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Berichte - verbier amateur.qxd - Verbier Festival

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BERICHTE<br />

Eine Woche vor dem <strong>Festival</strong> ...<br />

Amateur-Kammermusik-Woche in <strong>Verbier</strong><br />

Es ist eines der großen <strong>Festival</strong>s, eines, das seit langem besteht: Das <strong>Verbier</strong>-<strong>Festival</strong> in der Schweiz hat sich<br />

über 17 Jahre einen großen Ruf erarbeitet, zahllose Musikbegeisterte kommen in diesen 1005 Meter in den<br />

Schweizer Alpen hoch gelegenen Ort, um die Stars der Klassik zu hören – jedenfalls im Sommer. Neben diesem<br />

<strong>Festival</strong>, das wohl das regelmäßigste Event im Sommer ist und den knapp über 3000 Einwohnern<br />

Aufmerksamkeit in jeglicher (vor allem auch finanzieller) Hinsicht beschert, ist dieser Ort mehr als Ski-Ort<br />

der gehobenen Klasse im Winter gefragt. Dann tummeln sich über 35.000 Menschen in <strong>Verbier</strong> und auf den<br />

umliegenden Skipisten.<br />

Doch zurück zum <strong>Festival</strong>. Seit fünf Jahren bietet man nun auch vor dem eigentlichen <strong>Festival</strong> ein Programm<br />

für Amateurmusiker an, eine Kammermusik-Woche, in der Amateure zu Ensembles zusammengefügt werden,<br />

um gemeinsam Werke unter professioneller Anleitung zu erarbeiten. Wir fuhren in die Berge, um uns<br />

vor dem eigentlichen <strong>Festival</strong>beginn umzuschauen und umzuhören.<br />

Carsten Dürer<br />

Blick auf das idyllische Zentrum von <strong>Verbier</strong> vor dem <strong>Festival</strong>.<br />

Foto: Dürer<br />

36<br />

ensemble 5/10


Nun ist die Idee nicht neu, schon mehrere <strong>Festival</strong>s<br />

haben diese Idee in die Tat umgesetzt, die Amateurmusiker<br />

durch professionelle Anleitung an sich<br />

zu binden, den Namen des <strong>Festival</strong>s auch in weiteren<br />

Amateurmusikerkreisen bekannter zu machen. Doch in<br />

<strong>Verbier</strong> kommen noch andere Faktoren hinzu, Faktoren,<br />

die man so in kaum einem anderen Amateur-Kammermusikkurs<br />

wiederfindet.<br />

Jeweils bis Mai können sich interessierte Kammermusiker<br />

über die Website für die „Amateur Chamber Music<br />

Week“ in <strong>Verbier</strong> bewerben. Dabei geht es vor allem um<br />

die Auswahl der Instrumente, die gespielt werden ebenso<br />

wie um die Selbsteinschätzung des Könnens, das man<br />

nicht zu hoch ansetzen sollte, wie die Erfahrungen gezeigt<br />

haben.<br />

In diesem Jahr waren 50 Amateure eingeladen, um eine<br />

Woche lang unterrichtet zu werden. Dabei verfolgt<br />

man aber einige Besonderheiten im Konzept. So kann<br />

man sich zwar mit jedem Instrument bewerben, aber es<br />

muss auch Repertoire für die Kombination mit anderen<br />

Instrumenten in einem Ensemble vorhanden sein. Zudem<br />

will man auch, dass etliche der Amateure, die jedes Jahr<br />

wiederkommen, nicht immer dasselbe Repertoire spielen,<br />

sondern immer neue Herausforderungen erhalten. Eine<br />

immense Logistik ist erforderlich, da die Amateure die<br />

ausgewählten Werke schon knapp zwei Monate vor dem<br />

Eintreffen in <strong>Verbier</strong> erhalten sollen. Christian Thompson<br />

ist der Leiter der sogenannten Sonderprojekte, zu denen<br />

nicht nur die Amateur-Kammermusik-Woche zählt, sondern<br />

auch die Aktivitäten für Kinder während der eigentlichen<br />

<strong>Festival</strong>zeit sowie die Organisation der sogenannten<br />

Academy, in der Studenten von den weltbekannten<br />

Musikern in Meisterklassen unterrichtet werden<br />

und sich zudem zu einem Orchester formieren.<br />

Wir wollten einige der organisatorischen Besonderheiten<br />

der Kammermusik-Woche für Amateure genauer erfahren<br />

und setzten uns mit Thompson zu einem Gespräch<br />

zusammen.<br />

Ensemble: Wie kam man dazu, diese Amateur-Kammermusikkurse<br />

zusätzlich zu diesem großen <strong>Festival</strong> in<br />

<strong>Verbier</strong> einzurichten?<br />

Christian Thompson: Für mich ist das mein sechster<br />

Sommer in <strong>Verbier</strong>. Und wir versuchen hier eine musikalische<br />

