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II - Die frühen Krematoriumsbauten: Planung, Technik und ...

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<strong>II</strong> - <strong>Die</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Krematoriumsbauten</strong>: <strong>Planung</strong>, <strong>Technik</strong> <strong>und</strong><br />

Architektur<br />

© PD Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg)<br />

norbertfischer@t-online.de<br />

1. Gotha 1878: Das erste deutsche Krematorium<br />

<strong>Die</strong> ideelle <strong>und</strong> propagandistische Förderung der Feuerbestattung nutzte<br />

recht wenig, so lange die technischen Probleme ungelöst blieben – denn<br />

eine Verbrennung in offenem Feuer kam aus hygienischen <strong>und</strong><br />

Pietätsgründen nicht in Frage. Trotz diverser Experimente gab es um<br />

1870 noch keine akzeptable technische Methode der<br />

Leichenverbrennung. Ein Verbrennungsapparat wurde erstmals auf der<br />

Weltausstellung in Wien 1873 gezeigt. Etwa zur gleichen Zeit arbeitete<br />

man in der Siemensschen Glashütte in Dresden an geeigneter<br />

Einäscherungstechnik. Nachdem mit Carl Reclam einer der Protagonisten<br />

der Feuerbestattungsbewegung auf einer Pariser <strong>Technik</strong>ausstellung auf<br />

das Siemenssche Regenerativ-Verfahren aufmerksam geworden war, ließ<br />

er prüfen, ob es sich auch zur Einäscherung menschlicher Leichen<br />

eignete. Der Ingenieur Friedrich Siemens hatte nach dem Tod seines<br />

Bruders Hans die von letzterem begründete Glashütte übernommen <strong>und</strong><br />

zum bedeutendsten Unternehmen seiner Art in Deutschland ausgebaut.<br />

Das dort bereits 1856 entwickelte Prinzip des „Regenerativ-Ofens“<br />

wurde nun zur Gr<strong>und</strong>lage der bei Siemens entwickelten<br />

Einäscherungstechnik. Entscheidend beteiligt war Siemens’<br />

Chefingenieur Richard Schneider, der sich später mit einem verbesserten<br />

Konstruktionsprinzip selbstständig machen sollte. 1<br />

Im August 1874 fand in Dresden eine erste Probeverbrennung von<br />

Tierkadavern statt, an der mit dem Ingenieur Carl Heinrich Stier – sein<br />

Leichnam sollte später der erste Eingeäscherte in einem deutschen<br />

Krematorium werden - auch ein Vorstandsmitglied des Gothaer


Frühe Krematorien 06.05.2008 2<br />

Feuerbestattungsvereines teilnahm. Auf Gr<strong>und</strong> der dabei gewonnenen<br />

positiven Erfahrungen beschloss der Verein, am 14. September desselben<br />

Jahres eine Petition an das Staatsministerium des thüringischen<br />

Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha zu richten, um die Zulassung der<br />

Feuerbestattung zu erreichen. <strong>Die</strong> liberal-tolerant eingestellte Regierung<br />

äußerte keine Bedenken, stellte jedoch die Zulassung der fakultativen<br />

Feuerbestattung in das Ermessen der einzelnen Kommunen. <strong>Die</strong> Gothaer<br />

Stadtverordneten stimmten dem Projekt zu, wollten aber die Kosten nicht<br />

übernehmen, sondern dem Verein überlassen. Unterstützt durch eine<br />

Sammelaktion auf dem Feuerbestattungskongress in Gotha am 7. Juni<br />

1876 gelang es dem Verein, die notwendigen Mittel<br />

zusammenzubringen. Nachdem der Gothaer Stadtrat mit einer<br />

Polizeiverordnung „betreffend die Feuerbestattung Verstorbener“ die<br />

notwendigen rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen geschaffen hatte, konnte der Verein<br />

mit dem Bau des ersten deutschen Krematoriums auf dem neuen Friedhof<br />

im Ostfelde (Langensalzaer Straße) beginnen.<br />

Dass jedoch diese neuartige, ja revolutionäre „Feuerbestattungs-Anlage“<br />

nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß, zeigten einige Leserbriefe aus<br />

jenen Jahren an das Gothaische Tageblatt. Bisweilen wurde dabei die<br />

Feuerbestattung als bloßer „Spleen“ abgetan, wie einem Beitrag von<br />

1876, in dem es wörtlich – <strong>und</strong> fürs erste ja auch nicht gänzlich<br />

unrealistisch - hieß: „Es dürfte sich auch wohl kaum ein gebildeter großer<br />

Staat finden, welcher dem Spleen einzelner Menschen hierin Vorschub<br />

leistet; <strong>und</strong> die Gemeinden sollten zu solchen unnützen Neuerungen, wie<br />

das Verbrennen von Leichen eine ist, aus öffentlichen Mitteln keinen<br />

Heller bewilligen.“<br />

Dennoch: Am 17. November 1878 wurde das Gebäude eingeweiht -<br />

allerdings konnte die erste Einäscherung auf Gr<strong>und</strong> von Verzögerungen<br />

bei der Installation der <strong>Technik</strong> erst einige Wochen später, am 10.<br />

Dezember 1878, stattfinden. Der langgestreckte neoklassizistische<br />

Gebäudekomplex wurde vom Gothaer Stadtbaurat Julius Bertuch für den<br />

Feuerbestattungsverein entworfen.


Frühe Krematorien 06.05.2008 3<br />

<strong>Die</strong> beiden – im Vergleich zu späteren Beispielen recht schlicht<br />

gehaltenen – Flügelbauten beherbergten Verwaltung einerseits,<br />

Trauerhalle <strong>und</strong> den im darunter liegenden Geschoss installierten<br />

technischen Trakt andererseits. Den mittleren Teil des Bauwerks bildete<br />

anfangs ein Kolumbarium, nach einer 1892 erfolgten Erweiterung eine<br />

Rot<strong>und</strong>e zur Aufstellung von Aschenurnen – unter anderem wurde hier<br />

1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Asche der<br />

berühmten österreichischen Pazifistin <strong>und</strong> Schriftstellerin Bertha von<br />

Suttner beigesetzt. 2<br />

Der im Kellergeschoss installierte Einäscherungsapparat war für die<br />

Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar. <strong>Die</strong> beiden Geschosse waren durch<br />

einen „Versenkungsapparat“ – eine Art Lastenfahrstuhl – miteinander<br />

verb<strong>und</strong>en. Oben mündete der Versenkungsschacht in einen Katafalk, der<br />

sich inmitten der Trauerhalle erhob <strong>und</strong> auf den der Sarg während der<br />

Trauerfeier gestellt wurde. In einer Beschreibung hieß es: „Nach<br />

Beendigung der Totenfeier tritt auf ein für die Anwesenden<br />

unbemerkbares Zeichen die Versenkungsvorrichtung in Tätigkeit, <strong>und</strong><br />

der auf ihr stehende Sarg senkt sich langsam in die Tiefe, worauf sich der<br />

Katafalk sofort unhörbar schließt. Ist der Sarg unten angekommen, so<br />

wird er auf einen besonders gestalteten Wagen gesetzt <strong>und</strong> nach<br />

Oeffnung der Tür des Verbrennungsraumes in den Ofen hineingeführt,<br />

der Sarg abgesetzt, der Wagen wieder zurückgezogen <strong>und</strong> die Tür wieder<br />

geschlossen.“ Im Übrigen war die Gothaer Feierhalle mit den bekannten<br />

Insignien bürgerlicher Trauerkultur des späten 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

ausgestattet: Kerzen, Pflanzen <strong>und</strong> Blumen. 3<br />

Der technische Vorgang der Einäscherung blieb also den Blicken der<br />

Hinterbliebenen entzogen. <strong>Die</strong>s verwies beim ersten deutschen<br />

Krematorium auf die gr<strong>und</strong>sätzlichen Probleme der neuen Bestattungsart<br />

–der Trennung von <strong>Technik</strong> <strong>und</strong> Trauer. Gleichwohl war man in der<br />

Feuerbestattungsbewegung regelrecht stolz auf die neue, komplexe<br />

<strong>Technik</strong>, der man sich nun bedienen konnte, <strong>und</strong> beschrieb sie in den


Frühe Krematorien 06.05.2008 4<br />

eigenen Publikationen immer wieder. <strong>Die</strong> Einäscherung fand in<br />

hocherhitzter Luft statt, Flammen gelangten nicht in den<br />

Verbrennungsraum. Damit wurde das als besonders pietätlos empf<strong>und</strong>ene<br />

Explodieren von Organwänden verhindert. <strong>Die</strong> Einäscherungstemperatur<br />

im Ofen betrug knapp 1000 Grad Celsius, <strong>und</strong> der Vorgang dauerte – je<br />

nach Durchhitzung des Apparats <strong>und</strong> Volumen des Leichnams – bis zu<br />

zwei St<strong>und</strong>en.<br />

Das Siemens-Schneidersche Verfahren errang große Bedeutung für die<br />

Krematorien im Deutschen Reich. Dazu trug sicherlich bei, dass nur die<br />

Heißluftöfen jenen Kriterien genügten, die auf dem internationalen<br />

Feuerbestattungskongress 1876 an eine Leichenverbrennung gestellt<br />

wurden. <strong>Die</strong>se Kriterien lauteten wörtlich: „a.) <strong>Die</strong> Verbrennung soll<br />

rasch vor sich gehen; b.) sie soll sicher <strong>und</strong> vollständig sein, <strong>und</strong> ein<br />

