porträt - outdoor guide
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Text: Peter Bader<br />
Fotos: Andreas Messerli<br />
<strong>porträt</strong><br />
Der Herr der Sinne<br />
Jeremy Moon<br />
Er hat aus Wolle ein sexy Geschäft gemacht: Der Neuseeländer Jeremy Moon hatte<br />
von der Textilbranche keinen blassen Schimmer, dafür bedingungslose Leidenschaft<br />
und den Mut, anders zu sein als die andern. Heute wird «Icebreaker» in 22 Ländern<br />
verkauft. Porträt eines Unternehmers zwischen Party und Professionalität.<br />
Kaum einer kann sich einen Seitenblick verkneifen. Weil<br />
da dieses Bild ist. Darauf zu sehen: Adam und Eva in der<br />
Berglandschaft Neuseelands, wie Gott sie schuf mit einem<br />
Hauch von Feigenblatt, sie – den Apfel in der Hand – auf<br />
dem Rücken eines Schafs mit imposantem Gehörn. Wer<br />
an der «Outdoor»-Messe im deutschen Friedrichshafen<br />
am «Icebreaker»-Stand vorbeischlendert, hat zuerst alles<br />
andere als Textilien im Sinn. Denn schnell hat sich herumgesprochen,<br />
dass auf der Rückseite des Standes das gleiche<br />
Paar noch einmal zu sehen ist – beim Sex, irgendwo im<br />
Tussock-Gras.<br />
Die Werbekampagne von «Icebreaker» irritiert. Ist gleichzeitig<br />
ästhetisch und schrill. In jedem Fall anders als die<br />
andern. Und damit Programm und ganz im Sinn des Erfinders<br />
Jeremy Moon, 36, Neuseeländer, Unternehmer mit<br />
Leib und Seele. Er sagt: «Unsere Werbefachleute geniessen<br />
grosse Freiheiten. Ihre Arbeiten sollen anders sein,<br />
provozieren, die Menschen über ihre Sinne ansprechen.<br />
Adam und Eva stehen für die Kreation von etwas Neuem.»<br />
Grosse Worte. Und wer sich am Stand von «Icebreaker»<br />
umsieht, die jungen Leute (Moon: «I’m one of the old<br />
guys») beobachtet, wie sie barfuss auf dem Wollteppich<br />
umhergehen und gute Laune verbreiten, der könnte den<br />
Eindruck bekommen, als handle es sich hier um ein freakiges<br />
Hippie-Unternehmen.<br />
Am Anfang war die Unterwäsche<br />
Der Eindruck täuscht. Natürlich will der Chef, dass sich<br />
seine Mitarbeiter wohl fühlen, dass sie über emotionale<br />
Intelligenz verfügen und bei ihren Entscheiden «auch auf<br />
ihren Bauch hören». Das macht er selber genauso. Aber<br />
hinter der Outdoor-Bekleidungsfirma «Icebreaker» steht<br />
vor allem eine 10-jährige Geschichte mit harter und akribischer<br />
Aufbauarbeit. Und ein Ende ist nicht abzusehen,<br />
so dass unlängst sogar das renommierte «NZZ Folio» jubelte,<br />
Moon sei nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer,<br />
sondern ein «Botschafter eines neuen Neuseelands».<br />
Doch der Reihe nach. Am Anfang war die Unterwäsche.<br />
Jeremy Moon war 25 Jahre alt, hatte gerade ein Marketingstudium<br />
abgeschlossen und brannte darauf, ein eigenes<br />
Unternehmen zu gründen, weil er als Kind mit der Familie<br />
oft im Ausland gelebt hatte und nun mit einer Firma<br />
seine «Vision von Internationalität» verwirklichen wollte.<br />
Da lief ihm ein frustrierter Bauer über den Weg, der darüber<br />
klagte, dass seine feine Merinowolle immer mit herkömmlicher<br />
Wolle vermengt werde, dass niemand ihre<br />
Qualität erkenne und er deshalb auch nie einen adäquaten<br />
Preis dafür bekomme. Er zeigte ihm aus Merinowolle<br />
gefertigte Unterwäsche, Shirt und lange Unterhosen, Moon<br />
zog sie sich an – und der Funke war übergesprungen.<br />
