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<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Referat 77)<br />

zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der<br />

Sekundarstufe 1<br />

mit besonderen Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben<br />

(<strong>LRS</strong>)<br />

von Ulrich Horch-Enzian<br />

Der vorliegende <strong>Leitfaden</strong> möchte Lehrkräften Hilfestellung geben, die in der Sekundarstufe 1<br />

unterrichten und Lernenden helfen möchten, schwache Leistungen im Rechtschreiben oder Lesen<br />

zielgerichtet zu verbessern.<br />

Er kann aber auch Eltern Orientierung geben, die Hilfe suchen, auf welchem Wege sie ihrem Kind<br />

Förderung durch die Schule zukommen lassen können und selbst helfen können.<br />

Der <strong>Leitfaden</strong> ist in 13 Kapitel gegliedert. Für den ersten, schnellen Zugriff ist jedem Kapitel eine<br />

knappe Zusammenfassung vorangestellt worden.<br />

Inhaltsverzeichnis:<br />

1. Grundinformationen<br />

2. Früherkennung und -förderung<br />

3. Förderung in der Sekundarstufe 1<br />

4. Aufbau von qualifizierten und gestuften Fördermaßnahmen in den<br />

Klassen 5 und 6<br />

5. Fördermaßnahmen im Rahmen der Verwaltungsvorschrift vom<br />

22.8.2008<br />

6. Lernstandermittlungen und <strong>LRS</strong>-Diagnose<br />

7. Erstellung von individuellen, diagnosegeleiteten Förderplänen<br />

8. Kooperation Schule und Eltern<br />

9. Sicherung von Verbindlichkeit und Regelmäßigkeit<br />

10. Fördermethodik (nach FRESCH)<br />

11. Qualifizierung von Lehrkräften<br />

12. Verknüpfung von Fördermethodik und Regelunterricht<br />

13. Literaturempfehlung


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

1. Grundinformationen<br />

Kinder mit besonders schwachen Rechtschreib- oder Leseleistungen heben sich mit Beginn der<br />

weiterführenden Schulart markanter ab, da Unterschiede in der jeweiligen Lernstandentwicklung durch<br />

ungeübte Diktate und anspruchsvollere Text- und Aufsatzformen deutlicher hervortreten. Für<br />

Fachlehrer/innen des Faches Deutsch oder einer Fremdsprache ist der Umgang mit Kindern schwierig,<br />

denen der Erwerb der Schriftsprache noch weiterhin nur schleppend oder unzulänglich gelingt, während<br />

Mitschüler/innen 1 rasante Fortschritte machen. <strong>Die</strong> Schere zwischen guten und nicht ausreichenden<br />

Leistungen ist in Klasse 5 schon weit aufgegangen.<br />

<strong>Die</strong> Vielschichtigkeit der Problematik <strong>LRS</strong> erschwert nicht nur Eltern, sondern auch den unterrichtenden<br />

Lehrkräften oftmals die Suche nach geeigneten Hilfsmethoden. Zur ersten Orientierung mögen die<br />

nachfolgenden Erläuterungen dienlich sein.<br />

Denn „<strong>LRS</strong>“ ist ein Sammelbegriff – in mehrfacher Hinsicht. Was bedeuten die drei Buchstaben?<br />

L R S: Schwierigkeiten im Lesen<br />

oder<br />

L R S: Schwierigkeiten im Rechtschreiben<br />

L R S: Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben<br />

L R S: Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (vgl. VwV bis Kl. 6)<br />

Lese-Rechtschreibschwäche (zeitweilig)<br />

Lese-Rechtschreibstörung (manifest)<br />

(medizinisch: Legasthenie)<br />

Zu berücksichtigen ist aber vor allem dies: Ein Kind hat nicht eine <strong>LRS</strong>, sondern seine <strong>LRS</strong>. Das heißt:<br />

Schwierigkeiten im Lesen und/oder Rechtschreiben können in sehr individuellen Ausformungen<br />

auftreten und durch weitere Probleme begleitet oder verschärft werden.<br />

1.1 <strong>LRS</strong> als Teilleistungsschwäche<br />

Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden die Schwierigkeiten von Kindern mit <strong>LRS</strong> pauschal als eine<br />

mangelnde allgemeine Begabung gedeutet. <strong>Die</strong> betreffenden Kinder wurden aus der Regelbeschulung<br />

herausgenommen oder herabgestuft. Sie verloren somit die Chance auf einen Bildungsgang, der der<br />

Gesamtheit ihrer Begabungen entsprach.<br />

Heute weiß man, dass <strong>LRS</strong> häufig als eine Schwäche auftritt, die nur mit einem Teilbereich der<br />

schulischen Anforderungen korrespondiert. Man achtet darauf, die Lernenden in demjenigen Schultyp<br />

zu fördern, der ihrer jeweiligen Gesamtbegabung am meisten entspricht. <strong>LRS</strong> ist kein<br />

Ausschlusskriterium mehr in Bezug auf eine adäquate Schulbildung. Umgekehrt sollten aber auch<br />

besondere Schutzmaßnahmen, die im Rahmen der Förderung möglich sind, nicht zur Wahl einer<br />

ungeeigneten, überfordernden Schulart verleiten.<br />

1 Aus Gründen besserer Lesbarkeit werden nach Möglichkeit Doppelformen wie „Schülerinnen und Schüler“ oder „Lehrerinnen und Lehrer“<br />

vermieden und durch geschlechtsneutrale Bezeichnungen wie „Kinder“, „Lernende“ oder „Lehrkräfte“ ersetzt.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

2. Früherkennung und -förderung<br />

In einem Kulturraum wie Deutschland sind die gesamten Bildungs- und Berufschancen in starkem Maße<br />

von der Lese-, aber auch Rechtschreibkompetenz eines Menschen abhängig.<br />

Besondere Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb werden mit Beginn der Schulzeit sichtbar. Sie<br />

manifestieren sich dort als Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten oder in beidem zusammen.<br />

<strong>Die</strong> Forschung hat jedoch deutlich gezeigt, dass diese Schwächen auf Vorläufererscheinungen<br />

zurückgehen, die bereits im Kindergartenalter zu erkennen sind. Bei Kindern, die später in der<br />

Grundschule eine schwache Rechtschreibung haben werden, ist in der Vorschulzeit sehr häufig die<br />

„phonologische Bewusstheit“ defizitär. Schulkinder mit sehr schwachen Leseleistungen zeigen oft<br />

zuvor, dass der Schnellzugriff auf ein Wort oder Wortbild verzögert abläuft.<br />

Somit wird deutlich, dass wegen des Zusammenhangs mit Vorläuferschwächen schon eine<br />

Früherkennung möglich, ja erforderlich ist. <strong>Die</strong> Frühförderung bei Kindern, denen eine <strong>LRS</strong> in der<br />

Schule droht, ist eine segensreiche Maßnahme, um rechtzeitig das anzugehen, was in späteren<br />

Schuljahren immer größere Therapieanstrengungen erforderlich macht. Ein frühzeitiges Erkennen und<br />

Eingreifen tut not, weil die Schere der unterschiedlichen Lernentwicklung schon in den ersten Jahren<br />

weit aufgeht. So haben beispielsweise Längsschnittstudien gezeigt, dass die guten Leser der zweiten<br />

Klasse bereits besser lesen als die schwachen Leser der sechsten Klassenstufe.<br />

Leider sind solche Erkenntnisse noch immer nicht pädagogisches Gemeingut geworden. Wertvolle Zeit<br />

zur Intervention verstreicht. Zum einen ist dies der Schule anzulasten, wenn Lehrkräfte noch nicht ihre<br />

Wissenslücken über den Umgang mit <strong>LRS</strong> geschlossen haben. Zum anderen lässt sich das verspätete<br />

Erkennen auch darauf zurückführen, dass diese Kinder meist gut begabt sind und in den ersten<br />

Schuljahren ihre Schwächen durch Auswendiglernen usw. verschleiern können. Daher finden zu viele<br />

Fördermaßnahmen verspätet statt; unter Umständen erst in der Sekundarstufe 1, wo ungeübte Diktate die<br />

Wissenslücken unübersehbar werden lassen oder die Leseflüssigkeit gegenüber den Leistungen der<br />

Mitschüler/innen immer geringer erscheint. Folglich müssen Lernstandbeobachtungen und<br />

Fördermaßnahmen als Einheit begriffen werden, die in der Vorschulzeit beginnt und ggf. bis zur<br />

Sekundarstufe 2 reichen kann.<br />

Frage: Was geschieht, wenn der Förderbedarf nicht erkannt wird?<br />

Kinder, denen das nicht gelingt, was ihren Mitschülern scheinbar so leicht fällt, geraten beim Lesen und<br />

Rechtschreiben permanent unter Stress. Eine Abwärtsspirale aus Versagensangst und<br />

Ausweichreaktionen setzt ein, die zu psychosozialen und gesundheitlichen Schäden führt. Auf dem Weg<br />

zum Erwachsenenalter ziehen solche Versagenserlebnisse immer heftigere Reaktionen nach sich. In der<br />

Gesamtbilanz könnte eine Gesellschaft zwar über die enormen Kosten klagen, die durch Verweigerung,<br />

Gewaltbereitschaft, Suchtverhalten, Gemütserkrankung oder Schlimmeres entsteht. Daraus entstehende<br />

Kosten sind um ein Vielfaches höher als Kosten einer schulischen Förderung. Pädagogen haben aber vor<br />

allem den einzelnen Menschen im Blick: das psychische Leiden eines Kindes oder das Scheitern von<br />

Lebensentwürfen und Berufschancen.<br />

Eine frühzeitige, individuelle Förderung ist nicht nur ökonomischer, sondern verhilft heranwachsenden<br />

Menschen dazu, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und eine schulische und berufliche Ausbildung<br />

zu erhalten, die ihren tatsächlichen Begabungen entspricht. <strong>Die</strong>se früh einsetzende Förderung trachtet<br />

danach, das Erreichbare durch geeignete Lehrmethoden und –mittel tatsächlich zu erreichen, das<br />

Selbstwertgefühl auch bei Erfahrungen von Misslingen zu schonen und die Fähigkeit zur Selbsthilfe<br />

aufzubauen.<br />

<strong>Die</strong> Grundfrage, die sich Lehrer stellen müssen, ließe sich in etwa so formulieren: „Was braucht diese<br />

Schülerin / dieser Schüler von mir, damit sie / er ähnlich gut lernen kann wie die Klassenkameraden?“<br />

<strong>Die</strong> Instrumente dazu sind längst entwickelt worden und stehen jeder Lehrkraft auf Wunsch zur<br />

Verfügung. Es ist ein Anliegen dieser Handreichung, den Weg zu ihrem Einsatz zu beschreiben.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

3. Förderung in der Sekundarstufe 1<br />

Wer glaubt, der Umgang mit einer <strong>LRS</strong> sei ein Problem der Grundschule, wird durch die<br />

allgegenwärtigen Beobachtungen widerlegt, dass es viele Lernende sind, die in der Klassenstufe 5 und 6<br />

(oft auch länger) unvermutet große Schwierigkeiten mit dem Lesen und Rechtschreiben haben –<br />

Schwierigkeiten, die sich häufiger von den sonstigen Fähigkeiten der Lernenden abheben. Das hat<br />

verschiedene Ursachen.<br />

Zum einen gibt es Kinder mit einer umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung (auch „Legasthenie“), die<br />

trotz Förderung deutliche Reste ihrer Schwierigkeiten bis ins Erwachsenenalter behalten werden. Das<br />

betrifft vor allem die Rechtschreibsicherheit.<br />

Zum anderen gibt es Schüler/innen mit einer vorübergehenden Lese-Rechtschreibschwäche. Deren<br />

Anzahl ist etwa doppelt so hoch wie die mit einer LR-Störung. Ein Erreichen ausreichender<br />

Rechtschreib- bzw. Leseleistungen ist jedoch nur dann zu erwarten, wenn bei Kindern der Förderbedarf<br />

im Kindergarten und der Grundschule frühzeitig erkannt wird und kompetente Hilfsmaßnahmen<br />

ergriffen werden. Dort, wo dies geschieht, können Defizite angemessen ausgeglichen werden.<br />

Gegenwärtig müssen wir allerdings einräumen, dass in der Grundschule die Zahl der nicht geförderten<br />

<strong>LRS</strong>-Kinder noch zu hoch ist, um flächendeckend das schulpolitisch gesetzte Ziel verwirklichen zu<br />

können, die Fördermaßnahmen bis zum Ende der Klassenstufe 6 abgeschlossen zu haben.<br />

Eine besondere Gruppe bilden diejenigen, bei denen die unzureichende Lese-Rechtschreibleistung sich<br />

aber nicht vom sonstigen Begabungsprofil abhebt, weil die LR-Schwäche Teil einer allgemeinen<br />

Minderbegabung ist und z.B. sonderpädagogischer Förderbedarf besteht. Nach der Definition von<br />

„Teilleistungsschwäche“ werden diese Kinder nicht unter die Kategorie „<strong>LRS</strong>“ gerechnet.<br />

So findet man unter dem Sammelbegriff <strong>LRS</strong> nicht nur mehrere Formen der Beeinträchtigung, sondern<br />

auch unterschiedliche Ursachen: vererbte oder erworbene Störungen, organische Ursachen (z.B. Hören<br />

oder Sehen), soziale oder schulische Faktoren, Unfallfolgen u.a.<br />

Diagnose und Therapie erfordern z. T. die Mitwirkung von Fachleuten. Innerhalb der Kompetenz einer<br />

Lehrkraft liegt aber die Auswahl geeigneter Fördermaterialien. Dazu folgende Überlegungen:<br />

Eine Ursache für das Fortbestehen der <strong>LRS</strong> in der Sekundarstufe 1 entspringt aus der Verwendung von<br />

Methoden oder Materialien, die sich nicht bewährt haben oder die untereinander nicht kombinierbar sind.<br />

<strong>Die</strong>ser Aspekt gewinnt an Bedeutung, weil zunehmend außerschulische Anbieter (Nachhilfe-Institute)<br />

diesen „Markt“ des Förderbedarfs entdeckt haben. Hier wäre von der Schule jeweils zu überprüfen,<br />

inwieweit deren Methodiken mit den Maßnahmen der Schule vereinbar sind.<br />

Auch dort, wo solche Institute gute und mit der Schule abgestimmte Arbeit leisten, darf nicht darüber<br />

hinweggesehen werden, dass der eigentliche Auftrag zur Vermittlung der Kulturtechnik des Lesens und<br />

Schreibens bei der Schule liegt. <strong>Die</strong> Verwaltungsvorschrift vom 22.8.2008 (VwV) betont diesen Auftrag<br />

und macht Förderung (in einem gestuften Verfahren) zur Pflicht für die Lehrkräfte.<br />

Es würde dem Grundgedanken der Chancengleichheit widersprechen, wenn hinreichende Förderung nur<br />

solche Kinder bekämen, deren Eltern einen außerschulischen Zusatzunterricht bezahlen können.<br />

Der uneingeschränkte Förderauftrag gilt für alle Lehrkräfte – nicht nur an Grund- oder Sonderschulen,<br />

sondern auch an allen weiterführenden Schulen. <strong>Die</strong> Beschlüsse über geeignete Fördermaßnahmen<br />

fassen deshalb die unterrichtenden Lehrkräfte (Klassenkonferenz mit der Schulleitung). Wo die<br />

Lehrkräfte Informationen oder Beratung wünschen, können schulische wie außerschulische Experten<br />

eingebunden werden.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

4. Aufbau von qualifizierten und gestuften Fördermaßnahmen in<br />

den Klassen 5 und 6<br />

Der Auftrag zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf ist schulrechtlich verankert.<br />

Zur Förderung gibt die VwV (vom 22.8.2008) ein gestuftes Verfahren vor. Es kann aber der Schule nicht<br />

auferlegt werden, auf welcher Stufe sie ihrem Förderauftrag nachkommt (Binnendifferenzierung /<br />

allgemeiner Förderkurs / <strong>LRS</strong>-Förderkurs), weil die Ressourcen an Schulen sehr unterschiedlich sein<br />

können.<br />

Gymnasien können nicht wie andere Schularten auf einen Stundenpool der Staatlichen Schulämter<br />

zurückgreifen, sondern müssen die Lehrerstunden ihrem (geschrumpften) Ergänzungsbereich entnehmen.<br />

Wo also kein Förderkurs angeboten wird und auch Kooperation mit Nachbarschulen nicht möglich ist,<br />

bleibt der Förderauftrag an der Fachlehrkraft hängen, die ihn zumindest mittels Binnendifferenzierung<br />

zu erfüllen hat.<br />

Wo aber Fördergruppen eingerichtet werden können, soll dieser Unterricht von dafür qualifizierten<br />

Lehrkräften erteilt werden. <strong>Die</strong>se sollen durch eine Fortbildung für den Umgang mit <strong>LRS</strong> geschult<br />

worden sein. Es liegt im Auftrag der Schule, diese vorhandenen Fortbildungsangebote (des<br />

