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Frau sein. Ein Risiko? Auch bei Alkoholismus? - Forel Klinik

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<strong>Frau</strong>enspezifische Abteilung, Tagung vom 15.09.2005<br />

<strong>Frau</strong> <strong>sein</strong>. <strong>Ein</strong> <strong>Risiko</strong>? <strong>Auch</strong> <strong>bei</strong> <strong>Alkoholismus</strong>?<br />

Sonja Ott Seifert, Psychotherapeutin SVG<br />

Thema Abstinenz:<br />

Au<strong>sein</strong>andersetzung mit dem persönlichen Trinkentscheid. <strong>Ein</strong> Fall<strong>bei</strong>spiel<br />

In der <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> gehen wir vom Verständnis einer «Abstinenz gestützten Therapie» aus. Das<br />

heisst: Wir konzeptualisieren die «Abstinenz» nicht als Ziel, sondern als Methode, als ein Mittel,<br />

um ein besseres biopsychosoziales Gleichgewicht erreichen zu können. Bei der Behandlung<br />

geht es zentral um folgende Aufgaben:<br />

• eine Behandlungsmotivation aufzubauen<br />

• die psychische, physische und soziale Stabilisierung zu erreichen<br />

• das Selbstwertgefühl zu stärken,<br />

• die Autonomie zu fördern<br />

• die Beziehung zum eigenen Körper zu verbessern, und das bedeutet auch, körperliche<br />

und/oder sexuelle Gewalterfahrung aufzuar<strong>bei</strong>ten und die Geschlechtsrollenidentität zu reflektieren.<br />

Während in der Vergangenheit <strong>bei</strong> suchtkranken Männern vorrangig die Bereiche Ar<strong>bei</strong>t und<br />

Beruf bear<strong>bei</strong>tet wurden, erachtete man für die Suchttherapie von <strong>Frau</strong>en die Themen Partnerschaft<br />

und Familie als relevant. Nach den Ergebnissen neuerer Studien ist die traditionelle Annahme,<br />

dass die Suchtentwicklung <strong>bei</strong> <strong>Frau</strong>en vorwiegend auf Partnerschaftskonflikte sowie<br />

familiäre Belastungen zurückzuführen sei und <strong>bei</strong> Männern berufliche Schwierigkeiten im Vordergrund<br />

stünden, nicht mehr haltbar.<br />

Nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch in unserer klinischen Praxis sind die Themenbereiche<br />

Selbständigkeit, Abgrenzung und Selbstbehauptung von den Patientinnen genannte Ziele.<br />

<strong>Frau</strong>en leben in vielfältigen Abhängigkeiten. Selbstbestimmung als Therapieziel ist daher als<br />

eine Aufgabe zu sehen, welche über die Unabhängigkeit von Suchtmitteln hinausgeht.<br />

<strong>Ein</strong>e Änderung des Trinkverhaltens oder Abstinenz kann deshalb nur unter gleichzeitiger Berücksichtigung<br />

der genannten Themen und Ziele erreicht werden. Oder anders formuliert: Das<br />

Konsumverhalten als ausschliessliches Erfolgskriterium greift zu kurz. Der Behandlungserfolg<br />

sollte sich eher an der sozialen, psychischen und physischen Gesamtbefindlichkeit<br />

als an einer bestimmten Verhaltensweise orientieren.<br />

Abstinenz bedeutet Enthaltsamkeit, Verzicht. Die Enthaltsamkeit als freie Entscheidung – totale<br />

Abstinenz, begrenzter Verzicht für ca. ein Jahr oder die Entscheidung kontrolliert zu trinken –<br />

sollte dennoch im therapeutischen Setting Raum zur Au<strong>sein</strong>andersetzung finden.<br />

In den gruppentherapeutischen Sitzungen erlebe ich häufig, dass Patientinnen, die sich für eine<br />

totale Abstinenz entschieden haben, andere Patientinnen, die sich in einer ambivalenten Haltung<br />

befinden oder das kontrollierte Trinken favorisieren, heftig attackieren. Da<strong>bei</strong> mögen unterschiedliche<br />

Gründe eine Rolle für dieses Verhalten spielen:<br />

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<strong>Ein</strong>e Patientin <strong>bei</strong>spielsweise, die seit Jahren die Sucht als Zwang und Getrieben<strong>sein</strong> erlebt,<br />

einige Therapie in Anspruch genommen jedoch Rückschläge erlitten hat, und sich nun vor dem<br />

