Postprivatisierung in Japan: Eine kritische Würdigung
Postprivatisierung in Japan: Eine kritische Würdigung
Postprivatisierung in Japan: Eine kritische Würdigung
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JAPAN aktuell 501 Dezember 2004<br />
Anja Walke<br />
<strong>Postprivatisierung</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Japan</strong>:<br />
E<strong>in</strong>e <strong>kritische</strong><br />
<strong>Würdigung</strong><br />
Gliederung:<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
2 Die japanische Post<br />
3 H<strong>in</strong>tergründe für die Privatisierung der Post<br />
3.1 Ökonomische H<strong>in</strong>tergründe<br />
3.2 Politische H<strong>in</strong>tergründe<br />
4 Stand der <strong>Postprivatisierung</strong><br />
5 Kritische <strong>Würdigung</strong> des Kab<strong>in</strong>ettsbeschlusses zur<br />
<strong>Postprivatisierung</strong><br />
6 Fazit und Ausblick<br />
Literatur<br />
1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Deregulierung (kisei kanwa 1 ) und Privatisierung (m<strong>in</strong>’eika)<br />
s<strong>in</strong>d Themen, die auch <strong>in</strong> <strong>Japan</strong> seit den-80er Jahren<br />
an Bedeutung gewonnen haben. Beide genießen im Reformprogramm<br />
des amtierenden japanischen Regierungschefs<br />
Jun’ichirô Koizumi hohe Priorität 2 . Deregulierung<br />
wie Privatisierung zielen <strong>in</strong> die gleiche Richtung: Durch<br />
den angestrebten Kurswechsel <strong>in</strong> Richtung Marktöffnung<br />
soll der Wettbewerbsdruck erhöht und Anreize zu e<strong>in</strong>er<br />
effizienteren Handlungsweise gesetzt werden.<br />
In <strong>Japan</strong> wurden bereits <strong>in</strong> den 80er-Jahren bedeutende<br />
Privatisierungsschritte e<strong>in</strong>geleitet, so etwa bei der nationalen<br />
Telefongesellschaft NTT, den Staatseisenbahnen<br />
(heute <strong>Japan</strong> Rail (JR), vormals <strong>Japan</strong> National Railways<br />
(JNR) bzw. kokutetsu) und dem Salz- und Tabakmonopol.<br />
H<strong>in</strong>ter den Privatisierungen der 80er-Jahre stand vor allem<br />
die angestrebte f<strong>in</strong>anzielle Entlastung der öffentlichen<br />
Haushalte, da die staatlichen Defizite <strong>in</strong>folge der Ölkrisen<br />
stark angewachsenen waren. Bei der Staatseisenbahn kam<br />
als weiteres Motiv h<strong>in</strong>zu, dass die Regierung mit der Aufspaltung<br />
e<strong>in</strong>en Schlag gegen die mächtige Eisenbahnergewerkschaft<br />
führen wollte (Pascha 2003:144–145).<br />
1 Der japanische Begriff kisei kanwa bedeutet wörtlich e<strong>in</strong>e „Erleichterung<br />
der Regulierung “, nicht aber notwendigerweise deren<br />
Abschaffung.<br />
2 Koizumis Reformprogramm steht u.a. unter dem Motto, „to leave<br />
to the private sector what the private sector can do “.<br />
Auch die Diskussion um die Privatisierung der Post (yûsei<br />
m<strong>in</strong>’ei-ka) ist nicht neu. Bereits Mitte der 90er-Jahre<br />
war im Kab<strong>in</strong>ett Hashimoto im Rahmen e<strong>in</strong>er Verwaltungsreform<br />
über e<strong>in</strong>e Neustrukturierung des Postwesens<br />
debattiert worden. Ergebnis dieser Debatte war unter anderem<br />
die 1997 beschlossene und im April 2003 erfolgte<br />
Umwandlung der staatlichen Postal Services Agency<br />
von e<strong>in</strong>er Behörde <strong>in</strong> e<strong>in</strong> öffentliches Unternehmen (<strong>Japan</strong><br />
Post Corp.).<br />
Mit dem Amtsantritt von Regierungschef Koizumi im<br />
Frühjahr 2001 gewann das Thema wieder verstärkt an<br />
Gewicht. Koizumi erklärte die <strong>Postprivatisierung</strong> zum<br />
„Herzstück “ se<strong>in</strong>er Reformpolitik („heart of my reforms “)<br />
und leitete umgehend Schritte zur Neustrukturierung des<br />
Postsystems e<strong>in</strong>. Auf se<strong>in</strong>e Anweisung h<strong>in</strong> erarbeitete<br />
der Rat für Wirtschafts- und Fiskalpolitik (keizai zaisei<br />
shimon kaigi) e<strong>in</strong>en Entwurf für die Privatisierung der<br />
Postdienste (Postzustellung, Postsparen, Postlebensversicherung),<br />
dem das Kab<strong>in</strong>ett am 10. September 2004<br />
zustimmte – und das trotz massiven Widerstands aus<br />
den Reihen der regierenden Liberaldemokratischen Partei<br />
(LDP). Damit ist die grundlegende Richtung für die<br />
Privatisierung mittlerweile klar. Bis Jahresende wird nun<br />
e<strong>in</strong>e Arbeitsgruppe unter Leitung Koizumis e<strong>in</strong>e Gesetzesvorlage<br />
formulieren, die im Januar 2005 <strong>in</strong>s Parlament<br />
e<strong>in</strong>gebracht werden soll. Gel<strong>in</strong>gt die Privatisierung, wäre<br />
dies nach Ansicht zahlreicher Ökonomen und auch der<br />
japanischen Regierung die bedeutendste strukturelle Reform<br />
seit der Meiji-Zeit (1868–1912), die <strong>Japan</strong>s F<strong>in</strong>anz-,<br />
Verwaltungs-, Fiskal- und Sozialsysteme revolutionieren<br />
würde (u.a. Thomas Cargill und Naoyuki Yosh<strong>in</strong>o, zitiert<br />
<strong>in</strong>: Economist.com 21.6.01; JRI 2004:1; CEFP 2004).<br />
Gegenüber den Privatisierungsplänen gibt es allerd<strong>in</strong>gs<br />
massive Vorbehalte – vor allem aus den Reihen von Koizumis<br />
eigener Partei, der LDP. Dies ist nicht weiter verwunderlich,<br />
diente die Post doch jahrzehntelang als Instrument<br />
zur F<strong>in</strong>anzierung staatlicher Wirtschafts- und<br />
Subventionspolitik und stellen die Postbediensteten e<strong>in</strong><br />
wichtiges Wählerstimmenreservoir für die LDP dar. Auch<br />
<strong>in</strong> der Bevölkerung treffen die Vorschläge nur auf wenig<br />
Zustimmung. Die Bürger fragen sich, warum e<strong>in</strong> System<br />
verändert werden soll, das <strong>in</strong> ihren Augen gut funktioniert<br />
und zahlreichen Verbrauchern zusagt. Die Mehrzahl der<br />
Bürger sieht die Post als sicheren Hafen für Ersparnisse<br />
an, der zudem aufgrund des landesweiten Filialnetzes<br />
gut erreichbar ist (Pill<strong>in</strong>g 2004b). Mit gemischten Gefühlen<br />
sieht auch der Privatsektor (Banken, Versicherungen,<br />
Kurier- und Logistikdienstleister) der Privatisierung entgegen.<br />
Kommt die Post <strong>in</strong> der derzeitigen Gestalt auf den<br />
Markt, wird sie e<strong>in</strong> „sehr, sehr mächtiger Konkurrent “<br />
se<strong>in</strong>, heißt es etwa bei Merrill Lynch. Die Bankers Association<br />
<strong>in</strong> Tokyo rechnet mit schweren Wettbewerbsverzerrungen,<br />
sollten die e<strong>in</strong>zelnen Postgesellschaften ihre<br />
jetzige Größe beibehalten dürfen. Und die amerikanische<br />
Handelskammer <strong>in</strong> Tokyo befürchtet gar, dass mit<br />
der Privatisierung „e<strong>in</strong> Monster von der Le<strong>in</strong>e gelassen “<br />
werde, das Wettbewerbsverzerrungen auslösen, die Margen<br />
drücken und die private Konkurrenz schwächen könnte<br />
(F<strong>in</strong>sterbusch 2004a, 2004b; Pill<strong>in</strong>g 2004a, 2004b).<br />
Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die bisherigen<br />
Ergebnisse auf dem Weg zur <strong>Postprivatisierung</strong> darzustellen<br />
und kritisch zu h<strong>in</strong>terfragen. Weist der vom Kab<strong>in</strong>ett
JAPAN aktuell 502 Dezember 2004<br />
verabschiedete Entwurf <strong>in</strong> die richtige Richtung? Welche<br />
Implikationen ergeben sich daraus für den Privatsektor?<br />
Und wie erfolgversprechend s<strong>in</strong>d die Aussichten für<br />
die Privatisierung der Post? Der Beitrag ist folgendermaßen<br />
aufgebaut: Zunächst wird <strong>in</strong> Abschnitt 2 e<strong>in</strong> kurzer<br />
Abriss über die Geschichte und den gegenwärtigen Status<br />
der japanischen Post gegeben, bevor <strong>in</strong> Abschnitt 3<br />
die politisch-ökonomischen H<strong>in</strong>tergründe der <strong>Postprivatisierung</strong><br />
untersucht werden. Abschnitt 4 zeigt den Stand<br />
