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<strong>Selbstorganisation</strong> in<br />

sozioökonomischen<br />

Systemen<br />

KNUT SCHERPE<br />

Diplom arbeit<br />

Seite 1


Inhaltsverzeichnis:<br />

1 Einleitung........................................................................................................................................1<br />

2 Ökonomische Weltbilder...............................................................................................................2<br />

2.1 Das mechanistische Weltbild ......................................................................................................2<br />

2.2 Die traditionelle Ökonomie ..........................................................................................................3<br />

3 Zum Paradigma der <strong>Selbstorganisation</strong>......................................................................................5<br />

3.1 Synergetik....................................................................................................................................6<br />

3.2 Dissipative Strukturen..................................................................................................................9<br />

3.3 Deterministisches Chaos...........................................................................................................11<br />

3.4 Nichtlineare Modellbildung ........................................................................................................14<br />

4 Die Übertragung auf sozioökonomische Systeme...................................................................16<br />

4.1 Warum Übertragung?................................................................................................................16<br />

4.1.1 Analogie sozialer Systeme zu autopoietischen Strukturen? ............................................17<br />

4.1.2 Analogie sozialer Systeme zu dissipativen Strukturen?...................................................19<br />

4.2 Das Modell einer Party ..............................................................................................................23<br />

4.2.1 Normen und Institutionen als gesellschaftliche Ordner ....................................................27<br />

4.3 Die Darstellung sozioökonomischer Systeme mit der Master-Gleichung .................................32<br />

4.3.1 4.4.1.Migrationsmodelle....................................................................................................37<br />

4.3.2 Wahlmodelle .....................................................................................................................40<br />

4.3.3 Siedlungsstrukturmodelle .................................................................................................43<br />

5 Ökonomie und <strong>Selbstorganisation</strong> ............................................................................................47<br />

5.1 Normen und Märkte...................................................................................................................47<br />

5.1.1 Ökonomische <strong>Selbstorganisation</strong> auf verschiedenen Zeitskalen .....................................................47<br />

5.1.2 <strong>Selbstorganisation</strong> und Prozessinnovationen...................................................................52<br />

5.2 Diffusion von Innovationen ........................................................................................................55<br />

5.2.1 Die Modellierung von Diffusionsprozessen mit der Master-Gleichung.............................62<br />

5.2.2 <strong>Selbstorganisation</strong> in sozialen Netzwerken durch kritische Massen und Schwellenwerte<br />

69<br />

5.3 Individualismus, Holismus und Synergetik................................................................................79<br />

6 Spontane Ordnung in sozioökonomischen Systemen = <strong>Selbstorganisation</strong> = Evolution? .....81<br />

7 Schlussbemerkung.....................................................................Fehler! Textmarke nicht definiert.<br />

Seite 2


Abb. 1: Das Feigenbaum -Diagram m .....................................................................................12<br />

Abb.2: Anfangsw ertsensitivitat des C haosprozesses, k=2.8..................................................12<br />

Abb. 3: Die Entstehung eines Strange Attraktors...................................................................13<br />

Abb.4: Grenzzyklus-Verhalten des Brusselators'...................................................................14<br />

Abb. 5: Eine zufä lige Schw ankung führt zu verschiedenen Endzuständen...........................15<br />

Abb. 6: Schem a der Verknüpfung sozialer System e..............................................................18<br />

Abb. 7: Die Party' und die Ü bergänge zw ischen den "R äum en'.............................................23<br />

Abb. 8: Verknüpfung von Mikro- und Makroebene durch die Mastergleichung......................32<br />

Abb. 9: W ahrscheinlichkeitsverteilung bei niedriger Interdependenz & Präferenz.................36<br />

Abb. 10: W ahrscheinlichkeitsverteilung bei hoher Interdependenz........................................36<br />

Abb. 11: Symmetrische W echselwirkungen (Fixpunktattraktor).............................................38<br />

Abb. 12: Symmetrische W echselwirkungen (multiple Attraktoren).........................................38<br />

Abb. 13: Asymmetrische W eckselwirkungen (Fixpunktattraktor)...........................................38<br />

Abb. 14: Asymmetrische W echselwirkungen (Grenzzyklus)..................................................39<br />

Abb. 15 :Simulationsergebnisse für in zw eidim ensionales M ode l.........................................40<br />

Abb. 16: H öhenliniendarste lungen der W ahrscheinlichkeitsdichtefunktionen .......................41<br />

Abb. 17: Interaktionsm uster städtischer D ynam ik.................................................................44<br />

Abb. 18: Unterschiedliche Konsum entengew ichtungen des Preises eines Gutes.................48<br />

Abb. 19: Die daraus resultierende Existenz von drei Produkten im Markt.............................48<br />

Abb. 20: Drei m ögliche Ergebnisse einer Preissenkung ........................................................49<br />

Abb. 21: Verschiedene m ögliche Marktgleichgew ichte..........................................................49<br />

Abb. 22: Lock-In dargeste lt anhand einer Potentialfunktion..................................................59<br />

Abb. 23: Lock-In dargeste lt anhand einer Potentialfunktion..................................................59<br />

Abb. 24: Vier R ealisierungen des Standard-Polya-Prozesses...............................................63<br />

Abb. 25: Zwei Realisierungen eines nichtlinearen Poly-Prozesses .......................................63<br />

Abb. 26: Schw e lenw ertdichteverteilung erzeugt kum ulatives Diffusionsm uster....................71<br />

Abb. 27: Rechtsschiefe Schw e lenw ertdichteverteilung und ihr Diffusionsm uster.................72<br />

Abb. 28: Der evolutionäre Anpassungsprozeß ......................................................................86<br />

Abb. 29: Konvergenz auf sich dynam isch verändernde Attraktoren ......................................91<br />

Seite 1


1. Einleitung<br />

"..If orthodox economics is at fault, the error is to be found not in the superstructure,<br />

which has been erected with great care for logical consistency,<br />

but in lack of clearness and of generality in the premises"<br />

J.M.Keynes (1936) 1<br />

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Strukturbildungen in ökonomischen und<br />

gesellschaftlichen Systemen, die -wohl ohne Vorbehalt- als komplexe Systeme<br />

bezeichnet werden können, in denen sehr viele Einzelteile in komplexer Weise<br />

zusammenwirken.<br />

Komplexe Systeme lassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: So<br />

kann man zum einen die Funktionsweise der einzelnen Teile untersuchen, indem<br />

man wie in einem Spiel von Regeln ausgeht, welche die Einzelschritte der Teile<br />

bestimmen und damit schließlich ein Muster ergeben 2 . Zum anderen kann man<br />

den Blick mehr aufs Ganze richten und nach den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten<br />

für den Strukturbildungsprozess fragen 3 . Letzteres wird sowohl in der Synergetik<br />

als auch in der Theorie der dissipativen Strukturen getan.<br />

Beide beschäftigen sich damit, wie Strukturen von allein entstehen, wie sie sich<br />

selbst organisieren.<br />

Wäre die Bildung jeder einzelnen der unendlichen Vielfalt von Strukturen einem<br />

speziellen Gesetz unterworfen, könnte man sie nie in ihrer Gesamtheit verstehen.<br />

Um ein Kaleidoskop von Phänomenen aus einer einheitlichen Wurzel heraus zu<br />

verstehen und somit ein einheitliches Weltbild zu erlangen, sucht man nach Fundamentalgesetzen<br />

4 .<br />

Solche Fundamentalgesetze stellen die von Newton (1642-1727) entdeckten Bewegungsgesetze<br />

und das Gesetz der Schwerkraft dar. Sie bilden die Grundlage<br />

für ein mechanistisches Weltbild, welches bis in die heutige Zeit die wissenschaftliche<br />

Methodik und den denktheoretischen Ansatz der modernen Wissenschaft<br />

entscheidend bestimmte 5 .<br />

1<br />

Zitiert in Zhang (1991, S.V)<br />

2<br />

Hierauf gehen Eigen/ Winkler (1975) in Das Spiel' ausführlich ein.<br />

3<br />

Haken (1984, S.10) zieht hier den Vergleich zum Schachspiel, bei dem man entweder die Bewegungen der einzelnen Figuren in<br />

immer neuen Spielen betrachten kann, oder aber nur Aussagen über den Endzustand jedes einzelnen Spiels trifft (Weiß oder<br />

Schwarz gewinnt bzw. Remi).<br />

4<br />

Vgl. Haken (1984, S.15)<br />

5<br />

Laut Prigogine (1988, S.39) begann die moderne Wissenschaft erst mit der Formulierung der Dynamik durch Galilei und Newton.<br />

Seite 1


2. Ökonomische Weltbilder<br />

2.1 Das mechanistische Weltbild<br />

Die Mechanik untersucht, wie sich einzelne Körper aufgrund der zwischen ihnen<br />

herrschenden Kräfte bewegen. Die klassische oder Newtonsche Dynamik 6 macht<br />

ihre Aussagen in Begriffen der Mechanik wie Position und Geschwindigkeit von<br />

Teilchen. Die Welt wird auf Raum-Zeitlinien (Trajektorien) einzelner materieller<br />

Punkte reduziert, wobei die Bewegung des Teilchens von A nach B völlig umkehrbar<br />

ist. Man macht einen grundlegenden Unterschied zwischen den (beliebigen)<br />

Anfangsbedingungen und den Bewegungsgleichungen, aus denen sich der<br />

dynamische Zustand des Systems ergibt. Die Zeit tritt ohne ausgezeichnete Richtung<br />

auf (Zeitreversibilität), der Impuls der Bewegung kommt von außen, die Teilchen<br />

treten in keinerlei Beziehung zueinander. Damit wird die klassische Dynamik<br />

in einer Wirklichkeit, die aus Zusammenstößen, Begegnungen, Zwängen und<br />

Austauschwirkungen besteht, zu einem reinen Denkmodell 7 . Das auf diesem basierende<br />

Wissenschaftsparadigma des 18ten und 19ten Jahrhunderts bestimmt<br />

immer noch die dominante Richtung der Nationalökonomie. Laut Lorenz 8 kann es<br />

auch als deterministisches Weltbild beschrieben werden. Für ihn sind zwei Eigenschaften<br />

wesentlich:<br />

Die Welt unterliegt deterministischen Gesetzen. Jedes Teilchen wie auch jedes<br />

Lebewesen verhält sich entsprechend eines eindeutig beschreibbaren<br />

Bewegungsgesetzes. Zufallskomponenten existieren nicht; stochastische<br />

Elemente weisen nur auf eine Nichtberücksichtigung von irrelevant erscheinenden<br />

Einflussgrößen hin. Würde man alle (sich gegenseitig beeinflussenden)<br />

Elemente eines Gesamtsystems erfassen können und die einzelnen<br />

Entwicklungsgesetze kennen, so wäre die zeitliche Entwicklung aller Komponenten<br />

präzise zu bestimmen 9 .<br />

Ein Gesamtsystem setzt sich aus Subsystemen zusammen, die isoliert voneinander<br />

untersucht werden können. Die Interaktion zwischen den Subsystemen<br />

ist durch eine Überlagerung von Einzelprozessen und deren lineare, in<br />

der Regel additive Zusammenhängigkeit gekennzeichnet (superposition principle).<br />

Das Gesamtsystem verhält sich wie die Summe seiner Teile. 10<br />

In den Wissenschaften und dem ihnen zugrunde liegenden Rationalismus 11 spielt<br />

6 Sie stellt kein abgeschlossenes Gebiet dar. Über die Zeit haben Wissenschaftler wie Lagrange, Hamilton, Poincaré entscheidende<br />

Beiträge geleistet, und bis in die heutige Zeit kommen immer neue Erkenntnisse dazu. Siehe dazu Prigogine(1988, S.39ff)<br />

7 Vgl. Jantsch(1984, S.56f)<br />

8 Vgl. Lorenz (1990)<br />

9 Formal-mathematisch äußert sich eine deterministische Theorie in der Verwendung von deterministischen (also kein stochastisches<br />

Element aufweisenden) Bewegungsgleichungen. Wenn die Startwerte im mathematischen Sinne genau bestimmt werden<br />

können, so können auch die zukünftigen Variablenwerte eindeutig bestimmt werden. In der klassischen Mechanik sind die<br />

Begriffe des deterministischen Weltbildes, der deterministischen Theorie und des deterministischen mathematischen Systems<br />

Synonyme.; Vgl. Lorenz (1990, S.182)<br />

10 Vgl. Lorenz ( 1990, S.182f)<br />

11<br />

So wird in Frankreich auch von 'rationaler' Mechanik gesprochen, womit die Übereinstimmung der Gesetze der klassischen<br />

Seite 2


hierdurch eine reduktionistische Vorgehensweise eine große Rolle: Ein Gegenstand<br />

oder ein Prozess wird in klar erfassbare, voneinander getrennte Elemente<br />

zerlegt; es werden Gesetze für die Kombination und die Veränderung derselben<br />

eingeführt, und der Prozess wird aus diesen Bestandteilen aufgebaut 12 .<br />

2.2 Die traditionelle Ökonomie<br />

"Jedermann weiß, dass Leben ein Vorgang ist, ein Prozess.<br />

Aber nicht jedermann bedenkt, dass ein Prozess aufhört,<br />

ein Prozess zu sein, wenn er in ein statisches Gleichgewicht gerät."<br />

M. Feldenkrais 13<br />

Von diesem deterministischen Weltbild wurden die Klassik und die Neoklassik<br />

entscheidend beeinflusst. Fast das gesamte Theoriengebäude basiert auf dem<br />

homo oeconomicus 14 , der durch folgende Eigenschaften beschrieben werden<br />

kann: Er ist von seiner Umwelt isoliert und betrachtet lediglich ökonomische Motive.<br />

Um eine analytische Lösung des Entscheidungsprozesses zu ermöglichen,<br />

wird volle Rationalität, vollständige Information 15 und eine individuelle Präferenzordnung<br />

16 unterstellt. Das Postulat der Nutzenmaximierung erlaubt dann eine eindeutige<br />

Bestimmung des Konsumplans 17 . Durch den Preismechanismus werden<br />

Nachfrager und Anbieter miteinander verknüpft, und es ergibt sich für alle Güter<br />

ein markträumender Gleichgewichtspreis, und zwar in dem Sinne, dass auf allen<br />

Märkten das Angebot der Nachfrage entspricht (totales Gleichgewicht). Wenn<br />

freie Potentiale, also Ungleichgewichte, in den Märkten auftreten (Angebot ungleich<br />

Nachfrage), so verschwinden diese durch "the mechanics of utility and selfinterest"<br />

18 , und ein neues Gleichgewicht entsteht. 19 Bisher galt die Konzentration<br />

allein den Gleichgewichtszuständen und ihren Eigenschaften. Anstatt sich damit<br />

Mechanik mit denen der Vernunft gemeint ist. Vgl. Prigogine (1988, S.39)<br />

12 Vgl. Feyerabend in Jantsch (1984, S.14)<br />

13<br />

Zitiert in Lehmann (1992, S.93)<br />

14<br />

Da die Volkswirtschaft sich mit menschlichen Entscheidungsprozessen und Interaktionen beschäftigt, kann sie auch im weiteren<br />

Sinne als Sozialwissenschaft verstanden werden. Weil wirtschaftliche Aktivitäten komplexe Rückkopplungsprozesse zwischen<br />

Individuum, Gesellschaft und Umwelt auslösen, als auch erratischen Mustern folgen können, ist es fast unmöglich diese Aktivitäten<br />

durch formal-mathematische Gesetze zu beschreiben. Dadurch war die volkswirtschaftliche Theorie gezwungen, das<br />

real existierende Individuum durch das Artefakt des homo oeconomicus' zu ersetzen. Vgl. Lorenz ( 1990, S.184)<br />

15<br />

Da die, den Entscheidungsprozessen zugrunde liegende, Information nicht immer vollständig sind , und auch die Existenz echter<br />

(objektiver) Unsicherheiten schlichtweg eine Tatsache ist, wurden in der neoklassischen Volkswirtschaftslehre zwei Möglichkeiten<br />

der analytischen Behandlung in die Modelle miteinbezogen: 1. Man geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilungen<br />

stochastischer Größen bekannt sind, und die Verteilungen eine Form aufweisen, die bei einer Maximierung der<br />

Erwartungswerte dazu führt, dass eindeutige Werte für die Aktivitäten erzeugt werden können. 2. Exogene Schocks werden als<br />

stochastische Terme, die den deterministischen Gleichungen hinzugefügt werden, simuliert. (Lorenz, 1990, S.185)<br />

16<br />

Erst die Existenz einer individuellen Präferenzenordnung eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Güterkombinationen logisch<br />

konsistent miteinander zu vergleichen. (Lorenz 1990, S.184)<br />

17<br />

Zum daraus folgenden Determinismus vermerkte Farmer (1991, S.105): "Rather they are 'atoms' who are assumed to act in<br />

predictable ways to given Stimuli. Their preferences, reflected in a Utility function the Contents of which are deemed outside<br />

the scope of economic explanation, or even, according to one now quite widely accepted if extreme version, given and immutable...,<br />

determine their actions in a mechanical way. And whilst real actors may differ from each other in their preferences,<br />

the use of the concept of the 'representative actor' provides a convenient route to the development of economic modes which<br />

can generate predictions analogously to those of classical mechanics."<br />

18<br />

Witt (1985, S.573)<br />

19<br />

Dieser Prozess ist mit einer Waage zu vergleichen, bei der auf der einen Seite ein Gewicht hinzugefügt wird. Sofort startet ein<br />

Anpassungsprozess, in dem das freie Potential (im Sinne nicht erfüllter, individueller Pläne, welche durch eine korrespondierende<br />

Überschussnachfrage reflektiert werden) verschwindet und ein neues Gleichgewicht erreicht wird. Vgl. Witt (1985,<br />

S.573)<br />

Seite 3


zu befassen, wie die freien Potentiale eliminiert werden, also statt der komplizierten<br />

Dynamik der Marktinteraktion, welche (wenn überhaupt) die Koordination der<br />

Wirtschafteinheiten erbringt, wird nur der behauptete Endzustand mit Hilfe einer<br />

statischen Analyse betrachtet. Hinzu kommt, dass das Entstehen von freien Potentialen<br />

ausschließlich durch exogene Schocks 20 erklärt wird. Individuelle Anpassungsprozesse<br />

finden so statt, dass ein neues Gleichgewicht mit perfekter Koordination<br />

entsteht, genau wie dies analog in der klassischen Mechanik stattfindet 21 .<br />

Diese Analogie macht in der Ökonomie nur dann Sinn, wenn das individuelle Verhalten<br />

sich rein reaktiv exogen verursachten Ereignissen anpasst. 22<br />

Die klassische Mechanik und der mit ihr aufgekommene Reduktionismus zeichneten<br />

sich durch den Glauben an die Einfachheit indem Mikroskopischen und eine<br />

statische Betrachtungsweise aus, die vor allem an räumlichen Strukturen interessiert<br />

war. Dies spiegelte sich, wie oben ausgeführt, in den Wirtschaftswissenschaften<br />

wider. Die Struktur einer Gesellschaft wurde als statisch ruhend, sich im<br />

Gleichgewicht befindend angesehen 23 . Makroskopische Eigenschaften sind auf<br />

die Eigenschaften der Komponenten und ihrer Konfiguration zurückführbar. In<br />

einem echten System ergeben sich die Komponenteneigenschaften jedoch oft<br />

nicht aus statischen Strukturen, sondern aus dynamischen Wechselwirkungen,<br />

die innerhalb des Systems, ebenso wie zwischen System und Umwelt stattfinden<br />

24 .<br />

20 Hierdurch wird natürlich auch die Annahme einer in der Zeit invarianten Präferenzstruktur impliziert. Eine Änderung derselben<br />

entspräche ja einem endogenen Erklärungsansatz.<br />

21 Somit beschreiben Prozesse in der Neoklassik die Zerstörung eines alten und die Etablierung eines neuen Gleichgewichtszustandes,<br />

wobei die das Gleichgewicht zerstörenden Kräfte von außen kommen, und die auf ein Gleichgewicht hinführenden<br />

Kräfte als systemimmanent angenommen werden. Z.B. kann eine relative Ressourcenverknappung der Auslöser für einen solchen<br />

sein. Die Neoklassik erklärt vor allem Prozesse auf ein Gleichgewicht hin, Prozesse von einem Gleichgewicht weg finden<br />

kaum theoretische Betrachtung. Außerdem findet bei ihr eine Systembeschreibung in erster Linie als Systemzustandsbeschreibung<br />

statt; die Prozesse, die auf ein Gleichgewicht hin (oder von ihm weg) führen sind von sekundärer Bedeutung. Es handelt<br />

sich also vor allem um eine komparativ-statische Betrachtungsweise. Bei der Beschreibung von evolutorischen Prozessen, die<br />

eine Aussage über Erklärungsvariablen machen muss, die sonst konstant gehalten werden (technologischer Fortschritt, strukturelle<br />

Aspekte, Bevölkerung, usw.) stößt sie an ihre Grenzen. Solche Prozesse haben in der neoklassischen Wachstumstheorie<br />

und in der Kapitaltheorie folgende Charakteristika: 1. Der Prozess ist als relative Bewegungsänderung zwischen Ressourcen<br />

definiert. 2. Die Ursachen für die Änderungen in den Ressourcenbewegungen sind exogen. 3. Die Anfangsbedingungen sind<br />

beliebig. 4. Die ökonomische Dynamik ist durch ein deterministisches Trajektorgesetz definiert. 5. Die dynamischen Prozesse<br />

sind (per Annahme) gleichgewichtig, bzw. die durch die exogenen Störungen herbeigeführten Ungleichgewichte konvergieren<br />

über die Zeit auf einen Gleichgewichtszustand hin. Vgl. Dopfer (1990, S.26ff)<br />

22 Der Tatsache, dass Ärger oder Unzufriedenheit nach all den Anpassungsprozessen zurückbleibt und das Individuum dazu<br />

bringt, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten, dass es also zu einer endogenen Störung des Gleichgewichts kommt,<br />

wenn das Individuum nur innovativ genug ist, wird in der neoklassischen Theorie nicht Rechnung getragen. Bei einer reinen<br />

Maximierung der Zielfunktion unter gegebenen Zwängen gibt es keinen Platz für Ärger oder Unzufriedenheit als Motivationsquelle.<br />

Vgl. Witt (1985, S.574)<br />

23 Vgl. Haken(1984, S.24)<br />

24 Vgl. Jantsch(1984, S.55)<br />

Seite 4


3. Zum Paradigma der <strong>Selbstorganisation</strong><br />

Die Allgemeingültigkeit des gerade ausgeführten Paradigmas der klassischen<br />

Mechanik wurde in dem gleichen Wissenschaftszweig, in dem es entstanden war,<br />

nämlich der Physik, durch neue nicht mit ihm zu vereinbarende Entdeckungen in<br />

Frage gestellt. Durch die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation - die Erkenntnis<br />

der Unmöglichkeit, sowohl Ort wie Geschwindigkeit eines beobachteten Teilchens<br />

gleichzeitig mit hoher Präzision zu bestimmen- kamen die ersten Zweifel<br />

über die absolute Determiniertheit aller Prozesse 25,26 .<br />

Im 19.Jahrhundert entstand mit der Thermodynamik eine makroskopische Betrachtungsweise,<br />

die sich mit ganzen Populationen von Teilchen beschäftigte. Die<br />

dynamischen Aussagen wurden in Mittelwerten (Druck, Temperatur) von Bewegungen<br />

einer großen Anzahl von Molekülen zusammengefasst. Die Ordnung des<br />

Wandels (bzw. die Evolution des Systems) wird im 2ten Hauptsatz der Thermodynamik<br />

(1850)beschrieben 27 : Die Entropie eines isolierten Systems kann nur<br />

zunehmen, bis das System sein thermodynamisches Gleichgewicht erreicht. Entropie<br />

kann man dabei als Maß für die Qualität der im System befindlichen Energie<br />

bezeichnen bzw. als jenen Teil der Gesamtenergie, der nicht frei verfügbar ist<br />

und nicht in einen gerichteten Energiefluss umzusetzen ist 28,29 . In einem isolierten<br />

System nimmt die Entropie immer mehr zu (bzw. nimmt nicht ab), wobei eine Umkehrung<br />

dieser Zustandsänderung nicht möglich ist. Alle irreversiblen Prozesse<br />

erzeugen Entropie 30 ; ein isoliertes System bewegt sich auf einen Zustand maximaler<br />

Unordnung hin 31 . Der Gewinn dieser Entdeckung war, dass mit der Erkenntnis<br />

der Irreversibilität von Prozessen die Begriffe Prozess und Geschichte<br />

auftraten. Die Zeit erhält eine Richtung (die Zeitsymmetrie wird gebrochen), wobei<br />

25 Die makroskopische Betrachtung der Dynamik kohärenter Systeme (Systeme deren Struktur nicht starr bleibt, sondern sich in<br />

zusammenhängender Weise entwickeln) gewann für die Sozialwissenschaften immer mehr an Bedeutung. Dem stand die reduktionistische<br />

Ausrichtung der Physik entgegen, die alle Phänomene auf eine Erklärungsebene reduzieren wollte und sie im<br />

Mikroskopischen, in der Grundstruktur der Materie zu finden hoffte. Wie Jantsch vermerkte, ist es "nicht ohne Ironie, dass die<br />

Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation zuerst im subatomaren mikroskopischen Bereich formuliert wurde"; Jantsch (1984,<br />

S.54)<br />

26 Eine ausführlichere Darstellung derselben findet sich in Prigogine (1988; S.69f, S.90f)<br />

27 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik sagt aus, dass in einem abgeschlossenen System, in dem alle möglichen physikochemikalischen<br />

Umwandlungen ablaufen können, die Gesamtenergie erhalten bleibt. (Haken, 1986, S.38)<br />

28 Haken veranschaulicht den Begriff der Entropie anhand von zwei miteinander verbundenen Kästen und vier Molekülen: Es gibt<br />

nur eine Möglichkeit, diese vier verschiedenfarbigen Moleküle in einen bestimmten Kasten zu tun; dagegen gibt es sechs Möglichkeiten,<br />

sie in unterschiedlicher Zusammensetzung gleichmäßig auf beide Kästen zu verteilen. Das Boltzmannsche Prinzip<br />

sagt nun aus, dass die Natur den Zustand anstrebt, bei dem die Zahl der Möglichkeiten, die Entropie, am größten ist. Wenn<br />

die Moleküle in Bewegung sind, so werden sie den Zustand der Gleichverteilung anstreben. Die Wahrscheinlichkeiten, ein bestimmtes<br />

Molekül in einem der beiden Kästen anzutreffen, sind identisch; die Unsicherheit in diesem Zustand maximaler Unordnung'<br />

ein bestimmtes Molekül in einem der beiden Kästen anzutreffen ist maximal, nämlich gleichwahrscheinlich; insofern<br />

ist die Entropie ein Maß der Ordnung. Ein anderes Beispiel ist die Abbremsung eines Autos, bei der die vorher gerichtete Bewegungsenergie<br />

in Wärme umgewandelt wird; die Energie eines Freiheitsgrades wird auf sehr viele Freiheitsgrade verteilt.<br />

Dieser Vorgang ist nicht umkehrbar. Die erzeugte niederwertige Energie kann nicht wieder völlig in höherwertige Energie<br />

umgewandelt werden, mit der Folge, dass die Entropie im Gesamtsystem zunimmt. Vgl. Haken (1984, S.27ff).<br />

29 Für eine ausführlichere Darstellung des Entropiebegriffs siehe Prigogine (1988; S.29ff, S.91ff, S.212ff)<br />

30<br />

Zur Fragestellung inwiefern ökonomische Systeme als Entropieerzeugende Systeme angesehen werden können siehe Spreng<br />

(1984) sowie Swaney (1985)<br />

31<br />

Diese Erkenntnis der Entropiezunahme ließ die Vision vom unentrinnbaren Wärmetod' der Erde entstehen;<br />

Vgl. Jantsch(1984, S.57)<br />

Seite 5


der Prozess als eine Abfolge von ganzheitlichen Systemzuständen durch die Veränderung<br />

eines einzigen mikroskopischen Systemparameters, der Entropie, dargestellt<br />

werden kann. Jedoch handelt es sich, genau wie in der klassischen Mechanik,<br />

um ein Gleichgewichtssystem. Ein System ohne Umwelt wird eine besondere<br />

Art der <strong>Selbstorganisation</strong> haben: Es evolviert auf seinen Gleichgewichtszustand<br />

hin 32 . In der Thermodynamik führt die Irreversibilität zur Zerstörung von<br />

Strukturen.<br />

Die zweite Grundklasse physikalischer Systeme stellt ein relativ neues Erkenntnisobjekt<br />

der Naturwissenschaften dar: Es handelt sich um Ungleichgewichtssysteme<br />

einer bestimmten Art, nämlich um offene Systeme, die Energie und Materie<br />

mit der Umwelt austauschen, und in denen sich spontan Strukturen bilden. Mit<br />

solchen befasst sich die Theorie der selbstorganisierenden Strukturen, ein neuer<br />

Forschungszweig, der seine dominantesten Ausprägungen in der Synergetik und<br />

in der Theorie der dissipativen Strukturen hat.<br />

3.1 Synergetik<br />

Die Synergetik 33 -ein von Haken formuliertes Kunstwort- befasst sich hauptsächlich<br />

mit den Ablaufmechanismen in selbstorganisierenden Systemen.<br />

Das Paradebeispiel der Synergetik ist der Laser 34 . Anschaulich lässt sich das<br />

Phänomen des Laserlichts folgendermaßen erklären 35 : Zwei Spiegel, von denen<br />

der eine teilweise lichtdurchlässig ist, schließen eine Neonröhre, die mit Edelgasatomen<br />

gefüllt ist, ab. Es handelt sich beim Laser um ein offenes System, da ein<br />

ständiger Stromfluss aufrechterhalten wird 36 . Der elektrische Strom wird von frei<br />

herumschwirrenden Elektronen getragen, die mit den Gasatomen zusammenstoßen.<br />

Dabei kann das 'Leuchtelektron' eines Gasatoms auf eine energiereichere<br />

Bahn hinauf gestoßen werden. Von dieser kann es spontan, das heißt plötzlich,<br />

ohne vorhersehbaren Zeitpunkt auf seine ursprüngliche Bahn zurückspringen. Die<br />

dabei frei werdende Energie gibt es als Lichtwelle ab. Dies passiert bei unzähligen<br />

Atomen gleichzeitig, es entsteht ein Knäuel von Wellenzügen. Bei Erhöhen<br />

der Energiezufuhr, so müsste man annehmen, würde das Knäuel immer dichter 37 .<br />

Durch die Spiegel jedoch werden die Lichtwellen dazu gezwungen, relativ lange<br />

im Laser zu verbleiben. Eine schon vorhandene Lichtwelle kann andere angereg-<br />

32<br />

Während ein Pendel oder eine Waage, die von außen angestoßen bzw. beschwert werden, gute Beispiele für mechanische Anpassungsvorgänge<br />

ans Gleichgewicht sind, ist ein solches für die Thermodynamik ein mit Gas gefülltes Gefäß, welches durch<br />

eine Trennwand mit einem leeren Gefäß verbunden ist. Zieht man die Trennwand heraus, so verteilt sich das Gas gleichmäßig<br />

auf beide Gefäße. Vgl. Haken (1984, S.28f)<br />

33<br />

In Hakenscher Übersetzung : Die Lehre vom Zusammenwirken'<br />

34<br />

Die Lasertheorie gab auch den eigentlichen Anstoß zur Begründung der Synergetik, da es für ihn keine befriedigende theoretische<br />

Erklärung zu geben schien; Vgl. Haken (1986, S.35)<br />

35<br />

Vgl. Haken ( 1984, S.63ff)<br />

36<br />

Die zugeführte Energie besitzt hierbei keine besondere Struktur oder Qualität, so dass dem System kein geordneter Zustand<br />

aufoktroyiert wird (inkohärente Energiezufuhr); Vgl. Haken ( 1986, S.44)<br />

37<br />

Ohne die Spiegel, also z.B. bei einer Neonröhre, würden alle Atome unregelmäßig und unabhängig voneinander Lichtblitze<br />

emittieren, die sofort aus der Röhre austräten. Hierdurch entsteht auch der Eindruck des diffusen Lichts.<br />

Seite 6


te Leuchtelektronen dazu zwingen, in ihrem Takt mitzuschwingen. Sie (ihr Wellenberg)<br />

wird dadurch verstärkt. Die verstärkte Welle wiederum kann mehr und<br />

mehr Leuchtelektronen in ihren Bann ziehen und diese zwingen, die Wellenberge<br />

höher und höher schlagen zu lassen; es findet eine positive Rückkopplung statt:<br />

Die Wirkung koppelt auf die Ursache zurück. Hier tauchen nun die Begriffe des<br />

Ordners und der Versklavung auf, durch welche in der Synergetik die Gesetzmäßigkeit<br />

beschrieben wird, die sich wie ein roter Faden durch alle Phänomen der<br />

<strong>Selbstorganisation</strong> zieht.<br />

Der entstehende Ordner in Form einer bestimmten Lichtwelle, die immer mehr<br />

verstärkt wird, übt mehr und mehr Anziehungskraft auf noch in einem anderen<br />

'Takt' schwingende Lichtwellen aus und versklavt 38 sie dazu, im gleichen 'Takt'<br />

mitzuschwingen. Umgekehrt aber bringen die Elektronen durch ihr gleichmäßiges<br />

Schwingen erst die Lichtwelle, d.h. den Ordner hervor.<br />

Am Anfang jeder Laserausstrahlung jedoch gibt es verschiedene Wellen, die miteinander<br />

in Konkurrenz treten, von den angeregten Elektronen Verstärkung zu<br />

erhalten. Die Wellen erhalten diese nicht gleichmäßig, sondern es wird diejenige<br />

Welle bevorzugt, die dem inneren Rhythmus der Elektronen am nächsten kommt.<br />

Diese wird durch eine minimale Bevorzugung lawinenartig verstärkt und zieht<br />

mehr und mehr auch die konkurrierenden Wellen in ihren Bann; dieser Prozess<br />

endet damit, dass die gesamte Energie der Leuchtelektronen nur noch in eine<br />

völlig gleichmäßig schwingende Welle geht: das Laserlicht.<br />

Aus anfänglich spontan und zufällig erzeugten Wellen wird eine im Wettbewerb<br />

selektiert 39 . Die Amplitude dieser Schwingung wird als Ordnungsparameter des<br />

Systems bezeichnet, der die laseraktiven Atome versklavt, gemäß seinen Vorgaben<br />

zu schwingen. Sie genügt im Falle des Lasers einer nichtlinearen Differentialgleichung<br />

40 .<br />

Der Übergang von anfänglich zufällig, ohne Bevorzugung für eine bestimmte Welle,<br />

ausstrahlenden Elektronen (mit vielen Freiheitsgraden) zur Bevorzugung einer<br />

bestimmten Welle (ein Freiheitsgrad) wird auch als Phasenübergang bezeichnet.<br />

Dieser ist in zweifacher Hinsicht symmetriebrechend: Einmal, da die Symmetrie<br />

aller Wellen (bezüglich der Bevorzugung durch die angeregten Elektronen) zugunsten<br />

einer bestimmten Welle gebrochen wird. Zum anderen gibt es mindestens<br />

zwei gleichberechtigte optimale Wellen, die dem inneren Rhythmus der<br />

Elektronen entsprechen. Welche von diesen sich schlussendlich durchsetzt hängt<br />

von den anfänglichen Fluktuationen ab, davon, welche optimale Welle zuerst ver-<br />

38<br />

Versklavung soll hier als bestimmte Folgebeziehung und nicht als Versklavung im ethischen Sinne verstanden werden; Vgl.<br />

Haken ( 1984, S.20)<br />

39<br />

Hierin wird das für die Synergetik typische Wechselspiel von Zufall (zufällige anfängliche Wellen) und Notwendigkeit (Selektion<br />

aus diesen) deutlich.<br />

40<br />

Hier ist es so, dass ein Ordnungsparameter überlebt. Sie können aber auch kooperieren und immer komplexere Strukturen<br />

bilden; Vgl. Haken (1986, S.60)<br />

Seite 7


stärkt wird und dann die Oberhand gewinnt.<br />

Bei bestimmten Lasertypen kann bei weiterer Erhöhung der Energiezufuhr der geordnete<br />

Zustand der normalen Lasertätigkeit ebenfalls instabil werden. Den dann entstehenden<br />

Zustand kann man als eine noch höher geordnete Form der Atome betrachten:<br />

Der Laser sendet in regelmäßiger Folge gleichartige Lichtpulse aus. Es<br />

findet kein Phasenübergang von Unordnung zu Ordnung statt, sondern von Ordnung<br />

zu Ordnung. Diese Phasenübergänge sind durch charakteristische Änderungen<br />

in den Ordnungsparametern oder durch die Wechselwirkung mehrerer<br />

Ordnungsparameter beschreibbar. Die oben erwähnte Einfachheit im Mikroskopischen<br />

wird durch eine Einfachheit im Makroskopischen ersetzt.<br />

Der synergetische Prozess ist hierbei zum einen von einer quantitativen Größe<br />

abhängig: Erst wenn der Stromzufluss eine kritische Stromstärke überschritten<br />

hat, setzt schlagartig der Phasenübergang von ungeordnetem Licht zu Laserlicht<br />

ein. Außerdem spielt eine systemabhängige qualitative Größe eine Rolle: Erst<br />

wenn die Anzahl der Laseratome im System eine bestimmte kritische Anzahl<br />

überschreiten, ist die Möglichkeit gegeben, den selbstorganisatorischen Prozess<br />

der Laserbildung in Gang zu setzen.<br />

Ebenso hat die Umwelt des Systems einen entscheidenden Einfluss: Zwischen<br />

die beiden Spiegel passen nur bestimmte Wellen. Wenn die Vorzugswelle der<br />

Atome nicht passt, so wird eine gewählt, die dieser am nächsten kommt. Verändert<br />

man den Abstand allmählich, so beginnen einige Elektronen spontan -in einer<br />

Art Fluktuation- auf der nun möglichen Lieblingswelle ihre Energie zu entsenden.<br />

Diese neue Welle erhält nun lawinenartig Verstärkung, die alte wird vollständig<br />

fallengelassen 41 .<br />

Für synergetische Prozesse in der Art des gerade dargestellten lassen sich zahlreiche<br />

Beispiele 42 finden. Allgemein lässt sich die Synergetik als "die Wissenschaft<br />

mikroskopischer Raum-Zeit-Strukturen von Vielkomponentensystemen, die<br />

sich aus miteinander Wechselwirkenden Einheiten zusammensetzen" 43 bezeichnen.<br />

Die interdisziplinäre Universalität der Synergetik hat ihren Ursprung in den<br />

vereinheitlichenden Konzepten der Modellbildung und Analyse dieser Phänomene.<br />

Häufig wird das makroskopische Raum-Zeit-Verhalten durch die Dynamik weniger<br />

Ordnungsparameter beschrieben, worauf im späteren eingegangen wird.<br />

Die generelle Ursache dieser <strong>Selbstorganisation</strong> liegt in dem Versklavungseffekt.<br />

41 Bezüglich des Paradebeispiels' Laser vgl. Haken (1984, S.61ff;1986, S.35fi)<br />

42 An solchen reich ist Hakens populärwissenschaftliche Darstellung synergetischer Phänomene (Haken, 1984). Dort werden<br />

zahlreiche Phänomene in Biologie, Chemie, Physik, Gesellschaft und Wirtschaft aufgeführt, die analog zu den gerade dargestellten<br />

Ablaufmechanismen erklärt werden. Haken unterstreicht damit den interdisziplinären Anspruch der Synergetik.<br />

43 Weidlich(1991, S.483)<br />

Seite 8


3.2 Dissipative Strukturen<br />

Der Laser stellt ein System dar, dem ein Energiedurchsatz von außen aufgezwungen<br />

wird. Interessanter sind physikalisch-chemische Reaktionssysteme, die<br />

den Energie- und Massedurchsatz im Austausch mit ihrer Umgebung ständig<br />

selbst in Gang halten und global stabile Strukturen bilden. Dies sind die dissipativen<br />

Strukturen im engeren Sinne des Wortes 44 .<br />

Das Paradebeispiel für eine dissipative Struktur ist die Belousov-Zhabotinsky-<br />

Reaktion 45 . Über viele Stunden lassen sich bei diesen so genannten chemischen<br />

Uhren - die bei einer bestimmten Zusammensetzung eines chemischen Gemisches<br />

entstehen- konzentrische oder spiralförmige Wellen beobachten, die äußerst<br />

regelmäßig auftreten. Die nötigen Bedingungen für eine solche spontane<br />

Bildung von Strukturen sind: Offenheit gegenüber dem Austausch von Energie<br />

und Materie mit der Umgebung, ein Zustand fern vom Gleichgewicht und autobzw.<br />

krosskatalytische Prozesse. Letztere sind für positive Rückkopplungen und<br />

damit für ein Verhalten verantwortlich, welches man in der Mathematik nichtlinear<br />

nennt 46 . Freie Energie und Reaktionsteilnehmer werden importiert, während Reaktionsprodukte<br />

und Entropie exportiert werden 47 : Es liegt ein Stoffwechsel eines<br />

Systems in einfachster Form vor; das System scheint nur an seiner Selbsterneuerung<br />

und an seiner eigenen Integrität interessiert. Indem es sein inneres Ungleichgewicht<br />

mit Hilfe eines Energie- Materieaustausches mit der Umwelt aufrechterhält<br />

(äußeres Ungleichgewicht), erneuert es sich ständig selber und hält so<br />

ein spezifisches dynamisches Regime -eine global stabile Raum-Zeit-Strukturaufrecht.<br />

Es ist bezüglich seiner Umweltbeziehungen 48 offen, aber operational geschlossen.<br />

Letzteres bedeutet, dass das System eine geschlossene Prozessorganisation<br />

aufweist 49 ' 50 . Dadurch gewinnt es eine gewisse Autonomie gegenüber der<br />

44 Man spricht bei solchen Systemen von dissipativer <strong>Selbstorganisation</strong>, im Gegensatz zu konservativer <strong>Selbstorganisation</strong>, bei<br />

der nur die anziehenden und abstoßenden Kräfte im System selbst eine Rolle spielen; Vgl. Jantsch (1984, S.61); siehe auch<br />

Zhang (1991, S.31ff)<br />

45 Vgl. Jantsch( 1984, S.61ff), Haken(1984, S.70ff; 1986, S.38ff)<br />

46<br />

Die Bevölkerungsexplosion in der Welt ist ein Beispiel für eine solche autokatalytische Nichtlinearität; Vgl. Jantsch (1984,<br />

S.62)<br />

47<br />

Die Entropieänderung dS des Systems kann in eine innere Komponente djS (Entropieproduktion infolge irreversibler Prozesse)<br />

und in eine äußere Komponente deS (Entropiefluss infolge Austausches mit der Umwelt) aufgespulten werden, mit dS=<br />

djS+deS. Während d^S immer größer oder gleich null ist, kann deS beide Vorzeichen annehmen, womit die Gesamtentropie im<br />

System auch abnehmen oder gleich bleiben kann; Vgl. Jantsch (1984, S.58)<br />

48<br />

Hierbei bezieht sich die Offenheit nicht nur auf den Austausch von Energie und Materie, sondern auch auf den Austausch von<br />

Information und die Offenheit gegenüber Neuem. Dieser Austausch kann nur bei der Existenz eines inneren Ungleichgewichts<br />

aufrechterhalten werden; im Gleichgewicht kommen die Prozesse zum Stillstand; Vgl. Jantsch (1984, S.64)<br />

49<br />

Im Gegensatz zur "klassischen' Beschreibung, bei der das System als komplexe Reaktionsmaschine für Umweltreize konzipiert<br />

wurde, spielen in der neuen Systemtheorie rekursive Funktionen eine entscheidende Rolle: die Reaktion wird zum neuen Reiz,<br />

die Wirkung zur Ursache"; Krohn( 1990, S.446f )<br />

50<br />

Viele dissipative Systeme weisen eine zyklische (kreisförmig geschlossene) Prozessorganisation, die durch den von Eigen so<br />

benannten Hyperzyklus' dargestellt werden kann. So lässt sich auch die beispielhaft dargestellte Belousov-Zhabotinsky-<br />

Reaktion als Hyperzyklus darstellen. "Ein Hyperzyklus ist ein geschlossener Kreis von Umwandlungs- oder katalytischen Prozessen,<br />

in dem ein oder mehrere Teilnehmer zusätzlich autokatalytisch (selbstvermehrend) wirken....Der 'innere' Prozesskreis<br />

erneuert sich ständig selbst und wirkt als Ganzes wie ein Katalysator, der Anfangs- in Endprodukte verwandelt ";Jantsch<br />

Seite 9


Umwelt (es erhält seine ihm eigene Form und Größe unabhängig von der nährenden<br />

Umwelt) 51 . Die Reaktionen im System werden nicht mehr durch Informationen<br />

aus der Umwelt hervorgerufen, sondern es sind beliebige Störungen, die zu einem<br />

Eigenverhalten des Systems führen. Das System erzeugt sein Verhalten<br />

selbst 52 . Für diese Art selbstreferentiellen Systemverhaltens hat Maturana die Bezeichnung<br />

Autopoiese eingeführt 53 . Die gleichen Charakteristika, die die von Maturana<br />

betrachteten Systeme aufwiesen, können in den dissipativen Strukturen<br />

erkannt werden 54 . Ein autopoietisches System ist selbstorganisierend, selbsterhaltend<br />

und selbstreferentiell 55 .<br />

(1984, S.64) wo auf den Hyperzyklus ausführlicher eingegangen wird.<br />

51 Vgl. Jantsch (1990, S.164f)<br />

52<br />

Vgl. Krohn(1990, S.447)<br />

53<br />

"Maturana betrachtete biologische Zellen, also lebende Systeme, die sich ständig im Wechselspiel von anabolischen (aufbauenden)<br />

und katabolischen (abbauenden) Reaktionsketten erneuern und nicht über längere Zeit aus den gleichen Molekülen bestehen<br />

(Vgl. Jantsch, 1984, S.66). Ein autopoietisches System ist nach dieser 'Theorie der Autopoiese' ein System“, das zirkulär<br />

die Komponenten produziert, aus denen es besteht, das sich also über die Herstellung seiner Bestandteile selbst herstellt<br />

und erhält. "(Roth, 1990, S.258) Es ist autonom gegenüber seiner Umwelt, d.h., obwohl energetisch und materiell offen, determiniert<br />

es selbst seine Zustandsfolgen aufgrund seiner spezifischen internen Struktur. Solche 'strukturdeterminierten' Systeme<br />

können zwar von außen angeregt, 'perturbiert', werden, durch diese Einwirkungen werden aber nicht die Zustandsfolgen<br />

im System determiniert. Strukturdeterminiertheit und damit operationale Geschlossenheit kennzeichnen autopoietische Systeme<br />

und nach der Theorie Maturana’s völlig analog dazu auch die funktionale Organisation des Nervensystems. Dieses bzw.<br />

das Gehirn sind sein zentrales Untersuchungsobjekt und Grundlage einer Kognitionstheorie, des "Radikalen Konstruktivismus'<br />

[Schmidt (1990); siehe dort insbesondere: von Foerster (1990)].Das Gehirn kann über die Rezeptorenoberfläche der<br />

Sinnesorgane nur 'erregt' werden, die Folgen dieser Erregung erfährt es nur als eine sich selbst organisierende relative Veränderung<br />

neuronaler Zustände, denen es 'selbstreferentiell' verschiedene Bedeutungen zu schreibt. Vgl. Roth (1990, S.257ff;<br />

1987, S.25ff), Maturana, (1990a), und Varela (1990) Letzterer geht ausführlich auf das Problem der organisationellen Geschlossenheit<br />

ein.<br />

54<br />

Vgl. Jantsch (1990, S.164)<br />

55<br />

Zum abschließenden Verständnis die Definitionen nach Hejl (1990, S.306f): Selbstorganisierend sind Systeme, die aufgrund<br />

bestimmter Anfangs- und Randbedingungen spontan als spezifische Zustände oder Folgen von Zuständen entstehen. Solche<br />

Zustände oder Folge von Zuständen (Grenzzyklen) können in der formalen Theorie als Attraktoren verstanden werden. Es<br />

muss nicht gleichzeitig selbsterhaltend sein, da seine Komponenten während des Prozesses zerfallen und nicht wieder neu gebildet<br />

werden können. Selbsterhaltende Systeme sind Systeme, die sich gegenseitig und damit den ganzen Zyklus aufrechterhalten.<br />

Sie erzeugen sich selbst in operational geschlossener Weise(A>B>C>A). Sie sind nicht an die Lebensdauer einzelner<br />

Komponenten gebunden, und damit auch in dieser Hinsicht mehr als die Summe ihrer Teile. Selbstreferentielle Systeme sind<br />

Systeme, welche die Zustände ihrer Komponenten in operational geschlossener Weise verändern. Hieraus folgert Heijl dass<br />

selbsterhaltende Systeme notwendigerweise selbstreferentiell sind, der Umkehrschluss aber nicht gilt (z.B. das Gehirn).<br />

Seite 10


3.3 Deterministisches Chaos<br />

"Irreversibility and unpredictability are not plausibly explained-only described. To the extent that a non-linear model<br />

gives a better depiction of the actual surface of economic phenomena, it is indeed a superior description- but not a superior<br />

explanation, since it is no explanation at all."<br />

Kurt Dopfer 56<br />

Nichtlinearitäten spielen bei selbstorganisierenden Systemen eine entscheidende<br />

Rolle. Bei der Implementierung derselben in nichtlinearen Gleichungssystemen<br />

zeigte sich, dass schon relativ einfache Gleichungssysteme ein sehr komplexes<br />

und oft unvorhersehbares Verhalten hervorrufen können. Letzteres wurde auch<br />

als Deterministisches Chaos bezeichnet und begründete ein neues Paradigma,<br />

dass "dabei ist, den Charakter einer fächerübergreifenden Wissenschaft zu erlangen"<br />

57,58 Die einfachste Chaosform kann durch eine Differenzenglaichung, die so<br />

genannte Logistische Gleichung dargestellt werden.<br />

Sie hat die Form: Xt+1 = Xt +k *(1-Xt) 59 . Bei kleinen k (k


Abb. 1: Das Feigenbaum-Diagramm<br />

Chaos bedeutet hier, dass man (für k>2.57) in den Iterationsfolgen, die durch die logistische<br />

