01.05., 10:15 Uhr, Johannes 21, 1-14, Pfr. Sigloch
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Gottesdienst am 01. Mai 2011<br />
Kreuzkirche RT<br />
Predigttext <strong>Johannes</strong> <strong>21</strong>1-<strong>14</strong> – Pfarrer Stephan <strong>Sigloch</strong><br />
I. Text Joh <strong>21</strong>,1-<strong>14</strong><br />
Später zeigte sich Jesus seinen Jüngern noch einmal am See von Tiberias. Das geschah so: Einige<br />
von ihnen waren dort am See beisammen - Simon Petrus, Thomas, der auch Zwilling genannt<br />
wurde, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne von Zebedäus und zwei andere Jünger. Simon<br />
Petrus sagte zu den anderen: »Ich gehe fischen!« »Wir kommen mit«, sagten sie. Gemeinsam<br />
gingen sie zum See und stiegen ins Boot; aber während der ganzen Nacht fingen sie nichts.<br />
Als es aber Morgen wurde, da stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus<br />
war. Er redete sie an: »Kinder, habt ihr nicht ein paar Fische?« »Nein, keinen einzigen!«<br />
antworteten sie. Er sagte zu ihnen: »Werft euer Netz an der rechten Bootsseite aus! Dort werdet ihr<br />
welche finden.« Sie warfen das Netz aus und fingen so viele Fische, daß sie das Netz nicht ins Boot<br />
ziehen konnten. Der Jünger, den Jesus besonders lieb hatte, sagte zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als<br />
Simon Petrus das hörte, warf er sich das Obergewand über, band es hoch und sprang ins Wasser. Er<br />
hatte es nämlich zum Arbeiten abgelegt. Die anderen Jünger ruderten das Boot an Land - es waren<br />
noch etwa hundert Meter - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.<br />
Als sie an Land gingen, sahen sie ein Holzkohlenfeuer mit Fischen darauf, auch Brot lag dabei.<br />
Jesus sagte zu ihnen: »Bringt ein paar von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt!« Simon<br />
Petrus ging zum Boot und zog das Netz an Land. Es war voll von großen Fischen, genau<br />
hundertdreiundfünfzig. Aber das Netz riss nicht, obwohl es so viele waren.<br />
Jesus sagte zu ihnen: »Kommt her und esst!« Keiner von den Jüngern wagte zu fragen: »Wer bist<br />
du?« Sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat zu ihnen, nahm das Brot und verteilte es unter<br />
sie, ebenso die Fische.<br />
Dies war das dritte Mal, dass sich Jesus seinen Jüngern zeigte, seit er vom Tod auferstanden war.<br />
II. Anknüpfung<br />
Von meiner Großmutter mütterlicherseits – Johanna hieß sie, zeitlebens eine bescheidene Frau,<br />
die ich heute Manches zu fragen hätte – ist mir außer ein paar Erinnerungen 'nur' ein greifbares<br />
Andenken geblieben: Ein Buch mit Predigten des früheren Reutlinger Prälaten Theophil Askani –<br />
erschienen vor knapp 30 Jahren zum 1. Advent 1981, etliche Wochen, bevor Prälat Askani seinem<br />
Krebsleiden erlag.<br />
Der Titel dieser Predigtsammlung stammt aus dem Predigttext dieses Sonntags: „Da es aber jetzt<br />
Morgen war, stand Jesus am Ufer“. Zum Sonntag nach Ostern 1981 – das war damals der 26. April –<br />
hat Prälat Askani über diesen Text eine eindrucksvolle Rundfunkpredigt gehalten.<br />
Als ich das Buch geerbt habe, habe ich nicht geahnt, dass ich einmal Gemeindepfarrer in<br />
Reutlingen sein würde – wahrscheinlich (das weiß ich aber nicht mehr genau) habe ich es<br />
bekommen, als ich „Zivi“, Zivildienstleistender war in der Grafischen Werkstätte der Gustav-<br />
Werner-Stiftung – unten auf dem alten Bruderhaus-Gelände, wo jetzt längst der ZOB ist und wo<br />
zur Zeit die neue Stadthalle gebaut wird.
