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europa<br />

ne Sonnenbrille, die ein paar Tränen<br />

verbirgt. Jetzt tut es mir leid,<br />

diesen Moment nicht mit meinem<br />

Esel teilen zu können. Die Leute<br />

schauen mich etwas komisch an,<br />

wie ich da in schmutzigen Kleidern<br />

und Wanderschuhen am Strand<br />

stehe.<br />

In der Toskana gefällt es mir<br />

wieder. Die Felder liegen trocken in<br />

der Sommerhitze, die Ernte ist eingebracht,<br />

vereinzelt ziert ein Baum<br />

eine Hügelkuppe, und Zypressen<br />

säumen die Wege. Immer wieder<br />

kommen wir durch kleine Dörfer,<br />

die man schon von Weitem auf einem<br />

Hügel erkennt. Mit ihren Festungen<br />

und alten Stadtmauern haben sie eine<br />

besondere Ausstrahlung. Es ist nun August. Da<br />

es tagsüber gut 40 Grad heiss wird, krieche ich<br />

jeweils schon morgens um fünf Uhr aus dem<br />

Zelt, um noch vor Sonnenaufgang unterwegs<br />

zu sein. Gegen zehn Uhr suche ich dann bereits<br />

einen neuen Übernachtungsplatz und versuche,<br />

irgendwo Heu aufzutreiben, weil in dieser<br />

Gegend nichts mehr grün ist. Zwischen zwei<br />

und vier Uhr Nachmittags, wenn die Hitze am<br />

schlimmsten wird, sucht sich Pippo einen<br />

schattigen Platz unter einem Olivenbaum, und<br />

ich lege mich dazu. Tagebuch schreiben und<br />

Nichtstun sind angesagt. Von den anfänglich<br />

um 25 Kilometer langen Tagesetappen sind wir<br />

auf etwa 10 Kilometer runtergekommen.<br />

Das Unterwegssein ist<br />

mittlerweile zum Alltag geworden,<br />

es geht nicht mehr darum,<br />

nur Distanz zurückzulegen.<br />

An einem Morgen, als wir<br />

durch ein Dorf wandern, kommt<br />

ein Mann, begleitet von seinem<br />

Hund und mit einem grossen<br />

Rucksack am Rücken auf uns zu<br />

und will wissen, woher wir kommen.<br />

Seine Gesellschaft bietet<br />

eine gute Gelegenheit, eine<br />

Pause einzulegen. Peter ist vor<br />

drei Jahren aus Afrika hier in<br />

Italien angekommen. Schon seit<br />

37 Jahren zieht er umher und ist<br />

nun auf dem Weg nach Hause, nach Holland.<br />

Er rechnet damit, in etwa zwei Jahren dort anzukommen,<br />

um seinen Pass zu erneuern und<br />

dann weiter nach Venezuela zu fliegen. Ein sehr<br />

spannender Mensch, der mir in den paar Stunden<br />

viele nützliche Tricks und Tipps fürs Unterwegssein<br />

verraten hat. Als wir uns verabschieden,<br />

lässt er sich nicht wie alle anderen zu<br />

einem «Pass auf dich auf» hinreissen, sondern<br />

sagt einfach: «Bleib offen!» Ist das nicht wirklich<br />

das wichtigste im Leben? Offen bleiben für<br />

alles.<br />

Einmal Rom und zurück. Schritt für Schritt<br />

nähern wir uns Lazio, der letzten Provinz unserer<br />

Reise. Der «Grenzübertritt» ist wieder<br />

mit einem Kulturschock verbunden. Als ich<br />

auf der Suche nach Wasser und<br />

etwas Schatten an eine Türe<br />

klopfe, werde ich einfach weggeschickt.<br />

Ich ziehe ungläubig<br />

weiter. Ein Anstoss, um mir erneut<br />

Gedanken über unsere<br />

Wanderzukunft zu machen. Jeden<br />

Tag neu ins Ungewisse aufzubrechen<br />

und immer auf der<br />

Suche zu sein nach einem Platz<br />

zum Übernachten, nach Wasser<br />

