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Rätselkrimis


4<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Das <strong>Detektivbüro</strong> <strong>XY</strong> 7<br />

Schach dem Dieb 8<br />

Ein komischer Kauz 13<br />

Die Bande des Schreckens 17<br />

Wer ist <strong>hier</strong> der Chef? 22<br />

Die Diebin 26<br />

Erwischt 28<br />

Der Überfall 32<br />

Wer ist der Dieb? 38<br />

Alles Gute kommt von oben 47<br />

Der Apfel<strong>die</strong>b 52<br />

Der Linkshänder 55<br />

Die Fensterscheibe 59<br />

Aufruhr am See 63<br />

Ritter Kunibert 67<br />

Raubritter auf Burg Drachenfels 71<br />

Das Grab des Kreuzritters 76<br />

In der Folterkammer 79<br />

Der Schatz in der Drachenhöhle 83<br />

King Kong in Bergheim 88<br />

Die dicke Königin 92<br />

Jetzt schlägt‘s 13 96<br />

Der größte Clown der Welt 102<br />

Die alte Hexe 106


Der vergessliche Dieb 109<br />

Nächtliche Überstunden 114<br />

Fahrerflucht 118<br />

Musikfreunde 122<br />

Frechheit siegt – aber nicht immer 126<br />

Doch im Wald, da sind <strong>die</strong> Räuber 131<br />

Die Räuberhöhle 135<br />

In der Bärenschlucht 140<br />

Noch ein Reifenstecher 144<br />

Die Festnahme 148<br />

Noch ein Einbruch 153<br />

Später Besuch 157<br />

Keine Gitarre für Pieri 162<br />

Pech gehabt! 166<br />

Ausgeflogen? 171<br />

Knastbrüder 176<br />

Auf heißer Spur 180<br />

Ein Männlein steht im Walde 184<br />

Künstlerpech 189<br />

Die Stimme vom Himmel 193<br />

Die M<strong>um</strong>ie 197<br />

Die Nadel im Heuhaufen 200<br />

Wer ruft sich schon selbst an? 203<br />

Der Schla<strong>um</strong>eier 207<br />

Till Eulenspiegel 210<br />

Wie klaut man einen Elefanten? 214<br />

Mich laust der Affe! 218<br />

Auflösungen 222<br />

5


6<br />

Komm mit<br />

ins Ferienlager!<br />

In <strong>die</strong>sem Zeltlager darfst du so richtig Detektiv sein.<br />

Die Lehrer und Eltern dort finden es klasse, wenn<br />

Kinder sich für <strong>die</strong> Dinge, <strong>die</strong> <strong>um</strong> sie her<strong>um</strong> passieren,<br />

interessieren und neugierig sind.<br />

In jeder der 50 Geschichten in <strong>die</strong>sem Buch befindet<br />

sich ein Rätsel. Zusammen mit den beiden jungen Detektiven<br />

vom <strong>Detektivbüro</strong> <strong>XY</strong> kannst alle Fälle lösen,<br />

wenn du <strong>die</strong> Geschichten aufmerksam liest und dir <strong>die</strong><br />

Bilder dazu genau anschaust.<br />

Lesen verboten!<br />

Du liest <strong>hier</strong> nur, weil es verboten ist? Dann tust du<br />

genau das, was alle Detektive tun würden.<br />

Alle Auflösungen zu den Geschichten findest<br />

du im Lösungsteil ab Seite 222.<br />

Wenn du aber zu früh nachschaust und dir<br />

keine Zeit z<strong>um</strong> Nachdenken und Betrachten der<br />

Bilder nimmst, ist es viel weniger aufregend – und<br />

echte Detektive brauchen doch immer ein bisschen<br />

prickelige Aufregung, findest du nicht?<br />

Viel Spaß beim Rätseln!


Das <strong>Detektivbüro</strong> <strong>XY</strong><br />

Pieris richtiger Name ist Pieter<br />

de Ruiter. Sein Vater kommt aus<br />

den Niederlanden.<br />

Pieri ist 11 Jahre alt. Er ist klug,<br />

freundlich, sportlich – viele<br />

Mädchen auf seiner Schule<br />

schwärmen für ihn. Pieri lebt<br />

mit seinen Eltern und seinem<br />

jüngeren Bruder Jantje zusammen.<br />

Er liebt Fußball und übt so oft<br />

es geht auf seiner Gitarre.<br />

Lisa heißt eigentlich Elisabeth<br />

Jochimsen. Sie ist 13 Jahre alt,<br />

hilfsbereit, freundlich, klug und<br />

sehr beliebt.<br />

Lügen und Stehlen mag Lisa gar<br />

nicht. Sie glaubt, dass niemand<br />

das Recht hat, sich einfach zu<br />

nehmen was er will.<br />

7


8<br />

Schach dem Dieb<br />

Pieter de Ruiter, von seinen Freunden Pieri genannt,<br />

stand am Fenster seines Eisenbahnabteils und winkte<br />

seinen Eltern zu, <strong>die</strong> ihn z<strong>um</strong> Bahnhof gebracht hatten.<br />

Als er sie nicht mehr sehen konnte, setzte er sich und<br />

hob <strong>die</strong> Zeitung auf, <strong>die</strong> auf dem Sitz neben ihm lag. Irgendein<br />

Fahrgast hatte sie vor dem Aussteigen achtlos<br />

liegen gelassen. Pieri schlug <strong>die</strong> Sportseiten auf.<br />

Er hatte ka<strong>um</strong> angefangen zu lesen, <strong>als</strong> er eine vertraute<br />

Stimme fragen hörte: „Ist <strong>die</strong>ser Platz noch frei?“<br />

Pieri blickte auf. Es war Lisa Jochimsen, <strong>die</strong> in der Tür<br />

des Abteils stand, in jeder Hand einen kleinen Koff er.<br />

„Wenn du dich auf den Platz setzt, ist er nicht mehr<br />

frei“, antwortete Pieri. „Außer uns beiden ist <strong>hier</strong> niemand<br />

im Abteil, wie du siehst.“<br />

Lisa legte ihre Koff er in das Gepäcknetz, dann setzte<br />

sie sich Pieri gegenüber. „Du fährst <strong>als</strong>o auch ins Ferienlager“,<br />

sagte sie.<br />

„Woher willst du das wissen?“<br />

„Ich könnte jetzt ja einfach behaupten, dass ich<br />

das mit detektivischem Scharfsinn aus der Farbe deiner<br />

Socken geschlossen habe. Aber <strong>die</strong> schlichte Wahrheit<br />

ist, dass ich gestern mit deinen Eltern gesprochen<br />

habe. Und ich habe ihnen doch tatsächlich versprochen,<br />

auf der Fahrt ins Lager ein bisschen auf dich aufzupassen.“


„Ich brauche keinen Aufpasser“, sagte Pieri, ein wenig<br />

verärgert. „Und schon gar kein Mädchen.“<br />

Er blickte durch <strong>die</strong> offene Abteiltür hinaus. Ein<br />

Mann stand draußen am Fenster mit einem Handy in<br />

der Hand.<br />

„e4“, sagte der Mann, dann, nach einer winzigen<br />

Pause, „Springer f3. Gut, dann Läufer b5.“<br />

„Seltsames Telefongespräch!“, wunderte sich Pieri.<br />

„Das ist eine Art Code“, sagte Lisa.<br />

„Du meinst <strong>als</strong>o wirklich, er ist ein Spion?“, flüsterte<br />

Pieri aufgeregt.<br />

„Nein, er spielt nur mit seinem Gesprächspartner<br />

Schach.“<br />

„Ohne Brett und Figuren?“<br />

„Brett und Figuren sind beim Schach eigentlich<br />

überflüssig. Alle 64 Felder sind durchn<strong>um</strong>meriert. Die<br />

waagerechten Reihen tragen <strong>die</strong> N<strong>um</strong>mern 1 bis 8,<br />

<strong>die</strong> senkrechten Linien <strong>die</strong> Bezeichnungen a bis h. Das<br />

schwarze Feld ganz links unten trägt <strong>als</strong>o <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

a1, das weiße Feld rechts unten <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

h1. War<strong>um</strong> hörst du mir nicht zu? War<strong>um</strong> liest du lieber<br />

in deiner blöden Zeitung?“<br />

„Ich will <strong>die</strong> Fußballergebnisse von gestern wissen,“<br />

antwortete Pieri. „Zuerst aber muss ich jetzt …“<br />

Es war ihm ein wenig peinlich, einem Mädchen zu<br />

sagen, was er jetzt musste. Vielleicht hatte er z<strong>um</strong> Frühstück<br />

zu viel Milch getrunken, und <strong>die</strong> musste er jetzt<br />

loswerden. Er legte <strong>die</strong> Zeitung weg und stand auf.<br />

„Passt du ein paar Minuten auf meine Sachen auf?“,<br />

fragte er. Dann ging er, ohne eine Antwort abzuwarten.<br />

9


Drei Abteile weiter hörte er ein leises Stöhnen. Er<br />

blieb vor der off enen Tür stehen und blickte hinein. Ein<br />

Mann kniete auf dem Boden. Mit einer Hand stützte er<br />

sich ab, mit der anderen betastete er vorsichtig eine<br />

blutende Wunde an seiner Stirn. Außer ihm befand sich<br />

niemand im Abteil.<br />

„Ein Dieb!“, keuchte der Mann. „Ich habe ihn erwischt,<br />

wie er in meinen Sachen her<strong>um</strong>wühlte. Aber<br />

bevor ich ihn festhalten konnte, schlug er zu.“<br />

„Haben Sie ihn erkannt?“, fragte Pieri.<br />

„Ich habe sein Gesicht höchstens eine Sekunde lang<br />

gesehen, bevor er mir das Ding verpasste. Aber vielleicht<br />

würde ich ihn wiedererkennen. Er kann noch<br />

nicht weit sein.“<br />

Der Mann kam mühsam auf <strong>die</strong> Beine, schob Pieri<br />

beiseite, wandte sich nach links und torkelte davon, immer<br />

noch benommen. Schon vor der nächsten Abteiltür<br />

blieb er stehen und schob <strong>die</strong> Tür auf. Er streckte <strong>die</strong><br />

Hand aus und zeigte anklagend auf einen der beiden<br />

Männer, <strong>die</strong> auf der linken Seite des Abteils saßen.<br />

„Das war er!“, rief er.<br />

„Das war wer?“, fragte eine Männerstimme hinter<br />

ihm. Es war der Schaff ner, der seine Runde durch den<br />

Zug machte, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Fahrkarten zu kontrollieren.<br />

„Das ist der Gauner, der mich niedergeschlagen hat“,<br />

antwortete der Überfallene. „Er wollte mich bestehlen …<br />

Meine Brieftasche ist weg! Er muss sie mir abgenommen<br />

haben, <strong>als</strong> ich bewusstlos auf dem Boden lag.“<br />

„Wie kommen Sie dazu, unschuldige Menschen zu<br />

verdächtigen?“, empörte sich der Beschuldigte. „Ich<br />

10


habe seit mindestens einer Stunde <strong>die</strong>ses Abteil <strong>hier</strong><br />

nicht verlassen.“<br />

„Das kann ich bestätigen“, nickte der Mann neben<br />

ihm. „Dieser Herr und ich, wir haben <strong>die</strong> ganze Zeit<br />

über Schach gespielt.“<br />

Er deutete auf das Schachbrett, das zwischen ihnen<br />

auf dem Sitz lag. Nur wenige Figuren standen darauf.<br />

Pieri erinnerte sich daran, was Lisa eben erst gesagt<br />

hatte. Dass <strong>die</strong> Felder eines Schachbretts mit Ziff ern<br />

von 1 bis 8 und Buchstaben von a bis h gekennzeichnet<br />

sind. Aber er entdeckte auf dem Brett und an seinem<br />

Rand weder Buchstaben noch Ziff ern.<br />

11


„Durchsuchen Sie ihn, Schaffner!“, verlangte der<br />

Überfallene. „Ich bin sicher, dass er meine Brieftasche<br />

noch bei sich hat.“<br />

„Na schön, durchsuchen Sie mich!“, stimmte der Beschuldigte<br />

grinsend zu. „Sie werden nur meine eigene<br />

Brieftasche finden.“<br />

Der Schaffner schaute z<strong>um</strong> Fenster. Es stand offen.<br />

Der Dieb konnte <strong>als</strong>o sehr wohl das Geld aus der gestohlenen<br />

Brieftasche genommen und sie dann aus<br />

dem Zug geworfen haben.<br />

„Es gibt nicht <strong>die</strong> Spur eines Beweises gegen <strong>die</strong>sen<br />

Herrn“, sagte der Schaffner zu dem Überfallenen.<br />

„Selbst wenn Sie schwören, ihn wiedererkannt zu haben,<br />

stünde seine Aussage gegen Ihre.“<br />

Pieri drängte sich zwischen dem Schaffner und dem<br />

Bestohlenen durch.<br />

„Die beiden Männer lügen“, sagte er. „Sie haben<br />

überhaupt nicht Schach gespielt.“<br />

„Woher willst du das wissen?“, wunderte sich der<br />

Schaffner. „Du siehst doch das Brett und <strong>die</strong> Figuren.“<br />

„Ich verstehe nicht viel von Schach“, bekannte Pieri.<br />

„Aber <strong>die</strong>se beiden <strong>hier</strong> verstehen noch weniger davon.“<br />

12<br />

Auflösung auf Seite 222


Ein komischer Kauz<br />

Der Zug lief langsam in den Bahnhof der kleinen Stadt<br />

Bergheim ein. Lisa und Pieri waren aufgestanden und<br />

schleppten ihre Koff er zur nächsten Tür.<br />

„Was blickst du so missmutig drein?“, fragte Lisa. „Ist<br />

dir dein Gepäck zu schwer?“<br />

„Nein. Ich weiß nur nicht, was uns in <strong>die</strong>sem Ferienlager<br />

erwartet.“<br />

„Nun, besser <strong>als</strong> zur Schule zu gehen wird es auf jeden<br />

Fall sein.“<br />

„Da bin ich mir nicht so sicher“, meinte Pieri. „Ein<br />

Junge aus meiner Klasse hat mir erzählt, dass er schon<br />

mal in einem solchen Lager war. Todlangweilig! Sie<br />

durften z<strong>um</strong> Beispiel nicht Fußball spielen, nicht fernsehen,<br />

und auch sonst war alles verboten, was Spaß<br />

macht. Dafür mussten sie fast jeden Tag lange Wanderungen<br />

unternehmen und dabei langweilige alte Lieder<br />

singen. Z<strong>um</strong> Beispiel ‚Im Frühstau zu Berge‘.“<br />

„Das Lied heißt ‚Im Frühtau zu Berge‘“, korrigierte<br />

Lisa ihn schmunzelnd.<br />

Der Zug war mit einem letzten R<strong>um</strong>peln stehen geblieben.<br />

Lisa öff nete <strong>die</strong> Tür, schulterte ihre Reisetasche<br />

und stieg aus. Pieri folgte ihr.<br />

Die beiden waren <strong>die</strong> einzigen Fahrgäste, <strong>die</strong> an<br />

dem kleinen Bahnhof ausstiegen. Sie blickten sich suchend<br />

<strong>um</strong>. Niemand schien sie zu erwarten.<br />

13


„Ich verlange ja nicht, dass wir vom Bürgermeister<br />

persönlich abgeholt werden“, maulte Pieri. „Und<br />

dass eine Blaskapelle spielt, während wir über den roten<br />

Teppich schreiten. Aber es hätte uns wenigstens<br />

jemand abholen können. Woher sollen wir denn nun<br />

wissen, wo wir hinmüssen?“<br />

Lisa ging auf <strong>die</strong> Tür des Bahnhofsgebäudes zu, stieß<br />

sie auf und trat ein. Pieri folgte ihr zögernd, während<br />

sie auf dem kürzesten Weg hinüber z<strong>um</strong> Fahrkartenschalter<br />

ging.<br />

Der Mann hinter der Glasscheibe packte gerade ein<br />

Wurstbrot aus und biss hinein. Es war Mittag, und er<br />

hatte sichtlich Hunger.<br />

„Wissen Sie, wo das Ferienlager ist?“, fragte Lisa den<br />

Mann.<br />

„Nein“, antwortete er kauend und ohne aufzublicken.<br />

„Bin nie dort gewesen.“<br />

„Können Sie uns sagen, wie wir hinkommen?“<br />

„Ja. Ihr braucht nur zu warten. Irgendwann taucht<br />

Hannes mit seinem Kleinbus auf und fährt euch hin.“<br />

„Ist das der Kleinbus da draußen vor dem Bahnhof?“,<br />

fragte Lisa weiter. Sie deutete durch <strong>die</strong> Eingangstür<br />

auf einen Wagen, der draußen stand.<br />

„Keine Ahnung!“, antwortete der Mann hinter der<br />

Glasscheibe. „So genau habe ich mir <strong>die</strong> Kiste noch nie<br />

angesehen.“ Er biss wieder in sein Wurstbrot.<br />

Lisa ging zielstrebig durch <strong>die</strong> Wartehalle und trat<br />

hinaus auf <strong>die</strong> Straße. Wieder folgte ihr Pieri. Fünf Kinder<br />

etwa ihres Alters standen dort draußen, zwei Jungs<br />

und drei Mädchen.<br />

14


„Ihr wollt <strong>als</strong>o auch z<strong>um</strong> Ferienlager“, stellte Lisa mit<br />

einem kurzen Blick auf das Gepäck der anderen fest.<br />

„Ist das der Kleinbus, der uns abholen soll?“<br />

„Bestimmt nicht“, antwortete der größere der beiden<br />

Jungen. „Das ist doch ein Schulbus, der geht uns<br />

nichts an.“<br />

Lisa trat an das Fahrzeug heran und blickte hinein.<br />

„Steht der Wagen denn schon lange <strong>hier</strong>?“, fragte<br />

Lisa weiter.<br />

„Zehn oder fünfzehn Minuten“, antwortete eines der<br />

Mädchen. „Der Fahrer ist so ein komischer alter Kauz<br />

mit einem wild wuchernden Backenbart, der aussieht<br />

15


wie ein Gestrüpp. Er ist da hineingegangen.“ Sie deutete<br />

auf eine Tür, über der geschrieben stand: BAHN-<br />

HOFSGASTSTÄTTE.<br />

„Passt ihr mal kurz auf meine Koffer auf?“, fragte Lisa.<br />

„Klar“, antwortete das Mädchen. Auch Pieri ließ seinen<br />

Koffer stehen und folgte Lisa. Er hatte zwar keine<br />

Ahnung, was sie vorhatte, aber er wollte unbedingt<br />

dabei sein.<br />

Lisa blickte sich nur kurz <strong>um</strong>, dann entdeckte sie einen<br />

wild aussehenden Mann mit Backenbart. Er saß an<br />

einem Tisch am Fenster und machte sich gerade über<br />

ein riesiges Schnitzel her.<br />

Lisa trat zu ihm.<br />

„Hannes, wir wollen z<strong>um</strong> Ferienlager.“<br />

„Wenn ich mit dem Schnitzel fertig bin“, antwortete<br />

der Mann. Dann blickte er erstaunt auf. „Woher weißt<br />

du, dass ich Hannes heiße und euch z<strong>um</strong> Ferienlager<br />

bringen soll?“<br />

Auch Pieri sah Lisa ungläubig an. Wie hatte sie das<br />

nun wieder herausgefunden?<br />

16<br />

Auflösung auf Seite 223


Die Bande<br />

des Schreckens<br />

Hannes hatte es nicht eilig, sein Mittagessen hinter sich<br />

zu bringen. Das Schnitzel schien ihm plötzlich nicht<br />

mehr zu schmecken. Missmutig sah er über den Teller<br />

auf Lisa und Pieri, <strong>die</strong> ihm gegenüber am Tisch standen.<br />

Pieri hatte das Gefühl, dass der Mann Kinder nicht<br />

ausstehen konnte.<br />

Ein Kellner kam vorbei. „Heute kein Bier, Hannes?“,<br />

fragte er. „Nein“, br<strong>um</strong>mte Hannes. „Bin im Dienst.“<br />

„Wir warten besser draußen“, sagte Lisa. An der Tür<br />

blickte sie sich noch einmal <strong>um</strong>. Sie sah, wie Hannes<br />

den Kellner wieder herbeiwinkte.<br />

Es dauerte noch mindestens eine Viertelstunde, bis<br />

Hannes sein Mittagessen beendet hatte und <strong>die</strong> Bahnhofsgaststätte<br />

verließ. Er warf den fünf wartenden Kindern<br />

einen kurzen, misstrauischen Blick zu, <strong>als</strong> erwarte<br />

er von ihnen Ärger. Dann versetzte er dem rechten hinteren<br />

Reifen seines Kleinbusses einen kräftigen Tritt,<br />

ging dann z<strong>um</strong> vorderen Reifen und misshandelte ihn<br />

auf <strong>die</strong> gleiche Weise. Nachdem er auf <strong>die</strong> Straßenseite<br />

des Wagens gewechselt war, wiederholte er <strong>die</strong> Prozedur<br />

an den beiden anderen Reifen und gab ihnen<br />

ebenfalls einen kräftigen Tritt.<br />

„Scheint ja ein ziemlich störrisches Biest zu sein, <strong>die</strong>ses<br />

Fahrzeug“, spottete der größere der beiden Jungs,<br />

17


<strong>die</strong> Lisa und Pieri eben kennengelernt hatten. „Braucht<br />

erst ein paar kräftige Fußtritte, <strong>um</strong> an <strong>die</strong> Arbeit zu<br />

gehen.“<br />

„Blödsinn!“, br<strong>um</strong>mte Hannes. „Foxi ist das bravste<br />

Auto, das man sich vorstellen kann.“<br />

„Es hat einen Namen?“, wunderte sich eines der<br />

Mädchen.<br />

„Ich hatte mal einen Hund, einen Foxterrier“, erzählte<br />

Hannes. „Der fuhr für sein Leben gern Auto. Zur<br />

Erinnerung an ihn habe ich <strong>die</strong>ses Auto Foxi genannt.“<br />

„Aber war<strong>um</strong> treten Sie Foxi?“, fragte Lisa.<br />

„Ich stelle nur fest, ob <strong>die</strong> Reifen genug Luft haben.<br />

Es treiben sich seit einiger Zeit ein paar Kerle in der<br />

Stadt her<strong>um</strong>, <strong>die</strong> sich einen Spaß daraus machen, Autoreifen<br />

zu zerstechen. Scheint eine Jugendbande zu<br />

sein. Eine wahre Bande des Schreckens.“<br />

Er schloss <strong>die</strong> Türen von Foxi auf. „Wer z<strong>um</strong> Ferienlager<br />

will, soll einsteigen!“, rief er. Lisa, Pieri und <strong>die</strong> fünf<br />

Kinder, <strong>die</strong> schon vor ihnen gekommen waren, drängten<br />

sich in das Fahrzeug. Pieri setzte sich auf den Sitz<br />

neben den Fahrer.<br />

Bevor auch Hannes selbst sich setzte, hob er <strong>die</strong> beiden<br />

Schilder auf, <strong>die</strong> auf dem Fahrersitz lagen. Pieri erkannte<br />

jetzt, dass sie beidseitig bedruckt waren.<br />

Auf der einen Seite stand SCHULBUS, auf der anderen<br />

FERIENLAGER. Hannes befestigte eines der beiden<br />

Schilder an der Innenseite der Frontscheibe, sodass<br />

von außen <strong>die</strong> Aufschrift FERIENLAGER zu sehen<br />

war, dann ging er nach hinten und befestigte von außen<br />

das andere Schild am hinteren Fenster.<br />

18


Pieri sah ihm dabei zu. Verwundert stellte er fest,<br />

dass Hannes das zweite Schild verkehrt her<strong>um</strong> anbrachte,<br />

sodass von außen <strong>die</strong> Aufschrift SCHULBUS zu<br />

lesen war.<br />

„Ich glaube, Hannes ist etwas verwirrt. Die Sache mit<br />

der Reifenstecherbande scheint ihn doch sehr mitzunehmen“,<br />

vermutete Pieri. „Nein, das ist nur <strong>die</strong> Macht<br />

der Gewohnheit“, widersprach Lisa. „Er fährt seit Jahren<br />

den Schulbus, <strong>als</strong>o bringt er, ein wenig geistesabwesend,<br />

das Schild auch heute so an wie immer.“<br />

Hannes stieg <strong>als</strong> Letzter ein und setzte sich hinter<br />

das Lenkrad. „Habt ihr euch alle angeschnallt?“, fragte<br />

er und blickte in <strong>die</strong> Runde.<br />

Alle nickten.<br />

Hannes br<strong>um</strong>mte etwas, was nur er selbst verstand,<br />

und fuhr los. Er war noch keine 100 Meter weit gekommen,<br />

<strong>als</strong> er hart auf <strong>die</strong> Bremse stieg. Ein Mann, der<br />

am Straßenrand gestanden hatte, hatte plötzlich zwei<br />

Schritte nach vorn gemacht auf <strong>die</strong> Straße, genau vor<br />

den Kleinbus.<br />

19


Hannes brachte das Fahrzeug gerade noch z<strong>um</strong> Stehen.<br />

Er sprang aus dem Wagen.<br />

„Was fällt Ihnen ein!“, rief er empört. „Sind Sie blind?“<br />

Der Mann deutete auf <strong>die</strong> Armbinde an seinem linken<br />

Oberarm. Es war ein gelbes Band mit drei im Dreieck<br />

angeordneten schwarzen Punkten darauf.<br />

„Klar bin ich blind“, sagte er. „Das sehen Sie doch.“<br />

Das Gesicht, das er Hannes zuwandte, war von einer<br />

großen dunklen Brille weitgehend verdeckt. Seine Augen<br />

waren hinter der Brille nicht zu sehen.<br />

„Blind zu sein genügt Ihnen wohl nicht, wie?“,<br />

knurrte Hannes. „Sie wollen auch noch überfahren<br />

werden und sich ein paar Knochen brechen.“<br />

20


„Das hatte ich keineswegs vor“, versicherte der<br />

Mann, sichtlich verärgert. „Aber es kann mir leicht passieren,<br />

wenn ich so rücksichtslosen, unfähigen Autofahrern<br />

begegne, wie Sie einer sind.“<br />

Vorsichtig ging der Mann zurück auf den Gehsteig.<br />

Dort drehte er sich noch einmal zu Hannes <strong>um</strong>, stieß<br />

wütend mit seinem Stock mehrfach auf den Boden,<br />

und rief: „Sie Rüpel!“ Dann ging er, mit seinem Stock<br />

den Weg ertastend, weg. Nach wenigen Schritten verschwand<br />

er in einer schmalen Gasse zwischen zwei<br />

Häusern.<br />

Hannes stieg wieder in seinen Kleinbus und fuhr los.<br />

Er kam nicht weit. Schon auf den ersten Metern spürte<br />

er, dass das Fahrzeug sich sonderbar verhielt. Er hielt<br />

an, stieg aus und ging <strong>um</strong> den Wagen her<strong>um</strong>.<br />

„Der Vorderreifen“, sagte er betrübt. „Er verliert Luft.<br />

Steigt aus, Kinder, ich muss den Reifen wechseln.“<br />

Lisa, Pieri und <strong>die</strong> anderen fünf stiegen aus. Während<br />

Hannes aus dem Koff erra<strong>um</strong> den Wagenheber<br />

und den Ersatzreifen holte, näherte sich von hinten<br />

neugierig ein Mann.<br />

„Panne, wie?“, fragte er. Seine Stimme klang schadenfroh.<br />

„Reifenschaden. Also wieder mal <strong>die</strong> Reifenstecherbande.<br />

Ich weiß wirklich nicht, was mit der heutigen<br />

Jugend los ist.“<br />

„Die heutige Jugend hat mit <strong>die</strong>sem kaputten Reifen<br />

nichts zu tun“, sagte Lisa. „Sie selbst haben ihn durchstochen.“<br />

Aufl ösung auf Seite 223<br />

21


22<br />

Wer ist <strong>hier</strong> der Chef?<br />

Hannes hatte den Reifen seines Kleinbusses gewechselt,<br />

er und <strong>die</strong> Kinder waren wieder eingestiegen.<br />

Es war eine kurze Fahrt durch <strong>die</strong> kleine Stadt. Lisa deutete<br />

aufgeregt auf ein großes, ziemlich altmodisch aussehendes<br />

Gebäude. „Vielleicht ist das das Ferienlager“,<br />

rief sie hoff nungsvoll.<br />

„Ein Schloss?“, wunderte sich Pieri. „War<strong>um</strong> nicht?“,<br />

beharrte Lisa. „Eine Freundin von mir war mal in einem<br />

Ferienheim, das in einem Schloss untergebracht war.“<br />

„Glaubst du, wir bauen eigens für ein paar freche<br />

Kinder ein Schloss?“, br<strong>um</strong>mte Hannes. „Wegen <strong>die</strong>ser<br />

paar Wochen in den Schulferien? Das dort vorn ist euer<br />

Camp.“ Er deutete nach vorn.<br />

„Zelte!“, sagten <strong>die</strong> vier Mädchen wie im Chor. Ihre<br />

Stimmen verrieten, wie enttäuscht sie waren. „Prima!“,<br />

sagte der größte der Jungs. „Ein richtiges Lager! Wie<br />

bei den Indianern.“<br />

Vor einem der Zelte hielt Hannes seinen Kleinbus an.<br />

„Aussteigen!“, sagte er. „Nehmt euer Gepäck und<br />

verschwindet!“<br />

Lisa, Pieri und <strong>die</strong> anderen fünf Kinder, <strong>die</strong> mit ihnen<br />

in dem Kleinbus gekommen waren, blickten sich <strong>um</strong>.<br />

„Erbärmlicher Service!“, sagte Frank, der älteste und<br />

größte von ihnen. „Ich erwarte ja nicht, dass wir empfangen<br />

werden wie in einem Hotel. Aber es sollte schon


jemand kommen und uns sagen, wohin wir uns wenden<br />

sollen.“<br />

„Das ist kein Hotel, sondern ein Ferienlager für Kinder“,<br />

sagte Lisa. „Offenbar werden wir in <strong>die</strong>sen riesigen<br />

Zelten <strong>hier</strong> wohnen.“<br />

„Riesig nennst du das?“, spottete Frank. „Ich war mal<br />

in München auf dem Oktoberfest, dort sind <strong>die</strong> Zelte<br />

viel größer. Dort passen Tausende von Menschen rein.“<br />

„Ich nehme an, der Chef wohnt nicht in einem Zelt,<br />

sondern in dem Haus dort drüben“, vermutete Pieri.<br />

„Deshalb schlage ich vor, wir gehen hinüber und melden<br />

uns an.“<br />

Niemand hatte etwas dagegen, <strong>als</strong>o marsc<strong>hier</strong>ten<br />

alle sieben z<strong>um</strong> Haus hinüber. Sie öffneten <strong>die</strong> Tür und<br />

traten ein. In dem Flur, in dem sie jetzt standen, gab es<br />

links und rechts je zwei Türen. An der ersten Tür gleich<br />

links prangte der Name „Dr. Großmann“.<br />

„Das ist er“, sagte Frank. „Jedenfalls war der Brief,<br />

den ich von dem Feriencamp bekommen habe, von einem<br />

Dr. Großmann unterschrieben.“<br />

23


Er klopfte an <strong>die</strong> Tür.<br />

„Herein!“, antwortete von drinnen eine Frauenstimme.<br />

Frank öff nete <strong>die</strong> Tür und trat ein. Die anderen sechs<br />

folgten ihm dicht auf. Eine Frau stand an einem hohen<br />

Bücherregal rechts an der Wand. Sie lachte bei dem Anblick<br />

der Kinder. „Da kommen ja <strong>die</strong> sieben Zwerge!“,<br />

rief sie.<br />

„Guten Tag, Frau Dr. Großmann“, sagte Frank. „Wir<br />

wollen uns <strong>hier</strong> …“<br />

„Ich bin nicht Frau Dr. Großmann“, unterbrach ihn <strong>die</strong><br />

Frau. „Ich wische nur Staub. Der Chef ist da draußen.“<br />

24


Sie deutete durch das Fenster hinaus. Dann ging sie.<br />

Frank trat ans Fenster. Lisa wollte ihm folgen, aber<br />

am Schreibtisch blieb sie stehen. Neben dem Telefon<br />

auf der Tischplatte stand ein silbergerahmtes Bild.<br />

„Und was ist daran so interessant?“, fragte Pieri<br />

neben Lisa.<br />

„Off enbar ist das <strong>die</strong> Frau von Dr. Großmann und<br />

sein Sohn“, antwortete Lisa. „Er will seine Familie immer<br />

bei sich haben. Sympathischer Mann!“ Sie trat zu Frank.<br />

Draußen stand nicht ein Mann, wie sie erwartet<br />

hatte, sondern zwei. Der eine trug einen Anzug und<br />

eine Krawatte, der andere Jeans, ein T-Shirt und Turnschuhe.<br />

Sein helles Haar schien ungekämmt, sein Gesicht<br />

war von unzähligen Sommersprossen übersät, auf<br />

seiner Nase saß eine Brille mit schmalem Rand.<br />

„Der mit Anzug und Krawatte ist zweifellos Dr. Großmann“,<br />

sagte Frank. „Der andere ist wohl ein kleiner Angestellter.“<br />

„Du solltest dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen<br />

lassen“, sagte Lisa. „Der Chef <strong>hier</strong> ist der andere.“<br />

Aufl ösung auf Seite 224<br />

25


26<br />

Die Diebin<br />

„Mein Name ist Fritz Großmann“, sagte der freundliche<br />

Mann mit dem struppigen roten Haar. Auf seinen<br />

Doktortitel legte er off enbar keinen Wert. „Darf ich auch<br />

erfahren, wer ihr seid? Meine Mitarbeiterin hat mir nur<br />

gesagt, dass <strong>die</strong> sieben Zwerge <strong>hier</strong> auf mich warten.“<br />

„Ich bin Frank Kleinschmidt“, sagte Frank und trat einen<br />

Schritt vor.<br />

„Eure Vornamen genügen mir völlig“, wehrte Herr<br />

Großmann ab. „Keine unnötigen Formalitäten!“ Er<br />

blickte das Mädchen an, das <strong>als</strong> Nächste in der Reihe<br />

stand. „Astrid“, sagte sie. – „Monika“, fügte <strong>die</strong> Nächste<br />

hinzu. – „Und ich bin Carmen“, sagte <strong>die</strong> dritte. – „Ich<br />

heiße Manuel“, sagte der kleinste der Jungs. – „Und ich<br />

Lisa“, sagte Lisa mit einer leichten Verbeugung. – „Mich<br />

nennen alle Pieri“, stellte sich Pieri vor. „Aber eigentlich<br />

heiße ich Pieter.“<br />

„Da wir jetzt alle wissen, mit wem wir es zu tun haben,<br />

können wir nun z<strong>um</strong> lästigen Papierkram kommen“,<br />

sagte Herr Großmann. „Ich werde euch jetzt offi -<br />

ziell in <strong>die</strong> Liste der bereits Angekommenen eintragen.“<br />

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, öff nete eine<br />

Schublade und griff hinein. Er hatte den dünnen Aktenordner<br />

mit den Namen bereits auf den Tisch gelegt<br />

und wollte eben <strong>die</strong> Schublade schließen, <strong>als</strong> er stutzte.<br />

„Das Geld ist weg!“, rief er erschrocken.


„Dann bekommen wir wohl in den nächsten Tagen<br />

nichts zu essen“, grinste Frank.<br />

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht“, meinte<br />

Dr. Großmann, der sich schnell wieder gefasst hatte.<br />

„Nach meiner Erinnerung waren es ka<strong>um</strong> mehr <strong>als</strong> 50<br />

Euro. Vor einer Viertelstunde war das Geld noch da …“<br />

„Dann hat <strong>die</strong> Frau das Geld geklaut, <strong>die</strong> eben <strong>hier</strong><br />

war, <strong>als</strong> wir kamen“, sagte Manuel überzeugt.<br />

„Frau Schulze?“ Herr Großmann schüttelte den Kopf.<br />

„Die kenne ich seit mehr <strong>als</strong> zehn Jahren. Eine grundehrliche<br />

Person. Einen Diebstahl würde ich ihr nie zutrauen.<br />

Aber andererseits … Sie ist der einzige Mensch,<br />

der weiß, dass ich <strong>hier</strong> Geld aufbewahre.“<br />

„Sie sollten nochmal nachschauen“, riet Lisa.<br />

Herr Großmann tat wie geheißen.<br />

„Ach ja, <strong>hier</strong> ist es tatsächlich!“, sagte er dann erleichtert.<br />

„Das Geld lag unter <strong>die</strong>sem Zettel <strong>hier</strong>, auf dem <strong>die</strong><br />

Lagerordnung ausgedruckt ist. Ich bin wirklich froh,<br />

dass sich <strong>die</strong> Sache so schnell geklärt hat. Nicht wegen<br />

des Geldes, 50 Euro wären kein großer Verlust gewesen.<br />

Viel wichtiger ist mir zu wissen, dass Frau Schulze<br />

doch keine Diebin ist. Aber woher hast du das eigentlich<br />

gewusst, Lisa?“<br />

„Lisa glaubt von allen Menschen immer nur das<br />

Beste“, antwortete Pieri an Lisas Stelle.<br />

„Ich verlasse mich nicht nur auf mein Herz, sondern<br />

genauso sehr auf meinen Verstand“, sagte Lisa.<br />

Herr Großmann lächelte. „So? Dann lass mal deine<br />

zwingende Beweisführung hören!“<br />

Auflösung auf Seite 225<br />

27


28<br />

Erwischt<br />

„Ich bin Gustav“, stellte sich der schmächtige junge<br />

Mann vor. Er war nicht viel älter <strong>als</strong> 20 Jahre, blass und<br />

ziemlich schüchtern. „Ich werde euch eure Zelte zeigen.<br />

Mädchen und Jungs schlafen natürlich in getrennten<br />

Zelten.“<br />

„Zelte sind großartig“, sagte der kleine Manuel. „Viel<br />

schöner <strong>als</strong> <strong>die</strong> blöden Hotels. Viel … abenteuerlicher.“<br />

„Mit <strong>die</strong>sem Abenteuer ist es bald vorbei“, sagte<br />

Gustav. „Wenn du das nächste Jahr wiederkommst,<br />

wirst du nicht mehr im Zelt, sondern dort drüben in<br />

dem alten Bauernhaus wohnen. Es wird gerade renoviert<br />

und z<strong>um</strong> Ferienheim <strong>um</strong>gebaut.“<br />

Er zeigte auf ein Gebäude, das hinter den Zelten bisher<br />

vor den Blicken der Kinder versteckt gewesen war.<br />

Das Gebäude war von einem Gerüst <strong>um</strong>geben und <strong>die</strong><br />

Dachziegel fehlten.<br />

Hinter der Ecke eines der Zelte tauchten drei Männer<br />

auf. Zwei von ihnen waren stämmige Burschen in<br />

der Kleidung von Arbeitern, Maurer vielleicht. Zwischen<br />

ihnen ging ein junger Mann, den sie von beiden<br />

Seiten festhielten. Sein rechtes Auge war geschwollen<br />

und schillerte blau und grün.<br />

„Was seid ihr nur für Rohlinge!“, fauchte Lisa <strong>die</strong> beiden<br />

Arbeiter an. „Wie könnt ihr einen Menschen so<br />

misshandeln!“


„Das Veilchen <strong>um</strong> sein Auge hat er nicht von uns“,<br />

sagte einer der beiden Arbeiter. Alle drei Männer blieben<br />

stehen. „Er ist auf der Flucht gestolpert und hat<br />

sich dabei den Schädel angeschlagen.“<br />

„Auf der Flucht?“, fragte Gustav.<br />

„Ja“, antwortete der zweite Arbeiter. „Auf der Flucht<br />

vor mir. Ich habe ihn erwischt, <strong>als</strong> er gerade in unserer<br />

Baubude <strong>die</strong> Spinde durchstöberte. Er wollte wohl unser<br />

Geld klauen. Bevor ich ihn festhalten konnte, stieß<br />

er mich zur Seite und rannte davon.“<br />

„Wann war das?“, fragte Lisa.<br />

„Vor zehn oder fünfzehn Minuten“, antwortete der<br />

Mann.<br />

„Und jetzt habt ihr ihn erst erwischt?“<br />

„Ja. Gerade eben.“<br />

„Dann wird er es wohl nicht gewesen sein“, überlegte<br />

Lisa. „In zehn oder fünfzehn Minuten kann ein<br />

Fußgänger einen Kilometer zurücklegen, auch wenn er<br />

sich nicht beeilt. Mit dem Rad würde er leicht <strong>die</strong> drei-<br />

29


fache Entfernung schaff en, ohne sich besonders anzustrengen.<br />

Und mit dem Auto mindestens <strong>die</strong> fünff ache.<br />

Mit anderen Worten: Wenn er der Dieb wäre, wäre er<br />

längst über alle Berge.“<br />

„Du bist ja eine ganz besonders Schlaue!“, spottete<br />

der ältere der beiden Arbeiter. „Sieh dir mal seine<br />

Hände an! Was siehst du da?“<br />

„Nichts. Außer dass er an jeder Hand fünf Finger hat.<br />

Wie <strong>die</strong> meisten Menschen.“<br />

Der Arbeiter lachte. „Der Kerl, der vor mir gefl ohen<br />

ist, ist gestolpert und gestürzt. Dabei hat er sich nicht<br />

nur das blaue Auge geholt, sondern hat auch einen Eimer<br />

mit grüner Farbe <strong>um</strong>gestoßen. In <strong>die</strong>se Farbpfütze<br />

ist er mit beiden Händen gefallen. Aber jetzt sind seine<br />

30


Hände sauber. Er hat sie sich <strong>als</strong>o abgewaschen. Mit<br />

grüner Farbe an den Pfoten würde er zu sehr auff allen.<br />

Eine solche Farbe wird man aber nicht so leicht los.<br />

Deshalb ist er noch <strong>hier</strong> und nicht schon längst über<br />

alle Berge, wie du vermutet hattest.“<br />

„Ich habe ihn gesehen“, sagte ein Junge aus dem<br />

Camp aufgeregt. „Dort drüben in der Toilette.“ Er deutete<br />

auf ein kleines Gebäude, das etwas abseits von<br />

den Zelten stand. „Ich erkenne ihn genau wieder! Er<br />

wusch sich mit Seife grüne Farbe von den Händen.“<br />

„Du hast <strong>als</strong>o sein Gesicht gesehen?“, fragte Lisa.<br />

„Klar! Ganz deutlich. Im Spiegel. Dabei habe ich<br />

auch gesehen, dass sein rechtes Auge fast zugeschwollen<br />

und dunkel verfärbt ist.“<br />

„Das ist mir schon gestern passiert“, beteuerte der<br />

Festgehaltene. „Bei der Arbeit.“<br />

„Ich glaube, er sagt <strong>die</strong> Wahrheit“, sagte Lisa. „Sie haben<br />

den f<strong>als</strong>chen Mann erwischt, meine Herren!“<br />

„Ich weiß nicht, ob ich an deinem Verstand zweifeln<br />

soll oder an deinen Augen“, sagte Pieri zu Lisa.<br />

„Du siehst doch sein blaues rechtes Auge, genau wie<br />

bei dem Mann, der sich dort drüben in der Toilette <strong>die</strong><br />

grüne Farbe von den Händen gewaschen hat.“<br />

Aufl ösung auf Seite 225<br />

31


32<br />

Der Überfall<br />

Pieri strampelte, <strong>als</strong> wolle er im Endspurt eine wichtige<br />

Etappe der Tour de France gewinnen. Aber er hatte etwas<br />

viel Wichtigeres vor: Er wollte pünktlich z<strong>um</strong> Mittagessen<br />

im Ferienlager sein. Wer zu spät kam, bekam<br />

nichts mehr zu essen. Jedenfalls hatten das <strong>die</strong> Leiter<br />

des Ferienlagers angedroht. Pieri glaubte es zwar nicht<br />

wirklich, aber bei den Erwachsenen kann man nie wissen.<br />

Außerdem wollte er nicht schon an den ersten Tagen<br />

unangenehm auff allen.<br />

Die Straße des kleinen Ortes Bergheim bestand aus<br />

Kopfsteinpfl aster. Das Rad holperte und hüpfte so heftig,<br />

dass Pieri befürchtete, an dem alten Drahtesel würden<br />

sich <strong>die</strong> Schrauben lockern. Wirklich erstaunlich,<br />

wie anstrengend das Radfahren auf einem solchen<br />

Pfl aster war.<br />

Pieri sah den Mann schon lange im Voraus. Nicht<br />

nur, weil er außer ihm selbst der einzige Mensch auf<br />

der Straße war. Auch unter 50 Menschen wäre der Bursche<br />

sofort aufgefallen. Trotz der sommerlichen Hitze<br />

trug er einen Regenmantel, der viel zu weit war für<br />

seine lange, dünne Gestalt.<br />

Der Mann ging auf dem linken Gehsteig in <strong>die</strong> gleiche<br />

Richtung wie Pieri, und er schien es ebenso eilig zu<br />

haben. Vielleicht war auch er auf dem Weg z<strong>um</strong> Mittagessen.


