Schimmelmann in Hamburg - Wachholtz Verlag
Schimmelmann in Hamburg - Wachholtz Verlag
Schimmelmann in Hamburg - Wachholtz Verlag
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
E<strong>in</strong>en Monat nach Abfahrt der Schiffe macht sich e<strong>in</strong> Tross<br />
von Planwagen auf die zweiwöchige Reise nach <strong>Hamburg</strong>.<br />
Denn es zieht nicht nur e<strong>in</strong>e große Familie mit ihren Bediensteten<br />
um, sondern e<strong>in</strong> ganzes Unternehmen mit<br />
e<strong>in</strong>em Warenlager und mit Beschäftigten. Zwar wollen<br />
nicht alle bisherigen Mitarbeiter ihre berufliche Zukunft<br />
<strong>in</strong> die ungewisse Fremde verlagern, aber der immer näher<br />
rückende Krieg verbreitet Unsicherheit und Angst <strong>in</strong><br />
der Stadt. H<strong>in</strong>zu kommt, dass <strong>Schimmelmann</strong> nicht nur<br />
e<strong>in</strong> erfolgreicher Kaufmann, sondern auch e<strong>in</strong> gerechter,<br />
ja, <strong>in</strong> Maßen sogar großzügiger Patron ist, der Leistung<br />
honoriert. Da er sich außerdem nur ungern an neue Gesichter<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Umkreis gewöhnen kann, hat er allen,<br />
die ihm ans äußerste Ende der Elbe folgen wollen, e<strong>in</strong>e bemerkenswert<br />
hohe Prämie zugesagt, die von mehr als der<br />
Hälfte se<strong>in</strong>er bisherigen Handelskommissare <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen wird.<br />
* * *<br />
Obgleich es e<strong>in</strong>ige Missklänge gab, bedauern <strong>in</strong> Dresden<br />
viele den Abzug der <strong>Schimmelmann</strong>s, denn die Geschäfte<br />
des Kaufmanns brachten Profit für etliche Gewerbetreibende.<br />
In <strong>Hamburg</strong> dagegen s<strong>in</strong>d Wetter und Empfang<br />
gleich kühl. Gegen e<strong>in</strong>en Neubürger, der Geld <strong>in</strong> die Stadt<br />
br<strong>in</strong>gt, hat der Senat nichts e<strong>in</strong>zuwenden. Doch ist der geschäftlich<br />
so eng mit den ungeliebten Preußen verbundene<br />
Herr <strong>Schimmelmann</strong> wirklich nur gekommen, um se<strong>in</strong>en<br />
Wohlstand zu vermehren?<br />
52
Es ist zudem ke<strong>in</strong> Geheimnis, dass er mit dem König <strong>in</strong> persönlichem<br />
Kontakt steht. Vielleicht ist er viel mehr als e<strong>in</strong><br />
Heereslieferant? Der Titel „Geheimer Rat“ erlaubt allerlei<br />
Vermutungen, ja Befürchtungen. Ist es nicht außerordentlich<br />
seltsam, dass der listenreiche Friedrich e<strong>in</strong>en derart bedeutenden<br />
Untertanen mit se<strong>in</strong>em gesamten Besitz von dannen<br />
ziehen lässt? Und bestehe nicht auch Gefahr, dass der Neuankömml<strong>in</strong>g<br />
mit se<strong>in</strong>em Reichtum die alte<strong>in</strong>gesessenen <strong>Hamburg</strong>er<br />
Handelsgeschäfte <strong>in</strong> Unordnung br<strong>in</strong>gt? Vielleicht<br />
sogar gänzlich ru<strong>in</strong>iert?<br />
Mit äußerster Sorgfalt und noch mehr Misstrauen prüft der<br />
<strong>Hamburg</strong>er Senat jedenfalls den Antrag <strong>Schimmelmann</strong>s<br />
auf Erteilung des Bürgerrechts, das er <strong>in</strong> Dresden so mühelos<br />
erlangt hatte.<br />
Ne<strong>in</strong>, wer derart schnell und dazu <strong>in</strong> so jungen Jahren e<strong>in</strong>en<br />
derartigen Reichtum angehäuft hat, passt nicht <strong>in</strong> die ehrwürdige<br />
Familie der <strong>Hamburg</strong>er Kaufmannschaft. Der Antrag<br />