der Privatisierungsdebatte auf. Anschließend wird <strong>in</strong> Abschnitt<br />
5 der im September vom Kab<strong>in</strong>ett verabschiedete<br />
Reformentwurf, der die fundamentalen Richtl<strong>in</strong>ien für die<br />
Privatisierung vorgibt, kritisch h<strong>in</strong>terfragt. In Abschnitt 6<br />
wird schließlich e<strong>in</strong>e Bilanz der bisherigen Schritte auf<br />
dem Weg zur <strong>Postprivatisierung</strong> gezogen und e<strong>in</strong> Ausblick<br />
auf die weiteren Perspektiven gegeben.<br />
2 Die japanische Post<br />
Die japanische Post ist das größte Staatsunternehmen<br />
<strong>in</strong> <strong>Japan</strong>. Sie beschäftigt <strong>in</strong> ihren rund 24.800 Postämtern<br />
knapp 280.000 Vollzeit- und 120.000 Teilzeitarbeitnehmer.<br />
Neben der Postzustellung bietet die japanische<br />
Post auch Banken- und Versicherungsdienste an. Im Bereich<br />
der allgeme<strong>in</strong>en Postzustellung besitzt die Post trotz<br />
e<strong>in</strong>zelner Deregulierungsschritte (siehe hierzu Abschnitt<br />
4) nach wie vor e<strong>in</strong>e Monopolstellung. Im F<strong>in</strong>anzbereich<br />
ist sie faktisch das größte F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitut der Welt. Postsparkasse<br />
und Postlebensversicherung verwalten <strong>in</strong>sgesamt<br />
mit rund 350 Billionen Yen knapp e<strong>in</strong> Viertel der<br />
gesamten Ersparnisse der <strong>Japan</strong>er. Das s<strong>in</strong>d umgerechnet<br />
fast 2,5 Billionen Euro. <strong>Japan</strong> Post ist damit zweie<strong>in</strong>halb<br />
Mal so groß wie die US-amerikanische Citigroup und etwa<br />
20-mal so groß wie die deutsche Postbank. 85% der japanischen<br />
Haushalte haben E<strong>in</strong>lagen bei der Post, 60% s<strong>in</strong>d<br />
im Besitz e<strong>in</strong>er Postlebensversicherung (Pill<strong>in</strong>g 2004b).<br />
Die Geschichte der japanischen Post reicht zurück bis<br />
ans Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1871 gründete<br />
Maejima Hisoka das nationale Postsystem nach britischem<br />
Vorbild. Vier Jahre später führte er das System des<br />
Postsparens e<strong>in</strong> (yûb<strong>in</strong> chok<strong>in</strong> oder kurz: yûcho). <strong>Japan</strong><br />
war damit das fünfte Land weltweit (nach Großbritannien,<br />
Neuseeland, Kanada und Belgien) und das erste asiatische<br />
Land, das e<strong>in</strong> Postsparsystem implementierte. Anfänglich<br />
war das Postsparsystem für Kle<strong>in</strong>anleger gedacht mit E<strong>in</strong>lagen<br />
von maximal 3 Mio. Yen. Diese Obergrenze wurde<br />
Ende der 80er-Jahre jedoch schrittweise angehoben und<br />
beläuft sich mittlerweile auf 10 Mio. Yen pro E<strong>in</strong>leger.<br />
Damit übt das Postsparen <strong>in</strong>zwischen weit mehr als nur<br />
e<strong>in</strong>e komplementäre Funktion aus. Seit 1916 bietet die japanische<br />
Post zusätzlich Lebensversicherungen (kan’i hoken<br />
oder kurz: kampo) an, wobei auch hier die Zielgruppe<br />
zunächst vor allem die Bezieher kle<strong>in</strong>er und mittlerer E<strong>in</strong>kommen<br />
waren 3 (Kuwayama 1997:35–36; Scher 2003:5;<br />
JT, 18.8.04). Mittlerweile liegt der Anteil von kampo am<br />
japanischen Lebensversicherungsmarkt bei 40%, der von<br />
3 In Artikel 1 des Postal Life Insurance Law heißt es: „The purpose<br />
of this law is to provide the public with life <strong>in</strong>surance that is easy<br />
to use, managed with certa<strong>in</strong>ty, and whose premiums are as low<br />
as possible, so as to stabilize their economic activity and enhance<br />
their welfare. “ (zitiert <strong>in</strong>: Aketa 2004:2).<br />
yûcho an den privaten Ersparnissen der <strong>Japan</strong>er bei 30%.<br />
Kampo und yûcho s<strong>in</strong>d jeweils der größte Lebensversicherer<br />
und die größte Bank der Welt (ACCJ 2004:6; Economist.com<br />
27.5.03).<br />
Dass Postbank und Postlebensversicherung über die<br />
Jahre h<strong>in</strong>weg expandieren konnten, wird nicht zuletzt auf<br />
e<strong>in</strong>e Reihe von strukturellen Vorteilen gegenüber ihren<br />
privaten Konkurrenten zurückgeführt. Diese Privilegien<br />
umfassen unter anderem steuerliche und regulatorische<br />
Begünstigungen sowie die umfassende Garantie der E<strong>in</strong>lagen<br />
durch den japanischen Staat. Postbank und Postlebensversicherung<br />
s<strong>in</strong>d von der Steuer befreit und müssen<br />
ke<strong>in</strong>e Beiträge an Schutzfonds wie die Deposit Insurance<br />
Corporation bzw. die Life Insurance Policyholders<br />
Protection Corporation entrichten. Beide werden ferner<br />
durch e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>isterium reguliert (M<strong>in</strong>istry of Internal<br />
Affairs and Communications, MIC 4 ) und nicht durch<br />
die ungleich strengere F<strong>in</strong>anzaufsichtsbehörde (F<strong>in</strong>ancial<br />
Services Agency, FSA) (Waldenberger 1998:116; ACCJ<br />
2004:6–7). Die genannten Privilegien haben auch nach<br />
Umwandlung der Postal Services Agency von e<strong>in</strong>er Behörde<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> öffentliches Unternehmen im April 2003 weiter<br />
Bestand (zu den Privilegien siehe im Detail Abschnitt<br />
3.1).<br />
3 H<strong>in</strong>tergründe für die Privatisierung<br />
der Post<br />
Welche Motive verbergen sich h<strong>in</strong>ter der von Regierungschef<br />
Koizumi so vehement geforderten Privatisierung der<br />
Postdienste? Ist es das während der 90er-Jahre massiv angewachsene<br />
staatliche Defizit? 5 S<strong>in</strong>d es Ineffizienzen bei<br />
den Postdiensten? Oder ist Koizumis Interesse <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie politisch motiviert? 6<br />
E<strong>in</strong>ige Beweggründe für die geplante <strong>Postprivatisierung</strong><br />
wurden bereits <strong>in</strong> Abschnitt 2 angesprochen, sollen <strong>in</strong> diesem<br />
Abschnitt jedoch noch e<strong>in</strong>mal aufgegriffen und differenziert<br />
dargestellt werden. Dabei werden zunächst <strong>in</strong> Abschnitt<br />
3.1 die wirtschaftlichen und anschließend <strong>in</strong> Abschnitt<br />
3.2 die politischen H<strong>in</strong>tergründe besprochen.<br />
3.1 Ökonomische H<strong>in</strong>tergründe<br />
Aus wirtschaftlicher Perspektive ist e<strong>in</strong>es der Hauptargumente<br />
für jede Form der Privatisierung, dass diese neue<br />
Wachstumskräfte freisetzt, Kosten reduziert, die Qualität<br />
von Gütern und Dienstleistungen steigert und <strong>in</strong>sgesamt<br />
zur Erhöhung der Wohlfahrt beiträgt (Pascha 2003:144).<br />
4 Das M<strong>in</strong>istry of Public Management, Home Affairs, Posts and<br />
Telecommunications (MPHPT) hat im September 2004 se<strong>in</strong>e englische<br />
Bezeichnung geändert <strong>in</strong> M<strong>in</strong>istry of Internal Affairs and<br />
Communications (MIC).<br />
5 Der japanische Staat ist nach Angaben des F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isteriums<br />
mittlerweile mit 729,23 Billionen Yen verschuldet (Stand:<br />
30.6.2003). Ursächlich für den hohen Verschuldungsgrad s<strong>in</strong>d zum<br />
e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>in</strong> den 90er-Jahren zur Ankurbelung der<br />
Wirtschaft aufgelegten, umfangreichen Konjunkturpaketen, zum<br />
anderen aber auch die <strong>in</strong>folge der schwachen Wirtschaftsentwicklung<br />
<strong>in</strong> den 90er-Jahren deutlich gesunkenen Steuere<strong>in</strong>nahmen.<br />
6 Bei der Privatisierung der japanischen Eisenbahn spielte neben der<br />
f<strong>in</strong>anziellen Entlastung des Haushalts als weiteres Motiv die geplante<br />
Zerschlagung der mächtigen Eisenbahnergewerkschaft e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Rolle (Pascha 2003:144–145).