Gleichung erzeugt werden, keine Regelmäßigkeiten -sprich: keine Struktur- mehr erkennen<br />

kann. Der deterministische Prozess kann unendlich viele Punkte anspringen, es wird ständig<br />

neue Information produziert.<br />

Nur wenn man um den Anfangswert bis unendlich viele Stellen hinter dem Komma wüsste,<br />

ließe sich die Zustandsfolge erfolgreich prognostizieren: Der Prozess ist hochgradig anfangswertsensibel(Abb.2).<br />

.<br />

Abb.2: Anfangswertsensitivitat des Chaosprozesses, k=2.8<br />

Seite 12


Jedoch konnte auch für diese deterministisches Chaos produzierenden Gleichungen eine<br />

komplexe Struktur nachgewiesen werden, ein so genannter „strange attractor" 63<br />

Abb. 3: Die Entstehung eines Strange Attraktors<br />

Obwohl die Suche nach deterministischem Chaos mittlerweile fast einen eigenen Forschungszweig<br />

in der Ökonomie herausgebildet hat, der sich hauptsächlich mit der Irregularität<br />

von empirischen Zeitreihen beschäftigt 64 , sei hier nur die Eigenschaft der Anfangswertsensibilität<br />

herausgestellt. Ähnliche Ursachen haben nicht ähnliche Wirkungen zur Folge,<br />

63 Dieser stellt einen mehrdimensionalen Attraktionsbereich dar, den das 'scheinbar' chaotische System nicht verlässt. Bei Differentialgleichungen<br />

muss er mindestens dreidimensional sein, da sich in dem Fall, dass ein identischer Zustand ein zweites Mal erreicht wird, eine Zeitschleife<br />

bilden würde: Das heißt, es wäre kein 'strange attractor', sondern ein Zyklus, der immer wieder durchlaufen würde. Man kann sich den<br />

'strange attractor' wie ein Wollknäuel im dreidimensionalen Raum vorstellen, in welchem die Trajektorien unendlich nah beieinander liegen,<br />

aber nie eine identische Position im Raum einnehmen; Vgl. Stewart(]989;S.137fr, S.172ff), Gleick (1987, S.l 19ff> Ein solcher Attraktor kann<br />

z.B. durch das von Lorenz entwickelte Klimamodell erzeugt werden. Es besteht aus drei gekoppelten nichtlinearen Differentialgleichungen<br />

erster Ordnung: dX= -s (X-Y) ; dY= -Y-XZ+ rZ; dZ= -bZ+XY. Für bestimmte Parameterwerte entsteht der so genannte Lorenz-Attraktor, der<br />

die Form eines abstrahierten Schmetterlings aufweist; Vgl. Mitschke(1991, S.97f); Gleick (1987, S.28). Ein von Goodwin (1990) auf Basis eines<br />

Räuber- Beute- Modells entwickeltes ökonomisches Wachstumsmodell fuhrt zum sog. Rösler- Attraktor; Vgl. ebenda, siehe auch Radzicki<br />

(1990, S.69fT).<br />

64 "Da oftmals nur eindimensionale Zeitreihen vorliegen, kann man diese verdreifachen und zueinander versetzen. Mit dem Vektor(X t_2>X t.i, X<br />

t) kann so ein dreidimensionale Zeitserie betrachtet werden; Vgl. Stewart (1989, S.184ff). Die Frage nach der Relevanz des Chaosparadigmas<br />

richtet sich nach der Beweisbarkeit seiner Existenz, z.B. in ökonomischen Zeitreihen, wobei deren Irregularität sowohl als stochastisches als<br />

auch als chaotisches Phänomen interpretiert wird. Der Nachweis von echtem Chaos setzt einen Fraktalcharakter (gebrochene Dimension) des<br />

seltsamen Attraktors oder eine exponentielle Distanzentwicklung von Punkten des Attraktors voraus. Ersteres entspricht einem geknüllten Papier,<br />

das den dreidimensionalen Raum nicht dicht füllen kann, aber offensichtlich eine dritte Dimension mit heranzieht. Letzteres läuft auf ein<br />

Verfahren zur Berechnung des Lyaponov-Exponenten hinaus[ Vgl. Schnabl (1991, S.564f). Insbesondere Aktienkursindexe, die in der Regel<br />

täglich vorliegen, bieten ein beliebtes Untersuchungsobjekt; siehe z.B. Drepper (1989). Aber auch in die ökonomische Modellbildung fand das<br />

'deterministische Chaos' Einlass; Vgl. Kelsey (1988), Day(1982), Gabisch(1989); allgemeinen Betrachtungen zur ökonomischen Chaosforschung<br />

finden sich in Lorenz( 1990 und insbesondere 1992), zu einer Kritik des Ansatzes siehe Dopfer(1991).<br />

Seite 13


zwei nah aneinander liegende Anfangswerte können völlig unterschiedliche Entwicklungspfade<br />

produzieren 65 . Diese Erkenntnis misst der späteren Betrachtung von Fluktuationen<br />

bzw. des Nichtdurchschnittsverhaltens in komplexeren nichtlinearen Systemen eine neue<br />

Bedeutung zu.<br />

3.4 Nichtlineare Modellbildung<br />

Die Untersuchung dieser neuen und vielfältigen Phänomene, die durch solche Systeme erzeugt<br />

werden, ist wegen der entscheidenden Rolle der Nichtlinearitäten nur in aufwendiger<br />

Weise mit Computern möglich, da man erst sehr viele Fälle im Einzelnen durchrechnen<br />

muss, bevor sich ein Gesamtbild des nichtlinearen Verhaltens zeigt. Der von der Brüsseler<br />

Schule anhand einer krosskatalytischen chemischen Reaktion modellierte Brusselator stellt<br />

"den einfachsten Fall dar, um zu kooperativem Verhalten im Sinne dissipativer Strukturen zu<br />

gelangen" 66 . Hier sind A, B, D und E die Ausgangs- und Endprodukte, deren Konzentrationen<br />

konstant gehalten werden, während sich die Konzentrationen der Zwischenverbindungen<br />

X und Y zeitlich ändern können 67 :<br />

Abb.4: Grenzzyklus-Verhalten des Brusselators'<br />

Dieselbe periodische Trajektorie wird für verschiedene Anfangsbedingen erhalten. (S bezeichnet einen instabilen stationären Zustand.)<br />

65<br />

Lorenz, der sich mit dem Wetter befasste und dies auch durch ein nichtlineares Gleichungssystem zu simulieren suchte nannte dies metaphorisch<br />

den Butterfly-Effekt'; VgI. Gleick (1987,S.10ff). Er bezog sich damit auf die Vorstellung, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in<br />

Mexiko einen Hurrikan in Japan auslösen kann Die Nichterfassung dieses Flügelschlags' (also einer unendlich kleinen Perturbation in dem<br />

Anfangswert eines Modells) führt zu langfristig völlig falschen Prognosen. Dies trifft nach Kelsey auch für die Betrachtung der ökonomischen<br />

Realität zu: Economics and weather forecasting have a lot in common...both are trying to predict the outcomes of very large Systems, the<br />

components of vvhich mutually interact in complex ways. The Output of both Systems has a seemingly random appearance, even though there<br />

are certain other regularities (e.g., weather is hotter in summer than Winter, also there is higher employment )"; Kelsey (1988, S.I). "Chaos<br />

und sensitive Abhängigkeit in ökonomischen Prozessen" war auch Thema eben des gleichnamigen Artikels von Stahlecker (1991)<br />

66<br />

Jantsch(1984, S.68)<br />

67<br />

Es ist hier übrigens die dritte Gleichung, welche die (autokatalytische) Nichtlinearität repräsentiert Vgl zum Folgenden Pngogine (1988,<br />

S.l!2ff), Jantsch (1984, S.68IT). Zu Einzelheiten siehe Nicolis und Prigogine (1977).<br />

Seite 14


Das System kann einen homogenen stationären Zustand annehmen (mit A=X und Y=B/A).<br />

Überschreitet jedoch z.B. B einen kritischen Wert (B>l+A^), so führt dieses zu einem Grenzzyklus,<br />

d.h. jeder beliebige Anfangspunkt im X-Y-Raum nähert sich derselben periodischen<br />

Bahnkurve (Abb.4).<br />

Wenn man nun zwei Behälter betrachtet und einen Austausch von Materie zwischen ihnen<br />

zulässt (der durch zwei Diffusionskoeffizienten D x und D v bestimmt wird 68 ) , so zeigt sich,<br />

dass unter geeigneten Bedingungen der thermodynamische Zustand einer identischen Konzentration<br />

von X und Y instabil wird, und eine Symmetriebrechende dissipative Struktur entsteht<br />

(Abb.5) 69<br />

Abb. 5: Eine zufällige Schwankung führt zu verschiedenen Endzuständen<br />

Eine Störung der Konzentration von Y im Behälter 2 (Y2) «in den homogenen Zustand erhöht die Produktionsrate von X in demselben<br />

Behälter (X2) entsprechend der Autokatalyse. Dieser Effekt verstärkt sich so lange, bis ein neuer Zustand erreicht wird, der die räumliche<br />

Symmetrie (gleiche Konzentrationen Xj und X2, Yj und Y2) bricht.<br />

Eine Fluktuation um den Gleichgewichtszustand löst diesen symmetriebrechenden Prozess<br />

68<br />

Man erhält dann vier Gleichungen: dX,/dt= A + X(2Y, - BX]-X,+DX (X2-X,) dY,/dt=BXI-X12Y1+Dy(Y2-Yi)dX2/dt=A+X22 Y2-BX2-X2+DX(X j<br />

-X2)dY2/dt=BX2-X22Y2+Dy(Y1-Y2)<br />

69<br />

Wenn ein stationärer Zustand Xj>X2 möglich ist, so ist der symmetrische Zustand X2>Xj ebenfalls möglich; die makroskopischen Gleichungen<br />

zeigen nicht an, welcher Zustand gewählt worden ist. Da beide Zustände gleichwahrscheinlich sind, spricht man von einer Bifurkation ' (Aufgabelung)<br />

in (hier zwei) mögliche Entwicklungspfade; welcher der beiden eingenommen wird, wird durch die (hier per Definition) zufälligen<br />

Schwankungen um den Gleichgewichtszustand entschieden. Ähnlich dem 'Bifurkationsbaum' (Abb. 1) "the structures of dissipative Systems<br />

merely define the 'possibilities and limits' or the 'bundle of paths' that may be taken after a bifurcation, but not the particular paths that will be<br />

taken. The theory of self-organizing Systems, however, can also explain the way in which Systems become unstable and pass through bifurcation<br />

points"; (Radzicki, 1990, S.83f)<br />

Seite 15


aus, wobei die Systeme mit gebrochener Symmetrie, wenn sie erst einmal hergestellt sind,<br />

gegenüber geringfügigen Schwankungen in ihren Konfigurationen stabil sind. Durch dieses<br />

Beispiel wird zum einen das selbstorganisatorische Prinzip der Ordnung durch Fluktuation<br />

(Schwankungen) verdeutlicht 70 ,also die Interaktion von deterministischen und stochastischen<br />

Elementen 71 ; zum anderen wird die klassische Entsprechung von Fixpunkt, Stabilität<br />

und Gleichgewicht in der Theorie der <strong>Selbstorganisation</strong> durch das formale Konzept des Attraktors<br />

und Stabilitätskontrolle desselben durch Fluktuationen und Fließgleichgewichte ersetzt.<br />

4. Die Übertragung auf sozioökonomische Systeme<br />

4.1 Warum Übertragung?<br />

"We felt it before in sense; but now we know it by science"<br />

E. Misselden 72<br />

Die naturwissenschaftliche Theorie der Selbstorganisierenden Strukturen wurde hier deswegen<br />

so ausführlich geschildert, weil die spontane Ordnung ja auch in den Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften ein zentrales Thema ist. Wie entsteht ein geordnetes Ganzes - ohne<br />

dass es in seiner spezifischen Form von irgendjemanden bewusst gewollt oder herbeigeführt<br />

wurde- aus einer Vielzahl von individuellen Entscheidungsprozessen und welche spezifische<br />

Form hat es 73 ? Hieraus erwächst die Frage nach der Beziehung zwischen individuellem Verhalten<br />

und kollektiven Phänomenen, mit der sich von Smith's „invisible hand“ 74 über Menger,<br />

Hayek 75 , Sudgen 76 und Schelling 77 die verschiedensten Autoren auseinandergesetzt haben.<br />

Was jedoch fehlte, war einerseits ein modelltheoretisches Fundament 78 , andererseits die<br />

70<br />

Die Fluktuationen testen gewissermaßen die Stabilität eines stationären Ordnungszustandes (z.B. den Punkt S in Abb.2) und treiben (bei Instabilität)<br />

das System in Richtung eines Neuen (von mehreren möglichen), diesen Fluktuationen gegenüber stabilen, Ordnungszustands ( Zustandsfolge).<br />

Jedoch ist auch dieser nicht aus sich heraus stabil. Hier wurden nur Fluktuationen um X und Y betrachtet, also Schwankungen<br />

um die Durchschnittskonzentration X und Y. Es kann auch zu Fluktuationen in den Mechanismen kommen, die zu einer Modifikation des kinetischen<br />

Verhaltens (Reaktions-, Diffusionsraten) fuhren. Diese können intern durch positive Rückkopplung herausgebildet werden oder das<br />

System von außen treffen, z. B. durch Beifügen eines neuen Reaktionsteilnehmers. Dies entspricht dann einer qualitativen Änderung in der dynamischen<br />

Existenz des Systems; Vgl.Jantsch (1979, S.77ff)<br />

71<br />

According to the theory of self-organisation, most real-life open Systems fluctuate around their steady-states, because of the non average or<br />

random behaviour of some of their microscopic elements, or because they exist in nonhomogenous environments"; Radzicki (1990, S.82)<br />

72<br />

Zitiert in Grübler (1991, S.1)<br />

73<br />

Oder wie Hayek es ausdrückte:" the problems which they (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) try to answer arise in so far as the conscious<br />

action of many men produce undesigned results, in so far as regularities are observed which are not the result of anybody's design. If social<br />

phenomena showed no order except in so far as they were consciously designed, there would be no room for theoretical sciences of society...It<br />

is only in so far as some sort of order arises as a result of individual action but without being designed by any individual that a problem is<br />

raised which demands theoretical explanation"; Hayek (1942, S.288)<br />

74<br />

Es ist die unsichtbare Hand, durch die' man is led to promote an end which was no part of his intention'; Smith zitiert in Hayek (1967b, S.99).<br />

Oder wie Witt es praktischer formulierte, ist ein " core problem in economics, the question of how, and to what extent, individual economic interactions<br />

in the markets are self-coordinating or -to use the classical metaphor- are guided by an 'invisible hand'. This old economic problem<br />

can ...be seen as an example of'self-organisation'" ;Witt ( 1985, S.570);Siehe auch Silverberg (1988, S.532):"Thus the theory of selforganisation<br />

also addresses the fundamental question raised by Adam Smith in economics: how do coherent market Solutions emerge from the<br />

uncoordinated pursuit of self-interest of individual agents?"<br />

75<br />

Vgl. Hayek(1967a,1967b, 1972)<br />

76<br />

Vgl. Sudgen (1989<br />

77<br />

Vgl. Schelling (1978)<br />

78<br />

"Eine ernsthafte Systemtheorie muss erklären können, wie ein System, das aus bestimmten Komponenten und aus bestimmten Eigenschaften<br />

aufgebaut ist, als System Eigenschaften entwickeln kann, die sich von den Eigenschaften der Komponenten zum Teil grundsätzlich unterschei-<br />

Seite 16


Möglichkeit, komplexe, teilweise indeterminierte Strukturen, die aus unzähligen, sich gegenseitig<br />

beeinflussenden Prozessen entstanden, auch praktisch (und damit widerlegbar) in ein<br />

solches einzubinden. Während ersteres nun durch Theorie der Selbstorganisierenden Strukturen<br />

entwickelt worden war, spielte für letzteres der Eintritt ins Computerzeitalter eine entscheidende<br />

Rolle. Es stellt sich nur die Frage, ob bzw. inwieweit die in Physik (Synergetik),<br />

Chemie (dissipative Strukturen) und Biologie (Autopoiese; lebende Systeme) gewonnenen<br />

Erkenntnisse bezüglich Selbstorganisierender Strukturen auf soziale Systeme übertragbar<br />

sind.<br />

4.1.1 Analogie sozialer Systeme zu autopoietischen Strukturen? 79<br />

Die weitestgehende Analogie ist wohl die, soziale Systeme selbst als autopoietische Systeme<br />

anzusehen. 80 Zur Verdeutlichung der Problematik gebe ich hier eine kritische Auseinandersetzung<br />

Hejl's mit dem Übertragungsversuch autopoietischer auf soziale Systeme wieder<br />

81 (in den Fußnoten findet sich eine Kritik dieser Kritik durch Troitzsch).<br />

Hejl's Ansatzpunkt ist die Frage, ob die Begriffe der <strong>Selbstorganisation</strong>, Selbsterhaltung und<br />

Selbstreferentialität im gleichen Sinne, in dem durch sie Prozesse in lebenden Systemen<br />

bezeichnet wurden 82 , auch soziale Systeme kennzeichnen:<br />

1. Sind sie selbstorganisierend?<br />

Selbst wenn man den riesigen Komplexitätsunterschied zwischen physikalischchemischen<br />

und sozialen Systemen nicht berücksichtigte, gäbe es bei ersteren nichts,<br />

was bei der spontanen Bildung neuer Sozialsysteme dem Rückgriff der Teilnehmer auf<br />

ihre jeweiligen Erfahrungswelten (auf die sozial definierten Realitäten) entspräche.<br />

Außerdem seien die Menschen als Komponenten sozialer Systeme aufgrund ihrer Historizität<br />

und Komplexität nicht so einheitlich wie die Komponenten physikalischer oder<br />

chemischer selbstorganisierender Systeme. Damit könnte die Entstehung eines spezifischen<br />

sozialen Systems nicht wiederholt werden. 83<br />

den"; Roth ( 1987, S.25)<br />

79<br />

Einleitend zu folgendem Kapitel siehe auch Maturana (1990b). Im Folgenden wird der begriffliche Unterschied zwischen autopoietischen Systemen<br />

und autopoietischen Strukturen vernachlässigt, obwohl ihm nach Laszlo (1987, S.128ff) insbesondere bei der Betrachtung der Evolution<br />

der Gesellschaft eine entscheidende Bedeutung bezüglich der Anwendbarkeit des Begriffs der Autopoiese auf die Gesellschaft zukommt.<br />

Dies wird im letzten Kapitel dieser Arbeit (<strong>Selbstorganisation</strong>=Evolution) noch einmal in einer Fußnote aufgegriffen.<br />

80<br />

In 'das' soziale System ist das Wirtschaftssystem natürlich eingebettet. Der Begriff des sozialen Systems ist hier und im folgenden ein Synonym<br />

für sozioökonomisches System. Luhmann hat die oben skizzierte Theorie autopoietischer Systeme auf soziale Systeme übertragen, wobei er das<br />

entscheidende Merkmal, nämlich dass sie ihre eigenen Elemente durch die selbstorganisierende Interaktion ihrer Elemente autonom produzieren<br />

und reproduzieren können, als gegeben ansieht. Für ihn ist das Grundelement Kommunikation, und demzufolge die Gesellschaft ein<br />

sich selbst produzierendes und zirkulär reproduzierendes Kommunikationssystem; Vgl. Luhmann (1984); Zu einer Kritik, siehe Buteweg<br />

(1988, S.38ff)<br />

81<br />

Vgl. Hejl (1990, S.321ff;1987, S.63ff )<br />

82<br />

Zu den Definitionen siehe obige Fußnote.<br />

83<br />

Dem zweiten Argument entgegnet Troitzsch, dass auch in Physik und Chemie (außer bei streng kontrollierten Experimenten im Laboratorium)<br />

unterscheidbare Individuen' der gleichen Art miteinander interagieren: So würde jedes Tiefdruckgebiet, wie auch verschiedene Laufe des<br />

gleichen Simulationsmodells, verschieden von seinem jeweiligen Vorgänger oder Nachbarn sein. Soziale Systeme und ihr Komponenten würden<br />

sich lediglich in einer größeren Anzahl von Merkmalen unterscheiden^ Vgl. Troitzsch,1991, S.524)<br />

Seite 17


2. Sind sie selbsterhaltend?<br />

Soziale Systeme erzeugten nicht die lebenden Systeme, welche die sozialen Systeme<br />

konstituieren (jedenfalls nicht im physischen Sinne) 84 . Eine Fußballmannschaft z.B. erzeuge<br />

nicht ihre Mitglieder 85 .<br />

3. Sind sie selbstreferentiell?<br />

Der Zustand eines Neurons oder eine Gruppe von Neuronen wird ausschließlich von<br />

dem selbstreferentiellen System Gehirn - dessen Teil es ist- beeinflusst, während Komponenten<br />

eines sozialen Systems von anderen sozialen Systemen beeinflusst werden,<br />

deren Teile sie gleichzeitig sind. Der entscheidende Unterschied liege also darin, dass<br />

die Komponenten eines sozialen Systems gleichzeitig auch Komponenten anderer sozialen<br />

Systeme sein könnten (Abb.6) 86 :<br />

Abb. 6: Schema der Verknüpfung sozialer Systeme<br />

Weil die menschliche Gesellschaft so komplex ist, erscheint es für Hejl sinnvoll, einen Unterschied<br />

zwischen Selbstreferentialität und Synreferentialität zu machen: Erstere findet man in<br />

einer Welt von undifferenzierten Systemen, die keine Subsysteme gleicher Art wie sie selbst<br />

haben, während die zweite eine Welt von Systemen repräsentiert, die aus vielen verschiedenen<br />

und einander überlappenden Subsystemen auf verschiedenen Ebenen besteht. Das<br />

84<br />

Dieser Schwierigkeit kann man auch dann nicht entgehen, wenn man Handlungen oder Kommunikation als Komponenten sozialer Systeme<br />

wählt. Dieses tut z.B. Luhmann, demzufolge die Gesellschaft ein sich selbst produzierendes und zirkulär reproduzierendes Kommunikationssystem<br />

ist; Vgl. Luhmann (1984). Doch selbst, wenn man von einer Systemkonzeption ausgeht, in der Handlungen Handlungen erzeugen, so ist<br />

doch zumindest ein kognitives System notwendig für das diese Handlung etwas bedeutet, und deshalb eine auf sie bezogene Handlung erzeugt(Das<br />

gleiche gilt für Kommunikation); Vgl. HejI (1990,S324)<br />

85<br />

Dem setzt Troitzsch entgegen, dass auch lebende Systeme als Ganze nicht ihre Zellen erzeugen, dies geschieht vielmehr durch Zellteilung; Vgl.<br />

Troitzsch (1991, S.524f)<br />

86<br />

Vgl. Hejl(1990, S.325)<br />

Seite 18


Merkmal, das ein soziales System am stärksten von anderen Systemen unterscheidet, ist die<br />

notwendige Ausbildung von parallelisierten Zuständen in den interagierenden lebenden Systemen,<br />

welche die Basis sozial erzeugter gemeinsamer Realität bilden. Diese parallelisierten<br />

Zustände sind Resultate sozialer Interaktionen und die Bedingungen für weitere Interaktionen<br />

der gleichen Art. Eine Entsprechung dieser Zustände ist weder durch eine Betrachtung<br />

der isolierten Individuen (Individualismus) noch durch eine Nichtberücksichtigung derselben<br />

(Holismus) zu rekonstruieren. Der zentralen Rolle dieser sozial ausgebildeten Zustände wegen<br />

schlägt Hejl vor, soziale Systeme als synreferentiell zu bezeichnen 87 .<br />

Abschließend vermerkt er, dass die Phänomenologie sozialer Systeme nach der Schaffung<br />

einer eigenen Modellklasse verlangt 88 . Seiner Sichtweise zufolge entstehen soziale Systeme<br />

durch die Interaktion autopoietischer Systeme, sind selber aber nicht autopoietisch. Die Gesellschaft<br />

selber kann als Netzwerk sozialer Systeme verstanden werden 89 .Da zum einen die<br />

Konsequenzen eines solchen Verständnisses sozialer Systeme Hejl selbst nicht klar sind,<br />

und zum anderen vor allem die Unterschiede zwischen sozialen und dissipativen, bzw. lebenden<br />

Systemen durch diese Sichtweise betont werden, möchte ich im folgenden auf die<br />

verschiedenen (trotz aller Schwierigkeiten) unternommenen Versuche eingehen, die in den<br />

Naturwissenschaften entwickelten Konzepte auf wirtschafts- und sozialwissenschaftliche<br />

Probleme zu übertragen:<br />

4.1.2 Analogie sozialer Systeme zu dissipativen Strukturen?<br />

In beiden Fällen besteht das Untersuchungsobjekt aus einer Vielzahl beteiligter individueller<br />

Einheiten, die ihr Verhalten nicht völlig autonom und losgelöst nach eigenem Gutdünken<br />

festlegen, sondern von anderen Einheiten dieses Systems beeinflusst sind und mit ihnen in<br />

wechselseitigem Zusammenhang stehen. Ebenso sind beide als offene Systeme zu betrachten,<br />

die in eine Umwelt eingebettet sind und von dort Einwirkungen erfahren, die ihre weitere<br />

Entwicklung beeinflussen 90 ; und last but not least geht es in beiden Fällen um sich ausbildende<br />

Strukturmuster 91 .<br />

Vieles scheint - wie im folgenden anhand von selbstorganisierenden, sozioökonomischen<br />

Modellen gezeigt wird- darauf hinzudeuten, dass die fundamentalen naturwissenschaftlichen<br />

Gesetzmäßigkeiten der <strong>Selbstorganisation</strong> ihre Entsprechung in sozioökonomischen Syste-<br />

87<br />

Damit lässt sich der Unterschied nur zwischen 'Selbst-" und 'Syn-', und nicht zwischen 'referentiell' und 'nicht-referentiell' zu machen; Troitzsch<br />

(1990, S.525)<br />

88<br />

In dieser müssten folgende Eigenschaften sozialer Systeme zusammengefasst bzw. berücksichtigt sein: 1. Die Komponenten, die selbst lebende<br />

Systeme sind, sind frei an der Konstitution eines spezifischen Systems teilzunehmen. Tun sie es, so verlieren sie trotzdem nicht den Charakter<br />

als Individuen. Sie konstituieren stets eine Mehrzahl von sozialen Systemen zur gleichen Zeit. Dadurch organisieren im Unterschied zu selbstreferentiellen<br />

Systemen soziale Systeme nicht alle Zustände ihrer Komponenten und legen damit nicht die jeweilige systemrelative Realität<br />

fest, die den Komponenten zugänglich ist. Soziale Systeme erzeugen ihre Komponenten in physischer Hinsicht nicht selber. Im Gegensatz zu<br />

den Komponenten biologischer Systeme haben alle Komponenten sozialer Systeme direkt Zugang zur Umwelt des jeweiligen sozialen Systems;<br />

Vgl. Hejl (1990, S.326f)<br />

89<br />

Vgl. Buteweg (1988, S.40)<br />

90 Wie Silverberg (1988, S.532) es ausdrückte: " the economic System in a biophysical sense is certainly open, dependent on inputs of energy and<br />

information to maintain the processes of circular flow traditionally analysed by economic theory."<br />

91 Vgl. Erdmann (1989, S.241f).<br />

Seite 19


men haben. Dieses setzt jedoch keine oberflächliche Analogie voraus, "asserting a one-toone<br />

correspondence between biological/physical phenomena and economic ones. Rather it<br />

implicates similar causal patterns of, for example, competition, Cooperation, and the generation<br />

of variety operating in the 'deep structures' of both systems" 92 .<br />

Während im vorangehenden Kapitel vor allem deutliche Unterschiede bezüglich der Charakteristika<br />

der Systeme in ihrer Gesamtheit (also aus holistischer Sicht) aufgezeigt worden<br />

sind, tritt nun der aus individualistischer Sicht wesentliche Unterschied in den Vordergrund:<br />

In physikalischen Systemen liegt ein detailliertes theoretisches Verständnis des Verhaltens<br />

der elementaren Einheiten und der Art der Interaktion vor 93 . Außerdem werden homogene<br />

Mengen betrachtet, d.h. die betrachteten Teilchen unterscheiden sich nicht voneinander 94 :<br />

Dahingegen sind die individuellen Elemente sozialer Systeme ungleich komplexer und vor<br />

allem heterogener 95 . Abgesehen davon, dass man sowohl über die präzisen Zustände 96 dieser<br />

als auch über die Dynamik des individuellen Verhaltens und die Interaktionen selbiger<br />

viel weniger weiß als über die der physikalischen oder chemischen Elemente, kommt ein<br />

noch fundamentalerer Unterschied hinzu: Im Gegensatz zu den mikroskopischen Einheiten<br />

in physikalisch/chemischen Systemen können die individuellen Einheiten in sozialen Systemen<br />

neben unbewussten auch bewusste zielorientierte strategische Entscheidungen treffen<br />

97 .<br />

Dieser Unterschied ist aus systemtheoretischer Sicht jedoch dann nicht mehr relevant, wenn<br />

unterstellt wird, dass auch das Individualverhalten sozioökonomischer Systeme wesentlich<br />

auf übergeordneten Gesetzmäßigkeiten (Invarianten) beruht. Ohne eine solche paradigmatische<br />

Unterstellung wäre eine systematische - also über die reine Deskription hinausgehende-<br />

wissenschaftliche Erforschung kollektiver Phänomene kaum möglich, womit der Erkenntnisfortschritt<br />

recht beschränkt bliebe 98 .<br />

92<br />

Silverberg(1988, S.532). Vor einer oberflächlichen Analogiefindung warnt auch Witt, der sich mit Marktprozessen beschäftigte: "Trying to<br />

transfer specific concepts and formalisms of the phenomena of self-organisation in the natural sciences to the problem of economic coordination<br />

would therefore run the risk of stretching the analogy too far. ...economists should be sceptical with respect to such analogies. Many of<br />

the fictions and shortcomings in the present understanding of the market process seem to be the result of another analogy suggested by the<br />

neoclassical writers in economics...: the analogy between their equilibrium approach to the economic coordination problem and classical mechanics;<br />

“Witt (1985, S.572). Diese Vorsicht sollte man natürlich nicht nur hinsichtlich des Problems der Marktkoordination walten lassen.<br />

93<br />

Zwar fehlt das präzise Wissen um den genauen Ort eines bestimmten Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt (quantentheoretische Unbestimmtheit,<br />

s.o.), es können aber relativ genaue statistische Beschreibungen der Zustände angegeben werden (Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes<br />

Teilchen an einem bestimmten Ort zu vorzufinden); Vgl. Witt (1985, S.571)<br />

94<br />

Das dies nur für sehr einfache physikalische oder chemische Komponenten selbstorganisierender Systeme zutrifft, ebenso wie die Annahme,<br />

dass Experimente unter exakt den gleichen Bedingungen wiederholbar sind, wurde schon oben vermerkt; Vgl. Troitzsch (1990, S.525). Ob des<br />

großen Komplexitäts- und Heterogenitätsunterschieds -der hier herausgestellt werden soll- kann die Annahme der Homogenität aber als Vereinfachung<br />

aufrechterhalten werden.<br />

95<br />

Abgesehen von den vererbten Unterschieden zwischen Menschen kommt ja eine noch vielschichtigere Differenzierung durch die jeweiligen<br />

prägenden und spezifischen Erfahrungswelten hinzu.<br />

96<br />

Zustände sind hier im Sinne von gewählten Handlungen zu verstehen.<br />

97<br />

Ebenso können sie ihr Verhalten als eine Konsequenz von systematischem Lernen ändern als auch 'innovieren', d.h. neue Verhaltensmoden<br />

kreieren; Vgl. Witt (1985, S.572). Während ersteres (wie später anhand von Diffusionsmodellen' gezeigt wird) als Informationszugewinn<br />

(Konvergenz auf vollständige Information) in selbstorganisatorischen Modellen antizipiert werden kann, stellt letzteres eine besondere Problematik<br />

dar, da durch Innovationen' evolutorische Prozesse in Gang gesetzt werden.<br />

98<br />

Hierdurch werden die individuellen Verhaltensmuster für hinreichend stabil erklärt, um auf der Makroebene einer quantitativen bzw. qualitativen<br />

Analyse zugänglich zu werden; Vgl. Erdmann (1989, S.242)<br />

Seite 20


Die Betrachtung sozialer Interaktionsmuster, die in der neoklassischen Theorie zugunsten<br />

des homo oeconomicus vernachlässigt worden war (s.o.), rückt nun in den Mittelpunkt der<br />

Betrachtung. Für interdependentes Handeln gibt es viele Gründe. Hier seien stellvertretend<br />

nur zwei genannt 99 : Zum einen ziehen soziale Interaktionen wechselseitige Handlungsrestriktio-<br />

nen nach sich, bzw. bestimmen die Handlungsspielräume der jeweils anderen 100 . Zum anderen<br />

scheinen nicht nur die Handlungsspielräume, sondern auch die subjektiven Präferenzen<br />

durch den sozialen Kontext entscheidend beeinflusst zu werden, was anhand der Informationsproblematik<br />

besonders deutlich wird: Die Informationsbeschaffung, die als Voraussetzung<br />

rationaler Entscheidungen gilt, ist mit (oftmals hohen) Kosten verbunden. Daher wird sich die<br />

Nachfrage nach Informationen nicht am Maximum des Möglichen, sondern am Optimum orientieren:<br />

die Entscheidungen werden trotz Informationslücken getroffen 101 . In solchen Situationen<br />

besteht eine nachweisliche Präferenz dafür, die individuelle (durch die Informationsdefizite<br />

subjektive) Entscheidung auf Urteile solcher Menschen und Institutionen zu stützen, die<br />

einerseits für kompetent angesehen werden, und bei denen man andererseits eine ähnliche<br />

individuelle Präferenzstruktur vermutet wird 102 . Indem man sich an deren Ratschlägen und<br />

Empfehlungen orientiert, bleibt es einem erspart, selbst die gesamte Informationsflut verarbeiten<br />

zu müssen 103 ; 104 .<br />

Sozioökonomische Systeme werden demzufolge vor allem dann Analogien zu dissipativen<br />

Strukturen aufweisen, wenn das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle bezüglich des individuellen<br />

Entscheidungsverhalten und damit auch des Systemverhaltens spielt. Dies gilt<br />

99<br />

Vgl. zum folgenden Erdmann (1989, S.242ff)<br />

100<br />

Dies lässt sich direkt aus dem Postulat der Knappheit ableiten, durch welches ja erst ein wie auch immer geartetes ökonomisches System notwendig<br />

wird, um die Allokation bzw. die Verteilung der knappen' Ressourcen zu regeln. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn ich einen Apfel kaufe<br />

und esse, so kann dieser von keinem anderen mehr gekauft und gegessen werden. Oder man stelle sich ein Aquarium mit begrenztem Raum<br />

und begrenztem Futterzustrom vor: Die Restriktionen des Systems werden direkt auf den Wachstum des Fischbestandes rückkoppeln (was<br />

wiederum durch eine einfache nichtlineare Gleichung, nämlich die 'logistische Gleichung beschrieben werden kann). Das durch technischen<br />

Fortschritt und Kapitalakkumulation ermöglichte Wachstum hat die Knappheit nicht durchgreifend verringern können, da sich durch das Hinzutreten<br />

neuer Güter und Dienstleistungen auch die Bedürfnisse entsprechend vermehrt haben. Um so paradoxer erscheint es, dass derartige<br />

Restriktionen, die sich beim Menschen - aufgrund der nur begrenzten Gehirnkapazität und der begrenzten Anzahl von Erfahrungswelten' - in<br />

beschränkter Rationalität (bezüglich der internen Präferenzen) und beschränkter Information (bezüglich der extern vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten)<br />

äußern müssten, lange zugunsten einer 'vollständigen' Informations- und Rationalitätsannahme negiert wurden.<br />

101<br />

Über Entscheidungen trotz Informationsdefizite sagt die traditionelle Theorie nichts aus, wohingegen in der Theorie der rationalen Erwartungen<br />

ein Optimierungskonzept für den Informationsaufwand entworfen wurde; (Vgl. Erdmann, 1987, S.243). Je weiter die Erwartungen in die<br />

Zukunft reichen und je präziser sie sein sollen, desto kostspieliger und zeitaufwendiger ist die Erwartungsbildung. Der abnehmende Grenznutzen<br />

zunehmend präziser Erwartungen ist dann gegen die zunehmenden Grenzkosten einer aufwendigen Informationsverarbeitung abzuwägen;<br />

Vgl. Dichtl (1987,Bd.2, S.530)<br />

102<br />

Mit der Eingebettetheit' der individuellen (ökonomischen) Handlungen in die soziale Struktur beschäftigten sich eine Reihe von Sozialwissenschaftlern;<br />

Vgl. Coleman (1984), Granovetter (1985), Opp (1985). So war auch die oben getroffene Aussage Ergebnis sozialwissenschaftlicher<br />

Untersuchungen; Vgl. Raub (1982)<br />

103<br />

"Ganze Dienstleistungsbereiche leben von der Rationalität eines derartigen Verhaltens"; Erdmann (1989, S.243).<br />

104<br />

Sollte jeder den anderen für besser informiert halten, so kann sich ein von der Mehrheit weder erwartetes noch gewolltes Ergebnis herausbilden.<br />

Dies ist ein für selbstorganisatorische Prozesse charakteristisches Paradoxon, da durch es besonders krass die mögliche Diskrepanz zwischen<br />

individuellem Verhalten und kollektiven Phänomenen aufzeigt wird. Ein 'Schneeballeffekt', der durch interdependentes Verhalten entstehen<br />

kann, lässt sich auch in einem Fußballstadion, welches nur Sitzplätze hat (Italien), beobachten: Wenn anfangs alle sitzen, dann aber<br />

einer in den vorderen Reihen aufsteht, so werden alle hinteren Reihen, ob der versperrten Sicht, ihm gleichtun; wenn dann alle stehen, was<br />

gewiss ungemütlicher ist, als zu sitzen, lässt sich der Prozess nicht mehr umkehren, obwohl die Mehrheit schlächtergestellt ist als vorher. Dieser<br />

Vergleich hinkt natürlich, da man hier gezwungen ist, sich an den anderen zu orientieren. Passender ist das Beispiel, dass bei einem Radrennen<br />

der erste Fahrer an einer Abzweigung den falschen Weg wählt und alle ihm folgen. Oder indirekter: Hält man als Aktionär den Markt<br />

für besser informiert als sich selber, so wird man eine Untergrenze angeben, ab der die Bank die Aktien verkaufen soll. So kann es passieren,<br />

dass durch eine 'zufällige' Schwankung im Markt die Untergrenze eines Aktionärs unterschritten wird, worauf die Bank seine Aktien verkauft:<br />

Hierdurch sinkt der Kurs, die Untergrenze des Nächsten wird unterschritten, usw.<br />

Seite 21


insbesondere für:<br />

Marktprozesse, in denen Erwartungen eine wesentliche Rolle spielen (Kapitalmarkt, Börse,<br />

Rohstoffpreise, Konjunkturzyklen, Diffusion von Innovationen)<br />

Situationen, in denen andere Gründe vorliegen, dass die individuellen Entscheidungen<br />

nicht losgelöst vom sozialen Umfeld fallen (Regionale Mobilität, Markt für Parteienpräferenzen,<br />

Technikakzeptanz) 105<br />

Schon die sehr schwammige Formulierung des letzteren weist darauf hin, dass die Trennlinie,<br />

ab der sich sowohl das individuelle Entscheidungsverhalten als auch das Systemverhalten<br />

losgelöst vom sozialen Kontext herausbilden, nur sehr schwer - wenn überhaupt- zu ziehen<br />

ist 106 . Dies wird schon dadurch deutlich, dass das Konsumentenverhalten selbst bezüglich<br />

relativ unbedeutender Produkte in starkem Maße von sozial erzeugten Faktoren, nämlich<br />

Moden bzw. Marken abhängen kann 107 .<br />

Wie schon oben vermerkt sind diese Erkenntnisse weder für Wirtschafts- noch für Sozialwissenschaftler<br />

grundlegend neu. Der originäre Beitrag, der mittels der Analogie zu dissipativen<br />

Strukturen geleistet wird, ist der, dass das anhand dieser entwickelte mathematische Instrumentarium<br />

nunmehr auf sozioökonomische Systeme angewendet werden kann; die in der<br />

mathematischen Theorie gewonnenen Erkenntnisse können für die Analyse derselben genutzt<br />

werden, wodurch sozioökonomische Tatbestände und Strukturen einer quantitativen<br />

Modellierung zugänglich werden, welche die Formulierung stringenter und widerlegbarer Aussagen<br />

erzwingt 108 .<br />

Insbesondere die mathematische Formalisierung der Synergetik bietet eine fruchtbare Ansatzmöglichkeit,<br />

die in den Naturwissenschaften beobachteten Mechanismen interdependenten<br />

Verhaltens und den durch sie gemachten Erkenntnisfortschritt auf wirtschaftliche und<br />

soziale Phänomene zu übertragen. Um die obige Fragestellung, wie groß die gegenseitigen<br />

Verflechtungen von individuellem ökonomischem Handeln und sozialem Kontext in einem<br />

spezifischen sozioökonomischen System sind, fürs erste zu umgehen, soll an einem per Definition<br />

sozialem Modell gezeigt werden, dass zur Erklärung komplexer sozialer Strukturen<br />

nicht notwendigerweise ein hochkomplexes Modell mit vielen Variablen und Variablenbeziehungen<br />

erforderlich ist:<br />

105<br />

Vgl. Erdmann (1989 S.243f)<br />

106<br />

"So kann - wie es im späteren in dieser Arbeit getan wird- ja sogar die Marktkoordination als interdependenter, Selbstorganisierender Prozess<br />

gedeutet werden.<br />

107<br />

Diese Aussage wird durch den Beitrag, den die Werbung zur Schaffung von Moden und Marken geleistet hat, noch unterstrichen. Während<br />

früher, wenn auch verzerrt, die Information über das Produkt im Vordergrund stand ("Wäscht 240m Wäsche."), hat in den letzten Jahren ein<br />

schlagartiger Wandel zur Erlebniswerbung' stattgefunden ("Hey Good Looking). Das heißt die Produkte üben erst durch die Einbettung in einen<br />

sozialen Kontext eine starke Reizassoziation aus.<br />

108<br />

Mit quantitativen Modellbildungen beschäftige sich Weidlich/Haag (1983) ausführlich; zu den Problemen, die Modellbildungen aufwerfen,<br />

siehe Schnabl (1985)<br />

Seite 22


4.2 Das Modell einer Party 109<br />

"Description of man: Dependence, desire for independence, preferences."<br />

B. Pascal 110<br />

Das Modell von Weise (1990) basiert auf zwei durch eine Tür miteinander verbundenen<br />

Räumen, die auch zwei, sich gegenseitig ausschließende Handlungszustände repräsentieren<br />

können (Zlf Z2). Zwischen diesen, für einen gewissen Zeitraum (z.B. sechs Stunden) von<br />

der Außenwelt abgeschlossenen Räumen bewegen sich zwanzig Gäste (N=20), die einander<br />

unbekannt sind:<br />

Abb. 7: Die Party' und die Übergänge zwischen den "Räumen'<br />

Durch die Einführung von Kräften, die zwischen den Personen und/oder zwischen Personen<br />

und Räumen herrschen, lassen sich verschiedenste Raum-Zeit-Strukturen erzeugen, welche<br />

man auf gewisse Eigenschaften hin untersuchen kann.<br />

Befänden sich anfangs alle Personen in Z1 (Begrüßung des Gastgebers), würden danach<br />

aber weder einen Raum bevorzugen noch ihr Verhalten in irgendeiner Weise an dem der<br />

anderen ausrichten, so wäre die individuelle Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Person in<br />

einem bestimmten Raum vorzufinden, 1/2. Nach den sechs Stunden war jede Person auf die<br />

Dauer und im Durchschnitt je die Hälfte der Zeit in Z1 und Z2 und war auf die Dauer und im<br />

Durchschnitt die Hälfte der Personen in Z1 und Z2.<br />

Der wahrscheinlichste Makrozustand, der von einem außenstehenden Betrachter zu beobachten<br />

sein würde, ist hier die Gleichverteilung auf beide Zimmer (die Konfiguration<br />

{10,10}) 111 . Ausgehend von der Situation (20; 0) wird nach kurzer Zeit der Gleichgewichtszu-<br />

109<br />

Dieses Modell wurde von Weise (1990) entworfen, um die Art und Weise der Übertragung synergetischer Konzepte auf soziale Systeme zu<br />

beschreiben, sowie um Begriffe wie Individualität, Kollektiv, Wechselwirkung, <strong>Selbstorganisation</strong>, Handeln in der Zeit, Phasenübergänge,<br />

Nichtlinearitäten u.a. in ein einheitliches Modell einzubinden und ihre sozialen Implikationen zu verdeutlichen.<br />

110<br />

Zitiert in Brandes (1990, S.173)<br />

111<br />

Bei 2N Möglichkeiten, wie sich die N Partygäste auf die 2 Zimmer verteilen können, gibt es insgesamt (N+1) verschiedene Zustände, wenn man<br />

die Personen nur zahlenmäßig in den Zimmern berücksichtigt; da die Wahrscheinlichkeit annahmegemäß für alle Aufteilungsmöglichkeiten<br />

gleich ist, also p=l/2N ist, ergibt sich für die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen einer bestimmten Konfiguration : p(Nl)=(N über<br />

Nl)*l/2^mitNl als der Anzahl der Personen in ZI. Hierbei vereint die Konfiguration (10;10) die meisten der 220 (ca. 1.000.000) Aufteilungsmöglichkeiten<br />

auf sich, nämlich ca. 185.000, was einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 17% entspricht. Die Wahrscheinlichkeit unter Tolerierung<br />

einer kleinen Gleichgewichtsschwankung 8


stand erreicht und mit kleinen Schwankungen beibehalten. Dieser stellt, da er der Zustand<br />

der größten Unordnung 112 ist, ein Referenzgleichgewicht für später betrachtete Zustände<br />

dar, welches jedoch nicht mit einem Zustand der Bewegungslosigkeit zu verwechseln ist. Es<br />

ist vielmehr so, dass sich nach einer Zeit die absoluten Übergänge von Z1 nach Z2 den absoluten<br />

Übergängen von Z2 nach Z± Z1 angleichen, und so ein makroskopisch stabiler Zustand<br />

erreicht wird 113 : Man spricht auch von einem Fließgleichgewicht.<br />

Dieses und damit die ganze Party kann durch ein einziges Konzept beschrieben werden:<br />

Man misst die Häufigkeit mit der die Gäste die Zimmer wechseln (z.B. alle 15 Min.) und leitet<br />

daraus eine Übergangsfrequenz (hier 1/15 pro Minute) ab, die, da alle Personen und Zimmer<br />

per Annahme gleich sind, für jeden gilt. Sie entspricht hier der Übergangsrate, welche die<br />

Anzahl der Übergänge pro Zeiteinheit von Z1 nach Z2 bzw. umgekehrt angibt (q12 bzw. q21).<br />

Mit p1 als der Wahrscheinlichkeit, eine Person in Z1 anzutreffen, kann man dann die N unabhängigen<br />

Wanderungsprozesse und damit auch die Veränderung des Erwartungswertes<br />

(Np1), eine Anzahl von Personen in Z1 vorzufinden, folgendermaßen beschreiben:<br />

Im Gleichgewicht verändert sich der Erwartungswert nicht mehr, die Zugänge in ein Zimmer<br />

sind gleich den Abgängen aus einem:<br />

Durch die Übergänge (Fluktuationen) entwickelt sich das Partyverhalten von ungleichen Kon-<br />

figurationen -da dNp^^O- zur Gleichgewichtskonfiguration (Attraktor), die mit kleinen<br />

Schwankungen beibehalten wird 114 ; letztere entstehen durch die statistische Unabhängigkeit<br />

112<br />

Im Zustand der Gleichverteilung, der hier ja der wahrscheinlichste ist, ist das Antreffen einer bestimmten Person in einem bestimmten Zimmer<br />

a priori maximal unsicher, nämlich genauso groß, wie ihn im anderen Zimmer anzutreffen. Die Konfiguration (20,0) bzw. (0,20) stellt dahingegen<br />

den Zustand größter Ordnung dar, die Wahrscheinlichkeit ihn, mit einem a-priori Wissen um diese Konfiguration, direkt zu finden, liegt<br />

dann bei 1.<br />

113<br />

Das heißt auf die Dauer und im Durchschnitt war der Übergang von Zj nach Z2 genauso häufig wie der von Z2 nach Z]<br />

114<br />

Anschaulich: Im genannten Beispiel ist der Erwartungswert Npj für tj per Annahme gleich 20 ( alle begrüßen den Gastgeber in Zj); da die<br />

Übergangsraten, die die absolute Anzahl der in einem der Zimmer befindlichen Personen in absolute Übergänge transformieren, jedoch<br />

Seite 24


der Individuen voneinander und können in obigen Gleichungen nicht formal erfasst werden<br />

115 .<br />

Wenn nun in Z2 die Biertheke eröffnet wird, kann man den Personen eine gewisse Präferenz<br />

für dieses Zimmer unterstellen, womit sich das Verhältnis der Übergangsraten zueinander<br />

(z.B. auf < 32l/ ( 3l2 = -'-/^) damit auch die Erwartungswerte ändern: Die Wahrscheinlichkeit eine Person<br />

in Z^ zu treffen sinkt auf 1/4, und die nun wahrscheinlichste Konfiguration (5;15) wird zu<br />

dem Attraktor, der das Partyverhalten anzieht. Dieser Zustand größerer Ordnung 116 wird allein<br />

durch die relative Bevorzugung eines Raumes erzeugt, wobei die Übergangsraten konstant<br />

bleiben.<br />

Interessant wird es, wenn man nun soziales Handeln, also eine Abhängigkeit des Verhaltens<br />

des einzelnen vom Verhalten der anderen, berücksichtigt (der eigentliche Sinn einer Party ist<br />

ja die Interaktion mit den anderen Gästen). Da die Homogenitätsannahme beibehalten wird,<br />

lassen sie sich nur als Abhängigkeit der Übergangsraten von der Anzahl der Personen in<br />

beiden Zimmern beschreiben (q12=f(N2); q2i=f(N1), wobei f eine monoton steigende Funktion<br />

ist). Wenn die Übergangsraten proportional zu der Anzahl der Personen sind<br />

(qi2 =N 2/ N ' so werden alle Konfigurationen gleichwahrscheinlich 117 . Verändern sie<br />

sich unterproportional, so wird die Gleichgewichtskonfiguration die wahrscheinlichste sein,<br />

alle anderen Konfigurationen sind aber fast genauso wahrscheinlich. Die Kraft, die das Party-<br />

