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Seekrankheit, ein Übel mit Folgen - Seglerfreunde.de

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<strong>Seekrankheit</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Übel</strong> <strong>mit</strong> <strong>Folgen</strong><br />

(Aus: Yacht 12/1998, S. 114-117)<br />

Sie kennt k<strong>ein</strong> Pardon. Ohne Rücksicht auf Person o<strong>de</strong>r Stellung an Bord macht sie sich über<br />

je<strong>de</strong>n her, <strong>de</strong>r ihr dazu <strong>ein</strong>e Chance bietet. Für die meisten Betroffenen gibt es aber Mittel und<br />

Wege, sich gegen <strong>Seekrankheit</strong> zu wehten. Wir informieren über neueste Erkenntnisse und<br />

natürlich Altbewährtes.<br />

Wenn es s<strong>ein</strong> muß, krieg' ich auf See auch <strong>de</strong>n härtesten Mann zum<br />

Kotzen! Und wenn ich ihn dafür ,Diesel aus <strong>de</strong>m Tank ansaugen lassen<br />

muß." Die Worte m<strong>ein</strong>es alten Segellehrers klingen mir noch heute in<br />

<strong>de</strong>n Ohren. Er kehrte als ehemaliger Fahrensmann gerne <strong>de</strong>n eisernen<br />

Seebären hervor.<br />

Nur die wenigsten Menschen sind vor <strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> absolut sicher.<br />

Zwischen leichter <strong>Übel</strong>keit (eigentlich noch gar k<strong>ein</strong>e richtige<br />

Krankheit), die nach kurzer Gewöhnungszeit überwun<strong>de</strong>n ist, und<br />

schwersten Ausfallersch<strong>ein</strong>ungen, die bis zum körperlichen Kollaps führen können, sowie <strong>de</strong>m zwanghaften<br />

Drang, lieber über Bord zu springen als weiter zu lei<strong>de</strong>n, sind alle Schattierungen möglich.<br />

In <strong>de</strong>n meisten Fällen läuft die Krankheit nach <strong>de</strong>mselben Fahrplan ab. Die Betroffenen wer<strong>de</strong>n stiller und<br />

müssen immer wie<strong>de</strong>r gähnen. Erste Blässe und beginnen<strong>de</strong>s Unwohls<strong>ein</strong> stellen sich <strong>ein</strong>. Die Gesichtsfarbe<br />

wechselt langsam ins Gelb, das körperliche Unbehagen nimmt zu, oft gepaart <strong>mit</strong> Schwin<strong>de</strong>lgefühlen.<br />

Heftige <strong>Übel</strong>keit setzt <strong>ein</strong>, schweißtreiben<strong>de</strong> Brechanfälle überlagern schließlich Wahrnehmung und<br />

Reaktion.<br />

Spätestens jetzt wird aus <strong>de</strong>m aktiven Crew<strong>mit</strong>glied <strong>ein</strong> <strong>de</strong>sorientierter Patient. Der Pflegefall benötigt nun<br />

Hilfe. Die Crew muß <strong>de</strong>n Erkrankten beaufsichtigen und unterstützen. Das ständige Erbrechen schwächt ihn<br />

aufgrund <strong>de</strong>r krampfartigen Anfälle und <strong>de</strong>s hohen Flüssigkeitsverlustes zusehends. Er verwan<strong>de</strong>lt sich<br />

endgültig in <strong>ein</strong> Häufchen Elend, das man zu <strong>de</strong>ssen eigener Sicherheit anl<strong>ein</strong>en sollte. Skipper, die nicht<br />

ganz seefest sind, sollten stets rechtzeitig <strong>ein</strong> Mitglied <strong>de</strong>r Crew zum Co-Skipper bestimmen.<br />

<strong>Seekrankheit</strong>, auch Nausea genannt (stammt vom griechischen Wort naus für Schiff ab und steht für<br />

