Laudatio zum René-Marcic-Preis 2009 - Apropos
Laudatio zum René-Marcic-Preis 2009 - Apropos
Laudatio zum René-Marcic-Preis 2009 - Apropos
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Michael Schmolke<br />
<strong>Laudatio</strong> für Michaela Gründler und Anja Pia Keglevic<br />
<strong>René</strong> <strong>Marcic</strong>-<strong>Preis</strong> <strong>2009</strong><br />
In der Einladung zur heutigen <strong>Preis</strong>verleihung lese ich, dass ich eine „Festrede“<br />
halten werde. Erlauben Sie mir, dass ich bei der guten alten laudatio bleibe, der<br />
Lobrede, der Belobigung. Ich werde die beiden <strong>Preis</strong>trägerinnen loben, weil sie<br />
es mehr als verdient, selbst aber niemals Anspruch auf Lob erhoben haben.<br />
Es gäbe zwar heute durchaus auch noch ein Fest zu feiern, gewissermaßen als<br />
Zugabe: Vor dreißig Jahren, wenn auch nicht auf den Tag genau, wurde der<br />
<strong>René</strong> <strong>Marcic</strong>-<strong>Preis</strong> <strong>zum</strong> ersten Mal verliehen, damals an Oskar Schatz,<br />
Kulturchef im Salzburger Landesstudio des Österreichischen Rundfunks, Vater<br />
der Salzburger Humanismusgespräche. Die dreißig Jahre wären wohl eine<br />
Festrede wert. Aber sie dürfte nicht von einem gehalten werden, der seit damals<br />
Mitglied der Jury ist. Kritik hätte sie zu enthalten, aber in aller Bescheidenheit<br />
auch Respekt vor redlichem Bemühen.<br />
Die beiden, die heute gelobt werden, sind noch nicht 22 Jahre im<br />
journalistischen Geschäft, wie es damals, als er den <strong>Preis</strong> bekam, Oskar Schatz<br />
war. Aber sie sind beide seit etwa zehn Jahren Redakteurinnen in Salzburg.<br />
Beide haben nach oder auch schon vor dem Studienabschluss brav volontiert,<br />
hospitiert oder Praktika absolviert, Beispiele für die Generation Praktikum, bei<br />
der SVZ, den „Salzburger Nachrichten“, der „Oberösterreichischen Rundschau“,<br />
im Landesstudio des ORF. Sie haben Öffentlichkeitsarbeit gemacht und sich als<br />
freie Mitarbeiterinnen bewährt, wo immer sich eine Chance bot. Die Generation<br />
Praktikum ist vielseitig.<br />
Wofür sie heute ausgezeichnet werden, ist jedoch etwas ganz anderes, etwas,<br />
was außerhalb üblicher journalistischer Karriereverläufe liegt: Sie sind<br />
Redakteurinnen einer Straßenzeitung, die Sie, verehrte Damen und Herren, alle<br />
kennen, ob Sie sie nun mögen oder nicht. Das Blatt hieß früher „Asfalter“, und<br />
viele nennen es heute noch so. Es heißt heute, aus Gründen, die hier nicht zu
erörtern sind, „<strong>Apropos</strong>“, und es begegnet Ihnen einmal im Monat. Es drängt<br />
sich auf, ohne aufdringlich zu sein; seine inzwischen sogar im corporate design<br />
auftretenden Verkäuferinnen und Verkäufer schauen Sie freundlich an, und ob<br />
Sie nun kaufen oder nicht, - Sie müssen immerhin zwei Euro herausrücken,<br />
deutlich mehr als für die Wochenendausgabe der SN, - das Bild bleibt irgendwie<br />
im Gedächtnis.<br />
Was sind das für Leute? Was ist eine „Straßenzeitung“? Als Publizistikprofessor<br />
müsste ich wissen, wie es um die Straßenzeitungsforschung steht. Als Emeritus<br />
habe ich das Recht, es nicht zu wissen. Was ich über Straßenzeitungen weiß,<br />
habe ich als – nicht einmal regelmäßiger – „<strong>Apropos</strong>“-Leser gelernt oder eben<br />
von Michaela Gründler und Anja Keglevic. Der Typus Straßenzeitung bringt<br />
den wissenschaftlichen eingeführten Begriff „Straßenverkaufszeitung“ in<br />
Bedrängnis. Bei den Straßenverkaufszeitungen handelt es sich um<br />
Tageszeitungen, die auf der Straße verkauft werden, also um das, was wir in<br />
Österreich meist Boulevardpresse nennen, Kronenzeitung oder Bildzeitung oder<br />
Sun oder Mirror. Meist billiger als konventionelle Tageszeitungen. Nun kommt<br />
etwas absolut Unkonventionelles daher, nennt sich Straßenzeitung und ist<br />
natürlich auch eine Straßenverkaufszeitung, weil sie ja auf der Straße verkauft<br />
wird, in diesem Falle jedoch teurer als üblich. Aber Boulevardblätter sind das<br />
auch nicht und schon gar nicht „Asphaltpresse“, wie man im Dritten Reich die<br />
Sensationspresse verächtlich genannt hat. Andererseits, die Titelgebung<br />
„Asfalter“ löst doch ganz schön gefinkelte Assoziationen aus. Und der Wiener<br />
„Augustin“ nennt sich kokett „die erste österreichische Boulevardzeitung“.<br />
Lassen wir die Theorie beiseite. Straßenzeitungen sind als Typus ein junges<br />
Gewächs. „<strong>Apropos</strong>“ wird heuer zwölf Jahre alt. Als erste Straßenzeitung gelten<br />
die vor 20 Jahren in New York gegründeten „Streetnews“. „The Big Issue“ aus<br />
London (gegr. 1991) gilt als die europäische Mutter aller Straßenzeitungen.
