Download - Baltische Historische Kommission
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sehen. Auch hier liegt eine welthistorische Idee zu Grunde, die gegolten hat bis zur<br />
französischen Revolution, um da nicht etwa gebrochen, sondern abgelöst zu werden. An<br />
Stelle der Souveränität des Herrschers trat die Souveränität des Volkes in den Vordergrund.<br />
Im Namen der Souveränität des Herrschers, von deren Sieg damals die Welt den Beginn einer<br />
goldenen Zeit erwartete, wurde die Macht des Adels in Schweden gebrochen, wurde eine<br />
Provinz nach der anderen auf die Schlachtbank geführt. Zuerst kamen Schonen und<br />
Bleckingen an die Reihe, wo dem dänischen Adel dieselben Rechte beschworen waren, wie<br />
dem deutschen in Livland, und – wurden totgemacht. Dann sollte Livland abgeschlachtet<br />
werden. Nicht als ob die Opfer keinen Protest eingelegt hätten, wie oft ist der Schrei erschallt:<br />
“Wir sterben und Du hast geschworen!“ Einer welthistorischen Idee gegenüber, die von<br />
Millionen Armen gestützt wird, brechen aber Eidschwüre wie Glas, und das Opfer weit<br />
entfernt in der öffentlichen Stimmung einen Schutz zu finden, wird von dieser noch mit einem<br />
Fußtritt, den man dem strangulierten Leichnam versetzt, bedacht und dann auf die Seite<br />
geworfen.<br />
Und abermals würde man den Politiker für wahnwitzig gehalten haben, der ausgesprochen<br />
hätte, dass nach zwei Generationen schon das große Schweden, dem europäische Größe schier<br />
zu klein dünkte, das im Übermute daran erinnerte, wie nicht nur jene Provinzen, die es<br />
neuerdings erworben, sondern wie eigentlich auch Russland, Italien, Kleinasien, Afrika<br />
schwedisch seien, weil von Warägern, die bekanntlich Normannen, also Schweden waren, in<br />
Besitz genommen, – dass dieses Schweden sich glücklich schätzen würde, nach zwei<br />
Generationen von Europa vergessen zu werden, um nur Ruhe, Ruhe zu genießen, ungestört<br />
seine Felder bebauen zu dürfen und dass Livland abermals gerettet würde. – Und Schweden<br />
stürzte doch, und Livland wurde doch zum zweiten Male vom Rande des Abgrundes gerettet.<br />
In dieser Tatsache der Geschichte möchte ein Trost für den Livländer der Gegenwart liegen,<br />
zumal da der aufmerksame Historiker in derselben keinen Zufall sehen kann, sondern<br />
Vernunft und Gesetz der Entwicklung dabei erkennen muss. Denn die Symptome, die der<br />
Rettung Livlands und dem Sturze seiner Bedrücker vorangehen, sind beide Mal dieselben,<br />
nämlich erstens fanatischer Nationalhass, und zweitens offizielle Lüge. Doch treten beide erst<br />
im letzten Stadium, vor der Umwälzung groß hervor.<br />
Der Anfang zum Ende ist in beiden Fällen die Proklamation der Gleichberechtigung der<br />
Nationalitäten, der Religionen, der Stände. Hier sind noch verschiedene Standpunkte möglich<br />
diesem Geschenke der welthistorischen Idee gegenüber, wo der Konservative sich seiner<br />
Rechte, freilich auch Privilegien, wehrt, zieht der Liberale vom Leder – das Resultat ist<br />
Abschlachtung der Privilegierten. Diesen aber gerade waren die Rechte beschworen. Ist die<br />
Gleichberechtigung erzielt, so wird der vorher noch kompliziert erscheinende Fall schon viel<br />
einfacher und klarer. Der Pole – später der Schwede –, der zuerst gleichberechtigt war neben<br />
dem Deutschen, findet sich sehr bald ganz im Vordergrunde vor dem Deutschen im<br />
Gerichtssaal, in der Verwaltung, Schule etc.; ja bald spricht er in der der deutschen<br />
gleichberechtigten polnischen Sprache. Dem deutschen Recht und deutscher Gesittung im<br />
Lande wird in praxi die Gleichberechtigung zu gleicher Knechtung. Die Losung ist einfach:<br />
Polonisierung, später Swezisierung. Wie sollte dieses auch nicht gleichberechtigt sein mit der<br />
Germanisierung? Die politische Stellung ist sehr vereinfacht. Es handelt sich nicht mehr um<br />
Adel, Geistlichkeit, Stände.<br />
Die Frage ist: Willst du als einzelner Mensch Dich drücken lassen und Dich aufgeben, oder<br />
willst du Deinen Platz behaupten und ausdauern? Außer dem fanatischen Nationalhass, dem<br />
es ein Leichtes wird, die schmale Kluft von Gleichberechtigung zum grausamen Rasieren<br />
jedes Deutschtums zu überspringen, ist: Zweites Symptom die damit Hand in Hand gehende<br />
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