Vortrag von Prof. Dr. Rohrhirsch - gesund-fuehren.net
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In sozialen Berufen wird es unmittelbar offenkundig, dass wir Hilfe brauchen und dass wir da,<br />
wo wir Hilfe geben, Sinn erfahren. Apathie, so der amerikanische Soziologe Richard Sen<strong>net</strong>t,<br />
„ist die logische Reaktion auf das Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Um verlässlich zu sein,<br />
muss man das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Um das Gefühl zu haben, gebraucht zu<br />
werden, müssen andere auf uns angewiesen sein.“ (S. 202). Doch auch das Gegenteil ist der<br />
Fall. Ein Übermaß an Gebrauchtwerden, durch das sich der Einzelne immer mehr verbraucht<br />
fühlt und schließlich resigniert, führt in dieselbe Richtung. Das rechte Maß an<br />
Gebrauchtwerden hilft Apathie zu vermeiden. Das rechte Maß ist für jeden Menschen ein<br />
anderes.<br />
Auch in moderner, vorwiegend kapitalistisch orientierter Gesellschaft bleiben die sozialen<br />
Berufe, bleibt ein Krankenhaus, bleiben Alten- und Pflegeeinrichtungen, Zeichen des<br />
Widerspruchs, gegenüber Formen des Gewinnens um jeden Preis, gegenüber der Idee einer<br />
Selbstbehauptung auf Kosten anderer und erst recht gegenüber dem irrigen Versuch einer<br />
Selbstverwirklichung ohne die anderen.<br />
Die Mitarbeiter in sozialen Einrichtungen bilden den Riss – der nicht selten mitten durch sie<br />
hindurch geht – in einer ökonomisch beherrschten Wirklichkeit, an dem sich eine andere,<br />
wesentliche Dimension menschlichen Lebens auftut, wo - gleichgültig, ob hier <strong>von</strong><br />
Leistungsempfängern und Leistungsgebern, <strong>von</strong> Kunden, Patienten oder Bewohnern<br />
gesprochen wird, - der Mensch vor sich selbst gestellt wird und wieder in die Möglichkeit<br />
versetzt wird, zu erkennen und zu erfahren, wie es wirklich d.h. wesentlich um ihn steht.<br />
Mag man noch so sehr bemüht sein, diesen existenziellen Charakter <strong>von</strong> Krankenhäusern und<br />
Alten- und Pflegeeinrichtungen mit dem Anschein eines gewöhnlichen Unternehmens zu<br />
übertünchen, als seien diese Produktionsbereiche wie andere auch, dieser Riss bleibt und er<br />
charakterisiert diesen Ort – für beide: für die, die darin zu wohnen und zu liegen kommen,<br />
wie für die, die darin zu arbeiten haben. Die Arbeit, die hier getan wird, ist nicht vergleichbar<br />
mit anderen Arbeiten.<br />
Deutlicher wie anderswo, zeigt sich in sozialen Berufen, dass Führung nicht ohne das<br />
auskommt, was nur noch verschämt, weil mit dem Geruch des restaurativen oder, harmlos<br />
irrig, in romantischen Kontexten noch zu nennen erlaubt ist: Führung ist auf die Bildung <strong>von</strong><br />
Gemeinschaft angelegt. Leistung wird dort freigesetzt und frei gegeben, wo im Tun für<br />
andere, mir meine Bedeutung aufgeht (und nicht selten dadurch mein Ich aufblüht).<br />
Miteinander für-einander leisten, was notwendig ist, was Not wendet, das lässt Sinn erfahren.<br />
Sinn erfahren, Gemeinschaft bilden, ereig<strong>net</strong> sich weder durch Order noch durch sog.<br />
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