Krankheitswert und IV, Handout
Krankheitswert und IV, Handout
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Besonderheiten der <strong>IV</strong> (zu Folien 4-7)<br />
Sozialversicherung --> ATSG:<br />
<strong>Krankheitswert</strong> <strong>und</strong> <strong>IV</strong><br />
Art. 3 Krankheit<br />
Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Ges<strong>und</strong>heit, die<br />
nicht Folge eines Unfalles ist <strong>und</strong> die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert<br />
oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.<br />
Art. 4 Unfall<br />
Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen<br />
äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen,<br />
geistigen oder psychischen Ges<strong>und</strong>heit oder den Tod zur Folge hat.<br />
Art. 6 Arbeitsunfähigkeit<br />
Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen<br />
Ges<strong>und</strong>heit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich<br />
zumutbare Arbeit zu leisten.<br />
Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich<br />
berücksichtigt.<br />
Art. 7 Erwerbsunfähigkeit<br />
1 Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen<br />
Ges<strong>und</strong>heit verursachte <strong>und</strong> nach zumutbarer Behandlung <strong>und</strong> Eingliederung verbleibende ganze<br />
oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen<br />
Arbeitsmarkt.<br />
2 Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur<br />
vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist.2<br />
Art. 8 Invalidität<br />
Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise<br />
Erwerbsunfähigkeit.<br />
B<strong>und</strong>esgerichtsentscheide (BGE) suchen (zu Folie 8)<br />
1. über Homepage BG : http://www.bger.ch/<br />
dort kann auch über Suchfunktionen nach Begriffen, z.B. „Somatoforme Störung“ gesucht<br />
werden.<br />
2. Wenn man die BGE-Numer kennt --> googeln mit „Nummer“<br />
Beispiel eines BGE-Codes: BGE 130 V 352<br />
Auflösung: BGE<br />
B<strong>und</strong>esgerichtsentscheid<br />
Diese Veröffentlichungen sind Auszüge mit den relevanten Passagen<br />
130 Jahrgang (Seit 1874 wird jedes Jahr ein Band mit Leitentscheiden<br />
herausgegeben. 1874 = erster Jg., 130 steht somit für 2004)<br />
V<br />
römisch 5 steht für das Rechtsgebiet Sozialversicherung<br />
352 Seitenzahl im entsprechenden Band
Ab 2000 werden auch Entscheide ins Internet gestellt, welche in der amtlichen Sammlung nicht publiziert werden.<br />
Es sind dies meistens Einzelfallurteile von Bedeutung<br />
Ihr Code ist wie im folgenden Beispiel zusammengesetzt:<br />
Z.B. I 683 / 03<br />
Auflösung: I steht für <strong>IV</strong> (U stünde für Unfall)<br />
683 Laufnummer<br />
03 Jahr der Urteilsfällung<br />
Rechtsprechung zu einezlnen Krankheitsbildern:<br />
Sucht (Folie 9)<br />
Regeste (Urteil 1973)<br />
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 <strong>IV</strong>G). Rauschgiftsucht erfüllt an sich diesen Begriff nicht; sie kann jedoch<br />
invalidierende Ges<strong>und</strong>heitsschäden zur Folge haben oder ihrerseits Symptom einer geistigen Störung mit K<br />
rankheitswert sein.<br />
Bewirkte somit der Drogenkonsum selbst keinen Ges<strong>und</strong>heitsschaden, welcher eine leistungsbegründende<br />
Invalidität darstellt, so bleibt gemäss der Fragestellung des B<strong>und</strong>esamtes offen, ob die Rauschgiftsucht<br />
ihrerseits Symptom einer geistigen Störung mit <strong>Krankheitswert</strong> sei. Diese Frage ist zu verneinen ... Wenn<br />
auch nicht mit Sicherheit, so kann doch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, den<br />
beim Beschwerdegegner vorhandenen psychiatrischen Bef<strong>und</strong>en sei nicht <strong>Krankheitswert</strong> im Sinne des<br />
Invaliditätsbegriffes beizumessen.<br />
<strong>IV</strong>-fremde Faktoren (Folie 10)<br />
Regeste (Urteil 1981)<br />
Bedeutung von Alter <strong>und</strong> mangelnder Ausbildung bei der Bemessung der Invalidität. Mai 1977 erfolgen<br />
(Urteil vom 3. Juli 1978).<br />
Die Invalidenversicherung hat nicht dafür einzustehen, wenn ein Versicherter zufolge seines Alters, wegen<br />