Prälat Askani hat damals, den eigenen Tod wohl schon deutlich vor Augen, sehr eindrucksvolle<br />
und sehr eindrückliche Worte gefunden in der Auslegung dieser Ostertextes: Dem frustrierenden<br />
Satz „in dieser Nacht fingen sie nichts“ hat er den hoffnungsvollen Satz gegenüber gestellt „Als es<br />
aber jetzt Morgen war stand Jesus am Ufer“. Auch im Abstand von 30 Jahren berühren seine<br />
Worte ungemein.<br />
Wer kennt nicht die Erfahrung der Jünger, die in unserem Text beschrieben ist mit den Worten:<br />
„... in dieser Nacht fingen sie nichts“. Und wer ahnt nicht den tiefen Trost, der in dem scheinbar so<br />
beiläufigen Satz steckt: „Als es aber jetzt Morgen war stand Jesus am Ufer“ ….? Für einen<br />
„normalen, kleinen Pfarrer“ ist die Versuchung natürlich groß, den berühmten Prälaten in einer<br />
Predigt über diesen Text einfach zu zitieren – wie ich es vor 6 Jahren hier in der Kreuzkirche<br />
weitgehend auch gemacht habe.<br />
III. Herausforderung<br />
Alle sechs Jahre wiederholen sich die Predigttexte. Die Versuchung war in diesem Jahr wieder<br />
groß! Ich habe aber gespürt, dass ich nicht einfach wiederholen kann, was ich vor einigen Jahren<br />
schon gepredigt habe – auch wenn es natürlich ein Gedanke ist, den auch regelmäßige Kirchgänger<br />
immer wieder bewegen:<br />
Die Pfarrer haben's ja leicht: die Texte wiederholen sich und es sind immer wieder dieselben …<br />
da muss ein Pfarrer ja irgendwann nur noch die alten Predigten wieder heraus ziehen!<br />
Gerade nach Feiertagen mit Ferien ist die Versuchung größer es so zu machen. Aber es gelingt<br />
dann in der Regel doch nicht! Beim Lesen einer Predigt, die einige Jahre alt ist, merke ich: Das kann<br />
ich und will ich so nicht mehr sagen. So ging es mir auch in den letzten Tagen mit diesem Text –<br />
obwohl ich mich vor Jahren deutlich an die Auslegung von Prälat Askani angelehnt habe: es war<br />
aber eine längerer Prozess für mich, dem auf die Spur zu kommen, warum ich das so nicht mehr<br />
wiederholen kann oder will.<br />
Die Herausforderung jeder Predigtvorbereitung besteht darin, sich möglichst so in einen Text<br />
hinein zu finden oder ihn sich so anzueignen, dass er Fragen provoziert und uns als Prediger auf<br />
eine immer neue Suche nach Antworten schickt – und eine Predigt ist dann der Versuch, die neuen<br />
Gedanken und Erkenntnisse in Worte zu fassen.<br />
Wer sich also für Prälat Askanis Auslegung interessiert, kann sie in den nächsten Tagen im<br />
Gemeindebüro bestellen – Frau Bender wird sie kopieren und Sie können sie dort abholen. Ich<br />
sage Ihnen heute, was mich im Umgehen mit dem Text in den letzten Tagen bewegt und heraus<br />
gefordert hat!<br />
IV. Nach-träglich<br />
Haben Sie noch die Lesung vorhin im Ohr - die letzten beiden Sätze, die KGR Hannes Beyer<br />
gelesen hat? Der Bericht über die Erscheinung des auferstandenen Jesus und dann seine<br />
Begegnung mit dem zweifelnden Thomas endet mit Worten, die für alle nach-österlichen Christen<br />
gelten: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ - und direkt danach schließt der Bericht des<br />
Evangeliums mit den Worten: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht
geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der<br />
Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“<br />
Mit Kapitel <strong>21</strong> kommt dann aber noch ein Nachtrag. Ein „PS“, ein „Post Scriptum“ …! Wer ab und<br />
zu einen Brief schreibt, kennt das: Ein Brief ist fertig geschrieben – aber ich habe es nicht sofort<br />
geschafft, ihn zur Post zu bringen. Bevor ich ihn los schicken kann, gibt es Neuigkeiten, die als<br />
Nachtrag noch dazu gehören und die nicht warten können bis zu einem nächsten Brief.<br />
