PDF Wege aus der Sprachlosigkeit / Über die Notwendigkeit einer ...
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<strong>Wege</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Sprachlosigkeit</strong><br />
<strong>Über</strong> <strong>die</strong> <strong>Notwendigkeit</strong> <strong>einer</strong> Stationären Traumatherapie<br />
„Mensch werde wesentlich“ Angelus Silesius<br />
Einleitung: „Psychotraumatologie“, eine Disziplin im Werden<br />
Psychische Traumata sind Folgen plötzlicher o<strong>der</strong> anhalten<strong>der</strong> bedrohlicher, extrem<br />
ängstigen<strong>der</strong>, überwältigen<strong>der</strong> und <strong>aus</strong>wegloser Ereignisse. Sie hinterlassen<br />
unbehandelt oft lebenslang Spuren in Form von zahlreichen psychischen und<br />
körperlichen Symptomen mit unterschiedlich einschneidenden Beeinträchtigungen<br />
von Lebensqualität und Lebensgestaltungsmöglichkeiten, und können <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Biografie eine ganz an<strong>der</strong>e Richtung geben. Menschen leiden Jahre und Jahrzehnte<br />
nach traumatischen Wi<strong>der</strong>fahrnissen an den von Ärzten und Therapeuten aller<br />
Fachrichtungen oft nicht erkannten o<strong>der</strong> nicht adäquat gedeuteten posttraumatischen<br />
Störungsbil<strong>der</strong>n, <strong>die</strong> eigentlich „psychotraumatische“ heissen müssten, denn <strong>die</strong><br />
Wunde, das Trauma, ist eben nicht vergangen, ist nicht „post“. Zurück liegt nur das<br />
Ereignis, das begrifflich oft mit seinem Abdruck aufseiten des Betroffenen, nämlich<br />
dem Trauma, verwechselt wird.<br />
Mit welchem Problemfeld unseres Menschseins beschäftigt sich <strong>die</strong><br />
Psychotraumatologie<br />
Die Psychotraumatologie befasst sich mit <strong>der</strong>artigen akuten und chronischen<br />
psychosomatischen Folgen traumatisieren<strong>der</strong> Ereignisse. Zu <strong>die</strong>sen gehören Unfälle,<br />
psychische, physische, sexuelle, kriminelle, terroristische Gewalt, traumatische<br />
Verluste, lebensbedrohliche Krankheiten, Natur- und technische Katastrophen,<br />
Kriegserlebnisse, Gefangenschaft, Entwurzelung und Flucht o<strong>der</strong> Vertreibung. In<br />
ihrer Folge können Depressionen, Angst- und Panikstörungen,<br />
Anpassungsstörungen, somatoforme Störungen, Persönlichkeitsverän<strong>der</strong>ungen.<br />
Dissoziative Störungen, Abhängigkeitskrankheiten und posttraumatische<br />
Belastungsstörungen auftreten. Da <strong>die</strong> PTBS, <strong>die</strong> Posttraumatische<br />
Belastungsstörung, englisch: PTSD; posttraumatic stress disor<strong>der</strong>, geradezu das<br />
paradigmatische Syndrom <strong>der</strong> Psychotraumatologie geworden ist, wird häufig nur sie<br />
als Traumafolgestörung erwähnt, wobei <strong>aus</strong>ser Acht gelassen wird, dass seelische<br />
Folgen mannigfach sind; das Gehirn, <strong>die</strong> Person, <strong>die</strong> Seele halten sich mit den<br />
unterschiedlichen Ausdrucksformen ihrer Wunden nicht an Klassifikationsnummern<br />
und an Bezeichnungen für Störungsbil<strong>der</strong>. Unbehandelt besteht <strong>die</strong> Gefahr, dass<br />
solche Reaktionsformen zu anhaltenden Einschränkungen in zentralen<br />
Lebensbereichen, in <strong>der</strong> Arbeits- und Leistungsfähigkeit und zu einem erheblichen<br />
Leidensdruck führen. Erschwerend kommt hinzu, dass belastende traumatische<br />
Erfahrungen transgenerational weitergegeben werden können und auf <strong>die</strong>se Weise<br />
ein circulus vitiosus <strong>der</strong> Gewalt entstehen kann.