Wenn wir jetzt noch die Frage beantworten: „Warum zwei Euro für 32 Seiten<br />
Quart auf leicht aufgebessertem Zeitungspapier?“, ist schon manches klar:<br />
Jeweils ein Euro bleibt der Verkäuferin oder dem Verkäufer. Diese rekrutieren<br />
sich aus jener Teilmenge der Bevölkerung, die wir leichthin Obdachlose nennen.<br />
Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor einiger Zeit mit den beiden<br />
Redakteurinnen führte. Als es um die treffende Bezeichnung für die Menschen<br />
ging, die man als Klientel des „<strong>Apropos</strong>“-Magazins zu sehen hat, wurden sie so<br />
definitionsbehutsam, als ob sie noch einmal im Seminar säßen: „Es sind ja nicht<br />
nur Obdachlose, es sind auch Wohnungslose, es sind im großen ganzen<br />
Menschen, deren Lebensweg zur Zeit oder auf längere Sicht oder auf Dauer<br />
nicht auf konventionellen Schienen verläuft. Manche davon sind auch<br />
obdachlos.“<br />
„<strong>Apropos</strong>“ wird von der Gesellschaft „Soziale Arbeit“ herausgegeben und<br />
verlegt. Das Land Salzburg würdigt diesen sozialen Aspekt, gibt einen<br />
jährlichen Zuschuss und obendrein durch mittelfristige Verträge eine geordnete<br />
Arbeitsperspektive. Aber die Redaktion ist stolz darauf, dass ihr Unternehmen<br />
60 Prozent der Kosten selbst erwirtschaftet. Eine weitere Zahl gibt zu denken: In<br />
den ersten zehn Jahren wurden eine Million Hefte verkauft. Setzt man den<br />
heutigen <strong>Preis</strong> an, hieße das: eine Million Euro gingen an die Verkäuferinnen<br />
und Verkäufer. Davon gibt es akut jeweils rund 60. Nimmt man, die Fluktuation<br />
bedenkend, alle zusammen, sind es über 400.<br />
Gründler und Keglevic wissen durchaus, dass sie (auch) soziale Arbeit leisten,<br />
„indem sie ihre Klientel in die Arbeit einbeziehen. Aus Verkäufern und<br />
Verkäuferinnen ist nach und nach eine Gruppe entstanden. Die Redakteurinnen<br />
beobachten den Erfolg: Die Zeit der Menschen bekommt durch Arbeit eine<br />
Struktur, sie ‚stabilisieren sich‘, sie ‚richten sich auf‘. Einige finden in normale<br />
Lebensumstände zurück.“ (Aus der Begründung)
Aber eben nicht nur soziale Arbeit. Die beiden betreiben guten Journalismus,<br />
und sie tun das, so war und ist mein Eindruck, mit einem gewissen Vergnügen.<br />
Ich darf noch einmal aus der Begründung zitieren:<br />
„Die beiden machen ein gut zu lesendes und inzwischen auch ansehnliches<br />
Blatt. Sie produzieren Schwerpunkthefte – in letzter Zeit z.B. ‚Was ist Arbeit?‘,<br />
‚Vom Gewinnen und Verlieren‘ – und widerstehen dabei der Versuchung, sich<br />
auf Kosten des übergeordneten Ziels selber zu verwirklichen. Sie halten an dem<br />
Prinzip fest, immer auch Autorinnen und Autoren aus dem Milieu zu Wort<br />
kommen zu lassen (Schreibwerkstatt). Das Produkt ist unprätentiös,<br />
unideologisch, offen, und als Leitlinie gilt: kein Jammerjournalismus.“<br />
Angezeigt sind ein paar Worte zu den ausgezeichneten Damen. Sie sind jung<br />
und unbefangen genug, dass man ihr Alter nennen darf. Die Magistra Michaela<br />
Gründler, Chefredakteurin, wurde 1973 in Linz geboren. Dort hat sie auch die<br />
Volksschule und – bis 1988 – das Gymnasium besucht. An der Höheren<br />
Bundeslehranstalt für Fremdenverkehrsberufe in Bad Ischl legte sie 1993 die<br />
