aude sapere - Ärztegesellschaft für Klassische Homöopathie
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Praxis<br />
Schmerzen als ein Versuch<br />
den Schmerz zu ertragen<br />
Frau I. A., 49 Jahre alt, kommt wegen chronischer<br />
Schmerzen im Gesicht zu mir. 2008 erkrankte sie<br />
an einer Sinusitis und man empfahl ihr eine Operation<br />
der Nebenhöhlen. Seit zwei Jahren sind die<br />
Schmerzen deutlich schlimmer. Es handelt sich um<br />
ziehende Schmerzen im Ober- und Unterkieferbereich,<br />
die median zum Hals und zu den Ohren<br />
ausstrahlen. Wiederholt erhielt sie Antibiotika. Vor<br />
einem halben Jahr zeigte eine MRT der Nebenhöhlen<br />
allerdings nur minimale Veränderungen. Als Nebenbefund<br />
beschriebene, vereinzelte, kleine whitematter<br />
lesions supratentoriell stufte die Neurologin<br />
als unbedeutend und nicht sicher pathognomisch<br />
ein. Vor zwei Monaten traten drückende Schmerzen<br />
beidseits maxillar auf. Deswegen erhielt sie<br />
erneut ein Antibiotikum. Schnupfen hat sie nur selten,<br />
sie macht aber täglich eine Nasenspülung. Sie<br />
hat auch das Gefühl, sie müsse täglich Schleim, der<br />
vom Nasenrachenraum kommt, wegschlucken, was<br />
kaum gelingt. Kopfweh frontal und occipital begleitet<br />
öfter den Gesichtsschmerz. Das Kopfweh ist in<br />
geschlossenen Räumen stärker. Seit einem Monat<br />
haben sich die Symptome deutlich verstärkt. Frau I.<br />
nimmt täglich mehrmals Mexalen und Harmomed.<br />
Sie meint die Entzündungen und Schmerzen wären<br />
durch die Klimaanlage an ihrem Arbeitsplatz ausgelöst<br />
worden und nach dem letzten Infekt hätte<br />
man ihr einen Operationstermin angeboten.<br />
Vor zwei Jahren wurde ihr Sohn als Fußgänger von<br />
einem Auto niedergestoßen und tödlich verletzt. Vor<br />
acht Jahren kam sie dazu, als ein Mann sich auf der<br />
Schipiste tödlich verletzte und vor 20 Jahren holte sie<br />
die Polizei nachdem sie verdächtige Geräusche gehört<br />
hatte. Die Polizisten fanden ihre Nachbarin ermordet<br />
vor. Immer wieder und immer dramatischer war sie mit<br />
dem Tod in Berührung gekommen. Bis vor fünf Jahren<br />
litt sie an Panikattacken und anorektischen Beschwerden,<br />
wobei ihr nur chinesische Medizin half. Die Ursache<br />
sieht sie in Schwierigkeiten mit den Schwiegerel-<br />
tern und ihrer Zerrissenheit zwischen einem Bürojob<br />
und der Mitarbeit im Betrieb der Gattenfamilie.<br />
Die Patientin friert leicht und hat abends im Bett kalte<br />
Füße. Bei Zug und Wind muss der Kopf bedeckt sein.<br />
Phasenweise kommen Hitzewallungen nachts mit<br />
Schwitzen im Brustbereich. Das Verlangen nach süßen<br />
Dingen ist stark. Der Hals soll frei sein. Viele Monate<br />
hatte sie ein Knödelgefühl im Hals. Sonne verträgt sie<br />
wenig, sonst bekommt sie Kopfschmerzen.<br />
Ein rheumatische Fieber mit Myocarditis war die hervorstechende<br />
Krankheit ihrer Kindheit. Bei Aufregung<br />
treten leicht Durchfälle auf.<br />
Gesellschaft meidet sie und wenn Gesellschaft, dann<br />
dürfen es nur wenige Menschen sein. Im Kontakt ist<br />
sie abwartend und sie schluckt alles und will es jedem<br />
recht machen. Sie litt immer unter großem Lampenfieber.<br />
Sie ist ein mitfühlender Mensch, der zum Grübeln<br />
neigt. Ordnung und Perfektion sind ihr sehr wichtig.<br />
Den Tod ihres Sohnes kann sie nicht annehmen, will sie<br />
nicht annehmen. Es tut so weh und sie spürt das auch<br />
beim Herz. Sie weint.<br />
Nicht, dass dieser unbeherrschbare Schmerz, dessen<br />
Feuer unvermindert lodert, dieses Nichtannehmenkönnen<br />
der Realität, Ignatia groß vor unserem geistigen<br />
Auge aufleuchten lässt, ist beeindruckend und auffallend,<br />
nein, es ist diese völlige Entkoppelung der körperlichen<br />
Schmerzen vom seelischen Leiden. Der Gesichtsschmerz<br />
als Sprachrohr der Seele. Und wie viele Kollegen<br />
diesen Aufschrei nicht hörten!<br />
Ignatia 10 M, 5 Globuli machen die Patientin bereits<br />
am nächsten Tag schmerzfrei <strong>für</strong> sieben Wochen – bis<br />
zu einer Gerichtsverhandlung mit dem Todeslenker,<br />
die eine Wiederholung der Arznei erfordert – und sie<br />
beginnt in die Realität zurückzukehren, sieht und erlebt<br />
auch wieder die positiven Dinge des Lebens. Sie<br />
kann beginnen ihren seelischen Trümmerhaufen aufzuräumen.<br />
Die Arznei greift ein als jenes unsichtbare<br />
Schwert, das die Ankettung an den fruchtlosen Kummer<br />
durchschlägt und aus dem Stillstand befreit, unvergleichlich<br />
sanft und schnell.<br />
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