Schulberaters, der <strong>LRS</strong>-Multiplikatoren oder der Landesakademie) aufzugreifen, damit das vorhandene<br />

Know-how der Fördermethodik zum Einsatz kommt. Förderung ist als verbindlicher pädagogischer<br />

Auftrag zu sehen.<br />

Frage: Wie kann Förderung in der Rechtschreibung organisiert werden?<br />

Vorbereitung:<br />

- im vorausgehenden Schuljahr:<br />

Einplanung von Lehrerwochenstunden im Deputat<br />

- zu Anfang der Klasse 5:<br />

Information auf den ersten Elternabenden über Förderabsicht und folgende<br />

Diagnoseschritte und Förderangebote<br />

Diagnoseschritte:<br />

- Suche nach schwachen Rechtschreibern: Hausaufgabenkontrollen etc.<br />

- Gemeinsames Diktat in den Parallelklassen zu Diagnosezwecken (einheitlicher Fehlerschlüssel,<br />

keine Benotung, keine Rückgabe, keine Rückmeldung der Fehlerzahl an Schüler)<br />

- Auswertung des Diagnosediktats: Schüler, die deutlich in der schwächeren Hälfte liegen, werden<br />

weiter getestet.<br />

- Standardisierter Rechtschreibtest (z.B. DRT 5)<br />

- Qualitative Auswertung des Tests: Wer hat welche Schwierigkeiten? (Förderansatz finden)<br />

- Quantitative Auswertung des Tests: Wer sind die ganz Schwachen? / Wer sind die Schwachen? / Wer<br />

ist unterdurchschnittlich?<br />

- Information der Eltern über Förderbedarf des Kindes und angebotene Maßnahmen der Schule


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Gestuftes Förderverfahren:<br />

- Je nach Ressourcen der Schule würden die ganz schwachen Rechtschreiber in einen <strong>LRS</strong>-Förderkurs<br />

kommen; die Schwachen würden im Förderkurs Deutsch einen Block „FRESCH-<br />

Training“ durchlaufen; die Unterdurchschnittlichen würden von ihrer Deutschlehrkraft<br />

Übungsangebote erhalten, die auf der Grundlage der qualitativen Testauswertung entworfen werden.<br />

- Sollten die Ressourcen einer Schule die Einrichtung von Kursen nicht ermöglichen, werden die<br />

differenzierten Förderangebote durch die Deutschlehrkraft zu jenem mindesten Förderangebot, zu<br />

dem die Schule verpflichtet ist.<br />

- Für Kinder mit besonderem Förderbedarf ist ein Förderplan zu erstellen, der auf einer individuellen<br />

Diagnose fußt (vgl. Diagnosediktat u. Standardtest). Verlauf und Ergebnis der Förderung werden der<br />

Klassenkonferenz (und den Eltern) am Ende des Schuljahrs mitgeteilt.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

5. Fördermaßnahmen im Rahmen der Verwaltungsvorschrift vom<br />

22.8.2008<br />

Übersichtsschema zur Verwaltungsvorschrift vom 22.8.2008<br />

Klasse Voraussetzung Maßnahmen/Förderung<br />

Kl. 2<br />

bis<br />

Kl. 6<br />

Kl. 7<br />

bis<br />

Sek. 1<br />

Abschluss<br />

klassen<br />

und gymn.<br />

Oberstufe<br />

Schwierigkeiten im Rechtschreiben oder<br />

Lesen trotz bisheriger Förderung<br />

Leistung dauerhaft schwächer als<br />

„Ausreichend“<br />

unabhängig von Ursachen (d.h. auch bei<br />

Lernrückstand, Übungsmangel, Begabungsmangel)<br />

in Deutsch und Fremdsprache(n)<br />

Dauerhaft nicht ausreichende Leistungen<br />

im Rechtschreiben oder Lesen<br />

in Deutsch oder Fremdsprache(n)<br />

<strong>LRS</strong> als Teilleistungsschwäche bei sonst<br />

ausreichender Eignung für die Schulart<br />

Feststellung einer <strong>LRS</strong> und des besonderen<br />

Förderbedarfs durch die Klassenkonferenz<br />

aufgrund einer fundierten Diagnose<br />

als „begründeter Einzelfall“<br />

In Fremdsprache(n) nur, wenn auch in<br />

Deutsch bis Kl. 6 Lese-Rechtschreibleistungen<br />

nicht ausreichend waren<br />

Keine zurückhaltende Gewichtung möglich!<br />

Allein Maßnahmen des Nachteilsausgleichs<br />

noch möglich (über KK).<br />

(Im Abitur vorher anmelden.)<br />

Förderung nach Förderplan<br />

Absenkung des Anforderungsprofils<br />

(= Maßnahmen der zurückhaltenden<br />

Gewichtung - siehe Kl. 7 f.) wird zu einem<br />

Muss!<br />

Pädagogische schriftliche Kommentierung<br />

Klassenkonferenzbeschluss (bei Einvernehmen<br />

mit Eltern)<br />

Junktim mit Zeugnisbemerkung<br />

Förderung nach<br />

Förderplan<br />

Nachteilsausgleich:<br />

# längere<br />

Prüfungszeit<br />

# Laptop als<br />

Schreibwerkzeug<br />

# Veränderung<br />

äußerer Prüfungs-<br />

bedingungen<br />

# maßvolle<br />

Gewichtsverlagerung zw.<br />

Schriftlich / Mündlich<br />

# KK-Beschluss<br />

NTA führt zu keinem<br />

Zeugnisvermerk!<br />

Leistungsanforderung<br />

bleibt, nur äußere<br />

Bedingungen geändert.<br />

Förderung nach<br />

Förderplan<br />

Absenkung des<br />

Anforderungsprofils<br />

in Deutsch bzw.<br />

Fremdsprache:<br />

# zurückhaltende<br />

Gewichtung bei<br />

Zeugnisnote<br />

# andere Aufgabenstellung<br />

# begrenzter Umfang<br />

# Nichtbewertung der<br />

Rechtschreibung in allen<br />

anderen Fächern<br />

# KK-Beschluss<br />

Absenkung der<br />

Anforderungen wegen<br />

Junktim mit<br />

Zeugnisvermerk nicht<br />

mehr möglich!


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Im Umgang mit der einschlägigen Verwaltungsvorschrift vom 22.8.2008 treten an bestimmten Stellen<br />

vermehrt Fragen auf, die einer kommentierten Auslegung bedürfen. <strong>Die</strong> nachfolgenden Erläuterungen<br />

wollen die innewohnende Logik sichtbarer machen und praktikable Handhabungsvorschläge<br />

unterbreiten.<br />

5.1 „Besondere Fördermaßnahmen“<br />

5.1.1 Verfahren bis Klasse 6:<br />

Das Verfahren bis einschließlich Klasse 6 zielt darauf ab, Fördermaßnahmen in Gang zu setzen, die es<br />

dem Schüler ermöglichen, Rückstände zu verringern, und mit pädagogischen Mitteln Störfaktoren<br />

auszuschalten, die diesen Aufholprozess behindern.<br />

Damit Förderung stattfindet, werden die Schwellen bewusst niedrig angesetzt: ohne aufwendige<br />

Diagnoseverfahren, ohne schulpsychologische Gutachten, ohne komplexe Definitionen.<br />

Der entsprechende Passus nennt für die Ausnahmeregelungen nur „besondere Probleme des<br />

Schriftspracherwerbs“ und verzichtet bis Ende der 6. Klasse auf eine genauere Umschreibung bzw.<br />

Ursachenklärung.<br />

In Gang gebracht werden kann das Beschlussverfahren der Klassenkonferenz schon dadurch, dass der<br />

Fachlehrer in Deutsch oder einer Fremdsprache die Leseleistung oder die Rechtschreibleistung dauerhaft<br />

geringer als mit der Note „ausreichend“ bewertet. Standardisierte Testverfahren werden also nicht<br />

zwingend vorgegeben (könnten aber hilfreich sein, wenn die Abgrenzung zwischen Ausreichend und<br />

Mangelhaft / Ungenügend schwer fällt).<br />

Weil das Verfahren einen pädagogischen Spielraum eröffnet, sind es die den betreffenden Schüler<br />

unterrichtenden Lehrkräfte (mit Schulleiter), die eine Entscheidung über Fördermaßnahmen treffen.<br />

Wenn die Leistungen im Lesen und / oder Rechtschreiben als dauerhaft nicht ausreichend eingeschätzt<br />

werden (in Deutsch oder Deutsch und der Fremdsprache), erlegt dieser Umstand der Klassenkonferenz<br />

(KK) die Anweisung auf, die betreffenden Leistungen „zurückhaltend zu gewichten“. Das heißt also: Bis<br />

einschließlich Klasse 6 erhält ein Schüler mit nicht ausreichenden Lese-Rechtschreibleistungen das<br />

Privileg einer Absenkung des Anforderungsprofils (geringeres Gewicht dieser Leistung in der<br />

Zeugnisnote) – allerdings um den Preis eines entsprechenden Vermerks im Zeugnis.<br />

Wenn die Eltern aus nachvollziehbaren Gründen die Zubilligung des Notenprivilegs samt Zeugniseintrag<br />

ablehnen, muss das Anforderungsprofil nicht abgesenkt werden.<br />

Ein Ermessensspielraum ergibt sich über den Faktor Zeit: Es könnte länger (als sechs Monate) dauern,<br />

bis die Lehrer feststellen können, ob eine nicht-ausreichende Leistung „dauerhaft“ vorhanden ist.<br />

<strong>Die</strong> weitere Stellschraube wäre die Unschärfe des Terminus „zurückhaltende Gewichtung“:<br />

Eine konkrete Prozentzahl der Absenkung wird nicht vorgegeben. Im Vergleich zu Mitschülern soll die<br />

Absenkung da sein, aber der Fachlehrer bestimmt, was er als „zurückhaltende Gewichtung“ dieser<br />

Teilleistung ansieht.<br />

<strong>Die</strong> Phase vor einem KK-Beschluss zur Absenkung des Anforderungsprofils muss nicht ungenutzt<br />

bleiben. Denn der pädagogische Auftrag zur Förderung (vgl. gestuftes Verfahren) besteht sofort, ohne<br />

Wartefrist. Auch Förderkurse können unabhängig von KK-Beschlüssen eingerichtet und beschickt<br />

werden.<br />

Mancherorts ist die Zubilligung eines Notenprivilegs (= zurückhaltende Gewichtung) die alleinige Hilfe<br />

für den Schüler mit <strong>LRS</strong> geblieben. Damit wurden m.E. Schwächen eher kaschiert als behoben. Der<br />

Schüler benötigt aber zusätzlich zum Notenschutz Methoden und Übungsmaterial, um Fortschritte<br />

machen zu können. Dem Lernenden müssen qualifizierte Hilfen gegeben werden, mit denen er<br />

Lernrückstände angehen kann. Der Fokus liegt also auf der Förderung; der Notenschutz ist dazu eine<br />

flankierende Maßnahme.<br />

<strong>Die</strong> KK beschließt bzw. konstatiert einen besonderen Förderbedarf und die „zurückhaltende<br />

Gewichtung“; die konkrete Umsetzung wird aber dem Fachlehrer aufgetragen, der immer eine Note bzw.<br />

Notengebung zu verantworten hat.<br />

Zu empfehlen wäre, dass diese konkrete Umsetzung auch protokolliert wird. Denn Verlauf und<br />

Ergebnisse einer Förderung, die die KK in Auftrag gibt, müssen evaluiert werden.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Eine Absenkung des Anforderungsprofils findet statt, wenn eine oder mehrere der folgenden<br />

Maßnahmen im Auftrag der KK durchgeführt werden:<br />

<strong>Die</strong> Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben werden mit zurückhaltender Gewichtung in die<br />

Zeugnisnote eingebracht. 2<br />

<strong>Die</strong> Rechtschreibleistung kann durch eine andere Aufgabe oder eine im Umfang begrenzte Aufgabe<br />

ermittelt werden:<br />

- eine andere Aufgabe (Beispiel: anstelle des Textdiktats ein Lückendiktat)<br />

- eine umfänglich gekürzte Arbeit (Beispiel: Das Diktat umfasst für die Mitschüler 120<br />

Wörter – für den <strong>LRS</strong>-Schüler aber nur 90 Wörter.)<br />

<strong>Die</strong> Benotung der Rechtschreibleistung kann durch einen pädagogischen Verbalkommentar 3 ersetzt<br />

oder ergänzt werden. (Beispiel: nur pädagogischer Kommentar oder Note plus pädagogischer<br />

Kommentar)<br />

<strong>Die</strong> zuletzt genannte Option für sich allein ergäbe noch keine Absenkung des Anforderungsprofils. Sie<br />

muss also mit einer der vorgenannten Optionen verknüpft sein.<br />

<strong>Die</strong> Fördermaßnahmen sollen dem Bedarf eines Schülers angepasst werden. Sie sind deshalb individuell<br />

und diagnosegeleitet ausgerichtet.<br />

Damit dies in der Praxis geschieht, sollten an Schulen Lehrkräfte wirken, die eine Fortbildung in der<br />

speziellen Fördermethodik erhalten haben. <strong>Die</strong> Förderlehrer/innen sollen dafür von den Fortbildnern der<br />

Schulaufsicht qualifiziert worden sein.<br />

In der Addition mehrerer Vergünstigungen nimmt die Abweichung von dem Anforderungsprofil der<br />

Klasse zu. Hier wird der verantwortliche Lehrer im Rahmen der KK bedachtsam das notwendige Maß<br />

zu bestimmen haben. Ihm und der KK obliegt gemeinsam mit dem Schulleiter die pädagogische<br />

Verantwortung.<br />

Wenn Maßnahmen der Absenkung des Anforderungsprofils in Deutsch oder der Fremdsprache<br />

beschlossen werden, sind sie damit verknüpft, dass in den übrigen Fächern die Rechtschreibleistungen<br />

nicht in die Fachnote 4 eingehen. Hiermit soll bei lese-rechtschreibschwachen Kindern eine<br />

Mehrfachbewertung der Schwäche verhindert werden. (Beispiel: Der Erdkundelehrer verbessert zwar<br />

Rechtschreibfehler in seiner Klassenarbeit, bezieht sie aber nicht in seine Bewertung der Arbeit ein.)<br />

Das begrenzte Zeitfenster (bis Klasse 6) verstärkt unausgesprochen den Druck; zum einen auf die Schule,<br />

zum anderen auf die Lernenden. <strong>Die</strong> Schule soll frühzeitig diagnostizieren und fördern. <strong>Die</strong><br />

Schüler/innen sollen das günstige Lernalter für Sprache und Schrift nutzen, um durch zusätzliche<br />

Anstrengungen vorhandene Lücken zu schließen.<br />

5.1.2 Verfahren ab Klasse 7:<br />

Ab Klasse 7 ändert sich das Verfahren in wesentlichen Zügen.<br />

2 „Zurückhaltende Gewichtung“ wird nicht durch einen Prozentwert definiert, heißt aber, dass die schwache Leistung auf jeden Fall<br />

ermittelt werden muss und nicht ganz oder fast ganz entfallen darf. Sie muss also erkennbar als leistungsmindernder Faktor<br />

wahrnehmbar sein. Unproblematisch wäre z.B. eine Halbierung des Notengewichts. Ein Beispiel: Ein Diktat wird als eine von vier<br />

Klassenarbeiten geschrieben und würde damit mit einem Viertel (25%) in die schriftliche Klassenarbeitsnote eingehen. Bei einer<br />

Halbierung seines Gewichts wegen der beschlossenen zurückhaltenden Gewichtung betrüge sein neues Gewicht in der<br />

Klassenarbeitsnote ein Achtel.<br />

3<strong>Die</strong> gemessene Rechtschreibleistung steht selbstverständlich im Notenbuch des Lehrers und wird auf Nachfrage auch bekannt<br />

gegeben. Zur Unterstützung der Lernanstrengungen soll aber nicht das Versagen in den Vordergrund gerückt werden, sondern der<br />

individuelle Fortschritt und die Zielsetzung<br />

4 Da Vermittlung der Rechtschreibung ein Auftrag an alle Fächer ist, kann es ggf. sinnvoll sein, dass der Fachlehrer Rechtschreibfehler<br />

verbessert. In die Benotung sollen sie aber nicht eingehen.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Nun ist in der VwV explizit von einer „Lese-Rechtschreibschwäche“ die Rede. Zwar ist auch dieser<br />

Terminus zunächst ein Sammelbegriff für mehrere Phänomene, weil er sowohl die Erscheinungen<br />

Leseschwäche und Rechtschreibschwäche bündelt als auch die Ausprägungen Schwäche und Störung<br />

unter denselben Oberbegriff (<strong>LRS</strong>) bringt.<br />

Da <strong>LRS</strong> in sehr vielen, ursächlich auch individuellen Mischformen auftritt, ist eine detailliertere<br />