Halbverbrennen oder Verkohlen darf nicht stattfinden; c.) der Prozess<br />

soll in dezenter Weise <strong>und</strong> nur in ausschließlich für menschliche Leichen<br />

bestimmten Öfen vollzogen werden; d.) bei denselben sollen keine die<br />

Nachbarschaft belästigenden Verbrennungsprodukte, übelriechende<br />

Dämpfe, Gase usw. auftreten; e.) die Asche soll unvermischt, rein <strong>und</strong><br />

weißlich, <strong>und</strong> ihre Einsammlung leicht <strong>und</strong> rasch ausführbar sein; f.) der<br />

Apparat, sowie die Verbrennung selbst sollen möglichst billig sein, <strong>und</strong><br />

g.) ohne Unterbrechung <strong>und</strong> besonderen Kostenaufwand sollen mehrere<br />

Verbrennungen hintereinander vorgenommen werden können.“ 4<br />

Über Aufbau <strong>und</strong> Funktionsweise des in Gotha installierten Siemens-<br />

Schneiderschen Regenerativ-Ofens hieß es in einer Broschüre – <strong>und</strong><br />

diese Passagen seien im Folgenden wegen ihrer Anschaulichkeit<br />

ausführlich zitiert:<br />

„Er besteht auf fünf Hauptteilen: 1. dem Koks-Gaserzeuger; 2. dem<br />

davorliegenden Verbrennungsraum; 3. dem unter diesem eingebauten<br />

Aschensammelraum; 4. dem Unterbau des Ofens mit dem<br />

Kanalsystem zur Abführung der gasförmigen Verbrennungsrückstände<br />

<strong>und</strong> gleichzeitigen Erhitzung der Verbrennungsluft; <strong>und</strong> 5. der Esse<br />

oder dem Schornstein. … Der Gaserzeuger ist ein schachtförmiger,


Frühe Krematorien 06.05.2008 5<br />

innen aus besten feuerfesten Steinen hergestellter Raum von<br />

rechteckigem Querschnitt, der nach unten durch einen aus<br />

entsprechend starken Vierkant-Eisenstäben hergestellten Rost <strong>und</strong><br />

oben durch ein aus feuerfesten Steinen hergestelltes Gewölbe<br />

abgeschlossen wird. – Unter dem Roste befindet sich der Aschenfall<br />

mit einem entsprechend gestalteten eisernen Kasten, in dem sich<br />

Wasser befindet, damit die durch jenen fallenden Aschen, Schlacken<br />

usw. sofort abgelöscht werden <strong>und</strong> nicht verglühen können. Durch die<br />

von dem Roste rückstrahlende Wärme wird eine lebhafte<br />

Verdampfung des Wassers hervorgerufen; der sich dabei bildende<br />

Wasserdampf wird samt der eintretenden heißen Luft in den<br />

Gaserzeuger eingesaugt. Hierdurch werden die Roststäbe <strong>und</strong> die<br />

unteren glühenden Teile des Gaserzeugers vor rascher Abnutzung<br />

geschützt, zugleich aber auch durch die in den unteren weißglühenden<br />

Koksschichten eintretende Spaltung des Wassers in Sauerstoff <strong>und</strong><br />

Wasserstoff eine vollkommene Ausnutzung des Kohlenstoffes im Koks<br />

durch Umwandlung in Kohlenoxydgas, sowie eine Verbesserung des<br />

Gases durch das zutretende Wasserstoffgas, etwa 5-15%, erzielt. Der<br />

Aschenfall ist beim Betrieb der Anlage durch eine eiserne Tür<br />

luftdicht abgeschlossen. In dem den Gaserzeuger oben abschließenden<br />

Gewölbe befindet sich eine mit einem eisernen, innen mit feuerfestem<br />

Material ausgemauerten Deckel verschließbare Oeffnung. Dicht unter<br />

dem vorgenannten Gewölbe schließt sich der Gaserzeugerhals an,<br />

durch den die im Gaserzeuger erzeugten Heizgase dem<br />

Verbrennungsraume zugeführt werden. <strong>Die</strong> zum Betriebe des<br />

Gaserzeugers nötige Luft tritt oberhalb der Aschenabfalltür durch<br />

eine regelbare Oeffnung in Kanäle ein, die innerhalb des den<br />

Gaserzeuger vorn, links <strong>und</strong> rechts umschließenden Mauerwerkes hin<br />

<strong>und</strong> hergehen. <strong>Die</strong>se Kanäle münden unterhalb der Roste in den<br />

Aschenfall aus. … Der Verbrennungsraum ist ein 2 Meter langer,<br />

etwa 1 Meter breiter <strong>und</strong> mit einem im Mittel r<strong>und</strong> 1 Meter hohen<br />

Gewölbe aus feuerfesten Steinen überdeckter Raum, der nach unten<br />

durch einen Rost aus gleichem Material abgeschlossen wird. Vorn<br />

wird dieser Raum durch eine mit Asbest oder feuerfestem Materiale


Frühe Krematorien 06.05.2008 6<br />

ausgekleidete Tür verschlossen. In dieser Türe befindet sich eine<br />

kleine, durch einen Riegel verschließbare Oeffnung, durch die das<br />

Innere des Verbrennungsraumes während seiner Aufheizung oder<br />

während einer Einäscherung, wenn nötig, beobachtet werden kann,<br />

die aber sonst immer geschlossen sein soll. – Unter dem<br />

Verbrennungsraum befindet sich der Aschensammelraum, der sich<br />

von allen Seiten konisch zusammenzieht <strong>und</strong> in dessen unterstem Teile<br />

ein nach vorn herausnehmbarer eiserner Kasten eingebaut ist, um die<br />

während einer Einäscherung herunterfallenden, ausgebrannten<br />

Knochenteile bequem herausnehmen zu können.“ 5<br />

<strong>Die</strong> erste Person, die in den „Genuss“ dieser aufwändigen Apparatur<br />

kam, war der bereits erwähnte Gothaer Feuerbestattungsanhänger Carl<br />

Heinrich Stier. Das tragische Schicksal wollte es allerdings, dass er<br />

bereits ein Jahr vor Inbetriebnahme der Anlage verstarb. Aber Stier hatte<br />

für diesen Fall vorgesorgt <strong>und</strong> testamentarisch bestimmt, dass sein<br />

Leichnam nur vorsorglich im unerwünschten Erdgrab beigesetzt werden<br />

sollte, um nach Einweihung des Krematoriums den bevorzugten<br />

Einäscherungstod zu finden. Zu dieser ersten Feuerbestattung in<br />

Deutschland am 10. Dezember 1878 erschienen r<strong>und</strong> 100 „Krematisten“<br />

aus ganz Deutschland. Allerdings gab es bei dieser Prozedur unerwartete<br />

Hindernisse, denn die Einäscherung des Leichnams dauerte länger als<br />

angenommen. Man erklärte dies damit, dass der Holzsarg allzu feucht<br />

war, weil er so lange in einem hermetisch verschlossenen Metallsarg –<br />

sozusagen als Zwischenlager – ruhen musste.<br />

Im Übrigen bot diese erste Feuerbestattung in Deutschland den<br />

anwesenden Experten immerhin Einblicke in die <strong>Technik</strong>. Davon<br />

jedenfalls berichtet die Jubiläumsschrift: „Es wurde verschiedenen<br />

Fachleuten gestattet, durch die kleine Oeffnung in der Ofentür den<br />

Vorgang in Augenschein zu nehmen, <strong>und</strong> diese haben durchaus keinen<br />

störenden oder entsetzlichen Eindruck empf<strong>und</strong>en, wie dies öfter von<br />

unbelehrbaren Gegnern behauptet wurde, von Leuten, die offenbar nie<br />

Augenzeuge waren, sondern in gr<strong>und</strong>sätzlicher Abneigung ihrer


Frühe Krematorien 06.05.2008 7<br />

Phantasie freien Lauf ließen. Der Beobachter kann in der herrschenden<br />

Weißglut nur wenig erkennen. Animalische Körper erleiden<br />

selbstverständlich bei Hitzewirkung Lageveränderungen, ebenso wie sie<br />

beim Verwesen des Leichnams im Erdengrab infolge Auflösung der<br />

zusammenhaltenden Gewebe auch vorkommen.“ 6<br />

1878 blieb Stier der einzige Eingeäscherte im Gothaer Krematorium.<br />

Aber die Zahlen stiegen in den folgenden Jahren kontinuierlich an <strong>und</strong><br />