<strong>Übel</strong>keit und Erbrechen), ist zwar <strong>ein</strong>e Bewegungskrankheit, sie kann jedoch durch zusätzliche Faktoren<br />

wie Angst, Streß, Erschöpfung o<strong>de</strong>r falsche Ernährung verstärkt wer<strong>de</strong>n. Auf alle haben wir selbst und<br />

unsere Mitsegler Einfluß und können darüber <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Krankheit etwas steuern, in<strong>de</strong>m wir <strong>ein</strong>ige<br />

Verhaltensregeln beachten.<br />

Was können wir selber tun o<strong>de</strong>r lassen ?<br />

Alkoholexzesse am Abend vor <strong>de</strong>m Auslaufen erhöhen die Anfälligkeit. Wer <strong>mit</strong> <strong>Seekrankheit</strong> rechnet, läßt<br />

<strong>de</strong>n Alkohol am besten ganz weg. Rechtzeitig in die Koje, rät die Vernunft, da<strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Körper ausgeruht ist.<br />

Ein <strong>de</strong>ftiges Frühstück hält zwar bekanntlich Leib und Seele zusammen, belastet aber nicht nur empfindliche<br />

Mägen. Das merkt man spätestens nach <strong>de</strong>m Auslaufen. Besser ist leichte, aber gehaltvolle Kost.<br />

Auch die Wahl <strong>de</strong>r richtigen Kleidung ist wichtig. Wer <strong>mit</strong> warmer, bequemer Bekleidung für Wohlbefin<strong>de</strong>n<br />

und <strong>ein</strong> angenehmes Körperklima sorgt, wird <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n auftreten<strong>de</strong>n Symptomen <strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> besser<br />

fertig als jemand, <strong>de</strong>r ständig friert o<strong>de</strong>r sich wie <strong>ein</strong>e Zwiebel <strong>ein</strong>gepellt ins Ölzeug pfercht.<br />

Zu <strong>de</strong>n eigenen aktiven Maßnahmen gehört übrigens auch, an<strong>de</strong>re rechtzeitig über s<strong>ein</strong>e Probleme zu<br />

informieren. Stolz o<strong>de</strong>r Tapferkeit ist hier fehl am Platz. Denn wie soll die übrige Crew und vor allem <strong>de</strong>r<br />

Skipper wissen, daß Unterstützung und Rücksichtnahme vonnöten sind? Ein besonnener Skipper, <strong>de</strong>r die<br />

Crew umfassend aufklärt und in s<strong>ein</strong>e Entscheidungen <strong>ein</strong>bezieht, rechtzeitig refft, riskante Manöver und<br />

Extremsituationen vermei<strong>de</strong>t, kann von vornher<strong>ein</strong> das Auftreten von Angstgefühlen verhin<strong>de</strong>rn. Und die<br />

sind erfahrungsgemäß neben <strong>de</strong>m Auf und Ab <strong>de</strong>s Bootes die Hauptauslöser <strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong>.<br />

Sobald sich die ersten Anzeichen <strong>ein</strong>stellen, sollten Sie sich nicht auf eisernes Durchhalten versteifen. Durch<br />

übermäßige Gegenwehr verkrampfen Sie sich geistig wie körperlich. Suchen Sie sich an Deck o<strong>de</strong>r im


Cockpit <strong>ein</strong>en Platz, an <strong>de</strong>m Sie sich möglichst geschützt und entspannt aufhalten können. Orientieren Sie<br />

sich an Küstenlinien o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Horizont.<br />

O<strong>de</strong>r übernehmen Sie, wenn Ihr<br />

Können und die Bedingungen es<br />

zulassen, das Ru<strong>de</strong>r. Die<br />

konzentrierte Aus<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>rsetzung <strong>mit</strong><br />

Kurshalten und Wellenaussteuern und<br />

vielleicht auch das Hochgefühl,<br />

dieses Schiff <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n eigenen Hän<strong>de</strong>n<br />

durch die bewegte See zu führen,<br />

können stabilisierend wirken.<br />

Kommt es schließlich doch zum<br />

Opfergang an <strong>de</strong>r Reling, so hocken<br />

Sie sich bequem nach Lee, sichern<br />

Sie sich <strong>mit</strong> <strong>de</strong>r L<strong>ein</strong>e ihres<br />