JAPAN aktuell 503 Dezember 2004<br />
Der <strong>in</strong>tensivierte Wettbewerb im Markt wird – so die Hoffnung<br />
– für die Entscheidungsträger im Unternehmen e<strong>in</strong>en<br />
Anreiz zu effizient(er)em Verhalten darstellen („mehr Effizienz<br />
durch Wettbewerb “). Dies würde letztlich auch den<br />
Verbrauchern zugute kommen.<br />
In dem vom Kab<strong>in</strong>ett Ende September 2004 verabschiedeten<br />
Entwurf heißt es <strong>in</strong> diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>leitend:<br />
The privatization of the <strong>Japan</strong> Post is positioned as the<br />
most sweep<strong>in</strong>g reform s<strong>in</strong>ce the Meiji Era and it will br<strong>in</strong>g<br />
immense benefits for the people of <strong>Japan</strong>.<br />
(1) The latent potenzial of the four functions of <strong>Japan</strong> Post,<br />
that is, the range of over-the-counter services, postal services,<br />
postal sav<strong>in</strong>gs and postal life <strong>in</strong>surance, will be fully<br />
exploited and the convenience of these services maximized<br />
for the people of <strong>Japan</strong> as the provision of a range of<br />
high quality services will be made possible at low rates<br />
through expansion of operational freedom <strong>in</strong> the market.<br />
(2) The „<strong>in</strong>visible public burden “ on <strong>Japan</strong> Post will be m<strong>in</strong>imized,<br />
thus enabl<strong>in</strong>g utilizable resources to be put to<br />
use <strong>in</strong> the <strong>in</strong>terests of the national economy.<br />
(3) The flow of funds which were previously directed <strong>in</strong>to<br />
the public sector will now be channeled <strong>in</strong>to the private<br />
sector, which will make it possible for people’s sav<strong>in</strong>gs to<br />
take part <strong>in</strong> lead<strong>in</strong>g the economy towards revitalization.<br />
(CEFP 2004:1)<br />
E<strong>in</strong>e Verbesserung der Effizienz wird bei der japanischen<br />
Post vor allem <strong>in</strong> der defizitären Brief- und Paketzustellung<br />
als notwendig erachtet 7 . Die F<strong>in</strong>anzgeschäfte arbeiten<br />
derweil zumeist mit schwarzen Zahlen, was nicht zuletzt<br />
diversen Privilegien zugeschrieben wird, die die Post<br />
genießt. Diese Privilegien s<strong>in</strong>d es aber auch, die Wettbewerbsverzerrungen<br />
im japanischen F<strong>in</strong>anzsystem sowie<br />
e<strong>in</strong>e Fehlallokation der hohen Spare<strong>in</strong>lagen hervorrufen.<br />
Von e<strong>in</strong>er Privatisierung der japanischen Post erhoffen<br />
sich Befürworter zum e<strong>in</strong>en, dass die Postersparnisse<br />
renditeorientierter e<strong>in</strong>gesetzt werden. Bisher werden rund<br />
80% der Spare<strong>in</strong>lagen bei der Post <strong>in</strong> Staatsanleihen <strong>in</strong>vestiert<br />
(Scher 2003:12–13). Hierdurch vergrößert sich nicht<br />
nur das fiskalische Defizit des Landes, e<strong>in</strong> Großteil der<br />
Mittel verbleibt zudem im öffentlichen Sektor und gelangt<br />
nicht <strong>in</strong> die Privatwirtschaft. Im Idealfall könnte e<strong>in</strong>e Privatisierung<br />
daher e<strong>in</strong>en Beitrag zum Wachstum und zur<br />
Revitalisierung der Wirtschaft leisten. Zum anderen wird<br />
mit der <strong>Postprivatisierung</strong> auch die Hoffnung verbunden,<br />
dass die Sanierung des japanischen Bankensystems, die<br />
zurzeit wegen der Verzerrung des F<strong>in</strong>anzsystems durch die<br />
nationale Post zusätzlich erschwert wird, durch e<strong>in</strong>en Abbau<br />
dieser Marktverzerrung vorangetrieben wird („Postreform<br />
als Bankenreform “).<br />
Im Folgenden sollen die Privilegien der Post, die zu<br />
Wettbewerbsverzerrungen führen, im Detail betrachtet<br />
werden:<br />
Privileg 1: Umfassende Staatsgarantie und ke<strong>in</strong>e<br />
Zahlungsverpflichtung an die Sicherheitsnetze<br />
Unter dem „Postal Life Insurance Law “ und dem „Postal<br />
Sav<strong>in</strong>gs Law “ s<strong>in</strong>d die Interessen der Versicherungsnehmer<br />
von kampo-Policen und die Spare<strong>in</strong>lagen bei der<br />
Post (teigaku) umfassend durch den japanischen Staat geschützt.<br />
Dies hat sich <strong>in</strong>sbesondere im Versicherungssek-<br />
7 Im vergangenen Geschäftsjahr (1.4.2003–31.3.2004) wurde allerd<strong>in</strong>gs<br />
erstmals wieder e<strong>in</strong> positives Ergebnis erwirtschaftet.<br />
tor als erheblicher komparativer Vorteil der Postlebensversicherung<br />
gegenüber den privaten Wettbewerbern herausgestellt.<br />
In <strong>Japan</strong> gibt es für die Lebensversicherungen<br />
(im Unterschied zu den Banken) ke<strong>in</strong> öffentliches Auffangnetz,<br />
mit dessen Hilfe Insolvenzen so abgewickelt werden<br />
können, dass die für schutzwürdig angesehenen Interessen<br />
der Policen<strong>in</strong>haber möglichst wenig bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
werden 8 . Die Branche ist daher auf eigene Initiativen<br />
angewiesen. Nachdem der 1995 gegründete Policyholders<br />
Protection Fund durch den Kollaps von Nissan Life aufgezehrt<br />
worden war, wurde als Auffanglösung im Jahr 1998<br />
die Life Insurance Policyholders Protection Corp. of <strong>Japan</strong><br />
(LIPPCJ) e<strong>in</strong>gerichtet. Für alle privaten Lebensversicherer<br />
besteht Pflichtmitgliedschaft <strong>in</strong> diesem Versichertenschutzfonds<br />
(Horsch 2002:671; JCER 2001:21; Walke<br />
2003:150). Da die Postlebensversicherung von der Beitragsentrichtung<br />
befreit ist, konnte sie <strong>in</strong> den zehn Jahren<br />
zwischen 1993 und 2002 <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en Betrag von etwa<br />
92,2 Mrd. Yen e<strong>in</strong>sparen (ACCJ 2004:7).<br />
Im Falle des Bankensystems s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>lagen noch<br />
zu e<strong>in</strong>em gewissen Teil vom Staat garantiert. Während<br />
für Spare<strong>in</strong>lagen bis März 2005 vollumfänglicher Schutz<br />
durch den Staat gilt, s<strong>in</strong>d Term<strong>in</strong>e<strong>in</strong>lagen seit April 2002<br />
nur noch bis zu e<strong>in</strong>er Höhe von maximal 10 Mio. Yen<br />
pro Sparer und Konto geschützt. Ab April 2005 soll diese<br />
Obergrenze auch für Spare<strong>in</strong>lagen bei Banken gelten.<br />
Die Banken s<strong>in</strong>d verpflichtet, Beiträge an die Deposit Insurance<br />