überschritten 1887 erstmals die Schwelle von 100 Eingeäscherten. Bis<br />

1891 blieb Gotha das einzige Krematorium im Deutschen Reich, dann<br />

wurde die Anlage in Heidelberg eröffnet - ein Jahr später folgte<br />

Hamburg. Dennoch wurde das Gothaer Krematorium weiterhin stark in<br />

Anspruch genommen. Noch 1898 entfielen 20,4% aller Einäscherungen<br />

im Deutschen Reich auf die Anlage in der thüringischen Residenzstadt.<br />

So musste denn auch 1905 ein weiterer Ofen – wiederum nach dem<br />

Siemens-Schneiderschen Verfahren – eingebaut werden. 7<br />

2. <strong>Die</strong> Beispiele Heidelberg <strong>und</strong> Hamburg (1891/92)<br />

Das zweite in Betrieb genommene deutsche Krematorium in Heidelberg<br />

wurde am 22. Dezember 1891 eingeweiht – die erste Einäscherung fand<br />

am Folgetag statt (das Hamburger Krematorium war zwar früher<br />

fertiggestellt worden, konnte aber aus noch zu erläuternden Gründen<br />

vorerst nicht in Betrieb gehen). Wie im Herzogtum Sachsen-Coburg-<br />

Gotha, so überließ man es auch im Großherzogtum Baden – nach einer<br />

entsprechenden Petition des Heidelberger „Comités zur Errichtung einer<br />

Feuerbestattungsanstalt“ im März 1890 – den jeweiligen Lokalbehörden,<br />

<strong>Krematoriumsbauten</strong> zu genehmigen. Das genannte „Comité“ war aus<br />

dem Heidelberger Feuerbestattungsverein hervorgegangen, um den Bau<br />

der Feuerbestattungsanstalt voranzutreiben. Es versammelte auch etliche<br />

Stadträte, so dass dem Projekt von kommunaler Seite kaum Widerstände<br />

entgegengebracht wurden. Allerdings musste das Krematorium auch hier<br />

von den Feuerbestattungsanhängern selbst finanziert werden – <strong>und</strong> zwar


Frühe Krematorien 06.05.2008 8<br />

durch die Ausgabe von rückzahlbaren unverzinslichen Anteilscheinen zu<br />

je 100 Mark. <strong>Die</strong> Stadt Heidelberg stellte den Baugr<strong>und</strong> auf dem<br />

kommunalen Bergfriedhof kostenlos zur Verfügung <strong>und</strong> übernahm nach<br />

Fertigstellung die laufenden Unterhaltungs- <strong>und</strong> Betriebskosten. Im<br />

Gegensatz zu vielen anderen deutschen Krematorien wurde hier aus<br />

Kostengründen der aus Schweden stammende Einäscherungsapparat<br />

„System Klingenstierna“ installiert, der zuvor bereits in Göteborg <strong>und</strong><br />

Stockholm verwendet worden war. Das „Comité“ wollte seinen Bau zu<br />

einem preisgünstigen „Muster“-Krematorium machen, um breiteren<br />

Bevölkerungsschichten die Einäscherung zu ermöglichen. Auch hier<br />

wurden Trauer <strong>und</strong> <strong>Technik</strong> eindeutig getrennt: Der Verbrennungstrakt<br />

kam wiederum ins Untergeschoss, das dem Bauwerk rückwärtig<br />

angegliedert war. Wie andere frühe Bauten seiner Art erwies sich das in<br />

antikisierend-tempelähnlichen Stil nach einem Entwurf des Heidelberger<br />

Architekten Philipp Thomas errichtete Krematorium als Publikums- <strong>und</strong><br />

Touristenattraktion <strong>und</strong> wurde in Stadtführern unter den<br />

Sehenswürdigkeiten aufgeführt. 8<br />

In der freien Reichsstadt Hamburg gab es 1891 ebenfalls ein<br />

betriebsbereites Krematorium – das erste großstädtische. Es konnte<br />

jedoch vorläufig nicht benutzt werden, da hier die gesetzlichen<br />

Bestimmungen zur Feuerbestattung nach anhaltenden Streitigkeiten<br />

zwischen Bürgerschaft <strong>und</strong> Senat erst unter dem Druck der schweren<br />

Cholera-Epidemie 1892 erlassen wurden. Es waren unter anderen<br />

diplomatisch-politische Rücksichten auf das benachbarte Preußen, die die<br />

gesetzliche Regelung der Feuerbestattung verzögerten.<br />

Da diese Vorgeschichte symptomatisch ist für die politischen Konflikte,<br />

die die neue Bestattungsart hervorrief, sei sie hier ausführlicher<br />

geschildert. Schon 1872 hatte in Hamburg der städtische<br />

Medizinalinspektor in einem Bericht über den Zusammenhang von<br />

Bestattungswesen <strong>und</strong> öffentlicher Ges<strong>und</strong>heitspflege die<br />

Leichenverbrennung zumindest theoretisch in Erwägung gezogen. Auch<br />

wurde 1874 im Anschluss an einen Vortrag von Carl Reclam ein


Frühe Krematorien 06.05.2008 9<br />

Feuerbestattungsverein gegründet, dessen Aktivitäten allerdings in der<br />

Folgezeit im Sand verliefen. 1883 wurde ein neuer Verein gegründet, der<br />

bereits nach kurzer Zeit mehrere h<strong>und</strong>ert Mitglieder zählte <strong>und</strong> unter<br />

anderem öffentliche Vorträge organisierte. Sein eigentliches Ziel aber<br />

blieb die Einrichtung eines „Leichenverbrennungsapparates“ in<br />

Hamburg. So lange dies noch nicht in Sicht war, widmete sich der Verein<br />

der Vermittlung von Einäscherungen im Gothaer Krematorium. 9<br />

Zur Verwirklichung seines Zieles benötigte der Hamburger<br />

Feuerbestattungsverein eine Genehmigung des regierenden Senats. Unter<br />

Verweis auf die hygienischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Vorzüge der<br />

Feuerbestattung richtete er 1884 zunächst eine entsprechende Petition an<br />

die Bürgerschaft – dem Hamburger Parlament, das ihn in seinem<br />

Ansinnen auch unterstützte. Nach einigem Zögern zeigte sich der Senat<br />

Ende 1885 bereit, die entsprechende Genehmigung zu erteilen – sofern<br />

die Nutzung auf die örtliche Bevölkerung beschränkt bliebe. Der Senat<br />

wollte damit Querelen mit dem politisch mächtigen Nachbarstaat<br />

Preußen vermeiden (das erst 1911 die Feuerbestattung gesetzlich zuließ)<br />

– <strong>und</strong> preußisch waren auch die direkt an Hamburg grenzenden Städte<br />

Altona <strong>und</strong> Wandsbek.<br />

Anschließend bemühte sich der Verein, über Anteilsscheine die nötigen<br />

Kapitalien für den Bau eines Krematoriums zu erhalten. Als Ende 1887<br />

genügend Geld zur Verfügung stand, schrieb der Verein einen<br />

<strong>Planung</strong>swettbewerb aus, den der Hamburger Architekt Ernst Paul Dorn<br />

gewann. Nach einigen Konflikten zwischen Senat <strong>und</strong><br />

Feuerbestattungsverein um den geeigneten Bauplatz entsprach letzterer<br />

dem Wunsch der Regierung <strong>und</strong> erwarb ein Gelände in der Nähe des<br />

1877 eröffneten neuen Zentralfriedhofes Ohlsdorf weit außerhalb des<br />

Stadtzentrums. Mit dem Dresdener Ingenieur Richard Schneider wurde<br />

erfolgreich über den Bau der technischen Anlagen verhandelt. Schneider<br />

war ja bereits beim Gothaer Verbrennungsapparat in führender Stellung<br />

für Siemens tätig gewesen <strong>und</strong> hatte danach einen eigenen, modifizierten<br />

Verbrennungsapparat konstruiert. Während Bau <strong>und</strong> Betrieb der Anlage


Frühe Krematorien 06.05.2008 10<br />

vom Verein geleistet werden sollten, behielt sich der Hamburger Senat<br />

von vornherein ein obrigkeitliches Aufsichtsrecht vor. Nachdem im<br />

Sommer 1891 Probeverbrennungen mit Tierkadavern stattgef<strong>und</strong>en<br />

hatten, wurde der Bau am 22. August 1891 offiziell eingeweiht.<br />

Dennoch konnte das Krematorium noch längst nicht seinen Betrieb<br />

aufnehmen. Als schwerwiegender Konfliktpunkt erwies sich die Frage,<br />

ob die Nutzung auf die Hamburger Bevölkerung beschränkt bleiben<br />

solle. Zusätzlich wurde die reguläre Inbetriebnahme verzögert, weil sich<br />

der Hamburger Senat entschloss, die staatlichen Bestimmungen zur<br />

Feuerbestattung nicht – wie ursprünglich geplant – auf dem<br />

Verwaltungsweg, sondern über eine gesetzliche Regelung zu erlassen.<br />

Damit war wiederum die Bürgerschaft gefragt, die nun ihrerseits die<br />

Nutzungsbeschränkung auf die Hamburger Bevölkerung ablehnte, weil<br />

dies die Rentabilität des Krematoriums beeinträchtigt hätte. Letzteres<br />

schien auch deswegen von Bedeutung, weil der Verein als Betreiber zwar<br />

keinen privaten Gewinn erwirtschaften wollte, jedoch die aufgenommen<br />

Kapitalien zurückzahlen musste.<br />

<strong>Die</strong> Verhandlungen zwischen Feuerbestattungsverein, Bürgerschaft <strong>und</strong><br />

