Selbstorganisation M11b.pdf
Selbstorganisation M11b.pdf
Selbstorganisation M11b.pdf
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
im Zeitverlauf konstant bleiben<br />
sinken<br />
steigen<br />
sinken und dann steigen<br />
steigen und dann sinken 306<br />
Der letzte Fall stellt wohl die interessanteste Variante dar, da sie zum einen in vielen Fällen<br />
zutrifft, in denen Innovationen unsicher, zweifelhaft und risikoreich sind, und zum anderen,<br />
weil sich in diesem Fall Schwellenwerte und kritische Massen am stärksten beeinflussen 307 . Nachdem<br />
eine gewisse Zahl von Individuen anfänglich bereit ist, eine solche Innovation zu adoptieren,<br />
werden die Schwellenwerte der anderen dann steigen, wenn sie ihre Entscheidung auf Basis<br />
von, aus interpersoneller Beeinflussung stammender, Information treffen. Sie werden auf die<br />
Erfahrungswerte warten, die mit der Zeit von den anfänglichen Risikonehmern gesammelt<br />
und über die persönlichen Netzwerke vermittelt werden. Da jede Innovation eine Bedrohung<br />
in Form einer Veränderung des gewohnten Laufs der Dinge darstellt (Konservativismus<br />
sozialer Systeme 308 ), wird ihr im Verlauf der Wartezeit eher mit erhöhtem Widerstand<br />
begegnet, als dass eine stabile oder neutrale Reaktion zu erwarten ist 309 .<br />
306<br />
Für jeden dieser fünf Fälle lassen sich mögliche verhaltenstheoretische Erklärungen finden. Wahrscheinlich wird sowohl die Schwellenwertverteilung,<br />
als auch ihre Entwicklung in der Zeit in starkem Maße vom Charakter der Innovation abhängen. Ebenso werden Erwartungen<br />
der Noch-Nicht-Anwender, die wahrscheinlich in hohem Maße von der subjektiv wahrgenommenen Verbreitung der Innovation im<br />
persönlichen wie im gesamten sozialen Netzwerk abhängen, eine große Rolle spielen. Ein typischer Fall konstanter Schwellenwerte ist die<br />
Verbreitung eines Virus, wie z.B. des AIDS-Virus (wie schon angemerkt ist das Modell auch auf die Verbreitung einer bestimmten sozialen<br />
Verhaltensweise, oder auch einer Krankheit anwendbar). Die individuelle Resistenz gegenüber dem Virus (der Schwellenwert) ändert<br />
sich im Zeitverlauf nicht. Sinkende Schwellenwerte sind oftmals bei der Diffusion einer Innovation mit sehr hohem Netzwerknutzen zu beobachten,<br />
bei denen die Produkteigenschaften keinen Unsicherheitsfaktor darstellen. So kann man annehmen, dass bei der Verbreitung<br />
des Fax-Gerätes, deren Produkteigenschaften sich schon sehr früh konsolidiert hatten, die Schwellenwerte im Verlauf seiner Verbreitung<br />
kontinuierlich gesunken sind bzw. noch sinken. Voraussichtlich wird es in absehbarer Zeit auch in privaten Händen einen gleichberechtigten<br />
Platz neben dem Telefon und der Post einnehmen (die kritische Masse in der 'Subgruppe' der Geschäftsleute hat es schon vor nicht<br />
allzu langer Zeit überwunden und ist dort zu einer absoluten Notwendigkeit geworden). Sinkende Schwellenwerte können über einen gewissen<br />
Zeitraum hinweg auch über die Preispolitik des Unternehmers erzeugt werden: So wird bei neuen Konsumgütern der Schwellenwert<br />
des Einzelnen in starkem Maße vom Preis derselben abhängen. Dies machen schon die z.B. beim Eintritt einer neuen Zeitschrift in<br />
den Markt anfangs geforderten Einführungspreise' deutlich. Hat sie sich erst einmal am Markt etabliert, so wird durch weitere synergetische<br />