auf Bürgerrecht wird abgelehnt, das m<strong>in</strong>derwertigere<br />
Fremdenrecht muss vorerst reichen. E<strong>in</strong> Konto auf den eigenen<br />
Namen bleibt somit vorerst ausgeschlossen, ebenso<br />
der Erwerb von Grundbesitz.<br />
Als ob sich e<strong>in</strong> <strong>Schimmelmann</strong> durch H<strong>in</strong>dernisse dieser<br />
Art den Weg verbauen ließe. Wie es sich für e<strong>in</strong>en weitsichtigen<br />
Kaufmann gehört, hatte er das Risiko durchaus e<strong>in</strong>geplant<br />
und e<strong>in</strong>en zuverlässigen Mitarbeiter als Bürger etablieren<br />
lassen. Auf dessen Namen kauft er für 15 000 Taler<br />
<strong>in</strong> der Mühlenstraße <strong>in</strong> würdiger Umgebung gleich neben<br />
dem Michel e<strong>in</strong>en Wohnsitz. Das Palais des Grafen Brühl,<br />
dort wo jenes merkwürdige Treffen mit se<strong>in</strong>em König statt-<br />
53
54<br />
fand, hatte <strong>Schimmelmann</strong> sehr gefallen. Ähnlich großzügig<br />
hätte er gern se<strong>in</strong>e neue <strong>Hamburg</strong>er Residenz ausgestattet.<br />
Aber obwohl er das als Gottorper Palais bekannte Gebäude<br />
verbreitert und verlängert und e<strong>in</strong>e prächtige Auffahrt anfügt,<br />
erreicht er wegen der Bestimmungen der <strong>Hamburg</strong>er<br />
Bauregeln das Dresdner Vorbild nicht.<br />
Trotz dieser E<strong>in</strong>schränkungen muss der E<strong>in</strong>druck entstehen,<br />
nicht e<strong>in</strong> Kaufmann, sondern e<strong>in</strong> Fürst habe sich im<br />
Herzen der Stadt niedergelassen. Und noch herrschaftlicher<br />
als das Äußere des Palais ist die Ausstattung im Inneren.<br />
Die Hausherr<strong>in</strong> hat viel Geschmack bei der Auswahl der<br />
seidenen Tapeten und der englischen Möbel bewiesen. Das<br />
glänzende Parkett der Fußböden besteht selbst noch im<br />
Kontor aus edlen Hölzern, alle Räume enthalten Vitr<strong>in</strong>en<br />
mit dekorativen Stücken aus Porzellan, es gibt sogar e<strong>in</strong>e,<br />
wenngleich kle<strong>in</strong>e, Bibliothek mit Fabeln von Gotthold<br />
Ephraim Less<strong>in</strong>g, Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias-<br />
Gesängen und den Reiseberichten des Adam Olearius. In<br />
diese kle<strong>in</strong>e Bücherstube pflegt sich die Hausherr<strong>in</strong> zurückzuziehen,<br />
wenn der Gatte nach der Abendmahlzeit noch<br />
e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>s Kontor geht und erst kurz vor Mitternacht stets<br />
sehr ermattet se<strong>in</strong>e Arbeit beendet.<br />
Carol<strong>in</strong>e Tugendreich <strong>Schimmelmann</strong> vermisst Dresden<br />
sehr. Dort <strong>in</strong> Sachsen kannte sie Menschen, <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> ist<br />
sie fremd, fühlt sich e<strong>in</strong>sam. Sie verlässt selten das Haus.<br />
Woh<strong>in</strong> hätte sie auch gehen sollen? Die Stadt ist riesengroß,<br />
selbst der <strong>in</strong> Dresden so gemütlich dah<strong>in</strong> fließende Elbfluss<br />
ist breit wie e<strong>in</strong> Meer, der Hafen Furcht erregend <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Geschäftigkeit. In die meisten Teile der Stadt begibt man
sich besser nicht. Die Straßen s<strong>in</strong>d eng und schmutzig, die<br />
Häuser ärmlich, es st<strong>in</strong>kt nach Menschen und Tieren.<br />
Der Kaufmann <strong>Schimmelmann</strong> aber bereut den Umzug<br />