Verhalten zum Attraktor (10; 10) treibt (Rückstell- bzw. Fluktuationskraft), ist schwächer als<br />

bei Konstanz der Übergangsraten.<br />

Verändern sich die Übergangsraten überproportional, so übersteigt die Konformitätskraft -<br />

die zu einer positiven Korrelation der Übergangsraten (gi2 bzw. q2i) mit der Anzahl der Personen<br />

in einem Zimmer (N2 bzw. t^) führt- die Fluktuationskraft. Eine kleine Fluktuation um<br />

die Gleichgewichtskonfiguration reicht aus, um Wanderungsprozesse in eines der beiden<br />

Zimmer in Gang zu setzen: Die Konfigurationen (20,0) bzw. (0,20) werden zum Attraktor,<br />

ohne dass vorausgesagt werden kann, welche von ihnen erreicht wird, da die Fluktuationen<br />

um das instabile Gleichgewicht (10,10) stochastischen Ursprungs sind.<br />

Führt man zusätzlich eine Antikonformitätskraft ein, um Randgleichgewichte zu vermei-<br />

gleich groß, positiv und konstant sind, wird jedes Ungleichgewicht zugunsten eines Zimmers (hier Zj mit N>10) allmählich gemäß der ersten<br />

Gleichung dadurch abgetragen, dass die Abgänge aus diesem Zimmer die Zugänge aus dem anderen übertreffen (dNpj/dt=—<br />

20*1/2*1/15+0*1/2*1/15< 0) : Der Erwartungswert konvergiert auf die Gleichgewichtskonfiguration (10;10) zu. Bei Erreichen derselben<br />

verändert er sich nicht mehr, da die erwarteten Zugänge ( 10*(1-1/2)*1/15) pro Zeiteinheit den erwarteten Abgängen (10* (1/2)*1/15) entsprechen.<br />

115 Anschaulich unter Annahme einer Gleichgewichtskonfiguration: Es ist so, als würden jeder Gast in jeder Zeiteinheit würfeln und sagen: "Größer<br />

als 3 und ich Wechsel' das Zimmer!". Durch diese statistische Unabhängigkeit voneinander können Schwankungen in den absoluten<br />

Übergängen entstehen, die sich aber bei ausreichend vielen Übergängen immer einander angleichen (Der Erwartungswert ändert sich hierdurch<br />

nicht, da die konstanten Übergangsraten eine negative Rückkopplung in Richtung Gleichverteilung bewirken): Die Gleichgewichtskonfiguration<br />

ist stabil. Dies muss aber, wie im Folgenden gezeigt wird, nicht immer so sein, und dann sind eben diese Schwankungen für den<br />

weiteren Verlauf der Systementwicklung entscheidend. Das heißt, sind die Personen nicht genau zu identifizieren und schwankt die Zeitdauer,<br />

die eine Person in einem Zimmer verbringt, müssten die Übergangsraten von einem externen Standpunkt aus entsprechend normiert und als<br />

Übergangswahrscheinlichkeiten interpretiert werden; Vgl. Weise (1990, S.18)<br />

116 Er weicht stark von der Gleich Verteilung ab, die Sicherheit, eine bestimmte Person in Z2 zu finden, ist angestiegen.<br />

117 Das heißt jede Konfiguration bildet sich selbst als Erwartungswert der nächsten Konfiguration heraus.<br />

Seite 25


den 118 , so kann man bei gleichzeitiger Wirkung von Fluktuations-, Konformitäts-, Antikonformitätsund<br />

Bevorzugungskraft 119 und Variation der sie bestimmenden Parameter eine Vielfalt von<br />

Verhaltenslandschaften erzeugen; des Weiteren lässt sich diese Vielfalt durch die Berücksichtigung<br />

von Inhomogenitäten 120 , z.B. durch eine Unterteilung in Subgruppen, noch erweitern.<br />

Das Zusammenspiel der Kräfte kann unter Beibehaltung der Annahme der Homogenität allgemein<br />

folgendermaßen formal antizipiert werden:<br />

Das anhand des Lasers erläuterte synergetische Prinzip des Ordners und der versklavten<br />

Einheiten wird hierdurch mathematisch formalisiert. Auf der einen Seite wird jedes Individuum<br />

durch eine gemeinsam erzeugte Größe - den Ordner-, der hier durch X repräsentiert<br />

wird 121 , beeinflusst -versklavt. Auf der anderen Seite beeinflusst es selbst den Ordner durch<br />

seine Reaktionen auf ihn, was hier durch die Veränderung von N^ durch einen individuellen<br />

Übergang widergespiegelt wird.<br />

Durch die wechselseitige Interaktion wird endogen und dynamisch ein ordnendes nichtlineares<br />

Gesamtverhalten erzeugt, durch das die Individuen oder Gruppen einen Teil ihrer Autonomie<br />

und damit ihrer Individualität verlieren 122 . Wenn der (die) Ordner und die wirkenden<br />

Kräfte relativ komplex sind, kann man davon sprechen, dass das Individuum sich in einem<br />

sozioökonomischen Beeinflussungsfeld befindet 123 , von dem es Verhaltensanreize erhält und<br />

das es selbst mit den anderen Individuen erzeugt 124 : Es reagiert auf die Umwelt und ist<br />

selbst Teil der Umwelt der anderen. Die Übertragung des synergetischen Ansatzes auf Sozi-<br />

118<br />

Hierdurch wird ein Gleichgewicht noch vor dem Randgleichgewicht zum Attraktor, bis zu dem die Konformität logistisch anwächst; bei Überschreitung<br />

dieser 'optimalen' Größe wandern mehr Personen ab als hinzukommen; Vgl. Weise (1990.S.24)<br />

119<br />

Die stochastische Formulierung durch Übergangsraten wird der Tatsache gerecht, dass eine gewählte Handlung mit der Zeit unattraktiver<br />

wird und eine lang nicht gewählte Handlung mit der Zeit attraktiver wird (Camel vs. Marlboro). Außerdem können durch sie, wie später anhand<br />

von Diffusionsmodellen gezeigt wird, Entscheidungen unter unvollständiger Information durch Wahlwahrscheinlichkeiten simuliert werden.<br />

Die Bevorzugungskraft meint einfach die relative Bevorzugung einer Handlung vor einer anderen (Bier, Wasser), was sich in ungleichen,<br />

aber konstanten Übergangsraten äußert. Die Konformitätskraft entsteht als, und ist Folge von Normierungen wie technischen Normierungen<br />

und Verhaltensnormierungen durch Normen, Rechte, Mode, Femsehen. Sie fuhrt zu und ist Folge von einer Vereinheitlichung von Handlungen.<br />

Eine zu große Vereinheitlichung wiederum kann Widerstände hervorrufen, die sich in der Antikonformitätskraft ausdrücken; Vgl. Weise<br />

(1990, S.44). Zusammengefasst: "Description of man: Dependence, desire for independence, preferences";(Pascal zitiert in Brandes,1990,<br />

S.173)<br />

120<br />

Auf die Heterogenität der Individuen sozialer Systeme ist oben schon hingewiesen worden; sie könnte im Party-Modell' in Geschlecht, Trinkfestigkeit,<br />

Charme usw. begründet sein; Vgl. Weise(1990,.S.24). Einige dieser Inhomogenitäten können entscheidend für das Systemverhalten<br />

sein, während andere (wie z.B. die Haarfarbe) keinen entscheidenden Einfluss haben. Erstere erfolgreich durch die Schaffung homogener<br />

Subgruppen zu identifizieren, ohne sich in letzteren zu verzetteln stellt den Modellbauer', abgesehen von der soundso diffizilen Spezifizierung<br />

der Interaktionsmechanismen, vor ein weiteres Problem. Durch die Subgraphenbildung steigt die Anzahl der möglichen Symmetrien noch weiter<br />

an, wie in späteren komplexeren Modellen gezeigt wird.<br />

121<br />

Diese Größe ist hier als das einfache Verhalten der Mehrheit (Asymmetrie in der Verteilung) definiert. Es kann sich bei ihr aber auch um eine<br />

Norm, eine Sprache, eine Mode oder ähnliches handeln; Vgl. Weise 990, S.27)<br />

122<br />

Im Referenzzustand sind alle Handlungen gleichwahrscheinlich, das Verhalten ist jeder Handlungsalternative gegenüber voll-symmetrisch.<br />

Durch die angenommenen Kräfte wird diese Symmetrie zugunsten einer Alternative gebrochen, wobei die Präferenzkraft einer autonomen,<br />

von den anderen nicht beeinflussbaren, Bevorzugung (Symmetriebrechung) Ausdruck verleiht, die jedoch von, diese überlagernden , interaktiven<br />

Kräften verstärkt oder konterkariert werden kann. Das Verhalten der Individuen wird von einem Ordnungszustand 'versklavt', der nicht<br />

nur aus der 'freien Wahl' der Individuen heraus entstanden ist; Vgl. Weise (1990, S.27)<br />

123<br />

Die Sicht entspricht der von de Greene (1978, S.l)schon früher formulierten "Force fields and emergent phenomena in sociotechnical macro<br />

systems"; Vgl. de Greene (1978)<br />

124<br />

Hierbei wird eine Modellstruktur unterstellt, welche die Freiheitsgrade innerhalb des Modells durch die Annahme der Homogenität und durch<br />

die stochastische Beschreibung maximal hält (jeder Tcann' überall sein!). Sie wird durch eine minimale Anzahl von Kräften bestimmt, die sich<br />

als Konsequenzen der Handlungen der 'Einzelnen' endogen zu einem Beeinflussungsfeld verdichten, wobei der einzelne selber nicht streng lokalisiert<br />

werden kann; Vgl. Weise (1990, S.26ff)<br />

Seite 26


al- und Wirtschaftswissenschaften scheint also dann möglich, wenn man sich auf ein allgemeines<br />

Prinzip der Synergetik beschränkt, nämlich: "Ordnungsstrukturen entstehen und<br />

werden aufrechterhalten, indem sie rückkoppelnd die Ursachen stabilisieren, aus denen sie<br />

entstehen und aufrechterhalten werden" 125 .<br />

Der synergetische Ansatz sieht den Grund für die <strong>Selbstorganisation</strong> in den Wechselwirkungen,<br />

wobei hinreichend starke Wechselwirkungen durch die Erzeugung von Ordnern zu<br />

Handlungspräferenzen der Individuen führen, die sie ohne diese Wechselwirkungen nicht<br />

gehabt hätten. Hierbei ist die Art und Weise der Interaktionen, welche die Wechselwirkungen<br />

erzeugen, bedeutsam: Während in der traditionellen Wirtschaftstheorie der Ordner Preis als<br />

reines Koordinationsinstrument gesehen wird, durch das die Kompatibilität einer bestimmten<br />

Art der Interaktion, nämlich des Tausches, gewährleistet wird, ist vielfältiger sozialer Druck<br />

ein Sammelnahme für eine Mannigfaltigkeit anderer Arten der Interaktionen und gewährleistet<br />

die Kompatibilität derselben durch die Vereinheitlichung der individuellen Verhaltensweisen<br />

126 . Die Gründe für und die Manifestationen dieser Vereinheitlichungen werden im Folgenden<br />

beschrieben:<br />

4.3 Normen und Institutionen als gesellschaftliche Ordner 127<br />

Eine Norm hat aus Sicht des Einzelnen drei Seiten: Sie ist Handlungsbeschränkung, bietet<br />

Schutz und gibt ihm Sicherheit, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten soll. Auf einem<br />

höheren Abstraktionsniveau wird eine Norm eingehalten, d.h. eine normierte Handlung<br />

gewählt, um die Kosten der Abweichung zu vermeiden 128 . Dabei kann es sich sowohl um<br />

psychische 129 als auch um physische Kosten 130 handeln. Der Vorteil dieser auferlegten Kosten<br />

liegt darin, dass man aufgrund der Normenkenntnis um die wahrscheinlichen Handlungen<br />

der anderen weiß und so bei konstant erwarteten Verhaltensweisen der anderen planen<br />

und sich vor bestimmten anderen Verhaltensweisen sicher fühlen kann. Außerdem werden<br />

Entscheidungskosten dadurch gesenkt, dass bei Interaktionen normierte Handlungsabfolgen<br />

125 Die Synergetik kann demgemäß als die Wissenschaft vom geordneten, selbstorganisierenden, kollektiven Verhalten, welches allgemeinen Gesetzmäßigkeiten<br />

unterliegt, verstanden werden; ihre Aufgabe ist es, die Gesetzmäßigkeiten dieser <strong>Selbstorganisation</strong> herauszufinden; Vgl.<br />

Weise (1990, S.31)<br />

126 Das gleichartige Güter von vielen Menschen nachgefragt werden, weist daraufhin, dass die Menschen homogener und in ihrem Verhalten<br />

stärker voneinander abhängig sind, als dies die Konstruktion des homo oeconomicus' glauben machen will. Menschen werden im Autofahren,<br />

Biertrinken, Fernsehen usw. zu konformen Verhalten gebracht und unterscheiden sich lediglich teilweise, z.B. als Mercedes- oder BMW-<br />

Fahrer, als Bier- oder Pilstrinker, als Camel- oder Marlbororaucher. Steigende Skalenerträge in der Produktion, der Information und der<br />

Organisation sowie psychologische Momente sind hierfür die Ursache; Vgl. Weise (1990, S.41)<br />

127 "While markets coordinate human behaviour in that individuals compensate one another for effort but otherwise choose their behaviour freely,<br />

institutions coordinate human Cooperation in that certain actions are made obligatory and freedom of choice is limited. In both cases a certain<br />

degree of security of order and orientation is achieved: in market coordination, nothing is done against the will of any individual; in coordination<br />

through institutions, certain actions are much more probable than others. Therefore, mutual compensation among individuals is<br />

decisive in market coordination; compulsion toward certain actions is decisive in coordination via institutions"; Brandes Ü990.S.173)<br />

128 Vgl. Eger (1990, S.66ff)<br />

129<br />

Diese können extern als informelle Ächtung oder intern als Scham, schlechtes Gewissen und ähnliches auftreten.<br />

130<br />

Diese können z.B. dadurch entstehen, dass die Kosten für die Informationsbeschaffung über eine nur selten gewählte Handlung in Geld- und<br />

Zeiteinheiten ungleich größer sind als die über eine von der Mehrheit gewählten Handlung. Außerdem sind z.B. von der Mehrheit nachgefragte<br />

wertäquivalente Güter weitaus billiger, da sie in Massen hergestellt werden können. Auch "15 Jahre ohne Bewährung" für die nicht so häufig<br />

gewählte Handlung' Mord können als physische Kosten verstanden werden.<br />

Seite 27


vorgegeben werden 131 . "Durch Normen werden die Verhaltensweisen der Menschen parametrisiert;<br />

durch Kenntnis der Normen werden die Verhaltensweisen koordiniert." 132<br />

Für den externen Betrachter machen sich diese Normen als nach außen hin wahrnehmbare<br />

Verhaltensregelmäßigkeiten, die statistisch gemessen werden können, bemerkbar. Solche<br />

können auch als Institutionen bzw. als institutionelle Handlungen verstanden werden 133 und<br />

sind Untersuchungsobjekt eines mit Beginn des 20.Jh. an Bedeutung gewinnenden Forschungszweiges<br />

der amerikanischen Wirtschaftswissenschaft 134 .<br />

Die Gleichförmigkeit, durch die diese Verhaltensregelmäßigkeiten entstehen, kann hierbei<br />

zum einen in angeborenen Verhaltensmechanismen 135 begründet sein, oder darin, dass sich<br />

bestimmte Verhaltensweisen durch individuelles Lernen als für viele (bzw. alle), unabhängig<br />

vom Verhalten der anderen, vorteilhaft erwiesen hat 136 . Zum anderen (und das ist der hier<br />

interessierende Fall) wird durch die wechselseitige Abhängigkeit der Menschen voneinander<br />

ein Konformitätsdruck erzeugt, der für die Verhaltensregelmäßigkeiten verantwortlich ist 137 .<br />

131 Wie begrüßt man sich?',' Was zieht man bei einem bestimmten Anlass an?', Wie kauft man ein?', usw. Während früher die meisten sozialen<br />

Handlungen stark reglementiert und damit die Entscheidungssicherheit sehr hoch und die Entscheidungskosten sehr niedrig waren, muß man<br />

sich heute über viele dieser Dinge den Kopfzerbrechen; Vgl, Eger(1990, S.68)<br />

132 Vgl. Eger (1990, S.68); Ebenda beschreibt er dies anschaulicher, indem es sagt: "Normen schaffen somit Ordnungssicherheit, und zwar zum<br />

einen Orientierungssicherheit: jede Person weiß, was sie tun darf und was die anderen dürfen; und zum anderen Realisierungssicherheit: jede<br />

Person weiß, was es sie kostet und was es die anderen kostet, die Norm zu übertreten."<br />

133 Gemäß dem Oxford English Dictionary wird eine Institution definiert als "established law, custom, usage, practice, Organization, or other<br />

dement in the political or social life of a people; a regulative principle of Convention subservient to the needs of an organized Community a<br />

well-established or familiar practice or object" oder nach Brandes (1990, S.174): "Institutions are establishments which structure human activities<br />

with relative permanence An ordering or structuring is externally perceptible as a regularity in the network of behaviour."<br />

134 Die Institutionenökonomie argumentiert, dass die ökonomische Wirklichkeit unter dem Aspekt historischen Wandels interpretiert werden müsse.<br />

Sie müsse daher durch eine exakte (statistische) Beschreibung existierender sozialökonomischer Institutionen erfasst und auf Grundlage<br />

ihrer zahlreichen Wechselwirkungen interpretiert werden: Ökonomisches Verhalten wird wesentlich durch die institutionelle Umwelt geformt,<br />

in der sich ökonomisches Handeln in all seinen Manifestationen vollzieht und selbst wiederum die institutionelle Umwelt beeinflusst. Der Prozess<br />

wechselseitiger Interaktion ist evolutionär. Die Umwelt wandelt sich, und mit ihr verändern sich die Determinanten 'ökonomischen' Verhaltens;<br />

Vgl. Dichtl (1987,Bd.2, S.891)<br />

135 Man kann nur dann von Institutionen sprechen, wenn Verhaltensweisen statistisch regulär sind, es aber nicht sein müssen. Quasi-natürliche<br />

angeborene Verhaltensweisen (z.B. Reflexe) sind zwar regulär, aber in dem Sinne, das eine Regel von ihnen abgeleitet werden kann, nicht das<br />

sie einer Regel folgen; Vgl. Brandes (1990, S.174)<br />

136 Dann sind Präferenzen bezüglich eines bestimmten Verhaltens für die Verhaltensregularitäten verantwortlich. Wenn bestimmte Alternativen<br />

quasi-natürlich anderen vorgezogen werden, handelt es sich wieder um den Fall einer reinen Regel, nicht um eine statistische Regularität<br />

(Vgl. Brandes(1990, S.175)) und dies gibt, da einfaches regelhaftes Verhalten, das aus den unabhängigen Entscheidungen einer Vielzahl von<br />

Individuen resultiert, keiner spezifischen sozialwissenschaftlichen Erklärung bedarf (Vgl. Eger (1990, S.69)), keinen Anlass zur weiteren Betrachtung.<br />

137 Der Konformitätsdruck ist mit Sicherheit die bestimmende Kraft, aber auch andere Kräfte, wie die Antikonformitätskraft können eine Rolle<br />

spielen, so dass man allgemeiner sagen kann:" Origins of these behavioral regularities can be forces, brought about through man's network of<br />

interdependence"; Vgl. Brandes (1990.S.175)<br />

32<br />

Seite 28


Er wird dadurch gekennzeichnet sein, dass eine Abweichung vom Mehrheits- oder Durchschnittsverhalten<br />

mit Kosten belegt wird, wobei die Frage entsteht, welches die typischen Fälle<br />

sind 138 :<br />

Man orientiert sich an dem, was die Mehrheit tut, weil man...<br />

...einen direkten Nutzen aus der Interaktion zieht 139 .<br />

...sich aus Unsicherheit an der Mehrheit oder an kompetenten Personen orientiert (Imitation)<br />

140 .<br />

...ein Abweichen von der Mehrheit mit Unlustgefühlen verbindet (Angst vor informeller<br />

Ächtung) 141 .<br />

...andernfalls einen unmittelbaren Nachteil hätte 142 .<br />

...sein Verhalten an einer Größe ausrichtet, die durch das Mehrheitsverhalten erzeugt<br />

wird 143 .<br />

Somit werden soziale Normen durch einen äußeren Konformitätsdruck aufrechterhalten und<br />

stabilisiert, der sich darin äußert, dass abweichendes Verhalten mit Kosten verbunden ist,<br />

die durch die Handlungen der Öffentlichkeit erzeugt werden. Sie können aber auch in mehr<br />

oder weniger starker Masse internalisiert sein, wobei dann nicht die Konsequenzen einer<br />

Normabweichung, sondern Scham, schlechtes Gewissen und Schuldgefühle die Individuen<br />

von Normverletzungen abhalten 144 . Hierbei werden die äußeren Fremdzwänge, die durch<br />

das gesellschaftliche Miteinander entstehen, internalisiert und so zu Selbst zwängen 145 .<br />

Mit zunehmender Größe, Anonymität und Funktionsdifferenzierung entwickelten sich aus<br />

einer Übereinstimmung von inneren und äußeren Zwängen Recht, Sitte und Moral als spezifische<br />

Ordnungserscheinungen, die sich teils auf dieselben, teils auf unterschiedliche Hand-<br />

138 In der Realität wird eine Mixtur verschiedener Kostenarten vorherrschen: Entscheidungsfindungs-, Informations-, Koordinations- und Sanktionskosten;<br />

Vgl. hierzu und zum folgenden Brandes (1990, S.70ff)<br />

139 Z.B. Kneipe, Stadien, Parties usw.. Das Mehrheitsverhalten dient dem Einzelnen in diesen Fällen als Maß der Kommunikationsmöglichkeiten.<br />

140<br />

Z.B. Touristen orientieren sich in einer fremden Stadt an anderen, Kinder an ihren Eltern; Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass Individuen,<br />

die unter großer Unsicherheit zunächst isoliert Urteile abgeben, in Gruppensituationen dazu tendieren ihre Urteile einander anzugleichen;<br />

Vgl. Opp (1983, S.176ff)<br />

141<br />

Das Mehrheitsverhalten dient hier als Maß für angemessenes Verhalten. Ein von Asch durchgeführtes Experiment zeigte, dass Mitglieder einer<br />

Gruppe auch in recht belanglosen Situationen die Bewahrung einer antikonformistischen Haltung schwer fällt; Vgl. Eger(1990, S.70).<br />

142<br />

Z.B. ist es ratsam auf der rechten Straßenseite zu fahren: "Radiodurchsage: Ein Falschfahrer auf der A5!; Oma zu Opa: Was heißt hier einer?.<br />

Tausende!" Das Mehrheitsverhalten dient hier als Maß der Koordination.<br />

143<br />

Z.B. an dem Preis eines Gutes, dass durch Massenherstellung billiger bzw. erst erschwinglich wird, oder bei steigenden Skalenerträgen,<br />

und/oder abhängigen Sekundärmärkten, die erst bei einer gewissen Verbreitung des Gutes entstehen(Service oder Softwaremärkte). Siehe<br />

hierzu das spätere Kapitel über die Diffusion von Innovationen.<br />

144<br />

Vgl. Eger(1990, S.74)<br />

145<br />

Solche Selbstzwänge äußern sich in einer Selbstkontrolle des gesamten Gefühls- und Trieblebens. Diese kann bewusst erfolgen, indem man die<br />

Konsequenzen seines Handelns bedenkt und sich selbst Handlungsbeschränkungen unterwirft: Man entwickelt eine Ethik, die sich z.B. darin<br />

äußert, dass man keine phosphathaltigen Waschmittel kauft, seine Wohnung an ein kinderreiches Ehepaar vermietet, usw.; Vgl. Eger(1990,<br />

S.76ff). Sie kann aber auch automatisch arbeiten, indem, durch die Kräfte des sozioökonomischen Beeinflussungsfeldes bewirkte, externe<br />

Handlungsbeschränkungen zu internen Handlungsbeschränkungen werden, ohne dass die Konsequenzen der individuellen Handlungen bedacht<br />

werden (z.B. in Form der Kosten, die sie verursacht). Die gewählte Handlung ist dann gleich der gewünschten Handlung. (Vgl. hierzu<br />

auch Radzicki (1990), der in dem Wechselspiel von 'desired state' und 'actual State’ die Basis einer evolutionären Institutionenökonomie<br />

sieht.). Wie Brandes (1990, S.175) es ausdrückte: Die externen Kräfte und die durch sie verursachten Handlungsbeschränkungen "are the result<br />

of the active Cooperation of man and at the same time provide for the regularity of this Cooperation. A portion of these forces- in total<br />

equilibrium: all of them- express themselves as internal behavioral constraints within individuals and stabilize the external forces: 'Conscience<br />

is social angst'". So durchdrangen sich in den Urgesellschaften externe Zwänge (Sitten und Bräuche), die immer an gewisse magischreligiöse<br />

Vorstellungen geknüpft waren, und innere Zwänge (Ehrfurcht) bis zu völliger Einheit.<br />

Seite 29


lungen bezogen und die sich nicht notwendig deckten 146 . Sanktionshandlungen zum Schutz<br />

wichtiger Güter werden in großen Gesellschaften zumeist institutionalisiert und monopolisiert,<br />

womit die soziale Norm zum Recht wird ,und der Anreiz, verhaltenskoordinierende<br />

Normen zu verinnerlichen; nimmt ab 147 .<br />

So oder so werden vorhersehbare (im Sinne von wahrscheinlich) Verhaltensmuster -<br />

Institutionen 148 - geschaffen, die dadurch, dass die Individuen in ihrer Doppelrolle als Normadressat<br />

und Öffentlichkeit an ihnen haften 149 , stabilisiert werden. Diese wechselseitige Stabilisierung<br />

der Ordner deutet darauf hin, dass auch die Erzeugung von Institutionen ein<br />

wechselseitiger, rückkoppelnder Prozess zwischen den Handlungen der Einzelnen und einem<br />

durch diese kollektiv erzeugtem Gesamtverhalten, also selbstorganisatorisch ist und<br />

somit als Ordnungsstruktur, die "entsteht und aufrechterhalten wird, indem sie rückkoppelnd<br />

die Ursachen stabilisiert, aus denen sie entstand" (s.o.), auch synergetisch beschreibbar ist.<br />

Genau dieses ist im Prinzip mit dem oben beschriebenen Party-Modell möglich 150 : Mit ihm<br />

lässt sich anhand von 2 Handlungszuständen 151 das Wechselspiel der Handlungen der Individuen,<br />

die durch Übergangswahrscheinlichkeiten definiert sind, und einem kollektiven Beeinflussungsfeld<br />

- der Öffentlichkeit - darstellen 152 . Dieses wird über einen Satz von Kräften<br />

definiert, die anhand des Party-Modells beschrieben und anhand der Normen erläutert worden<br />

sind. Wenn, einmal abgesehen von Präferenzkräften, Konformitätsdruck in irgendeiner<br />

Weise herrscht, bzw. eine soziale Abhängigkeit der Handlungen untereinander, und dies wird<br />

bei vielen Handlungen der Fall sein, so wird jede Symmetrie (Gleichwahrscheinlichkeit), die<br />

anfangs zwei Handlungsalternativen gegenüber besteht, zugunsten einer gebrochen werden<br />

153 ; wie oben gezeigt wurde können hierbei Fluktuationen zu kritischen Zeitpunkten darüber<br />

entscheiden, welcher von mehreren möglichen Zuständen letztendlich erreicht wird.<br />

Da hier eine sequentielle <strong>Selbstorganisation</strong> betrachtet wird, d.h. da Handeln als Handeln in<br />

146 Zwar gibt es auch innerhalb großer Gesellschaften soziale Gruppen aller Art, die durch Gruppenprozesse informelle Normen erzeugen und<br />

aufrechterhalten, diese sind aber nur für spezifische Teilmengen der Gesellschaftsmitglieder verbindlich; Vgl. Eger (1990, S.75f)<br />

147 Die Institutionalisierung ist hier als die Schaffung konkreter "gesellschaftlicher Gruppen, Assoziationen, Organisationen, in denen sich diese<br />

[regulativen ] Prinzipien repräsentieren. "(DTV,1989,Bd.8, S.304) zu verstehen. Rechtsnormen unterscheiden sich von sozialen Normen durch<br />

einen hohen Grad der Institutionalisierung, der hier durch eine Monopolisierung der Reaktionstätigkeit auf unerwünschtes Verhalten durch<br />

eine Zentralmacht und durch die Handhabung derselben durch eine richterliche Instanz gekennzeichnet ist. Vgl. Eger ( 1990, S.75)<br />

148 "A set of forces, and their resulting lasting behavioural configuration, is what we label an institution "; Vgl. Brandes (1990.S.176)<br />

149<br />

"Humans orientate their behaviour towards the behaviour of others, thereby creating sanctionable behavioural expectations"; Brandes (1990,<br />

S.176")<br />

150<br />

Vgl Brandes (1990), Eger (1990)<br />

151<br />

Diese, oben als zwei Räume dargestellt, lassen sich beliebig ausfüllen, müssen sich aber gegenseitig ausschließen, wie. z.B. : Töten vs. Töten;<br />

Jeans tragen vs. Lederhose tragen; Drogen nehmen vs. keine Drogen nehmen, usw.<br />

152<br />

"In reality, custom, morals, norms and taboo could fit this example, if one adequately interprets the two actions. However most an institution<br />

are in reality considerably more complex; yet, if one treats them as combinations of individual norms they could be analyzed in the same way.<br />

One could also deal with a set of norms or rights using this approach if the respective forces are assigned to specific individuals or other institutions.<br />

By the same measure, one could think of the homogeneous as divided into subpopulations and have the forces within as well as between<br />

the subpopulations."; Brandes (1990, S.186).Dieser Forderung wird die im nächsten Absatz beschriebene 'Mastergleichung' zumindest<br />

mathematisch gerecht. " The core of the synergetic approach remains the same: Man finds himself dependent upon others, feels a desire for<br />

independence, and has preferences regarding actions "ebenda (S.186).<br />

153<br />

Insbesondere bei sehr starken Normen ist der Konformitätsdruck sehr stark und so werden Randgleichgewichte bzw. Fast-Randgleichgewichte<br />

sehr wahrscheinlich den Endzustand eines solchen Prozesses darstellen: Die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. die Handlung Töten' sehr wenig<br />

gewählt wird, ist in unserer Gesellschaft relativ hoch.<br />

Seite 30


der Zeit begriffen wird und jede getätigte Handlung mittelbar über die Verhaltenskonfiguration<br />

auf den dynamischen Systemverlauf rückkoppelt, wird jeder Systemverlauf seine eigene<br />

Geschichte haben. Dies bedeutet, da die Fluktuationen in Modellen nur als stochastische<br />

(also zufällige, keiner Regel folgenden) Schwankungen implementiert werden können, dass,<br />

insbesondere bei komplexeren Modellen, jeder Simulationsablauf anders sein kann.<br />

Die Vielfalt kann durch Variationen in den Anfangsbedingungen (siehe deterministisches<br />

Chaos) und/oder den Parametern noch erhöht werden. Dies ist nicht weiter tragisch, wenn<br />

es nur einen Attraktor gibt, auf den das System relativ unabhängig von den Anfangsbedingungen<br />

zuläuft. Gibt es aber mehrere stabile Attraktoren, auf die das System zulaufen kann<br />

und bei denen es trotz der Fluktuationen verharrt, so bliebe der Aussagewert eines einzelnen<br />

Simulationsablaufes begrenzt.<br />

Aus diesem Dilemma führte eine Gleichung, auf deren Basis es möglich ist, ein Modell zu<br />

konstruieren, welches das Bündel von möglichen Entwicklungspfaden einheitlich formalisiert,<br />

indem es aus den möglichen Entwicklungen der individuellen Übergangswahrscheinlichkeiten<br />

die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Verhaltenskonfigurationen zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt t ableitet:<br />

Seite 31


4.4 Die Darstellung sozioökonomischer Systeme mit der Master-<br />

Gleichung 154<br />

"Economics is all about how people make choices; sociology is all about why they don't have any choice to make."<br />

J. Duesenberry 155<br />

Abb. 8: Verknüpfung von Mikro- und Makroebene durch die Mastergleichung<br />

Die Master Gleichung bietet die Möglichkeit, auf Basis des gleichen Konzeptes, das auch<br />

dem Party-Modell zugrunde liegt, komplexere Zusammenhänge und damit eine komplexere<br />

Dynamik selbstorganisatorischer Prozesse darzustellen 156 .<br />

So wird dem Individuum ein Verhaltensvektor zugeschrieben, der als ein Punkt in einem Adimensionalen<br />

Raum A repräsentiert werden kann, wobei die verschiedenen Dimensionen<br />

a=l, 2,...A jeweils andere Aspekte der individuellen Entscheidungen erfassen 157 . Die ver-<br />

154 Vgl. zum folgenden: Weidlich (1983,1991 ;1992), Haag (1990), Woekener (1992a)<br />

155<br />

Zitiert in Farmer (1991, S.104)<br />

156<br />

Der Mastergleichung-Ansatz geht dabei von folgenden Annahmen aus: die Gesellschaft wird von einigen wenigen politischen, ökonomischen,<br />

kulturellen, religiösen und sozialen Ordnungsparametern 'regiert'. Entscheidungen und Aktivitäten Einzelner sind 'versklavt', d.h. gerichtet<br />

und weitgehend vorbestimmt durch die sozioökonomische Situation, die sich aus den Ordnungsparametern ergibt. Somit kann die globale<br />

Entwicklung einer Gesellschaft primär als geschlossene Dynamik endogener Ordnungsparameter gesehen werden, die jedoch von äußeren<br />

Einflüssen wie Umwelt, Ressourcen, ökonomischen Einschränkungen usw. kontrolliert wird. Dies impliziert, dass die innere Struktur einer<br />

Gesellschaft nur teilweise von äußeren Einflüssen vorherbestimmt ist und sich auf eine selbstorganisierende Art entwickelt, wobei das Ergebnis<br />

jedoch nicht fest steht, sondern sich unter denselben Bedingungen unterschiedliche Modifikationen des sozioökonomischen Systems ergeben<br />

können (Ergebnisoffenheit). In kritischen Situationen kann die Entwicklung des betrachteten Systems sich destabilisieren, so dass Phasenübergänge<br />

(z.B: Revolution) in einen neuen Zustand und andersartige Verhaltensweisen im System 'Gesellschaft' auftreten können. An eine<br />

quantitative Theorie, wie sie durch den Mastergleichungsansatz begründet wird, muss demzufolge folgenden Anforderungen entsprechen: Der<br />

Zusammenhang zwischen der Mikroebene, auf der sich die Entscheidungen und Aktivitäten der Individuen abspielen, und der Makroebene der<br />

Bewegungsgleichungen der kollektiven Ordnungsparameter der Gesellschaft muss hergestellt werden. Die globale Struktur der Dynamik<br />

quantitativer Modellsysteme muss die möglichen stationären Zustände, Entwicklungen und Revolutionen einer Gesellschaft widerspiegeln.<br />

Unter ausreichend wohldefinierten Bedingungen sollte das Modell den Vergleich mit konkreten empirisch erfassbaren Systemen durch<br />

Reggressionsanalyse und Prognose ermöglichen; Weidlich (1991, S.483fT)<br />

157<br />

Solche Aspekte können das Faktorangebot, die Konsumgüternachfrage, politische Stimmabgabe, Standort, Wohnsitzentscheidungen, usw. sein;<br />

Vgl. Weidlich (1992, S.42)<br />

Seite 32


schiedenen Verhaltensweisen i bezüglich jedes Aspekts werden durch den Index im durchnumeriert:<br />

i=(ilfi2, ,ia, '*-&)• Der Zustand der Gesellschaft auf der Mikroebene wird also<br />

durch den Punkteschwarm ihrer Mitglieder in A beschrieben, der jedoch eine viel zu differenzierte<br />

Beschreibung darstellt. Über die Definierung von, bezogen auf ihr Entscheidungsverhalten,<br />

homogenen Subpopulationen p oc =1/2...P 158 wird nun eine Makrovariable, die Soziokonfiguration<br />

n, eingeführt, die die Verteilung der Verhaltensweisen unter den Mitgliedern der<br />

Subpopulationen Pa (bezogen auf die Wahlmöglichkeiten a=l,2,...A) folgendermaßen beschreibt:<br />

mit n^ als der Anzahl der Mitglieder der Subpopulation Pa mit der Haltung i. Der Übergang<br />

eines Individuums e Pa von der Verhaltensweise i zur Verhaltensweise j äußert sich in einer<br />

Änderung in der Soziokonfiguration, gemäß:<br />

Er wird wie im Party-Modell nicht deterministisch modelliert, sondern wahrscheinlichkeitstheoretisch,<br />

indem man eine individuelle Übergangswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit p?. einführt.<br />

Diese wird jedoch nicht direkt, wie im oben beschriebenen Modell, sondern über den<br />

zusätzlichen (bzw. den verminderten) subjektiven Nutzen, den eine Verhaltensänderung von<br />

i nach j für das Individuum erbringt, teilweise von der Makroebene (der Soziokonfiguration)<br />

abhängig gemacht. Dies geschieht dadurch, dass der Nutzen u zum einen durch einen<br />

Trendparameter K , der sich im Zeitablauf ändern kann, zum anderen aber -und hierin liegt<br />

das synergetische Moment - durch die Soziokonfiguration n definiert wird, was in folgendem<br />

Ansatz mündet 159 :<br />

158 Jedes Individuum kann hierbei eindeutig einer Subpopulation zugeordnet werden. Die Homogenität bezieht sich auf eine wahrscheinlichkeitstheoretisch<br />

erfasste Homogenität des Entscheidungsverhaltens, wie dies auch im Party-Modell der Fall war.<br />

159 u beschreibt den subjektiven Nutzen, v ist als ein Flexibilitätsparameter' [Vgl. Haag (1990, S.139), Woekener (1992,418)] zu begreifen, der ein<br />

Maß der Häufigkeit des Entscheidungswechsels darstellt; zu den Vorteilen einer exponentialen Formulierung siehe Weidlich(1992, S.43f) und<br />

Haag (1990, S.140).Hier sei darauf hingewiesen, dass durch sie einerseits die Positivität der Übergangsraten gesichert ist, und andererseits<br />

ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen dem Individualverhalten und den exogenen und endogenen Variablen aus rein 'technischen' Gründen<br />

etabliert wird; Vgl. Woekener (1992a, S.419). Eine solche Übergangsraten ist natürlich nicht aus sich selbst heraus richtig, sondern muss<br />

entweder verhaltenstheoretisch fundiert oder empirisch nachgewiesen werden (siehe das Kapitel Wahlmodelle).Nichtlinearität der individuellen<br />

Seite 33


Resultierend aus der Homogenitätsannahme bezüglich der Subpopulationen folgt hieraus<br />

eine konfigurale, totale Übergangsrate mit:<br />

Die Master-Gleichung ermöglicht es nun, auf einer stochastischen Beschreibungsebene die<br />

Entwicklung der Wahrscheinlichkeit P(n;t), zum Zeitpunkt t die Soziokonfiguration n vorzufinden,<br />

zu beschreiben 160 :<br />

Sie kann, wenn die Soziokonfiguration eindimensional ist und eindeutig identifiziert werden<br />

kann 161 , auch geschrieben werden als 162 :<br />

und beschreibt nichts anderes als - bei bekannten Übergangsraten - die Wahrscheinlichkeitszuflüsse<br />

aus allen anderen möglichen Konfigurationen n+k in die betrachtete Konfiguration<br />

n abzüglich der Wahrscheinlichkeitsabflüsse aus der Konfiguration n in alle anderen<br />

Konfigurationen n+k, wobei selbige durch die Wahrscheinlichkeiten der Konfigurationen in t<br />

bedingt sind. Die Master-Gleichung macht also Aussagen darüber, um wie viel wahrscheinlicher<br />

bzw. unwahrscheinlicher eine bestimmte Konfiguration im Zeitverlauf wird, indem sie<br />

Wahrscheinlichkeitszuflüsse und Wahrscheinlichkeitsabflüsse in den jeweiligen Folgezeitpunkten<br />

miteinander verrechnet. Dies läuft oftmals auf stationäre Verteilungen hinaus, bei denen die<br />

Wahrscheinlichkeitszuflüsse gleich den Wahrscheinlichkeitsabflüssen sind. Damit wird nicht<br />

nur die mittlere Entwicklung der Gesellschaft im Konfigurationsraum, sondern zugleich die<br />

160 Vgl. Weidlich ( 1992, S.44)<br />

161 So wie im obigen Modell dem Wert x eindeutig eine Soziokonfiguration zugeordnet werden kann.<br />

162<br />

Vgl. Haag ( 1990, S.137).Die Wahrscheinlichkeitsverteilung P(n,t) muss natürlich zu allen Zeiten die<br />

Normierungsbedingung S P(n,t)=l erfüllen.<br />

Seite 34


Entwicklung der Wahrscheinlichkeit der Abweichungen vom mittleren Verhalten (Fluktuationen<br />

bzw. Varianzen) berücksichtigt.<br />

Eine solche Beschreibung ist in der mathematischen Berechnung sehr schwierig, jedenfalls<br />

in dem Moment, in dem das Modell bezogen auf die Differenzierung in Subpopulatlonen und<br />

deren Inter- und Intragruppenwechselwirkungen eine gewisse Komplexität erreicht. Dies wird<br />

schon in der obigen allgemeinen mathematischen Formulierung deutlich, wenn man sich vor<br />

Augen hält, dass die Nutzenfunktionen der jeweiligen Subpopulationen -und damit die Übergangswahrscheinlichkeiten-<br />

in Abhängigkeit von dem Verhalten der eigenen Subpopulation<br />

und dem der anderen Subpopulationen (also in Abhängigkeit von der Soziokonfiguration) ,<br />

jeweilig spezifischen Gesetzmäßigkeiten folgen und somit für jede definierte Handlungsalternative<br />

und jede definierte Subpopulation zu jedem Folgezeitpunkt neu berechnet werden<br />

müssen 163 . Deswegen beschränkt man sich bei der Modellierung meistens auf wenige Handlungsalternativen<br />

und Subpopulationen.<br />

Trotzdem bleibt durch die wahrscheinlichkeitstheoretische Beschreibung die Problematik,<br />

dass es von jeder Konfiguration eine gewisse endliche Wahrscheinlichkeit gibt, in eine beliebige<br />

andere Konfiguration zu gelangen und vice versa, wodurch unzählige Wahrscheinlichkeitsübergänge<br />

miteinander verrechnet werden müssen. Dieser weicht man oft durch die<br />

Annahme eines Einschritt-Prozesses aus, durch die von n aus nur ein Wechsel in die Nachbarzustände<br />

n-1 und n+1 möglich ist, alle anderen Übergangsraten aber verschwinden 164<br />

In einfacheren Modellen lässt sich dann die Entfaltung einer Systemdynamik, ausgehend von<br />

einer Anfangskonfiguration mit P(n0,t0)=l, graphisch in drei Dimensionen 165 darstellen:<br />

163 Von mehrdimensionalen Verhaltensvektoren ganz zu schweigen.<br />

164 Vgl. Woekener (1992a, .413), wo er auch auf die Problematik der Ränder (Randkonfigurationen) eingeht. Wenn es sich um absorbierende<br />

Ränder handelt, dann gibt es nur Wahrscheinlichkeitsflüsse in den Randzustand, aber keine heraus, und so wird er über kurz oder lang eine<br />

Wahrscheinlichkeit von eins erlangen. Deswegen werden oftmals reflektierende Ränder unterstellt.<br />

165 Zeit, Wahrscheinlichkeit und ein Konfigurationsparameter, der eine Soziokonfiguration eindeutig identifiziert<br />

Seite 35


Abb. 9: Wahrscheinlichkeitsverteilung bei<br />

niedriger Interdependenz & Präferenz<br />

(N=50), 2 Handlungsaltemativen (analog dem Party-Modell) für<br />

eine gewisse Fluktuationskraft (a=0.25) fehlende Präferenzkräfte<br />

(b=0) und fehlende Konformitatskräfte (c=0).; sie endet in einer<br />

stationären unimodalen Verteilung<br />

Abb. 10: Wahrscheinlichkeitsverteilung bei<br />

hoher Interdependenz<br />

Desgleichen für eine hohe Konformitätskraft (a=0.25, b=0, c=2.5);<br />

sie endet in einer bimodalen Verteilung<br />

Abbildung 10 zeigt, wie eine (hier durch Mitläufereffekte und eine Anfangskonfiguration nahe<br />

der Gleichverteilung erzeugte) Bifurkation des Bündels der möglichen Entwicklungspfade<br />

durch die spezielle Kombination von deterministischer Nichtlinearität (in den Übergangsraten),<br />

hinter der die Verknüpfung von Mikro- und Makroebene steht, und dem Einfluss des wie<br />

auch immer gedeuteten Zufalls mittels der Mastergleichung darstellbar wird: Der Mastergleichungsansatz<br />

scheint für die Modellierung ergebnisoffener sozioökonomischer Prozesse<br />

geeignet zu sein.<br />

Die Mastergleichungs-Modelle, die grundsätzlich vor allem zur Beschreibung von Multikomponenten-Systemen<br />

konzipiert wurden, lassen sich auch für Prognosezwecke verwenden.<br />

Ihnen kommt dabei zugute, dass sie auch die relative Häufigkeit von Zuständen, die von der<br />

wahrscheinlichsten Konfiguration abweichen, bestimmen und so Risikoabschätzungen zulassen<br />

166 . Für die meisten Anwendungsfälle enthalten sie jedoch zuviel Information, um sie<br />

mit rein empirischen Daten zu vergleichen. Dann empfiehlt es sich, nur die Entwicklung des<br />

wahrscheinlichsten Wertes zu betrachten und sie in quasideterministischen Bewegungsgleichungen<br />

des Mittelwertes zu beschreiben 167<br />

Die praktischen Anwendungsbereiche des Modellierungskonzepts, dessen konzeptioneller<br />

Rahmen im Anhang dargestellt ist, umfassen:<br />

166 Vgl. Woekener (1992a, S.421)<br />

167 Diese können für den Fall, dass die Entwicklungspfade bifurkieren und die stationäre Verteilung bimodal ist, wie in Abb. 10, auch den unwahrscheinlichsten<br />

Verlauf wiedergeben, nach dem Motto:" Ein Jäger schoss auf einen Hasen: einen Schuss rechts vorbei, einen links vorbei:<br />

statistisch gesehen ist der Hase tot!" Meistens jedoch werden unimodale Wahrscheinlichkeitsverteilungsentwicklungen betrachtet und eine<br />

Formulierung in Mittelwerten ist dann gerechtfertigt.<br />

Seite 36


Demographie (Migrationsmodelle)<br />

Soziologie (Wahlmodelle)<br />

Regionalwissenschaft (Stadtentwicklungs- und Siedlungsstruktur-Modelle)<br />

Ökonomie (Konjunkturzyklen, Marktinstabilitäten, Diffusionsmodelle) 168 .<br />

4.4.1 Migrationsmodelle<br />

Insbesondere Migrationsmodelle stellen ein dankbares Anwendungsgebiet dar: Zum einen<br />

wegen des Vorliegens umfassenden Datenmaterials, welches es ermöglicht, Theorie und<br />

Empirie miteinander zu vergleichen 169 ; zum anderen wegen der guten Interpretierbarkeit der<br />

erzeugten dynamischen Phänomene.<br />

So lassen sich schon bei der Betrachtung von zwei wechselwirkenden Subpopulationen in<br />

zwei Regionen durch dieselben Modellgleichungen je nach Wahl der Verhaltens- bzw.<br />

Trendparameter K mindestens drei qualitativ verschiedene Situationen und die möglichen<br />

Phasenübergänge zwischen ihnen beschreiben:<br />

Die Herausbildung einer stabilen Bevölkerungsmischung (Fixpunktattraktor)<br />

Die Herausbildung eines stabilen Gettos (multiple Gleichgewichte bzw. multiple Attraktoren)<br />

Die Herausbildung eines rastlosen Wanderungsprozesses (Grenzzyklus)<br />

Abb. 11/12: Die Fälle a,b)symmetrische Wechselwirkungen; Beschreibungsarten: a) das Flusslinienbild der<br />

Mittelwertgleichungen 170 ; ß) die stationäre Lösung der Mastergleichung 171<br />

Abb.l3/14;:Die Fälle c,d) asymmetrische Wechselwirkungen. Beschreibungsarten: a)das Flusslinienbild der<br />

Mittelwertgleichungen 172 ; ß)die stationäre Lösung der Mastergleichung 173 ;y)die Verteilung der stationären<br />

Wahrscheinlichkeitsflüsse<br />

168<br />

Z.B. Kraft (1986; 1987), Haag (1987), Koblo (1991) zur Erklärung endogener persistenter Konjunkturzyklen; zur Modellierung von Oligopolmärkten<br />

[Landes (1985)] oder der Nachfrage nach einem inhomogenen Konsumgut auf einem unvollkommenen Markt [Landes (1985), Woekener<br />

(1992a)]; zur Diffusion von Innovationen siehe Woekener (1992b), Montano (1980).<br />

169<br />

Vgl. Weidlich (1992, S.46f)<br />

170<br />

Jede XY-Kombination identifiziert eindeutig die Soziokonfiguration n^npii^n^iu}, da X und Y die Abweichungen von den jeweiligen Gleichverteilungen<br />

angeben; Vgl. Weidlich (1992, S.48ff)<br />

171<br />

In der Höhe sind die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten abgetragen.<br />

172 f<br />

Jede XY-Kombination identifiziert eindeutig die Soziokonfiguration n={n . .n-in. ,n2}, da X und Y die Abweichungen der jeweiligen Gleichverteilungen<br />

angeben; Vgl. Weidlich (1992, S.48ff)<br />

173<br />

In der Höhe sind die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten abgetragen.<br />

