Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2013-05
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de
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48 Cinerama<br />
DAS MÄDCHEN UND<br />
DER TOD<br />
Regie: Jos Stelling<br />
mit: Sylvia Hoeks, Renata Litvinova,<br />
Dieter Hallervorden u.a.<br />
In München gab es einmal eine sehr<br />
gute Videothek, die von einem alten<br />
Herrn mit einer profunden Filmkenntnis<br />
geführt wurde. Die Augen von<br />
Herrn Eckart schielten immer in zwei<br />
verschiedene Richtungen und als der<br />
Rezensent ihn einmal nach dem „Illusionista“<br />
von Jos Stelling fragte, gab<br />
er zur Antwort: „Junger Mann, lassen<br />
Sie sich einmal ansehen. Nach diesem<br />
Film hat in zwanzig Jahren niemand gefragt.“<br />
Nun, „Illusionista“ ist ein ganz<br />
wunderbarer Film, der den niederländischen<br />
Regisseur und Autodidakt als<br />
Meister der wortlosen Erzählung mit<br />
lakonischem Blick für das Groteske und<br />
den kuriosen Humor, der dem Morbiden<br />
und Gebrechlichen innewohnt,<br />
auszeichnet. „Das Mädchen und der<br />
Tod“ staubt, klappert und modert nun<br />
so vor morbider Blutarmut, dass es<br />
eine opiatische Freude ist. Ein Fantasma<br />
aus vergangenen Tagen west<br />
durch ein altes, leerstehendes Hotel<br />
auf der Suche nach einer verflossenen<br />
Liebe. Ein Nachtschattengewächs von<br />
einem Film. (fs)<br />
<br />
FILM DES MONATS<br />
NO PLACE ON EARTH<br />
– KEIN PLATZ ZUM LEBEN<br />
Regie: Janet Tobias<br />
Mit: Chris Nicola, Saul Stermer, Sam<br />
Stermer u.a.<br />
Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte:<br />
Um der Verfolgung durch<br />
die Nazis zu entkommen, hielten<br />
sich mehrere jüdische Großfamilien<br />
fast zwei Jahre lang, zwischen 1942<br />
und 1944, in einem unterirdischen<br />
Höhlensystem im ukrainischen Verteba<br />
versteckt und überlebten die<br />
Zeit, ohne einen einzigen Tag an der<br />
Sonne. Der Film der Amerikanerin<br />
Janet Tobias basiert auf der Autobiographie<br />
der Überlebenden Esther<br />
Stermer, die als Matriarchin gezeigt<br />
wird, die mit Mut und Entschlossenheit<br />
ihre Familie beschützte. In<br />
einer dramaturgisch ausgewogenen<br />
Komposition aus Interviews, nachgestellten<br />
Spielszenen und gefilmter<br />
Gegenwart, spannt die Regisseurin<br />
einen weiten Erzählbogen, der ein<br />
Dreivierteljahrhundert spielend<br />
umfasst und Geschichte auf eine<br />
Art lebendig und als menschliches<br />
Schicksal fassbar macht, wie man es<br />
im Kino nur sehr selten sieht. Wahrscheinlich<br />
nur eine Frage der Zeit, bis<br />
Hollywood ein großes dramatisches<br />
Rührstück daraus strickt. (fs)<br />
<br />
FROHES SCHAFFEN<br />
Regie: Konstantin Faigle<br />
mit: Nina Proll, Konstantin Faigle,<br />
Helene Gross u.a.<br />
Die Filme des Kölners Konstantin<br />
Faigle durchzieht als Charakteristika,<br />
dass sie stets mit biographischen<br />
Elementen, Puppenspielen,<br />
Musikclips, Spielfilmsequenzen<br />
sowie mit Selbstironie und Humor<br />
versetzt sind. Außerdem widmet<br />
sich Faigle am liebsten der Kunst<br />
der Entschleunigung, heißen seine<br />
Filme doch „Glückliche Nichtstuer“,<br />
„Die Herren der Liegezonen“ oder<br />