Corporation, e<strong>in</strong>en Schutzfonds, zu leisten. Da<br />
die Postbank von dieser Zahlungsverpflichtung befreit ist,<br />
konnte sie zwischen 1993 und 2002 <strong>in</strong>sgesamt 1,6 Billionen<br />
Yen sparen. Die Postbank ist darüber h<strong>in</strong>aus von der<br />
M<strong>in</strong>destreservepflicht bei der japanischen Notenbank befreit,<br />
wo die e<strong>in</strong>gezahlten Mittel ke<strong>in</strong>e Z<strong>in</strong>sen erwirtschaften.<br />
Auf diese Weise konnte Yûcho geschätzte 679 Mrd.<br />
Yen zusätzliche Z<strong>in</strong>se<strong>in</strong>nahmen verbuchen (ACCJ 2004:7;<br />
JCER 2001:19).<br />
Die vollumfängliche Staatsgarantie ist e<strong>in</strong> wichtiger<br />
Wettbewerbsvorteil der Post gegenüber der privaten<br />
Konkurrenz. Insbesondere im Zuge der sich <strong>in</strong><br />
den 90er-Jahren verschärfenden Krisen im japanischen<br />
Lebensversicherungs- und Bankensektor ist der Zustrom<br />
der Anlagegelder bei der Post stark angestiegen. Auffällig<br />
ist das zeitliche Zusammenfallen großer Banken- und<br />
Versicherungspleiten mit dem Zufluss von Mitteln <strong>in</strong> die<br />
Postbank und die Postlebensversicherung. Dies untermauert<br />
das hohe Vertrauen, das die japanische Bevölkerung<br />
den F<strong>in</strong>anzdiensten der Post entgegenbr<strong>in</strong>gt. Der Abzug<br />
der Gelder bei den Geschäftsbanken sowie e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
(vorzeitigen) Vertragskündigungen bei den Lebensversicherungen<br />
weisen gleichzeitig darauf h<strong>in</strong>, wie wenig Vertrauen<br />
die Bürger demgegenüber den privaten F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitutionen<br />
schenken (Naundorf 2003:167; Scher 2003:16).<br />
Privileg 2: Steuerbefreiung<br />
Die japanische Post ist von der Steuerzahlung aller Art<br />
befreit. Nach Berechnung der Life Insurance Association<br />
8 Besonders deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass bei allen<br />
bisherigen Bankenzusammenbrüchen die E<strong>in</strong>lagen umfassend geschützt<br />
waren, während bei den sieben Konkursen von Lebensversicherungen<br />
die Policen<strong>in</strong>haber teilweise Kürzungen ihrer Policen<br />
um 30% bis 50% h<strong>in</strong>nehmen mussten (Aketa 2004:4–5).
JAPAN aktuell 504 Dezember 2004<br />
of <strong>Japan</strong> konnte die Postlebensversicherung dadurch zwischen<br />
1993 und 2002 geschätzte 2,4 Billionen Yen an Steuern<br />
e<strong>in</strong>sparen. Für die Postbank errechnete die <strong>Japan</strong>ese<br />
Bankers Association für den gleichen Zeitraum e<strong>in</strong>e<br />
Steuerersparnis von ungefähr drei Billionen Yen (ACCJ<br />
2004:7). Nach Ansicht von Mark J. Scher ist die von den<br />
Banken vorgetragene Kritik an diesem Wettbewerbsvorteil<br />
der Postbank allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den letzten Jahren nicht<br />
gerechtfertigt. Die chronischen Verlustausweise der Geschäftsbanken<br />
hatten während dieser Dekade nämlich den<br />
Effekt, dass auch die Banken ke<strong>in</strong>e oder kaum Steuern gezahlt<br />
und nur m<strong>in</strong>imale oder gar ke<strong>in</strong>e Dividenden an ihre<br />
Aktionäre ausgeschüttet haben (Scher 2003:16).<br />
Privileg 3: Regulatorische Begünstigungen<br />
Anders als ihre privaten Konkurrenten unterliegen die<br />
Postbank und die Postlebensversicherung nicht der Überwachung<br />
durch die japanische F<strong>in</strong>anzaufsichtsbehörde<br />
FSA 9 . Sie werden stattdessen durch e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>isterium reguliert,<br />
genauer das Postal Services Policy and Plann<strong>in</strong>g<br />
Bureau des M<strong>in</strong>istry of Internal Affairs and Communications<br />
(MIC). Die Überwachungskriterien bei den Postdiensten<br />
gelten im Vergleich zum Privatsektor als weitaus<br />
weniger transparent, und auf ihre E<strong>in</strong>haltung sche<strong>in</strong>t weniger<br />
streng gedrungen zu werden, als es bei der privaten<br />
Konkurrenz der Fall ist. Sanktionsmaßnahmen im Falle<br />
der Nichte<strong>in</strong>haltung bestimmter Vorschriften gibt es nicht<br />
(ACCJ 2004:8). Obwohl die FSA mittlerweile auch die<br />
Postdienste überprüfen darf, obliegt die Entscheidung darüber,<br />
wie mit den Ergebnissen zu verfahren ist, weiterh<strong>in</strong><br />
dem MIC (Economist.com 27.3.03; ACCJ 2004:7–8; Aketa<br />
2004:5).<br />
Privileg 4: Universalmanagement, Größe und<br />
Marktstellung<br />
E<strong>in</strong> weiterer Vorteil, den die japanischen Postdienste gegenüber<br />
der privaten Konkurrenz besitzen, resultiert aus<br />
dem vere<strong>in</strong>heitlichten Management. Zwar haben im Privatsektor<br />
die F<strong>in</strong>anzmarktreformen im Rahmen des „Big<br />
Bang “ 10 e<strong>in</strong>ige Lockerungen bewirkt (so können beispielsweise<br />
F<strong>in</strong>anzhold<strong>in</strong>gs mittlerweile verschiedene f<strong>in</strong>anzielle<br />
Geschäfte unter ihrem Dach <strong>in</strong>tegrieren), dennoch haben<br />
nach wie vor viele Restriktionen Bestand. <strong>Japan</strong> Post<br />
betreibt <strong>in</strong>des drei sehr unterschiedliche Geschäftsbereiche<br />
(Versicherungen, Sparen, Postzustellung) unter e<strong>in</strong>em<br />
Dach. Daraus resultieren Vorteile, z.B. bei den Kosten<br />
und im operativen Bereich, so etwa durch die geme<strong>in</strong>same<br />
Nutzung von Kundendaten (Aketa 2004:5; Economist.co<br />
, 21.6.01).<br />
Wie bereits <strong>in</strong> Abschnitt 2 erwähnt wurde, handelt es<br />
sich bei der japanischen Post – gemessen an den E<strong>in</strong>lagen<br />
– faktisch um das größte F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitut der Welt, das zudem<br />
über e<strong>in</strong> sehr großes landesweites Filialnetz verfügt.<br />
In den vergangenen Jahren haben die Postlebensversiche-<br />
9 Die Überwachungsaufgabe wurde im Jahr 1998 vom F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium<br />
auf die FSA übertragen. Seither hat die FSA die privaten<br />
Lebensversicherungen und Banken <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen<br />
überprüft.<br />
10 Beim „Big Bang “ handelt es sich um e<strong>in</strong>e 1997/98 aufgelegte Reform<br />
des japanischen F<strong>in</strong>anzsystems, die dazu dienen sollte, <strong>Japan</strong>s<br />