Seite 37


Abb. 11: Symmetrische Wechselwirkungen (Fixpunktattraktor)<br />

Schwacher Agglomerationstrend innerhalb jeder Population und schwacher Segregationstrend zwischen den Populationen a) Alle Flusslinien<br />

münden im stabilen Gleichgewichtspunkt (x y) = (0,0), der die homogene Durchmischung der Populationen via und Pv beschreibt. B)<br />

Unimodale stationäre Wahrscheinlichkeitsverteilung mit Maximum am Ursprung<br />

Abb. 12: Symmetrische Wechselwirkungen (multiple Attraktoren)<br />

Schwacher Agglomerationstrend innerhalb jeder Population und starker Segregationstrend zwischen den Populationen. a) Alle Flusslinien<br />

münden in zwei stationären Fixpunkten im zweit. bzw. vierten Quadrant, welche die Segregation der Populationen 7 und P» in<br />

getrennten Cellos beschreiben. ß) Bimodale egregra stationäre Wahrscheinlichkeitsverteilung mit Maxima ; den stationären Punkten.<br />

Abb. 13: Asymmetrische Wechselwirkungen (Fixpunktattraktor)<br />

Mäßiger Agglomerationstrend innerhalb jeder Population und starke asymmetrische Wechselwirkung zwischen den Populationen er)<br />

Seite 38


Alle Flusslinien münden spiralenartig In den stabilen Fokus (x,y) = (0,0), der homogenen Mischung der Bevölkerung. ß) Unimodale<br />

stationäre Wahrscheinlichkeitsverteilung mit Maximtim am Ursprung.<br />

Abb. 14: Asymmetrische Wechselwirkungen (Grenzzyklus)<br />

Starker Agglomerationstrend innerhalb jeder Population und starke asymmetrische Wechselwirkung zwischen den Populationen. or) Der<br />

Ursprung (x,y) = (0,0) ist unstabil. Alle Flusslinien münden in einen Grenzzyklus. ß) Die stationäre Wahrscheinlichkeitsverteilung besitzt<br />

vier Maxima mit verbindenden Höhenzügen längs des Grenzzvklus<br />

Die Trendparameter können in einer 2x2 Matrix dargestellt werden und bestimmen, je nach<br />

Vorzeichen, die Agglomerations- bzw. Seggregationstrends innerhalb und zwischen den Populationen.<br />

Die in den Abbildungen 11/12/13/14 gezeigten Phänomene werden hauptsächlich<br />

durch Symmetrien bzw. Asymmetrien der Intergruppenwechselwirkungen erzeugt 174 .<br />

Auch deterministisches Chaos ist als Sonderfall einer Migration von drei Subpopulationen in<br />

drei Gebieten darstellbar 175 .<br />

Die Fähigkeit eines mit Hilfe des Mastergleichungsansatzes konzipierten Modells zur Beschreibung<br />

migratorischer Prozesse wurde von Weidlich und Haag anhand eines Vergleiches<br />

des theoretischen Modells mit der empirischen interregionalen Migration zwischen den<br />

alten Bundesländern im Zeitraum 1957 bis 1985 gezeigt 176 . Hierbei wird von einer homogenen<br />

Population mit 11 möglichen Handlungszuständen (Regionen) ausgegangen. Die Nutzenfunktionen<br />

der dynamischen mittleren Übergangsraten wurden zum einen optimal kalibriert,<br />

ohne dass ein makroökonomisches Gleichgewicht angenommen werden musste, und<br />

zum anderen als abhängige Variable geeigneter sozioökonomischer Faktoren dargestellt 177 .<br />

Dass die Umwelt, in die ein Selbstorganisierendes System eingebettet ist, durch wenige<br />

exogene sozioökonomische Schlüsselfaktoren identifiziert und ihre indirekten Wirkungen auf<br />

174 Präferenzen der Subpopulationen für eine bestimmte Region werden vernachlässigt.<br />

175 Dieses kann im obigen Fall gar nicht auftreten, da es nur zwei dynamische Variable, nämlich x(t) und y(t) gibt; Vgl. Weidlich (1992, S.55)<br />

176<br />

Vgl. Haag (1990), Weidlich (1988;1991;1992)<br />

177<br />

Die konfigurellen Übergangsraten entsprechen: w« =Vjj(t)nj(t) exp[u;(t)-Uj(t)] mit Vj;(t)=v0 (t)e _D ij als Mobilitätsfaktor, der von einer zeitabhängigen,<br />

globalen Mobilität und dem Abstand zwischen den Regionen bestimmt wird. Nutzenfunktionen und Mobilitäten werden durch eine<br />

Regressionsanalyse (Methode der kleinsten Quadrate) so bestimmt, dass sich eine optimale Übereinstimmung zwischen w- und den empirischen<br />

w-- ergibt. Dann wurden die regionalen Nutzen gemäß Uj(t)=Kni(t)-oTij 2 (t)+8j bestimmt, wobei die Größe einer Region derart berücksichtigt<br />

wird, dass die Konformitätskraft' K den Agglomerationseffekt wiedergibt, dem ab einer bestimmten Einwohnerzahl der 'Sättigungseffekt'<br />

(die Antikonformitätskraft) entgegenwirkt. Als größenunabhängiges Maß der Attraktivität der Region wird die Präferenzkraft' 5 in Abhängigkeit<br />

von geeignet gewählten sozioökonomischen Schlüsselgrößen Q definiert. Diese Abhängigkeit von exogenen Größen ermöglicht es,<br />

indirekte Ursache-Wirkungs-Beziehungen in selbstorganisierenden Systemen zu finden; Vgl. Weidlich (1991, S.502ff) Für eine ausführliche<br />

Darstellung der empirischen Auswertungen siehe Weidlich(1988)<br />

Seite 39


das System simuliert werden können, bleibt jedoch für viele Systeme eine Fiktion; dies wird<br />

insbesondere für die Modellierung von Systemen gelten, bei denen das individuelle Entscheidungsverhalten<br />

sofort auf äußere Störungen reagieren kann, ohne dass daraus folgende<br />

Verhaltensänderungen direkt mit Kosten verbunden sind, also z.B. für:<br />

4.4.2 Wahlmodelle<br />

So konnte Troitzsch 178 die Nichtlinearität von Einstellungsänderungen empirisch untermauern<br />

und auf Grundlage dessen ein selbstorganisierendes Wahlmodell konstruieren, welches obigem<br />

Modell sehr ähnlich ist. Hierbei werden die Einstellungen der Wähler in einem zweidimensionalen<br />

Einstellungsraum 179 zu Wahrscheinlichkeitsdichten einer bestimmten Einstellung<br />

aggregiert, welche wiederum als Ordner die nicht-stochastischen Bewegungen derselben<br />

bestimmen. Die Orientierung an den lokalen Dichtegradienten führt dazu, dass eine anfangs<br />

normalverteilte Population schnell ihre Unimodalität verliert, die Wahrscheinlichkeitsfunktion<br />

wird nach kurzer Zeit multimodal:<br />

Abb. 15 :Simulationsergebnisse für in zweidimensionales Modell<br />

178 Vgl. Troitzsch (1991)<br />

179 Diese zwei Dimensionen sind die Hauptkomponenten, die aus Wahlpanels mit neun Skalometerfragen abgeleitet wurden, und in etwa die 'linksrechts'<br />

Dimension (horizontal) und die politische Zufriedenheit (vertikal) wiedergeben; Vgl. Troitzsch (1990;S.507, 528ff)<br />

Seite 40


Der Vergleich mit den empirisch gemessenen Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen zeigt jedoch<br />

die begrenzte Aussagefähigkeit einer solchen Simulation:<br />

Abb. 16: Höhenliniendarstellungen der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen<br />

Höhenliniendarstellungen der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen für die Hauptkomponenten von SkalometerMessungen, Januar 1985 bis<br />

Februar 1988<br />

Seite 41


Das Interessante am Modell ist nach Troitzsch, dass es zum einen das Entstehen multimodaler<br />

Verteilungen im Einstellungsraum erklärt 180 . Zum anderen weise es Ähnlichkeiten zu<br />

Abb.15 insofern auf, dass sich für Gruppen von aufeinander folgenden Monaten die empirischen<br />

Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen -ähnlich der Simulation- ebenfalls einem vorübergehend<br />

stationären Zustand zuzustreben scheinen, der aber durch benennbare äußere Ereignisse<br />

geändert wird 181 . Dabei sind die äußeren Einflüsse viel unspezifischer als die im Modell<br />

durch ein stochastisches Gaußsches Rauschen erzeugten 182 , womit das System dem<br />

Begriff der <strong>Selbstorganisation</strong> jedoch wohl eher noch gerechter wird 183 .<br />

Abschließend lässt sich vermerken, dass der nichtlineare stochastische Modellierungsansatz<br />

trotz aller Unwägbarkeiten die realen Zusammenhänge wenigstens grobkörnig widerzuspiegeln<br />

scheint und so- mit (trotz der entscheidenden Rolle der involvierten Nichtlinearitäten bzw.<br />

gerade wegen dieser) auch ein potentielles Instrument für prognostische Aussagen sein sollte.<br />

Dies wurde durch eine von Erdmann auf Basis der Mastergleichung sechs Monate vor der<br />

Niedersachsenwahl 1985 gemachte Prognose bestätigt 184 .<br />

In den bisher angesprochenen, zum größten Teil auf Basis der Mastergleichung konstruierten<br />

Modellen selbstorganisierender Systeme waren ökonomische Beeinflussungsfaktoren entweder<br />

gar nicht vorhanden (bzw. sie wurden negiert) oder wurden explizit oder Implizit in die<br />

Randbedingungen, sprich: in die Umwelt des Systems abgeschoben 185 : Für die Entwicklung<br />

derselben wurden keine Erklärungskonzepte geliefert, da durch eine endogene Erklärung<br />

180<br />

Troitzsch(1990, S.535)<br />

181<br />

z.B.: November 1985 bis März 1986->SPD gewinnt die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein-*...Oktober bis Dezember 1986-<br />

»Bundestagswahl-»...März bis Oktober 1987->BarscheIafräre->.. Vgl. Troitzsch,)990, S.529Tt<br />

182<br />

Dieses dient nur dazu, die Teilchen kontinuierlich in Bewegung zu halten, kann also ähnlich der Varianz von mittleren Obergangsraten interpretiert<br />

werden, während die realen diskreten Schocks -und wahrscheinlich nicht nur sie- vorübergehende endogene Änderungen des (der) Attraktors<br />

zu bewirken scheinen. Dieser empirisch zu beobachtende Tatsache, dass sich das System immer wieder auf einen Gleichgewichtzustand<br />

hin zu bewegen scheint, wobei es während dieses Anpassungsprozesses zu einer Veränderung des Attraktors kommt, die wiederum neue<br />

Anpassungsprozesse auslöst, kommt im letzten Kapitel dieser Arbeit (<strong>Selbstorganisation</strong> = Evolution?) aus theoretischer Sicht eine besondere<br />

Bedeutung zu.<br />

183<br />

Ein System kann man im Sinne der Synergetik als selbstorganisierend bezeichnen, "if it acquires a spatial, temporal or functional structure<br />

without specific interference from the outside. By 'specific' we mean that the structure or functioning is not impressed on the system, but that<br />

the system is acted upon from the outside in a non-specific fashion. "; IIaken (1988 , S.11)<br />

184<br />

Vgl. Erdmann(1989). Bei weitem feinkörniger in der Betrachtung als das Modell von Troitzsch ging man von 2 Subpopulationen aus, die eine P-<br />

Gruppe (P=“Poor“) und eine R-Gruppe (R=“Rich“) repräsentieren. Sie können sich für eine von drei Parteien (bzw. Verhaltensszuständen)<br />

entscheiden. Stammwähler, deren Anteil übrigens zunehmend kleiner wird, werden nicht in das Modell miteinbezogen, sondern die besondere<br />

Aufmerksamkeit gilt dem volatilen Teil der Wählerschaft, den Wechselwählern sowie den Mobilisierungsaktivitäten der Parteien. Das Wählerwanderungsverhalten<br />

und damit die Dynamik des Wahlprozesses wird fast völlig analog zum Migrationsmodell (s.o.) durch nur vier 'Ordnungsparameter'<br />

beschrieben, die die jeweiligen Intragruppenwirkungen' durch einen Grad der Kohäsion cP bzw. c r und die jeweiligen Intergruppenwirkungen'<br />

durch einen Grad der gegenseitigen Sympathie oder Antipathie sP bzw. s r bestimmen. Diese werden im Vergleich mit dem<br />

empirisch beobachteten Wählerwanderungsverhalten (Umfragen) mittels der Methode der kleinsten Quadrate ökonometrisch bestimmt [zum<br />

traditionellen Kleinste-Quadrate-Schätzverfahren und seiner Anwendung auf stochastische Modellierungen siehe Haag(1984)]. Die dem Modell<br />

analoge Gruppenbildung in der empirisch gewonnenen Realität stellt eine zusätzliche Problematik dar, der man beizukommen versuchte,<br />

indem man sie und die darauf basierenden Berechnungen nach 11 verschiedenen Kriterien vornahm, "in der Hoffnung, durch Mittelung der<br />

Ergebnisse die Fehlerquelle so weit wie möglich eliminieren zu können"; Erdmann (1989, S.259). Die Abweichungen der, mit dem so zugeschnittenen<br />

Modell ein halbes Jahr vorher gemachten Prognosen vom wahren Wahlausgang lagen zwischen 0.1% und 1%: Die Prognose war<br />

relativ genau. Erdmann verweist darauf, dass der Mensch immer dazu neigt einen Trend linear in die Zukunft fortzusetzen, auch wenn dies vielen<br />

Sachverhalten -wie dem gezeigten- nicht angemessen ist; Ebenda (S.259ff)<br />

185<br />

1. Gar nicht: So war das Party-Modell ein per Definition soziales Modell.<br />

2. Explizit: In den Migrationsmodellen wurden sozioökonomische Beeinflussungsfaktoren zwar erkannt, ihre Entwicklungen konnten aber nicht<br />

antizipiert werden, sondern wurden als exogene Funktionen definiert, die als Randbedingungen die Präferenzkräfte bestimmten.<br />

3. Implizit: In den Wahlmodellen ist die Frage nach der Einschätzung der eigenen Wirtschaftslage in hohem Maße mit dem Maß der politischen<br />

Zufriedenheit korreliert.; Vgl. Erdmann(1989, S.258), Troitzsch(1990)<br />

Seite 42


ökonomischer Tatbestände sowohl die Fragestellung als auch das Modell selber hätten ausgeweitet<br />

werden müssen. Diese Ausklammerung ist jedoch bei der abstrakten Modellierung<br />

von Stadt- und Siedlungsstrukturentwicklungsmodellen nicht mehr möglich, da sie langfristigen<br />

Wachstum dynamisch beschreiben, der ja durch ständige Rückkopplungen und Wechselwirkungen<br />

zwischen ökonomischen und sozialen Tatbeständen gekennzeichnet ist.<br />

4.4.3 Siedlungsstrukturmodelle<br />

Insbesondere P.M. Allen hat sich mit der Modellierung derartiger Systeme beschäftigt, wobei<br />

er jedoch nicht versuchte, alle möglichen Vergabelungen (Bifurkationen), welche die Systementwicklungen<br />

durchlaufen können, einheitlich zu erfassen, sondern seine Aufmerksamkeit<br />

auf einzelne historische Entwicklungspfade konzentrierte. So konnte er (um den Preis der<br />

Spezifität) sowohl die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen der diese Entwicklungspfade<br />

bestimmenden Variablen viel differenzierter beschreiben als auch deren Anzahl erhöhen 186 :<br />

Die Komplexität einer sich spezifisch herausbildenden Struktur und die Ähnlichkeit ihres entsprechenden<br />

Musters mit anderen möglichen steht gegenüber der Komplexität der möglichen<br />

unterschiedlichen raumzeitlichen Entwicklungspfade im Vordergrund:<br />

Eines seiner Modelle stellt ein Zentrales-Orte-System 187 dar und beschreibt das Entstehen<br />

von Zentren -in Form von Städten- aus einer anfangs rein ländlichen Umgebung ohne wesentliche<br />

wirtschaftliche Interaktionen zwischen den Orten. Die Grundvariablen des Modells<br />

sind die Anzahl der Bewohner und die Anzahl der Arbeitsplätze in jedem Ort; die Akteure des<br />

Systems sind Individuen und Arbeitgeber.<br />

Der einfache Mechanismus des Modells ist ungefähr folgender: Individuen neigen unter dem<br />

Druck der räumlichen Verteilung der Arbeit zur Wanderung, und in Abhängigkeit von einem<br />

vorhandenen Markt, sowie unter Berücksichtigung der Konkurrenz mit anderen Zentren um<br />

den Verkauf einer bestimmten Ware oder Dienstleistung, bieten die Arbeitgeber Arbeitsplätze<br />

an oder reduzieren sie. Mit der Konzentration von Arbeitsplätzen können sich -zusätzlich zu<br />

einer positiven Rückkoppelung zwischen örtlicher Bevölkerung und potentieller Beschäftigungskapazität<br />

durch einen Stadtmultiplikator- z.B. aufgrund der gemeinsamen Infrastruktur<br />

Außenwirkungen und Größenvorteile ergeben, die wiederum eine positive Rückkoppelung<br />

bewirken, während durch den Wettbewerb um Raumansprüche eine negative Rückkoppelung<br />

hervorgerufen wird (Abb.17) 188 :<br />

186<br />

So wurden für das ,im folgenden Abschnitt kurz erläuterte, 'dynamische Wachstumsmodell in einem Zentralen-Orte-System' nicht weniger als 29<br />

Parameterwerte spezifiziert. Vgl. Allen ( 1985a, S.10)<br />

187<br />

Zum Zentralen-Orte-System siehe auch Kuby(1988)<br />

188<br />

Vgl. Allen(1985a, S.4) Die Entwicklung einer Stadthierachie entsteht demgemäß aus der wechselseitigen Interaktion zwischen der Verteilung<br />

von wirtschaftlichen Aktivitäten und der Bevölkerung. Ebenso wie sich die räumliche Verteilung der Beschäftigung an die räumliche Verteilung<br />

der Bevölkerung (den Markt) anpasst, verursacht das Muster der Beschäftigungsmöglichkeiten die Änderung der Bevölkerungsverteilung, was<br />

wiederum auf die räumliche Beschäftigungsverteilung rückkoppelt, indem Marktschwellen erreicht werden und die örtlichen Dichten in Beschäftigungszentren<br />

zunehmen. Vgl. Allen (1985b, S.3ff)<br />

Seite 43


Abb. 17: Interaktionsmuster städtischer Dynamik<br />

Die Vorzeichen geben an, ob eine bestimmte Verknüpfung eine positive oder eine negative Rückkopplung repräsentiert.<br />

Stochastische Elemente (Nichtdurchschnittsverhalten, Fluktuationen bzw. historische Zufälle),die<br />

über die Entwicklung des durch deterministische Gleichungen bestimmten Systems an<br />

Gabelungspunkten entscheiden, sind in dem Modell nicht explizit enthalten, sondern werden<br />

von außen aufgezwungen 189 .<br />

In einer praktischen Simulation wird das Zusammenspiel von deterministischen und stochastischen<br />

Elementen deutlich 190 : Ausgehend von der stabilen Situation einer auf alle Punkte<br />

(Orte) gleichverteilten Bevölkerung (N=66 Bevölkerungseinheiten), wobei alle Orte durch<br />

die Zuweisung einer kurzreichweitigen Wirtschaftsfunktion k=l bezüglich der Basisbeschäfti-<br />

189 Vgl. Allen (1985a, S.3)<br />

190 Vgl. Allen (1985a, S.9ff)<br />

Seite 44


gung und der Bevölkerung symmetrisch waren, wurden Fluktuationen in einer bestimmten<br />

Größenordnung (5%) zugelassen. Wenn ein Ort eine gewisse Bevölkerungsanzahl überschreitet,<br />

erhält er eine längerreichweitige Funktion k=2 und beginnt zu wachsen, wenn ein<br />

ausreichender Markt vorhanden ist. Dieser Prozess setzt sich mit immer längerreichweitigen<br />

Funktionen (hier kmax=4) fort, wobei die Erhaltung derselben immer höhere Marktschwellen<br />

erfordert. Dies führt aber nicht zu einem explosionsartigen endlosen Anwachsen einzelner<br />

Städte, da es durch die negativen Rückkoppelungen einen Maximalwert der zentralen Kerndichte<br />

gibt. Bei wachsender Kerndichte kommt es zu einer Ausbreitung der Wohnstätten, die<br />

eine Dezentralisierung von Wirtschaftsfunktionen niederer Ordnung nach sich ziehen 191 . Zusätzlich<br />

spielen bei diesen Prozessen die Konkurrenz zwischen den Städten und ihre geographische<br />

Lage eine Rolle.<br />

Die spezifische Entwicklungsgeschichte, über die durch immer neue historische Zufälle entschieden<br />

wird, weist in dem beobachteten Zeitintervall verschiedenartige Phänomene auf, wie<br />

singuläres und konkurrierendes Wachstum einzelner Zentren und deren Ausbreitung auf die<br />

Vororte oder auch Dezentralisierung oder sogar vollständigen Zerfall einzelner Zentren.<br />

Dieselben Gleichungen und Parameter ergeben für jeden Computerlauf ziemlich unterschiedliche<br />

Strukturen, da die besonderen, in jedem Lauf stattfindenden, Fluktuationen anderer Art<br />

sind. Obwohl eine gewisse Regelmäßigkeit in Anzahl und Umfang der großen Zentren -eine<br />

Durchschnittsstruktur, die von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten bestimmt wird- beobachtbar<br />

ist, ist die jeweilig sich bildende Struktur nicht nur in der geographischen Lage der Städte verschieden<br />

192 . Die Durchschnittsstruktur ist Ausdruck eines Darwinismus für Stadtzentren, der<br />

das Zufallsverhalten der Individuen zwar zähmt, aber keine einheitliche Ordnung hervorbringt,<br />

die eine Optimierung von jedem Ding im Einzelnen beinhaltet. Er stellt lediglich ein Art Hülle<br />

für mögliche Entwicklungsgeschichten dar, unter denen das System auswählen kann 193 : Nirgendwo<br />

ist ein Globaloptimierer in Sicht, der die Verteilung der Aktivitäten im Einzelnen regelt<br />

194 ' 195 .<br />

191 Lokale wirtschaftliche Funktionen finden dann einen ausreichenden Markt in den Vororten und ziehen so Kunden vom zentralen Kern ab , was<br />

dort sowohl einen Verlust an Arbeitsplätzen als auch an Bevölkerung bedeutet. Hierdurch wird der Maximalwert der zentralen Kerndichte wieder<br />

verlassen; Vgl. Allen (1985a, S.14)<br />

192 Somit ist jede sich herausbildende räumliche Organisation eines Systems nicht ausschließlich und notwendigerweise das Ergebnis in den Gleichungen<br />

enthaltender wirtschaftlicher und sozialer Gesetze, sondern stellt ebenso einen Speicher von bestimmten Abweichungen von diesem<br />

durchschnittlichen Verhalten dar Vgl Allen (1985a, S.3)<br />

193 Vgl. Allen(1985b, S.19ff) Es geht hier im wesentlichen nicht um die Erklärung oder Prognose von Einzelereignissen, diese sind meist weniger<br />

interessant und auch mangels der notwendigen detaillierten Informationen über die genauen Bedingungen, aus denen sie resultieren, nicht<br />

sinnvoll prognostizierbar, sondern vielmehr um generelle Regelmäßigkeiten, um Muster, die die Einzelereignisse in ihrer Gesamtheit bilden. So<br />

schreibt Hayek (1972, S.29):"Der Sachverhalt ist der, dass bei der Erforschung komplexer Phänomene die allgemeinen Muster alles sind, was<br />

für solche dauerhaften Ganzheiten charakteristisch ist, die den Hauptgegenstand unseres Interesses bilden, denn es gibt eine Anzahl beständiger<br />

Strukturen, die lediglich das allgemeine Muster gemeinsam haben und sonst nichts."<br />

194 Allen folgert hieraus, dass der Eingriff eines Planers in das System gemäß den von ihm gewählten besonderen Kriterien nützlich sein könnte.<br />

(Allen,1985b, S.26) Demgegenüber war man aus der traditionellen Sicht davon ausgegangen, dass eine räumliche <strong>Selbstorganisation</strong> derart<br />

stattfindet, dass durch den Wettbewerb die Produktion verschiedener Produkte räumlich so verteilt wird, dass die gesamten Produktionskosten<br />

minimiert werden. [Stellvertretend hierfür ist Thünen's Standorttheorie; Vgl. Schlicht (1986, S.221f)]<br />

195 Das Gleiche gilt für die Entwicklung innerstädtischer Strukturen, die ebenso von Allen (1984) simuliert wurden. Es basiert (ebenso wie das<br />

Modell eines Zentralen-Orte-System's) auf einem System interagierender Akteure, die sehr einfache Präferenzen haben und über wenige Kriterien<br />

definiert werden. Die dynamischen Handlungen resultieren in einem Verhalten, das nicht nur die Präferenzen (den Nutzen) der Akteure,<br />

sondern auch ihre begrenzten Mittel und die Subjektivität ihrer Wahrnehmung ausdrückt. Es werden 7 Handlungstypen definiert (2 Typen von<br />

Einwohnern, 5 Beschäftigungsarten) und die dynamische Interaktion findet zwischen Variablen statt, welche die jeweilige Dichte eines Handlungstyps<br />

in einer bestimmten Location beschreiben. Eine homogene Anfangsverteilung in einer homogenen Umwelt -eine theoretisch mögliche<br />

Seite 45


Wie im bisherigen gezeigt wurde, scheinen aus der synergetischen Sicht eine Vielzahl der<br />

inneren wie äußeren -psychischen wie materiellen- Strukturen in der sozio-ökonomischen<br />

Umwelt durch die Interdependenz allen Handelns selbstorganisatorisch entwickelt, aufrechterhalten<br />

und verändert zu werden, ohne dass sie im engeren Sinne einer Optimierungsbedingung<br />

genügten.<br />

Vielmehr wurden sowohl die objektiven Wahlmöglichkeiten als auch die subjektiven Wahrnehmungen<br />

derselben in starkem Maße vom kollektiven Umfeld beeinflusst und im Wechselspiel<br />

von Individuum und Umwelt stabilisiert oder verändert. Durch die wahrscheinlichkeitstheoretische<br />

Formulierung kann auch dem Vorhandensein unvollständiger Information bzw.<br />

der Instabilität von Präferenzen Rechnung getragen, und die Annahme einer Nutzenmaximierung<br />

bei invarianten Präferenzen sowie vollständiger Information ex-ante untergraben werden.<br />

Somit stellt sich die Frage, inwiefern, bzw. ob auch im Wesentlichen ökonomische Prozesse<br />

selbstorganisatorisch ablaufen oder von selbstorganisatorisch erzeugten Phänomenen beeinflusst<br />

werden:<br />

'Nicht-Stadt'- würde mit einer instabilen Lösung korrespondieren, die durch kleinste Fluktuationen in eine Serie von positiven und negativen<br />

Rückkoppelungen übergeht, welche in einem makroskopisch stabileren, von weiteren Fluktuationen bestimmten, Zustand höherer Ordnung endet.<br />

Durch solche Modelle können bei genügender Ausdifferenzierung die möglichen oder, anhand von Mittelwertgleichungen, die wahrscheinlichsten<br />

Auswirkungen z.B. einer Implementierung eines Shopping-Centers oder einer U-Bahn abgeschätzt werden; statt der Optimalität eines<br />

Eingriffs (politischen Handlung) könnten die relativen Vorzüge derselben gegenüber vergleichbaren diskutiert werden, und es könnten anhand<br />

des Modells Preisstrategien entworfen werden, damit eine eingeführte Handlung, Institution o.ä. einen Schwellenwert überschreitet und sich<br />

selbst verstärkt; Vgl. Allen (1984, S.162ff); die Rolle von Schwellenwerten erfährt im Kapitel der Diffusion von Innovationen' eine ausführliche<br />

Betrachtung; allgemein zu synergetischer Stadtgeographie siehe Kilchenmann (1985)<br />

Seite 46


5. Ökonomie und <strong>Selbstorganisation</strong><br />

5.1 Normen und Märkte<br />

"Knowledge is truly the mother of all other resources"<br />

E.Zimmermann 196<br />

Die Marktkoordination z.B. stellt eine spezifisch ökonomische Fragestellung dar: Während<br />

Normen Handlungen koordinieren, indem sie bestimmte Handlungen vorschreiben oder verbieten,<br />

koordinieren Märkte individuelle Handlungen, indem jede Handlung an die Bedingung<br />

geknüpft wird, dass die von der Handlung negativ Betroffenen zustimmen 197 , d.h. durch einen<br />

bestimmten von ihnen verlangten Preis entschädigt werden. Aber auch dies setzt ein Minimum<br />

von Normen voraus, nämlich die Definierung von property rights 198 bezüglich knapper<br />

Ressourcen, welche durch angedrohte Sanktionen gesichert werden. Außerdem wird durch<br />

eine Vielzahl von Normen eine gewaltige Reduzierung von Transaktions- und/oder Informationskosten<br />

erreicht 199 : Ohne eine gewisse zeitliche und örtliche Normierung der Tauschaktivitäten<br />

sind selbst einfache Marktbeziehungen nicht denkbar; Informationskosten werden gesenkt,<br />

Qualitätsvergleiche werden erleichtert 200 .<br />

In diesem Fall verhalten sich Normen und Märkte komplementär zueinander; durch sie kann<br />

aber auch die beliebige Substitution von Gütern aus verteilungspolitischen Gründen verzerrt<br />

201 oder aus ethischen Gründen verboten werden 202 . Somit sind zum einen funktionsfähige<br />

Märkte ohne zahlreiche komplementäre Normen, die sich auf Ort und Zeit des Geschäfts,<br />

auf Qualität und Quantität der gehandelten Güter sowie auf sonstige Vertragskonstitutionen<br />

beziehen, gar nicht denkbar. Zum anderen werden Marktbeziehungen häufig durch Normen<br />

substituiert, um Verteilungsziele oder Allokationseffizienz bei Marktversagen zu erreichen 203 .<br />

5.1.1 Ökonomische <strong>Selbstorganisation</strong> auf verschiedenen Zeitskalen<br />

Auch auf einer weniger längerfristigen Zeitskala kann eine synergetische Entstehung ökonomischer<br />

Strukturen gezeigt werden. So zeigte Schlicht (1986) anhand eines einfachen Me-<br />

196<br />

Zitiert in Swaney (1985, S.853)<br />

197<br />

Vgl. hierzu und zum folgenden Eger (1990, S.98ff)<br />

198<br />

Die selbstorganisatorische Entstehung unter anderem der 'property rights' wurde, ohne dass der Ausdruck <strong>Selbstorganisation</strong> fällt, von Sudgen<br />

(1989) beschrieben.<br />

199<br />

"Gewohnheiten, Konventionen, Handelsusancen u.a., die sich entweder im Laufe der Zeit entwickelt haben und zum Teil als Rechtsnormen in<br />

die Rechtsprechung und Gesetzgebung aufgenommen wurden, oder Normen, die gerade gegen die herrschende Verkehrssitte durch Rechtsprechung<br />

und Gesetzgebung durchgesetzt werden. So entstanden Marktplätze durch regelmäßige zeitlich und örtlich abgestimmte Zusammenkünfte<br />

von Häuptlingen, an festen Grenzpunkten, die sich mit der Zeit zu Märkten ausweiteten. Eine Normierung von Ort und Zeit erleichtert den Austausch<br />

von Gütern und Dienstleistungen, wobei z.B. zeitliche Normierungen wie die Ladenschlusszeit sich spontan als handelsübliche Konvention<br />

herausbilden kann oder aber auch mehr oder weniger durch das Ladenschlussgesetz beeinflusst wird; Vgl. Eger (1990,S99)<br />

200<br />

Beispiele: Entwicklung von Geld, Kreditkarten, bargeldloser Zahlungsverkehr, einheitliche Maße und Gewichte, Preisauszeichnungen,<br />

DIN,VDI,VDE, Musterverträge. Letztere werden in der idealisierten Welt der neoklassischen Ökonomik durch die Annahme vollständig spezifizierter<br />

Verträge, vollständig informierter Vertragsparteien und einer großen Anzahl von Marktteilnehmern als Konfliktelement gegenstandslos.<br />

Der Marktpreis enthält alle relevanten Informationen und ist für jeden einzelnen Marktteilnehmer gegeben, ein Verhandlungsspielraum besteht<br />

nicht mehr; Vgl. Eger (1990, S.103)<br />

201<br />

Beispiele: Weniger Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel, Subventionen von Medikamenten oder direkt von Produktionsstätten.<br />

202 Beispiele: Drogen-, Waffen-, Kinderhandel oder das weitgehende Verbot der Gentechnik.<br />

203 Zur selbstorganisatorischen Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung von Normen siehe oben.<br />

Seite 47


chanismus, wie unter bestimmten Annahmen bezüglich des Sparverhaltens aus einer anfänglichen<br />

homogenen Vermögensverteilung auf n Gruppen kleine Störungen in der Vermögensverteilung<br />

zugunsten einer Gruppe selbstverstärkende Prozesse auslösen, die sich in einer<br />

heterogenen Vermögensverteilung stabilisieren, wobei in dieser das Einkommen aller höher<br />

ist als in einer Einklassenverteilung 204 .<br />

Auf einer noch kurzfristigeren Zeitskala kann anhand einer solchen heterogenen Vermögensverteilung<br />

gezeigt werden, wie ein klassisches Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage<br />

instabil werden kann, und sich in Abhängigkeit von der Dynamik der Konsumentenwahl und<br />

der unternehmerischen Strategien eins von mehreren möglichen neuen Gleichgewichten herausbildet<br />

205 :<br />

Wenn man von davon ausgeht, dass das Vermögen in der Bevölkerung normalverteilt ist, so<br />

kann man schlussfolgern, dass die ärmere Schicht dem Preis eine relativ höhere Gewichtung<br />

einräumt als der Qualität eines Produkts, während es sich bei der reichen Schicht gerade<br />

umgekehrt verhält 206 (Abb.18).<br />

Abb. 18: Unterschiedliche Konsumentengewichtungen<br />

des Preises eines Gutes<br />

Abb. 19: Die daraus resultierende Existenz<br />

von drei Produkten im Markt.<br />

Gäbe es keine Marktschwellen, Skalenerträge, Multiplikatoreffekte oder Moden, so könnte<br />

204<br />

Hierbei geht Schlicht davon aus, dass die Vermögensbildung und Kapitalakkumulation durch die Bildung von Ersparnissen bestimmt ist und<br />

deren Anteil wiederum vom Verhältnis des eigenen Einkommens zum Durchschnittseinkommen bestimmt wird. Der Zusammenhang ist für alle<br />

Gruppen gleich: Mit zunehmenden Einkommen wird proportional mehr gespart, die durchschnittliche Sparquote steigt demgemäß, wenn die<br />

Vermögensverteilung ungleicher wird. Das Einkommen ergibt sich als Summe von Lohneinkommen und Kapitalverzinsung, wobei Lohneinkommen<br />

und Verzinsung für alle Gruppen gleich ist, und sich Einkommensunterschiede allein aufgrund von Vermögensungleichheiten herausbilden;<br />

Lohn- und Zinsbildung erfolgt gemäß der relativen Faktorknappheiten: Konsumiert nun eine der Gruppen 'zufällig' etwas weniger und<br />

spart etwas mehr, so erhält sie überdurchschnittliche Zinseinkünfte und damit ein überdurchschnittliches Einkommen, was wiederum zu einer<br />

überdurchschnittlichen Vermögensbildung führt usw. Dieser Vermögenskonzentrationsprozess geht einher mit einer zunehmender Ersparnisbildung,<br />

die zu einer besseren Kapitalversorgung der Wirtschaft und damit zu steigenden Löhnen und fallenden Zinsen führt. Letztere bremsen<br />

den Prozess, da sie die Einkommensdifferenzen einebnen. Diese Einebnung resultiert aus der Annahme, dass die Wirtschaft aufgrund des Produktivitätswachstums<br />

durch technischen Fortschritt ein gewisses 'natürliches Wachstum' aufweist. Geht man zusätzlich davon aus, dass die Ersparnis<br />

der vermögendsten Gruppe mit ihren gesamten Kapitaleinkünften identisch ist, so wird in dem Fall, dass das natürliche Wachstum den<br />

Zinssatz übersteigt (gleich dem Zinssatz ist) ihr Anteil am Volkseinkommen abnehmen (stagnieren) und der Vermögenskonzentrationsprozess<br />

wird in einer heterogenen Vermögensverteilung stabilisiert.; Vgl. Schlicht (1986, S.223ff)<br />

205<br />

Vgl. Allen (1984, S.154S). Eine ausführlichere Beschreibung findet sich in Allen (1982, S.97ff)<br />

206<br />

Hier wird der Einfachheit halber angenommen, dass jeder den gleichen Wert auf Qualität legt, aber verschiedene Individuen dem Preis, den sie<br />

zu zahlen bereit sind, unterschiedliche Bedeutung zumessen; Vgl. Allen (1984, S.154)<br />

Seite 48


eine unendliche Anzahl von konkurrierenden Produkten existieren, im Extremfall eins für jeden<br />

Konsumenten. Da alle diese Faktoren jedoch in der Realität existieren, können verschiedene<br />

Marktstrukturen in Abhängigkeit von der Systemgeschichte, den lancierten Produkten,<br />

den Profitstrategien und/oder der Marktgröße entstehen, so dass dieselben, die Dynamik der<br />

Interaktion beschreibenden, Gleichungen sowohl Monopole, Duopole oder Oligopole, wie<br />

auch verschiedene Realisierungen derselben entstehen lassen können. Mit einem Modell Allens,<br />

das die Interaktion von bis zu drei gegenseitig substitutiven Produkten (Abb.19) in einem<br />

Markt beschreibt, können z.B. die verschiedenen Auswirkungen der Entscheidung einer Firma,<br />

die Profite zum Zwecke der Erringung eines höheren Marktanteils um die Hälfte zu senken,<br />

gezeigt werden(Abb.20). Die wichtigste Aussage, die durch diese einfache Simulation<br />

getroffen wird ist die, dass "for the same population, having the same 'value System', for the<br />

same technology and the same potential products, the flows of goods observed in a market<br />

can be radically different as a result of the 'history' of the System. Thus the fundamental diagram<br />

of 'supply' and 'demand' is misleading because it can only be constructed in retrospect.<br />

It refers to a particular outcome, and the intersection could have been elsewhere"(Abb.21) 207 .<br />

Abb. 20: Drei mögliche Ergebnisse<br />

einer Preissenkung<br />

Abb. 21: Verschiedene mögliche Marktgleichgewichte<br />

Das Problem des Unternehmers ist es, Geschwindigkeit ebenso wie die Art der Reaktion auf<br />

seine Maßnahme abzuschätzen, was der zukünftigen Entwicklung des Markts eine irgendwie<br />

probalistische Dimension gibt 208 . Implizit wird schon in diesen Modellen die neoklassische<br />

Annahme unabhängiger invarianter Präferenzstrukturen und vor allem die Annahme vollständiger<br />

Konkurrenz, die zu einem Verschwinden der Gewinne führt, untergraben. Selbst wenn<br />

man erstere (wenigstens für gewisse Zeitintervalle) beibehalten würde, so muss man für letztere<br />

doch vermerken, dass das neoklassische Paradigma von (bezüglich der Tauschzeiten, -<br />

207 Allen (1984, S.157)<br />

208 209 Auch hier besteht die grundlegende Aussage darin, dass durch die gleichen 'einfachen' Gleichungen für dieselbe Population, dieselbe Technologie<br />

und dieselben Produkte als Resultat der spezifischen Geschichte des Systems völlig unterschiedliche Güterflüsse im Markt, d.h. völlig<br />

unterschiedliche Marktgleichgewichte beobachtet werden können. "Thus the fundamental diagram of 'supply and 'demand' is misleading because<br />

it can only be constructed in retrospect. It refers to a particular outcome, and the intersection could have been elsewhere." (Allen, 1984,<br />

S.157)<br />

Seite 49


platze und -regeln) hochorganisierten Märkten ausgingen, in denen Gleichgewichtspreise instantan<br />

erreicht wurden und leicht beobachtbar waren. Die institutionelle Umgebung der ökonomischen<br />

Tauschaktivitäten hat sich seitdem aber grundlegend geändert und dezentralisierte,<br />

hochgradig differenzierte Märkte prägen die Ökonomie 209 . Diese Entwicklung induzierte<br />

eine zunehmende Abwesenheit von zentralisierter Information, womit Informationsdefizite auf<br />

beiden Seiten des Marktes zu elementaren Fakten wurden<br />

Hieran und an die obige Vorstellung von verschiedenen Preis-Qualitäts-Kombinationen im<br />

Markt anknüpfend entwarf Witt(1985) ein abstraktes Modell, welches einen fortlaufenden Koordinationsprozess<br />

beschreibt, der durch die individuellen Anstrengungen, bessere Tauschverhältnisse<br />

zu finden, selbstorganisierend erzeugt wird, ohne dass unter Umständen ein Zustand<br />

der perfekten Koordination jemals erreicht wird 210 :<br />

S(upply)-Agenten und D(emand)-Agenten tauschen Güter, wobei jede Tauschhandlung durch<br />

Preis, Qualität und Quantität des getauschten Gutes gekennzeichnet ist und somit als Punkt<br />

in einem dreidimensionalen pqq-Raum beschrieben werden kann. Wenn man nun die Zeit als<br />

zusätzliche Dimension t einführt kann unter der Annahme, dass im beobachteten Zeitraum<br />

keine neuen qualitativ unterschiedlichen Güter auftreten, die Sequenz der Tauschhandlungen<br />

jedes individuellen Agenten als Trajektorie im pqq-t-Raum repräsentiert werden. Da keine<br />

generellen a-priori Tendenzen wie Konvergenz auf einen optimalen Gleichgewichtszustand<br />

angenommen werden, sondern vielmehr simultanes Lernen, Informationssammeln, Experimente,<br />

Verhandlungen u.a. komplexe Einflüsse auf die Zeitpfade haben, scheinen die verschiedenen<br />

Trajektorien, obwohl subjektiv begründet, für einen außen stehenden Betrachter<br />

mehr oder weniger erratischen Bewegungen zu ähneln.<br />

Gemäß der Idee der <strong>Selbstorganisation</strong> jedoch legen sich die Agenten unbeabsichtigt gegenseitig<br />

Zwänge und Sanktionen auf, die sich darin äußern, dass die D-Agenten zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt t' nicht alle Angebote akzeptieren, von denen sie wissen, sondern nur die,<br />

die sie bezüglich der vorhandenen, unter allen D-Agenten heterogen verteilten Information als<br />

zufrieden stellend bzw. als nutzenmaximierend empfinden 211 ; somit gibt es bei völlig elastischem<br />

Angebot eine Obergrenze für den Preis, den ein S-Agent für eine gegebene Qualität<br />

eines Gutes verlangen kann. Ebenso gibt es aber auch eine Untergrenze für den Preis bezüglich<br />

einer gegebenen Qualität, die kein S-Agent unterschreiten kann, da dann die Kosten nicht<br />

mehr gedeckt würden 212 .<br />

209 21 "Vgl. Witt (1985, S.575ff). "Thus the heuristic basis of the neoclassical to the coordination problem has lost relevance simply through the<br />

changes, that have occurred in the natural market. It's dominant concern, the demonstration of perfect coordination in equilibrium-the fruit of<br />

several fictious assumptions- is except in a partial sense in organized markets, itself a fiction and, apparently, it is not possible to restate it<br />

more realistically " Ebenda (S.576)<br />

210 Wie Witt (1985, S.576f) anmerkte: "...a problem shift must be made...towards not only a dynamic instead of static analysis but also towards a<br />

theory of ongoing change instead of convergence to equilibrium. A way must be found to characterize less than perfect coordination and to<br />

show how it is sustained to varying degree by the self-organisation taking place in markets."<br />

211 "..acceptance as well as quantity demanded will systematically vary with price and quality observed in the sense of some probalistic version of<br />

the law of demand....this simple property is already sufficient to impose coordinating constraints on the efforts of the s-agents."(\Vitt,1985,<br />

S.578)<br />

212 213 Diese kann für jeden S-Agenten unterschiedlich sein, da es verschiedene Produktions-, Verkaufs- und Organisationsmethoden gibt.<br />

Seite 50


Diese Grenzen schließen einen Korridor ein, in dem sich jeder Agent aufhalten muß, um zu<br />

überleben. Da auch unter den S-Agenten die Information heterogen verteilt ist, und da sich<br />

unter zufälligen Einflüssen oder durch systematische Änderungen im Verhalten der anderen<br />

Agenten die Grenzen andauernd verändern können, wird es für den einzelnen Agenten<br />

schwierig, ein für ihn zufrieden stellendes oder sogar das am meisten gewünschte pqq-<br />

Verhalten zu identifizieren. Daher wird zwar viel experimentiert werden, die meisten werden<br />

sich aber wahrscheinlich schon früh für eine mögliche, sie zufrieden stellende pqq-<br />

Kombination entscheiden, statt nach einem -für sie unter unvollständiger Information in einer<br />

sich ändernden Verhaltensumwelt schwer abschätzbaren- Optimum zu suchen. Wenn ein S-<br />

Agent aber plötzlich durch sich ändernde Grenzen aus dem Korridor geworfen wird, droht ihm<br />

der Bankrott, da pqq-Pfade außerhalb des Korridors zum einen durch interne Selektion (die<br />

Suche nach und die Substitution durch überlegenere Strategien), zum anderen durch externe<br />

Selektion (Sanktionen durch die Geldgeber) verhindert werden. Hierdurch wird garantiert,<br />

dass sich selbstorganisierend ein gewisses Maß an Koordination im Markt entwickelt 213 .<br />

Die Annäherung an bzw. die Überschreitung der Obergrenze durch einen S-Agenten kann bei<br />

ihm zum einen zu Suchaktivitäten führen, die es ihm unter Umständen ermöglichen, im Rahmen<br />

der bekannten (objektiven) Möglichkeiten einen subjektiv neuen überlebensfähigen pqq-<br />

Pfad zu finden.<br />

Zum anderen hat der Mensch die außergewöhnliche Fähigkeit, vorher nicht bekannte Möglichkeiten<br />

zum Handeln zu entdecken und möglicherweise in Form von Innovationen zu realisieren:<br />

Hierbei muss zwischen Prozessinnovation und Produktinnovation unterschieden werden.<br />

Erstere wird durch den Markt diffundieren und so den Korridor verändern, was einen<br />

zeitweise dekoordinierenden Effekt zur Folge hat. Sowohl die koordinierenden, als auch die<br />

dekoordinierenden Kräfte wirken zur gleichen Zeit, womit für das Modell 214 gilt:<br />

213 Die neoklassische Idee der perfekten Koordination stellt somit den in diesem Ansatz sehr unwahrscheinlichen Fall dar, dass keine Lernprozesse<br />

mehr stattfinden, sondern die Agenten auf beiden Seiten über vollständige Information (D-Agenten) bzw. ein gemeinsames Wissen über die 'optimalen'<br />

Produktions-, Organisations- und Vertriebstechniken (S-Agenten) verfügen und derart obere und untere Grenze zusammenfallen; Vgl.<br />

Witt (1985, S.581) Das jedoch auch dieses nicht ausreicht, um eine eindeutige optimale Preis-Qualitäts-Kombination zu bestimmen, wird oben<br />

deutlich, wo durch Vermögens- bzw. Einkommensunterschiede dem Preis bzw. der Qualität je nach individuellem Vermögen bzw. Einkommen<br />

eine unterschiedliche Gewichtung zugemessen wird. Von durch innerhalb des betrachteten Zeitraums stattfindende Einkommens- bzw. Vermögensumverteilungen<br />

induzierte Veränderungen oder von Präferenzenänderungen durch andere Abhängigkeiten ganz zu schweigen.<br />

214 Interessant an Witt's Modell ist die mathematische Formulierung, da zum einen gezeigt wird, dass nichtlineare Beziehungen auch aus einer<br />

ökonomischen Sicht bei der Betrachtung von ökonomischen Anpassungs- und Entwicklungsprozessen in der Zeit nicht negiert werden können,<br />

womit eine abstraktere verhaltenstheoretische Untermauerung z.B. bei der Untersuchung von ökonomischen Zeitreihen (deterministisches<br />

Chaos?) geleistet wird; zum anderen wird aber auch die Begrenztheit solcher (mathematisch) 'einfachen' Modelle deutlich: Man nimmt an,<br />

dass es in dem betrachteten Zeitraum eine konstante Anzahl Finnen gibt, da der vollständige Rückzug von Firmen aus dem Markt durch den<br />

ständigen Eintritt neuer Firmen kompensiert wird. Die relative Häufigkeit der Firmen, außerhalb des Korridors zu sein sei xt, die innerhalb zu<br />

sein nt=l-xt. Der Koordinationseffekt beschreibt die Sucherfolge, die auf beiden Seiten des Marktes auftreten und sich einerseits in einem Absinken<br />

der von den Nachfragern akzeptierten Obergrenze äußert. Hierdurch werden mit einer gewissen relativen Häufigkeit ß Firmen, die sich<br />

innerhalb des Korridors befanden aus diesem gedrängt. Andererseits werden mit einer relativen Häufigkeit a die Sucherfolge der sich außerhalb<br />

des Korridors befindlichen Firmen belohnt, indem sie einen, für sie 'möglichen', subjektiv neuen, pqq-Pfad finden, der sich innerhalb des<br />

neuen Korridors befindet. Somit gilt: xt+i =x»-ctx t+(l-X()ß x t+|=(l-a-ß)x t+ß. Unter der fiktiven Annahme ß=0 (er kann auch als ein exogener<br />

politischer Faktor interpretiert werden, der die Profitmargen sinken lässt) werden alle Firmen neoklassisch zu einer - dann allen bekannten-<br />

optimalen Produktions-, Organisations- und Vertriebsmethode übergehen und alle Nachfrager das so produzierte optimale Preis-Qualität-<br />

