Der Kindergarten während der NS-Herrschaft - Paedagogika
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Kin<strong>der</strong>gärtnerinnen ( Praxisbeispiel S. 54, M.B.). Selbstredend jedoch wurde diesem Thema<br />
im Fachorgan des <strong>NS</strong>LB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) beson<strong>der</strong>s viel Aufmerksamkeit<br />
geschenkt, denn im Vorschulalter war <strong>der</strong> Grundstein zur Wehrerziehung zu legen!<br />
Beson<strong>der</strong>s nach dem Ausbruch des Weltkrieges 1939 wurde dies so ernst genommen, dass ein<br />
Praxisbericht mit den Worten endet : „Jetzt spielen sie nicht mehr Soldaten, jetzt sind sie<br />
Soldaten!“<br />
<strong>Der</strong> chauvinistische Zug kommt auch in <strong>der</strong> willkürlichen Umdichtung z.B. <strong>der</strong> Weinachtsgeschichte<br />
zum Ausdruck, die germanisch ausgelegt in die Nähe <strong>der</strong> Sonnwendfeier gerückt<br />
wurde: Nazareth „lag so still und ruhig im tiefen, weißen Schnee....“.<br />
Verknüpft mit dem Chauvinismus geht es auch um die Entwicklung des „rassischen Empfindens“<br />
-- dafür zeugen z.B. Bil<strong>der</strong>bücher wie „<strong>Der</strong> Giftpilz“ o<strong>der</strong> „Trau keinem Fuchs auf<br />
grüner Heid, trau keinem Jud bei seinem Eid!“, letzteres aus dem Stürmer Verlag 1936. Die<br />
Aussagen von Kin<strong>der</strong>gärtnerinnen, dass sie diese Bücher nie verwendet hätten, tröstet nicht<br />
darüber hinweg, dass es sie gab! ( S.68 & 69, M.B.)<br />
Wie stand es nun um die Mädchen- bzw. Bubenerziehung ? Ein Zitat möge die konkrete<br />
Zielsetzung in dieser Hinsicht illustrieren : „<strong>Der</strong> kleine Junge wird ja einmal ein deutscher<br />
Soldat werden, das kleine Mädchen eine deutsche Mutter. ....Wie liebevoll sorgt das kleine<br />
Gretchen für ihre Puppenkin<strong>der</strong> daheim. Das kleine Hänschen schleicht sich indessen mit<br />
einem Stein an den Spatz heran, <strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Haustür sitzt, um ihn zu töten. Hier <strong>der</strong><br />
zukünftige Vaterlandsverteidiger, dort die liebevolle zukünftige Hausfrau.“ (R.Benzing)<br />
Es gäbe noch Einiges zur Vervollständigung des Bildes zu berichten – über das Schicksal <strong>der</strong><br />
konfessionellen Kin<strong>der</strong>gärten, die letztendlich allesamt <strong>der</strong> <strong>NS</strong>V unterstellt wurden; über die<br />
Bildungsanstalten für Kin<strong>der</strong>gärtnerinnen, die ebenfalls übernommen und nationalsozialistisch<br />
ausgerichtet o<strong>der</strong> aber geschlossen wurden; über Erntekin<strong>der</strong>gärten und Betriebskin<strong>der</strong>gärten,<br />
<strong>der</strong>en Errichtung dem Grundsatz <strong>der</strong> Nationalsozialisten -- Das Kleinkind gehört in die<br />
Familie – wi<strong>der</strong>sprach, die aber in Kriegszeiten die Frauen für die Arbeit am Feld o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Fabrik freizusetzen hatten.<br />
Noch ein Gesichtspunkt scheint mir wichtig zu erwähnen : die Haltung <strong>der</strong>jenigen, die nicht<br />
für das faschistische System waren. Ganz allgemein scheint es mir, dass – abgesehen von den<br />
Wi<strong>der</strong>standskämpfern -- das Verhalten vieler Menschen darin bestand, wo es ging – man<br />
denke an die Angst vor Repression! – eine Art passiven Wi<strong>der</strong>stand zu leisten, d.h. die<br />
offizielle Erziehungsdoktrin so weit wie möglich nicht zu befolgen, mit nur den unbedingt<br />
notwendigen Anpassungen an Äußerlichkeiten.<br />
Ein Beispiel hierfür war die <strong>Kin<strong>der</strong>garten</strong>-Zeitschrift „Unsere Kin<strong>der</strong>“, damals wie heute<br />
herausgegeben von <strong>der</strong> Caritas. Mittels einer gewissen Anpassung an die herrschende Diktion<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten konnte sie den 13. März überleben und wurde erst 1939 eingestellt,<br />
offiziell um in Kriegszeiten Papier zu sparen. Den noch erschienenen Nummern des Jahres<br />
1938 kann man genau die vorhin aufgezeigte „Anpassung“ anmerken – den Versuch, am<br />
Leben zu bleiben. Diese Taktik – wenn die Vermutung stimmt! – könnte erklären, wieso es so<br />
wenige Erinnerungsspuren aus jener Zeit gibt : man tat das Unausweichliche, was sein<br />
musste, nicht mehr.<br />
Das meinte, so glaube ich, Erich Fried, als er das folgende Gedicht schrieb:<br />
Gespräch mit einem Überlebenden<br />
Was hast du damals getan<br />
Was du nicht hättest tun sollen ?