So ein Nachtrag ist Kapitel <strong>21</strong> im JohEv. Diesen Nachtrag finde ich sehr hilfreich, denn er zeigt: Die<br />
Ostergeschichte geht in unserem Alltag leicht unter. Von Ostern bleibt in unserem Alltag wenig<br />
übrig: darum feiern wir Sonntag für Sonntag Gottesdienst – damit Ostern gegenwärtig bleibt in<br />
unserem Leben tragen wir immer wieder etwas nach.<br />
Es reicht nicht, dass wir die Geschichten von Jesus kennen, es reicht nicht, dass wir Ostern<br />
gefeiert haben – es bleibt so wenig übrig, dass wir immer neu nach-tragen, dass wir immer wieder<br />
erzählen müssen.<br />
Wenn jemand „nachtragend“ ist, dann ist das ja in der Regel kein Kompliment. Positiv aber meint<br />
„nach-tragend“: Es soll etwas nicht in Vergessenheit geraten. Und das sollte auch nicht mit einer<br />
Geschichte passieren, die damals erzählt wurde, obwohl das Evangelium schon aufgeschrieben<br />
war.<br />
V. Fülle von Themen<br />
Wer eine umfassende Auslegung des Nachtrags versucht, hat eine Fülle von Themen zu<br />
bedenken:<br />
Wie ist das mit Petrus – nach der Verleugnung? Die Frage wird bedacht und am Ende (im<br />
nächsten Abschnitt) auch geklärt.<br />
Es ist erkennbar, dass in der nachösterlichen Gemeinde zur Zeit des Nachtrags (vermutlich in<br />
Ephesus) die Frage wichtig war, wer von den Jüngern als Autorität gelten konnte: Neben Petrus<br />
war der sog. „Lieblingsjünger“ eine wichtige Autorität. Und es ist auch erkennbar, dass es<br />
verschiedene christliche Kreise gegeben hat, die sich jeweils auf eine Autorität – einen Jünger etwa<br />
– berufen haben. Der Nachtrag versucht, den verschiedenen Gruppierungen einen Platz<br />
einzuräumen und zu lassen.<br />
Es gibt noch weitere Themen: Der Fang, die vielen Fische, das Netz, das nicht zerreißt – wir<br />
könnten darin die großen Themen der jungen Christenheit vermuten: Mission, die Universalität des<br />
Glaubens, die unzerstörbare Einheit der jungen Christenheit … Themen, die für die ersten Christen<br />
und die ersten Gemeinden sicher eine große Rolle gespielt haben.<br />
VI. ... nicht sehen und doch glauben“?<br />
Mich haben in diesem Jahr vor allem zwei Beobachtungen fasziniert und beschäftigt. Die erste<br />
Beobachtung dreht sich um das Wort „sehen“ - es zieht sich durch die Schriftlesung und den<br />
anschließenden Predigttext und ist in beiden zentral: Zunächst begegnet der auferstandene Jesus<br />
seinen Jüngern, zeigt ihnen seine Hände und seine Seite. Da wissen sie: Es ist Jesus. „Da wurden
die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“. Danach erzählen sie Thomas davon: „Wir haben den<br />
Herrn gesehen!“ Der aber ist so leicht nicht zu überzeugen – das Sehen allein reicht ihm nicht:<br />
„Wenn ich ihn nicht sehen und begreifen kann, kann ich nicht glauben, was ihr erzählt ….“.<br />
Die Frage vieler neuzeitlichen Menschen ist offenbar so neu nicht, sondern spielt von Anfang an<br />
eine Rolle. Schließlich aber begegnet Jesus auch Thomas. Und er sieht nicht nur, sondern kann<br />
auch fassen und greifen – und damit erfassen und begreifen. Wer heute sagt „Ich glaube nur was<br />
ich sehe!“ ist demnach nicht sehr modern – sondern ein Nachfolger des zweifelnden Thomas, der<br />
für alle Zweifler den Auferstandenen nicht nur gesehen, sondern ihn auch berührt hat und davon<br />
berührt und verändert worden ist.<br />
Am Ende des ursprünglichen Evangeliums steht dann eben das Wort: „Selig sind, die nicht sehen<br />
und doch glauben“ - das ist die Herausforderung für alle nach-österlichen Christen – für alle, denen<br />
die Ostererfahrung nachgetragen werden muss, damit sie nicht in Vergessenheit gerät, für uns alle,<br />
die wir sonntags zum Gottesdienst kommen und Ostern „er-innern“.<br />
VII. „... sie wussten, dass es der Herr war“<br />