Definition wenig sinnvoll, weil verwirrend. Außerdem lässt sich eine <strong>LRS</strong> nicht wirklich messen,<br />

sondern nur umschreiben. Immerhin grenzt die VwV die <strong>LRS</strong> ab Klasse 7 in wesentlichen Punkten ab,<br />

die bis zur Klasse 6 („Schwierigkeiten im Lesen oder Rechtschreiben“) noch nicht im Fokus standen:<br />

gegenüber einer allgemeinen Lernschwäche („mangelnde allgemeine Begabung“) sowie gegenüber<br />

„mangelnder Übung“ (auch wo diese durch mangelnde Arbeitsbereitschaft oder Sprachkenntnisdefizite<br />

zustande gekommen ist). Vielmehr wird ab Klasse 7 (und damit deutlich anders als bis Klasse 6) eine<br />

<strong>LRS</strong> nur als Ausnahmefall konstatiert. Und zwar dann, wenn mehrere, nicht genauer zu ergründende<br />

Ursachen gesehen werden („komplexes Feld an Ursachen“), die eine Störung oder zumindest eine<br />

Verzögerung im Schriftspracherwerb hervorgerufen haben, oder wenn eine erbbiologische Ursache<br />

vermutet werden muss („auf medizinischen Gründen beruhend“).<br />

Eine weitere Eingrenzung liegt in dem Wort „Teilleistungsstörung“. Im Gegensatz zu einer allgemeinen<br />

Lernschwäche soll bei einem Schüler mit <strong>LRS</strong> der Bereich Lesen oder Rechtschreiben gegenüber den<br />

sonstigen Begabungen und Lernleistungen erkennbar abfallen, d.h. eine Teilleistungsschwäche darstellen.<br />

In der Gesamtheit seiner Leistungen soll ein Schüler aber dem Anforderungsprofil der gewählten<br />

Schulart entsprechen. Wo <strong>LRS</strong> dagegen in Kombination mit allgemeinen Minderleistungen auftritt, stellt<br />

sich die Frage nach der Wahl einer angemessenen Schulart.<br />

<strong>Die</strong> Klassenstufe 7 als Schwelle für eine veränderte Förderkonzeption anzusetzen beinhaltet die<br />

Aufforderung, frühzeitig Schwierigkeiten im Lesen bzw. Rechtschreiben zu erkennen und fördernd zu<br />

behandeln. Dann kann es gelingen, Kinder, die nur einen zeitlichen Lernrückstand haben, bis zum Ende<br />

der Klasse 6 auf einen ausreichenden Leistungsstand zu bringen. Übrig bleiben ab Klasse 7 dann nur<br />

noch die Ausnahmefälle, bei denen eine komplexe Störung des Schriftspracherwerbs vorliegt.<br />

Auch die KK bekommt nun eine andere Funktion: Sie ist ab Klasse 7 ein Organ, das Entscheidungen<br />

trifft. Sie diskutiert ergebnisoffen. Sie hat nicht nur die Teilleistungsnote für Rechtschreiben oder Lesen<br />

im Blick, sondern bezieht in ihren Entscheidungsprozess andere Faktoren wie Begabung und<br />

Lernverhalten mit ein. Zur Feststellung des gesamten Leistungsprofils kann Fachwissen erforderlich<br />

werden (Einbeziehung von Schulpsychologen, Beratungslehrern, Fachärzten usw.), um die <strong>LRS</strong> als<br />

Teilleistungsschwäche bei ansonsten aber schulartgemäßen Fähigkeiten ausmachen zu können.<br />

Nach Feststellung des besonderen Förderbedarfs durch die KK stehen eine Reihe von Möglichkeiten<br />

alternativ oder auch additiv zur Verfügung. Sie lassen sich zwei Bereichen zuordnen:<br />

Maßnahmen, die einen Nachteilsausgleich darstellen, sowie Maßnahmen, die zu einer Senkung des<br />

Anforderungsprofils (Notenprivileg) führen.<br />

Zu beachten ist, dass Maßnahmen des Nachteilsausgleichs nicht eine Zeugnisbemerkung nach sich<br />

ziehen. Dagegen ist die Zubilligung einer Veränderung des Anforderungsprofils (Notenprivileg) immer<br />

mit einem Zeugnisvermerk verbunden.<br />

In Abschlussklassen kann solch ein Zeugnisvermerk auf dem Arbeitsmarkt zu Nachteilen für den<br />

betreffenden Schüler führen. Wo es aber ratsam ist, den Zeugnisvermerk nicht zu haben, kann kein<br />

Notenprivileg erteilt werden. Deshalb entfällt es in den Abschlussklassen der weiterführenden Schulen.<br />

Da die Eltern den Verzicht auf ein Notenprivileg für ihr Kind erklären können, lässt sich der<br />

Zeugnisvermerk auch in anderen Zeugnissen vermeiden; allerdings immer um den Preis, dass von der<br />

normalen Leistungsmessung dann nicht abgewichen wird und ein Notenprivileg nicht erteilt werden<br />

kann.<br />

Maßnahmen des Nachteilsausgleichs können dagegen bei entsprechenden Voraussetzungen in allen<br />

Klassen vorgenommen werden.<br />

Im Gegensatz dazu steht die Absenkung des Anforderungsprofils: Überall dort, wo die<br />

Leistungsmessung und –bewertung verändert wird, verändert sich das Anforderungsprofil und führt<br />

damit zu einem Zeugnisvermerk.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Sonderbedingungen eines Nachteilsausgleichs oder Notenprivilegs (zurückhaltende Gewichtung) sollen<br />

ab Klasse 7 nur dort eingeräumt werden, wo trotz Förderung und zusätzlicher Bemühungen nicht die<br />

Grundsatzwahrung der Gleichbehandlung vertretbar wäre.<br />

Im Übrigen ist die Abweichung von den sonstigen Benotungswegen für die Mitschüler (Notenprivileg)<br />

ein Instrument, zu dem ab Klasse 7 nicht vorschnell gegriffen werden sollte. Denn mit diesem sind<br />

folgende Arbeitsschritte verknüpft:<br />

Durchführung einer Klassenkonferenz<br />

Beschluss und Evaluation von Fördermaßnahmen<br />

Entwurf und Dokumentation einer Förderplanung<br />

Formulierung eines Zeugnisvermerks<br />

Gespräch mit Eltern und ggf. schulischen Experten<br />

ggf. Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte zum Vollzug „besonderer Fördermaßnahmen“<br />

5.2 Weitergabe von Information aus der Grundschule an die weiterführende<br />

Schule<br />

Dem Wortlaut der VwV ist zu entnehmen: „Zur Information der weiterführenden Schulen bietet die<br />

Grundschule den Eltern an, auf einem Beiblatt zur Grundschulempfehlung die Lese- oder<br />

Rechtschreibschwäche einschließlich der durchgeführten Fördermaßnahmen zu dokumentieren.“<br />

Daraus ergibt sich:<br />

Das Beiblatt wird in die Hände der Eltern gegeben, die über die Weitergabe entscheiden können.<br />

Das Beiblatt stellt die Grundschule aus, und sie muss es ausstellen. (Formulierungen im Indikativ sind<br />

im Schulrecht ein Imperativ.)<br />

<strong>Die</strong>ses Beiblatt soll die festgestellte Lese-Rechtschreibschwäche (bzw. die „besonderen<br />

Schwierigkeiten“) sowie ergriffene Fördermaßnahmen transparent machen und so dokumentieren, dass<br />

(bei Weitergabe an die weiterführende Schule) deren Lehrkräfte in etwa nachvollziehen können, wie die<br />

Fördermaßnahmen der Grundschule ausgesehen haben.<br />

Im Übrigen sind Fördermaßnahmen bei „besonderem Förderbedarf“ laut VwV diagnosegeleitet und von<br />

dafür qualifizierten Lehrkräften durchzuführen. <strong>Die</strong>se sind in der Lage, ihre Fördermaßnahmen<br />

angemessen transparent zu machen.<br />

5.3 Aufgaben der Klassenkonferenz<br />

Beschluss fassendes Gremium „Klassenkonferenz“<br />

Bedeutung der Klassenkonferenz (KK) Entscheidendes Gremium zur Feststellung einer<br />

Lese-Rechtschreibschwäche<br />

Einberufung <strong>Die</strong> KK wird durch den Klassenlehrer im<br />

Einvernehmen mit dem Schulleiter einberufen.<br />

Vorsitz in der KK Der Schulleiter<br />

Vorbereitung <strong>Die</strong> betroffenen Schüler und Eltern werden<br />

frühzeitig in die Entscheidungsfindung<br />

einbezogen.<br />

Zusammensetzung der KK Alle den Schüler unterrichtenden Lehrer unter<br />

Vorsitz des Schulleiters – ggf erweitert durch<br />

hinzugezogene Experten (z.B. Beratungslehrer,<br />

<strong>LRS</strong>-Fachberater / Multiplikatoren, schulische<br />

Ansprechpartner, schulpsychologische<br />

Beratungsstelle)


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Externe Gutachten Außerschulische Stellungnahmen oder<br />

Gutachten können in die Entscheidungsfindung<br />

der KK einbezogen werden – müssen aber nicht.<br />

Verbindlichkeit der Entscheidung <strong>Die</strong> Entscheidung der KK hat bindende Wirkung<br />

für die Fachlehrer.<br />

Transparenz <strong>Die</strong> beschlossenen Maßnahmen des<br />

Nachteilsausgleichs können in der Klasse<br />

begründet und erläutert werden.<br />

Evaluation Nach Beschluss besonderer Fördermaßnahmen<br />

werden der KK ein Förderplan, die Dokumentation<br />

des Förderverlaufs und der Ergebnisse<br />

vorgelegt.<br />

Weitergabe von Informationen über die<br />

<strong>LRS</strong>-Förderung<br />

von Grundschule zur weiterführ. Schule:<br />

→ durch ein Beiblatt zur Grundschul-<br />

empfehlung zur Verfügung der Eltern<br />

beim Wechsel in eine andere Schule:<br />

→ können Informationen zu dem besonderen<br />

Förderbedarf dann weitergegeben werden,<br />

wenn sie zur Erfüllung der pädagogischen<br />

Aufgaben der aufnehmenden Schule<br />

erforderlich sind.<br />

<strong>Die</strong> KK ist das über besondere Fördermaßnahmen entscheidende Gremium. Voraussetzung ist eine<br />

dauerhafte Schwäche des Schülers im Lesen und/oder Rechtschreiben (unterhalb Note „Ausreichend“).<br />

<strong>Die</strong>se Notenfeststellung trifft und verantwortet der Fachlehrer. Tests und Gutachten können<br />

dazukommen (und sind empfehlenswert), müssen aber bis Klasse 6 nicht vorhanden sein.<br />

Wenn sich durch die Lernstandanalysen eine besonderer Schwäche im Bereich Lesen oder/und<br />

Rechtschreiben abzeichnet und die Voraussetzungen der VwV gegeben sind, leitet der/die<br />

Klassenlehrer/in eine Klassenkonferenz unter Vorsitz der Schulleitung ein. Im Vorfeld werden die Eltern<br />

in die Entscheidungsfindung einbezogen. <strong>Die</strong> KK vollzieht eine Zusammenschau des Lernstands, an der<br />

alle unterrichtenden Lehrkräfte beteiligt sind. Der Beschluss der Klassenkonferenz (KK) muss von allen<br />

Lehrkräften mitgetragen und umgesetzt werden. Er behält seine Gültigkeit, solange die Leistungen noch<br />

dauerhaft schwächer als Note „ausreichend“ sind und der Beschluss nicht aufgehoben wird. Auch bei<br />

bedeutsamen Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der KK könnte eine erneute<br />

Beschlussfassung angeraten sein.<br />

<strong>Die</strong> KK ist nicht nur das Beschluss fassende Gremium, sondern bekommt auch Informationen über den<br />

Verlauf und die Ergebnisse der Fördermaßnahmen vorgelegt. Grundlage der Förderung ist ein<br />

individueller Förderplan, den die Förderlehrkraft entwirft. Somit sind diese Maßnahmen<br />

diagnosegeleitet und individuell auf den Förderbedarf des Kindes zugeschnitten, für das eine <strong>LRS</strong><br />

festgestellt wurde. <strong>LRS</strong>-Förderunterricht ist von „dafür qualifizierten Lehrkräften“ zu erteilen und mit<br />

dem Klassenunterricht eng abzustimmen.<br />

In der Formulierung „von dafür qualifizierten Lehrkräften“ liegt ein Fortbildungsauftrag, den die Schule<br />

und ihre Lehrkräfte erfüllen sollten.<br />

5.3.1 Zeitpunkt der Klassenkonferenz<br />

Eine zeitlich sehr frühe Klassenkonferenz in Klasse 5 ist nicht immer möglich, wohl aber der Beginn<br />

bzw. die Weiterführung von Fördermaßnahmen (um keine Lücke gegenüber der Grundschulzeit<br />

entstehen zu lassen). In der Praxis tritt das Problem auf, dass in der ersten Jahreshälfte der Klasse 5 ein


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Diktat geschrieben wird und sich für Kinder, deren Anforderungsprofil die Klassenkonferenz senken<br />

will, rückwirkend keine Veränderungen mehr an der Leistungsmessung durchführen lassen. (Zur<br />

Erinnerung: <strong>Die</strong> veränderte Berücksichtigung der Rechtschreibleistungen betrifft u. U. nicht nur das<br />

Deutsch-Diktat, sondern auch die Fremdsprache(n) und alle übrigen Fächer, in denen Deutsch<br />

geschrieben wird.) Weder ein nachträgliches Herausrechnen der Orthografie noch eine Abschätzung,<br />

was eine andere Diktatform erbracht hätte, wären praktikabel. Deshalb muss der<br />

Klassenkonferenzbeschluss zeitlich der Leistungsmessung vorangehen. In diesem Fall wären folgende<br />

Varianten denkbar:<br />

Es findet sehr zeitig in Klasse 5 eine Leistungsbeschreibung statt, die nicht ausreichende<br />

Rechtschreibleistungen konstatiert. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit müsste – wenn man dies will - in<br />

diesem Fall durch Beobachtungen aus der Grundschulzeit (vgl. Beiblatt zur Grundschulempfehlung) belegt<br />

werden. Das Diktat wird im ersten Halbjahr auf der Grundlage des Klassenkonferenzbeschlusses unter<br />

veränderten Bedingungen geschrieben. <strong>Die</strong> veränderte Leistungsmessung führt zu einer zurückhaltenden<br />

Gewichtung samt Vermerk in der Halbjahresinformation.<br />

Das Diktat (als Klassenarbeit) wird ebenfalls im ersten Halbjahr geschrieben. Aber die Möglichkeiten zur<br />

Absenkung des Anforderungsprofils (Notenprivileg) werden noch nicht zur Halbjahresinformation im Februar,<br />

sondern erst zum Ende des zweiten Halbjahres (Versetzungszeugnis) eingesetzt. Dann kann der<br />

Klassenkonferenzbeschluss später, jedoch vor dem Diktat-Termin erfolgen.<br />

Ein Diktat (als Klassenarbeit) wird erst in der zweiten Hälfte des Schuljahres geschrieben. <strong>Die</strong><br />

Klassenkonferenz beschließt ohne Zeitdruck. <strong>Die</strong> durch Absenkung des Anforderungsprofil verbesserte Note<br />

(samt Zeugnisvermerk) geht erst in das Versetzungszeugnis ein.<br />

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass sich Eltern eines Schülers gegen die Zubilligung eines<br />

Notenprivilegs und den damit verbundenen Zeugnisvermerk aussprechen könnten. Auch dies wäre<br />

nachträglich und rückwirkend (z.B. kurz vor dem Zeugnis) nicht umsetzbar. Sie müssten ihren Wunsch<br />

also bis zum Zeitpunkt der Klassenkonferenz erklären. Eine eventuelle Abänderung wäre dann erst für<br />

das folgende Zeugnis (bzw. Halbjahresinformation des nächsten Schuljahres) möglich.<br />

Über die Beschlussgrundlage (einfache Mehrheit?) der Klassenkonferenz wird in der VwV nichts gesagt;<br />

somit folgt sie den üblichen Regelungen. <strong>Die</strong> Beschlüsse der Klassenkonferenz sind auch für alle<br />

Fachlehrer bindend. <strong>Die</strong>se dürften im gegebenen Beschlussfall die Rechtschreib- oder Leseleistungen<br />

(auf Deutsch) nicht in die Bewertung der Fachleistungen einbeziehen.<br />

Aus Gründen der Zeitökonomie kann die Klassenkonferenz zu <strong>LRS</strong>-Fällen selbstverständlich mit<br />

anderen Konferenzterminen verknüpft werden, an denen die Lehrkräfte einer Klasse zusammenkommen.<br />

