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Volltext (pdf) - Bayreuther Beiträge zur Erforschung der religiösen ...

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Moritz Klenk:<br />

Religionswissenschaft als systemische Kulturwissenschaft<br />

Überlegungen zu einer Synthese von Systemtheorie<br />

und kulturwissenschaftlicher Religionsforschung<br />

32<br />

Code Transzendenz/Immanenz orientieren 70 . Dieser Code bietet die<br />

Möglichkeit, allem Immanenten ein (fiktives) Transzendentes gegenüber<br />

zu stellen, wodurch alles Immanente in <strong>der</strong> Welt beobachtbar, weil<br />

unterscheidbar wird, einschließlich <strong>der</strong> Welt selbst 71 . Diese Codierung<br />

ist also eine beson<strong>der</strong>e Fassung einer an<strong>der</strong>en Unterscheidung, nämlich<br />

<strong>der</strong> grundlegenden und „formuniversalen“ Unterscheidung von marked/unmarked.<br />

72 „Sinnformen werden als religiös erlebt, wenn ihr Sinn<br />

<strong>zur</strong>ückverweist auf die Einheit <strong>der</strong> Differenz von beobachtbar/unbeobachtbar<br />

und dafür eine Form findet.“ (Luhmann 2002, 35) Diese paradoxe<br />

Einheit <strong>der</strong> Differenz wird von Religion durch einen re-entry 73 <strong>der</strong><br />

Unterscheidung in die Unterscheidung (‚beobachtbar /unbeobachtbar‘<br />

in ‚beobachtbar‘) wie<strong>der</strong> eingeführt und „als Einheit […] mysteriös und<br />

paradox bezeichnet“. (Corsi 2008b)<br />

In diesem Zusammenhang sieht Luhmann auch die Funktion 74 <strong>der</strong> Religion.<br />

(Vgl.: Luhmann 2002, 53) Das Bezugsproblem <strong>der</strong> Religion sind<br />

die fundamentalen Paradoxien von Kommunikation, die Unbeobachtbarkeit<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Beobachtung verwendeten Unterscheidung, kurz <strong>der</strong><br />

Einheit <strong>der</strong> Differenz. Sie behandelt damit ein generelles Problem von<br />

Sinn. Es ist wichtig zu betonen, dass dieses Problem potentiell in und<br />

mit je<strong>der</strong> Kommunikation aufbrechen kann (vgl. auch: Luhmann 1990,<br />

70 Anm.: Zu Beginn definierte Luhmann noch rein über die Funktion (siehe unten),<br />

später beschritt er den Weg einer Kombination aus funktionaler und substanzieller (anhand<br />

des Codes) Religionsdefinition. (Vgl. auch: Kött 2003, 145f, sowie im Anschluss an<br />

Luhmann ein ähnlicher Versuch <strong>der</strong> Kombination: Pollack 2003, 46ff) .<br />

71 Anm.: Streng genommen ist die Welt als solche nicht beobachtbar, da sie keine Um-<br />

Welt hat und so von nichts unterscheidbar ist. Dieses ist ein Problem, was religiöse Codierung<br />

kommunikativ löst, z.B. indem ihr Gott als Beobachter gegenübergestellt wird:<br />

„Wenn man über einen Gottesbegriff verfügt, <strong>der</strong> sich von <strong>der</strong> Welt unterscheiden läßt<br />

(weil dies unverzichtbar ist, wenn man sagen will, daß Gott die Welt beobachtet), gewinnt<br />

man umgekehrt die Möglichkeit, die Welt von Gott zu unterscheiden und sie durch diesen<br />

Unterschied zu bestimmen.“ (vgl.: Luhmann 2002, 159).<br />

72 Anm.: Auch hier bezieht Luhmann sich wie<strong>der</strong> auf Spencer-Brown. Vgl.: Luhmann<br />

2002, 53ff.<br />

73 Anm.: Ebenfalls ein Begriff von Spencer-Brown. Vgl. dazu auch: Esposito 2008d.<br />

74 Anm.: Die Funktion und das Bezugsproblem, was eine Funktion zeigt, werden in<br />

den verschiedenen Arbeiten Luhmanns <strong>zur</strong> Religion unterschiedlich formuliert. Gemeint<br />

ist jedoch trotz Abweichungen prinzipiell das Gleiche. „Die verschiedenen Darstellungen<br />

des Bezugsproblems sind letztlich Anpassungen <strong>der</strong> Religionstheorie an die Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> Systemtheorie, insbeson<strong>der</strong>e die Aufnahme des logischen Kalküls Spencer-<br />

