01.11.2013 Aufrufe

„Endlich eine junge Partei in Deutschland“

„Endlich eine junge Partei in Deutschland“

„Endlich eine junge Partei in Deutschland“

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>„Endlich</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>junge</strong> <strong>Partei</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland“</strong><br />

Jugend und Politik, geht das? Schaut man<br />

sich die Piratenpartei an, sogar sehr gut,<br />

denn sie glänzt mit dem niedrigsten<br />

Altersdurchschnitt <strong>in</strong> der <strong>Partei</strong>enlandschaft.<br />

E<strong>in</strong> Interview mit Sebastian Nerz,<br />

27, seit April 2010 Vorsitzender des<br />

Landesverbandes Baden-Württemberg der Piratenpartei und gerade beim<br />

Abschluss s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Bio<strong>in</strong>formatik-Studiums an der Uni Tüb<strong>in</strong>gen.<br />

Matthias Vogt: Herr Nerz, was fasz<strong>in</strong>ierte Sie als <strong>junge</strong>r Bürger an dieser<br />

<strong>Partei</strong>?<br />

Sebastian Nerz: Zur Piratenpartei b<strong>in</strong> ich vermutlich wie viele „Piraten“<br />

gekommen. Ich war genervt von all den etablierten Volksparteien, und davon,<br />

wie es im Bundestag und Landtag läuft, wie wenig man sich an den politischen<br />

Geschehnissen beteiligen kann und ratlos, welche <strong>Partei</strong> eigentlich die eigene<br />

Me<strong>in</strong>ung vertritt. Dann kamen <strong>in</strong> Deutschland im Jahre 2006 <strong>in</strong> Anlehnung an<br />

das schwedische Vorbild die „Piraten“ auf, woraufh<strong>in</strong> ich mich im Internet näher<br />

zu dieser <strong>Partei</strong> <strong>in</strong>formierte. Endlich gab es <strong>e<strong>in</strong>e</strong>, von den Mitgliederzahlen her<br />

sehr <strong>junge</strong> <strong>Partei</strong>, die es versteht, auf die Bedürfnisse und Interessen vieler<br />

<strong>junge</strong>r Menschen konkreter e<strong>in</strong>zugehen. Zudem hat mich die lose<br />

<strong>in</strong>nerparteiliche Hierarchie wie auch die hauptsächlich im Internet stattf<strong>in</strong>dende<br />

Kommunikation als Informatiker sehr angesprochen.<br />

Thomas Konik: Woran liegt es, dass immer mehr Jugendliche politisches<br />

Des<strong>in</strong>teresse zeigen?<br />

-1-


Sebastian Nerz: Ich glaube nicht, dass die Jugendlichen heute<br />

politikverdrossener s<strong>in</strong>d, als sie es früher waren. Es gibt <strong>e<strong>in</strong>e</strong> schöne Anekdote<br />

von Platon, der schon im vierten Jahrhundert vor Christus vom moralischen und<br />

sittlichen Verfall der Jugend schrieb. Würde man s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Texte heute nehmen und<br />

als Leserbrief an <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Zeitung senden, wären sie sofort als aktuelle Me<strong>in</strong>ung<br />

aus dem Volk akzeptiert. Diesen Ruf, dass die Jugend immer des<strong>in</strong>teressierter<br />

werde, gibt es m<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Ansicht nach <strong>in</strong> jeder Generation. Der Hauptunterschied<br />

besteht dar<strong>in</strong>, dass die Jugendlichen heutzutage anders kommunizieren und<br />

sich im Internet durch Gruppierungen vernetzen. Das verstehen ältere<br />

Generationen oftmals nicht. Daher glaube ich, dass <strong>junge</strong> Menschen weniger<br />

politikscheu, sondern eher parteiverdrossen s<strong>in</strong>d.<br />

Matthias Vogt: Was bewegt Jugendliche heutzutage überhaupt noch dazu, <strong>in</strong><br />

der Politik und <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r <strong>Partei</strong> aktiv zu werden?<br />

Sebastian Nerz: Meistens s<strong>in</strong>d es e<strong>in</strong>zelne Themen, <strong>in</strong> denen Jugendliche<br />

etwas verändert haben möchte. Schnell stellen sie dann fest, dass sich<br />

niemand damit befasst, geschweige denn <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Ahnung davon hat. Nun<br />

versuchen sie selbst, etwas zu erreichen und reden mit Abgeordneten und<br />

Politikern, f<strong>in</strong>den aber bei diesen meistens ke<strong>in</strong> Gehör. Was daraus folgt ist die<br />

Erkenntnis, dass sie <strong>in</strong> irgend<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Form selbst politisch aktiv werden müssen.<br />

Häufig f<strong>in</strong>den <strong>junge</strong> Menschen dann Gruppierungen, die zu ihnen passen und<br />

mit denen sie zurechtkommen. Das ist dann die politische E<strong>in</strong>heit, <strong>in</strong> der sie<br />

aktiv werden.<br />

Thomas Konik: Das Durchschnittsalter der Piratenpartei liegt bei 29 Jahren<br />

und ist damit vergleichsweise jung – im Vergleich zu Bündnis 90/ Die Grünen<br />

mit 46, CDU 56, SPD 58 und „Die L<strong>in</strong>ke“ mit sogar 62 Jahren. Woran liegt das?<br />

