wie viel Liebe braucht der Sex - Sophie Charlotte Klinik: Sophie ...
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Wie <strong>viel</strong> <strong>Sex</strong> <strong>braucht</strong> die <strong>Liebe</strong> –<br />
<strong>wie</strong> <strong>viel</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>braucht</strong> <strong>der</strong> <strong>Sex</strong><br />
Uwe Hartmann<br />
Vortragsreihe Parkklinik <strong>Sophie</strong> <strong>Charlotte</strong>, Berlin, März 2011
Die Standpunkte in ihrer Essenz<br />
• (Romantische) <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong>ualität sind zwei Protagonisten im<br />
selben Stück, sie brauchen einan<strong>der</strong> und können zumindest<br />
längerfristig nur in einem dynamischen Wechselspiel gedeihen<br />
• Dabei ist für das Individuum die <strong>Liebe</strong> das Primäre und<br />
Unverzichtbare<br />
• Die populären Thesen von <strong>der</strong> generellen Unvereinbarkeit von<br />
verpflichteter Paarbeziehung und lustvoller <strong>Sex</strong>ualität sind so nicht<br />
zutreffend
Glie<strong>der</strong>ung<br />
• Anmerkungen zur Begrifflichkeit<br />
• <strong>Liebe</strong> und/o<strong>der</strong> <strong>Sex</strong>: was brauchen Menschen, was wünschen sich<br />
Menschen – und wozu?<br />
• Zur Dynamik von <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong>ualität: von <strong>der</strong> Entzündungstheorie<br />
<strong>der</strong> Lust zum Lob <strong>der</strong> Abhängigkeit
Was ist „romantische <strong>Liebe</strong>“?<br />
• Nach H. Fisher bezeichnen wir beim Menschen die „entwickelte Form des<br />
Attraktionssystems“ als romantische <strong>Liebe</strong>.<br />
• Romantische <strong>Liebe</strong> ist eine menschliche Universalie, die sich mit sehr ähnlichen<br />
Merkmalen in praktisch allen heute untersuchten Ethnien findet.<br />
• Eine Partnerbindung ohne romantische <strong>Liebe</strong> wird als kameradschaftliche <strong>Liebe</strong><br />
(companionate love) bezeichnet.<br />
• Nach <strong>der</strong> weithin akzeptierten Definition von R. Sternberg setzt sich romantische<br />
<strong>Liebe</strong> aus 3 Komponenten zusammen:<br />
• Intimität<br />
• Leidenschaft (nicht nur sexuelle!)<br />
• Entscheidung und Verpflichtung (commitment)<br />
• Aus anthropologischer Sicht macht die enge Verbindung von romantischer <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong><br />
evolutionär Sinn, da die <strong>Liebe</strong> zu einem präferierten Partner dann auch zu einer sexuellen<br />
Paarung führen sollte.<br />
Fisher, H. et al.: Archives <strong>Sex</strong> Behav, 2002; 31:413; Fisher,H.: Warum wir lieben; Düsseldorf: Walter 2005;<br />
Sternberg RJ & Weis K: The New Psychology of Love. New Haven: Yale Univ. Press 2006
Standpunkte: <strong>Liebe</strong> ist ein Motivationssystem und<br />
ein „Verpflichtungsinstrument“<br />
• Nach <strong>der</strong> Theorie von D. Buss ist <strong>Liebe</strong> eine hochentwickelte Lösung für das<br />
„Commitment-Problem“. <strong>Liebe</strong> setzt sich über eine rein rationale Partnerwahl<br />
(durch die es kaum stabile Partnerschaften geben würde) hinweg. Sie ist damit<br />
ein „Verpflichtungsinstrument“ (commitment device) und sowohl Lösung als auch<br />
Belohnung.<br />
• <strong>Liebe</strong> ist keine (Primär)Emotion, son<strong>der</strong>n ein Motivationssystem, entworfen<br />
und entwickelt, um eine Beziehung zu einem präferierten Partner aufbauen<br />
und aufrecht erhalten zu können.<br />
• Das Motivationssystem <strong>der</strong> romantischen <strong>Liebe</strong> ist <strong>viel</strong> stärker als die sexuelle<br />
Motivation und zurückge<strong>wie</strong>sene <strong>Liebe</strong> hat <strong>viel</strong> dramatischere Konsequenzen<br />