Traumatherapie als Erweiterung <strong>der</strong> konventionellen Psychotherapie<br />
Unzulänglichkeiten <strong>der</strong> Psychoanalyse zum Verständnis von Traumafolgestörungen<br />
wurden bereits in <strong>der</strong> einschlägigen Literatur <strong>aus</strong>reichend beschrieben. Dadurch,<br />
dass <strong>die</strong> Psychoanalyse konsequenterweise das Subjekt als Urheber s<strong>einer</strong><br />
Wünsche ansieht, das alles, was ihm wi<strong>der</strong>fährt, im Lichte <strong>die</strong>ser Wunschwelt<br />
interpretiert, ist <strong>die</strong>ser Ansatz natürlich eine Täterpsychologie par excellence: alle<br />
Wi<strong>der</strong>fahrnisse des Lebens korrespon<strong>die</strong>ren, so <strong>die</strong> Annahme, mit <strong>einer</strong><br />
präexistenten Wunschwelt. Ein lediglich intrasubjektivitätstheoretischer Ansatz wird<br />
dem Sachverhalt bei psychischer Traumatisierung nicht <strong>aus</strong>reichend gerecht, da<br />
Menschen immer auch – bei weiter bestehen<strong>der</strong> eigener Subjekthaftigkeit –<br />
Gegenstand <strong>der</strong> Wünsche an<strong>der</strong>er sind, aber auch Gegenstand übergreifen<strong>der</strong>,<br />
verletzen<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>fahrnisse. Die Realität von Trauma ist ja gerade dadurch<br />
gekennzeichnet, dass Menschen Wi<strong>der</strong>fahrnissen <strong>aus</strong>gesetzt sind, <strong>die</strong> ob ihrer<br />
Ungeheuerlichkeit keine Repräsentanz, keine Entsprechung im vorher bestehenden<br />
Wunschsystem aufweisen können.<br />
So fehlte also bislang ein Ansatz, <strong>der</strong> immer auch (!) gegebene Realität des<br />
Ausgeliefertseins von Subjekten angemessen thematisieren kann. Hier sehen wir<br />
den zentralen konzeptuellen Fokus, und in <strong>der</strong> empirischen Realität von Gewalt und<br />
Gewaltfolgen das zentrale Gegenstandsfeld <strong>der</strong> Psychotraumatologie.<br />
Diese Ausführungen können deutlich machen, dass <strong>die</strong> Psychotraumatologie dazu<br />
beitragen kann, auf dem Hintergrund eines Wechselseitigkeitsansatzes herkömmlich<br />
verstandene Phänomene in einem neuen Licht zu sehen. Dabei verän<strong>der</strong>t sich auch<br />
das Verständnis von Biografie insgesamt. Die Psychotraumatologie, wie wir <strong>die</strong>se<br />
verstehen, verschiebt nämlich den Fokus von <strong>der</strong> Würdigung <strong>einer</strong> auf das<br />
Verständnis <strong>der</strong> gegenwärtigen Person hinleitenden Biografik auf <strong>die</strong> Bedeutung von<br />
„Ereignissen“ und dem Selbst- und Weltverständnis des Individuums „danach“, sie ist<br />
insofern eine „Post-Ereignisbiografie“.<br />
Menschen und Kollektive sind immer „irgendwie geworden“, aber unter<br />
psychotraumatologischer Perspektive ist das von Bedeutung, was im Moment <strong>der</strong><br />
Traumatisierung mit ihnen geschieht und was sie dar<strong>aus</strong> machen!<br />
Insgesamt sind <strong>die</strong> Vorstellungen vom Menschen in <strong>der</strong> Psychotraumatologie<br />
an<strong>der</strong>e: Gilt in vielen herkömmlichen Ansätzen, insbeson<strong>der</strong>e in dem <strong>der</strong><br />
Psychoanalyse, dass Menschen relativ unverän<strong>der</strong>bar seien, etwa durch<br />
überdauernde „Strukturmerkmale“ zu kennzeichnen, verweist <strong>die</strong><br />
Psychotraumatologie auf <strong>die</strong> Realität, dass im Extrem ein einzelnes Ereignis einen<br />
Menschen zerstören, zumindest „wesentlich“ verän<strong>der</strong>n kann. Das wird ungern<br />
akzeptiert, es ist offenbar leichter akzeptabel, dass ein einziges Gewaltereignis einen<br />
Knochen brechen als <strong>die</strong> Seele zerstören könne – schimmert hier eine säkularisierte<br />
Form <strong>der</strong> klassischen Unsterblichkeitslehre <strong>der</strong> Seele durch? Die Zerbrechlichkeit<br />