Plötzlich bog der Mann nach rechts ab, trat auf <strong>die</strong><br />

holprige Fahrbahn und überquerte sie mit langen<br />

Schritten, ohne nach links oder rechts zu sehen.<br />

Pieri hörte auf zu strampeln. Er klingelte. Der Mann,<br />

tief in seine Gedanken versunken, schien ihn nicht zu<br />

hören. Er ging weiter. Na schön, dachte Pieri, dann lasse<br />

ich ihm eben <strong>die</strong> Vorfahrt und fahre hinter ihm vorbei.<br />

Im gleichen Augenblick blieb der Mann stehen, <strong>als</strong><br />

sei ihm plötzlich etwas eingefallen, machte kehrt und<br />

setzte sich ruckartig wieder in Bewegung. Den jungen<br />

Radfahrer sah er nicht, und er hörte auch nicht das<br />

Klingeln.<br />

Pieri riss den Lenker nach links, <strong>um</strong> dem Mann auszuweichen.<br />

Das gelang ihm. Auf dem Rad zu bleiben<br />

gelang ihm nicht mehr. Er flog in hohem Bogen über<br />

den Lenker und landete hart auf dem Kopfsteinpflaster.<br />

„Verdammter Bengel!“, hörte er <strong>die</strong> Stimme des Mannes.<br />

„Hast du keine Augen im Kopf?“<br />

Die Beleidigung ärgerte Pieri so sehr, dass er ka<strong>um</strong><br />

<strong>die</strong> Schmerzen spürte. Er achtete nicht auf <strong>die</strong> blutigen<br />

Schürfwunden an seinen Knien und auf den aufgeschlagenen<br />

Ellbogen. Im Augenblick interessierte ihn<br />

nur, ob das Rad heil geblieben war. Es war nicht sein eigenes<br />

Rad, er hatte es sich nur geliehen. Und er hatte<br />

versprochen, es unbeschädigt zurückzugeben.<br />

Auf den allerersten Blick schien das Rad in Ordnung<br />

zu sein. Die Felgen jedenfalls zeigten bei der Überprüfung<br />

keine Acht.<br />

„Du bist eine Gefahr für deine Mitmenschen“,<br />

schimpfte der Mann.<br />

33


Pieri war nicht erpicht darauf, noch mehr solcher Beschimpfungen<br />

über sich ergehen zu lassen. Er schob<br />

das Rad an, sprang im Laufen auf und begann wieder<br />

zu strampeln. Er wollte pünktlich im Ferienlager sein.<br />

Der Mann starrte ihm fi nster nach. Dann schaute er<br />

auf seine Armbanduhr. Fünf Minuten vor zwölf. Plötzlich<br />

hatte er es wieder sehr eilig. Er überquerte <strong>die</strong><br />

Straße, erreichte mit wenigen Schritten eine Kreuzung<br />

und bog nach rechts ab in eine stille schmale Querstraße.<br />

Vor dem zweiten Haus blieb er stehen, genau<br />

vor der Tür eines kleinen Schreibwarenladens. Er griff<br />

in <strong>die</strong> Tasche seines Regenmantels, holte eine riesige<br />

dunkle Sonnenbrille heraus und setzte sie auf. Dann<br />

zog er <strong>die</strong> Krempe seines Hutes tiefer in <strong>die</strong> Stirn und<br />

stieß mit der anderen Hand <strong>die</strong> Tür auf.<br />

Der kleine alte Mann hinter der Kasse blickte ihm<br />

freundlich entgegen. „Guten Tag!“, grüßte er.<br />

„Geld her!“, antwortete der andere. „Geben Sie mir<br />

alles, was Sie haben!“<br />

„Das ist so wenig, dass Sie enttäuscht sein werden“,<br />

sagte der Alte. „Dafür lohnt sich ein Überfall nicht.“<br />

„Für einen Mann in meiner Situation ist auch wenig<br />

Geld viel Geld“, sagte der Fremde. Er packte den Alten,<br />

schubste ihn grob in ein Hinterzimmer und verschloss<br />

schnell <strong>die</strong> Tür. Dann trat er hinter den Ladentisch. Er<br />

öff nete <strong>die</strong> altmodische Kasse und griff gierig hinein.<br />

Hastig stopfte er <strong>die</strong> wenigen Geldscheine und Münzen,<br />

<strong>die</strong> sich darin befanden in eine Tasche seines alten<br />

Regenmantels, ohne sie vorher noch zu zählen, dann<br />

ging er.<br />

34


Bevor er hinaus auf <strong>die</strong> Straße trat, warf er einen<br />

schnellen Blick nach links und rechts. Kein Mensch<br />

war zu sehen. Der Räuber lächelte zufrieden. Niemand<br />

hatte den Überfall bemerkt, und niemand hatte ihn<br />

gesehen, wie er den Laden betreten und schon eine<br />

Minute später wieder verlassen hatte.<br />

Die gute Laune des Räubers hielt nicht lange an.<br />

Schon eine Stunde nach dem Überfall stand er wieder<br />

in dem kleinen Schreibwarenladen. Er trug keinen Regenmantel<br />

mehr, keinen Hut und keine Sonnenbrille,<br />

dafür stählerne Handschellen.<br />

„Du bist wirklich ein Idiot, Manni!“, sagte Polizeimeister<br />

Anders kopfschüttelnd. „Bei allen deinen Überfällen<br />

wendest du <strong>die</strong> gleiche Methode an. Ein kleiner Laden<br />

in einer kleinen Stadt, notdürftige Maskierung mit<br />

35


Hut und Sonnenbrille, und ein viel zu weiter Mantel,<br />

der deine dünne Gestalt verbergen soll. Deshalb sind<br />

wir so schnell auf dich gekommen. Lernst du denn nie<br />

dazu? Erst vor vierzehn Tagen hat man dich aus dem<br />

Gefängnis entlassen, und schon begehst du wieder einen<br />

Überfall! Nach der gleichen Methode.“<br />

Manni versuchte es mit Frechheit. „Dass man mich<br />

dam<strong>als</strong> eingesperrt hat, war ein Fehlurteil. Und mit <strong>die</strong>sem<br />

Überfall <strong>hier</strong> habe ich überhaupt nichts zu tun. Ich<br />

war im Nachbardorf. Dort, wo Sie mich festgenommen<br />

haben. In <strong>die</strong>sem erbärmlichen Kaff <strong>hier</strong> bin ich noch<br />

nie in meinem Leben gewesen.“<br />

„Ich kann wirklich nicht beschwören, dass es <strong>die</strong>ser<br />

Mann war, der mich eingesperrt und ausgeraubt<br />

hat“, sagte der Ladenbesitzer. „Sein Gesicht habe ich ja<br />

ka<strong>um</strong> gesehen. Die riesige Sonnenbrille, der tief ins Gesicht<br />

gezogene Hut, der hochgeschlagene Mantelkragen<br />

… Wahrscheinlich war es wirklich ein anderer.“<br />

Manni grinste. „Na <strong>als</strong>o!“, sagte er zufrieden. „Die Gerechtigkeit<br />

hat wieder mal gesiegt, und ein Unschuldiger<br />

wurde vor dem Gefängnis bewahrt. Nehmen Sie<br />

mir endlich <strong>die</strong> verdammten Handschellen ab!“<br />

„Zuerst einmal bringen wir dich auf unser Revier<br />

und unterhalten uns eine Weile mit dir.“ Wachtmeister<br />

Anders nahm Manni am Arm und führte ihn zur Tür.<br />

Eine Menge Menschen hatte sich auf der Straße angesammelt,<br />

seit sich <strong>die</strong> Nachricht von dem Überfall<br />

und der Festnahme des mutmaßlichen Täters her<strong>um</strong>gesprochen<br />

hatte. Unter den Schaulustigen befanden<br />

sich auch Pieri und Lisa.<br />

36


„Den kenne ich!“, rief Pieri aufgeregt. „Das ist er!“<br />

„Was will <strong>die</strong> Rotznase von mir?“, br<strong>um</strong>mte Manni.<br />

„Das ist der Mann, der mir plötzlich vor das Rad gelaufen<br />

ist“, berichtete Pieri. „Hier, sehen Sie, bei dem<br />

Sturz habe ich mir <strong>die</strong> Knie aufgeschürft.“<br />

„Wann und wo war das?“, fragte Wachtmeister Anders<br />

in ernstem Ton.<br />

„Vor ungefähr einer Stunde“, antwortete Pieri. „Kurz<br />

vor zwölf. Dort drüben in der Querstraße.“<br />

„Also ungefähr zur Zeit des Überfalls, keine 100<br />

Schritte vom Tatort entfernt“, fasste Wachtmeister Anders<br />

zusammen. Er sah den Mann in den Handschellen<br />

an. „Hast du mir nicht eben erzählt, dass du noch nie in<br />

unserer Stadt warst?“<br />

„Der Bengel lügt doch!“, behauptete Manni frech. „Er<br />

hat mich noch nie in seinem Leben gesehen.“<br />

„Doch, das habe ich“, beharrte Pieri. Er hasste es,<br />

wenn man ihn einen Lügner nannte.<br />

„Hast du ihn auch <strong>hier</strong> gesehen, <strong>als</strong> er aus dem Laden<br />

kam?“, fragte Wachtmeister Anders.<br />

„Ich habe ihn gesehen!“, wiederholte Pieri. Wieder<br />

dachte er an den Schrecken, <strong>als</strong> er drüben in der Querstraße<br />

dem fremden Mann ausweichen wollte und mit<br />

dem Rad gestürzt war.<br />

„Er lügt!“, schrie Manni. „Er hat mich nicht gesehen.<br />

Niemand kann mich <strong>hier</strong> gesehen haben! Weil überhaupt<br />

niemand … weil ich überhaupt nicht <strong>hier</strong> war.“<br />

Pieri grinste. „Das ist so gut wie ein Geständnis. Er<br />

war <strong>hier</strong>!“<br />

Auflösung auf Seite 226<br />

37


38<br />

Wer ist der Dieb?<br />

„Hört mir bitte alle mal zu!“ Verzweifelt versuchte Gustav<br />

sich Gehör zu verschaff en. Er war extra aufgestanden,<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu<br />

ziehen, doch niemand hörte dem schmächtigen jungen<br />

Mann zu.<br />

Auch nicht Lisa und Pieri, neben deren Tisch er<br />

stand. Pieri kannte ihn erst seit gestern, er wusste über<br />

ihn nicht mehr, <strong>als</strong> dass alle <strong>hier</strong> im Ferienlager ihn für<br />

einen Trottel hielten.<br />

Gustav stellte sich auf <strong>die</strong> Zehenspitzen, <strong>um</strong> größer<br />

zu wirken, und reckte beide Arme gen Himmel. Na ja,<br />

vom Himmel war nichts zu sehen in dem großen Zelt,<br />

in dem <strong>die</strong> Teilnehmer des Ferienlagers ihr Frühstück,<br />

das Mittagessen und das Abendessen einzunehmen<br />

pfl egten. Nur <strong>die</strong> noch tief stehende Morgensonne<br />

schimmerte schwach durch <strong>die</strong> Zeltplane.<br />

„Ich muss euch etwas Wichtiges mitteilen!“, rief<br />

Gustav mit etwas lauterer Stimme.<br />

Niemand wollte seine wichtige Mitteilung hören.<br />

Gustav begriff , dass es ihm nicht gelingen würde,<br />

<strong>die</strong> Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen auf<br />

sich zu ziehen. Jetzt sah er drein, <strong>als</strong> würde er im nächsten<br />

Augenblick anfangen zu weinen.<br />

Am Tisch neben Lisa und Pieri stand Mike auf. Mike<br />

war zwei oder drei Jahre jünger <strong>als</strong> Gustav, aber so


ziemlich das Gegenteil von ihm. Er war einen halben<br />

Kopf größer, hatte doppelt so breite Schultern<br />

und besaß zehnmal so viel Selbstbewusstsein. Er besuchte<br />

<strong>die</strong>selbe Schule wie Lisa und Pieri, im nächsten<br />

Jahr würde er das Abitur machen, wenn er nicht wieder<br />

sitzen blieb. Das war ihm schon ein- oder zweimal<br />

passiert, aber das schmälerte sein Ansehen bei seinen<br />

Mitschülern nicht. Mike war cool, darin waren sich alle<br />

einig. Der kleine, schmächtige, schüchterne Gustav war<br />

noch nie in den Verdacht geraten, cool zu sein.<br />

„Ruhe!“, gebot Mike streng. Zwei Sekunden später<br />

herrschte Stille im großen Zelt. „Gustav möchte euch<br />

etwas ungeheuer Wichtiges mitteilen.“<br />

Einige lachten. Was Gustav zu sagen hatte, konnte<br />

nicht allzu wichtig sein.<br />

„Wir machen heute eine Wanderung zur Ruine Drachenfels“,<br />

sagte Gustav mit unsicherer Stimme. Er<br />

machte einen Schritt nach vorn, <strong>als</strong> hoffe er, nun besser<br />

gehört zu werden. „Niemand muss mitgehen. Es sind<br />

ungefähr fünf Kilometer bis zu der Ruine, immer bergauf,<br />

und das ist vielleicht manchem von euch zu viel.“<br />

„Wenn du <strong>die</strong> Strecke schaffst, schafft es auch jeder<br />

andere“, spottete Mike.<br />

Wieder lachten einige.<br />

„Ruine Drachenfels?“, fragte Pieri. „Eine richtige<br />

Burg? Mit Türmen, Gräben, Zinnen, Folterkammer und<br />

einem Schlossgespenst?“<br />

„Im Augenblick nicht“, antwortete Mike an Gustavs<br />

Stelle. „Nur wenn Gustav sich in den Trümmern her<strong>um</strong>treibt,<br />

kann man dort einen Geist sehen.“<br />

39


Mike prustete vor Lachen. Etliche andere stimmten<br />

mit ein.<br />

Mit jeder d<strong>um</strong>men Bemerkung <strong>die</strong>ses Gorillas werden<br />

<strong>die</strong> Lacher mehr, dachte Lisa verärgert.<br />

„Eine richtige Burg!“, wiederholte Pieri. „Da gibt es<br />

bestimmt eine Menge zu fotografieren.“<br />

„Hast du denn eine Kamera, Pieri?“, fragte Gustav<br />

interessiert.<br />

„Klar hat er einen Knipskasten“, antwortete Mike am<br />

Nebentisch an Pieris Stelle. „Er fotografiert ununterbrochen<br />

damit. Ich glaube, er hat jeden von uns schon<br />

dreimal auf seinen Film gebannt.“<br />

„Das ist eine Digitalkamera“, sagte Pieri. „Die braucht<br />

keinen Film. Nur eine Speicherkarte.“<br />

Er griff in seine Hosentasche und holte <strong>die</strong> Kamera<br />

heraus. Das Essen auf seinem Teller war ihm vollkommen<br />

gleichgültig geworden.<br />

„Du hast <strong>als</strong>o schon viele Bilder gemacht?“, fragte<br />

Gustav.<br />

„Eigentlich nicht. Ich habe <strong>die</strong> Kamera ja erst seit<br />

gestern. Es ist eine ziemlich billige Kamera, 49 Euro.<br />

Mehr konnte ich mir von meinem Taschengeld nicht<br />

zusammensparen. Aber sie hat immerhin einen fünffachen<br />

optischen und vierfachen digitalen Zoom.“<br />

„Digitalzoom kannst du vergessen“, sagte Gustav.<br />

„Bringt keine ordentliche Vergrößerung, verschlechtert<br />

nur <strong>die</strong> Bildqualität.“<br />

„Du kennst dich mit Kameras aus? Darf ich dir vielleicht<br />

ein paar Fragen stellen? Wie gesagt, ich habe <strong>die</strong><br />

Kamera erst seit gestern. Und ich bin noch nicht einmal<br />

40


dazu gekommen, <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nungsanleitung zu lesen.<br />

Die ist über 100 Seiten dick.“<br />

„Wenn du, anstatt jeden Mülleimer zu knipsen, <strong>die</strong><br />

Anleitung lesen würdest, dann …“<br />

Lisa kam nicht dazu, den Satz zu vollenden.<br />

Gustav und Pieri hatten sich in eine Diskussion über<br />

Kameras vertieft und waren für alles, was <strong>um</strong> sie her<strong>um</strong><br />

geschah, taub.<br />

Mike griff vom Nebentisch herüber und nahm Pieri<br />

<strong>die</strong> Kamera ab, ohne zu fragen.<br />

„Kinderspielzeug!“, sagte Mike und reichte Pieri <strong>die</strong><br />

Kamera zurück. „Gerade richtig für dich, Kleiner, und<br />

für einen Typen wie unseren Gustav.“<br />

Es war das erste Mal, dass Pieri <strong>die</strong>sen Mike ganz aus<br />

der Nähe erlebte. Von Minute zu Minute mochte er ihn<br />

weniger.<br />

Mike ging weg, <strong>um</strong> sich noch etwas Kakao zu holen.<br />

„Was mache ich, wenn meine Speicherkarte voll ist?“,<br />

fragte Pieri. „Hier im Lager werde ich mir wohl keine<br />

neue kaufen können, oder?“<br />

„Nein“, antwortete Gustav. „In der Stadt könntest du<br />

dir eine besorgen, aber dazu ist keine Zeit mehr. Bis dahin<br />

musst du dir eben ohne Karte behelfen.“<br />

„Wie denn?“<br />

„Deine Kamera besitzt einen internen Speicher.<br />

Wenn <strong>die</strong> Karte voll ist, werden <strong>die</strong> Aufnahmen eben in<br />

<strong>die</strong>sem fest eingebauten Speicher aufgenommen. Für<br />

zehn oder fünfzehn Bilder wird das schon reichen.“<br />

Eine Stunde später waren alle, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Ruine<br />

Drachenfels ansehen wollten, unterwegs. Auf einem<br />

41


kleinen Rastplatz unterhalb der Burg machten sie eine<br />

kurze Pause. Im Gegensatz zu den meisten anderen<br />

setzte Pieri sich nicht. Er lief mit seiner Kamera her<strong>um</strong><br />

und suchte einen günstigen Standort für seine Aufnahmen.<br />

Als er glaubte, den besten Platz gefunden zu haben,<br />

drückte er ab.<br />

Ein kurzer Blitz blendete ihn. Verwundert sah er <strong>die</strong><br />

Kamera an. Hinter sich hörte er ein leises Lachen.<br />

Es war Lisa.<br />

„Glaubst du, dass du <strong>die</strong> Burg da oben mit deinem<br />

kleinen Blitzlicht ausreichend beleuchten kannst?“,<br />

fragte sie.<br />

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Pieri. „Dieser Blitz<br />

reicht nicht weiter <strong>als</strong> drei oder vier Meter. Ich muss ihn<br />

versehentlich zugeschaltet haben. Oder Mike hat auf<br />

<strong>die</strong> f<strong>als</strong>che Taste gedrückt, <strong>als</strong> er an der Kamera her<strong>um</strong>spielte.“<br />

Pieri schaltete <strong>die</strong> Kamera auf Wiedergabe und betrachtete<br />

auf dem kleinen Bildschirm das Foto.<br />

„Die Burg ist gut getroff en“, sagte er. „Aber der Kerl<br />

im Vordergrund …“<br />

„Welcher Kerl?“, fragte Lisa.<br />

„Der da an dem Tisch, wo unsere Rucksäcke liegen.<br />

Der Kerl verdirbt mir <strong>die</strong> ganze Aufnahme.“<br />

„Wo ist er?“, fragte Lisa. Sie blickte sich suchend <strong>um</strong>.<br />

Der „Kerl“, den Pieri eben fotografi ert hatte, war verschwunden.<br />

„Ist er auf dem Foto zu erkennen?“<br />

„Nein. Man kann nur erkennen, dass er einen roten<br />

Rucksack in der Hand hält. Aber war<strong>um</strong> fragst du denn<br />

nach ihm?“<br />

42


„Ich wundere mich, dass er so plötzlich verschwunden<br />

ist.“<br />

Eine Stunde später wusste Lisa, war<strong>um</strong> der Kerl so<br />

schnell abgehauen war. Es gab in der Burgruine einen<br />

Kiosk, an dem man Getränke und dergleichen kaufen<br />

konnte. Romy, ein nettes Mädchen, mit dem Lisa sich<br />

in den letzten Tagen angefreundet hatte, wollte sich etwas<br />

zu trinken kaufen und stellte dabei fest, dass ihre<br />

Geldbörse fehlte.<br />

„Mein ganzes Geld ist darin“, klagte sie. „Fast 50<br />

Euro.“<br />

43


Verzweifelt kramte sie in ihrem Rucksack, in der<br />

schwachen Hoffnung, ihre Geldbörse doch noch zu<br />

finden.<br />

„Ein roter Rucksack“, sagte Lisa nachdenklich. „Der<br />

Kerl auf deinem Foto hatte doch einen roten Rucksack<br />

in der Hand, nicht wahr?“<br />

Pieri nickte.<br />

„Was für ein Foto?“, fragte Gustav, der näher getreten<br />

war.<br />

„Das Foto, auf dem du zu sehen bist, wie du Romys<br />

Rucksack plünderst“, antwortete Mike, der ebenfalls näher<br />

kam.<br />

Gustav wurde blass.<br />

„Du siehst aus wie das leibhaftige schlechte Gewissen“,<br />

sagte Mike. „Ich glaube, es könnte nicht schaden,<br />

wenn wir mal deinen Rucksack durchsuchen würden.“<br />

Gustav wurde noch blasser.<br />

„Willst du damit andeuten, dass ich …“<br />

44


„Er will gar nichts andeuten“, sagte Andy, einer von<br />

Mikes Freunden. Er hielt Gustavs Rucksack in der Hand<br />

und griff hinein. Als er <strong>die</strong> Hand herauszog, hielt er eine<br />

Geldbörse darin.<br />

„Das ist meine!“, rief Romy. „Hoffentlich ist das Geld<br />

noch da!“<br />

Sie wurde enttäuscht. Die Geldscheine fehlten, nur<br />

ein paar lächerliche Münzen waren in der Börse.<br />

„Du hast doch gerade von einem Foto gesprochen“,<br />

sagte Mike jetzt, an Pieri gewandt. „Mit einem Kerl<br />

darauf, der sich an einem roten Rucksack zu schaffen<br />

macht.“<br />

Pieri nickte.<br />

„Ja, aber der Dieb ist viel zu unscharf abgebildet.<br />

Sein Gesicht ist nicht zu erkennen.“<br />

„Nun, vielleicht erkennt man wenigstens noch seine<br />

Kleidung“, sagte Mike. „Dann können wir mit Sicherheit<br />

sagen, ob es sich <strong>um</strong> Gustav handelt.“<br />

Gustav blickte ängstlich in <strong>die</strong> Runde. „Ich bin kein<br />

Dieb!“, versicherte er. „Ich habe noch nie in meinem<br />

Leben …“<br />

„Dann ist Romys Geldbörse wohl von selbst in dein<br />

Gepäck geflogen, wie?“, höhnte Mike. Er wandte sich<br />

Pieri zu. „Zeig uns das Foto, Pieri!“<br />

Pieri öffnete <strong>die</strong> Kamera. Alle Umstehenden sahen<br />

ihm gespannt zu. Nur Mike grinste.<br />

„Die Speicherkarte ist weg!“, stellte Pieri empört<br />

fest. „Jemand muss sie inzwischen herausgenommen<br />

haben.“<br />

Mikes Grinsen verstärkte sich.<br />

45


„Pech gehabt, Gustav!“, höhnte er. „Du hast geglaubt,<br />

wenn du <strong>die</strong> Speicherkarte verschwinden lässt,<br />

gibt es keine Beweise mehr gegen dich. Aber Romys<br />

Geldbörse in deinem Rucksack verrät dich.“<br />

„Nein“, widersprach Pieri. „Nicht Gustav ist der Dieb,<br />

sondern du.“<br />

„Blödsinn!“, lachte Mike. „Wenn ich der Dieb wäre,<br />

würde ich doch nicht verlangen, das Foto zu sehen, das<br />

mich überführt.“<br />

„Gerade dadurch hast du dich selbst verraten“, antwortete<br />

Pieri.<br />

„Wie denn?“, wunderte sich Mike.<br />

„Du hast geglaubt, du brauchst nur <strong>die</strong> Karte verschwinden<br />

zu lassen, <strong>um</strong> auch das Foto zu beseitigen,<br />

das dich mit Romys Rucksack in der Hand zeigt“, antwortete<br />

Pieri. „Deshalb warst du so sicher, dass es keinen<br />

Beweis gegen dich geben kann.“<br />

„Kann es auch nicht geben“, sagte Mike, leicht verunsichert.<br />

Er wusste nicht, worauf Pieri hinauswollte.<br />

„Romys Geldbörse in Gustavs Rucksack ist doch Beweis<br />

genug.“<br />

„Keineswegs“, sagte Pieri.<br />

46<br />

Auflösung auf Seite 227


Alles Gute<br />

kommt von oben<br />

„Es wird gleich regnen“, sagte Pieri.<br />

„Spinnst du?“ Romy sah Pieri verwundert an. „Wo<br />

soll denn der Regen herkommen bei <strong>die</strong>sem herrlichen<br />

Sonnenschein?“<br />

„Schau nach oben!“, antwortete Pieri.<br />

Romy und Lisa taten es. Der größte Teil des Himmels<br />

glänzte tatsächlich in strahlendem Blau, aber links von<br />

ihnen breitete sich eine schwarze Wolke aus. Sie kam<br />

off enbar schnell näher, getrieben von einem kräftigen<br />

Wind, der heftig an den Bä<strong>um</strong>en links und rechts der<br />

Straße rüttelte.<br />

„Deckung!“, rief Pieri. Er rannte los, auf <strong>die</strong> off ene<br />

Tür einer Eis<strong>die</strong>le zu, <strong>die</strong> nur wenige Schritte entfernt<br />

war. Lisa folgte seinem Beispiel. Nur Romy blieb stehen.<br />

„Jetzt sind sie beide verrückt geworden“, murmelte sie.<br />

Sie hatte ka<strong>um</strong> ausgesprochen, <strong>als</strong> sie <strong>die</strong> ersten<br />

Regentropfen in ihrem Gesicht und auf ihren nackten<br />

Armen spürte. Jetzt rannte auch sie los. Atemlos erreichte<br />

sie <strong>die</strong> Eis<strong>die</strong>le gerade noch rechtzeitig, bevor<br />

der Himmel endgültig seine Schleusen öff nete und<br />

Unmengen von Wasser auf <strong>die</strong> kleine Stadt Bergheim<br />

hi nabstürzen ließ.<br />

Romy schüttelte <strong>die</strong> Wassertropfen aus ihrem<br />

schwarzen Haar.<br />

47


„Und so was nennt sich Ferien!“, schimpfte sie. „Regen<br />

hätten wir zu Hause auch haben können.“ Sie sah<br />

Pieri an. „Woher hast du gewusst, dass es gleich regnen<br />

wird?“<br />

„Im Westen hat es schon geregnet“, antwortete Pieri.<br />

„Der Wind war heftig und trieb <strong>die</strong> Regenwolke schnell<br />

auf uns zu. Na ja, es gibt schlimmere Orte, <strong>um</strong> einen Regenschauer<br />

zu überstehen, <strong>als</strong> eine Eis<strong>die</strong>le.“<br />

„Da hast du recht“, stimmte Lisa zu. „Meinetwegen<br />

kann es draußen regnen, so viel es will, solange es <strong>hier</strong><br />

genügend Eis gibt. Ich nehme ein Erdbeereis.“<br />

„Ich mag Vanille lieber“, sagte Romy.<br />

„Ist mir egal“, sagte Pieri. „Eis ist doch was für kleine<br />

Kinder.“<br />

„Erdbeere für mich, Vanille für Romy und Schokolade<br />

für den Kleinen, der sich einbildet, kein Kind mehr<br />

zu sein“, sagte Lisa zu dem Verkäufer.<br />

Die drei setzten sich an einen Tisch beim Fenster<br />

und machten sich über das Eis her, das der Verkäufer<br />

ihnen brachte.<br />

„Es macht richtig Spaß, im Trockenen zu sitzen<br />

und zuzusehen, wie draußen <strong>die</strong> Sintflut losbricht“,<br />

sagte Pieri. „Und wie <strong>die</strong> Leute durch <strong>die</strong> Pfützen rennen,<br />

<strong>um</strong> ins Trockene zu kommen. Sieht wirklich komisch<br />

aus.“<br />

Zwei der Leute, <strong>die</strong> draußen vorbeirannten, waren<br />

ein Mann und eine Frau. Sie schoben einen Kinderwagen<br />

vor sich her. Der Mann deutete auf <strong>die</strong> Eis<strong>die</strong>le und<br />

rief seiner Frau etwas zu, was <strong>die</strong> drei hinter der riesigen<br />

Glasscheibe nicht verstehen konnten.<br />

48


Weder der Mann noch <strong>die</strong> Frau sahen den Wagen,<br />

der sich ihnen von hinten näherte. In dem prasselnden<br />

Regen hörten sie weder den Motor noch <strong>die</strong> Reifen.<br />

Der Wagen fuhr schnell und dicht am Straßenrand. Die<br />

Pfütze, <strong>die</strong> sich bereits gebildet hatte, kümmerte den<br />

Fahrer nicht. Auch nicht der Wasserschwall, der von<br />

den Reifen aufgewirbelt wurde und den Mann, <strong>die</strong> Frau<br />

und den Kinderwagen voll traf.<br />

Der Mann hob drohend <strong>die</strong> Faust und brüllte irgendetwas<br />

Unfreundliches hinter dem Wagen her. Der<br />

Fahrer antwortete, indem er seinen linken Arm aus<br />

dem Seitenfenster streckte und fröhlich z<strong>um</strong> Abschied<br />

winkte.<br />

„Eine Unverschämtheit!“, empörte sich Romy. „Erst<br />

spritzt er <strong>die</strong> Leute mit Dreck voll, dann verspottet er<br />

sie auch noch.“<br />

Der Wagen war inzwischen aus dem Blickfeld von<br />

Lisa, Romy und Pieri verschwunden.<br />

Das junge Paar mit dem Kinderwagen hatte endlich<br />

das Innere der Eis<strong>die</strong>le erreicht, aber <strong>um</strong> wenige Sekunden<br />

zu spät. Ihre Kleidung klebte ihnen patschnass<br />

am Körper.<br />

49


„So ein Rüpel!“, schimpfte der Mann. „Man sollte den<br />

Kerl anzeigen.“<br />

„Das sollte man wirklich“, stimmte Romy zu. „Hast du<br />

dir <strong>die</strong> Auton<strong>um</strong>mer gemerkt, Lisa?“<br />

„Hat sie nicht“, antwortete Pieri an Lisas Stelle. „Ich<br />

auch nicht. Amtliche Kennzeichen sind vorne und hinten<br />

angebracht, aber nicht seitlich, und wir haben <strong>die</strong><br />

Kiste nur von der Seite gesehen.“<br />

„Amtliche Kennzeichen!“, spottete Romy. „So jung<br />

und redet schon so geschwollen!“<br />

„Immerhin habe ich gesehen, dass das Auto weiß lackiert<br />

ist“, sagte Lisa.<br />

„Das hilft uns nicht weiter“, meinte Romy enttäuscht.<br />

„Weiße Autos gibt es viele.“<br />

„Aber nicht viele Sportwagen“, sagte Pieri. „Wahrscheinlich<br />

ist das der einzige weiße Sportwagen <strong>die</strong>ser<br />

Marke in <strong>die</strong>ser kleinen Stadt.“<br />

Der Wolkenbruch dauerte nicht lange. Die drei<br />

Freunde hatten ka<strong>um</strong> ihr Eis verdrückt, <strong>als</strong> <strong>die</strong> hässliche<br />

dunkle Wolke sich verzogen hatte. Die drei verließen<br />

<strong>die</strong> Eis<strong>die</strong>le und spazierten ziellos durch <strong>die</strong> Stadt.<br />

Vor dem Postamt stand ein Wagen, der Pieris Aufmerksamkeit<br />

erregte. Er blieb stehen.<br />

„Er ist weiß“, sagte Lisa neben ihm.<br />

„Und ein Sportwagen“, fügte Pieri hinzu. „Wie der<br />

Wagen, der vorhin das Ehepaar mit dem Baby von<br />

oben bis unten vollgespritzt hat.“<br />

Er bückte sich, <strong>um</strong> unter das Fahrzeug zu blicken.<br />

„Pech gehabt, Kleiner!“, sagte eine spöttische Männerstimme<br />

hinter ihm. „Du siehst, der Asphalt unter<br />

50


dem Wagen ist trocken. Das Auto steht seit zwei Stunden<br />

bewegungslos <strong>hier</strong>, auch während des Regens.“<br />

Der Mann grinste Pieri fröhlich an. Dann streichelte<br />

er dem Jungen mit einer scheinbar tröstenden Geste<br />

über das Haar. Mit der linken Hand.<br />

Der Mann öff nete <strong>die</strong> Fahrertür, stieg ein und fuhr<br />

mit qietschenden Reifen davon.<br />

„Er war es!“, sagte Lisa.<br />

„Ohne jeden Zweifel“, stimmte Pieri zu. „Ich schreibe<br />

mir sein Kennzeichen auf, damit ich es nicht vergesse.“<br />

Aufl ösung auf Seite 228<br />

51


52<br />

Der Apfel<strong>die</strong>b<br />

Lisa und Pieri machten einen Spaziergang durch <strong>die</strong><br />

hübsche kleine Stadt Bergheim. Als sie an einer Straßenkreuzung<br />

<strong>um</strong> <strong>die</strong> Ecke bogen, blieben sie verblüff t<br />

stehen.<br />

Ein Mann in Arbeitskleidung kam ihnen entgegen,<br />

kräftig wie ein Bär. Er hatte einen kleinen Jungen am<br />

Kragen gepackt und zog ihn neben sich her.<br />

Lisa und Pieri kannten den Kleinen. Er hieß Max und<br />

nahm wie sie am Ferienlager teil.<br />

Aus der anderen Richtung kam Wachtmeister Anders,<br />

der gerade seinen täglichen Rundgang machte.<br />

„Gut, dass ich Sie gerade treff e, Wachtmeister!“, rief<br />

der Mann. „Ich habe einen Dieb geschnappt. Er wollte<br />

bei mir Äpfel stehlen.“<br />

„Endlich mal ein richtiger Kriminalfall in <strong>die</strong>ser<br />

Stadt!“, sagte Wachtmeister Anders schmunzelnd. „Ein<br />

achtjähriger Junge, der einen Apfel geklaut hat! Aus einem<br />

Garten mit Dutzenden von Apfelbä<strong>um</strong>en. Da ist<br />

Ihnen ja ein gewaltiger Fang gelungen, Herr Schmitz!“<br />

„Mit Äpfeln fangen sie an. Wenn sie größer sind,<br />

stehlen sie Fahrräder und schließlich Autos.“<br />

„Ich bin nicht acht, ich bin zehn“, sagte Max. Er war<br />

den Tränen nahe. Für einen Dieb gehalten zu werden<br />

war schon schlimm genug, aber auch <strong>als</strong> kleines Kind<br />

gelten, das war wirklich zu viel!


„Auch das ist noch kein Alter, in dem man auf Diebestour<br />

gehen sollte“, sagte Wachtmeister Anders. Man<br />

konnte ihm ansehen, dass es ihm schwerfiel, <strong>die</strong>sen<br />

„Fall“ ernst zu nehmen. „Also, erzähl mal, was geschehen<br />

ist!“<br />

„Ich bin durch <strong>die</strong>sen Obstgarten geschlendert“, begann<br />

Max. „Dabei kam ich an <strong>die</strong>ser Bude da drüben<br />

vorbei“.<br />

„Das ist keine Bude, das ist <strong>die</strong> Halle, in der <strong>die</strong> Kisten<br />

mit meinen Äpfeln gelagert sind“, korrigierte Herr<br />

Schmitz. „Die Tür steht tagsüber offen, weil ja immer<br />

wieder volle Kisten hineingetragen werden. Diesen<br />

Umstand machte sich <strong>die</strong>ser kleine Gauner zunutze<br />

und ging hinein.“<br />

„Ich war nicht drin“, widersprach Max. „Als ich vorbeiging,<br />

hörte ich drinnen ein Geräusch. Gleich darauf<br />

noch eins. Wie eine Vase, <strong>die</strong> auf den Boden fällt und in<br />

tausend Scherben zerspringt.“<br />

„Es war eine Petrole<strong>um</strong>lampe“, sagte Schmitz. „Der<br />

Dieb hat sie aus Versehen <strong>um</strong>gestoßen.“<br />

„Der Dieb, ja. Aber nicht ich. Ich war draußen, hörte<br />

das Geräusch und schaute hinüber. Das war mein Fehler,<br />

denn ich bin gestolpert und gestürzt. Während ich<br />

noch der Länge nach auf dem Bauch lag, sah ich einen<br />

Jungen aus der Obsthütte kommen und davonlaufen.“<br />

„Hast du ihn erkannt?“, fragte der Wachtmeister.<br />

Max blickte in <strong>die</strong> Runde. Es hatten sich inzwischen<br />

einige Neugierige eingefunden, darunter auch Kinder<br />

aus dem Ferienlager.<br />

Max deutete zögernd auf einen Jungen.<br />

53


„Ich glaube, er war es. Florian.“<br />

„Du bist <strong>als</strong>o nicht sicher?“<br />

„Beim Sturz hatte ich meine Brille verloren. Und<br />

ohne Brille sehe ich sehr schlecht.“<br />

Florian trat zwei Schritte vor. „Wie kannst du dann<br />

behaupten, dass ich es war?“, fragte er empört.<br />

„Ich behaupte es ja nicht, ich sage nur, dass er dir<br />

ähnlich sah. Größe, Figur, Haarfarbe.“<br />

„Ich bin zur Tatzeit am See gewesen, ein paar Hundert<br />

Meter entfernt. In <strong>die</strong>sem Garten und <strong>die</strong>sem Gebäude<br />

<strong>hier</strong> bin ich überhaupt nie gewesen.“<br />

„Was ist dann geschehen?“, fragte der Wachtmeister.<br />

„Ich suchte auf dem Boden meine Brille, fand sie und<br />

stand auf“, erzählte Max. Er wurde noch verlegener, <strong>als</strong><br />

er schon war. „Dann kam <strong>die</strong>ser fürchterliche Hund und<br />

knurrte mich böse an. Darauf bin ich natürlich abgehauen.“<br />

„Erbärmlicher Feigling!“, spottete Florian. „Läuft vor<br />

einem schwarzen Zwergpudel davon!“<br />

„Ich bin nicht davongelaufen“, verteidigte sich Max.<br />

„Ich habe es nur für ratsam gehalten, mich zurückzuziehen.“<br />

„Und dabei ist er mir genau in <strong>die</strong> Arme gelaufen“,<br />

berichtete Herr Schmitz stolz.<br />

„Er ist nicht der Dieb“, sagte Lisa. „Es ist Florian.“<br />

„Wie kommst du auf <strong>die</strong> blöde Idee, dass ich es<br />

war?“, empörte sich Florian. „Ich sage dir doch, ich bin<br />

nie in meinem Leben in <strong>die</strong>sem Garten und <strong>die</strong>ser Lagerhalle<br />

oder auch nur in der Nähe gewesen.“<br />

54<br />

Auflösung auf Seite 228/229


Der Linkshänder<br />

Die kleine Eis<strong>die</strong>le war ein Lieblingsplatz von Lisa und<br />

ihrer neuen Freundin Romy geworden. Auch heute waren<br />

sie dort. Sie saßen an einem kleinen Tisch, der auf<br />

dem Gehsteig vor der Eis<strong>die</strong>le stand. Am Nebentisch<br />

saß ein großer schlanker Mann, der sich ebenfalls eine<br />

Portion Eis schmecken ließ. Den Löff el hielt er in der linken<br />

Hand.<br />

Von links her kam Wachtmeister Anders geschlendert.<br />

Er blickte zufrieden <strong>um</strong> sich. Sein gut gelauntes<br />

Gesicht verriet, dass ihm sein Beruf gefi el, und auch <strong>die</strong><br />

kleine Stadt, in der er für Ruhe und Sicherheit sorgte.<br />

Die Ruhe in der Stadt und <strong>die</strong> gute Laune des Polizisten<br />

hörten schlagartig auf, <strong>als</strong> ein älterer Mann auf<br />

ihn losstürzte. Der Mann zeigte erregt auf den schlanken<br />

Burschen, der an dem Tisch neben Lisa und Romy<br />

saß.<br />

„Verhaften Sie den Kerl, Wachtmeister!“, rief er. „Auf<br />

der Stelle.“<br />

„Und weshalb soll ich ihn <strong>die</strong>smal einlochen?“,<br />

br<strong>um</strong>mte Anders. „Seit zwei Monaten wohnt er nun<br />

in unserer Stadt, und in <strong>die</strong>ser Zeit haben Sie schon<br />

viermal Anzeige gegen ihn erstattet. Und jedes Mal<br />

mit einer lächerlichen Begründung. Und jedes Mal zu<br />

Unrecht. Was haben Sie bloß gegen <strong>die</strong>sen Herrn Bergmann?“<br />

55


„Er ist ein Gauner. Nur Sie wollen das nicht begreifen,<br />

Wachtmeister. Seit ich ihn das erste Mal sah, kam er<br />

mir bekannt vor. Jetzt eben ist mir eingefallen, wo ich<br />

ihn schon mal gesehen habe.“<br />

„Sie machen mich neugierig“, sagte Wachtmeister<br />

Anders. Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar.<br />

„Es war vor einem Jahr in Neustadt, unserem Nachbarort.<br />

Dort hat er <strong>die</strong> Bank überfallen. Ich war dam<strong>als</strong><br />

zufällig ebenfalls in der Stadt. Es gelang mir, ein Foto<br />

von dem Räuber zu machen, <strong>als</strong> er <strong>die</strong> Bank verließ und<br />

floh.“<br />

„Dieses Foto würde ich gern sehen“, sagte der<br />

Wachtmeister.<br />

„Das können Sie. Ich hole es. In ein paar Minuten bin<br />

ich wieder da. Aber passen Sie auf, dass <strong>die</strong>ser Bankräuber<br />

nicht davonläuft!“<br />

„Erst esse ich mein Eis“, sagte Bergmann grinsend.<br />

„Schließlich habe ich es schon bezahlt. Dann erst laufe<br />

ich davon.“<br />

Wachtmeister Anders ließ sich ihm gegenüber nieder.<br />

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Bei <strong>die</strong>ser<br />

Hitze könnte ich auch etwas Abkühlung gebrauchen“,<br />

sagte er. „Aber ich bin im Dienst. Was würden <strong>die</strong><br />

Leute von mir denken, wenn sie mich <strong>hier</strong> untätig sitzen<br />

und Eis essen sähen?“<br />

„Dieser Herr Klein geht mir allmählich auf <strong>die</strong> Nerven“,<br />

sagte Bergmann. „Das letzte Mal hat er mich beschuldigt,<br />

eine leere Zigarettenschachtel auf den Gehsteig<br />

geworfen zu haben. Dabei rauche ich überhaupt<br />

nicht. Heute nennt er mich einen Bankräuber. Wenn er<br />

56


so weitermacht bin ich in seinen Augen nächste Woche<br />

schon ein dreifacher Mörder.“<br />

„Das <strong>hier</strong> ist spannender <strong>als</strong> Kino“, fl üsterte Romy am<br />

Nebentisch Lisa zu. „Ich bin gespannt, ob <strong>die</strong>ser Herr<br />

Bergmann <strong>hier</strong> wirklich ein Bankräuber ist. Er sieht eigentlich<br />

ganz normal aus.“<br />

„Man sieht es keinem Menschen an, ob er ein Verbrecher<br />

ist oder nicht“, meinte Lisa. „Der äußere Eindruck<br />

kann täuschen.“<br />

Die beiden Mädchen hatten ihr Eis längst gegessen,<br />

<strong>als</strong> Herr Klein endlich zurückkam. Er schwenkte aufgeregt<br />

ein Farbfoto, so groß wie eine Buchseite. Dann<br />

knallte er das Bild tri<strong>um</strong>p<strong>hier</strong>end vor Wachtmeister Anders<br />

auf den Tisch.<br />

„Das ist er.“<br />

57


Lisa und Romy standen auf und traten neugierig näher.<br />

Über <strong>die</strong> Schulter von Wachtmeister Anders hinweg<br />

schauten sie auf das Bild.<br />

„Das soll Bergmann sein?“, fragte Anders. Er verglich<br />

Bergmanns Gesicht mit dem Bild. „Das könnte so ziemlich<br />

jeder Mann auf der Welt sein.“<br />

„Keineswegs!“, widersprach Klein heftig. „Zugegeben,<br />

das Gesicht ist hinter der großen Sonnenbrille<br />

nicht zu erkennen, aber man sieht, dass es ein hochgewachsener<br />

Mann ist mit kurz geschnittenem Haar, wie<br />

Bergmann. Und er trägt <strong>die</strong> Pistole in der linken Hand,<br />

wie Bergmann!“<br />

„Das stimmt allerdings“, nickte Wachtmeister Anders,<br />

der nachdenklich geworden war. „Beide sind<br />

Linkshänder.“<br />

„Der Mann auf dem Bild da ist nicht der gleiche<br />

Mann, der <strong>hier</strong> sitzt“, mischte sich Lisa in das Gespräch<br />

ein.<br />

„Woher willst du denn das wissen?“, wunderte sich<br />

Romy.<br />

„Ja, woher willst du wissen, dass der Bankräuber auf<br />

dem Foto nicht Herr Bergmann <strong>hier</strong> ist?“, fragte auch<br />

Wachtmeister Anders. „Eine gewisse Ähnlichkeit ist unverkennbar.“<br />

58<br />

Auflösung auf Seite 229


Die Fensterscheibe<br />

„Das Beste an <strong>die</strong>sem Ferienlager ist der See“, sagte<br />

Pieri. „Er ist nicht so tief, dass man beim Gedanken an<br />

seine schaurigen Abgründe Angst bekommt. Und das<br />

Wasser ist angenehm warm. Ideal z<strong>um</strong> Schwimmen.“<br />

„Man muss nur aufpassen, dass man nicht vom Krokodil<br />

gebissen wird“, sagte eine Stimme hinter ihm.<br />

„Von welchem Krokodil?“, fragten Lisa und Pieri<br />

gleichzeitig. Sie drehten sich <strong>um</strong>.<br />

Hinter ihnen stand ein Junge, etwa so alt wie Pieri.<br />

Seine blauen Augen funkelten vor Vergnügen.<br />

„Seit einem Jahr sprechen <strong>die</strong> Leute <strong>hier</strong> im Ort von<br />

dem Krokodil“, erzählte er. „Mehrere Badende wollen<br />

es gesehen haben. Einer behauptet, ein Foto von ihm<br />

gemacht zu haben. Das Foto wurde dam<strong>als</strong> in unserer<br />

Zeitung veröff entlicht. Polizei und Feuerwehr haben<br />

versucht, das Ungeheuer zu fangen, aber sie haben es<br />

nicht gefunden.“<br />

„Es kommt immer wieder vor, dass sich jemand ein<br />

winziges Krokodilbaby besorgt und es in seiner Badewanne<br />

schwimmen lässt“, sagte Lisa. „Aber irgendwann<br />

wird das Vieh zu groß für <strong>die</strong> Badewanne. Anstatt<br />

es dann im Zoo oder in einem Tierheim abzugeben,<br />

wird es einfach im nächsten See ausgesetzt.“<br />

„Vielleicht sollten wir uns einen anderen Ort z<strong>um</strong> Baden<br />

suchen“, meinte Pieri besorgt. „Ich möchte beim<br />

59


Schwimmen nicht plötzlich von unten angeknabbert<br />

werden.“<br />

„Keine Sorge!“, tröstete ihn Lisa. „Falls vorigen Sommer<br />

wirklich ein Krokodil in <strong>die</strong>sem See war, lebt es bestimmt<br />

nicht mehr. Krokodile vertragen unser Klima<br />

nicht. Spätestens im letzten Winter ist es erfroren.“<br />

„Das denke ich auch“, antwortete der fremde Junge.<br />

„Ihr geht z<strong>um</strong> Schwimmen? Habt ihr etwas dagegen,<br />

wenn ich mitkomme?“<br />

„Nein“, antwortete Lisa. „Aber es geht mir auf <strong>die</strong><br />

Nerven, dass du dir alle paar Sekunden das Haar aus<br />

dem Gesicht streichst. Eine blöde Gewohnheit.“<br />

„Eine Notwendigkeit“, antwortete der Junge. Wieder<br />

strich er sich eine lange blonde Haarsträhne aus<br />

der Stirn. „Meine Haare sind widerborstig. Da hilft kein<br />

Kamm und kein Haargel. Übrigens, ich heiße Markus.“<br />

Lisa und Pieri wollten ebenfalls ihre Namen nennen,<br />

aber sie kamen nicht mehr dazu. Aus dem Friseursalon,<br />

vor dem <strong>die</strong> Kinder gerade standen, stürzte ein weiß<br />

gekleideter Mann auf sie zu. Er hatte es so eilig, dass er<br />

sich nicht einmal <strong>die</strong> Zeit genommen hatte, <strong>die</strong> Schere<br />

wegzulegen, mit der er eben einem Kunden <strong>die</strong> Haare<br />

geschnitten hatte.<br />

„Hab ich dich endlich erwischt!“, rief er empört.<br />

Er packte Markus am Kragen und schüttelte ihn. Der<br />

Junge sah zu ihm auf, erschrocken und verständnislos.<br />

„Was hat er denn angestellt?“, fragte Lisa.<br />

Der Mann wandte sich ihr zu und beschloss im gleichen<br />

Augenblick, auch sie nicht zu mögen.<br />

„Bist du seine Schwester? Dann taugst du wahr-<br />

60


scheinlich genauso wenig wie er. Anderen Leuten <strong>die</strong><br />

Fenster einzuschmeißen, das macht euch Spaß!“<br />

„Es geht <strong>als</strong>o <strong>um</strong> eine eingeworfene Fensterscheibe?“,<br />

fragte Lisa.<br />

„Eine eingeschossene Scheibe, <strong>um</strong> genau zu sein.“<br />

„Mit einer Pistole?“, fragte Pieri. „Oder mit einer<br />

Steinschleuder?“<br />

„Mit einem Fußball“, antwortete der Mann.<br />

Pieri schaute zu dem Friseursalon hinüber. „Die<br />

Scheiben sind alle ganz“, sagte er.<br />

„Natürlich sind sie das. Die Sache geschah ja auch<br />

auf der Rückseite des Hauses. In meiner Wohnung über<br />

dem Laden. Gestern. Ich hatte gerade Mittagspause<br />

und wollte mir in der Küche schnell etwas zu essen<br />

machen, <strong>als</strong> ich das Klirren von Glas hörte. Ich ging ins<br />

Wohnzimmer hinüber und sah <strong>die</strong> zerbrochene Fensterscheibe.<br />

Und <strong>als</strong> ich ans Fenster trat und hinunterschaute,<br />

sah ich, wie <strong>die</strong>ser Kerl <strong>hier</strong> seinen Fußball<br />

aufhob und eiligst davonrannte. Und zwei Sekunden<br />

später war er auch schon <strong>um</strong> <strong>die</strong> Ecke des Hauses verschwunden.“<br />

„Das war ich nicht“, verteidigte sich Markus. „Ich besitze<br />

überhaupt keinen Fußball.“<br />

„Ich habe dich genau gesehen. Nur zwei oder drei<br />

Sekunden lang, aber ich habe dich sofort erkannt.<br />

Schließlich schneide ich dir seit Jahren regelmäßig <strong>die</strong><br />

Haare. Der Bursche hatte dein Alter, deine Größe, deine<br />

Figur, <strong>die</strong> blonden Haare – es gibt keinen Zweifel.“<br />

„Sie haben lediglich einen blonden Jungen davonlaufen<br />

sehen“, wandte Lisa ein. „Aber Markus ist be-<br />

61


stimmt nicht der einzige blonde Junge <strong>die</strong>ser Größe in<br />

<strong>die</strong>ser Stadt.“<br />

„Natürlich nicht“, gab der Friseur zu. „Aber es gibt<br />

ein unverwechselbares Merkmal, an dem ich ihn jederzeit<br />

und überall sofort erkennen würde. Das Muttermal<br />

in seinem Gesicht!“<br />

Lisa und Pieri sahen Markus an.<br />

„Muttermal?“, staunte Pieri. „Wo denn? Ich sehe kein<br />

Muttermal.“<br />

„Hier!“, sagte der Friseur tri<strong>um</strong>p<strong>hier</strong>end. Er strich<br />

Markus <strong>die</strong> widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.<br />

Jetzt sah auch Pieri das Muttermal auf der Stirn<br />

des Jungen, dicht unter dem Haaransatz.<br />

„Tatsächlich“, sagte Pieri. „Das ist ein Beweis.“<br />

„Er war es nicht!“, widersprach Lisa.<br />

„Er muss es gewesen sein!“, beharrte Pieri. “<br />

62<br />

Aufl ösung auf Seite 230


Aufruhr am See<br />

Lisa, Pieri und ihr neuer Freund Markus hatten schon<br />

fast das Ende der kleinen Stadt Bergheim erreicht. Neben<br />

ihnen ging eine Frau, <strong>die</strong> gerade vom Einkaufen<br />

kam. Sie hatte einen mittelgroßen schwarzen Hund undefi<br />

nierbarer Rasse bei sich. Der Hund ging ohne Leine.<br />

Im Maul hielt er den Henkel eines gefl ochtenen Einkaufskorbs.<br />

„Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr sich<br />

Hunde freuen, wenn sie sich nützlich machen können“,<br />

63


sagte Lisa. „Er ist wirklich stolz darauf, den Einkaufskorb<br />

tragen zu dürfen.“<br />

„Für Rokko ist es eine Art Spiel“, sagte <strong>die</strong> Besitzerin<br />

des Hundes. „Er trägt alles, was er mit seinen Zähnen<br />

greifen kann. Körbe, Taschen, Stöcke, Bälle oder Kinderspielzeug.<br />

Das macht ihm einen riesigen Spaß.“<br />

Die Frau und ihr Hund bogen nach links in eine<br />

Querstraße ab. Die drei Kinder gingen weiter. Schon<br />

bald erreichten sie den kleinen See.<br />

„Es ist wirklich hübsch <strong>hier</strong>“, sagte Lisa. „Meinst du<br />

nicht auch, Pieri?“<br />

Pieri antwortete nicht. Sein Blick glitt nur kurz über<br />

<strong>die</strong> vielen Menschen in Badekleidung am Ufer, dann<br />

sah er suchend hinaus auf den See.<br />

„Ich hoffe nur, das Krokodil, von dem Markus uns erzählt<br />

hat, ist wirklich nicht mehr <strong>hier</strong>“, murmelte er.<br />

„Dich würde es sowieso nicht fressen“, spottete Markus.<br />

„Du bist ihm viel zu klein. Davon wird ein richtiges<br />

Krokodil nicht satt. Es würde sich lieber den Dicken<br />

dort schnappen, der gerade ins Wasser geht.“<br />

Lisa glaubte nicht an Krokodile in deutschen Seen.<br />

Sie ging <strong>als</strong> Erste ins Wasser. Pieri folgte ihr nach kurzem<br />