Senat zogen sich bis in den Sommer 1892 hin, als im August desselben<br />

Jahres eine verheerende Cholera-Epidemie Hamburg heimsuchte. Damit<br />

rückten alle Fragen einer gesetzlichen Regelung der Feuerbestattung<br />

zunächst in den Hintergr<strong>und</strong>, bevor der Senat schließlich Anfang<br />

November 1892 seinen bisherigen Standpunkt aufgab <strong>und</strong> auf die<br />

Wünsche der Bürgerschaft einging. Im Hintergr<strong>und</strong> stand, dass die<br />

Cholera-Epidemie mit ihren mehreren tausend Opfern die hygienischsanitären<br />

Probleme in der Stadt <strong>und</strong> damit auch die Bedeutung einer<br />

hygienischen Bestattungsart aufgezeigt hatte. In der Tat war ja die<br />

Beisetzung der Cholera-Opfer nicht eines der geringsten Probleme im<br />

August 1892 gewesen. Jedenfalls wurden am 17. November 1892 die<br />

„Bestimmungen betreffend das Feuerbestattungswesen in Hamburg“ als<br />

Gesetz verkündet – sie sahen unter anderem eine Oberaufsicht der<br />

staatlichen Friedhofsdeputation <strong>und</strong> die Vorlage einer amtlichen


Frühe Krematorien 06.05.2008 11<br />

Todesbescheinigung vor einer Einäscherung vor. Zwei Tage später<br />

konnte die erste Einäscherung stattfinden.<br />

Auch in Hamburg blieb die Zahl der Einäscherungen zunächst gering.<br />

Immerhin stieg sie innerhalb von 15 Jahren um das Sechzehnfache an:<br />

Von 41 im Jahr 1895 über 147 (1900) auf 678 im Jahr 1910. Betrachtet<br />

man die Sozialstruktur der im Hamburger Krematorium Eingeäscherten,<br />

so überwogen in den ersten Jahren (1892-1895) bei weitem die<br />

kaufmännischen Beruf (47,9%), mit Abstand gefolgt von Beamten <strong>und</strong><br />

freien akademischen Berufen (16,4%) sowie Rentiers <strong>und</strong> Privatiers<br />

(15,1 bzw. 9,6%). Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum lagen bei den<br />

Erdbestattungen Arbeiter <strong>und</strong> handwerkliche Berufe (28,9 bzw. 25%) an<br />

der Spitze. Hier zeigte sich also deutlich, wie sehr die Feuerbestattung in<br />

ihrer Frühzeit ein Privileg bürgerlicher Kreise war. 10<br />

Allerdings lagen in Hamburg aufgr<strong>und</strong> der eigenwilligen<br />

Gebührenpolitik des Feuerbestattungsvereines die Einäscherungskosten<br />

besonders hoch – <strong>und</strong> zwar über jenen für Erdbestattungen auf dem<br />

Ohlsdorfer Friedhof. Erst nachdem das Krematorium im Jahr 1915 vom<br />

Hamburger Staat übernommen <strong>und</strong> die Gebühren entscheidend gesenkt<br />

wurden, kam es in den 1920er Jahren zu einem deutlichen Anstieg der<br />

Einäscherungszahlen.<br />

Auch in anderen Staaten gab es Konflikte um den Bau von Krematorien.<br />

Manchmal sah man sich genötigt, fürs Erste eine Art „Privat-<br />

Krematorium“ zu errichten. So jedenfalls geschah die erste technische<br />

Einäscherung in den USA. Es handelte sich um den Theosophen <strong>und</strong><br />

Freimaurer Baron Joseph DePalm, dessen Leichnam am 6. Dezember<br />

1876 – also im selben Jahr, als im italienischen Mailand die erste<br />

technische Feuerbestattung der Moderne stattfand – eingeäschert wurde.<br />

<strong>Die</strong>ser demonstrative Akt fand vor vielen Zuschauern auf dem<br />

Privatgr<strong>und</strong>stück des Arztes <strong>und</strong> Feuerbestattungspionier Francis Julius<br />

LeMoyne in Washington (US-B<strong>und</strong>esstaat Pennsylvania) statt, wo ein<br />

kleines Privat-Krematorium errichtet worden war. Zuvor war der


Frühe Krematorien 06.05.2008 12<br />

Versuch gescheitert, dieses auf einem regulären Friedhof offiziell zu<br />

bauen. In den Folgejahren fanden dort – bis 1887 – noch insgesamt 40<br />

weitere Einäscherungen statt. 1884/85 gingen dann drei weitere<br />

Krematorien in den USA in Betrieb, <strong>und</strong> zwar in New York, Buffalo <strong>und</strong><br />

Lancaster. 11<br />

<strong>Die</strong>se international vollzogene Technisierung des Umgangs mit den<br />

Toten passte sich ein in eine allgemeinere „Mechanisierung des Todes“<br />

(Sigfried Giedion) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, wie sie sich<br />

unter anderem in der Einrichtung von Schlachthäusern <strong>und</strong> dem<br />

mechanisierten Schlachten zeigte. Es mag zwar als makaber erscheinen,<br />

ist gleichwohl technikhistorisch keine zufällige Parallele, dass 1892 der<br />

erste Hamburger Zentralschlachthof knapp sechs Wochen vor Eröffnung<br />

des örtlichen Krematoriums seinen Betrieb aufnahm. Auch gewann die<br />

Verbrennungstechnologie insgesamt, also nicht nur für Krematorien, in<br />

den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg immer mehr an Raum. <strong>Die</strong> in<br />

den USA <strong>und</strong> Großbritannien bereits verbreitete Müllverbrennung wurde,<br />

allerdings zögerlicher, auch im Deutschen Reich eingeführt. In Hamburg<br />

beispielsweise ging die erste Müllverbrennungsanlage 1896 in Betrieb.<br />

Im kleineren Maßstab wurden Verbrennungsöfen zur Abfallbeseitigung<br />

unter anderem in Krankenhäusern, Schlachthöfen <strong>und</strong> Markthallen<br />

eingesetzt. 12<br />

Selbst im Bestattungswesen waren die Krematorien zwar das<br />

ausgeprägteste, aber keineswegs einzige Beispiel für die Technisierung.<br />

In Hamburg wurde Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts für den Zentralfriedhof<br />

Ohlsdorf ein so genannter Kalzinierofen gebaut. Er diente der<br />

hygienischen <strong>und</strong> effizienten Verbrennung von Knochenresten aus<br />

geräumten Grabstellen; seine Verwandtschaft mit dem<br />

Verbrennungsapparat des Krematoriums wurde auch dadurch deutlich,<br />

dass bei Erörterung dieser Frage im zuständigen Parlamentsausschuss<br />

Eduard Brackenhoeft als Vorsitzender des Hamburger<br />

Feuerbestattungsvereins hinzugezogen wurde. 13


Frühe Krematorien 06.05.2008 13<br />

Auch in den Krematorien selbst wurden technische Innovationen gern<br />

übernommen. Betrieb man im Gothaer Krematorium das Hebewerk des<br />

Verbrennungsapparates noch manuell, so arbeitete das Schneidersche<br />

System in Hamburg bereits mit hydraulischen Pumpen. So kann man die<br />

Feuerbestattung also auch Teil einer allgemeinen „Beschleunigung“ im<br />

Zeitalter der Hochindustrialisierung betrachten. 14<br />

3. Auf den Spuren von Peter Behrens <strong>und</strong> Fritz Schumacher: Probleme<br />

der Krematoriumsarchitektur im Kaiserreich<br />

<strong>Die</strong> Krematorien fielen nicht nur durch ihre neuartige Funktion auf, die<br />

Verstorbenen mit Hilfe industrieller <strong>Technik</strong> einzuäschern, sondern auch<br />

durch ihre bisweilen kuriose Architektur. Schließlich bildeten sie eine<br />

völlig neue Bauaufgabe, die zu teilweise skurrilen Lösungen führte. <strong>Die</strong><br />

<strong>frühen</strong> <strong>Krematoriumsbauten</strong>, die bis 1900 verwirklicht wurden, zeigten in<br />

ihrer uneinheitlichen Architektur eben jene Spannung zwischen<br />

zeremonieller Trauer <strong>und</strong> industrieller <strong>Technik</strong> wider, die die Geschichte<br />

der Feuerbestattung insgesamt durchzogen hat. Antikisierende Elemente<br />

spielten eine große Rolle, aber paradoxerweise waren auch immer wieder<br />

kirchenverwandte Ausdrucksformen zu finden. 15<br />

Bereits Mitte der 1870er Jahre war eine theoretische Schrift entstanden,<br />

die sich mit der Problematik von <strong>Krematoriumsbauten</strong> befasste – ein<br />