Status als e<strong>in</strong> bedeutendes <strong>in</strong>ternationales F<strong>in</strong>anzzentrum<br />
wiederherzustellen.<br />
rung und die Postbank deutlich an Attraktivität gewonnen,<br />
was zu e<strong>in</strong>em großen Teil durch das <strong>in</strong> den 90er-<br />
Jahren gesunkene Vertrauen der japanischen Bevölkerung<br />
<strong>in</strong> das private F<strong>in</strong>anzsystem begründet ist 11 . Die Konsumenten<br />
suchten e<strong>in</strong>en sicheren Hafen für ihre Ersparnisse<br />
und fanden ihn <strong>in</strong> der japanischen Post. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
ist die breite räumliche Präsenz der japanischen Post e<strong>in</strong><br />
entscheidendes Argument (nicht nur) für die ländliche Bevölkerung,<br />
e<strong>in</strong> Konto bei der Post zu unterhalten. Die Privatbankens<strong>in</strong>dfürsiehäufigvielschwierigerzuerreichen<br />
(Cargill/Yosh<strong>in</strong>o 2000).<br />
Privileg 5: Monopol im Markt für allgeme<strong>in</strong>e Postsendungen<br />
Trotz erster Liberalisierungsschritte (siehe hierzu Abschnitt<br />
4) verfügt die Post <strong>in</strong> der Briefzustellung nach<br />
wie vor über e<strong>in</strong> Monopol. Zwar ist es dem Privatsektor<br />
seit dem 1. April 2003 gestattet, mit Erlaubnis des MIC<br />
<strong>in</strong> den Markt für Zustelldienste e<strong>in</strong>zutreten und ebenfalls<br />
Briefe und Postkarten zuzustellen, die Vorschriften s<strong>in</strong>d<br />
allerd<strong>in</strong>gs so restriktiv, dass der erwartete heftige Wettbewerb<br />
auf dem Zustellmarkt für allgeme<strong>in</strong>e Postsendungen<br />
bisher ausgeblieben ist. E<strong>in</strong>e der größten Hürden besteht<br />
dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> Unternehmen verpflichtet ist, m<strong>in</strong>destens<br />
100.000 Briefkästen im ganzen Land aufzustellen<br />
(J.a., 3/03, Ü18).<br />
3.2 Politische H<strong>in</strong>tergründe<br />
Für die angestrebte Privatisierung der japanischen Post<br />
lassen sich neben wirtschaftlichen auch politische Beweggründe<br />
ausmachen. In <strong>Japan</strong> gilt die enge Verflechtung<br />
zwischen der Regierung und e<strong>in</strong>er Vielzahl von Interessengruppen<br />
als das zentrale politische Strukturproblem. Die<br />
regierende LDP konnte sich im Laufe der Jahrzehnte ihre<br />
politische Macht sichern, <strong>in</strong>dem sie durch den „klientelistischen<br />
Austausch von materiellen und immateriellen Gütern<br />
und Gefälligkeiten gegen Stimmen und Spenden “ immer<br />
mehr gesellschaftliche Gruppen an sich band (Köllner<br />
2002:262). Für Regierungschef Koizumi ist die japanische<br />
Post geradezu symptomatisch für diese über Jahrzehnte<br />
unter der LDP aufgebaute Klientelwirtschaft. Diese Klientelwirtschaft<br />
hat wiederum zur Entstehung von <strong>in</strong>stitutionell<br />
verfestigten Vetokoalitionen geführt, wodurch die<br />
Umsetzung von Strukturreformen deutlich erschwert wird<br />
(Köllner 2002:262).<br />
Für die LDP stellt die Postorganisation mit ihrem<br />
großen landesweiten Filialnetz e<strong>in</strong>e wichtige Stimmenmobilisierungsmasch<strong>in</strong>e<br />
auf dem Land dar. Die rund 280.000<br />
Vollzeitbeschäftigten s<strong>in</strong>d loyale Unterstützer der LDP,<br />
und im Gegenzug hat die Regierung ihnen zahlreiche Privilegien<br />
e<strong>in</strong>geräumt (Pill<strong>in</strong>g 2004c). Bis heute s<strong>in</strong>d beispielsweise<br />
Zugeständnisse gültig, die die Tokyoter Regierung<br />
Ende des 19. Jahrhunderts dem damaligen Landadel<br />
11 E<strong>in</strong> weiterer Wettbewerbsvorteil der Postsparkasse besteht allerd<strong>in</strong>gs<br />
seit kurzem nicht mehr. Bis März 2001 erhielt die Postbank<br />
vom Treuhandfondsbüro des F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isteriums, das den größten<br />
Teil der E<strong>in</strong>lagen der Postbank und -lebensversicherung verwaltete,<br />
Z<strong>in</strong>sen, die über den Marktz<strong>in</strong>sen lagen. Seit April 2001 fließen<br />
die Gelder jedoch nicht mehr an das Treuhandfondsbüro, sondern<br />
werden von der Post <strong>in</strong> eigener Verantwortung angelegt (J.a., 4/01,<br />
Ü4).
JAPAN aktuell 505 Dezember 2004<br />
gemacht hatte, damit dieser der Errichtung von Poststationen<br />
zustimmte und e<strong>in</strong> landesweites Vertriebsnetz<br />
etabliert werden konnte. Heute werden 80% der 24.800<br />
Zweigstellen von Franchisenehmern betrieben, denen seitens<br />
des Staats feste Löhne garantiert s<strong>in</strong>d. Zudem können<br />
viele Geschäftslizenzen vererbt werden (F<strong>in</strong>sterbusch<br />
2004b; Scher 2003:32). Jährlich sollen etwa 1.000 frei gewordene<br />
Stellen an Verwandte des vormaligen Postamtsvorstehers<br />
weitergereicht werden 12 (AS, 15.10.04).<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus war die japanische Post über mehrere<br />
Jahrzehnte e<strong>in</strong>e wichtige F<strong>in</strong>anzquelle für Klientelismuspolitik<br />
auf Lokalebene. E<strong>in</strong>e bedeutende Rolle spielte <strong>in</strong><br />
diesem Zusammenhang seit der Nachkriegszeit bis Ende<br />
März 2001 das Fiskalische Investitions- und Kreditprogramm<br />
(Fiscal Investment and Loan Program (FILP), zaisei<br />
tôyûshi keikaku oder kurz zaitô). Das FILP wurde im<br />
F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium durch das Treuhandfondsbüro (Trust<br />
Fund Bureau, shik<strong>in</strong> un’yôbu) verwaltet, welches sich wiederum<br />
primär über die E<strong>in</strong>lagen und Pensionsrückstellungen<br />
bei der Postbank sowie Mittel der Postlebensversicherung<br />
ref<strong>in</strong>anzierte. Die Regierung konnte im Rahmen des<br />
FILP auf die Ersparnisse bei der Post zugreifen und diese<br />
<strong>in</strong> bevorzugte Felder lenken. Der Schwerpunkt der Mittelvergabe<br />
lag zunächst bis etwa Mitte der 60er-Jahre <strong>in</strong> der<br />
F<strong>in</strong>anzierung der wirtschaftlichen Entwicklung (z.B. Aufbau<br />
der Elektrizitätswirtschaft und Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur).<br />
Anschließend wurden die Kredite verstärkt zur F<strong>in</strong>anzierung<br />
des privaten Wohnungsbaus, von Kle<strong>in</strong>- und<br />
Mittelunternehmen sowie von regionalen Gebietskörperschaften<br />
vergeben. In den 90er-Jahren bestand die Hauptaufgabe<br />
des FILP <strong>in</strong> der Förderung der strukturellen Anpassung<br />