als ein frustriertes sexuelles Bedürfnis. Love hurts.<br />
Buss DM: The Evolution of Love. In: Sternberg RJ & Weis K: The New Psychology of Love. New Haven: Yale<br />
Univ. Press 2006
Und <strong>Sex</strong>ualität?<br />
• Gehört zur romantischen <strong>Liebe</strong> zunächst einmal untrennbar dazu. Romantische<br />
<strong>Liebe</strong> erfor<strong>der</strong>t <strong>Liebe</strong> und Begehren (die „zärtliche“ und die „sinnliche“ Strömung)<br />
und entsteht gerade aus <strong>der</strong> Spannung <strong>der</strong> Gleichzeitigkeit bei<strong>der</strong> Dimensionen.<br />
• <strong>Sex</strong>ualität erlaubt es den <strong>Liebe</strong>nden, sich auf eine ganz beson<strong>der</strong>e, zumeist<br />
exklusive, Weise kennenzulernen. Es kommt so zu einer positiven<br />
Feedbackschleife zwischen psychologischer und sexueller Intimität.<br />
• In je<strong>der</strong> sexuellen Beziehung wird es mit zunehmen<strong>der</strong> Dauer immer<br />
sch<strong>wie</strong>riger, <strong>Sex</strong>ualität ohne psychologische Intimität zu leben.
Aspekte <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> im Werk von Freud<br />
• „Wo sie lieben, begehren sie nicht und<br />
wo sie begehren, können sie nicht<br />
lieben“ (Freud 1912). Die „Verlötung“<br />
<strong>der</strong> zärtlichen mit <strong>der</strong> sinnlichen<br />
Strömung gelingt nicht.<br />
Freud S.: Über die allgemeinste Erniedrigung des <strong>Liebe</strong>slebens (1912)
• Triebumsetzungen und Triebschicksale sind immer zugleich auch<br />
Schicksale <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong><br />
• Die psychoanalytischen Konzepte <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>: die Objektfindung ist in<br />
sich gebrochene, in Struktur und Erfahrung ausdifferenzierte<br />
Wie<strong>der</strong>findung (Suche nach Urzustand, in dem Objekt- und Ichlibido<br />
nicht zu unterscheiden sind).<br />
• Die ödipale Situation ist die Hauptbezugsachse und <strong>der</strong> Organisator<br />
des <strong>Liebe</strong>sschicksals.
• „Wer im <strong>Liebe</strong>sleben wirklich frei und damit auch glücklich werden soll,<br />
muß den Respekt vor dem Weibe überwunden, sich mit <strong>der</strong> Vorstellung des<br />
Inzests mit Mutter o<strong>der</strong> Schwester befreundet haben“ (Freud 1910).<br />
• Der übermäßige Respekt beruht auf unbewussten Unterwerfungen (inkl.<br />
<strong>der</strong> damit verbundenen Rebellion und Rache) und drückt sich in<br />
gegenseitiger Entwertung und sex. Dysfunktionen aus.<br />
• Ist <strong>der</strong> „falsche Respekt“ zu kompakt, können die für die sexuelle<br />
Erregung notwendigen aggressiven Beimischungen nicht zugelassen<br />
werden (vgl. Kernberg)
Dyadische Aspekte<br />
• Unbewusst wird in <strong>der</strong> Paarbeziehung ein Gleichgewicht geschaffen,<br />
durch das die Partner gegenseitig die dominante (pathogene)<br />
Objektbeziehung aus <strong>der</strong> Vergangenheit des an<strong>der</strong>en komplementieren.<br />
• Das Bestreben, die pathogenen Beziehungen <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />
verän<strong>der</strong>n und die Versuchung, sie als unerfüllte, aggressive und<br />
rachsüchtige Wünsche zu <strong>wie</strong><strong>der</strong>holen, führen zu einer Reinszenierung<br />
mit dem Partner, aber auch zu <strong>der</strong> Hoffnung und Möglichkeit, sie in <strong>der</strong><br />
Dyade zu überwinden.<br />
• Romantische <strong>Liebe</strong> kann so transformative Kraft haben, Grenzen<br />
überwinden und zu einer Expansion des Selbst führen. „<strong>Liebe</strong> aktiviert die<br />
Energien <strong>der</strong> Seele“ (W. Schmid 2010).