Hintergrund ihrer Erfahrungen für eine definitive Abstinenz entscheidet, reagiert auf Mitpatientinnen,<br />

die in ihrer Ambivalenz gefangen sind, mit Ungeduld und Unverständnis.<br />

Während meiner langjährigen therapeutischen Ar<strong>bei</strong>t in der frauenspezifischen Abteilung<br />

konnte ich viele <strong>Frau</strong>en begleiten, die sich mit den Zusammenhängen ihrer Lebensgeschichte<br />

und ihrer Suchtentwicklung au<strong>sein</strong>andergesetzt haben, und die sich<br />

auch vor der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit dem persönlichen Trinkentscheid nicht gescheut<br />

haben.<br />

<strong>Ein</strong>e dieser <strong>Frau</strong>en möchte ich Ihnen nun vorstellen.<br />

Ich habe eine Patientin ausgewählt, die seit Jahren versucht, ihren Weg aus der Sucht zu gehen,<br />

sich mit der Frage «kontrolliertes Trinken" oder "totale Abstinenz» au<strong>sein</strong>andersetzt,<br />

Rückschläge erleidet, sich mit Unterstützung wieder stabilisieren kann und mutig ihren Weg<br />

geht.<br />

Ich nenne sie <strong>Frau</strong> Schneider: Sie war seit 1996 insgesamt viermal in der <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> hospitalisiert,<br />

zweimal in Ellikon und zweimal in der frauenspezifischen Abteilung in Turbenthal.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider kommt nach der siebten Hospitalisation seit 1992, zum Teil auch per FFE, wegen<br />

Alkoholintoxikation im Februar 1996 erstmals in die <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> auf die damalige Mittelzeitabteilung.<br />

1. Aufenthalt Februar bis Mai 1996:<br />

Bei <strong>Ein</strong>tritt war sie ar<strong>bei</strong>tslos und ohne festen Wohnsitz, die damals fünfjährige Tochter wurde<br />

im September 1996 durch die Vormundschaftsbehörde in einer Pflegefamilie platziert. Kurz vor<br />

<strong>Klinik</strong>eintritt hatte <strong>Frau</strong> Schneider begonnen, wieder vermehrt Kontakt mit ihrem Ex-Ehemann<br />

aufzunehmen, von dem sie seit zwei Jahren geschieden war. Sie plante, mit ihm eine Wohnung<br />

zu suchen und mit dem Kind zusammen zu wohnen.<br />

<strong>Ein</strong>ige Daten zur Lebensgeschichte:<br />

<strong>Frau</strong> Schneider wurde 1969 geboren und ist das ältere von drei Kindern; ein Bruder ist zwei<br />

Jahre jünger, eine Schwester vier Jahre jünger. Aus der Kindheit sind keine Störungen bekannt.<br />

Die Eltern liessen sich nach zehnjähriger Ehe scheiden. Die Patientin erinnerte sich,<br />

dass Alkohol- und Medikamentenprobleme der Mutter den Anlass dazu gaben. Die <strong>bei</strong>den Kinder<br />

wurden der Mutter zugesprochen. Der Vater, ein Schreiner, zog ins Tessin. Er hatte ein<br />

monatliches Besuchsrecht, das er aber nur unregelmässig in Anspruch nahm. Die Mutter,<br />

kaufmännische Angestellte, musste ar<strong>bei</strong>ten gehen und die Kinder waren oft sich selbst oder<br />

Nachbarn überlassen. Als Jugendliche wurde <strong>Frau</strong> Schneider von der Mutter in die Apotheke<br />

geschickt, um ihr Schlaf- und Beruhigungsmittel zu holen. Sie war oft Partnerersatz für die Mutter<br />

und hat von ihr wenig altersentsprechende Zuwendung und Förderung erhalten.<br />

Als 13-Jährige erlitt sie einen schweren Unfall mit Schädelhirntrauma und mehrfachem Beckenbruch.<br />

Sie war über Monate hospitalisiert.<br />

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<strong>Frau</strong> Schneider besuchte die Primar- und Sekundarschule. Die Lehre als kaufmännische Angestellte<br />

sei eine Notlösung gewesen. Sie selbst wäre gerne Krankenschwester geworden.<br />

Nach der Lehre ar<strong>bei</strong>tete sie <strong>bei</strong> verschiedenen Banken in der Buchhaltung und im Personalwesen.<br />

Mit 22 Jahren heiratete sie einen um fünf Jahre älteren Mann. 1991 wurde die Tochter geboren.<br />

1994 erfolgte die Scheidung.<br />

Zum Verlauf des ersten Aufenthaltes in der <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> :<br />

Bezüglich ihrer Therapie- und Lebensziele und dem Kennenlernen der Hintergründe ihrer<br />