Verhältnis wählen. Wird der Dekoordinierungseffekt miteinbezogen, innovieren alle Finnen mit einer gewissen relativen Häufigkeit p, so dass<br />

unterschieden werden kann in Firmen (i) außerhalb des Korridors, die innovieren, pn bzw (ii) nicht innovieren, (l-p)x ; (iii) innerhalb des Korridors<br />

die innovieren, pn bzw. (iv) nicht innovieren, (l-p)n. Per Annahme sind (i) erfolgreich, stellen aber einen erhöhten Wettbewerb für (iv)<br />

dar, wobei dieser Austritte letzterer aus dem Korridor mit der relativen Häufigkeit px nach sich zieht. Gleiches gilt für (iii), wobei Austritte von<br />

(iv) mit der relativen Häufigkeit pn die Folge sind. Das Zusammenwirken beider Effekte kann also durch die additive Verknüpfung beider mit<br />

xt+1=(l-a-ß)x t+ß -pn+px t(l-p)n t+pn t(l-p)n t beschrieben werden. Nimmt man nun an, dass p= x t eine gute Näherung darstellt, da so die relative<br />

Seite 51


"The full effect of the self-organizing forces established unintentionally by the interacting activities<br />

of the agents in the market is composed of two simultaneous but opposed tendencies:<br />

a coordinating one, forcing the s-agents to keep to their shifting corridor...; and a decoordinating<br />

tendency causing the bounds of the corridors to shift due to innovative activities<br />

which in turn seem to be motivated Chiefly by the s-agents' attempt to cope with present or<br />

possible future shifts of the bounds of profitable action" 215 .<br />

5.1.2 <strong>Selbstorganisation</strong> und Prozessinnovationen<br />

Die Modellierung der Entwicklung eines betrachteten Marktes durch Prozessinnovationen und<br />

somit des selbstorganisatorische Wechselspiels zwischen Neuerung und Anpassung wurde in<br />

so genannten Vintage-Modellen versucht, wobei den Selektionsmechanismen im System und<br />

damit der Produzentenseite das hauptsächliche Augenmerk gilt. Die Analogie zur Biologie<br />

liegt nahe, da sie die Evolution eines Systems als offenen, endlosen Prozess sieht, der durch<br />

die Kreation von Vielfalt getrieben wird, wobei letztere ihren Ursprung hauptsächlich in stochastischen<br />

Mechanismen hat 216 . Die Richtung der Evolution äußert sich in einem gewissen<br />

Sinne in der Selektion der überlegenen Typen aus heterogenen Populationen 217 .<br />

Die grundlegende mathematische Struktur der meisten ökonomischen Selektionsmodelle wird<br />

von einer Gleichung beschrieben, die als Replikator-Dynamik bezeichnet wurde:<br />

x^ ist der Anteil einer Spezies i in der betrachteten Population, Ej_ ist auf die Reproduktionsfähigkeit<br />

bezogen, und gibt die durchschnittliche Reproduktionsfähigkeit wieder. Die Häufigkeit<br />

bestimmter Spezies wächst unterschiedlich, je nachdem ob sie über oder unter der<br />

durchschnittlichen Reproduktionsfähigkeit liegt. Betrachtet man konstante E^, so wird eindeutig<br />

die Spezies mit der größten Reproduktionsfähigkeit selektiert. Die interaktive Komplexität<br />

kann einen Schritt weiter in die dynamische Betrachtung miteinbezogen werden, indem man<br />

zusätzliche dynamische Variablen y einführt und zeitverzögerte Werte derselben annimmt, mit<br />

Häufigkeit von Innovationen mit der Anzahl von Firmen außerhalb des Korridors steigt, so erhält man x t+1=(2-a-ß )x t-3x t 2 +xt 3 - ß und schon<br />

hat man eine nichtlineare Gleichung anhand derer je nach Wahl der Parameter verschiedenartige Phänomene aufzeigen kann (siehe deterministisches<br />

Chaos);Vgl. Witt (1985, S.585ff)<br />

215 Witt (1985, S.5839 Das Auftreten von Prozessinnovationen und ihre dekoordinierenden Wirkungen stützen die Behauptung, dass eine simultane<br />

Konvergenz zum Gleichgewicht extrem unwahrscheinlich ist. Der neoklassische Zustand perfekter Koordination wird aus dieser Sichtweise nur<br />

erreicht, wenn einerseits die Differenzierung der Güter und die Vielfalt der Märkte klein genug ist, damit die Agenten simultan einen Zustand<br />

der perfekten Koordination erreichen und andererseits innovative Aktivitäten gar nicht vorhanden sind; Vgl. Witt (1985.S.585) Siehe zu diesen<br />

Fragestellungen auch Alchian (1951).<br />

216 Trotzdem ist die "Analogie nicht ohne weiteres zu ziehen. Siehe hierzu Faber (1990, S.43ff), Schnabl (1990), Matthews(1984)<br />

217 Vgl. hierzu und zum folgendem Silverberg ( 1988, S.534ff)<br />

Seite 52


Diese Art von System ist notwendig, um den zahlreichen Time-Lags gerecht zu werden, die<br />

im allgemeinen bei ökonomischen Anpassungsprozessen auftreten. Bei dem hier vorgestellten<br />

Modellierungsansatz ökonomischer Entwicklung in einem Markt, der sich in den 'Jahrgangsmodellen'<br />

niederschlägt, werden zum einen die Jahrgangsstruktur des Kapitals und zum<br />

anderen (vor allem in weiterentwickelten Modellen) die zeitverbrauchende Diffusion der Informationen<br />

über die best-practice (für die Produktion des auf dem Markt nachgefragten Gutes)<br />

als Hauptverursacher dieser Time-Lags gesehen. Die Jahrgangsperspektive gibt wieder,<br />

dass alle getätigten Investitionen meistens 'sunk-costs' darstellen 218 , d.h. dass keine Firma,<br />

die -gewissen zu modellierenden Suchstrategien folgend oder auch rein zufällig- Informationen<br />

über eine bessere als die angewandte practice erhält, ihren gesamten Kapitalstock instantan<br />

auf diese übertragen kann 219 . Die Annahme, dass die Information über die bestpractice<br />

nur langsam diffundiert, führt dazu, dass die Firmen sich ihr nur Schritt für Schritt auf<br />

einem irgendwie zufälligen Pfad nähern (können) 220 , wobei der Anpassungsprozess an die<br />

best-practice von der Ebene der Information über die Ebene der Investition bis zur Ebene des<br />

Kapitalstocks immer weiter verzögert wird. Nun ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die<br />

best-practice-"frontier does not stand still and wait for average practice to catch up, but is<br />

rather the carrot dangling in front of the donkey (the stick presumably being bankruptcy)" 221 .<br />

Sie ist vielmehr Gegenstand kontinuierlichen bzw. diskontinuierlichen Wandels.<br />

Da die Diffusion der Information über neue Prozessinnovationen zeit braucht, werden die Firmen<br />

nie unter vollständiger Information entscheiden können und ,vor allem wenn die Entwicklung<br />

der Technologie-Trajektorien (Produktivitäten) nicht eindeutig vorhersehbar ist, auch keine<br />

optimalen Firmenstrategien bezüglich der Suche nach besseren Technologien, Forschung<br />

& Entwicklung, Investition, Preis usw. entwerfen können. Vielmehr werden sich die mehr oder<br />

weniger stochastischen Suchvorgänge hauptsächlich am, mit den anderen erzeugten, Durchschnittsverhalten<br />

orientieren und zwar in Form einer Größe, die als durchschnittliche Wettbe-<br />

218 Rigider drückte dies Johansen (1987, S.11) aus: "Once an investment in a new vintage has been made it represents sunk costs."<br />

219<br />

Diese Vorstellung des 'körperlosen' Wandels, also der kostenlosen Transformation des Kapitalstocks von der 'alten' zur 'neuen' Technologie, lag<br />

z.B. den Modellen von Nelson (1976) zugrunde.<br />

220<br />

Diese Schlussfolgerung entspricht der in Witt's Modell gemachten ad-hoc-Annahme. Zum Versuch einer Formalisierung des Zusammenhangs<br />

zwischen "Rational Choice and Erratic Behaviour" siehe Benhabib (1981) in leichnamigen Artikel<br />

221<br />

Silverberg (1988, S.543)<br />

Seite 53


werbsfähigkeit beschrieben werden kann. Die Satisfying-Hypothese wird hier gegenüber der<br />

Optimizing-Hypothese eine verhaltenstheoretisch stabilere Basis liefern. Die subjektiven Erwartungen,<br />

bezüglich der weiteren Entwicklung des Marktes bzw. der Firma im Markt sowie<br />

bezüglich der Sucherfolgswahrscheinlichkeiten, sind ein weiterer entscheidender Faktor.<br />

Alles in allem führt das Wechselspiel von makroskopischer und mikroskopischer Ebene, von<br />

stochastischen und deterministischen Elementen zur selbstorganisatorischen Entwicklung<br />

und Veränderung des Zustands der Ordnung (der Struktur) 222 .<br />

Die Modellierung der komplexen, von positiven und negativen Rückkopplungen bestimmten<br />

Dynamik des aufgezeigten Systems wurde von verschiedenen Autoren in Angriff genommen.<br />

Hierbei standen entweder die Selektionsmechanismen im Technologien-Raum oder die Strukturierungsprozesse<br />

auf der Firmenebene im Vordergrund. Ein von Nelson 223 entworfenes Modell<br />

ist im Firmenraum angesiedelt, womit auch die explizite Behandlung verschiedener Firmenstrategien<br />

ermöglicht wird; es weist die Grundstruktur eines Markov-Prozesses auf. Dass<br />

jede Simulation durch diese Formulierung eine von vielen möglichen Geschichten aufzeigt,<br />

schließt jedoch eine analytische Behandlung nicht aus. So wurde dieses Modell von Montano<br />

224 in den Technologien-Raum übertragen und auf Basis der Mastergleichung wurde die<br />

Entwicklung der Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Verteilung von Technologien zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt vorzufinden, formuliert. Auch Iwai 225 kombinierte ein Selektionsmodell<br />

mit einer kontinuierlich fortschreitenden best-practice.<br />

Durch die in den letzten Jahren aufgekommenen Jahrgangsmodellen schließlich wurde der<br />

evolutionäre Prozess auf der Marktebene (Entwicklung der Marktanteile) von dem auf der<br />

Firmenebene (Entwicklung der Jahrgangsstruktur des Kapitalstocks) getrennt. Beispielhaft<br />

hierfür ist ein Modell von Silverberg 226 . Sehr detailliert wird eine dynamische Struktur aufgebaut,<br />

die die Preise und Quantitäten in einer vom Wettbewerb angetriebenen Industrie bestimmt<br />

und über sie den eingebetteten und ständig fortlaufenden technischen Wandel beschreibt.<br />

Firmenmarktanteile sind Objekte eines Selektionsmechanismus, der auf Ungleichheiten in der<br />

Wettbewerbsfähigkeit beruht, wie sie auf der Marktebene in Termen der Preise und der Lieferverzögerungen<br />

wahrgenommen werden 227 . Kosten-, Produktions-, Preis-, Kapazitäts- und<br />

Lieferverzögerungsvariablen der individuellen Firmen ändern sich in der Zeit in Reaktion auf<br />

222 "The theory of self-organization is concerned with the coupled dynamics of Subsystems which interact to produce a 'field' at the macro level,<br />

and in turn are themselves influenced by this very field"; Silverberg(1988, S.117).<br />

223 Vgl. Nelson (1976)<br />

224<br />

Vgl. Montano (1980)<br />

225<br />

Vgl. Iwai (1984a; 1884b)<br />

226<br />

Vgl. Silverberg(1987)<br />

227<br />

"In essence this is a dynamical description of 'imperfect' competition“; Silverberg (1988, S.548). Die Evolution der Marktanteile wird über ein<br />

System von Differentialgleichungen beschrieben, wobei die Veränderung des Marktanteils in der Zeit abhängig ist von dem Verhältnis (der Differenz)<br />

der individuellen Wettbewerbsfähigkeit einer Firma und der durchschnittlichen Wettbewerbsfähigkeit in der Industrie, dem vorherigen<br />

Marktanteil und einem Koeffizienten, der die Reaktionsgeschwindigkeit der Industriestruktur auf Ungleichheiten in der Wettbewerbsfähigkeit<br />

einfangt. Im perfekten Wettbewerb würde er einen unendlichen Wert haben; Vgl. Silverberg (1987). Zum Finnenverhalten in imperfekten Märkten<br />

siehe auch Witt (1986)<br />

Seite 54


ihre Investitionsstrategien, das routinemäßige Entscheidungsverhalten 228 und ihren Erfolg im<br />

Markt.<br />

Der eingebettete technische Fortschritt wird durch die Jahrgangsstruktur des Kapitalstocks<br />

jeder Firma repräsentiert. Zu jedem Zeitpunkt muss die Firma entscheiden, wie viel sie in<br />

neue Produktionsanlagen investiert (Bruttoinvestition) und wie viel sie von ihren alten Produktionsanlagen<br />

abstößt. Die Stückkosten ergeben sich aus dem Durchschnitt über alle Jahrgänge.<br />

Legt man nun exogen einen Zeitpfad für den Wandel der best-practice an, können verschiedene<br />

Investitionsstrategien getestet werden.<br />

Jedoch muss sich auch dieses Modell trotz seiner Komplexität auf reine Prozessinnovationen<br />

beschränken und kann Qualitätswettbewerb nicht wiedergeben, "since it is not obvious which<br />

economic decisions determine the quality level...In addition after a certain point is reached,<br />

quality differences transform themselves into the emergence of a new market and should perhaps<br />

better be regarded as a form of product innovation or differentiation" 229<br />

Produktinnovationen widersprechen z.B. der oben in Witt's Modell gemachten Annahme einer<br />

gegebenen Anzahl von qualitativ unterschiedlichen Gütern und werden den Charakter des<br />

Marktes selber verändern. So ist Witt's Modell nur bis zu einem fiktiven Zeitpunkt T gültig, zu<br />

dem eine solche auftritt. Weder kann vorhergesagt werden, wann genau dies sein wird, noch<br />

welcher Art diese Innovation sein wird, da es unglücklicherweise der Charakter von Neuheiten<br />

ist, dass sie ihre Natur nicht offenbaren, bevor sie auftauchen und erprobt werden 230 . Genau<br />

mit diesen und ihrer Verbreitung in der Gesellschaft, die oftmals zur Entstehung eigener<br />

Märkte führt, befassten sich in jüngerer Zeit eine Vielzahl von Autoren. Der Kern der verschiedenen<br />

Herangehensweisen liegt wohl in der Betrachtung des Phänomens der sich<br />

selbstorganisierenden:<br />

62<br />

5.2 Diffusion von Innovationen 231<br />

Bedeutende Produktinnovationen und auf diese zurückführbare Prozessinnovationen haben<br />

oft Systemcharakter, bestehen also aus einem Bündel komplementärer Güter- und Dienstleistungen<br />

und treten zumindest in der Anfangsphase meist in konkurrierenden Varianten auf 232 .<br />

228 Diese werden gemäß gegenwärtiger Geschäftspraktiken modelliert: Firmen passen ihre Produktion an, um eine erwünschte Lieferverzögerung<br />

aufrechtzuerhalten. Hierbei spielen ihre Erwartungen bezüglich der zukünftigen Entwicklung eine große Rolle. Die Preise werden den Kosten<br />

via mark-up angepasst, wobei in Relation zum Industriedurchschnitt Konzessionen gemacht werden müssen.<br />

229 Silverberg(1987, S.121)<br />

230 Trotzdem sind die von Witt geäußerten Grundaussagen bezüglich des selbstorganisierenden Marktprozesses hierdurch nicht ungültig: Es gibt in<br />

den Märkten im Vergleich zur perfekten Koordination Enttäuschungen, Reibungen und Effizienz Verluste. Im Großen und Ganzen arbeitet dieser<br />

Prozess aber gut, allgemeine Gewinne durch den Handel und die Arbeitsteilung steigern die Wohlfahrt und in einem weiteren Sinne werden<br />

die Verluste, die durch imperfekte Koordination entstehen durch die sozialen Gewinne, die aus Innovationen gezogen werden, überkompensiert;<br />

Vgl. Witt (1985, S.585)<br />

231 Insbesondere Arthur (1987,1988a, 1988b, 1989) machte sich um die Herausbildung der Diffusionsforschung verdient, indem er eine Vielzahl<br />

der, im Zusammenhang mit Diffusionsprozessen auftretenden Phänomene einheitlich klassifizierte und -als einer der ersten- einfache aber einleuchtende<br />

mathematische Analogien in Form von Markov-Prozessen formulierte.<br />

232 Beispiele hierfür sind die anfängliche Konkurrenz zwischen VHS und Betamax (in Deutschland kam sogar noch das 'Video2000-System dazu),<br />

Seite 55


Der Markterfolg hängt letztlich weniger von den Eigenschaften des zentralen Produktes (der<br />

Hardware-Komponente des Systems), als vielmehr von der sachlichen, räumlichen und zeitlichen<br />

Verfügbarkeit komplementärer Güter- und/oder Dienstleistungen (der Software-<br />

Komponente des Systems) ab 233 . Obwohl dieses Hardware-Software-Paradigma insbesondere<br />

bei Transport-, Informations- und Kommunikationstechnologien prägend ist, kommt es wohl<br />

im Prinzip bei allen Investitions- und dauerhaften Konsumgütern zum Tragen." 234 Der Innovationserfolg<br />

hängt bei ihnen oftmals nachhaltig davon ab, wie schnell es den Anbietern gelingt,<br />

einen hinreichend großen Käuferkreis zu finden, da sich selbst verstärkende Mechanismen<br />

(also positive Rückkoppelungen) beim Diffusionsprozess eine entscheidende Rolle spielen.<br />

Solche Mechanismen können verschiedene Ursachen haben, die man als direkte und indirekte<br />

Anwenderexternalitäten bezeichnen kann 235 :<br />

Indirekte Anwenderexternalitäten entstehen, wenn<br />

statische Skalenerträge (hoher Fixkostenaufwand für F&E, konstante oder variable Stückkosten<br />

in der Produktion) 236 und/oder<br />

dynamische Skalenerträge (Lerneffekte: bei Vorherrschen einer Innovation wird selbige<br />

vermehrt Objekt des Lernens und der Verbesserung) in Form von Preissenkungen, bzw.<br />

Qualitätssteigerungen bei konstantem Preis an die Verbraucher weitergegeben werden.<br />

Direkte Anwenderexternalitäten, die auch als Koordinationseffekte (Vorteile dadurch, dass die<br />

anderen Agenten das gleiche Produkt kaufen) bezeichnet werden, resultieren<br />

(iii) bei Kommunikationssystemen aus dem direkten Wert des Gutes Kommunikation (der<br />

Nutzen steigt direkt mit der Anwenderzahl) 237 und/oder aus der<br />

(iv) nachfrageseitig bedingten Ausgestaltung der Komplementärmärkte (eine Zunahme der<br />

Anwenderzahl führt zu einem sachlich und räumlich vielfältigerem Angebot der Software-<br />

Komponenten) 238 . Außerdem spielen (v) Erwartungen bezüglich der weiteren Entwicklung<br />

des Marktanteils (bei Vorherrschen einer Innovation glaubt man an eine weitere Vorherrschaft<br />

desselben) als auch bezüglich der weiteren Entwicklung der Produkteigenschaften<br />

eine Rolle 239 .<br />

zwischen benzin- und wasserkraftgetriebene Fahrzeugen, zwischen gas- und wassergekühlten Kernreaktoren, usw.; Vgl. hierzu und zu weiteren<br />

Beispielen Arthur (1988a; 1988b;1989), Katz (1985, 1986)<br />

233 So ist der Misserfolg des Wasserkraftantriebs bei Fahrzeugen auch damit zu erklären, dass die Wasserreservoirs entlang der Straßen, sozusagen<br />

die Tankstellen, von Amts wegen verboten wurden. Dieses Defizit auf dem Komplementärmarkt, im Zusammenhang mit "a series of trivial<br />

circumstances .pushed several key developers intro petrol... .and by 1920 had acted to shut steam out"; Arthur (1989, S.127)<br />

234 Vgl. Woekener (1992b, S.1)<br />

235<br />

Vgl. Woekener (1992b, S.2)<br />

236<br />

Solche treten z.B. bei der Softwareentwicklung in hohem Maße auf. Die Entwicklung derselben ist ob der Komplexität der Programme sehr<br />

kostenintensiv, die Vervielfältigung eines einmal entwickelten Programms jedoch macht nur noch einen Bruchteil der Kosten aus.<br />

237<br />

Beispiele hierfür sind Faxgeräte, Videokonferenzen, Mobiltelefone, Btx, u.ä.<br />

238<br />

Solche Komplementärgütermärkte spielen insbesondere bei der Unterhaltungselektronik eine große Rolle, wie z.B. beim Aufkommen der CD<br />

eindrucksvoll zu beobachten war, welches zu einem synchronen Wegbrechen des Komplementärgütermarktes für Analog-Schallplatten führte.<br />

Gleiches gilt für den Software-Markt, aus eben dem ja der Ausdruck der 'Softwarekomponente' abgeleitet wurde. Aber auch nicht so offensichtliche<br />

Komplementärgütermärkte, wie z.B. das Service-Netz von Autofirmen, sind, z.B. beim Kaufeines Autos dieser Firmen, oftmals wichtige<br />

Faktoren bei der Entscheidungsfindung.<br />

239<br />

Erwartungen repräsentieren eine psychologische Komponente, die im folgenden stochastisch-deterministischenModell nicht explizit antizipiert<br />

wird (werden kann). Hingegen findet sie in der kritischen Masse dadurch Ausdruck, dass die Erwartungssicherheit zu einem kollektiven Senken<br />

der individuellen Schwellenwerte führt[siehe Kritisch-Massen-Modelle').<br />

Seite 56


Somit steht der potentielle Nutzer sowohl einem netzwerkspezifischen Informationsproblem<br />

als auch einem produktspezifischen Informationsproblem gegenüber; er muss also praktisch<br />

immer unter Unsicherheit entscheiden, bzw. seine Entscheidung immer mit Blick auf jene der<br />

anderen treffen 240 . Bei nicht zu geringer Komplexität des Gutes ist die Diffusion von Innovationen<br />

also immer, im Falle von Netzwerkexternalitäten aber ganz besonders, auch ein sozialer<br />

Prozess.<br />

Ein Paradebeispiel ist der Kampf zwischen den Videosystemen VHS und Betamax, bei dem<br />

eine leichte Führung des einen Systems zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition und<br />

damit zu einem weiteren Steigen des Marktanteils führte. Aus synergetischer Sicht führte eine<br />

kleine Fluktuation bei anfangs prinzipiell gleichen Marktanteilen dazu, dass ein System, nämlich<br />

VHS (obwohl graduell qualitativ schlechter als Betamax) aufgrund ausreichend starker<br />

Rückkoppelungen schließlich annähernd 100% Marktanteil hatte, während das andere völlig<br />

vom Markt verschwand 241 . Dieser typische Fall weist wie alle Diffusionsprozesse konkurrierender<br />

Innovationen, bei denen überproportional wachsende Konformitätskräfte entstehen<br />

und so die eine oder andere Innovation letztendlich den gesamten entstehenden Markt für<br />

sich beansprucht, vier Eigenschaften auf 242 :<br />

MULTIPLE GLEICHGEWICHTE- mindestens zwei letztendlich erreichte Marktanteils-<br />

Lösungen sind möglich. Das Ergebnis ist weder eindeutig noch vorhersehbar.<br />

MÖGLICHE INEFFIZIENZ- obwohl die eine Innovation der konkurrierenden technisch (<br />

bezogen auf das Preis-Qualitätsverhältnis und/oder auf die Weiterentwicklung) überlegen<br />

ist, kann sie, wenn sie im Anfangsstadium des Diffusionsprozesses Pech oder einen<br />

schlechten Marketing-Chef hat, ins Hintertreffen geraten; die sich durchsetzende Innovation<br />

ist nicht wohlfahrtsmaximal 243 .<br />

LOCK-IN- wenn erst einmal eine stabile Lösung, z.B. in Form einer eindeutigen Beherrschung<br />

des Marktes durch VHS, erreicht worden ist, ist es für den Verlierer schwer, die<br />

vom dominanten System gewonnenen Vorteile auszugleichen, und wieder in den Markt<br />

zurückzukehren 244 .<br />

240<br />

Abstrakt ausgedrückt gesellen sich zu den horizontalen Informationsdefiziten bezüglich dem gegenwärtigem Stand der Dinge auch noch vertikale<br />

Informationsdefizite bezüglich dem zukünftigem Stand der Dinge.<br />

241<br />

Vgl. Arthur (1988a, S.10); dieses Beispiel wurde auch von Katz (1986, S.823ff) aufgegriffen.<br />

242<br />

Schon hier wird die Art der Analogiefindung zu synergetischen Prozessen deutlich. Bei einer anfänglich symmetrischen Anfangsverteilung<br />

werden durch Fluktuationen sich selbstverstärkende Prozesse in Gang gesetzt und die Symmetrie wird gebrochen , eine 'Ordnung durch Fluktuation'<br />

entsteht. Oftmals sind die positiven Rückkoppelungen so stark, dass der (die) Konkurrenten) mit der Zeit völlig aus dem Markt gedrängt<br />

werden und die, mehr und mehr 'selektive Vorteile' gewinnende Technologie schließlich die gesamte entstehende Nische' (sprich: den<br />

gesamten Markt) allein besetzt. In Anknüpfung an obige Betrachtung der Diffusion von Innovationen als sozialen Prozess heißt das, dass die<br />

Konformitätskraft immer weiter steigt, während Antikonformitätskräfte aufgrund ökonomischer und sozialer Zwänge völlig verschwinden: Ein<br />

oder mehrere Randgleichgewichte bilden dann den Attraktor, auf den die Entwicklung konvergiert.<br />

243<br />

So soll der 'Verlierer' im Kampf der Videosysteme, Betamax, dem 'Gewinner' ,VHS .technisch überlegen sein. Gleiches gilt für den 'Verlierer' im<br />

Kampf der Nuklearreaktorentechnologien, nämlich den gasgekühlten Reaktor. Obwohl eigentlich technologisch unterlegen, haben sich mit<br />

leichtem Wasser gekühlte Reaktoren durchgesetzt. Dies lag in diesem speziellen Fall daran, dass die Entwicklung letzterer anfangs in den 50er<br />

Jahren, da ihre Konstruktion kompakter war und sie so in atomgetriebene U-Boote 'passten', von der US-Navy gefördert wurde. Die so entstandenen<br />

Lerneffekt und Konstruktionserfahrungen führten dazu, dass sie einen uneinholbaren Vorsprung am Markt gewannen, der dazu führte,<br />

dass heutzutage praktisch 100% aller US-Atomkraftwerke mit leichtem Wasser gekühlt werden; Vgl. Arthur (1989, S.126).<br />

244<br />

Das solche Lock-In's nicht nur durch die, durch das dominante System gewonnenen, ökonomischen Vorteile verursacht sind, sondern oftmals<br />

auch ihre Entsprechung im mentalen Bereich haben, darauf weist ein Lock-In hin, der sich auf ein Gut bezieht, das nun nicht gerade Systemcharakter<br />

hat, nämlich Cola. Obwohl Pepsi, wenigstens beim privaten Einkauf, räumlich und zeitlich genauso verfügbar ist wie Coca-Cola,<br />

außerdem billiger ist und eine von vielen als ansprechender empfundene Werbung macht, gelingt es ihr seit Jahren nicht, einen entscheidenden<br />

Schritt aus ihrem Nischendasein zu tun. Ein anderes Beispiel ist das Tastaturschema 'QWERTY . Interessanterweise stellte die Durchsetzung<br />

desselben in der Vergangenheit einen von mehreren möglichen relativ effizienten Lock-In's dar, da durch seine Anordnung die Gefahr einer<br />

Seite 57


PFADABHÄNGIGKEIT- Die frühe Entwicklungsgeschichte der Marktanteile, die zum Teil<br />

eine Folge von kleinen Ereignissen und historischen Zufällen ist, kann ausschlaggebend<br />

dafür sein, welche Lösung letztendlich obsiegt 245 .<br />

Meistens, wenn der „Pay-Off“ einer Handlung mit der Anzahl der dieselbe Handlung Wählenden<br />

steigt, können multiple Gleichgewichte entstehen. Derartige multiple Gleichgewichte wurden<br />

in verschiedenen ökonomischen Bereichen lokalisiert, wie z.B. der internationalen Handelstheorie<br />

246 , der räumlichen Ökonomie 247 oder der industriellen Organisation 248 . Jedoch konzentrierte<br />

man sich hier vor allem auf die Frage, ob multiple Gleichgewichte vorstellbar sind,<br />

weniger auf die Frage, wie die Existenz derselben durch eine akzeptierte Dynamik erklärt<br />

werden kann.<br />

Aus der synergetischen Sicht kann man die verschiedenen stabilen Gleichgewichte als lokale<br />

Minima von Potentialfunktionen interpretieren. Sie sind untereinander durch Potentialbarrieren<br />

getrennt, für deren Überwindung eine je nach Stärke der Barriere ausreichende Menge exogen<br />

aufprallender Energie benötigt wird 249 (Abb.21). Anschaulich lässt sie sich z.B. anhand<br />

des Party-Modells als die Kraft verstehen, die benötigt wird, ein, ohne Präferenz für einen<br />

Raum durch starke Konformitätskräfte entstandenes, stabiles Randgleichgewicht (0.20) in das<br />

korrespondierende Randgleichgewicht (20,0) zu 'treiben', also die sich kumulativ wechselseitig<br />

verstärkenden Bindungen an eine Konfiguration zugunsten der anderen zu überwinden 250 .<br />

Aus ökonomischer Sicht kann man diese Schwelle über die in der Zeit akkumulierten ökonomischen<br />

Vorteile einer Innovation beschreiben, die durch ein Randgleichgewicht repräsentiert<br />

werden (alle VHS).So kann man als Maß des LOCK-IN ein spezielles Gleichgewicht die minimalen<br />

Kosten bezeichnen, die es mit sich bringt, einen Wechsel in ein anderes alternatives<br />

Verhakung der Schlagstangen bei herkömmlichen Schreibmaschinen klein gehalten wurde. Erst durch die Entwicklung der Umwelt, nämlich in<br />

Form von Kugelkopfschreibmaschinen und später dann Computern, wurde dieser Vorteil konterkariert und die Vorzüge eines Tastaturschemas<br />

sind seitdem nur noch an der 'Schreibgeschwindigkeit', die es seinem Benutzer ermöglicht, zu messen. Unter diesem Maß sind jedoch andere<br />

Tastaturen, wie für das von Dvorak 1932 entwickelte DSK in Navy-Experimenten bewiesen, effizienter. Diese Experimente zeigten auch, dass<br />

die 'switching-costs', die durch ein Umtrainieren' der Schreibkräfte entständen, binnen kürzester Zeit durch die erhöhte Effizienz amortisiert<br />

würden; Vgl. David ( 1985). Trotzdem wird dieser Schritt nicht unternommen, da ihn gleichzeitig alle tun müssten, die Koordinierungsanstrengung<br />

wäre ungemein hoch.<br />

245<br />

Als "a member of a small dissenting sect within the more-or-less tolerant society of academic economists" beschäftigte sich David ausführlich<br />

mit dem Phänomenen der Pfadabhängigkeit; Vgl. David (1988)' Zitat aus ebenda (S.l).<br />

246<br />

Das Standardbeispiel ist das zweier Länder, die in zwei möglichen Industrien (z.B. Auto- und Flugzeugindustrie) mit hohen Aufbau- bzw. Fixkosten<br />

oder anderweitig begründeten positiven Skalenerträgen produzieren können. Statisch würde ein Kostenminirnum erreicht, wenn das eine<br />

Land die eine und das andere Land die andere Industrie übernehmen würde. Das gewünschte Konsumenten-Mix würde dann durch Handel<br />

miteinander erreicht. Welche Industrie sich jedoch in welchem Land ansiedelt, ist unbestimmt, womit in der statischen Sicht multiple Gleichgewichte<br />

lokalisiert sind; Vgl. Arthur (1988a, S.11)<br />

247<br />

So zeigte Weber [zitiert in Arthur (1988a, S.12)], dass Firmen von anderen Firmen oder Industrieagglomerationen profitieren, aber verschiedene<br />

Konfigurationen der Industrie einer lokalen Minimalen-Kosten-Lösung entsprachen, woraus Palander (zitiert ebenda) u.a. ableiteten, dass<br />

die beobachteten räumlichen Industriestrukturen keine eindeutige Lösung des Problems des räumlichen ökonomischen Gleichgewichts darstellten,<br />

sondern eher Folge eines historischen Prozesses sind (ebenda). Der Versuch einer Formalisierung dieser Einsichten von Allen wurde ja<br />

weiter oben beschrieben.<br />

248<br />

Hier zeigte beispielsweise Katz (1985,1986), dass eine Kombination von Netzwerkexternalitäten und Erwartungen zu multiplen Marktanteilsgleichgewichten<br />

führen können. Wenn z.B. ex ante eine ausreichende Anzahl von Konsumenten glaubt, dass der IBM- PC einen großen Marktanteil<br />

haben wird, und es Vorteile mit sich bringt einem dominanten Netzwerk anzugehören, so werden sie gewillt sein das Produkt zu kaufen,<br />

und der Produzent wird in Erfüllung dieser Erwartungen eine große Quantität des Produktes auf den Markt werfen. Es kann hier insofern von<br />

multiplen Gleichgewichten gesprochen werden, weil die gleiche Aussage auch für konkurrierende Produkte gemacht werden kann, also exante,<br />

ohne Kenntnis der Erwartungen, verschiedene Gleichgewichte vorstellbar sind. Zu weiteren Beispielen für 'Self-Fulfilling Prophecies'<br />

(bzw. Expectations') siehe Schelling (1978, S.115ff); zum Versuch einer Formalisierung derselben siehe Azariadis (1981)<br />

249<br />

Zur Herleitung und Interpretation von Potentialfunktionen siehe Haken (1977, 1983),Weidlich (1983), Erdmann(1990), Zhang (1991)<br />

250<br />

Die Herleitung und Darstellung von Potentialfunktionen die auf dem Partymodell bzw. auf dem Modell der Entstehung von Institutionen (die<br />

sich ja fast vollständig entsprechen) basieren, finden sich in Eger(1990, S.87ff) und Brandes(1990, S.181ff)<br />

Seite 58


Gleichgewicht zu bewirken (alle Betamax) 251 .<br />

Abb. 22: Lock-In dargestellt anhand einer Potentialfunktion 252<br />

Abb. 23: Lock-In dargestellt anhand einer Potentialfunktion 253<br />

251 Arthur (1988a, S.13)<br />

252 Mensch (1980 und in einer Reformulierung 1985) zeigte anhand eines der Katastrophentheorie (zur mathematischen Formalisierung der Katastrophentheorie,<br />

insbesondere zur cusp-catastrophe siehe Zhang, (1991, S.39ff))entlehnten Modells, wie ein Lock-In auch auf der aggregierten<br />

Ebene der Beschäftigung und der allgemeinen Wirtschaftsaktivität entstehen kann, wobei er sich auf empirische Daten stützte. Es wurde<br />

von der Beobachtung inspiriert, dass die Beziehung zwischen Investition, Beschäftigung und Nationalprodukt in den frühen 70er Jahren aufgebrochen<br />

schien. Dem Fakt, dass dies etwas mit der Komposition der Investitionen zu tun hatte und nicht nur etwas mit ihrer absoluten Höhe,<br />

trug Mensch als einer der ersten in einem Modell Rechnung. Rationalisierende Investitionen haben eine andere Wirkung auf die Beschäftigung<br />

als rein expandierende Investitionen (rationalisierende Investitionen können hier mit Prozessinnovationen, expandierende Investitionen mit<br />

Produktinnovationen in Verbindung gebracht werden) . Mensch's Hypothese war, dass die Wirtschaft für bestimmte Kombinationen von rationalisierenden<br />

und expandierenden Investitionen durch zwei mögliche Gleichgewichte charakterisiert würde, wobei das eine Unterbeschäftigung,<br />

das andere Vollbeschäftigung repräsentiert. Wenn man in der Abbildung die Zustandsvariable als Wirtschaftsaktivität X bezeichnet, so<br />

charakterisiert das linke Minimum Unterbeschäftigung, das rechte Vollbeschäftigung. Der Lock-In kann hierbei folgendermaßen entstehen:<br />

Wenn Unternehmen rationalisieren, kann dies verschiedene Auswirkungen haben. Dann kann von den Firmen auch dann noch Gewinn erzielt<br />

werden, wenn die Produktion der Waren verringert wird. Oder aber die Rationalisierung wird so gestaltet, dass die Waren billiger werden imd<br />

eine erhöhte Produktion vom Markt aufgenommen wird. Es sind zwei stabile Zustände möglich, die vom rein einzelwirtschaftlichen Kalkül her<br />

völlig gleichberechtigt sind. Im ersten Fall kommt nun noch dazu, dass durch die verringerte Produktion auch die Menge von Investitionskapital,<br />

welches für die Verwirklichung von Innovationen zur Verfügung steht, verringert wird, der Prozess 'lock't sich in einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht<br />

ein. Um die Rationalisierung in Hinblick auf eine größere Produktion und damit Vollbeschäftigung zu nutzen, müssten<br />

zugleich auch Investitionen vorgenommen werden, die zu einer erhöhten Produktion führen (Die erhöhte Produktion wird aber nur dann vom<br />

Markt aufgenommen, wenn sich damit Innovationen, die auf neuartige Produkte gerichtet sind, verbinden). Eine wichtige Implikation des Modells<br />

ist es, dass in der Wirtschaft, wenn sie erstmal von einem Hoch-Aktivitätspfad auf einen Niedrigen-Aktivitätspfad gesprungen ist, die expandierenden<br />

Investitionen auf eine viel höhere Ebene angehoben werden müssen, um das System zu einer 'spontanen' Rückkehr auf den Hoch-<br />

Aktivitätspfad zu bewegen, als dies vor dem Lock-In' bzw. bei einer Beibehaltung des Hoch-Aktivitätspfads der Fall ist. Hierin liegt vielleicht<br />

eine Erklärung dafür, dass Arbeitsbeschaffungsprogramme oftmals nur temporäre Verbesserungen der Arbeitsmarktsituation zur Folge haben,<br />

wenn sie nicht über einen bestimmten 'Schwellenwert' ausgedehnt werden. Ein anderes Beispiel für einen wohlfahrtstheoretisch suboptimalen<br />

Lock-In - welches in vager Analogie aufzuführen ist- beschreibt Allen (1988, S.110f) anhand seiner Simulation der kanadischen Fischindustrie:<br />

Während normalerweise seine Simulation durch die dynamische Interaktion von Fischbeständen, Fischflotten, Fischindustrie, Beschädigung<br />

und Nachfrage ein beständiges auf und ab beschreibt, das vor allem durch Fluktuationen der jährlichen Fangmengen (die wiederum durch<br />

Fluktuationen der Fischbestände entstehen), die vom System zu "long-term cycles of'boom' and ‚bust’ "(Allen (1988, S.l 11)) vergrößert werden,<br />

bestimmt wird, kann es zu einem plötzlichen 'crash' kommen: Wenn die Nachfrageelastizität ausreichend gering ist, kann ein plötzliches<br />

temporäres Abfallen der Fischbestände dazu führen, dass die Preise dramatisch steigen und es so den Fischern erlauben von den geringen<br />

Fangmengen zu leben. Deswegen werden sie ihr Fangverhalten beibehalten, der Fisch wird zum Luxusgut und auch die Fischindustrie wird ihr<br />

Auskommen haben. Als allgemeines Nahrungsmittel wird der Fisch jedoch von der Speisekarte verschwinden. Obwohl rein hypothetisch ist<br />

auch dies ein Beispiel für einen Lock-In'.<br />

253 Mensch (1980 und in einer Reformulierung 1985) zeigte anhand eines der Katastrophentheorie (zur mathematischen Formalisierung der Katastrophentheorie,<br />

insbesondere zur cusp-catastrophe siehe Zhang, (1991, S.39ff))entlehnten Modells, wie ein Lock-In auch auf der aggregierten<br />

Ebene der Beschäftigung und der allgemeinen Wirtschaftsaktivität entstehen kann, wobei er sich auf empirische Daten stützte. Es wurde<br />

von der Beobachtung inspiriert, dass die Beziehung zwischen Investition, Beschäftigung und Nationalprodukt in den frühen 70er Jahren aufgebrochen<br />

schien. Dem Fakt, dass dies etwas mit der Komposition der Investitionen zu tun hatte und nicht nur etwas mit ihrer absoluten Höhe,<br />

trug Mensch als einer der ersten in einem Modell Rechnung. Rationalisierende Investitionen haben eine andere Wirkung auf die Beschäftigung<br />

als rein expandierende Investitionen (rationalisierende Investitionen können hier mit Prozessinnovationen, expandierende Investitionen mit<br />

Produktinnovationen in Verbindung gebracht werden) . Mensch's Hypothese war, dass die Wirtschaft für bestimmte Kombinationen von rationalisierenden<br />

und expandierenden Investitionen durch zwei mögliche Gleichgewichte charakterisiert würde, wobei das eine Unterbeschäftigung,<br />

das andere Vollbeschäftigung repräsentiert. Wenn man in der Abbildung die Zustandsvariable als Wirtschaftsaktivität X bezeichnet, so<br />

charakterisiert das linke Minimum Unterbeschäftigung, das rechte Vollbeschäftigung. Der Lock-In kann hierbei folgendermaßen entstehen:<br />

Wenn Unternehmen rationalisieren, kann dies verschiedene Auswirkungen haben. Dann kann von den Firmen auch dann noch Gewinn erzielt<br />

werden, wenn die Produktion der Waren verringert wird. Oder aber die Rationalisierung wird so gestaltet, dass die Waren billiger werden imd<br />

eine erhöhte Produktion vom Markt aufgenommen wird. Es sind zwei stabile Zustände möglich, die vom rein einzelwirtschaftlichen Kalkül her<br />

völlig gleichberechtigt sind. Im ersten Fall kommt nun noch dazu, dass durch die verringerte Produktion auch die Menge von Investitionskapital,<br />

welches für die Verwirklichung von Innovationen zur Verfügung steht, verringert wird, der Prozess 'lock't sich in einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht<br />

ein. Um die Rationalisierung in Hinblick auf eine größere Produktion und damit Vollbeschäftigung zu nutzen, müssten<br />

zugleich auch Investitionen vorgenommen werden, die zu einer erhöhten Produktion führen (Die erhöhte Produktion wird aber nur dann vom<br />

Markt aufgenommen, wenn sich damit Innovationen, die auf neuartige Produkte gerichtet sind, verbinden). Eine wichtige Implikation des Modells<br />

ist es, dass in der Wirtschaft, wenn sie erstmal von einem Hoch-Aktivitätspfad auf einen Niedrigen-Aktivitätspfad gesprungen ist, die expandierenden<br />

Investitionen auf eine viel höhere Ebene angehoben werden müssen, um das System zu einer 'spontanen' Rückkehr auf den Hoch-<br />

Aktivitätspfad zu bewegen, als dies vor dem Lock-In' bzw. bei einer Beibehaltung des Hoch-Aktivitätspfads der Fall ist. Hierin liegt vielleicht<br />

eine Erklärung dafür, dass Arbeitsbeschaffungsprogramme oftmals nur temporäre Verbesserungen der Arbeitsmarktsituation zur Folge haben,<br />

Seite 59


Wenn also der Pay-Off einer Handlung mit der Anzahl der gleichförmig Handelnden steigt,<br />

wird eine zuerst gewählte Handlung auch weiter gewählt werden, und der immer größer werdende<br />

ökonomische Vorteil sorgt dafür, dass die "decision sequence 'grooves out' a selfreinforcing<br />

advantage to the activity chosen initially that keeps it locked in to this choice" 254 . So<br />

kommt es, dass selbst wenn die Wahl des Einzelnen bei zum Wahlzeitpunkt -bezogen auf das<br />

Preis-Qualitätsverhältnis- vollständiger Information optimal ist, sie zu einer langfristig ineffizienten<br />

Lösung führen kann. Dies liegt daran, dass ein anfangs qualitativ unterlegenes Produkt<br />

viel bessere Entwicklungsmöglichkeiten besitzen kann; der so entstehenden langfristigen<br />

Allokationsineffizienz würde in einem solchen Fall vom homo oeconomicus Vorschub geleistet.<br />

Realistischer ist es wohl, den oben erwähnten auf Gegenwart wie Zukunft bezogenen Informationsdefiziten<br />

der Individuen Rechnung zu tragen und die Diffusion von Innovationen als<br />

stochastischen Prozess zu modellieren, wie dies Arthur zur Darstellung der Entstehung eines<br />

wenn sie nicht über einen bestimmten 'Schwellenwert' ausgedehnt werden. Ein anderes Beispiel für einen wohlfahrtstheoretisch suboptimalen<br />

Lock-In - welches in vager Analogie aufzuführen ist- beschreibt Allen (1988, S.110f) anhand seiner Simulation der kanadischen Fischindustrie:<br />

Während normalerweise seine Simulation durch die dynamische Interaktion von Fischbeständen, Fischflotten, Fischindustrie, Beschädigung<br />

und Nachfrage ein beständiges auf und ab beschreibt, das vor allem durch Fluktuationen der jährlichen Fangmengen (die wiederum durch<br />

Fluktuationen der Fischbestände entstehen), die vom System zu "long-term cycles of'boom' and ‚bust’ "(Allen (1988, S.l 11)) vergrößert werden,<br />

bestimmt wird, kann es zu einem plötzlichen 'crash' kommen: Wenn die Nachfrageelastizität ausreichend gering ist, kann ein plötzliches<br />

temporäres Abfallen der Fischbestände dazu führen, dass die Preise dramatisch steigen und es so den Fischern erlauben von den geringen<br />

Fangmengen zu leben. Deswegen werden sie ihr Fangverhalten beibehalten, der Fisch wird zum Luxusgut und auch die Fischindustrie wird ihr<br />

Auskommen haben. Als allgemeines Nahrungsmittel wird der Fisch jedoch von der Speisekarte verschwinden. Obwohl rein hypothetisch ist<br />

auch dies ein Beispiel für einen Lock-In'.<br />

254 Arthur(1988a, S.13)<br />

Seite 60


LOCK-IN tat 255 . In solchen Modellen kann gezeigt werden,


5.2.1 Die Modellierung von Diffusionsprozessen mit der Master-Gleichung<br />

Gemäß der Annahme von Informationsdefiziten und nichtlinearen (sozialen) Abhängigkeiten<br />

wird die Diffusion substitutiver Innovationen als nichtlinearer stochastischer Prozess modelliert.<br />

Die potentiellen Anwender haben homogene Präferenzen. Die Übergänge von Nichtanwendern<br />

zu Innovation I bzw. zu Innovation II werden (ob der Entscheidung unter Unsicherheit<br />

wegen) wahrscheinlichkeitstheoretisch definiert. Analytisch werden sie zum einen über eine<br />

unabhängige Komponente, den Basisnutzen (bzw. die Basisrenten) , zum anderen über eine<br />

vom Verhalten der anderen abhängige Komponente, nämlich den Nutzenzustrom, der sich<br />

aus der Existenz positiver externer Anwendererträge (im folgenden: Netzwerknutzen) ergibt,<br />

bestimmt. Anfangs geht man von einer unendlichen Marktgröße aus und davon, dass die<br />

Wahlvorgänge sequentiell in der Zeit stattfinden, also in jeder der unendlich vielen Perioden t<br />

ein neuer Anwender an den Markt kommt und sich irreversibel für eine der beiden Innovationen<br />

entscheidet.<br />

Gäbe es keine Externalitäten, aber Unterschiede in den Basisrenten, die sich aus der Differenz<br />

zwischen dem Basisnutzen und dem Systempreis ergeben, würden sich die Marktanteile<br />

nach anfänglichen Fluktuationen mit Sicherheit nach dem Gesetz der großen Zahl gemäß<br />

dem Verhältnis der Basisrenten zueinander aufteilen.<br />

Existieren Anwenderexternalitäten, so wird jeder neue Anwender, da er um die positive Abhängigkeit<br />

seines Surplus von der Gesamtnutzerzahl des von ihm gewählten Gutes weiß, jene<br />

Innovation übernehmen, die nach seiner subjektiven Einschätzung in der Konkurrenz der<br />

Anwender vorne liegt, womit die Wahrscheinlichkeit, dass der n-te Anwender die Innovation I<br />

bzw.II übernimmt, umso höher sein wird, je größer ihr tatsächlicher, ihm aber nicht mit Sicherheit<br />

bekannter Marktanteil [y(t) bzw. z(t)] ist. Auch bei reinem Vorliegen von Netzwerkexternalitäten<br />

(a=b) wird sich nach einer anfänglichen Phase der Fluktuations-Dominanz stets<br />

eine bestimmte Marktaufteilung stabilisieren. Welche, das hängt von der konkreten Spezifizierung<br />

der Wahlfunktion ab, welche die Beziehung zwischen den Marktanteilen und den Wahlwahrscheinlichkeiten<br />

festlegt.<br />

Ist die Beziehung linear, z.B. mit p[y(t)]=y(t), so ist speziell bei fehlenden first-mover-Vorteilen<br />

für eine der Innovationen (Y(1)=Z(1)=1 als absolute Anzahl der Anwender) das Diffusionsergebnis<br />

infolge der positiven Anwendererträge vollständig unbestimmt; außerdem bleibt es<br />

praktisch immer bei einer Koexistenz beider Systeme. Dieser Prozess wird auch als Standard-Polyaprozess<br />

bezeichnet 259 .<br />

259 Mit solchen Polya-Prozessen beschäftigte sich insbesondere Arthur (1987,1989) und baute sein "general framework" (Arthur (1989,S 123ff))<br />

auf ihnen auf Sein anschaulichstes Beispiel waren wohl die Urnenmodelle In einer Urne mit endlicher Kapazität befindet sich eine rote und eine<br />

blaue Kugel Nun wählt man blind und handelt nach dem Motto 'Ziehe ich eine blaue Kugel, so lege ich zwei blaue zurück, ziehe ich eine rote,<br />

so lege ich zwei "tote zurück ' Dieser Prozess wird andauernd wiederholt " Obviously this process has increments that are path-dependentat<br />

any time the probability (hat the next ball added is red equals the proportion red" ( Arthur (1987,5? 296)|, womit genau die obige Abhängigkeit<br />

der Wahrscheinlichkeit von den Marktanteilen wiedergegeben ist p(y(t)=y(t) Die Trage ist, ob der Anteil durch diese sich ändernde Wahrscheinlichkeit<br />

unbestimmbar zwischen 0 und 1 wandern wird, oder sich bei einem festen Anteil fest locken wird Er tut letzteres Der Anteil<br />

