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Selbstorganisation M11b.pdf

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3. Zum Paradigma der <strong>Selbstorganisation</strong><br />

Die Allgemeingültigkeit des gerade ausgeführten Paradigmas der klassischen<br />

Mechanik wurde in dem gleichen Wissenschaftszweig, in dem es entstanden war,<br />

nämlich der Physik, durch neue nicht mit ihm zu vereinbarende Entdeckungen in<br />

Frage gestellt. Durch die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation - die Erkenntnis<br />

der Unmöglichkeit, sowohl Ort wie Geschwindigkeit eines beobachteten Teilchens<br />

gleichzeitig mit hoher Präzision zu bestimmen- kamen die ersten Zweifel<br />

über die absolute Determiniertheit aller Prozesse 25,26 .<br />

Im 19.Jahrhundert entstand mit der Thermodynamik eine makroskopische Betrachtungsweise,<br />

die sich mit ganzen Populationen von Teilchen beschäftigte. Die<br />

dynamischen Aussagen wurden in Mittelwerten (Druck, Temperatur) von Bewegungen<br />

einer großen Anzahl von Molekülen zusammengefasst. Die Ordnung des<br />

Wandels (bzw. die Evolution des Systems) wird im 2ten Hauptsatz der Thermodynamik<br />

(1850)beschrieben 27 : Die Entropie eines isolierten Systems kann nur<br />

zunehmen, bis das System sein thermodynamisches Gleichgewicht erreicht. Entropie<br />

kann man dabei als Maß für die Qualität der im System befindlichen Energie<br />

bezeichnen bzw. als jenen Teil der Gesamtenergie, der nicht frei verfügbar ist<br />

und nicht in einen gerichteten Energiefluss umzusetzen ist 28,29 . In einem isolierten<br />

System nimmt die Entropie immer mehr zu (bzw. nimmt nicht ab), wobei eine Umkehrung<br />

dieser Zustandsänderung nicht möglich ist. Alle irreversiblen Prozesse<br />

erzeugen Entropie 30 ; ein isoliertes System bewegt sich auf einen Zustand maximaler<br />

Unordnung hin 31 . Der Gewinn dieser Entdeckung war, dass mit der Erkenntnis<br />

der Irreversibilität von Prozessen die Begriffe Prozess und Geschichte<br />

auftraten. Die Zeit erhält eine Richtung (die Zeitsymmetrie wird gebrochen), wobei<br />

25 Die makroskopische Betrachtung der Dynamik kohärenter Systeme (Systeme deren Struktur nicht starr bleibt, sondern sich in<br />

zusammenhängender Weise entwickeln) gewann für die Sozialwissenschaften immer mehr an Bedeutung. Dem stand die reduktionistische<br />

Ausrichtung der Physik entgegen, die alle Phänomene auf eine Erklärungsebene reduzieren wollte und sie im<br />

Mikroskopischen, in der Grundstruktur der Materie zu finden hoffte. Wie Jantsch vermerkte, ist es "nicht ohne Ironie, dass die<br />

Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation zuerst im subatomaren mikroskopischen Bereich formuliert wurde"; Jantsch (1984,<br />

S.54)<br />

26 Eine ausführlichere Darstellung derselben findet sich in Prigogine (1988; S.69f, S.90f)<br />

27 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik sagt aus, dass in einem abgeschlossenen System, in dem alle möglichen physikochemikalischen<br />

Umwandlungen ablaufen können, die Gesamtenergie erhalten bleibt. (Haken, 1986, S.38)<br />

28 Haken veranschaulicht den Begriff der Entropie anhand von zwei miteinander verbundenen Kästen und vier Molekülen: Es gibt<br />

nur eine Möglichkeit, diese vier verschiedenfarbigen Moleküle in einen bestimmten Kasten zu tun; dagegen gibt es sechs Möglichkeiten,<br />

sie in unterschiedlicher Zusammensetzung gleichmäßig auf beide Kästen zu verteilen. Das Boltzmannsche Prinzip<br />

sagt nun aus, dass die Natur den Zustand anstrebt, bei dem die Zahl der Möglichkeiten, die Entropie, am größten ist. Wenn<br />

die Moleküle in Bewegung sind, so werden sie den Zustand der Gleichverteilung anstreben. Die Wahrscheinlichkeiten, ein bestimmtes<br />

Molekül in einem der beiden Kästen anzutreffen, sind identisch; die Unsicherheit in diesem Zustand maximaler Unordnung'<br />

ein bestimmtes Molekül in einem der beiden Kästen anzutreffen ist maximal, nämlich gleichwahrscheinlich; insofern<br />

ist die Entropie ein Maß der Ordnung. Ein anderes Beispiel ist die Abbremsung eines Autos, bei der die vorher gerichtete Bewegungsenergie<br />

in Wärme umgewandelt wird; die Energie eines Freiheitsgrades wird auf sehr viele Freiheitsgrade verteilt.<br />

Dieser Vorgang ist nicht umkehrbar. Die erzeugte niederwertige Energie kann nicht wieder völlig in höherwertige Energie<br />

umgewandelt werden, mit der Folge, dass die Entropie im Gesamtsystem zunimmt. Vgl. Haken (1984, S.27ff).<br />

29 Für eine ausführlichere Darstellung des Entropiebegriffs siehe Prigogine (1988; S.29ff, S.91ff, S.212ff)<br />

30<br />

Zur Fragestellung inwiefern ökonomische Systeme als Entropieerzeugende Systeme angesehen werden können siehe Spreng<br />

(1984) sowie Swaney (1985)<br />

31<br />

Diese Erkenntnis der Entropiezunahme ließ die Vision vom unentrinnbaren Wärmetod' der Erde entstehen;<br />

Vgl. Jantsch(1984, S.57)<br />

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