von Menschen zu realisieren kann ängstigen – dass <strong>die</strong> <strong>Wege</strong> <strong>der</strong> Forschung auch<br />
durch Ängste <strong>der</strong> Zugehörigen <strong>der</strong> scientific communitiy bestimmt werden, ist wohl<br />
<strong>aus</strong>reichend bekannt.<br />
Ersetzt eine <strong>der</strong>artig verstandene Psychotraumatologie herkömmliche Ansätze?<br />
Nach unserer Einschätzung ganz sicher nicht. Wir sind davon überzeugt, dass <strong>die</strong><br />
Berücksichtigung von extremer Vernachlässigung, Missbrauch, Gewalt und<br />
Gewaltfolgen auf individueller und überindividueller Ebene bestehende Ansätze<br />
„einfärben“ und <strong>die</strong>se verän<strong>der</strong>n wird. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass<br />
bestehende Ansätze weiterhin ihren unbestrittenen Wert haben werden, da, wo sie<br />
sich bewährt haben. Das gilt für <strong>die</strong> herkömmliche Psychoanalyse und für <strong>die</strong>
herkömmliche Psychosomatik. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite sind war aber auch überzeugt<br />
davon, dass es <strong>der</strong> neuen Disziplin <strong>der</strong> Psychotraumatologie bedarf, als integratives<br />
Fach verstanden, um <strong>der</strong> Realität von Gewalt und Gewaltfolgen auf individueller und<br />
überindividueller Ebene konzeptuell gerecht werden zu können.<br />
Plädoyer für <strong>die</strong> <strong>Notwendigkeit</strong> <strong>einer</strong> Stationären Traumatherapie<br />
Maxime: Menschen Hilfe, Trost und Unterstützung zu geben – um ihres Menschseins willen<br />
– darum geht es. „Hominibus prodesse natura me jubet. Den Menschen zu helfen, heisst <strong>die</strong><br />
Natur mich, seien es Sklaven o<strong>der</strong> Freie…, wo immer ein Mensch ist, da ist für eine Wohltat<br />
Gelegenheit“ ( Seneca, de vita beata XXIV, 3 )<br />
Traumatisierte haben immer schon eine grosse Gruppe <strong>der</strong>jenigen gestellt, <strong>die</strong><br />
stationär psychiatrisch o<strong>der</strong> psychotherapeutisch behandelt wurden. Die<br />
Hysterikerinnen, <strong>die</strong> Jean Martin Charcot in <strong>der</strong> Salpeterie in Paris behandelte, waren<br />
fast alle traumatisierte Frauen, und <strong>die</strong>se Tatsache war den behandelnden Ärzten<br />
gen<strong>aus</strong>o bekannt wie den Forschern. Eine <strong>der</strong> meist zitierten, historischen<br />
Patientinnen Anna O. wurde von Josef Breuer stationär in dessen Sanatorium<br />
behandelt. Auf sie wird immer wie<strong>der</strong> verwiesen, wenn es um frühe Beispiele für<br />
Diagnosen wie Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung, Dissoziative Identitätsstörung (<br />
früher: Multiple Persönlichkeit ) o<strong>der</strong> chronifizierte komplexe Posttraumatische<br />
Belastungsstörung geht.<br />
Charcot selbst galt neben einem an<strong>der</strong>en wichtigen Forscher, nämlich Oppenheim,<br />
als jemand, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Hysterie als posttraumatische Belastungsstörung sah. Einer <strong>der</strong><br />
wichtigsten Schüler von Charcot, Gilles de la Tourette, ein Neurologe, <strong>der</strong> das<br />
Tourette-Syndrom ( motorische und vokale Tics ) mit erforscht hat, sagte, Charcot sei<br />
ganz selbstverständlich davon <strong>aus</strong>gegangen, dass hysterische Symptome sehr oft<br />
durch traumatische Erfahrungen hervorgerufen worden seien. Zwei weitere Charcot-<br />
Schüler haben <strong>die</strong>sen Gedanken aufgegriffen und fortgesetzt: Einer war Janet, <strong>der</strong><br />
<strong>die</strong> psychologische Abteilung an <strong>der</strong> Salpeterie leitete und im Grunde genommen all<br />
das schon beschrieben hat, was heute unter den Stichworten „Dissoziative<br />
Störungen, Dissoziation, Aufspaltung des Bewusstseins, Posttraumatische<br />