Der zweite Termin der Klassenkonferenz liegt zweckmäßigerweise am Ende des Schuljahrs, weil dann<br />

der Förderverlauf bilanziert werden kann. Selbst bei (unerwarteten) Leistungssprüngen in den Bereich<br />

„ausreichend“ oder besser würde man die „Dauerhaftigkeit“ des Fortschritts abwarten, also etwa 6<br />

Monate. Auch dies spricht für den Evaluationstermin am Schuljahrsende.<br />

5.4 Förderkursteilnahme<br />

Förderkursteilnahme und der Klassenkonferenzbeschluss über besondere Fördermaßnahmen sind nicht<br />

aneinander gekoppelt. Auch ohne Förderkurs an der Schule können Fördermaßnahmen nach dem<br />

Auswahl-Katalog der VwV beschlossen werden. Umgekehrt ist bei Vorhandensein eines <strong>LRS</strong>-<br />

Förderkurses kein KK-Beschluss notwendig, um Schüler darin aufzunehmen. Wenn jedoch für einen<br />

Schüler ein „besonderer Förderbedarf“ und damit <strong>LRS</strong> konstatiert wird und ein Förderkurs existiert,<br />

macht es natürlich Sinn, diesen Schüler auch in den Kurs aufzunehmen.<br />

Es kann andererseits Gründe geben, weshalb ein Schüler einen Förderkurs nicht besucht, obwohl die<br />

Schule ihm einen Platz darin angeboten hat (z.B. ungünstige Verkehrsverbindungen am Nachmittag,


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

familiäre Situation usw.). Das ändert grundsätzlich nichts an seinem „besonderen Förderbedarf“. Wo das<br />

Angebot zur Förderung ausgeschlagen wird (insbesondere mit einer nicht nachvollziehbaren<br />

Begründung), erlischt zwar nicht der Förderanspruch, aber die KK wird prüfen, welchen Umfang aus<br />

den Optionen des Notenprivilegs sie für angemessen hält.<br />

5.5 <strong>LRS</strong> bei Kindern mit Migrationshintergrund<br />

Vorbemerkung: <strong>Die</strong> Verwaltungsvorschrift vom 22.8.2008 (VwV) regelt nicht nur den Umgang mit<br />

<strong>LRS</strong>, sondern mit sehr verschiedenen Formen von Behinderungen und Beeinträchtigungen. Vom<br />

Grundsatz her gewährt diese VwV den unterrichtenden Lehrkräften (Klassenkonferenz) einen<br />

weitreichenden pädagogische Ermessensspielraum. Das impliziert: Vieles müssen die einen Schüler<br />

unterrichtenden Lehrkräfte eigenverantwortlich entscheiden; die VwV gibt dazu eher Rahmen und<br />

Orientierung.<br />

Nun zu den Kindern, deren Problem geringe Kenntnisse der deutschen Sprache sind:<br />

Als Schüler unterliegen sie dem Auftrag der Schule, sie zu fördern. <strong>Die</strong> VwV gibt einen allgemeinen<br />

Förderauftrag, sagt aber nur, dass dieses Verfahren gestuft sein kann. Es wird der Schule also nicht exakt<br />

vorgeschrieben, mit Hilfe welcher Mittel dieser Förderauftrag zu erfüllen ist. (Denn dies unterliegt u.a.<br />

auch den jeweiligen Ressourcen einer Schule.)<br />

Vorgegeben ist die laufende Durchführung von Lernstanddiagnosen. Und bei besonderem Förderbedarf<br />

wären - als erste Stufe - Maßnahmen in der Klasse durch innere Differenzierung zu sehen, die der Fach-<br />

bzw. Klassenlehrer verantwortet (vgl. Ziffer 2.1). Alle weiteren Fördermaßnahmen (Förderkurse) sind<br />

Kann-Bestimmungen, da sie von Voraussetzungen abhängen, die die Schule schaffen oder haben muss.<br />

<strong>Die</strong> Kernfrage ist, ob Migrantenkinder unter die Sonderregelungen (vgl. Ziffer 2.3.2) fallen.<br />

Bis zur Klasse 6 ist in der VwV nicht von „<strong>LRS</strong>“ die Rede, sondern von „besonderen Problemen des<br />

Schriftspracherwerbs“ – unabhängig von der Ursache. „Besondere Probleme“ dürften viele Kinder mit<br />

Migrationshintergrund haben. Und das Ausschlusskriterium ist bewusst niedrig angesetzt: eine<br />

(dauerhaft) nicht ausreichende Benotung des Lesens bzw. Rechtschreibens. Insofern steht es der<br />

Klassenkonferenz frei, auch bei diesen Kindern ihren pädagogischen Ermessensspielraum<br />

auszuschöpfen. Falls also ein „besonderer Förderbedarf“ konstatiert wird, stehen bei Bedarf Maßnahmen<br />

des Nachteilsausgleichs, der Senkung des Anforderungsprofils oder der Härtefallregelung zur Verfügung.<br />

Es handelt sich aber jeweils um Einzelfallentscheidungen, nicht um pauschale Beschlüsse für bestimmte<br />

Teilgruppen der Klasse oder Schülerschaft.<br />

Neben dieser schulrechtlichen Bewertung ist die Frage nach der Fördermethode jedoch anders<br />

anzugehen. Wenn die betreffenden Schüler/innen ein Defizit in der Kenntnis der deutschen (Schrift-<br />

)Sprache aufweisen, der Wortschatz oder die Sprachstrukturen noch nicht bekannt sind, benötigen sie<br />

eine Förderung auf diesem Gebiet. <strong>Die</strong> spezielle Förderung dürfte häufig diese Bereiche betreffen:<br />

Wortschatz, Worterkennung, Artikulation, linguistische Strukturen, kulturell geprägtes Vorwissen,<br />

allgemeine Lese- und Lernstrategien usw.<br />

Eine Teilnahme am <strong>LRS</strong>-Förderkurs für lese-rechtschreibschwache Kinder würde ihnen wenig nützen,<br />

dann sie zuvorderst keine Schwierigkeiten bei der Schriftsprachverarbeitung haben, sondern häufig<br />

schon bei den Grundlagen der gesprochenen Sprache. Weil in besonderen Fördergruppen (auch zum<br />

Umgang mit <strong>LRS</strong>) diagnosegeleitet und individuell gearbeitet werden soll, können diese nicht ein<br />

Sammelbecken für ganz unterschiedliche Schwächen darstellen. <strong>Die</strong> Übungsmethoden zur Behebung<br />

einer Lese-Rechtschreibschwäche würden bei Kindern mit unzureichenden Sprachkenntnissen ins Leere<br />

greifen.<br />

Untersuchungen zur Sprachförderung bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache zeigen dort andere<br />

Schwerpunktsetzungen als bei der <strong>LRS</strong>-Förderung auf: Intensität des Sprachkontakts, Schulung der<br />

Grammatikkenntnisse (insbesondere Genus-System, Verbformen und Kohärenzmittel), hochfrequente<br />

Verwendung von gezielt aufbereitetem Sprachmaterial in altersgerechten, spielerischen Übungsformen,<br />

Aufbau eines Strukturwortschatzes (semantische Felder, morphologische Strukturen), Vorlesen und<br />

Mitlesen (Angebot korrekter Schriftsprachmuster), Hörverständnis etc.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Ab Klassenstufe 7 werden die Kriterien für besondere Fördermaßnahmen deutlich verschärft. Sie sollen<br />

nur noch „in besonders begründeten Ausnahmefällen“ gewährt werden. Es ist nun (vgl. Ziffer 2.3.2) von<br />

einer „Lese- oder Rechtschreibschwäche“ die Rede. <strong>Die</strong>se darf u.a. nicht auf „mangelnde<br />

Übung“ zurückzuführen sein. <strong>Die</strong> unzureichende Sprachbeherrschung würde einen Mangel an Übung<br />

darstellen. Auch wird der Aspekt einer „Teilleistungsstörung“ hervorgehoben. Das heißt, die allgemeine<br />

Eignung eines Schülers für die betreffende Schulart, seine Begabung und sein Lernverhalten sollten sich<br />

positiv von den gestörten, schwachen Leistungen im Teilbereich Lesen bzw. Rechtschreiben abheben.<br />

Wer aufgrund mangelhafter Sprachbeherrschung durchgängig Schwierigkeiten im Erreichen der<br />

Lernziele hat, zeigt dagegen nicht das Bild einer Teil-Leistungsstörung.<br />

Zu prüfen ist folglich, welche Möglichkeiten eine Schule hat, für Schüler/innen mit schwachen<br />

Sprachkenntnissen besondere Fördermaßnahmen zu ergreifen. <strong>Die</strong> VwV vom 22.8.2008 bietet dazu<br />

zwar einen Rahmen. Eingehender wird diese Problematik jedoch in der VwV vom 1.8.2008<br />

(„Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Sprachförderbedarf an allgemein<br />

bildenden und beruflichen Schulen“) geregelt.<br />

5.6 Klärung des Förderbedarfs<br />

<strong>Die</strong> Diagnose von <strong>LRS</strong> wird in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt, und auch<br />

Hilfsmaßnahmen des Schulsystems unterscheiden sich. In Baden-Württemberg wird die<br />

Entscheidungskompetenz bewusst in die Hand der unterrichtenden Lehrkräfte gelegt, die das betreffende<br />

Kind im Schulalltag beobachten können. Somit befindet die Klassenkonferenz unter Vorsitz der<br />

Schulleitung darüber, ob eine <strong>LRS</strong> bzw. ein „besonderer Förderbedarf“ zu konstatieren ist und mit<br />

welchen Fördermaßnahmen dem Kind geholfen werden soll, Fortschritte zu machen.<br />

Als Kriterium für den Beschluss eines besonderen Förderbedarfs dient die von den Fachlehrkräften<br />

festgestellten Leistungsnoten im Bereich Lesen oder/und Rechtschreiben. Wenn die Deutsch- oder<br />

Fremdsprachenlehrkraft diese Leistung für „dauerhaft nicht ausreichend“ hält, ist die Grundlage für eine<br />

Förderbeschlussfassung der Klassenkonferenz erfüllt.<br />

Das Zusammentreten der Klassenkonferenz allein ist noch keine Fördermaßnahme. Hier soll vielmehr<br />

ein Gesamtbild von den Fähigkeiten, Schwierigkeiten, Arbeitsanstrengungen und<br />

Motivationsverhältnissen gewonnen werden, das erlaubt, die angemessene Fördermaßnahme zu<br />

beschließen. <strong>Die</strong> Umsetzung dieser gemeinsam gefundenen Beschlüsse muss sinnvollerweise auch<br />

gemeinsam von allen Lehrkräften vollzogen werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: <strong>Die</strong><br />

Gewährung eines Notenschutzes (durch Absenkung des Anforderungsprofils) wird nur bis Klasse 6 ohne<br />

vertiefte Diagnose gewährt; danach ändern sich die Vorzeichen. Ab Klasse 7 muss überlegt werden, ob<br />

allgemeine Begabung und Lernverhalten der entsprechenden Schulart entsprechen, d.h. ob <strong>LRS</strong> eine<br />

Teilleistungsschwäche darstellt.<br />

Nach der grundsätzlichen Klärung steht die Frage im Vordergrund, durch welche Aufgaben und<br />

Übungsmaterialien sowie durch welche Unterrichtsform ein beeinträchtigtes Kind am besten seine<br />

Rückstände abbauen kann.<br />

Danach kommen Maßnahmen eines „Nachteilsausgleichs“ (z.B. verlängerte Arbeitszeiten) in Betracht.<br />

Eingriffe in die Benotung wird die Klassenkonferenz ab Klasse 7 nicht leichtfertig beschließen, sondern<br />

nur dann, wenn zu befürchten ist, dass das Gewicht der schwachen Bereiche die Gesamtnote oder die<br />

Leistungsbereitschaft so beeinträchtigt, dass das Kind demotiviert seine Anstrengungen, die Defizite<br />

auszugleichen, einstellen könnte. Der Notenschutz ist also eine der pädagogischen Maßnahmen, die die<br />

individuellen Gegebenheiten des Kindes im Blick hat. Nur aus wohlbegründeten, nachvollziehbaren<br />

Motiven heraus soll die Klassenkonferenz von dem Gleichbehandlungsgebot abweichen und eine<br />

Absenkung des Anforderungsprofils für ein Kind beschließen. Kontraproduktiv wäre es gar, allein einen<br />

solchen Notenschutz zu beschließen, dann dem Kind aber keine Förderangebote für sein Lernen zu<br />

machen.<br />

Da Entscheidungen über besondere Förderbedürftigkeit und besondere Fördermaßnahmen individuell<br />

und damit recht komplex sein können, benötigen die befassten Lehrkräfte Hintergrundwissen. Es ist sehr<br />

ratsam, im Kollegium Lehrpersonen mit einer Zusatzqualifikation zu haben. Solche Fachleute für den<br />

Umgang mit <strong>LRS</strong> erhalten eine schulnahe bzw. schulinterne Fortbildung durch Multiplikatoren oder


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Fortbildungsbeauftragte ihres Schulamt- oder RP-Bereichs. Eine noch umfangreichere Qualifikation<br />

wird durch Lehrgänge an der Landesakademie angeboten. <strong>Die</strong>se als „<strong>LRS</strong>-Ansprechpartner/innen an den<br />

Schulen“ ausgebildeten Lehrkräfte koordinieren die Maßnahmen der Beteiligten, sind Anlaufstellen für<br />

alle Fragen zu <strong>LRS</strong>, stehen sowohl mit Eltern als auch Beratungslehrern und Schulpsychologen in<br />

Kontakt, kennen das Informationsnetz der Schulaufsicht und sind in der Lage, Förderkonzepte zu<br />

entwerfen und Förderkurse durchzuführen.<br />

Ein ungeschönter Blick in den Schulalltag zeigt, dass die Unsicherheit im Umgang mit <strong>LRS</strong> nach wie<br />

vor groß ist. Besonders für Fremdsprachenlehrkräfte ist die Unterscheidung zwischen reinen<br />

Verschriftungsfehlern und Grammatik- und Lerndefiziten eine bleibende Herausforderung. Aber auch<br />

Mitschüler/innen müssen oft erst lernen, auf das Versagen beim (scheinbar so einfachen) Lesen oder<br />

Schreiben angemessen zu reagieren. <strong>Die</strong>s wird ihnen selbstverständlich nur dann gelingen, wenn es von<br />

allen Fachlehrkräften in der Klasse vorexerziert wird.<br />

Wichtig ist es auch, frühzeitig mit den Eltern der betreffenden Kinder Kontakt aufzunehmen. Sie müssen<br />

rechtzeitig über die Erkenntnisse zum Lernstand und Lernverhalten informiert werden. Aus mehreren<br />

Gründen: Eltern können Beobachtungen beisteuern, die die Schule allein nicht gewinnen kann. Sie<br />

können durch kompetente Beratung darin bestärkt werden, angemessen und geduldig auf die Schwäche<br />

ihres Kindes zu reagieren. Für sie werden in diesem Austausch die Zielsetzungen und Methoden der<br />

schulischen Förderschritte transparent. Transparenz schafft Vertrauen. <strong>Die</strong>s gilt besonders für die heikle<br />

Phase der Schulübertritte und Bildungsempfehlungen. Das Vertrauen wäre gar schon durch die<br />

zahlreichen Lernstandanalysen und Tests gefährdet, wenn es der Schule nicht gelänge, die Eltern über<br />

die Notwendigkeit und Förderungszielsetzung aufzuklären. Außerdem sollten Beschlüsse über<br />

Abweichungen vom allgemeinen Anforderungsprofil oder Formen eines Nachteilsausgleichs mit den<br />

Eltern abgesprochen werden, weil diese eine gewisse Mitsprache ausüben.<br />

Dort, wo die Schule nicht die Ressourcen hat, Förderkurse anzubieten, sondern nur im Rahmen der<br />

Binnendifferenzierung für ein Kind Angebote macht, kommt u.U. auf die Eltern eine größere<br />

Beteiligung zu. Sie könnten – nach Einweisung - das Üben ihres Kindes unterstützen oder<br />

Kontrollaufgaben übernehmen. Sollte es Therapieangebote außerhalb der Schule geben, wären Eltern<br />

schon dadurch eingespannt, dass sie die Anfahrten zum Therapeuten und die finanzielle Abwicklung<br />

regeln müssten.<br />

In der Vielzahl der Möglichkeiten wird deutlich, dass Förderung eine wirklich umfassende Aufgabe ist<br />

und nur im strukturierten Zusammenspiel aller Beteiligten gelingen kann. <strong>Die</strong> Verwaltungsvorschrift<br />

will dazu Auftrag und Orientierung liefern, aber auf schulrechtlicher Grundlage insbesondere<br />

Gestaltungsspielräume für die Schule schaffen.<br />

6. Lernstandermittlungen und <strong>LRS</strong>-Diagnose<br />

Wie bereits erwähnt liegt es in der Hand der Fachlehrkraft, eine nicht ausreichende Leistung im<br />