<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|winter|06|07|59
<strong>porträt</strong><br />
Denn was er da trug, hatte so gar nichts mit der Wolle zu<br />
tun, mit der er aufgewachsen war: Sie kratzte nicht, sie war<br />
leicht und locker, «fühlte sich an wie Seide», wie er sich<br />
heute erinnert. Von der Textilindustrie hatte er keine Ahnung,<br />
aber Moon, der Marketingexperte, wusste, dass sich<br />
daraus ein gutes Geschäft machen liess.<br />
«Bis zum letzten Blutstropfen»<br />
Das machte er. Verzichtete auf eine neue Küche für sein<br />
Haus und kaufte sich stattdessen die Hälfte der Firma des<br />
frustrierten Bauers, der mit wenig Erfolg versuchte hatte,<br />
aus Merinowolle gefertigte Outdoor-Bekleidung unter die<br />
Leute zu bringen. Moon suchte potente Geldgeber, nutzte<br />
sein schon damals dichtes Beziehungsnetz, machte<br />
Fehler, korrigierte sie schnell, schuf eine neue Marke –<br />
und löste mit seinem waschmaschinenfesten Naturprodukt<br />
in dem bis dahin von synthetischen Hightechfasern<br />
dominierten Markt der Outdoor-Bekleidung eine kleine<br />
Revolution aus. Denn das Produkt überzeugte: Kleider aus<br />
Merinowolle können mit unterschiedlich vielen Schichten<br />
bei warmen und kalten Temperaturen getragen werden –<br />
ein Prinzip, vom Merino-Schaf kopiert, das im Hochland<br />
Neuseelands Temperaturen von –20 Grad bis zu 35 Grad<br />
ausgesetzt ist (siehe dazu auch den Kasten). Im November<br />
1995 wurde das erste verkaufsfertige Kleidungsstück produziert,<br />
heute wird «Icebreaker» in über 1500 Läden und<br />
22 Ländern verkauft, wobei das Unternehmen allein in<br />
den letzten fünf Jahren einen Umsatz-zuwachs von über<br />
800 Prozent verzeichnete.<br />
Eindrückliche Zahlen. Und das Geheimnis des Erfolgs?<br />
Moon räuspert sich, lacht und macht ein bisschen auf Understatement,<br />
wie so oft an diesem heissen Sommernachmittag<br />
in der gekühlten Ausstellungshalle in Friedrichshafen,<br />
inmitten des Stimmengewirrs der fröhlichen Menschen,<br />
die barfuss auf dem Wollteppich umhergehen. Ihr<br />
Vorteil sei, sagt er, dass sie vom kleinen Markt Neuseeland<br />
aus operierten, dass sie deshalb die Bedürfnisse der Menschen<br />
in der ganzen Welt sehr genau erkunden müssten.<br />
Kurz: «Wir müssen gute Zuhörer sein. Und wir dürfen das<br />
Wesentliche nie aus den Augen verlieren.» Das allein<br />
kann es nicht sein, und so spricht er dann doch von den<br />
harten Anfangszeiten, den ersten Jahren, in denen seine<br />
damalige Freundin und heutige Frau in Europa lebte und<br />
er sich deshalb «komplett auf den Aufbau der Firma konzentrieren<br />
konnte.» Und wenn ihn eine Sache wirklich interessiere,<br />
dann könne er dafür seinen «letzten Blutstropfen<br />
hergeben.» Das sei seine grösste Stärke. Pause. Und<br />
vielleicht auch seine grösste Schwäche.<br />
Das klingt, bei allem Respekt, nach einem anstrengenden<br />
Chef. Er selber weiss, dass er – insbesondere nach der beschwerlichen<br />
Anfangszeit – Probleme hatte, Verantwortung<br />
zu delegieren, «weil ich in der ersten Zeit fast alles<br />
selber gemacht hatte». Enge Mitarbeiter allerdings winken<br />
ab. Natürlich sei Moon ein Perfektionist, der detailversessen<br />
und fokussiert arbeite und dabei auch von seinen Mitarbeitern<br />
sehr viel verlange. Aber er sei ein loyaler und fairer<br />
Chef, einer mit einem trockenen und intelligenten Humor,<br />