Belastungsstörung“ diskutiert wird. Janet hat immer <strong>die</strong> Position vertreten, schwere<br />
seelische Störungen seien posttraumatische Zustände und hätten oft etwas zu tun<br />
mit Kindesmisshandlung, Missbrauch o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en schweren Traumata. Er lief<br />
allerdings zunächst mit <strong>die</strong>ser Auffassung ins Leere. Erst vor etwa 20/25 Jahren<br />
wurde Janet von <strong>einer</strong> Gruppe von Forschern auf dem Gebiet <strong>der</strong> Dissoziativen<br />
Störungen wie<strong>der</strong>entdeckt ( Van <strong>der</strong> Kolk, Van <strong>der</strong> Hart, Judith Herman ).<br />
Zwischen 1895 und etwa 1980 spielte das Thema Seelische Traumatisierung und <strong>die</strong><br />
Psychopathologischen Folgeerscheinungen in <strong>der</strong> Wissenschaft wie in <strong>der</strong> Klinik<br />
keine entscheidende Rolle. Im Jahre 1990 verwandten zwei Kin<strong>der</strong>psychiater (<br />
Donovan und McIntyre ) erstmals den Begriff Psychotraumatologie, wie eine<br />
Computerrecherche ergab. Sie befassten sich mit den verheerenden Langzeitfolgen<br />
psychischer Traumatisierung bei Kin<strong>der</strong>n und <strong>der</strong>en transgenerationaler Weitergabe<br />
und Fortführung, ihr Buch hiess damals: „Healing the hurt child“ – Die Heilung des<br />
verwundeten Kindes. Das erste Institut für Psychotraumatologie wurde erst 1991 in<br />
Freiburg i. Br. Gegründet! Um eine qualifizierte therapeutische Behandlung<br />
traumatisierter Menschen zu gewährleisten, wird seit einigen Jahren von <strong>der</strong> DeGPT<br />
( Deutsche Gesellschschaft für Psychotraumatologie ) nach entsprechend<br />
standardisierter Weiterbildung <strong>der</strong> psychotherapeutische Zusatztitel „Spezielle
Psychotraumatherapie“ verliehen. Nach und nach wurden in Län<strong>der</strong>n wie<br />
beispielsweise Holland o<strong>der</strong> Deutschland Stationäre Einrichtungen mit speziellen<br />
traumaadaptierten Psychotherapiekonzepten für seelisch traumatisierte Menschen<br />
eingerichtet. Eine <strong>der</strong>artige Stationäre Traumatherapie fehlt bis heute in einem<br />
Prosperitätsland wie <strong>der</strong> Schweiz. Lei<strong>der</strong> wurde auch bis anhin keine Bedarfsanalyse<br />
für eine Stationäre Traumatherapie durchgeführt. Die tägliche klinische Realität<br />
offenbart jedoch einen dringenden Bedarf für eine Stationäre<br />
Behandlungseinrichtung mit einem integrativen, traumaadaptierten<br />
Psychotherapiekonzept, um traumatisierte Menschen adäquat behandeln zu können.<br />
Zwar gibt es erfreulicherweise da und dort ambulante Behandlungsmöglichkeiten für<br />
traumatisierte Menschen, jedoch keine <strong>aus</strong>gewiesene Stationäre<br />
Behandlungseinrichtung mit einem speziellen Behandlungskonzept. Psychiatrische<br />
PatientInnen mit Traumatisierungen jeglicher Art werden bis heute noch auf den<br />
verschiedensten Stationen Psychiatrischer Kliniken „mitbehandelt“. Eine Ausnahme<br />
stellt lediglich <strong>die</strong> Gruppe <strong>der</strong> sogenannten Bor<strong>der</strong>line-PatientInnen dar, für <strong>die</strong> es<br />
inzwischen spezifische stationäre Behandlungseinrichtungen gibt. Diese Lücke bei<br />
<strong>der</strong> professionellen Behandlung von Menschen mit schweren seelischen<br />
Verletzungen soll jetzt geschlossen werden. In <strong>der</strong> Klinik für Psychiatrie und<br />
Psychotherapie Littenheid wird es ab Mai 2006 eine stationäre<br />
Behandlungseinrichtung ( Spezialstation Waldegg A ) mit zunächst 6<br />
Therapieplätzen auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>einer</strong> integrierten traumaadaptierten<br />
Psychotherapie für traumatisierte Menschen geben.<br />
Traumatherapie braucht Integrative Modelle<br />
Die Themen „Trauma und Traumafolgen“ finden <strong>der</strong>zeit grosse Beachtung, ja haben<br />
