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Sprachpflege aus sprachwissenschaftlicher Sicht - ISK - RWTH ...

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<strong>Sprachpflege</strong> <strong>aus</strong><br />

<strong>sprachwissenschaftlicher</strong> <strong>Sicht</strong>:<br />

Die Position der Gesellschaft für<br />

deutsche Sprache<br />

Von Armin Burkhardt


Gliederung<br />

1. Einleitung<br />

2. <strong>Sprachpflege</strong> und Sprachkritik<br />

3. Systembezogene Sprachkritik<br />

3.1. Grammatikkritik<br />

3.2. Lexikkritik<br />

4. Polit(olinguist)ische Sprachkritik<br />

4.1. Lexikalische Sprachkritik<br />

4.2. Pragmatische Sprachkritik<br />

5. Fazit


„Sobald die Critik gesetzgeberisch werden will,<br />

verleiht sie dem gegenwaertigen Zustand der<br />

Sprache kein neues Leben, sondern stoert es<br />

gerade auf das empfindlichste. Weiß sie sich<br />

hingegen von dieser falschen Ansicht frei zu<br />

halten, so ist sie eine wesentliche Stuetze und<br />

Bedingung fuer das Studium der Sprache und<br />

Poesie.“<br />

(Jacob Grimm, Vorrede zur Deutschen<br />

Grammatik)


Die deutsche Literatur, habe ich zu Gambetti gesagt, ist selbst in ihren absoluten<br />

Höhepunkten niemals den von mir geliebten Literaturen wie der russischen oder der<br />

französischen und spanischen | gleichzusetzen, auch der italienischen nicht. Schon die<br />

deutsche Sprache ist genau genommen eine häßliche, eine, wie gesagt, nicht nur alles<br />

Gedachte zu Boden drückende, sondern durch ihre Schwerfälligkeit auch alles<br />

tatsächlich gemein verfälschende, sie ist gar nicht imstande, einen Wahrheitsgehalt<br />

tatsächlich als solchen tatsächlichen Wahrheitsgehalt wiederzugeben, sie verfälscht<br />

alles von Natur <strong>aus</strong>, sie ist eine rohe Sprache, ohne jede Musikalität, und wäre sie<br />

nicht meine Muttersprache, ich würde sie nicht sprechen, habe ich zu Gambetti<br />

gesagt, wie genau trifft das Französische alles, selbst das Russische, ja selbst das<br />

Englische, sagte ich, von dem Italienischen und Spanischen ganz zu schweigen, das wir<br />

so gern im Ohr haben, während uns das Deutsche, obwohl es unsere Muttersprache<br />

ist, immer fremd und verheerend in den Ohren klingt. Für einen musikalischen und<br />

mathematischen Menschen wie ich und wie Sie, Gambetti, habe ich zu diesem gesagt,<br />

ist die deutsche Sprache etwas Peinigendes. Sie ist, wenn wir sie hören, lästig, niemals<br />

schön, unbeholfen, klobrig selbst da, wo wir glauben, sie als hohe Kunst in uns<br />

aufgenommen zu haben. Die deutsche Sprache ist vollkommen antimusikalisch, habe<br />

ich zu Gambetti gesagt, durch und durch gemein und gewöhnlich und <strong>aus</strong> diesem<br />

Grund empfinden wir unsere Dichtungen ebenso. Die deutschen Dichter haben immer<br />

nur ein ganz primitives Instrumentarium zur Verfügung gehabt, sagte ich zu Gambetti,<br />

dadurch haben sie es hundertmal schwerer als alle andern. (TBernhard, Auslöschung<br />

238 f.)


Sprachwandel oder Kasusfehler?<br />

Tschechiens Ex-Präsident Havel gestorben<br />

Vom Dissident zum Dichterpräsident<br />

(18.12.11; http://www.sueddeutsche.de/)


Erneut Prozess gegen Bushido<br />

Rapper soll Ordnungsamt-Mitarbeiter als Idiot<br />

bezeichnet haben. (19.12.11; www.web.de)


Prozess gegen Rapper Bushido wegen Beleidigung<br />

Berlin (dpa) - Rapper Bushido soll in Berlin einen<br />

Mitarbeiter des Ordnungsamtes als "Idioten"<br />

beschimpft haben. An diesem Dienstag kommt<br />

der Streit um ein Knöllchen vom Oktober<br />

vergangenen Jahres vor ein Berliner Amtsgericht.<br />

( 19.12.11;<br />

http://web.de/magazine/unterhaltung/musik/14<br />

364906-prozess-gegen-rapper-bushido-wegenbeleidigung.html#.A1000107)


