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Volltext (pdf) - Bayreuther Beiträge zur Erforschung der religiösen ...

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Moritz Klenk:<br />

Religionswissenschaft als systemische Kulturwissenschaft<br />

Überlegungen zu einer Synthese von Systemtheorie<br />

und kulturwissenschaftlicher Religionsforschung<br />

4<br />

1 Einleitung, Inhalt und Aufbau<br />

Die Religionswissenschaft in Deutschland kann auf eine bewegte Vergangenheit<br />

<strong>zur</strong>ückblicken und sich vieler berühmter Klassiker rühmen.<br />

Seit den 1970er Jahren greifen nun verschiedene turns in den Geisteswissenschaften<br />

um sich und die Kulturwissenschaften gewinnen an Bedeutung;<br />

viele Fächer und Disziplinen vollziehen eine mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

radikale Wende. 1<br />

Auch die Religionswissenschaft (und nicht nur in Deutschland) ist diesen<br />

Einflüssen ausgesetzt. In <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Entwicklungen ist es nur<br />

konsequent, dass sich eine stärker werdende kulturwissenschaftliche<br />

Religionswissenschaft etablieren konnte. Jedoch auch neuere Religionswissenschaft<br />

war nicht in <strong>der</strong> Lage, eine einheitliche Theorie o<strong>der</strong> auch<br />

nur einen weithin anerkannten Begriff von Religion zu schaffen. 2 Der<br />

Diskurs über den Gegenstand scheint in <strong>der</strong> Religionswissenschaft wie<br />

in vielen an<strong>der</strong>en Fächern symptomatisch für mo<strong>der</strong>ne Geisteswissenschaft.<br />

Zumindest in dieser, auf Religion bezogenen Hinsicht 3 zeigen Gesellschaftswissenschaften,<br />

beson<strong>der</strong>s die Soziologie, weniger fachimmanente<br />

Hemmungen. So wun<strong>der</strong>t es auch nicht, wenn ihre Theorieleistungen<br />

in vielen Bereichen <strong>der</strong> Religionswissenschaft Geltung<br />

erreichen. Die Religionswissenschaft rezipiert, wenn es z.B. um Säkularisierungstheorien<br />

geht, gerne religionssoziologische Ansätze als<br />

wären es die eigenen. 4 Jedoch handelt es sich bei solchen Nutzungen<br />

fachfrem<strong>der</strong> Theorien meist nur um Ausschnitte. Umfassende Religionstheorien,<br />

die in einem umgreifenden Kontext soziologischer Theorie<br />

stehen, werden eher gemieden. Schnell (oft zu schnell) tritt <strong>der</strong> Vorwurf<br />

1 Anm.: Zu den verschiedenen Verän<strong>der</strong>ungen im Zuge des/<strong>der</strong> cultural turns in den<br />

Geisteswissenschaftlichen Fächern siehe auch: Nünning und Nünning 2008 sowie: Bachmann-Medick<br />

2009.<br />

2 Anm.: Ob letztes Ziel von je<strong>der</strong> Religionswissenschaft sein muss sei dahingestellt –<br />

geschafft ist es zumindest nicht.<br />

3 Anm.: Die Feststellung bezieht sich lediglich auf Religion. Geht es um ihren eigenen,<br />

genuinen Gegenstand, also um den Gesellschaftsbegriff, so zeigen sich auch hier die<br />

heute scheinbar obligatorischen Definitionsverweigerungskommunikationen zu Zwecken<br />

des boundary work.<br />

4 Anm.: So finden sich u.a. im RGG unter Säkularisierung ausschließlich ausschlielich soziologische<br />

Theoretiker (vgl.: Bergun<strong>der</strong> 2004).<br />

auf, man bewege sich außerhalb des Faches o<strong>der</strong> zwischen den Stühlen.<br />

Fächer haben so ihre ganz eigenen Schutz- und Kontrollmechanismen<br />

<strong>der</strong> Identitätskonstruktion und -bewahrung entwickelt. Man kann vermutlich<br />

nicht ganz ausschließen, dass hier die Sorge um die Deutungshoheit<br />

des eigenen Gegenstandes auch eine Rolle spielt.<br />

Meines Erachtens ist eine <strong>der</strong> faszinierenden Theorien, die das vergangene<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t hervorgebracht hat, die Systemtheorie Niklas<br />