Einheit von Künstlern zu schaffen, mit dem Orchester,<br />

der Academy und den Künstlern, die im <strong>Festival</strong> auftreten.<br />

Die Amateur-Musiker sind wichtig für die Gesundheit<br />

der Musikwelt. Sie kaufen CDs, sie gehen in Konzerte,<br />

sie wissen immens viel über Musik. Und da wir diesen<br />

wundervollen Ort mit Flügeln, Musikständern und<br />

allem, was man benötigt, um zu musizieren, bereits haben,<br />

dachten wir, dass es interessant wäre für Amateure,<br />

diese Einrichtungen schon vor dem <strong>Festival</strong> zu<br />

nutzen;und sich besonders zu fühlen. Das erste Jahr war<br />

natürlich nicht das, was es jetzt ist, wir haben viel gelernt.<br />

Aber heutzutage ist es wirklich ausgereift. Wir haben 50<br />

Personen, die als Amateure hierherkommen.<br />

Ensemble: 50 Amateur-Musiker von wie vielen Bewerbern?<br />

Christian Thompson: Ich nehme in der Regel alle, solange<br />

ich etwas für sie zu tun finde. Das einzige Limit, was<br />

BERICHTE<br />

wir uns setzen müssen, sind Pianisten. Pianisten sind immer<br />

ein Problem, da sie die meisten Noten zu spielen haben<br />

und entsprechend gut sein müssen. Wenn man Pianisten<br />

auswählt, die nicht so gut sind, müssen alle in der<br />

Gruppe auf diesem Niveau des Pianisten spielen und das<br />

kann frustrierend sein. Ich habe Fehler mit Musikern gemacht,<br />

die ich eingeladen habe. Aber grundsätzlich sage<br />

ich allen, dass es wie ein „Blind Date“ ist: Einige der Mitspieler,<br />

die man hier trifft, will man heiraten oder zumindest<br />

wiedertreffen, einige nicht. Wenn sie allerdings ihre<br />

Persönlichkeit ein wenig vor der Tür lassen und nur an<br />

die Musik denken, dann wird es eine gute Zusammenarbeit.<br />

Christian Thompson<br />

Foto: Yoko Tsunekawa<br />

Ensemble: Nun sind andere Amateur-Kammermusikkurse<br />

limitiert, wenn es um die Instrumente geht. Hier<br />

kann man sich aber mit jedem Instrument bewerben,<br />

richtig?<br />

Christian Thompson: Niemand tut, was wir hier für die<br />

Amateure tun! Zuerst einmal sind die Amateure hier vor<br />

Ort, sie bleiben also die gesamte Zeit in der Stadt. Und es<br />

gibt kein <strong>Festival</strong> oder keinen Veranstalter, der das tut,<br />

was wir tun, soweit mir bekannt ist.<br />

Die große Besonderheit, die wir bieten, ist: Wenn die<br />

Amateure nicht spielen, können sie in die Meisterklassen<br />

der Academy gehen und zuhören, sie können den<br />

Proben des Orchesters unter Charles Dutoit zuhören. Sie<br />

können sich wirklich als Teil des gesamten <strong>Festival</strong>s fühlen.<br />

Man muss sich das klar machen: Man ist in dem einen<br />

Raum und probt und nebenan proben Misha Maisky<br />

oder Joshua Bell – das ist wirklich etwas Besonderes.<br />

Ensemble: Das <strong>Festival</strong> aber ist doch erst in der darauffolgenden<br />