Sebastian Nerz: Ich denke, dass vor allen D<strong>in</strong>gen die modernen und<br />

<strong>in</strong>teraktiven Kommunikationswege wie z.B. Twitter, Wikis und Facebook für<br />

diesen außergewöhnlich <strong>junge</strong>n Altersdurchschnitt ausschlaggebend s<strong>in</strong>d. Das<br />

-2-


s<strong>in</strong>d auch unsere Hauptkommunikationswege. Ke<strong>in</strong> Jugendlicher setzt sich<br />

freiwillig an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n e<strong>in</strong>geschworenen Polit-Stammtisch mit lauter älteren<br />

Mitgliedern und versucht dort mitzureden, denn er wird nur auf Ablehnung<br />

stoßen. Bei den „Piraten“ kann man sich schnell e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, mitarbeiten und<br />

direkt Themen ansprechen, die <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n bewegen - bei uns hauptsächlich natürlich<br />

über das Internet.<br />

Bei den Volksparteien geht das nicht, dort muss man e<strong>in</strong>ige Instanzen und<br />

Gremien durchlaufen haben, bevor man auf e<strong>in</strong> offenes Ohr stößt. So fühlt man<br />

sich als <strong>junge</strong>r, politisch <strong>in</strong>teressierter Mensch schnell e<strong>in</strong>sam und machtlos.<br />

Matthias Vogt: Sieht sich die Piratenpartei also als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Art „Junge Stimme<br />

Deutschlands“?<br />

Sebastian Nerz: Als <strong>junge</strong> Stimme auf jeden Fall, wobei wir natürlich auch<br />

ältere Mitglieder haben, doch nicht als die alle<strong>in</strong>ige Stimme der Jugendlichen.<br />

Ich glaube, wir s<strong>in</strong>d <strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>Partei</strong> die Jugendthemen sehr gut aufgreifen kann,<br />

wollen aber explizit k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> r<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Jugendpartei se<strong>in</strong>.<br />

Matthias Vogt: Wie trägt die Piratenpartei zur allgem<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n politischen Bildung<br />

ihrer <strong>junge</strong>n Mitglieder bei?<br />

Sebastian Nerz: Ich denke, dass viele bei uns <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Anlaufstelle f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> der<br />

sie politisch aktiv mitarbeiten können. E<strong>in</strong>e Stelle, die sie verstehen und die sie<br />

versteht. So kommt es ganz von alle<strong>in</strong>, dass man anfängt, sich auch mit<br />

Themen ause<strong>in</strong>anderzusetzen, zu denen man sich sonst k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gedanken<br />

machen würde. Ich hoffe, wir können hier sowohl unseren Mitgliedern als auch<br />

an der Piratenpartei <strong>in</strong>teressierten <strong>junge</strong>n Menschen neue Impulse geben. Auch<br />

ganz allgeme<strong>in</strong> möchten wir, dass sich Jugendliche sehr früh mit politisch<br />

relevanten Themen beschäftigen. Das ist e<strong>in</strong> direktes Anliegen der Piraten,<br />

denn wir wollen, dass das Wahlalter bei Landtagswahlen auf 16 und bei<br />

Geme<strong>in</strong>deratswahlen auf 14 gesenkt wird. Damit erhoffen wir uns mehr <strong>junge</strong>s<br />

Engagement <strong>in</strong> der Politik. Aber natürlich b<strong>in</strong> ich auch über jeden froh, der über<br />

-3-


die Piratenpartei überhaupt den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Politik f<strong>in</strong>det. Und sollte er später<br />

zur CDU wechseln, warte ich eben auf den Dankesbrief von Angela Merkel.<br />

(lacht)<br />

Thomas Konik: Während die Piratenpartei bei der Bundestagswahl 2009 bei<br />

den 18- bis 24-jährigen Männern zwölf Prozent erzielte, waren es bei den<br />

gleichaltrigen Frauen lediglich fünf Prozent. Woran liegt‘s?<br />

Sebastian Nerz: (lacht) Diese Frage musste ich bisher bei jedem Interview<br />

beantworten. Bei der FDP ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen<br />

übrigens noch schlechter als bei uns, aber dies nur als kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Randnotiz.<br />

Zur Frage: Wirklich beantworten kann ich sie nicht, nur spekulieren. Ich glaube,<br />

dass die Art und Weise, wie die Piratenpartei entstanden ist - aus der Netzpolitik<br />

- ausschlaggebend für diese Ersche<strong>in</strong>ung ist. Hier gibt es weitaus weniger<br />

<strong>in</strong>teressierte <strong>junge</strong> Frauen als Männer. Die Frauen, die sich aber <strong>in</strong>teressieren,<br />

s<strong>in</strong>d meist engagierter als ihre männlichen Kollegen. Des Weiteren denke ich,<br />

dass bei den Piraten auch Frauen ihre Ziele sehr gut erreichen können, und<br />

zwar ohne Quotenregelung, und hoffe, dass sich dies <strong>in</strong> Zukunft auch zeigen<br />

wird.<br />

Das Interview führten Matthias Vogt und Thomas Konik.<br />

-4-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!