht mehr<br />
lebte. Das war ein Schock für Jim und <strong>mich</strong> gewesen. Sie war an Land gegangen und hatte<br />
sich auf Tahiti, in Papeete, an die Botschaft der Vereinigten Staaten gewendet, um Papiere für<br />
die Rückreise in die USA zu bekommen. Dort war sie von einem betrunkenen Autofahrer<br />
erfasst worden, der bei dem Unfall selbst auch ums Leben kam. Das war also der Grund ge-<br />
wesen, warum sie uns 1971 hatte erscheinen können. Jim war sehr betroffen gewesen, doch<br />
Richard hatte ruhig erklärt:<br />
„Anscheinend war es nicht vom Schicksal vorgesehen, dass sie weiter leben sollte.<br />
Gegen unser Schicksal können wir nichts machen.“<br />
An diese Worte dachte ich komischerweise, als die Insel unter uns im Meer ver-<br />
schwand und wir auf LA zu flogen. Unser Schicksal war es offensichtlich nicht gewesen, dort<br />
zu bleiben. Ich wäre geblieben, wenn ich damit Jims Leben gerettet hätte. Doch ich musste<br />
zugeben, dass es mir so erheblich lieber war. Wir würden in die Zivilisation zurück kehren.<br />
Wir hatten uns eine plausible Geschichte ausgedacht, wohin die Maschine solange ver-<br />
schwunden gewesen war und hofften, dass man sie uns abkaufen würde. Dass provisorische<br />
Reparaturen an ihr ausgeführt worden waren war nicht zu übersehen. Ich sah Jim an und sagte<br />
leise:<br />
„Ich kann es kaum erwarten, nachhause zu kommen. Und du wirst endlich sesshaft<br />
werden. Wirst du das überhaupt aushalten?“<br />
Er lachte.<br />
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Frauke Feind<br />
„Und wie. Aber werden Ken und ich in Wright und Umgebung überhaupt ne Chance<br />
haben, Arbeit zu finden?“<br />
„Naja, in Wright sicher nicht, aber in Beckley oder Posperity wird sich schon etwas<br />
finden lassen.“<br />
Jim sah zu meinem Vater hinüber.<br />
„Was denkst du, wir werden nen Job finden, oder? Und sonst lassen wir uns eben von<br />
Kelly aushalten. Wenn sie erst Ärztin ist, wird sie genug verdienen, um uns beide zu er-<br />
nähren.“ Er sah <strong>mich</strong> verliebt an und sagte er leise: „Doktor Kelly Ford, hört sich doch gut an,<br />
oder?“<br />
gerne ...“<br />
Ich sah Devon an.<br />
************<br />
Prolog<br />
„Macht ihr sie zu? Jim hat heute seine letzte Prüfung, davon hängt alles ab. Ich wäre<br />
Devon lachte.<br />
„Du wärest gerne dabei, ist mir klar. Jimmy wird das schon machen, da bin ich sicher.<br />
Er hat ja alle anderen Prüfungen auch mit Bravour bestanden. Warum sollte er gerade bei der<br />
Letzten patzen?“<br />
Ich spürte, dass ich rot wurde.<br />
„Ich weiß ja, aber ... Wenn er es schafft, wird er ab Morgen den Rettungshubschrauber<br />
fliegen, Definitiv. Ich bin derart nervös, du glaubst es nicht. Ich habe ihn glaube ich in den<br />
letzten Tagen wahnsinnig gemacht.“<br />
Die Kollegin schüttelte lachend den Kopf.<br />
„Na, hau schon ab, wir kommen hier jetzt auch ohne dich klar. Grüß Jimmy schön. Ich<br />
drücke die Daumen!“<br />
Dankbar legte ich die Nadel, die ich schon in der Hand hielt, auf das OP-Tablett und<br />
eilte aus dem Raum. Die Patientin, der wir eine künstliche Hüfte eingesetzt hatten, war bei<br />
Devon und dem Team in besten Händen, das wusste ich. Ich eilte in den Umkleideraum, stieg<br />
aus den blutverschmierten Kleidungsstücken und warf diese in den Wäschekorb. Dann hetzte<br />
ich in mein Büro hinüber. Bevor ich nämlich für heute Schluss machen konnte, musste ich<br />
noch zwei Termine für OPs am kommenden Tag bestätigen. Ich sank etwas müde hinter<br />
meinen Schreibtisch und schaltete meinen Monitor ein. Schnell überblickte ich meinen<br />
Terminkalender und teilte dann die beiden Operationen für 11 und 14.30 Uhr ein. Dann wollte<br />
ich <strong>mich</strong> verdrücken. Doch das Telefon machte mir einen Strich durch die Rechnung.<br />
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„Ja?“<br />
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Frauke Feind<br />
Am anderen Ende erkannte ich sofort die Stimme Doktor Emerson Keenans. Er war<br />
der Leiter des Raleigh General hier in Beckley.<br />
klappt?“<br />
„Dr. Ford, gut, dass ich Sie noch erwische. Wie geht es Mrs. Madson? Hat alles ge-<br />
Ich verdrehte genervt die Augen. Hastig erwiderte ich:<br />
„Dr. Keenan, welch <strong>Über</strong>raschung. Ja, mit Mrs. Madson hat alles geklappt, sie wird in<br />
Kürze wieder Tanzen können.“<br />
Mein Chef atmete auf, das war selbst am Telefon zu hören.<br />
„Das ist sehr erfreulich. Nun, so ist es mir ein ganz besonderes Vergnügen, Ihnen auch<br />
eine Freude machen zu können. Dr. Ford, wir haben einen neuen Piloten für den Medicopter.<br />