Zögern. Das Wasser war angenehm kühl, gerade<br />

<strong>die</strong> richtige Erfrischung an einem so heißen Tag. Bald<br />

hatte er das Krokodil, das angeblich in den Tiefen des<br />

Sees lauerte, vergessen. Erst nach einer halben Stunde<br />

verließen <strong>die</strong> drei das Wasser wieder.<br />

In der Nähe spielten ein paar Jungs Fußball. Zwischen<br />

ihnen sprang ein mittelgroßer, struppiger schwarzer<br />

Hund mit vier weißen Pfoten her<strong>um</strong>.<br />

64


„Ist das nicht Rokko?“, fragte Lisa.<br />

„Kann schon sein“, antwortete Pieri. „Jedenfalls hält<br />

er sich nicht an <strong>die</strong> Fußballregeln. Den Ball mit den Vorderpfoten<br />

zu berühren ist glattes Handspiel, und das ist<br />

schlicht verboten.“<br />

Lisa wollte eben antworten, dass für Hunde im Fußball<br />

andere Regeln gelten <strong>als</strong> für Menschen, <strong>als</strong> sie hinter<br />

sich einen schrillen Ruf hörte: „Unsere Kleidung! Jemand<br />

hat sie geklaut! Sollen wir jetzt im Badeanzug<br />

nach Hause gehen?“<br />

Es waren zwei Mädchen, etwa 15 Jahre alt. Sie waren<br />

eben aus dem Wasser gekommen. Suchend blickten sie<br />

sich <strong>um</strong>. Aber sie konnten ihre Kleider und Schuhe nirgends<br />

entdecken.<br />

„Der Dieb muss ein Mädchen sein“, sagte Pieri. „Ein<br />

Junge würde nie Mädchenkleidung stehlen.“<br />

„Außer vielleicht, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Mädchen ein bisschen zu<br />

ärgern“, sagte Markus grinsend.<br />

„Der Dieb war einer der Fußballspieler dort drüben“,<br />

sagte Lisa.<br />

Florian und Pieri schüttelten beide gleichzeitig den<br />

Kopf. „Das sind lauter Jungs“, sagte Pieri. „Was sollen<br />

<strong>die</strong> mit der Kleidung von Weibern?“<br />

„Außerdem sind sie vollauf mit ihrem Fußballspiel<br />

und dem lustigen Hund beschäftigt“, fügte Markus<br />

hinzu. „Die denken gar nicht daran, andere Leute zu<br />

bestehlen.“<br />

„Es war kein Diebstahl“, sagte Pieri. „Es war ein Spiel.<br />

Vielleicht betrachtet er es auch <strong>als</strong> Arbeit. He, Rokko!<br />

Komm her!“<br />

65


Der schwarze Hund hörte seinen Namen und blickte<br />

zu Lisa herüber. Dann kam er schwanzwedelnd herbei.<br />

„Wohin hast du <strong>die</strong> Kleidung der Mädchen gebracht,<br />

Rokko?“, fragte Lisa. Der Hund blickte aufmerksam zu<br />

ihr auf. Er verstand nicht, was sie gesagt hatte, aber offenbar<br />

erwartete er ein neues lustiges Spiel.<br />

Lisa deutete mit dem ausgestreckten Arm in <strong>die</strong><br />

Runde. „Such!“, sagte sie.<br />

Der Hund rannte los, auf einige Büsche zu, <strong>die</strong> etwa<br />

50 Schritte entfernt standen. Für eine Sekunde verschwand<br />

er hinter den Büschen. Als er wieder hervorkam,<br />

hielt er eine prall gefüllte Sporttasche im Maul.<br />

„Das ist unsere Tasche!“, riefen <strong>die</strong> beiden Mädchen,<br />

<strong>die</strong> ihre Kleidung vermisst hatten. Sie sahen Lisa an:<br />

„Aber woher hast du denn gewusst, dass der Hund <strong>die</strong><br />

Tasche genommen und versteckt hat? Hast du ihn dabei<br />

gesehen?“<br />

„Ja, mit meinem geistigen Auge“, antwortete Lisa<br />

lächelnd. Sie erinnerte sich daran, was <strong>die</strong> Besitzerin<br />

des Hundes vor gut einer halben Stunde gesagt hatte:<br />

„Rokko schnappt sich alles, was er mit seinen Zähnen<br />

greifen kann. Körbe, Taschen, Stöcke, Bälle oder Kinderspielzeug.<br />

Das ist ein riesiger Spaß für ihn.“<br />

„Woher hast du gewusst, dass das wirklich Rokko<br />

ist?“, fragte Pieri. „Struppige schwarze Mischlingshunde<br />

gibt es viele.“<br />

66<br />

Auflösung auf Seite 230


Ritter Kunibert<br />

„Na, wie schmeckt euch das Abendessen?“, fragte Gustav<br />

interessiert.<br />

Eigentlich war er für das Essen gar nicht zuständig,<br />

aber er legte Wert darauf, dass seine jungen Gäste sich<br />

im Ferienlager wohlfühlten.<br />

„Gar nicht so übel, das Essen“, antwortete Frank.<br />

„Jedenfalls wurden meine schlimmsten Erwartungen<br />

nicht erfüllt. Ich hatte schon befürchtet, dass wir jeden<br />

Tag in den Wald gehen und Kräuter, Beeren, Wurzeln<br />

und Pilze sammeln, sie dann auch noch waschen und<br />

unser Essen selbst kochen müssten.“<br />

„Die Pilze, <strong>die</strong> du sammelst, würde ich sowieso nicht<br />

essen“, sagte der kleine Manuel, der neben ihm saß.<br />

„Du hast doch keine Ahnung, welche Pilze essbar sind<br />

und welche giftig.“<br />

Frank schien sich über <strong>die</strong>se Bemerkung zu ärgern,<br />

aber er schluckte seinen Ärger hinunter. Er blickte <strong>um</strong><br />

sich. Gustav war inzwischen weitergegangen.<br />

„Ich hab‘s überhaupt gut getroff en <strong>hier</strong>“, sagte er. „In<br />

dem gleichen Zelt wie ihr beide möchte ich jedenfalls<br />

nicht <strong>die</strong> Nacht verbringen.“<br />

„Wieso?“, fragte Pieri. „Die Schlafzelte <strong>hier</strong> sehen<br />

doch alle gleich aus.“<br />

„Das schon, aber …“ Frank senkte seine Stimme, <strong>um</strong><br />

an den anderen Tischen nicht gehört zu werden. „Man<br />

67


hat mir erzählt, dass es in eurem Zelt spukt. Nicht jede<br />

Nacht, aber ein- oder zweimal in den Ferien kommt <strong>um</strong><br />

Mitternacht ein Gespenst und erschreckt <strong>die</strong> Kinder.<br />

Manche sollen sich in <strong>die</strong> Hosen gemacht haben vor<br />

Angst.“<br />

Frank fl üsterte jetzt fast. „Es handelt sich <strong>um</strong> Ritter<br />

Kunibert von Drachenfels, dem mal <strong>die</strong> Burg dort oben<br />

auf dem Berg gehört hat. Ein jähzorniger, gewalttätiger<br />

Bursche. Eines Tages erschlug er im Streit seinen eigenen<br />

Bruder. Und ab und zu taucht er wieder <strong>hier</strong> auf<br />

und erschreckt <strong>die</strong> Leute.“<br />

„War<strong>um</strong> spukt er nicht oben auf seiner Burg, wie es<br />

sich gehört?“, fragte Pieri.<br />

„Das tut er ja auch, aber <strong>um</strong> Mitternacht wagt sich<br />

schon lange niemand mehr hinauf in <strong>die</strong> Ruine. Und<br />

ohne Publik<strong>um</strong> macht das Her<strong>um</strong>spuken dem guten<br />

Kunibert keinen Spaß. Also kommt er <strong>hier</strong>her. Und immer<br />

in dasselbe Zelt. In eures.“<br />

Pieri hielt es für an der Zeit, das Thema zu wechseln.<br />

Aber <strong>als</strong> er eine Stunde später auf seinem Bett<br />

im Schlafzelt lag, fi el ihm wieder ein, was Frank erzählt<br />

hatte. Er versuchte, den Gedanken an Gespenster wegzuwischen,<br />

<strong>die</strong> Augen zu schließen und einzuschlafen.<br />

Es war ihm schon fast gelungen, <strong>als</strong> er den kleinen Manuel<br />

im Bett neben dem seinen leise fragen hörte: „Sag<br />

mal, Pieri, glaubst du an Gespenster?“<br />

„Natürlich nicht“, antwortete Pieri ebenso leise. „Jedenfalls<br />

nicht bei Tag. Aber bei dem Gedanken, dass<br />

heute Nacht eines kommen könnte, wird mir schon ein<br />

wenig unbehaglich … Ach was, es gibt keine Gespens-<br />

68


ter! Jetzt halt den Mund und lass mich endlich einschlafen!<br />

Ich bin müde!“<br />

Manuel starrte in <strong>die</strong> Dunkelheit, <strong>die</strong> rings<strong>um</strong><br />

herrschte. Dann zog er <strong>die</strong> Decke über den Kopf.<br />

Ein gellender Schrei ganz in seiner Nähe riss Pieri<br />

aus dem Schlaf, in den er endlich gefallen war. Er fuhr<br />

aus seinem Bett hoch, riss <strong>die</strong> Augen auf und blickte<br />

<strong>um</strong> sich.<br />

Neben ihm stand eine gespenstische weiße Gestalt.<br />

Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und sich über Manuel<br />

gebeugt. In der linken hoch erhobenen Hand hielt<br />

sie eine altmodische Laterne. Das Licht der Laterne fi el<br />

auf Manuel, der seine Bettdecke über den unteren Teil<br />

69


seines Gesichts gezogen hatte und aus schreckgeweiteten<br />

Augen zu dem Gespenst aufsah.<br />

Pieri hatte seinen Schreck schnell überwunden. Er<br />

zog beide Beine an und stieß dann zu. Mit voller Wucht<br />

traf er das Gespenst an dem ihm entgegengereckten<br />

Hinterteil. Das Gespenst ließ einen leisen Laut hören, in<br />

dem sich Überraschung und Erschrecken mischten. Es<br />

wurde nach vorn geschleudert, fiel quer über Manuels<br />

Bett und stürzte dann auf den Boden.<br />

Pieri sprang auf <strong>die</strong> Beine, überquerte mit einem<br />

Satz Manuels Bett und beugte sich zu dem Gespenst<br />

auf dem Boden nieder. Er griff zu, bekam ein Stück Tuch<br />

zu fassen und riss es an sich.<br />

Im Licht der Laterne sah er jetzt deutlich Franks Gesicht.<br />

Frank blickte fast so erschrocken drein wie der<br />

kleine Manuel.<br />

„Dachte mir doch, dass du das Gespenst bist, Frank!“,<br />

sagte Pieri.<br />

Woher hast du gewusst, dass es kein richtiges Gespenst<br />

ist?“, fragte Manuel. Seine Stimme zitterte immer<br />

noch.<br />

70<br />

Auflösung auf Seite 231


Raubritter<br />

auf Burg Drachenfels<br />

„Wie ich höre, habt ihr in der vergangenen Nacht interessanten<br />

Besuch gehabt“, sagte Lisa beim Frühstück.<br />

„Ja, der längst verstorbene Ritter Kunibert von Drachenfels<br />

hat uns mit seinem Besuch beehrt“, antwortete<br />

Pieri grinsend. „Ich habe mich bedankt mit einem<br />

kräftigen Tritt in seinen A… seinen Allerwertesten.“<br />

„Ich fand es gar nicht so lustig“, sagte der kleine Manuel<br />

leise. „Ich auch nicht“, br<strong>um</strong>mte Frank in Erinnerung<br />

an den Tritt. „Aber <strong>die</strong>sen Ritter Kunibert hat es<br />

wirklich gegeben. In der Stadt erzählen sich <strong>die</strong> Leute<br />

immer noch, dass er manchmal oben in der Ruine Drachenfels<br />

her<strong>um</strong>geistert.“<br />

„Dem würde ich gern mal begegnen“, sagte Romy,<br />

<strong>die</strong> neben Lisa saß. „Ein richtiger Ritter! Wie romantisch!<br />

Sonst sieht man <strong>die</strong> immer nur im Film. Da wir<br />

heute Vormittag sowieso nichts vorhaben, könnten wir<br />

doch wieder hinaufgehen, oder?“<br />

„Ich bin dabei“, stimmte Lisa zu.<br />

„Ich auch“, sagte Pieri. „Und auf einer alten Ritterburg<br />

gibt es bestimmt unzählige tolle Motive z<strong>um</strong> Fotografi<br />

eren.“<br />

„Wenn ihr mir den kleinen Spaß von heute Nacht<br />

verzeiht, würde ich auch gerne mitkommen“, sagte<br />

Frank.<br />

71


„Ich nicht“, br<strong>um</strong>mte Manuel. „Ich habe vorerst <strong>die</strong><br />

Schnauze voll von Rittern und Geistern.“<br />

Eine Stunde später waren <strong>die</strong> vier Freunde schon<br />

beim Aufstieg zur Burgruine. Sie begegneten keinem<br />

Menschen und keinem Fahrzeug. So früh am Tag machten<br />

sich nur selten Leute auf den Weg z<strong>um</strong> Drachenfels.<br />

Umso überraschter waren sie, <strong>als</strong> sie oben, gleich hinter<br />

dem Burgtor, ein Auto stehen sahen.<br />

Als <strong>die</strong> vier Freunde näher kamen, sahen sie, dass<br />

<strong>die</strong> Tür des hölzernen Andenkenladens off enbar gewaltsam<br />

aufgebrochen worden war. Ein Mann und eine<br />

Frau standen davor. Mit merkwürdig verstörtem Ge-<br />

72


sichtsausdruck blickten sie den Kindern entgegen. Der<br />

Mann schlug <strong>die</strong> Koff erra<strong>um</strong>haube zu.<br />

„Ein Einbruch“, sagte er und deutete auf den Laden.<br />

„Jemand hat ihn in der vergangenen Nacht ausgeraubt.“<br />

„Ritter Kunibert wahrscheinlich“, meinte Frank. Es<br />

war ihm nicht anzusehen, ob er nur Spaß machte oder<br />

ob es sein Ernst war. „Der Kerl hat viele Schandtaten<br />

begangen in seinem Leben. Nach seinem Tod macht er<br />

off enbar weiter damit.“<br />

„Das ist ein Schaden, den wir in Monaten nicht aufholen<br />

können“, sagte der Mann. „Die Kerle haben fast<br />

alles mitgenommen, was sie <strong>hier</strong> vorfanden.“<br />

„Dabei sind wir den Dieben sogar noch begegnet“,<br />

fügte <strong>die</strong> Frau hinzu. „Keine 100 Meter von <strong>hier</strong>. Sie kamen<br />

uns mit dem Auto entgegen, <strong>als</strong> wir den Berg raufgefahren<br />

sind. Wenn wir geahnt hätten, dass <strong>die</strong> gerade<br />

unseren Laden ausgeraubt hatten …“<br />

Pieri wandte sich an Lisa. „Du hast doch dein Handy<br />

dabei, nicht wahr? Du solltest <strong>die</strong> Polizei anrufen.“<br />

„Nicht nötig“, sagte <strong>die</strong> Frau. Sie hob abwehrend <strong>die</strong><br />

Hände. „Ich habe <strong>die</strong> Polizei schon angerufen, vor einer<br />

halben Stunde schon. Sie wird bald <strong>hier</strong> sein.“<br />

„Und <strong>die</strong> Räuber noch antreff en“, fügte Pieri hinzu.<br />

„Auf frischer Tat.“<br />

„Was redest du da?“, empörte sich der Mann. „Willst<br />

du etwa behaupten, dass wir unseren eigenen Kiosk<br />

ausrauben?“<br />

„Dass es Ihr eigener ist, habe ich nicht behauptet“,<br />

antwortete Pieri. „Los, Lisa, hol endlich <strong>die</strong> Polizei!“<br />

73


„Ich verstehe überhaupt nichts“, bekannte Frank.<br />

„Weshalb sollen <strong>die</strong>se Leute selbst <strong>die</strong> Einbrecher<br />

sein?“<br />

„Ist das so schwer zu erkennen?“, antwortete Lisa an<br />

Pieris Stelle. „Sie behaupten, dass sie <strong>die</strong> Diebe gesehen<br />

haben. Vor einer halben Stunde. Dann aber hätten<br />

wir das Auto auch sehen müssen. Unser Aufstieg hat<br />

länger <strong>als</strong> eine halbe Stunde gedauert, und es gibt nur<br />

einen einzigen Weg <strong>hier</strong> herauf. Wir hätten das Auto<br />

der Diebe auch sehen müssen.“<br />

„Außerdem hätte <strong>die</strong> Polizei aus Bergheim schon<br />

<strong>hier</strong> sein müssen, wenn sie schon vor einer halben<br />

Stunde informiert worden wäre“, fügte Romy hinzu.<br />

„Das alles sind keine ausreichenden Beweise“, beharrte<br />

Frank.<br />

„Ist dir nicht aufgefallen, dass <strong>die</strong>ser Herr <strong>hier</strong> bei<br />

unserer Ankunft so schnell <strong>die</strong> Kofferra<strong>um</strong>haube ge-<br />

74


schlossen hat?“, fragte Lisa. Sie griff plötzlich zu und<br />

öffnete <strong>die</strong> Haube. Eine Menge Waren lagen darin, hastig<br />

und ohne jede Ordnung hineingeworfen. Getränkedosen,<br />

Flaschen mit Mineralwasser, Postkarten, Landkarten,<br />

T-Shirts mit dem Aufdruck „Drachenfels“ …<br />

Bevor Lisa mehr registrieren konnte, rissen der Mann<br />

und <strong>die</strong> Frau <strong>die</strong> vorderen Türen des Wagens auf und<br />

stiegen ein. Sekunden später fuhr der Wagen los.<br />

Frank blickte hinter dem davonbrausenden Wagen<br />

her. „Das ist dann wohl ein eindeutiges Schuldeingeständnis“,<br />

meinte er.<br />

„Ritter Kunibert hätte sicher einen Weg gefunden,<br />

<strong>die</strong>se modernen Raubritter aufzuhalten“, sagte Frank<br />

enttäuscht. „Wir können sie zu Fuß unmöglich einholen.“<br />

„Das ist auch nicht nötig“, tröstete ihn Pieri. Er deutete<br />

auf Lisa. „Sie ruft gerade <strong>die</strong> Polizei an. Es gibt<br />

nur einen Weg den Berg hinunter. Bevor <strong>die</strong> Diebe an<br />

der nächsten Straßenkreuzung sind, hat <strong>die</strong> Polizei sie<br />

schon geschnappt.“<br />

„Aber ich verstehe immer noch nicht, woher ihr<br />

gewusst habt, dass <strong>die</strong> beiden nicht <strong>die</strong> Besitzer des<br />

Kiosks sind, sondern <strong>die</strong> Räuber.“<br />

Auflösung auf Seite 232<br />

75


76<br />

Das Grab<br />

des Kreuzritters<br />

Frank trat durch <strong>die</strong> gewaltsam aufgebrochene Tür in<br />

das Innere des kleinen Ladens an der Burgmauer.<br />

„Mann, <strong>die</strong> haben <strong>hier</strong> gehaust wie <strong>die</strong> Vandalen!“,<br />

sagte er. „Müssen Räuber unbedingt eine solche Verwüstung<br />

anrichten, wenn sie klauen?“<br />

„Räuber kommen z<strong>um</strong> Stehlen, nicht z<strong>um</strong> Aufrä<strong>um</strong>en“,<br />

meinte Pieri. „Die raff en möglichst schnell möglichst<br />

viel zusammen und verschwinden dann.“<br />

„Schokolade!“, rief Frank erfreut aus. „Eine ganze<br />

Schachtel voll! Verhungern werden wir <strong>hier</strong> <strong>als</strong>o nicht,<br />

selbst wenn wir drei Tage <strong>hier</strong> bleiben würden.“<br />

„Du spinnst!“, empörte sich Romy. „Wenn wir uns <strong>hier</strong><br />

einfach be<strong>die</strong>nen, sind wir nicht besser <strong>als</strong> <strong>die</strong> Diebe.“<br />

„Aber immerhin wären wir dann satt“, grinste Frank.<br />

Er bückte sich und hob vom Fußboden eine dünne<br />

Broschüre auf. „Amtlicher Führer für Ruine Drachenfels<br />

und Umgebung“, las er. „Das leihe ich mir aus für<br />

unseren Rundgang <strong>hier</strong>. Dagegen werden <strong>die</strong> Inhaber<br />

des Kiosks wohl nichts einzuwenden haben. Immerhin<br />

haben sie es uns zu verdanken, wenn <strong>die</strong> Einbrecher<br />

schon in den nächsten Minuten geschnappt werden.“<br />

„Das werden sie!“, versicherte Lisa, <strong>die</strong> ihr Telefongespräch<br />

mit der Polizei schon beendet hatte. „Wann<br />

wurde <strong>die</strong> Burg eigentlich gebaut?“


„Ich würde viel lieber wissen, wann und von wem sie<br />

zerstört wurde“, meinte Pieri. „Das muss ein gewaltiger<br />

Kampf gewesen sein. Wer waren <strong>die</strong> Angreifer?“<br />

„Wind und Wetter und der Zahn der Zeit“, antwortete<br />

Frank, in seinem Fremdenführer blätternd. „Irgendwann<br />

wurde das Leben <strong>hier</strong> auf der abgelegenen<br />

Burg den Besitzern zu langweilig, und sie zogen weg,<br />

hinunter in <strong>die</strong> Stadt. Erbaut wurde <strong>die</strong> Burg von Ritter<br />

Gundolf <strong>um</strong> 1170. Aus jener Zeit ist aber nur noch <strong>die</strong><br />

Burgkapelle erhalten.“<br />

„Die würde ich gerne sehen“, meinte Romy.<br />

„Ich führe euch hin“, sagte Frank. „Dieses schlaue<br />

Buch <strong>hier</strong> enthält auch einen Grundriss der ganzen<br />

Burg. Ich schätze, <strong>die</strong> Kapelle ist <strong>die</strong>ses kleine Häuschen<br />

dort drüben.“<br />

Franks Vermutung erwies sich <strong>als</strong> richtig. Viel zu sehen<br />

gab es aber in der Kapelle nicht mehr, nicht einmal<br />

ein Dach. An den Wänden gab es noch ein paar<br />

Farbspuren von einstigen Malereien, aber es war unmöglich<br />

zu erkennen, was <strong>die</strong>se Gemälde einst dargestellt<br />

hatten. Das einzige lohnenswerte Motiv, das Pieri<br />

für seine Kamera fand, war ein riesiger steinerner Sarg,<br />

auf dessen Deckel <strong>die</strong> Umrisse eines Mannes und einer<br />

Frau in altmodischer Kleidung eingemeißelt waren.<br />

„Unser schlauer Führer erzählt uns, dass <strong>die</strong>s das<br />

Grab der Erbauer ist“, berichtete Frank. „Ritter Gundolf<br />

von Drachenfels und seine Gemahlin Gertrude. Vor<br />

über 100 Jahren haben ein paar besonders neugierige<br />

Menschen das Grab gewaltsam aufgebrochen, wohl in<br />

der Hoffnung, darin wertvolle Gegenstände zu finden,<br />

77


goldenen Schmuck vielleicht und Edelsteine. Aber sie<br />

fanden nur vermoderte Stoff fetzen und ein paar morsche<br />

Knochen. Alles zerfi el an der Luft zu Staub innerhalb<br />

weniger Minuten. Man fand nur ein paar wertlose<br />

Gegenstände, <strong>die</strong> wohl einst einer Frau gehört hatten.<br />

Schlichte Ohrringe, z<strong>um</strong> Beispiel.“<br />

„Und was hat man von Ritter Gundolf gefunden?“,<br />

fragte Pieri. „Ein Schwert vielleicht oder einen Helm?“<br />

„Nein, von dem hat man nichts gefunden“, antwortete<br />

Lisa.<br />

„Stimmt“, bestätigte Frank. „Aber woher weißt du<br />

das? Du hast doch noch keinen Blick in mein schlaues<br />

Büchlein geworfen.“<br />

78<br />

Aufl ösung auf Seite 232/233


In der Folterkammer<br />

„Ihr wart das <strong>als</strong>o!“<br />

Pieri, der gerade den riesigen steinernen Sarkophag<br />

fotografi erte, spürte, wie eine kräftige Hand ihn hinten<br />

am Kragen packte. Er wandte den Kopf.<br />

Der Mann, der ihn festhielt, war nicht mehr jung.<br />

Nach Pieris Begriff en war er sogar schon uralt. Sein<br />

Haar war schneeweiß. Die Augen in seinem sonnengebräunten<br />

Gesicht funkelten vor Zorn.<br />

„Was habt ihr Bengel euch dabei gedacht, <strong>die</strong> Tür<br />

des Andenkenladens aufzubrechen und das Geschäft<br />

auszuplündern?“<br />

„Wenn wir das gewesen wären, wären wir schon<br />

längst nicht mehr <strong>hier</strong>“, antwortete Lisa. „Die Täter waren<br />

ein Mann und eine Frau. Wir haben sie auf frischer<br />

Tat erwischt, daraufhin sind sie gefl ohen. Mit einem<br />

Auto.“<br />

„Das Auto habe ich gesehen“, sagte der Mann. „Es<br />

hätte mich fast über den Haufen gefahren. Sie hatten<br />

es sehr eilig.“<br />

„Aus gutem Grund“, lachte Romy. „Die Polizei ist<br />

schon hinter ihnen her.“<br />

Der Mann schien besänftigt zu sein. Er ließ Pieri los.<br />

„Was treibt ihr eigentlich schon so früh <strong>hier</strong> oben? Die<br />

meisten Besucher kommen erst am Mittag. Um <strong>die</strong>se<br />

Zeit bin ich immer der einzige Mensch <strong>hier</strong> oben.“<br />

79


„Immer?“, wiederholte Lisa. „Sie kommen <strong>als</strong>o oft<br />

<strong>hier</strong>her?“<br />

„Jeden Tag“, nickte der Mann. „Seit zehn Jahren,<br />

seit ich in Pension gegangen bin. Bei Wind und Wetter,<br />

Regen und Schnee und in der größten Sommerhitze.<br />

Viele Leute halten mich deshalb für verrückt. Ich sehe<br />

euch an, dass ihr auch so über mich denkt. Aber es ist<br />

mir einfach zu langweilig, nur zu Hause zu sitzen. Bewegung<br />

an der frischen Luft hält gesund. Und jung. Für<br />

wie alt würdet ihr mich schätzen?“<br />

„75“, antwortete Lisa.<br />

Der Mann sah sie überrascht an. „Die meisten halten<br />

mich höchstens für 65. Wie hast du das erraten?“<br />

„Nicht erraten, sondern errechnet. Wenn Sie, wie <strong>die</strong><br />

meisten Männer, mit 65 in den Ruhestand gegangen<br />

sind und seither jeden Tag seit zehn Jahren <strong>hier</strong> heraufgekommen<br />

sind …“<br />

„Ja, du hast recht, das war einfach herauszufi nden.<br />

Aber ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet:<br />

Was treibt ihr <strong>hier</strong> oben?“<br />

„Wir haben gehört, dass es <strong>hier</strong> spukt“, antwortete<br />

Pieri. „Jetzt würden wir gern einen richtigen Geist sehen.<br />

Der Geist in der vergangenen Nacht war leider …“<br />

„Das wird den Herrn nicht interessieren“, unterbrach<br />

ihn Frank. „In <strong>die</strong>sem Fremdenführer <strong>hier</strong> steht, dass<br />

es tatsächlich etliche Spukgeschichten über Burg Drachenfels<br />

gibt.“<br />

„Stimmt“, nickte der alte Mann. „Ich habe schon etliche<br />

von ihnen gehört. Und zwei oder drei auch selbst<br />

erfunden. Aber <strong>die</strong> Sache hat einen wahren Hinter-<br />

80


grund. Vor 200 Jahren gingen <strong>hier</strong> oben sonderbare<br />

Dinge vor sich. Man hörte Geräusche, <strong>die</strong> sich niemand<br />

erklären konnte, und sah nachts einen unheimlichen<br />

Lichtschein hinter den Fenstern. Ein mutiger Mann, der<br />

sich eines Nachts <strong>hier</strong>herauf wagte, ist angeblich nicht<br />

wieder zurückgekommen.“<br />

„Ich nehme an, es war eine Räuberbande, <strong>die</strong> sich<br />

<strong>hier</strong> oben versteckt hatte“, sagte Lisa. „Vor 200 Jahren,<br />

das war etwa zur Zeit der napoleonischen Kriege. Dam<strong>als</strong><br />

herrschte ein ziemliches Chaos im Land.“<br />

„Du bist der Wahrheit ziemlich nahegekommen“,<br />

meinte der Alte. „Aber es waren keine Straßenräuber,<br />

sondern F<strong>als</strong>chmünzer. Sie nutzten den Aberglauben<br />

der Leute und <strong>die</strong> weit verbreitete Angst vor Gespens-<br />

81


tern, <strong>um</strong> <strong>hier</strong> oben in Ruhe ihrem unsauberen Geschäft<br />

nachzukommen.“<br />

„Wenn es <strong>hier</strong> oben keine Geister gibt, dann gibt<br />

es hoffentlich wenigstens eine Folterkammer?“, fragte<br />

Pieri hoffnungsvoll.<br />

Der Alte lächelte. „Ja, <strong>die</strong> gibt es. Wenn ihr sie sehen<br />

wollt, dann kommt mit!“<br />

Pieri erwartete, dass der Mann sie über dunkle Treppen<br />

tief hinunter in den Keller führen würde. Deshalb<br />

war er überrascht, <strong>als</strong> er in einen Ra<strong>um</strong> geführt wurde,<br />

der zu ebener Erde lag.<br />

„Das ist das Verließ“, berichtete der alte Mann. „Hier<br />

wurden <strong>die</strong> Gefangenen eingesperrt, manche jahrelang.<br />

Ihr könnt noch <strong>die</strong> Ketten sehen, mit denen sie<br />

gefesselt waren.“<br />

„Alles Schwindel!“, behauptete Lisa. „Hier ist bestimmt<br />

niemand je eingesperrt gewesen.“<br />

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Pieri verdutzt.<br />

82<br />

Auflösung auf Seite 233


Der Schatz<br />

in der Drachenhöhle<br />

Die vier Kinder und der alte Herr hatten <strong>die</strong> f<strong>als</strong>che<br />

Folterkammer verlassen. Sie standen jetzt inmitten des<br />

Burghofs.<br />

„Wenn Sie so oft <strong>hier</strong>herkommen und das seit vielen<br />

Jahren schon, dann kennen Sie Burg Drachenfels doch<br />

sicher besser <strong>als</strong> der Verfasser <strong>die</strong>ses schlauen Buches<br />

<strong>hier</strong>, nicht wahr?“, fragte Frank. Er zeigte auf das Buch<br />

„Amtlicher Führer für Ruine Drachenfels und Umgebung“.<br />

„Nicht besser, sondern genauso gut wie er“, antwortete<br />

der Alte.<br />

„Wie das?“, wunderte sich Frank.<br />

„Weil er selbst <strong>die</strong>ser Clemens Fels ist, der <strong>die</strong>ses<br />

Buch geschrieben hat“, sagte Lisa.<br />

Der alte Herr verneigte sich formvollendet vor ihr.<br />

„Clemens Konstantin Graf von Drachenfels, zu Ihren<br />

Diensten, mein Fräulein. Als Autor nenne ich mich<br />

schlicht Clemens Fels.“<br />

„War<strong>um</strong> so bescheiden?“, fragte Romy.<br />

Graf Drachenfels zeigte mit einer weit ausholenden<br />

Bewegung in <strong>die</strong> Runde. „Die alte Herrlichkeit ist vorbei.<br />

Es macht auf <strong>die</strong> Leute nicht viel Eindruck, wenn<br />

man ihnen erzählt, dass man der Besitzer <strong>die</strong>ses zusammenfallenden<br />

Steinhaufens ist.“<br />

83


„Sie kennen doch viele Geschichten, <strong>die</strong> Sie in Ihrem<br />

Buch nicht geschrieben haben, nicht wahr?“, fragte<br />

Pieri neugierig.<br />

„In der Tat! Ein paar Dinge habe ich für mich behalten.<br />

Z<strong>um</strong> Beispiel habe ich noch keinem Menschen je<br />

erzählt …“ Graf Drachenfels blickte in <strong>die</strong> Runde. Immer<br />

noch war außer ihm und den vier Kindern kein Besucher<br />

zu sehen. Trotzdem senkte er seine Stimme zu<br />

einem Flüstern. „Ich habe noch niemandem erzählt,<br />

dass es <strong>hier</strong> in der Burg einen versteckten Schatz gibt.“<br />

„Haben Sie ihn schon gefunden?“, fragte Pieri aufgeregt.<br />

„Bis vor Kurzem wusste ich überhaupt noch nichts<br />

von ihm. Bis mir dann in meiner Bibliothek ein altes Pergament<br />

in <strong>die</strong> Hände fiel. 500 Jahre oder länger hatte<br />

keiner meiner Vorfahren darauf geachtet. Der Schatz<br />

liegt in der Drachenhöhle. Sie heißt so, weil dort vor Urzeiten<br />

ein Drache hauste, der den Schatz bewachte.“<br />

„Drache?“, wiederholte Frank. „Pah! An Drachen<br />

glaube ich ebenso wenig wie an Gespenster.“<br />

„Ich glaube auch nicht an den Drachen, obwohl<br />

er dem Berg, der Burg und schließlich unserem Geschlecht<br />

den Namen gegeben hat. Aber an der Geschichte<br />

von dem Schatz könnte schon etwas Wahres<br />

sein. Höhlen jedenfalls gibt es in <strong>die</strong>sem Berg mehrere.“<br />

„Waren Sie schon mal in der Drachenhöhle?“, fragte<br />

Romy.<br />

„Leider nein. Der Eingang zu der Höhle liegt, dem alten<br />

Dok<strong>um</strong>ent nach, im Burggraben. Aber der Abstieg<br />

da hinunter ist mir zu gefährlich. Ich fürchte, wenn ich<br />

84


da hinunterklettere, stürze ich ab und breche mir das<br />

Genick.“<br />

„Ich würde es mir zutrauen“, sagte Pieri. „Wenn es<br />

nicht gar zu tief ist.“<br />

Während des Gesprächs waren sie zu einer niedrigen<br />

Mauer gelangt, hinter der der Burggraben gähnte.<br />

Er war vor vielen Jahrhunderten aus dem Felsen gehauen<br />

worden und ungefähr fünf Meter tief.<br />

„Die Drachenhöhle muss genau unter uns sein“,<br />

sagte der Graf. „Der Eingang ist wohl von <strong>die</strong>sen Büschen<br />

verborgen.“<br />

„Da hinunterzuklettern ist kein Kunststück“, meinte<br />

Pieri. „Das lasse ich nicht zu!“, sagte Lisa. „Ich habe deinen<br />

Eltern versprochen, auf dich aufzupassen, während<br />

…“<br />

„Und ich brauche keinen Aufpasser, schon gar kein<br />

Mädchen!“<br />

85


Bevor Lisa ihn daran hindern konnte, schwang Pieri<br />

sich über <strong>die</strong> Mauer. Er hatte nicht zu viel versprochen.<br />

Die raue Felswand hinunterzuklettern bereitete ihm<br />

keine Schwierigkeiten. Er drang in <strong>die</strong> Büsche ein.<br />

„Ich sehe sie“, rief er aufgeregt nach oben. „Da ist <strong>die</strong><br />

Höhle.“<br />

„Pass auf, dass dich nicht der Drache frisst!“, spottete<br />

Frank. Pieri hörte nicht auf ihn. Er zwängte sich durch<br />

<strong>die</strong> Büsche hindurch und drang in <strong>die</strong> Höhle ein.<br />

„Ich habe den Schatz gefunden!“, hörten <strong>die</strong> anderen<br />

oben ihn jubeln. Gleich darauf tauchte er wieder<br />

aus der Höhle auf und arbeitete sich durch <strong>die</strong> Büsche<br />

ins Freie. In seinen Händen trug er eine uralt aussehende<br />

eisenbeschlagene Kiste. Er klemmte sich <strong>die</strong> Kiste unter<br />

den linken Arm und machte sich dann an den Aufstieg.<br />

Da er sich jetzt nur noch mit einer Hand festhalfesthal- 86


ten konnte, brauchte er für den Weg hinauf etwas länger<br />

<strong>als</strong> für den Abstieg. Endlich war er oben.<br />

„Das Schloss sieht ziemlich verrostet aus“, sagte<br />

Frank. „Ich glaube …“ Pieri wartete nicht ab, was Frank<br />

glaubte. Er klappte einfach den Deckel hoch. Das verrostete<br />

Schloss leistete tatsächlich nicht den geringsten<br />

Widerstand.<br />

Ungläubig blickten <strong>die</strong> vier Kinder und der alte<br />

Mann auf den Inhalt der kleinen Schatzkiste. Es lagen<br />

Edelsteine darin in allen Farben, funkelnde weiße Diamanten,<br />

blaue Saphire, schillernde Topase, dazu goldschimmernde<br />

Münzen.<br />

„Der Schatz des Drachen!“, sagte Graf Drachenfels<br />

fast andächtig. „Es gibt ihn <strong>als</strong>o doch! Eine uralte Überlieferung<br />

besagt, dass schon <strong>die</strong> Römer <strong>hier</strong> oben auf<br />

dem Berg ein Kastell errichtet hatten. Sie haben dam<strong>als</strong><br />

den Schatz versteckt. Die Münzen sind <strong>als</strong>o 2000 Jahre<br />

alt oder älter.“<br />

Lisa nahm eine der Münzen heraus und betrachtete<br />

sie eingehend.<br />

„Dieser Schatz muss ein Vermögen wert sein“, sagte<br />

Romy.<br />

„Er ist überhaupt nichts wert“, widersprach Lisa. „Die<br />

Edelsteine sind billiges Glas, und <strong>die</strong> Münzen sind eine<br />

dreiste Fälschung.“<br />

„Woher willst du das wissen?“, fragte Frank.<br />

Aufl ösung auf Seite 234<br />

87


88<br />

King Kong in Bergheim<br />

Lisa, Romy, Frank und Pieri waren wieder auf dem<br />

Rückweg von der Burg zu ihrem Ferienlager. Sie gingen<br />

schnell, <strong>um</strong> rechtzeitig z<strong>um</strong> Mittagessen dort zu sein.<br />

Glücklicherweise war der Weg bergab viel leichter <strong>als</strong><br />

bergauf, und so kamen sie gut vorwärts.<br />

„Glaubt ihr, dass der alte Herr oben auf der Burgruine<br />

wirklich der letzte Graf von Drachenfels ist, wie er<br />

behauptet?“, fragte Frank.<br />

„Er hat ziemlich viel gefl unkert“, meinte Romy. „Vielleicht<br />

war auch das nur einer seiner sonderbaren<br />

Späße.“<br />

„Ich glaube ihm“, sagte Pieri. „Er ist der erste leibhaftige<br />

Graf, dem ich je begegnet bin.“<br />

„Es würde jedenfalls erklären, weshalb er so oft zur<br />

Ruine hinaufsteigt“, überlegte Lisa. „Er versetzt sich<br />

dort oben in Gedanken in <strong>die</strong> schöne Zeit zurück, in<br />

der seine Vorfahren von der Burg aus <strong>die</strong> ganze Gegend<br />

beherrscht haben.“<br />

Die Kinder hatten inzwischen Bergheim erreicht.<br />

Um zu ihrem Zeltlager zu kommen, mussten sie den<br />

kleinen Ort durchqueren. Plötzlich blieben sie stehen.<br />

„Was war das für ein Geräusch?“, wunderte sich Lisa.<br />

„Hörte sich an wie eine Trompete“, vermutete Frank.<br />

„Eine ziemlich verrostete Trompete“, lachte Romy.<br />

„Oder eine, <strong>die</strong> von dir gespielt wird.“


„Es klang eher wie ein Schrei Tarzans im Film“, sagte<br />

Pieri. „Im Urwald …“<br />

Er brach plötzlich ab. Irgend etwas hatte ihn am linken<br />

Oberarm gefasst und hielt ihn fest. Er wandte den<br />

Kopf – und erschrak.<br />

Es war ein riesiger Affe, der neben ihm kauerte.<br />

Seine haarige Hand war so groß wie <strong>die</strong> Torwarthandschuhe,<br />

<strong>die</strong> Pieri beim Fußballspielen trug. Das Gesicht<br />

des Affen war pechschwarz, seine Schnauze größer <strong>als</strong><br />

<strong>die</strong> irgend eines Hundes, den Pieri je gesehen hatte,<br />

und <strong>die</strong> Eckzähne erinnerten ihn an Dolche.<br />

Der Affe schien Pieri anzugrinsen. Dann gab er dem<br />

Jungen einen Klaps auf den Po und rannte auf allen<br />

vieren davon.<br />

Jetzt erst fiel Pieri auf, dass der Affe ein Trikot trug<br />

mit der Aufschrift „Rossini“ auf dem Rücken. Nach etwa<br />

30 Metern hielt der Affe kurz an, schien noch einmal zu<br />

den Kindern zurückzublicken und rannte dann auf allen<br />

vieren über <strong>die</strong> Straße. Sekunden später war er in<br />

einer Querstraße verschwunden.<br />

„King Kong in Bergheim!“, sagte Pieri. Er versuchte,<br />

seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Die anderen<br />

sollten nicht merken, wie sehr er sich erschrocken<br />

hatte.<br />

„Ist wohl aus einem Tierpark ausgebrochen“, vermutete<br />

Frank.<br />

„In einem so kleinen Ort wie Bergheim gibt es bestimmt<br />

keinen Tierpark“, widersprach Romy. „Es ist jedenfalls<br />

der erste Affe, den ich auf der Straße her<strong>um</strong>laufen<br />

…“<br />

89


„Und der erste Elefant“, fügte Frank hinzu. Verwundert<br />

blickten <strong>die</strong> Kinder dem riesigen Elefanten entgegen,<br />

der eben aus einer Querstraße auf <strong>die</strong> Hauptstraße<br />

einbog. Neben ihm ging ein Mann, der wohl sein<br />

Wärter war. Über dem Rücken des Elefanten hing eine<br />

riesige Decke, auf der in großen Buchstaben „Zirkus<br />

Rossini“ eingestickt war. Ihm folgte ein weiterer Elefant,<br />

dahinter kam ein Lastwagen, auf dem ein Löwenkäfi g<br />

stand. Ein riesiger Löwe mit einer gewaltigen Mähne<br />

ging darin auf und ab.<br />

Dahinter kamen einige Artisten, <strong>die</strong> Purzelbä<strong>um</strong>e<br />

schlugen, auf den Händen liefen oder den Menschen<br />

90


am Straßenrand zuwinkten. Den Abschluss der kleinen<br />

Prozession bildete ein Lautsprecherwagen.<br />

„Meine Damen und Herren, liebe Kinder!“, sagte eine<br />

blechern klingende Stimme aus dem Lautsprecher.<br />

„Von heute bis z<strong>um</strong> Sonntag gastiert in Ihrer schönen<br />

Stadt unser weltberühmter Zirkus Rossini. Wir laden<br />

Sie alle herzlich ein zu unserer ersten Vorstellung heute<br />

Abend <strong>um</strong> acht Uhr.“<br />

„Der komische Trompetenlaut kam off enbar von einem<br />

Elefanten“, sagte Romy.<br />

„Jetzt wissen wir auch, woher der Gorilla kam“, fügte<br />

Pieri hinzu. „Er ist den Zirkusleuten ausgerissen.“<br />

„Es ist kein Gorilla“, widersprach Lisa.<br />

„Doch, das war einer“, gab Frank seinem neuen<br />

Freund recht. „Schimpansen sind viel kleiner, und<br />

Orang-Utans haben lange, zottige rote Haare.“<br />

„Es war überhaupt kein Aff e“, sagte Lisa.<br />

Die drei anderen blickten Lisa erstaunt an.<br />

„Kein Aff e?“, wunderte sich Frank. „Was soll es denn<br />

sonst gewesen sein? Ein Warzenschwein etwa?“<br />

„Es war überhaupt kein Tier, sondern ein Mensch.<br />

Ein Artist in einem Aff enkostüm. Er will ein bisschen Reklame<br />

für seinen Zirkus machen.“<br />

Aufl ösung auf Seite 235<br />

91


92<br />

Die dicke Königin<br />

Lisa, Romy, Frank und Pieri wunderten sich, dass <strong>die</strong><br />

Leute vom Zirkus mit ihren Tieren denselben Weg<br />

durch Bergheim gingen wie sie selbst. Erst <strong>als</strong> sie <strong>die</strong><br />

kleine Stadt verlassen hatten und bei ihrem Ferienlager<br />

angekommen waren, erkannten sie den Grund: Der<br />

Zirkus schlug seine Zelte auf der großen Wiese neben<br />

dem Lager auf.