der das Rampenlicht des Erfolgs zwar nicht angestrengt<br />
suche, sich bei passender Gelegenheit aber trotzdem<br />
ganz gern darin sonne.<br />
Ist es also die Eitelkeit des Erfolgs, die ihn antreibt? Oder<br />
das Geld? Er lässt beides nicht gelten. Er stellt klar: «Geld<br />
kommt, wenn man etwas gut gemacht hat. That’s it.» Was<br />
ihn vielmehr interessiere sei die Kreation von etwas Neuem,<br />
die ständige Suche nach neuen Wegen und neuen<br />
Ideen. Der Name «Icebreaker» sei schliesslich Programm<br />
in mehrfacher Hinsicht. «Wir brechen das Eis und ziehen<br />
die Menschen warm an. Wir brechen das Eis aber auch auf<br />
der Suche nach ebendiesen neuen Wegen und Ideen.»<br />
Man nimmt ihm den Pathos nicht übel, weil ansonsten so<br />
gar nichts Aufgesetztes oder Pathetisches an diesem<br />
Mann ist, wie er so dasitzt, mit einem Haarschnitt, der an<br />
die Zeit der Beatles erinnert und dem neusten Icebreaker-<br />
Shirt, ganz in Schwarz.<br />
Illustre Nachbarschaft in Wellington<br />
Also kein wirklich anstrengender Chef. Wer aber während<br />
vier Monaten im Jahr auf Reisen ist, der dürfte, wenn auch<br />
kein anstrengender, so aber doch zumindest ein Familienvater<br />
sein, der seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern<br />
ziemlich viel zumutet. Er sieht das anders. Es gebe,<br />
sagt er, auch Zeiten, in denen er zuhause arbeite, wie ein<br />
ganz normaler Angestellter von morgens um acht bis<br />
abends um fünf. Seine Frau habe ihre eigenen Projekte, sei<br />
eine erfolgreiche Autorin und nicht eine, die zuhause auf<br />
ihn warte.<br />
Sein Zuhause ist Wellington. Dort hat er sich unlängst ein<br />
neues Haus gebaut, mit direktem Zugang zum Strand,<br />
hoch oben auf einem Hügel, auf dem der Wind so stark<br />
bläst, dass man sich dagegen lehnen kann. Das Haus hat<br />
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Sicher ist, dass die Grossen ein Interesse daran haben, den<br />
erfolgreichen und noch immer relativ kleinen Mitbewerber<br />
aufzukaufen. Natürlich, sagt Moon, habe er schon ver<strong>porträt</strong><br />
er zusammen mit seiner Frau entworfen, ein «Prozess, bei<br />
dem wir uns noch einmal viel näher gekommen sind, weil<br />
jeder seine Ideen einbringen konnte und daraus ein wunderbares<br />
Ganzes entstanden ist.» In der Nachbarschaft<br />
wohnt Peter Jackson, der mit der Verfilmung der Trilogie<br />
«Der Herr der Ringe» oder «King Kong» den Namen Neuseelands<br />
ebenfalls in die Welt getragen hat. Deshalb, sagt<br />
Moon, sei Wellington ein gutes Pflaster. Klein zwar («Die<br />
Stadt lässt sich in einer Stunde zu Fuss durchqueren»), mit<br />
400 000 Einwohnern, weit ab vom Schuss, trotzdem würden<br />
hier die Einflüsse der ganzen Welt aufeinander treffen.<br />
Ein kreatives Klima also. Aber auch eines, das dem<br />
Privatmann Moon entspricht. Was er mag: Wein, Mountainbike,<br />
vor allem das Leben in der Natur, «alles, was mit<br />
den Sinnen zu tun hat – ich bin ein einfacher Mann.»<br />
Seine Naturverbundenheit, fügt er hinzu, treibe ihn auch<br />
im Berufsleben an, darum mache er mit niemandem Geschäfte,<br />
dem er nicht hundertprozentig vertraue. Er sagt:<br />
«Aus unseren Produktionsstätten fliesst Trinkwasser.» Das<br />
wurde unlängst von einem Grossen der Branche auch<br />
schon mal angezweifelt, von Chlor-Rückständen war die<br />
Rede, was Moon nur den Kopf schütteln lässt. «Reine Polemik».<br />