"tends to a limit X, and with probability one Rut X IS a random variable uniformly distributed between 0 and 1 "(Arthur, 1987,S 297) Genau<br />

dies gibt die Abbildung wieder<br />

Seite 62


Abb. 24: Vier Realisierungen des Standard-Polya-Prozesses<br />

Im Falle nichtlinearer Abhängigkeiten resultieren letztlich sigmoide Wahlfunktionen; die Innovationskonkurrenz<br />

endet stets mit einer Selektion (y=1 oder y=0) 260 . Dabei haben beide möglichen<br />

Diffusionsergebnisse bei Y(1)=Z(1) eine Wahrscheinlichkeit von 0.5. Bei Startvorteilen<br />

einer Innovation hat diese eine entsprechend höhere Chance selektiert zu werden. Solche<br />

Startvorteile wurden in Abbildung 24 zugunsten Innovation I angenommen. Bemerkenswert ist<br />

hierbei, dass sich in einer der Realisierungen trotzdem Innovation II durchsetzt, weil sich zufällig,<br />

d.h. infolge an sich geringfügiger und daher nicht theoriefähiger historischer Ereignisse,<br />

die Mehrzahl der ersten Anwender für sie entschieden hat. Dies ist dadurch möglich, dass die<br />

individuellen Wahlvorgänge wahrscheinlichkeitstheoretisch formuliert wurden.<br />

Abb. 25: Zwei Realisierungen eines nichtlinearen Poly-Prozesses 261<br />

260 Diese Selektion ist natürlich nicht ganz vollständig, da die nicht selektierte Innovation (a anfangs einige Anwender fand, die an ihr festhalten<br />

Jedoch wird die Wahrscheinlichkeit dass neue Anwender die unterlegene Innovation wählen im Verlauf des Prozesses null, dass sie die überlegene<br />

Innovation wählen eins, so dass durch die Annahme unendlicher Marktgröße der Marktanteil der unterlegenen Innovation mit null gleichzusetzen<br />

ist<br />

261 Diese nichtlinearen Polyaprozesse stellen nun eine Erweiterung des Urnenmodells dar, indem sie zum einen sozusagen von einer größeren<br />

Vielfalt unterschiedlicher Kugeln ausgehen, und zum anderen "the probability of an addition to type j" als "an arbitrary function of the proportions<br />

of all types"[Arthur (1987.S.298)] definieren, z.B. indem man jetzt zu jeder gezogenen Kugel zwei zusätzliche zurück legt; Vgl. ebenda (<br />

S.299)<br />

Seite 63


Ginge man von vollständiger Information bezüglich des Marktzustandes aus, würde jeder sich<br />

aufgrund des zusätzlichen Netzwerknutzens mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 für die anfangs<br />

dominierende Innovation entscheiden: Das Stochastische reduzierte sich dann auf ein<br />

deterministisches Modell, in dem die Ausgangsbedingung (die Anfangskonfiguration), bzw.<br />

bei Fehlen von Startvorteilen der erste neu auf den Markt kommende Anwender, das Selektionsergebnis<br />

determinierte. Dies verdeutlicht den Unterschied zwischen reiner Pfadabhängigkeit<br />

und Ergebnisoffenheit: Erstere reflektiert nur die Existenz externer Anwendererträge, letztere<br />

zusätzlich jene begrenzter Information.<br />

Abgesehen vom "degenerierten Grenzfall" 262 des Standard-Polka-Prozesses kommt es bei<br />

Netzwerkexternalitäten auch bei der Wahl unter Unsicherheit stets zur Selektion einer Innovation;<br />

ohne Netzwerkexternalitäten resultiert hingegen bei beschränkter Information immer Koexistenz.<br />

Diese Ergebnisse basieren jedoch auf der Annahme einer unendliche' 1 Marktgröße, welche<br />

anders gerichtete Entscheidungen - welche ja insbesondere in der Anfangsphase getroffen<br />

werden- vergessen lässt* Außerdem kann wegen dieser Annahme die sigmoide Diffusionskurve<br />

nicht reproduziert werden, wie auch Basispräferenzen und Basisrenten bzw. die Differenz<br />

zwischen ihnen nicht explizit berücksichtigt werden können. Erst die Berücksichtigung<br />

differierender Basisrenten ermöglicht jedoch wohlfahrtstheoretische Vergleiche zwischen unterschiedlichen<br />

Selektionsergebnissen sowie die Untersuchung der Konsequenzen von Präferenzkonflikten<br />

für den Diffusionsprozess. Hinzu kommt, dass nur Zunahme oder Stagnation<br />

der Anwenderzahl eines Systems modellierbar ist.<br />

Ein geeignetes Modellierungskonzept, das eine komplexe Darstellung des Zusammenwirkens<br />

von unterschiedlichen Basispräferenzen (Präferenzkräften) und kollektiv entstehenden Netzwerkexternalitäten<br />

(Konformitätskräften) bezüglich substitutiver Innovationen (Handlungszuständen)<br />

bei einer endlichen Anzahl von Individuen ermöglicht, scheint -einmahl wie-<br />

262 Woekener(1992b, S.9)<br />

Seite 64


der- die Mastergleichung zu sein:<br />

So geht man nun von einer endlichen und festen Anzahl zukünftiger Anwender A aus, so<br />

dass zu jedem Zeitpunkt gilt: A=X(t)+Y(t)+Z(t), mit X(t) als Zahl der Noch-Nicht-Anwender.<br />

Die Präferenzen der Anwender sind zunächst homogen und der Surplus, den ein einzelner<br />

zum Zeitpunkt t aus der Nutzung von System I bzw. System II zieht, sei a'+n*Y(t) bzw.<br />

b'+n*Z(t). Dabei sind a' und b" die Basisrenten für die hier gilt: a'>b'>0. Bei Sicherheit und der<br />

Möglichkeit zur Koordination würden alle Anwender sich infolge des für beide Systeme identischen<br />

marginalen Netzwerknutzens n auf Innovation I verständigen.<br />

Die Division durch die Gesamtanwenderzahl A führt zu den standardisierten, individuellen<br />

momentanen Gesamtrenten a+n*y(t) und b+n*z(t) mit a=a'/A und b=b'/A. Für die Prognostizierbarkeit<br />

des Ergebnisses der Systemkonkurrenz bei unkoordinierten Anwender-<br />

Entscheidungen unter beschränkter Information ist die Höhe der Basisrenten im Vergleich<br />

zum theoretisch maximal erreichbaren individuellen Netzwerknutzen n*A/a'=n/a entscheidend.<br />

Sein Wert dürfte von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein 263 .<br />

Die individuellen Übergangsraten sind linear steigende Funktionen des jeweiligen momentanen<br />

Surpluses, für Innovation I: p[Y(t)]=c'*[a'+n*Y(t)] bzw. p[y(t)]=c*[a+n*y(t)], mit c=c'*A;<br />

für Innovation II entsprechend q[z(t)]=c*[b+n*z(t)]. Dabei ist c' ein Maß des Niveaus der Diffusionsgeschwindigkeit.<br />

Über die Mastergleichung kann hieraus nun analog zu obigen Beispielen<br />

von Mastergleichungsmodellen die Entwicklung der konfiguralen Wahrscheinlichkeit<br />

P(y,z;t) abgeleitet werden.<br />

Während die ökonomische Herleitung relativ detailliert beschrieben wurde möchte ich mich im<br />

weiteren auf eine anschauliche Darstellung beschränken: Prinzipiell gleicht das Modell dem<br />

der Party, nur befinden sich alle Gäste nun anfangs in einer an beide Räume angrenzenden<br />

Vorhalle, wobei dieser Anfangszustand absolut sicher ist, also P(0,0;0)=1. Allmählich werden<br />

sie sich nun gemäß ihrer Präferenzen (Basisrenten) in die beiden Räume (auf die beiden Innovationen)<br />

verteilen, wobei dieser Übergang irreversibel ist. Hierdurch wird ein zusätzlicher<br />

Konformitätsdruck (Netzwerknutzen) aufgebaut, wodurch sich die Übergänge aus der Vorhalle<br />

(der Noch-Nicht-Anwender) beschleunigen. Da die Anzahl der Gäste (der Anwender insgesamt)<br />

aber begrenzt ist, wird sich die Attraktivitätszunahme zwar in immer weiter steigenden<br />

individuellen Übergangswahrscheinlichkeiten äußern, diese werden sich aber auf immer weniger<br />

Vorhallengäste (Noch-Nicht-Anwender) beziehen, und die absoluten Übergänge von<br />

dort werden immer geringer -daus Expansionstempo verlangsamt sich und führt schließlich<br />

zur Sättigung: Alle Gäste befinden sich in einem der beiden Räume (alle haben sich für eine<br />

der beiden Innovationen entschieden).<br />

Diese für Diffusionsprozesse typische Ansteckungslogik - hier speziell auf externe Anwendererträge<br />

zurückgeführt- gilt unabhängig vom konkreten Verlauf einer Realisierung des stochastischen<br />

Prozesses; der grundlegende „stylized fact“ einer sigmoiden Diffusionskurve wird<br />

263<br />

So wird er für Kommunikationssysteme sehr hoch, bei Unterhaltungselektroniksystemen mit Aufnahmefähigkeit hingegen eher gering sein; Vgl.<br />

Woekener (1992b, S.10)<br />

Seite 65


eproduziert.<br />

Ist der Diffusionsprozess bei y+z=1 abgeschlossen, so entsprechen die Wahrscheinlichkeiten<br />

der möglichen Endzustände der Endverteilung der Mastergleichung. Bei geringen externen<br />

Effekten wird eine Aufteilung gemäß der Basisrenten die bei weitem wahrscheinlichste sein,<br />

und die Entwicklung des Mittelwertes wird den wahrscheinlichsten Verlauf der Innovationskonkurrenz<br />

wiedergeben. Dies wird für nicht allzu große Verhältnisse n/a stets der Fall sein.<br />

Je größer aber der theoretisch maximale Netzwerknutzen n*A wird, desto größer wird die Varianz<br />

der immer noch unimodalen Endverteilung, bis schließlich an dem Punkt, an dem er das<br />

20fache der Basisrente a' erreicht, alle möglichen Endzustände gleichwahrscheinlich sind.<br />

Bei einer differenzierteren Modellierung des Diffusionsprozesses muss man davon ausgehen,<br />

dass sich die Produkteigenschaften im Verlauf des Diffusionsprozesses zunehmend konsolidieren<br />

und die Anwender diese zunehmend erlernen. Bei a>b (bei identischen Netzwerkgrößen)<br />

werden diejenigen, die sich für Innovation II entschieden haben, tendenziell dazu<br />

neigen, das Netz zu wechseln. Ebenso werden sie auf zunehmende Differenzen in den Netzwerkgrößen<br />

reagieren 264 .<br />

Kriterium des individuellen Wechsels ist im Modell die subjektive Einschätzung der Differenz<br />

der momentanen Anwenderrenten, die in dem Modell als D(Y,Z)=k'+n(Y-Z) (mit k'=a'-b' bzw.<br />

standardisiert d(y»z)=k+n(y-z)) definiert wird. Wird ein Netz erst einmal verlassen, so treten<br />

durch die damit implizierten Einbrüche auf dem Komplementärgütermarkt bandwagon-Effekte<br />

in umgekehrter Richtung auf 265 .<br />

Die Systemwechsel können als zusätzliche negative und positive Rückkoppelungen im Modell<br />

implementiert werden, indem man eine, von der Differenz der momentanen individuellen Gesamtnutzen<br />

abhängige, individuelle Wahrscheinlichkeit für einen Systemwechsel bestimmt.<br />

Die daraus abgeleiteten Wahrscheinlichkeitsflüsse der konfiguralen Übergangsraten werden<br />

auf der rechten Seite der Mastergleichung addiert, oder man lässt die Systemwechsel erst<br />

nach Abschluss des Erstwahl-Prozesses zu 266 . Die Folgen der Systemwechsel hängen davon<br />

ab, wie man die Abhängigkeit der individuellen Systemübergangsraten von d(y,z) spezifiziert,<br />

d.h. davon, welche Annahmen man über die dynamische Veränderung des Informationsstandes<br />

der Individuen trifft. Durch d(y,z) kommt dem Verhältnis zwischen Basisrentendifferenz<br />

und Netzwerknutzen eine entscheidende Bedeutung zu. Bei vollständiger Marktinformation<br />

können die Wahrscheinlichkeitsflüsse nur in eine Richtung, nämlich in die des Systems mit<br />

264<br />

Dies kann dazu fuhren, dass die Einzelnen individuell rational handeln, wenn sie auf das System mit der niedrigeren Basisrente, aber mit dem<br />

bei weitem größerem Netzwerk wechseln.<br />

265<br />

Die switching-costs von einem Netz ins andere zu gelangen (mindestens in Höhe der Anschaffungskosten) spielen natürlich auch eine Rolle. Sie<br />

werden im Modell aber nicht berücksichtigt, da der prinzipielle Selektionsmechanismus durch sie nur "entschärft" wird. Dazu trägt auch die<br />

Vorstellung bei, dass die Systeme geleast werden oder noch einen Gebrauchtwert besitzen; Vgl. Woekener (1992b, S.15).<br />

266<br />

^Um bei der Veranschaulichung durch die Vorstellung einer Party' zu bleiben: Es ist so als würde man bei Erreichen der Sättigungsphase<br />

(oder nach Abschluss des Erstwahl-Prozesses) eine Zwischentür zwischen den beiden Räumen öffnen, womit dann auch Wechselwirkungen zwischen<br />

ihnen stattfinden. Auch diese Wechselwirkungen sind wahrscheinlichkeitstheoretisch formuliert, da man nur von einer Annäherung an<br />

vollständige Marktinformation ausgeht. Solange sich noch Leute in beiden Räumen befinden, tritt neben die vertikale <strong>Selbstorganisation</strong> auch<br />

eine horizontale <strong>Selbstorganisation</strong>. Dieser Zeitraum, in dem beide Typen stattfinden, wurde von Woekener Koevolution genannt.<br />

Seite 66


dem höheren momentanen Gesamtnutzen, laufen 267 . Je nachdem, ab wann man den Systemwechselprozess<br />

(nach oder vor Abschluss des Erstwahlprozesses; vor oder in der Sättigungsphase)<br />

einsetzen lässt, und wie dieser abläuft (vollständige vs. unvollständige Marktinformation),<br />

werden verschiedene Endverteilungen erzeugt, über deren Effizienz sich wohlfahrtstheoretische<br />

Aussagen machen lassen.<br />

Grundsätzlich wird vollständige Information immer zur Selektion einer Innovation führen(y=1<br />

bzw.y=0). Diese kann bei hohem Netzwerknutzen wohlfahrtstheoretisch ineffizient sein. Bei<br />

unvollständiger Information sind je nach Annahmen sowohl Koexistenz- als auch Selektionsphänomene<br />

zu beobachten.<br />

Insgesamt kann man sagen, dass das Diffusionsmuster davon abhängt, wie schnell sich die<br />

Produkteigenschaften bzw. die Anwenderpräferenzen konsolidieren und die Nutzer Marktübersicht<br />

erhalten. Ist dies ein langer Vorgang, so wird auch die Koevolutionsphase wahrscheinlich<br />

ziemlich lang sein. Spätestens in der Sättigungsphase wird die Marktinformation<br />

umfassend sein, so dass es zur Selektion eines Systems kommen wird. Phänomene unvollständiger<br />

Marktinformation werden nur vorübergehende Phänomene sein. Auf jeden Fall gilt:<br />

Je geringer die Basisrenten-Differenzen und je größer die Netzwerk-Externalitäten sind, desto<br />

wahrscheinlicher wird ein ineffizientes Ergebnis der Selektion, also ein Ergebnis, das nicht<br />

wohlfahrtsoptimal ist.<br />

Bisher hatten die Innovationen aufgrund der Homogenitätsannahme für jeden den gleichen<br />

Basisnutzen, wodurch die Selektion der Innovation I (bei a>b) unabhängig davon, ob Netzwerk-Externalitäten<br />

vorliegen oder nicht, wohlfahrtsoptimal ist. Die Existenz externer Anwendererträge<br />

war wohlfahrtstheoretisch nur insofern von Bedeutung, als sie, bei zumindest anfangs<br />

unvollständiger Marktinformation, zur Selektion des Nicht-Surplusmaximalen Systems<br />

führen kann.<br />

Gibt es jedoch heterogene Präferenzen, so ist, wenn keine Netzwerkexternalitäten vorliegen,<br />

Koexistenz wohlfahrtsoptimal 268 . Dieses Phänomen lässt sich dann nicht mit mangelnder<br />

Marktinformation erklären. Sind jedoch in diesem Fall die Netzwerkexternalitäten groß, so<br />

wird bei Koexistenz nicht der über alle Anwender kumulierte Gesamtsurplus maximiert. Dies<br />

ist vor allem dann nicht zu ändern, wenn durch einen Wechsel zwar der kumulierte Gesamtsurplus<br />

erhöht wird, der individuelle Gesamtsurplus des Wechselnden jedoch zurückgeht, da<br />

er das eigentlich von ihm präferierte System verlässt 269 .<br />

Ob es bei dezentraler Wahl zu einer Standardisierung kommt und welches System dann se-<br />

267<br />

Hierzu ist zu vermerken, das die vollständige Marktinformation im Sinne vollständiger Kenntnis der Basisrenten (Produkteigenschaften und<br />

Preise) und der aktuellen Netzwerknutzen (Marktanteile) gemeint ist - nicht aber generell vollständige Information, z.B. bezüglich der zukünftigen<br />

Marktanteilsentwicklung, oder gar Kenntnis des gültigen Modells (rationale Erwartungen) ;Woekener (1992b, S.15).Das sich die Produkteigenschaften<br />

im Laufe des Diffusionsprozesses verändern, wird nicht berücksichtigt (obwohl diese Veränderungen laut Woekener (1992b,<br />

S.33) entscheidend sein können): Nicht die Veränderung der Basisrenten wird modelliert, sondern anfänglich vorhandene Informationsdefizite,<br />

die im Verlauf des Prozesses eliminiert werden.<br />

268<br />

Neben die vertikal Produktdifferenzierung (z.B. durch a>b) tritt hierdurch noch eine horizontale Produktdifferenzierung (z.B. a>b für Gruppe 1,<br />

a


lektiert würde, hängt von der Größe der verschiedenen Gruppen sowie der Bedeutung vertikaler<br />

Basissurplusdifferenz-Effekte ab. Letztere liegen im 2 Güter-2 Gruppen-Fall dann vor,<br />

wenn die Basissurplusdifferenzen zwischen den beiden Systemen in den Gruppen unterschiedlich<br />

sind.<br />

Woekener beschränkt sich in seinem Modell auf den reinen Präferenzkonflikt, der diese Faktoren<br />

nicht berücksichtigt. Hierbei werden für zwei gleich große Gruppen genau umgekehrte<br />

Basisrenten angenommen 270 . Der Diffusionsprozess wird zuerst ohne Berücksichtigung der<br />

Systemwechsler modelliert: Sind die individuellen Übergangswahrscheinlichkeiten wieder lineare<br />

Funktionen der momentanen Anwenderrenten, so wirken heterogene Präferenzen homogenisierend<br />

bezüglich der Marktanteile. Am wahrscheinlichsten ist ein Endzustand bei dem<br />

sich beide Gruppen gemäß ihrer Basisrenten aufteilen.<br />

Nun werden (wie oben) Systemwechsel berücksichtigt und die sich ergebenden Endverteilungen<br />

mit den insgesamt surplusmaximalen Endzuständen, welche die wohlfahrtstheoretischen<br />

Referenzzustände darstellen, verglichen. Je nach Verhältnis der Basisrenten zu jenem des<br />

theoretisch erreichbaren Netzwerknutzens ist dies entweder die Marktaufteilung (yl=y=0.5)<br />

oder einer der beiden Randzustände (y=l,z=0 ;y=0;z=l) 271 .<br />

Je nach Informationsannahme und den Vorgaben der Basisrenten und der Netzwerkexternalitäten<br />

sind verschiedenste Endverteilungen bzw. Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Endverteilungen<br />

reproduzierbar. Insgesamt hat das Marktergebnis im Falle heterogener Präferenzen<br />

eine Tendenz zur System-Koexistenz, obwohl bei der Existenz externer Anwendererträge<br />

nicht zu geringen Ausmaßes eine Standardisierung (System-Selektion) vorteilhaft wäre. Im<br />

Gegensatz zum Fall homogener Präferenzen kann also Systemkonkurrenz auch nach Konsolidierung<br />

des Marktes im Rahmen einer dauerhaften Koexistenz fortbestehen -spie tut dies<br />

gemessen am üblichen Wohlfahrtsoptimum sogar viel zu oft.<br />

Abschließend lässt sich vermerken, dass es durch dieses Modell möglich ist, eine Vielzahl der<br />

im Zusammenhang mit dem selbstorganisierenden Prozess der Diffusion von Innovationen in<br />

der Realität auftretenden Phänomene einheitlich zu formalisieren und mögliche Gründe für<br />

das Zustandekommen eines bestimmten Endergebnisses aufzuzeigen. Außerdem konnte<br />

über einen oder mehrere Referenzzustände die Wohlfahrtsoptimalität der möglichen Endzustände<br />

gemessen werden. Jedoch wurde Koordination der Anwenderseite sowie kompetitive<br />

oder kooperative Produzentenstrategien außer acht gelassen 272 . Zur Heraushebung der zentralen<br />

Mechanismen wurde auch die differenzierte Betrachtung des komplexen Netzwerk sozialer<br />

Systeme und somit eine differenzierte Betrachtung des Informationsflusses durch selbiges<br />

zugunsten eines allgemeinen Erklärungsansatzes vernachlässigt. Eine solche kam aber<br />

270 '"Der Fall nicht gleicher Gruppengrößen und nicht gleicher Basissurplus-Differenzen zwischen den beiden<br />

Gütern wird in Farell (1986) erläutert.<br />

271 Auch hier wieder das Partybeispiel: Die beiden Gruppen repräsentieren Männer und Frauen, die sich entweder an der Bar oder auf (an) der<br />

Tanzfläche sein können, wobei sie genau umgekehrte Präferenzen haben. Sind die Anwesenden weniger interessant, so ist die soziale Abhängigkeit<br />

kleiner und der wohlfahrttheoretisch optimale Zustand wird dadurch repräsentiert, dass die Mädchen tanzen, die Jungen an der Bar<br />

hocken. Sind sie sehr interessant, so wird, egal ob Bar oder Tanzfläche, eine Agglomeration an einem Ort wohlfahrtsoptimal sein.<br />

272 Mögliche Produzentenstrategien finden sich in David(1990), Katz (1985;1986), Arthur (1988a)<br />

Seite 68


immer mehr ins Blickfeld eines anderen Erklärungsansatzes der Diffusion von Innovationen,<br />

der auf der mikroskopischen Ebene in Schwellenwertmodellen, auf der makroskopischen<br />

Ebene in Kritische-Massen-Modellen seinen Ausdruck fand:<br />

5.2.2 Soziale <strong>Selbstorganisation</strong> durch kritische Massen und Schwellenwerte 273<br />

Die Diffusion einer Innovation 274 wird vom Prozentsatz der Anwender im individuellen persönlichen<br />

Netzwerk genauso abhängen wie vom Prozentsatz der Anwender im gesamten System<br />

275 . Sie wird durch das soziale System bestimmt, innerhalb dessen sie auftritt. Mit der<br />

Technik der Netzwerkanalyse wird die Struktur eines sozialen Systems analysiert, um die Art<br />

und Weise der gegenseitigen persönlichen Beeinflussung zu verstehen. Soziale Netzwerke<br />

können als Muster von Beziehungen, die zwischen den Einheiten in einem System existieren,<br />

betrachtet werden 276 . Solche Beziehungen können auf Freundschaft, Kommunikation oder<br />

anderen Arten von Beziehungen wie Rat, Unterstützung, Respekt u.a. basieren. Die Netzwerkanalyse<br />

hat auf drei Gebieten zur Erforschung der Diffusion beigetragen 277 :<br />

soziale Struktur<br />

strukturelle Äquivalenz 278<br />

individuelle Beeinflussung 279<br />

zu 1: Die soziale Struktur entspricht der Regularität der Beziehungsmuster, die zwischen den<br />

Einheiten eines Systems existieren und wurde lange als Schlüsselgröße der Rate und der Art<br />

der Diffusion angesehen. Sie schafft oder reflektiert Positionen und Regeln innerhalb eines<br />

sozialen Systems durch welche die Rate und Art der Diffusion bestimmt wird. Auf der Systemebene<br />

wird diese durch Netzwerkcharakteristika wie einem hohen Grad der Zentralisierung,<br />

der Verknüpftheit, der Dichte und/oder der Integration beschleunigt, durch die Existenz<br />

273 Im folgendem wird ein Modell von Valente (1991) vorgestellt, dass Schwellenwert- und Kritische Massen-Modelle miteinander verbindet und<br />

die Diffusion von Innovation als selbstorganisierenden Prozess modelliert. Dem Informationsfluss durch das Netzwerk sozialer Systeme, als<br />

welches die Gesellschaft weiter oben (von Heijl) definiert worden war, kommt eine besondere Bedeutung zu. Die Diffusion von Innovationen<br />

hängt hier nicht von Kosten/ Nutzenkalkülen ab, weder Kosten noch Nutzen wird explizit bestimmt, sondern von 'Anreizimpulsen', die innerhalb<br />

der Subsysteme bzw. innerhalb des Gesamtsystems verstärkt oder abgeschwächt werden. Sowohl das Durchschnittsverhalten in Gesamtsystem<br />

als auch das 'Einzelverhalten' in den Subsystemen sind hierbei entscheidend; der Diffusionsprozess wird durch soziale Abhängigkeiten zu einem<br />

selbstorganisierenden, nichtlinear beschreibbaren Prozess. Durch die Art der Modellierung eignet er sich nicht nur zur Darstellung der<br />

Diffusion, sondern der "Diffusion of Technologies and Social Behaviour"[siehe das gleichnamige Buch von Grübler (1991)] was von ähnlich<br />

aufgebauten Modellen sozialen kollektiven Verhaltens bestätigt wurde; Vgl. z.B. Schelling (1971;1972;1978). Die bisherige Diffusionsforschung<br />

sowie die innerhalb dieser stattgefundene Erforschung von Schwellenwerten und kritischen Massen wird in Valente (1991, S.5ff) zusammengefasst.<br />

274 Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Modellen wird die Diffusion nur einer einzigen Innovation modelliert, wie z.B. Faxgerät, Btx u.a.,<br />

wahrscheinlich unter anderem deswegen, weil die Unterschiede zwischen zwei substitutiven, konkurrierenden Innovationen nicht über Effizienz-<br />

oder Nutzenkriterien bestimmt werden können. Außerdem stellt die Diffusion einer Innovation einen Idealfall dar, dass sie eine per Definition<br />

(s.o.) neue Handlungsalternative darstellt, die vorher gar nicht zur Wahl stand. Obwohl der in folgenden aufgezeigte Erklärungsansatz<br />

zur Beschreibung der Diffusion von sozialem Verhalten prinzipiell ebenso geeignet ist, ist bei ihm eine solche Annahme der absoluten Erstmaligkeit<br />

nur schwerlich zu machen, außer in dem Fall, dass die soziale Verhaltensweise erst mit der Innovation entsteht (Telefonieren', Fernsehen',<br />

usw.).<br />

275 Vgl. hierzu und zum folgendem Valente (1991, S.1ff)<br />

276<br />

Ausführlich zu sozialen Netzwerken siehe Leinhardt (1977)<br />

277<br />

Vgl. Valente (1991, S.30ff)<br />

278<br />

Zur strukturellen Äquivalenz siehe auch Lorrain (1977)<br />

279<br />

Zum Beinflussungsfeld siehe auch Levine (1977)<br />

78<br />

Seite 69


von Sub-Gruppen oder „Weak-Ties“ 280 verlangsamt 281<br />

zu 2: Burt 282 vermutete, dass die Adoption (Übernahme einer Innovation) von der strukturellen<br />

Position im Netzwerk beeinflusst wird. Er zeigte, dass die Adoption von der individuellen Position<br />

(Status) in der gesellschaftlichen Hierarchie stärker beeinflusst wird als von anderen Gesellschaftsmitgliedern.<br />

Im speziellen machte er die Aussage, dass die Diffusion schneller unter<br />

Mitgliedern der Gesellschaft auftritt, die strukturell äquivalent sind. Die strukturelle Äquivalenz<br />

bezieht sich auf Individuen in einem Netzwerk, welche die gleiche oder eine ähnliche<br />

Beziehung zu verschiedenen anderen haben. Die reguläre Äquivalenz bezieht sich auf Individuen<br />

in einem Netzwerk, welche die gleiche oder ähnliche Beziehungen zu den gleichen anderen<br />

haben 283 .<br />

zu 3: Die individuelle Beeinflussung beschreibt das Ausmaß in, dem man durch die Interaktionsmuster<br />

im Netzwerk anderen Individuen ausgesetzt ist. Solche Modelle argumentieren,<br />

dass die individuelle Entscheidungsfindung von den Informationen abhängt, die man von denen<br />

bekommt, denen man ausgesetzt ist. Somit wird der Grad der Verknüpftheit des Einzelnen<br />

im Netzwerk sein Adoptionsverhalten beeinflussen. Die Verknüpftheit gibt die Anzahl der<br />

Personen an, mit denen man durch irgendeine Beziehung verbunden ist. Wenn ein Individuum<br />

mit sehr vielen Leuten verknüpft ist, die schon eine Innovation adoptiert haben, dann ist<br />

sein Ausgesetztseins-Grad hoch. Ob dies dazu führt, dass es auch adoptiert, hängt von dessen<br />

Schwellenwert ab.<br />

Der individuelle Schwellenwert ist die Anzahl der Personen, die ein Individuum bei einer bestimmten<br />

Verhaltensweise sehen muss, damit es überzeugt (gezwungen) wird, ein gleiches<br />

Verhalten an den Tag zu legen 284 . Man geht davon aus, dass die Individuen heterogene<br />

Schwellenwerte haben und dadurch auch verschiedene Adoptionszeitpunkte 285 .<br />

280 "the strength of a tie is a .combination of the amount of time, the emotional intensity, the intimacy (mutual confiding), and the reciprocal Services<br />

which characterize the tie" (Granovetter, 1978b, S.1361) . Das jedoch auch 'weak-ties' einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die<br />

Diffusion von Innovationen haben können, also insofern "The Strength of Weak Ties" untermauerte Granovetter (1978b) im gleichnamigen Artikel.<br />

281 Mit dem Zusammenhang von 'Social Structure and the Diffusion of Innovation' beschäftigte sich Mendez (1968) in ebendiesem Artikel. In seinem<br />

Modell "three successive steps are considered....(l) New information comes to individuals first from outside the Community through weak but<br />

viable Channels of communication; (2) subsequent flow of Information is accomplished through the same Channels, augmented by a flow of<br />

messages through 'local' channels;(3) innovation is passed from generation to generation, while the other Channels may continue to be operative.<br />

In accordance with this model, there are four major components of diffusion. The first is the intensity of the outside Stimulation and its distribution<br />

through time. Second is the distribution of receptive individuals in the social network which in tum depends both on the individuals<br />

proclivity toward change and on the fitness of the practice to the culture. The third component is the time lapse required for an adopter to<br />

transmit Information or otherwise exert innovative influences on other individuals. This..."absolute velocity" .will vary in accordance with the<br />

culturally-defined "urgency" of the innovation message. ..The final component to be considered is the pattern of interpersonal contacts through<br />

which information and other pressure for change travel"; ebenda (S.242).<br />

282 Vgl. Burt (1987<br />

283<br />

Burt (1987) zeigte, dass die Adoption unter Ärzten bei medizinischen Innovationen durch die strukturelle Äquivalenz bestimmt wird. Während<br />

ein 'Ansteckungsmodell' davon ausgeht, dass die Individuen von denen beeinflusst sind, mit denen sie in Kontakt treten, proklamiert die strukturelle<br />

Äquivalenz, dass die Individuen 'adoptieren', wenn sie sehen, dass dies Personen tun, zu denen sie strukturell äquivalent sind. "The diffusion<br />

of an Innovation among physicians" untersuchte auch Coleman (1977) im gleichnamigen Artikel<br />

284<br />

Solche Schwellenwertmodelle wurden z.B. von Granovetter (1978a, 1983, 1986) formuliert.<br />

285<br />

Auch viele von Schellings Modellen und/oder Beispielen für den Zusammenhang von 'micromotives and macrobehaviour' weisen die für Schwellenwertmodelle<br />

typische Ansteckungslogik auf. Z.B. die Vorstellung, dass in der Abenddämmerung ein Autofahrer sein Licht anmacht. Sieht nun<br />

ein entgegenkommender Autofahrer, der sozusagen den Schwellenwert 1 hat, diesen Fahrer, so reicht für ihn der Anblick eines erhellten Autos<br />

aus, um ebenfalls das Licht anzumachen. Dadurch ist es nun möglich, dass ein anderer Autofahrer mit Schwellenwert 2 auf zwei erhellte Fahrzeuge<br />

trifft und so 'gezwungen' wird, ihnen 'nachzueifern'; die Geschwindigkeit dieses Diffusionsprozesses' hängt natürlich in starkem Maße<br />

von der Dichte der Fahrzeuge in einem Gebiet ab, bei zu geringer Dichte (im Extremfall nur ein Autofahrer mit hohem Schwellenwert auf der<br />

Seite 70


Die Schwellenwertverteilung, welche den Anteil der Individuen in einem Sozialsystem mit<br />

niedrigen, mittleren und hohen Schwellenwert wiedergibt, beeinflusst demgemäß die Diffusion<br />

einer Innovation. Im Allgemeinen geht man von einer symmetrischen Verteilung aus<br />

(Abb.25a). Die Schwellenwertmodelle legen eine Dichtefunktion derart fest, dass das kumulative<br />

Adoptionsmuster eine S-Form hat, die Diffusion also einen sigmoiden Verlauf aufweist. In<br />

dem in der Abbildung gezeigten Beispiel wird ein anfänglicher Anwenderanteil von 40% keine<br />

Kettenreaktion bis zur Sättigung auslösen, da der erwartete Anteil von 40% Adoptern im Netz<br />

nur 33% wirklich adoptieren lässt, was dazu führt, dass immer mehr Teilnehmer (Adopter) das<br />

Netz (Innovation) verlassen (Abb.25b).<br />

Ein solcher anfänglicher Anwenderanteil von 40% kann aber auch ausreichen, um die anfänglichen<br />

Adopter im Netz zu halten. Ob ein Anfangsanteil einen Diffusionsprozess bis zur Sättigung<br />

anstößt, oder zu niedrig ist, so dass alle anfänglichen Anwender wieder aussteigen,<br />

hängt ausschließlich von der Schwellenwertdichtefunktion ab. Eine (im Gegensatz zur Normalverteilung)<br />

rechtschiefe Verteilung reflektiert, dass mehr Individuen niedrigere Schwellenwerte<br />

haben, also ein niedrigerer Anfangsanteil für eine erfolgreiche Diffusion ausreicht<br />

(Abb.26). Für eine linksschiefe Verteilung trifft das Gegenteil zu 286 .<br />

Abb. 26: Schwellenwertdichteverteilung erzeugt kumulatives Diffusionsmuster<br />

Straße) könnte sich der Prozess nicht bis zur Sättigung (100% erhellte Fahrzeuge) fortsetzen. Hieran sieht man, dass der Vergleich zu den hier<br />

behandelten Inovationsdiffusionen etwas hinkt, da zwangsläufig mit zunehmender Dunkelheit die Schwellenwerte gegen null konvergieren werden<br />

und alle das Licht anmachen, um überhaupt die Straße sehen zu können. Trotzdem wird auch hieran die reine Ansteckungslogik deutlich,<br />

welche die Schwellenwertmodelle beinhalten. Durch eine Handlung werden Kettenreaktionen ausgelöst, die entweder wieder absterben oder zu<br />

einem Durchbruch einer Handlungsweise führen.<br />

286 Mehr Individuen haben hohe Schwellenwerte, der Diffusionsprozess wird langsamer erfolgen. Wenn eine solche Verteilung stark linksschief ist,<br />

kann das bedeuten, dass die Noch-Nicht-Anwender erst 90% Anwender in ihrem persönlichen Netzwerk sehen müssen, bevor sie auch zur Anwendung<br />

der Innovation bereit sind. Der Innovator muß in einem solchen Falle erst einmal eine sehr große Zahl von anfänglichen Anwendern<br />

gewinnen, um den Diffusionsprozess dann sich selbst zu tiberlassen. Eine Sättigung wird dann nicht durch den Schwellenwertprozess alleine zu<br />

erreichen sein, sondern auch andere Beeinflussungsprozesse müssen in Gang gesetzt, Ober Medien, Werbung uä., und so die Schwellenwerte<br />

der Individuen reduziert werden; unter Umständen kann man so sogar eine rechtsschiefe Verteilung erzeugen; Vgl. Valente (1991, S.38ff)<br />

Seite 71


Die Schwellenwertdichteverteilung und das durch sie erzeugte kumulative Diffusionsmuster. Ober eine 'Schwellenwertdichtefunktion' wird<br />

die Verteilung der Schwellenwerte gegenüber einer Innovation angegeben, wobei die Höhe der Kurve keine wirkliche Interpretation hat.<br />

Abb. 27: Rechtsschiefe Schwellenwertdichteverteilung und ihr Diffusionsmuster<br />

Eine rechtsschiefe Schwellenwertdichteverteilung und ihr Diffusionsmuster. Bei 40% anfänglich erwartete Adopter reichen aus um den<br />

Diffusionsprozess bis in die Sättigung zu treiben.<br />

Seite 72


Der so simulierte Diffusionsprozess ist zwar einleuchtend, stellt aber eine starke Abstraktion<br />

der tatsächlichen Prozesse dar. So geht er davon aus, dass die Proportion von Anwendern<br />

zu Nicht-Anwendern in allen individuellen (persönlichen) Netzwerken gleich ist<br />

und von diesen in einer statischen Weise beeinflusst wird 287 : Nur durch die heterogenen<br />

Schwellenwerte gibt es unterschiedliche Adoptionszeitpunkte.<br />

In der Realität jedoch, die aus einem Netzwerk von differenzierten sozialen Systemen besteht,<br />

verändern sich die Anwender-Nichtanwender-Anteile im individuellen Netzwerk; das<br />

soziale Netzwerk strukturiert dabei den Beeinflussungsfluss und diktiert die Proportionen<br />

von Anwendern zu Nicht-Anwendern 288 . Um dieses zu antizipieren, kann eine neue Beschreibungsebene<br />

eingeführt werden, die des Ausgesetzt-Seins, welche die Stärke der<br />

Impulse auf den einzelnen misst. Diese verändern sich mit der Zeit, in der mehr und mehr<br />

Individuen adoptieren {vertikale Variation), je nach ihrer Stellung im sozialen Netzwerk<br />

(horizontale Variation). Schwellenwerte beschreiben dann den Ausgesetzt-Seins-Level,<br />

der notwendig ist, ein Individuum zu überzeugen, auch zu adoptieren 289 . Insofern spielen<br />

also zwei Dinge eine Rolle: Menschen mit niedrigen Schwellenwerten sind noch immer<br />

diejenigen, die früher adoptieren, aber Menschen die einer Neuerung in hohem Maße<br />

ausgesetzt sind, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihr individueller Schwellenwert<br />

287<br />

'Das heißt man geht davon aus, dass sich die Beeinflussung durch das persönliche Netzwerk in der Zeit nicht verändert (i.S., dass es keine<br />

Veränderungen des Verhältnisses von Anwendern zu Nichtanwendem im persönlichen Netzwerk gibt.) ,und nur der 'durchschnittliche' Gesamteinfluss<br />

das Adoptionsverhalten bestimmt. Somit adoptieren unabhängig vom persönlichen Netzwerk Individuen mit niedrigen<br />

Schwellenwerten früh, solche mit hohen Schwellenwerten spät; Vgl. Valente (1991, S.39)<br />

288<br />

Diese Abhängigkeit des Verhaltens des Einzelnen von seiner direkten persönlichen und nicht seiner gesamten Umgebung wird auch in<br />

Schellings Seggregationsmodellen reflektiert. Sein einfachstes Modell geht von einer 70 Häuser langen Straßenzeile aus, die von zwei,<br />

durch bestimmte Merkmale klar voneinander zu trennenden Gruppen (Rasse, Einkommen) aus, die durch Sterne und Punkte repräsentiert<br />

werden. Beide Gruppen sind gleich groß (je 35 Sterne und Punkte). Diese sind anfangs zufällig auf die Häuser verteilt:<br />

O 00 0 0 00 0 0 0 0 00 00 0 0 000 0 0 0 0 00<br />

O+OOO++O+OO++OO+++O++0++OO+++00+ + 00+ + 0+0+00+++O++OOO00+++OOO+OO++O+O++O<br />

Wenn nun die Nachbarschaft jedes Einzelnen durch die vier linksseitigen und die vier rechtsseitigen Bewohner definiert wird, und man annimmt,<br />

dass jeder zumindest die Hälfte dieser Nachbarn als von derselben Art wie er selber wünscht (also auf die inklusive ihm selber bezogenen<br />

Häuser eine Mehrheit seiner 'Art' ) , so werden alle für die dieses Minimalverhältnis nicht zutrifft unzufrieden sein und wechseln<br />

wollen. Die Unzufriedenen sind hier durch Punkte gekennzeichnet. Die nun stattfindenden Wechsel folgen einer einfachen Regel: Die Unzufriedenen<br />

bewegen sich zum nächsten Punkt, der ihrer Minimalforderung nach einer absoluten Mehrheit in der Nachbarschaft gerecht<br />

wird (Hier wird abstrahierend angenommen, dass sie sich inclusive ihres Hauses zwischen zwei andere Bewohner setzen können, und diese<br />

dann auseinanderrücken, was anschaulich eher der Vorstellung einer Reihe von Wohnwagen, statt einer Häuserzeile entspricht). Während<br />

dieser sequentiellen Bewegung der Unzufriedenen passieren zwei Dinge: Einige die zufrieden waren werden unzufrieden, da Nachbarn<br />

gleicher Art aus ihrer Nachbarschaft wegziehen, aber ebenso werden einige, die unzufrieden waren, nun durch den Zuzug gleichartiger<br />

Nachbarn zufrieden. Nach dem ersten Ablauf ergibt sich folgendes Bild:<br />

00000000++++0+++++++++0000++000+0+0+++0+++++++++0000000000000000+ +++++<br />

Die nun Unzufriedenen folgen der gleichen Regel, wodurch ein Gleichgewichtszustand (keiner will mehr wechseln) eneicht wird; die resultierende<br />

Konfiguration hat folgende Form:<br />

00000000++++++++++++++ + 0000000000++++++++++++ +++0000000000000000++++++<br />

(8) (15) (10) (15) (16) (6)<br />

Das Resultat sind Cluster, deren durchschnittliche Größe 12 Mitglieder beinhaltet. Erstaunlicherweise resultiert aus einer 'seeking-ratio' von<br />

fünf zu vier ein Verhältnis, welches größer als fünf zu eins ist. Diese selbstorganisatorischen Seggregationstendenzen sind bei verschiedensten<br />

Anfangskonfigurationen zu beobachten. Dieses sehr vereinfachte 'Schwellenwert'-Modell wurde von Schelling verfeinert und so<br />

konnten z.B. entstehende räumliche Verteilungsmuster in einem realistischeren 2-dimensionalen Modell simuliert werden. Die grundsätzliche<br />

Aussage, nämlich dass über solche wechselseitigen 'Ansteckungseffekte' makroskopische Muster bzw. Ordnungen entstehen, die vom<br />

einzelnen weder gewollt noch beabsichtigt waren, bleibt die gleiche. Außerdem wird auch in diesen Modellen das Verhalten des Einzelnen<br />

nicht von einer Systemgröße abhängig gemacht, sondern er reagiert auf Veränderungen seiner in direkt betreffenden Umgebung, hier also<br />

auf Veränderungen in der Nachbarschaft; Vgl. zu den hier angesprochenen Modellen Schelling (1978, S.147; 1971, S.149ff)<br />

289<br />

Zum Beispiel die Frage, ob man bei Rot über die Straße geht. Ob man sich dafür entscheidet, hängt sowohl von allgemeinen Kriterien ab<br />

(man geht wenn alle, die Hälfte, oder auch wenn keiner geht) als auch von speziellen Kriterien (man geht, wenn alle, die Hälfte, oder<br />

auch keiner der Freunde, Bekannten, Kegelbrüder, schönen Frauen geht). Wahrscheinlich ist man bei weitem stärker von letzteren beeinflusst;<br />

Vgl. Valente ( 1991, S.40)<br />

Seite 73


überschritten wird 290 .<br />

Das soziale Netzwerk entspricht der Struktur des sozialen Systems. Sie bestimmt den<br />

Grad des Ausgesetzt-Seins und der Schwellenwert bestimmt den Zeitpunkt der Adoption<br />

291 .<br />

Abgesehen von den interpersonellen Einflüssen gibt es auch auf der Makroebene einen<br />

rückkoppelnden Einfluss: die kritische Masse. Sie wird über den Anteil von Anwendern zu<br />

Nichtanwendern im gesamten betrachteten System bestimmt (gibt also das gewichtete<br />

Durchschnittsverhältnis aller individuellen Systeme an). Allgemein ist die kritische Masse<br />

die Minimalanzahl von Teilnehmern, die benötigt wird, um eine kollektive Aktivität aufrechtzuerhalten<br />

292 . In Diffusionsmodellen wird sie oft (z.B. von Valente) an dem Punkt als erreicht<br />

angesehen, an dem die Anzahl der neuen Anwender maximal ist (die erste Ableitung<br />

der Diffusionsfunktion hat dort ein Maximum) 293 .<br />

Im engsten Sinne muss die kritische Masse mit den ersten Anwendern erreicht, der Anfangswert<br />

also größer oder gleich der kritischen Masse sein 294 . Somit jeden Anfangswert<br />

eines erfolgreichen Diffusionsprozesses als kritische Masse zu definieren, würde aber<br />

wohl kein Erkenntnisfortschritt sein. Vielmehr muss der kritischen Masse eine eigenständige<br />

Bedeutung zugemessen werden, welche sie klar von der des Anfangswertes trennt.<br />

Dies ist unter der Annahme von einer während des Diffusionsprozesses invarianten (sich<br />

nicht ändernden) Schwellenwertverteilung, welche die Adoptionsraten über die dynamische<br />

Veränderung der Ausgesetzt-Sein-Levels beschreibt, aber nicht möglich.<br />

290<br />

"To be sure> individuals with low thresholds are still early adopters, however, individuals with high exposure are more likely to meet their<br />

threshold. Thus, high exposure is associated with early adoption, but is contingent on a low threshold"; Valente (1991 , S.41)<br />

291<br />

Vgl. Valente (1991.S.41)<br />

292<br />

Teilnehmer können Menschen, Organisationen, Nationen oder andere Einheiten sein. Bei der Aktivität kann es sich um Innovationsdiffusion,<br />

aber auch um andere kollektive Handlungen wie Marktanteile, öffentliche Meinung, oder auch der Stadion-, Theater- oder Zoobesuch<br />

bzw. eine Pokerpartie sein. Vgl. Valente (1991, S.45f) Bei der Betrachtung der Diffusion von ökonomischen Innovationen, d.h. Innovationen,<br />

die den Produzenten auch Geld einbringen sollen und die oftmals Systemcharakter haben, "critical mass can be defined at least in<br />

terms of its economics" (D.Allen,1988, S.258) . Das heißt die kritische Masse kann im Fall von steigenden Skalenerträgen auf Anbieter-<br />

(sinkende Stückkosten) und Abnehmerseite (Netzwerkexternalitäten) zumindest als der Punkt bezeichnet werden, ab dem der Produzent<br />

kostendeckend produzieren kann bzw. Profit macht.<br />

293<br />

Die Anzahl der neuen Anwender steigt, bis die kritische Masse erreicht ist, und nimmt dann ab. Bei einem logistischen Diffusionsprozess<br />

befindet sie sich im Allgemeinen genau auf halbem Wege. Das Sinken der absoluten Anzahl der neuen Anwender nach Erreichen der kritischen<br />

Masse wird auch hier zum Teil durch die immer mehr sinkende Anzahl von Noch-Nicht-Anwendern erklärt; Vgl. Valente (1991,<br />

S.46). Unglücklicherweise impliziert die Definition aber auch, dass auch nicht erfolgreiche Innovationen 'ihre' kritische Masse erreicht<br />

haben. Dem kann man aber aus dem Wege gehen, indem man unter Diffusionsprozessen keine Misserfolgsentwicklungen subsumiert, da<br />

es bei ihnen gar nicht zu einer Diffusion kommt.<br />

294 /<br />

Dies lehnt sich an die physikalische Definition der kritischen Masse als "kleinste Masse an Spaltstoff in der eine Kettenreaktion von Kernspaltungen<br />

ohne äußeren Einflüsse aufrechterhalten bleibt" [Dtv ( Bd. 10, S.163)] an. Wenn man sich weniger mit der Fragestellung beschäftigt,<br />

wie die Dynamik eines Diffusionsprozesses allgemein zu beschreiben ist und wann, wie und mit welcher Wahrscheinlichkeit in<br />

ihr eine kritische Masse überschritten wird, sondern sich eher auf die praktische Untersuchung empirisch beobachteter Diffusionsprozesse<br />

beschränkt, ist eine solche Definition jedoch recht brauchbar. Dann interessiert vor allem die Unterscheidung zwischen einem Anfangszustand,<br />

in dem direkt eine größere Gruppe von Adoptern an den Markt treten muß und dem Endzustand der 100%tigen Adoption,<br />

die, wenn ersterer eine kritische Masse' überschritten hat, dann durch allmähliche Eintritte von Noch-Nicht-Anwendern in den Markt erreicht<br />

wird. Der Anfangszustand kann dann Objekt einer strategischen Beurteilung werden, anhand von ihm kann untersucht werden,<br />