Sucht verhielt sie sich hilflos-passiv und reagierte auf Konfrontation mit Rückzug und Trotz,<br />

schwankte zwischen Anpassung und gemeinsamem Suchen nach Lösungen in Bezug auf ihre<br />

Tochter. Es fanden Paargespräche statt. Das Paar lernte sich klarer gegenseitig Unterstützung<br />

zu geben, die Bedürfnisse des anderen zu respektieren.<br />

Zur Austrittssituation:<br />

<strong>Frau</strong> Schneider hatte eine eigene Wohnung gemietet, zusammen mit ihrem Partner. Sie hatte<br />

sich für dreimonatige Abstinenz mit anschliessendem kontrolliertem Trinken an besonderen<br />

Anlässen entschieden.<br />

Sie besuchte die Nachsorgegruppe der <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> sowie <strong>Ein</strong>zel- und Paargespräche <strong>bei</strong> einem<br />

Psychiater.<br />

Der zweite Aufenthalt in der <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> erfolgte von Oktober 1998 bis Februar 1999<br />

Zwischenanamnese: Alkohol<br />

Zwei Wochen nach Austritt war der erste Alkoholkonsum erfolgt, kurze Zeit später erfolgte der<br />

erste Absturz mit Fehlen am Ar<strong>bei</strong>tsplatz. Danach war <strong>Frau</strong> Schneider während drei Monaten<br />

unter Antabus stabil. Wegen Schwangerschaft setzte sie das Antabus ab und war während der<br />

Schwangerschaft und bis vier Monate nach der Geburt des zweiten Kindes stabil. Ab November<br />

1999 trank sie wiederholt während der Abwesenheit des Ehemannes, um Stimmungslöcher<br />

zu füllen, um sich zu beruhigen. Sie entwickelte ambivalente Gefühle dem Mann gegenüber.<br />

Während den Ferien im August 1999 erlebte sie erstmals auch körperliche Gewalt. Seither war<br />

die Paarbeziehung instabil. <strong>Frau</strong> Schneider kann keine konkreten Auslöser für den Rückfall<br />

angeben, trinkt oft in psychisch instabilen Phasen, oft <strong>bei</strong> Allein<strong>sein</strong> und in Überforderungssituationen.<br />

Im Dezember 1997 kam die Tochter wieder in die mütterliche Obhut, im Januar 1998 erfolgte<br />

die Wiederverheiratung mit dem Ex-Mann, im Juli 1998 wurde das zweite Kind geboren. Ab<br />

Januar 1999 erfolgte die Aufhebung der Beistandschaft für die Kinder.<br />

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<strong>Ein</strong>en Monat später wurde sie erneut rückfällig mit Alkohol und Benzodiazepinen. Danach wurde<br />

die Beistandschaft neu installiert. Beide Kinder lebten unter der Woche in verschiedenen<br />

Tagespflegestellen, seit ihrem <strong>Ein</strong>tritt in die <strong>Forel</strong> <strong>Klinik</strong> in einer Pflegefamilie.<br />

Im April 1999 kam es zur elften Hospitalisation in einer psychiatrischen <strong>Klinik</strong>. <strong>Ein</strong>e länger dauernde,<br />

im Gesamtkontext sinnvolle und indizierte, frauenspezifische Behandlung lehnte <strong>Frau</strong><br />

Schneider zu diesem Zeitpunkt entschieden ab.<br />

Zum Verlauf:<br />

<strong>Frau</strong> Schneider zeigte sich klarer in ihrer Behandlungsmotivation, aber eher passiv und ratlos<br />

gegenüber der Beziehung. Kurz nach <strong>Ein</strong>tritt begann sie eine intime Beziehung zu einem Mitpatienten.<br />

Es wurde klar, dass sie diese Beziehung brauchte, um sich zu stabilisieren und den<br />

Mut zu finden, den Ehemann mit ihrer Entscheidung der Trennung zu konfrontieren. Danach<br />

war ihr Verhalten in der Gruppe einerseits von emotionalem Rückzug in die Paarbeziehung<br />

geprägt und anderseits von starken Hochs und Tiefs als Folge der emotionalen Belastung<br />

durch die Trennung.<br />

Nach Austritt im März 2000 war <strong>Frau</strong> Schneider nur wenige Wochen abstinent. Im April begann<br />

sie an einer neuen Ar<strong>bei</strong>tsstelle, die sie am zweiten Tag bereits wieder verlor, da sie betrunken<br />

zur Ar<strong>bei</strong>t erschienen war. Daraufhin erfolgten, wie schon früher, mehrere Tage dauernde Alkoholexzesse<br />

mit völligem Kontrollverlust und Filmrissen. Im Sommer 2000 war sie unter Antabus<br />

abstinent, begann aber vermehrt Dormicum und Stilnox zu konsumieren, die ihr der Freund<br />

besorgt hatte. Im Mai wurde sie wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand aktenkundig, im<br />