Woche. Bleiben denn die Amateure nach der<br />

Kammermusik-Woche?<br />

Christian Thompson: Die meisten bleiben bis zum 16.<br />

ensemble 5/10 37


BERICHTE<br />

Mathieu Herzog vom Quatuor Ébène beim Unterricht.<br />

Foto: Dürer<br />

oder 17., also nur kurz bis nach der Woche für sie. Aber die<br />

meisten Musiker des <strong>Festival</strong>s kommen ja schon zuvor an<br />

und proben hier. Und natürlich ist das Orchester schon<br />

hier. Und die Amateure haben einen Ausweis wie alle anderen<br />

auch. Sie fühlen sich also wie alle anderen auch.<br />

Ensemble: Und gleich zu Beginn hatten Sie die Idee, dass<br />

alle Instrumente kommen können, Streich- wie Blasinstrumente?<br />

Christian Thompson: Blasinstrumente sind ein wenig<br />

kompliziert, da man vier oder fünf haben muss, wenn<br />

man eines hat. Wenn man ein Fagott hat, dann hat man<br />

nicht genug, dann muss man auch ein Horn, eine Oboe<br />

und eine Klarinette haben.<br />

Großartige Säle<br />

boten auch gute<br />

Unterrichtsmöglichkeiten.<br />

Foto: Dürer<br />

Ensemble: Aber eine Klarinette lässt sich ja recht leicht<br />

mit Streichern bezüglich des Repertoires integrieren.<br />

Christian Thompson: Ja, Klarinette ist kein Problem.<br />

Fagott ist wirklich kompliziert, da man wirklich ein Horn<br />

braucht. Und so ist es Jahr für Jahr meine Aufgabe, einen<br />

Profi zu finden, der die Gruppe komplettieren kann, da<br />

man eigentlich keine Amateur-Hornisten findet. Das,<br />

was wir tun, was anders als bei anderen Kursen ist: Wir laden<br />

Studenten von den Konservatorien ein, um gemeinsam<br />

mit den Amateuren zu spielen. Das hat mehrere gute<br />

Effekte gleichzeitig, bei denen es immer um das Thema<br />

Erziehung geht.<br />

Wir glauben, dass es wichtig ist, dass professionelle Musiker<br />

mit Amateuren spielen. Zudem müssen sie lernen für<br />

eine Woche an einem Stück zu arbeiten, mit Musikern,<br />

die nicht so gut spielen wie sie selbst. Und einige von den<br />

Amateuren brauchen wirklich Hilfe – und die Studenten<br />

sind in den Gruppen, um diese Hilfe zu leisten. Für die<br />

Amateure ist es so und so besonders, mit Musikern zu<br />

spielen, die so gut sind. Und das ist das Beste, was wir uns<br />

je überlegt haben. Ich begann dies, da wir im zweiten<br />

Jahr das Problem hatten, dass vier Amateure eine Woche<br />

vor Beginn der Kammermusik-Woche hier absagten.<br />

Und wenn man jedem schon die Werke in die Hand gedrückt<br />

hat, was bei uns mindestens zwei Monate zuvor<br />

geschieht, hat man ein Problem. Denn man kann nicht<br />

zu diesen Leuten gehen und sagen, ihr spielt nicht das,<br />

sondern etwas anderes. So habe ich die Lücken mit den<br />

Studenten von dem Konservatorium in Genf aufgefüllt.<br />

Und sie haben es geliebt. Sie lernen auch sehr viel.<br />

Ensemble: Wenn Sie also wissen, wer zu dieser Woche<br />

kommt, wie wählen Sie das Repertoire aus? Ich habe soeben<br />

dem Hummel-Quintett zugehört. Es gibt nicht so<br />