geradezu Konjunktur. Aber schon Alkmaion von Kroton, ein Pythagoras nahe<br />
stehen<strong>der</strong> Arzt des <strong>aus</strong>gehenden 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts, wusste, dass aufgrund von<br />
traumatischen Erfahrungen Erkrankungen entstehen können. Wie bei allem, was in<br />
Mode kommt, <strong>die</strong> Frühstörungen, <strong>die</strong> Familiendynamik, <strong>der</strong> sexuelle Missbrauch, <strong>die</strong><br />
Aufstellungsarbeit – jetzt Trauma und Posttraumatische Belastungstörung – kommt<br />
es zu Generalisierungseffekten und damit Vereinseitigungen, entstehen<br />
Begründungslegenden und Deutungsmythen. Das Feld <strong>der</strong> Psychotherapie ist, bei<br />
aller Vielfalt, Diversität, Zersplitterung offenbar beson<strong>der</strong>s anfällig für solche<br />
Phänomene. Mit Blick auf <strong>die</strong> Pathogenese wird das Trauma monok<strong>aus</strong>alistisch von<br />
vielen zu <strong>einer</strong> neuen generalisierten Erklärung stilisiert, wo doch <strong>die</strong><br />
Längsschnittforschung <strong>die</strong> multifaktorielle Verursachung seelischer Erkrankungen,<br />
eine deutliche Schichtabhängigkeit und langzeitig wirkende Negativerfahrungen bei<br />
Abwesenheit von „protektiven Faktoren“ her<strong>aus</strong>arbeiten konnte.<br />
Das Traumathema zeigt – wie wenig an<strong>der</strong>e Themen – in un<strong>aus</strong>weichlicher Klarheit<br />
<strong>die</strong> <strong>Notwendigkeit</strong> differentieller, interdisziplinärer Konzeptualisierung und integrativer<br />
behandlungspraktischer Arbeit. Es zeigt, dass auch <strong>der</strong> Leib als physiologische<br />
Grundlage von „Erleben, Verarbeiten und Handeln“ <strong>einer</strong>seits und als <strong>der</strong> „ultimative<br />
Ort <strong>der</strong> Gewalt“ ( Foucault ) an<strong>der</strong>erseits in das Zentrum je<strong>der</strong> Kulturarbeit gehört<br />
und natürlich je<strong>der</strong> therapeutischen Arbeit, traumatherapeutischer zumal. Es macht<br />
zugleich auch deutlich, dass das Thema <strong>der</strong> Sozialität – auf <strong>der</strong> Makroebene<br />
weltpolitischer Ereignisse und des Zeitgeistes und auf <strong>der</strong> Mikroebene <strong>der</strong><br />
persönlichen Lebenslage mit ihren sozialen Verflechtungen – nie <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Therapie<br />
<strong>aus</strong>geblendet werden können, we<strong>der</strong> diagnostisch noch interventiv. Das<br />
Traumathema zeigt vor allem un<strong>aus</strong>weichlich, dass <strong>der</strong> Moment des<br />
Zwischenmenschlichen – gekennzeichnet von <strong>einer</strong> unbedingten Achtung <strong>der</strong>
Würde, Integrität und „An<strong>der</strong>sheit des An<strong>der</strong>en“ – <strong>die</strong> letztgültige Grundlage aller<br />
traumatherapeutischen Massnahmen ist. Deshalb ist Traumatherapie<br />
„Menschenarbeit“, Arbeit mit, für und zwischen Menschen, um Furchtbares,<br />
Traumatisierendes zu überwinden und schliesslich „traumatisierende Realitäten zu<br />
überwinden“, sie zu besiegen, indem man ihnen das Einschreiten gegen Unrecht,<br />
den Irrsinn <strong>der</strong> Gewalt, gegen Not, Leid und Elend entgegenstellt: auf <strong>der</strong><br />
Makroebene im engagierten Eintreten für Gerechtigkeit und Menschlichkeit, auf <strong>der</strong><br />
Mikroebene durch effektive Massnahmen <strong>der</strong> psychosozialen Hilfeleistung und<br />
klinischen Traumatherapie.<br />
Warum Stationäre Traumatherapie<br />
Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>die</strong>ser Ausführungen versuchen wir als erste Klinik in <strong>der</strong> Schweiz<br />
<strong>der</strong> <strong>Notwendigkeit</strong> <strong>einer</strong> Stationären Traumatherapie ( zunächst 6 Therapieplätze )<br />