November ging die Beziehung zum ehemaligen Patienten in die Brüche.<br />

Im Februar 2001 kam es zur notfallmässigen <strong>Ein</strong>weisung ins Spital wegen Intoxikation mit<br />

Distraneurin und Stilnox.: Die Exzesse traten in immer kürzeren Abständen auf und nahmen<br />

ein noch schwierigeres Ausmass an als früher. Wenn <strong>Frau</strong> Schneider nicht trank, kam es auch<br />

mit Benzodiazepinen zu exzessivem Konsum mit Kontrollverlust. Die Suchtmittel schienen nun<br />

völlig austauschbar. Die Suchtmittelabhängigkeit war als eines von mehreren Symptomen innerhalb<br />

einer komplexen psychischen Störung zu sehen.<br />

Im April 2001 trat <strong>Frau</strong> Schneider in die <strong>Frau</strong>enspezifische Abteilung Turbenthal ein und blieb<br />

dort während sieben Monaten. Die Kinder, die einen Beistand hatten, waren in einer Pflegefamilie<br />

untergebracht. Vom Ehemann lebte sie seit Herbst 1999 getrennt.<br />

Bei <strong>Ein</strong>tritt bestand ein hängiges Verfahren wegen FiaZ (Fahren in angetrunkenem Zustand),<br />

während des <strong>Klinik</strong>aufenthaltes erhielt <strong>Frau</strong> Schneider eine stationäre Massnahme. <strong>Frau</strong><br />

Schneider hatte zwischenzeitlich wieder Kontakt zum Ehemann aufgenommen. In Paargesprächen<br />

äusserten <strong>bei</strong>de Partner den Wunsch und die Absicht, längerfristig wieder als Familie<br />

leben zu wollen.<br />

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<strong>Frau</strong> Schneider engagierte sich in hohem Mass für den Kontakt zu ihren Kindern. Das Vertrauensverhältnis<br />

der Kinder zur Mutter konnte während des siebenmonatigen Aufenthaltes sukzessive<br />

wieder aufgebaut und stabilisiert werden. Dies bestätigten sowohl die Beiständin der<br />

Kinder als auch die Pflegeeltern.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider hatte während des <strong>Klinik</strong>aufenthaltes an psychischer Stabilität gewonnen. Sie<br />

liess sich aber <strong>bei</strong> unvorgesehenen Ereignissen noch schnell verunsichern und reagierte mit<br />

heftigen Emotionen. Sie spürte ihre Belastungsgrenzen, diese zu akzeptieren, bereiteten ihr<br />

noch Schwierigkeiten.<br />

Im November 2001 wurde <strong>Frau</strong> Schneider aus der stationären Massnahme entlassen. Sie hatte<br />

während des siebenmonatigen stationären Aufenthaltes keinen Rückfall, weder mit Alkohol<br />

noch mit Medikamenten. Sie hatte sich von der <strong>Klinik</strong> aus als Sachbear<strong>bei</strong>terin in einer Baufirma<br />

beworben und erhielt diese Stelle, so dass sie nach Austritt bereits eine Teilzeitanstellung<br />

hatte. Die Kinder waren weiterhin <strong>bei</strong> den Pflegeltern.<br />

Sie nahm an unserer klinikinternen Nachbehandlungsgruppe für <strong>Frau</strong>en teil und ging regelmässig<br />

zur <strong>Ein</strong>zeltherapie. Sie entschied sich für eine mehrjährige Abstinenz von Alkohol und<br />

suchtbildenden Medikamenten – auf eine genaue Jahreszahl wollte sie sich nicht festlegen.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider war nach <strong>Klinik</strong>austritt über 3 1/2 Jahre psychisch stabil. Sie konnte ihrer Mutterfunktion<br />

nachkommen und zeigte sich am Ar<strong>bei</strong>tsplatz stabil. Zur psychischen Krise und<br />

darauf folgend zu einem massiven Rückfallgeschehen (Intoxikationstrinken, Medikamentenmissbrauch)<br />

kam es ab Sommer 2004. Auslöser waren massivste Probleme im Beziehungsgeschehen,<br />

das heisst, nach der Trennung von einem Mann, mit dem sie eine mehrmonatige Beziehung<br />

gelebt und in der sie sich sehr abhängig gefühlt hatte, und auch nach der definitiven<br />