Glie<strong>der</strong>ung<br />
• Anmerkungen zur Begrifflichkeit<br />
• <strong>Liebe</strong> und/o<strong>der</strong> <strong>Sex</strong>: was und <strong>wie</strong> <strong>viel</strong> brauchen Menschen, was<br />
wünschen sich Menschen – und wozu?<br />
• Zur Dynamik von <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong>ualität: von <strong>der</strong> Entzündungstheorie<br />
<strong>der</strong> Lust zum Lob <strong>der</strong> Abhängigkeit
Ausgangspunkt: Grundbedürfnisse und Motivmatrix<br />
Quelle:<br />
Grawe 2004
Verdichtet man diese Motive immer weiter, kommt man<br />
auf die beiden motivationalen Grunddimensionen<br />
Autonomie,<br />
Selbstaktualisierung<br />
Bindung,<br />
Sicherheit,<br />
Geborgenheit
Wie wichtig beim <strong>Sex</strong> ist Ihnen...?<br />
Antwort: sehr wichtig<br />
Partnerin schwängern<br />
schwanger werden<br />
7%<br />
7%<br />
Männer<br />
Frauen<br />
Versöhnung<br />
44%<br />
47%<br />
Pflicht erfüllen<br />
sich begehrenswert fühlen<br />
13%<br />
14%<br />
24%<br />
39%<br />
männlicher fühlen<br />
weiblicher fühlen<br />
12%<br />
23%<br />
Partnerschaft erhalten<br />
15%<br />
20%<br />
meinem Partner emotional nahe fühlen<br />
meinem Partner körperlich nahe fühlen<br />
45%<br />
44%<br />
46%<br />
51%<br />
Ausdruck <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> zu meinem Partner<br />
46%<br />
51%<br />
Befriedigung des Partners<br />
eigene Befriedigung<br />
26%<br />
24%<br />
43%<br />
50%<br />
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%<br />
Anteil<br />
Global Study of <strong>Sex</strong>ual Attitudes and Behaviors funded by Pfizer Inc. Copyright 2002 Pfizer Inc. All rights reserved
Quelle: Global Study of <strong>Sex</strong>ual Attitudes and Behaviors 2002
Die Häufigkeit von Partner-<strong>Sex</strong> über die letzten Dekaden<br />
Studie Gruppen Häufigkeiten/Gruppenprozente<br />
Kinsey (1948, 1953); für Männer und Frauen<br />
zusammengefasst<br />
20jährige<br />
40jährige<br />
60jährige<br />
10-11mal pro Monat<br />
6mal pro Monat<br />
2,5mal pro Monat<br />
Clement (1986) ; studentische Stichprobe aus 1981<br />
Verheiratete Männer<br />
Verheiratete Frauen<br />
8,4 mal pro Monat<br />
6,8 mal pro Monat<br />
Johnson et al. (1994); repräsentative britische<br />
Stichprobe<br />
20jährige<br />
40jährige<br />
50-60jährige<br />
6-7mal pro Monat<br />
5mal pro Monat<br />
2-3mal pro Monat<br />
Laumann et al. (1994); repräsentative US-Stichprobe<br />
18 – 60 Jahre<br />
Verheiratete, 18-59jährige Gar nicht: 1,3%<br />
Ein paar Mal im Jahr: 12,8%<br />
Ein paar Mal im Monat: 42,5%<br />
3-4 Mal pro Woche: 36,1%<br />
4-o<strong>der</strong> mehr als 4 Mal pro Woche: 7,3%<br />
Långström & Hanson (2006); repräsentative<br />
schwedische Stichprobe 18 - 60 Jahre<br />
Frauen<br />
Männer<br />
5,1 mal pro Monat (SD = 5,4)<br />
5,5 mal pro Monat (SD = 6,2)
Was belastet Partnerschaften<br />
Die Top 10 <strong>der</strong> Partnerschaftsprobleme:<br />
1. <strong>Sex</strong>ualität (49%)<br />