Ihr Mann hat gerade seinen Vertrag unterschrieben.“<br />
herrschen.<br />
Fast hätte ich laut los gejubelt. Im letzten Moment erst gelang es mir, <strong>mich</strong> zu be-<br />
„Oh, das ist großartig!“, brachte ich mühsam hervor. „Er wartet am Hangar auf Sie,<br />
Dr. Ford. Sie werden sicher schnell zu ihm wollen.“<br />
Plan.“<br />
- Allerdings, aber du Trottel hältst <strong>mich</strong> ja hier am Telefon auf. -<br />
schoss mir durch den Kopf. Höflich sagte ich jedoch:<br />
„Ich würde gerne Feierabend machen, Sir. Morgen habe ich fünf Operationen auf dem<br />
Ich hörte den Klinikleiter lachen.<br />
„Warum sitzen Sie dann noch an ihrem Schreibtisch?“<br />
Hätte ich gekonnt, ich hätte den Mann durch die Telefonleitung erwürgt.<br />
„Ich bin schon weg, Sir.“, erklärte ich und legte einfach auf.<br />
Endlich sprintete ich aus meinem Büro und legte den Weg bis zum Hangar fast im<br />
Laufschritt zurück.<br />
Vor der Halle, in dem der Medicopter unter gebracht war, sah ich Jim mit einem der<br />
Mechaniker stehen und sich mit diesem unterhalten. Er sah <strong>mich</strong> kommen und strahlte.<br />
„Da bist du ja endlich.“<br />
Lachend fing er <strong>mich</strong> auf und wirbelte <strong>mich</strong> im Kreis herum.<br />
„Du hast es geschafft.“, rief ich begeistert.<br />
Jim nickte.<br />
„Dank Frank. Wenn er <strong>mich</strong> nicht so durch die Theorie getreten hätte, wäre ich wohl<br />
nicht klar gekommen.“<br />
holfen hatte.<br />
Ich dachte voller Dankbarkeit an Frank Lapidus, der Jim wirklich nach Kräften ge-<br />
„Komm, lass uns nachhause fahren, Ken wartet schon auf uns.“<br />
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Frauke Feind<br />
Wir verabschiedeten uns bei dem Mechaniker und schlenderten Arm in Arm zu Jims<br />
Wagen, der auf dem kleinen Parkplatz des Hangars stand. Als wir im Wagen saßen meinte<br />
Jim:<br />
„Jetzt haben wir es wirklich geschafft, Babe. Du bist die beste Chirurgin, die das<br />
Raleigh General bekommen konnte und nun haben sie auch den besten Piloten für ihren<br />
Medicopter.“<br />
Ich grinste.<br />
„Ja, deine Bescheidenheit hat sich schon immer wirklich in Grenzen gehalten.“<br />
Jim lachte fröhlich.<br />
„Was denn, bin ich nicht der Beste?“<br />
Er musste sich ein wenig auf den Verkehr konzentrieren, denn auf der 41 war um diese<br />
Zeit eine Menge Feierabendverkehr. Doch schnell blieb dieser hinter uns zurück, als wir<br />
Beckley verlassen hatten.<br />
Knappe zwanzig Minuten später fuhr Jim bereits auf die Auffahrt zu unserem Haus. Er<br />
hupte und Sekunden später wurde schon die Haustür aufgerissen und Timmy, gefolgt von<br />
meinem Dad kamen auf uns zu. Timmy rannte, so schnell ihn seine Beine trugen und ließ sich<br />
kichernd von Jim auffangen.<br />
„Daddy. Du bist jetzt ein Pilot!“, krähte er vergnügt.<br />
Mein Vater hatte uns auch erreicht und gratulierte Jim herzlich.<br />
„Mein Junge, das hast du großartig gemacht. So ist mein Job als Nanny ja auf lange<br />
Sicht gerettet.“<br />
Ich lachte.<br />
„Ja, Dad, das ist er. Allerdings wirst du in absehbarer Zeit doppelt so viel Arbeit<br />
haben.“, erklärte ich glücklich.<br />
blendet hätte.<br />
Jim setzte Timmy ab und drehte sich zu mir herum.<br />
„Wie jetzt?“, fragte er ziemlich blöde.<br />
„Tim wird in einigen Monaten ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen.“<br />
Jims Augen strahlten von einer Sekunde zur anderen so stark, dass es <strong>mich</strong> fast ge-<br />
„Ist nicht dein Ernst. Seit wann weißt du das?“, fragte er unendlich glücklich.<br />
„Seit heute.“, lachte ich.<br />
Jim zog <strong>mich</strong> an sich und küsste <strong>mich</strong> ungeniert. Tim verzog das Gesicht.<br />
„Mum, wann kommt es denn an, das neue Baby?“, wollte er wissen und zog un-<br />
geduldig an meinem Arm.<br />
Ich löste <strong>mich</strong> aus Jims Armen und nahm stattdessen meinen Sohn auf die Arme.<br />
Ernsthaft erklärte ich:<br />
„Das neue Baby, mein Schatz, kommt kurz vor Weihnachten.“<br />
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Frauke Feind<br />
„Das ist praktisch, dann kriegt es gleich Geschenke.“, überlegte Timmy, während wir<br />
ins Haus gingen.<br />
Jim hatte einen Arm um <strong>mich</strong> gelegt und als ich Tim im Wohnzimmer abgesetzt hatte,<br />
zog er <strong>mich</strong> noch einmal an sich.<br />
„Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?“ Ich nickte.<br />
„So sehr, wie ich dich, Honey!“<br />
************<br />
ENDE<br />
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