ke<strong>in</strong>en Tag. Unter se<strong>in</strong>esgleichen, die er an der Börse oder<br />
<strong>in</strong> den Kontoren trifft, ist er allerd<strong>in</strong>gs nicht beliebt, was<br />
ihn jedoch nicht stört; denn die Geschäfte laufen prächtig,<br />
die E<strong>in</strong>nahmen übersteigen selbst die günstigsten Erwartungen.<br />
<strong>Hamburg</strong> ist neben Kopenhagen der bedeutendste Seehafen<br />
<strong>in</strong> Nordeuropa, e<strong>in</strong> Knotenpunkt des Fernhandels.<br />
Anders als <strong>in</strong> Dresden wird nicht nur mit groben Gütern<br />
wie Getreide und Zuckerrohr gehandelt, sondern mit raff<strong>in</strong>ierten<br />
Waren, die hohe Gew<strong>in</strong>nspannen enthalten. Die<br />
mächtigen Lagerhäuser gleichen Schatzkammern. Zwar<br />
nicht gefüllt mit Gemälden und goldenen Pokalen wie <strong>in</strong><br />
der sächsischen Residenz, dafür aber mit Ebenholz, Seide,<br />
Gewürzen, We<strong>in</strong>en, Elefantenzähnen.<br />
Wie sich unerhörte Gew<strong>in</strong>ne erzielen lassen, erfährt <strong>Schimmelmann</strong><br />
schon beim Verkauf der aus Dresden <strong>in</strong> 110 Kisten<br />
mitgebrachten weißen Goldvorräte. Kle<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>weise <strong>in</strong><br />
den über Deutschland h<strong>in</strong>aus beachteten „<strong>Hamburg</strong>ischen<br />
Correspondenten“ locken Scharen wohlhabender Bürger<br />
und adliger Gutsbesitzer <strong>in</strong> die Börse, wo zwei renommierte<br />
Makler das Porzellan im Auftrag von <strong>Schimmelmann</strong> anbieten.<br />
Die Nachricht von der großen Nachfrage und den<br />
entsprechenden Gew<strong>in</strong>nen erreicht sogar den preußischen<br />
König. Man habe wohl leider den Geschäftss<strong>in</strong>n des Herrn<br />
<strong>Schimmelmann</strong> unterschätzt, lässt er gegenüber se<strong>in</strong>en Adjutanten<br />
missbilligend wissen und fragt bei se<strong>in</strong>em abge-<br />
55
56<br />
wanderten Untertan gleichzeitig an, ob er bei Gewährung<br />
günstiger Bed<strong>in</strong>gungen bereit wäre, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>er<br />
anderen Stadt nach dem Meißener Vorbild e<strong>in</strong>e Porzellan-<br />
Manufaktur zu eröffnen.<br />
<strong>Schimmelmann</strong> fühlt sich äußerst geschmeichelt, schätzt<br />
die Risiken jedoch höher als die Gew<strong>in</strong>nmöglichkeiten e<strong>in</strong><br />
und erteilt dem König e<strong>in</strong>e Absage. Vorsichtig und unterwürfig<br />
zwar, denn er will die nach wie vor ausgedehnten<br />
geschäftlichen Beziehungen natürlich nicht gefährden,<br />
aber gleichzeitig doch e<strong>in</strong>deutig und unerschrocken: „Die<br />
Treue und tiefste Devotion gegen Ew. Königliche Majestät<br />
geheiligte Person s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen und wahren Ursachen,<br />
weshalb ich mich zu ke<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Unternehmen wagen<br />
werde, von dessen nachteiligem Erfolg ich im Voraus<br />
überzeugt b<strong>in</strong> und womit ich vor Ew. Königliche Majestät<br />
erlauchtesten Augen nicht bestehen würde.“<br />
<strong>Schimmelmann</strong> liebt diesen gestelzten Stil nicht sonderlich,<br />
hätte viel lieber so deutlich geschrieben, wie er oft spricht<br />
und damit <strong>in</strong> den Ruf geraten ist, wenig taktvoll und wenig<br />
diplomatisch aufzutreten. Aber zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Briefen<br />
hält er sich an die Konvention.