2. Kommunikation (48%)<br />
3. Art und Weise negativer Kritikäußerungen (47%)<br />
4. Mangelnde Spontaneität und Lebendigkeit (44%)<br />
5. Zu wenig gemeinsame Zeit (39%)<br />
6. Fehlen von Zärtlichkeit und körperlicher Zuwendung (38%)<br />
7. Mangelnde Bereitschaft, sich zu än<strong>der</strong>n (37%)<br />
8. Zu wenig Investment von Zeit und Energie in Partnerschaft (36%)<br />
9. Zu wenig <strong>Liebe</strong> und Zuneigung (29%)<br />
10. Zu hohe Erwartungen aneinan<strong>der</strong> (29%)<br />
Quelle: Internet Studie <strong>der</strong> Uni Göttingen (Beer et al. 2005); 50.000 Männer und Frauen zwischen<br />
20 und 69 Jahren
<strong>Sex</strong>ualität und die Stabilität von Paarbeziehungen<br />
Die Daten:<br />
• <strong>Sex</strong>uelle Befriedigung ist assoziiert mit höherer partnerschaftlicher<br />
Zufriedenheit.<br />
• Quantität und Qualität des <strong>Sex</strong>uallebens sind assoziiert mit dem Gefühl<br />
<strong>der</strong> „romantic love“ für den Partner.<br />
• <strong>Sex</strong>uelle Unzufriedenheit im Jahr 1 <strong>der</strong> Ehe ist ein guter Prädiktor für eine<br />
Trennung im Jahr 4 (auch wenn man die allgemeine partnerschaftliche<br />
Zufriedenheit konstant hält).<br />
Fazit:<br />
• <strong>Sex</strong>uelle Zufriedenheit trägt signifikant zur Stabilität <strong>der</strong> Partnerschaft<br />
bei.<br />
Christopher, FS, Sprecher, S.: <strong>Sex</strong>uality in marriage, dating, and other relationships: a decade review. J of Marriage and<br />
the Family 62: 999-1017; 2000 Schrö<strong>der</strong> B, Hahlweg K: Zeitschrift für Klinische sychologie 23: 153-162; 1994; Schindler<br />
L, Hahlweg K, Revenstorf D.: Partnerschaftsprobleme: Diagnose und Therapie. Berlin: Springer 1998
Zwischenfazit:<br />
• Nüchtern betrachtet nimmt <strong>Sex</strong>ualität in <strong>der</strong> Motivhierarchie <strong>der</strong> Menschen<br />
allenfalls einen mittleren Platz ein.<br />
• Danach wäre die Redensart „Die schönste Nebensache <strong>der</strong> Welt“ durchaus<br />
zutreffend.<br />
• In <strong>viel</strong>en Umfragen ist sie auf <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> Belastungsfaktoren von Partnerschaften<br />
ganz oben zu finden.<br />
• Eine gewisse „Grundfrequenz“ (ca. 3 -5mal/Monat) von Partner-<strong>Sex</strong> wird als<br />
wichtig für die Qualität <strong>der</strong> Partnerschaft angesehen und ist mit höherer<br />
Lebenszufriedenheit und Partnerschaftsstabilität verbunden.<br />
• In <strong>der</strong> internationalen MALES-Studie 1 wurde quer durch alle Kulturen und<br />
Altersgruppen von den Männern die Qualität und Bedeutung <strong>der</strong> Paarbeziehung<br />
höher bewertet als die <strong>Sex</strong>ualität.<br />
• Generell gilt: <strong>Liebe</strong> ist für das Individuum (über)lebensnotwendig, <strong>Sex</strong>ualität für<br />
die Art.<br />
1<br />
Sand MS et al.; Journal of <strong>Sex</strong>ual Medicine 2008; 5: 583-594
Glie<strong>der</strong>ung<br />
• Anmerkungen zur Begrifflichkeit<br />
