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MITOCHONDRIALE MYOPATHIEN

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DGM·INFO<br />

<strong>MITOCHONDRIALE</strong><br />

<strong>MYOPATHIEN</strong><br />

DGM·Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.


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Was sind die Mitochondrien?<br />

Die Mitochondrien sind Organellen (Strukturen der Körperzellen<br />

mit bestimmter Funktion), die für die Energiegewinnung<br />

der Zellen verantwortlich sind. Man kann sie als „Kraftwerke“<br />

der Zellen bezeichnen. In der so genannten Zellatmung findet<br />

die Verbrennung von Sauerstoff statt. Eine weitere Funktion<br />

der Mitochondrien ist der Abbau der Fettsäuren.<br />

Mitochondriale Myopathien<br />

Funktionsstörungen der Mitochondrien betreffen insbesondere<br />

die Muskelzellen, da diese einen hohen Energiebedarf aufweisen.<br />

Es kann zu einer mitochondrialen Myopathie kommen.<br />

Aber auch andere Zellen und Gewebe können betroffen<br />

sein, so z.B. das Nervensystem, das Auge und das Innenohr.<br />

Bei Erkrankungen der Mitochondrien handelt es sich daher oft<br />

um so genannte Multisystemerkrankungen, bei denen verschiedene<br />

Organe erkranken. Störungen des Magen-Darm-<br />

Traktes oder des Zuckerstoffwechsels (Diabetes mellitus)<br />

kommen ebenfalls vor.<br />

Eine Mitochondrien-Erkrankung kann sowohl im Kindesalter<br />

als auch im Erwachsenenalter auftreten.<br />

Vererbung<br />

Mitochondrien besitzen eine eigene Erbsubstanz (DNS), die<br />

immer von der Mutter an die Kinder vererbt wird, da Eizellen<br />

im Vergleich zu den Spermien tausendfach mehr Mitochondrien<br />

enthalten. Allerdings ist auf der mitochondrialen DNS<br />

(mtDNS) der „Bauplan“ nur für einen Teil der Eiweiße (Proteine)<br />

des Mitochondriums enthalten. Der „Bauplan“ für die<br />

anderen Eiweiße liegt in der Erbsubstanz der Zellkerne, den<br />

Chromosomen. Diese Bestandteile werden außerhalb der<br />

Mitochondrien gebildet und dann hineintransportiert. Manche<br />

mitochondriale Myopathien werden daher nur über die Mutter<br />

vererbt, andere aber nach den klassischen Mendelschen Erb-<br />

gesetzen, auch über den Vater, je nachdem, ob ein Gendefekt<br />

in der DNS der Mitochondrien oder in den Chromosomen<br />

liegt. Allerdings gibt es auch mitochondriale Myopathien, die<br />

nicht vererbt werden.<br />

Bei Genveränderungen der mtDNS ist meist nur ein Teil der<br />

DNS-Moleküle betroffen, so daß in einer Gewebeprobe normale<br />

mtDNS neben mutierter mtDNA gefunden werden kann<br />

(Heteroplasmie). Dabei gibt es eine gewisse Beziehung zwischen<br />

dem Anteil der veränderten DNS und dem Schweregrad<br />

der Erkrankung sowie dem Risiko, den Gendefekt weiterzuvererben.<br />

Symptome<br />

Häufig berichten Patienten mit mitochondrialen Myopathien<br />

über eine belastungsabhängige Muskelschwäche. Aber auch<br />

eine andauernde Muskelschwäche ist möglich, die besonders<br />

die rumpfnahen Muskeln von Armen und Beinen (Schultergürtel/Oberarme<br />

bzw. Beckengürtel) betrifft. Wegweisend für<br />

eine mitochondriale Myopathie ist, wenn die Augenmuskeln<br />

mitbetroffen sind: Die Augenbewegung ist eingeschränkt (die<br />

Patienten bemerken dies jedoch häufig nicht, da selten Doppeltsehen<br />

auftritt) und die Lider hängen herunter (Ptose).<br />

Bei manchen Patienten kann eine Herzmuskelschwäche auftreten,<br />

aber auch Störungen der Erregungsleitung im Herzen<br />

sind möglich, was zu Herzrhythmusstörungen führen kann.<br />

Ist das Gehirn mitbetroffen, können z.B. epileptische Anfälle,<br />

geistige Behinderungen oder Schlaganfälle auftreten. Die Nerven<br />

von Armen und Beinen können ebenfalls betroffen sein<br />

(Polyneuropathie). Am Auge können besonders der Sehnerv<br />

und die Netzhaut erkranken. Weitere häufige Symptome sind:<br />

Schwerhörigkeit und Diabetes mellitus.<br />

Beispielhaft seien einige Krankheitsbilder mit ihren Leitsymptomen<br />

und dem Erbgang genannt.


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Erkrankungen mit Störung der Zellatmung<br />