Luhmanns. Angetreten mit dem Anspruch, eine Supertheorie <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu erarbeiten (vgl.: Luhmann [1998] 1998, 11), hinterließ<br />

Luhmann mit seinem Tod 1998 einen <strong>der</strong> komplexesten Ansätze zu<br />

Erklärung sozialer Sachverhalte. Bis zuletzt beschäftigte Luhmann sich<br />

u.a. auch mit <strong>der</strong> „Religion <strong>der</strong> Gesellschaft“ und schrieb m.E. eines <strong>der</strong><br />

wichtigsten theoretischen Werke unserer Zeit über Religion (gemeint<br />

ist hier: Luhmann 2002). Wenngleich die Systemtheorie weithin Beachtung<br />

fand und beson<strong>der</strong>s zu Lebzeiten Luhmanns, riesige Hörsäle zu<br />

füllen vermochte, so ist sie trotz allem auch für soziologisch interessierte<br />

Leser und selbst für Spezialisten eine große Herausfor<strong>der</strong>ung (vgl. z.B.<br />

Pollack 1988, 1) 5 . Ihrer Komplexität, einem akademischen Rahmen, <strong>der</strong><br />

kleineren Theorieanlagen und überschaubare und kurzfristigere Forschungsdesigns<br />

begünstigt (vgl. z.B. Luhmann 2005b, 27), und nicht zuletzt<br />

<strong>der</strong> sprachlichen Hürde haben wir es vielleicht zu ‚verdanken‘, dass<br />

sich nur wenige Religionswissenschaftler 6 für diesen Zugang einsetzen 7 .<br />

5 Pollack beschreibt hier in <strong>der</strong> Vorbemerkung seiner Dissertation aus dem Jahr 1984<br />

seine eigene Lektüreerfahrungen mit Luhmanns Werk. Er vergleicht es mit einer Bergbesteigung,<br />

bei <strong>der</strong> man sich wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> kurz vor dem Gipfel wähnt, nach <strong>der</strong><br />

nächsten Biegung jedoch erkennen muss, dass es bis dort noch ein weiter Weg ist.<br />

6 Anm.: Gemeint sind hier explizit Religionswissenschaftler, keine Religionssoziologen,<br />

auch nicht solche, die ihre Arbeit selbst als Religionswissenschaft bezeichnen. Auch<br />

Theologen o<strong>der</strong> nach Selbsteinschätzung ‚religionswissenschaftlich‘ arbeitende Theologen<br />

sind hier nicht gemeint, was zu betonen für Religionswissenschaftler (beson<strong>der</strong>s kulturwissenschaftliche<br />

Religionswissenschaftler) hier und an<strong>der</strong>norts schon <strong>zur</strong> Pflicht geworden<br />

ist.<br />

7 Selbstverständlich gibt es auch in <strong>der</strong> Religionswissenschaft einige, die systemtheoretisch<br />

arbeiten o<strong>der</strong> zumindest diese Theorieanlage nicht grundsätzlich ablehnen (vgl.<br />

z.B. Berner 1982) o<strong>der</strong> einige, die systemische Begriffe zumindest als Versatzstücke (sog.<br />

‚Anwendungen’) verarbeiten. Es ist jedoch auffallend, dass kaum eine Einführung in die<br />

Religionswissenschaft o<strong>der</strong> Fachlexika und Handwörterbücher Luhmanns Systemtheorie<br />

in ihrer aktuellen Form vorstellen (vgl.: Hock 2002, Stolz 2001, Döbert 2001). Wenn Luhmann<br />

erwähnt wird, so nur das überholte Buch Funktion <strong>der</strong> Religion. Dies kann als Befund<br />

gewertet werden, <strong>der</strong> durchaus Rückschlüsse über die Rezeption und die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Theorie für die Religionswissenschaft erlaubt. Im Fachlexikon „Religion in Geschichte<br />

5

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