mit Integrativem Modulkonzept Rechnung zu tragen. Hinzu kommt <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass <strong>die</strong> ambulanten Behandlungen komplexer posttraumatischer Störungen mit<br />
ihrer hohen Komorbidität <strong>aus</strong> den verschiedensten Gründen oftmals keine<br />
befriedigenden Erfolge mit <strong>der</strong> Konsequenz <strong>einer</strong> Chronifizierung <strong>der</strong> Störungen bzw.<br />
<strong>einer</strong> Invalidisierung bringen (Psychiatrische Langzeithospitalisationen o<strong>der</strong> viele<br />
kürzere psychiatrische Hospitalisationen; Jährlich steigende Anzahl <strong>der</strong> IV-Anträge<br />
wie auch <strong>der</strong> IV-Renten).<br />
Jede zeitgemässe, mo<strong>der</strong>ne Traumatherapie besteht <strong>aus</strong> vier Phasen: Initiale<br />
Stabilisierung, Ressourcenaktivierung, - je nach differentieller Indikation -<br />
Traumakonfrontation, Integration und Neuorientierung. Im Rahmen eines ambulanten<br />
settings können meistens nur einfache, unkomplizierte posttraumatische<br />
Störungsbil<strong>der</strong> mit Erfolg behandelt werden. Bei komplex traumatisierten Menschen<br />
besteht eine erhebliche Komorbidität ( Dysphorie, Depressionen, Somatoforme<br />
Störungen, Persönlichkeitsverän<strong>der</strong>ungen, Dissoziative Störungen, Angst- und<br />
Panikstörungen, Abhängigkeitsstörungen, etc. ), welcher im ambulanten setting<br />
kaum Rechnung getragen werden kann. Bei <strong>die</strong>ser Patientengruppe besteht oftmals<br />
<strong>die</strong> dringende Indikation <strong>einer</strong> Stationären Traumatherapie. Dabei besteht im<br />
Rahmen <strong>einer</strong> Psychiatrischen Klinik <strong>die</strong> hervorragende Möglichkeit <strong>einer</strong><br />
interdisziplinären Konzeptualisierung, um beispielsweise vorhandene klinische<br />
Ressourcen zu nutzen.<br />
Während früher PatientInnen in <strong>der</strong> Regel mit an<strong>der</strong>en als den traumatischen<br />
Diagnosen geschickt wurden, werden PatientInnen heute meistens mit <strong>der</strong> korrekten<br />
Diagnose zur stationären Traumatherapie zugewiesen. Es hat sich bewährt,<br />
regelmässig Vorgespräche anzubieten, <strong>die</strong> von Mitglie<strong>der</strong>n des<br />
Traumabehandlungsteams unter <strong>der</strong> Leitung des Oberarztes <strong>der</strong> Station geführt<br />
werden. Wir haben <strong>die</strong>ses Verfahren eingeführt, da wir feststellen, dass <strong>die</strong>s im<br />
Sinne <strong>der</strong> Vertrauensbildung von grosser Bedeutung ist. Traumatisierte PatientInnen<br />
sind oft kaum in <strong>der</strong> Lage, an<strong>der</strong>en Menschen zu vertrauen. Vertrauen ist jedoch für<br />
das Gelingen <strong>der</strong> Traumatherapie entscheidend. Bei einem Vorgespräch können <strong>die</strong><br />
PatientInnen <strong>die</strong> Klinik, einzelne Teammitglie<strong>der</strong>, <strong>die</strong> Umgebung sowie <strong>die</strong><br />
Räumlichkeiten kennenlernen, man kann ihnen das spezifische Therapiekonzept<br />
vorstellen und klären, ob PatientInnen bereits im abulanten Rahmen Gelegenheit<br />
hatten, sich mit dem Thema <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen. Man kann das Ausmass von<br />
Ängsten, sich <strong>der</strong> Thematik zu nähern, abschätzen und mit den PatientInnen formale<br />
Angelegenheiten klären, so z. B. <strong>die</strong> Dauer <strong>der</strong> Therapie, spezielle Bedürfnisse<br />
bezüglich <strong>der</strong> Unterbringung und <strong>der</strong> Therapeutenpersönlichkeiten. Ebenfalls <strong>die</strong>
Frage <strong>einer</strong> möglichen medikamentösen Therapie kann im Vorgespräch bereits<br />
geklärt werden.<br />
( Psychodynamische ) <strong>Wege</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Sprachlosigkeit</strong><br />