Falscher Imperativ?<br />

Wer sich anmaßt, Befehle zu erteilen, sollte zunächst einmal<br />

die richtige Befehlsform beherrschen. Imperativ kommt von<br />

Imperium nicht von Imperitia [‘Unwissenheit’]. Und mit<br />

dem Wort ”befehlen” geht es selbst schon los: ”Befehle nie,<br />

was du nicht selbst befolgen würdest” - über den Sinn<br />

dieses Mottos kann man streiten, nicht aber über seine<br />

Grammatik; denn ”Befiehl!” muss es heißen.<br />

[...]<br />

Wenn der Spielleiter der Comedy-Improvisationssendung<br />

”Schillerstraße” einer Akteurin die Anweisung gibt: ”Sprech<br />

Schwäbisch!”, möchte man ihm selbst einflüstern: ”Sprich<br />

Hochdeutsch!” [...]<br />

Wer sich mit Imperativen wie ”Dresche!”, ”Trete!”,<br />

”Schmelze!” und ”Treffe!” zufrieden gibt, wird es im Leben<br />

nicht weit bringen. (Sick 2005, 47)


Falsches grammatisches Geschlecht?<br />

Zuschussrente, Frauenquote - und plötzlich auch der<br />

Mindestlohn: Jenseits der Euro-Krise bastelt die<br />

Kanzlerin an ihrem sozialen Profil und biegt die Union<br />

nach links. Die marktliberale FDP wird übergangen,<br />

Merkels Macht soll jetzt das SPD-Klientel sichern. Baut<br />

sie vor für die Große Koalition?<br />

(30.10.2011;<br />

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,7<br />

94844,00.html)


Falsches Attribut?<br />

die sprachliche Weltbildthese<br />

Hier wird ein adjektivisches Attribut fälschlich auf das<br />

Bestimmungswort bezogen. Gemeint ist keine sprachliche These,<br />

sondern die These vom sprachlichen, d.h. an die jeweilige<br />

Einzelsprache geknüpften Bildes von der Welt (d.h. die eigentlich<br />

auf Wilhelm von Humboldt zurückgehende Sapir-Whorf-<br />

Hypothese). Das bekannteste Beispiel dieser Art ist der<br />

vierstöckige H<strong>aus</strong>besitzer, der schon von Wustmann (1891: 211)<br />

kritisiert worden ist.


Identifikationsprozesse der Studenten mit ihrem Fach<br />

Hier wird ein Genitivattribut fälschlich auf das<br />

Bestimmungswort bezogen. Gemeint waren nicht<br />

Prozesse von Studenten, sondern es ging um die<br />

fortschreitende Identifikation der Studenten mit ihrem<br />

Fach. Wustmann (1891: 212) nennt in diesem<br />

Zusammenhang neben anderen das Beispiel von der<br />

Anzeigepflicht der ansteckenden Krankheiten.


Teilnehmerliste an den praktischen Übungen<br />

Hier wird ein durch eine Präposition eingeleitetes<br />

Attribut fälschlich auf das Bestimmungswort bezogen.<br />

Gemeint war aber keine Liste an (bzw. von) Übungen,<br />

sondern eine Liste der Teilnehmer an den praktischen<br />

Übungen. Ein klassisches Beispiel, das sich ebenfalls<br />

bereits bei Wustmann (1891: 212) findet, ist: 100<br />

Stück Kinderhemden von 2 bis 14 Jahren.


Inhaltlich erschreckend und grammatisch<br />

verwirrend:<br />

Im Mordprozeß <strong>aus</strong> Fremdenhaß gegen Skinheads ist der<br />

25 Jahre alte Hauptangeklagte zu lebenslanger Haft<br />

verurteilt worden. (Braunschweiger Zeitung v. 14.5.1993)


Sind Anglizismen o.k.?


Bodybag bezeichnet im deutschen Sprachraum seit<br />

Mitte der 1990er Jahre eine Taschenform, bei der der<br />

Korpus der Tasche mit einem Riemen diagonal über<br />

Brust und Rücken geschultert wird.<br />

Der Begriff wird häufig als typisches Beispiel für einen<br />

Scheinanglizismus genannt. Im Englischen versteht<br />

man unter einem Body bag einen Leichensack.<br />

(19.12.2011; de.wikipedia.org)


Gegen die Puristen, wie sie heutigestags unter uns aufgetreten sind, wird sich jeder<br />

erklaeren, der einen richtigen Blick in die Natur der deutschen Sprache gethan hat. Sie<br />

wollen nicht nur alles Fremde bis auf die letzte Zaser <strong>aus</strong> ihr gestoßen wissen, sondern sie<br />

ueberdem durch die gewaltsamsten Mittel wohllautender, kraeftiger und reicher machen.<br />

Die Gesinnung, welcher das Abwerfen des verhaßten Fremden recht ist und an sich selbst<br />

moeglich scheint, verdient unbedenklich geehrt und gehegt zu werden, nur sollte man<br />

sich bescheiden, daß schon zur Ausmittelung der seit allen Zeiten eingeschlichenen<br />

undeutschen Wörter eine tiefe Forschung vorgehen mueßte, wenn auch die noch jetzt<br />

thunliche Entfernung derselben eingeraeumt werden koennte. Sodann muß mit Dank und<br />