mangelnder Ausbildung oder Verständigungsschwierigkeiten keine entsprechende Arbeit findet; die hieraus<br />
sich ergebende "Arbeitsunfähigkeit" ist nicht invaliditätsbedingt (ZAK 1980 S. 255, 279).<br />
Psychosoziale <strong>und</strong> soziokulturelle Faktoren (Folie 11)<br />
Regeste (Urteil 2001)<br />
Art. 4 Abs. 1 <strong>IV</strong>G: Psychisches Leiden. Zur Bedeutung der Behandelbarkeit einer psychischen Störung sowie<br />
der psychosozialen <strong>und</strong> soziokulturellen Faktoren für die Invalidität (Präzisierung der Rechtsprechung).<br />
...<br />
5. a) Was das "sozio-kulturelle Umfeld" als weiteren Gr<strong>und</strong> für das Unvermögen des<br />
Beschwerdeführers, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, anbetrifft, wird in der<br />
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss geltend gemacht, dass invaliditätsfremde Faktoren<br />
insofern von Bedeutung sind, als sie zur Entstehung oder Verschlimmerung des psychischen<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustandes beitragen oder den Erfolg therapeutischer Massnahmen gefährden. An dieser<br />
Auffassung ist so viel richtig, dass sich solche Umstände im Rahmen der Invaliditätsbemessung<br />
unter dem Gesichtspunkt zumutbarer Willensanstrengung zu ihrer Überwindung regelmässig nicht<br />
klar vom medizinischen Leiden selber trennen lassen. ... Es braucht in jedem Fall zur Annahme<br />
einer Invalidität ein medizinisches Substrat, das (fach)ärztlicherseits schlüssig festgestellt wird <strong>und</strong><br />
nachgewiesenermassen die Arbeits- <strong>und</strong> Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Je stärker<br />
psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergr<strong>und</strong> treten <strong>und</strong> das<br />
Beschwerdebild mitbestimmen, desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte<br />
psychische Störung von <strong>Krankheitswert</strong> vorhanden sein. ... Wo der Gutachter dagegen im<br />
Wesentlichen nur Bef<strong>und</strong>e erhebt, welche in den psychosozialen <strong>und</strong> soziokulturellen Umständen<br />
ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender<br />
psychischer Ges<strong>und</strong>heitsschaden gegeben
Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (Folien 12 ff)<br />
http://www.polyreg.ch/bgeleitentscheide/Band_130_2004/BGE_130_V_352.html<br />
130 V 352<br />
51. Auszug aus dem Urteil i.S. N. gegen <strong>IV</strong>-Stelle Bern <strong>und</strong><br />
Verwaltungsgericht des Kantons Bern<br />
I 683/03 vom 12. März 2004<br />
Regeste<br />
Somatoforme Schmerzstörungen <strong>und</strong> Invaliditätsbegriff.<br />
Eine diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung allein vermag in der Regel keine lang<br />
dauernde, zu einer Invalidität führende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1<br />
<strong>IV</strong>G zu bewirken. Umschreibung der Voraussetzungen, unter welchen ein Abweichen von diesem Gr<strong>und</strong>satz<br />
ausnahmsweise in Betracht fällt (Erw. 2.2.3; Präzisierung der Rechtsprechung).<br />
2.2.3 Das Vorliegen eines fachärztlich ausgewiesenen psychischen Leidens mit <strong>Krankheitswert</strong> - worunter<br />
anhaltende somatoforme Schmerzstörungen gr<strong>und</strong>sätzlich fallen - ist aus rechtlicher Sicht wohl Voraussetzung,<br />
nicht aber hinreichende Basis für die Annahme einer invalidisierenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (Urteil<br />
S. Vom 17. Februar 2003 [I 667/01]<br />
Die - nur in Ausnahmefällen anzunehmende - Unzumutbarkeit einer willentlichen Schmerzüberwindung <strong>und</strong><br />
eines Wiedereinstiegs in den Arbeitsprozess setzt jedenfalls das Vorliegen einer mitwirkenden, psychisch<br />
ausgewiesenen Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung <strong>und</strong> Dauer oder aber das<br />
Vorhandensein anderer qualifizierter, mit gewisser Intensität <strong>und</strong> Konstanz erfüllter Kriterien voraus.<br />
So sprechen unter Umständen (1) chronische körperliche Begleiterkrankungen <strong>und</strong> mehrjähriger<br />
Krankheitsverlauf bei unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission, (2) ein<br />
ausgewiesener sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens, (3) ein verfestigter, therapeutisch<br />
nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden<br />
Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn ["Flucht in die Krankheit"]; vgl. zum sek<strong>und</strong>ären<br />
Krankheitsgewinn hinten Erw. 3.3.2) oder schliesslich (4) unbefriedigende Behandlungsergebnisse<br />
trotz konsequent durchgeführter ambulanter <strong>und</strong>/oder stationärer Behandlungsbemühungen (auch mit<br />
unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) <strong>und</strong> gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener<br />
Motivation <strong>und</strong> Eigenanstrengung der versicherten Person für die ausnahmsweise Unüberwindlichkeit der<br />
somatoformen Schmerzstörung<br />
(= so genannte Försterkriterien)<br />
Parallele zu weiteren Krankheiten:<br />
I 70/07Urteil vom 14. April 2008 (Folie 17)<br />
.<br />
Neurasthenie <strong>und</strong> Chronic Fatigue Syndrome (chronisches Müdigkeitssyndrom) sind eindeutig den<br />
somatoformen Störungen zuzurechnen <strong>und</strong> gehören in den gleichen Syndromenkomplex wie<br />
Konversionsstörungen, Somatisierungsstörung, Schmerzstörung, Hypochondrie u.a.m. Wie bei der<br />
Fibromyalgie ist die Ätiologie des chronischen Müdigkeitssyndroms unbekannt. Zusammen mit dem<br />
Reizdarmsyndrom stellen Müdigkeitssyndrom <strong>und</strong> Fibromyalgiesyndrom (FMS) eine Symptomeneinheit dar, bei<br />
der je nach Verlauf entweder die für FMS oder CFS oder Reizdarmsyndrom typischen klinischen Zeichen im<br />
Vordergr<strong>und</strong> stehen können. Bei allen drei Zustandsbildern lassen sich ähnliche vegetative, funktionelle <strong>und</strong><br />
psychische Störungen erkennen, <strong>und</strong> auch bezüglich der Anwendung therapeutischer Strategien bestehen keine<br />
grossen Unterschiede Sozialversicherungsrechtlich ist es geboten, sämtliche pathogenetisch-ätiologisch unklaren<br />
syndromalen Beschwerdebilder ohne nachweisbare organische Gr<strong>und</strong>lage den gleichen Anforderungen zu<br />
unterstellen. Wie von der II. sozialrechtlichen Abteilung schon im Fall I 1000/06 vom 24. April 2007 erwogen,<br />
steht daher nichts entgegen, die von der Rechtsprechung im Bereich der somatoformen Schmerzstörungen<br />
entwickelten Gr<strong>und</strong>sätze (BGE 130 V 352 <strong>und</strong> seitherige) auf Chronic Fatigue Syndrome oder Neurasthenie<br />
analog zur Anwendung zu bringen.
Schleudertrauma<br />
17 V 359 Auszug aus dem Urteil vom 4. Februar 1991 (Folie 18)<br />
Ist ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule diagnostiziert <strong>und</strong> liegt ein für diese Verletzung typisches<br />
Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden wie diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations<strong>und</strong><br />
Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Visusstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität,<br />
Depression, Wesensveränderung usw. vor, so ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall <strong>und</strong><br />
der danach eingetretenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen. Es ist zu betonen, dass<br />
es gemäss obiger Begriffsumschreibung für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs genügt, wenn<br />
der Unfall für eine bestimmte ges<strong>und</strong>heitliche Störung eine Teilursache darstellt.<br />
Nach den Ergebnissen der medizinischen Forschung ist bekannt, dass bei einem Schleudertrauma der<br />
Halswirbelsäule auch ohne nachweisbare pathologische Bef<strong>und</strong>e noch Jahre nach dem Unfall funktionelle<br />
Ausfälle verschiedenster Art auftreten können. Der Umstand, dass die für ein Schleudertrauma typischen<br />
Beschwerden (vgl. Erw. 4b) in manchen Fällen mit den heute verwendeten bildgebenden<br />
Untersuchungsmethoden wie Röntgen, Computertomogramm <strong>und</strong> EEG nicht objektivierbar sind, darf nicht<br />
dazu verleiten, sie als rein "subjektive" Beschwerden zu qualifizieren<br />
Fragen <strong>und</strong> Anregungen:<br />
Paul Vogt, Dr. med., allgemeine Medizin FMH,<br />
RAD beider Basel, Wuhrmattstrasse 21, 4103 Bottmingen<br />
paul.vogt@sva-bl.ch<br />
061 425 25 52