Beitrag des Architekten Joseph Ritter von Schmaedel unter dem Titel<br />

„Welches ist die Aufgabe der Architektur angesichts der Versuche <strong>und</strong><br />

Bestrebungen, die Verbrennungen der Leichen obligatorisch<br />

einzuführen?“ Von Schmaedel sah drei gr<strong>und</strong>legende Bauelemente: den<br />

Verbrennungsraum, die Feierhalle <strong>und</strong> die Urnenanlage. Bereits von<br />

Schmaedel sah die Trennung von Trauer <strong>und</strong> <strong>Technik</strong> vor. 16


Frühe Krematorien 06.05.2008 14<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich stellte sich den Architekten die Aufgabe, eine relativ<br />

aufwändige technische Verbrennungsapparatur mit den herrschenden<br />

Mustern von Trauerkultur <strong>und</strong> Pietät in Einklang zu bringen. Der Raum<br />

für die Trauerfeiern musste mit dem technischen Trakt in Verbindung<br />

stehen, sollte von letzterem aber möglichst wenig zeigen – zu sehr<br />

fürchtete man das Verdikt konservativer Kreise angesichts einer weithin<br />

als „seelenlos“ betrachteten industriellen <strong>Technik</strong>. Bei der äußeren<br />

Gestaltung bildete insbesondere der betriebsbedingt notwendige <strong>und</strong><br />

relativ hohe Schornstein einen heiklen Punkt.<br />

In der Frühzeit der Feuerbestattung orientierten sich die meisten<br />

Architekten bei der Lösung dieser Aufgabe am zeittypischen<br />

Historismus. Formtraditionen der Antike <strong>und</strong> des Mittelalters – immer<br />

wieder auch christliche Elemente – wurden aufgegriffen <strong>und</strong> miteinander<br />

kombiniert. Zum Teil entstanden dabei monströse Bauten, deren<br />

kulturelle Vieldeutigkeit die gesellschaftlichen Probleme der<br />

Feuerbestattung in ihrer Frühzeit offenbarte. Schlichte klassizistische<br />

Bauten, wie das Krematorium Gotha, blieben eine Ausnahme.<br />

Ein typisches Beispiel für die verschnörkelt-vieldeutige Formensprache<br />

späthistoristischer Architektur ist das Hamburger Krematorium von<br />

1892. Ernst Paul Dorn, der den Bau entwarf, verwandte sowohl Elemente<br />

barocker Kapellen, romanischer <strong>und</strong> byzantinischer Kirchen wie auch<br />

italienischer Profanbauten des Mittelalters. Auffallend ist die Gestaltung<br />

des Schornsteins, der zusammen mit einem Treppenturm an der<br />

Nordwestseite des Gebäudes liegt. Weiterhin wird das äußere Bild des<br />

Bauwerks von den unterschiedlichen Dachformen geprägt, wie Sattel<strong>und</strong><br />

Zeltdach. Zur Gliederung benutzte der Architekt rote Verblendziegel<br />

<strong>und</strong> – in geringerem Maße – auch so genannte Formsteine. Den<br />

Verblendziegeln maß der Architekt besondere Bedeutung zu.<br />

Bemerkenswerterweise fand diese Gestaltungsweise damals auch bei<br />

funktionalen Industriebauten ihre Anwendung. 17


Frühe Krematorien 06.05.2008 15<br />

In der inneren Gestaltung ließ der Architekt einen großen Zentralraum<br />

für Trauerfeiern verwirklichen, der r<strong>und</strong> 100 Menschen Platz bot. In elf<br />

Metern Höhe über dem Boden wölbt sich eine Kuppel, die mit ihren<br />

bunten Butzenscheiben das Oberlicht abdämpft. Gegenüber dem<br />

Haupteingang lag eine Nische – der Ort für den Trauerredner, vor dem<br />

sich eine katafalkartige Erhöhung erstreckte, auf der der Sarg aufgebahrt<br />

wurde. Daneben beherbergte die Feierhalle noch eine Empore mit einem<br />

Harmonium sowie ein Kolumbarium (Nischenwand für<br />

Urnenbeisetzungen).<br />

Ganz im Gegensatz zu dieser betont feierlichen, pietätvollen Gestaltung<br />

des Innenraumes stand die nüchtern-funktionale Einäscherungsapparatur,<br />

die sich im Untergeschoss befand. Sie war über Schienen <strong>und</strong> eine<br />

hydraulische Hebevorrichtung mit dem Katafalk in der Trauerhalle<br />

verb<strong>und</strong>en. Mit Hilfe dieser Installation gelangte der Sarg auf einem<br />

kleinen Wagen nach der Trauerfeier automatisch zur<br />

Verbrennungsapparatur. Es verw<strong>und</strong>ert angesichts des bisher<br />

Dargelegten nicht, dass dem reibungslosen, kaum wahrnehmbaren<br />

Funktionieren dieser Vorgänge seitens des Feuerbestattungsvereines<br />

großes Gewicht zugesprochen wurde. Dabei kam der technische<br />

Fortschritt der „Pietät“ zugute. Der Sarg verschwand gleichsam wie von<br />

Zauberhand gelenkt aus der Feierhalle – <strong>und</strong> auch die spätere<br />

Einäscherung blieb für die Trauernden verborgen.<br />

Zeitgenössische Fachleute zeigten sich bei der Beurteilung des<br />

Hamburger Krematoriums sichtlich irritiert ob dieser seltsamen<br />

Mischung aus mittelalterlicher Tradition <strong>und</strong> moderner Funktionalität.<br />

<strong>Die</strong>se Irritationen hingen sicherlich mit jener Ambivalenz zusammen, die<br />

der <strong>frühen</strong> Feuerbestattungsbewegung eigen war. Schon die Einflüsse der<br />

Industriearchitektur deuteten ja an, dass die Feuerbestattung nicht einfach<br />

die Fortsetzung der Beerdigung mit anderen Mitteln war, sondern dass<br />

hier eine epochale Zäsur stattfand. Gleichwohl wurden traditionelle, ja<br />

sakrale Ausdrucksformen nach wie vor als notwendig empf<strong>und</strong>en.


Frühe Krematorien 06.05.2008 16<br />

Auf der einen Seite verfocht man eine gr<strong>und</strong>legende Reform im<br />

Bestattungswesen, auf der anderen Seite musste man mehr oder weniger<br />

auf traditionelle Pietätsvorstellungen anpassen, wollte man nicht in der<br />

gesellschaftlichen Isolation verharren. Auch sah man sich genötigt,<br />

tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffen von konservativer,<br />

insbesondere von kirchlicher Seite schon im Vorwege durch einen<br />

Rückgriff auf das Arsenal bekannter Ausdrucksformen zu begegnen.<br />

Wie sich in der Zukunft zeigen sollte, blieb dies eines der Hauptprobleme<br />

der Feuerbestattungskultur. <strong>Die</strong> Verbannung der Verbrennungstechnik in<br />

das nicht öffentlich zugängliche Untergeschoss, die auch bei späteren<br />

Bauten immer wieder verfolgt wurde, sollte die Trennung zwischen<br />

Trauer <strong>und</strong> <strong>Technik</strong> zementieren. Insofern lässt sich auch festhalten, dass<br />

die – sicherlich völlig neue – Bauaufgabe „Krematorium“ mit einer<br />

gewissen Inkonsequenz bewältigt wurde. Das zentrale Element der neuen<br />

Bestattungsart, der Leichenverbrennungsapparat, wurde regelrecht<br />

versteckt. Inhalt <strong>und</strong> Form traten auseinander, das Arsenal historistischer<br />

Architektur wurde zum bloßen Dekor, das der veränderten Realität<br />

äußerlich blieb. Gesellschaftlich wurde der technische Trakt des<br />

Krematoriums <strong>und</strong> insbesondere der Verbrennungsapparat damit zum<br />