Rechtschreiben oder Lesen festzustellen. Sie ist dafür nicht zum Einsatz besonderer Messinstrumente<br />

verpflichtet und trifft die Lernstanderhebungen in eigener Verantwortung.<br />

Andererseits ist vielen Lehrkräften dieser Ermessensspielraum zu groß, weil sie eine Schülerleistung<br />

zwar im Kontext der unterrichteten Klasse abschätzen können, aber nicht sicher wissen, ob auch nach<br />

anderen Vergleichsmaßstäben (z.B. Parallelklassen oder Nachbarschulen) die Leistungseinschätzung als<br />

„dauerhaft nicht ausreichend“ zustande kommen würde.<br />

Auch zur Gewinnung einer solchen Sicherheit gibt es mehrere Schritte.<br />

Der erste Blick geht in Richtung der Fehlerzahl. <strong>Die</strong>s ergibt eine quantitative Fehleranalyse. Dabei<br />

suchen aber noch immer Lehrkräfte nach „typischen <strong>LRS</strong>-Fehlern“. <strong>LRS</strong> erkennt man jedoch nicht an<br />

bestimmten Fehlern (denn Fehlertypen wechseln im Laufe der Schulzeit), sondern an der<br />

Fehlerhäufigkeit und Fortdauer der hohen Fehlerzahl (schlechte Speicherung geübter Wörter).<br />

<strong>Die</strong> Auswertung unter dem Aspekt der Fehlertypen (qualitative Fehleranalyse) ist zu einem anderen<br />

Zweck wichtig: um die Ansatzpunkte und die Rangfolge der Förderschritte zu bestimmen. Hilfreich ist<br />

dazu die Verwendung eines Auswertungsbogens.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Ein zweiter Schritt auf dem Wege informeller Verfahren sollte einen Vergleichsrahmen schaffen. Leicht<br />

zu organisieren sind gemeinsame Leistungsbeobachtungen bzw. –messungen zwischen Parallelklassen<br />

eines Schuljahrgangs. Wenn beispielsweise ein Übungsdiktat parallel geschrieben und nach<br />

gemeinsamem Notenschlüssel ausgewertet wird, erhält diese Leistungsbewertung einen größeren<br />

Kontext.<br />

Noch verlässlicher wird die Bewertung, wenn ein standardisierter Test zugrunde gelegt wird. Dessen<br />

Validität wurde an einer großen Anzahl von Schulkindern ermittelt, und so erhält man eine Aussage, die<br />

über die eigene Klasse, Jahrgangsstufe oder Schule hinausreicht. <strong>Die</strong> Auswertungstabellen sind nach<br />

Schulart und Jahrgangsstufe gegliedert und geben so mit großer Wahrscheinlichkeit an, wie stark oder<br />

schwach eine individuelle Schülerleistung im Kontext einer großen Vergleichsgruppe wäre (ausdrückt in<br />

Prozentrang-Angaben oder T-Werten). Wo die Leistungen im einstelligen Prozentrangbereich liegen,<br />

gewinnt die Lehrperson deutliche Hinweise darauf, dass eine <strong>LRS</strong> vorliegen könnte. (<strong>Die</strong><br />

Konjunktivform „könnte“ deshalb, weil man Testergebnisse nicht schematisch interpretieren, sondern<br />

auch abklären sollte, ob sie zu den sonstigen Lernstandermittlungen passen.) Im Zweifelsfall bedarf es<br />

weiterer Untersuchungen.<br />

Durch die Verwendung eines Tests sollte nicht nur eine statistische Auskunft, also Abweichung von der<br />

Norm bzw. Defizite, eingeholt werden. Vielmehr geht es bei der Ermittlung des Lernstandes in erster<br />

Linie darum, Ansatzpunkte für eine diagnosegeleitete Förderung zu finden, individuelle<br />

Entwicklungsmöglichkeiten zu entwerfen und den Lernverlauf beobachtbar zu machen.<br />

Ein Problem bei den standardisierten Tests: Es gibt nur wenige – und auf weitere neue wird man warten<br />

müssen, da für die Herausgeber finanzieller Aufwand und Verkaufschancen in keinem günstigen<br />

Verhältnis zueinander stehen (Raubkopien). Von daher ist es ganz wichtig, dass die gängigen drei bis<br />

vier Testverfahren geschützt werden. Niemals dürfen die ausgefüllten Bögen den Kindern nach dem Test<br />

wieder in die Hand gegeben werden! Niemals sollte eine Lehrperson diese Tests zu Übungszwecken<br />

benutzen. Nur wenn das repräsentative Wortmaterial ungeübt bleibt, behalten die gemachten Fehler eine<br />

Aussagekraft.<br />

Frage: Wer führt solche standardisierten Tests durch?<br />

Ausgebildet sind dafür die Beratungslehrer/innen oder die Mitarbeiter/innen der schulpsychologischen<br />

Beratungsstellen. Ausgebildet sind ebenso „<strong>LRS</strong>-Multiplikatoren“ oder „<strong>LRS</strong>-Fachberater/innen“. Auch<br />

Lehrkräfte, die als „<strong>LRS</strong>-Ansprechpartner/in an der eigenen Schule“ an der Landesakademie geschult<br />

werden, wissen damit umzugehen.<br />

Prinzipiell wäre der Einsatz aber auch jeder Fachlehrkraft Deutsch erlaubt, da es sich um fachbezogene<br />

Leistungsmessungen handelt und keine Persönlichkeitsmerkmale (wie etwa bei psychologischen Tests)<br />

erfasst werden. Nur ist jedem Anwender dringend zur genauen Lektüre der Handreichungen zu raten,<br />

damit Durchführungsfehler nicht zur Verfälschung der Ergebnisse führen.<br />

<strong>Die</strong> auf dem Markt befindlichen Tests sind jedoch nicht gleichwertig. Doch eine explizite Empfehlung<br />

kann an dieser Stelle nicht ausgesprochen werden. Erfahrene Anwender aus dem genannten Beraterkreis<br />

können hier aber weitere Tipps geben.<br />

Neben den Tests zum Bereich Rechtschreiben gibt es für alle Klassenstufen auch standardisierte<br />

Verfahren, um Leseschwächen aufzudecken. <strong>Die</strong>se reichen von einfachen Screening-Verfahren, um erste<br />

Hinweise zu erhalten, bis zu komplexeren Analysen zum Stand der Lesetechnik und Sinnentnahme.<br />

7. Erstellung von individuellen, diagnosegeleiteten Förderplänen<br />

Schulkinder mit besonderem Förderbedarf sollten nach einem Förderplan unterwiesen werden, der auf<br />

die individuellen Gegebenheiten abgestimmt ist. Am Beginn dessen steht eine Erfassung des Lernstands,<br />

um den Ausgangspunkt zu markieren. Dazu sind sowohl standardisierte als auch informelle Verfahren<br />

im Gebrauch.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

<strong>Die</strong>se Lernstanderfassung bildet die Grundlage für gezielte Fördermaßnahmen, die das Kind dort<br />

abholen, wo es Übungsbedarf hat, aber auch schon Leistungen erbringen kann. <strong>Die</strong> Planung der<br />

Lernschritte wird nach einem Förderkonzept ausgerichtet. <strong>Die</strong>ses Konzept reflektiert den Einsatz von<br />

Übungen und Materialien, gibt aber auch den geplanten zeitlichen Rahmen oder Übungsumfang vor.<br />

In angemessenen Zeitabständen wäre der Verlauf bzw. Erfolg der Fördermaßnahmen zu überprüfen, um<br />

Feinsteuerungen vornehmen zu können. Das soll jedoch nicht zu einer kurzatmigen Zielsetzung<br />

verführen („teaching to test“). Im Fokus haben vielmehr die Nachhaltigkeit und die Akkumulation von<br />

Kompetenzen zu bleiben. Deshalb ist es sinnvoll, für ein Kind, das bis zur Klasse 6 gefördert werden<br />

konnte, in den folgenden Schuljahren auch weitere Übungen (zumindest im Rahmen der<br />

Binnendifferenzierung) anzubieten, die das Erreichte abstützen.<br />

Da die Förderung mit dem Regelunterricht koordiniert wird und bei besonderem Förderbedarf die<br />

Klassenkonferenz sowie die Eltern über den Lernverlauf informiert werden, ist es sinnvoll, die<br />

Maßnahmen und Ergebnisse in Kurzform schriftlich zu fixieren.<br />

Dokumentation: <strong>Die</strong> von der Klassenkonferenz beschlossenen Fördermaßnahmen sollen<br />

diagnosegeleitet und individuell den Bedürfnissen des betreffenden Schülers angepasst werden.<br />

Beschluss, Verlauf und Evaluation der Fördermaßnahmen werden schriftlich festgehalten.<br />

<strong>Die</strong> Grundschule gibt diese Dokumentation der Förderung den Eltern des Schülers als Beiblatt zum<br />

Zeugnis in die Hände. Beim Übergang in die weiterführende Schule entscheiden die Eltern über die<br />

Weitergabe des Beiblatts. Im Normalfall sind Informationen über vorherige Förderungen sehr hilfreich,<br />

um im Schulübergang die Entstehung von zeitlichen und methodischen Lücken in der Förderung zu<br />

vermeiden.<br />

Wechselt ein Schüler innerhalb des laufenden Bildungsganges in eine andere Schule (von Grundschule<br />

zu Grundschule oder von einer weiterführenden Schule zur anderen), dürfen Informationen zu dem<br />

besonderen Förderbedarf auch ohne die Eltern weitergegeben werden, wenn sie für die aufnehmende<br />

Schule wichtig sind, um ihre pädagogischen Aufgaben zu erfüllen.<br />

8. Kooperation Schule und Eltern<br />

<strong>Die</strong> VwV sieht eine enge Kooperation mit den Eltern der betroffenen Kinder vor. Deren Mitwirken ist<br />

nicht nur aus juristischen Gründen sinnvoll, sondern auch deshalb, damit Schule und Elternhaus<br />

koordiniert zum Wohle des Kindes Informationen austauschen und Entscheidungen treffen können, z.B.<br />

in Bezug auf einen Zeugnisvermerk zur Notenbildung, fachärztliche Untersuchungen oder<br />

Hausaufgabenüberwachung.<br />

Hier kann die Schule über Art und Ergebnisse von Lernstandkontrollen, Tests und schulischen<br />

Förderangeboten eine Transparenz herstellen oder Angebote unterbreiten: Einweisung von Eltern,<br />

Bereitstellung von Förder-Know-how, Lernmittel, Beratungskontakte usw.<br />

Vor dem Hintergrund, dass die Schule bei Kindern mit besonderem Förderbedarf schnell an die Grenzen<br />

ihrer personellen Ressourcen stößt, ist die Einbeziehung der Eltern – wo dies möglich ist – ein<br />

wünschenswerter Baustein der Förderkonzeption.<br />

In der Regel wollen Eltern ihr Kind unterstützen, mit ihm lernen, wenn sie erkennen, dass etwas dem<br />

Kind Schwierigkeiten bereitet. In guter Absicht, dem Kind zu helfen, werden allerdings auch Fehler<br />

gemacht: ungeeignete Methoden und Materialien, ungeeignete Übungsumfänge gewählt,<br />

unbeabsichtigte Frustrationen ausgelöst – nicht selten ist das Ergebnis der Bemühungen für Eltern wie<br />

für Kinder gleichermaßen enttäuschend. Daher sollten Lehrer/innen und Eltern besprechen, was und in<br />

welcher Weise vom Elternhaus unterstützt werden kann und wo die Aufgabe der Schule beginnt. Mutter<br />

und Vater sollten keine Nachhilfelehrer sein (wollen). Kinder stemmen sich (zu Recht) mit allen Mitteln<br />

dagegen, die Wertschätzung und Liebe ihrer Eltern wegen schlechter Lernergebnisse bedroht zu sehen.<br />

So birgt das „Lernen“ mit Hilfe der Eltern ein hohes Konfliktpotenzial in sich. Auch für die Eltern gilt:<br />

Helfen will gelernt sein. Im Zusammenwirken mit der Schule und durch Rollenabgrenzungen kann der<br />

richtige Weg zur Unterstützung eines Kindes eher gefunden werden.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

8.1 Elternverbände<br />

Eltern von Kindern, die besondere Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen haben,<br />

haben sich zu einem Interessenverband zusammengeschlossen: den Bundesverband Legasthenie und<br />

Dyskalkulie e.V. <strong>Die</strong>ser Verband vertritt in den Gremien der Kultusverwaltung die Interessen der<br />

betroffenen Familien und unterstützt Forschungen zu der Thematik, ist aber auch in regionalen<br />

Gesprächskreisen organisiert. Dort sind Informationen von gleichfalls Betroffenen zu erhalten und<br />

können Erfahrungen ausgetauscht werden. In der Regel sind dort Eltern anzutreffen, deren Kinder die<br />

schwerste Form der <strong>LRS</strong>, die Lese-Rechtschreibstörung, haben.<br />

Kontaktadresse für Baden-Württemberg:<br />

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie<br />

Frau Ina-Maria Lienhart<br />

Alemannenstr. 1 c<br />

79312 Emmendingen-Wasser<br />

Homepage: www.legasthenie-lvl-bw.de<br />

9. Sicherung von Verbindlichkeit und Regelmäßigkeit<br />

Kinder, die spüren, dass ihnen das Lernen von Lesen und Schreiben schwerfällt, entwickeln<br />

(selbstverständlich!) eine Vielzahl von Vermeidungsstrategien, um sich vor Versagenserlebnissen zu<br />

schützen.<br />

Sie davon zu überzeugen, dass sich das Üben dieser ungeliebten Tätigkeiten lohnt, erfordert von den<br />

Pädagogen einiges an Geschick. Außerdem ist es nötig, den Lernprozess so zu organisieren und die<br />

Übungseinheiten so zu portionieren, dass die Motivation erhalten bleibt.<br />

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es eine überproportional häufige Verknüpfung von <strong>LRS</strong> mit<br />

ADS bzw. ADHS (Reizverarbeitungsproblemen) gibt, müssen die Fördermaßnahmen gut strukturiert<br />

und organisiert sein sowie regelmäßig und kleinschrittig durchgeführt werden.<br />

Zur Strukturierung tragen zum Beispiel bei:<br />

Wiederkehrende Anforderungen, „Rituale“, Förderelemente und –module<br />

festgelegte Termine und Fristen<br />

kontrollierte Heftführung und Verwaltung von Arbeitsblättern<br />

sauber und übersichtlich geschriebene Hefteinträge<br />

schriftliche Vereinbarungen bzw. Protokolle über die Durchführung von häuslichen Übungen<br />

Materialien mit optischen Hilfsmitteln (Lupenstellen, Mindmaps, Markierungen, Tabellen …) zum<br />

besseren Einprägen<br />

Verknüpfung von Neuem mit bereits Bekanntem<br />

Den Lernvorgang unterstützen zum Beispiel:<br />

kurze, dafür aber häufig und regelmäßig angebotene Übungen<br />

abwechslungsreiche Übungsfolgen („Fördercocktail“)<br />

Elemente des entdeckenden Lernens<br />

hohe Erfolgsquoten bei Übungen (jedoch keine Lückenübungen, die gedankenlos-mechanisch<br />

durchgeführt werden können!)<br />

Einschleifen und Wiederholen durch spielerische Übungsformen<br />

Ganz wichtig ist die Unterstützung dessen, was zu Hause vertieft werden soll, durch die Eltern. Wenn sie<br />

das Kind mit Interesse für die Förderübungen begleiten, sich die Aufgaben erklären lassen und auf die<br />

Erledigung von vereinbarten Übungen achten und das Kind für seine Bemühungen loben, wird dadurch<br />

die Arbeit der Förderlehrkraft wirkungsvoll unterstützt.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

10. Fördermethodik (nach FRESCH)<br />

10.1 bei Rechtschreibschwäche<br />

Funktionsweise der Fördermethodik auf der FRESCH-Basis:<br />

Bei einem normal verlaufenden Schriftspracherwerb erzeugen die schulischen Lese- und<br />

Schreibübungen im Hirn bestimmte Strukturen („Ordner“), die das Hinzukommen von neuem<br />

Lernwissen erleichtern und das Lernen beschleunigen. Bei <strong>LRS</strong> sind diese Ordner zur Verarbeitung und<br />

Speicherung nicht stabil. Folge: Das Schreibenlernen bzw. Lesenlernen organisiert sich nicht genügend<br />

von selbst. <strong>Die</strong>se Organisation muss daher kompensatorisch aufgebaut und unterstützt werden: durch<br />

Strategien, die eine einfache, aber stabile Ordnung erzeugen – wie sie die silbenbasierte FRESCH<br />

( =Freiburger Rechtschreib-Schule) -Methodik leistet. <strong>Die</strong>se automatisiert nach und nach durch<br />

Wiederholung derselben Schritte die Lernvorgänge und entwickelt dabei die Kompetenz des Kindes zur<br />