viele Werke mit Kontrabass in der Kammermusik, richtig?<br />

38<br />

ensemble 5/10


Christian Thompson: Mehr, als Sie denken. Es ist wirklich<br />

interessant [er lacht]. In den vergangenen fünf Jahren<br />

habe ich mich zu einer Art Experte für unbekanntes<br />

Kammermusik-Repertoire entwickelt. Es ist schwierig,<br />

man muss wirklich hart arbeiten. Und die Kontrabassistin,<br />

die seit vier Jahren kommt, sagte, dass sie nur dann<br />

zurückkommt, wenn sie jedes Jahr etwas Neues spielen<br />

kann. Sie will nicht mehr das „Forellenquintett“ von<br />

Schubert spielen, wir hatten das Septett von Beethoven<br />

und das Schubert-Oktett und das Dvorák-Bass-Quintett.<br />

So bleibt es spannend, neue Werke wie das Hummel-<br />

Quintett oder das Bruch-Septett zu finden.<br />

Ensemble: Jeder Amateur spielt in zwei verschiedenen<br />

Ensembles, richtig?<br />

Christian Thompson: Ja, am Vormittag in der einen<br />

Gruppe, und am Nachmittag in der anderen. Als wir begannen,<br />

haben wir es so gemacht, dass man ein Werk<br />

drei Tage lang in einer Gruppierung bearbeitete und<br />

dann drei Tage lang in einer anderen. Wenn Sie noch einmal<br />

darüber nachdenken, dass man nicht jeden gerne<br />

hat nach einem Blind Date, dann ist es besser, es aufzusplitten,<br />

so dass man immer an einem Tag Leute um sich<br />

hat, mit denen man gerne zusammen ist.<br />

Ensemble: Wie funktioniert das mit dem Grad der<br />

Fähigkeiten?<br />

Christian Thompson: Sie haben mir zu sagen, wie sie<br />

BERICHTE<br />

spielen. Und manches Mal sind sie ehrlich. [er lacht] Das<br />

Problem ist doch, wenn man sich als zu gut darstellt,<br />

dann sind die Erwartungen so hoch – und wenn man sie<br />

nicht erfüllt, ist jeder enttäuscht, nicht nur man selbst. Ich<br />

würde also meine Fähigkeiten eher niedrig einstufen.<br />

Denn dann ist es entweder genau das, was man von mir<br />

erwartet, oder es ist etwas besser. Es hängt also wirklich<br />

davon ab, welches Solo-Repertoire sie gespielt haben,<br />

welche Kammermusik sie schon kennen, und wie lange<br />

sie bestimmte Werke gespielt haben.<br />

Ensemble: Die Lehrer sind vielfach dieselben?<br />

Christian Thompson: Nein. Die ersten zwei Jahre hatten<br />

wir ein Streichquartett, das sich aufsplittete, so dass wir<br />

vier Lehrer hatten. Zusätzlich hatten wir einen Pianisten.<br />

Zudem hatten wir immer schon Lehrkräfte aus dem Orchester.<br />

Es ist wiederum die Ausbildungs-Idee: Die jungen<br />

Orchestermusiker sollen lernen, wie man mit einer Kammermusikgruppe<br />

arbeitet, denn das ist auch wichtig für<br />

sie.<br />

Dieses Jahr nahm ich die besten Lehrer, die wir in den<br />

vergangenen vier Jahren hatten. Zudem versuche ich<br />

aber auch Studenten aus der Academy zu integrieren in<br />

die Lehrarbeit. Es ist für sie genauso wichtig. All das ist<br />

unser Glaube an die Erziehung für Musik, in jede Richtung.<br />

Ensemble: Gibt es in der Anzahl an Amateuren, die Sie<br />

nehmen können, ein Limit?