"what distinguishes the successful ..(innovations ).from those that sputter and fail to become realized"; D. Allen (1988, S.257). So beschäftigte<br />

sich z.B. D. Allen (1988) mit der Installierung von neuen interaktiven Netzwerken, deren Erfolg (Minitel) bzw. Misserfolg (Btx)<br />

er an ihren jeweiligen spezifischen Anfangszuständen festmachte. Demgemäß schrieb er: "Much of our recent understanding about the<br />

demand for networks has been based on experience with relatively mature tele-communications Systems. However, a start-up network<br />

faces a special circumstance that differs in one key respect from the mature network. Since the fundamental raison d'etre of a network is<br />

to connect people, a new network by its very nature requires a group o subscribers if it is to start-up. This need for the critical mass group<br />

surely distinguishes the startup from the mature System. A mature system has necessarily moved beyond that point in its development<br />

where a critical mass has initial assembled"; Ebenda (S.257).<br />

Seite 74


Dies wirft die Frage auf, inwiefern die kritische Masse die Schwellenwerte beeinflusst bzw.<br />

inwiefern sich die Schwellenwertverteilung überhaupt ändert:<br />

Vor dem kritischen Punkt ist eine Adoption riskant und nur Individuen, bei denen hohe<br />

Ausgesetztseinsgrade auf niedrige Schwellenwerte stoßen werden wahrscheinlich adoptieren.<br />

Jenseits der kritischen Masse wird sie nicht mehr als riskant angenommen und die<br />

Schwellenwerte sinken. Größeres Risiko lässt die Schwellen anwachsen, niedrigeres Risiko<br />

lässt sie sinken.<br />

Hiermit wird ein Mikro-Makro-Link etabliert. Ausgesetzt-Sein-Levels und Schwellenwerte<br />

sind Konstrukte auf der Mikroebene, welche die individuelle Informationsumwelt charakterisieren.<br />

Die kritische Masse ist ein Konstrukt auf der Makroebene, welches das Diffusionsmuster<br />

eines sozialen Systems charakterisiert. Der Systemparameter Kritische-Masse<br />

bestimmt die soziale Effizienz einer Innovation und entscheidet so über Erfolg oder Misserfolg<br />

derselben. Er wird aber auf der Mikroebene durch die Wechselwirkungen von<br />

Schwellenwert- und Ausgesetztseinsverteilung erzeugt 295 . Ein Schwellenwert-Kritische-<br />

Massen-Modell muss versuchen, beiden Einflüssen Rechnung zu tragen 296 .<br />

Obwohl diese Betrachtungsweise der Diffusion von Innovationen als selbstorganisierender<br />

Prozess, der aus der wechselseitigen Beeinflussung verschiedener Aggregationsebenen<br />

entsteht, einleuchtend ist, erweist sich die Modellierung angesichts der Komplexität<br />

des Netzwerk von sozialen Systemen als äußerst schwierig. Auf jeden Fall muss zwischen<br />

externer (Individuum System) und interner Beeinflussung (Individuum persönliches<br />

Netzwerk) unterschieden werden.<br />

Externe Beeinflussungsmodelle beschreiben Diffusionsprozesse, die durch eine externe<br />

Kraft wie Massenmedien, strukturellen Wandel, und ähnliches angetrieben werden. Da<br />

interne gegenseitige Beeinflussungen durch interpersonale Kommunikation, die zusätzliche<br />

selbstverstärkende Prozesse erzeugen können, nicht berücksichtigt werden, ist bei<br />

ihnen der Anfangswert (seed-value) oftmals mit dem der kritischen Masse gleichzusetzen.<br />

Gemischte Beeinflussungsmodelle, die von extern angestoßener und unterstützter Diffusion<br />

sowie internen, innerhalb der persönlichen Netzwerke in Gang gesetzten, Diffusionen<br />

ausgehen, sind wahrscheinlich in den meisten Fällen realistischer.<br />

Letztere jedoch stellen den Modellbauer vor ein Modellierungsproblem. Da jedes Individuum<br />

gleichzeitig Mitglied in verschiedenen sozialen Systemen ist, und die persönlichen<br />

Netzwerke verschiedener Individuen so gut wie nie völlig deckungsgleich sein werden,<br />

können auch keine geschlossenen und in sich homogenen Subgruppen gebildet werden.<br />

295 “There is a dynamic interaction between the individual-level threshold and the system-level critical mass point, and between the critical<br />

mass and thresholds. Micro-level processes occur at the individual level of analysis. Personal efficacy, attitudes, and behaviour are examples<br />

of variables involved in micro-level processes. Macro-level processes occur at a System level of analysis. Societal efficacy, attitudes<br />

and behaviour are examples of variables involved in macro-level processes"; Valente (1991, S.51).<br />

296 Das Ausgesetztsein bestimmt, wann eine kritische Masse erreicht wird, indem es den Informationsfluss über eine Innovation strukturiert.<br />

Wenn Individuen mit niedrigen Schwellen auf hohe Ausgesetztseinsgrade treffen, dann beschleunigt sich die Rate der Diffusion und eine<br />

kritische Masse wird erreicht. Wenn diese kritische Masse erreicht wird, senken sich (im Durchschnitt) die Schwellen, und niedrigere<br />

Grade des Ausgesetztseins reichen aus, um sie zur Adoption zu bewegen: Es gibt also eine dynamische Interaktion zwischen Mikro- und<br />

Makroebene. Somit ist der Begriff der <strong>Selbstorganisation</strong> auch in diesem Erklärungsansatz gerechtfertigt.<br />

Seite 75


So wird es angebracht sein, die Subgruppen über eine spezifische Wirkungsbeziehung zu<br />

definieren, z.B. gemäß struktureller Äquivalenz. Solche Subgruppen können unterschiedliche<br />

Kritische-Massen-Punkte haben, d.h. die kritische Masse kann für eine Subgruppe<br />

schon erreicht sein bevor andere Subgruppen bzw. das ganze System seine kritische<br />

Masse erreicht 297 . Die so als Mitglied einer bestimmten Subgruppe aufgrund von Ansteckungseffekten<br />

(chain-reactions, die durch einen gegenüber dem Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung<br />

erhöhtem Aussetzungsgrad verursacht sind) und/oder dem Erreichen<br />

einer gruppenspezifischen kritischen Masse (die zu einer Senkung der Schwellenwerte<br />

innerhalb der Subgruppen-mitglieder führt) zur Adoption gezwungenen Individuen werden<br />

dann als Mitglied anderer Subgruppen dort den Ausgesetztheitsgrad der Mitglieder erhöhen<br />

und u.U. dadurch auch dort zu einem Erreichen einer für diese Gruppe spezifischen<br />

Kritischen-Masse führen, usw. 298 .<br />

Dieser unendlich verschachtelte Prozess, der ausgehend von heterogen verteilten<br />

Schwellenwerten und Ausgesetztheitsgraden zu einer asymmetrischen Entwicklung selbiger<br />

in der Zeit führt, kann in einem Überwinden der globalen kritischen Masse enden: Die<br />

Innovation erhält globale soziale Akzeptanz und geht von einer novelty in eine necessarity<br />

über 299 , wodurch kollektiv die Schwellenwerte gesenkt werden 300 . Hierdurch wird der Diffusionsprozess<br />

oftmals bis zur Sättigung getrieben (annähernd 100% Adopter).<br />

Eine Implikation dieser dynamischen Mikro-Makro-Hypothese ist, dass die Sättigung vor<br />

Erreichen der globalen kritischen Masse vermieden werden kann, während sie nach Erreichen<br />

der kritischen Masse fast nicht mehr zu verhindern ist 301 -aber damit gilt auch umgekehrt,<br />

dass durch Anfangswerte unterhalb der kritischen Masse Prozesse in Gang gesetzt<br />

werden können, die zu einem Erreichen derselben führen. Somit kann zwischen<br />

seed-value und kritischer Masse unterschieden werden.<br />

In einem Modell kann die ganze Komplexität der ablaufenden Prozesse nicht antizipiert<br />

297 So demonstrierte D. Allen (1988, S.262f), dass die kritische Masse für bestimmte Videotextservice von Minitel schon erreicht wurde, bevor<br />

dies auch bei anderen bzw. dem ganzen System der Fall war.<br />

298 Diese wechselseitige Beeinflussung, die dem Individuum die für selbstorganisatorische Prozesse typische Doppelrolle als 'Reizaddressat<br />

und 'Öffentlichkeit' zuweist wurde von D. Allen (1988, S.260) bezogen auf die Verbreitung von Minitel folgendermaßen beschrieben: "It<br />

seems likely that individuals base their choice on what they expect the others to decide. Thus, the individual's effort to decide hinges upon<br />

'watching the group'- the other members in the Community of actual/potential subscribers- to discern what the group choice may be. ..The<br />

outcome for the group then turns literally upon everybody, watching while being watched."<br />

299 D. Allen (1988), der sich mit der Verbreitung der Innovation 'Videotext', bzw. Minitel beschäftigte schreibt hierzu: "The new network<br />

begins as an innovation and a curiosity, but if in time it does succeed, it is transformed and becomes a necessity, entrenched in the habits<br />

of the subscribing group, The incremental steps (*der Diffusion und damit der Erwartungen bezüglich des Erfolges der Innovation (Anmerkung<br />

des Autors)) can lead, in other words, to a larger shift in outlook that considers as necessary what was earlier viewed as novelty.<br />

Thus what begins as an attempt at a new network (such as videotext) may become a new orthodoxy in Communications... .The shift from<br />

novelty to necessity- the larger-scale discontinuity in expectations- creates, in other words, a sense of new value"; Ebenda (S.262)<br />

300 Anknüpfend an obiges Beispiel von an der Ampel stehenden Menschen, kann der Effekt des Überwindens einer 'regionalen' kritischen<br />

Masse und der so implizierten Übergang einer Handlungsweise von einer novelty zu einer necessarity zwar nicht sehr präzise, dafür aber<br />

sehr plastisch deutlich gemacht werden. Wenn zwei Omis, fünf Kegelbrüder, sowie 10 weitere voneinander unabhängige Personen in<br />

Freiburg vor einer roten Ampel stehen, so werden die Kegelbrüder ihr Verhalten voneinander abhängig machen und wenn drei von ihnen<br />

gehen, wird der 'Ausgesetztsseinsgrad' für die zwei Verbleibenden wahrscheinlich so hoch, dass sie auch gehen. Die 10 Anderen werden,<br />

wenn über die weak-ties, die sie untereinander und mit den fünf Gehenden verbinden, ausreichend starke Impulse auf sie auswirken, unter<br />

Umständen in einer Kettenreaktion auch zum Gehen 'gezwungen' werden. Die Omis aber werden auf kernen Fall gehen, da ihre Schwellenwerte<br />

viel zu hoch sind: Die 'regionale' kritische Masse ist in Freiburg noch nicht überwunden. In Hamburg hingegen hat der Übergang<br />

des Bei-Rot-über-die-Ampel-Gehens' von einer novelty zu einer necessarity schon längst stattgefunden, und nach eigener Beobachtung<br />

ist es selbst für ältere Damen der Normalfall, unabhängig von dem, was die anderen machen, die Straße bei Rot zu überqueren<br />

301 Vgl. Valente(1991, S.59)<br />

Seite 76


werden, trotzdem sollten in einem solchen zumindest die grundlegenden Mikro-Makro-<br />

Wechselwirkungen reflektiert werden: Es ist eher der Prozentsatz der relevanten Anderen,<br />

der die Schwellenwerte der Individuen beeinflusst, als die absolute Anzahl der Adopter<br />

bzw. deren Prozentsatz im Gesamtsystem 302 . Die Schwellenwertverteilung und die Verteilung<br />

der Ausgesetztseinsgrade wirken sich auf die kritische Masse aus 303 , wobei im Verlauf<br />

der Diffusion zwei Prozesse interagieren:<br />

Zum einen wird es im Laufe der Zeit, wenn mehr und mehr Individuen adoptieren, für alle<br />

Individuen wahrscheinlicher, dass die steigenden Ausgesetztseinsgrade ihre persönlichen<br />

Schwellenwerte übersteigen: Die Verteilung der Ausgesetztseinsgrade wird von einer<br />

rechtsschiefen zu einer linksschiefen Verteilung.<br />

Zum anderen werden durch die frühen Anwender Erfahrungen über die Innovation gesammelt,<br />

die - anderen vermittelt- im positiven Falle zu einem Senken der Schwellenwerte<br />

der Noch-Nicht-Anwender führen 304 ; wird eine kritische Masse erreicht, so führt auch dies<br />

zu einem Senken der Schwellenwerte und eine derart im Zusammenspiel mit steigenden<br />

Ausgesetztheitsgraden beschleunigte Adoptionsrate wird die Innovation so gut wie vollständig<br />

diffundieren lassen 305 .<br />

Der Schwellenwertverteilung und ihrer Entwicklung in der Zeit kommt eine entscheidende<br />

Bedeutung zu. So kann eine Schwellenwertverteilung:<br />

302<br />

Vgl. Valente(1991, S.56)<br />

303<br />

Vgl. Valente(1991, S.57)<br />

304<br />

Vgl Valente(1991, S.59)<br />

305<br />

"The interaction between a lowering of the threshold, and a rise in exposure levels increases the rate of adoption" ;Valente (1991, S.58);<br />

"As the diffusion process progresses, resistance to adoption decreases, and simultaneously exposure levels increase. The interaction results<br />

in individuals meeting their threshold of adoption, and adopting."; Valente,1991, S.62). Der Unterschied zwischen der hier aufgezeigten<br />

Betrachtungsweise und der Betrachtungsweise einer reinen Ansteckungslogik lässt sich anhand einer von Granovetter (1978a)<br />

diskutierten hypothetischen Situation von 100 Aufrührern deutlich machen. Bei normalverteilten Schwellenwerten - im Sinne von: Person<br />

1 hat Schwellenwert 1, Person 2 hat Schwellenwert 2 usw.- wird ein Aufruhr, wenn er erst einmal 'angestoßen' ist, in einem graduellen<br />

Prozess wachsen, bis schließlich alle sich an dem Aufruhr beteiligen. Im Schwellenwert/Kritische-Masse-Modell initiieren ein paar Menschen<br />

einen Aufruhr und erzeugen so für einige andere einen 'Ausgesetztheitsgrad' von 10,20, oder 30 Prozent. Die Menschen, bei denen<br />

die 'Ausgesetztseinsgrade' besonders hoch sind, werden sich an dem Aufruhr beteiligen. Hierdurch werden die 'Ausgesetztsheitsgrade'<br />

weiter steigen und mit diesem Anstieg werden einige potentielle Aufrührer ihre Schwellen senken, was wiederum die Diffusionsrate beschleunigt,<br />

usw. Die Situation wird dann gemäß der Interaktion von ansteigenden Ausgesetztheitsgraden und sinkenden Schwellen 'kritisch',<br />

und der Aufruhr wird nur noch schwierig oder gar nicht mehr zu stoppen sein.<br />

Seite 77


im Zeitverlauf konstant bleiben<br />

sinken<br />

steigen<br />

sinken und dann steigen<br />

steigen und dann sinken 306<br />

Der letzte Fall stellt wohl die interessanteste Variante dar, da sie zum einen in vielen Fällen<br />

zutrifft, in denen Innovationen unsicher, zweifelhaft und risikoreich sind, und zum anderen,<br />

weil sich in diesem Fall Schwellenwerte und kritische Massen am stärksten beeinflussen 307 . Nachdem<br />

eine gewisse Zahl von Individuen anfänglich bereit ist, eine solche Innovation zu adoptieren,<br />

werden die Schwellenwerte der anderen dann steigen, wenn sie ihre Entscheidung auf Basis<br />

von, aus interpersoneller Beeinflussung stammender, Information treffen. Sie werden auf die<br />

Erfahrungswerte warten, die mit der Zeit von den anfänglichen Risikonehmern gesammelt<br />

und über die persönlichen Netzwerke vermittelt werden. Da jede Innovation eine Bedrohung<br />

in Form einer Veränderung des gewohnten Laufs der Dinge darstellt (Konservativismus<br />

sozialer Systeme 308 ), wird ihr im Verlauf der Wartezeit eher mit erhöhtem Widerstand<br />

begegnet, als dass eine stabile oder neutrale Reaktion zu erwarten ist 309 .<br />

306<br />

Für jeden dieser fünf Fälle lassen sich mögliche verhaltenstheoretische Erklärungen finden. Wahrscheinlich wird sowohl die Schwellenwertverteilung,<br />

als auch ihre Entwicklung in der Zeit in starkem Maße vom Charakter der Innovation abhängen. Ebenso werden Erwartungen<br />

der Noch-Nicht-Anwender, die wahrscheinlich in hohem Maße von der subjektiv wahrgenommenen Verbreitung der Innovation im<br />

persönlichen wie im gesamten sozialen Netzwerk abhängen, eine große Rolle spielen. Ein typischer Fall konstanter Schwellenwerte ist die<br />

Verbreitung eines Virus, wie z.B. des AIDS-Virus (wie schon angemerkt ist das Modell auch auf die Verbreitung einer bestimmten sozialen<br />

Verhaltensweise, oder auch einer Krankheit anwendbar). Die individuelle Resistenz gegenüber dem Virus (der Schwellenwert) ändert<br />

sich im Zeitverlauf nicht. Sinkende Schwellenwerte sind oftmals bei der Diffusion einer Innovation mit sehr hohem Netzwerknutzen zu beobachten,<br />

bei denen die Produkteigenschaften keinen Unsicherheitsfaktor darstellen. So kann man annehmen, dass bei der Verbreitung<br />

des Fax-Gerätes, deren Produkteigenschaften sich schon sehr früh konsolidiert hatten, die Schwellenwerte im Verlauf seiner Verbreitung<br />

kontinuierlich gesunken sind bzw. noch sinken. Voraussichtlich wird es in absehbarer Zeit auch in privaten Händen einen gleichberechtigten<br />

Platz neben dem Telefon und der Post einnehmen (die kritische Masse in der 'Subgruppe' der Geschäftsleute hat es schon vor nicht<br />

allzu langer Zeit überwunden und ist dort zu einer absoluten Notwendigkeit geworden). Sinkende Schwellenwerte können über einen gewissen<br />

Zeitraum hinweg auch über die Preispolitik des Unternehmers erzeugt werden: So wird bei neuen Konsumgütern der Schwellenwert<br />

des Einzelnen in starkem Maße vom Preis derselben abhängen. Dies machen schon die z.B. beim Eintritt einer neuen Zeitschrift in<br />

den Markt anfangs geforderten Einführungspreise' deutlich. Hat sie sich erst einmal am Markt etabliert, so wird durch weitere synergetische<br />

Effekte erzeugte Schwellenwertsenkungen (Gewohnheit; räumliche und zeitliche Verfügbarkeit; hohe Auflage, die dann auch eine<br />

entsprechend große Redaktion und damit auch eine höhere 'Qualität' impliziert usw.) die dann erfolgende Schwellenwerterhöhung durch,<br />

auf ein zumindest kostendeckendes Niveau, steigende Preise mehr als kompensiert. Steigende Schwellen sind entweder dadurch zu erklären,<br />

dass eine anfangs unsichere, aber von anderen anfangs als prinzipiell zukunftsträchtig angesehene, Innovation im Zeitverlauf als<br />

immer unbrauchbarer beurteilt wird ,und/oder dass sie, was insbesondere für Systeminnovationen mit hohem Netzwerknutzen zutrifft, die<br />

in sie gesteckten Erwartungen bezüglich ihrer Verbreitung nicht erfüllt, wodurch mit der Zeit immer mehr abspringen und so die 'Ausgesetztheitsgrade'<br />

sinken, wie auch die Schwellen ob der enttäuschten Erwartungen steigen. Ein Beispiel für enttäuschte Erwartungen bezüglich<br />

der Produkteigenschaften ist mit Abstrichen der Versuch der Durchsetzung von Elektroautos; ein Beispiel für enttäuschte Erwartungen<br />

bezüglich der Verbreitung ist der Versuch der Durchsetzung von Btx. Das diese beiden Komponenten meistens nicht voneinander<br />

zu trennen sind macht eben die erfolglose Diffusion von Btx deutlich. Während bei einer steigenden Anwenderzahl durch learning-bydoing<br />

Effekte, bzw. beim Btx-System durch ein in Abhängigkeit von der steigenden Anwenderzahl immer größeres und vielfältigeres Angebot<br />

an Dienstleistungsservicen und an potentiellen Kommunikationspartnern, positive Rückkopplungen bezüglich der Schwellenwerte<br />

der Noch-Nicht-Anwender auftreten werden, werden bei einer sinkenden Anwenderzahl in Abhängigkeit von dieser sowohl die angebotenen<br />

Dienstleistungsservice (Produkteigenschaften bzw. Produktnutzen) als auch der Netzwerknutzen und die Erwartungen bezüglich der<br />

zukünftigen Verbreitung negative Rückkopplungen auf die Schwellen der Noch-Nicht-Anwender auslösen. Eine solche Schellenwertentwicklung<br />

wird den Diffusionsprozess wahrscheinlich zur Erfolglosigkeit verdammen. Ein Beispiel für zuerst sinkende und dann steigende<br />

Schwellenwerte sind Moden, wie Petticoats, Kotletten, u.a. Anfangs sinken die Schwellen, d.h. je mehr Menschen man sieht, die dieser,<br />

von einem selber als 'chic' empfundenen, Mode folgen, desto mehr sinkt die eigene Hemmschwelle und desto wahrscheinlicher ist es, dass<br />

man beim nächsten mal, wenn man mit dieser Mode konfrontiert wird, ihr auch folgt. Mit der Zeit jedoch findet man sie immer langweiliger<br />

und so steigen die Schwellen wieder.<br />

307<br />

Vgl Valente (1991, S.64f)<br />

308<br />

Zu "Theories of Personal and Collective Conservatism" siehe Kuran (1988), Hejl (1990, S.327ff)<br />

309<br />

Vgl. Valente (1991, S.66) Ein Beispiel ist eine neue Saatkornart, deren Effizienz anfangs unsicher ist, und deren Erprobung von den Farmern<br />

die Bereitstellung eines genügend großen Landstückes erfordert. Folglich werden die Farmer anfänglich hohe Schwellen haben. Einige<br />

das Risiko in Kauf nehmende Farmer [vielleicht nach dem Motto: "IF YOU DONT DO IT, NOBODY ELSE WILL"; Vgl. zu einer<br />

möglichen verhaltenstheoretischen Begründung den gleichnamigen Artikel von Oliver(1984)] werden das Experiment machen und so das<br />

Seite 78


Das Schwellenwert-Kritische-Masse-Modell nimmt an, dass vor Erreichen der kritischen<br />

Masse ein hohes 'Ausgesetztsein' für die Adoption notwendig ist, da die Schwellen anfangs<br />

sehr hoch sind, viel höher als das durchschnittliche Ausgesetztsein. Mit der Zeit<br />

sinken die Schwellen relativ zum Ausgesetztsein, steigen aber absolut, bis eine kritische<br />

Masse erreicht wird. In diesem Punkt ist die absolute Zahl der neuen Adopter am höchsten.<br />

Danach sinken die Schwellen, und der Diffusionsprozess läuft bis in die Sättigungsphase<br />

310 . Unter diesen Annahmen über den Diffusionsprozess modellierte Valente selbigen<br />

am Computer, wobei ihm durch Feinabstimmungen sowohl bezüglich der Dynamik<br />

der Schwellenwertverteilung als auch bezüglich der Art von Beeinflussung und der Art der<br />

Netzwerkstruktur, unter Referenznahme von empirisch beobachteten bzw. theoretisch<br />

hergeleiteten Diffusionskurven, zum Teil recht gute Beschreibungen gelangen.<br />

Interessant ist an diesem Erklärungsansatz die der Synergetik ähnliche Betrachtungsweise.<br />

Der individualistische Ansatz der Schwellenwertmodelle wird mit dem holistischen Ansatz<br />

der Kritischen-Masse-Modelle auf eine synergetische Art und Weise miteinander verknüpft.<br />

Wenn man von vielen gruppenspezifischen kritischen Massen, die allmählich in<br />

der Zeit sukzessive erreicht werden, ausgeht, wird die Analogie zur synergetischen Betrachtungsweise<br />

eines, sich durch das Verhalten der mikroskopischen Einheiten herausbildenden<br />

und dann stabilisierenden, makroskopischen Ordners noch deutlicher.<br />

5.3 Individualismus, Holismus und Synergetik<br />

Allgemein kann der Erklärungsansatz der selbstorganisatorischen (hier in Form der synergetischen)<br />

Sichtweise folgendermaßen von dem der individualistischen oder gar holistischen<br />

Sichtweise unterschieden werden: Die Vertreter eines individualistischen Ansatzes<br />

schneiden aus dem Interdependenzgeflecht Einheiten als Aktoren heraus, geben diesen<br />

Handlungsmöglichkeiten und Bewertungsschemas und lassen sie in Wechselwirkung treten.<br />

Unter der Annahme rationalen Verhaltens der Individuen ergeben sich dann auf der<br />

kollektiven Ebene konsistente Handlungsgleichgewichte 311 . Die Vertreter eines holistischen<br />

Ansatzes hingegen lassen das Interdependenzgeflecht intakt, konservieren es, geben<br />

ihm Namen wie System, Ganzheit oder Struktur und ernennen es zum Handlungsträ-<br />

neue Saatkorn auch in die persönlichen individuellen Netzwerke einführen. Hiernach werden jedoch die Noch-Nicht-Anwender ihre<br />

Schwellen heben, da das Risiko, welches sie sonst vielleicht sogar in Kauf genommen hätten, nun verlagert ist, und abwarten, welche Erfahrungen<br />

die 'Tester' mit dem Saatkorn machen werden. Erweist sich das Experiment als erfolgreich, stellt sich also eine gewisse Erfolgsgarantie<br />

ein, so werden die 'Noch-Nicht-Anwender' ihre Schwellen senken.<br />

310<br />

Vgl. Valente (1991, S.71)<br />

311<br />

Ziel des individualistischen Ansatzes ist es, jegliches Systemverhalten auf die Handlungen der Individuen zu reduzieren: Hierbei werden<br />

bestimmte Präferenzen und Handlungsalternativen unterstellt, und es wird untersucht, unter welchen Bedingungen ein Gleichgewicht<br />

existiert. Dieses kann ein Marktgleichgewicht oder auch ein spieltheoretisches Gleichgewicht sein. Die Gleichgewichte sind vor allem<br />

durch eine Kompatibilität der rationalen Erwartungen gekennzeichnet. Diese fuhrt zu einer Kompatibilität der einzelwirtschaftlichen Pläne,<br />

um die es in der Ökonomie vordringlich geht; Vgl. Schmidtchen (1990, S.83). Ob ein solcher Gleichgewichtszustand überhaupt realistisch<br />

ist, sei dahingestellt (siehe hierzu das nächste Kapitel). Das jedoch auch die Stabilität der Präferenzen unterstellt wird, wie auch,<br />

dass eine instantane, simultane Anpassung an das (die) Gleichgewichte) stattfindet, also eine Koordination a-priori angenommen bzw.<br />

dem Koordinationsprozess keine Bedeutung zugemessen wird, wirft Zweifel auf. Während im individualistischen Ansatz Präferenzen und<br />

Gleichgewichte hervorgehoben werden, werden die Prozesse der Präferenzbildung, der Koordination und des Handeln in der Zeit vernachlässigt.<br />

Dies führt zu einem weitgehendem Verzicht sowohl auf die (modelltheoretische) Formalisierung von Interaktionen als auch<br />

auf die Betrachtung von anderen Ordnern als nur dem des Preises. Besonders bei der Erklärung evolutionärer Prozesse kommt der individualistische<br />

Ansatz in Beweisnot, da sowohl die Definition der Präferenzen als auch die Produktionsfunktionen ihre Aussagekraft verlieren;<br />

Vgl. Weise (1990, S.54ff)<br />

Seite 79


ger 312 . Um zu funktionieren und zu überleben muss ein System bestimmten Erfordernissen<br />

genügen, deren Erfüllung gleichsam die Handlungen des Systems darstellen 313 .<br />

Anders ausgedrückt betrachtet der holistische Ansatz als letzten, nicht weiter erklärbaren<br />

Ordner das Systemverhalten selbst, dieses wird als Wirkungsgröße betrachtet, die alle<br />

Individuen versklavt. Hingegen nimmt -in dem Versuch jegliches Kollektivverhalten mit<br />

individuellem Rationalverhalten in Übereinstimmung zu bringen- der individualistische Ansatz<br />

die individuellen Präferenzordnungen als Wirkungsgrößen an, denen die gesamte<br />

Güterwelt untergeordnet ist, wobei alle Koordinationen derart schnell verlaufen, dass das<br />

Systemverhalten immer gleichgewichtig ist 314 .<br />

Der synergetische Ansatz ist viel gröber als der individualistische Ansatz, aber viel differenzierter<br />

als der holistische Ansatz und erlaubt es, als eine Art mittlerer Ansatz beide<br />

miteinander zu verbinden. "Er betrachtet wie der holistische Ansatz eine Vielfalt von Ordnern,<br />

koppelt diese aber auf individuelles Verhalten zurück, und geht wie der individualistische<br />

Ansatz von Individuen aus, betrachtet aber Interaktionen auf verschiedenen Ebenen<br />

statt quasi isolierter Individuen und <strong>Selbstorganisation</strong> über viele Ordner bei sequentiellem<br />

Handeln statt quasi isolierter Individuen und <strong>Selbstorganisation</strong> über viele Ordner<br />

statt <strong>Selbstorganisation</strong> über Preise bei simultanen Handeln zu Gleichgewichtspreisen." 315<br />

312 Der holistische Ansatz beschreibt die Größen, die zu einer Anpassung des individuellen Verhaltens an gesellschaftliche Zwänge führen.<br />

"Zwang, Herrschaft, Sprache, Symbole, Kommunikation, Struktur, Systemerfordernis und anderes mehr sind die Vehikel zur Versklavung<br />

der Personen. Wesentlich beim holistischen Ansatz ist demnach die Darstellung dieser Zwangsfaktoren und der entsprechenden Vermittlungsprozesse,<br />

unwesentlich ist die Beschreibung der Personen selber und die selbstorganisatorische Erzeugung dieser Zwänge durch ihre<br />

Interaktionen"; Vgl. Weise (1990, S.56).<br />

313 Der holistische Ansatz spielt vor allem in der Soziologie eine Rolle, während in der Ökonomie nur vereinzelt, beispielsweise die Kommunikation<br />

zwischen Kapitalkoeffizient und Lohnquote in den Blickpunkt einiger Makroökonomen gerät; Vgl. Weise (1990, S.8f<br />

314 Vgl. Weise(1990, S.46ff)<br />

315 Ebenda(S.46)<br />

Seite 80


6. Spontane Ordnung in sozioökonomischen Systemen =<br />

<strong>Selbstorganisation</strong> = Evolution?<br />

"It is certainly true that an actual economy will be changing all the time."<br />

J.R. Hicks 316<br />

Während bisher anhand von Modellen, deren Gegenstand vor allem die selbstorganisatorische<br />

Herausbildung einzelner Ordner war, jeweils spezifische Phänomene in sozioökonomischen<br />

Systemen simuliert wurden, stellt sich nun die Frage, welches Bild der sozioökonomischen<br />

Entwicklung und der in ihr ablaufenden Prozesse in ihrer Gesamtheit aus<br />

dem Erklärungsansatz der <strong>Selbstorganisation</strong> -etwas überspitzt ausgedrückt: welches<br />

'Weltbild' aus ihm resultiert.<br />

Dies wird schon in obigem Zitat, in dem von einer "<strong>Selbstorganisation</strong> über viele Ordner"<br />

die Rede ist, angedeutet: Durch ein dynamisches Wechselspiel der mikroskopischen und<br />

der makroskopischen Ebene wird eine Vielfalt von Ordnern erzeugt und aufrechterhalten.<br />

Diese Ordner beeinflussen sich wiederum gegenseitig, wobei man zwischen langsamen<br />

und schnellen Größen auf verschiedenen Zeitebenen unterscheiden kann 317 . Die Ordner<br />

sind im Verhältnis zu den individuellen Handlungen vergleichsweise stabil und wenig veränderlich<br />

318 . Da sie sehr viel langsamer variieren als die individuellen Verhaltensweisen,<br />

scheint es so, als ob sie ein Eigenleben führten 319 . Der Tatsache, dass auf jeder Ebene<br />

ein Gesamtverhalten emergiert, welches mehr ist als die Summe der individuellen Handlungen,<br />

kann man -wies im Hauptteil dieser Arbeit gezeigt wurde- mittels einer synergetischen<br />

Modellierung gerecht werden. Aber konnte mit den Modellen auch die Evolution<br />

des bzw. eines sozioökonomischen Systems dargestellt werden, ist also <strong>Selbstorganisation</strong><br />

gleich Evolution?<br />

316 Zitiert in Lehmann (1992.S.93)<br />

317 Vgl. Weise (1990, S.46) Über diese verschiedenen Zeitebenen kann man eine Hierarchie von Ordnern auf verschiedenen Zeitebenen definieren,<br />

wie z.B. : Natur>


Abstrakt ausgedrückt evolviert ein sozioökonomisches System "indem es sich selbst reproduziert<br />

und seine Elemente variiert" 320 . Praktisch ausgedrückt sind im sozioökonomischen<br />

System immer sowohl Interaktionen mit negativem Feedback, d.h. Interaktionen,<br />

die sich auf ein Gleichgewicht zu bewegen, als auch Interaktionen mit positiven Feedback,<br />

d.h. Interaktionen, die sich wechselseitig verstärken und ein Gleichgewicht aufbrechen,<br />

gegenwärtig. Letztere können zu Phasenübergängen und damit zu Herausbildung<br />

neuer bzw. anderer Strukturen führen. Für die Beschreibung sozioökonomischer Evolution<br />

scheinen die Interaktionen bei negativen und positiven Feedbacks sowie Größen unterschiedlicher<br />

Anpassungsgeschwindigkeit entscheidend zu sein, womit sich Evolution als<br />

Anpassungsprozess verstehen lässt, bei dem sich sehr schnelle Variablen an die schnellen<br />

Variablen anpassen, diese an die langsameren, usw." 321<br />

Diese selbstorganisatorische Sicht der Dinge wirft die Frage auf, warum dieser Anpassungsprozess<br />

ständig abzulaufen scheint, aber trotz der fortwährenden Anpassung immer<br />

Ungleichgewichte im System präsent sind, ohne dass jemals ein globales Gleichgewicht<br />

bzw. ein globaler Attraktor erreicht wird. Dies ist um so verwunderlicher, da ja auch komplexere<br />

Attraktoren als der einfache traditionelle Fall eines Fixpunktattraktors mit in die<br />

Betrachtung einbezogen werden, die obendrein noch als Fließgleichgewichte charakterisiert<br />

werden können.<br />

Natürlich verändert sich die Umgebung der Subsysteme während des Anpassungsprozesses<br />

- anders als bei der biologischen Evolution, bei der die Anpassung an eine gegebene<br />

Umwelt geschieht- wodurch das sich entwickelnde System durch die Präferenzkräfte<br />

möglicherweise dieser gegenüber immer weniger effizient angepasst ist. Dann ziehen Präferenzkräfte<br />

und Konformitätskräfte in eine andere Richtung, das Systemverhalten wird fragil,<br />

und durch exogen oder endogen verursachte Störungen kann es zu Katastrophen kommen.<br />

Trotzdem müsste sich, nachdem das System über solche Fluktuationen seine Stabilität<br />

in einem gewissen Sinne getestet, bzw. über durch diese ausgelöste Umorganisationsprozesse<br />

seine Stabilität erreicht hat, eine makroskopische Ordnung einstellen, die<br />

durch Gleichgewichte oder Fließgleichgewichte gekennzeichnet ist, deren Zustand oder<br />

Entwicklung in der Zeit eine geschlossene Darstellung ermöglichen 322 .<br />

Der Zustand eines totalen Gleichgewichtes stellt hierbei den Referenzzustand dar, der<br />

320 Weise(1990, S.51)<br />

321 Ebenda (S.51ff); die Time-Lags' zwischen den Ebenen werden am Beispiel der Natur besonders deutlich. Erst heute antwortet das ökologische<br />

System auf die Neuerungen der letzten Jahrzehnte im Wirtschaftssystem, nämlich mit Ozonlöchern, Waldsterben usw. und initiiert so<br />

einen neuen Anpassungsprozess, der auch den Charakter der Innovationen und somit die Richtung' der zukünftigen Evolution bestimmt.<br />

322 Das dies auch aus ökonomischer Sichtweise eine Fiktion ist vermerkte auch Day (1987, S.46f):"Unfortunately, simple dynamic behaviour<br />

is not exhibited by typical economics of record. Instead they exhibit complex dynamics: irregular fluctuations; overlapping waves of development<br />

and structural change; and institutional change and evolution. If there where a tendency for economics to converge to simple<br />

dynamic paths within a fixed institutional framework, none of this would be important, because the departure from balanced growth or<br />

cycles would eventually abate. Theories of the steady State and of cycles would approximate with ever greater accuracy the path of actual<br />

events, and society would settle down once and for all to a fixed organizational structure. But this too is not the case. If anything, the pace<br />

of change has accelerated with the advance of human progress; the duration of growth and decay periods have shortened correspondingly.<br />

Fluctuations have dampened for a time, only to erupt again in even wider Swings; in spite of the remarkable growth in Statistical<br />

methods of estimation, progress in forecasting is negligible at best. Economic change is as erratic, or even more so, than ever." In seinem<br />

Artikel führt er eine Reihe von Argumenten auf, die stark mit der Synergetik zusammenhängen: Die Ökonomie ist für ihn ein komplexes<br />

Anpassungssystem, wobei Gehorsam, Imitation, die Bildung von Gewohnheiten und Experimentation die Basis für diesen Anpassungsprozess<br />

bilden.<br />

Seite 82


scheinbar nie erreicht wird. Im mikroökonomischen Sinne des allgemeinen Gleichgewichts<br />

liegt ein totales Gleichgewicht dann vor, wenn sich "alle Wirtschaftssubjekte im Dispositions-<br />

und alle Märkte im Marktgleichgewicht" 323 befinden. Die Gleichgewichte reflektieren<br />

eine Kompatibilität aller einzelwirtschaftlicher Pläne. "Kompatibilität ist dabei definiert als<br />

Abwesenheit von Entscheidungsirrtümern, die sich ex post entweder als Enttäuschungen<br />

(nicht erfüllte Erwartungen) oder als Bedauern (nicht genutzte bessere Gelegenheiten)<br />

von Entscheidungen niederschlagen" 324 . Wenn sowohl Enttäuschungen als auch Bedauern<br />

in den Märkten vorhanden sind, ist dies ein Hinweis auf Ungleichgewichte 325 . Wie gezeigt<br />

wurde, können diese an anfänglich unvollständiger Information liegen, auf Basis derer<br />

natürlich auch falsche Erwartungen gebildet werden.<br />

Geht man von einer gewissen, sich nicht ändernden objektiven Informationsmenge aus,<br />

so ist der Konvergenzprozess auf ein Gleichgewicht als der Prozess der immer weiter zunehmenden<br />

subjektiven Information, der schließlich in einer Deckungsgleichheit von subjektiver<br />

und objektiver Information endet, beschreibbar. Der Konvergenzprozess auf ein<br />

Gleichgewicht zu ist dabei meistens dann nicht eindeutig, wenn während seines Ablaufes<br />

wechselseitige Bindungen zwischen den beteiligten Individuen herrschen. In solchen Fällen<br />

werden Konformitätskräfte bzw. Antikonformitätskräfte, Fluktuationskräfte, Präferenzen<br />

und sequentielles Handeln in der Zeit eine Rolle spielen 326 . Geht man außerdem realistischerweise<br />

davon aus, dass die subjektive Informationszunahme nicht simultan erfolgt,<br />

werden die gegenseitigen Beeinflussungsprozesse noch offensichtlicher. Jeder orientiert<br />

sich am Verhalten der relevanten Anderen, genauso wie er ein Großteil der Information<br />

von ihnen erhält. Das bedeutet, dass sich Individuen mit unvollständiger Information an<br />

Individuen mit unvollständiger Information orientieren, die sich wiederum an Individuen mit<br />

unvollständiger Information orientieren...usw.<br />

Ist die objektive Information gegeben und fest, so wird sie allmählich durch das Netzwerk<br />

der sozialen Systeme als subjektiv neue Information hindurch diffundieren und Verhaltensänderungen<br />

implizieren. Dieser Prozess dauert an, bis alle Individuen in einem gewissen<br />

Sinne vollständige Information über ihre Handlungsmöglichkeiten und Handlungsrestriktionen<br />

erlangt haben, und gegenüber diesen ihre optimale bzw. zufrieden stellende<br />

Wahl treffen 327 , was zu Gleichgewichten auf allen Märkten (Kompatibilität der individuellen<br />

Handlungen) führt 328 .<br />

Die Einschränkung 'in einem gewissen Sinne' bezieht sich auf die Tatsache, dass die<br />

Vorstellung vollständiger Information auf beiden Marktseiten eine reine Fiktion ist, schon<br />

323<br />

Dichtl (1987,Bd.2, S.735)<br />

324<br />

Schmidtchen (1990.S.83)<br />

325<br />

Zum Versuch "The General Theory of Disequilibrium Economics and of Economic Evolution" zu begründen, siehe Day (1987) im gleichnamigen<br />

Artikel.<br />

326<br />

Die anfänglich unvollständige Information verbunden mit externen Effekten wurden in Woekeners Modell dargestellt.<br />

327<br />

Zur verhaltenstheoretischen Kontroverse über die Motivationsproblematik: Optimierendes vs. zufrieden stellendes Verhalten, siehe Witt<br />

(1987, S.139fF) Zu ersten formalen Implementierungen der 'satisfying'- Hypothese in Modellen siehe z.B. Winter (1971)<br />

328<br />

In Witt's Modell z.B. käme es dann auf jedem Markt zu einem Zusammenfallen von Ober- und Untergrenze; mit einer eindeutigen bestpractice<br />

wird ein über ein Preis-Qualitäts-Verhältnis eindeutig bestimmtes 'optimales' Gut produziert und nachgefragt.<br />

Seite 83


da die menschliche Aufnahmefähigkeit gegenüber dem Ausmaß der riesigen Informationsmenge<br />

beschränkt ist 329 . Vielmehr läuft die Aussage vollständiger Information darauf<br />

hinaus, dass an keiner Stelle des sozioökonomischen Systems mehr eine Information eine<br />

Verhaltensänderung auslöst 330 . In den Märkten ist dann alle Information im Preis enthalten<br />

und auch Kirzners findiger Unternehmer - der Arbitrageur- findet kein Betätigungsfeld<br />

mehr bzw. sichert bei Abweichungen eine Rückkehr auf die Gleichgewichtspfade (negative<br />

Rückkopplung) 331 .<br />

Aus der selbstorganisatorischen Sicht organisiert sich das sozioökonomische System<br />

über eine endliche Anzahl von möglichen Handlungszuständen selbst, wobei mehr oder<br />

weniger stochastische Informationsflüsse, die durch das soziale Netzwerk strukturiert<br />

werden, mit positiven und negativen Rückkopplungen interagieren, und so der Systemverlauf<br />

einen spezifischen Entwicklungspfad beschreibt: Aus der Vielfalt der möglichen Entwicklungspfade<br />

wählt das System über Fluktuationen seine spezifische Geschichte. Allmählich<br />

stabilisiert sich die entstehende selbstorganisierende sozioökonomische Struktur,<br />

wodurch sich mehr und mehr die Umwelt der jeweiligen Subsysteme (Randbedingungen)<br />

stabilisiert. Die Ordner verfestigen sich, Institutionen, Moral, Tabus, Städtestrukturen, Einkommensverteilungsstrukturen<br />

usw. entstehen. Unter den nun mehr und mehr gegebenen<br />

Handlungsrestriktionen und Handlungsmöglichkeiten trifft das Individuum auf den Märkten<br />

unter vollständiger Marktinformation nun seine Wahl, wobei der Preis seiner Koordinationsaufgabe<br />

als einfacher reagierender Ordner gerecht wird und Gleichgewichte auf allen<br />

Märkten schafft: Da die einzelwirtschaftlichen Pläne nun miteinander kompatibel sind, gibt<br />

es keine Enttäuschungen, und da es vollständige Information bezüglich der nicht genutzten<br />

Gelegenheiten gibt, gibt es kein Bedauern. Was man unter den sozialen und den ökonomischen<br />

Zwängen für möglich und optimal bzw. zufrieden stellend hält, erweist sich als möglich<br />

und optimal bzw. zufrieden stellend: Das Individuum passt sich den durch das sozioökonomische<br />

Beeinflussungsfeld erzeugten Zwängen an. Diese können mehr und mehr<br />

internalisiert werden, was einer Transformation von äußeren Zwängen in innere Zwänge<br />

entspricht; das, was für den Einzelnen möglich ist, entspricht dann dem, was er sich<br />

wünscht. Wenn dies für alle Individuen gilt, kann man von einem totalen Gleichgewicht im<br />

engeren Sinne sprechen. Einem solchem würden hochgradig stabile individuelle Verhaltensmuster<br />

entsprechen 332 .<br />

Ein wie gerade beschriebener Anpassungs- und Entwicklungsprozess ist im Prinzip über<br />

selbstorganisatorische Modelle beschreibbar. Unter einer objektiv gegebenen (möglicherweise<br />

im Verlauf des Prozesses zum Teil erst später subjektiv von den Individuen wahrgenommenen)<br />

Anzahl von Handlungsmöglichkeiten 'evolviert' ein sozioökonomisches<br />

329 Zu den Beschränkungen in Informationsaufnahme und -Verarbeitung siehe Witt (1987, S.127ff)<br />

330<br />

Wie Witt (1987, S.150) es ausdrückte: "Dabei ist klar: Jede Anpassung durch Lernen (Wissen) und Gewöhnung (Präferenzen) müsste<br />

irgendwann enden, wenn nicht immer wieder neue Anstöße erzeugt würden und sich ausbreiteten."<br />

331<br />

Zu Kirzners Theorie des Arbitrageprozesses siehe Witt (1987, S.71ff)<br />

332<br />

"Origins of ...behavioural regularities can be, on the one hand, preferences, the internal behavioural constraints, or, on the other forces<br />

brought about through man's network of interdependence. These forces are a result of the active Cooperation of man and at the same time<br />

provide for the regularity of this Cooperation. A portion of these forces-in total equilibrium all of them- express themselves as internal<br />

behavioural constraints within the individuals and stabilize the external forces:'Conscience is social angst"',Brandes,1990, S.175<br />

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System in der Zeit, indem es sich über diese Handlungsmöglichkeiten hinweg selbst organisiert.<br />

Kann man jedoch überhaupt z.B. bei über die Mastergleichung simulierten Entwicklungsprozessen,<br />

bei Siedlungsstrukturmodellen oder bei 'Jahrgangsmodellen ' von<br />

Evolution reden? Diese Frage wird in der Literatur konträr beantwortet und hängt eng mit<br />

der Definition von Evolution zusammen.<br />

Ein Erklärungsansatz, der deswegen interessant ist, weil eine im Kern verhaltenstheoretische<br />

Begründung mit einer im Kern ökonomischen Begründung verknüpft wird, stammt<br />

aus der Institutionenökonomik: "The central mechanism responsible for societal evolution<br />

in institutional economic theory is the process of instrumental valuation" 333 .<br />

Diese Theorie behauptet, dass die Menschen die Güter, Dienstleistungen und Situationen<br />

am höchsten bewerten und somit wollen und wünschen, die ihr persönliches oder kollektives<br />

Wohlbefinden möglichst groß werden lassen. Derartige Güter, Dienstleistungen oder<br />

Situationen werden zu Zielen, die mit verschiedenen Mitteln verfolgt werden. Der Satz von<br />

möglichen Zielen und Mitteln jedoch ist zu jeder Zeit in erster Linie von der gegenwärtigen<br />

Technologie bestimmt 334 .<br />

Gemäß dieser Theorie evolvieren sozioökonomische Systeme, wenn ihre Individuen mit<br />

Hindernissen bei der Erreichung ihrer Ziele konfrontiert werden. Wenn das der Fall ist, setzen<br />

sie Wissen und Vernunft ein, um das Problem zu lösen und erhöhen so den Technologielevel<br />

der Gesellschaft 335 . Der so erweiterte Satz der möglichen Ziele und Mittel ändert<br />

333 Radzicki (1990, S.60)<br />

334 Dies impliziert, dass unter den gegebenen Technologien der Satz von möglichen Zielen und Mitteln endlich ist, was wiederum impliziert,<br />

dass es eine gewisse objektive endliche Information über die Handlungsmöglichkeiten der Individuen gibt. Hierdurch erfährt meine oben<br />

aufgestellte ad-hoc-Hypothese einer gegebenen objektiven Information seine Begründung. Evolution wird gemäß Faber (1990, S.3) folgendermaßen<br />

beschrieben: "In our view the key characteristics of evolution are (1) change and (2) time". Da diese in dem hier dargestellten<br />

Kontext keine faktische Aussagekraft besitzen, denn das eine wie das andere stellen ja gerade Schlüsselcharakteristika aller in dieser<br />

Arbeit betrachteten Phänomene dar, halte ich mich hier an Witt: "Um dem folgenden eine möglichst allgemeine, von Analogien unabhängige,<br />

Definition zugrunde zulegen, soll hier von einer evolutionären Theorie gesprochen werden, wenn drei Kriterien erfüllt sind. Die<br />

Theorie ist dynamisch, d.h. sie hat eine in der Zeit ablaufende Entwicklung zum Gegenstand. Der Theorie liegt das Konzept der irreversiblen,<br />

historischen Zeit zugrunde, d.h. sie bezieht sich auf Entwicklungen, die eine zeitlich nicht umkehrbare Richtung aufweisen. Die<br />

Theorie erklärt, wie es zu Neuerungen in den untersuchten Entwicklungen kommt und welche allgemeinen Einflüsse sie haben, d.h. sie<br />

formuliert Hypothesen über das zeitliche Verhalten von Systemen, in denen Neuerungen auftreten und sich ausbreiten."[Witt (1987, S.9)].<br />

Insbesondere das dritte Kriterium erfährt in der von mir dargestellten Sichtweise besondere Aufmerksamkeit. Hierzu lege ich eine einfache<br />

Definition nach Witt (1987, S.18) zugrunde: "Eine Neuerung ist die Einführung einer zuvor zumindest im betrachteten Zusammenhang<br />

von einem Individuum oder eine Gruppe von Individuen nicht angewendeten Handlungsmöglichkeit." Sowohl Entstehung als auch<br />

Ausbreitung einer Neuerung sind Bestandteil der sozioökonomischen Evolution. Während die Ausbreitung (wie gezeigt wurde) als selbstorganisatorischer<br />