„Alles, was <strong>die</strong> Handlungsfähigkeit des Körpers steigert, verringert, einschränkt o<strong>der</strong><br />
erweitert, steigert, verringert, beschränkt o<strong>der</strong> erweitert auch <strong>die</strong> Handlungsfähigkeit<br />
des Geistes.<br />
Und alles, was <strong>die</strong> Handlungsfähigkeit des Geistes steigert, verringert, beschränkt<br />
o<strong>der</strong> erweitert, steigert, verringert, beschränkt o<strong>der</strong> erweitert auch <strong>die</strong><br />
Handlungsfähigkeit des Körpers.“<br />
Baruch Spinoza (1632-1677)<br />
<strong>Sprachlosigkeit</strong> ist ein bekanntes Symptom von Traumapatienten, das durch neuere<br />
Untersuchungsmethoden, wie etwa <strong>die</strong> Positronen-Emissions-Tomografie,<br />
inzwischen eine neurobiologische Begründung erfahren hat. Sprachloses Staunen<br />
verbreitet sich allerdings auch in Anbetracht <strong>der</strong> Tatsache, dass bis anhin in <strong>der</strong><br />
gesamten Schweiz keine spezielle stationäre Behandlungseinrichtung für<br />
traumatisierte, (sprachlose) Menschen mit <strong>einer</strong> komplexen Posttraumatischen<br />
Belastungsstörung inklusive den Begleiterkrankungen eingerichtet wurde, zumal es<br />
für <strong>die</strong>ses psychiatrische Störungsbild <strong>einer</strong> effizienten, traumaadaptierten<br />
Psychotherapiemethode bedarf.<br />
Durch ein Trauma, zunächst im chirurgischen Sinne, wird ein Zusammenhang<br />
zerrissen („dissolutio continuitatis“, von Galenus von Pergamon, um 130 bis 200 n.<br />
Chr. beschrieben), <strong>die</strong> – chirurgische – Traumatherapie besteht darin, <strong>die</strong><br />
unterbrochene Kontinuität ressourcenorientiert wie<strong>der</strong>herzustellen. Im Rahmen <strong>einer</strong><br />
stationären psychiatrischen Traumatherapie geschieht <strong>die</strong>s vor allem über <strong>die</strong><br />
Sprache. Im psychodynamischen Kontext wird auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>einer</strong> tragfähigen<br />
therapeutischen Beziehung sowie eines spezifischen Behandlungskonzeptes<br />
versucht, eine sinnvolle Lebenskontinuität bei traumatisierten Menschen<br />
wie<strong>der</strong>herzustellen. Das Trauma zerstört <strong>die</strong> Symbolisierungsfähigkeit, es erzeugt<br />
nicht nur „Sprachverwirrung“ (Ferenczi 1933), son<strong>der</strong>n auch <strong>Sprachlosigkeit</strong>.<br />
Für <strong>die</strong> Konzepte des therapeutischen Vorgehens in <strong>der</strong> Therapie Traumatisierter ist<br />
es unabdingbar, zwischen chronischen familiären Traumata, <strong>die</strong> eher zur<br />
Persönlichkeitsstörung, und akuten, einmaligen o<strong>der</strong> mehrmaligen<br />
Extremtraumatisierungen jeden Lebensalters, <strong>die</strong> eher zu Posttraumatic Stress<br />
Disor<strong>der</strong> (PTSD) führen, zu unterscheiden. Auf <strong>die</strong> <strong>Notwendigkeit</strong> <strong>die</strong>ser<br />
Differenzierung weist auch Kernberg (1999) in s<strong>einer</strong> Arbeit hin. Die erste<br />
Traumaform findet in langjährigen, für das Kind lebensnotwendigen Beziehungen<br />
statt, wie es bereits Ferenczi (1933; 1985) drastisch beschrieben hat, so dass <strong>die</strong><br />
traumatische Einwirkung, <strong>die</strong> sich über<strong>die</strong>s über <strong>die</strong> Jahre wie<strong>der</strong>holt, nicht von den<br />
pathogenen Beziehungen und Strukturen <strong>der</strong> Familie getrennt werden kann. Ganz<br />
an<strong>der</strong>s bei Extremtraumatisierungen, <strong>die</strong> nur insofern Beziehungstraumata sind, als<br />
dem Täter, dem Folterer z. B., in <strong>der</strong> traumatischen Regression vom Opfer, das sich<br />
als lebensunfähiges Kind erlebt, in <strong>einer</strong> Art <strong>Über</strong>tragung Qualitäten von übergrosser,<br />