Von dem großen Zelt stand bisher nur ein Gerüst,<br />

daneben waren etliche Wohnwagen der Artisten und<br />

<strong>die</strong> Wagen, mit denen <strong>die</strong> Tiere transportiert wurden,<br />

aufgestellt. Vier Elefanten standen im Freien, an mächtige,<br />

in den Boden gerammte Pfl öcke angekettet.<br />

„Die haben ja ein gewaltiges Tempo drauf“, wunderte<br />

sich Frank. „Als wir vor ein paar Stunden weggingen,<br />

war von dem Zirkus noch nichts zu sehen, und<br />

jetzt …“<br />

„Ich bezweifl e trotzdem, dass sie bis zur Abendvorstellung<br />

noch fertig werden“, unterbrach ihn Pieri. „Da<br />

ist noch viel zu tun.“<br />

„Ja, aber wenn wir alle kräftig zupacken, schaff en wir<br />

es“, sagte eine Männerstimme hinter ihm. Pieri drehte<br />

sich <strong>um</strong> – und erschrak wieder. Es war der Aff e, der ihm<br />

erst vor zehn Minuten einen riesigen Schrecken eingejagt<br />

hatte. Er stand in der Tür zu dem Haus, in dem Dr.<br />

Großmann sein Büro hatte. Jetzt erst fi el Pieri auf, wie<br />

groß der Aff e war. Viel größer <strong>als</strong> jeder Gorilla, den er je<br />

im Zoo gesehen hatte.<br />

„Vielleicht helft ihr uns ja beim Aufbau des Zeltes<br />

und der Zuschauertribünen“, sagte der Mann im Affenkostüm.<br />

„Jeder, der mithilft, hat heute Abend freien<br />

Eintritt. Das habe ich eben mit Herrn Großmann geregelt.“<br />

„Mich laust der Aff e!“, stieß Frank hervor.<br />

Der Aff e hob beide Arme, packte mit seinen mächtigen<br />

Pranken seinen Kopf an den Ohren – und hob den<br />

Kopf ab. Jetzt wurde das freundliche Gesicht des Mannes<br />

sichtbar, der in dem Aff enfell steckte.<br />

93


„Ich bin Roberto“, sagte er. „Und ich hoffe, dass ich<br />

euch heute Abend <strong>als</strong> Gäste in der Vorstellung begrüßen<br />

darf.“<br />

„Wenn ich zu Hause erzähle, dass ich mich mit einem<br />

Affen unterhalten habe, werden mich alle für einen<br />

Lügner halten“, sagte Pieri, <strong>als</strong> er mit seinen Freunden<br />

ein paar Minuten später in dem Zelt saß, in dem<br />

<strong>die</strong> Teilnehmer des Ferienlagers ihre Mahlzeiten einnahmen.<br />

„Oder für einen Spinner, der …“<br />

Weiter kam er nicht. Hinter sich hörte er wieder das<br />

merkwürdige trompetenartige Geräusch, über das er<br />

sich heute schon einmal gewundert hatte, und vor ihm,<br />

auf der anderen Seite des Tisches, sah er <strong>die</strong> erstaunten<br />

Gesichter von Lisa und Romy.<br />

Durch <strong>die</strong> weit offene Tür des Zelts kam ein Elefant.<br />

An seinem linken Vorderbein hing eine lange eiserne<br />

Kette. Hinter dem Elefanten kam sein Pfleger.<br />

Der Elefant blickte sich kurz <strong>um</strong>, dann machte er ein<br />

paar Schritte nach vorn. Einige Kinder sprangen von ihren<br />

Stühlen auf und rannten davon. Der Elefant schien<br />

das <strong>als</strong> Aufforderung zu betrachten, ihnen zu folgen.<br />

„Ihr braucht keine Angst zu haben, Kinder!“, rief der<br />

Wärter. „Rani ist eine sehr gutmütige Elefantendame.<br />

Die tut keinem Menschen etwas zuleide.“ Mit wenigen<br />

schnellen Schritte überholte er das riesige Tier<br />

und stellte sich ihm in den Weg. „Zurück, Rani!“, befahl<br />

er. Rani gehorchte. Sie wich zurück, Schritt für Schritt,<br />

durch <strong>die</strong> offene Tür hinaus ins Freie.<br />

„Soviel ich weiß, heißt ‚Rani‘ auf indisch ‚Königin‘“,<br />

sagte Frank.<br />

94


„Das muss <strong>die</strong> dickste Königin der Welt sein“, meinte<br />

Pieri. Er hatte plötzlich jedes Interesse an seinem Essen<br />

verloren, stand auf und folgte dem Elefanten und seinem<br />

Wärter.<br />

Vom Haus her kam Dr. Großmann gelaufen, der Leiter<br />

des Ferienlagers. „Was fällt Ihnen ein!“, rief er. „Sie<br />

können doch mit einem Elefanten nicht in ein Zelt mit<br />

50 oder mehr Kindern gehen! Auch wenn das Tier gutmütig<br />

ist, könnte es doch erschrecken und in seiner<br />

Angst loslaufen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was<br />

dann passiert.“<br />

„Ich hatte Rani angekettet“, verteidigte sich der Wärter.<br />

„Jemand muss sie losgebunden haben.“<br />

„Das kann nur jemand vom Zirkus gewesen sein. Einen<br />

Fremden hätte der Elefant wohl nicht so nahe an<br />

sich herangelassen.“<br />

Der Wärter nickte. „Ich kann mir schon vorstellen,<br />

wer das war. Es kommt nur der Affe infrage.“<br />

„Sie meinen Roberto? Weshalb sollte er das tun?“<br />

„Weil er verrückt ist. Und bösartig. Er stellt dauernd<br />

<strong>die</strong> unmöglichsten Dinge an und gibt dann mir <strong>die</strong><br />

Schuld. Er hasst mich. Wahrscheinlich weil ich ein besserer<br />

Artist bin <strong>als</strong> er.“<br />

„Ich glaube, Sie drehen <strong>die</strong> Dinge <strong>um</strong>“, sagte Pieri.<br />

„Roberto kann mit der Sache nichts zu tun haben.“<br />

Auflösung auf Seite 235/236<br />

95


96<br />

Jetzt schlägt’s 13<br />

„Es macht wirklich Spaß, ein Zirkuszelt aufzubauen“,<br />

sagte Pieri.<br />

„Und vor allen Dingen macht es sehr müde“, sagte<br />

Frank. „Und durstig.“ Er setzte sich erschöpft auf <strong>die</strong><br />

Bank, <strong>die</strong> er eben mit Pieri in das Zelt hineintragen<br />

wollte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und<br />

kramte in seiner Sporttasche nach der Flasche mit<br />

Mineralwasser, <strong>die</strong> er mitgebracht hatte. Die Flasche<br />

war schon fast leer.<br />

„Keine Müdigkeit vortäuschen, meine Herren!“, rief<br />

eine spöttische Stimme hinter ihm. Frank und Pieri<br />

drehten sich <strong>um</strong>. Es war Markus, der Junge, den Pieri<br />

gestern kennengelernt hatte. „Wenn ihr nur dasitzt und<br />

schaut, wird das Zelt nicht mehr fertig bis zur Abendvorstellung.“<br />

„Du könntest uns dabei helfen“, schlug Pieri vor.<br />

„Wenn <strong>die</strong> Bezahlung stimmt, bin ich dabei.“<br />

„Es gibt keine Bezahlung. Nur freien Einritt heute<br />

Abend. Das hat uns der Aff e versprochen.“ Pieri bemerkte<br />

den verwunderten Blick seines neuen Freundes.<br />

„Er heißt Roberto. Natürlich ist er kein wirklicher<br />

Aff e, sondern ein Artist, der manchmal ein Aff enkostüm<br />

trägt.“<br />

Von den Wohnwagen der Artisten her näherten sich<br />

Lisa und Romy. „Es gibt wirklich eine Menge zu sehen


ei so einem Zirkus“, sagte Romy. „Die Elefanten, <strong>die</strong><br />

Löwen …“<br />

„Und den Affen Roberto“, warf Markus spöttisch ein.<br />

„Nein, den haben wir nicht gesehen. Nur einen wunderbar<br />

geschminkten Clown, der gerade seine Späße<br />

übte. Und Maja, <strong>die</strong> Tochter des Direktors. Sie ist höchstens<br />

zehn Jahre alt. Aber was <strong>die</strong> auf dem Reck schon<br />

alles kann, das ist wirklich verblüffend.“<br />

Lisa zeigte auf einen weißen Sportwagen, der langsam<br />

auf der nahen Straße am Rande des Zeltplatzes<br />

vorbeifuhr. „Ist das nicht der Mann, der sich einen Spaß<br />

daraus macht, bei Regen durch alle Pfützen zu fahren<br />

und <strong>die</strong> Spaziergänger nass zu spritzen?“, fragte sie.<br />

„Er scheint dabei an den F<strong>als</strong>chen geraten zu sein“,<br />

lachte Romy. Sie deutete auf den hässlichen Kratzer,<br />

der sich quer über <strong>die</strong> rechte Tür des Wagens zog.<br />

Der Mann in dem Auto schaute zu ihnen herüber.<br />

Plötzlich stieg er hart auf <strong>die</strong> Bremse und setzte dann<br />

wieder ein Stück zurück. Er stieß <strong>die</strong> Tür auf, stieg aus,<br />

ging mit schnellen Schritten <strong>um</strong> das Fahrzeug her<strong>um</strong><br />

und kam dann mit zornrotem Gesicht auf <strong>die</strong> Kinder zu.<br />

„Jetzt habe ich dich endlich erwischt, du Lausebengel!“,<br />

rief er.<br />

Pieri, Frank und Markus zogen schnell <strong>die</strong> Köpfe<br />

ein. Jeder hatte das unangenehme Gefühl, gemeint zu<br />

sein, aber keiner von ihnen hatte dabei ein schlechtes<br />

Gewissen.<br />

Der Mann packte Markus am Kragen. „Das wird<br />

deine Eltern eine Menge Geld kosten!“, drohte er. „Und<br />

dir eine Menge Ärger mit deinem Vater einhandeln.“<br />

97


„Was ist denn <strong>hier</strong> los?“, fragte Wachtmeister Anders.<br />

Er hielt sich schon eine ganze Weile <strong>hier</strong> auf dem Gelände<br />

auf. Den Zirkusleuten zuzusehen war interessanter,<br />

<strong>als</strong> den täglichen Rundgang durch <strong>die</strong> kleine Stadt<br />

zu machen, in der er jedes Haus und <strong>die</strong> meisten Menschen<br />

kannte.<br />

„Der Bengel hat meinen Wagen beschädigt“, sagte<br />

der Besitzer des Fahrzeugs. Er zeigte auf <strong>die</strong> zerkratzte<br />

rechte Wagentür. „Mit einem Nagel. Ich habe ihn dabei<br />

beobachtet, aber bevor ich ihn mir schnappen konnte,<br />

lief er davon.“<br />

„Das war ich nicht!“, versicherte Markus. Er blickte<br />

Hilfe suchend zu Wachtmeister Anders auf.<br />

„Sind Sie sicher, dass er es war?“, fragte Anders.<br />

„Sicher bin ich sicher. Das blonde Haar, <strong>die</strong> Jeans, <strong>die</strong><br />

Turnschuhe – ohne Zweifel, er war es.“<br />

„Wo ist <strong>die</strong> Sache geschehen?“, fragte Anders.<br />

„Beim Marktplatz“, antwortete der Mann. Immer<br />

noch hielt er Markus fest. „Mittags. So <strong>um</strong> zwölf.“<br />

„Um zwölf?“, wiederholte Markus. Sein Gesicht<br />

wirkte jetzt wesentlich zuversichtlicher <strong>als</strong> eben noch.<br />

98


„Um zwölf war ich zu Hause. Bis ein Uhr etwa. Ich habe<br />

Geige gespielt. Ich muss jeden Tag üben, besonders<br />

jetzt in den Ferien.“<br />

„Hast du einen Zeugen dafür?“, fragte Wachtmeister<br />

Anders.<br />

„Ja, meine Mutter“, antwortete Markus zögernd.<br />

„Aber erst ab halb eins, da kam sie nach Hause.“<br />

„Wenn ich Geige spiele, habe ich massenhaft Zeugen“,<br />

sagte Frank grinsend. „Die Mieter unter uns klopfen<br />

mit dem Besenstiel gegen <strong>die</strong> Zimmerdecke, <strong>die</strong><br />

Nachbarn hämmern mit den Fäusten gegen <strong>die</strong> Wände.<br />

Und dabei brüllen Sie: ‚Hör auf mit dem verdammten<br />

Lärm!‘“<br />

Wachtmeister Anders blickte nachdenklich auf Markus<br />

nieder. „Deine Mutter ist <strong>als</strong>o erst <strong>um</strong> halb eins<br />

nach Hause gekommen. Sie kann <strong>als</strong>o nicht bestätigen,<br />

dass du <strong>um</strong> zwölf zu Hause warst.“<br />

„Aber vielleicht trägt meine Aussage zur Klärung<br />

bei“, mischte sich ein Mann ein. „Sie kennen mich,<br />

Wachtmeister“, sagte er. „Ich habe einen Stand für Obst<br />

und Gemüse auf dem Marktplatz. Übrigens, ich beliefere<br />

auch <strong>die</strong> Zirkusleute und ihre Tiere.“<br />

„Ja, mit Bananen für den Affen Roberto“, warf Frank<br />

grinsend ein. Er schien <strong>die</strong> Sache immer noch nicht<br />

ernst zu nehmen.<br />

„Haben Sie <strong>die</strong> Tat gesehen, Herr Krüger?“, fragte der<br />

Wachtmeister.<br />

„Die Tat selbst nicht“, antwortete Herr Krüger. „Aber<br />

den Jungen. Er ging wenige Schritte an mir vorbei.<br />

Punkt zwölf Uhr.“<br />

99


„Was macht Sie so sicher, dass es zwölf Uhr war?“<br />

„Die Uhr an der Kirchenwand“, antwortete Herr Krüger.<br />

„Er stand genau davor, und es war zwölf!“<br />

„Und <strong>um</strong> genau <strong>die</strong>se Zeit wurde mein Wagen zerkratzt!“,<br />

fügte der Besitzer des Sportwagens hinzu. „Ich<br />

verlange, dass Sie den Übeltäter einsperren, Wachtmeister!“<br />

Wachtmeister Anders schüttelte den Kopf. „In <strong>die</strong>sem<br />

Alter wird man nicht eingesperrt. Es genügt völlig,<br />

wenn ich seine Eltern informiere. Junge, du hast ein<br />

paar unangenehme Stunden vor dir!“<br />

„Ich war‘s nicht“, sagte Markus leise. Er blickte hinter<br />

dem Wachtmeister her, der wegging in Richtung Poli-<br />

100


zeirevier. Der Besitzer des Autos stieg in seinen Sportwagen<br />

und fuhr los.<br />

„Wir sollten uns jetzt auch auf den Weg machen“,<br />

meinte Lisa.<br />

„Wohin denn?“, fragte Frank.<br />

„Den Tatort besichtigen.“<br />

„Ich glaube nicht, dass uns das viel hilft“, meinte<br />

Frank. „Aber angenehmer <strong>als</strong> <strong>hier</strong> Sitzbänke zu schleppen<br />

ist es auf jeden Fall.“<br />

Es war kein weiter Weg bis z<strong>um</strong> Marktplatz. Eine<br />

Menge Marktstände waren <strong>hier</strong> aufgebaut, mit Lebensmitteln,<br />

Haushaltswaren oder Andenken für <strong>die</strong> Touristen.<br />

Am Rande des Marktplatzes stand <strong>die</strong> Kirche.<br />

„Das ist es!“, rief Lisa aufgeregt. „Das ist der Beweis,<br />

dass es nicht Markus war, den Herr Krüger angeblich<br />

Punkt zwölf Uhr mittags <strong>hier</strong> gesehen hat.“<br />

Frank blickte Lisa verständnislos an. „Wie kommst<br />

du darauf?“, fragte er. „Diese Uhr ist unübersehbar. Herr<br />

Krüger kann sich nicht in der Zeit geirrt haben.“<br />

Lisa lächelte. „Nun, dann sag mir doch, wie spät es<br />

ist!“<br />

„Fünf“, antwortete Frank. „Nein, sechs. Wie ist das<br />

möglich? Die Uhr oben am Kirchturm sagt sechs, und<br />

meine Armbanduhr auch, aber <strong>die</strong> Sonnenuhr <strong>hier</strong><br />

an der Wand behauptet, dass es erst fünf ist. Sie muss<br />

f<strong>als</strong>ch gehen.“<br />

Aufl ösung auf Seite 236/237<br />

101


102<br />

Der größte Clown<br />

der Welt<br />

Pieri, Frank und einige andere Kinder aus dem Ferienlager<br />

hatten ihre Plätze im Zirkuszelt bereits eingenommen.<br />

Die Zuschauertribünen waren gut gefüllt. Ungeduldig<br />

warteten <strong>die</strong> Besucher auf den Beginn der<br />

Vorstellung.<br />

„Wo sind denn Lisa und Romy?“, fragte Pieri und sah<br />

sich dabei suchend <strong>um</strong>.<br />

„Ist mir egal“, antwortete Frank. „Mich interessiert<br />

nur, wann <strong>die</strong> Raubtiere kommen.“<br />

Lisa und Romy waren noch draußen. Bis z<strong>um</strong> Beginn<br />

der Vorstellung würde es noch eine Viertelstunde dauern,<br />

es blieb <strong>als</strong>o noch genügend Zeit, zwischen den<br />

Wohnwagen der Artisten und den Käfi gen der Raubtiere<br />

her<strong>um</strong>zulaufen. Vor dem Käfi g mit dem riesigen<br />

Löwen blieben sie stehen.<br />

„Ich frage mich wirklich, woher ein Dompteur den<br />

Mut nimmt, sich zu einem halben Dutzend <strong>die</strong>ser<br />

Raubtiere in <strong>die</strong> Manege zu begeben“, sagte Lisa. „Ich<br />

hätte dabei bestimmt fürchterliche Angst, gefressen zu<br />

werden.“<br />

Der Löwe schien ihre Worte verstanden zu haben. Er<br />

sah sie an, riss dann seinen Rachen weit auf und zeigte<br />

den beiden Mädchen ein Furcht einfl ößendes Gebiss.<br />

„Akrobat schööön!“, hörten sie eine Stimme.


„Mich laust der Affe!“, entfuhr es Romy. „Der Löwe<br />

kann sprechen!“<br />

„Löwe nix können sprechen“, sagte <strong>die</strong> Stimme wieder.<br />

„Löwe d<strong>um</strong>mes Tier. Nur Clown Arlekino können<br />

sprechen.“<br />

Die Mädchen drehten sich <strong>um</strong>. Hinter ihnen stand<br />

der Clown, dem sie heute Nachmittag schon eine Weile<br />

zugesehen hatten. Er trug eine unendlich weite Hose,<br />

<strong>die</strong> an ein Bierfass erinnerte, und riesige Schuhe, in denen<br />

er watschelte wie eine Ente. Sein Gesicht war weiß<br />

geschminkt, <strong>die</strong> große rote Pappnase mitten darin<br />

wirkte dadurch noch auffälliger. Sein Schädel war kahl,<br />

mit Ausnahme einer winzigen grünen Haarlocke.<br />

„Ich Arlekino, größtes Clown von Welt“, stellte er<br />

sich vor. Dazu machte er eine ungeschickte Verbeugung,<br />

bei der er fast das Gleichgewicht verloren hätte.<br />

„Löwen nur können brüllen, ich können sprechen. Alle<br />

Sprachen von Welt. Elfundachtzig Sprachen.“<br />

„Das mag schon sein“, sagte Romy. „Aber z<strong>um</strong><br />

Lachen hast du uns noch nicht gebracht. Du musst<br />

noch üben.“<br />

„Ich haben nix Zeit z<strong>um</strong> Unterhalten euch. Ich müssen<br />

einstu<strong>die</strong>ren neue N<strong>um</strong>mer für nächste Vorstellung.<br />

Jetzt mir kommen gut Idee! Ich brauchen hübsche<br />

kleine Assistentin. Du haben Lust, Assistentin von<br />

Arlekino zu werden?“<br />

Er blickte <strong>die</strong> beiden Mädchen an. Genauer gesagt,<br />

sein rechtes Auge blickte auf Lisa, <strong>die</strong> links vor ihm<br />

stand, das linke auf Romy rechts vor ihm. Die beiden<br />

Mädchen hatten noch nie einen Menschen gesehen,<br />

103


der so unglaublich schielte. Keine von ihnen wusste,<br />

wen er mit seiner Frage meinte.<br />

„Ich meinen dir!“, sagte er, hob das linke Bein und<br />

deutete mit seinem riesigen Schuh auf Lisa. „Aber bevor<br />

du dürfen in Manege, ich dich erst machen schön.<br />

Fast so schön wie Arlekino selbst.“<br />

„Soll ich mir etwa auch so eine rote Knollennase aufsetzen<br />

wie du?“, lachte Lisa.<br />

„Knollennase schöööön! Kommen mit in meinen<br />

Wagen!“<br />

Lisa zögerte. „Meine Mutter hat gesagt, dass ich<br />

nicht mit Fremden mitgehen darf. Auch nicht mit<br />

Clowns.“<br />

„Kluges Mutter! Aber sie mich nicht kennen. Ich fressen<br />

Kinder immer erst nach Vorstellung. Jetzt noch kein<br />

Hunger.“<br />

Er öff nete <strong>die</strong> Tür seines Wohnwagens und trat ein.<br />

Lisa und Romy folgten ihm. Sie ließen <strong>die</strong> Tür hinter<br />

sich off en. Dann deutete er einladend auf einen Stuhl,<br />

der vor einem kleinen Schminktisch stand. Lisa setzte<br />

sich. In einem großen Spiegel an der Wand konnte sie<br />

sich jetzt sehen.<br />

Der Clown brachte eine feuerrote Perücke mit langem<br />

und ganz verwirrtem Haar. Er setzte sie Lisa auf.<br />

Lisa lachte. „Damit sehe ich ja aus wie eine richtige alte<br />

Hexe!“, rief sie.<br />

Arlekino nickte. „Du sein schönstes altes Hexe von<br />

Welt. Zuschauer lieben sehr altes Hexen.“<br />

„Aber sie lieben keine Schwindler. Und du bist ein<br />

Schwindler, Roberto!“<br />

104


Der Clown blickte sich <strong>um</strong>, <strong>als</strong> suche er jemanden.<br />

„Roberto? D<strong>um</strong>mes Dompteur von d<strong>um</strong>mes Löwen?“<br />

„Nein, den Mann im Aff enkostüm.“<br />

Der Clown schüttelte den Kopf. „Roberto hässliches<br />

Mann, wenn nicht tragen Aff enkostüm. Arlekino<br />

schööön!“<br />

„Du kannst mit deiner Komö<strong>die</strong> aufhören, Roberto.<br />

Ich habe dich erkannt.“<br />

„Woran?“, fragte der Clown mit völlig veränderter<br />

Stimme.<br />

Aufl ösung auf Seite 237<br />

105


106<br />

Die alte Hexe<br />

Der Zirkus Rossini war nicht der größte Zirkus der Welt,<br />

wie er behauptete, und auch nicht der beste, aber<br />

<strong>die</strong>se Abendvorstellung war mit Abstand <strong>die</strong> schönste,<br />

<strong>die</strong> Lisa je gesehen hatte. Es war nämlich <strong>die</strong> einzige, an<br />

der sie je mitgewirkt hatte.<br />

Wenn sie später davon erzählte, übertrieb sie ihre<br />

Rolle <strong>als</strong> Artistin ein wenig. In Wirklichkeit hatte sie<br />

nicht sehr viel zu tun. Sie musste lediglich, <strong>als</strong> Hexe verkleidet,<br />

versuchen, Arlekino, „bestes Clown von Welt“,<br />

mit ihrem Besenstiel zu verprügeln. Natürlich schlug<br />

sie immer daneben. Arlekino wich immer geschickt aus<br />

und trieb dann seine Späße mit ihr.<br />

Es zeigte sich, dass er nicht nur ein wunderbarer<br />

Spaßmacher war, sondern auch ein Zauberkünstler. Er<br />

zog der alten Hexe Goldmünzen aus der Nase, ließ aus<br />

ihrem wild wuchernden roten Haar einen wunderschönen<br />

Bl<strong>um</strong>enstrauß wachsen und verwandelte ihren Besenstiel<br />

in eine lange Schlange mit weit aufgerissenem<br />

Maul. Sekunden später war <strong>die</strong> Schlange plötzlich wieder<br />

ein Besenstiel.<br />

Nach <strong>die</strong>sem Trick, der beim Publik<strong>um</strong> besonders<br />

viel Beifall fand, verbeugte er sich höfl ich nach allen<br />

Seiten. Dabei unterlief ihm, wie es den Zuschauern<br />

schien, eine kleine Ungeschicklichkeit: Er stolperte<br />

über den Besen der Hexe und stürzte zu Boden. Mit der


Nase im Sand der Arena vergraben blieb er sekundenlang<br />

liegen. Die Hexe setzte tri<strong>um</strong>p<strong>hier</strong>end ihren Fuß<br />

auf seinen Nacken.<br />

Romy hatte sich, rechtzeitig vor Beginn der Vorstellung,<br />

zu Frank und Pieri gesetzt. Frank hatte eine Tüte<br />

Erdnüsse gekauft, aus der alle drei sich abwechselnd<br />

be<strong>die</strong>nten. Als Pieri <strong>die</strong> Tüte an Romy weiterreichte,<br />

griff <strong>die</strong>se daneben. Die Tüte fi el auf den Boden. Pieri<br />

bückte sich, <strong>um</strong> sie aufzuheben.<br />

„Was hast du für komische Sandalen an, Romy?“,<br />

wunderte er sich.<br />

„Seit wann interessiert es einen Jungen, was für<br />

Schuhe ein Mädchen anhat?“, fragte Romy zurück.<br />

107


„Normalerweise interessiert es mich überhaupt<br />

nicht“, antwortete Pieri. „Aber mir ist, <strong>als</strong> hättest du<br />

heute Turnschuhe angehabt. Und Lisa <strong>die</strong>se Sandalen.<br />

Das ist mir aufgefallen, weil darin ihre blöden Ringelsocken<br />

so deutlich zu sehen waren.“<br />

„Wo ist Lisa überhaupt?“, fragte Frank.<br />

„Hast du nicht vorhin gesagt, dass dir das völlig<br />

gleichgültig ist?“, fragte Pieri.<br />

„Das ist es mir auch. Aber Lisa und Romy sind doch<br />

seit Tagen ständig nur noch im Doppelpack unterwegs.<br />

Deshalb wundere ich mich, dass Lisa jetzt fehlt. Sie<br />

wollte doch <strong>die</strong>se Zirkusvorstellung auf keinen Fall versä<strong>um</strong>en.“<br />

Frank sah Romy fragend an. Sie zuckte mit den<br />

Schultern. „Keine Ahnung, wo sie steckt!“, sagte sie, so<br />

gleichgültig wie möglich.<br />

„Sie ist <strong>hier</strong>“, sagte Pieri.<br />

Frank blickte sich suchend <strong>um</strong>. Er entdeckte etliche<br />

Kinder aus dem Ferienlager unter den Zuschauern,<br />

aber nicht Lisa.<br />

„Dort unten“, sagte Pieri und deutete aufgeregt in<br />

<strong>die</strong> Manege.<br />

„Dort sehe ich nur den Clown und … Willst du mir<br />

erzählen, dass <strong>die</strong>se bucklige alte Hexe mit der riesigen<br />

Warze auf der Hakennase unsere Lisa ist?“<br />

„Wer sonst sollte es sein?“, fragte Pieri zurück.<br />

„Wie kommst du darauf?“, fragte Frank.<br />

108<br />

Auflösung auf Seite 237/238


Der vergessliche Dieb<br />

„Du hast deine Sache ausgezeichnet gemacht, kleine<br />

Hexe“, lobte Arlekino, nachdem er und Lisa <strong>die</strong> Manege<br />

verlassen hatten und auf dem kurzen Rückweg zu seinem<br />

Wohnwagen waren. „Jetzt musst du dich nur noch<br />

in ein nettes Mädchen zurückverwandeln, und ich<br />

muss mein Clownskostüm loswerden und mich in Roberto,<br />

den Raubtierdompteur, verwandeln. Das bin ich<br />

nämlich auch. Ich habe noch einen großen Auftritt mit<br />

meinen Löwen.“<br />

Wenige Minuten später saß Lisa neben Pieri, Frank<br />

und Romy unter den Zuschauern. „Wie hast du dich gefühlt<br />

da unten <strong>als</strong> Star in der Manege, vor so vielen Zuschauern?“,<br />

fragte Romy. „Das erzähle ich dir nachher<br />

ausführlich“, antwortete Lisa. „Jetzt möchte ich endlich<br />

auch etwas von der Vorstellung sehen. Diese Hochseilartisten<br />

sind wirklich großartig.“<br />

Sie bekam allerdings nicht viel von der Vorstellung<br />

zu sehen. Ein Mann erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie<br />

kannte ihn, es war Herr Rossini, der Zirkusdirektor. Er<br />

schob sich möglichst unauff ällig zwischen den Zuschauern<br />

hindurch, bis er Wachtmeister Anders erreichte.<br />

Anders saß ganz vorn in der ersten Reihe. Jetzt<br />

am Abend trug er nicht seine Uniform, sondern Zivilkleidung.<br />

Herr Rossini bückte sich zu ihm nieder und<br />

fl üsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort stand Wachtmeister<br />

109


Anders auf und folgte Herrn Rossini z<strong>um</strong> Ausgang des<br />

Zelts.<br />

„Ein Polizist ist eben immer im Dienst“, flüsterte Lisa<br />

ihrem Nachbarn Pieri zu. „Komm! Ich glaube, es gibt<br />

gleich etwas viel Interessanteres dort draußen <strong>als</strong> <strong>die</strong>se<br />

Artisten <strong>hier</strong> drinnen.“<br />

Pieri wusste nicht, was sie meinte, aber er folgte ihr.<br />

Romy und Frank blieben sitzen und schauten fasziniert<br />

hinauf zu den Hochseilartisten in der Zirkuskuppel.<br />

Lisa und Pieri mussten nicht weit gehen. Schon wenige<br />

Schritte vom großen Zelt entfernt standen Direktor<br />

Rossini, Wachtmeister Anders und eine blonde Frau<br />

beisammen und unterhielten sich leise. „Das ist <strong>die</strong><br />

Frau des Direktors“, flüsterte Lisa. „Sie verkauft <strong>die</strong> Eintrittskarten.“<br />

Die Frau hatte Lisas Worte gehört. „Ja, ich habe <strong>die</strong><br />

Karten verkauft“, sagte sie. „Das Geschäft war gut heute<br />

Abend. Aber <strong>die</strong> Kasse ist weg.“<br />

„Erzählen Sie bitte alles der Reihe nach!“, bat Wachtmeister<br />

Anders sie.<br />

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich<br />

schließe <strong>die</strong> Kasse nicht pünktlich bei Beginn der Vorstellung,<br />

sondern warte immer noch eine Weile. Es<br />

kommt nämlich immer wieder vor, dass Besucher sich<br />

verspäten. Dann, <strong>als</strong> ich sicher war, dass niemand mehr<br />

kommen würde, habe ich wie sonst alles zusammengepackt,<br />

<strong>die</strong> Geldkassette genommen, das Kassenhäuschen<br />

abgesperrt und mich auf den Weg zu unserem<br />

Wagen gemacht.“<br />

„Und dabei wurden Sie beraubt?“<br />

110


„Ja. Der Kerl tauchte plötzlich aus der Dunkelheit<br />

auf, riss mir <strong>die</strong> Geldkassette aus der Hand und rannte<br />

weg.“<br />

„Wie sah er aus?“, fragte Herr Rossini, ihr Mann.<br />

Die Frau zögerte. „Es war unser Clown“, sagte sie<br />

schließlich. „Arlekino. Jedenfalls war er so angezogen<br />

wie Arlekino. Genau konnte ich ihn nicht sehen. Es<br />

war wirklich zu dunkel. Er rannte dort hinüber, auf <strong>die</strong><br />

Wohnwagen zu.“<br />

„In seinen riesigen Clownsschuhen?“, wunderte<br />

sich Lisa. Aber niemand achtete so recht auf ihren Einwand.<br />

„In seinem Wohnwagen werden wir ihn wohl ka<strong>um</strong><br />

mehr antreffen“, überlegte Wachtmeister Anders. „Der<br />

ist längst über alle Berge.“<br />

Lisa packte Pieri am Arm und zog ihn weg.<br />

„Ich glaube nicht, dass es Arlekino war. So blöd ist<br />

der doch nicht, einen Überfall in seinem Clownskostüm<br />

zu begehen, in dem ihn jeder sofort erkennen<br />

kann. Es muss ein anderer sein, der sich <strong>die</strong> Kleidung<br />

des Clowns nur ausgeliehen hat, <strong>um</strong> den Verdacht<br />

auf einen Unschuldigen zu lenken. Und das war nicht<br />

schwer für ihn, denn Arlekino ist inzwischen wieder der<br />

Dompteur Roberto und bereitet sich bei seinen Löwen<br />

auf seinen nächsten Auftritt vor.“<br />

Lisa und Pieri hatten inzwischen den Wohnwagen<br />

von Roberto-Arlekino erreicht. Hinter dem Fenster des<br />

Wagens brannte Licht, aber sie konnten nicht hineinsehen,<br />

da <strong>die</strong> Vorhänge zugezogen waren. Lisa stieß <strong>die</strong><br />

Tür auf.<br />

111


Ein Mann stand vor dem großen Spiegel am<br />

Schminktisch. Jetzt fuhr er her<strong>um</strong> und starrte <strong>die</strong> beiden<br />

Kinder an.<br />

Der Mann packte <strong>die</strong> kleine Geldkassette, <strong>die</strong> auf<br />

dem Tisch stand, stieß <strong>die</strong> Kinder beiseite und sprang<br />

durch <strong>die</strong> Tür hinaus ins Freie. Er sprang genau in <strong>die</strong><br />

empfangsbereiten Arme von Wachtmeister Anders.<br />

Verzweifelt versuchte er, sich loszureißen. Aber der<br />

Wachtmeister bekam Hilfe vom Zirkusdirektor. Die beiden<br />

kräftigen Männer hatten keine Mühe, ihn festzuhalten.<br />

„Woher hast du gewusst, dass der Räuber <strong>hier</strong> ist?“,<br />

fragte der Wachtmeister.<br />

„Ich wusste es nicht“, antwortete Lisa. „Er musste<br />

seine auff ällige Clownskleidung loswerden. Das hätte<br />

112


er natürlich auch draußen tun können. Aber …“ In dem<br />

Licht, das aus der off enen Tür des Wagens fi el, betrachtete<br />

Lisa sich den Mann genauer. „Dieses Veilchen <strong>um</strong><br />

sein linkes Auge … Dabei fällt mir der Gauner ein, der<br />

am Tag unserer Ankunft schon einmal einen Diebstahl<br />

versuchte. Der Bursche hatte ein blaues linkes Auge.“<br />

„Du glaubst, das ist derselbe Mann?“, wunderte sich<br />

der Wachtmeister. „Ich war überzeugt, dass er schon<br />

längst aus <strong>die</strong>ser Gegend verschwunden ist.“<br />

„Nein, er ist geblieben. Er hat nur seine Augenverletzung<br />

unter einer schwarzen Augenklappe versteckt.“<br />

„Ich verstehe immer noch nicht, weshalb er <strong>hier</strong>her<br />

in Arlekinos Wohnwagen gekommen ist, anstatt nach<br />

dem Überfall abzuhauen“, wunderte sich Wachtmeister<br />

Anders.<br />

„Er hatte eine Kleinigkeit vergessen, <strong>als</strong> er sich <strong>die</strong><br />

Clownskleidung <strong>hier</strong> anzog“, antwortete Lisa.<br />

„Was denn?“, fragten Wachtmeister Anders, Direktor<br />

Rossini, Frau Rossini und Pieri gleichzeitig.<br />

Aufl ösung auf Seite 238<br />

113


114<br />

Nächtliche<br />

Überstunden<br />

Wachtmeister Anders war nicht im Dienst. Er besuchte<br />

<strong>die</strong> Zirkusvorstellung in Zivil, <strong>als</strong> ein Zuschauer unter<br />

vielen. Deshalb hatte er auch keine Handschellen dabei.<br />

Im Augenblick brauchte er aber auch keine, er und<br />

Zirkusdirektor Rossini hielten den Räuber der Geldkassette<br />

mit kräftigen Händen fest.<br />

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Anders.<br />

Der Mann antwortete nicht.<br />

„Na ja, das werden wir schon feststellen“, sagte Anders<br />

gelassen. „Zunächst einmal bringe ich Sie aufs Polizeirevier.“<br />

„Brauchen Sie dabei Hilfe?“, fragte Rossini. „Dann<br />

gebe ich Ihnen einen meiner Leute mit.“<br />

„Nicht nötig“, antwortete Anders. „Mit einem Gauner<br />

werde ich auch allein fertig.“<br />

„Und wir beide können uns jetzt den Rest der Vorstellung<br />

ansehen“, sagte Lisa zu Pieri.<br />

Pieri schüttelte den Kopf. „Eine Verhaftung ist viel<br />

aufregender <strong>als</strong> eine Löwendressur. Es ist das erste Mal,<br />

dass ich sehe, wie jemand eingesperrt wird.“<br />

„Ich habe deinen Eltern versprochen, ein wenig auf<br />

dich aufzupassen. Da ich dich nicht allein nachts durch<br />

eine fremde Stadt laufen lassen kann, komme ich mit“,<br />

erklärte Lisa entschlossen.


Wachtmeister Anders ging voraus. Er hielt seinen<br />

Gefangenen mit der rechten Hand am linken Oberarm<br />

fest. Lisa und Pieri folgten wenige Schritte dahinter. In<br />

der ersten Straße, durch <strong>die</strong> sie gingen, kam ihnen ein<br />

Mann entgegen. In dem schwachen Licht einer entfernten<br />

Straßenlaterne war zu sehen, dass der Mann einen<br />

Werkzeugkoffer in der rechten Hand trug.<br />

„Nun, Herr Becker, noch so spät bei der Arbeit?“, begrüßte<br />

ihn Wachtmeister Anders. Lisa und Pieri wunderten<br />

sich, dass der Wachtmeister den Mann in der<br />

Dunkelheit erkennen konnte.<br />

„Überstunden“, antwortete der Mann. „Ich …“<br />

Weiter kam er nicht. Der Räuber an der Seite des<br />

Wachtmeisters erkannte seine Chance. Er riss sich los<br />

und stieß den Polizisten heftig zur Seite. Dann wollte er<br />

davonrennen, stellte sich dabei aber so ungeschickt an,<br />

dass er mit Herrn Becker zusammenprallte.<br />

Becker stürzte zu Boden, sein Werkzeugkoffer öffnete<br />

sich.<br />

Der Dieb kümmerte sich nicht <strong>um</strong> den Mann, den<br />

er <strong>um</strong>gestoßen hatte, und rannte weiter. Wachtmeister<br />

Anders erholte sich schnell von seiner Überraschung.<br />

Sofort setzte er hinter dem Fliehenden her. Noch vor<br />

der nächsten Querstraße hatte er den Mann eingeholt<br />

und hielt ihn fest.<br />

Herr Becker rappelte sich vom Boden auf. „Na so<br />

was!“, murmelte er. Er schlug seinen Werkzeugkasten<br />

zu, überquerte <strong>die</strong> Straße und ging weg.<br />

„Hab‘s doch gewusst, dass das <strong>hier</strong> interessanter ist<br />

<strong>als</strong> jede Zirkusvorstellung“, sagte Pieri zu Lisa.<br />

115


Am nächsten Vormittag spazierten Lisa und Pieri<br />

durch <strong>die</strong> Stadt. Ein Kleinbus überholte sie und hielt<br />

etwa 50 Meter vor ihnen an. Ein Mann mit einem wild<br />

wuchernden, verfi lzten Backenbart stieg aus. Es war<br />

Hannes. Er war noch dabei, den Wagen abzusperren,<br />

<strong>als</strong> er sah, dass Wachtmeister Anders ihm entgegenkam.<br />

Anders trug wieder Uniform. Er hatte sein Dienstgesicht<br />

aufgesetzt.<br />

Er blieb bei Hannes stehen und schüttelte missbilligend<br />

den Kopf.<br />

„Du hast dein ganzes Leben in <strong>die</strong>ser Stadt verbracht,<br />

Hannes“, sagte er. „Du solltest eigentlich wissen,<br />

dass an <strong>die</strong>ser Stelle Parkverbot ist.“<br />

„So war das früher“, erwiderte Hannes, unbeeindruckt<br />

von dem Tadel. „Aber jetzt ist <strong>die</strong>ses Parkverbot<br />

116


off enbar aufgehoben. Ich sehe <strong>hier</strong> jedenfalls nirgends<br />

ein Verbotsschild.“<br />

Der Wachtmeister blickte sich suchend <strong>um</strong>. „Tatsächlich,<br />

das Schild ist weg!“, sagte er verblüff t. „Wenn<br />

man es entfernt hat, hätte man mich eigentlich informieren<br />

müssen.“<br />

Hannes grinste. „Bei den Ämtern weiß eine Hand<br />

nicht, was <strong>die</strong> andere treibt.“<br />

„Dass das Schild fehlt, ist nicht <strong>die</strong> Schuld irgendeines<br />

Beamten“, sagte Lisa, <strong>die</strong> inzwischen mit Pieri<br />

näher getreten war. „Irgendein Gauner hat in der vergangenen<br />

Nacht das Verkehrszeichen entfernt. Wahrscheinlich<br />

liegt es noch <strong>hier</strong> irgendwo r<strong>um</strong>.“<br />

„Tatsächlich!“, sagte Wachtmeister Anders wieder.<br />

Er ging zu der Stelle, an der sich noch gestern das Verkehrszeichen<br />

befunden hatte, nur wenige Schritte entfernt.<br />

Es war dicht über dem Boden abgesägt worden.<br />

“Wer tut etwas so Idiotisches?“, wunderte er sich.<br />

„Jemand, der Autos hasst und wahrscheinlich auch<br />

Autofahrer“, antwortete Lisa. „Bisher hat er nur Reifen<br />

zerstochen. Jetzt sägt er Verkehrszeichen ab. Vielleicht<br />

steht er sogar in der Nähe, beobachtet uns und lacht<br />

bei dem Gedanken, dass Hannes jetzt eine Strafe wegen<br />

F<strong>als</strong>chparkens bezahlen muss.“<br />

„Da hast du vielleicht recht“, stimmte Wachtmeister<br />

Anders zu. „Aber wer kann <strong>die</strong>ser Verrückte sein?“<br />

„Ein alter Bekannter von Ihnen“, antwortete Lisa.<br />

Aufl ösung auf Seite 238/239<br />

117


118<br />

Fahrerflucht<br />

„Dieser Herr Becker war schon immer ein wenig sonderbar“,<br />

sagte Hannes. „Autos mochte er noch nie, aber<br />

seit dam<strong>als</strong> <strong>die</strong>ser Lastwagen in der Kurve vor seinem<br />

Haus von der Straße abkam, den Zaun durchbrach,<br />

durch Beckers Garten raste, <strong>die</strong> Bl<strong>um</strong>enbeete und Büsche<br />

verwüstete und erst ein paar Zentimeter vor Beckers<br />

Wohnzimmerfenster stehen blieb … Seit dam<strong>als</strong><br />

hasst er Autos, und ihre Besitzer wohl auch. Am liebsten<br />

würde er alle Autos verbieten und ihre Besitzer einsperren.“<br />

„Mir würde es auch nicht gefallen, wenn ein Lastwagen<br />

quer durch meine Bl<strong>um</strong>enbeete fahren würde“,<br />

sagte Wachtmeister Anders. „Aber trotzdem fällt es mir<br />

nicht ein, loszuziehen und Autos zu beschädigen. Ich<br />

werde mir <strong>die</strong>sen Burschen gleich mal vorknöpfen.“<br />

Anders nickte Hannes, Lisa und Pieri zu, dann ging<br />

er weg. Hannes blickte auf <strong>die</strong> beiden Kinder nieder.<br />

Trotz seines wild wuchernden Backenbarts wirkte er<br />

jetzt auf Pieri kein bisschen Furcht einfl ößend mehr.<br />

„Hättet ihr beide vielleicht Lust auf eine kleine Spazierfahrt?“,<br />

fragte er.<br />

„Aber mit Vergnügen!“, antwortete Pieri. Lisas Begeisterung<br />

hielt sich allerdings in Grenzen. „Haben Sie<br />

denn jetzt überhaupt Zeit für eine Spazierfahrt?“, fragte<br />

sie.


„Natürlich nicht. Ich muss arbeiten, wie andere<br />

Leute auch. In der Früh Kinder zur Schule zu fahren<br />

und sie nach dem Unterricht wieder abzuholen bringt<br />

nicht viel Geld. Schon gar nicht jetzt in den Schulferien.<br />

Ich übernehme deshalb auch andere Transporte.<br />

Heute z<strong>um</strong> Beispiel hole ich für das Ferienlager aus<br />

dem Nachbarort Musikinstr<strong>um</strong>ente ab. Unter den Teilnehmern<br />

des Lagers gibt es nämlich immer auch etliche,<br />

<strong>die</strong> ein Instr<strong>um</strong>ent beherrschen und auch in ihren<br />

Ferien darauf spielen wollen.“<br />

„Ich z<strong>um</strong> Beispiel“, sagte Pieri. „Schade, dass ich<br />

meine Gitarre nicht mitgenommen habe.“<br />

„Siehst du, deshalb besorge ich jetzt <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente“,<br />

sagte Hannes.<br />

„Aber haben Sie uns denn nicht eben zu einer Spazierfahrt<br />

eingeladen?“, fragte Lisa.<br />

Hannes grinste. „Arbeit fällt leichter, wenn man sich<br />

vorstellt, dass man sie zu seinem Vergnügen macht. Die<br />

Fahrt in den Nachbarort ist Arbeit, aber wenn ich mir<br />

vorstelle, dass es eine Spazierfahrt ist, freue ich mich<br />

über <strong>die</strong> Landschaft, das Wetter, sogar über <strong>die</strong> Kühe.<br />

Wenn ihr mitkommt, könnt ihr mir helfen, <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente<br />

zu tragen und im Auto zu verstauen.“<br />

„Hoffentlich ist auch eine Gitarre dabei!“, sagte Pieri.<br />

Die Straße z<strong>um</strong> Nachbarort führte durch Wald und<br />

Wiesen. Es gab nur wenig Verkehr <strong>hier</strong>. Immerhin gab<br />

es <strong>die</strong> Kühe auf den Weiden, von denen Hannes gesprochen<br />

hatte.<br />

„Wie ich höre, habt ihr in der vergangenen Nacht einen<br />

Räuber gefangen“, sagte Hannes.<br />

119


„Ja, das haben wir“, bestätigte Pieri. Dann fi el ihm<br />

ein, dass Lisa Angeber nicht ausstehen konnte, und<br />

er fügte schnell hinzu: „Na ja, gefangen haben ihn der<br />

Wachtmeister und der Zirkusdirektor. Aber wir waren<br />

immerhin dabei und …“<br />

Hannes hörte nicht mehr zu. „Was ist denn da los?“,<br />

fragte er und nahm den Fuß vom Gaspedal.<br />

Hinter einer Kurve, etwa 50 Schritte vor ihnen, lag<br />

ein Fahrrad auf der Straße, <strong>die</strong> <strong>hier</strong> mitten durch ein<br />

Waldstück führte. Dicht neben der Straße saß ein Mann<br />

auf dem Boden. Er schien verletzt zu sein, denn er<br />

fasste sich mit der rechten Hand an den Kopf.<br />

Hannes hielt seinen Wagen an und stieg aus. Auch<br />

Lisa und Pieri verließen das Fahrzeug.<br />

120


Hannes beugte sich zu dem Mann nieder. „Sind Sie<br />

in Ordnung?“, fragte er.<br />

„Ich denke schon“, antwortete der Mann. „Ich habe<br />

mir bei dem Sturz nur den Kopf angeschlagen. Es geht<br />

gleich wieder.“<br />

„Am besten rufe ich einen Krankenwagen“, schlug<br />

Hannes vor.<br />

„Nicht nötig!“, wehrte der Mann ab. „Es ist doch gar<br />

nichts passiert. Ich brauche weder einen Krankenwagen<br />

noch <strong>die</strong> Polizei.“<br />

„Wie ist das denn geschehen?“, fragte Hannes.<br />

„Es war <strong>die</strong>ser rücksichtslose Autofahrer“, antwortete<br />

der Mann. „Ich strampelte friedlich vor mich hin,<br />

<strong>als</strong> ich plötzlich einen Wagen hinter mir hörte. Der Kerl<br />

hupte wie verrückt. Ich bin erschrocken, habe versucht<br />

auszuweichen und bin dabei gestürzt. Der Autofahrer<br />

bremste, kam aber nicht rechtzeitig z<strong>um</strong> Stehen.“<br />

„Was war das für ein Wagen?“, fragte Hannes. „Ein<br />

weißer Sportwagen“, antwortete der Radfahrer. „Mit<br />

einem auff älligen Kratzer an der rechten Seitentür. Ich<br />

konnte den Wagen genau sehen, weil er da drüben<br />

endlich z<strong>um</strong> Stehen kam. Der Fahrer schaute heraus –<br />

und entschloss sich dann abzuhauen.“<br />

„Es war nicht der weiße Sportwagen“, widersprach<br />

Lisa. „Die ganze Geschichte, <strong>die</strong> wir eben gehört haben,<br />

ist von Anfang bis Ende erfunden. Den weißen<br />

Sportwagen mit dem Kratzer an der rechten Tür mag<br />

<strong>die</strong>ser Herr <strong>hier</strong> in der Stadt gesehen haben, aber bestimmt<br />

nicht <strong>hier</strong>.“<br />

Aufl ösung auf Seite 239<br />

121


122<br />

Musikfreunde<br />

„Wir sind da“, sagte Hannes. Er schaltete den Motor ab<br />

und deutete nach vorn. „Barocke Kirche, nicht ganz so<br />

altes Pfarrhaus und nagelneues Gemeindezentr<strong>um</strong>. Mit<br />

Theatersaal, einer Cafeteria, Bibliothek und etlichen<br />

Rä<strong>um</strong>en für Jugendliche. Es gibt auch einen Übungsra<strong>um</strong><br />

für junge Musiker. Also, steigen wir aus und holen<br />

uns <strong>die</strong> Lärminstr<strong>um</strong>ente!“<br />

Er schien kein großer Musikfreund zu sein.<br />

Auch Pieri und Lisa stiegen aus.<br />

Aus einer Tür des Gemeindezentr<strong>um</strong>s kam ihnen<br />

ein jüngerer Mann in Arbeitskleidung entgegen. „Hallo<br />

Hannes!“, grüßte er. „Du kommst wohl, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente<br />

abzuholen.“<br />

„Nein, mich treibt das Verlangen, dein d<strong>um</strong>mes Gesicht<br />

wieder zu sehen.“<br />

Der andere lachte. Er deutete auf Lisa und Pieri. „Du<br />

hast dir Hilfe mitgebracht, wie?“<br />

„In weiser Voraussicht“, nickte Hannes. „Dass du mir<br />

nicht bei der Arbeit hilfst, weiß ich aus Erfahrung.“ Es<br />

schien, dass er den Mann nicht sehr mochte. Aber das<br />

hatte bei ihm nicht viel zu bedeuten, er zeigte sich gern<br />

ein wenig br<strong>um</strong>mig.<br />

„Bin wirklich froh, dass <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente für ein paar<br />

Tage wegkommen“, sagte der Mann. „Wenn unsere<br />

Jazzband übt, ist das ka<strong>um</strong> auszuhalten.“


„Halt keine langen Reden, Holger, sondern bring uns<br />

endlich zu den Instr<strong>um</strong>enten!“, drängte Hannes.<br />

Holger grinste. „Es ist schön, einen Mann zu treffen,<br />

der so scharf aufs Arbeiten ist“, spottete er.<br />

„Es können ja nicht alle so faul sein wie du“,<br />

br<strong>um</strong>mte Hannes.<br />

Holger ging voraus, Hannes folgte ihm. „Gehen wir“,<br />

sagte Pieri zu Lisa, „ich trage <strong>die</strong> Noten, du das Klavier!“<br />

Pieri hatte angenommen, dass <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente in irgendeinem<br />