„Bettnachbarn“. Nun also „ein Film<br />
zur Senkung der Arbeitsmoral“.<br />
Denn die Arbeit, lernen wir hier,<br />
hat längst den Stellenwert einer<br />
Religion eingenommen. Sie gilt als<br />
Barometer zur Ermessung des sozialen<br />
Stellenwerts eines Individuums.<br />
Gegen die Arbeit zu rebellieren<br />
ist unmoralisch und tabu. Dabei<br />
handelt es sich doch um eine sehr<br />
relative Größe, ist viel Arbeit zu<br />
ritueller Verrichtung geworden und<br />
bedeutet streng genommen: Viel<br />
Rauch um nichts. Was man von<br />
diesem Film nicht behaupten kann.<br />
Er ist ein wichtiges Ausrufezeichen<br />
zur richtigen Zeit. (fs)<br />
<br />
DER TAG WIRD<br />
KOMMEN<br />
(OT: LE GRAND SOIR)<br />
Regie: Gustave Kervern &Benoit<br />
Delépine<br />
mit: Benoit Poelvoorde, Albert Dupontel,<br />
Brigitte Fontaine u.a.<br />
Wahrscheinlich halten viele Kritiker<br />
diesen Film für wichtig, da er mit<br />
anarchistischem Humor eine Projektionsfläche<br />
für alles bietet, was sie<br />
sich in ihrer bürgerlichen Befangenheit<br />
niemals trauen würden selber<br />
auszuleben. „Nein“ zu sagen ist ja<br />
immer das Schwierigste, sich dem<br />
Irrsinn der kapitalistischen Tretmühle<br />
zu entziehen und auf Totalverweigerung<br />
zu schalten. Dass es ganz<br />
einfach gehen kann, lehrt hier der<br />
gealterte Punk „Not“ seinen spießbürgerlichen<br />
Bruder Jean-Pierre, der<br />
als Bettenverkäufer in einer Shopping<br />
Mall arbeitet, eines Tages über<br />
sein sinnentleertes Leben ausrastet<br />
und daraufhin seine Anstellung<br />
verliert: Ab nun heißt es, sämtliche<br />
Befehlsimpulse im Hirn ausschalten<br />
und mit Gummiarmen ganz locker<br />
in den Tag hineinschlappen. Leider<br />
ist dabei nur kein besonders interessanter<br />
Film entstanden, sondern<br />
eine Satire, die in ihrer konstruiert<br />
forcierten Absurdität viel verspielt<br />
und Ideen erschlägt. (fs)<br />
<br />
SAITEN DES LEBENS (OT: A LATE QUARTET)<br />
Regie: Yaron Zilberman<br />
mit: Christopher Walken, Philip Seymour Hoffman, Imogen Poots u.a.<br />
Spannung unter Musikern als Zerreißprobe für die Gruppe. Mitunter sind<br />
widrige Witterungsbedingungen in der wechselseitigen Stimmungslage erst<br />
die Rezeptur, die wahre Sternstunden der Musik hervorzubringen vermag.<br />
Man denke nur an Punkbands wie die Sex Pistols oder The Clash – wie sich<br />
deren Akteure untereinander gefetzt haben, als ihre Egos vom Erfolg befeuert<br />
waren, und wie viel Energie dabei freigesetzt werden konnte. Für eine<br />
dreißig Jahre währende Lebensdauer waren jene jedenfalls zu explosiv. So<br />
lange halten es schon die vier Streicher aus dem hier versammelten Quartett<br />
miteinander aus. Parkinson hängt nun als Damoklesschwert über dem<br />
Cellisten und über der Zukunft der vier Musiker. Und dann ist da das Thema<br />
der ewigen zweiten Geige, das auch allegorisch gesehen werden darf, als<br />
Verbeugung vor dem Spiel von Christopher Walken. Der einfach nur da sein<br />
muss, mit seinem charismatischen ewigen Nebenrollengesicht. Ein großer<br />
Schauspielerfilm, der schonungslos den Ego-Drive von Künstlern spiegelt<br />
und zeigt: In der Hochkultur haben Egoismen Hochkonjunktur. (fs)<br />
<br />
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