elterlicher, paradoxerweise gar retten<strong>der</strong> Macht verliehen werden. Bei nicht von<br />
Menschen verursachten traumatisierenden Katastrophen tritt <strong>der</strong> Beziehungsaspekt<br />
ganz in den Hintergrund. Insofern ist es einfach wie zwingend, dass <strong>die</strong> heute<br />
propagierten Techniken für Traumatherapie eher für extremtraumatisierte<br />
Erwachsene geeignet sind, während <strong>die</strong> Folgen langjähriger chronischer
Beziehungstraumata eben im Prinzip nur durch eine intensive Beziehungstherapie,<br />
insbeson<strong>der</strong>e eine modifizierte integrative Psychotherapie wirklich an <strong>der</strong> Wurzel zu<br />
packen sind.<br />
Dabei kann eine Traumastation lediglich eine „Station“, wenn gleich auch eine<br />
unumgängliche, auf dem Weg <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Wortlosigkeit in <strong>die</strong> Genesung sein. Eine<br />
interdisziplinäre Kooperation zwischen ambulanten Therapeuten, Sozialarbeitern<br />
sowie H<strong>aus</strong>ärzten ist dabei von beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Das Traumathema ist in<br />
s<strong>einer</strong> Breite und Vielschichtigkeit nur interdisziplinär anzugehen. Die klinischen<br />
Disziplinen fokussieren Perspektiven <strong>der</strong> Psychopathologie, fehlgesteuerter<br />
Kognitionen und Emotionen sowie des „neuronal functioning“. Nur im<br />
interdisziplinären Diskurs <strong>der</strong> einzelnen Fachgebiete und im Polylog <strong>der</strong><br />
verschiedensten SpezialistInnen, aber auch <strong>der</strong> Experten-HelferInnen und <strong>der</strong><br />
Experten-PatientInnen, im Aust<strong>aus</strong>ch <strong>der</strong> „doppelten Expertenschaft“ von<br />
Betroffenen und Professionellen, können <strong>die</strong> einzelnen Wissensstände so<br />
konnektiviert werden, dass es zu übergeordneten transdisziplinären Erkenntnissen<br />
kommt und zu einem transversalen Wissen, das <strong>die</strong> Fülle <strong>der</strong> menschlichen<br />
Erfahrungen durchquert und immer wie<strong>der</strong> zu neuen, erweiterten Einsichten kommt.<br />
Bei allem Abstand zu den Selbstverständlichkeiten und Konventionen unserer<br />
„gesunden“ Welt bleibt <strong>der</strong> traumatisierte Mensch für uns eine Auffor<strong>der</strong>ung, in<br />
seinem Kranksein auch eine – wenngleich radikal verschobene – menschliche<br />
Lebensform zu sehen.<br />
Zum Abschluss möchte ich noch Marc Aurel (Marcus Aurelius Antonius, römischer<br />
Kaiser, 121 n. Chr. – 180 n. Chr.) zitieren: „ Das Heil unseres Lebens beruht darin,<br />
dass wir das Wesen je<strong>der</strong> einzelnen Sache zu durchschauen suchen, worin ihre<br />
Substanz besteht, was sie verursachte. Von ganzer Seele das Rechte zu tun und<br />
wahrhaftig zu sprechen, was bleibt sonst noch, als das Leben zu geniessen, indem<br />
man ein gutes Tun an das an<strong>der</strong>e knüpft, so dass auch nicht <strong>der</strong> kleinste<br />
Zwischenraum bleibt? Denn durch ethisches, solidarisches Handeln kann man –<br />
auch bei belastenden Situationen – eine lebensfreundliche Einstellung gewinnen,<br />
eine Haltung „heiteren Herzens.“<br />
Als Leitprinzip <strong>der</strong> Traumabehandlung steht <strong>der</strong> „client wellfare“, das Wohlergehen<br />
<strong>der</strong> PatientInnen, <strong>die</strong> Wandlung <strong>der</strong> traumatischen Finsternis in das „Gold <strong>der</strong><br />
Befreiung“.<br />
Vielleicht es im Sinne von Hilde Domin ja eines Tages möglich, <strong>die</strong> Sintflut zu<br />
überleben, <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Löwengrube und dem Feuerofen wie<strong>der</strong> her<strong>aus</strong>zusteigen, dass<br />
wir „immer versehrter und immer heiler… zu uns selbst entlassen werden“.<br />
Bernd Frank<br />
Oberarzt Stationäre Traumatherapie<br />
Fachpsychotherapeut für Traumatherapie ( DIPT/SIPT )