Browns“ (vgl. auch für eine nähere Analyse <strong>der</strong> unterschiedlichen Darstellungen: Kött<br />

2003, 130–42).<br />

53, Luhmann 2002, 142), also mit je<strong>der</strong> Form von Sinn gegeben ist, jedoch<br />

nicht die ganze Zeit thematisiert werden kann und muss (vgl. u.a.<br />

Luhmann 2002, 125) 75 . Das Sinnproblem als Bezugsproblem ist somit<br />

ein Problem von Paradoxie, genauer <strong>der</strong> Paradoxieentfaltung. Doch<br />

„Religion ist nicht einfach die Lösung eines Problems, das die Logik angeht“,<br />

vielmehr ist sie „<strong>der</strong> exemplarische Vollzug <strong>der</strong> Paradoxierung/<br />

Entparadoxierung, wenn immer sich dazu ein Anlaß bietet.“ (Luhmann<br />

2002, 137) 76<br />

Religiöse Kommunikation bestimmt sich durch die Orientierung am<br />

Code, o<strong>der</strong> präziser ausgedrückt: „Religion ist, was als Religion beobachtet<br />

werden kann; und dies auf <strong>der</strong> Ebene einer Beobachtung zweiter<br />

Ordnung.“ (Luhmann 2002, 308) Wie gezeigt behandelt sie das aller<br />

Kommunikation zugrundeliegende Sinnproblem und differenziert<br />

sich im Laufe <strong>der</strong> sozialen Evolution aus. 77 Dabei wird bei steigen<strong>der</strong><br />

Umweltkomplexität eine Steigerung <strong>der</strong> Eigenkomplexität <strong>zur</strong> Steigerung<br />

<strong>der</strong> Komplexitätsreduktion notwendig, wie sie beispielsweise<br />

durch die Einführung einer Kontingenzformel 78 erreicht wird. Luhmann<br />

beschränkt sich aus verschiedenen Gründen 79 auf eine exemplarische<br />

75 Anm.: An<strong>der</strong>e Funktionssysteme entwickeln ihre je eigene Form <strong>der</strong> Paradoxieentfaltung.<br />

Damit Kommunikation funktioniert muss gewährleistet sein, dass diese Sinnproblematik<br />

in an<strong>der</strong>en Systemen selbst verarbeitet werden kann.<br />

76 Anm.: Der häufig genannte Vorwurf, diese Definition wäre zu abstrakt und gleichzeitig<br />

zu eng, trifft m.E. nicht zu. Genauer betrachtet, liegt in dieser funktionalen Definition<br />

und ihrer kommunikationstheoretischen Erklärung <strong>der</strong> Funktionsweisen eine ganz<br />

konkrete Möglichkeit den kulturwissenschaftlichen Religionsbegriff von Gladigow zu<br />

präzisieren. Vgl. hierzu v.a. Abschnitt 4.1.<br />

77 Anm.: Die Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Religion beinhaltet selbstverständlich auch die<br />

Ausbildung von Programmen; ich kann hier nur darauf verweisen. Als Programme können<br />

z.B. Trancedeutungen, heilige Texte, Offenbarungen, Kommunikation mystischer Erfahrung,<br />

etc. dienen (vgl. darüber hinaus auch: Luhmann 2002, 187–225). Darüber hinaus<br />

muss ich auch darauf verzichten näher auf ein mögliches, symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium<br />

<strong>der</strong> Religion einzugehen. Ob überhaupt ein solches für das weltgesellschaftliche<br />

Funktionssystem Religion festgestellt werden kann, hielt Luhmann für<br />

umstritten (vgl.: Luhmann 2002, 201–10). Für den Versuch <strong>der</strong> Analyse eines Mediums<br />

für monotheistische Hochreligionen vgl. auch: Luhmann 2000.<br />

78 Vgl. dazu auch: Luhmann 2002, 147–86, Krause 2001a, Kött 2003, 185–96, Seibert<br />

2004, 106–10. Das Medium Sinn stellt soziale Systeme vor das Problem „endlose Verweisungsüberschüsse“<br />

zu appräsentieren. Auf die Frage wie diese „unendliche Informationslast<br />

in endliche Informationslast“ überführt werden kann, bieten Kontingenzformeln die<br />

Antwort. Luhmann 2002, 147.<br />

79 Anm.: Hauptgrund für eine Einschränkung sieht Luhmann darin, dass monotheistische<br />

Religionen und <strong>der</strong> Buddhismus die erfolgreichsten Kontingenzformeln hervorgebracht<br />

haben. Die Wahl zugunsten <strong>der</strong> monotheistischen Kontingenzformel fällt<br />

33

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