Prozess, in dem eine objektive Neuerung als subjektive Neuerung durch das Netzwerk sozialer Systeme diffundiert, beschreibbar<br />

ist, beinhaltet die Entstehung die eigentliche Problematik, da die Neuerung sowohl allen Individuen als auch dem wissenschaftlichen<br />

Betrachter zuvor unbekannt ist, also eine zuvor nicht antizipierbare Handlungsmöglichkeit die sozioökonomische Evolution<br />

bestimmt. Sie "verändert u.U. die Menge der zuvor bekannten, möglichen Zustände in einer...nicht positiv antizipierbaren Weise"[Witt<br />

(1987, S.25)] bzw. schafft objektiv neue Information: "Gemeint ist der Umstand, dass die in objektiven Neuerungen enthaltende Information<br />

definitionsgemäß vor ihrem Eintreten nicht bekannt ist und nicht positiv antizipiert werden kann"; Witt(1987, S.21).<br />

335 Hier stellt sich natürlich die Frage: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Führt die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand<br />

zu vermehrten Anstrengungen, den Satz der Möglichkeiten zu erweitern und somit zur Entwicklung neuer Technologien? Oder ist es die<br />

Kreativität, die, angetrieben von den Anreizmechanismen einer komplexen, marktwirtschaftlichen, sozioökonomischen Gesellschaft, über<br />

die Entwicklung neuer Technologien zur Erhöhung der möglichen Ziele und Mittel führt? Dann ist es der erhöhte Satz der Möglichkeiten,<br />

der neue von den Individuen als höher bewertete Ziele ermöglicht und hierdurch eine Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand<br />

schafft. Diese Frage ist nicht beantwortbar, in der Realität spielen wohl beide Prozesse eine Rolle. "Es ist zwar intuitiv einleuchtend, dass<br />

nicht alle objektiven Neuerungen den gleichen Überraschungswert haben...; das Spektrum reicht von Neuerungen, die als Lösung eines<br />

bekannten, präzise definierten Problems schon lange erwartet worden sind, bis zu unvermittelten, aus dem gegebenen Kontext heraus<br />

nicht nahe liegenden, neuen Aktivitäten, die z.B. durch Wechsel der Bezugs- oder Abstraktionsebene gewonnen wurden. Ex ante lässt sich<br />

jedoch nicht sagen, wo in diesem Spektrum eine noch nicht eingetretene Neuerung angesiedelt sein wird", Witt(1987, S.21) Für die konzeptionelle<br />

Betrachtung ist vor allem wichtig, dass durch eine Erhöhung des Technologielevels einer Gesellschaft Anpassungsreaktionen,<br />

die sich in Um- oder Neustrukturierungen äußern, ausgelöst werden. Dies zeigt sich auch an den geschilderten Siedlungsstrukturmodellen<br />

von Allen. Für den Simulationsablauf ist es egal, ob die Orte bei Übersteigen einer gewissen Einwohnerzahl eine 'neue' höherwertige<br />

Seite 85


auch die relativen Bewertungen der Individuen und damit das, was von ihnen erwünscht<br />

wird.<br />

Diesen technologisch induzierten Veränderungen in den Bewertungen und Zielen stehen<br />

jedoch oftmals die traditionellen Bewertungen entgegen. "Thus, ...the process of societal evolution<br />

consists of a continuous tug-of-war or conflict between the forces of techno-logical<br />

change and cultural stability" 336 .<br />

Stark vereinfacht zeigt Abb.27 diesen 'evolutionären' Prozess:<br />

Abb. 28: Der evolutionäre Anpassungsprozeß<br />

Es wird eine explizite Unterscheidung zwischen dem „actual State“ und dem „desired State“<br />

eines Systems getroffen- Jede bestehende Diskrepanz zwischen diesen Zuständen<br />

führt zu Handlungen, die -ceteris paribus- wieder zu einer Entsprechung der beiden Zustände<br />

führen. Da die Information über einen neuen möglichen und gewünschten Zustand<br />

asymmetrisch durch das Netzwerk der sozialen Systeme diffundiert 337 und außerdem<br />

Handeln als Handeln in der Zeit begriffen wird, werden die korrektiven Handlungen zeitverzögert<br />

eintreten, aus Sicht der <strong>Selbstorganisation</strong> wird das System beginnen zu fluktuieren<br />

338 . Diese Fluktuationen werden durch positive Rückkopplungen verstärkt, die simultan<br />

mit der Diffusion der neuen Information ablaufenden Prozesse treiben das System in<br />

wirtschaftliche Funktionen zugesprochen bekommen und dann sozioökonomischen Faktoren über Erhaltung und Diffusion derselben entscheiden,<br />

oder ob die Funktionen selber stochastisch an verschiedenen Orten auftauchen. So oder so ist der Erhalt einer Funktion, und<br />

damit die Wahrscheinlichkeit eine solche an einem bestimmten Ort vorzufinden, in starkem Maße von der Einwohnerzahl (Markt) an diesem<br />

Orte abhängig.<br />

336<br />

Radzicki(1990, S.61)<br />

337<br />

"Depending on the structure of the particular System in question, this flow of information may be delayed and/or distorted before it<br />

reaches the actor." ;Radzicki ( 1988, S.640)<br />

338<br />

"Humans, for example, take time to form opinions before acting and firms need time to produce new widgets before they can correct discrepancies<br />

in their level of inventory" ;Radzicki ( 1990, S.61)<br />

Seite 86


einen von mehreren möglichen neuen Gleichgewichtszuständen. Ein solches Gleichgewicht<br />

wird in der institutionellen Dynamik als totales Gleichgewicht im engeren Sinne verstanden<br />

und "in an institutional dynamics model can only occur, when all of its actual states<br />

equal their desired states, simultaneously: In such situations all goals are satisfied and<br />

there is, consequently, no motivation for change and no fluctuation" 339 .<br />

Gemäß einer solchen Auffassung von Evolution als einem fortwährenden Anpassungsprozess<br />

an durch fortwährende Innovationen geschaffene, vorher nicht vorhersehbare,<br />

Handlungsmöglichkeiten, der zu Umstrukturierungen und/oder zu komplexeren Strukturen<br />

340 führt, muss man bei der Modellierung sozioökonomischer Dynamik meiner Meinung<br />

nach aus der selbstorganisatorischen Sicht zwischen der Entfaltung, der Erhaltung und<br />

der Evolution eines Systems unterscheiden.<br />

Erstere beschreibt, wie sich ein System über eine gegebene Anzahl von Handlungszuständen<br />

selber organisiert. Die möglichen Handlungszustände und die Art der gegenseitigen<br />

Abhängigkeiten sind von dem Modellbauer unter Umständen in einem Modell antizipierbar.<br />

Von einem gegebenen Anfangszustand entfaltet sich das System in Abhängigkeit<br />

von den Randbedingungen (die die Umwelt des betrachteten Systems in Form exogener<br />

Beeinflussungsgrößen charakterisieren) und den das Interaktionsmuster beschreibenden<br />

Gleichungen, wobei die spezifische Dynamik durch die Wahl der Parameter bestimmt<br />

wird 341 . Meistens, wenn nicht gerade die Randbedingungen (die Umwelt) des Systems<br />

starken Schwankungen unterliegen, konvergiert die Systementwicklung auf einen Attraktor<br />

zu, der aber durchaus komplexer sein kann als ein einfacher Fixpunktattraktor; einen<br />

Extremfall stellt ein Strange Attraktor dar, durch den die Entstehung von deterministischem<br />

Chaos aufgezeigt werden kann. Der Attraktor beschreibt aufgrund der stochastischen<br />

Formulierung den Zustand bzw. die geschlossene Dynamik von Fließgleichgewichten<br />

und über diese die Selbstaufrechterhaltung eines stabilen Zustands des Systems.<br />

Zwar kann man durch die stochastische Formulierung Handlungsinstabilitäten, imperfekter<br />

Information und historischen Zufällen gerecht werden: Die Fluktuationen testen die<br />

Stabilität des Systemzustandes; als Abweichungen vom Durchschnittsverhalten sind sie<br />

ein treibender und korrigierender Faktor bei der Systementwicklung.<br />

Dieses Nichtdurchschnittsverhalten wird von einigen Autoren als kreatives Handeln inter-<br />

339 Radzicki( 1990, S.61)<br />

340 Dieser steigende Komplexitätsgrad während der Evolution des sozioökonomischen Systems führte Laszlo zu folgendem Schluss bezüglich<br />

der Autopoiesis des sozioökonomischen Systems: "Trotz der supraindividuellen Organisationsebene der Gesellschaft, ist ihre strukturelle<br />

Komplexität wesentlich geringer als die ihrer einzelnen menschlichen Mitglieder. Allein das menschliche Gehirn ist um mehrere Größenordnungen<br />

komplexer als alle Gesellschaften der heutigen Welt zusammengenommen. Die relative Einfachheit soziokultureller Systeme<br />

steht im Einklang mit allgemeinen evolutionären Trends . Systeme auf einer höheren Organisationsebene sind anfangs immer einfacher<br />

als die Systeme, aus denen sie bestehen; ein neues Organisationssystem bewirkt anfangs eine Simplifizierung der Systemstruktur, eröffnet<br />

aber gleichzeitig enorme Möglichkeiten für eine spätere Steigerung des Komplexitätsgrades"; Laszlo (1987, S.114f). "Die diskontinuierliche,<br />

nicht-lineare Weise der historischen Entwicklung erscheint im Licht des heutigen Wissens über die Evolution gleichgewichtsferner<br />

Systeme folgerichtig und erwartungsgemäß....Gesellschaften sind autopoietische Systeme, die sich im Durchströmen von Menschen, Ressourcen<br />

und Infrastrukturen sowie einem Energiefluss mittels autokatalytischer und wechselseitiger katalytischer Reaktionen erhalten. Allerdings<br />

sind Gesellschaften nicht autopoietische Strukturen; sie sind gleichzeitig multistabile, veränderungs- und transformationsfähige<br />

Systeme...Es kann zu plötzlichen Veränderungen in der Autopoiesis der Gesellschaft kommen"; Laszlo(1987, S.128f).<br />

341 Anschaulich kann man sagen, dass durch die Spezifizierung der Gleichungen die 'Art' und durch die zusätzliche numerische Spezifizierung<br />

der Parameter die Weise' der Systemdynamik beschrieben wird.<br />

Seite 87


pretiert und deswegen mit evolutionären Vorgängen in Verbindung gebracht. Dieser anscheinende<br />

„short-cut“ erfährt seine Begründung in der Vorstellung, dass die Evolution<br />

über die Entdeckung objektiv vorhandener, subjektiv aber nicht wahrgenommener, Handlungszustände<br />

beschrieben werden kann 342 . Der „Stochast“', der durch ein Springen in<br />

einen vorher subjektiv noch nicht wahrgenommene Handlungszustand vom Durchschnittsverhalten<br />

abweicht, wird zum Innovator 343 .<br />

Somit müssten sich theoretisch evolutorische Prozesse prinzipiell z.B. mit Hilfe der Master-Gleichung<br />

darstellen lassen 344 .Die Einschränkung bleibt jedoch die, dass dem Modell-<br />

342 3 42 Dieser Sicht leistete auch Schumpeter Vorschub, indem er mit dem "kreativen' Unternehmer die Einführung von Neuerungen zwar<br />

endogen, aber in wenig befriedigender Weise erklärt; Vgl. Schumpeter (1912; 1947). Das Problem wird "durch die Annahme stets schon<br />

gegebener und bekannter Inventionen einfach reduziert"; Witt (1987, S.41). Die Kreativität' liegt dann in der Transformation von Inventionen<br />

zu Innovationen und somit in der liier postulierten selbstorganisatorischen Betrachtungsweise im Entdecken subjektiv 'neuer' Informationen,<br />

im Sinne von subjektiv 'neuen' Handlungsmöglichkeiten. "Bemerkenswert ist, dass die Information, auf der alle Innovationen<br />

fußen, als exogen gegeben und frei verfügbar aufgefasst wird. Den zu beobachtenden Neuerungen scheinen fertige Blaupausen' zugrunde<br />

zu liegen. Es bedarf jeweils nur der ausgewählten befähigten Leute, die sie durchsetzen"; Witt (1987, S.38). Aus makroskopischer Sicht<br />

können diese Innovatoren dann als sich 'nicht-durchschnittlich' verhaltende Personen, also als Abweichungen vom Mittelwert, angesehen<br />

und gefolgert werden, dass "it is just this diversity, which drives evolution!" Allen ( 1988, S.108). Damit erfährt das synergetische Konzept<br />

der Wahrscheinlichkeit eine zusätzliche Bedeutung als Konzept zur modelltheoretischen Antizipierung von Neuerungsverhalten. So<br />

schreibt Erdmann (1990, S.139): "Verlässt man nämlich den Bereich der Mikroökonomik und betrachtet die Gesamtheit der Akteure,<br />

drückt sich die Streubreite des individuellen Neuerungsverhalten in der Varianz entsprechender gesamtwirtschaftlich aggregierter<br />

Verhaltensfünktionen aus". Hieraus schlussfolgert er, dass die Mastergleichung ein adäquates "Modellkonzept evolutionärer Prozesse"<br />

ist: "Die wesentliche Eigenschaft solcher Gleichungssysteme besteht darin, dass sich die von ihnen beschriebene Dynamik global ändern<br />

kann, wenn einzelne Parameter gewisse kritische Werte überschreiten. Solche globalen Änderungen des Charakters der Dynamik werden<br />

als Phasenübergänge bezeichnet. Da die Natur der Lösungen jedoch nicht durch äußere Vorgaben erzwungen wird, sondern sich aufgrund<br />

der inneren (nichtlinearen) Struktur des Systems ergibt, hat man damit ein paradigmatisches Modell offener Entwicklungen oder,<br />

wenn man will, für 'das zeitliche Verhalten von Systemen, in denen Neuerungen auftreten und sich ausbreiten'(Witt 1987, S.9)";Erdmann<br />

(1990, S.145).<br />

343 Allen (1988) veranschaulicht diese Vorstellung an einem Modell "far removed from that of hi-tech' and 'Silicon Valley'" (Allen (1988, S.l<br />

10)), welches das Verhalten von Fischern simulierte. Es zeigt das Zusammenspiel von sich verändernden Fischbeständen in den verschiedenen<br />

Gebieten und dem Verhalten der Fischer. Abstrahierend identifizierte er zwei Extreme: Auf der einen Seite die 'Stochasten', die ohne<br />

jegliche ökonomische Rationalität stochastisch durchs Meer diffundieren; auf der anderen Seite die Kartesianer', die absolut präzise<br />

die verfügbare Information abschätzen und mit der Wahrscheinlichkeit 1 zu dem Punkt mit der größten Attraktivität fahren. Obwohl die<br />

rigorose Trennung zwischen den beiden Extremen wohl der Realität nicht entspricht, sondern eine Vielfalt von 'mixed-types' vorzufinden<br />

sein wird, können so doch die realen Vorgänge gut simuliert werden. Die 'risk-takers' entdecken 'neue' Potentiale (nicht im Sinne der Potentialfunktionen!)<br />

und dadurch, dass die Informationen über diese diffundieren, folgen ihnen die Kartesianer'. Obwohl dies zum einen<br />

von Allen weder explizit noch implizit angedeutet wird, zum anderen hier erst die nachfolgenden Kartesianer die Entdeckung' effizient<br />

ausbeuten, so wird doch durch dieses Modell die Schumpetersche Vorstellung von der Entdeckung eines Potentials durch (einen) Innovator,<br />

die eine Gruppe von Imitatoren nach sich zieht, reflektiert<br />

344 So entwarfen Haag und Weidlich [Vgl. hierzu Haag (1987)) und Weidlich (1983, S.141ff)] auf Basis der Mastergleichung ein Modell, das<br />

den Schumpeterschen Prozess von Innovation und Imitation auf der aggregierten Ebene der Investitionen beschreibt: "It is called 'the<br />

Schumpeter Clock' here...,since its moving parts, driving mechanism and control devices are typically Schumpeterian and not neoclassical<br />

or neo-keynesian...In particular, the model operationalizes the Schumpeterian notion of the Prime Mover, i.e., innovators and<br />

Imitators, who create and propagate microeconomic differences"; Haag (1987, S.187f). "The creation of such differences (leading to<br />

competitive advantages among rivaling producers) is the objective of the Strategic Investments of entrepreneurs, which are classified here<br />

according to their respective purposes as 'expansionary' or 'rationalising' ...From the notion of a dynamics of the shifts between differentiation<br />

(innovation) and conformative behaviour (imitation) the main argument for the cyclicity of industrial (short-term) development<br />

presented here is derived"; Weidlich (1983, S.142). Expandierende Investition wird mit Produkt-, rationalisierende Investition mit Prozessinnovationen<br />

in Verbindung gebracht. Die entscheidenden, die Entwicklung der Investorenkonfiguration beeinflussenden, Kräfte sind<br />

auch hier zum einen eine Konformitätskraft, 'The Coordinator', der über den Parameter K "manifests itself as a synchronization effect of<br />

investments of the same type undertaken by a majority of investors" [Haag (1987, S.200)]; zum anderen eine Präferenzkraft, The Altemator',<br />

der über den Parameter 8 "initiates the reversal of strategic bias"[Haag (1987, S.200)]. Beide "determine the transition probabilities<br />

at any point in time" [Haag (1987, S.200)]. Um die 'Schumpeter-Clock' am Laufen zu halten wird der 'Altemator' 8, der die Rolle einer<br />

"trend setting function" [Haag (1987, S.203)]spielt, dynamisiert (bei konstanten Parametern würde sich sonst nach einer Zeit ein stabiles<br />

Gleichgewicht herausbilden, in dem das System verharrt) und zwar gemäß der Vorstellung, dass, z.B. wenn mehr und mehr Investoren expansionäres<br />

Investment betreiben, einige Innovatoren (Pioniere) auf den Plan treten und versuchen ihre Wettbewerbsposition durch das<br />

'Adoptieren' einer nicht-konformistischen Strategie zu verbessern und so "capture quasi-rents due to differentiation"(Haag (1987.S.203)).<br />

In diesem Fall investieren sie in kostenreduzierende Investments (rationalisierende Investitionen) und 'zwingen' so die anderen, diese<br />

Strategie in Erwartung weiterer Kostenreduktionen im Markt zu imitieren. Der gleiche Prozess kann natürlich in die Entgegengesetzte<br />

Richtung verlaufen: Dann wird die Masse der rationalisierenden Investoren durch Produktinnovationen der 'Trend-Setter' zu "quality updating<br />

behaviour"(ebenda), also wie im ersten Fall zur Imitation, gezwungen. Durch diesen ewigen Kreislauf von Innovation' und Imitation'<br />

wird "the Synchronisation to be observed in the occurence of Business cycles"(ebenda) kreiert. Der Altemator 8 wird zu einer Funktion<br />

in der Zeit, wobei er sich in Abhängigkeit von vier weiteren Parametern, der Soziokonfiguration und seinem eigenen Zustand verändert.<br />

Anschaulich kann man sagen, dass sich durch diese Dynamisierung die Potentialfunktion, die bei konstanten Parametern die mögli-<br />

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auer zumindest die Anzahl und Art der möglichen Handlungszustände bekannt sein<br />

muss, die ein Individuum des betrachteten Subsystems einnehmen kann 345 . Aber kann demgemäß<br />

Evolution antizipiert werden? 346<br />

In der Ökonomie führt eine Gleichsetzung von "Theorie der spontanen Ordnung = <strong>Selbstorganisation</strong>stheorie<br />

= evolutorische Ökonomik" 347 zu einem reinen Anpassungs- und<br />

Konvergenzdenken. Es stellt sich spontan ein Zustand der Ordnung ein, der das Ergebnis<br />

des Handelns von Menschen ist, aber nicht Ergebnis menschlichen Entwurfs. Die spezifische<br />

Eigenschaft der am Prozess des Ordnens beteiligten Komponenten (Elemente), auf<br />

die es in der Ökonomie ankommt, ist die Fähigkeit zum zielsuchenden Verhalten. In der<br />

Ökonomie wird dieses Handeln als das Bestreben der Wirtschaftsubjekte bezeichnet, das<br />

für sich Beste aus einer gegebenen Situation zu machen. Man nennt dies auch Eigennutzstreben,<br />

wobei Gewinnerzielung als eine Form des Eigennutzes gesehen wird 348 . Wie<br />

chen stabilen Zustände eines Systems wiedergibt (siehe hierzu Abb.20), selber in der Zeit verändert. Durch die Annäherung der Investorenkonfiguration<br />

an einen Attraktor (bzw. durch das Erreichen desselben) verändert sich dieser selber, der Systemzustand wird instabil<br />

und in Richtung des neuen Attraktors getrieben, wobei durch die Annäherung an den 'neuen' Attraktor dieser sich wiederum ändert, usw.<br />

Durch dieses 'einfache' Modell können so Konjunkturzyklen simuliert werden. Indem die verschiedenen exogenen Parameter einer Feinabstimmung'<br />

unterworfen wurden, konnten Weidlich und Haag die empirisch beobachtete Entwicklung der Investorenkonfiguration' für<br />

drei voneinander getrennte Perioden (1955-1965; 1967-1971; 1973-1980) anhand des Modells nachvollziehen. Diese ex-post Beschreibung<br />

sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Modell keineswegs prognosefähig ist, da für die Abschätzung der zukünftigen<br />

Parameterwerte keine Grundlage gegeben wird. Die Fähigkeit zur relativ genauen Beschreibung beobachteter 'ökonomischer' Vorgänge<br />

scheint aber darauf hinzuweisen, dass auch diesen, im beschriebenen Falle im engeren Sinne dem Investitions-, im weiteren Sinne dem<br />

Innovations- und Imitationsverhalten , selbstorganisatorische Mechanismen zugrunde liegen, die über fundamentale Gesetzmäßigkeiten,<br />

die in dieser Arbeit aufgezeigt wurden, beschrieben werden können.<br />

345 Womit die Behauptung im Vorsatz auch schon widerlegt ist. Wie Schlicht bezüglich der Hayekschen 'Musterbildung' [Vgl. hierzu Hayek<br />

(1972)] in sozioökonomischen Systemen, die ja auch bei evolutorischen Prozessen zu beobachten ist, vermerkte: "Viele dieser Überlegungen<br />

sind qualitativer Art, soll heißen: Sie beziehen sich nicht auf die Bewegung gewisser Variablen, sondern sie befassen sich mit dem<br />

Entstehen neuer Variablen. Die Synergetik thematisiert demgegenüber hauptsächlich quantitative <strong>Selbstorganisation</strong>sphänomene, soll<br />

heißen, die Koordinierung gewisser gegebener Variablen in einem Gesamtsystem"; Schlicht (1986,S,221).<br />

346 Um die im vorhergehenden genannten Aspekte einer evolutorischen Betrachtungsweise gemäß Dopfer (1990; 1991) einer einheitlichen<br />

theoretischen Sichtweise zu unterwerfen: Die strukturellen Charakteristika eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt werden als synchrones<br />

Regime bezeichnet. Die Veränderung eines Systems über die Zeit S^—>S2-.—>S X wird als diachroner Prozess bezeichnet, wenn:<br />

Si#S2#...#Sx, also ein Übergang von einem synchronen Regime zu einem anderen stattfindet. "Eine diachrone Theorie muss Aussagen<br />

über jene Erklärungsvariablen machen, die in der synchronen Analyse typischerweise konstant gehalten werden. Diese in synchroner<br />

Perspektive konstanten Faktoren umfassen technologischen Fortschritt, Bevölkerung sowie strukturelle und institutionelle Aspekte einer<br />

Ökonomie"; Dopfer (1990, S.28). Schumpeters endogene Erklärung des Wirtschaftsprozesses geht von einem synchronen Regime im<br />

Gleichgewicht aus, das vom schöpferischen Unternehmer durch materielle Umsetzung exogen gegebener Inventionen (Ideen, die den<br />

technischen Fortschritt bestimmen) zerstört wird; der so initiierte diachrone Prozess führt zu einem neuen Gleichgewicht. Ideen und materielle<br />

Faktoren sind somit "zwei integrale Prozesskonstituanten"; Dopfer (1990, S.30). Erstere kann man als Potentiale [nicht im Sinne<br />

der Potentialfunktionen sondern im Sinne von Evolutionspotentialen (Vgl. Dopfer (1990, S.36ff)]:"if a potential is defined in its evolutionary<br />

meaning, it should be defined as informational potential"; Dopfer (1991, S.56)], letztere als Aktualisierung derselben interpretieren.<br />

Jedes Potential lässt nur eine endliche Menge von Aktualisierungen zu: "Das Charakteristische eines Potentials, beispielsweise einer Erfindung,<br />

ist, dass es Möglichkeiten zu seiner Entwicklung bzw. zu seiner Variation bietet"; Dopfer (1990, S.31). "Economically, it may become<br />

increasingly difficult to find new Solutions (actualizations) on the basis of an old potential. Accordingly any differential surplus will<br />

increasingly vanish, as the potential is exhausted, or the actualization process reaches its terminal point"; Dopfer (1991, S.56). "Wir können<br />

also ein synchrones Potential als Variationspool, der eine endliche Menge von nicht-wiederholbaren Aktivitäten zulässt, definieren";<br />

Dopfer (1990, S.31). Sind die Potentiale im Schumpeterschen Sinne endlich, so würden sie sukzessive erschöpft ["Information is a potential<br />

only as long as not everyone has it. An informational potential is consumed as it is 'applied', hence it is finite"; Dopfer (1991, S.56)].<br />

Hier aber setzt die Kreativität der ökonomischen Agenten ein: Die Erschöpfung eines Innovationspotentials durch die dem Innovator folgenden<br />

Imitatoren führt zu verschwindenden Gründergewinnen und deswegen wird "der Prozess der Erschöpfung eines Variationspotentials...also<br />

von einem Prozess der Suche nach und der Generierung von neuen Variationspotentialen" begleitet; Dopfer (1990, S.34). Somit<br />

muss zwischen synchronen Prozessen (die in der Ökonomie als Marktpreisbildungsprozesse mit ihren Allokationskonsequenzen im<br />

Vordergrund standen), diachronen Prozessen, die sich in einer Ausschöpfung bestehender Potentiale äußern (und von einem allwissendem<br />

Modellbauer zumindest bezüglich ihrer möglichen Folgen modelliert werden können müssten) und diachronen Prozessen, die sich in<br />

der Entdeckung neuer Potentiale und ihrer Ausschöpfung äußern (und selbst vom allwissenden Modellbauer nicht antizipiert werden können?),<br />

unterschieden werden. So oder so werden diachrone Prozesse, die hier im Gegensatz zu synchronen Prozessen als evolutionäre<br />

Prozesse definiert werden, zur Entstehung neuer Variablen und/oder zu einer Veränderung der Interaktionsmuster fuhren. Demgemäß<br />

müssen die Gleichungen selber in der Zeit evolvieren, also zusätzliche mögliche Handlungszustände antizipieren und/oder ihre Struktur<br />

selber verändern, und zwar gemäß der Veränderung des Interaktionsmusters.<br />

347 Schmidtchen (1990, S.81)<br />

348 Die Ausführung einer Entscheidung für eine Güterkombination (ein Gut) stellt ein zielorientiertes, an das entworfene Weltbild angepasstes<br />

Seite 89


auch Witt' s Modell anschaulich machte, führt dies -ceteris paribus- im Zusammenhang mit<br />

diffundierender Information zu einem Zustand der Ordnung. Dieser wird in der Ökonomie<br />

in erster Linie über die Kompatibilität von einzelwirtschaftlichen Plänen definiert und kann<br />

zum Beispiel durch einen auf einem Markt herrschenden Gleichgewichtspreis reflektiert<br />

werden. Bei dem Konvergenzprozess kommt Kirzner's Arbitrageur eine besondere Bedeutung<br />

zu, da er Informationsdefizite ausgleicht.<br />

Der eigentliche evolutionäre Prozess findet aber nun dadurch statt, dass sich während des<br />

Anpassungsprozesses der Attraktor selber verändert. Ein kreativer Schumpeterscher Unternehmer<br />

tritt auf den Plan und erfindet z.B. ein neues Konsumgut 349 . Dadurch entsteht<br />

neue, vorher von Kirzner's Unternehmer nicht zu entdeckende, Information. Es bildet sich<br />

ein neuer Attraktor, und man muss nun einen Phasenübergang erklären. "Für die Bildung<br />

des neuen Attraktors wie für den Phasenübergang ist in erster Linie das Unternehmertum verantwortlich.<br />

Schumpeter-Innovation mag den neuen Attraktor begründen; Kirzner-Innovation ist<br />

notwendig, um den Phasenübergang zu vollziehen." 350 Dies ist in Abb.28 dargestellt:<br />

Handeln dar. Dem liegt die Idee zugrunde, dass jede Entscheidung die Aufstellung eines Entscheidungsmodells erfordert, in dem sich die<br />

Weltsicht des Entscheidungsträgers niederschlägt, und damit auch die von ihm selbst als relevante erachtete Menge an Handelsbeschränkungen;<br />

die Entscheidung reflektiert die Lösung dieses Modells. In der Ökonomie wird die individuelle Handlungssituation überwiegend<br />

als Maximierungsentscheidung unter Nebenbedingungen modelliert; Vgl. Schmidtchen (1991, S.81)<br />

349 Hier wird der kreative Schumpetersche Unternehmer als Entdecker' eines Potentials gesehen. Um mit der obigen Vorstellung des Schumpeterschen<br />

Unternehmers konsistent zu sein, kann man ihn als Entdecker und Umsetzer (Aktualisierer) eines gegebenen Informationspotentials<br />

sehen, also als ein Informationsbeschafffer höherer Art. Die weiteren Variationen des Potentials werden von einer Mischform der<br />

Unternehmervorstellung Schumpeters und Kirzners, dem Kirzner-Innovator' 'aktualisiert': "So wie der Schumpeter-Unternehmer auch ein<br />

Arbitrageur ist, so ist der Kirzner-Untemehmer ein Neuerer. Das Schließen von Koordinationslücken durch Arbitrage stellt ein Tüllen'<br />

von Nischen dar. Der Vorgang, der eine Nische füllt, fuhrt jedoch dazu, dass zahlreiche neu Nischen eröffnet werden. Man denke an die<br />

Einführung des Autos (Füllen einer Nische), die zu neuen Nischen führte in Form des Bedarfs an Tankstellen, Krankenhäusern, Gummiplantagen,<br />

Werkstatten usw."; Schmidtchen (1991 , S.106). Schmidtchen geht zwar etwas weit, indem er schon das Entdecken von Preisdifferenzen<br />

wegen der Ausschöpfung der Gewinnmöglichkeiten, die diese schaffen, als Innovation dem Kirzner-Untemehmer zuschreibt:<br />

"Wahrend das Entdecken einer Gewinnmöglichkeit der Erfindung (invention) Ähnlich ist, stellt die Ausnutzung derselben eine Innovation<br />

dar"; Schmidtchen (1990, S.107). Aber er antizipiert die meiner Meinung nach richtige Schlussfolgerung, dass nicht alle Variationen eines<br />

Potentials dem 'reinen' Schumpeterschen Unternehmer zugeschrieben werden kann, da die Erzeugung neuer Information ja ein fundamentales<br />

Charakteristika jeder Innovation ist ( siehe oben. ):"Wenn z.B. ein Kirzner-Unternehmer eine Preisdifferenz zwischen zwei<br />

Märkten entdeckt, dann besitzt er ein Wissen, das erstens außer ihm kein anderer besitzt und das zweitens 'neu' ist, das er also vorher<br />

nicht hatte"; Schmidtchen (1991, S.106f) Wahrscheinlich ist es gemäß der hier aufgezeigten Sichtweise am geeignetsten zwischen einem<br />

Schumpeter-Innovator [Aktualisierer eines 'entdeckten' Potentials(materiell)], einem Kirzner-Innovator [Aktualisierer der möglichen Variationen<br />

eines entdeckten Potentials(materiell)] und einem Kirzner-Unternehmer [Ökonomischer "Beschleuniger 1 des Informationsflusses<br />

Ober eine neue durch vorhergehendes geschaffene Handlungsmöglichkeit(ideell)] zu unterscheiden. Im folgenden wird von Schmidtchen<br />

nur zwischen einem Schumpeter-Innovator und einem Kirzner-Untemehmer unterschieden. Letzterer wird jedoch als Kirznerinnovator<br />

bezeichnet, wahrscheinlich um das gegenseitige Wechselspiel von neuer Handlungsmöglichkeit und so entstehender neuer Information<br />

herauszustreichen. Das für die 'Veränderung' eines Attraktors notwendige Wechselspiel von Anpassung (Kirzner) und Neuerung (Schumpeter)<br />

ist Kernstück der Betrachtung, wobei. -ceteris paribus-, Anfangs- wie Endzustand durch ein Gleichgewicht gekennzeichnet sind.<br />

Preise die erst als Entdeckungs- und dann als Koordinationsinstrument fungieren bilden in Schmidtchens Artikel das eigentliche Erkenntnisobjekt.<br />

350 Schmidtchen (1991, S.89)<br />

Seite 90


Abb. 29: Konvergenz auf sich dynamisch verändernde Attraktoren<br />

Abb.28: Die von einer Theorie super-spontaner Ordnungen postulierte Konvergenz auf Attraktoren<br />

bei gleichzeitiger, diskontinuierlicher Veränderung derselben: Punkt A sei der Ausgangspunkt.<br />

Wandel der Anfangs- und Randbedingungen führe zu dem neuen Attraktor B.<br />

Der Zustand des Systems verändert sich in der Zeit gemäß dem Pfad von A nach B. In Punkt<br />

b komme es erneut zu einem Wandel der Anfangs- und Randbedingungen. Punkt C sei der<br />

neue Attraktor. Der Zustand des Systems folgt dem Pfad b-C. Im Zeitpunkt c ergebe sich<br />

als neuer Attraktor D, Der Zeitpfad der Entwicklung des Zustands ändert sich erneut. Das<br />

System entwickelt sich in Richtung D.<br />

Die durch Innovationen entstehenden neuen Märkte führen zu Umstrukturierungen der bestehenden<br />

Märkte 351 . Durch bedeutende Innovationen kann es auch zu Neustrukturierungen<br />

im Sinne von höheren Komplexitätsgraden kommen 352 . Der ständige Wandel der Präferenzen, der<br />

351<br />

Diese werden durch eine Veränderung der Randbedingungen in Gang gesetzt. Mehr wird in der Abbildung jedenfalls nicht dargestellt: Die<br />

zwei 'Zustände' organisieren sich immer wieder neu auf einen Gleichgewichtszustand hin, wobei sich der Attraktor während des Annäherungsprozesses<br />

verändert. Interessanterweise ist dies das gleiche Phänomen, das Troitzsch bei der Betrachtung des Wahlverhaltens anhand<br />

seiner empirisch ermittelten Wahrscheinlichkeitsdichteverteilungen beobachtete und an exogenen 'Störungen' festmachte.<br />

Legt man das in dieser Arbeit aufgezeigte Modellierungskonzept der Mastergleichung zugrunde, so sind bezüglich der Interpretation der<br />

Abbildung verschiedene Szenarios zu entwerfen: Durch das Entstehen neuer Märkte verändern sich die Randbedingungen bestehender<br />

Märkte bzw. -in einer möglichen Interpretation der obigen Abbildung- eines bestehenden Marktes. Diese Randbedingungen können durch<br />

die anderen Märkte bestimmt sein und stellen die Umwelt des betrachteten Marktes dar. Durch die Änderungen können sich z.B. die Präferenzen<br />

im betrachteten Markt und somit die Parameter der Gleichungen ändern. Die Änderung der Parameter führen (wie in der<br />

'Schumpeter-Clock) zu einer Veränderung der Potentialfunktion und somit zu einer Veränderung des Attraktors. Ein anderes Szenario ist,<br />

dass ein zusätzliches substitutives Produkt (eine neue Handlungsmöglichkeit) endogen erzeugt im Markt auftritt (dies würde dem plötzlichen<br />

Auftreten einer vierten Partei in Erdmanns Wahlmodell entsprechen). Dieser hinzutretende dritte 'Zustand' führt zu einer Veränderung<br />

des Verhältnisses der beiden anderen zueinander und sie konvergieren auf den neuen 'stabilen' Zustand (Verhältnis) zu. In der Modellierung<br />

durch die Mastergleichung müsste eine dritte Dimension miteinbezogen werden, was unter der gegebenen 'Art' der Interaktion<br />

unter anderem eine parametrische Änderung der bestehenden Gleichungen zur Folge hätte. Die Mastergleichung würde durch diese Endogenisierung<br />

einer neuen substitutiven Handlungsmöglichkeit komplexer werden.<br />

352<br />

Durch Neustrukturierungen des "Netzwerks sozialer Systeme', also der Kommunikationsstruktur bzw. des Interdependenzgeflechtes', über<br />

welches das Netzwerk ja definiert wird, kann es zu Veränderungen im Interaktionsmuster selber und damit zu einer Veränderung der<br />

Gleichungen kommen. Obwohl dies eine rein theoretische Überlegung ist, ist damit gemeint, dass z.B. durch die Innovation Auto oder Telefon<br />

'neue' soziale Systeme entstehen und somit auch die 'Art' des Informationsflusses grundlegend geändert wird. Die Subpopulationen<br />

(bezüglich derer die paradigmatische Homogenitätsannahme getroffen wird) müßten unter Umständen eine Umdefinierung erfahren.<br />

Seite 91


wechselseitigen Abhängigkeiten und der Randbedingungen durch die Entstehung neuer möglicher<br />

Handlungszustände ist mit Modellen wie sie in dieser Arbeit aufgezeigt wurden höchstens<br />

ex-post darzustellen 353 . Ex-ante wird durch die "Zwillingsidee von Arbitrage und Neuerung"<br />

das Problem einer Theorie gestellt, die man als Theorie super-spontaner Ordnungen bezeichnen<br />

kann 354 , und deren Gegenstand der "nie endende Prozess des Wandels der ökonomischen Morphologie<br />

oder die morphologische Instabilität ökonomischer Systeme ist 355 . Unterliegt der Wandel in der<br />

Zeit, der Wandel der Attraktoren wie der Anpassungspfade - also der Wandel der sozioökonomischen<br />

Morphologie- einer Ordnung, folgt er einem Muster 356 ?<br />

Nach Schmidtchens Ansicht sollte man drei Abteilungen in das Erkenntnisprogramm einer<br />

Theorie der spontanen Ordnung aufnehmen:<br />

Abt.1: Zustand der Ordnung (Attraktor)<br />

Abt.2: Anpassungspfade an den Zustand der Ordnung 357<br />

Abt.3: Anpassungspfade an den Zustand der Ordnung bei "gleichzeitiger" Veränderung<br />

desselben 358 .<br />

Die letzte Abteilung stellt eine Evolutionstheorie im engeren Sinne dar, welcher aber ohne<br />

die beiden ersten - die Thema dieser Arbeit waren- ein erkenntnistheoretisches Fundament<br />

fehlen würde. "Evolutionstheorie kann nicht nur als Theorie der Innovation begriffen<br />

werden" 359 . Man muss sich vielmehr fragen, ob Neuerungsverhalten zu einem neuen<br />

Attraktor führt, was gleichbedeutend mit der Frage ist, ob unter den neuen Anfangs- und<br />

Randbedingungen ein Zustand der Ordnung -ein Gleichgewicht- existiert, womit man wiederum<br />

bei der Frage ist, ob es nicht allein die Existenz von Attraktoren ist, die in einen<br />

Prozess ewigen Wandels systematische Züge bringt und insofern erst wissenschaftliche<br />

Ebenso könnten durch Veränderungen der Struktur des Informationsflusses die Art der internen und externen wechselseitigen Abhängigkeiten<br />

eine Veränderung erfahren.<br />

353<br />

Angesichts der hier aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Modellbildung: Wie und wo trennt man das System von der Umwelt?'; Wie und<br />

welche Subpopulationen definiert man?'; Wie spezifiziert man die Interaktionsmechanismen?'; usw. , sind die Ergebnisse der in dieser<br />

Arbeit aufgezeigten Modelle umso erstaunlicher. Durch gegenüber der realen Komplexität der ablaufenden Prozesse mehr als stark vereinfachte<br />

Modelle konnten auf verschiedenen Abstraktionsebenen empirisch beobachtete selbstorganisierende Strukturbildungen und/oder<br />

-veränderungen simuliert werden. Insbesondere ex-post können (siehe z.B. die 'Schumpeter-Clock' oder die Migrationsmodelle') durch<br />

ziemlich grobe 'Feinabstimmungen' real beobachtete Vorgänge mit überraschender Präzision dargestellt werden. Das die simulierte Eigendynamik<br />

trotz aller Unwägbarkeiten der Beobachteten in etwa entspricht weist daraufhin, wie stark der formalisierte Mechanismus<br />

reale Gesetzmäßigkeiten widerspiegelt; das so viele verschiedene Phänomen einheitlich dargestellt werden können, weist daraufhin, wie<br />

allgemeingültig er ist<br />

354<br />

Vgl. Schmidtchen (1990, S.88ff)<br />

355<br />

Schmidtchen (1990, S.90)<br />

356<br />

Hier nun lässt sich bezüglich der Evolution vermerken: "Genauer gesagt geht es nicht um die Analyse der Evolution eines Systems, sondern<br />

um die Untersuchung einer 'succession of Systems with evolving structures'"; Schmidtchen (1990, S.90).<br />

357<br />

Diese waren vor allem Thema dieser Arbeit. In der Ökonomie fand die Untersuchung derselben z.B. in der Marktprozesstheorie Ausdruck:<br />

Beispielhaft hierzu Witt (1980).<br />

358<br />

So einleuchtend dies zu sein scheint, so hat es doch schwerwiegende Implikationen: Entweder ist die 'gleichzeitige' Veränderung durch<br />

eine Veränderung der Umwelt eines betrachteten Systems verursacht. Dann müsste eine 'Meta-Theorie' die Veränderung der gesamten<br />

komplexen Umwelt eines Systems erklären, also die Veränderung der verschiedenen Ordner auf den verschiedenen Zeitebenen antizipieren;<br />

oder die 'gleichzeitige' Veränderung wird - wie in der 'Schumpeter-Clock'- endogenisiert. Dann aber wäre die Dynamik des betrachteten<br />

Systems in einem starken Maße selbstreferentiell, was angesichts der Tatsache, dass jedes Mitglied', z.B. eines Marktes, zugleich<br />

Mitglied' anderer Märkte ist, sprich: dass jeder Markt in starkem Maße vom Vorhandensein, Entstehen und Verschwinden der anderen<br />

Märkte abhängt, nicht anzunehmen ist. Zwar wird jede Konvergenz auf einen Gleichgewichtszustand in einem Markt durch die so entstehenden<br />

Zwänge (siehe Witt's Modell) zu Prozessinnovationen und somit zu einer Attraktoränderung fuhren, aber viel wahrscheinlicher<br />

wird die Attraktoränderung vor allem durch Produktinnovationen hervorgerufen werden und solche können in einer isolierten Betrachtung<br />

nicht antizipiert werden. Vielleicht ist eine solche Endogenisierung ja auf aggregierteren Ebenen des Gesamtsystems möglich, wie<br />

z.B. dem Investitionsverhalten. Dies wird von der 'Schumpeter-Clock' angedeutet.<br />

359<br />

Vgl. Schmidtchen (1990.S.91)<br />

Seite 92


Erkenntnis ,und damit auch Vorhersagen, ermöglicht. "Wenn alles lediglich fließt, was<br />

bleibt dann noch an Erkenntnismöglichkeiten für die Wissenschaft?" 360<br />

7. Schlussbemerkung<br />

Interdependenzen im sozialen und in zunehmendem Maße auch im ökonomischen Handeln<br />

sind fundamentaler Fakt in sozioökonomischen Systemen. Die Erkenntnis Aristoteles:<br />

"Der Mensch ist ein soziales Wesen" erfährt im Lichte des Paradigmas der <strong>Selbstorganisation</strong><br />

eine neue Bedeutung. Durch eine Analogie zu den Naturwissenschaften - ob<br />

berechtigt oder unberechtigt sei dahingestellt- ist es möglich, eine Vielzahl von sozioökonomischen<br />

Phänomenen einheitlich zu formalisieren. Die Betrachtungsweise ist bei weitem<br />

komplexer als in traditionellen Theorien, da der Versuch gemacht wird, das Ganze<br />

nicht aus der Summe seiner Teile, sondern aus dem Interdependenzgeflecht heraus zu<br />

erklären, als welches das sozioökonomische System gesehen wird.<br />

Ob die Frage nach <strong>Selbstorganisation</strong> in sozioökonomischen Systemen mit einem "More<br />

Questions than Answers" 361 zu beantworten ist (wie Fritsch dies in der Überschrift eines<br />

Artikels tat 362 , sei dahingestellt. Diese Fragen werden sich aber weniger auf das ,von<br />

Keynes einleitend zu dieser Arbeit bezüglich der traditionellen Ökonomie formulierte, "lack<br />

of generality and clearness in the premises" beziehen, als vielmehr auf die Anwendbarkeit<br />

des Paradigmas und die Präzision der aus diesem geschlussfolgerten Aussagen. Somit<br />

laden sie auch bzw. wegen der bisherigen weitgehenden Negierung sozialer Tatbestände<br />

gerade- in der Ökonomie zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Paradigma der<br />

<strong>Selbstorganisation</strong> ein.<br />

Jede Theorie wird schlussendlich zum einen daran gemessen werden, wie geschlossen<br />

sich das auf ihr basierende Theoriengebäude repräsentiert; hierzu können, da sich die<br />

wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Paradigma der <strong>Selbstorganisation</strong> in einem<br />

Anfangsstadium befindet, noch keine Aussagen getroffen werden. Zum anderen wird<br />

die zukünftige Einschätzung ihrer Aussagekraft vor allem daran festzumachen sein, wie<br />

gut in auf ihr basierende Modelle zukünftige Entwicklungen antizipieren können, sprich:<br />

wie gut die gemachten Prognosen sind.<br />

Der Theorie der <strong>Selbstorganisation</strong> kommt dabei zugute, dass sie den klassischen Theorien<br />

nicht konträr, sondern eher komplementär gegenübersteht: Lineare Beziehungen und<br />

perfekte Gleichgewichte sind sozusagen als Spezialfall in ihr enthalten, wobei letztere sogar<br />

noch in einen komplexeren Begründungszusammenhang eingebunden werden.<br />

Von nichtlinearen Beziehungen kann aber in den Sozialwissenschaften gar nicht, in den<br />

360 Schmidtchen (1990.S.92) ."Theorie der Evolution marktwirtschaftlicher Ordnung sollte als Theorie spontaner Ordnung, als Theorie der<br />

<strong>Selbstorganisation</strong> betrieben werden und nicht etwa nur als Theorie der Innovation. <strong>Selbstorganisation</strong> aber setzt die Idee eines Zustandes<br />

der Ordnung, eines Attraktors voraus. Ohne diese Idee kann man nur Wandel an sich analysieren, aber nicht die Frage, ob der Wandel<br />

eine Ordnung, eine Struktur, aufweist. Und nur insofern er diese Ordnung aufweist, lässt sich überhaupt wissenschaftlich etwas über<br />

ihn aussagen"; Schmidtchen (1990, S.108).<br />

361 Fritsch(1984, S.197)<br />

362 Fritsch(1984)<br />

Seite 93


Wirtschaftswissenschaften immer weniger abstrahiert werden. Solche werden vor allem<br />

im komplexen Systemen evident sein, und da sich auch das ökonomische System auf<br />

immer höheren Komplexitätsgraden organisiert (strukturiert), werden auch dort komplexe,<br />

wechselseitige Zusammenhänge eine erhöhte Aufmerksamkeit erfahren müssen.<br />

Damit jedoch steht der menschliche Geist vor erheblichen "Perzeptions- und Akzeptanzprobleme[n].<br />

Unser 'gesunder Menschenverstand' neigt immer wieder dazu, einen einmal<br />

beobachteten Trend linear in die Zukunft fortzuschreiben, und zwar auch dort, wo es der<br />

Sache nicht angemessen ist. Damit verbunden assoziieren wir gerne kleine Ursachen mit<br />

kleinen Wirkungen und vice versa...; das Denken in Nichtlinearitäten ist schlecht entwickelt"<br />

363 . Das Paradigma der <strong>Selbstorganisation</strong> kann für die Entwicklung eines solchen<br />

Denkens eine große Hilfestellung sein. Wir müssen uns "notgedrungen mit nichtlinearen<br />

dynamischen Systemen beschäftigen und dazu auch mathematische Hilfsmittel und<br />

Computer heranziehen, mit deren Hilfe wir lernen können, in komplexen Systemen zu<br />

denken" 364 .<br />

363 Vgl. Erdmann (1989, S.260f)<br />

364 Vgl. Erdmann (1989, S.261)<br />

Seite 94


Quellenverzeichnis der Abbildungen:<br />

Abb.1: Gleick (1987), S.71<br />

Abb.2 : Schnabl (1991), S.563<br />

Abb.3 : Gleick (1987), S.143<br />

Abb.4 : Prigogine (1988), S.114<br />

Abb.5 : Prigogine (1988), S.115<br />

Abb.6 : Hejl (1990), S.330<br />

Abb.7 : Weise (1990), S.14<br />

Abb.8 : Haag (1990), S.132<br />

Abb.9 : Woekener (1992a), S.421<br />

Abb.10: Woekener (1992a), S.424<br />

Abb.11: Weidlich (1991), S.51<br />

Abb.12: Weidlich (1991), S.52<br />

Abb.13: Weidlich (1991), S.53<br />

Abb.14: Weidlich (1991), S.54<br />

Abb.15: Troitzsch (1990),S.523<br />

Abb.16: Troitzsch (1990), S.530ff<br />

Abb.17: Allen (1985a), S.6<br />

Abb.18: Allen (1984), S.155<br />

Abb.19: Allen (1984), S.155<br />

Abb.20: Allen (1984), S.157<br />

Abb.21: Allen (1984), S.157<br />

Abb.22: frei nach Erdmann (1990), S.141<br />

Abb.23: Woekener (1992b), S.7<br />

Abb.24: Woekener (1992b), S.7<br />

Abb.25: Valente (1991), S.35<br />

Abb.26: Valente (1991), S.37<br />

Abb.27: Radzicki (1990), S.61<br />

Abb.28: Schmidtchen (1991), S.79<br />

Seite 95


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