„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ - die zweite faszinierende Beobachtung knüpft<br />
daran an; sie steckt in dem Satz: „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist<br />
du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.“<br />
An dem Satz habe ich zu knabbern, denn er atmet so viel Wahrheit und ist doch kaum zu<br />
erklären: keiner fragt ihn „Wer bist du?“, denn auf eine besondere Weise „wissen“ sie, wer er ist.<br />
Warum fragt keiner? Trauen sie sich nicht? Die Jünger fragen nicht deswegen nicht, weil es ihnen<br />
peinlich wäre. Das ist mir aus der Geschichte klar. Wenn sie Angst vor Peinlichkeiten hätten, dann<br />
hätten sie sicherlich nicht am Morgen noch einmal das Netz ausgeworfen, nur weil ein daher<br />
gelaufener Mann am Ufer das gesagt hat.<br />
Sie waren ihr Leben lang Fischer und wussten: Wir haben heute Nacht nichts gefangen – dann ist<br />
die Chance auf einen Fang heute vorbei. Sie haben trotzdem das Netz noch einmal ausgeworfen –<br />
sie haben offenbar keine Angst gehabt, sich zum Deppen zu machen. Also müsste es für Einen von<br />
ihnen doch ein Leichtes gewesen sein, den Fremden, der sie zum Frühstück eingeladen hat, zu<br />
fragen: „Wer bist du?“<br />
Sie fragen nicht, weil sie „wissen“, wer er ist. Ihre Vernunft, ihr Verstand, ihre Erinnerung haben<br />
viele Fragen parat. Und sie können es nicht erklären – aber sie „wissen“, wen sie da vor sich haben.<br />
Es ist ein „Wissen“ jenseits ihrer Vernunft, eine Gewissheit, die sie nicht erklären können. Dort<br />
am Feuer wird keiner der Fischer an die Worte Hiobs gedacht haben: „Ich weiß, dass mein Erlöser<br />
lebt“ (Hiob 19,25) - aber es ist diese Art von „Wissen“, die sie hindert zu fragen.<br />
Manchmal begegnen wir Menschen, die wir noch nie getroffen haben. Und wir spüren sofort,<br />
dass wir uns verstehen (oder auch, wenn wir uns nicht verstehen): So eine Art „Wissen“ ist das,<br />
eine „Gewissheit“ jenseits 'vernünftiger' Erklärungen.<br />
Junge Eltern mit ihrem ersten Kind – sie spüren, was das Richtige ist für ihr Kind, ohne dass sie es<br />
erklären könnten: Sie „wissen“ es.
Frisch Verliebte können nicht erklären, was sie an dem/der Geliebten so anzieht – sie „wissen“ es<br />
auf eine besondere Weise, auch wenn dafür die Worte und Erklärungen fehlen.<br />
Manchmal sind wir absolut sicher, was das Richtige ist – ohne, dass wir einen Moment darüber<br />
nachgedacht haben – so eine Art „Wissen“ ist es: Sie müssen nicht fragen, sie wissen, dass er es ist.<br />
Beim Lesen des Satzes „Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du?<br />
Denn sie wussten, dass es der Herr war“ habe ich gespürt: Das ist die Richtung, in der der Glaube<br />
sucht, das ist die Richtung unserer Sehnsucht – dieses „Wissen“, solche „Gewissheit“ jenseits aller<br />
Erklärungen. Kaum möglich, darüber zu predigen - denn ich finde die Worte nicht, die erklären und<br />
beantworten wie eine Gebrauchsanweisung.<br />
Aber ich spüre, dass das die Richtung ist, in der ich suchen muss, wenn die Begegnung mit dem<br />
Auferstandenen zugleich Begegnung mit meiner Sehnsucht, meinen Fragen und mit mir selber sein<br />
soll – die Richtung in der ich gehen muss, wenn der Glaube an den Auferstandenen Antwort sein<br />
soll auf alle Fragen, wo Ostern auf unerklärliche Weise hinein leuchtet in meinen Alltag, wo Gott<br />
mir ein-leuchtet und mein Leben hell wird - noch bevor die alltäglichen Dinge alle zum Guten<br />
gewendet und verändert sind.<br />
„Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es<br />
der Herr war“ - wenn einer ihn fragt „wer bist du?“, dann deswegen, weil die Vernunft die<br />
Gewissheit unterdrückt.<br />
VIII. „Es ist der Herr!“<br />
„.... sie wussten, dass es der Herr war“ - im Zentrum des ganzen Textes steht eindeutig ein kurzer<br />
