wirkliche Übergabe
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NZ 11/2011<br />
Laurenz Liedermann,<br />
Die „<strong>wirkliche</strong> <strong>Übergabe</strong>“ im Schenkungsrecht<br />
NOTAR.AT<br />
nicht vorgesehen ist. 46 Zum anderen ist hier eine Aufklärung<br />
weniger notwendig als bei anderen gefährlichen<br />
Geschäften wie etwa der Bürgschaft, bei der die Schriftform<br />
ausreicht. 47 Auch alle übrigen unentgeltlichen Verträge<br />
unterliegen nur der Schriftform oder gar keiner<br />
Form, obwohl sie bei hohem Wert durchaus eine gewisse<br />
Gefahr in sich bergen können. 48<br />
c) Zwischenergebnis<br />
Obwohl alle vier Formzwecke auf die Schenkung passen,<br />
vermag nur der Übereilungsschutz wirklich zu überzeugen.<br />
Bei allen anderen Zwecken sprechen gewichtige<br />
Gründe gegen eine Berücksichtigung, insbesondere lässt<br />
sich mit keinem der Zwecke erklären, warum Schenkungen<br />
mit <strong>wirkliche</strong>r <strong>Übergabe</strong> nicht dem Formgebot unterliegen.<br />
Insofern ist bei der Auslegung vornehmlich<br />
auf den Warnzweck Rücksicht zu nehmen, alle anderen<br />
Zwecke sind höchstens ergänzend zu beachten.<br />
Daraus lassen sich Rückschlüsse auf das Judikat 142 ziehen.<br />
Das Erfordernis eines nach außen erkennbaren Akts<br />
lässt sich mit dem Warnzweck überhaupt nicht erklären.<br />
Es besteht keine größere Warnung für den Geschenkgeber,<br />
nur weil seine Handlung nach außen in Erscheinung<br />
tritt. Dieses Publizitätserfordernis dient höchstens Beweiszwecken.<br />
Obwohl diese zweifelsfrei für den Formzweck<br />
eine Rolle spielen, gehen sie doch nicht so weit,<br />
ihretwegen einer <strong>wirkliche</strong>n <strong>Übergabe</strong> die Gültigkeit zu<br />
versagen.<br />
Der geforderte separate Akt, bei dem der Geschenkgeber<br />
sich erneut entscheiden kann, ob er wirklich gebunden<br />
sein will, würde den Geschenkgeber hingegen in einem<br />
äußerst hohen Maß warnen. Allerdings liegt das Erfordernis<br />
nicht einmal bei der körperlichen <strong>Übergabe</strong><br />
zwingend vor, denn diese kann auch gleichzeitig ein konkludentes<br />
Schenkungsangebot sein. Auch bei der <strong>Übergabe</strong><br />
durch Besitzauflassung lässt sich meist kein separater<br />
Akt feststellen. Würde man dieses Erfordernis ernst<br />
nehmen, so würde es die Schenkungsform mehr als überstrapazieren.<br />
Es kann nicht erforderlich sein, dass der Geschenkgeber<br />
sich jedenfalls zweimal entscheiden muss.<br />
Eine wohlüberlegte Entscheidung muss ausreichend<br />
sein.<br />
2. Struktur und Wirkung<br />
der Vorschriften<br />
In weiterer Folge müssen die Struktur der Formvorschriften<br />
und die Rechtsfolge ihrer Verletzung betrachtet<br />
werden.<br />
46<br />
P. Bydlinski/Bydlinski, Gesetzliche Formgebote für Rechtsgeschäfte<br />
auf dem Prüfstand 64.<br />
47<br />
Das obwohl die Gefahr der Bürgschaft viel versteckter ist als bei<br />
der Schenkung: P. Bydlinski, Die Notariatsaktspflicht 1850 und<br />
heute, NZ 1990, 289, 292.<br />
48<br />
P. Bydlinski/Bydlinski, Gesetzliche Formgebote für Rechtsgeschäfte<br />