Sicherheitsgurtes, und fügen Sie sich<br />

so entspannt wie möglich ins<br />

Unvermeidliche. Eine rücksichtsvolle<br />

Crew wird Sie nicht <strong>mit</strong> dummen<br />

Sprüchen obendr<strong>ein</strong> quälen, son<strong>de</strong>rn ausreichend Mineralwasser zum Mundausspülen sowie Papiertücher<br />

bereithalten.<br />

Vermei<strong>de</strong>n Sie unnötige Ausflüge unter Deck. Dazu gehört, nicht so viel zu trinken, daß Sie dauernd auf die<br />

Toilette müssen (Seekranke gehören für diesen Gang auf k<strong>ein</strong>en Fall an die Reling). Und wenn schon unter<br />

Deck, dann am besten gleich in die Koje! Die Angst vor <strong>de</strong>m ständigen Brechreiz hält viele von diesem<br />

Schritt ab. Nach<strong>de</strong>m Sie aber die Hauptlast aus <strong>de</strong>m ,lagen bereits über die Reling o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Eimer<br />

losgewor<strong>de</strong>n sind, paßt das Wenige was dann in <strong>de</strong>r Regel noch folgt, in <strong>ein</strong>e <strong>mit</strong> Papiertüchern ausgelegte<br />

Plastiktüte, Da schwappt nichts mehr, und sie kann immer und überall bereitliegen.<br />

Niemand sollte die Wirkung von Haus<strong>mit</strong>teln unterschätzen~ Zugegeben, das Bund Petersilie unterm Hemd<br />

auf <strong>de</strong>r Brust getragen, die um <strong>de</strong>n Bauch gebun<strong>de</strong>ne Zusammengefaltete Zeitung und die Augenklappe zur<br />

Einschränkung räumlichen Sehens (Links- und Rechtshän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>cken jeweils das gegenüberliegen<strong>de</strong> Auge<br />

ab) entbehren nicht <strong>ein</strong>er gewissen Komik. Aber wem es hilft, <strong>de</strong>r schwört drauf. So kann durchaus <strong>ein</strong>e<br />

Diät aus Cola <strong>mit</strong> Salzstangen, das Knabbern von Stu<strong>de</strong>ntenfutter, Müsliriegel o<strong>de</strong>r trockenem Brot <strong>de</strong>n<br />

Kampf gegen das <strong>Übel</strong> nahrhaft unterstützen.<br />

Wem nicht <strong>ein</strong>mal nach <strong>ein</strong>igen Tagen <strong>de</strong>r möglichen Gewöhnung Seeb<strong>ein</strong>e wachsen, <strong>de</strong>r muß nicht gleich<br />

das Segeln aufgeben. Denn es gibt viele Medikamente gegen Reise- beziehungsweise <strong>Seekrankheit</strong>. Bei <strong>de</strong>n<br />

meisten han<strong>de</strong>lt es sich um mehr o<strong>de</strong>r weniger starke Psychopharmaka, die dämpfend auf Austausch und<br />

Transport von Signalen im Nervensystem wirken. Manche müssen Prophylaktisch <strong>ein</strong>ige Tage vor Beginn<br />

<strong>de</strong>r Reise und kontinuierlich während ihrer Dauer <strong>ein</strong>genommen wer<strong>de</strong>n, selbst wenn noch gar nicht<br />

feststeht, ob die Wetterbedingungen es später erfor<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Mittel <strong>mit</strong> sofortiger Wirkung bei Auftreten <strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> gibt es nicht. Auch die schnell wirken<strong>de</strong>n<br />

haben Anlaufzeiten von <strong>ein</strong>igen Stun<strong>de</strong>n. Auf <strong>ein</strong>es <strong>de</strong>r wirksamsten und trotz verschie<strong>de</strong>ner<br />