Satz: „Es ist der Herr!“ - Ausdruck einer österlichen Begegnung! Das ist so wichtig, dass es<br />
unbedingt nachgetragen werden muss!<br />
„Es ist der Herr!“ - Das ist die Osterbotschaft im Alltag. Sie wird laut an unerwarteten Orten, zu<br />
unerwarteten Zeiten und immer wieder auch in Begegnungen, von denen wir nichts erwarten: „Es<br />
ist der Herr!“<br />
Der sterbenskranke Prälat Askani fand diese Gewissheit in dem Satz „Als es aber Morgen wurde,<br />
da stand Jesus am Ufer“ - für ihn eine Zusage: Ob die Nacht vergeblich war mit all ihren<br />
Anstrengungen und Mühen, er „wusste“, er war gewiss: Am Ufer, am Morgen erwartet mich nicht<br />
irgendwer, sondern der auferstandene Jesus Christus. Er war gewiss – und wir?<br />
Der Weg dorthin – oder wenigstens in diese Richtung - fordert uns heraus! Denn es reicht nicht,<br />
dass wir die alten Texte wieder und immer wieder neu lesen und zu verstehen suchen.<br />
Osterberichte können wir nicht „lernen“ und uns dadurch zu eigen und zur eigenen Gewissheit<br />
machen.<br />
An der Stelle bleibe ich hängen. An der Stelle hilft Erklären nicht weiter.<br />
Jörg Zink (*1922; Pfarrer, Buchautor, Liederdichter) hat geschrieben (in: „Dornen können Rosen<br />
tragen. Mystik – die Zukunft des Christentums“ [Stuttgart 1997, S. 26]): „Unser landläufiges Christentum<br />
krankt an einem Mangel an gegenwärtiger Erfahrung, und nichts ist so dringend wie dies, dass wir<br />
die Quelle der eigenen religiösen Erfahrung finden und öffnen. Denn der christliche Glaube ist ja<br />
kein Lehrstoff, den einer auswendig lernt und den man dann abfragt. Er bildet sich vielmehr in
vielen Erlebnissen, in Begegnungen mit vielen Menschen und ihren Schicksalen und im Horchen auf<br />
sehr viele Stimmen auch in uns selbst. Erfahrung ist eine der stärksten Quellen unserer Kraft. Erfahren<br />
heißt wörtlich: 'durch Fahren gewinnen', nämlich dadurch, das man sich selbst auf die Reise<br />
begibt, auf die Suche nach Wahrheit und Sinn, auf die Suche nach Gott und seiner Nähe“.<br />
Solches „Er-fahren“ kommt an sein Ziel, wo wir „gewiss“ sagen: „Es ist der Herr!“ - auch wenn der<br />
Weg dorthin für uns jeweils sehr unterschiedlich sein kann.<br />
Warum ist der Weg nicht für alle Menschen gleich? Paulo Coelho erzählt eine Geschichte (in: Der<br />
Wanderer, Zürich 1998, S. 47f), die das beantworten kann:<br />
„Eines Morgens, als Buddha inmitten seiner Schüler saß, trat ein Mann hinzu. „Gibt es Gott?“,<br />
fragte er. „Es gibt ihn“, antwortete Buddha.<br />
Nach dem Mittagessen kam ein anderer Mann. „Gibt es Gott?“, fragte er. „Nein, es gibt ihn<br />
nicht“, sagte Buddha.<br />
Am Abend kam ein dritter Mann, der dieselbe Frage stellte: „Gibt es Gott?“ „Das musst du selber<br />
entscheiden, antwortete Buddha.<br />
„Meister, das ist absurd“, sagte einer seiner Schüler. „Wie könnt ihr auf ein und dieselbe Frage<br />
verschiedene Antworten geben?“ - „Weil es unterschiedliche Menschen sind, die mir die Frage<br />
stellen“, antwortete der Erleuchtete. „Ein jeder nähert sich Gott auf seine Weise: durch die<br />
Gewissheit, die Negation und den Zweifel“.<br />
Der Weg ist möglicherweise sehr unterschiedlich – und war es immer schon. Schon im Text: Der<br />
eine Jünger erkennt ihn bald, der nächste, weil er gesagt bekommt: „Es ist der Herr!“ und die<br />
anderen spüren es schließlich, als sie miteinander essen … am Ende verbindet sie die Erfahrung<br />
und das „Wissen“: „Es ist der Herr!“<br />
Diese Gewissheit verbindet sie zu einer Gemeinde – zu einem großen Netz, das nicht zerreißt:<br />
„Es ist der Herr!“ - unser persönlicher Glaube, unsere Gemeinschaft als Gemeinde und Kirche, die<br />
Ökumene aller Christen und die Verantwortung für die Welt und die Schöpfung haben darin ihren<br />
tiefsten Grund: „Es ist der Herr!“<br />
Amen.