Selbststeuerung.<br />

Ein Blick auf die häufigsten Ursachen der <strong>LRS</strong> leitet den methodischen Weg zu wirksamen<br />

Kompensationsmethoden. Wenn die Schwäche oder Störung bei zu schneller Abfolge von Lauten oder<br />

Buchstaben oder deren zu großer Ähnlichkeit auftritt oder die abverlangte Bearbeitungszeit (Benennung<br />

des Gelesenen) zu knapp ist, lässt sich eine gemeinsame Abhilfe schaffen: durch eine Verlangsamung<br />

der Lautübergänge und eine Verlängerung der Fixationszeit (= Blickzeit auf eine Stelle) des Auges beim<br />

Lesen. Das heißt: Der Lesende oder Schreibende muss den Text so zu gliedern lernen, dass jede<br />

Untergliederungseinheit von einer Blickspanne erfasst werden und lautlich einfach verarbeitet werden<br />

kann.<br />

<strong>Die</strong>se überschaubare, kleine Einheit braucht kein Konstrukt zu sein, sondern existiert schon: in Form der<br />

(als natürlich empfundenen) Sprech-/Schreibsilbe. <strong>Die</strong> Silbierung der Wörter sowie die Verlangsamung<br />

von deren Verarbeitung ermöglicht dem <strong>LRS</strong>-Kind eine deutlichere Unterscheidung, Artikulation und<br />

Verbindung der darin vorhandenen Laute. Bewegung und Rhythmus („rhythmisch-silbierendes<br />

Sprechschwingen“) können die Geschwindigkeit steuern (meist drosseln) und damit<br />

„verdauliche“ Segmente schaffen und die Sprachverarbeitung mit motorischen Hilfen verbinden.<br />

Auf diesem Wege werden beim Lesen und Schreiben die zu speichernden Informationen dem Hirn in<br />

einer Vernetzung aus Hören, Sehen, Sprechen, Schreiben, Hand- und Körperbewegungen mehrkanalig<br />

angeboten. Mehrkanalige Speicherungen bieten eine stabilere Verankerung der zu lernenden<br />

Informationen.<br />

Vier Strategien und ihre Symbole<br />

Anstelle vieler orthografischer Einzelregeln werden nur vier grundlegende Strategien eingeübt. <strong>Die</strong>se<br />

vier Rechtschreibstrategien werden optisch durch Symbole gekennzeichnet und verankert:


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

(Abbildung aus: Horch-Enzian , Individuelle Förderung bei <strong>LRS</strong>, Paderborn 2008, S. 7)<br />

10.1.1 Strategie des Silbenschwingens (rhythmisches Silbieren)<br />

Der große Vorzug des rhythmischen Silbierens liegt darin, dass der Rechtschreibaufbau<br />

weder einer Ganzwortmethode noch einem kognitiven Erfassen vieler<br />

einzelner Rechtschreibregeln folgt, sondern eine solide alphabetische<br />

Kompetenzstufe aufbaut, die den Sockel für den Erwerb der deutschen<br />

Schriftsprache, aber auch anderer Orthografien in den Fremdsprachen errichtet. Auf diesen Grundsockel<br />

werden dann weitere Strategien gestellt.<br />

Zu diesem Zweck strebt die Basistechnik des Silbierens ein ausreichend langes Verweilen der Übungen<br />

auf der Stufe desjenigen Wortschatzes an, der als „lautgetreu“ empfunden wird. Lautgetreu wirkt er,<br />

wenn beim Schreiben für alle Laute entsprechende Buchstaben gleichzeitig mitgesprochen werden<br />

können (Sprechschreiben). Der verwendete Wortschatz ist ein aufbereiteter Übungswortschatz. Dessen<br />

Wortmaterial ist gestuft sortiert und dient der Anwendung und Festigung von elementaren Strategien zur<br />

Richtigschreibung. Über die Hälfte des Schulwortschatzes am Ende der Grundschulzeit lässt sich<br />

lautgemäß verschriften, wenn die Laut-Buchstaben-Zuordnung gelingt. Zum Gelingen tragen<br />

maßgeblich zwei Faktoren bei:<br />

die Gliederung der Wörter in überschaubare Untereinheiten (Silben)<br />

die Verlangsamung des Dekodier- bzw. Rekodiervorgangs<br />

Wenn die Strategie aufgebaut wird, Wörter in Silben zu zerlegen und diese Silben verlangsamt und<br />

alphabetisch genau im Prozess des Lesens oder Schreibens umzusetzen, sinkt die Gefahr, Buchstaben<br />

auszulassen, hinzuzufügen oder zu vertauschen. In der rhythmischen Fokussierung auf jeweils nur eine<br />

Silbe erfolgt die Konzentration auf eine überschaubare und kontrollierbare Einheit. Silbe für Silbe<br />

werden die Wörter zusammengesetzt: rhythmisches Silbieren.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Als Visualisierungshilfe können hierbei Girlanden von Silbenbögen eingesetzt werden. <strong>Die</strong>ses Verfahren,<br />

das sich von einfachen bis zu schwierigeren Silbenstrukturen aufbaut, kann überall dort eingesetzt<br />

werden, wo das Wortmaterial lautgemäß strukturiert ist.<br />

Ge mü se la den<br />

Das Sprechschwingen fügt zum Prozess der Silbierens noch das Element Bewegung (Körper, Arm,<br />

Schreibhand) hinzu. Das Bewegungselement unterstützt die zeitlichen Dehnungen und notwendigen<br />

Zäsuren zwischen den Silben. <strong>Die</strong>se rhythmische Steuerung gliedert und verlangsamt also die<br />

Wahrnehmung, Verarbeitung und Artikulation während des Lesens oder Schreibens. Das Mitsprechen<br />

verläuft zeitlich synchron zu diesem Vorgang – auch beim Schreiben in Silben.<br />

Beim Sprechschwingen vollzieht die Schreibhand in der Luft eine U-förmige Schwungbewegung vor<br />

dem Körper und markiert damit wahrnehmbar den Anfang und das Ende einer Sprechsilbe.<br />

Das Zergliedern in Sprechsilben erhöht die Genauigkeit des Lesens und Schreibens. Es ist ein<br />

wirksames Kontrollinstrument gegen Auslassung, Verdrehung und Verwechslung von Buchstaben bzw.<br />

Lauten. <strong>Die</strong> Verbindung mit einem lautlich umsetzbaren Übungswortmaterial baut eine alphabetische<br />

Kompetenz und Sicherheit (mit reduzierter Versagensquote) auf, die zur Voraussetzung wird, damit auch<br />

die Verschriftung ungeübter Wörter gelingen kann.<br />

Frage: Wie lange sollte mit Silbenbögen gelesen werden?<br />

Das Lesen in / mit Silbenbögen ist eine Trainingsform, die so lange beibehalten werden kann, wie die<br />

Lesegenauigkeit davon profitiert. Zeitangaben sind dazu deshalb kaum möglich, weil es auf der einen<br />

Seite Drittklässler gibt, die flüssig, genau und betont lesen können, und auf der anderen Seite<br />

Schulabgänger, die das Hilfsinstrument des Silbenlesens noch durchgehend einsetzen müssen. Aber auch<br />

für fortgeschrittene Leser/innen bleibt dieses Instrument – in der Variante des inneren Mitsprechens –<br />

wichtig: z.B. als Mittel des Korrektur- und Kontrolllesens. Mehr noch: Jeder Leser wendet diese<br />

Strategie des silbierenden Lesens intuitiv sofort an, wenn das Wortmaterial die vertrauten Muster der<br />

Rekodierung nicht mehr erlaubt. Dazu ein Selbstversuch. Lesen Sie - mitsprechend - das folgende Wort:<br />

Simsalabimbambasaladusaladimdingdongsaladum<br />

Ohne Segmentierung ist das Wort nicht zu lesen. Es ist um ein Vielfaches breiter als die Blickspanne des<br />

Lesers. Das Silbieren – ob mit gemalten oder nur gedachten Schwungbögen – bleibt also eine basale<br />

Lesetechnik, sobald das Hirn nicht mehr auf gespeicherte Wort(teil)bilder zurückgreifen kann. Beim<br />

Leseanfänger oder schwachen Leser ist der Anteil dieser Wörter noch sehr hoch.<br />

Frage: Wie lange soll mit Silbenbögen geschrieben werden?<br />

Für Anfänger oder Schwache bleibt auch beim Rechtschreiben das silbierende und synchrone<br />

Sprechschreiben das basale Hilfsmittel. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass mit Fortschreiten<br />

sowohl die Bewegungen (Schwungbögen) als auch die Lautstärke (hin zum inneren Mitsprechen)<br />

reduziert werden können. <strong>Die</strong> Grundelemente der rhythmischen Gliederung und Verlangsamung der<br />

Lautübergänge bleiben dabei erhalten.<br />

Mit der Strategie des rhythmischen Silbierens lässt sich außerdem eine orthografische Schwierigkeit in<br />

den Griff bekommen, die eine erhebliche Fehlerquelle darstellt: die Frage „Einfacher oder verdoppelter<br />

Konsonant?“. Der Schlüssel dazu liegt in der Unterscheidung zwischen „langen Vokalen“ und „kurzen<br />

Vokalen“.<br />

In der Verlangsamung, die dem Silbieren zueigen ist, kann die Vokalqualität deutlicher hörbar gemacht<br />

werden. <strong>Die</strong>se wiederum verhilft zum Erkennen von offenen Silben bzw. geschlossenen Silben – woraus<br />

sich (mit akustischen und visuellen Hilfen innerhalb der Silbenbögen) die Antwort auf die Frage<br />

gewinnen lässt, ob auf den Vokal nur ein Konsonant oder zwei (bzw. mehrere) folgen müssen.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Auch beim Schreiben von fremdsprachlichen Wörtern (hier z.B. zur Verwendung einer inneren<br />

„Pilotsprache“: un – for – tu – na – te – ly für englisch ‚unfortunately‘) ist die langsame Silbierung<br />

hilfreich, um sich die Verschriftung der ungewohnten Lautverbindungen einzuprägen. Hierbei wird aber<br />

sichtbar, dass die Pilotsprache nicht die natürliche, sondern eine „Rechtschreibsprache“ darstellt. Sie<br />

richtet sich nach der Schreibung aus, ist also ein „Rechtschreib-Mitsprechen“, mit dessen Hilfe man<br />

sowohl langsam und überdeutlich artikulieren als auch eine Problemstelle hervorheben kann (Beispiel:<br />

Damp – fer).<br />

<strong>Die</strong>ses Rechtschreib-Mitsprechen ist notwendig, weil die tatsächlich gesprochene Sprache oft nicht<br />

„lautgetreu“ umgesetzt wird und einem Schulkind zu wenig Hilfen gibt. Es kann dadurch nicht der<br />

Regel folgen, genau diejenigen Laute zu schreiben, die es beim Sprechen hört. Denn seine gesprochene<br />

Sprache kann z.B. von Verschleifungen der Umgangssprache oder Abweichungen des Dialekts<br />

durchzogen sein:<br />

ren’n statt ren – nen Katoffl statt Kar – tof – fel<br />

Milsch statt Milch gäb‘n statt ge – ben<br />

Badde statt Pa – te<br />

So muss zum Erwerb der Schriftsprache als Korrektiv eine innere Pilotsprache aufgebaut werden. Das<br />

häufige Anwenden dieser Rechtschreibsprache fördert über ein genaues Artikulieren und Lesen die<br />

Vermeidung von Fehlern im breiten Bereich des sogenannten lautgetreuen Wortschatzes.<br />

Das rhythmische Silbieren ist also eine Technik des verlangsamten, sehr deutlichen Mitsprechens; sie<br />

ermöglicht zusätzlich eine Reihe von lautlichen und visuellen Hilfen für schwierige<br />

„Lupenstellen“ innerhalb eines Wortes.<br />

So stellt diese Methode insgesamt eine einfache, aber sehr hilfreiche Methode dar, um Wörter zu lesen<br />

und zu schreiben, bei denen weitgehend konstant die Laute in Buchstaben umzusetzen sind.<br />

10.1.2 Strategie des Weiterschwingens<br />

Das Weiterschwingen ist eine einfache Strategie, um die Auslaute eines Wortes bzw.<br />

einer Silbe deutlicher hörbar zu machen. Meistens geht es dabei um die Unterscheidung<br />

von ähnlichen Konsonanten: d oder t, b oder p, g oder k. Dabei wird die Silbe, die mit<br />

dem fraglichen Mitlaut endet, um eine weitere Silbe verlängert, bei der ein Vokal hinter<br />

dem betreffenden Konsonanten erscheint und ihn damit klanglich identifiziert.<br />

Zwei Beispiele:<br />

Bil? (d oder t?) Bil der<br />

Gra?stein (p oder b?) gra ben Grabstein<br />

Da die Anwendung des Weiterschwingens die Strategie des Silbenschwingens folgerichtig fortsetzt,<br />

übernimmt sie deren Vorzüge: Es entstehen überschaubare, natürliche Gliederungseinheiten, in denen<br />

sich die Umsetzung von Lauten zu Buchstaben gut kontrollieren lässt. Der Rhythmus von<br />

Schwungbögen erzeugt Zäsuren, mit denen die Umsetzung überprüft werden kann. Segmentierung und<br />

Verlangsamung lassen alle Laute und Lautübergänge im Mitsprechen deutlicher in Erscheinung treten.<br />

<strong>Die</strong> undifferenzierte Auslautverhärtung kann hierdurch wieder aufgehoben werden.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

10.1.3 Strategie des Ableitens<br />

Da die deutsche Orthografie relativ wortstammkonstant ist, kann die Rückbesinnung<br />

auf den Wortstamm den Schlüssel zur Richtigschreibung liefern. <strong>Die</strong> Anwendung<br />

dieser Strategie hilft dem/der Lernenden insbesondere bei der Entscheidung, ob die<br />

Vokale ä oder e zu stehen haben bzw. äu oder eu.<br />

Wer Fräulein von Frau herzuleiten gelernt hat, kann durch diese Ableitung die Schreibung mit äu finden.<br />

Daneben liefert die Strategie des Rückgriffs auf einen Wortstamm auch eine zusätzliche Sicherheit bei<br />

anderen Wortstammkonstanten: z.B. beim Auftauchen eines „Dehnungs-h“:<br />

fahr- : fahren - Fahrer - Fuhre - Fähre - Gefährte - Fahrt<br />

Dennoch macht es (auf der Grundlage der Erfahrungen mit rechtschreibschwachen Kindern) wenig Sinn,<br />

die Vermittlung der Schreibungen mit Dehnungs-h allein über die Herleitung aus dem Wortstamm<br />

aufbauen zu wollen. Denn zu häufig mangelt es dem Kind an Wissen über Wortverwandtschaften. <strong>Die</strong><br />

etymologische Verwandtschaft von ‚fahren‘ und ‚Gefährte‘ dürfte vielen Kindern zunächst verborgen<br />

sein. Daher kann in diesem Bereich die Ableitung nur additiv hinzukommen; die eigentliche<br />

Verankerung von Wörtern mit Dehnungs-h wird aber durch wiederholtes Einüben und Variieren zu<br />

leisten sein. (h-Wörter kommen daher ins Merkworttraining.)<br />

10.1.4 Strategie des Einübens von Merkwörtern<br />

Alle Wörter, deren Schreibung nicht durch die vorgenannten Strategien des<br />

silbierenden Mitsprechens, des Weiterschwingens (Auslautverlängerung) oder des<br />

Ableitens vom Wortstamm gefunden werden können, werden als<br />

„Merkwörter“ eingeübt. Bewusst folgt man nicht dem traditionellen und<br />

anderweitig noch verbreiteten Versuch, den Schülern die Rechtschreibung kognitiv durch eine Vielzahl<br />

von orthografischen Regeln erleichtern zu wollen. Abgesehen davon, dass niemand (auch der<br />

Erwachsene nicht), nach solchen Regeln flüssig schreibt, sind diese Regeln oft inkonsistent und wenig<br />

hilfreich. Ein Beispiel: Was lernt der Sekundarschüler zum Dehnungs-h in vielen Übungsbüchern?:<br />

„Vor l, m, n oder r – das merk‘ dir ja – steht meistens auch ein Dehnungs-h!“ –<br />

Was heißt konkret „meistens“, wenn er sich entscheiden muss? – Außerdem stimmt diese Aussage<br />

quantitativ nicht. Viel häufiger treten vor diesen Konsonanten lange Vokale ohne Dehnungs-h auf.<br />

Hier wird in solch einer Pseudo-„Regel“ dem Kind eine „Hilfe“ angeboten, die keine ist. Kinder mit<br />

<strong>LRS</strong> haben sehr häufig eine Automatisierungsschwäche: Während einem Normalschreiber ein Wortbild<br />

bald geläufig ist, brauchen Schüler/innen mit <strong>LRS</strong> viele Anläufe; und mitunter setzen sie buchstabierend<br />

dasselbe Wort immer wieder aufs Neue und dann unterschiedlich zusammen, weil noch kein visuelles<br />

Muster dafür eingespeichert ist. Der Schnellzugriff auf eine direkte Worterkennung ist noch nicht<br />

möglich. Das heißt, diese Lernenden brauchen bis zur Speicherung des korrekten Wortbilds wesentlich<br />

mehr Impulse: mehr Übungen, mehr Wiederholungen – auch mehr Lernkanäle. Der Schlüssel liegt in der<br />

Häufigkeit und zeitlichen Anordnung dieser Wiederholungsimpulse. Nur Wortbilder, die dem Hirn in<br />

einer hinreichenden Wiederholungsanzahl angeboten werden, können gespeichert werden. (Es soll nicht<br />

verschwiegen werden, dass dieser Prozess bei manchen <strong>LRS</strong>-Kindern sehr langwierig sein kann.)<br />

<strong>Die</strong> didaktische Frage stellt sich bei Kindern mit <strong>LRS</strong> nicht nach dem Ob einer intensiven<br />

Lernwortarbeit, sondern nach dem Wie. Dass Merkwörter über den Weg des Wiederholens eingeübt<br />

werden müssen, ist offensichtlich. Und hier gibt es keine eleganten Abkürzungen. Denn: Rechtschreiben<br />

lernt man nur durch häufiges Schreiben und Lesen. - Aber wie am günstigsten?<br />

Jede Form der Wiederholung leidet unter der Reizlosigkeit des (vermeintlich) schon Bekannten.<br />

Wiederholung erzeugt neben dem Wiedererkennen leider auch Desinteresse und Langeweile. <strong>Die</strong><br />

Antwort darauf ist aber nicht verstärkter Drill oder höherer Druck. Im Gegenteil. Denn Lernerfolge<br />

korrelieren mit Interesse am Lerngegenstand und Freude am eigenen Fortschritt.