Kellerra<strong>um</strong> abgestellt waren, aber Holger<br />

führte sie zu einem Ra<strong>um</strong> im Erdgeschoss auf der Rückseite<br />

des Gebäudes. Vor einer stabilen Stahltür blieb er<br />

stehen.<br />

„Eine Tür wie im Tresor einer Bank“, lachte er. „Da<br />

kommt kein Einbrecher rein!“ Er nahm einen Schlüssel,<br />

schob ihn in das Schloss und sperrte auf. Dann stieß er<br />

<strong>die</strong> Tür auf und trat ein.<br />

Aber schon nach dem ersten Schritt blieb er verblüfft<br />

stehen.<br />

„Die Instr<strong>um</strong>ente!“, stieß er fassungslos hervor. „Sie<br />

sind fast alle weg.“<br />

Hannes blickte auf <strong>die</strong> leeren Regale an den Wänden.<br />

Nur noch ein paar Stapel Notenhefte lagen darauf.<br />

„Wer <strong>um</strong> alles in der Welt klaut Musikinstr<strong>um</strong>ente?“,<br />

wunderte er sich. „Mir jedenfalls könnten alle Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

der Welt gestohlen bleiben.“<br />

„Diese Dinger sind weit mehr wert, <strong>als</strong> du denkst“,<br />

sagte Holger. „Natürlich hatten wir keine echte Stradivari,<br />

<strong>die</strong>se Geigen können schon mal eine Million kosten.<br />

Aber auch für eine halbwegs brauchbare Klarinette<br />

123


kannst du leicht 1000 Euro zahlen. Berufsmusiker zahlen<br />

noch viel mehr. Der Verlust <strong>hier</strong> geht in <strong>die</strong> Zehntausende.“<br />

„Die Kerle sind durch das Fenster gekommen“, überlegte<br />

Hannes. „Sie haben von außen <strong>die</strong> Scheibe eingeschlagen,<br />

dann das Fenster geöff net und sind eingestiegen.<br />

In der vergangenen Nacht wahrscheinlich. Da<br />

in <strong>die</strong>sem Gebäude niemand wohnt, hat niemand das<br />

Splittern der Fensterscheibe gehört. Auf dem gleichen<br />

Weg sind sie auch wieder verschwunden.“<br />

„Natürlich“, stimmte Holger zu. „Einen anderen Weg<br />

<strong>hier</strong> rein oder raus gibt es nicht. Nur durch <strong>die</strong> Tür oder<br />

das Fenster. Das Türschloss ist unbeschädigt, und den<br />

Schlüssel bewahre ich immer sicher auf. An den kommt<br />

keiner ran.“<br />

124


„Wenigstens haben sie das Cello dagelassen“, sagte<br />

Hannes.<br />

„Das war ihnen wohl zu groß“, meinte Holger. „Es<br />

passte nicht durch das Fenster. Also haben sie es an <strong>die</strong><br />

Wand gelehnt und sind durch das Fenster abgehauen.“<br />

„Vielleicht gibt es da draußen Fußspuren“, überlegte<br />

Lisa. Sie trat ans Fenster, aber sie war zu klein, <strong>um</strong> durch<br />

das hochgelegene Fenster hinausblicken zu können.<br />

„Nach Fußspuren da draußen brauchen wir sowieso<br />

nicht zu suchen“, sagte Holger. „Vor dem Fenster ist<br />

kein Garten oder dergleichen, sondern hartes Pfl aster.“<br />

„Stimmt“, sagte Pieri. „Nach Fußspuren draußen<br />

unter dem Fenster brauchen wir nicht zu suchen. Die<br />

Diebe sind nicht durch das Fenster gekommen. Die eingeschlagene<br />

Scheibe soll nur davon ablenken, dass <strong>die</strong><br />

Diebe ganz einfach durch <strong>die</strong> Tür gekommen sind.“<br />

„Du spinnst, Kleiner!“, sagte Holger. „Ich sage dir<br />

doch, dass ich der Einzige bin, der den Schlüssel zu <strong>die</strong>ser<br />

Tür hat.“<br />

„Dann haben Sie selbst <strong>die</strong> Diebe hereingelassen!“<br />

Aufl ösung auf Seite 240<br />

125


126<br />

Frechheit siegt –<br />

aber nicht immer<br />

„Ich habe dich schon immer für einen arbeitsscheuen<br />

Nichtsnutz gehalten, Holger“, sagte Hannes. „Aber dass<br />

du deinen eigenen Arbeitgeber bestehlen würdest,<br />

hätte ich dir dann doch nicht zugetraut.“<br />

„Ich habe mit <strong>die</strong>sem Diebstahl nichts zu tun“, beteuerte<br />

Holger. „Die Diebe müssen einen zweiten<br />

Schlüssel zu dem Ra<strong>um</strong> mit den Musikinstr<strong>um</strong>enten<br />

gehabt haben.“<br />

Er schielte zur Tür. Einen Augenblick lang schien es,<br />

<strong>als</strong> wolle er fl iehen. Aber Hannes stellte sich ihm in den<br />

Weg.<br />

Holger blieb dabei, von dem Diebstahl nichts zu wissen,<br />

selbst <strong>als</strong> <strong>die</strong> Polizei kam und sich den Tatort ansah.<br />

Der Chef der Polizisten war ein kleiner schmächtiger<br />

Mann, der so gar keine Ähnlichkeit mit den<br />

Superdetektiven im Fernsehen hatte.<br />

„Was der Junge sagt, ist richtig“, bestätigte er. „Die<br />

Diebe haben ihre Beute durch <strong>die</strong> Tür weggebracht<br />

und nicht durch das Fenster.“ Er wandte sich an Holger.<br />

„Wer waren Ihre Komplizen?“<br />

„Komplizen, wieso?“, wiederholte Holger. „Ich gehöre<br />

aber nicht zu den Räubern, wirklich. Irgendjemand<br />

muss sich einen Nachschlüssel angefertigt<br />

haben.“


„Wie sollte das möglich sein?“, wandte Hannes ein.<br />

„Du hast uns doch erzählt, dass du den Schlüssel nie<br />

aus der Hand gibst.“<br />

„Na ja, manchmal lege ich ihn schon mal für eine Minute<br />

irgendwo hin. Aber das genügt ja einem geschickten<br />

Dieb, <strong>um</strong> einen Wachsabdruck zu machen. Das<br />

dauert nur Sekunden.“<br />

„Sie scheinen sich gut auszukennen auf <strong>die</strong>sem Gebiet“,<br />

meinte der Polizist.<br />

Holger grinste. „Ich sehe gern Krimis im Fernsehen.“<br />

„Schafft ihn weg!“, rief der Polizist seinen Leuten zu.<br />

„Wenn wir ihn lange genug verhören, wird er schon gestehen.“<br />

Hannes, Lisa und Pieri blickten den Polizeifahrzeugen<br />

nach. „Er wirkt erstaunlich gelassen“, wunderte<br />

sich Hannes. „Ja“, sagte Lisa, „weil er sicher ist, dass man<br />

<strong>die</strong> Beute nicht bei ihm finden wird. Er glaubt <strong>als</strong>o, dass<br />

ihm nichts passieren kann. Hat <strong>die</strong>ses Gebäude eigentlich<br />

einen Hinterausgang?“<br />

127


„Nein“, antwortete Hannes. „Die Diebe müssen <strong>die</strong><br />

Instr<strong>um</strong>ente <strong>als</strong>o auf der Vorderseite des Hauses herausgebracht<br />

haben.“<br />

Pieri blickte nach oben. „Was ist an <strong>die</strong>ser Straßenlaterne<br />

so interessant?“, fragte Hannes. „Dass sie da ist“,<br />

antwortete Pieri. „Die Diebe müssen ihren Wagen genau<br />

unter der Laterne beladen haben, gut sichtbar von<br />

allen Seiten. Eine ziemliche Frechheit!“<br />

„Waren es eigentlich viele Instr<strong>um</strong>ente?“, fragte Lisa.<br />

„Nicht genug, <strong>um</strong> ein Symphonieorchester damit<br />

auszustatten, aber doch eine ganze Menge“, antwor-<br />

128


tete Hannes. „Gitarren, Akkordeons, ein Schlagzeug,<br />

zwei Keyboards … In meinen Kleinbus würde das alles<br />

hineinpassen, aber in Torstens Kleinwagen bestimmt<br />

nicht.“<br />

„Hat er viele Freunde?“, fragte Lisa.<br />

„Kerle wie er haben keine Freunde, nur K<strong>um</strong>pane“,<br />

br<strong>um</strong>melte Hannes.<br />

„Was treiben <strong>die</strong> Leute da drüben?“, fragte Pieri. Er<br />

deutete auf eine Garage, <strong>die</strong> an das Freizeitzentr<strong>um</strong><br />

angebaut war. Das große Tor stand off en, man konnte<br />

das Führerhäuschen eines Lastwagens sehen, der darin<br />

stand. Im dunklen Hintergrund der Garage waren Stimmen<br />

von Männern und Arbeitsgeräusche zu hören.<br />

„Das sind <strong>die</strong> Theaterleute“, sagte Hannes. Er deutete<br />

mit dem Da<strong>um</strong>en über <strong>die</strong> Schulter zurück auf ein<br />

Plakat an der Hauswand.<br />

„Wirklich lustiges Stück“, sagte Hannes. „Ich habe es<br />

vorgestern gesehen. Heute holen sie <strong>die</strong> Kulissen und<br />

<strong>die</strong> Requisiten ab, <strong>die</strong> sie mitgebracht haben.“<br />

„Ich glaube, ich weiß jetzt, wie sie den Diebstahl<br />

durchgeführt haben“, sagte Pieri. „Kommt mit!“<br />

Ohne auf Hannes und Lisa zu warten, betrat er wieder<br />

das Gebäude. Die Tür des Ra<strong>um</strong>s, in dem <strong>die</strong> Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

aufbewahrt wurden, stand immer noch<br />

off en. Um das einsame Cello am Fenster schien sich<br />

niemand zu kümmern. Pieri ging zur nächsten Tür und<br />

öff nete sie. Sie war nicht abgesperrt. Der Ra<strong>um</strong> dahinter<br />

war leer.<br />

Pieri deutete auf eine Tür am Ende des Flurs. „Führt<br />

<strong>die</strong>se Tür in <strong>die</strong> Garage?“, fragte er.<br />

129


„Klar“, antwortete Hannes. Verwundert sah er hinter<br />

Pieri her, der mit schnellen Schritten auf <strong>die</strong> Tür zuging<br />

und sie öffnete.<br />

Die hintere Tür des Lastwagens in der Garage stand<br />

offen. Zwei Männer in Arbeitskleidung standen daneben.<br />

Sie wollten eben <strong>die</strong> Tür des Lastwagens schließen<br />

und dann wegfahren.<br />

„Halt!“, rief Pieri und trat näher. Er schaute in das Innere<br />

des Lastwagens. „Dachte ich es mir doch! Die Musikinstr<strong>um</strong>ente!<br />

Geklaut buchstäblich vor den Augen<br />

der Polizei.“<br />

„Tatsächlich!“, staunte auch Hannes, der inzwischen<br />

näher getreten war. „Holger hat <strong>als</strong>o <strong>die</strong> Instr<strong>um</strong>ente<br />

in der vergangenen Nacht gar nicht weggebracht, sondern<br />

lediglich in den leeren Nebenra<strong>um</strong> geschafft. Erst<br />

jetzt bei Tag, sozusagen unter aller Augen, wird <strong>die</strong><br />

Beute weggebracht. Woher hast du das gewusst, Pieri?“<br />

„Welches Dat<strong>um</strong> ist heute?“, fragte Pieri zurück.<br />

„Der 17. August. Wieso?“<br />

130<br />

Auflösung auf Seite 240/241


Doch im Wald,<br />

da sind <strong>die</strong> Räuber<br />

Hannes, Lisa und Pieri mussten ohne <strong>die</strong> Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

z<strong>um</strong> Lager zurückfahren. Die Polizei hatte sie <strong>als</strong><br />

Beweismittel in einem Fall von versuchtem Diebstahl<br />

beschlagnahmt. Sehr z<strong>um</strong> Bedauern von Pieri, den es<br />

schon in den Fingern gejuckt hatte, endlich wieder einmal<br />

Gitarre spielen zu dürfen.<br />

Pieri tröstete sich damit, dass er seinen Freunden<br />

immerhin von einem aufregenden Abenteuer berichten<br />

konnte. Drei Diebe fängt man nicht jeden Tag. Aber<br />

zu seiner Enttäuschung fand er beim Mittagessen im<br />

großen Zelt keine aufmerksamen Zuhörer.<br />

„Ein paar geklaute Instr<strong>um</strong>ente!“, sagte Frank geringschätzig.<br />

„Was ist das schon! In Neustadt hat es heute<br />

Vormittag einen bewaff neten Raubüberfall auf einen<br />

Supermarkt der Handelskette ,preiswert‘ gegeben – da<br />

war vielleicht was los! Die beiden Täter, ein Mann und<br />

eine Frau sollen es gewesen sein, gaben sich <strong>als</strong> Kunden<br />

aus, kauften ein paar Kleinigkeiten, und erst <strong>als</strong> sie<br />

an der Kasse waren, zogen sie ihre Pistolen und forderten<br />

alles Geld, das in den Ladenkassen war.“<br />

„Wie groß war <strong>die</strong> Beute?“, fragte Lisa.<br />

„Das war noch nicht bekannt, <strong>als</strong> <strong>die</strong> Radiomeldung<br />

kam. Jedenfalls stopften <strong>die</strong> beiden alles Geld, das sie<br />

in der Eile zusammenraff en konnten, in ihre Einkaufstü-<br />

131


ten und rannten davon. Sie sprangen in ihren Wagen,<br />

und weg waren sie.“<br />

„Welche Automarke?“, fragte Pieri.<br />

Frank hob <strong>die</strong> Schultern. „Darüber sind sich <strong>die</strong> Zeugen<br />

nicht einig. Nicht einmal über <strong>die</strong> Farbe. Und das<br />

N<strong>um</strong>mernschild hat sich auch niemand gemerkt. Alles,<br />

was man mit Sicherheit weiß, ist, dass es sich <strong>um</strong> einen<br />

Mann und eine Frau handelt. “<br />

„Nun, überlassen wir das ruhig der Polizei!“, sagte<br />

Gustav, der an den Tisch getreten war. „Ich plane für<br />

heute Nachmittag ein anderes Abenteuer. Zwar ohne<br />

Pistolen, aber ich glaube, es wird ganz lustig werden.<br />

Eine Radtour zur Bärenschlucht. Mitten im Wald. Ungefähr<br />

zehn Kilometer von <strong>hier</strong>. Die Räder stellt das Camp.<br />

Wenn wir gemütlich fahren und vielleicht ab und zu<br />

mal Rast machen, werden wir etwa eine Stunde brauchen.<br />

Kommt ihr mit?“<br />

„Klar, kommen wir mit“, antwortete Pieri.<br />

Es waren zehn Jungen und Mädchen, <strong>die</strong> sich eine<br />

Stunde später mit ihren Rädern auf dem Weg zur Bärenschlucht<br />

befanden. Die Fahrt war anstrengender, <strong>als</strong><br />

alle erwartet hatten. Der Waldweg war schmal, von etlichen<br />

Ba<strong>um</strong>wurzeln holprig gemacht und nach einem<br />

Regenschauer in der vergangenen Nacht ziemlich rutschig.<br />

Gustav hatte nicht zu viel versprochen, <strong>hier</strong> zu<br />

fahren war tatsächlich ein kleines Abenteuer.<br />

Plötzlich endete der schmale Weg. Genauer gesagt,<br />

er wurde von einem Auto versperrt, das auf ihm stand.<br />

Gustav stieg ab und trat näher. Lisa, Pieri und einige andere<br />

Kinder folgten ihm. Der Wagen war leer.<br />

132


„Welcher Trottel parkt seinen Wagen ausgerechnet<br />

<strong>hier</strong>?“, wunderte sich Frank.<br />

„Pilzesammler vielleicht“, meinte Romy. „Oder Leute,<br />

<strong>die</strong> einfach ein bisschen in der Natur spazieren gehen<br />

wollen.“<br />

Pieri streckte seine Hand nach dem Griff der Fahrertür<br />

aus. Zu seiner Überraschung war <strong>die</strong> Tür nicht abgesperrt.<br />

Auch der Zündschlüssel steckte.<br />

„Selbst der größte Trottel lässt sein Auto nicht mit<br />

off ene Türen mitten im Wald stehen“, sagte Pieri. „Samt<br />

Zündschlüssel.“<br />

„Auch der Koff erra<strong>um</strong> ist nicht abgeschlossen“, meldete<br />

Frank und öff nete <strong>die</strong> Klappe.<br />

„Was ist drin?“, fragte Pieri und trat zu ihm.<br />

„Nichts“, antwortete Frank.<br />

133


„Was hast du denn im Kofferra<strong>um</strong> zu finden gehofft?“,<br />

fragte Gustav. „Einbruchswerkzeug? Schusswaffen?<br />

Oder ein gefesseltes und geknebeltes Entführungsopfer?<br />

So wie man das immer im Film sieht?“<br />

Gustav wartete <strong>die</strong> Antwort nicht ab. Er setzte sich<br />

hinter das Lenkrad und drehte den Zündschlüssel <strong>um</strong>,<br />

<strong>um</strong> den Motor zu starten. Nur ein kurzes Stottern war<br />

zu hören, <strong>als</strong> habe der Motor einen Husten. „Der Tank<br />

ist leer“, sagte Gustav mit einem Blick auf <strong>die</strong> Benzinuhr.<br />

„Ich glaube, das ist der Wagen, mit dem <strong>die</strong> Räuber<br />

nach dem Überfall geflohen sind“, sagte Pieri.<br />

„Das soll das Fluchtfahrzeug sein?“, wunderte sich<br />

Frank. „Wie kommst du darauf?“<br />

„Da ist zunächst einmal der leere Benzintank“, antwortete<br />

Pieri. „Kein Autobesitzer vergisst, rechtzeitig zu<br />

tanken. Aber wenn man einen Wagen stiehlt, vergisst<br />

man in der Eile schon mal nachzusehen, wie viel Treibstoff<br />

noch im Tank ist.“<br />

„Außerdem würde niemand seinen Wagen irgend wo<br />

abstellen, ohne den Zündschlüssel mitzunehmen und<br />

<strong>die</strong> Türen abzuschließen“, fügte Lisa hinzu.<br />

„Stimmt“, nickte Pieri. „Dazu kommt noch, dass das<br />

N<strong>um</strong>mernschild vor lauter Dreck nicht zu lesen ist. Die<br />

Zeugen des Überfalls haben doch erzählt, dass das<br />

N<strong>um</strong>mernschild nicht zu entziffern war, oder?“<br />

„Das ist immer noch kein Beweis“, beharrte Frank.<br />

„Es hat geregnet in der vergangenen Nacht. Der Weg<br />

<strong>hier</strong> ist aufgeweicht und voller Schlammpfützen. Ihr<br />

seht doch, wie dreckig das Auto ist.“<br />

134<br />

Auflösung auf Seite 241


Die Räuberhöhle<br />

Gustav schaltete sein Handy aus und steckte es weg.<br />

„Die Polizei wird bald <strong>hier</strong> sein“, sagte er. „Dieser<br />

Wagen <strong>hier</strong> wurde in der vergangenen Nacht gestohlen.<br />

Der Besitzer hat den Diebstahl übrigens erst nach<br />

dem Überfall bemerkt. Wir sollen <strong>hier</strong> auf <strong>die</strong> Polizei<br />

warten und keinesfalls versuchen, den beiden Räubern<br />

zu folgen.“<br />

„Das würde mir sowieso nie einfallen“, sagte Frank.<br />

„Das Räuberpärchen ist bewaff net.“<br />

Gustav blickte in <strong>die</strong> Runde. „Wo sind Lisa und Pieri?“,<br />

fragte er.<br />

„Die sind ein Stückchen weitergegangen“, antwortete<br />

Romy. „Eben sind sie dort vorn hinter der Wegbiegung<br />

verschwunden.“<br />

„Zu Fuß? Dann werden sie bald zurückkommen.<br />

Ohne ihre Räder kommen sie <strong>hier</strong> im Wald nicht weit.“<br />

Lisa blickte zurück. Sie konnte <strong>die</strong> anderen nicht<br />

mehr sehen. „Wir sollten <strong>um</strong>kehren“, meinte sie. „Das<br />

Räuberpärchen holen wir sowieso nicht ein.“<br />

„Wir sind ihnen schon näher, <strong>als</strong> du denkst“, sagte<br />

Pieri. Er deutete auf Fußspuren im weichen Moos,<br />

das überall zwischen den Bä<strong>um</strong>en des Waldes wuchs.<br />

„Siehst du, <strong>hier</strong> haben sie den Weg verlassen und laufen<br />

jetzt quer durch den Wald. Off enbar ist ihr Ziel nicht<br />

weit.“<br />

135


Lisa trat näher und betrachtete <strong>die</strong> Spuren. „Kräftiges<br />

Profi l“, sagte sie. „Von Wanderschuhen vielleicht.<br />

Ziemliche Quadratlatschen, off enbar gehören <strong>die</strong> Fußabdrücke<br />

zu zwei Männern. Die beiden Räuber im Supermarkt<br />

waren aber ein Mann und eine Frau. Das ist<br />

<strong>als</strong>o <strong>die</strong> f<strong>als</strong>che Spur.“<br />

Pieri hatte ihr nicht zugehört, sondern war vorausgelaufen.<br />

Lisa folgte ihm. „Wenn ich seinen Eltern nicht<br />

versprochen hätte, auf ihn aufzupassen …“, murmelte<br />

sie.<br />

Erst nach 100 oder mehr Metern holte sie ihn ein.<br />

Pieri hatte sich hinter einem großen Busch niedergeduckt,<br />

hinter den sich nun auch Lisa hockte, und blickte<br />

auf eine kleine Lichtung hinaus.<br />

Mitten auf der Lichtung stand eine Blockhütte. Die<br />

Fensterläden der Hütte waren geöff net. An einem Tisch<br />

vor der Hütte saßen zwei Männer. Sie hielten Bierfl aschen<br />

in der Hand.<br />

„Zwei Jäger“, sagte Lisa. „Das sind nicht <strong>die</strong> bei -<br />

den …“<br />

Weiter kam sie nicht. Lautes Bellen dicht hinter ihr<br />

ließ sie zusammenzucken. Erschrocken machte sie zwei<br />

Schritte hinaus auf <strong>die</strong> Lichtung. Der Hund folgte ihr. Er<br />

war groß und hatte braunes Fell mit weißen Flecken.<br />

„Hubertus!“, rief einer der beiden Männer drüben<br />

bei der Hütte. „Komm her!“<br />

Der Hund hörte sofort auf zu bellen und lief auf <strong>die</strong><br />

Lichtung hinaus. Nach einigen Schritten drehte er sich<br />

wieder <strong>um</strong> und blickte zu den Kindern zurück. Es sah<br />

aus wie eine freundliche Einladung, ihm zu folgen.<br />

136


„Hubertus!“, sagte Pieri. „Was für ein blöder Name für<br />

einen Hund!“<br />

„Sankt Hubertus ist der Schutzheilige der Jäger“, belehrte<br />

ihn Lisa. „Der Name ist <strong>als</strong>o passend für einen<br />

Jagdhund. Gehen wir hinüber zu den beiden! Sie haben<br />

uns ja sowieso schon gesehen.“<br />

Pieri folgte ihr. Als er näher kam, fi el ihm auf, dass einer<br />

der beiden Männer am Tisch weder Schuhe noch<br />

Socken trug.<br />

Der Hund war vorausgelaufen. Neben der off enen<br />

Tür der Blockhütte legte er sich inmitten seines Spielzeugs<br />

nieder. Sein Lieblingsspielzeug schien eine<br />

137


kleine Ente aus Kunststoff zu sein. Als er sie ins Maul<br />

nahm und darauf biss, quakte sie, fast wie eine richtige<br />

Ente.<br />

„Was treibt ihr beide denn ganz allein mitten im<br />

Wald?“, fragte einer der beiden Männer, <strong>als</strong> Lisa und<br />

Pieri herangekommen waren.<br />

Pieri wollte antworten, dass sie keineswegs allein<br />

waren, aber Lisa kam ihm zuvor. „Wir machen eine<br />

Wanderung zur Bärenschlucht“, sagte sie. „Aber ich<br />

glaube, wir haben uns verlaufen.“<br />

„Es ist nicht weit bis zur Bärenschlucht“, sagte der<br />

Mann, der keine Schuhe anhatte. „Ihr müsst nur dort<br />

hinüber bis z<strong>um</strong> Waldweg und dann nach rechts. Dann<br />

sind es noch ungefähr zwei Kilometer. Ich würde euch<br />

gerne hinbringen, wenn meine Füße nicht so verdammt<br />

weh täten.“<br />

„In eurem Alter solltet ihr aber eigentlich nicht allein<br />

durch den Wald laufen“, meinte der andere. „Meinen<br />

Kindern würde ich das nicht erlauben. Eben haben sie<br />

im Radio gemeldet, dass in Neustadt ein Supermarkt<br />

überfallen wurde. Die Täter, ein Mann und eine Frau,<br />

sind auf der Flucht. Also, seid vorsichtig!“<br />

„Vielen Dank für <strong>die</strong> Warnung“, sagte Lisa. „Komm,<br />

Brüderchen, machen wir uns auf <strong>die</strong> Socken! Wie du<br />

hörst ist es nicht mehr weit bis z<strong>um</strong> Ziel.“<br />

„Was redest du da für blödes Zeug?“, fragte Pieri, <strong>als</strong><br />

sie <strong>die</strong> Lichtung verlassen hatten und wieder unter den<br />

dichten Bä<strong>um</strong>en des Waldes gingen. „Weshalb erzählst<br />

du den beiden, dass ich dein Bruder bin?“<br />

„Sie haben uns ja auch angelogen“, antwortete Lisa.<br />

138


„Tatsächlich?“, wunderte sich Pieri.<br />

„Es sind <strong>die</strong> Räuber aus dem Supermarkt.“<br />

„Ich glaube, du bist jetzt völlig übergeschnappt!“<br />

„Ist dir denn nicht aufgefallen, dass der eine von ihnen<br />

keine Schuhe anhatte und über seine schmerzenden<br />

Füße klagte?“<br />

„Na und? Vielleicht hat er neue Schuhe und <strong>die</strong> drücken<br />

ihn.“<br />

„Er hat sich <strong>die</strong> Fußgelenke gerieben. Wahrscheinlich<br />

ist er ein paarmal <strong>um</strong>geknickt. Seine neuen Schuhe<br />

… Er ist es wohl nicht gewohnt, in <strong>die</strong>ser Art von Schuhen<br />

zu laufen.“<br />

„Welche Art von Schuhen?“, fragte Pieri.<br />

Auflösung auf Seite 241/242<br />

139


140<br />

In der Bärenschlucht<br />

Lisa und Pieri hatten ihren Freunden von der Begegnung<br />

mit den beiden Männern bei der einsamen Waldhütte<br />

erzählt. Während alle noch aufgeregt darüber<br />

stritten, ob es sich wirklich <strong>um</strong> <strong>die</strong> beiden Räuber aus<br />

dem Supermarkt in Neustadt handelte, tauchten auf<br />

dem Waldweg zwei Fahrzeuge auf. Es war <strong>die</strong> Polizei.<br />

Sie kam natürlich ohne Sirene, <strong>um</strong> <strong>die</strong> fl üchtigen Räuber<br />

nicht zu warnen.<br />

Den Mann, der sie anführte, kannten Lisa und Pieri<br />

bereits, sie hatten ihn erst am Vormittag in Neustadt<br />

gesehen, wo er den Instr<strong>um</strong>enten<strong>die</strong>b Holger festgenommen<br />

hatte. Er stellte sich <strong>als</strong> Kommissar Hilpert vor.<br />

Dann wandte er sich an Gustav.<br />

„Sind Sie der Mann, der uns angerufen hat?“, fragte<br />

er ihn.<br />

Gustav nickte. „Und das ist der Wagen, <strong>um</strong> den es<br />

sich handelt.“<br />

Der Kommissar kratzte mit der Schuhsohle den<br />

Schmutz vom N<strong>um</strong>mernschild. „Ja, das ist der Wagen,<br />

der in der vergangenen Nacht gestohlen wurde“, bestätigte<br />

er. „Das Fluchtfahrzeug haben wir <strong>als</strong>o, aber <strong>die</strong><br />

Diebe sind wahrscheinlich längst über alle Berge.“<br />

„Das sind sie nicht“, widersprach Lisa. „Sie sind noch<br />

ganz in der Nähe, in einer Jagdhütte, vielleicht 200 Meter<br />

von <strong>hier</strong> entfernt.“


„Habe ich dich nicht schon einmal gesehen?“, fragte<br />

der Kommissar. Bevor Lisa antworten konnte, sprach er<br />

weiter: „Woher willst du das wissen?“<br />

„Wir haben sie gesehen. Und mit ihnen gesprochen.<br />

Es sind übrigens nicht ein Mann und eine Frau, sondern<br />

zwei Männer.“<br />

Der Kommissar schüttelte unwillig den Kopf. Alle<br />

Zeugen des Überfalls hatten von einem Mann und einer<br />

Frau gesprochen, was <strong>die</strong> beiden Kinder da erzählten,<br />

musste <strong>als</strong>o Unsinn sein.<br />

„Na ja, sehen wir uns <strong>die</strong> beiden mal an!“, sagte er.<br />

Zu Gustav gewandt fuhr er fort: „Sie und <strong>die</strong> Kinder<br />

bleiben am besten <strong>hier</strong>. Ich lasse einen meiner Leute<br />

bei Ihnen zurück. Zu Ihrem Schutz.“<br />

Pieri sah den Polizisten nach, <strong>als</strong> sie in den Wald eindrangen.<br />

„Bei dem Lärm, den sie machen, hat der Hund<br />

sie doch schon längst gehört“, meinte er. „Er wird bestimmt<br />

gleich bellen.“<br />

Pieri wartete vergeblich auf das Bellen des Hundes.<br />

Nach etwa zehn Minuten kam einer der Polizisten zurück.<br />

„Sie sind weg“, berichtete er seinem Kollegen, der<br />

bei den Kindern geblieben war. „Sie haben nur ein paar<br />

leere Bierdosen zurückgelassen. Keine frischen Reifenspuren,<br />

sie sind <strong>als</strong>o wohl zu Fuß weggegangen. Sieht<br />

ganz nach einem Fehlalarm aus. Auf jeden Fall sichern<br />

wir Fingerabdrücke, <strong>um</strong> sie mit den Fingerabdrücken<br />

zu vergleichen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Räuber im Supermarkt hinterlassen<br />

haben.“<br />

„Dann können wir wohl jetzt weiterfahren?“, fragte<br />

Gustav.<br />

141


„Nichts dagegen“, meinte der Polizist. „Ich glaube<br />

nicht, dass für Sie irgendeine Gefahr besteht.“<br />

Es war nur eine kurze Fahrt bis zu der zwei Kilometer<br />

entfernten Bärenschlucht. Pieri war ein wenig enttäuscht<br />

von ihrem Anblick. Von einer Schlucht war<br />

nichts zu sehen, es gab <strong>hier</strong> nur ein Tal, eingefasst von<br />

sanften bewaldeten Hügeln, zwischen denen sich ein<br />

nicht sehr breiter Fluss schlängelte. Einige Boote fuhren<br />

auf dem Fluss, <strong>die</strong> wohl alle dem Bootsverleih gehörten,<br />

auf dessen Parkplatz <strong>die</strong> Kinder ihre Fahrräder<br />

abstellten.<br />

„Keine Schlucht, keine Bären“, sagte Pieri. „Nur der<br />

Hund da drüben.“<br />

Es war ein großer brauner Hund mit weißen Flecken,<br />

der am gegenüberliegenden Ufer entlanglief, <strong>als</strong> wolle<br />

er mit den Ruder- und Tretbooten <strong>um</strong> <strong>die</strong> Wette laufen.<br />

„Hubertus!“, rief Lisa. Der Hund blieb stehen und<br />

schaute über den Fluss herüber. Dann wandte er den<br />

Kopf und blickte zurück.<br />

In einer Biegung des Flusses tauchte ein weiteres<br />

Boot auf.<br />

Die beiden Männer in dem Boot paddelten gemächlich<br />

vorbei. Den Kindern am Ufer schenkten sie keine<br />

Beachtung.<br />

„Das sind <strong>die</strong> beiden!“, sagte Lisa. „Die Männer aus<br />

der Jagdhütte!“<br />

„Es sind zwei Männer, ja“, meinte Pieri. „Aber dass<br />

es <strong>die</strong> beiden von der Jagdhütte sind, das kann ich<br />

wirklich nicht sehen. Ihre Gesichter erkenne ich nicht<br />

wieder, und da sie ka<strong>um</strong> Kleidung tragen, kann ich sie<br />

142


auch daran nicht erkennen. Ich kann nicht einmal sehen,<br />

ob der kleinere von ihnen barfuß ist wie der Mann<br />

bei der Hütte.“<br />

„Aber das da drüben ist ihr Hund Hubertus!“<br />

„Ja, off ensichtlich. Aber woher willst du wissen, dass<br />

er <strong>die</strong>sen beiden Männern da im Boot gehört?“<br />

Aufl ösung auf Seite 242<br />

143


Noch ein Reifenstecher<br />

Pieri blickte enttäuscht hinter dem Faltboot her, das<br />

ohne Eile zwischen den anderen Booten hindurch den<br />

Fluss hinabfuhr. „Diese beiden Gauner sehen wir nie<br />

wieder“, meinte er.<br />

„Macht nichts!“, versuchte Gustav ihn zu trösten. „Es<br />

sind sowieso nicht <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> den Supermarkt überfallen<br />

haben. Räuber, <strong>die</strong> im Faltboot fl iehen! Wann hat<br />

man je so was gehört!“<br />

„Genau deshalb vertrauen sie darauf, dass sie keinen<br />

Verdacht erregen“, sagte Pieri.<br />

„Gibt es eigentlich noch weitere Parkplätze <strong>hier</strong> am<br />

Fluss?“, fragte Lisa.<br />

„Ich kenne nur einen“, antwortete Gustav. „Ein Stückchen<br />

fl ussabwärts. Dort stehen nie viele Autos, weil es<br />

dort keinen Bootsverleih gibt und auch sonst nichts.“<br />

„Ist er weit entfernt?“<br />

„Einen oder zwei Kilometer auf dem Wasser. Der<br />

Fluss verläuft nämlich in einer großen Schleife. Wenn<br />

man auf dem Waldweg dort drüben quer über <strong>die</strong><br />

Halbinsel fährt, ist es vielleicht ein halber Kilometer.“<br />

„Ruf <strong>die</strong> Polizei an, dass sie zu <strong>die</strong>sem Parkplatz kommen<br />

soll!“, sagte Lisa. „Dort kann sie <strong>die</strong> Räuber ganz<br />

leicht schnappen.“<br />

Gustav wollte widersprechen, aber Lisa strampelte<br />

schon los. Pieri folgte ihr.<br />

144


„Polizei anrufen!“, murmelte Gustav. „Was für eine<br />

kindische Idee! Damit mache ich mich doch lächerlich.“<br />

„Wir sollten <strong>die</strong> beiden aufhalten“, schlug Frank<br />

besorgt vor. „Wenn sie den Räubern in <strong>die</strong> Quere kommen<br />

…“<br />

„Quatsch!“, widersprach Gustav. „Die beiden Männer<br />

in dem Faltboot sind bestimmt ganz harmlose Urlauber.<br />

Die Räuber sind doch schon längst nicht mehr<br />

in <strong>die</strong>ser Gegend.“<br />

Lisa und Pieri fuhren schnell. Sie wollten auf jeden<br />

Fall vor den Räubern auf dem Parkplatz sein. Deshalb<br />

waren sie ziemlich außer Atem, <strong>als</strong> sie an ihrem Ziel ankamen.<br />

Der Parkplatz war wirklich klein, nur eine mit<br />

Gras bewachsene Waldlichtung am Flussufer. Drei Autos<br />

standen darauf. Menschen waren nicht zu sehen.<br />

„Welches der drei Autos gehört wohl den Räubern?“,<br />

fragte Lisa.<br />

145


„Sehen wir sie uns doch an!“, antwortete Pieri. Er<br />

ließ sein Rad zwischen den Bä<strong>um</strong>en am Waldrand stehen<br />

und trat hinaus auf <strong>die</strong> Lichtung. Ohne Hast ging<br />

er von einem Wagen z<strong>um</strong> anderen und schaute durch<br />

<strong>die</strong> Scheiben hinein. Bei dem dritten Wagen blieb er<br />

stehen.<br />

„Was <strong>um</strong> alles in der Welt sucht er da?“, wunderte<br />

sich Lisa, <strong>die</strong> am Waldrand geblieben war.<br />

„Sie kommen!“, rief Lisa vom Wald her.<br />

Pieri blickte hinüber. Zwischen den Büschen hindurch,<br />

<strong>die</strong> am Ufer standen, sah er das Faltboot und <strong>die</strong><br />

146


eiden Männer darin. Sie steuerten das <strong>die</strong>sseitige Ufer<br />

an.<br />

Pieri überlegte nicht lange. Er zog sein Taschenmesser<br />

heraus, klappte es auf und stieß zu. Die scharfe<br />

Klinge bohrte sich tief in den rechten Hinterreifen des<br />

Autos. Er zog das Messer wieder heraus und hörte, wie<br />

<strong>die</strong> Luft pfeifend aus dem Reifen entwich. Noch während<br />

er das Messer zuklappte, rannte er los. Er erreichte<br />

den Waldrand und warf sich dort zwischen Büschen<br />

und Bä<strong>um</strong>en zu Boden.<br />

Auch Lisa hatte sich hinter einen Busch gekauert.<br />

„Was <strong>um</strong> alles in der Welt treibst du da?“, fragte sie<br />

leise. „Bist du jetzt auch unter <strong>die</strong> Messerstecher gegangen?“<br />

„Ich wusste nicht, wie ich <strong>die</strong> Kerle sonst aufhalten<br />

sollte“, verteidigte sich Pieri.<br />

„Dann hättest du <strong>die</strong> Reifen von allen drei Autos zerstechen<br />

müssen.“<br />

„Gute Idee!“, grinste Pieri. „Aber ziemlich <strong>um</strong>ständlich.<br />

Ein einziger Blick hat mir genügt, <strong>um</strong> zu wissen,<br />

welches Auto den Räubern gehört.“<br />

Aufl ösung auf Seite 243<br />

147


148<br />

Die Festnahme<br />

Aus ihrer sicheren Deckung am Waldrand schauten<br />

Pieri und Lisa hinüber z<strong>um</strong> Fluss.<br />

Die beiden Männer waren aus dem Boot gestiegen<br />

und hoben es aus dem Wasser. Sie trugen nur Badehosen.<br />

Einer von ihnen hatte einen Rucksack dabei. Jetzt<br />

nahm er den Rucksack ab, öff nete ihn und griff hinein.<br />

Die Entfernung war zu groß, <strong>als</strong> dass <strong>die</strong> beiden Kinder<br />

hätten erkennen können, was er herausnahm. Sie<br />

konnten nur sehen, dass er zwei Gegenstände ins Wasser<br />

warf.<br />

Dann schaute er z<strong>um</strong> anderen Ufer hinüber. „Hubertus!“,<br />

rief er. „Hierher!“<br />

Der große Hund drüben am anderen Ufer sprang<br />

mit einem gewaltigen Satz ins Wasser. Mitten im Fluss<br />

erreichte er <strong>die</strong> beiden Gegenstände, <strong>die</strong> dort auf<br />

dem Wasser trieben, schnappte sich einen davon und<br />

schwamm weiter, dem Ufer entgegen. Die beiden Männer<br />

trugen inzwischen ihr Faltboot über den kleinen<br />

Parkplatz zu den Autos.<br />

Der eine von ihnen blickte sich misstrauisch nach allen<br />

Seiten <strong>um</strong>. „Los, wir bauen das Boot auseinander,<br />

schmeißen es in den Koff erra<strong>um</strong> und verschwinden<br />

schnell von <strong>hier</strong>!“, rief er.<br />

„Vergiss das Boot!“, sagte der andere. Er versetzte<br />

dem rechten Hinterreifen des Autos, neben dem er


stand, wütend einen Tritt. „Wir müssen den Reifen<br />

wechseln. Ausgerechnet jetzt!“<br />

Er öff nete den Koff erra<strong>um</strong> und holte den Ersatzreifen<br />

heraus.<br />

Der Hund hatte inzwischen mühsam das Ufer erklommen,<br />

schüttelte das Wasser aus seinem langen Fell<br />

und trottete dann langsam näher. Sein Spielzeug trug<br />

er dabei im Maul. Mitten auf der Lichtung blieb er stehen<br />

und blickte z<strong>um</strong> Waldrand hinüber, wo sich Lisa<br />

und Pieri versteckt hatten.<br />

Der Hund bellte aufgeregt. Dabei ließ er sein Spielzeug<br />

ins Gras fallen. Er rannte quer über <strong>die</strong> Lichtung<br />

auf <strong>die</strong> beiden Kinder zu.<br />

149


„Hubertus!“, brüllte der Mann mit dem Autoreifen<br />

hinter ihm her. „Hierher!“<br />

Der Hund gehorchte sofort. Er blieb stehen und<br />

kehrte dann zu seinem Besitzer zurück.<br />

„Er ist eben ein Jagdhund“, sagte der andere Mann.<br />

„Wird wohl irgendeinen Hasen oder so etwas entdeckt<br />

haben.“<br />

Pieri und Lisa atmeten erleichtert auf. Welch ein<br />

Glück, dass der Hund so gut erzogen war!<br />

Die beiden Männer arbeiteten viel zu schnell für Pieris<br />

Geschmack. Wenn <strong>die</strong> Polizei nicht bald kam …<br />

„Hoffentlich hat Gustav <strong>die</strong> Polizei wirklich angerufen“,<br />

flüsterte Pieri.<br />

„Fertig!“, sagte einer der Männer. Er warf sein Werkzeug<br />

in den Kofferra<strong>um</strong>, dazu den Ersatzreifen.<br />

„Für das Faltboot haben wir keine Zeit. Das lassen<br />

wir <strong>hier</strong> liegen.“<br />

„Erst will ich mich anziehen“, widersprach sein Komplize.<br />

„Wenn wir nur in Badehosen im Auto sitzen, fällt<br />

das auf.“<br />

„Ach was! Anziehen kannst du dich nachher noch.<br />

Im Auto sind genug Klamotten. Jetzt müssen wir erst<br />

mal von <strong>hier</strong> verschwinden.“ Er öffnete <strong>die</strong> hintere Tür<br />

des Wagens. „Steig ein, Hubertus!“, sagte er zu dem<br />

Hund.<br />

Diesmal gehorchte der Hund nicht. Er blickte z<strong>um</strong><br />

Waldrand hinüber. Jetzt hörten es auch Pieri und Lisa:<br />

Das Motorgeräusch eines Autos. Gleich darauf tauchte<br />

ein Fahrzeug auf dem schmalen Zufahrtsweg z<strong>um</strong><br />

Parkplatz auf. Ein Polizeiwagen, wie Lisa und Pieri er-<br />

150


leichtert feststellten. Endlich! Ein zweiter Wagen folgte<br />

dichtauf.<br />

„Ich fürchte, jetzt gibt es gleich eine Schießerei!“,<br />

flüsterte Pieri aufgeregt. „Im Film gibt es bei der Festnahme<br />

immer eine Schießerei.“<br />

„Es wird keine Schießerei geben“, sagte Lisa zuversichtlich.<br />

Der vordere der beiden Polizeiwagen blieb dicht<br />

neben dem Wagen der beiden Männer in ihren Badehosen<br />

stehen. Kommissar Hilpert stieg aus. Er wirkte<br />

sonderbar verlegen.<br />

„Tut mir leid, dass wir Sie belästigen müssen“,<br />

begann er. „Aber wir haben da einen Anruf bekommen<br />

…“<br />

Er brach mitten im Satz ab. Verwirrt sah er, dass <strong>die</strong><br />

beiden Männer ihre Arme hoben und dem Himmel<br />

entgegenreckten.<br />

„So ein Mist!“, fluchte einer von ihnen. „Ich hätte<br />

nicht geglaubt, dass wir so schnell schon erwischt<br />

werden.“<br />

Kommissar Hilpert wirkte immer noch verwirrt. „Sie<br />

sind <strong>als</strong>o wirklich der Mann und <strong>die</strong> Frau, <strong>die</strong> den Supermarkt<br />

… Sie sind festgenommen!“<br />

Die beiden Männer ließen sich ohne Widerstand<br />

Handschellen anlegen.<br />

Lisa und Pieri waren inzwischen aufgestanden und<br />

traten hinaus auf <strong>die</strong> Lichtung.<br />

„Die beiden habe ich doch schon einmal gesehen?“,<br />

murmelte Kommissar Hilpert und legte <strong>die</strong> Stirn in Falten.<br />

„Wo war das nur?“<br />

151


„Ihr beide wart es <strong>als</strong>o, <strong>die</strong> unseren Reifen durchstochen<br />

haben!“, sagte der größere der beiden Festgenommenen.<br />

„Nein, Lisa ist völlig unschuldig“, sagte Pieri. „Wenn<br />

jemand dafür bestraft werden soll, dann bin ich das.“<br />

„Du bekommst keine Strafe, sondern vielleicht sogar<br />

eine Belohnung vom Supermarkt“, sagte der Kommissar.<br />

„Wenn du <strong>die</strong> Kerle nicht aufgehalten hättest, hätten<br />

wir sie vielleicht nie erwischt. Aber sag mal, Kleiner:<br />

Woher hast du gewusst, bei welchem <strong>die</strong>ser drei Wagen<br />

du den Reifen durchstechen solltest?“<br />

Pieri winkte ab. „Kinderspiel!“, sagte er. „Das war eine<br />

meiner leichtesten Übungen. Aber ich habe keine Ahnung,<br />

woher Lisa wusste, dass es bei der Verhaftung<br />

keinen Kampf geben würde. Die beiden Männer haben<br />

doch Pistolen!“<br />

152<br />

Auflösung auf Seite 243/244


Noch ein Einbruch<br />

Die Kinder verbrachten einen angenehmen Nachmittag<br />

in der Bärenschlucht. Sie schwammen im Fluss und<br />

mieteten sich ein Ruderboot und fuhren damit fl ussauf<br />

und fl ussab.<br />

Hubertus, der Hund, leistete ihnen dabei begeistert<br />

Gesellschaft. Er konnte seine Besitzer nicht ins Gefängnis<br />

begleiten, und da es nun niemanden mehr<br />

gab, der sich <strong>um</strong> ihn kümmern konnte, wollte Kommissar<br />

Hilpert ihn eigentlich in ein Tierasyl bringen. Gustav<br />

brachte ihn von <strong>die</strong>sem Gedanken ab und bat, den<br />

Hund ihm zu überlassen. Der Kommissar stimmte nach<br />

kurzem Überlegen zu. Er schien froh, <strong>die</strong>ses Problem<br />

los zu sein.<br />

Am späten Nachmittag radelten alle zurück z<strong>um</strong> Ferienlager.<br />