<strong>Ein</strong>reichung des Scheidungsverfahrens durch den Ehemann.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider trat im Februar 2005 wieder für vier Monate in die <strong>Frau</strong>enspezifische Abteilung<br />

unserer <strong>Klinik</strong> ein.<br />

Sie betonte, dass sie mehrere Monate benötige, um sich wirklich genügend stabilisieren zu<br />

können. Sie müsse sich mit ihrer Gesamtsituation nochmals au<strong>sein</strong>ander setzen. Die Ambivalenz<br />

in Bezug auf die langjährige Beziehung zum Ehemann und die damit verbundenen inneren<br />

Konflikte wurden in der Therapie bear<strong>bei</strong>tet. Kurz vor dem gerichtlichen Scheidungstermin,<br />

während der Realitätstage zu Hause, wurde <strong>Frau</strong> Schneider rückfällig (Alkohol und Medikamente),<br />

konnte diesen Rückfall aus eigener Kraft stoppen und kehrte in die <strong>Klinik</strong> zurück.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider benannte das Wiedererlangen ihres Selbstwertgefühles und ihrer Autonomie<br />

als wichtiges Ziel. Da ich <strong>bei</strong> ihrem ersten Aufenthalt die zuständige <strong>Ein</strong>zeltherapeutin war und<br />

sie auch aus der Nachbehandlungsgruppe für <strong>Frau</strong>en kannte, erleichterte dies die Wiederaufnahme<br />

der therapeutischen Beziehung erheblich. <strong>Frau</strong> Schneider war in ihrer persönlichen<br />

Entwicklung gereift, was sich unter anderem deutlich in der Übernahme der Verantwortung für<br />

die <strong>bei</strong>den Kinder zeigte. Die Kinder wurden weiterhin an drei Tagen der Woche in der Pflegefamilie<br />

betreut, <strong>Frau</strong> Schneider war zu 50 Prozent berufstätig. Die Ar<strong>bei</strong>tsstelle blieb ihr erhalten.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider hatte von der <strong>Klinik</strong> aus erfolgreich einen Ar<strong>bei</strong>tsversuch unternommen.<br />

Der Ar<strong>bei</strong>tgeber war mit ihren Leistungen vollumfänglich zufrieden.<br />

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Für die kommende schwierige Zeit hatte sich <strong>Frau</strong> Schneider für ein Antidepressivum zur<br />

Stimmungsstabilisierung entschieden..<br />

Bei Austritt entschied sich <strong>Frau</strong> Schneider erneut für eine mehrjährige Abstinenz und wollte<br />

sich auch dieses Mal nicht auf eine Jahreszahl festlegen. Sie wird weiter zur vorbehandelnden<br />

Psychotherapeutin gehen und nahm inzwischen wieder an unserer Nachbehandlungsgruppe<br />

teil.<br />

<strong>Frau</strong> Schneider hatte meines Erachtens mehrheitlich gelernt, schwierige Situationen auch ohne<br />

die <strong>Ein</strong>nahme von Medikamenten und Alkohol zu bewältigen.<br />

Als unterstützend und stabilisierend hatten sich da<strong>bei</strong> folgende Faktoren erwiesen:<br />

• Kontinuität und der gute Kontakt mit der Pflegefamilie<br />

• therapeutische Begleitung durch die gleiche Psychotherapeutin im ambulanten Setting seit<br />

2001<br />

• die Zufriedenheit mit der beruflichen Situation<br />

• Freizeitgestaltung<br />

• Zunahme der Bewältigungsfertigkeiten in Belastungssituationen.<br />

<strong>Risiko</strong>faktoren werden weiterhin <strong>sein</strong>:<br />

• unvorhergesehene, belastende Ereignisse<br />

• familiäres Umfeld belastet durch die Abhängigkeitserkrankung der Mutter (Medikamente,<br />

Alkohol)<br />

• Doppel- und Dreifachbelastung als allein erziehende, berufstätige Mutter.<br />

In den gruppentherapeutischen Sitzungen ar<strong>bei</strong>teten wir zur Rückfallprophylaxe unter anderem<br />

mit dem Bewältigungskreis und dem „alten“ und „neuen Denken“ nach Körkel (siehe Folien). In<br />

einer Gruppentherapiesitzung hatten wir die Patientinnen gebeten, sich einen Satz des „neuen<br />

Denkens“ auszusuchen, der im Moment am ehesten ihrer Situation entsprechen würde. <strong>Frau</strong><br />

Schneider wählte den Satz: «Der Weg aus der Sucht braucht Zeit.»<br />

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