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(BFAS) zum Artikel "Lehrer müssen nicht geliebt werden"

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Stellungnahme des Bundesverbandes der Freien<br />

Alternativschulen (<strong>BFAS</strong>) <strong>zum</strong> <strong>Artikel</strong> "<strong>Lehrer</strong> <strong>müssen</strong> <strong>nicht</strong><br />

<strong>geliebt</strong> werden" von Gabriele Behler<br />

in der Zeit Nr. 39 vom 23. September 2010<br />

Mit Befremden nahm der Bundesvorstand des Verbandes der Freien<br />

Alternativschulen den <strong>Artikel</strong> von Frau Gabriele Behler „<strong>Lehrer</strong> <strong>müssen</strong><br />

<strong>nicht</strong> <strong>geliebt</strong> werden“ in der Zeit vom 23.9.2010 zur Kenntnis und<br />

möchte sich dazu in einer Stellungnahme äußern.<br />

Es ist zunächst unverständlich, weshalb Frau Behler das Thema der<br />

sexuellen Gewalt an Schulen und Einrichtungen für Kinder und<br />

Jugendliche <strong>zum</strong> Anlass nimmt, eine Abrechnung mit DER<br />

Reformpädagogik vorzunehmen. Es ist in diesem Sinne<br />

missbräuchliche Nutzung einer gesellschaftlichen Realität, deren<br />

Ursachen wohl <strong>nicht</strong> in unterschiedlichen pädagogischen Auffassungen<br />

liegen. Denn sexuelle Gewalt ist immer Ausdruck der Ausnutzung von<br />

Machtverhältnissen. Die Nichtveröffentlichung sexueller Übergriffe an<br />

staatlichen Schulen heißt <strong>nicht</strong>, dass diese dort <strong>nicht</strong> vorkommen.<br />

Während im weiteren Textverlauf kirchliche Einrichtungen unerwähnt<br />

bleiben, klingt es geradezu nach Häme, dass auch eine<br />

reformpädagogische Schule erwischt wurde: die Odenwaldschule. Die<br />

Odenwaldschule ist eine von 21 in der Vereinigung deutscher<br />

Landerziehungsheime verbundenen Internatsschulen, die sich<br />

reformpädagogischen Ideen verpflichtet fühlen.<br />

Die Bezeichnung Reformpädagogik entstand Ende des 19. Anfang des<br />

20. Jahrhunderts und sie richtete ihre Kritik vor allem gegen das<br />

sinnlose „Einpauken“ vom Staat ausgewählter Wissensgebiete, die<br />

methodisch starre Wissensvermittlung und die frühzeitige Trennung der<br />

Heranwachsenden in begabt und unbegabt und damit förderungsfähig<br />

oder eben <strong>nicht</strong>. Zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen der<br />

Reformpädagogik wirkten zu unterschiedlichen Zeiten an<br />

unterschiedlichen Plätzen. Insofern ist es richtig, dass es kein<br />

einheitliches Programm der Reformpädagogik gibt. Trotzdem spricht<br />

Frau Behler stets von DER Reformpädagogik.<br />

1


Der Bundesverband Freier Alternativschulen (<strong>BFAS</strong>) vertritt Schulen,<br />

die in ihren Konzepten wissenschaftliche Erkenntnisse mit<br />

reformpädagogischen Ideen und eigenen Erfahrungen und<br />

Erkenntnissen verbinden. Dabei gibt es selbst innerhalb des Verbandes<br />

eine große Vielfalt der pädagogischen Ausprägungen und<br />

Umsetzungen in der Praxis. Schon dieses breite Spektrum von mehr<br />

als 80 erprobten und funktionierenden Schulen in ganz Deutschland<br />

zeigt, dass Frau Behler mit ihren Generalisierungen über "die<br />

Reformpädagogik" entweder <strong>nicht</strong> weiß, wovon sie schreibt, oder die<br />

Realität <strong>nicht</strong> zur Kenntnis nehmen will, weil sie <strong>nicht</strong> in ihr Bild passt.<br />

Und niemand im Verband nimmt für sich in Anspruch, das allein<br />

"richtige pädagogische Konzept" zu verfolgen oder gar realisiert zu<br />

haben, wie es von Frau Behler behauptet wird.<br />

Trotz der Unterschiede der Schulen im <strong>BFAS</strong> ist ihre pädagogische<br />