Hubertus lief fröhlich neben ihnen her.<br />

Herr Großmann, der Leiter des Ferienlagers, wunderte<br />

sich sehr, den Hund zu sehen. „Wo habt ihr den<br />

denn her?“, fragte er.<br />

„Der ist uns zugelaufen“, antwortete Lisa.<br />

„Wir führen an ihm eine Resozialisierungsmaßnahme<br />

durch“, fügte Gustav hinzu. Auf den verwunderten<br />

Blick Dr. Großmanns berichtete er: „Der Hund ist ein<br />

Verbrecher. Ich will versuchen, aus ihm wieder einen<br />

anständigen Menschen … Äh, ich meine, einen anständigen<br />

Hund zu machen.“<br />

153


„Verbrecher? Wieso denn Verbrecher? Der sieht<br />

doch ganz freundlich und friedlich aus!“, wunderte sich<br />

Herr Großmann.<br />

„Seine Besitzer sind <strong>die</strong> beiden Kerle, <strong>die</strong> den Supermarkt<br />

in Neustadt überfallen haben. Da sie jetzt im Gefängnis<br />

sind, kümmere ich mich <strong>um</strong> den Hund.“<br />

„Meinetwegen“, stimmte Herr Großmann zu. „Den<br />

werden wir sicherlich auch satt bekommen. Übrigens,<br />

heute Abend essen wir nicht im Zelt, sondern machen<br />

ein Picknick im Freien mit Lagerfeuer und allem, was<br />

dazugehört. Kümmerst du dich bitte dar<strong>um</strong>, Gustav!“<br />

„Dürfen wir dabei helfen?“, fragte Lisa.<br />

„Mir ist jede Hilfe willkommen“, antwortete Gustav.<br />

„Die Holzkohle muss eine ganze Weile glühen, bevor<br />

wir mit dem Grillen anfangen können.“<br />

„Was grillen wir eigentlich?“, fragte Pieri.<br />

„Wir haben Steaks, Hühnerschenkel, verschiedene<br />

Bratwürste …“<br />

„Ich bin mal in München auf dem Oktoberfest gewesen“,<br />

sagte Frank. „Dort wird in einem Zelt ein ganzer<br />

Ochse am Spieß gebraten.“<br />

„Einen Ochsen konnte ich auf <strong>die</strong> Schnelle nicht besorgen“,<br />

lächelte Herr Großmann.<br />

„Nun, dann holen wir uns eben einen Elefanten aus<br />

dem Zirkus“, lachte Frank. „Der würde bestimmt für uns<br />

alle reichen.“<br />

„Barbar!“, sagte Lisa. „Kannibale!“<br />

„Wieso denn das?“, verteidigte sich Frank grinsend.<br />

„Kannibalen sind doch Menschenfresser, ich will aber<br />

gar keine Menschen fressen, sondern nur Elefanten.“<br />

154


„Meinetwegen“, lächelte Herr Großmann. „Aber einfangen<br />

und schlachten musst du ihn schon selbst.“<br />

Die Sonne hatte sich schon fast bis z<strong>um</strong> Horizont gesenkt,<br />

<strong>als</strong> alle Vorbereitungen beendet waren.<br />

„Also, holen wir jetzt das Fleisch und <strong>die</strong> Wurst und<br />

was wir sonst noch haben!“, sagte Gustav.<br />

Lisa und Pieri gingen mit. Neben dem Haus, in dem<br />

Herr Großmann wohnte, lag Hubertus, der Jagdhund.<br />

Er schlief tief und fest. Als er Schritte in seiner Nähe<br />

hörte, öffnete er nur kurz ein Auge, blickte seine neuen<br />

Freunde an, und schlief dann weiter.<br />

„Er ist müde“, sagte Gustav. „Er ist viel gerannt heute<br />

und geschwommen. Auch ein Jagdhund muss mal ausruhen.“<br />

Gustav und <strong>die</strong> Kinder betraten das Haus und gingen<br />

auf dem kürzesten Weg zur Küche. Frau Schulze arbeitete<br />

dort. Sie zeigte auf eine Tür. „In der Speisekammer“,<br />

sagte sie.<br />

Sie ging voraus und öffnete <strong>die</strong> Tür. Dann blieb sie<br />

erschrocken stehen.<br />

Frau Schulze stieß einen gellenden Schrei aus, der<br />

Herrn Großmann aus seinem nahen Büro herbeieilen<br />

ließ. „Diebe!“, rief sie. „Räuber! Verbrecher!“ Sie deutete<br />

empört auf ein großes leeres Tablett. „Alle Steaks sind<br />

weg! 24 Stück! Wie kann man nur Kinder bestehlen!<br />

Diese Leute sollten sich was schämen!“<br />

„Sprechen Sie von ganz bestimmten Leuten?“, fragte<br />

Herr Großmann.<br />

„Ich wette, es war <strong>die</strong>se Bande von Jugendlichen aus<br />

dem Ort. Sie sind mir heute Morgen schon über den<br />

155


Weg gelaufen und haben irgendetwas von Grillen am<br />

See gefaselt. Sie müssen durch das Fenster gekommen<br />

sein, keine Schwierigkeit für <strong>die</strong>se jungen Burschen.<br />

Durch meine Küche sind sie jedenfalls nicht gekommen<br />

oder gegangen, da bin ich ganz sicher.“<br />

„Sie sollten vorsichtiger sein mit Ihren Beschuldigungen<br />

ohne Beweise, liebe Frau Schulze“, rügte Herr<br />

Großmann. „Denken Sie bitte daran, dass auch Sie<br />

selbst noch vor wenigen Tagen zu Unrecht des Diebstahls<br />

verdächtigt worden sind.“<br />

„Es waren nicht <strong>die</strong> Jugendlichen“, sagte Pieri.<br />

156<br />

Aufl ösung auf Seite 244


Später Besuch<br />

Die Sonne war inzwischen untergegangen. Auf der<br />

Wiese zwischen dem Ferienlager und dem großen Zirkuszelt<br />

fl ackerten etliche Feuer. Frank stand an einem<br />

eisernen Grill und wendete mit einer großen Zange <strong>die</strong><br />

Bratwürste auf dem Rost.<br />

„Schade, dass <strong>die</strong>ser verfressene Hund alle Steaks<br />

geklaut hat“, sagte er. „Jetzt müssen wir mit dem vorlieb<br />

nehmen, was er übrig gelassen hat.“<br />

„Es ist noch genug da“, meinte Herr Großmann. Er<br />

ließ es sich nicht nehmen, selbst an der Grillparty teilzunehmen.<br />

„Da drüben an dem Lagerfeuer z<strong>um</strong> Beispiel<br />

braten sie Kartoff eln, und <strong>die</strong> Hähnchenschenkel<br />

sind ja auch noch da.“<br />

„Wir könnten auch auf Franks Vorschlag mit dem Elefanten<br />

zurückkommen“, lachte Pieri. Er blickte sich <strong>um</strong>.<br />

„Wo steckt der Hund eigentlich? Und wo ist Gustav?“<br />

„Gustav hat sich <strong>als</strong> Grillmeister versucht und dabei<br />

festgestellt, dass er für <strong>die</strong>sen Job nicht viel Talent besitzt“,<br />

antwortete Herr Großmann. „Er ist dem heißen<br />

Rost zu nahe gekommen. Frau Schulze hat ihm Wundsalbe<br />

auf <strong>die</strong> rechte Hand gestrichen und ihm einen<br />

prächtigen Verband angelegt.“<br />

„Aber z<strong>um</strong> Essen kommt er doch, oder?“, fragte Pieri.<br />

„Sicher“, antwortete Lisa. „Aber er befürchtet, dass<br />

Hubertus nach 24 Steaks der Bauch platzt. Er hat dem<br />

157


Hund einen extra langen Verdauungsspaziergang verordnet.“<br />

„Schade, dass ich meine Gitarre nicht dabei habe“,<br />

sagte Pieri. „Ich wäre jetzt in der richtigen Stimmung,<br />

ein bisschen Musik zu machen.“<br />

„Ich kenne da ein schönes Lied“, schlug Frank vor. „Es<br />

geht so: ,In einer Bar in Mexiko, da saßen wir und spielten<br />

froh; ein Spielchen wurde gepokert, der Colt war<br />

gelockert. Caramba‘!“<br />

Herr Großmann lachte. „Ich fürchte, das ist nicht<br />

der richtige Text für <strong>die</strong> jüngeren Jahrgänge unter uns.<br />

Aber kennst du vielleicht das Lied ‚Geisterreiter‘? Das<br />

stammt aus einem Western, den ich in meiner Jugend<br />

einmal gesehen habe. Der Film war ziemlich langweilig,<br />

wenn ich mich recht erinnere, aber das Lied hat mir<br />

gefallen.“<br />

Pieri wollte antworten, aber er kam nicht mehr dazu.<br />

Irgend etwas Großes, Schweres rannte ihn über den<br />

Haufen. Er stürzte zu Boden. Über ihm war ein d<strong>um</strong>pfes<br />

Grollen und Knurren zu hören. Dann entdeckte er<br />

in der hereinbrechenden Dunkelheit eine riesige zottige<br />

Gestalt, <strong>die</strong> sich über ihn beugte. Aus einem mächtigen,<br />

weit geöff neten Maul ragten zwei gewaltige<br />

dolchartige Zähne hervor.<br />

„Lass den Quatsch, Roberto!“, rief Pieri ärgerlich. „Ich<br />

möchte jetzt nicht King Kong spielen, sondern endlich<br />

was essen.“<br />

Der Aff e wandte sich beleidigt ab. Auf allen vieren<br />

hüpfte er hinüber z<strong>um</strong> nächsten Grill. Er streckte seine<br />

mächtige behaarte Pranke aus, <strong>um</strong> sich eine der Brat-<br />

158


würste zu nehmen, zuckte aber erschrocken zusammen,<br />

<strong>als</strong> er <strong>die</strong> Hitze spürte.<br />

Aus der Dunkelheit tauchte plötzlich eine große vierbeinige<br />

Gestalt auf. Es war Hubertus. Der Hund baute<br />

sich vor dem Aff en auf und bellte.<br />

Der Aff e erschrak, drehte sich <strong>um</strong> und raste, so<br />

schnell er konnte, auf allen vieren davon. Der Hund<br />

war schneller, erreichte ihn mit zwei langen Sätzen und<br />

packte ihn am rechten Hinterbein. Der Aff e stürzte zu<br />

Boden und blieb erschrocken liegen.<br />

„Das ist nicht Roberto!“, sagte Frank. „Roberto ist Löwendompteur.<br />

Der läuft doch nicht vor einem Hund<br />

davon!“<br />

159


„Du vergisst, dass Roberto auch der Clown Arlekino<br />

ist“, widersprach Lisa. „Seine Angst ist nur gespielt. Und<br />

der Hund spielt mit Begeisterung mit. Natürlich hat er<br />

längst gerochen, dass unter dem Affenfell ein Mensch<br />

steckt.“<br />

„Es ist auch nicht Arlekino“, behauptete Pieri. „Arlekino<br />

steht dort drüben!“<br />

Er deutete auf den Clown, der im Halbdunkel jenseits<br />

des Lagerfeuers stand. Jetzt kam der Clown näher.<br />

Er ging langsam und schwerfällig wie ein wandelndes<br />

Bierfass. Offenbar hatte er große Mühe, sich mit seinen<br />

riesigen Schuhen vorwärtszubewegen.<br />

„Wenn <strong>die</strong>ser Clown Arlekino ist, dann kann der<br />

Mann im Affenkostüm auch nicht Roberto sein“, überlegte<br />

Herr Großmann. „Denn beide sind ja ein und <strong>die</strong>selbe<br />

Person.“<br />

Der Clown hatte jetzt den Affen und den Hund erreicht.<br />

Er schob den Hund beiseite. Dann bückte er sich<br />

zu dem Affen nieder und streichelte zärtlich seinen<br />

Kopf.<br />

„Armes Affe!“, sagte er. „Böses Hund dich so erschreckt.“<br />

Plötzlich griff er mit beiden Händen zu und riss dem<br />

Affen <strong>die</strong> Maske vom Kopf. Alle Umstehenden erkannten<br />

jetzt Robertos fröhlich lächelndes Gesicht. Alle<br />

lachten.<br />

Nur dem Clown war nicht nach Lachen z<strong>um</strong>ute. Er<br />

schien vor dem Anblick des Menschen im Affenkostüm<br />

zu erschrecken. Sofort drehte er sich <strong>um</strong> und rannte<br />

davon.<br />

160


Hubertus setzte ihm nach, bekam ihn an seinem<br />

mächtigen, mit viel Watte gepolsterten Hintern zu fassen<br />

und riss ihn zu Boden.<br />

Roberto stand auf, immer noch lachend.<br />

„Man hat mir erzählt, dass Lisa und Pieri große Detektive<br />

sind“, sagte er. „Angeblich lösen sie alle Fälle.<br />

Deshalb wollten wir sie auf <strong>die</strong> Probe stellen. Diesen<br />

Fall jedenfalls haben sie nicht gelöst.“<br />

„Das kann man ihnen wirklich nicht z<strong>um</strong> Vorwurf<br />

machen“, meinte Herr Großmann. „Ich muss gestehen,<br />

auch ich habe keine Ahnung, wer <strong>die</strong>ser Clown ist.“<br />

„Ich schon“, sagte Pieri.<br />

„Ja?“, staunte Herr Großmann. „Wer ist es denn,<br />

Pieri?“<br />

Aulösung auf Seite 245<br />

161


Keine Gitarre für Pieri<br />

Roberto zog sein Aff enkostüm aus.<br />

„Furchtbar heiß da drin“, schnaufte er. „Die kleine<br />

Privatvorstellung zusammen mit Gustav und dem<br />

Hund hat mir viel Spaß gemacht. Ich würde gern noch<br />

ein bisschen bei euch bleiben. Aber ich muss zurück<br />

z<strong>um</strong> Zirkus. Wie ihr hört, läuft unsere Abendvorstellung<br />

längst. Ich muss noch meine Löwen vorführen. Das ist<br />

einer der Höhepunkte unseres Programms.“<br />

Er verneigte sich und ging weg, das Aff enfell unter<br />

dem Arm.<br />

„Er kommt nach der Vorstellung bestimmt wieder“,<br />

sagte Lisa. „Also lasst noch ein paar Würstchen für ihn<br />

übrig.“<br />

Herr Großmann sah Pieri an. „Wie wär‘s, wenn auch<br />

du uns eine kleine Vorstellung geben würdest? Mit der<br />

Gitarre.“<br />

„Das würde ich wirklich gerne tun“, antwortete Pieri.<br />

„Aber ich habe keine Gitarre. Nicht einmal eine Mundharmonika.“<br />

„Mein älterer Bruder kann sogar auf einem Grashalm<br />

Musik machen“, verkündete Frank stolz.<br />

„Gras hätten wir <strong>hier</strong> genug, aber leider leiden wir<br />

einen gewissen Mangel an älteren Brüdern“, meinte<br />

Herr Großmann. „Mit einer Gitarre für Pieri kann ich<br />

aber <strong>die</strong>nen. Die Polizei in Neustadt hat <strong>die</strong> beschlag-<br />

162


nahmten Musikinstr<strong>um</strong>ente wieder freigegeben. Hannes<br />

ist losgefahren, <strong>um</strong> sie zu holen. Er ist schon auf<br />

dem Weg zurück.“<br />

Aus der Dunkelheit näherte sich <strong>die</strong> Gestalt eines<br />

Mannes. Als <strong>die</strong> Gestalt in den Lichtschein der Lagerfeuer<br />

trat, erkannten <strong>die</strong> Kinder, dass es sich <strong>um</strong> Wachtmeister<br />

Anders handelte.<br />

„Nun, Herr Anders, so spät noch in Uniform?“, begrüßte<br />

ihn Herr Großmann.<br />

„Ein Polizist ist immer im Dienst“, antwortete der<br />

Wachtmeister. „Ich bin nur gekommen, <strong>um</strong> Sie zu warnen.<br />

Die beiden Kerle, <strong>die</strong> heute Vormittag den Supermarkt<br />

überfallen haben, sind geflohen.“<br />

„Aus Polizeigewahrsam?“, wunderte sich Herr Großmann.<br />

Anders nickte bekümmert. „Sollte nicht vorkommen,<br />

aber es kommt vor. Also, was ich sagen wollte …“<br />

Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.<br />

Hubertus, der bisher zu Füßen von Lisa gelegen<br />

hatte, sprang plötzlich auf und rannte freudig bellend<br />

davon. Nach wenigen Sekunden war er in der Dunkelheit<br />

verschwunden.<br />

„Was ist denn mit dem los?“, wunderte sich der<br />

Wachtmeister.<br />

„Er hat wohl einen Hasen entdeckt und rennt jetzt<br />

hinter ihm her“, meinte Pieri.<br />

„Glaube ich nicht“, widersprach Herr Großmann. „Ein<br />

gut abgerichteter Jagdhund rennt nicht hinter Wild<br />

her. Er apportiert kleines Wild, das der Jäger geschossen<br />

hat, oder folgt der Spur eines angeschossenen Tie-<br />

163


es. Hubertus muss <strong>als</strong>o etwas anderes entdeckt haben,<br />

was ihn interessiert.“<br />

„Also, was ich sagen wollte …“ Wachtmeister Anders<br />

nahm mühsam seinen Faden wieder auf. „Die beiden<br />

fl üchtigen Räuber haben in Neustadt einen Wagen<br />

geklaut. Weit sind sie aber auch <strong>die</strong>smal nicht gekommen.<br />

Mit gestohlenen Autos haben sie immer Pech. Die<br />

Kiste hatte <strong>hier</strong> in Bergheim einen Motorschaden. Ich<br />

nehme an, dass sie sich einen weiteren Wagen klauen<br />

werden.“<br />

Pieri blickte angestrengt hinüber zu Dr. Großmanns<br />

Haus. Ein Kleinbus stand vor der weit off enen Tür. „Hannes<br />

ist wieder zurück!“, jubelte Pieri aufgeregt. „Mit einer<br />

Gitarre für mich!“<br />

164


Plötzlich schlug sich Pieri mit der fl achen Hand<br />

auf <strong>die</strong> Stirn. „Das sind <strong>die</strong> fl üchtigen Räuber!“, rief er.<br />

„Kommen Sie schnell, Herr Wachtmeister!“<br />

Er rannte los, auf das Haus zu. Wachtmeister Anders<br />

sah ihm einige Sekunden lang verblüff t hinterher, dann<br />

setzte auch er sich in Bewegung. Gleich darauf fuhr der<br />

Kleinbus vor dem Haus an, fuhr eine enge Kurve und<br />

raste dann davon.<br />

Aus der Tür des Hauses kam Hannes. „Halt!“, rief er.<br />

„Ihr Diebe!“ Er schwang drohend seine Faust. Lautes Lachen<br />

antwortete ihm. Dann verschwand der Wagen.<br />

„Na ja, wenigstens brauchten wir uns das Kennzeichen<br />

des Fluchtautos nicht aufzuschreiben“, sagte<br />

Wachtmeister Anders. „Das kennst du doch hoff entlich<br />

auswendig, Hannes, oder?“<br />

Hannes nickte bekümmert. „Hoff entlich fahren <strong>die</strong><br />

Kerle meinen schönen Wagen nicht an einen Ba<strong>um</strong>“,<br />

fl üsterte er betrübt.<br />

„War<strong>um</strong> hast du den Zündschlüssel nicht abgezogen?“,<br />

fragte der Wachtmeister.<br />

„War<strong>um</strong> hätte ich das tun sollen? Ich wollte doch<br />

nur <strong>die</strong> paar Instr<strong>um</strong>ente in das Haus tragen und dann<br />

nach Hause fahren. Wer kommt denn auf <strong>die</strong> Idee, dass<br />

der Wagen in den paar Sekunden geklaut wird, in denen<br />

ich im Haus bin! Übrigens, was ist das für ein Hund,<br />

der da jetzt bei den beiden Kerlen im Auto sitzt?“<br />

Wachtmeister Anders sah Pieri an. „Ja, was ist das<br />

für ein Hund?“, fragte auch er. „Und woher hast du gewusst,<br />

dass es sich <strong>um</strong> <strong>die</strong> beiden Räuber handelt?“<br />

Aufl ösung auf Seite 246<br />

165


166<br />

Pech gehabt!<br />

Wachtmeister Anders zog sein Handy aus der Tasche,<br />

<strong>um</strong> seine Dienststelle anzurufen. „Zu blöd, dass <strong>die</strong><br />

Kerle uns schon wieder entwischt sind!“, ärgerte er sich.<br />

„Die kommen nicht weit“, sagte Hannes. Obwohl<br />

ihm eben sein Kleinbus gestohlen worden war, konnte<br />

er schon wieder grinsen. „Mein Tank ist nämlich fast<br />

leer. Die Kerle werden staunen, wenn <strong>die</strong> Kiste plötzlich<br />

stehen bleibt.“<br />

„Diese Gauner haben wirklich Pech mit ihren Fluchtfahrzeugen“,<br />

grinste nun auch der Wachtmeister. „Wir<br />

werden <strong>als</strong>o alle Tankstellen in der Umgebung warnen.<br />

Irgendwo schnappen wir sie.“<br />

Es war ein schöner Abend für <strong>die</strong> Kinder, mit einer<br />

Menge heißer gegrillter Würstchen, kalter Getränke und<br />

spannender Geschichten von Räubern auf der Flucht.<br />

Ein paar Stunden später, es mochte Mitternacht<br />

sein, lag Pieri im dunklen Schlafzelt. Er trä<strong>um</strong>te davon,<br />

dass er am Ufer des Sees lag, in den blauen Himmel hinaufschaute<br />

und, von der Sonne geblendet, <strong>die</strong> Augen<br />

schloss. Irgend etwas Nasses, Kaltes leckte ihm über<br />

das Gesicht. Das sagenhafte Krokodil vielleicht, das<br />

da im See her<strong>um</strong>schwimmen sollte, wie <strong>die</strong> Einheimischen<br />

behaupteten?<br />

Pieri fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch. Er öff -<br />

nete <strong>die</strong> Augen. Rings <strong>um</strong> ihn war es stockfi nster. Er be-


griff, dass er nicht am Strand lag, sondern im Schlafzelt.<br />

Nur <strong>die</strong> breite Zunge, <strong>die</strong> ihm über das Gesicht fuhr,<br />

war noch da.<br />

„Hau ab, Krokodil!“, murmelte er schlaftrunken. Er<br />

versuchte, <strong>die</strong>ses widerliche Vieh wegzuschieben, aber<br />

das, was seine Hand berührte, war nicht der knochige<br />

Panzer eines Krokodils, sondern das haarige Fell eines<br />

Hundes.<br />

„Hubertus!“, rief er erfreut. „Du bist wieder <strong>hier</strong>?“<br />

Eine Taschenlampe leuchtete auf. Sie gehörte Manuel,<br />

der im Bett neben ihm geschlafen hatte. „Er ist<br />

seinen Besitzern davongelaufen“, sagte er. „Er will wohl<br />

nicht mehr bei zwei Verbrechern leben.“<br />

„Ich glaube nicht, dass Hunde so denken“, widersprach<br />

Pieri. „Denen ist es gleichgültig, ob ihr Herrchen<br />

ein Schuft ist oder ein anständiger Mensch. Wenn Hubertus<br />

wieder <strong>hier</strong> ist, sind auch seine Besitzer wieder<br />

<strong>hier</strong>.“<br />

„Was <strong>um</strong> alles in der Welt wollen <strong>die</strong> <strong>hier</strong>?“, fragte<br />

Manuel. Er blickte sich ängstlich <strong>um</strong>.<br />

„Weiß ich nicht“, antwortete Pieri. „Ich sehe mich<br />

draußen ein bisschen <strong>um</strong>. Informiere du inzwischen<br />

Herrn Großmann, Gustav oder einen der anderen Betreuer!“<br />

Er stand auf und tappte barfuß hinter dem Hund<br />

her, der schwanzwedelnd z<strong>um</strong> Eingang des Zelts lief. Er<br />

sah nicht, dass Manuel sich wieder hingelegt und <strong>die</strong><br />

Decke über den Kopf gezogen hatte.<br />

Hubertus schien genau zu wissen, wohin er wollte.<br />

Er lief durch das ganze Ferienlager und dann das kurze<br />

167


Stück hinüber z<strong>um</strong> Zirkus, an dem großen Zelt mit der<br />

Manege vorbei und dann weiter zu den Wohnwagen.<br />

Pieri hatte Mühe, ihm zu folgen.<br />

Nur in zwei der Wohnwagen der Artisten brannte<br />

noch Licht. Der Hund lief an ihnen vorbei zu dem Platz,<br />

wo <strong>die</strong> Fahrzeuge des Zirkus standen. Dort blieb er<br />

stehen und blickte zu Pieri auf, <strong>als</strong> wolle er ihm etwas<br />

Wichtiges zeigen. Da Pieri nicht verstand, was es da im<br />

Dunkeln zu sehen geben mochte, senkte Hubertus den<br />

Kopf und hob mit seinem Maul einen dünnen länglichen<br />

Schlauch vom Boden auf. Der Schlauch stank<br />

nach Benzin.<br />

Eine kräftige Hand packte Pieri im Genick. „Hab ich<br />

dich erwischt! Willst wohl Benzin klauen, wie?“<br />

„Was sollte ich mit Benzin?“, fragte Pieri zurück. „Lass<br />

mich los, Roberto! Du hast den F<strong>als</strong>chen erwischt.“<br />

„Pieri?“, wunderte sich der Dompteur. „Was treibst<br />

du <strong>hier</strong>?“<br />

Anstatt zu antworten, blickte Pieri <strong>um</strong> sich. „Wo ist<br />

der Hund?“, fragte er.<br />

Fast im gleichen Augenblick, in dem Pieri z<strong>um</strong><br />

nächststehenden Wohnwagen hinüberblickte, erlosch<br />

in <strong>die</strong>sem das Licht. „Da drin sind <strong>die</strong> Räuber“, fl üsterte<br />

Pieri.<br />

„Die schnappe ich mir“, fl üsterte Roberto ebenso<br />

leise zurück. Er ging mit schnellen, lautlosen Schritten<br />

weg – fast so geräuschlos wie seine Löwen. Er erreichte<br />

<strong>die</strong> Tür des Wohnwagens und riss sie auf.<br />

Undurchdringliche Dunkelheit gähnte ihm entgegen.<br />

Er spürte einen widerlichen Geruch von Benzin<br />

168


und einen leichten Luftzug. Dann erkannte Roberto,<br />

dass sich eben eine menschliche Gestalt durch das<br />

kleine Fenster auf der anderen Seite des Wohnwagens<br />

schob. Mit zwei schnellen Schritten war er am Fenster<br />

und griff zu. Aber er griff ins Leere.<br />

Er erwartete, Schritte zu hören, <strong>die</strong> sich schnell entfernten,<br />

aber Roberto hörte nur das Geräusch eines<br />

schweren Körpers, der zu Boden stürzte. Dann eine<br />

junge Stimme: „Ich hab ihn! Hilfe!“<br />

Pieri lag quer über dem Mann, den er über sein ausgestrecktes<br />

Bein hatte stolpern lassen. Er versuchte,<br />

den Mann mit seinem Körpergewicht auf den Boden<br />

niederzudrücken, aber er wusste, dass ihm das nicht<br />

lange gelingen würde. Erleichtert atmete er auf, <strong>als</strong><br />

169


zwei kräftige Männer auftauchten und ihm zu Hilfe kamen.<br />

Einer von ihnen war Roberto, Raubtierdompteur<br />

und Clown, der andere der Mann, der für <strong>die</strong> Elefanten<br />

zuständig war.<br />

Weitere Artisten kamen mit Lampen in den Händen<br />

herbei. Im Licht <strong>die</strong>ser Lampen erkannte Pieri, dass der<br />

Mann, den Roberto und der Elefantenwärter festhielten,<br />

tatsächlich einer der beiden entflohenen Räuber war.<br />

„War<strong>um</strong> ist der Kerl wieder zurückgekommen?“,<br />

wunderte sich Roberto.<br />

„Er brauchte Benzin für sein gestohlenes Fluchtauto“,<br />

antwortete Pieri und stieß mit dem Fuß gegen den vollen<br />

Benzinkanister, der auf dem Boden lag. „Sein Komplize<br />

wartet wahrscheinlich beim Auto auf ihn.“<br />

„Ich hatte meinen Wohnwagen nur für ein paar Minuten<br />

verlassen“, sagte der Elefantenwärter, „<strong>um</strong> nach<br />

meinen Elefanten zu sehen. Das mache ich jede Nacht.<br />

Der Kerl da muss mich gesehen haben, wie ich wegging,<br />

und kam auf den Gedanken, sich in meiner Abwesenheit<br />

ein bisschen in dem Wagen <strong>um</strong>zusehen, ob es<br />

da was z<strong>um</strong> Stehlen gäbe.“<br />

Der Gefangene starrte Pieri finster an. „Dieser Bengel<br />

kommt mir dauernd in <strong>die</strong> Quere“, ärgerte er sich.<br />

„Den Polizisten konnten wir entfliehen, aber dem da …“<br />

„Sag mal, Pieri, woher hast du gewusst, dass der Bursche<br />

in <strong>die</strong>sem Wohnwagen ist?“, fragte Roberto.<br />

170<br />

Auflösung auf Seite 246/247


Ausgeflogen?<br />

„Was ist los mit dir, Pieri?“, fragte Lisa am nächsten Morgen<br />

beim Frühstück. „Bist du krank?“<br />

„Manchmal redest du wie meine Mutter“, antwortete<br />

Pieri missmutig. „Nein, ich bin nicht krank.“<br />

„Aber das Essen scheint dir nicht zu schmecken.“<br />

„Das Essen ist in Ordnung. Ich habe nur keinen richtigen<br />

Appetit.“<br />

„Wenn man mitten in der Nacht einen fl üchtigen<br />

Räuber gefangen hat, sollte man eigentlich Appetit haben<br />

– und bessere Laune“, meinte Frank, der Pieri gegenübersaß.<br />

„Außerdem hat jetzt Gustav dank deiner Hilfe Hubertus<br />

wieder“, fügte Romy hinzu. „Mir scheint, er mag<br />

den Hund wirklich, und der Hund mag ihn auch.“<br />

„Jeder bekommt <strong>als</strong>o, was ihm zusteht“, sagte Pieri,<br />

immer noch schlecht gelaunt. „Der Räuber bekommt<br />

seine ver<strong>die</strong>nte Strafe, Gustav seinen geliebten Hund,<br />

der Hund einen neuen Herrn, der ihn sicherlich viel<br />

besser behandeln wird <strong>als</strong> seine bisherigen Herren,<br />

aber was bekomme ich? Nichts!“<br />

„Hast du etwa eine polizeiliche Belohnung erwartet?“,<br />

fragte der kleine Manuel.<br />

„Nein, nur eine Gitarre. Hannes hatte mehrere Gitarren<br />

in seinem Wagen, aber da der Wagen geklaut<br />

wurde …“<br />

171


„ …wirst du wahrscheinlich keine <strong>die</strong>ser Gitarren je<br />

zu sehen bekommen“, vollendete Frank den Satz. „Die<br />

Diebe sind vielleicht 50 Kilometer oder weiter gefahren,<br />

bevor ihnen der Treibstoff ausging.“<br />

„Das glaube ich nicht“, widersprach Lisa. „Niemand<br />

läuft mit einem Blechkanister 50 Kilometer weit durch<br />

<strong>die</strong> Nacht, <strong>um</strong> irgendwo Benzin zu stehlen. Eine Stunde<br />

vielleicht, aber nicht länger.“<br />

„War<strong>um</strong> hat er sich das Benzin nicht einfach an der<br />

nächsten Tankstelle besorgt?“, fragte Manuel.<br />

„Er hat es wohl nicht gewagt, sich dort blicken zu<br />

lassen“, vermutete Lisa. „Oder er ist auf seinem Weg an<br />

keiner Tankstelle vorbeigekommen.“<br />

„Das ist es!“, sagte Pieri. Von einem Augenblick auf<br />

den anderen war er bester Laune. „Er ist eine Stunde<br />

lang durch den nächtlichen Wald gelatscht. Im Wald<br />

gibt es keine Tankstellen. Frech wie er ist, ist er dann<br />

nach Bergheim zurückgekehrt. Genauer gesagt, <strong>hier</strong>her.“<br />

„Das bringt dich deiner heiß ersehnten Gitarre keinen<br />

Schritt näher“, meinte Frank. „Wald gibt es in <strong>die</strong>ser<br />

Gegend genug. Wie willst du da bloß Hannes Kleinbus<br />

finden?“<br />

„Du hast zu wenig Fantasie“, sagte Pieri. „Versetze<br />

dich doch mal in <strong>die</strong> Lage des zweiten Gauners, der<br />

bei dem gestohlenen Wagen zurückgeblieben ist. Er<br />

hat ein paar Stunden lang gewartet, dass sein Komplize<br />

mit dem Benzin zurückkommen würde. Irgendwann<br />

hat er dann begriffen, dass er vergeblich warten<br />

würde …“<br />

172


„Vielleicht hat er auch im Autoradio gehört, dass<br />

sein Komplize geschnappt wurde“, warf Frank ein.<br />

„Also musste er sich ein Versteck suchen, wo er ein<br />

paar Stunden oder Tage bleiben konnte“, überlegte<br />

Pieri weiter. „Und es gibt für ihn kein besseres Versteck<br />

<strong>als</strong> <strong>die</strong> einsame Jagdhütte, vor der Lisa und ich ihn<br />

schon einmal gesehen haben.“<br />

„Aber <strong>die</strong> Polizei kennt doch <strong>die</strong>se Hütte“, wandte<br />

Romy ein. „Dort wird er sich ganz bestimmt nicht verstecken.“<br />

„Wenn <strong>die</strong> Polizei genauso denkt wie du, wird sie ihn<br />

dort niem<strong>als</strong> suchen. Also ist er nirgendwo so sicher<br />

wie dort.“<br />

„Dann sollten wir <strong>die</strong> Polizei informieren!“, schlug<br />

Manuel begeistert vor.<br />

„Die würde uns nicht glauben“, meinte Lisa. „Dieser<br />

Kommissar Hilpert hält nicht viel von uns. Er würde uns<br />

einfach auslachen.“<br />

„Dann müssen wir ihm eben den Beweis liefern, dass<br />

der flüchtige Räuber sich in der einsamen Jagdhütte<br />

versteckt hält“, sagte Pieri. „Aber dafür muss ich mich<br />

erst einmal kräftig stärken!“ Er machte sich mit plötzlich<br />

erwachtem Appetit über sein Frühstück her.<br />

Schon eine Stunde später waren Lisa, Romy, Frank,<br />

Pieri und Manuel mit den Fahrrädern unterwegs auf<br />

dem abschüssigen Waldweg, der zur Bärenschlucht<br />

führte. Niemand begegnete ihnen. Romy sang fröhlich<br />

einen Schlager.<br />

„Schrei nicht so laut!“, schimpfte Pieri. „Wir sind nicht<br />

mehr weit von der Jagdhütte entfernt.“<br />

173


„Ich schreie nicht, ich singe“, antwortete Romy beleidigt.<br />

„Aber du verstehst eben nichts von Kunst.“<br />

„Nicht alles, was Lärm macht, ist Kunst. Wahre Kunst<br />

…“<br />

Pieri brach mitten im Satz ab und bremste. So plötzlich,<br />

dass Manuel fast auf ihn aufgefahren wäre. Pieri<br />

deutete nach links in einen Waldweg, der ihren eigenen<br />

Weg kreuzte. Ein Auto stand dort, ka<strong>um</strong> zu sehen<br />

im dichten Schatten der Bä<strong>um</strong>e.<br />

„Das ist der Kleinbus von Hannes“, fl üsterte er aufgeregt.<br />

Er musste sich zusammenreißen, <strong>um</strong> nicht vor<br />

Freude laut zu schreien. „Hoff entlich sind <strong>die</strong> Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

noch da!“<br />

174


„Deine Gitarre kannst du dir später holen“, bremste<br />

Lisa seinen Eifer. „Erst müssen wir nachsehen, ob der<br />

Räuber wirklich in der Jagdhütte ist. Er war <strong>hier</strong>, das<br />

steht fest, aber er könnte schon längst wieder weitergezogen<br />

sein.“<br />

Es dauerte keine zehn Minuten, bis <strong>die</strong> Kinder <strong>die</strong><br />

Lichtung erreichten, auf der <strong>die</strong> Blockhütte stand. Aus<br />

der sicheren Deckung dichter Büsche am Waldrand<br />

blickten sie hinüber.<br />

„Hier ist keine Menschenseele“, stellte Frank enttäuscht<br />

fest. „Fenster und Türen sind verrammelt wie<br />

bei einer Burg. Es muss stockfi nster in der Bude sein.<br />

Wenn da drin ein Licht brennen würde, müsste der<br />

Lichtschein durch <strong>die</strong> Ritzen der Fensterläden dringen.“<br />

„Er ist da drin!“, sagte Pieri. „Er hat eben sein Frühstück<br />

beendet, das Licht gelöscht und sich schlafen gelegt.“<br />

Aufl ösung auf Seite 247<br />

175


176<br />

Knastbrüder<br />

Lisa schaltete enttäuscht ihr Handy aus. „Mir scheint,<br />

<strong>die</strong>ser Kommissar Hilpert glaubt mir nicht“, sagte sie.<br />

„Vielleicht kommt er gar nicht.“<br />

„Die hätten ja auch viel zu tun, wenn sie sofort losrennen<br />

würden, wenn jemand anruft und behauptet<br />

zu wissen, wo ein fl üchtiger Verbrecher steckt“, meinte<br />

Frank. „Schließlich haben wir den Mann, den wir da<br />

drüben in der Jagdhütte vermuten, überhaupt nicht<br />

gesehen. Vielleicht ist er gar nicht mehr …“<br />

Noch während Frank redete, öff nete sich drüben bei<br />

der Hütte <strong>die</strong> Tür. Nur einen schmalen Spalt weit zuerst,<br />

dann, nach einigen Sekunden, trat ein Mann heraus.<br />

„Das ist er!“, fl üsterte Lisa. „Ich erkenne ihn wieder.“<br />

Die Kinder duckten sich tiefer in ihre Deckung hinein.<br />

Der Mann drüben bei der Hütte blickte sich misstrauisch<br />

<strong>um</strong>. Dann zog er <strong>die</strong> Tür hinter sich zu und<br />

ging hastig weg. Er trug jetzt grüne Jägerkleidung und<br />

auf dem Rücken ein doppelläufi ges Jagdgewehr.<br />

„War<strong>um</strong> sperrt er denn <strong>die</strong> Tür nicht hinter sich ab?“,<br />

fl üsterte Manuel. „Hat er denn keine Angst, dass jemand<br />

in seiner Abwesenheit <strong>die</strong> Bude ausraubt? Er<br />

sollte eigentlich am besten wissen, dass es eine Menge<br />

Gauner auf der Welt gibt.“<br />

„Er hat keinen Schlüssel“, sagte Lisa. „Den hat ihm ja<br />

<strong>die</strong> Polizei bei seiner Verhaftung abgenommen.“


„Er haut uns schon wieder ab“, ärgerte sich Frank.<br />

„Wir sollten ihm folgen, <strong>um</strong> herauszufinden, wohin er<br />

geht.“<br />

„Ihm folgen?“, wiederholte Manuel entsetzt. „Einem<br />

Verbrecher mit einem Gewehr? Ohne mich!“<br />

„Das ist Sache der Polizei“, sagte Lisa. „Ich rufe noch<br />

einmal <strong>die</strong>sen Kommissar Hilpert an und sage ihm,<br />

dass wir den flüchtigen Verbrecher gesehen haben.“<br />

Der Mann in der Jagdkleidung hatte inzwischen<br />

<strong>die</strong> kleine Lichtung überquert und war im Wald verschwunden.<br />

„Gehen wir in <strong>die</strong> Hütte!“, schlug Pieri vor. „Vielleicht<br />

finden wir dort etwas, was uns verrät, wohin der Mann<br />

abhauen wird.“<br />

„In <strong>die</strong> Höhle des Löwen?“, fragte Romy. „Ich trau<br />

mich nicht. Er könnte zurückkommen.“<br />

„Alles ist besser, <strong>als</strong> ihm zu folgen“, meinte Manuel.<br />

„Außerdem, <strong>hier</strong> im feuchten Moos zu liegen … Vielleicht<br />

kriechen <strong>hier</strong> auch ein paar Giftschlangen durch<br />

das Unterholz …“<br />

Die anderen lachten. Frank, Pieri, Romy und Manuel<br />

standen auf und gingen zur Hütte hinüber. Nur Lisa<br />

blieb noch zurück, <strong>um</strong> noch einmal in Ruhe <strong>die</strong> Polizei<br />

anzurufen.<br />

„Ich bin noch nie in einer Jagdhütte gewesen“, sagte<br />

Frank, <strong>als</strong> er <strong>die</strong> Tür öffnete.<br />

„Ich bin überhaupt noch nie in einem fremden Haus<br />

gewesen ohne Erlaubnis des Eigentümers“, meinte<br />

Romy. „Vielleicht machen wir uns durch unser Eindringen<br />

<strong>hier</strong> strafbar.“<br />

177


„Gewiss nicht“, widersprach Pieri. „Wir wollen doch<br />

nichts stehlen.“<br />

Frank blickte sich in dem einzigen Ra<strong>um</strong> der kleinen<br />

Hütte <strong>um</strong>. Es war ziemlich dunkel <strong>hier</strong>, aber durch <strong>die</strong><br />

off ene Tür fi el genügend Licht, <strong>um</strong> <strong>die</strong> schlichte Einrichtung<br />

erkennen zu können. „Sieht aus wie eine Blockhütte<br />

in den Wildwestfi lmen“, sagte er. „Wände aus<br />

Ba<strong>um</strong>stämmen, hölzerner Fußboden, ein altmodischer<br />

Ofen, mit Holz geheizt, selbstgezimmerte Möbel …“<br />

„Und <strong>als</strong> einziger Schmuck Fotos an den Wänden“,<br />

ergänzte Romy. „Und auf allen Fotos <strong>die</strong> beiden Kerle,<br />

<strong>die</strong> den Supermarkt überfallen haben. Mal einer allein,<br />

mal beide zusammen, mal in Gesellschaft von Freunden.“<br />

Sie deutete auf eines der Fotos.<br />

178


„Die Kerle waren <strong>als</strong>o zusammen im Gefängnis“,<br />

sagte Frank. „Sie scheinen sich wirklich wohlzufühlen,<br />

ihrem Grinsen nach zu schließen. Na ja, bald werden sie<br />

wieder dort sein.“<br />

„Das Foto wurde nicht in einer Gefängniszelle gemacht“,<br />

sagte Pieri. „Die Aufnahme entstand in Schnapslaune<br />

im Karneval.“<br />

„Woher willst du das wissen?“, fragte Romy.<br />

„Diese Gefängniskleidung“, antwortete Pieri. „Diese<br />

Querstreifen – so sehen doch nur Gefangene in Zeichentrickserien<br />

aus.“<br />

„Woher willst du wissen, was <strong>die</strong> Gefangenen heutzutage<br />

anhaben?“, fragte nun auch Frank. „Warst du<br />

schon mal im Knast?“<br />

„Nein“, antwortete Pieri. „Meines Wissen war noch<br />

niemand aus meiner Familie jem<strong>als</strong> eingesperrt. Aber<br />

seht euch doch mal das Foto genauer an! Dann wisst<br />

ihr, dass es nicht in einer Gefängniszelle entstanden<br />

ist.“<br />

Aufl ösung auf Seite 248<br />

179


180<br />

Auf heißer Spur<br />

Die Kinder hatten <strong>die</strong> Fensterläden der Blockhütte geöff<br />

net, damit mehr Licht in das Innere fi el. Jetzt begannen<br />

sie, sich genauer <strong>um</strong>zusehen.<br />

„Nicht einmal einen Kühlschrank haben sie <strong>hier</strong>“,<br />

sagte Frank. „Na ja, was sollen sie auch mit einem Kühlschrank,<br />

wenn sie keinen Strom haben.“<br />

„Es gibt <strong>hier</strong> auch keine Waff en mehr“, fügte Manuel<br />

hinzu.<br />

„Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich das<br />

Fehlen von Waff en bedauere“, meinte Romy.<br />

Lisa betrachtete <strong>die</strong> Fotos, <strong>die</strong> an der Wand hingen.<br />

„Der Besitzer der Hütte hat off enbar das gleiche<br />

Hobby wie du, Pieri“, sagte sie schließlich. „Fotografi<br />

eren.“<br />

„F<strong>als</strong>ch“, widersprach Pieri. „Mein Hobby ist Fotografi<br />

eren, seines Fotografi ertwerden. Er ist auf jedem <strong>die</strong>ser<br />

Fotos zu sehen. Off enbar ein ziemlich eingebildeter<br />

Kerl.“<br />

„Er wird sein Foto bald in der Zeitung bewundern<br />

können“, lachte Frank. „Gleich nach seiner Verhaftung.“<br />

Auch Pieri sah sich <strong>die</strong> Fotos der Reihe nach an. Vor<br />

einem Bild blieb er stehen. Es zeigte den fl üchtigen<br />

Räuber zusammen mit einem Bekannten. Die beiden<br />

saßen an einem Tisch vor einem kleinen Haus und tranken<br />

Bier aus Flaschen.