(Defekte der Atmungskette bzw. oxidativen<br />

Phosphorylierung)<br />

Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie<br />

(CPEO) plus<br />

Langsam zunehmende (progressive) Lähmung (Plegie) der<br />

äußeren (externen) Augen (Ophthalmo)-Muskeln, was zur<br />

oben beschriebenen Bewegungseinschränkung der Augen und<br />

Hängen der Lider (Ptose) führt. Das „plus“ steht für zusätzlich<br />

vorliegende Symptome (z.B. Muskelschwäche an Armen und<br />

Beinen, Netzhautveränderungen), wie sie oben genannt sind;<br />

meist nicht vererbt.<br />

MELAS-Syndrom<br />

(Mitochondriale Enzephalomyopathie mit<br />

Laktatazidose und schlaganfallähnlichen Episoden)<br />

Erkrankung von Gehirn und Muskeln (Enzephalomyopathie)<br />

mit Muskelschwäche der Arme/Beine, jugendlichen Schlaganfällen,<br />

epileptischen Anfällen und Schwerhörigkeit; meist<br />

über die Mutter vererbt; (Laktatazidose siehe unter „Diagnosestellung“).<br />

MERFF-Syndrom<br />

(Myoklonusepilepsie mit Ragged-red-Fasern)<br />

Epileptische Anfälle und Muskelzuckungen (Myoklonusepilepsie),<br />

zusätzlich typischerweise Belastungsintoleranz, Koordinations-<br />

und Hörstörung; meist über die Mutter vererbt; (Ragged-red-Fasern<br />

siehe unter „Diagnosestellung“).<br />

Leigh-Syndrom<br />

Von D. Leigh erstmals beschriebene Erkrankung mit geistiger<br />

und motorischer Entwicklungsverzögerung (z.B. schlaffe Muskeln)<br />

von Säuglingen und Kleinkindern; häufig epileptische<br />

Anfälle; meist vererbt mit unterschiedlichem Erbgang.<br />

Es gibt auch Erkankungen der Mitochondrien, die in der Regel<br />

keine Myopathie aufweisen, z.B. die Lebersche Optikusneuropathie,<br />

die durch eine Störung der Sehnerven zur hochgradigen<br />

Sehminderung führt. Aktuell mehren sich die Hinweise,<br />

daß bei weiteren häufigen neurodegenerativen Erkrankungen<br />

(mit Untergang von Nervenzellen) eine mitochondriale Störung<br />

ursächlich ist. Beispielhaft sei die Friedreich-Ataxie genannt,<br />

bei der neben dem Kleinhirn auch der Herzmuskel erkrankt.<br />

Unklar ist noch, welche Rolle die Mitochondrien bei<br />

der Alzheimer-Demenz, der Parkinson-Erkrankung und der<br />

Amyotrophen-Lateralsklerose (ALS) spielen.<br />

Erkrankung mit Störung des Fettsäureabbaus<br />

CPT (Carnitin-Palmityl-Transferase)-Mangel<br />

Enzymdefekt, der zu zwei verschiedenen Erkrankungen führt<br />

1) Erkrankung des Kindesalters, die zu Unterzuckerung und<br />

plötzlichem Herztod führen kann.<br />

2) Erkrankung des Erwachsenenalters, die sich durch Muskelschwäche<br />

und Braunverfärbung des Urins nach körperlicher<br />

Belastung oder Fasten zeigt; sowohl von Vater und<br />

Mutter vererbt (autosomal rezessiv).<br />

Der Verlauf mitochondrialer Erkrankungen ist sehr unterschiedlich:<br />

Manche Patienten haben nur gelegentlich Beschwerden<br />

(z.B. CPT-Mangel). Bei vielen Patienten verschlechtern sich die<br />

Symptome nur sehr langsam (z.B. CPEO plus). Besonders<br />

wenn die Beschwerden bereits im Kindesalter auftreten, kann<br />

die Erkankung aber auch rasch fortschreiten.<br />

Diagnosestellung<br />

Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Symptome kann die Diagnosestellung<br />