• <strong>Liebe</strong> und/o<strong>der</strong> <strong>Sex</strong>: was brauchen Menschen, was wünschen sich<br />
Menschen – und wozu?<br />
• Zur Dynamik von <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong>ualität: von <strong>der</strong> Entzündungstheorie<br />
<strong>der</strong> Lust zum Lob <strong>der</strong> Abhängigkeit
„Guter <strong>Sex</strong> trotz <strong>Liebe</strong>“ o<strong>der</strong> die Hypothese <strong>der</strong> generellen<br />
Unvereinbarkeit von Dauer und romantischer <strong>Liebe</strong><br />
• Dauerhafte romantische <strong>Liebe</strong> ist ein Wi<strong>der</strong>spruch in sich. Sie gedeiht nur, wenn sie<br />
neu, geheimnisvoll und gefährlich ist, Vertrautheit lässt sie absterben.<br />
• Verpflichtete Partnerschaft und romantische <strong>Liebe</strong> folgen völlig unterschiedlichen/<br />
gegensätzlichen Regeln und Prinzipien.<br />
• Esther Perel: „Erotik lebt vom Unvorhersagbaren. Lust verträgt sich nicht mit<br />
Gewohnheit…. Sie ist unbändig und trotzt allen Versuchen <strong>der</strong> Kontrolle. Der <strong>Sex</strong>us<br />
evoziert Obsession statt bedächtiges Abwägen. Vergegenständlichung und Macht<br />
existieren im Schatten <strong>der</strong> Lust. Eingesperrtes Verlangen kühlt zwangsläufig ab“.<br />
• Über diese Punkte ist sich die gehobene Ratgeberliteratur weitgehend einig,<br />
bietet aber Auswege an.<br />
Perel E.: Mating in Captivity (dt.: Wilf Life; München: Pendo 2006)<br />
Clement U: Guter <strong>Sex</strong> trotz <strong>Liebe</strong>; Berlin: Ullstein 2006
Der Ansatz von D. Schnarch: Differenzierung als Schlüssel zur<br />
Vereinbarkeit von verpflichteter Partnerschaft und<br />
leidenschaftlicher <strong>Sex</strong>ualität?<br />
• Fokussiert wird die individuelle persönliche Entwicklung<br />
(Differenzierung) bei<strong>der</strong> Partner als Voraussetzung und<br />
Schlüssel zur Entwicklung des erotischen Potenzials.<br />
• Nach den „natural systemics“ <strong>der</strong> Paarbeziehung ist es<br />
ganz normal, dass Paare in eine erotische Sackgasse<br />
(gridlock) geraten.<br />
• Zentral ist die Aufhebung <strong>der</strong> „Fusion“ des Paares. Aus<br />
<strong>der</strong> Differenz kann leidenschaftlicher <strong>Sex</strong> (wall-socket<br />
sex) entstehen.<br />
• Schnarch betont, dass sein Ansatz „nicht-pathologisch“<br />
und für „normale Paare“ ist.<br />
Schnarch D.: Passionate Marriage (dt.:Die Psychologie <strong>der</strong> sexuellen Leidenschaft; Stuttgart:<br />
Klett-Cotta 2006)
Differenzierung als Prozess höherer Ordnung und als<br />
Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie<br />
Differenzierung<br />
Individualität/<br />
Autonomie<br />
Emotionale Verbindung/<br />
Bindung und Sicherheit<br />
• Tatsächlich setzen Schnarch und die ihm folgenden Konzepte<br />
aber eindeutig auf den Pol Autonomie, persönliche Entwicklung<br />
(man muss „tough“, erwachsen, unabhängig sein, auf seinen<br />
eigenen Füßen stehen können) und Partner-Differenz.