Die Kinder waren so damit beschäftigt, <strong>die</strong> Blockhütte<br />

zu durchstöbern, dass sie erschraken, <strong>als</strong> plötzlich<br />

der Schatten eines Mannes durch <strong>die</strong> off ene Haustür<br />

fi el. War der Räuber zurückgekommen?<br />

Pieri atmete erleichtert auf, <strong>als</strong> er den Mann erkannte.<br />

Es war Kommissar Hilpert. Hinter ihm folgten<br />

weitere Männer, einer in Uniform, einer in Zivil.<br />

Hilpert blickte sich missmutig <strong>um</strong>.<br />

„Nun, wo ist der fl üchtige Räuber?“, fragte er.<br />

„Abgehauen“, antwortete Frank.<br />

„Falls er überhaupt jem<strong>als</strong> da war“, murmelte der<br />

Kommissar.<br />

„Doch, er war da!“, versicherten <strong>die</strong> Kinder im Chor.<br />

„Wir haben ihn gesehen.“<br />

181


„Er machte sich davon, <strong>als</strong> wir gerade gekommen<br />

waren“, fügte Lisa hinzu.<br />

„Er hatte wohl furchtbare Angst vor euch“, spottete<br />

der Kommissar.<br />

„Bestimmt nicht“, sagte Frank. „Er hatte ein doppelläufiges<br />

Jagdgewehr bei sich.“<br />

„Sieht aus, <strong>als</strong> sei er entschlossen, sich keinesfalls<br />

wieder verhaften zu lassen“, überlegte einer der Polizisten.<br />

„Vielleicht will er sich auch mit Gewalt ein Fahrzeug<br />

verschaffen, <strong>um</strong> für immer aus <strong>die</strong>ser Gegend zu<br />

verschwinden.“<br />

„Nein“, widersprach Pieri. „Ich glaube, er hat seine<br />

Flinte nur dabei, <strong>um</strong> nicht aufzufallen.“<br />

Kommissar Hilpert lachte schallend. „Ja, wenn ich<br />

nicht auffallen will, trage ich auch immer ein Gewehr<br />

mit mir her<strong>um</strong>. Wer achtet schon auf einen Mann mit<br />

Gewehr!“<br />

„In der Stadt jeder, im Wald niemand“, antwortete Pie ri<br />

gelassen. Er ließ sich von dem Spott des Kommissars<br />

nicht beirren. „Der Mann ist schließlich Jäger. Wahrscheinlich<br />

kennen ihn viele Leute in <strong>die</strong>ser Gegend und<br />

haben ihn schon oft mit einer Jagdwaffe gesehen.“<br />

„Mag sein“, stimmte Hilpert zu. „Aber das macht ihn<br />

nicht weniger gefährlich.“<br />

„Der Mann ist ein Gauner, aber nicht gewalttätig“,<br />

sagte Pieri. „Bei dem Überfall im Supermarkt hatten<br />

er und sein Komplize nur Spielzeugwaffen dabei. Sie<br />

dachten <strong>als</strong>o nicht im Tra<strong>um</strong> daran zu schießen.“<br />

„Da haben sie ja auch noch nicht befürchtet, festgenommen<br />

zu werden“, beharrte der Kommissar. „Aber<br />

182


wir sollten keine Zeit mehr mit unnützem Gerede verschwenden,<br />

sondern uns auf <strong>die</strong> Suche nach dem Kerl<br />

machen. Da er zu Fuß ist, kann er noch nicht weit sein.“<br />

„Er ist auf dem Weg z<strong>um</strong> Bootsverleih in der Bärenschlucht“,<br />

sagte Pieri. „Dort können Sie ihn dann festnehmen.“<br />

Der Kommissar lächelte spöttisch. „Er hat dir <strong>als</strong>o erzählt,<br />

was er vorhat?“<br />

„Ja“, antwortete Pieri. „Mit <strong>die</strong>sem Bild <strong>hier</strong> an der<br />

Wand.“<br />

Kommissar Hilpert blickte auf das Bild, auf das Pieri<br />

zeigte.<br />

„Ja, der eine der beiden Männer darauf ist der Bursche,<br />

den wir suchen. Der andere wohl ein Freund von<br />

ihm. Aber das hilft uns nicht weiter. Wir wissen weder,<br />

wer der zweite Mann ist, noch, wo das Foto aufgenommen<br />

wurde.“<br />

„Doch, das wissen wir“, widersprach Pieri.<br />

Auflösung auf Seite 248/249<br />

183


184<br />

Ein Männlein<br />

steht im Walde<br />

„Ich bin wirklich neugierig, ob <strong>die</strong>ser Kommissar Hilpert<br />

es schaff t, den Räuber zu fangen“, sagte Lisa. „Er<br />

scheint mir nicht gerade der schlaueste unter allen Polizisten<br />

zu sein.“<br />

„Ich wäre gern bei der Festnahme dabei“, überlegte<br />

Frank. „So was erlebt man schließlich nicht jeden Tag.<br />

Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht noch<br />

rechtzeitig.“<br />

„Ohne mich!“, widersprach Romy. „Vielleicht kommt<br />

es doch zu einer Schießerei. Immerhin hat er ein Gewehr.“<br />

„Wir können <strong>die</strong> Festnahme wirklich der Polizei<br />

überlassen“, meinte Pieri. „Ich schlage vor, wir fahren<br />

zurück z<strong>um</strong> Lager.“<br />

„Mir gefällt es <strong>hier</strong> in <strong>die</strong>ser Blockhütte“, sagte Manuel.<br />

„Meinetwegen könnten wir noch ein paar Stunden<br />

<strong>hier</strong>bleiben.“<br />

„Dann kämen wir zu spät z<strong>um</strong> Mittagessen“, wandte<br />

Pieri ein.<br />

„Dich lockt nicht das Mittagessen, sondern <strong>die</strong> Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

in Hannes’ Kleinbus“, sagte Manuel. „Du<br />

willst dir endlich <strong>die</strong> Gitarren ansehen.“<br />

„Klar!“, nickte Pieri und grinste. „Gitarren sind mir lieber<br />

<strong>als</strong> Knarren.“


„Was sind Knarren?“, fragte Romy.<br />

„So nennen Gangster in den Filmen immer ihre<br />

Schusswaffen“, belehrte sie Manuel. „Siehst du denn<br />

nie fern?“<br />

„Doch, aber keine Gangsterfilme. Viel lieber sind mir<br />

Quizsendungen. Aber darin ist das Wort ‚Knarre‘ noch<br />

nie vorgekommen.“<br />

Die Diskussion ging noch eine Weile weiter. Frank<br />

wollte zur Bärenschlucht, Manuel wollte in der Blockhütte<br />

bleiben, und Pieri wollte z<strong>um</strong> Ferienlager zurück.<br />

Pieri blieb Sieger, weil Lisa und Romy sich seiner Meinung<br />

anschlossen.<br />

Nach kurzem Weg durch den Wald erreichten sie<br />

<strong>die</strong> Stelle, wo sie ihre Fahrräder zurückgelassen hatten.<br />

Pieri fuhr voraus. Er hatte es ungewöhnlich eilig heute,<br />

<strong>die</strong> vier anderen konnten ihm ka<strong>um</strong> folgen.<br />

185


An dem Waldweg, auf dem <strong>die</strong> beiden Räuber den<br />

Kleinbus mit dem leeren Tank zurückgelassen hatten,<br />

bog Pieri nach rechts ab. Erleichtert sah er, dass der Wagen<br />

noch da war. Zu seiner Überraschung öff nete sich<br />

<strong>die</strong> Fahrertür des Wagens, und ein Mann stieg aus.<br />

Es war nicht Hannes, der Besitzer. Pieri hatte ihn<br />

noch nie gesehen. Der Mann hielt eine Gitarre in der<br />

linken Hand.<br />

Er schien ein wenig verblüff t zu sein, <strong>als</strong> er <strong>die</strong> fünf<br />

Kinder sah, <strong>die</strong> auf ihn zukamen. Er bückte sich, legte<br />

<strong>die</strong> Gitarre schnell zurück und schlug <strong>die</strong> Tür zu.<br />

„Was seid ihr denn für eine Rasselbande?“, fragte er,<br />

<strong>als</strong> <strong>die</strong> Kinder bei ihm angekommen waren.<br />

„Wir sind <strong>die</strong>, <strong>die</strong> den Fall aufgeklärt haben“, antwortete<br />

Manuel.<br />

„Durch unsere Hinweise wird der Kerl, der <strong>die</strong>sen<br />

Wagen <strong>hier</strong> geklaut hat, gerade von der Polizei verhaftet“,<br />

fügte Romy hinzu.<br />

Pieri lehnte sein Rad an einen Ba<strong>um</strong>stamm und<br />

blickte in das Innere des Wagens. Erleichtert stellte er<br />

fest, dass <strong>die</strong> Musikinstr<strong>um</strong>ente noch da waren.<br />

„Sie sind auch von der Polizei, nicht wahr?“, fragte<br />

Manuel.<br />

Der Mann schien ein wenig verwirrt zu sein. Dann<br />

nickte er. „Ja“, bestätigte er. „Ich bin <strong>hier</strong> geblieben, <strong>um</strong><br />

zu verhindern, dass der Wagen wieder geklaut wird.“<br />

„Und Sie nehmen Fingerabdrücke am Lenkrad, am<br />

Schalthebel und sonst überall im Wagen für den Fall,<br />

dass <strong>die</strong> Diebe alles abstreiten, nicht wahr?“, fragte Manuel<br />

weiter.<br />

186


„So ist es“, nickte der Mann. „Du scheinst dich ja in<br />

der Polizeiarbeit auszukennen.“<br />

„Das kommt daher, dass ich mir im Fernsehen gelegentlich<br />

auch Krimis ansehe, und nicht <strong>die</strong>se langweiligen<br />

Quizsendungen“, sagte Manuel mit einem spöttischen<br />

Blick auf Romy.<br />

Der Mann blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr.<br />

„Solltet ihr euch nicht auf den Heimweg machen?“,<br />

fragte er. „Eure Eltern warten bestimmt schon mit dem<br />

Mittagessen.“<br />

„Aber nein“, sagte Romy. „Wie Sie wissen, sind wir<br />

<strong>hier</strong> in einem Ferienlager.“<br />

187


„Das weiß er eben nicht“, sagte Pieri. „Er ist nicht von<br />

der Polizei.“<br />

Der Mann versuchte zu grinsen. „Soll ich dir meinen<br />

Dienstausweis zeigen?“, fragte er.<br />

„Das wird schwierig sein, da Sie keinen Dienstausweis<br />

haben. Sie gehören nicht zu der Polizei, schon<br />

gar nicht zu den Leuten von Kommissar Hilpert. Sonst<br />

wüssten Sie, wer wir sind. Sie wüssten auch, dass <strong>die</strong>ser<br />

Kleinbus <strong>hier</strong> gestohlen ist und dass kein Benzin mehr<br />

im Tank ist.“<br />

„Doch, das weiß ich!“, beharrte der Mann.<br />

„Ja, seit Sie versucht haben wegzufahren. Dann<br />

haben sie beschlossen, wenigstens eines der Musikinstr<strong>um</strong>ente<br />

zu klauen. Besser eine Gitarre <strong>als</strong> gar keine<br />

Beute. Aber leider sind wir dazwischengekommen.“<br />

„Du kommst dir wohl sehr schlau vor, wie?“, sagte<br />

der Mann verärgert. „Aber du solltest wissen, dass solche<br />

Beschuldigungen nichts wert sind, wenn man<br />

keine Beweise hat.“<br />

„Die Beweise habe ich“, sagte Pieri. „Sie selbst haben<br />

sie geliefert.“<br />

188<br />

Auflösung auf Seite 249


Künstlerpech<br />

Pieri saß auf seinem Feldbett im Schlafzelt und klimperte<br />

auf der Gitarre, <strong>die</strong> ihm Herr Großmann geliehen<br />

hatte. Es war eine gute Gitarre, und es machte ihm<br />

Spaß, darauf zu spielen. Ebenso viel Spaß hätte es ihm<br />

aber gemacht, z<strong>um</strong> See zu gehen wie einige seiner<br />

Freunde und dort ein bisschen zu schwimmen.<br />

Plötzlich kam ihm eine Idee. War<strong>um</strong> sollte er nicht<br />

beides miteinander verbinden? Ein bisschen schwimmen,<br />

ein bisschen Gitarre spielen, dann vielleicht Fußball<br />

mit seinen Freunden und dann ein kleines Konzert<br />

auf der Gitarre!<br />

Entschlossen stand Pieri auf, klemmte sich <strong>die</strong> Gitarre<br />

unter den Arm und verließ das Zelt.<br />

Von dem nahen Haus, in dem Dr. Großmann seine<br />

Wohnung und seine Diensträ<strong>um</strong>e hatte, kam Gustav. Er<br />

trug eine Sporttasche.<br />

„Wohin willst du denn mit der Gitarre?“, fragte Gustav<br />

erstaunt.<br />

„Z<strong>um</strong> See“, antwortete Pieri.<br />

„Dann musst du <strong>die</strong> Gitarre leider <strong>hier</strong>lassen. Ins<br />

Wasser kannst du sie ja nicht mitnehmen. Aber während<br />

du im See schwimmst, könnte ihr allerlei zustoßen.<br />

Jemand könnte z<strong>um</strong> Beispiel beim Ballspielen darauftreten.<br />

Du hast doch sicher keine Lust, den Schaden<br />

zu bezahlen, oder?“<br />

189


Pieri schüttelte den Kopf.<br />

„Ich bringe <strong>die</strong> Gitarre ins Haus zurück“, sagte Gustav.<br />

„Dann gehe ich auch z<strong>um</strong> See. Wenn du auf mich<br />

wartest, können wir gemeinsam gehen.“<br />

Wieder schüttelte Pieri den Kopf. Im Augenblick war<br />

ihm nicht nach Gesellschaft z<strong>um</strong>ute. Er reichte Gustav<br />

<strong>die</strong> Gitarre und ging weiter.<br />

Um z<strong>um</strong> See zu kommen, musste er durch <strong>die</strong> kleine<br />

Ortschaft Bergheim. Er befand sich etwa in der Mitte<br />

der Stadt, <strong>als</strong> er in einer Seitenstraße ein kurzes wildes<br />

Hupen hörte, dann, unmittelbar darauf, das Geräusch<br />

eines hart abbremsenden Autos, dessen Räder über<br />

den Asphalt rutschten. Wieder einen Sekundenbruchteil<br />

später folgte ein d<strong>um</strong>pfer Aufschlag und sofort darauf<br />

ein Lärm, <strong>als</strong> habe ein Riese mit einem gewaltigen<br />

Hammer auf einen Haufen Blech eingeschlagen.<br />

Ein Verkehrsunfall!<br />

Pieri rannte los. Er erreichte <strong>die</strong> Querstraße und bog<br />

in sie ein. Jetzt sah er einen weißen Sportwagen, der<br />

mit seiner rechten Hälfte auf dem Gehsteig stand. Mit<br />

der vorderen Stoßstange war er gegen ein Verkehrszeichen<br />

geprallt.<br />

Pieri erkannte den Sportwagen wieder, nicht nur an<br />

dem hässlichen Kratzer an der rechten Tür. Er erkannte<br />

auch den Besitzer, der eben ausgestiegen war.<br />

Als Pieri ankam, hatten sich bereits mehrere Leute<br />

<strong>um</strong> den Wagen versammelt. Erleichtert stellten sie fest,<br />

dass off enbar niemand zu Schaden gekommen war.<br />

Der Besitzer des Wagens blickte sich suchend <strong>um</strong>.<br />

„Wo ist der Bengel?“, fragte er. Er blickte nur in ver-<br />

190


ständnislose Gesichter. „Der Bengel, der plötzlich über<br />

<strong>die</strong> Straße ging, ohne nach links und rechts zu schauen.<br />

Ich habe noch versucht zu bremsen und ihm auszuweichen,<br />

aber . . .“<br />

Jetzt entdeckte er Pieri unter den Umstehenden. Er<br />

stürzte auf ihn los und packte ihn am Kragen. „Du warst<br />

das <strong>als</strong>o! Mit dir habe ich nichts <strong>als</strong> Ärger.“<br />

Pieri verstand kein Wort. Er war doch erst gekommen,<br />

<strong>als</strong> der Unfall schon vorbei war.<br />

Der Mann zerrte Pieri näher z<strong>um</strong> Auto. Jetzt erst entdeckte<br />

Pieri <strong>die</strong> Gitarre, <strong>die</strong> auf dem Gehsteig lag, dicht<br />

neben dem Auto.<br />

„Der Bengel trug eine Gitarre!“, schimpfte der Mann<br />

aufgeregt. „Als er davonrannte, hat er sie wohl verloren.<br />

Das ist deine Gitarre, nicht wahr?“ Er hob <strong>die</strong> Gitarre<br />

auf und streckte sie Pieri anklagend entgegen.<br />

191


„Das ist nicht meine Gitarre“, rief Pieri. „Meine sieht<br />

ganz anders aus.“<br />

Durch <strong>die</strong> Zuschauer, <strong>die</strong> sich inzwischen angesammelt<br />

hatten, schob sich Wachtmeister Anders.<br />

„Du spielst doch Gitarre, nicht wahr, Pieri?“, fragte er.<br />

„Ich selbst habe dich schon gehört. Du spielst wirklich<br />

nicht schlecht.“<br />

„Und wenn er der beste Gitarrist der Welt wäre,<br />

würde das nichts daran ändern, dass er den Unfall verursacht<br />

hat“, ereiferte sich der Besitzer des Sportwagens.<br />

„Sein Vater wird für den Schaden aufkommen<br />

müssen.“<br />

„Ich war es nicht!“, beteuerte Pieri. „Und <strong>die</strong>se Gitarre<br />

<strong>hier</strong> habe ich noch nie in der Hand gehabt!“<br />

„Kannst du das denn beweisen?“, fragte Wachtmeister<br />

Anders.<br />

Natürlich konnte Pieri das nicht beweisen. Wie hätte<br />

er das auch tun sollen?<br />

„Ich kann es aber beweisen“, sagte Gustav. Er hatte<br />

eben den Unfallort erreicht und schnell begriffen, wor<strong>um</strong><br />

es ging.<br />

Alle Augen richteten sich auf Gustav.<br />

192<br />

Auflösung auf Seite 250


Die Stimme<br />

vom Himmel<br />

„Gut, dass du gerade dazugekommen bist, Gustav“,<br />

sagte Pieri. „Sogar der Wachtmeister hat geglaubt, dass<br />

ich der Junge mit der Gitarre bin, der den Unfall verursacht<br />

hat.“<br />

„Dafür schuldest du mir einen Gefallen“, sagte Gustav<br />

lächelnd. „Du musst mir jeden Tag eine halbe<br />

Stunde Gitarrenunterricht geben.“<br />

„Gern“, stimmte Pieri zu. „Aber ich bin nur noch eine<br />

Woche <strong>hier</strong> im Ferienlager. Einen Virtuosen kann ich<br />

<strong>als</strong>o in <strong>die</strong>ser Zeit nicht mehr aus dir machen. Aber vielleicht<br />

lernst du wenigstens noch ‚Hänschen klein‘ zu<br />

klimpern.“<br />

„Es wäre immerhin ein Anfang. Es gibt ein chinesisches<br />

Sprichwort: Auch <strong>die</strong> längste Reise beginnt mit<br />

einem Schritt.“<br />

Die beiden waren noch keine zwei Querstraßen von<br />

dem Unfallort weit gegangen, <strong>als</strong> Pieri plötzlich stehen<br />

blieb. Genau vor dem Schaufenster eines Musikaliengeschäfts.<br />

„Der Laden gehört Herrn Kleinschmidt“, sagte Gustav.<br />

„Er verkauft Instr<strong>um</strong>ente und repariert sie auch.<br />

Oder gibt sie an Fachleute zur Reparatur weiter.“<br />

„Der Junge mit der Gitarre . . . Vielleicht kam er von<br />

<strong>hier</strong> oder wollte <strong>hier</strong>her“, überlegte Pieri.<br />

193


„Du bist off enbar nicht der Einzige, der auf <strong>die</strong>sen<br />

Gedanken gekommen ist“, sagte Gustav. „Die Polizei<br />

hatte wohl den gleichen Einfall.“<br />

Pieri schaute zurück. Wachtmeister Anders näherte<br />

sich gerade dem Geschäft. Die Elektrogitarre vom Ort<br />

des Unfalls hatte er bereits von einem Kollegen in das<br />

Geschäft bringen lassen.<br />

Er stieß <strong>die</strong> Tür zu der Musikalienhandlung auf.<br />

Bevor <strong>die</strong> Tür hinter dem Wachtmeister wieder zufi<br />

el, zwängte sich Pieri schnell hindurch. Gustav wollte<br />

ihn aufhalten, aber er griff ins Leere. Nach kurzem<br />

Zögern folgte er Pieri und Wachtmeister Anders.<br />

Ein Mann stand hinter der Ladentheke. Er trug eine<br />

Baskenmütze und eine H<strong>als</strong>binde, <strong>die</strong>, wie Pieri fand,<br />

194


aussah wie ein Schnürsenkel. Off enbar wollte er auch<br />

äußerlich zeigen, dass er ein Künstler war.<br />

Der Mann lächelte, <strong>als</strong> er den Wachtmeister sah.<br />

„Sie interessieren sich für Musik?“<br />

„Nicht für Musik, nur für <strong>die</strong>se Gitarre.“ Er zeigte auf<br />

<strong>die</strong> Gitarre, <strong>die</strong> sein Kollege im Geschäft abgegeben<br />

hatte.<br />

Herr Kleinschmidt griff nach der Gitarre und betrachtete<br />

sie. „Schönes Stück“, sagte er. „Aber ein bisschen<br />

ramponiert. Kein schwerer Schaden, nur ein paar<br />

Lackkratzer. Das lässt sich schnell in Ordnung bringen.“<br />

„Die Kratzer da stammen von einem Unfall“, sagte<br />

Anders. „Vor ein paar Minuten. Ein Junge war darin verwickelt,<br />

etwa so groß wie der da.“ Er zeigte auf Pieri.<br />

„Ich halte es für möglich, dass der Junge gerade von Ihnen<br />

kam. Oder auf dem Weg zu Ihnen war.“<br />

„Ganz bestimmt nicht“, versicherte Herr Kleinschmidt.<br />

„Ich hatte heute den ganzen Tag nur erwachsene<br />

Kunden.“ Er hob eine silberne Querfl öte auf, <strong>die</strong><br />

vor ihm auf dem Tisch lag. „Wirklich erstaunlich, wie<br />

manche Leute mit ihren kostbaren Musikinstr<strong>um</strong>enten<br />

<strong>um</strong>gehen!“, sagte er. „Der Besitzer <strong>die</strong>ses prachtvollen<br />

Erbstücks <strong>hier</strong> hat damit nach einer Fliege geschlagen,<br />

<strong>die</strong> ihn beim Musizieren störte. Jetzt soll ich <strong>die</strong> Delle<br />

beseitigen.“<br />

„Sie haben doch einen Sohn, nicht wahr?“, fragte<br />

Wachtmeister Anders. Querfl öten, <strong>die</strong> <strong>als</strong> Fliegenklatsche<br />

benutzt werden, interessierten ihn off enbar nicht.<br />

„Ja“, nickte Herr Kleinschmidt. „Aber mein Sohn ist<br />

schon sechzehn, viel größer <strong>als</strong> <strong>die</strong>ser Junge da.“<br />

195


„Aber Sie haben doch noch einen zweiten Sohn“,<br />

sagte Pieri.<br />

Er deutete auf ein Bild an der Wand hinter dem Ladentisch.<br />

Herr Kleinschmidt war darauf abgebildet, inmitten<br />

zweier junger Burschen. Jeder von ihnen hielt<br />

eine Elektrogitarre in der Hand.<br />

Herr Kleinschmidt lachte. „Ja, das ist unser Familientrio.<br />

Ich, mein Sohn Fabian und mein Neffe Rainer. Alle<br />

beide sehr begabt.“<br />

Vom nahen Turm der Kirche schlug eine Glocke, vier<br />

Mal. Dann folgte ein weiterer Glockenschlag, viel tiefer.<br />

„Ein Uhr“, sagte Gustav. Er blickte auf seine Armbanduhr.<br />

„Der Pfarrer sollte endlich <strong>die</strong> Kirchenuhr reparieren<br />

lassen. Sie geht schon wieder fünf Minuten<br />

nach.“<br />

Verwundert blickte er hinter Pieri her, der <strong>um</strong> den<br />

Ladentisch her<strong>um</strong>gegangen war und jetzt eine Tür in<br />

der Wand dahinter aufstieß. Es war eine Werkstatt. Ein<br />

Junge saß darin, etwa so alt wie Pieri selbst. Er trug ein<br />

kurzärmeliges Hemd und war gerade damit beschäftigt,<br />

mit der linken Hand einen Verband <strong>um</strong> seinen<br />

rechten Ellbogen zu wickeln.<br />

„Ein kleiner Sturz beim Unfall, wie?“, fragte Pieri.<br />

Der Junge blickte ängstlich durch <strong>die</strong> Tür auf den<br />

Wachtmeister. „Wie haben Sie mich so schnell erwischt?“,<br />

fragte er.<br />

Wachtmeister Anders antwortete nicht. Er sah Pieri<br />

fragend an.<br />

196<br />

Auflösung auf Seitze 250


Die M<strong>um</strong>ie<br />

„Dieser Rainer tut mir leid“, sagte Pieri, <strong>als</strong> er mit Gustav<br />

weiter z<strong>um</strong> See ging. „Sein Vater wird äußerst schlechter<br />

Laune sein, wenn er hört, dass er den Schaden an<br />

dem Sportwagen bezahlen soll.“<br />

„Nun, Rainer hat durch seine Unaufmerksamkeit immerhin<br />

einen Unfall verursacht, bei dem glücklicherweise<br />

niemand ernsthaft zu Schaden kam“, wandte<br />

Gustav ein. „Und dass er danach davongelaufen ist und<br />

dadurch dich in Verdacht gebracht hat . . .“<br />

„Das war nicht seine Absicht. Er hatte es einfach mit<br />

der Angst zu tun bekommen. Ein Mensch, der Gitarre<br />

spielt, kann nicht durch und durch schlecht sein.“<br />

Gustav lachte. Sie waren inzwischen am See angekommen.<br />

Einige von Pieris Freunden aus dem Ferienlager<br />

waren <strong>hier</strong>, unter ihnen Lisa, Romy und Frank.<br />

„War<strong>um</strong> hast du deinen Hund nicht mitgenommen,<br />

Gustav?“, fragte Frank, <strong>als</strong> Gustav und Pieri eine Decke<br />

ausbreiteten. „Der könnte auf unsere Sachen aufpassen,<br />

während wir im Wasser sind.“<br />

„Hubertus ist ein Jagdhund und kein Wachhund“,<br />

antwortete Gustav. „Der würde doch viel lieber mit uns<br />

im Wasser her<strong>um</strong>toben, <strong>als</strong> allein brav <strong>hier</strong> liegen zu<br />

bleiben.“<br />

„Kannst du denn mit deiner verbundenen Hand ins<br />

Wasser gehen?“, fragte Lisa besorgt.<br />

197


Gustav lachte. „Meine Hand ist in Ordnung. Ich<br />

habe mir nur beim Grillen ein bisschen <strong>die</strong> Finger verbrannt.<br />

Musste nicht einmal z<strong>um</strong> Arzt gehen. Aber Frau<br />

Schulze, <strong>die</strong> mir den Verband angelegt hat, hat es mit<br />

ihrer mütterlichen Fürsorge übertrieben und mich eingewickelt<br />

wie eine M<strong>um</strong>ie. Ich konnte sie nur mit Mühe<br />

davon abhalten, den Verband bis rauf z<strong>um</strong> Ellbogen zu<br />

wickeln.“<br />

„Nun, Gitarre spielen kannst du jedenfalls nicht mit<br />

Brandwunden an den Fingern“, meinte Pieri.<br />

„Doch, das kann ich. Die Dinge sind nicht immer so,<br />

wie sie aussehen.“ Gustav wickelte fröhlich den Ver-<br />

198


and ab und zeigte den Kindern seine fast unverletzte<br />

Hand. „Bevor ich zurück gehe, lege ich den Verband<br />

wieder an. Frau Schulze glaubt nämlich, mir das Leben<br />

gerettet zu haben. Sie wäre gekränkt, wenn ich zeigen<br />

würde, dass ich ihren Verband nicht mehr brauche.“<br />

„Wo ist eigentlich der Bademeister?“, fragte Pieri. Er<br />

blickte hinüber zu dem kleinen turmartigen Gestell, wo<br />

er bei seinen bisherigen Besuchen am See immer einen<br />

Rettungsschwimmer gesehen hatte.<br />

„Ich nehme an, der sitzt zu Hause in seinem Fernsehsessel“,<br />

antwortete Gustav. „Er wollte sich gestern<br />

Abend im Keller ein Bier holen, rutschte auf der<br />

schlecht beleuchteten Kellertreppe aus, stürzte und<br />

brach sich ein Bein. Einen neuen Bademeister hat <strong>die</strong><br />

Stadt noch nicht gefunden.“<br />

„Weil gerade von Getränken <strong>die</strong> Rede ist . . .“, sagte<br />

Romy. „Ich gehe rüber z<strong>um</strong> Kiosk und hole mir eine<br />

Limo. Soll ich auch für euch etwas . . . Mein Geld ist weg!<br />

Das ist schon das zweite Mal, dass man mich beklaut,<br />

seit ich <strong>hier</strong> im Ferienlager bin.“<br />

Lisa hatte sich auf ihre Decke niedergekniet und<br />

wühlte in ihren Sachen. „Meine paar Cents sind noch<br />

da“, sagte sie. „Aber mein Handy ist verschwunden.“<br />

„Es sind mindestens 100 Leute <strong>hier</strong>“, meinte Frank.<br />

„Jeder von ihnen könnte der Dieb sein.“<br />

„Nein, es ist der Bademeister“, widersprach Pieri.<br />

Aufl ösung auf Seite 251<br />

199


200<br />

Die Nadel<br />

im Heuhaufen<br />

„Irgendwie ist mir <strong>die</strong>ser f<strong>als</strong>che Bademeister, der <strong>hier</strong><br />

her<strong>um</strong>läuft, bekannt vorgekommen“, sagte Gustav.<br />

„Aber ich kann mich nicht erinnern, wann und wo ich<br />

ihn schon einmal gesehen habe. Mein Gedächtnis für<br />

Gesichter ist leider miserabel.“<br />

„Wo du ihn schon einmal gesehen hast, spielt keine<br />

Rolle“, sagte Romy. „Schade ist nur, dass er jetzt nicht<br />

mehr zu sehen ist. Er ist abgehauen. Mit meinem Geld.“<br />

„Und meinem Handy!“, fügte Lisa hinzu.<br />

„Ihr seid <strong>als</strong>o auch bestohlen worden?“, fragte ein<br />

Mann, der mit seiner Frau dazukam. „Dann sind wir <strong>als</strong>o<br />

nicht <strong>die</strong> Einzigen.“ Seine Frau fügte hinzu: „Man muss<br />

<strong>die</strong> Polizei rufen!“<br />

„Sag mal, Gustav, gibt es <strong>hier</strong> in der Stadt ein Krankenhaus?“,<br />

fragte Pieri.<br />

„Wen interessiert das?“, sagte Romy verärgert. „Wichtig<br />

ist doch nur, wie wir unser Geld und <strong>die</strong> anderen gestohlenen<br />

Sachen wiederbekommen.“<br />

„Durch R<strong>um</strong>stehen, Jammern und Klagen bestimmt<br />

nicht“, sagte Pieri. Er sah Gustav fragend an.<br />

„Wir haben <strong>hier</strong> mehrere Ärzte in Bergheim, aber<br />

kein Krankenhaus“, antwortete Gustav. „Der Bademeister,<br />

er heißt übrigens Georg Müller, wurde von einem<br />

Rettungswagen aus Neustadt abgeholt, <strong>als</strong> er sich sein


Bein gebrochen hatte. Der Fahrer des Krankenwagens<br />

war ein alter Bekannter des Bademeisters. Georg arbeitet<br />

außerhalb der Badesaison ebenfalls in seinem<br />

Hauptberuf <strong>als</strong> Sanitäter.“<br />

Pieri sah hinüber z<strong>um</strong> Parkplatz.<br />

„Es ist kein Wagen weggefahren seit unserer Ankunft“,<br />

überlegte er. „Der <strong>als</strong> Bademeister verkleidete<br />

Dieb ist <strong>als</strong>o zu Fuß gefl ohen. Wahrscheinlich nach<br />

Bergheim. Vielleicht erwischen wir ihn dort.“<br />

„Blödsinn!“, sagte Romy. „Der trägt bestimmt nicht<br />

mehr sein Hemd mit der Aufschrift ‚Bademeister‘. Wenn<br />

ihr in der Stadt r<strong>um</strong>laufen und ihn suchen wollt wie <strong>die</strong><br />

sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, meinetwegen.<br />

Ich bleibe <strong>hier</strong>.“<br />

201


„Ich komme mit“, sagte Lisa.<br />

Wenige Minuten später waren Gustav, Lisa und Pieri<br />

in der Stadt. Gustav und Lisa hielten Ausschau nach einem<br />

kräftig aussehenden jungen Mann, in der Hoffnung,<br />

in ihm den f<strong>als</strong>chen Bademeister wiederzusehen.<br />

Dem Krankenwagen, der am Straßenrand stand,<br />

schenkten sie keine Beachtung.<br />

„Ich fürchte, es hat wirklich wenig Sinn, den f<strong>als</strong>chen<br />

Bademeister <strong>hier</strong> in der Stadt zu suchen“, meinte Gustav<br />

enttäuscht. „Bei meinem schlechten Gedächtnis für<br />

Gesichter würde ich ihn wahrscheinlich sowieso nicht<br />

wiedererkennen.“<br />

„Ich habe auf den Mann überhaupt nicht geachtet“,<br />

gestand Lisa. „Außerdem ist er doch längst über alle<br />

Berge.“<br />

„Das glaube ich nicht“, widersprach Pieri. „Ich<br />

schätze, er sitzt in <strong>die</strong>ser Gaststätte da drüben und feiert<br />

seinen erfolgreichen Beutezug mit einem ausgiebigen<br />

Mittagessen. Wir brauchen nur zu warten, bis er<br />

herauskommt und sich in <strong>die</strong>sen Krankenwagen <strong>hier</strong><br />

setzt. Er ist der Fahrer <strong>die</strong>ses Wagens.“<br />

„Wie kommst du darauf?“, fragte Gustav.<br />

202<br />

Auflösung auf Seite 251/252


Wer ruft sich schon<br />

selbst an?<br />

Gustav betrachtete nachdenklich den Krankenwagen,<br />

neben dem er, Lisa und Pieri standen.<br />

„Ja, ich glaube, das ist der Wagen, der Georg Müller<br />

gestern Abend ins Krankenhaus nach Neustadt gebracht<br />

hat. Aber das ist kein Beweis, dass der Fahrer<br />

<strong>die</strong>ses Wagens wirklich der Bursche ist, der, verkleidet<br />

<strong>als</strong> Bademeister, <strong>die</strong> Leute am See bestohlen hat. Wenn<br />

er es wäre, wäre er doch bestimmt nicht so dreist, <strong>hier</strong>zubleiben.“<br />

„Sanitäter sind weiß gekleidet“, beharrte Pieri. „Der<br />

f<strong>als</strong>che Bademeister ist es auch. Sein Hemd mit der Aufschrift<br />

‚Bademeister‘ . . . Vielleicht ist es echt. Auf jeden<br />

Fall lässt sich eine solche Aufschrift leicht herstellen.<br />

Mit meinem Computer und einem geeigneten Drucker<br />

könnte ich das auch. Und war<strong>um</strong> sollte er abhauen?<br />

Nichts wirkt so ehrbar und harmlos wie ein Krankenwagen.“<br />

„Da kommt Wachtmeister Anders“, sagte Lisa. „Dem<br />

kannst du ja deine Theorie vortragen.“<br />

Der Wachtmeister erwiderte ka<strong>um</strong> den Gruß der<br />

jungen Leute. „Ich muss z<strong>um</strong> See“, sagte er. „Dort treibt<br />

sich ein Dieb her<strong>um</strong>.“<br />

„Nein, der ist jetzt in der Stadt“, widersprach Pieri.<br />

„Es ist der Fahrer <strong>die</strong>ses Krankenwagens.“<br />

203


„Wie kommst du darauf?“, wunderte sich der Wachtmeister.<br />

Pieri brauchte nicht zu antworten. Aus der Gaststätte<br />

auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam<br />

ein weiß gekleideter jüngerer Mann.<br />

Der Mann grinste. „Wer von euch ist der Patient, den<br />

ich ins Krankenhaus fahren soll?“, fragte er.<br />

„Wenn es nach <strong>die</strong>sem jungen Mann <strong>hier</strong> geht, wären<br />

Sie im Gefängnis besser aufgehoben“, antwortete<br />

Wachtmeister Anders und deutete auf Pieri. „Er beschuldigt<br />

Sie, am See etliche Badegäste bestohlen zu<br />

haben.“<br />

204


„Mich z<strong>um</strong> Beispiel“, fügte Lisa hinzu.<br />

„Blödsinn! Ich weiß gar nicht, wo <strong>die</strong>ser See ist.<br />

Ich wohne in Neustadt und komme nur gelegentlich<br />

<strong>die</strong>nstlich <strong>hier</strong>her nach Bergheim.“<br />

Pieri wandte sich an Gustav.<br />

„Ist das der Mann, der gestern Abend Georg Müller<br />

ins Krankenhaus nach Neustadt gefahren hat?“<br />

Gustav hob <strong>die</strong> Schultern.<br />

„Keine Ahnung. Ich sagte doch schon, mein Gedächtnis<br />

für Gesichter ist miserabel.“<br />

„Meines nicht“, sagte der Krankenwagenfahrer. „Ich<br />

erinnere mich, Sie gestern Abend gesehen zu haben.<br />

Aber was hat Georgs Unfall mit den Diebstählen am<br />

See zu tun?“<br />

„Der Dieb gibt sich <strong>als</strong> Bademeister aus“, antwortete<br />

Lisa. „Das kann er aber nur wagen, wenn er sicher weiß,<br />

dass der richtige Bademeister ihm nicht in <strong>die</strong> Quere<br />

kommen kann. Weil er nämlich mit einem gebrochenen<br />

Bein bestimmt nicht am See auftaucht.“<br />

„Klingt logisch“, nickte der Krankenwagenfahrer.<br />

„Aber es beweist absolut nichts gegen mich.“<br />

„Sie sollten den Krankenwagen durchsuchen, Herr<br />

Wachtmeister“ schlug Pieri vor. „Wahrscheinlich liegt<br />

<strong>die</strong> Tasche mit der Beute darin.“<br />

„Zu einer solchen Durchsuchung haben Sie kein<br />

Recht, Wachtmeister!“, protestierte der Sanitäter. „Sie<br />

können nicht auf <strong>die</strong> bloße Beschuldigung <strong>die</strong>ses Bengels<br />

<strong>hier</strong> . . .“<br />

„Hast du dein Handy dabei, Gustav?“, fragte Lisa<br />

plötzlich.<br />

205


„Klar“, antwortete Gustav. „Das habe ich doch immer<br />

dabei.“<br />

„Würdest du es mir kurz leihen?“<br />

„War<strong>um</strong>?“, fragte Gustav verdutzt.<br />

„Weil ich telefonieren muss.“<br />

„Wen willst du denn jetzt anrufen?“, wunderte sich<br />

Gustav.<br />

„Mich selbst!“, grinste Lisa. „Ich will beweisen, dass<br />

Pieri recht hat. Dieser Mann ist der Dieb.“<br />

Lisa griff nach dem Mobiltelefon, das Gustav ihr<br />

reichte. Schnell tippte sie eine N<strong>um</strong>mer ein. Zu ihrem<br />

Erstaunen hörte sie dann eine leise Melo<strong>die</strong> ganz in ihrer<br />

Nähe. Die Melo<strong>die</strong>, mit der ihr Handy sich immer<br />

meldete.<br />

Verwundert blickte sie sich <strong>um</strong>. Die Melo<strong>die</strong> konnte<br />

nur aus dem Krankenwagen kommen, neben dem sie<br />

standen.<br />

Lisa blickte durch das Fenster hinein. Jetzt sah sie<br />

<strong>die</strong> vollgestopfte Sporttasche auf dem Beifahrersitz.<br />

In <strong>die</strong>ser Tasche musste auch ihr Handy stecken. Das<br />

Handy, das man ihr am See gestohlen hatte.<br />

„Woher habt ihr das gewusst?“, fragte Gustav.<br />

206<br />

Auflösung auf Seite 252


Der Schla<strong>um</strong>eier<br />

Der f<strong>als</strong>che Bademeister leistete keinen Widerstand, <strong>als</strong><br />

Wachtmeister Anders ihn festnahm. Er trottete wie ein<br />

armer Sünder neben dem Polizisten her, <strong>als</strong> <strong>die</strong>ser ihn<br />

z<strong>um</strong> Revier brachte.<br />

Lisa war enttäuscht darüber, dass sie ihr Handy nicht<br />

sofort zurückbekommen hatte. Wachtmeister Anders<br />

hatte ihr gesagt, dass <strong>die</strong> Polizei das Telefon und <strong>die</strong><br />

anderen gestohlenen Gegenstände vorerst <strong>als</strong> Beweismittel<br />

beschlagnahmen müsse.<br />

„Gehen wir z<strong>um</strong> See zurück!“, sagte sie. „Romy wird<br />

sich freuen zu hören, dass sie ihr Geld bald zurückbekommen<br />

wird.“<br />

Sie waren ka<strong>um</strong> in <strong>die</strong> nächste Querstraße eingebogen,<br />

<strong>als</strong> Pieri an einer Straßenbaustelle stehen blieb.<br />

„Ist das nicht der Wagen des Heinis, der so gern<br />

durch Pfützen fährt und <strong>die</strong> Fußgänger nass spritzt?“,<br />

fragte Pieri.<br />

„Ja“, nickte Lisa. „Wer ist der Mann eigentlich?“<br />

„Er lebt erst seit ein paar Wochen <strong>hier</strong> in der Stadt“,<br />

antwortete Gustav. „Niemand kennt ihn näher, und<br />

niemand will ihn näher kennenlernen. In der kurzen<br />

Zeit hat er es geschaff t, sich unbeliebt zu machen. Er ist<br />

eingebildet und rücksichtslos.“<br />

„Die Schäden an seinem Wagen hat er inzwischen<br />

beseitigen lassen“, meinte Pieri.<br />

207


„Ich hätte gute Lust, weitere Schäden an <strong>die</strong>ser<br />

Karre zu verursachen“, sagte ein Mann in Arbeitskleidung,<br />

der auf dem Gehsteig stand und eine Schaufel in<br />

der Hand hielt. „Eine Unverschämtheit, seinen Wagen<br />

in einer Baustelle zu parken! Das Verbotsschild ist doch<br />

deutlich genug zu sehen!“<br />

Der Fahrer des Wagens trat eben aus der Tür des<br />

Hauses, vor dem der Wagen stand. Er hatte <strong>die</strong> Worte<br />

des Arbeiters noch gehört.<br />

„Richtig!“, grinste er. „Das Verbotsschild ist deutlich<br />

zu sehen. Wenn Sie Augen im Kopf hätten, würden Sie<br />

auch sehen, dass es hinter meinem Wagen steht. Ich<br />

habe den Wagen <strong>als</strong>o außerhalb der verbotenen Zone<br />

geparkt.“<br />

208


„Weil Sie das Schild ein paar Meter versetzt haben!“,<br />

empörte sich der Mann.<br />

„Blödsinn! Es stand schon <strong>hier</strong>, <strong>als</strong> ich gestern Abend<br />

kam und den Wagen abstellte.“<br />

„Das kann nicht stimmen“, widersprach Pieri. „Sie<br />

haben rückwärts geparkt und sind dabei zur Hälfte auf<br />

<strong>die</strong> Baustelle geraten, sind dann hinten <strong>um</strong> den Wagen<br />

her<strong>um</strong>gegangen, haben das Parkverbotsschild genommen<br />

und es ein paar Meter zurückgestellt.“<br />

Der Besitzer des Sportwagens lächelte siegesgewiss.<br />

„Du schilderst den Vorfall so genau, <strong>als</strong> hättest du<br />

ihn mit eigenen Augen gesehen“, spottete er.<br />

„Ich kann es immer noch sehen“, sagte Pieri.<br />

Aufl ösung auf Seite 253<br />

209


210<br />

Till Eulenspiegel<br />

„Diese Eis<strong>die</strong>le werde ich vermissen, wenn ich wieder<br />

zu Hause bin“, sagte Romy. „Bei uns gibt es keine solche<br />

Auswahl an Köstlichkeiten wie <strong>hier</strong>.“<br />

„Dann schlag dir den Bauch voll!“, riet Pieri. „Morgen<br />

fahren wir alle wieder heim.“<br />

Er sah zu der Tür hinüber, in der eine seltsame Gestalt<br />

erschien.


„Hallo Till!“, begrüßte der Besitzer der Eis<strong>die</strong>le den<br />

Gast.<br />

„Ich heiße nicht Till“, antwortete der andere. „Ich<br />

heiße Bernhard. Oder Benedikt. Oder so ähnlich. Ich<br />

weiß nicht mehr. Übrigens, weißt du, wie zwei Irrenärzte<br />

einander grüßen?“<br />

„Nein. Wie?“<br />

„Sie sagen: ‚Ihnen geht’s gut. Wie geht’s mir?‘“<br />

Jetzt entdeckte der sonderbare Kauz <strong>die</strong> beiden<br />

Mädchen und den Jungen und kam zu ihnen herüber.<br />

„Hübsche Mädchen!“, sagte er. „Und eine von ihnen<br />

ist auch noch reich. An <strong>die</strong> solltest du dich halten, mein<br />

Junge. Wie mein Vater immer sagte: Was man sich erheiratet,<br />

braucht man sich nicht zu erarbeiten.“<br />

Er blickte Lisa verzückt an.<br />

„Ich bin nicht reich“, sagte Lisa. „Meine Mutter hat<br />

nur einen kleinen Laden, und der bringt kein Vermögen<br />

ein.“<br />

„Du bist viel reicher, <strong>als</strong> du denkst“, sagte Till. Er<br />

streckte <strong>die</strong> rechte Hand aus, <strong>als</strong> wolle er Lisa am Ohr<br />

fassen. Als er <strong>die</strong> Hand wieder zurückzog und öff nete,<br />

hielt er eine große, golden schimmernde Münze darin.<br />

„Ich glaube, hinter dem anderen Ohr ist auch noch ein<br />

Goldtaler“, sagte er. Diesmal griff er mit der linken Hand<br />

zu, und wieder schien er aus Lisas Ohr eine goldene<br />

Münze zu ziehen.<br />

Er zeigte Lisa, Pieri und Romy <strong>die</strong> Münzen. Dann öff -<br />

nete er den Mund und steckte eine von ihnen hinein.<br />

Er biss ein paarmal darauf her<strong>um</strong>, verzog verzückt sein<br />

Gesicht, schluckte heftig, griff dann mit zwei Fingern<br />

211


in seinen Mund und zog ein zerkautes Stück golden<br />

schimmerndes Papier heraus.<br />

„Diese Taler schmecken köstlich“, sagte er. „Nur <strong>die</strong><br />

äußere Schicht ist schwer verdaulich.“<br />

Er reichte Lisa den zweiten Taler. Lisa begriff, dass<br />

das Innere der Münze aus Schokolade bestand.<br />

„Es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben,<br />

meine Damen“, sagte Till. Er verbeugte sich vor<br />

Lisa und Romy und ging, ohne irgendetwas bestellt<br />

zu haben. An der Tür blieb er noch einmal stehen und<br />

drehte sich <strong>um</strong>. „Ich darf meinen Schirm nicht vergessen“,<br />

murmelte er.<br />

Er ging ein paar Schritte zu dem Schirmständer an<br />

der Garderobe, nahm einen Schirm heraus, spannte ihn<br />

auf und ging endgültig. Die beiden älteren Damen, <strong>die</strong><br />

an der Tür saßen und sich eifrig miteinander unterhielten,<br />

gönnten ihm keinen Blick.<br />

„Komischer Vogel!“, meinte Pieri.<br />

212


„Till ist nicht ganz richtig da oben“, sagte der Besitzer<br />

der Eis<strong>die</strong>le und tippte sich an <strong>die</strong> Stirn. „Er stammt<br />

vom Lindenhof, einem Bauernhof ganz in der Nähe des<br />

Ferienlagers. Manche meinen, dass er eigentlich in eine<br />

Anstalt gehört, weil er gern anderen Leuten Streiche<br />

spielt, wie Till Eulenspiegel. Aber er ist ganz harmlos.“<br />

Die beiden älteren Damen bei der Tür hatten ihr Gespräch<br />

beendet und standen auf.<br />

„Jetzt kommt‘s gleich!“, flüsterte Pieri den beiden<br />

Mädchen zu.<br />

„Was kommt gleich?“, fragte Romy.<br />

„Der entsetzte Schrei: ,Mein Schirm ist weg‘!“<br />

Pieri hatte den Satz ka<strong>um</strong> beendet, <strong>als</strong> eine der<br />

beiden Damen einen schrillen Schrei ausstieß: „Mein<br />

Schirm ist weg! Dieser Verrückte hat ihn gestohlen!“<br />

„Ich stehle nie!“, sagte Till, der eben wieder <strong>die</strong> Tür<br />

öffnete und eintrat. „Ich bin nur manchmal ein bisschen<br />

geistesabwesend.“ Er reichte der Dame ihren<br />

Schirm zurück, verneigte sich höflich vor ihr und ging<br />

endgültig.<br />

„Woher hast du gewusst, was gleich geschehen<br />

würde, Pieri?“, fragte Romy.<br />

Auflösung auf Seite 253/254<br />

213


214<br />

Wie klaut man einen<br />

Elefanten?<br />

„Wie <strong>die</strong> Zeit vergeht!“, sagte Romy beim Frühstück.<br />

„Heute ist schon unser letzter Tag im Ferienlager.“<br />

„Der letzte war gestern“, widersprach Frank. „Denn<br />

heute bleiben wir ja nicht den ganzen Tag <strong>hier</strong>. Ich z<strong>um</strong><br />

Beispiel fahre schon am Vormittag nach Hause.“<br />

„Dann ist <strong>als</strong>o morgen dein erster Tag, an dem du<br />

wieder zu Hause bist“, beharrte Romy. „Also ist heute<br />

dein letzter Tag <strong>hier</strong>.“<br />

Frank schüttelte heftig den Kopf. „Nicht einmal mein<br />

letzter halber Tag. Mein letzter ganzer Tag <strong>hier</strong> war ja<br />

schon gestern.“<br />

„Das ist doch genau wie mit dem Zirkus“, sagte<br />

Romy. „Der hatte gestern seine letzte Vorstellung,<br />

heute bricht er seine Zelte ab, und morgen ist er nicht<br />

mehr <strong>hier</strong>. Also ist heute sein letzter Tag <strong>hier</strong> in Bergheim,<br />

oder etwa nicht?“<br />

„Von eurer hochinteressanten Diskussion bekomme<br />

ich Kopfweh“, klagte Lisa. „Ich habe sowieso schon<br />

schlecht geschlafen in der vergangenen Nacht. Die<br />

Leute vom Zirkus haben schon in der Nacht angefangen,<br />

ihre Zelte abzubauen, und heute in aller Herrgottsfrühe<br />

haben sie . . .“<br />

„Ich will euch nicht erschrecken“, unterbrach Gustav<br />

sie. Er war eben an den Tisch getreten. „Der Elefant


ist abgehauen. Rani. Er ist gutmütig, aber wenn er erschrickt,<br />

könnte er leicht . . .“<br />

„Nicht er, sondern sie“, korrigierte Frank. „Rani ist ein<br />

Weibchen.“<br />

„Und er . . . nein, sie ist riesengroß“, erzählte Gustav<br />

weiter. „Also haltet euch lieber fern, wenn ihr ihn . . . sie<br />

zu sehen bekommt.“<br />

Pieri vergaß auf der Stelle sein Frühstück. Er sprang<br />

auf und rannte z<strong>um</strong> Eingang des Zeltes.<br />

Frank grinste. „Er hält sich schon fern, bevor er Rani<br />

zu sehen bekommt.“<br />

„Du kennst Pieri schlecht“, widersprach Lisa. „Er läuft<br />

nicht davon, sondern macht sich auf <strong>die</strong> Suche nach<br />

dem Elefanten.“<br />

„Nach der Elefantin!“, korrigierte Frank.<br />

Lisa hörte ihm schon nicht mehr zu. Auch sie stand<br />

auf und ging weg.<br />

Die Elefanten waren nachts in einem Zelt untergebracht,<br />

ein gutes Stück von den Raubtieren entfernt.<br />

Sie waren mit einem Bein an eine dicke Kette gefesselt,<br />

deren Ende an einem mächtigen, tief in den Boden gerammten<br />

Pflock befestigt war. Fünf der sechs Elefanten<br />

waren noch da, nur Rani, das größte Tier, fehlte.<br />

Zirkusdirektor Rossini blickte ungläubig auf Ranis<br />

leere Fußfessel.<br />

„Du hast <strong>als</strong>o wieder einmal vergessen, sie anzubinden“,<br />

sagte er zu dem Elefantenwärter.<br />

„Bestimmt nicht!“, verteidigte sich <strong>die</strong>ser. „Das ist<br />

mir nur einmal in meinem Leben passiert. Meiner Gewohnheit<br />

gemäß habe ich auch heute früh, kurz vor Ta-<br />

215


gesanbruch, <strong>hier</strong> nach dem Rechten gesehen. Rani war<br />

noch <strong>hier</strong>, und sie war angebunden.“<br />

„Die Fessel ist nicht entzweigebrochen“, überlegte<br />

Direktor Rossini. „Also hat jemand Rani losgebunden.<br />

Aber wer klaut schon einen Elefanten? Und den Leuten<br />

<strong>hier</strong> vom Zirkus traue ich eine solche Tat auch nicht zu.“<br />

„Rani ist jedenfalls nicht in der Stadt“, meinte Roberto.<br />

„Dort wäre sie längst aufgefallen, und man hätte<br />

uns informiert. Wenn sie auf freiem Feld ist, wird man<br />

sie auch bald entdecken. Wahrscheinlich ist sie im<br />

Wald. Dort müssen wir sie suchen.“<br />

„Nein, sie ist auf dem Lindenhof“, mischte sich Pieri<br />

in das Gespräch ein. „Das ist ein ehemaliger Bauernhof,<br />

216


gar nicht weit von <strong>hier</strong>. Dort lebt ein sonderbarer Bursche<br />

namens Bernhard oder Benedikt oder so ähnlich.<br />

Er spielt gern anderen Leuten einen Streich. Deshalb<br />

nennt man ihn in Bergheim Till Eulenspiegel.“<br />

Direktor Rossini schüttelte den Kopf. „Niemand traut<br />

sich so nahe an einen Elefanten heran. Jedenfalls nicht,<br />

wenn der Wärter nicht dabei ist.“<br />

„Dieser Till Eulenspiegel ist auf einem Bauernhof<br />

aufgewachsen“, sagte Pieri. „Der hat doch keine Angst<br />

vor Tieren. Ich bin ganz sicher, dass ihr Rani auf seinem<br />

Hof fi ndet.“<br />

„Also gut!“, sagte Herr Rossini. „Auf z<strong>um</strong> Lindenhof!“<br />

„Wie kommst du darauf, dass es Till war, der den Elefanten<br />

geklaut hat?“, fragte Lisa, <strong>als</strong> <strong>die</strong> Zirkusleute gegangen<br />

waren.<br />

„Er hat es uns doch selbst gesagt“, antwortete Pieri.<br />

Aufl ösung auf Seite 254<br />

217


218<br />

Mich laust der Affe!<br />

Pieri hasste Abschiedsszenen, und es gab eine Menge<br />

Abschiedsszenen auf dem Bahnhof. Etliche der Kinder<br />

und Jugendlichen aus dem Ferienlager fuhren heute<br />

nach Hause und hatten sich deshalb auf dem Bahnhof<br />

versammelt.<br />

Lisa und ihre Freundin Romy lagen sich in den Armen<br />

und versprachen, sich oft anzurufen und zu schreiben<br />

und sich bald wiederzusehen. Pieri hatte den Eindruck,<br />

dass <strong>die</strong> beiden weinten.<br />

Er selbst hatte sich erst vor einer Viertelstunde von<br />

Frank verabschiedet, der mit einem anderen Zug gefahren<br />

war. Frank hatte nur gesagt: „Mach‘s gut!“, und<br />

Pieri hatte geantwortet: „Hau endlich ab!“ Beide waren<br />

der Meinung gewesen, dass das genug Zeremoniell für<br />

einen Abschied war.<br />

Auf einem anderen Bahnsteig wurden eben <strong>die</strong><br />

Tiere des Zirkus Rossini verladen. Pieri hatte noch genug<br />

Zeit, sich das anzusehen. Deshalb überquerte er<br />

auf einer Brücke <strong>die</strong> Bahngleise. Niemand kümmerte<br />

sich <strong>um</strong> ihn, alle Leute vom Zirkus waren vollauf mit ihrer<br />