Nebenwirkungen beliebtesten Mittel müssen die Segler seit fast zwei Jahren verzichten: Scopo<strong>de</strong>rm TTS. Es<br />

war <strong>ein</strong>fach in s<strong>ein</strong>er Anwendung, die Wirkung trat relativ schnell <strong>ein</strong> und hielt etwa drei Tage an. S<strong>ein</strong><br />

Wirkstoff Scopolamin war in <strong>ein</strong>em Pflaster gespeichert, das hinter das Ohr geklebt wur<strong>de</strong>. Im Sommer<br />

1995 wur<strong>de</strong> die Produktion aus technischen Grün<strong>de</strong>n <strong>ein</strong>gestellt. Es soll aber laut Hersteller Novartis im<br />

Laufe dieses Jahres wie<strong>de</strong>r lieferbar s<strong>ein</strong>. Die für Segler unangenehmste<br />

Nebenwirkung von Scopo<strong>de</strong>rm - die Sehstörungen - läßt sich Übrigens weitgehend vermei<strong>de</strong>n, wenn man<br />

sich sofort die Hän<strong>de</strong> wäscht und nicht <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n "Pflaster-Fingern" in <strong>de</strong>n Augen reibt, Dabei kann nämlich<br />

<strong>de</strong>r Wirkstoff Atropin in die Pupillen gelangen und sie zwangsweise erweitern. Dann kann man für <strong>ein</strong>ige<br />

Stun<strong>de</strong>n nicht mehr scharf sehen.


Um die 50 verschie<strong>de</strong>ne Präparate bekommt man in <strong>de</strong>n Apotheken als Kaugummis, Dragees, Sirup o<strong>de</strong>r<br />

Zäpfchen angeboten, wenn man nach <strong>ein</strong>em Mittel gegen Reise- o<strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> fragt. Liest man die<br />

Beipackzettel genau durch, wird man schnell feststellen, daß sich die enthaltenen Wirkstoffe auf wenige<br />

chemische Grundsubstanzen beschränken.<br />

An dieser Stelle auf alle Mittel <strong>de</strong>tailliert <strong>ein</strong>zugehen wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rahmen sprengen und macht auch wenig<br />

Sinn. Denn selbst wenn wir alle aufzählen wür<strong>de</strong>n, bewahrt das nicht vor <strong>de</strong>m Experimentieren und<br />

Ausprobieren. Und das sollten Sie wegen <strong>de</strong>r teilweise schwerwiegen<strong>de</strong>n Nebenwirkungen nicht ohne <strong>de</strong>n<br />

fachlichen Rat <strong>ein</strong>es Arztes tun. Viele Mittel sind ohnehin verschreibungspflichtig.<br />

Gehen Sie davon aus, daß Sie nur <strong>mit</strong>viel Glück auf Anhieb das für Ihren Organismus und Ihre spezielle<br />

Bewegungsempfindlichkeit optimale Präparat treffen. Aber werfen Sie die Flinte nicht zu früh ins Korn,<br />

son<strong>de</strong>rn testen Sie im Rahmen <strong>de</strong>r Verträglichkeiten alle Mittel so lange, bis Sie das für Ihre Belange<br />

wirksamste und <strong>mit</strong> <strong>de</strong>n geringsten Nebenwirkungen behaftete herausgefun<strong>de</strong>n haben.<br />

Dasselbe gilt übrigens für die Präparate <strong>de</strong>r sogenannten sanften Medizin <strong>de</strong>r Homöopathie, bei <strong>de</strong>nen<br />

jedoch ebenfalls <strong>de</strong>r Grundsatz gilt: "K<strong>ein</strong>e Wirkung ohne Nebenwirkung". Einige <strong>de</strong>r Mittel enthalten<br />

sogar Giftstoffe und sind daher rezeptpflichtig. Besser, Sie experimentieren unter <strong>de</strong>r Anleitung <strong>ein</strong>es<br />