schwierig sein und sollte deshalb in einem spezialisierten<br />

Zentrum erfolgen (Adressen können bei der Geschäftsstelle<br />

der DGM erfragt werden). Besteht der Verdacht


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7<br />

auf eine mitochondriale Myopathie sollte der Laktat-Wert im<br />

Blut (Milchsäure) bestimmt werden. Laktat-Untersuchungen<br />

kennt man gut in der Sportmedizin, um den Trainingszustand<br />

von Leistungssportlern zu beurteilen. Wird dagegen ein pathologisch<br />

erhöhter Wert in Ruhe oder nach leichter Belastung<br />

auf einem Fahrrad (Home-Trainer) gefunden, weist dies auf<br />

eine Einschränkung der mitochondrialen Zellatmung hin.<br />

In einigen Fällen gelingt es, einen Gendefekt in den Blutzellen<br />

nachzuweisen. Störungen des Fettsäureabbaus lassen sich in<br />

manchen Fällen durch biochemische Untersuchungen des Blutes<br />

nachweisen. Meist ist jedoch zur Diagnosestellung eine<br />

Muskelbiopsie (Probeentnahme eines erbsengroßen Muskelstücks)<br />

notwendig, die unter lokaler Betäubung durchgeführt<br />

werden kann. Hier sieht man häufig lichtmikroskopisch veränderte<br />

Mitochondrien (sog. Ragged-Red-Fasern) oder Fettablagerungen.<br />

Außerdem kann man Stoffwechseldefekte der Zellatmung<br />

und des Fettsäureabbaus biochemisch untersuchen. Im<br />

Unterschied zu anderen Erkrankungen, die auf einem Gendefekt<br />

beruhen, sind mitochondriale Genveränderungen häufig<br />

vor allem im Muskel zu finden, weniger häufig und weniger<br />

ausgeprägt im Blut.<br />

Ergänzende Untersuchungen wie EKG, Herz-Ultraschall, Computertomographie<br />

oder Kernspintomographie des Kopfes, Hörtest<br />

sowie EEG sind notwendig, um Organbeteiligungen, die<br />

über die Myopathie hinaus gehen, festzustellen.<br />

Therapieansätze<br />

Eine Heilung mitochondrialer Myopathien ist nicht möglich<br />

und auch derzeit noch nicht absehbar. Selbst wenn der Gendefekt<br />

bekannt ist, kann er nicht behoben werden. Forschungen<br />

mit dem Fernziel einer Gentherapie werden derzeit unternommen.<br />

Bei Störungen des Fettsäureabbaus, sollte eine kohlenhydratreiche<br />

Ernährung bevorzugt werden, bzw. je nach Enzymde-<br />

fekt eine Diät mit mittelkettigen Fettsäuren eingehalten werden.<br />

Besteht ein Carnitin-Mangel, so kann dieses ersetzt werden.<br />

Starke körperliche Aktivitäten und Fasten sollten vermieden<br />

werden.<br />

Bei Störungen der Zellatmung kann leichtes körperliches Training<br />

die Belastungsschwäche verbessern. Medikamentös kann<br />

man versuchen, durch ein Mehrangebot bestimmter Substanzen,<br />

die für die Zellatmung erforderlich sind, das Energieangebot<br />

der Zellen zu verbessern. Zusätzlich wirken einige dieser<br />