Schnarch zu Ende gedacht? „Guter <strong>Sex</strong>“ nach U. Clement<br />
Clement U.: Systemische <strong>Sex</strong>ualtherapie. Stuttgart: Klett-Cotta 2004. S. 216
Standpunkte:<br />
• In ihrer einseitigen und forcierten Betonung von Autonomie, Distanz und<br />
Differenz blenden diese Ansätze die zweite zentrale Achse menschlicher<br />
Grundbedürfnisse aus und sind dadurch „(über)for<strong>der</strong>nd“ und „zu anstrengend“<br />
für die meisten Menschen.<br />
• Sie entsprechen dem herrschenden Zeitgeist, <strong>der</strong> geprägt ist von <strong>der</strong> Verleugnung<br />
und Abwertung von Abhängigkeitsbedürfnissen und –notwendigkeiten bis hin zur<br />
Abhängigkeitsphobie.<br />
• Sie entsprechen auch <strong>der</strong> einseitigen Parteinahme <strong>der</strong> meisten großen<br />
Psychotherapieschulen „pro Autonomie“.<br />
• Wenn „<strong>Liebe</strong> nichts für Schwache“ (D. Schnarch) ist, wo soll man seine<br />
Schwäche noch lassen?<br />
• Jenseits <strong>der</strong> Differenzierung sollte es letztlich um eine individuelle Integration<br />
und um einen dynamischen Dialog <strong>der</strong> beiden großen Grundmotive gehen.<br />
• Dieses Wechselspiel ist gerade in <strong>der</strong> <strong>Sex</strong>ualität <strong>wie</strong> in kaum einem an<strong>der</strong>en<br />
Daseinsbereich lebbar und erlebbar.
Standpunkte:<br />
• Die „Entzündungstheorie“ von Lust und Erregung trifft für den weitaus<br />
über<strong>wie</strong>genden Prozentsatz real gelebter <strong>Sex</strong>ualität nicht zu.<br />
• Tatsächlich ist sexuelle Erregung alles an<strong>der</strong>e als „wi<strong>der</strong>spenstig“ und<br />
„unberechenbar“, son<strong>der</strong>n äußerst robust „verdrahtet“. Je<strong>der</strong> halbwegs erfahrene<br />
Mensch weiß sehr genau, was und <strong>wie</strong> und wer ihn erregen kann und welche<br />
Rahmenbedingungen er benötigt.<br />
• Was „guter <strong>Sex</strong>“ ist, kann wohl nur <strong>der</strong> einzelne Mensch bzw. das Paar für<br />
eine bestimmten Moment und für ein bestimmtes Erleben entscheiden.<br />
• Die meisten Paare haben sich ein gut funktionierendes Repertoire sexueller<br />
Erregung und sexuellen Verhaltens erschlossen. Die häufigsten<br />
Problemfaktoren sind Stress, Müdigkeit, Energiedefizit, Mangel an erotischem<br />
Investment und eine Schwäche/Hemmung <strong>der</strong> erotischen Intentionalität.