Homöopathen.<br />

Eine Menge Hintergrundwissen hierzu fin<strong>de</strong>n Sie in <strong>de</strong>m Buch "<strong>Seekrankheit</strong> aktiv bewältigen" (Verlag<br />

Delius Klasing). Autorin Gerti Claußen, Diplompsychologin und Physiotherapeutin, hat sich unter an<strong>de</strong>rem<br />

<strong>mit</strong> <strong>de</strong>r Medikamentierung aus<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>rgesetzt und <strong>ein</strong>e umfangreiche Aufstellung über Wirkungsweisen<br />

und Zusammensetzungen <strong>ein</strong>gefügt.<br />

Die Kapitel über die Medikamentierung spielen bei ihr aber nur <strong>ein</strong>e untergeordnete Rolle. Der eigentliche<br />

Schwerpunkt <strong>de</strong>s Buches hat <strong>de</strong>n Verzicht auf die Chemie zum Ziel. Gerti Claußen baut viel mehr auf<br />

Anwendung und Wirkungsweise psychologischer Maßnahmen. Self-Monitoring und Self-Management<br />

nennt sie ihre Metho<strong>de</strong> ohne blockieren<strong>de</strong> Pillen, Zäpfchen o<strong>de</strong>r Pflaster. Der Erfolg ihres Konzeptes beruht<br />

auf bewußter Selbstlenkung und -kontrolle. Dazu ver<strong>mit</strong>telt sie Baust<strong>ein</strong>e wie zum Beispiel:<br />

• die Kenntnis von Hintergrundinformationen über die Abläufe <strong>de</strong>r Prozesse im Körper bei <strong>de</strong>r<br />

Entstehung von <strong>Seekrankheit</strong> und von <strong>de</strong>r Wirkung passiver und aktiver Verfahren zur Bewältigung;<br />

• <strong>ein</strong>e Anleitung zur aufmerksamen Selbstbeobachtung (Self-Monitoring), <strong>de</strong>r <strong>ein</strong> gezielter Einsatz<br />

persönlich zugeschnittener Self-Management-Strategien als Mittel zum Abbau von Streß und<br />

Ängsten folgt;<br />

• Anleitung für <strong>ein</strong>e persönliche Nachschau, sobald die kritischen Situationen auf See vorüber sind,<br />

inwieweit die persönlichen Gegenmaßnahmen geholfen haben und wie sie sich eventuell für künftige<br />

Situationen noch verbessern lassen.<br />

Das klingt zwar alles recht theoretisch, aber man darf annehmen, daß es bei bewußter und intensiver<br />

Anwendung dieser und an<strong>de</strong>rer im Buch beschriebenen Metho<strong>de</strong>n durchaus möglich ist, Psyche und Physis<br />

so zu unterstützen und zu stabilisieren, daß sich <strong>ein</strong> Bewältigungsprozess entwickelt, in <strong>de</strong>ssen Endphase<br />

man selbst schweres Wetter ohne Ausfall durch <strong>Seekrankheit</strong> überstehen kann.<br />

Auf ähnliche körperorientierte Metho<strong>de</strong>n greift <strong>de</strong>r Schweizer Psychotherapeut Dr. Fre<strong>de</strong>rik Briner zurück.<br />

Während s<strong>ein</strong>er Segelausbildungstörns im Mittelmeer hat er da<strong>mit</strong> gute Ergebnisse erzielt. Neben <strong>de</strong>r<br />

bewußten Registrierung <strong>de</strong>r körpereigenen Signale mißt er bei beginnen<strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> <strong>de</strong>r natürlichen<br />

und vor allem situationsgerechten Atmung große Be<strong>de</strong>utung bei. Sie führt nach s<strong>ein</strong>en Erfahrungen<br />

automatisch zu physischer und psychischer Entspannung.<br />

Die soll ebenso durch Hören von Musik zu erreichen s<strong>ein</strong>. Sofern dies über Kopfhörer geschieht, hat diese<br />

Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Vorteil, daß sich auch beängstigen<strong>de</strong> Geräuschkulissen aussperren lassen.<br />

Bei Kin<strong>de</strong>rn kann übrigens das Abhören von Hörspielkassetten o<strong>de</strong>r Musikfavoriten ähnliches bewirken.<br />

Wir haben selber die Erfahrung gemacht, daß unsere Tochter im Alter von acht Jahren zusammen <strong>mit</strong><br />

"Barbie, Ken, Fred und Co“ im engen Vorschiff die unangenehmsten Raumschots-Ritte aussaß, die<br />

Kopfhörer auf <strong>de</strong>n Ohren und die Abenteuer <strong>de</strong>r "5 Freun<strong>de</strong>" von Enid Blyton im Recor<strong>de</strong>r.


Eine Son<strong>de</strong>rstellung unter <strong>de</strong>n alternativen Metho<strong>de</strong>n nehmen die<br />

sogenannten Bioinformationstherapien <strong>ein</strong>. Das Schweizer Institut für<br />

Bioinformation bietet <strong>ein</strong>en gläsernen Vakuum-Anhänger Namens Travel-Aid<br />

an, <strong>de</strong>r "so <strong>mit</strong> Energiespektren imprägniert ist, daß sich <strong>ein</strong>e stetig<br />

repetieren<strong>de</strong> Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>m Lot fallen<strong>de</strong>n energetischen<br />

Gleichgewichtes ergeben kann. Das gestreßte vegetative Nervensystem wird<br />

laufend entlastet und ausbalanciert" - soweit die Originalbeschreibung. Der<br />

Travel-Aid. wird um <strong>de</strong>n Hals getragen.<br />

Humbug o<strong>de</strong>r Okkultismus urteilen die <strong>ein</strong>en, probates Mittel gegen die<br />

Reisekrankheit entgegnen die, <strong>de</strong>nen es geholfen hat. Wer sich darüber<br />

negativ äußert, sollte be<strong>de</strong>nken: Nicht alles, was man nicht erklären kann, ist<br />

gleich abzulehnen. Und: Der Glaube all<strong>ein</strong> kann ebenfalls vieles bewirken, wie erfolgreiche Behandlungen<br />

<strong>mit</strong> Placebos (Medikamente ohne je<strong>de</strong>n Wirkstoff) belegen.<br />

Daß bioenergetische Metho<strong>de</strong>n durchaus ernst genommen wer<strong>de</strong>n, belegt unter an<strong>de</strong>rem die Tatsache, daß<br />

sie nach <strong>de</strong>m sogenannten "Hufeland-Leistungsverzeichnis für Therapie-Richtungen <strong>de</strong>r Biologischen<br />

Medizin" von Krankenkassen anerkannt wer<strong>de</strong>n.<br />

Weit weniger umstritten sind Akupunktur und Akupressur. Bei diesen sehr alten, praxisbezogenen<br />

Therapien aus <strong>de</strong>r chinesischen Medizin geht es darum, in <strong>de</strong>n Organen aufgestaute und blockierte Energien<br />

über die sogenannten Körpermeridiane wie<strong>de</strong>r zum Fließen zu bringen. Das kann durch gezielte Na<strong>de</strong>lstiche<br />

o<strong>de</strong>r Druckreize an ganz gestimmten Punkten <strong>de</strong>s Körpers geschehen.<br />

Während sich die Akupunktur weniger für die Selbstbehandlung eignet, erfreut sich<br />

die Akupressur zunehmen<strong>de</strong>r Beliebtheit. Für die Behandlung <strong>de</strong>r <strong>Seekrankheit</strong> steht<br />

in erster Linie <strong>de</strong>r sogenannte Nei-Kuan-Punkt (er liegt drei Fingerbreit unterhalb <strong>de</strong>r<br />

Handwurzel) als Reizpunkt zur Verfügung. Dafür gibt es spezielle Pflaster und<br />