Arbeit beschäftigt. Der Einzige außer Pieri, der nur<br />

her<strong>um</strong>stand und zusah, war Wachtmeister Anders.<br />

Pieri schaltete seinen Fotoapparat ein, <strong>um</strong> ein paar<br />

Aufnahmen zu machen. „Du solltest nicht nur <strong>die</strong> blöden<br />

Viecher und den noch blöderen Wachtmeister fo-


tografieren, sondern auch mich“, sagte eine Stimme<br />

hinter ihm.<br />

Er drehte sich <strong>um</strong>. Es war Till, der Mann, der nicht<br />

mehr so genau wusste, ob er Bernhard oder Benedikt<br />

oder sonst irgendwie hieß.<br />

„War<strong>um</strong> haben Sie den nicht eingesperrt?“, fragte<br />

Pieri den Wachtmeister.<br />

„Weil niemand Anzeige erstattet hat“, antwortete<br />

der Polizist. „Herr Rossini war glücklich, seinen Elefanten<br />

wiederzuhaben, und er lobte, dass Till sich vorzüglich<br />

<strong>um</strong> den Dickhäuter gekümmert hat. Er hat ihm<br />

auch eine Menge zu fressen gegeben, ganze Brotlaibe<br />

und zahlreiche Äpfel.“<br />

„Ein paar Äpfel für Rani habe ich mitgebracht“, sagte<br />

Till. „Meine dicke Freundin isst sie sehr gern.“<br />

Pieri und <strong>die</strong> beiden Männer standen vor einem Güterwagen,<br />

dessen Tor weit geöffnet war. Rani stand in<br />

<strong>die</strong>sem Tor und neben ihr ihr Wärter. Sie streckte den<br />

Rüssel aus, griff sich den Apfel, den Till ihr reichte, und<br />

schob ihn sich in den Mund. Pieri fotografierte <strong>die</strong><br />

Szene.<br />

„Möchtest du ihr auch gern ein paar Äpfel geben?“,<br />

fragte Till.<br />

„Ich möchte schon“, sagte Pieri, „aber . . .“ Er blickte<br />

besorgt zu dem riesigen Elefanten hoch.<br />

„Keine Angst!“, beruhigte ihn Till. „Elefanten fressen<br />

keine Menschen, aber Äpfel mögen sie.“<br />

Er reichte Till ein paar Äpfel aus der Einkaufstüte, <strong>die</strong><br />

er bei sich hatte. Pieri wusste nicht, wie er all <strong>die</strong>se Äpfel<br />

und dazu seine Kamera in den Händen halten sollte.<br />

219


„Gib mir <strong>die</strong> Kamera!“, sagte Wachtmeister Anders.<br />

„Ich passe schon auf sie auf.“<br />

Pieri reichte ihm <strong>die</strong> Kamera. Dann streckte er, immer<br />

noch ein wenig zögernd, den Arm aus, <strong>um</strong> Rani<br />

einen Apfel zu reichen. Rani griff geschickt mit ihrem<br />

Rüssel nach dem Obst. Pieri hatte das Gefühl, dass sie<br />

ihn anlächelte, <strong>als</strong> sie den Apfel in ihrem Maul verschwinden<br />

ließ.<br />

Beim zweiten Apfel hatte Pieri keine Angst mehr<br />

und traute sich bereits näher an den Elefanten heran.<br />

Nach wenigen Sekunden hatte Rani alle Äpfel geschluckt,<br />

<strong>die</strong> Pieri von Till bekommen hatte.<br />

„Mehr habe ich leider nicht“, sagte Pieri und streichelte<br />

das riesige Tier vorsichtig am Rüssel. Dann drehte<br />

er sich wieder zu den anderen <strong>um</strong>. Wachtmeister Anders<br />

gab ihm lächelnd seine Kamera zurück. Nur Till<br />

grinste so sonderbar. Aber das hatte nicht viel zu bedeuten,<br />

er grinste fast immer.<br />

Schon eine halbe Stunde später saßen Pieri und Lisa<br />

im Zug, der eben losfuhr. Lisa blickte durch das Fenster<br />

auf <strong>die</strong> kleine Stadt Bergheim zurück, solange sie sie<br />

sehen konnte. Pieri allerdings war viel mehr an den Fotos<br />

interessiert, <strong>die</strong> er im Ferienlager und zuletzt auch<br />

auf dem Bahnhof gemacht hatte. Er schaltete <strong>die</strong> Kamera<br />

ein und drückte auf den Wiedergabeknopf.<br />

„Mich laust der Aff e!“, entfuhr es ihm.<br />

„Dieses Foto habe ich überhaupt nicht gemacht!“,<br />

sagte Pieri. „Und außer Wachtmeister Anders und Till<br />

war niemand da. Nur der Elefantenwärter, aber der<br />

stand hinter mir neben Rani in der Tür des Eisenbahn-<br />

220


wagens. Alle anderen Leute auf dem Bahnsteig waren<br />

weit weg.“<br />

„Lass mal sehen!“, sagte Lisa. Auch sie betrachtete<br />

das Bild. „Du hast Roberto vergessen“, der im Aff enkostüm<br />

steckt“, sagte sie.<br />

„Den hatte ich überhaupt nicht gesehen. Na ja, <strong>als</strong><br />

Artist versteht er es, sich geräuschlos zu bewegen.<br />

Aber wer hat ihn fotografi ert?“<br />

Aufl ösung auf Seite 255<br />

221


222<br />

Auflösungen<br />

Aufl ösung zu<br />

Schach dem Dieb<br />

„Ich weiß immerhin, dass bei einem Schachbrett das<br />

Feld rechts unten, von jedem Spieler aus gesehen, weiß<br />

ist“, erklärte Pieri. „Diese Herren <strong>hier</strong> wissen es nicht. Ihr<br />

Brett liegt quer, <strong>die</strong> rechten unteren Eckfelder sind bei<br />

ihnen schwarz. Die beiden Männer haben <strong>als</strong>o keine<br />

blasse Ahnung vom Schachspiel.“<br />

„Tatsächlich!“, stimmte der Schaff ner mit einem Blick<br />

auf das Schachbrett zu. Er zog ein Mobiltelefon aus der<br />

Tasche. Während er eine N<strong>um</strong>mer eintippte, sagte er:<br />

„Am nächsten Bahnhof werden Sie abgeholt werden,<br />

meine Herren. Von der Polizei .“


Aufl ösung zu<br />

Ein komischer Kauz<br />

„Wenn Sie wieder mal in aller Ruhe und ungestört Mittagspause<br />

machen wollen, sollten Sie in Ihrem Kleinbus<br />

das Schild mit der Aufschrift „FERIENLAGER“ so<br />

zudecken, dass man es überhaupt nicht mehr lesen<br />

kann“, antwortete Lisa. „Wenn <strong>die</strong> untere Hälfte zu sehen<br />

ist, genügt das, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Schrift zu entziff ern.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Bande des Schreckens<br />

„Ich soll das getan haben?“, wunderte sich der Mann.<br />

„Ich war doch gar nicht in der Nähe!“<br />

„Natürlich waren Sie das!“, beharrte Lisa. Sie streckte<br />

plötzlich den Arm aus, griff in <strong>die</strong> Jackentasche des<br />

Mannes und zog <strong>die</strong> Armbinde heraus, <strong>die</strong> hastig<br />

dort hineingestopft und noch zur Hälfte sichtbar war.<br />

Ein gelbes Armband mit drei schwarzen Punkten darauf.<br />

„Sie sind der angebliche Blinde! Ihre dunkle Brille<br />

223


steckt da in Ihrer Brusttasche. Und Ihren Stock, mit dessen<br />

Spitze Sie den Reifen unseres Autos durchstochen<br />

haben, fi nden wir sicher in der Gasse, in der Sie vorhin<br />

verschwunden sind.“<br />

„Stimmt!“, grinste der Mann. „Aber mich werdet ihr<br />

nie fi nden!“<br />

Er drehte sich <strong>um</strong> und rannte davon. So schnell, dass<br />

weder Hannes noch <strong>die</strong> Kinder ihm folgen konnten.<br />

224<br />

Aufl ösung zu<br />

Wer ist <strong>hier</strong> der Chef?<br />

„Das soll der Leiter des Ferienlagers sein?“, wunderte<br />

sich Pieri. „Ich kenne keinen Mann mit Doktortitel, der<br />

in Jeans her<strong>um</strong>läuft.“<br />

„Du solltest dir das Foto <strong>hier</strong> auf dem Schreibtisch<br />

genauer ansehen“, sagte Lisa lächelnd. Sie hob es auf<br />

und hielt es Pieri unter <strong>die</strong> Nase.<br />

„Ja, jetzt erkenne ich es auch“, stimmte Pieri zu. „Die<br />

unbändigen Haare des Jungen, <strong>die</strong> Sommersprossen,<br />

<strong>die</strong> Brille . . . Das ist unzweifelhaft der Sohn von Dr.<br />

Großmann. Dem Mann in den Jeans da draußen.“


Aufl ösung zu<br />

Die Diebin<br />

„Frau Schulze arbeitet seit mehr <strong>als</strong> zehn Jahren für Sie,<br />

Herr Großmann“, antwortete Lisa. „Nie hat sie gestohlen<br />

oder betrogen. Wegen lächerlicher 50 Euro würde<br />

sie ihren Arbeitsplatz nie aufs Spiel setzen. Da sie außer<br />

Ihnen der einzige Mensch ist, der weiß, dass in <strong>die</strong>ser<br />

Schublade immer etwas Geld ist, würde der Verdacht ja<br />

sofort auf sie fallen. Sie müsste wirklich d<strong>um</strong>m wie <strong>die</strong><br />

Nacht sein, <strong>um</strong> so etwas zu tun. Und d<strong>um</strong>m kam sie mir<br />

wirklich nicht vor.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Erwischt<br />

Lisa griff in ihre Handtasche und holte einen Taschenspiegel<br />

heraus, den sie Pieri vor das Gesicht hielt.<br />

„Sieh in <strong>die</strong>sen Spiegel und kneife dabei das rechte<br />

Auge zu!“, sagte sie. Pieri tat es grinsend. Das Grinsen<br />

verging ihm sofort. Sein Spiegelbild hatte genau so gegrinst<br />

wie er, aber es hatte nicht das rechte Auge zugekniff<br />

en wie er, sondern das linke.<br />

„Jetzt begreife ich“, sagte er. „Wenn man in den Spiegel<br />

schaut, sieht man sich seitenverkehrt. Bei dem Spie-<br />

225


gelbild des Täters, das unser Zeuge gesehen hat, war<br />

das rechte Auge geschwollen. Und das bedeutet, dass<br />

es in Wirklichkeit das linke Auge war, das er sich bei<br />

dem Sturz verletzt hatte. Bei <strong>die</strong>sem Mann <strong>hier</strong> ist aber<br />

das rechte Auge grün und blau <strong>um</strong>randet. Er ist <strong>als</strong>o<br />

der F<strong>als</strong>che!“<br />

226<br />

Aufl ösung zu<br />

Der Überfall<br />

Wachtmeister Anders blickte Pieri skeptisch an.<br />

„Woher weißt du, dass Manni <strong>hier</strong> war, wenn du ihn<br />

<strong>hier</strong> nicht gesehen hast, sondern nur drüben in der Querstraße<br />

ein paar Minuten vor dem Überfall?“, fragte er.<br />

„Weil er so sicher ist, dass ihn niemand gesehen hat,<br />

<strong>als</strong> er nach dem Überfall fl oh“, antwortete Pieri. „Als<br />

er den Laden betrat, war kein Mensch auf der Straße.<br />

Und <strong>als</strong> er eine Minute später wieder herauskam, auch<br />

nicht. Das aber weiß nur der Täter selbst.“


Aufl ösung zu<br />

Wer ist der Dieb?<br />

Pieri lächelte. „Du kennst dich mit Kameras nicht aus,<br />

Mike, im Gegensatz zu Gustav. Du weißt nicht, dass Digitalkameras<br />

einen internen Speicher haben, auf dem<br />

sie <strong>die</strong> Bilder speichern, wenn <strong>die</strong> Karte voll ist. Meine<br />

Karte ist schon lange voll. Die letzten Aufnahmen habe<br />

ich mit <strong>die</strong>sem internen Speicher gemacht, auch <strong>die</strong><br />

Aufnahme, auf der der Dieb zu sehen ist. Gustav versteht<br />

etwas von Kameras. Wenn er der Dieb wäre, hätte<br />

er nicht nur <strong>die</strong> Karte verschwinden lassen, sondern<br />

auch den internen Speicher gelöscht. Das dauert nur<br />

Sekunden, wenn man weiß, wie es geht.“<br />

Pieri schaltete <strong>die</strong> Kamera ein. Er drückte ein paarmal<br />

auf einen Knopf.<br />

„Da ist das Bild“, sagte er dann. „Oben auf dem Berg<br />

<strong>die</strong> Ruine der Burg, und unten, ganz im Vordergrund,<br />

der Kerl mit Romys Rucksack in der Hand. Sein Gesicht<br />

ist nicht zu erkennen, es könnte <strong>als</strong>o Gustav sein. Aber<br />

Gustav trägt Jeans und Turnschuhe. Der Dieb auf dem<br />

Foto aber kurze Hosen und Sandalen. Wie du, Mike!“<br />

227


228<br />

Aufl ösung zu<br />

Alles Gute kommt von oben<br />

„Er kann es nicht gewesen sein“, sagte Romy. „Die<br />

Straße war trocken, dort wo der Wagen stand. Also<br />

stand er schon <strong>hier</strong>, <strong>als</strong> es anfi ng zu regnen.“<br />

„Das bedeutet nichts“, widersprach Lisa. „Wahrscheinlich<br />

wurde der Parkplatz <strong>hier</strong> gerade frei, <strong>als</strong> der<br />

Sportwagen kam.“<br />

„Der Fahrer wusste genau, war<strong>um</strong> ich unter den<br />

Wagen schaute“, fügte Pieri hinzu. „Er hatte <strong>als</strong>o ein<br />

schlechtes Gewissen.“<br />

„Sein schlechtes Gewissen ist kein Beweis gegen ihn.“<br />

„Aber der nasse linke Ärmel seines Jacketts“, sagte<br />

Pieri. „Du erinnerst dich doch, dass der Fahrer des Autos<br />

seinen linken Arm aus dem Fenster streckte und dem<br />

Ehepaar spöttisch zuwinkte? Bei <strong>die</strong>sem Wolkenbruch<br />

genügte das, <strong>um</strong> den Ärmel nass zu machen.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Der Apfel<strong>die</strong>b<br />

„Wenn du nie in <strong>die</strong>sem Garten warst, Florian, woher<br />

weißt du dann, dass es dort einen schwarzen Pudel<br />

gibt?“, fragte Lisa.


„Richtig“, stimmte Pieri zu. „Max hat nur ganz allgemein<br />

von einem Hund gesprochen, der ihn angeknurrt<br />

hat. Rasse oder Farbe hat er nicht erwähnt. Da Florian<br />

weiß, dass es ein schwarzer Pudel war, muss er den Vorfall<br />

gesehen haben, auch wenn er das abstreitet.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Der Linkshänder<br />

„Sie sollten sich nicht den Mann auf dem Foto ansehen“,<br />

sagte Lisa, „sondern <strong>die</strong> Aufschrift über der Tür<br />

des Gebäudes, aus dem der Mann gerade kommt.<br />

Die Aufschrift lautet ‚BANK‘, aber in Spiegelschrift! Daraus<br />

folgt, dass das Bild seitenverkehrt ausgedruckt ist.<br />

Wenn es richtig ausgedruckt ist, hält der Bankräuber<br />

<strong>die</strong> Pistole in der rechten Hand. Er ist <strong>als</strong>o Rechtshänder,<br />

im Gegensatz zu Herrn Bergmann <strong>hier</strong>.“<br />

„Stimmt!“, nickte Wachtmeister Anders. „Herr Klein,<br />

gehen Sie in Ihrer Abneigung gegen Bergmann schon<br />

so weit, Beweise zu fälschen? Sie können wirklich froh<br />

sein, wenn Herr Bergmann Sie nicht wegen Verle<strong>um</strong>dung<br />

und übler Nachrede anzeigt.“<br />

229


230<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Fensterscheibe<br />

Lisa lächelte. „Wir beide haben Markus eine ganze Weile<br />

angestarrt und das Muttermal nicht gesehen. Weil es<br />

ständig von seinem Haar verdeckt ist.“<br />

„Aber es ist doch da!“, sagte Pieri.<br />

„Sicher, und das weiß sein Friseur natürlich. Er hat<br />

ihm ja oft <strong>die</strong> Haare geschnitten. Aber aus dem Obergeschoss<br />

eines Hauses, schräg von oben, kann er das<br />

Muttermal unmöglich gesehen haben. Deshalb glaube<br />

ich Markus, dass er nicht der Täter war.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Aufruhr am See<br />

„Stimmt, struppige schwarze Mischlingshunde gibt es<br />

viele“, sagte Lisa. „Aber Rokko ist sicher der einzige von<br />

ihnen in <strong>die</strong>ser Stadt, der vier weiße Pfoten hat.“


Aufl ösung zu<br />

Ritter Kunibert<br />

Pieri zeigte auf Franks rechtes Handgelenk. „Hast du<br />

schon einmal ein Gespenst mit einer Armbanduhr gesehen?“,<br />

fragte er zurück. „Nein, ich habe überhaupt<br />

noch nie ein Gespenst gesehen“, gestand Manuel verschüchtert.<br />

„Woher soll ich dann wissen, ob sie Armbanduhren<br />

tragen?“<br />

„Alle Gespenster sind mindestens 300 oder 500<br />

Jahre alt oder noch älter. Und dam<strong>als</strong> gab es noch<br />

keine Armbanduhren. Und dass es sich <strong>um</strong> Frank handelt<br />

. . . Nun, er selbst hat uns doch beim Abendessen<br />

von dem Geist erzählt. Außer ihm wusste niemand <strong>hier</strong><br />

im Lager davon. Da liegt der Gedanke doch nahe, dass<br />

er sich selbst <strong>als</strong> Geist verkleidet hat. Und weiße Betttücher<br />

gibt es <strong>hier</strong> in den Schlafzelten ja schließlich<br />

genug.“<br />

231


232<br />

Aufl ösung zu<br />

Raubritter auf Burg Drachenfels<br />

„Es war ihr Wagen, der <strong>die</strong> Diebe verraten hat“, sagte<br />

Pieri. „Er stand verkehrt her<strong>um</strong>. Bereit, wieder wegzufahren,<br />

Richtung Bergheim. Aber <strong>die</strong> Besitzer <strong>die</strong>ses<br />

Kiosks hätten sich bestimmt nicht <strong>die</strong> Zeit genommen,<br />

bei ihrer Ankunft erst den Wagen zu wenden und dann<br />

erst zu schauen, welchen Schaden <strong>die</strong> Diebe angerichtet<br />

haben.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Das Grab des Kreuzritters<br />

Lisa lächelte. „Es erfordert wirklich nicht viel Scharfsinn<br />

herauszufi nden, dass der wackere Ritter Gundolf niem<strong>als</strong><br />

<strong>hier</strong> begraben war. Die Inschrift <strong>hier</strong> an der Seite<br />

des Sarkophags verrät, dass er im Heiligen Land gestorben<br />

ist.“<br />

„Richtig“, nickte Frank. „Hier im Buch steht, dass er<br />

ein Begleiter von Kaiser Friedrich Barbarossa war, der


während des 3. Kreuzzugs im Jahre 1190 im Fluss Saleph<br />

ertrunken ist.“<br />

„Dam<strong>als</strong> hat sich bestimmt niemand <strong>die</strong> Mühe gemacht,<br />

<strong>die</strong> Toten des Kreuzzugs nach Deutschland zurückzubringen,<br />

Tausende Kilometer weit“, sagte Lisa.<br />

„Gundolf wurde <strong>als</strong>o nicht <strong>hier</strong> neben seiner Frau beigesetzt,<br />

sondern irgendwo im Morgenland. Das <strong>hier</strong><br />

war <strong>als</strong>o nicht sein Grab, sondern eigentlich nur ein Gedenkstein,<br />

errichtet zur Erinnerung an ihn.“<br />

Aufl ösung zu<br />

In der Folterkammer<br />

„Du hast wieder mal recht“, stimmte der Mann Lisa zu.<br />

„Aber woher weißt du das?“<br />

„Die Verließe befanden sich niem<strong>als</strong> im Erdgeschoss“,<br />

antwortete Lisa. „Und ganz gewiss hatten sie nicht so<br />

riesige, noch dazu unvergitterte Fenster. Hier hätte<br />

man <strong>die</strong> Gefangenen viel zu leicht befreien können.“<br />

„Ganz recht“, nickte der Mann. „Dieser Ra<strong>um</strong> <strong>hier</strong><br />

wurde erst vor einigen Jahrzehnten <strong>als</strong> Verließ und Folterkammer<br />

hergerichtet. Die Kellerrä<strong>um</strong>e der Ruine sind<br />

leider nicht mehr zugänglich.“ Er lächelte. „Das Ganze<br />

ist ein Schwindel, den ich mir selbst ausgedacht habe.<br />

Die meisten Besucher fi nden den Ra<strong>um</strong> <strong>hier</strong> trotzdem<br />

233


echt gruselig. Aber das Fenster <strong>hier</strong>, tja, das werden<br />

wir wohl z<strong>um</strong>auern müssen.“<br />

234<br />

Aufl ösung zu<br />

Der Schatz in der Drachenhöhle<br />

„Im Jahr 15 vor Christus wusste noch kein Mensch etwas<br />

von Christus“, antwortete Lisa. „Der wurde ja erst<br />

15 Jahre später geboren. Also konnte man dam<strong>als</strong> auch<br />

nicht <strong>die</strong>se Jahreszahl auf <strong>die</strong> Münze schreiben. Ich<br />

glaube, der Graf hat sich einen Scherz erlaubt.“<br />

Graf Drachenfels lächelte vergnügt. „Ich plane, <strong>hier</strong><br />

in Zukunft Ritterspiele zu veranstalten“, sagte er strahlend.<br />

„Dazu gehört auch eine Schatzsuche. Und das<br />

eben war nur ein kleiner Test. Da <strong>die</strong> Sache euch aber<br />

so viel Spaß gemacht hat, wird sie sicherlich auch anderen<br />

Menschen, vor allem den Kindern, Spaß machen.<br />

Ich überlege nur noch, ob ich nicht auch einen Drachen<br />

in <strong>die</strong> Höhle dort unten setzen soll. Natürlich nur<br />

aus Pappe, aber mit einem riesigen, weit aufgerissenen<br />

Maul und langen, spitzen, Furcht einfl ößenden Zähnen.<br />

Wie denkt ihr darüber?“<br />

„Ich denke, wir sollten uns jetzt auf den Rückweg ins<br />

Ferienlager machen“, sagte Lisa. „Sonst kommen wir zu<br />

spät z<strong>um</strong> Mittagessen.“


Aufl ösung zu<br />

King Kong in Bergheim<br />

„Kein Mensch kann einen Aff en so gut nachahmen“,<br />

sagte Pieri. „Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mich losließ,<br />

dann davonrannte und in aff enartiger Geschwindigkeit<br />

auf dem Zebrastreifen <strong>die</strong> Straße . . . Jetzt verstehe<br />

ich, was du meinst! Einem Aff en sind Zebrastreifen und<br />

sonstige Fußgängerübergänge vollkommen gleichgültig.<br />

Er würde <strong>die</strong> Straße überqueren, wo es ihm gerade<br />

in den Sinn kommt. Nur ein Mensch geht z<strong>um</strong> nächsten<br />

Zebrastreifen, wenn er <strong>die</strong> Straße überqueren will.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Die dicke Königin<br />

„Wer ist <strong>die</strong>ser vorlaute Bengel?“, fragte der Dompteur.<br />

„Der vorlaute Bengel ist hinter Ihrem Zug hergelaufen“,<br />

antwortete Pieri. „Ich bin an den vier Elefanten<br />

vorbeigekommen, <strong>die</strong> am Rande der Wiese angekettet<br />

waren. Jedenfalls drei von ihnen. Der vierte, Rani, war<br />

235


nicht angekettet. Aber das ist mir gar nicht richtig aufgefallen.<br />

Erst jetzt, wenn ich zurückdenke, weiß ich . . .“<br />

„Ich hatte Rani angekettet“, beharrte der Wärter. „So<br />

etwas vergesse ich nie. Ganz bestimmt hat Roberto sie<br />

losgebunden.“<br />

„Der kann es nicht getan haben“, widersprach Pieri.<br />

„Als sie mit Rani kamen, war er dort drüben bei Herrn<br />

Großmann im Büro.“<br />

„Das ist richtig“, bestätigte Herr Großmann.<br />

„Und zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt war Rani schon frei“, fuhr<br />

Pieri fort. „Weil Sie es versä<strong>um</strong>t hatten, sie anzuketten.“<br />

„Ich weiß wirklich nicht, wie das geschehen konnte“,<br />

sagte der Wärter verlegen.<br />

„Und Sie sollten auch nie wieder leichtfertig einen<br />

Unschuldigen verdächtigen“, fügte Herr Großmann<br />

hinzu. „Wir alle machen mal einen Fehler. Aber dann<br />

muss man auch dazu stehen.“<br />

236<br />

Aufl ösung zu<br />

Jetzt schlägt‘s 13<br />

„Nein, <strong>die</strong> Uhr geht richtig“, widersprach Lisa. „Aber<br />

Sonnenuhren halten sich nicht an <strong>die</strong> Sommerzeit. Du<br />

weißt doch, dass zu Beginn des Sommers <strong>die</strong> Uhren eine<br />

Stunde vorgestellt werden. Aber Sonnenuhren kann


man nicht vorstellen, sie hinken im Sommer hinter den<br />

anderen Uhren eine Stunde her. Als Markus <strong>hier</strong> am<br />

Marktplatz vorbeikam, zeigte <strong>die</strong> Sonnenuhr auf zwölf,<br />

aber es war schon 1 Uhr. Eine volle Stunde nach der Tat.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Der größte Clown der Welt<br />

„Ja, woran hast du erkannt, dass <strong>die</strong>ser Clown <strong>hier</strong> Roberto<br />

ist?“, fragte auch Romy.<br />

„Da drüben hängt sein Aff enkostüm. Jedenfalls ein<br />

Teil davon. Die Gorilla-Maske“, grinste Lisa.<br />

Aufl ösung zu<br />

Die alte Hexe<br />

„Du hast recht, <strong>die</strong> Hexe da unten ist Lisa“, bestätigte<br />

Romy. „Aber woran hast du das erkannt?“<br />

„An ihren Schuhen“, antwortete Pieri. „Sie hatte, wie<br />

ich schon sagte, vor der Vorstellung Sandalen an. Und<br />

237


<strong>die</strong>se blöden gestreiften Ringelsocken. Sandalen waren<br />

ihr für <strong>die</strong> Arena wohl zu unbequem. Also hat sie<br />

mit dir <strong>die</strong> Schuhe getauscht. Da deine Turnschuhe<br />

jetzt <strong>die</strong> Hexe trägt, muss <strong>die</strong> Hexe Lisa sein.“<br />

238<br />

Aufl ösung zu<br />

Der vergessliche Dieb<br />

„Was er vergessen hatte?“, fragte Lisa zurück. „Das da!“<br />

Sie zeigte auf <strong>die</strong> schwarze Augenklappe. „Damit ist<br />

er in den letzten Tagen sicher von etlichen Menschen<br />

<strong>hier</strong> in der Stadt gesehen worden. Er musste sie sich<br />

<strong>als</strong>o wieder zurückholen, damit <strong>die</strong> vergessene Augenklappe<br />

ihn nicht verraten konnte.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Nächtliche Überstunden<br />

„Einer meiner Bekannten?“, wiederholte der Wachtmeister<br />

verständnislos.


„Sie sind ihm erst gestern Abend begegnet“, sagte<br />

Lisa. „Dieser Herr Becker, der von dem fl üchtigen Dieb<br />

über den Haufen gerannt wurde. Und der sich danach<br />

so eilig verabschiedet hat, <strong>als</strong> Sie den Dieb verfolgten.<br />

Da Sie nur daran dachten, den einen Gauner nicht entkommen<br />

zu lassen, haben Sie nicht bemerkt, dass der<br />

Werkzeugkasten von Herrn Becker sich bei dem Sturz<br />

geöff net hatte.“<br />

„Ja, jetzt erinnere ich mich!“, rief Pieri aufgeregt. „In<br />

dem Koff er lag eine Eisensäge. Er hat in <strong>die</strong>ser Nacht<br />

noch mehr Verkehrszeichen abgesägt.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Fahrerfl ucht<br />

„Empörend!“, schimpfte der Radfahrer. „Da wird man<br />

fast überfahren, dann hilfl os auf der Straße liegen gelassen,<br />

und schließlich muss man sich auch noch gefallen<br />

lassen, dass man der Lüge bezichtigt wird!“<br />

„Sie sagten, dass der Autofahrer scharf gebremst<br />

hat, Ihnen gerade noch ausweichen konnte und dann<br />

z<strong>um</strong> Stehen kam“, sagte Lisa. „Bei einer solchen Vollbremsung<br />

sind immer Bremsspuren auf der Straße zu<br />

sehen. Aber <strong>hier</strong> gibt es keine Bremsspuren! Sie sind<br />

<strong>als</strong>o ohne irgendein Fremdverschulden gestürzt.“<br />

239


240<br />

Aufl ösung zu<br />

Musikfreunde<br />

Holger, Hannes und Lisa blickten Pieri erstaunt an.<br />

„Es wäre möglich, dass <strong>die</strong> Diebe durch das Fenster<br />

gekommen sind“, sagte Pieri. „Aber sie sind nicht durch<br />

das Fenster abgehauen. Das Cello unter dem Fenster<br />

wäre ihnen im Weg gewesen. Wenn sie darauf getreten<br />

wären wie auf eine Leiter, hätten sie es zertrampelt.<br />

Z<strong>um</strong>indest aber hätten sie es <strong>um</strong>gestoßen. Da es<br />

noch steht, müssen sie den Ra<strong>um</strong> durch den einzigen<br />

anderen Ausgang verlassen haben. Durch <strong>die</strong> Tür. Und<br />

zu der hat nur Holger den Schlüssel.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Frechheit siegt – aber nicht immer<br />

„Das Plakat da draußen verkündet, dass am 17. 8. <strong>um</strong><br />

19 Uhr 30 <strong>die</strong> letzte Vorstellung des Theaterstücks ist“,<br />

sagte Pieri. „Also heute Abend. Aber war<strong>um</strong> schaff t<br />

man <strong>die</strong> Kulissen und alles, was man für das Stück


aucht, schon vorher weg? Diese Männer <strong>hier</strong> sind<br />

<strong>als</strong>o gar nicht vom Theater. Sie sind <strong>die</strong> Komplizen von<br />

Holger. Die Diebe!“<br />

Aufl ösung zu<br />

Doch im Wald, da sind <strong>die</strong> Räuber<br />

„Ist auch das kein Beweis?“, fragte Pieri. Er griff in den<br />

Koff erra<strong>um</strong> und zog <strong>die</strong> Einkaufstüte unter dem Werkzeugkasten<br />

hervor. Jetzt war der ganze Firmenname zu<br />

lesen: „preiswert“.<br />

Gustav zog sein Handy aus der Tasche. „Ich denke,<br />

das sind genug Indizien, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Polizei zu informieren“,<br />

sagte er.<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Räuberhöhle<br />

Lisa lachte. „Hast du nicht gesehen, womit der Hund<br />

spielte?“<br />

241


„Klar. Er hatte eine Quietschente, einen Knochen, einen<br />

alten Pantoff el . . .“<br />

„Pantoff el! Da sieht man wieder mal, dass ihr Jungs<br />

keine Ahnung habt von Mode! Der Hund spielte mit einem<br />

Damenschuh mit hohem Absatz. Ein Mann, der<br />

z<strong>um</strong> ersten Mal solche Schuhe trägt, kann darin ka<strong>um</strong><br />

drei Schritte weit gehen.“<br />

„Du meinst, der Mann und <strong>die</strong> Frau, <strong>die</strong> den Supermarkt<br />

überfallen haben, waren . . .“<br />

„ . . . zwei Männer“, ergänzte Lisa. „Einer hatte sich<br />

<strong>als</strong> Frau verkleidet. Da <strong>die</strong> Polizei einen Mann und eine<br />

Frau sucht, fühlen sich <strong>die</strong> beiden Männer völlig sicher.“<br />

242<br />

Aufl ösung zu<br />

In der Bärenschlucht<br />

„Sieh dir doch mal das Boot an!“, sagte Lisa.<br />

„Ein ganz gewöhnliches Faltboot“, meinte Pieri. „Es<br />

schwimmen wahrscheinlich Dutzende von Booten auf<br />

<strong>die</strong>sem Fluss her<strong>um</strong>. Ich kann nichts Besonderes erkennen.“<br />

„Alle anderen Boote sind oben off en“, sagte Lisa. „In<br />

jedem von ihnen ist genügend Platz für einen großen<br />

Hund. In <strong>die</strong>sem Kajak da nicht. Also läuft Hubertus am<br />

Ufer entlang neben dem Boot her.“


Aufl ösung zu<br />

Noch ein Reifenstecher<br />

„Das verstehe ich nicht“, wunderte sich Lisa. Sie sprach<br />

leise, <strong>um</strong> von den beiden Männern drüben am Fluss<br />

nicht gehört zu werden. „Die Autos von Räubern sehen<br />

genauso aus wie <strong>die</strong> Autos anderer Leute.“<br />

„Du bist doch auch der Meinung, dass der Hund<br />

dort drüben den Räubern gehört, oder?“<br />

„Klar!“<br />

„Hunde brauchen ab und zu etwas zu fressen. Und<br />

in <strong>die</strong>sem Auto liegt eine Dose mit Hundefutter.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Festnahme<br />

Lisa ging <strong>die</strong> wenigen Schritte zu dem „Spielzeug“, das<br />

der Hund hatte fallen lassen. Sie hob es auf. Es war eine<br />

Pistole.<br />

„Plastik“, sagte sie. „Deshalb ist sie auf dem Wasser<br />

geschwommen, und Hubertus konnte sie mitneh-<br />

243


men, <strong>als</strong> er ans Ufer schwamm. Mit einem solchen Ding<br />

kann man einer überraschten Kassiererin im Supermarkt<br />

Angst einjagen, aber nicht auf Polizisten schießen.<br />

Im Grunde hat Hubertus recht: Das Ding taugt nur<br />

<strong>als</strong> Spielzeug.“<br />

244<br />

Aufl ösung zu<br />

Noch ein Einbruch<br />

Herr Großmann, Frau Schulze, Gustav und Lisa blickten<br />

Pieri an.<br />

„Weißt du etwa, wer es war?“, fragte Herr Großmann.<br />

„Klar“, antwortete Pieri. „Der Verbrecher hat doch<br />

seine Fingerabdrücke hinterlassen. Da drüben an der<br />

Wand unter dem Fenster. Genauer gesagt, seine Pfotenabdrücke.<br />

Es war Hubertus.“<br />

„Deshalb <strong>als</strong>o ist der Bursche jetzt so faul und schläfrig!“,<br />

sagte Gustav. „Kein Wunder, wenn man gerade 24<br />

Steaks verdrückt hat . . .“


Aufl ösung zu<br />

Später Besuch<br />

Der Clown lag auf dem Rücken. Über ihm stand, mit<br />

seinen Vorderpfoten auf seine Brust gestützt, Hubertus<br />

und leckte ihm mit seiner riesigen breiten Zunge das<br />

Gesicht ab.<br />

„Dem scheint <strong>die</strong> Schminke zu schmecken“, lachte<br />

Romy.<br />

„Klar“, nickte Roberto. „Ist ja auch keine Schminke,<br />

sondern Marmelade, Schokolade, Zuckerwasser und<br />

dergleichen.“<br />

Hubertus schnappte nach der riesigen Plastiknase<br />

des Clowns und riss sie ab. Jetzt war das Gesicht des<br />

Mannes, fast völlig befreit von der Farbe, deutlich zu<br />

sehen.<br />

„Gustav!“, riefen alle rings<strong>um</strong> im Chor.<br />

Gustav stand auf. Er verbeugte sich leicht und deutete<br />

er mit seiner verbundenen rechten Hand auf seine<br />

Brust. In <strong>die</strong>sem Moment wurde auch Lisa schlagartig<br />

klar, woran Pieri Gustav erkannt hatte.<br />

„Ich nix Gustav“, sagte er. „Ich Il Grande Gustavo,<br />

zweitbestes Clown von Welt!“<br />

245


246<br />

Aufl ösung zu<br />

Keine Gitarre für Pieri<br />

„Der Hund heißt Hubertus“, antwortete Pieri auf <strong>die</strong><br />

Frage von Wachtmeister Anders, „und er gehört den<br />

beiden fl üchtigen Räubern. Als er vorhin plötzlich voller<br />

Freude aufsprang und davonrannte, habe ich auch<br />

nicht sofort begriff en, was los war. Aber <strong>als</strong> Herr Großmann<br />

sagte, dass ein Jagdhund nicht hinter anderen<br />

Tieren herhetzt, wusste ich sofort, was Hubertus entdeckt<br />

hatte: seine beiden Herrchen. Er war auf dem<br />

Weg zu ihnen. Und da er auf das Haus zurannte, mussten<br />

<strong>die</strong> beiden sich ja dort befi nden.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Pech gehabt!<br />

„Sein Hund hat ihn verraten“, antwortete Pieri. „Er stand<br />

vor der Tür und wollte hinein. Aber zu Wildfremden<br />

würde er bestimmt nicht gehen. Er wusste, dass sein<br />

Herrchen in dem Wagen ist.“


„Dieser Köter wird mir allmählich genauso unsympathisch<br />

wie du!“, ärgerte sich der Ertappte. „Ihr beide<br />

passt wirklich gut zusammen.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Ausgefl ogen?<br />

„Woher willst du das alles wissen?“, wunderte sich Romy.<br />

„Hast du denn den Rauch aus dem Kamin nicht gesehen?“,<br />

fragte Pieri zurück.<br />

„Nein, und ich sehe auch jetzt keinen Rauch.“<br />

„Weil das Feuer schon so gut wie erloschen war,<br />

<strong>als</strong> wir kamen. Bei <strong>die</strong>sem schönen Sommerwetter<br />

brauchte der Räuber das Feuer bestimmt nicht, <strong>um</strong><br />

sich zu wärmen. Er hat sich <strong>als</strong>o ein Frühstück zubereitet.<br />

Das ist schon eine Weile her, weil das Feuer inzwischen<br />

ausgegangen ist. Er ist <strong>als</strong>o mit dem Frühstück<br />

schon fertig. Und da er nicht im Dunkeln sitzen und in<br />

<strong>die</strong> Finsternis starren möchte, hat er sich eben aufs Ohr<br />

gelegt. Sonst gibt es ja für ihn nichts zu tun. Ich glaube,<br />

Lisa, jetzt ist <strong>die</strong> Zeit für einen Anruf bei der Polizei!“<br />

247


248<br />

Aufl ösung zu<br />

Knastbrüder<br />

„Das Bild sieht genauso aus, wie ich mir eine Gefängniszelle<br />

vorstelle“, sagte Frank. „Abgesehen von dem<br />

fröhlichen Grinsen der beiden Gefangenen.“<br />

„Schau dir nicht <strong>die</strong> beiden Kerle auf der Pritsche an,<br />

sondern den Fußboden!“, sagte Pieri. „Man sieht Licht,<br />

das durch ein Fenster hereinfällt. Mit dem Schatten eines<br />

Fensterkreuzes – aber ohne Gitterstäbe! Kannst du<br />

dir eine Gefängniszelle vorstellen, deren Fenster nicht<br />

vergittert ist?“<br />

Aufl ösung zu<br />

Auf heißer Spur<br />

„Das Bild zeigt ein Haus, in dem man Getränke bekommt<br />

und wahrscheinlich auch etwas zu essen“, sagte<br />

Pieri. „Und <strong>die</strong> Reklametafel hinter den beiden Männern<br />

zeigt einen Bären in einem kleinen Boot. Wo gibt<br />

es in <strong>die</strong>ser Gegend Bären und Boote?“


„Bären gibt es nirgends“, antwortete Lisa. Sie verstand<br />

jetzt, worauf Pieri hinauswollte. „Aber es gibt<br />

eine Bärenschlucht, und dort gibt es auch einen Fluss<br />

und einen Bootsverleih. Nämlich das Haus, das wir auf<br />

dem Foto sehen. Und es gibt dort einen Parkplatz mit<br />

vielen Autos darauf . . .“<br />

Aufl ösung zu<br />

Ein Männlein steht im Walde<br />

Pieri öff nete <strong>die</strong> Fahrertür des Wagens, griff hinein und<br />

zog den kleinen Weidenkorb unter der Gitarre auf dem<br />

Beifahrersitz hervor.<br />

„Pilze“, sagte er. „Frisch geschnitten, noch voller<br />

Erde. Die haben Sie eben erst im Wald gesammelt. Dabei<br />

haben Sie <strong>die</strong>sen Wagen entdeckt. Den wollten Sie<br />

stehlen, mussten aber feststellen, dass der Tank leer ist.“<br />

„Ich wollte nur . . .“ Der Mann stockte. Es fi el ihm<br />

keine glaubhafte Ausrede ein. Dann riss er Pieri das<br />

Körbchen mit den Pilzen aus der Hand und rannte davon,<br />

in den Wald hinein.<br />

„Er rennt, <strong>als</strong> wäre <strong>die</strong> Polizei hinter ihm her“, lachte<br />

Manuel. „Oder ein wütendes Wildschwein.“<br />

„Lass ihn rennen!“, sagte Lisa. „Er hat ja keinen Schaden<br />

angerichtet.“<br />

249


250<br />

Aufl ösung zu<br />

Künstlerpech<br />

„Das <strong>hier</strong> ist eine Elektrogitarre“, sagte Gustav. „Im<br />

Grunde nur ein Brett mit ein paar Saiten darauf und einem<br />

Anschluss für den Verstärker. Die Gitarre aber, <strong>die</strong><br />

sich Pieri bei uns im Ferienlager geliehen hat, ist eine<br />

ganz normale Gitarre, wie sie in Spanien üblich ist. Viel<br />

größer, dicker, innen hohl und ohne elektrischen Anschluss.<br />

Elektrogitarren haben wir überhaupt nicht.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Stimme vom Himmel<br />

„Die Kirchturmuhr hat mich darauf gebracht“, sagte Pieri.<br />

„Sie schlug 1 Uhr. Aber an der Tür steht, dass der Laden<br />

von zwölf bis halb zwei geschlossen ist. Ich denke,<br />

wenn der eigene Neff e kommt, öff net man auch mal<br />

außerhalb der Geschäftszeiten. In der Aufregung über<br />

das, was der Neff e zu erzählen hatte, hat Herr Kleinschmidt<br />

dann vergessen, <strong>die</strong> Tür wieder abzusperren.“


Aufl ösung zu<br />

Die M<strong>um</strong>ie<br />

„Der Bademeister?“, wiederholte Gustav. „Unsinn! Ich<br />

habe dir doch erzählt, dass er sich das Bein gebrochen<br />

hat. Mit seinem Gipsbein kann er ka<strong>um</strong> laufen. Schon<br />

gar nicht unauff ällig.“<br />

„Ich meine nicht den richtigen Bademeister, sondern<br />

den f<strong>als</strong>chen“, sagte Pieri. „Den Mann mit der Aufschrift<br />

‚Bademeister‘ auf seinem Hemd!“<br />

Aufl ösung zu<br />

Die Nadel im Heuhaufen<br />

„Du hast uns doch selbst erzählt, dass der echte Bademeister<br />

sich gestern Abend ein Bein gebrochen hat<br />

und dass er mit einem Krankenwagen nach Neustadt<br />

gebracht wurde“, antwortete Pieri. „Wahrscheinlich haben<br />

<strong>die</strong> meisten Leute <strong>hier</strong> in der Stadt das überhaupt<br />

nicht mitbekommen. Zu den wenigen Leuten, <strong>die</strong> wissen,<br />

dass es heute keinen Bademeister am See gibt, ge-<br />

251


hören <strong>die</strong> Sanitäter, <strong>die</strong> Georg Müller ins Krankenhaus<br />

gebracht haben. Und einer von ihnen ist, wie du sagst,<br />

ein alter Bekannter von Georg. Er ist <strong>als</strong>o mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit der Dieb!“<br />

252<br />

Aufl ösung zu<br />

Wer ruft sich schon selbst an?<br />

„Es ist heiß heute“, sagte Pieri. „Jeder zieht sich so leicht<br />

an wie möglich. Sogar Wachtmeister Anders trägt ein<br />

Uniformhemd mit kurzen Ärmeln. Nur <strong>die</strong>ser Krankenwagenfahrer<br />

<strong>hier</strong> hat sich angezogen wie ein Eskimo<br />

am Nordpol. Weil er unter seiner Jacke noch das Hemd<br />

mit der Aufschrift ‚Bademeister‘ trägt!“<br />

„Stimmt genau! Besser hätte ich es nicht erklären<br />

können, Pieri“, stimmte Lisa ihm zu, und <strong>die</strong> beiden<br />

grinsten sich verschwörerisch an.<br />

„Diese verdammte Hitze!“, fl uchte der Krankenwagenfahrer.<br />

„Ich wollte mir vor der Heimfahrt noch ein<br />

eiskaltes Wasser gönnen, sonst wäre ich schon längst<br />

weg von <strong>hier</strong> . . .“


Aufl ösung zu<br />

Der Schla<strong>um</strong>eier<br />

„Sie haben gestern Abend in der Dunkelheit nicht <strong>die</strong><br />

dicke Schicht Sand gesehen, <strong>die</strong> hinter Ihrem Wagen<br />

liegt“, fuhr Pieri fort. „Die Fußspuren, <strong>die</strong> Sie darin hinterlassen<br />

haben, sind noch deutlich zu sehen. Auch auf<br />

dem Gehsteig. Sie führen von der Autotür hinten <strong>um</strong><br />

Ihren Wagen her<strong>um</strong>, z<strong>um</strong> ursprünglichen Standort des<br />

Verbotszeichens und weiter zu seinem jetzigen.“<br />

Dem Autobesitzer war bei <strong>die</strong>ser Beweisführung das<br />

Grinsen vergangen.<br />

„Das wird Sie eine saftige Strafe kosten“, sagte der<br />

Arbeiter. Jetzt war er es, der grinste.<br />

Aufl ösung zu<br />

Till Eulenspiegel<br />

„Als <strong>die</strong>ser Bernhard oder Benedikt oder Till hereinkam,<br />

warst du gerade vollauf damit beschäftigt, <strong>die</strong><br />

Karte mit den Eisspezialitäten zu stu<strong>die</strong>ren und dir et-<br />

253


was auszusuchen“, antwortete Pieri. „Wenn du dir stattdessen<br />

den komischen Kerl angesehen hättest, hättest<br />

du gemerkt, dass er gar keinen Schirm dabeihatte. Der<br />

Schirm, den er dann mitnahm, konnte <strong>als</strong>o nicht sein<br />

eigener sein.“<br />

Aufl ösung zu<br />

Wie klaut man einen Elefanten?<br />

Pieri deutete auf einen der Masten, <strong>die</strong> das Elefantenzelt<br />

trugen. An dem Mast hing ein Spiegel, etwa so<br />

groß wie ein Buch. Auf den Spiegel war mit Farbe eine<br />

Eule gemalt.<br />

„Till hat sein Autogramm hinterlassen“, lachte Pieri.<br />

„Eulenspiegel!“<br />

254


Aufl ösung zu<br />

Mich laust der Affe!<br />

Lisa lachte. “Für einen Menschen, der gern und viel fotografi<br />

ert, ist das eine sehr d<strong>um</strong>me Frage! Da sonst niemand<br />

in der Nähe war, kannst nur du selbst <strong>die</strong> Aufnahme<br />

gemacht haben . . .“<br />

„Daran würde ich mich erinnern“, widersprach Pieri.<br />

„ . . . oder <strong>die</strong> drei Männer vor dir“, sprach Lisa weiter.<br />

„Wachtmeister Anders und Till sind zu weit weg<br />

von der Kamera, <strong>die</strong> kommen <strong>als</strong>o nicht in Frage. Also<br />

hat der Gorilla <strong>die</strong>ses Selbstporträt gemacht – mit dem<br />

ausgestreckten Arm.“<br />

255


©2011 by Helmut Lingen Verlag GmbH & Co. KG,<br />

Opladener Str. 8, 50679 Köln<br />

Autor: Helmut Neubert<br />

Illustrationen: Christoph Heuer<br />

Illustrationen Lisa & Pieri: Evelyn Neuss<br />

Coverillustration: Evelyn Neuss<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Texte ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts<br />

ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.<br />

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,<br />

Mikroverfilmungen und <strong>die</strong> Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Printed in Germany<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

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