der Industrie sowie dem Schutz der Beschäftigung<br />
durch die F<strong>in</strong>anzierung von Infrastruktur- und anderen<br />
Bauprojekten (Pascha 2003:66; Scher 2003:9–10; Strube<br />
2001:169).<br />
In den 90er-Jahren wurde das FILP allerd<strong>in</strong>gs zunehmend<br />
<strong>in</strong> Frage gestellt. Kritisiert wurde <strong>in</strong>sbesondere,<br />
dass die FILP-Mittel letztlich politischen Zielen dienten<br />
und die f<strong>in</strong>anzierten Projekte e<strong>in</strong>er Wirtschaftlichkeitsanalyse<br />
kaum standhielten. H<strong>in</strong>terfragt wurde ferner, ob<br />
die hohe Anzahl der ref<strong>in</strong>anzierten öffentlichen Unternehmen<br />
und F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitute 13 nicht e<strong>in</strong>en zu hohen Verwaltungsaufwand<br />
und Ineffizienzen mit sich br<strong>in</strong>gen würde<br />
und ob sich e<strong>in</strong> Großteil der Aufgaben nicht im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er privatwirtschaftlichen anstelle e<strong>in</strong>er staatlichen F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>termediation<br />
wahrnehmen ließe (Strube 2001:170;<br />
Scher 2003:11–12).<br />
Auf diese Kritik wurde mit e<strong>in</strong>er Reform des FILP reagiert.<br />
Im Rahmen dieser Reform wurden am 1. April 2001<br />
die direkten f<strong>in</strong>anziellen Verflechtungen des Programms<br />
zu den Postspare<strong>in</strong>lagen gekappt, <strong>in</strong>dem dem Treuhandfondsbüro<br />
des F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isteriums und damit dem F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium<br />
selbst der direkte Zugriff auf die E<strong>in</strong>lagen<br />
der Postbank entzogen wurde. Das FILP muss nun<br />
12 Mitte Oktober hat <strong>Japan</strong> Post jedoch bekannt gegeben, noch im<br />
laufenden Geschäftsjahr Leiter regionaler Postämter aus der Bevölkerung<br />
rekrutieren zu wollen (AS, 15.10.04). Dies würde e<strong>in</strong>en<br />
Bruch mit dem bisherigen System darstellen.<br />
13 Im Jahr 2002 waren die größten Empfänger von FILP-Geldern lokale<br />
Regierungen (28%), das Government Hous<strong>in</strong>g Loan Program<br />
(19%), die <strong>Japan</strong> F<strong>in</strong>ance Corporation for Municipal Enterprises<br />
(6%) und die <strong>Japan</strong> F<strong>in</strong>ance Corporation for Small Bus<strong>in</strong>esses<br />
(5%) (Scher 2003:11–12).<br />
um se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lagen konkurrieren und daher stärker Rentabilitätsgesichtspunkte<br />
berücksichtigen (Pascha 2003:127).<br />
Nichtsdestotrotz s<strong>in</strong>d die Poste<strong>in</strong>lagen noch immer e<strong>in</strong><br />
wichtiges F<strong>in</strong>anzmittel für die Regierung, da die Post<br />
neben der Notenbank als Haupt<strong>in</strong>vestor für japanische<br />
Staatsanleihen fungiert.<br />
4 Stand der <strong>Postprivatisierung</strong><br />
Überlegungen zur Reform der japanischen Post reichen<br />
bereits zurück <strong>in</strong> die 90er-Jahre. 1995 trat Jun’ichirô<br />
Koizumi erstmals mit diesem Thema bei den LDP-<br />
Präsidentschaftswahlen an, verlor allerd<strong>in</strong>gs klar gegen<br />
Ryûtarô Hashimoto, <strong>in</strong> dessen Kab<strong>in</strong>ett Koizumi e<strong>in</strong> Jahr<br />
später e<strong>in</strong>en Plan zur Privatisierung des Postwesens vorlegte.<br />
Im Abschlussbericht zu der unter der Regierung Hashimoto<br />
vorgeschlagenen Verwaltungsreform wurde 1998<br />
die künftige Gestalt der Postorganisationen def<strong>in</strong>iert. Unter<br />
anderem wurde dar<strong>in</strong> die Umwandlung der Postal Services<br />
Agency <strong>in</strong> e<strong>in</strong> öffentliches Unternehmen im April<br />
2003 festgeschrieben.<br />
Das Gesetz über die Verwaltungsreform 14 von 1998<br />
schloss jedoch e<strong>in</strong>e Privatisierung der drei Postdienste<br />
aus. Dabei war die Privatisierung e<strong>in</strong>es der Kernanliegen<br />
der damaligen Regierung gewesen. Hieran zeigt sich, wie<br />
stark schon zu diesem Zeitpunkt gegen das Reformprogramm<br />
Widerstand geleistet wurde. Erst mit dem Amtsantritt<br />
von M<strong>in</strong>isterpräsident Koizumi, der e<strong>in</strong>e Privatisierung<br />
nicht nur befürwortet, sondern sie als „Herzstück<br />
“ se<strong>in</strong>er Reformpolitik bezeichnet, wurde der Privatisierungsprozess<br />
wieder angeschoben. Koizumi gründete<br />
im Juni 2001 e<strong>in</strong> privates Beratergremium („Advisory<br />
Council to Consider the Modalities of the Three Postal<br />
Bus<strong>in</strong>esses “, yûsei sanjigyô no arikata ni tsuite kangaeru<br />
kondankai), das im September 2002 drei Vorschläge zur<br />
Privatisierung der Postdienste vorlegte. Diese Vorschläge<br />
bildeten den Ausgangspunkt für die weitere Privatisierungsdebatte.<br />
Zuvor waren bereits am 9. Juli 2002 vier Gesetze<br />
zur Öffnung des Postversands und zur Umstrukturierung<br />
der Post verabschiedet worden. E<strong>in</strong>es der Gesetze regelte<br />
die bereits 1998 beschlossene Umwandlung der staatlichen<br />
Post <strong>in</strong> e<strong>in</strong> öffentliches Unternehmen, das e<strong>in</strong>e Reihe<br />
von Sonderbehandlungen erfährt, etwa bei der Besteuerung<br />
und den Investitionsmöglichkeiten <strong>in</strong> verwandte Geschäftsbereiche.<br />
Dieses Gesetz war daher relativ unumstritten.<br />
Die drei anderen Gesetze zur Öffnung des Postversands<br />
stießen im Vorfeld unterdessen auf heftige Opposition<br />
und wurden lediglich <strong>in</strong> verwässerter Form verabschiedet.<br />
Es handelte sich dabei um genaue Bed<strong>in</strong>gungen<br />
für die Teilnahme privater Unternehmen am umfassenden<br />
Postversand sowie für die Teilnahme am „Sonderpostversand<br />
“. 15 Aufgrund der hohen Hürden für die<br />
14 „The Fundamental Reform of the Central Government M<strong>in</strong>istries<br />
and Agencies Law “ (chûô shochô to kaikaku kihon hô).<br />
15 Zum umfassenden oder allgeme<strong>in</strong>en Postversand zählen u.a. Briefe,<br />
Postkarten, Rechnungen und die meisten Arten von „direct<br />
mail “, die immerh<strong>in</strong> 25% aller Postsendungen ausmachen; beim<br />
„Sonderpostversand “ handelt es sich konkret um Pakete, Bücher,<br />
Zeitschriften, Zeitungen und spezielle „an die Allgeme<strong>in</strong>heit gerichtete<br />
“ Postwurfsendungen wie Flyer und Kataloge (J.a., 4/02,<br />
Ü59).