Armbän<strong>de</strong>r <strong>mit</strong> integrierten Plastikkugeln, die nach <strong>de</strong>m Anlegen auf besagten Punkt<br />

drücken. Zur Not tut es aber auch die beidseitige Stimulierung <strong>de</strong>s Punktes durch<br />

permanenten Fingerdruck.<br />

Ich habe selbst mehrfach die positive Wirkung <strong>de</strong>r Akupressur bei sehr<br />

unterschiedlichen Crew<strong>mit</strong>glie<strong>de</strong>rn beobachten können, die sich bereits übergeben<br />

hatten o<strong>de</strong>r kurz davor stan<strong>de</strong>n. Die meisten waren nach 10 bis 15 Minuten wie<strong>de</strong>r fit. An <strong>de</strong>n möglichen<br />

Erfolg dieser Metho<strong>de</strong> fest zu glauben kann die Wirkung <strong>de</strong>r Akupressur unterstützen.<br />

Noch nicht bekannt und erwiesen ist bis jetzt die erfolgreiche Verwendung <strong>de</strong>r in Belgien erfun<strong>de</strong>nen<br />

Spezialbrille <strong>mit</strong> künstlichem Horizont: Im Innenraum ihrer doppelwandigen Gläser ist <strong>ein</strong> dünner<br />

schwarzer Balken so aufgehängt, daß er in je<strong>de</strong>r beliebigen Lage <strong>de</strong>s Kopfes in <strong>de</strong>r Waagerechten schwebt.<br />

Er soll <strong>de</strong>m Unterbewußts<strong>ein</strong> auch dort die Lage <strong>de</strong>s Horizontes als Bezugslinie vorgaukeln, wo man ihn<br />

zwangsläufig nicht sehen kann, wie zum Beispiel unter Deck.<br />

Dem alten <strong>Übel</strong> <strong>mit</strong> neuen Metho<strong>de</strong>n beizukommen soll nun sogar auf elektronischem Wege möglich s<strong>ein</strong>:<br />

Ein Zauberkasten gegen <strong>de</strong>n<br />

Spuckeimer!?<br />

Daß das Auftreten von <strong>Seekrankheit</strong> unter an<strong>de</strong>rem von <strong>de</strong>r Frequenz <strong>de</strong>r Schiffsbewegungen abhängt,<br />

haben die Forscher <strong>de</strong>s Wolfson Institute an <strong>de</strong>r Universität Southampton anhand statistischer Erhebungen<br />

an Bord englischer Fähren festgestellt. Die Wissenschaftler fan<strong>de</strong>n heraus, daß <strong>de</strong>n meisten Passagieren bei<br />

<strong>ein</strong>er Frequenz von zehnmaligem Auf und Ab in <strong>de</strong>r Minute übel wur<strong>de</strong>. Das entspricht <strong>ein</strong>er<br />

Wellenamplitu<strong>de</strong> von sechs Sekun<strong>de</strong>n.<br />

Die für vergleichen<strong>de</strong> Versuche im Schlepptank <strong>mit</strong> verschie<strong>de</strong>nen Rumpfformen entwickelten<br />

Beschleunigungsmesser wer<strong>de</strong>n zur Erfassung <strong>de</strong>r Schiffsbewegungen <strong>mit</strong> <strong>ein</strong>em Prozessor gekoppelt, <strong>de</strong>r<br />

die Beschleunigungswerte in Relation zur Zeit errechnet. Die daraus resultieren<strong>de</strong>n Werte wer<strong>de</strong>n<br />

numerisch o<strong>de</strong>r in Warnstufen gemäß BSI-Statistik (British Standard Inci<strong>de</strong>nce of Seasickness) auf <strong>ein</strong>em<br />

Display angezeigt. Das Gerät heißt Exceleration Meter, ist 13,8 mal 6,5 mal 5,5 Zentimeter groß und wird


von s<strong>ein</strong>en Erfin<strong>de</strong>rn flapsig "Vometer" genannt (kommt vom englischen vo<strong>mit</strong> = sich übergeben). Eine nur<br />

wenig größere Kontrollbox steuert das Ganze.<br />

Diese Meß- und Warnanlage soll es <strong>de</strong>m Skipper ermöglichen, durch Än<strong>de</strong>rung von Segelfläche und<br />

