Beit Emmaus Wege 21 - Deutscher Verein vom Heiligen Lande

Freiheit(en) in der Plege
W
as bedeutet Freiheit auf einer
Plegestation? Sicher denkt man an
die eingeschränkte Bewegungsfreiheit,
die das Alter oder eine körperliche
Behinderung mit sich bringen.
Oder an den straff organisierten
Dienstplan, der den Pflegenden
kaum Freiheit lässt, sich intensiver
mit dem einzelnen Menschen auseinanderzusetzen.
Stellt man die
Frage nach der Freiheit in der Plege
jedoch bei uns in Emmaus, muss
man unweigerlich bei unseren Bewohnerinnen
beginnen. Es gibt so
viele verschiedene Lebensgeschichten,
die uns den Begrif „Freiheit“
aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln
betrachten lassen.
Nach einer Kindheit in der Höhle hat sich Ola auch nach mehreren
Jahren bei uns noch nicht ganz an ihre Freiheit gewöhnt.
Gerade in den Nachtdiensten, wenn
man einige Male seine Runden
dreht und die Stimmung im Gegensatz
zum lebendigen Tag eher
friedlich ist, stechen die einzelnen
Charaktere besonders heraus.
Morgens um fünf läuft Shaiqa im
Schlurfschritt über die Station und
räumt Windeln auf. Sie ist eine
geistig und körperlich behinderte
Frau, die es faustdick hinter den
Ohren hat. Sie ist sehr eigenständig
und trotzdem fordert sie unsere Aufmerksamkeit
ein, wenn sie denkt,
dass sie diese nicht bekommt. Sie
lebte jahrelang eingeschlossen in
einer Zisterne, in der Ratten an ihren
Zehen nagten. Bis heute geht sie
gebeugt und ergreift
immer wieder unsere
Hand. Auf ihr Schicksal
blickend ist ihr Leben
bei uns sicherlich
freier als vorher.
In Shafiqas Zimmer
schläft auch Ola, eine
autistische Bewohnerin,
die ihre Kindheit
in einer Höhle verbrachte.
Sie muss zu
ihrem eigenen Schutz
an Armen und Beinen
ixiert und damit unfrei
gemacht werden.
Emmaus-Wege 21 (Herbst 2012)
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