Matura ab und war damit Tourismuskauffrau. Ihr Studium begann sie bei den<br />
Rechtswissenschaften in Linz, setzte es dann 1994 an der Universität Salzburg<br />
fort, erwarb bei einem Abstecher an die Universität Montpellier (1996/97) das<br />
Lizentiat der Kommunikationswissenschaft und erwarb, nach Salzburg<br />
zurückgekehrt, (im Jahr 2001) das Diplom in der Germanistik und<br />
Kommunikationswissenschaft, und zwar mit ausgezeichnetem Erfolg. Noch<br />
während des Studiums begann sie mit praxisbezogenen Weiterbildungskursen;<br />
hauptsächlich, aber nicht nur beim Kuratorium für Journalistenausbildung, das<br />
seit Jahrzehnten seine hervorragende Arbeit in Salzburg leistet, hier aber viel zu<br />
wenig gewürdigt wird. 1998-1999 absolvierte sie das Österreichische<br />
Journalistenkolleg. Andere Weiterbildungsaktivitäten führten sie u.a. nach<br />
Frankreich, in die Schweiz und nach Deutschland. Ich erwähne das so<br />
ausführlich, um deutlich zu machen: Die Generation Praktikum ist nicht nur
vielseitig, sondern auch ideenreich und fleißig. Von der Journalistenausbildung<br />
vor Ort habe ich schon eingangs gesprochen. Das war nicht nur ein<br />
gelegentliches Hineinschnuppern, sondern u.a. ein einjähriges Praktikum im<br />
ORF-Landesstudio Salzburg in der Abteilung Literatur, also irgendwie doch auf<br />
den Spuren von Oskar Schatz.<br />
1999 wurde Michaela Gründler Redakteurin bei „<strong>Apropos</strong>“, und seit 2002 ist sie<br />
Chefredakteurin. Bei nicht wenigen <strong>Marcic</strong>-<strong>Preis</strong>trägern waren an dieser Stelle<br />
die Bücher zu erwähnen, die sie geschrieben haben. So jung, wie sie ist –<br />
Geburtstag vor genau einer Woche – hat sie noch keinen Bestseller geschrieben,<br />
aber, weil sie auch gerne kocht, zwei Kochbücher inspiriert, die mit der nouvelle<br />
cuisine wenig, dafür aber einiges mit dem Überleben zu tun haben: die <strong>Apropos</strong>-<br />
Kochbücher, deren zweites vor kurzem erschienen ist.<br />
Die Chefredakteurin Gründler darf man sich nicht als Schreibtisch-Regentin<br />
vorstellen. Sie hat zwar auf die strategische Ausrichtung der Linie zu achten, die<br />
Zeitungsplanung zu leisten und das Team zu führen. Aber sie muss auch die<br />
Produktion und die Budget-Entwicklung überwachen, Anzeigen akquirieren und<br />
Öffentlichkeitsarbeit für ihr Blatt leisten. Irgendwo in ihrem Aufgabenkatalog<br />
steht auch Redigieren. Wenn gestandene Journalisten alter Schule jetzt die Nase<br />
rümpfen, weil sie redaktionelle und PR-Arbeit in einer Hand sehen, so seien sie<br />
beruhigt: die Öffentlichkeitsarbeit geschieht für das eigene Blatt; und im übrigen<br />
soll jeder erst einmal vor der eigenen Tür kehren.<br />
Der Lebensweg von Anja Pia Keglevic begann 1970 in Salzburg. Auch ihr<br />
Curriculum führte sie an unsere Universität, wo sie das Studium der<br />
Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Geschichte 2001 mit dem<br />
Diplom abschloss. Auch sie ist Absolventin von Ausbildungsangeboten der<br />
Praxis, so bei der Oberösterreichischen Journalistenschule und beim<br />
Journalistenkolleg des Kuratoriums für Journalistenausbildung. Frau Keglevic<br />
legt viel Betonung aufs Schreiben, und die Liste ihrer Mitarbeitertitel ist lang,<br />