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Eines der probaten Mittel, um Wiederholungen schmackhaft zu machen, ist die „Lernkartei“. Mit ihrer<br />

Hilfe fragt der/die Lernende bestimmte Informationen, hier Lernwörter, in gewissen zeitlichen<br />

Abständen ab und sortiert sie dann in Wiederholungsfächer der Kartei, solange die Kenntnis noch nicht<br />

gesichert ist. Gekonntes darf nach hinten aussortiert werden (Erfolgserlebnis). Der Nachteil dieses<br />

hilfreichen Verfahrens ist allerdings: Lernkarteien werden mitunter in allen Fächern eingesetzt. Ein<br />

Verfahren nutzt sich leicht ab, wenn methodische Abwechslung fehlt.<br />

Gerade bei Lernenden mit <strong>LRS</strong> findet man einen erhöhten Anteil von Begleitproblemen: besonders<br />

Aufmerksamkeits- oder Motivationsschwierigkeiten. Hier führen einförmige Übungsverfahren, die kein<br />

Interesse wecken, noch weniger zum Ziel als bei „Durchschnittsschülern“. Deshalb möchte ich zur<br />

Entwicklung kompensatorischer und abwechslungsreicher Wiederholungsstrategien raten.<br />

Frage also: Wie kann Wiederholungs- und Merkwortarbeit effizient und dennoch motivierend gestaltet<br />

werden? - Antwort: im Lernspiel.<br />

Der Merkwortschatz kann dem Schulkind in spielerischer Form angeboten werden. <strong>Die</strong>se Form (Partner-<br />

oder Gruppenspiele) erzeugt ein hohes Interesse – was zunächst dem Spielen selbst gilt, aber auf den<br />

Lerngegenstand umgeleitet werden kann.<br />

Ein Beispiel: Zwei Schüler dürfen „Bingo“ spielen und bekommen dazu dasselbe Blatt mit (hier 25)<br />

Kästchen kopiert, in denen jeweils ein Merkwort steht. In diese Kästchen darf jede(r) Spielende sieben<br />

Cent-Münzen verteilen . (Zwischen den Lernblättern steht ein Sichtschutz.) Ziel ist es nun, dem<br />

Spielpartner dessen sieben Münzen dadurch abzujagen, dass man errät, bei welchem Wort auf dessen<br />

Blatt eine Münze im Kästchen liegt.<br />

Frage: Was ereignet sich während dieses Spiels? –<br />

Es entstehen notwendigerweise Dutzende von Blickkontakten auf die Merkwörter; ihre Schreibung prägt<br />

sich nach und nach ein – auch durch Wiederholung des Spiels in gewissen Zeitabständen, die die<br />

Förderlehrkraft gestalten kann.<br />

Dem Gewinner einer Spielrunde kann die Aufgabe gegeben werden, dem Spielpartner aus dem<br />

Merkwortblatt einige Wörter (z.B. fünf) zu diktieren und deren Schreibung zu kontrollieren. Der<br />

Gewinner wird sich die vermeintlich schwierigeren heraussuchen, um seine vorteilhafte Rolle<br />

auszunutzen. Dabei sortiert er für sich die Schwierigkeiten intuitiv nach besonderen Lupenstellen.<br />

Gleichzeitig wird er sich das Wortmaterial als Lernwortschatz einprägen wollen, da er beim nächsten<br />

Durchgang ja auch in die Rolle des (unterlegenen) Schreibenden kommen kann.<br />

So liegt mittlerweile eine Fülle von (kopierfertigen) Materialien und Anregungen vor, mit denen<br />

Schüler/innen in spielender Form ihre Lern-, Fehler- und Übungswörter einüben und trainieren können,<br />

ohne das Gefühl zu haben, stupide „büffeln“ zu müssen. Mit etwas methodischer Fantasie kann also die<br />

Parole lauten: „Spielend lernen – anstatt pauken“.<br />

Frage: Welche Wörter sollten als Merkwörter geübt werden?<br />

Merkwörter sind solche, die durch die drei anderen Strategien (Silbieren / Verlängern / Ableiten) nicht<br />

erschlossen werden können. Ein Einwand könnte lauten, es seien zu viele, um sie alle üben zu können.<br />

Das stimmt. Deshalb sollte man sich auf diejenigen Wörter stützen, die von Lernenden häufig gebraucht<br />

und dabei häufig falsch geschrieben werden: die häufigsten Fehlerwörter. <strong>Die</strong>se sind aus<br />

Untersuchungen von Menzel hinlänglich bekannt. So lässt sich aus ihnen ein Übungswortschatz<br />

destillieren, der für rechtschreibschwache Schüler/innen die Wahrscheinlichkeit steigert, mit der<br />

Verfügung über diese Wörter die Fehlerzahl überproportional senken zu können.<br />

Selbstverständlich lässt sich neben diesem allgemeinen Merkwortschatz noch ein individueller aufbauen,<br />

der sich z.B. aus der Auswertung von Fehlern in einer Klassenarbeiten ergibt. Eine Systematisierung<br />

anhand der Kategorien eines Fehleranalysebogens kann hierbei hilfreich sein.


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

10.1.5 Methodik zur Groß- und Kleinschreibung<br />

Ergänzend sei erwähnt, dass das FRESCH-System ursprünglich das Gebiet „Groß-<br />

und Kleinschreibung“ ausspart, da es eigentlich kein orthografisches Problem, sondern<br />

ein grammatikalisches darstellt. Es geht dort allein um die Frage: „Woran erkenne ich<br />

die Wortart Substantiv bzw. die Substantivierung (von Infinitiven oder Adjektiven)?“<br />

<strong>Die</strong>ser Aspekt lässt sich sehr gut und zeitökonomisch auch isoliert einüben. Mit Hilfe einer einfachen<br />

Pilotsprache (vier Fragen und Antworten) werden die Wörter isoliert, die mit einem Großbuchstaben<br />

beginnen können. Wort für Wort wird immer nur dieser Aspekte untersucht: großer oder kleiner<br />

Anfangsbuchstabe? Und zur Niederschrift eines Satzes dürfen sich die Übenden auf den<br />

Anfangsbuchstaben jedes Wortes beschränken. Damit üben sie unter Aussparung aller anderen<br />

Rechtschreibfragen konzentriert und gezielt nur eines: die Groß- und Kleinschreibung.<br />

Das in höheren Klassen eingeführte Gebiet der Zusammen- und Getrenntschreibung ist durch die<br />

Rechtschreibreformen (zuletzt 2005) so entschärft worden, dass es keine großen Hürden mehr aufbaut.<br />

In vielen Zweifelsfällen gelten nunmehr zwei konkurrierende Varianten gleichermaßen, sodass sich dort<br />

kaum noch „orthografisches Versagen“ niederschlägt.<br />

10.2 Fördermethodik bei Leseschwäche<br />

<strong>Die</strong> Förderung von Kindern, die unter einer Leseschwäche bzw. –störung leiden, ist von größter<br />

Wichtigkeit, da ein gelingendes Lesen die zentrale Voraussetzung für fast alle Schulfächer und Lern- und<br />

Wissensbereiche darstellt.<br />

Schüler/innen der Sekundarstufe 1 können ggf. im Lesen einen Leistungsstand aufweisen, der weit<br />

hinter ihren Begabungen und anderweitigen Fähigkeiten zurückliegt. Bevor ihnen ein<br />

klassenstufengemäßer Umgang mit Texten möglich wird, müssen sie die grundlegenden Lesefertigkeiten<br />

vermittelt bekommen. <strong>Die</strong> Fortentwicklung ihrer Lesekompetenz sollte an solchen Kompetenzbereichen<br />

ansetzen, die trainierbar sind. <strong>Die</strong> fördernde Lehrkraft sollte diagnosegeleitet vorgehen und unter den<br />

Übungen und Methoden diejenigen auswählen, die zielführend zu sein versprechen.<br />

Zur Unterstützung des verstehenden Lesens (Sinnverständnis) bieten sich – wie an Beispielen gezeigt<br />

wurde - kognitive und metakognitive Strategien zur Textbearbeitung an, die einerseits das Verstehen und<br />

andererseits das Behalten des Gelesenen fördern.<br />

Hierarchiehöhere Bereiche der Lesekompetenz (z.B. Lesefreude, Viellesen, Reflexion über Gelesenes)<br />

können nur erreicht werden, wenn hierarchieniedere Fähigkeiten schon zur Verfügung stehen. Insofern<br />

werden leseschwache Schüler/innen, weil sie gegenüber Altersgenossen einen Rückstand haben, durch<br />

den Leseunterricht in der jahrgangsorientierten Klasse überfordert. Sie benötigen eine gezielte, ihrem<br />

individuellen Können angepasste, kompensatorische Förderung, um den Leistungsanforderungen der<br />

ihrer Gesamtbegabung gemäßen Schulart und Klassenstufe zu entsprechen.<br />

Didaktisch aufbereitetes Übungsmaterial steht auf dem Lehrmittelmarkt ausreichend zur Verfügung. <strong>Die</strong><br />

fördernde Lehrkraft kann sich innerhalb dieses Angebots dadurch orientieren, dass sie sich einerseits mit<br />

der Funktionsweise der Übungsaufgabentypen vertraut macht, andererseits durch eine genaue<br />

Lernstandanalyse die Ansatzpunkte für den Einsatz dieser Fördermaterialien ermittelt.<br />

Wegen knapper Ressourcen (Lehrerstunden), aber auch aus didaktischen Gründen sollten die effizienten<br />

Verfahren des tutoriellen und partnerschaftlichen Übens mit Vorzug verwendet werden.<br />

Mit dem Übergang von der Grundschule zu einer weiterführenden Schulart vollzieht sich meistens ein<br />

einschneidender Wechsel: personell, örtlich und methodisch. <strong>Die</strong> Klasse 5 hat damit eine<br />

Brückenfunktion. <strong>Die</strong>s schlägt sich auch in der Leseförderung nieder: Hier bildet diese Klassenstufe eine<br />

Gelenkstelle zwischen der Einübung lesetechnischer Fertigkeiten, die in den Grundschuljahren<br />

aufgebaut wurden, und der Weiterentwicklung in Richtung geeigneter Verstehensstrategien und<br />

Selbststeuerungen beim Lesen. Der Blickwinkel ist dementsprechend breit: einerseits zurück zu<br />

hierarchieniederen Kompetenzen (Lesefertigkeiten), andererseits voraus zu hierarchiehöheren


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Kompetenzen (Leseverständnis), die es zunehmend aufzubauen gilt, um in der mit Texten arbeitenden<br />

Informationsgesellschaft so etwas wie „Kulturteilnahme“ zu schaffen.<br />

In dem Bereich, wo im Lesen wegen <strong>LRS</strong> „besondere Fördermaßnahmen“ (vgl. VwV vom 22.8.2008)<br />

ergriffen werden müssen, liegt das Startniveau häufig noch bei basalen Anforderungen, die es in jedem<br />

Fall kompensatorisch aufzubauen gilt, bevor die Leseförderung in Richtung höherer Kompetenzen<br />

aufsteigen kann. Erfahrungen zeigen, dass das kompensatorische Nachholen eines Leseaufbaus nur in<br />

Einzel- oder Kleingruppenarbeit befriedigend gelingt und daher im ungeteilten Klassenverband nicht<br />

mehr zu leisten ist.<br />

<strong>Die</strong> im Gebrauch befindlichen Methoden zum Leseaufbau sind breit gestreut. Viele der erfolgreichen<br />

integrieren das von der FRESCH-Methode bekannte Element der Silbierung auch für das Lesen.<br />

Warum liefert das Silbieren für den Leseaufbau eine hilfreiche Technik?<br />

Leseanfänger folgen einer alphabetischen Strategie, wenn sie Buchstaben für Buchstaben in Laute<br />

umsetzen. Dabei müssen sie diese Informationen (im Kurzzeitgedächtnis) aktiviert halten, um sie am<br />

Ende der Buchstabenkette zu einem erlesenen Wort zusammenziehen zu können (phonetische<br />

Rekodierung im Arbeitsgedächtnis). Dazu muss das Arbeitsgedächtnis genügend Speicherkapazität<br />

haben. Wenn ein Kind Mängel im phonologischen Arbeitsgedächtnis hat, beeinträchtigen diese das<br />

Lesen auf der Wortebene. Denn Gehörtes oder Gelesenes wird während der laufenden Verarbeitung in<br />

kürzester (Sekunden-)Frist wieder gelöscht, wenn es nicht „zwischengespeichert“ werden kann. Zu einer<br />

Speicherung muss etwas Neues in Bestehendes integriert werden. Das Bestehende (zuvor als neuronales<br />

Muster angelegt) bietet also die Grundlage für die Verarbeitung des neu Gelesenen oder Gehörten, und<br />

der Verarbeitungsspeicher setzt die zeitliche Grenze, innerhalb derer diese Verknüpfung geschehen muss.<br />

So wird verständlich, warum ein zu langsames oder unkoordiniertes Buchstabieren das Erlesen eines<br />

Wortes scheitern lässt. Da sich der sprachliche Verarbeitungsspeicher kaum trainieren (also in der<br />

Kapazität erweitern) lässt, muss ein kompensatorischer Weg gefunden werden. Der sieht so aus: <strong>Die</strong><br />

Laute bzw. Buchstaben können mit einem kurzen, einfachen und bereits aufgebauten Muster verknüpft<br />

werden: mit der Sprechsilbe. <strong>Die</strong> Silbe ist zeitlich kurz genug, um für die Zwischenspeicherung tauglich<br />

zu sein. Das Aneinanderketten von Silben ermöglicht das Lesen auch dort, wo der Verarbeitungsspeicher<br />

eine geringe Kapazität hat.<br />

Durch Verwendung der Silbierung findet auch ein Leser mit eingeschränktem Arbeitsgedächtnis zu<br />

Lautketten bzw. Leseeinheiten, die kurz und damit einfach rekodierbar sind. Somit wird die Silbe zum<br />

idealen Grundelement sowohl des Lese- als auch des Rechtschreibaufbaus. In der Regel bilden Ketten<br />

von Silben die Einheit „Wort“, für die sich semantische Repräsentanzen (Bedeutungen) im Lexikon des<br />

Sprachgedächtnisses finden lassen. Eine geringe Kapazität des verbalen Kurzzeit- und<br />

Arbeitsgedächtnisses begrenzt auch nachfolgende Prozesse auf der Satz- und Textebene, die die<br />

Verarbeitung einer Vielzahl von Teilinformationen erfordert.<br />

10.2.1 Welches sind die vorrangigen Ziele in der Förderung der Lesekompetenz?<br />

Im gestuften Modell des Aufbaus von Lesekompetenz kommt der Lesefertigkeit eine Schlüsselrolle zu.<br />

Eine ausreichende Fähigkeit, geschriebene Wörter zu rekodieren, ist die Voraussetzung für alle weiteren,<br />

ranghöheren Kompetenzstufen. Hinzu kommt die Fähigkeit, Lautketten mit Wortbedeutungen in<br />

Verbindung zu bringen (dekodieren). <strong>Die</strong> Lesefertigkeit stellt somit ein „Eingangstor“ zur Entwicklung<br />

von Lesekompetenz dar.<br />

Eine häufige Begleiterscheinung bei misslingendem Lesen ist eine unkoordinierte Blicksteuerung.<br />

Beispiele:<br />

Der Blick (Fixationsphase) versucht Wortsegmente zu erfassen, die zu lang sind.<br />

<strong>Die</strong> Blickzeit (Fixationszeit) ist zu kurz: hastiges Blicken.<br />

<strong>Die</strong> Blicksprünge sind unzweckmäßig weit oder kurz.