JAPAN aktuell 506 Dezember 2004<br />
Beteiligung privater Unternehmen (u.a. die Verpflichtung<br />
zur Aufstellung von rund 100.000 Postkästen, zur Zustellung<br />
an sechs Tagen <strong>in</strong> der Woche, zur Zustellung b<strong>in</strong>nen<br />
maximal drei Tagen und zur Festschreibung gleicher<br />
Preise im ganzen Land) stellten diese neuen Postgesetze<br />
aber höchstens „Trippelschritte “ <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er Marktöffnung<br />
dar. Von e<strong>in</strong>em „Meilenste<strong>in</strong> “ auf dem Weg zur<br />
vollständigen Privatisierung der Post kann derweil ke<strong>in</strong>e<br />
Rede se<strong>in</strong> (J.a., 4/02, Ü59).<br />
Am 1. April 2003 wurde die Postal Services Agency<br />
planmäßig <strong>in</strong> das öffentliche Unternehmen <strong>Japan</strong> Post<br />
Corp. mit den Bereichen Postzustelldienst, Postsparen<br />
und Postlebensversicherungen umgewandelt. Das neue<br />
Unternehmen soll fortan am Modell des Automobilkonzerns<br />
Toyota Motor Corp. Managementmethoden des Privatsektors<br />
e<strong>in</strong>führen. Dadurch sollen im defizitären Postzustelldienst<br />
im Rahmen des mittelfristigen Managementplans<br />
(Haushaltsjahre 2003–2006) <strong>in</strong>nerhalb von drei Jahren<br />
die Gew<strong>in</strong>ne auf 50 Mrd. Yen (rund 400 Mio. Euro)<br />
steigen. Dies sche<strong>in</strong>t allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> äußerst ambitionierter<br />
Plan zu se<strong>in</strong>, da der klassische Briefsektor bereits seit<br />
längerem e<strong>in</strong>er Substitutionskonkurrenz durch Email und<br />
Handy ausgesetzt ist. Und im Paketbereich bieten mittlerweile<br />
Privatunternehmen wie Yamato Transport Co. bequemere<br />
und günstigere Dienste an.<br />
Die Umwandlung der Postbehörde <strong>in</strong> e<strong>in</strong> öffentliches<br />
Unternehmen g<strong>in</strong>g Koizumi jedoch nicht weit genug. Er<br />
wies daher im September 2003 den Rat für Wirtschaftsund<br />
Fiskalpolitik (Council on Economic and Fiscal Policy,<br />
CEFP, keizai zaisei shimon kaigi) an, bis Herbst<br />
2004 e<strong>in</strong>en konkreten Fahrplan für die Privatisierung der<br />
Postdienste zu erarbeiten. Dem daraufh<strong>in</strong> ausgearbeiteten<br />
Rahmenwerk stimmte das Kab<strong>in</strong>ett schließlich am 10.<br />
September 2004 zu 16 (zu den Inhalten des Kab<strong>in</strong>ettsbeschlusses<br />
siehe Abschnitt 5).<br />
Um die Privatisierung voranzutreiben, hat Koizumi<br />
darüber h<strong>in</strong>aus Ende September 2004 personelle Änderungen<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kab<strong>in</strong>ett vorgenommen. Im Zuge der Kab<strong>in</strong>ettsumbildung<br />
besetzte er den neu geschaffenen Posten<br />
des M<strong>in</strong>isters für <strong>Postprivatisierung</strong> mit Heizô Takenaka,<br />
der bereits als Architekt der Bankenreform erfolgreich war<br />
und als engster Vertrauter Koizumis gilt. Takenaka soll<br />
zunächst die detaillierten Pläne für die Zerlegung des Unternehmens<br />
ausarbeiten, später soll er sicherstellen, dass<br />
der Markte<strong>in</strong>tritt der e<strong>in</strong>zelnen Gesellschaften ke<strong>in</strong>e größeren<br />
Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hat (J.a., 5/04,<br />
Ü3).<br />
5 Kritische <strong>Würdigung</strong> des Kab<strong>in</strong>ettsbeschlusses<br />
zur <strong>Postprivatisierung</strong><br />
Im Folgenden wird der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss vom 10. September,<br />
der die Stoßrichtung der Privatisierung vorgibt,<br />
e<strong>in</strong>er <strong>kritische</strong>n Analyse unterzogen. Obwohl die geplante<br />
Privatisierung der Post pr<strong>in</strong>zipiell begrüßt wird, ist<br />
das vom Kab<strong>in</strong>ett beschlossene Rahmenwerk <strong>in</strong> der Be-<br />
16 Der vollständige Text des Kab<strong>in</strong>ettsbeschlusses ist auf <strong>Japan</strong>isch<br />
im Internet zugänglich unter www.kantei.go.jp/jp/kakugikettei/<br />
2004/0910yusei.html (Zugriff am 16.10.04)<br />
völkerung, <strong>in</strong> den Reihen der LDP und der politischen<br />
Opposition, bei den betroffenen Banken- und Versicherungsverbänden,<br />
im Privatsektor und bei der Post selbst<br />
auf Kritik gestoßen. Gerade die Verbände und Privatunternehmen<br />
befürchten, dass die Post ab 2007 als quasiprivatisierte<br />
Institution <strong>in</strong> direkter Konkurrenz zu ihnen<br />
<strong>in</strong> neue Geschäftsfelder e<strong>in</strong>steigen und ihnen Marktanteile<br />
abnehmen könnte. Andere wie etwa <strong>Postprivatisierung</strong>sm<strong>in</strong>ister<br />
Takenaka halten <strong>in</strong>des dagegen, dass e<strong>in</strong>e spürbare<br />
Verschärfung des Wettbewerbs als positives Signal<br />
zu werten sei, da beide Seiten dadurch zu mehr Effizienz<br />
angehalten würden, was letztendlich dem Verbraucher zugute<br />
käme.<br />
Das Rahmenwerk für die Privatisierung der Post soll<br />
im Folgenden zunächst kurz im Überblick dargestellt und<br />
anschließend unter zwei Aspekten untersucht werden: 1.)<br />
Dient das Werk dem Ziel, die Wettbewerbssituation im<br />
Markt zu verbessern? und 2.) wie ist die geplante organisatorische<br />
Umstrukturierung zu bewerten?<br />
Der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss vom 10. September 2004<br />
Der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss sieht <strong>in</strong> organisatorischer H<strong>in</strong>sicht<br />
vor, dass die zurzeit von dem öffentlichen Unternehmen<br />
<strong>Japan</strong> Post angebotenen Geschäftsbereiche (Postzustellung,<br />
Postbank, Postlebensversicherung) sowie e<strong>in</strong> vierter,<br />
neu zu gründender Geschäftsbereich – die Verwaltung der<br />
Schalterdienste – <strong>in</strong> unabhängige E<strong>in</strong>heiten aufgespalten<br />
werden. Diese vier E<strong>in</strong>heiten werden wiederum unter das<br />
Dach e<strong>in</strong>er zunächst vollständig vom Staat kontrollierten<br />
Hold<strong>in</strong>g gestellt. Ab April 2007 soll dann schrittweise die<br />
Privatisierung erfolgen. Bis Ende März 2017 sollen die<br />
Aktien der Postbank und der Postlebensversicherung verkauft<br />
se<strong>in</strong>, und es soll während dieser zehnjährigen Übergangsperiode<br />
mit dem Verkauf der Aktien der Hold<strong>in</strong>ggesellschaft<br />
begonnen werden. Allerd<strong>in</strong>gs will die japanische<br />
Regierung auch nach März 2017 noch e<strong>in</strong>en Anteil<br />
von über e<strong>in</strong>em Drittel an der Hold<strong>in</strong>ggesellschaft halten<br />
(CEFP 2004).<br />
Der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss enthält auch Deregulierungsmaßnahmen,<br />
um der Post die Ausweitung ihrer Dienstleistungen<br />
und den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> den nationalen und <strong>in</strong>ternationalen<br />
Warenverkehr zu ermöglichen. Die Schalterdienste<br />
sollen künftig neben den bisherigen Leistungen der<br />
drei traditionellen Postdienste zusätzlich neue Produkte<br />
und Dienstleistungen anbieten dürfen. Hierzu zählen zum<br />
Beispiel F<strong>in</strong>anzprodukte privater F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitute, Reisebürodienste,<br />
Tickets aller Art sowie E<strong>in</strong>zelhandels- und<br />
Pflegedienstleistungen. Bei Briefen und Postkarten bleibt<br />
das Postmonopol zunächst bestehen, und auch die Preise<br />
verbleiben unter öffentlichem E<strong>in</strong>fluss.<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf die Postf<strong>in</strong>anzdienste hält der Beschluss<br />
fest, dass Postsparkasse und Postlebensversicherung<br />
privaten F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stituten gleichgestellt werden sollen.<br />
Dass bedeutet, dass auch für sie künftig das Bankenbzw.<br />
das Versicherungsgesetz gelten soll und dass sie steuerpflichtig<br />
werden. Ferner sollen sie künftig zur Zahlung<br />
von Beiträgen zum E<strong>in</strong>lagensicherungsfonds bzw. dem<br />