Substanzen als sog. Antioxidantien und können möglicherweise<br />

eine Schädigung der Mitochondrien durch aggressive<br />

Sauerstoff-Formen vermindern. Insbesondere Coenzym Q und<br />

Kreatin kommen dabei zum Einsatz, wobei eine eindeutige<br />

Wirkung bisher nicht bewiesen werden konnte.<br />

Da nennenswerte Nebenwirkungen nicht zu befürchten sind,<br />

ist ein Therapieversuch gerechtfertigt. Bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen<br />

ist die rechtzeitige Anlage eines Herzschrittmachers<br />

wichtig.<br />

Ein Hängen der Lider (Ptose) kann vom Augenarzt operativ<br />

korrigiert werden, wenn die Muskeln, die für den Augenschluß<br />

verantwortlich sind, kräftig sind. Bei der medikamentösen<br />

Behandlung epileptischer Anfälle sollte auf Valproat<br />

und Barbiturate verzichtet werden, da diese die Mitochondrienfunktion<br />

beeinträchtigen können.<br />

Weshalb sollen Patienten mit mitochondrialen<br />

Myopathien Mitglied der Deutschen Gesellschaft<br />

für Muskelkranke (DGM) werden?<br />

Die DGM ist der älteste und größte Selbsthilfeverband der<br />

Muskelkranken in Deutschland. Sie bietet ihren Mitgliedern<br />

Informationen über die verschiedenen Krankheitsbilder und<br />

deren Behandlungsmöglichkeiten, Beratung in sozialen und<br />

rechtlichen Fragen, Ratschläge für Freizeitaktivitäten und –<br />

nicht zuletzt – Kontakte mit Ärzten und Betroffenen.


8<br />

Ihre Ziele sind:<br />

■ Betreuung der Betroffenen und ihren Angehörigen<br />

■ Forschungsförderung und<br />

■ Öffentlichkeitsarbeit<br />

Eine besondere Aktivität der DGM ist die Unterstützung von<br />

spezialisierten neurologischen Arbeitsgruppen in Muskelzentren,<br />

die mit der einen oder anderen Muskelkrankheit besonders<br />

eingehende Erfahrung besitzen.<br />

Viele Mitglieder aus medizinischen, sozialen und diversen beratenden<br />

Berufen, keineswegs alle selbst betroffen, stellen ihr<br />

Expertenwissen in den Dienst der guten Sache und sorgen<br />

dafür, dass die Gesellschaft über alle Bereiche, die für die Mitglieder<br />

wichtig sind, bestens informiert wird.<br />

DGM<br />

Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.<br />

DGM · Bundesgeschäftsstelle · Im Moos 4 · 79112 Freiburg<br />

Telefon 07665/9447-0<br />

Telefax 07665/9447-20<br />

e-mail: DGM – BGS@t-online.de<br />

Internet http://www.dgm.org<br />

Spendenkonto Deutsche Bank Freiburg<br />

KTO 2151 751 · BLZ 680 700 30<br />

Unsere Arbeit ist von den obersten Finanzbehörden als besonders förderungswürdig<br />

und gemeinnützig anerkannt. Ihre Spende und Ihr<br />

Förderbeitrag sind deshalb steuerlich abzugsfähig.<br />

6/2000 · Dr. M. Deschauer, Prof. Dr. S. Zierz · Halle

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