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Selbstorganisation M11b.pdf

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Der so simulierte Diffusionsprozess ist zwar einleuchtend, stellt aber eine starke Abstraktion<br />

der tatsächlichen Prozesse dar. So geht er davon aus, dass die Proportion von Anwendern<br />

zu Nicht-Anwendern in allen individuellen (persönlichen) Netzwerken gleich ist<br />

und von diesen in einer statischen Weise beeinflusst wird 287 : Nur durch die heterogenen<br />

Schwellenwerte gibt es unterschiedliche Adoptionszeitpunkte.<br />

In der Realität jedoch, die aus einem Netzwerk von differenzierten sozialen Systemen besteht,<br />

verändern sich die Anwender-Nichtanwender-Anteile im individuellen Netzwerk; das<br />

soziale Netzwerk strukturiert dabei den Beeinflussungsfluss und diktiert die Proportionen<br />

von Anwendern zu Nicht-Anwendern 288 . Um dieses zu antizipieren, kann eine neue Beschreibungsebene<br />

eingeführt werden, die des Ausgesetzt-Seins, welche die Stärke der<br />

Impulse auf den einzelnen misst. Diese verändern sich mit der Zeit, in der mehr und mehr<br />

Individuen adoptieren {vertikale Variation), je nach ihrer Stellung im sozialen Netzwerk<br />

(horizontale Variation). Schwellenwerte beschreiben dann den Ausgesetzt-Seins-Level,<br />

der notwendig ist, ein Individuum zu überzeugen, auch zu adoptieren 289 . Insofern spielen<br />

also zwei Dinge eine Rolle: Menschen mit niedrigen Schwellenwerten sind noch immer<br />

diejenigen, die früher adoptieren, aber Menschen die einer Neuerung in hohem Maße<br />

ausgesetzt sind, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihr individueller Schwellenwert<br />

287<br />

'Das heißt man geht davon aus, dass sich die Beeinflussung durch das persönliche Netzwerk in der Zeit nicht verändert (i.S., dass es keine<br />

Veränderungen des Verhältnisses von Anwendern zu Nichtanwendem im persönlichen Netzwerk gibt.) ,und nur der 'durchschnittliche' Gesamteinfluss<br />

das Adoptionsverhalten bestimmt. Somit adoptieren unabhängig vom persönlichen Netzwerk Individuen mit niedrigen<br />

Schwellenwerten früh, solche mit hohen Schwellenwerten spät; Vgl. Valente (1991, S.39)<br />

288<br />

Diese Abhängigkeit des Verhaltens des Einzelnen von seiner direkten persönlichen und nicht seiner gesamten Umgebung wird auch in<br />

Schellings Seggregationsmodellen reflektiert. Sein einfachstes Modell geht von einer 70 Häuser langen Straßenzeile aus, die von zwei,<br />

durch bestimmte Merkmale klar voneinander zu trennenden Gruppen (Rasse, Einkommen) aus, die durch Sterne und Punkte repräsentiert<br />

werden. Beide Gruppen sind gleich groß (je 35 Sterne und Punkte). Diese sind anfangs zufällig auf die Häuser verteilt:<br />

O 00 0 0 00 0 0 0 0 00 00 0 0 000 0 0 0 0 00<br />

O+OOO++O+OO++OO+++O++0++OO+++00+ + 00+ + 0+0+00+++O++OOO00+++OOO+OO++O+O++O<br />

Wenn nun die Nachbarschaft jedes Einzelnen durch die vier linksseitigen und die vier rechtsseitigen Bewohner definiert wird, und man annimmt,<br />

dass jeder zumindest die Hälfte dieser Nachbarn als von derselben Art wie er selber wünscht (also auf die inklusive ihm selber bezogenen<br />

Häuser eine Mehrheit seiner 'Art' ) , so werden alle für die dieses Minimalverhältnis nicht zutrifft unzufrieden sein und wechseln<br />

wollen. Die Unzufriedenen sind hier durch Punkte gekennzeichnet. Die nun stattfindenden Wechsel folgen einer einfachen Regel: Die Unzufriedenen<br />

bewegen sich zum nächsten Punkt, der ihrer Minimalforderung nach einer absoluten Mehrheit in der Nachbarschaft gerecht<br />

wird (Hier wird abstrahierend angenommen, dass sie sich inclusive ihres Hauses zwischen zwei andere Bewohner setzen können, und diese<br />

dann auseinanderrücken, was anschaulich eher der Vorstellung einer Reihe von Wohnwagen, statt einer Häuserzeile entspricht). Während<br />

dieser sequentiellen Bewegung der Unzufriedenen passieren zwei Dinge: Einige die zufrieden waren werden unzufrieden, da Nachbarn<br />

gleicher Art aus ihrer Nachbarschaft wegziehen, aber ebenso werden einige, die unzufrieden waren, nun durch den Zuzug gleichartiger<br />

Nachbarn zufrieden. Nach dem ersten Ablauf ergibt sich folgendes Bild:<br />

00000000++++0+++++++++0000++000+0+0+++0+++++++++0000000000000000+ +++++<br />

Die nun Unzufriedenen folgen der gleichen Regel, wodurch ein Gleichgewichtszustand (keiner will mehr wechseln) eneicht wird; die resultierende<br />

Konfiguration hat folgende Form:<br />

00000000++++++++++++++ + 0000000000++++++++++++ +++0000000000000000++++++<br />

(8) (15) (10) (15) (16) (6)<br />

Das Resultat sind Cluster, deren durchschnittliche Größe 12 Mitglieder beinhaltet. Erstaunlicherweise resultiert aus einer 'seeking-ratio' von<br />

fünf zu vier ein Verhältnis, welches größer als fünf zu eins ist. Diese selbstorganisatorischen Seggregationstendenzen sind bei verschiedensten<br />

Anfangskonfigurationen zu beobachten. Dieses sehr vereinfachte 'Schwellenwert'-Modell wurde von Schelling verfeinert und so<br />

konnten z.B. entstehende räumliche Verteilungsmuster in einem realistischeren 2-dimensionalen Modell simuliert werden. Die grundsätzliche<br />

Aussage, nämlich dass über solche wechselseitigen 'Ansteckungseffekte' makroskopische Muster bzw. Ordnungen entstehen, die vom<br />

einzelnen weder gewollt noch beabsichtigt waren, bleibt die gleiche. Außerdem wird auch in diesen Modellen das Verhalten des Einzelnen<br />

nicht von einer Systemgröße abhängig gemacht, sondern er reagiert auf Veränderungen seiner in direkt betreffenden Umgebung, hier also<br />

auf Veränderungen in der Nachbarschaft; Vgl. zu den hier angesprochenen Modellen Schelling (1978, S.147; 1971, S.149ff)<br />

289<br />

Zum Beispiel die Frage, ob man bei Rot über die Straße geht. Ob man sich dafür entscheidet, hängt sowohl von allgemeinen Kriterien ab<br />

(man geht wenn alle, die Hälfte, oder auch wenn keiner geht) als auch von speziellen Kriterien (man geht, wenn alle, die Hälfte, oder<br />

auch keiner der Freunde, Bekannten, Kegelbrüder, schönen Frauen geht). Wahrscheinlich ist man bei weitem stärker von letzteren beeinflusst;<br />

Vgl. Valente ( 1991, S.40)<br />

Seite 73

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