Effekte erzeugte Schwellenwertsenkungen (Gewohnheit; räumliche und zeitliche Verfügbarkeit; hohe Auflage, die dann auch eine<br />
entsprechend große Redaktion und damit auch eine höhere 'Qualität' impliziert usw.) die dann erfolgende Schwellenwerterhöhung durch,<br />
auf ein zumindest kostendeckendes Niveau, steigende Preise mehr als kompensiert. Steigende Schwellen sind entweder dadurch zu erklären,<br />
dass eine anfangs unsichere, aber von anderen anfangs als prinzipiell zukunftsträchtig angesehene, Innovation im Zeitverlauf als<br />
immer unbrauchbarer beurteilt wird ,und/oder dass sie, was insbesondere für Systeminnovationen mit hohem Netzwerknutzen zutrifft, die<br />
in sie gesteckten Erwartungen bezüglich ihrer Verbreitung nicht erfüllt, wodurch mit der Zeit immer mehr abspringen und so die 'Ausgesetztheitsgrade'<br />
sinken, wie auch die Schwellen ob der enttäuschten Erwartungen steigen. Ein Beispiel für enttäuschte Erwartungen bezüglich<br />
der Produkteigenschaften ist mit Abstrichen der Versuch der Durchsetzung von Elektroautos; ein Beispiel für enttäuschte Erwartungen<br />
bezüglich der Verbreitung ist der Versuch der Durchsetzung von Btx. Das diese beiden Komponenten meistens nicht voneinander<br />
zu trennen sind macht eben die erfolglose Diffusion von Btx deutlich. Während bei einer steigenden Anwenderzahl durch learning-bydoing<br />
Effekte, bzw. beim Btx-System durch ein in Abhängigkeit von der steigenden Anwenderzahl immer größeres und vielfältigeres Angebot<br />
an Dienstleistungsservicen und an potentiellen Kommunikationspartnern, positive Rückkopplungen bezüglich der Schwellenwerte<br />
der Noch-Nicht-Anwender auftreten werden, werden bei einer sinkenden Anwenderzahl in Abhängigkeit von dieser sowohl die angebotenen<br />
Dienstleistungsservice (Produkteigenschaften bzw. Produktnutzen) als auch der Netzwerknutzen und die Erwartungen bezüglich der<br />
zukünftigen Verbreitung negative Rückkopplungen auf die Schwellen der Noch-Nicht-Anwender auslösen. Eine solche Schellenwertentwicklung<br />
wird den Diffusionsprozess wahrscheinlich zur Erfolglosigkeit verdammen. Ein Beispiel für zuerst sinkende und dann steigende<br />
Schwellenwerte sind Moden, wie Petticoats, Kotletten, u.a. Anfangs sinken die Schwellen, d.h. je mehr Menschen man sieht, die dieser,<br />
von einem selber als 'chic' empfundenen, Mode folgen, desto mehr sinkt die eigene Hemmschwelle und desto wahrscheinlicher ist es, dass<br />
man beim nächsten mal, wenn man mit dieser Mode konfrontiert wird, ihr auch folgt. Mit der Zeit jedoch findet man sie immer langweiliger<br />
und so steigen die Schwellen wieder.<br />
307<br />
Vgl Valente (1991, S.64f)<br />
308<br />
Zu "Theories of Personal and Collective Conservatism" siehe Kuran (1988), Hejl (1990, S.327ff)<br />
309<br />
Vgl. Valente (1991, S.66) Ein Beispiel ist eine neue Saatkornart, deren Effizienz anfangs unsicher ist, und deren Erprobung von den Farmern<br />
die Bereitstellung eines genügend großen Landstückes erfordert. Folglich werden die Farmer anfänglich hohe Schwellen haben. Einige<br />
das Risiko in Kauf nehmende Farmer [vielleicht nach dem Motto: "IF YOU DONT DO IT, NOBODY ELSE WILL"; Vgl. zu einer<br />
möglichen verhaltenstheoretischen Begründung den gleichnamigen Artikel von Oliver(1984)] werden das Experiment machen und so das<br />
Seite 78