Grundlage stets die Frage „Wie kann sich das Kind erfolgreich<br />

entwickeln?“ Alle Schulen sind selbstverwaltete Schulen, die versuchen<br />

Hierarchien und damit einhergehende ungerechte Machtverhältnisse zu<br />

vermeiden. Dabei nimmt das kritische Hinterfragen eigenen<br />

pädagogischen Handelns einen ebenso großen Platz ein wie die<br />

demokratische Mitbestimmung der Heranwachsenden bei der<br />

Entwicklung ihrer Schule. Dieses Recht auf Mitbestimmung erfordert<br />

eine hohe Transparenz des pädagogischen Handelns, wenn immer<br />

Kinder danach fragen. Wer diese Transparenz gleichsetzt mit<br />

Überwältigung der Kinder, verhindert die Entwicklung demokratischer<br />

Strukturen in der Schule. Wenn Kinder ihre <strong>Lehrer</strong>innen mit dem<br />

Vornamen anreden, ist dies Ausdruck gegenseitigen Vertrauens. Nur<br />

wenn Erwachsene diese Form für die Durchsetzung ihrer Interessen<br />

benutzen, entsteht aufgedrängte Vertrautheit und es verwischen die<br />

Grenzen. Achtungsvolle Nähe ist <strong>nicht</strong> zu verwechseln mit physischer<br />

und psychischer Übergriffigkeit. Es geht <strong>nicht</strong> darum, dass <strong>Lehrer</strong><br />

<strong>geliebt</strong> werden sollen, dies ist wohl wahr. Aber es geht um eine<br />

gegenseitige Wertschätzung.<br />

Auch wenn staatliche Schulen reformpädagogische Ansätze<br />

übernehmen, meist in Form bestimmter Didaktiken und<br />

2


Lernmaterialien, entsteht damit <strong>nicht</strong> automatisch eine achtungsvolle<br />

Atmosphäre. Dafür sind die Pädagoginnen nur teilweise verantwortlich.<br />

Schulen sind stets auch gesellschaftspolitische Einrichtungen und<br />

daher heiß umkämpft. Staatliche Schulen sind entsprechend konzipiert.<br />

Sie handeln weiterhin nach dem Grundsatz „Wie muss die Schule sein,<br />

damit die Heranwachsenden das Bestehende erhalten?“ Bildung wird<br />

dabei mit der Anhäufung vorgegebenen Wissens verwechselt.<br />

Selbstbestimmtes Denken, Fühlen und Handeln ist hier nur in engen<br />

Grenzen vorgesehen. Es wäre wünschenswert, Bildung sowohl als<br />

Zukunft sichernd als auch als Selbstzweck zu begreifen.<br />

Im staatlichen Schulsystem wird weiterhin an frühzeitiger Auslese der<br />

Kinder festgehalten und ihre soziale Herkunft und ihr Geschlecht<br />

spielen dabei eine wesentliche Rolle. Schulische Wissensvermittlung<br />

und Kompetenzausbildung an vielen staatlichen Schulen richten sich<br />

nach politischer und wirtschaftlicher Interessenlage und <strong>nicht</strong> nach den<br />

Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder. Sie sind weit entfernt davon,<br />

neutral zu sein. Vielleicht sollte sich der Zorn von Frau Behler eher auf<br />

diesen Aspekt richten. Denn im selektiven staatlichen Schulsystem wird<br />

ein ausgrenzendes Elitebewusstsein auf Kosten Anderer mit allen<br />

Mitteln erhalten. Wir sollten darüber reden, wie Schulen strukturell und<br />

inhaltlich organisiert sein <strong>müssen</strong>, um diesen bestehenden<br />

Ungleichheiten entgegen zu wirken.<br />

Frau Behler ist als Bildungspolitikerin bestimmt oft an die Grenzen des<br />

Veränderungswillens und -könnens und der politischen<br />

Gestaltungsspielräume in Bezug auf die allgemeinbildenden Schulen<br />

gestoßen. Warum richten wir <strong>nicht</strong> gemeinsam unseren Blick auf die<br />

Bedürfnisse der heranwachsenden Generation? Eine wirkliche<br />

gesellschaftspolitische Debatte über demokratische Bildung als<br />

Voraussetzung für eine lebendige Demokratie wartet aus unserer Sicht<br />

darauf, geführt zu werden.<br />

Für Rückfragen steht Ihnen gern Tilmann Kern (Geschäftsführer<br />

<strong>BFAS</strong>) zur Verfügung. Tel.: 030-7009 425 70<br />

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