Standpunkte: Woher kommt die Hemmung <strong>der</strong> erotischen<br />
Intentionalität?<br />
• Das liegt wohl am inhärenten Paradox intensiver romantischer <strong>Liebe</strong> selbst, <strong>der</strong>en<br />
beson<strong>der</strong>es Erleben ja gerade die große Sehnsucht nach Sicherheit und Bestand<br />
hervorrufen, die sie dann verkrusten und erstarren lassen.<br />
• Es geht nicht einfach um „Fusion“, son<strong>der</strong>n je länger eine Beziehung dauert und je<br />
intensiver die Verbindung ist, umso gefährlicher und riskanter wird es, sich auf<br />
romantische <strong>Liebe</strong> einzulassen. Zu <strong>viel</strong> steht auf dem Spiel.<br />
• <strong>Liebe</strong> bedeutet, dass wir es einer einzigartigen an<strong>der</strong>en Person gestattet haben,<br />
für uns in dieser Weise wichtig zu sein. Dass diese Person eigentlich außerhalb<br />
unserer Kontrolle liegt, entfacht alle unsere Kontrollbemühungen, die <strong>wie</strong><strong>der</strong>um<br />
die Lebendigkeit (nicht nur die erotische) aushöhlen.<br />
• Je tiefer wir uns einlassen, umso mehr Garantien wünschen wir uns.<br />
• Gewöhnung und Langeweile sind somit Schutzmechanismen, Sicherheitsvorkehrungen<br />
und dienen <strong>der</strong> Abwehr von Verletzlichkeit (man hat im<br />
„Ernstfall“ nicht so <strong>viel</strong> zu verlieren). Allerdings sind sie ebenso illusionär <strong>wie</strong><br />
lustfeindlich<br />
Benjamin J: The Bonds of Love (dt.: Die Fesseln <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>; Basel: Stróemfeld/Roter Stern 1990<br />
Mitchell SA: Can Love Last? (dt.: Kann denn <strong>Liebe</strong> ewig sein? Gießen: Psychosozial Verlag 2004
Von <strong>der</strong> Spontaneität zur Intentionalität: Dem sexuellen Begehren<br />
Räume eröffnen - die Unterscheidung von Alltagswelt und<br />
erotischer Welt<br />
• Der Unterschied zwischen erotischer Welt und Alltagswelt:<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
o<br />
<strong>Sex</strong>uelle Lust in <strong>der</strong> erotischen Welt = powered by Primärprozess und<br />
‚jurassic brain‘<br />
<strong>Sex</strong>uelle Lust in <strong>der</strong> Alltagswelt = powered by ‚cultural brain‘<br />
Der Übertritt in die erotische Welt als Entscheidung und Gestaltung<br />
Horizontale und vertikale Dimension in <strong>der</strong> Paarbeziehung<br />
Otto Kernberg: erotische Duplikation des Partners.<br />
Aber: everybody wants to be wanted, but nobody wants to want…..<br />
Der Mut, sich erotisch zu zeigen.
Standpunkte:<br />
• <strong>Liebe</strong> und <strong>Sex</strong>ualität sind temporär, u. Ust. auch dauerhaft, voneinan<strong>der</strong><br />
freistellbar, aber gedeihlich ist das nicht. <strong>Liebe</strong> kann sowohl Voraussetzung als<br />
auch Ergebnis intensiven sexuellen Erlebens sein.<br />
• Die ewige Grundschwingung zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung,<br />
Bindung und Autonomie, bestimmt unser Leben und damit auch unser<br />
<strong>Liebe</strong>sschicksal.<br />
• Die ausgehaltene und gestaltete Spannung zwischen diesen Grundkräften<br />
ermöglicht es, aus den „Fesseln <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>“ (J. Benjamin) Bindungen <strong>der</strong><br />
gegenseitigen Anerkennung werden zu lassen.<br />
• So ist es möglich, die Fließrichtung und die Fließgeschwindigkeit <strong>der</strong> Erotik<br />
zu beeinflussen.