„Arkanum“ – zu einem geheimen Ort, den man gern verdrängte.<br />

Wie dem auch sei: Über mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit konnten<br />

sich weder das Hamburger Krematorium noch die anderen Bauten<br />

beklagen. Immer wieder wurden sie in der Presse vorgestellt. Das<br />

Hamburger Krematorium zählte nach seiner Fertigstellung zu den<br />

Sehenswürdigkeiten der Hansestadt. Man konnte Ansichtskarten von<br />

dem Gebäude erwerben oder es gegen 50 Pfennig Eintritt besichtigen –<br />

letzteres sogar dann, wenn eine Trauerfeier stattfand (sofern es die<br />

Hinterbliebenen gestatteten).<br />

<strong>Die</strong> geschilderte Trennung von Trauer <strong>und</strong> <strong>Technik</strong> fanden sich in mehr<br />

oder weniger modifizierter Gestalt auch in vielen späteren<br />

<strong>Krematoriumsbauten</strong> wieder. Im 1901 eröffneten Mannheimer


Frühe Krematorien 06.05.2008 17<br />

Krematorium wurde der Katafalk, der der Aufbahrung des Sarges diente,<br />

zusätzlich mit einem von vier schlanken Säulen getragenen Dach<br />

versehen. Letzteres senkte sich mit dem Sarg <strong>und</strong> verschloss die<br />

entstandene Öffnung rasch wieder. Wie wichtig diese, dem letzten<br />

Abschied am offenen Grab des Friedhofs nachgeahmten Abläufe waren,<br />

zeigt folgender Kommentar über die Mannheimer Anlage aus der<br />

zeitgenössischen Presse: „Da das kaum mannshohe Dach leicht mit<br />

Kränzen <strong>und</strong> losen Blumen zu schmücken ist, so würde die Gruft wie mit<br />

diesen gedeckt <strong>und</strong> geschlossen erscheinen, <strong>und</strong> es ist wohl denkbar, dass<br />

ein solcher Abschluss der Trauerfeier von ästhetisch noch<br />

wohlthuenderer Wirkung wäre, als es in jenen Crematorien [Gotha <strong>und</strong><br />

Hamburg] der Fall ist.“ 18<br />

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, dass die Krematoriumsarchitektur in<br />

der Kaiserreich-Zeit die gesellschaftlichen Irritationen im Umgang mit<br />

der technischen Feuerbestattung widerspiegeln. So weist die Gestaltung<br />

der Krematorien Mainz (1903) <strong>und</strong> Heilbronn (1905) deutliche sakrale<br />

Elemente auf. Wie sehr man sich um ein feierliches Ambiente der<br />

Trauerhallen bemühte, zeigt folgende zeitgenössische Schilderung zum<br />

1903 fertiggestellten Krematorium in Karlsruhe: „Dem Zweck<br />

entsprechend hat das Innere eine verhältnismäßig reiche Ausstattung<br />

erfahren, deren Mittelpunkt der reich getriebene <strong>und</strong> mit bunten<br />

Edelsteinen besetzte Kupfersarkophag bildet, unter dem während der<br />

Trauerfeier der Sarg ruht. Darüber schwebt die Decke als offener<br />

mittelalterlicher Dachstuhl mit reich gemalten Sparren-Zwischenfeldern,<br />

gleich einem hellblauen Himmel das Ganze überspannend. Den<br />

Mittelpunkt der in strengen romanischen Formen ausgeführten Wand<strong>und</strong><br />

Deckenmalerei bildet das große auf Putz aufgetragene Gemälde an<br />

der Kanzelwand …“ 19<br />

Auf geradezu kuriose Weise offenbarten sich die Paradoxien, die aus den<br />

Auseinandersetzungen um die Feuerbestattung resultierten, beim 1910<br />

eingeweihten Krematorium Gera mit seinem „Monisten-Loch“. Nach<br />

Streitigkeiten um die überkonfessionelle Nutzung setzte die zuständige


Frühe Krematorien 06.05.2008 18<br />

Landeskirche im thüringischen Kleinfürstentum Reuß (jüngere Linie)<br />

durch, dass für nicht-christliche Bestattungsfeiern ein separater<br />

Versenkungsschacht benutzt werden musste, wenn der Sarg in den<br />

Einäscherungstrakt befördert werden sollte. <strong>Die</strong> Bezeichnung<br />

„Monistenloch“ geht auf den Umstand zurück, dass eine der führenden<br />

Persönlichkeiten des Geraer Feuerbestattungsvereines zugleich der<br />

örtliche Vorsitzende des Deutschen Monistenb<strong>und</strong>es war. <strong>Die</strong>se 1906 im<br />

benachbarten Jena ins Leben gerufene Vereinigung propagierten eine<br />

wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Welt- <strong>und</strong> Lebensanschauung, die im Übrigen<br />

der Mentalität der Feuerbestattungsanhänger durchaus verwandt war. 20<br />

Das auf dem Ostfriedhof errichtete Geraer Krematorium wies noch eine<br />

weitere Kuriosität der <strong>frühen</strong> Feuerbestattungsbewegung auf: das so<br />

genannte „Kremato-Columbarium System Marsch“. Der Name bezieht<br />

sich auf den Geraer Stadtbaurat Adolf Marsch, der die Anlage entworfen<br />

hatte. Da auf dem Begräbnisplatz bereits eine Friedhofskapelle mit<br />

Feierhalle vorhanden war, musste nur noch eine Verbrennungsanlage<br />

errichtet werden, die wiederum vom Stadtbaurat Marsch mit einem<br />

Kolumbarium verb<strong>und</strong>en wurde. <strong>Die</strong>se besondere Kombination ließ sich<br />

Adolf Marsch unter der oben genannten Bezeichnung patentieren. 21<br />

Im benachbarten Jena war das vom örtlichen Feuerbestattungsverein<br />

errichtete Krematorium 1898 in Betrieb gegangen. <strong>Die</strong> Stadt hatte ein<br />

Gr<strong>und</strong>stück auf dem Nordfriedhof kostenlos zur Verfügung gestellt <strong>und</strong><br />

verwaltete auch den Krematoriumsbetrieb, bevor 1906 die gesamte<br />

Anlage in städtischen Besitz überging. Übrigens gab es in Jena zunächst<br />

keine Versenkungsanlage, bevor 1909 auch hier die übliche Kombination<br />

geschaffen wurde. 22<br />

Häufig gab es auf lokalpolitischer Ebene heftige Auseinandersetzungen<br />

<strong>und</strong> jahrelanges Tauziehen um die <strong>Krematoriumsbauten</strong>. <strong>Die</strong>s zeigte sich<br />

beispielsweise in Freiburg (Breisgau) – viele sahen in dem schließlich<br />

1913/14 vollendeten Bauwerk einen Angriff auf die katholische Kirche.<br />

Dabei hatte man mit allerlei Strategien versucht, etwaigem Widerstand


Frühe Krematorien 06.05.2008 19<br />

vorzubeugen. So ließ man eine Planskizze verteilen, die das<br />

antikisierende Bauwerk inmitten eines Parks mit hochaufragenden<br />

Koniferen <strong>und</strong> einer Wasseranlage zeigt. <strong>Die</strong>se Architekturskizze, die<br />

den politischen Gremien bei der Abstimmung vorlag, sollte die<br />

„Natürlichkeit“ des Todes im Krematorium suggerieren. 23<br />

Noch vor dem Ersten Weltkrieg löste sich die Krematoriumsarchitektur<br />

allmählich vom historistischen Stilpluralismus der <strong>frühen</strong> Jahre – die<br />

Zahl der deutschen Krematorien war bis 1910 auf über 20 angestiegen.<br />

Es waren vor allem zwei Bauten, die eine Zäsur bedeuteten: Peter<br />

Behrens’ Krematorium in Hagen/Westf. (1908) <strong>und</strong> Fritz Schumachers<br />

Krematorium in Dresden (1911). Das vom bekannten Architekten <strong>und</strong><br />

Designer Peter Behrens in Hagen geschaffene Krematorium hob sich<br />

bereits aufgr<strong>und</strong> seiner kompakt-geschlossenen, streng symmetrischen<br />

Gesamtgestaltung von früheren Krematorien ab. 24<br />

Berühmt wurde das Bauwerk aber vor allem wegen seiner<br />

Innenausstattung mit ihrem auf toskanische Vorbilder zurückgehenden<br />

mathematisch-geometrischen Dekor, das säkulare Funktion <strong>und</strong> sakrale<br />

Atmosphäre vereinte. Peter Behrens, der bahnbrechend für eine<br />

„sachliche“ Ausrichtung in Architektur <strong>und</strong> Kunsthandwerk wirkte, schuf<br />

nur wenig später mit der AEG-Turbinenhalle in Berlin (1909) sein<br />

bekanntestes Werk. Pläne <strong>und</strong> ein Modell für bzw. vom Hagener<br />

Krematorium waren auf verschiedenen Ausstellungen zu sehen, u. a. auf<br />

der Ausstellung moderner deutscher Kunst in London 1906, auf der<br />

Ausstellung für christliche Kunst (!) in Düsseldorf 1909 <strong>und</strong> auf der<br />

Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf 1910. 25<br />

Den Auftrag zum Hagener Krematorium – übrigens dem ersten in<br />

Preußen – hatte Behrens von dem Hagener Industrieunternehmer <strong>und</strong><br />

Mäzen Karl Ernst Osthaus erhalten. Osthaus konnte mit dieser Initiative<br />

die geplante Realisierung eines historistischen Entwurfs verhindern. Über<br />

seine Einstellung zu dieser Bauaufgabe schrieb Peter Behrens an Osthaus<br />

im Mai 1905: „In erster Linie scheint es mir erforderlich, daß die


Frühe Krematorien 06.05.2008 20<br />

Zweckbestimmung des Gebäudes nach außen hin klar zum Ausdruck<br />

gelangt. … Auch die ganze übrige Detailbehandlung müßte strengste<br />

Monumentalität <strong>und</strong> vornehme Einfachheit zum Ausdruck bringen.“ Das<br />