Geschwindigkeit o<strong>de</strong>r Kurs zur Welle die Bootsbewegungen so zu variieren, daß die kritischen<br />

Bewegungswerte nach BSI vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Die Geschichte mag sich zwar wie <strong>ein</strong> gut ausgedachter<br />

Aprilscherz lesen, ist aber offensichtlich ernst gem<strong>ein</strong>t.<br />

Das Gerät wird <strong>mit</strong> zweiwöchiger Lieferzeit für 4500 bis 5400 Mark angeboten. Praxis-Erfahrungen von<br />

Yachteignern, die so <strong>ein</strong> "Vometer" installiert haben, liegen noch nicht vor.<br />

Ein Fehler im Datensystem<br />

Von Kin<strong>de</strong>sb<strong>ein</strong>en an sind wir von <strong>ein</strong>em bestimmten Muster im Zusammenspie <strong>de</strong>r<br />

Sinneswahrnehmungen geprägt. Sobald sich dieses Zusammenspiel dank äußerer Einflüsse in<br />

<strong>ein</strong>en Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r gewohnten Abläufe verwan<strong>de</strong>lt, reagiert unser Organismus <strong>mit</strong> Irritationen.<br />

Die Hauptschuldigen für <strong>de</strong>n ganzen Ärger sitzen gut geschützt in <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>lknochen hinter <strong>de</strong>n<br />

Ohren, Es sind die Gleichgewichtsorgane. Die <strong>Übel</strong>täter heißen Labyrinth und gehören zum<br />

inneren Ohr. Sie bestehen im wesentlichen aus drei <strong>mit</strong> Lymphflüssigkeit gefüllten Bogengängen.<br />

Diese sind auf <strong>de</strong>r Gehörschnecke so zu<strong>ein</strong>an<strong>de</strong>r angeordnet, daß sie alle drei räumlichen<br />

Dimensionen erfassen. Sobald wir uns in Bewegung setzen, gerät die Lymphe innerhalb<br />

<strong>de</strong>rjenigen Bogengänge in gegenläufige Bewegung, die gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r passen<strong>de</strong>n Richtung liegen.<br />

Denn die Flüssigkeit möchte aufgrund ihrer Massenträgheit in ihrer Ausgangsposition verharren.<br />

Dabei erzeugt sie über winzige Härchen auf <strong>de</strong>r Innenseite <strong>de</strong>r Bogengänge Bewegungsreize, die<br />

über Nervenbahnen in das Gehirn weitergeleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Überlagern sich diese Reizmeldungen durch heftigen Wechsel <strong>de</strong>r Bewegungsrichtungen und<br />

wi<strong>de</strong>rsprechen womöglich noch <strong>de</strong>n optischen Reizen, wird uns schlecht. Was wir auf <strong>de</strong>m<br />

Rummelplatz für Geld kurzfristig als willkommenen Sinneskitzel erkaufen, kann auf Dauer an Bord<br />

zu <strong>ein</strong>er Gefahr für Leib und Leben eskalieren.<br />

Ergänzung: Scopo<strong>de</strong>rm-Pflaster gegen <strong>Übel</strong>keit<br />

(Yacht 4/01)<br />

Nach 80 000 Meilen Erfahrung im Kotzen kann ich sagen: Die meisten Medikamente machen zu<br />

mü<strong>de</strong>. Stutgeron, schon zwei Tage vor Törnbeginn genommen am wenigsten. Die Scopo<strong>de</strong>rm-<br />

Pflaster sind für mich das Beste: Einem Seekranken <strong>ein</strong> Pflaster hinters Ohr geklebt – drei<br />

Stun<strong>de</strong>n später steht er wie<strong>de</strong>r am Ru<strong>de</strong>r (Leserbrief von Ulrich Holland).

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