BERICHTE<br />

Foto: Dürer<br />

sagt. Heutzutage widmet er sich ganz und gar<br />

der Aufgabe der Erziehung innerhalb der Musik,<br />

in jeder Hinsicht und in jedem Bereich.<br />

„Heutzutage muss man andere Fähigkeiten<br />

haben als seinerzeit Maurizio Pollini oder Krystian<br />

Zimerman. Wir sind im 21. Jahrhundert und<br />

da ist es wichtig, auch andere Dinge zu sehen<br />

wie das Publikum anzusprechen, mit Kindern<br />

zu arbeiten – und halt auch mit Amateuren.“<br />

Leistungen, Unterricht und Atmosphäre<br />

Christian Thompson: Ja, aufgrund der limitierten<br />

Räumlichkeiten. <strong>Verbier</strong> ist kein Ort, der für ein solches<br />

<strong>Festival</strong> gebaut wurde. Mittlerweile nutzen wir ja alle<br />

möglichen Räumlichkeiten: Hotelbars, Nachtclubs, Abstellräume.<br />

Es sind mehr als 10 Räume, denn wenn die<br />

Musiker der Academy ankommen, dann benötigen sie<br />

auch ihre Räume. Überhaupt ist die Terminplanung das<br />

Nervtötendste an diesem Job.<br />

Ensemble: Nicht jeder Raum ist mit einem Klavier ausgestattet,<br />

kann ich mir vorstellen.<br />

Christian Thompson: Nun, wir haben tatsächlich 10<br />

Räume mit Klavieren, aber wir haben auch sechs Pianisten<br />

unter den Amateuren. Das ist vielleicht wirklich ein<br />

wenig zu viel, da viele Streicher es auch gar nicht so sehr<br />

lieben, mit Klavier zu spielen, da das Klavier meistens<br />

doch dominiert.<br />

Ensemble: Und die meisten Amateure kommen tatsächlich<br />

als individuelle Spieler?<br />

Christian Thompson: Nun, wir haben ein Streichquartett<br />

aus Deutschland, das schon lange zusammen spielt.<br />

Das ist aber auch alles.<br />

Christian Thompson hat viele Jahre als Agent bei IMG Artists<br />

gearbeitet, ist ein „schlechter Pianist“, wie er selbst<br />

Auch Hinterräume von Bars mussten genutzt werden.<br />

Foto: Dürer<br />

Die Atmosphäre während der Kammermusikwoche<br />

vor der eigentlichen <strong>Festival</strong>zeit ist ruhig<br />

in <strong>Verbier</strong>. Einige Touristen sind immer in diesem<br />

Ort unterwegs, um Mountainbike zu fahren<br />

oder aber zu wandern – oder um einfach<br />

die gute Luft und die Ruhe in dieser wundervollen<br />

Bergregion zu genießen. Aber noch sind keine Besucher<br />

des <strong>Festival</strong>s vor Ort, noch sind die Straßen ruhig und<br />

leer, noch trifft man nicht in jedem der gemütlichen<br />

Lokale eine Martha Argerich beim E-Mail-Check, Misha<br />

Maisky mit seiner Familie oder Gidon Kremer beim<br />

Schlendern durch die Straßen. Dennoch sieht man schon<br />

etliche Musiker, neben den Amateuren, die beständig<br />

zwischen den Unterrichts- und Probenorten wechseln,<br />

sind es die jungen Musiker des <strong>Verbier</strong> <strong>Festival</strong><br />