Bauwerk wurde nach zweijähriger Bauzeit 1908 vollendet. Allerdings<br />

wurde die Inbetriebnahme des bereits fertigen Krematoriums durch die<br />

preußische Obrigkeit untersagt, da in Preußen damals noch kein<br />

Feuerbestattungsgesetz vorlag. Der Hagener Feuerbestattungsverein<br />

versuchte auf allen erdenklichen Wegen, die Inbetriebnahme des<br />

Krematoriums durchzusetzen. Allein durch das Faktum des<br />

betriebsfertigen Krematoriums sollte die Obrigkeit zu einer Entscheidung<br />

bewogen werden. Der Bau des Hagener Krematoriums <strong>und</strong> der Kampf<br />

um die Zulassung sorgten im In- <strong>und</strong> Ausland für ein erhebliches<br />

Presseecho. Der verweigerten baupolizeilichen Genehmigung zur<br />

Einäscherung von Leichnamen versuchte man auch auf juristischem<br />

Wege zu begegnen – die in mehreren Instanzen bis zum<br />

Oberverwaltungsgericht durchgeführten Klagen blieben jedoch erfolglos.<br />

Das Oberverwaltungsgericht argumentierte, dass eine Genehmigung zur<br />

Einäscherung erst möglich sei, wenn die Feuerbestattung in Preußen<br />

landeseinheitlich geregelt sei. Auch eine Petition führte zu keinem<br />

raschen Ergebnis. Erst die im September 1911 erfolgte gesetzliche<br />

Regelung der Feuerbestattung in Preußen ermöglichte prinzipiell die<br />

Aufnahme des Betriebs.<br />

Allerdings schrieb das Gesetz für Preußen vor, dass nur Kommunen bzw.<br />

Kommunenverbände oder andere Körperschaften des öffentlichen<br />

Rechtes Krematorien betreiben dürfen. Dadurch wurde der Verein<br />

gezwungen, das Bauwerk in langwierigen Verhandlungen an die Stadt zu<br />

verkaufen. So konnte erst am 16. September 1912 die erste Einäscherung<br />

in diesem Krematorium stattfinden – zugleich die erste Einäscherung in<br />

Preußen. 26<br />

Fritz Schumachers 1911 in Betrieb genommenes Krematorium Dresden-<br />

Tolkewitz stellte auf andere Art <strong>und</strong> Weise einen Versuch dar, einen der<br />

Feuerbestattung angemessenen eigenen Ausdruck zwischen <strong>Technik</strong> <strong>und</strong>


Frühe Krematorien 06.05.2008 21<br />

Architektur zu finden. Äußerlich zeigt sich das Krematorium, das für den<br />

späteren Hamburger (Ober-) Baudirektor <strong>und</strong> Reformarchitekten<br />

Schumacher den ersten öffentlichen Auftrag bedeutete, als zwar<br />

monumentaler, jedoch in sich geschlossener Baukörper. Schumacher<br />

vermied gr<strong>und</strong>sätzlich die zuvor in der Krematoriumsarchitektur<br />

üblichen, teilweise ausufernden historistischen Zitate. Der Schornstein,<br />

der ja zu den schwierigsten Problemen zählte, wird von der Baumasse<br />

geradezu aufgesogen. In seinen Erinnerungen meinte der Architekt über<br />

sein Dresdener Bauwerk, es sei ein „strenge[s] Gefüge aus Bedingungen<br />

des Ortes <strong>und</strong> des Zweckes“ – <strong>und</strong> Schumachers Reformarchitektur wird<br />

im vierten Kapitel erneut zum Thema werden … . 27<br />

4. <strong>Die</strong> Krematoriumsanlage in Halle (Saale)<br />

Aber die Reformentwürfe für Hagen <strong>und</strong> Dresden blieben bis zum Ersten<br />

Weltkrieg Ausnahmen. Normalerweise bemühte man sich um eine<br />

repräsentativ-feierliche Gestaltung – nicht selten in klassizistischer<br />

Formensprache. <strong>Die</strong>s gilt beispielsweise für den Bau des Krematoriums<br />

auf dem Gertraudenfriedhof in Halle (Saale). Dort stellte sich zunächst<br />

dasselbe Problem wie in Hagen, was die gesetzliche Zulassung des<br />

Krematoriumsbetriebs anbelangte.<br />

Am 7. November 1900 war in Halle auf Initiative des Stadtrates Friedrich<br />

Tepelmann ein Feuerbestattungsverein gegründet worden. Der Verein<br />

spiegelte in seiner sozialen Struktur die Zusammensetzung der <strong>frühen</strong><br />

Feuerbestattungsbewegung wieder: Er versammelte vor allem<br />

Angehörige des Bildungsbürgertums <strong>und</strong> zählte in seinen besten Zeiten<br />

bis zu 500 Mitglieder. Sein Ziel war zunächst, für die Idee der<br />

Feuerbestattung zu werben, um deren gesetzliche Einführung in Preußen<br />

zu fördern. <strong>Die</strong>s geschah unter anderem durch Vorträge <strong>und</strong><br />

Ausstellungen. 28


Frühe Krematorien 06.05.2008 22<br />

Als kurz vor dem Ersten Weltkrieg der städtische Gertraudenfriedhof<br />

angelegt wurde, plante man zusammen mit dem Begräbnisplatz auch ein<br />

Krematorium. Begünstigt wurde die nach der ja 1911 erfolgten<br />

gesetzlichen Regelung der Feuerbestattung in Preußen beschleunigte<br />

Entwicklung dadurch, dass einige Stadträte dem Vorstand des<br />

Feuerbestattungsvereines angehörten. Im Übrigen hatte auch der<br />

Hallesche Oberbürgermeister Richard Rive in seiner Eigenschaft als<br />

Mitglied des preußischen Herrenhauses (erste Kammer des Landtages)<br />

selbst mit zur Verabschiedung des preußischen Feuerbestattungsgesetzes<br />

beigetragen. So verw<strong>und</strong>ert es nicht, dass das Krematoriumsprojekt von<br />

den Halleschen Stadtverordneten Anfang 1912 einstimmig gebilligt<br />

wurde. Das dann parallel zur Anlage des Friedhofs (1913-1915)<br />

errichtete Krematorium konnte nach r<strong>und</strong> 27monatiger Bauzeit im<br />

Dezember 1915 in Betrieb genommen werden. 29<br />

<strong>Die</strong> Anlage geht auf Entwürfe des Stadtbaurats Wilhelm Jost zurück.<br />

Vom Neoklassizismus, aber auch romanischen Stilelementen geprägt,<br />

umfasst es unter anderem eine kleine <strong>und</strong> eine große Trauerhalle<br />

(Kapelle) für Feuer- <strong>und</strong> Erdbestattungen. <strong>Die</strong> blockartig-monumental<br />

aufragende, in der Fassade durch R<strong>und</strong>bögen gegliederte Kapelle bildet<br />

das Zentrum des Krematoriumbaues. Sie wird von einem gewölbten<br />

Walmdach abgeschlossen. Seitlich flankiert wird die große Kapelle von<br />

zwei langgestreckten Querbauten mit Satteldächern. <strong>Die</strong> technischen<br />

Anlagen befanden sich unterhalb des rückseitig an die Trauerhalle<br />

anschließenden Leichenzellentraktes <strong>und</strong> waren, wie üblich, über<br />

Versenkungsanlagen erreichbar. 30<br />

Besonders hervorzuheben ist die Einbettung dieser sich „durch<br />

Weiträumigkeit <strong>und</strong> Strenge auszeichnenden halleschen Anlage“ in die<br />

umgebende, gleichzeitig gestaltete Friedhofslandschaft: „Über eine<br />

breite, von Rampen flankierte Freitreppe erreicht man den Vorhof des auf<br />

etwa zwei Meter hoher Terrasse errichteten Bauwerks. Von hier aus<br />

ergibt sich ein … Blick über die Wasserfläche hinweg in die Weite der<br />

Landschaft.“ 31


Frühe Krematorien 06.05.2008 23<br />

Von besonderem Interesse ist das Ambiente der Innenräume. Während<br />

die kleine Trauerhalle <strong>und</strong> die Nebenräume eher schlicht gehalten sind,<br />

erinnert die Monumentalität der großen Kapelle – als zentraler<br />

Trauerhalle – an den antiken Kuppelbau des römischen Pantheons: „Als<br />

R<strong>und</strong>bau ein Abbild des Kosmos, war dieser Tempel allen Göttern<br />

geweiht, was später auch der von Anhängern der Feuerbestattung<br />

vertretenen Toleranzidee entgegengekommen sein dürfte. Typisch ist<br />

weiterhin die für die Gliederung des Bauwerks wichtige Zahl Acht, die<br />

… mehrfach wiederkehrt.“ 32<br />

Bemerkenswert ist die Gestaltung der Innenkuppel mit Fresken durch den<br />

ortsansässigen Maler Karl Völkers (der später zu den herausragenden<br />

Persönlichkeiten der „Hallischen Künstlergruppe“ gehörte). Beschriftet<br />

mit Bibelworten, zeigt die Kuppel einen Kranz von Engeln – hier also<br />

deutliche Bezüge zur christlichen Tradition. <strong>Die</strong> Kuppel ist in<br />

leuchtendem Blau gehalten: „Vielfach mit der Hinwendung zu<br />

frühchristlicher <strong>und</strong> byzantinischer Kunst verb<strong>und</strong>en – lässt es aber auch<br />

bei Völker – ebenso wie der Kranz der sechzehn Engel zwischen den<br />

R<strong>und</strong>bogenfenstern – an ravennatische Mosaiken denken.“ 33<br />

<strong>Die</strong> Engel stellen durch Haltung <strong>und</strong> Gestik die Verbindung zu den<br />