und Futter für Pippo, waren<br />

am Anfang der Reise Teil des<br />

Abenteuers. Nun strengen<br />

mich diese Dinge zunehmend<br />

an, und ich beschliesse, dass bald Schluss ist.<br />

Nach Rom werde ich mir keine neue Destination<br />

ausdenken.<br />

Am Lago Bolsena geniesse ich wieder Mal<br />

ein Säuberungsbad. Mit Pippo an diesem wunderbaren<br />

See zu stehen, betrachte ich als kleine<br />

Entschädigung, dass wir nie zusammen am<br />

Meer waren. In Monterosi, nach rund 1500 gemeinsamen<br />

Kilometern, finde ich einen Pferdestall,<br />

dessen Besitzer sich bereit erklärt,<br />

Pippo für zwei Tage zu beherbergen. Bin ich<br />

schon bis hierher gewandert, will ich mir Rom<br />

nicht entgehen lassen. Pippo aber will ich die<br />

Grossstadt ersparen.<br />

So stehe ich am nächsten Morgen früh auf.<br />

Es widerstrebt mir richtig, ohne Pippo aufzubrechen.<br />

Zum Abschied gibts eine Karotte, einen<br />

Kuss und das Versprechen,<br />

morgen zurück zu sein. So schnell<br />

es geht, marschiere ich auf direktestem<br />

Weg die 30 Kilometer bis vor<br />

die Tore Roms und quartiere mich<br />

das erste Mal in den 105 Tagen in<br />

einem Hotel ein. Ein richtiges Bett,<br />

das hatte ich lange nicht! Am folgenden<br />

Tag nehme ich noch die<br />

letzten 15 Kilometer unter die Füsse<br />

und warte bei einem Brunnen auf<br />

Christoph, einen Pilger aus Solothurn,<br />

dem wir vor einigen Tagen<br />

über den Weg gelaufen sind. Wir<br />

haben abgemacht, dass wir gemeinsam<br />

die letzten Schritte auf den<br />

Petersplatz machen wollen. Meine Gefühle,<br />

als ich tatsächlich auf dem Petersplatz stehe,<br />

sind unbeschreiblich. Ich ziehe das Armband<br />

von Marlene, welches mich durch Kälte, Wind<br />

und Gewitter, Hitze und Trockenheit begleitet<br />

hat, aus, und nach einem kurzen Sightseeing<br />

schnappe ich mir den nächsten Bus zurück<br />

nach Monterosi.<br />

Ich bin froh, meinen Esel wieder zu sehen.<br />

Nach weiteren zwei Tagen kommen meine Eltern<br />

mit dem Pferdetransporter an. Nun heisst<br />

es, die 800 Kilometer zurückzufahren. Wir machen<br />

unterwegs eine Nacht halt, damit Pippo<br />

nicht so lange am Stück im Transporter stehen<br />

muss. Während meine Eltern sich in einem Hotel<br />

einquartieren, lege ich mich mit meiner<br />

Matte in den Transporter, Pippo draussen angebunden.<br />

Zuhause angekommen, kann er<br />

erstmals wieder das saftige Schweizer Gras fressen.<br />

Ob er das wohl vermisst hat?<br />

Wie immer, wenn man von einer grossen<br />

Reise zurückkehrt, ist schnell alles wieder beim<br />

Alten, nur selber ist man nicht mehr dieselbe.<br />

Dieses Abenteuer hat mich, wie auch Pippo (da<br />

bin ich mir sicher!) geprägt. Astrid übergebe<br />

ich die 1000 Franken, noch ehe ich ihr richtig<br />

Hallo sage. Um nichts in der Welt trenne ich<br />

mich nach diesem Abenteuer von meinem kleinen<br />

grauen Freund. sabi.keller@gmx.ch<br />

Nachtrag: Damit es Pippo nach all den Abenteuern<br />

nicht langweilig wird, zieht schon nach<br />

wenigen Tagen eine Eselfreundin in seinen Stall.<br />

© <strong>Globetrotter</strong> Club, Bern<br />

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