Orchestras, die man sieht.<br />

Doch man sollte einmal genau hinhören, dann nimmt<br />

man in vielen der kleinen Straßen bei strahlendem Sonnenschein,<br />

der zu dieser Jahreszeit recht sicher „gebucht“<br />

zu sein scheint, Kammermusik wahr, aus einer Bar eines<br />

Hotels, aus der Schule, in der auch das Orchester probt,<br />

aus einem kleinen Veranstaltungssaal. Das sind die Amateure,<br />

die immerzu proben, die sich in dieser Woche einfach<br />

nur auf die Musik einlassen wollen, vor allem, da<br />

viele von ihnen im realen Leben anstrengende Berufe<br />

haben. Natürlich ist die Anzahl der Mediziner auch hier<br />

recht hoch, und die der Anwälte ebenso. Aber es gibt<br />

auch die Software-Entwickler, die Naturwissenschaftler<br />

oder die Hausfrauen. Und es geht immens international<br />

zu. Nur wenige kommen aus der Schweiz. Und auch<br />

Deutschland ist nicht überrepräsentiert, eher schon die<br />

Niederlande. Und dann gibt es noch Japan, Argentinien,<br />

Australien, Brasilien, Kanada, die USA, Singapur,<br />

Dänemark, Italien, Ungarn und Belgien. Und<br />

dies bei „nur“ 50 Spielern – über Internationalität<br />

kann man hier wirklich nicht klagen.<br />

Natürlich isst man mittags zusammen – und<br />

es wird nur über die Werke, die Lehrer und die<br />

Musik an sich geredet. Man atmet in diesen Tagen<br />

die Musik geradezu. Und mittags sind alle<br />

da, die Amateure, die Lehrer und das gesamte<br />

Organisations-Personal. Das schafft Nähe und<br />

lässt Gelegenheiten offen, neue organisatorische<br />

Dinge verlauten zu lassen, denn Änderungen<br />

gibt es schon hier und da – bei aller<br />

professionellen Vorplanung. Immerhin hat man<br />

bereits mehrere Stunden des Musizierens hinter<br />

sich. Der Stundenplan ist genau geregelt, da<br />

die Räumlichkeiten begrenzt sind. So beginnt<br />

jede Gruppe um 9 Uhr mit 75 Minuten Probe<br />

oder Kursus mit Lehrer. Weiter geht es dann<br />

40<br />

ensemble 5/10


um 10:45 Uhr für weitere 75 Minuten. Nach der Mittagspause von<br />

über zwei Stunden folgen am Nachmittag nochmals zwei Blöcke<br />

à 75 Minuten. Und viele Gruppen haben dann noch nicht genug,<br />

sondern machen nur eine kurze Pause, um sich weiterhin zum<br />

Proben zu verabreden. Die Zeit muss sich lohnen, die Woche soll<br />

Erfolge bringen und die Kammermusikfähigkeiten zumindest für<br />

die hier erprobten Werke deutlich werden lassen.<br />

Doch auch an die sozialen Kontakte wird natürlich gedacht.<br />

Um 19 Uhr trifft man sich in der Bar des Hotels Phénix, um den<br />

Tag ausklingen zu lassen oder gemeinsam den Abend einzuläuten.<br />

Hier wird nochmals geredet, geblödelt, gelacht und erstmals<br />

am Tag auch etwas getrunken. Aber man darf nicht vergessen:<br />

Die größte Anzahl der Teilnehmer ist nicht jung, ist es nicht<br />

gewohnt, den gesamten Tag über ihre Instrumente zu spielen,<br />

will bald schon ins Bett, um am Morgen dann zeitig frisch zu sein<br />

für einen weiteren Tag voller Kammermusik.<br />

Bei mehrfachem Hören eines Ensembles hört man dann auch<br />

bald schon die Erfolge, die Entwicklungen. Vier Ärzte aus<br />

Deutschland spielen das Streichquartett Nr. 8 von Schostakowitsch<br />

– bemerkenswert ausgereift in Dynamik und Rhythmik.<br />

Ein Ensemble spielt bravourös das Klavierquartett von Schumann<br />

– und selbst das nicht gerade so spannungsgeladene Quintett<br />

von Hummel macht sich langsam. Man ist insgesamt erstaunt<br />

über die Leistungen, über das Wissen und das Engagement<br />

der Amateure.<br />

Die Lehrer waren in diesem Jahr der Ire Jonn Byers, Cellist des<br />

in London residierenden Badke Quartet, Paul Cocker, englischer<br />

Pianist, Mathieu Herzog, Bratscher des Quatuor Ébène, der junge<br />

und erfolgreiche englische Geiger Thomas Gould sowie Roderick<br />

Swanston, der sich einen Namen als Radiomann und Schreiber<br />

gemacht hat. Daneben gab es dann noch einige junge Musiker<br />

des letztjährigen <strong>Festival</strong>-Orchesters. Und alle hatten ihre<br />

Stärken und ihren Fokus. Mathieu Herzog achtete stärker auf die<br />

dynamische Austarierung, da er meint, dass falsche Noten weniger<br />

wichtig sind, als die Gefahr bei einer gleichbleibenden Dynamik<br />

langweilig zu spielen. Byers dagegen wollte den Ensembleklang<br />

durchsichtiger werden lassen (um nur zwei Beispiele zu<br />

nennen). Doch wie unterrichtet man überhaupt Amateure? Wie<br />

Studenten? „Nein, sie wollen anders unterrichtet werden, wollen<br />

ernster genommen werden“, weiß Mathieu Herzog zu berichten.<br />

Er ist das erste Mal in der Kammermusik-Woche dabei und sich<br />

darüber bewusst, wie wichtig diese Musiker für die gesamte<br />

Musikszene weltweit sind. „Ich hatte einen schlechten Start und<br />

dachte schon bei mir, das machst du nie wieder. Aber wenn man<br />

dann hört, wie eine Gruppe Dvorák-Quintett spielt, oder Beethovens<br />

Streichquartett Op. 59 Nr. 3, dann ist man doch begeistert,<br />

dann muss man nicht über Intonation oder solche grundlegenden<br />

Dinge reden, sondern dann kann man an der Musik<br />

arbeiten und über Musik reden.“ Wahrscheinlich wird auch er<br />

wiederkommen, wenn man ihn lässt.<br />

Kontakt<br />

<strong>Verbier</strong> <strong>Festival</strong><br />

4, rue Jean-Jacques Rousseau<br />

CH - 1800 Vevey<br />

Tel.: +41 (0)21 925 90 60<br />

Fax: +41 (0)21 925 90 68<br />

info@<strong>verbier</strong>festival.com<br />

www.<strong>verbier</strong>festival.com/<strong>amateur</strong>week

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