Trauernden wie auch zum zentralen Kuppelfeld her: „Von Flammen<br />

umkreist, hält dort ein ebenfalls geflügelter Genius eine Schale empor,<br />

die, gleichsam brennpunktartig, gebündeltes Licht aussendet. Durch eine<br />

sogartige Aufwärtsbewegung nähern sich die Leiber der Toten, unter<br />

ihnen ein Gekreuzigter, dieser Heroengestalt, um mit dem reinigenden<br />

Feuermeer zu verschmelzen.“ Christliche <strong>und</strong> überkonfessionelle<br />

Elemente gehen also eine Symbiose ein. 34<br />

Das Kolumbarium zur Aufstellung von Urnen wurde – im Gegensatz zu<br />

vielen anderen Beispielen – gesondert errichtet, jedoch der vom<br />

Krematorium aus verlaufenden Hauptachse zugeordnet. <strong>Die</strong> rechteckigoffene<br />

Anlage wurde ebenfalls von Stadtbaurat Jost entworfen. Im


Frühe Krematorien 06.05.2008 24<br />

unteren Teil der durch R<strong>und</strong>bögen gegliederten Ummauerung befinden<br />

sich Nischen zur Aufstellung von Urnen. Auch das Kolumbarium ist in<br />

die umgebende Friedhofslandschaft – unter anderem mit dem nördlich<br />

anschließenden Wasserbassin – harmonisch eingefügt. 35<br />

1991-1993 wurde auf dem Krematoriumsgelände eine neue<br />

Einäscherungsanlage errichtet. <strong>Die</strong>s ging auf die Initiative des 1990<br />

neugegründeten „Gemeinnützigen Feuerbestattungsvereines e.V. Halle<br />

(Saale)“ zurück, der von der Stadt Halle beauftragt wurde, als Pächter<br />

den Einäscherungsbetrieb durchzuführen. Neben den technischen<br />

Erneuerungen hat sich der Verein auch beim Erhalt der<br />

denkmalgeschützten älteren Bauten engagiert. 36<br />

1 Brockhaus’ Konversations-Lexikon. Band 14. Leipzig, Berlin, Wien 1898, S. 959; Thalmann: Urne, S. 113.<br />

2 Gedenkschrift Gotha, S. 13-21; Henning Winter: <strong>Die</strong> Architektur der Krematorien im Deutschen Reich<br />

1878-1918. Dettelbach 2001, S. 214-217.<br />

3 Gedenkschrift Gotha, S. 21-22 <strong>und</strong> S. 25 (Zitat).<br />

4 Zitiert nach Schumacher: Feuerbestattung, S. 20-21.<br />

5 Gedenkschrift Gotha, S. 22-23.<br />

6 Ebd., S. 29-30 (Zitat S. 30).<br />

7 Ebd., S. 31-32 <strong>und</strong> S. 45-47.<br />

8 Leena Ruuskanen: Der Heidelberger Bergfriedhof. Kulturgeschichte <strong>und</strong> Grabkultur. Ausgewählte<br />

Grabstätten. Heidelberg 1992, S. 31-39; Winter: Architektur, S. 237-241.<br />

9 Hier wie im Folgenden siehe zum Beispiel Hamburg (auch mit weiteren Literatur- <strong>und</strong> Quellenangaben):<br />

Norbert Fischer: <strong>Technik</strong>, Tod <strong>und</strong> Trauerkultur. Zur Einführung der Feuerbestattung in Hamburg 1892. In:<br />

Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 79, 1993, S. 111-132; ders.: Pragmatischer Umgang mit<br />

dem Tod. Zur Einführung der Feuerbestattung in Hamburg 1892. Maschinenschriftliche Magisterarbeit.<br />

Hamburg 1986.<br />

10 Fischer: Umgang, S. 46.<br />

11 Prothero: Cremation, S. 23ff.; Sloane: Cemeteries, S. 150 (Tabelle); Theodor Weinisch: <strong>Die</strong><br />

Feuerbestattung im Lichte der Statistik. Zirndorf 1929, S. 13-14.<br />

12 Sigfried Giedion: <strong>Die</strong> Herrschaft der Mechanisierung. Frankfurt/M. 1987, S. 238-277; Deutsche<br />

Bauzeitung 35, 1901, Nr. 23, S. 139.<br />

13 Leisner u.a.: Hauptfriedhof Ohlsdorf, Band I, S. 59-60.<br />

14 Schumacher: Feuerbestattung, S. 33.<br />

15 Winter: Architektur, S. 39-43.<br />

16 Winter: Architektur, S. 33-37.<br />

17 Hier wie im Folgenden (mit weiteren Literatur- <strong>und</strong> Quellenangaben) siehe allgemein Fischer: <strong>Technik</strong>.<br />

18 Illustrirte Zeitung Nr. 3010, 7. März 1901, S. 365; Volker Keller: Das alte Krematorium in Mannheim. In:<br />

Mannheimer Hefte 1985, Heft 1, S. 43-50.<br />

19 Deutsche Bauzeitung 38, 1904, Nr. 45, S. 273-277.<br />

20 Das folgende beruht auf der Studie von Annegret List: Das Alte Krematorium Gera. Dresden 2000.<br />

21 List: Gera, S. 47-51; Winter: Architektur, S. 205-206.<br />

22 Sechzig Jahre Krematorium Jena. Hg. vom <strong>Die</strong>nstleistungsbetrieb Friedhof Jena. Jena o. J. [1958], S. 7.<br />

23 Gitta Reinhardt-Fehrenbach: „...Verzehrt vom Feuer soll der Leib mir werden, In Rauch <strong>und</strong> Asche soll er<br />

schnell vergehn ...“. Das Freiburger Krematorium. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 24, 1995, Heft<br />

4, S. 199-206.<br />

24 Gisela Moeller: Peter Behrens in Düsseldorf. <strong>Die</strong> Jahre von 1903 bis 1907. Weinheim 1991, S. 212 <strong>und</strong> S.<br />

452-462; Keiichi Tahara: Jugendstil. Aufbruch zu einer neuen Architektur. Mit Texten von Riichi Miyake.<br />

Dortm<strong>und</strong> 1991, S. 214-215 (Abb.) <strong>und</strong> S. 255 (Text).


Frühe Krematorien 06.05.2008 25<br />

25 Moeller: Behrens, 1991, S. 212-214.<br />

26 Ebd., S. 461-462; Winter: Architektur S. 223-227 (Behrens-Zitat dort S. 226).<br />

27 Deutsche Bauzeitung 45, 1911, Nr. 58, S. 489-490; Arnalda Venier: Technological death. Fritz<br />

Schumacher's Dresden crematorium. In: Lotus International 1983, Heft <strong>II</strong>: Funerary Lotus, S. 121-124; Fritz<br />

Schumacher: Stufen des Lebens. Erinnerungen eines Baumeisters. Stuttgart, Berlin 1935, S. 275 (Zitat). Zum<br />

Dresdener Krematorium siehe ebd., S. 275-276.<br />

28 <strong>Die</strong>ser Absatz beruht auf Informationen des Gemeinnützigen Feuerbestattungsvereins e. V. Halle (Saale)<br />

(Schreiben vom 22. August 2002). Ich danke dem Verein für die Überlassung seiner Unterlagen.<br />

29 Der Gertraudenfriedhof in Halle. Monumentale Architektur <strong>und</strong> Landschaftsgarten. Text: Ingrid Schulze,<br />

Fotografien: Ingo Gottlieb. Hrsg. vom Gemeinnützigen Feuerbestattungsverein Halle e.V. Halle/Saale 1997,<br />

S. 5-7; Winter: Architektur, S. 229-231.<br />

30 Gertraudenfriedhof Halle, S. 5-7 <strong>und</strong> S. 10; Winter: Architektur, S. 92-93 <strong>und</strong> S. 229-231.<br />

31 Gertraudenfriedhof Halle, S. 10.<br />

32 Ebd., S. 18-20 (Zitat S. 20),<br />

33 Ebd., S. 22-28 (Zitat S. 22); Winter: Architektur, S. 98.<br />

34 Gertraudenfriedhof Halle, S. 26.<br />

35 Ebd., S. 29.<br />

36 Ebd., S. 7.

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