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Wenn die lesetechnischen Verarbeitungsprozesse nur unzureichend entwickelt sind, absorbieren sie so<br />

viel Aufmerksamkeit, dass die Sinnentnahme (verstehendes Lesen) darunter leidet. Daher wird das<br />

Training des „technischen“ Leseprozesses zur Voraussetzung für ein erfolgreiches Sinnverständnis und<br />

die motivationsbedingten Kompetenzstufen.<br />

Wo der Aufbau von Lesekompetenz auf dem Sockel einer ausreichenden Lesetechnik nicht gelingt,<br />

entwickelt sich oft ein Teufelskreis aus den Elementen:<br />

fehlende Lesefertigkeit<br />

Mangel an Motivation fehlende Leseflüssigkeit<br />

Mühe und Scheitern mangelnde Übung<br />

10.2.2 Welches sind wirksame Mittel zur Förderung?<br />

Ohne eine regelmäßige Übung und sinnvolle Häufigkeit werden sich die Resultate im Lesen nicht<br />

verbessern lassen. Und je ausgeprägter die Leseschwäche ist, desto umfangreicher müssen die Übungen<br />

notgedrungen sein.<br />

Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass der Erfolg nur vom Leseumfang und der Häufigkeit<br />

abhängig wäre. Erstaunlicherweise zeigen Vielleser, wenn sie still lesen, oft geringere Fortschritte, als zu<br />

erwarten wäre. US-amerikanische Versuche mit vielem Stilllesen in der Klasse haben gezeigt, dass<br />

entgegen der Erwartung keine Steigerung der Leseleistung (Leseverstehen und Lesegeschwindigkeit)<br />

eintritt. Stilles Viellesen fördert demnach kaum das verstehende Lesen. Also kann die Anweisung nicht<br />

lauten: „Lies ganz viel, dann verbessert sich deine Leseleistung im gleichen Maße!“<br />

Entscheidend ist nach neueren Untersuchungen nicht der Umfang der Leseleistung, sondern die Qualität<br />

der Übungsmethode. Wenn die Methode richtig gewählt ist, lassen sich Fortschritte auch mit weniger<br />

umfänglichen Leseübungen erreichen.<br />

Parallel zueinander weisen die wichtigsten Studien der letzten Jahre zur Förderung der Lesekompetenz<br />

in eine gemeinsame Richtung: Maßnahmen zur Steuerung des Denkens (Verarbeitens) und des<br />

Verstehens beim Lesen.<br />

Interessanterweise widmen sie sich zur Förderung des Leseverstehens dem Aufbau von Strategien (zum<br />

systematischen Umgang mit Texten), und zwar in motivationsfördernden Arbeitsformen: kooperatives<br />

oder tutorielles Lernen.<br />

11. Qualifizierung von Lehrkräften<br />

11.1 Ziele einer einheitlichen Fördermethodik<br />

Für die Qualifizierung und Weiterbildung der Fachlehrer/innen zu <strong>LRS</strong>-Förderlehrkräften steht das<br />

Netzwerk von <strong>LRS</strong>-Multiplikatoren auf Abruf zur Verfügung. <strong>Die</strong>ses ist in den Staatlichen Schulämtern<br />

bzw. den RP-Bezirken landesweit aufgebaut worden. <strong>Die</strong>ses Netzwerk soll noch engmaschiger gestaltet


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

werden, sodass Rat und Hilfe unbürokratisch und selbstverständlich kostenlos an jede Schule gelangen<br />

können.<br />

Mit dem Aufbau dieses Expertennetzes konnte auch eine Vereinheitlichung der Fördermethoden 5<br />

erreicht werden. Aus früheren Zeiten waren noch Fortbildner aktiv, die veraltete oder eingeschränkte<br />

oder an kommerzielle Institute gebundene Methoden propagierten.<br />

Was hat uns auf Landesebene dazu bewogen, auf eine denkbare Methodenvielfalt im Förderbereich zu<br />

verzichten?<br />

Gewiss, auch mit anderen Methoden wurden und werden andernorts <strong>LRS</strong>-Kinder gefördert. Methoden,<br />

die von Nachhilfeinstituten angeboten werden, werden allerdings (aus kommerziellen Gründen) zu<br />

wenig transparent gemacht, als dass ein direkter Vergleich möglich wäre. Andere Anbieter, deren Wege<br />

gar nicht beim Lesen und Schreiben ansetzen, vermögen noch weniger zu überzeugen.<br />

Als sehr wirksam wird auf breiter Basis die Methodik beschrieben, die auf dem Silbieren aufbaut. Hier<br />

liegt inzwischen ein beträchtliches Erfahrungswissen vor.<br />

Seit Ende der 90er Jahre werden deshalb von den Beauftragten der Schulaufsicht nur noch Fachleute<br />

eingesetzt, die den Förderweg auf der Grundlage des rhythmischen Silbierens 6 anbieten. In Baden-<br />

Württemberg ist diese Methodik unter dem Titel „FRESCH“ (Freiburger Rechtschreibschule) 7 breiter<br />

bekannt geworden, vorher auch als „Methode nach Buschmann". <strong>Die</strong> Konzentration auf diesen einen<br />

methodischen Weg erfolgte keineswegs aus dogmatischen Überlegungen heraus, sondern spiegelt die<br />

Erfahrung wider, dass sich unterschiedliche Methoden nicht kombinieren lassen, ohne bei geförderten<br />

Kindern Verwirrung zu stiften. Hier entstünde aus der Vielfalt nicht ein Mehr, sondern ein Weniger.<br />

Denn die meisten Ansätze sind nicht kompatibel zueinander. Daher wurde die Energie darauf verwendet,<br />

die FRESCH-Methodik auch für die Sekundarstufe weiterzuentwickeln.<br />

Im Zwischenresümee kann man sagen: <strong>Die</strong>se Methodik hat sich in der Förderpraxis bestens bewährt, ist<br />

einfach zu vermitteln und landeseinheitlich in Gebrauch. Damit kann nun die Förderung aus der<br />

Grundschulzeit ohne Methodenwechsel in den weiterführenden Schularten fortgesetzt werden. <strong>Die</strong>s<br />

schafft Kontinuität, Übungskonstanz und einen ansteigenden Aufbau von Lernstrategien. Und auch bei<br />

einem Wechsel des Schulortes in Baden-Württemberg bliebe die Fördermethode konstant. Nebenbei:<br />

Unser <strong>LRS</strong>-Fördersystem wird auch in anderen Bundesländern mit Interesse wahrgenommen, sodass<br />

sich hier länderübergreifend die Chance eröffnet, gemeinsame didaktische Wege und Instrumente<br />

aufzubauen.<br />

Auch fördermethodisch bewährtes Übungsmaterial ist (von der ersten bis zur siebten Klassenstufe)<br />

verfügbar, sodass bei entsprechender Bereitschaft an allen Schulen <strong>LRS</strong>-Kinder diagnosegeleitet und<br />

individuell gefördert werden könnten; gefördert von dazu fortgebildeten Lehrkräften. <strong>Die</strong>se können auf<br />

methodisch aufbereitetes (zum Teil kopierfertiges) Material zurückgreifen, wenn ihnen die Herstellung<br />

eigener Übungsblätter zu zeitraubend ist.<br />

11.2 <strong>LRS</strong>-Netzwerk<br />

Es ist das große Anliegen der in diesem Netzwerk tätigen Multiplikatoren, dass die vorhandene<br />

Kompetenz auch zum Einsatz gebracht wird. Das Know-how ist da, die Fortbildner/innen sind da; es<br />

liegt im Wesentlichen an den Schulen, davon Gebrauch zu machen.<br />

5 Im Rahmen kommerzieller Nachhilfe-Institute ist eine Methodik verbreitet, die aus dem Stufenmodell zum Rechtschreiberwerb von Peter May<br />

resultiert. Nach unserer Auffassung lässt sich mit diesem Stufenmodell, das auch die Grundlage des Tests HSP ist, zwar zur Beschreibung einer<br />

Rechtschreibkompetenz arbeiten. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Fördersystematik ist es weniger geeignet, da es mehr<br />

Regelkenntnisse als Strategien zur Fehlervermeidung vermittelt.<br />

6 Grundlegend für diesen Ansatz waren die Arbeiten von H. Buschmann in den Achtzigerjahren, aus denen sich die Übungen der Freiburger<br />

Rechtschreibschule entwickelten.<br />

7 Michel (2001)


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Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

Wer<br />

sucht …<br />

Übersicht: Wie kommt wer an welche Informationen?<br />

Beratung durch einen<br />

KK-<br />

Beschluss<br />

Eltern Fachlehrer<br />

Klassenlehrer<br />

Beratungslehrer<br />

Förderlehrer<br />

<strong>LRS</strong>-Ansprech-<br />

partner<br />

Lehrkräfte Beratungslehrer<br />

Förderlehrer<br />

<strong>LRS</strong>-Ansprech-<br />

partner<br />

Antrag über<br />

Klassenlehrer<br />

Antrag über<br />

Klassenlehrer<br />

eine Fortbildung schulrechtliche<br />

Auskunft durch<br />

Förderlehrer<br />

Beratungslehrer<br />

<strong>LRS</strong>-Ansprech-<br />

partner<br />

GHS/RS:<br />

<strong>LRS</strong>-<br />

Multiplikator des<br />

SSA<br />

RP Ref. 77<br />

GY:<br />

<strong>LRS</strong>-Schulberater<br />

des RP<br />

oder Ref. 77<br />

Ausgeschriebene<br />

Lehrgänge der<br />

Landesakademie<br />

12. Verknüpfung von Fördermethodik und Regelunterricht<br />

Schulleiter<br />

<strong>LRS</strong>-<br />

Multiplikator des<br />

SSA<br />

<strong>LRS</strong>-<br />

Schulberater des<br />

RP<br />

Jurist des RP<br />

Schulleiter<br />

SSA<br />

RP Ref. 77<br />

Jurist RP<br />

Da die Fördermethodik für Kinder mit <strong>LRS</strong> in Baden-Württemberg kompetenzorientiert aufgebaut<br />

wurde, erfüllt sie auch die Vorgaben des Bildungsplans für den Regelunterricht im achtjährigen<br />

Gymnasium. Auch aus diesem Grund ist es lohnend, sich mit der <strong>LRS</strong>-Fördermethodik vertraut zu<br />

machen. Aus ihr heraus haben sich wichtige Impulse für eine kompetenzorientierte Weiterentwicklung<br />

der Rechtschreibdidaktik entwickeln lassen.<br />

<strong>Die</strong> Koordinierung von <strong>LRS</strong>-Förderunterricht und Regelunterricht ist aus vielerlei Gründen sinnvoll:<br />

<strong>Die</strong> konstitutiven Elemente des strategiegeleiteten Lernweges passen bestens in den Regelunterricht:<br />

Einfachheit, konstante Systematik, Kleinschrittigkeit, aufbauende Verknüpfung, Wiederholung und Variation,<br />

Kompetenzaufbau, Strategietransfer usw.<br />

<strong>Die</strong> strategiegeleitete Fördermethodik sollte daher nicht durch einen konträr konzipierten Regelunterricht in<br />

der Klasse blockiert oder gar aufgehoben werden.<br />

<strong>Die</strong> Weiterentwicklung der Rechtschreibdidaktik auf den Grundlagen der hier dargestellten Fördermethodik<br />

schafft fließende Übergänge zwischen Klassen- und Förderunterricht, Standard- und Zusatzübungen,<br />

normalem und verlangsamtem Lerntempo, großen und kleinen Lernschritten.<br />

Methoden und Techniken, die sich bei schwachen Rechtschreibern oder Lesern bewährt haben, können<br />

auch den „Normalschüler“ nicht überfordern. Damit sie ihn andererseits nicht unterfordern, ist – im<br />

angemessenen Umfang - die Zahl der Zwischenschritte und Wiederholungen, die im Förderkurs nötig<br />

sind, im Regelunterricht zu senken. Der so gestaltete Regelunterricht benötigt methodisch also nicht


<strong>Leitfaden</strong> des RP Stuttgart (Ref. 77) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1 mit besonderen<br />

Schwierigkeit im Lesen und/oder Rechtschreiben (<strong>LRS</strong>)<br />

einen anderen Ansatz, sondern nur eine angepasste Dosierung und Modifizierung desselben Verfahrens.<br />

Dadurch eröffnen sich Chancen zu einer Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rechtschreibdidaktik.<br />

<strong>Die</strong> Anforderungen eines standardbasierten Schreibunterrichts (vgl. Standard „einfacher<br />

Schreibstrategien einsetzen“, Klasse 6) lassen sich auch auf den Rechtschreibunterricht ausdehnen und<br />

dort in prägnanter Weise umsetzen. Der Übungsgegenstand und die Methodik erlauben eine Gestaltung<br />

von Lernschleifen. <strong>Die</strong>se gestatten, zur Ermittlung des (auch individuellen) Lernstands regelmäßig kurze<br />

Überprüfungsschritte (Evaluation) einzufügen und dann für den Übenden die nachfolgenden<br />

Lernschritte festzulegen. Des Weiteren schafft der Rahmen aus den vier FRESCH-Strategien zur<br />

Auffindung der Rechtschreibung eine Orientierung für alle Einzelschritte, die damit in einen<br />

übergeordneten Kontext eingefügt werden können - entsprechend dem Standard: „die eigene<br />

Rechtschreibung selbstständig überprüfen (Fehlerarten / Fehlervermeidungstechniken)“.<br />

Sobald der Lernende darin geübt ist, die Fehlerkategorie zu erkennen und sie einer der Strategien<br />

zuzuordnen, wird der einzelne Fehler zum Exempel für eine übergeordnete Sorte von Fehlern; und die<br />

Beherrschung der einfachen Strategien löst Selbstinstruktionen aus, wie die Richtigschreibung gefunden<br />

werden könnte.<br />

Wird also mit dem Rechtschreibunterricht konsequenter eine Lösungskompetenz angestrebt, so zeigt er<br />

eine Reihe von Vorteilen:<br />

<strong>Die</strong> Kompetenz fußt nicht auf einer (verwirrenden) Vielzahl von orthografischen Einzelregeln,<br />

sondern auf der Anwendung und Einhaltung eines strategiegeleiteten Vorgehens.<br />

<strong>Die</strong> strategiegeleitete Kompetenz kann alters- und schulartübergreifend als kursorisches Verfahren<br />

aufgebaut werden.<br />

Es sind besonders relevante Fehlerfelder (d.h. mit hohem Anteil an der Gesamtfehlerzahl), die durch<br />

den Aufbau einer strategiegeleiteten Fehlervermeidung leichter bearbeitet werden können:<br />

• <strong>Die</strong> Laut-Buchstaben-Zuordnung (d.h. der gesamte Wortschatz von Wörtern, die sich ‚lautgetreu‘<br />

verschriften lassen<br />

• <strong>Die</strong> Konsonanten, die sich am Ende eines Wortes oder einer Silbe nicht eindeutig unterscheiden<br />

lassen (d/t, g/k, b/p, -ig/-lich)<br />

• Vokaldehnung und Konsonantenschärfung (einfacher oder doppelter Konsonant?)<br />

• S-Laute (ss oder ß?)<br />

• Großschreibung (Substantive und Substantivierung)<br />

13. Literaturempfehlung<br />

<strong>Die</strong> Fachliteratur zu dieser Thematik wird besonders prägnant und doch vertiefend in einer<br />

Handreichung gebündelt, die 2011 beim Landesinstitut für Schulentwicklung (LS) erschienen ist. Titel<br />

„Förderung gestalten“, Modul C: Schwierigkeiten im Erwerb von Lesen und Rechtschreiben, Stuttgart<br />

2011.<br />

<strong>Die</strong>se Handreichung kann in Druckfassung beim LS bestellt werden und ist dort auch als kostenloser<br />

Download erhältlich.<br />

Der Verfasser dieses <strong>Leitfaden</strong>s, Studiendirektor Ulrich Horch-Enzian, unterrichtet am Deutschorden-<br />

Gymnasium Bad Mergentheim und ist Fachberater Deutsch des RP Stuttgart. Als Schulberater des RPS<br />

betreut er den Förderbereich zur <strong>LRS</strong> und bildet an der Landesakademie Förderlehrkräfte und<br />

Multiplikatoren fort. Als Autor eines Schulbuchverlags hat er Materialien zur <strong>LRS</strong>-Förderung und<br />

Rechtschreibdidaktik entwickelt.

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