Noch lange nicht müde<br />
Das Schaf und die Legende<br />
«Die Natur», sagt Jeremy Moon, «ist der grösste Kreativitätsmotor,<br />
den es gibt.» Mit der Wolle der Merino-Schafe<br />
hat er sich diesen Motor zunutze gemacht. Mehr als die<br />
Hälfte der weltweiten Schaf-Population stammt von Merino-Schafen<br />
ab oder ist eine Kreuzung von Merino. Heute<br />
wird die Zahl der Schafe auf über eine Milliarde weltweit<br />
geschätzt. Mit insgesamt rund 125 Millionen Schafen ist<br />
Australien weltweit führender Lieferant der feinfaserigen<br />
Wolle, Neuseeland folgt mit rund 70 Millionen. Die mehrmals<br />
gekräuselten Fasern der Merinowolle enthalten eine<br />
grosse Menge Luft, die sowohl gegen Kälte als auch gegen<br />
Wärme isoliert.<br />
Dass sich daraus widerstandsfähige Kleidung fertigen<br />
lässt, hat auch der vor fünf Jahren verstorbene neuseeländische<br />
Sportsegler und Umweltschützer Sir Peter<br />
Blake – im engsten Wortsinn – am eigenen Leib erfahren.<br />
Während der Vorbereitungen zu einer Weltumseglung<br />
testete er Unterwäsche von «Icebreaker», war davon<br />
offenbar so begeistert, dass er entsprechende Ausrüstung<br />
gleich für seine ganze Mannschaft orderte. Der Rest ist<br />
Teil der «Icebreaker»-Marketing-Mythologie: Es geht die<br />
Legende, Sir Peter habe die Unterwäsche während vierzig<br />
Tagen nicht ausgezogen und hinterher gesagt, er verdanke<br />
es «Icebreaker», dass seine Unterwäsche nicht mehr<br />
rieche.<br />
<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|winter|06|07|63
<strong>porträt</strong><br />
schiedene Angebote erhalten, er denke aber nicht daran<br />
zu verkaufen. «Das hier ist ein langfristiges Projekt.»<br />
Dann schwärmt er von einem Neuseeländer Familien-<br />
Unternehmen, das seit 135 Jahren Bestand hat. So weit ist<br />
er noch lange nicht. Aber so lange es ihn «interessiert und<br />
herausfordert» bleibe er im Geschäft. Und wer ihn reden<br />
hört, hat keinen Grund anzunehmen, dass ein Ende in<br />
Sicht ist. Dafür spricht er auch viel zu engagiert über die<br />
Zukunft von «Icebreaker», für die «der Markt in den USA<br />
eine ganz entscheidende Rolle spielt.» Dafür spricht auch,<br />
dass das Unternehmen, das inzwischen 15 Prozent der<br />
gesamten Merinowolle Neuseelands verarbeitet, unlängst<br />
80 Hochlandfarmer für die nächsten drei Jahre für insgesamt<br />
30 Millionen Neuseeland-Dollar unter Vertrag genommen<br />
und damit, so sagen manche, deren Existenz gesichert<br />
hat.<br />
Und doch: Wer einen derart hohen Arbeitsrhythmus<br />
pflegt wie Jeremy Moon, der läuft immer Gefahr, müde zu<br />
werden, auszubrennen – «Burn Out» ist – wenn auch auf<br />
den Chefetagen nach wie vor tabuisiert – allgegenwärtig<br />
und längst nicht mehr nur ein Modewort von Unternehmens-Psychologen.<br />
Jeremy Moon kann damit trotzdem<br />
nichts anfangen, jedenfalls nicht für sich und sein Leben.<br />
Denn er liebe, was er tue, deshalb habe er auch die Energie<br />
dazu. Und wenn sich das einmal ändern sollte, könne<br />
er jederzeit darauf reagieren. Er sei schliesslich Herr über<br />
sein eigenes Leben. «Wissen Sie», bemerkt er zum<br />
Schluss, «ein guter Unternehmer ist einer, der sich in seinem<br />
Privatleben genau gleich gibt wie im Geschäftsleben.<br />
Das bin ich. Und will es auch noch lange sein.»<br />
❄<br />
inserat<br />
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