auf dem Prüfstand 65 f.<br />
a) Die drei Möglichkeiten der Schenkung<br />
Beim Abschluss eines Schenkungsvertrages sind drei<br />
Möglichkeiten denkbar. Wird die Schenkung in Form eines<br />
Notariatsakts abgeschlossen, so ordnet § 1 Abs 1<br />
lit d NotAktsG die (vollständige) Gültigkeit des Geschäfts<br />
an. Das heißt vor allem, dass der Beschenkte eine Leistungsklage<br />
gegen den Geschenkgeber hat und diese gerichtlich<br />
durchsetzen kann. Für die Erfüllung der Schenkung<br />
gibt es keine Einschränkungen; alle vom ABGB vorgesehenen<br />
Erfüllungsmöglichkeiten sind zulässig.<br />
Die zweite Möglichkeit ist die Schenkung ohne Notariatsakt<br />
und ohne <strong>Übergabe</strong>. Diese ist jedenfalls ungültig.<br />
Hier hat der Beschenkte keine Möglichkeit, den Vertrag<br />
gerichtlich durchzusetzen. Dies ergibt sich sowohl aus<br />
§ 1 Abs 1 lit d NotAktsG als auch aus § 943 ABGB, der<br />
diesem Fall explizit die Klagbarkeit versagt.<br />
Problematisch ist jedoch die dritte Möglichkeit, dass die<br />
Schenkung ohne Notariatsakt abgeschlossen wurde, die<br />
geschenkte Sache jedoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />
oder zu einem späteren Zeitpunkt übergeben<br />
wurde. Eine explizite Regelung für diesen Fall findet sich<br />
nicht in § 1 Abs 1 lit d NotAktsG, der diesen Fall von seinem<br />
Anwendungsbereich ausnimmt. Auch § 943 ABGB<br />
regelt diesen Fall nicht, da Satz 1 nur mündliche Schenkungen<br />
ohne <strong>Übergabe</strong>, Satz 2 hingegen nur schriftliche<br />
Schenkungen betrifft. Es ist also fraglich, wie Schenkungen<br />
ohne Notariatsakt aber mit <strong>wirkliche</strong>r <strong>Übergabe</strong> zu<br />
handhaben sind.<br />
b) Lösungsmöglichkeiten<br />
Für die dogmatische Begründung der Wirkung einer<br />
Schenkung ohne Notariatsakt aber mit <strong>wirkliche</strong>r <strong>Übergabe</strong><br />
sind drei Lösungsmöglichkeiten denkbar.<br />
i) Ausnahme von der Formpflicht<br />
Die erste und gleichzeitig naheliegendste Möglichkeit<br />
ist, dass die Schenkung mit <strong>wirkliche</strong>r <strong>Übergabe</strong> von<br />
der allgemeinen Formpflicht für Schenkungen ausgenommen<br />
ist, und folglich nach der allgemeinen Regel<br />
des § 883 ABGB formfrei abgeschlossen werden kann.<br />
Wird die Schenkung also sofort übergeben, so läge eine<br />
sog „Handschenkung“ vor, für die die Schenkungsform<br />
nicht anwendbar ist.<br />
Probleme treten auf, wenn die <strong>Übergabe</strong> nicht bereits<br />
bei Vertragsschluss erfolgt. In diesem Fall wäre das Geschäft<br />
nichtig, weil weder die Formvorschrift noch deren<br />
Ausnahme erfüllt sind.<br />
Man könnte die nachträgliche Erfüllung als erneute<br />
Schenkung qualifizieren, bei der die Ausnahme der <strong>wirkliche</strong>n<br />
<strong>Übergabe</strong> erfüllt ist. 49 Allerdings wäre hierfür eine<br />
49<br />
Nippel, Erläuterung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches<br />
für die gesamten deutschen Länder der österreichischen Monarchie<br />
(1833) 220.<br />
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