Vertrauen anerkannt werden, wie die edle Natur unserer Sprache seit funfzig Jahren so<br />

manches Unkraut ganz von selbst <strong>aus</strong>gejaetet hat und dies allein ist der rechte Weg auf<br />

dem es geschehen soll; ihr sind alle Gewaechse und Wurzeln in ihrem Garten <strong>aus</strong> der<br />

langen Pflege her bekannt und lieb, eine fremde Hand, die sich darein mischen wollte,<br />

wuerde plump mehr gute Kraeuter zerdruecken und mitreißen, als schaedliche <strong>aus</strong>rotten<br />

oder wuerde mit stiefmuetterlicher Vorliebe gewisse Pflanzen hervorziehen und andere<br />

versaeumen. Der Geist aber, welcher gewaltet hat, wird auch ins kuenftige fuehlen, wie<br />

viel des Fremden bleiben koenne oder duerfe und wo die Zeit erscheine, da das noch<br />

Anstoeßige am besten abgelegt werde, wenn wir nur selbst Herz und Sinn, was die<br />

Hauptsumme ist, der das uebrige nachfolgt, unserm Vaterland getreu bewahren. (Ebd.,<br />

5f.)


Gute Schlagwörter?<br />

Bush bedauert Wortwahl "Kreuzzug"<br />

US-Präsident Bush hat seine Äußerungen bezüglich eines<br />

"Kreuzzugs" gegen den Terrorismus relativiert. Bush habe dabei<br />

nicht an die historische Bedeutung im Sinne eines Religionskriegs<br />

gedacht, sagte sein Sprecher Ari Fleischer.<br />

Er habe nur sagen wollen, dass es sich um eine umfassende<br />

Angelegenheit handele, den Terrorismus weltweit <strong>aus</strong>zurotten.<br />

Sollten sich Partner der USA oder irgendjemand sonst von der<br />

Bemerkung vor den Kopf gestoßen fühlen, bedauere Bush dies.<br />

Ihm sei es <strong>aus</strong>schließlich darum gegangen, Amerika und die<br />

Nationen der Welt zum gemeinsamen Kampf gegen den<br />

Terrorismus aufzurufen. (ZDFtext Mi 19.09.01)


Gute Metapher?<br />

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will einem Zeitungsbericht<br />

zufolge den EFSF-Rettungsschirm deutlich schlagkräftiger machen. Er habe als<br />

Zielmarke die Summe von maximal 1000 Milliarden Euro genannt, die der EFSF<br />

künftig insgesamt stemmen können solle. (19.10.2011;<br />

http://www.morgenpost.de)<br />

Wie der Rettungsschirm schlagkräftiger wird<br />

Mit „mehr Feuerkraft“ will die EU den Euro-Rettungsschirm <strong>aus</strong>gestattet sehen,<br />

um eine Ausbreitung der Euro-Krise zu vermeiden. Doch weitere Garantien<br />

wollen Deutschland und die anderen Euro-Länder nicht mehr bereitstellen. Die<br />

Lösung soll ein finanztechnischer „Hebel" bringen. (21.10.11;<br />

http://www.welt.de)


Ein schlagkräftiger Schirm, der gleichzeitig mildtätig sein soll?<br />

Hauptstreitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich ist, wie der Euro-<br />

Rettungsschirm schlagkräftiger gemacht werden soll, um notfalls Ländern in<br />

Zahlungsnot unter die Arme greifen zu können. Ein gemeinsamer Standpunkt der<br />

beiden Länder gilt als Vor<strong>aus</strong>setzung für eine Einigung auf dem EU-Gipfel zur Euro-<br />

Schuldenkrise am Sonntag.| (19.10.2011; http://www.ndr.de)<br />

Euro-Rettungsschirm? Schlagkräftig? Krisenmanagement? Rettungsfond? Stabilisierung<br />

– also Stärkung?<br />

Heute Morgen habe ich im Radio von einem schlagkräftigen Euro-Rettungsschirm zur<br />

Stabilisierung und zum besseren Krisenmanagement und der Bildung eines<br />

Rettungsfonds gehört.<br />

Welche Energie sitzt in all diesen Worten?<br />

Wer soll mit dem Schirm geschlagen werden?<br />

Ein Schirm hat die Aufgabe zu schützen. Ein Rettungsschirm – nehmen wir mal an, [...]<br />

(29.10.2011; http://www.leben-heilt.com/blog/)


Probleme mit Sprechhandlungen<br />

Gemeinsam erhoben SPD-Parteichef Franz Müntefering und<br />

SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier am<br />

Wochenende erneut den Vorwurf, Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel führe eine inhaltsleeren Wahlkampf. “Die große Zahl<br />

der Arbeitslosen in Deutschland ist ihr egal”, sagte er der Bild<br />

am Sonntag. “Frau Merkel und die FDP weigern sich<br />

jedenfalls, ein Konzept für die Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

auf den Tisch zu legen. Das ist ignorant. Das lassen wir nicht<br />

durchgehen. Frau Merkel wird sich der Her<strong>aus</strong>forderung nicht<br />

weiter entziehen<br />

können.”(http://www.zeit.de/online/2009/34/merkelsteinmeier-muentefering)

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