bunt und <strong>zum</strong> Teil prominent. Als Autorin der Wochenend-Beilage der
„Salzburger Nachrichten“ ist sie dem Salzburger Publikum bekannt. Sie schreibt<br />
dort seit 2001 über Themen in einer Spannweite von der Liebe bis <strong>zum</strong> Fußball,<br />
meist aber gut Eingängiges aus Pädagogik, Psychologie und Soziologie;<br />
während Frau Gründler sich an gleicher Stelle auf Frauenthemen und ihr eigenes<br />
Handwerk konzentriert. Beide, Gründler und Keglevic, sind im Vorstand des<br />
Frauen-Netzwerkes Salzburger Medien engagiert, und wer etwas über<br />
Straßenzeitungen lernen will, findet diese ebenso wie ihren Weltverband<br />
regelmäßig in „<strong>Apropos</strong>“ vorgestellt.<br />
Erlauben Sie an dieser Stelle dem Wissenschaftler Schmolke etwas typisch<br />
Wissenschaftliches: eine Fußnote. Der Professor freut sich, dass die von<br />
ihm geleitete Jury <strong>zum</strong> ersten Mal preiswürdige Publizistinnen vorschlagen<br />
durfte, die aus dem Salzburger Institut für Kommunikationswissenschaft<br />
hervorgegangen sind und die dort gelernt haben, was man an der<br />
Universität hauptsächlich lernen sollte: nämlich wie man lernt und wie man<br />
selbständig immer weiterlernt. Die beiden tun darüber hinaus etwas, was<br />
ich mir von möglichst vielen Absolventinnen und Absolventen wünsche:<br />
Sie geben ihren nachwachsenden Studienkolleginnen und –kollegen die<br />
Chance, bei „<strong>Apropos</strong>“ Praktika zu absolvieren; inzwischen haben mehr als<br />
drei Dutzend ihren verpflichtenden Praktikumsschein in der Glockengasse<br />
erworben. Ende der Fußnote.<br />
Blicken wir <strong>zum</strong> Schluss auf die stattliche Zahl der <strong>Marcic</strong>-Laureaten zurück, so<br />
sehen wir, dass viele von ihnen für Leistungen auf dem Höhepunkt ihrer<br />
Karriere geehrt worden sind, noch mehr wohl für ihr Lebenswerk.<br />
Im Unterschied dazu haben wir Michaela Gründler und Anja Keglevic auf der<br />
ersten Stufe ihrer Laufbahn vorgeschlagen. D.h. dass die Gesellschaft von ihnen<br />
noch etwas erwartet. Das ist in erster Linie jene Leistung, welche die Jury<br />
„glaubwürdigen Journalismus als public service“ genannt hat. In zweiter Linie
darf man sich etwas wünschen: Sie mögen mit ihrem Magazin bitte auf dem<br />
Teppich bleiben, nahe bei ihrer Klientel und im Dienst ihrer Klientel. Sie mögen<br />
bitte nicht der Versuchung nachgeben, der man anderswo leider schon<br />
nachgegeben hat, indem man aus der Straßenzeitung ein abgehobenes Magazin<br />
für intellektuelle Gutmenschen gemacht hat.<br />
Sie sollen sich über das Lob freuen und über den <strong>Preis</strong>, der nicht nur zwei<br />
individuelle Personen auszeichnet, sondern ein gutes Konzept als Ganzes.<br />
Noch mehr aber werden sie sich vielleicht über einen Satz aus einem Leserbrief<br />
freuen, den ich im jüngsten Heft gefunden habe:<br />
„Liebe Frau Gründler“, schreibt dort Gerhild Brandhuber, „ich bin schon sehr<br />
lange eine Leserin des <strong>Apropos</strong> und verfolge auch Ihren Werdegang! Meiner<br />
Tochter, heurige Abgängerin des musischen Gymnasiums, die auch überlegt hat,<br />
Journalismus zu studieren, habe ich immer Ihr Beispiel vor Augen gehalten!“<br />
Dem kann sich die Jury nur anschließen.<br />
Wir gratulieren herzlich.