pdf-download Teil 2 - Magazin Freiheit für Tiere
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warten. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Endlich! Wie lange hatte<br />
ich die Gesellschaft von Artgenossen entbehren müssen. Freudig<br />
erregt setzte ich mich wieder in Trab.<br />
Ich will es kurz machen: Es wurde eine Riesenenttäuschung. Ich<br />
fand meine Artgenossen ohne Schwierigkeiten. Es war keine Kunst,<br />
denn sie waren eingesperrt. Gefangen, hinter Gittern - wie die<br />
Hunde. Um sie herum lärmten eine Menge anderer <strong>Tiere</strong>. <strong>Tiere</strong>, die<br />
ich noch nie gesehen hatte. Auch sie waren mit Gittern, Zäunen<br />
und Mauern umgeben.<br />
Die Wölfe waren zu viert. Als sich mich entdeckten, rannten sie<br />
in ihrem Gefängnis hin und her. Immer zehn Schritte hin und wieder<br />
zurück, hin und zurück. Wie von Sinnen. Dabei flackerte der<br />
Irrsinn in ihren Augen. Mein Gott, es war unerträglich! In rasender<br />
Wut schlug ich meine Zähne in das Gitter, riss und rüttelte, bis mir<br />
die Kiefer schmerzten. Alles umsonst. Es hielt stand. Während ich<br />
tobte und wütete, knurrte und winselte, waren meine Artgenossen<br />
nicht zur Ruhe gekommen. Sie beruhigten sich erst, als ich zähneknirschend<br />
aufgab, meinen Kopf gegen die Gitterstäbe presste und<br />
erschöpft die Augen schloss. Dann aber geschah ein kleines<br />
Wunder. Eine Wölfin löste sich aus der Gruppe und wagte es, mich<br />
zu begrüßen. Sie steckte ihre Nase durch das Gitter und berührte<br />
mich sanft. Sie witterte in mein Fell und stupste in meine Mundwinkel.<br />
Sie leckte mir über die Schnauze und gab ganz leise, zarte<br />
Töne von sich. Ich konnte gar nicht anders, ich musste die Augen<br />
öffnen. Vor mir stand die hübscheste Wölfin, die ich je gesehen<br />
hatte. Klein und zierlich, mit<br />
einem Pelz, der fast so schwarz<br />
war wie die Nacht. Und ihre<br />
Augen! Ganz hell, heller als<br />
Bernstein.<br />
Wenn sie nur nicht dieses irre<br />
Flackern gehabt hätten...<br />
Nachdem wir uns - soweit<br />
das unter diesen unwürdigen<br />
Umständen möglich war -<br />
nach Wolfssitte begrüsst hatten,<br />
begann die junge Wölfin<br />
zu erzählen. Natürlich nicht in<br />
der Menschensprache. Wir<br />
Wölfe haben eine eigene,<br />
ziemlich komplizierte Sprache,<br />
mit der wir alles ausdrücken<br />
können, was uns bewegt. Ich<br />
erfuhr Unglaubliches.<br />
Die kleine, sanfte<br />
Wölfin, die nie ihr<br />
Gefängnis verlassen<br />
hatte, die hinter Gittern<br />
zur Welt gekommen war,<br />
erteilte mir eine Lektion,<br />
an der ich mein Leben<br />
lang kauen werde.<br />
Eine Lektion über die<br />
Gemeinheit und Grausamkeit<br />
der Menschen.<br />
Ich hatte ja keine Ahnung,<br />
dass meine Artgenossen auf der<br />
ganzen Welt verfolgt werden.<br />
Dass sie erschossen und vergiftet<br />
werden. Dass man sie in<br />
Fallen zu Tode quält, nur um<br />
ihnen den Pelz über die Ohren<br />
zu ziehen. Dass man sie aus<br />
ihrer Heimat vertreibt. Dass<br />
man sie in Gefängnisse steckt,<br />
die »Tiergärten« genannt werden,<br />
damit sie von Menschenkindern<br />
bestaunt und begafft<br />
werden können.<br />
Erst dachte ich, sie lügt, die<br />
kleine Wölfin. Woher will sie<br />
das wissen, wenn sie nie ein<br />
richtiges wildes Leben geführt<br />
hatte. Ich war überzeugt, sie<br />
übertreibt, um sich interessant<br />
zu machen oder mir einen<br />
Schrecken einzujagen. Doch so<br />
war es nicht. Leider! Ihre<br />
Erklärung war einfach und<br />
glaubwürdig:<br />
Sie hatte diese schrecklichen<br />
Geschichten von ihrer<br />
Mutter gehört. Die nämlich<br />
war frei geboren und lebte bis<br />
zu ihrer Gefangennahme in<br />
einem fernen, weiten Land. Sie<br />
war ein Wildfang, eine unbezähmbare<br />
Menschenhasserin.<br />
Sie ließ keinen Zweibeiner an<br />
sich heran und zeigte jedem,<br />
der sich ihr näherte, die Zähne.<br />
Kein Zoo - ja, es gibt viele<br />
Namen <strong>für</strong> diese Gefängnisse -<br />
wollte sie haben. Noch nicht<br />
einmal geschenkt. Schließlich<br />
ist sie hier gelandet als Gefährtin<br />
eines alten, halbblinden<br />
Wolfsrüden. Sie vertrug<br />
sich gut mit ihm. Sie stammte<br />
aus seiner Sippe, sprach seine<br />
Sprache und teilte sein<br />
Schicksal. So etwas verbindet<br />
und tröstet. Was ich nicht <strong>für</strong><br />
möglich gehalten hätte: Sie<br />
hat in diesem Loch sogar Junge<br />
zur Welt gebracht! Danach<br />
wurde sie ruhiger und umgänglicher.<br />
Eine ganze Zeit lang war<br />
sie damit beschäftigt, ihre<br />
Kinder großzuziehen. Doch<br />
plötzlich - es war mitten in<br />
einem schneereichen Winter -<br />
muss ihr unbändiger <strong>Freiheit</strong>sdrang<br />
wieder erwacht sein.<br />
Eines Nachts gelang es ihr mit<br />
einem Riesensatz das Gitter<br />
ihres Gefängnisses zu überspringen<br />
und zu entkommen.<br />
Natürlich haben die Zweibeiner<br />
ein Riesentheater gemacht.<br />
Eine ganze Armee war<br />
auf den Beinen, um sie zu<br />
jagen. Man wollte sie wieder<br />
haben - tot oder lebendig.<br />
Umsonst, niemand hat sie je<br />
wiedergesehen.<br />
Kurz nach dem Verschwinden<br />
seiner Gefährtin starb der<br />
alte Wolfsrüde. Nein, es war<br />
nicht Altersschwäche. Er starb<br />
an der Einsamkeit des Herzens.<br />
Eine Todesursache, die bei eingesperrten<br />
<strong>Tiere</strong>n gar nicht so<br />
selten ist. Die Menschen haben<br />
ja keine Ahnung.<br />
Auf meine Frage, warum sie<br />
nicht auch geflohen sei, schüttelte<br />
die kleine Wölfin nur<br />
ihren schönen Kopf. Nach der<br />
Flucht ihrer Mutter wurden die<br />
Gefängnisgitter verstärkt und<br />
erhöht. Kein Wolf - und wäre<br />
er noch so geschickt - kann sie<br />
seitdem überwinden. Was aber<br />
viel schwerer wiegt, Wölfe, die<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>für</strong> <strong>Tiere</strong> - Natur ohne Jagd 121