Sicherungsfonds der Lebensversicherer verpflichtet se<strong>in</strong>.<br />
Während für Altverträge die umfassende Staatsgarantie<br />
bestehen bleiben soll, wird sie für Neuverträge aufgehoben.<br />
Die Beschränkungen der E<strong>in</strong>lagen bei der Postspar-
JAPAN aktuell 507 Dezember 2004<br />
kasse und der Postlebensversicherung von zehn Millionen<br />
Yen pro Person bleiben vorläufig allerd<strong>in</strong>gs bestehen<br />
(CEFP 2004; Robaschik 2004).<br />
Verbesserung der Wettbewerbssituation?<br />
Um den Marktmechanismus erfolgreich ausnutzen zu können,<br />
spielt das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es freien Wettbewerbs<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Um Wettbewerb zu schaffen, s<strong>in</strong>d<br />
daher Privatisierungsaktivitäten sehr oft mit Deregulierungsmaßnahmen<br />
verbunden, wie es auch <strong>in</strong> dem Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss<br />
der Fall ist. Der Beschluss enthält e<strong>in</strong>e<br />
Reihe von Maßnahmen zur Beseitigung der bestehenden<br />
Wettbewerbsverzerrungen. So sollen Postbank und<br />
Postlebensversicherung künftig dem Banken- bzw. dem<br />
Versicherungsgesetz unterstellt werden 17 , und beide sollen<br />
zur Zahlung von Steuern verpflichtet werden (was als<br />
positiver Nebeneffekt auch noch der defizitären Lage des<br />
Staatshaushalts zugute käme) sowie zur Entrichtung von<br />
Beiträgen an die Sicherheitsnetze. Gleichzeitig sollen bisher<br />
für die Post geltende Beschränkungen im Dienstleistungsangebot<br />
gelockert werden, und die Post soll zusätzliche<br />
Leistungen anbieten dürfen. Sollte darüber h<strong>in</strong>aus<br />
die der Postbank auferlegte Beschränkung, Spare<strong>in</strong>lagen<br />
von maximal zehn Millionen Yen pro Sparer zu verwalten,<br />
ab 2017 beseitigt werden, könnte die Postbank dann auch<br />
große Unternehmense<strong>in</strong>lagen verwalten.<br />
Theoretisch dürften diese Vorschläge zu e<strong>in</strong>er Verbesserung<br />
der Wettbewerbssituation führen, kritisch ist jedoch<br />
zu bewerten, dass <strong>in</strong> dem Beschluss ke<strong>in</strong> konkreter<br />
Zeitplan für die Umsetzung dieser Vorschläge und damit<br />
für die Gleichstellung der Postf<strong>in</strong>anzdienste mit privaten<br />
F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stituten enthalten ist. Sollten Postbank und<br />
Postlebensversicherung während der zehnjährigen Übergangsperiode<br />
weiterh<strong>in</strong> die Privilegien e<strong>in</strong>es Staatsunternehmens<br />
genießen und gleichzeitig <strong>in</strong> neue Geschäftsfelder<br />
(z.B. die Kreditvergabe) vorstoßen dürfen, würde<br />
die Konkurrenzfähigkeit privater Unternehmen nicht gestärkt,<br />
sondern geschwächt. Aus der amerikanischen Handelskammer<br />
ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang zu hören: „Until<br />
the post office is regulated by the same regulator and<br />
abides by the same laws as the rest of the <strong>in</strong>dustry, it<br />
should not be allowed to expand at all. “ Und weiter: „[...]<br />
We want laws <strong>in</strong> place to ensure that they’re not allowed<br />
to act like a privatised company when they’re not. “<br />
(zitiert <strong>in</strong>: Pill<strong>in</strong>g 2004a).<br />
Als wenig förderlich im H<strong>in</strong>blick auf mehr Wettbewerb<br />
wird auch gewertet, dass der Beschluss ke<strong>in</strong>e konkreten<br />
Vorschläge für e<strong>in</strong>e regionale Aufsplitterung der<br />
Postdienste macht, um dadurch e<strong>in</strong>er möglichen Monopolbildung<br />
vorzubeugen. Das landesweite Filialnetzwerk<br />
der Post stellt nämlich e<strong>in</strong>en großen Wettbewerbsvorteil<br />
gegenüber dem Privatsektor dar (JT, 18.8.04). Sollte die<br />
E<strong>in</strong>lagenobergrenze bei der Postbank an- oder sogar aufgehoben<br />
werden, könnten es künftig auch viele Unternehmen<br />
aus Kostengründen als günstiger erachten, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
der zahlreichen Postfilialen e<strong>in</strong> Konto zu eröffnen (Tsutagawa<br />
2004).<br />
17 E<strong>in</strong>e dem Bankengesetz unterstellte privatisierte Postbank wäre<br />
frei, Kreditgeschäfte <strong>in</strong> der gleichen Weise zu tätigen wie e<strong>in</strong>e kommerzielle<br />
Bank (auch wenn das Kreditgeschäft zunächst möglicherweise<br />
auf Wohnungsbaukredite und andere Kredite an <strong>in</strong>dividuelle<br />
Kreditnehmer beschränkt wäre).<br />
Nach Ansicht der Forscher am renommierten <strong>Japan</strong><br />
Research Institute besteht ferner die Gefahr e<strong>in</strong>er zusätzlichen<br />
Schwächung des japanischen F<strong>in</strong>anzsystems, sofern<br />
die Größen von Postbank und Postlebensversicherung<br />
nicht angepasst werden (JRI 2004:4). Bereits heute s<strong>in</strong>d<br />
die Postdienste, verglichen mit ihren jeweiligen Konkurrenten<br />
des Privatsektors, sehr groß. Und das Geschäftsmodell,<br />
dem das Kab<strong>in</strong>ett Anfang September zustimmte, bietet<br />
weiteres Wachstumspotenzial. Die Forscher befürchten<br />
daher, dass, selbst wenn die staatliche Garantie offiziell<br />
beseitigt würde, aufgrund der Größe der Postdienste e<strong>in</strong>e<br />
stillschweigende staatliche Garantie bestehen bliebe. Da<br />
nämlich im Fall e<strong>in</strong>er Krisensituation Auswirkungen auf<br />
die Gesamtwirtschaft zu erwarten wären, wäre die Regierung<br />
wohl oder übel dazu angehalten, die Postdienste zu<br />
retten („too big to fail “). Das könnte wiederum bewirken,<br />
dass die Verbraucher der Post größeres Vertrauen entgegenbr<strong>in</strong>gen<br />
als den privaten Wettbewerbern. Die entstehende<br />
Vertrauenslücke würde der Post e<strong>in</strong>en neuerlichen<br />
Wettbewerbsvorteil verschaffen (JRI 2004:1–2).<br />
E<strong>in</strong>e weitere Voraussetzung für fairen Wettbewerb ist,<br />
dass die F<strong>in</strong>anzdienste der Post denselben Regulierungskriterien<br />
unterliegen wie die Privatbanken und von demselben<br />
Kontrollorgan, sprich der FSA, überwacht werden.<br />
Dieser Punkt wird <strong>in</strong> dem Entwurf jedoch gänzlich ausgeklammert.<br />
Ansätze für e<strong>in</strong>e Gleichstellung der Postf<strong>in</strong>anzdienste<br />
mit privaten F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stituten s<strong>in</strong>d somit <strong>in</strong> dem Entwurf<br />
zwar enthalten, überzeugen jedoch <strong>in</strong> der bisher vorgelegten<br />
Weise nicht. Insbesondere der Mangel e<strong>in</strong>es Zeitplans<br />
für die Umsetzung der Gleichstellungsmaßnahmen ist kritisch<br />
zu bewerten. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass<br />
die F<strong>in</strong>anzdienste der Post e<strong>in</strong>e Ausweitung ihrer Kompetenzen<br />
erfahren, während sie gleichzeitig noch (zum<strong>in</strong>dest<br />
während der zehnjährigen Übergangsperiode) die Privilegien<br />
e<strong>in</strong>es Staatsunternehmens genießen. Damit würden<br />
die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen nicht ab-, sondern<br />
vielmehr ausgebaut werden. Das angestrebte Ziel,<br />
die Postf<strong>in</strong>anzdienste und private F<strong>in</strong>anz<strong>in</strong>stitute gleichzustellen<br />
und die Wettbewerbssituation im Markt zu verbessern,<br />
wäre dann verfehlt.<br />
Mehr Effizienz durch organisatorische Umstrukturierung?<br />
E<strong>in</strong> zweiter wichtiger Kritikpunkt betrifft die Art der Privatisierung.<br />
Zurzeit stehen alle Postdienste (Postzustellung,<br />
Postsparen, Postlebensversicherung) unter der Kontrolle<br />
des öffentlichen Unternehmens <strong>Japan</strong> Post Corp.<br />
Dem verabschiedeten Reformplan zufolge sollen diese ab<br />
April 2007 als unabhängige Geschäftse<strong>in</strong>heiten privatisiert<br />
werden. Gleichzeitig ist jedoch die Errichtung e<strong>in</strong>er<br />
Hold<strong>in</strong>ggesellschaft vorgesehen, die über die unabhängigen<br />
Unternehmen gespannt werden soll und an der<br />
die Regierung auch nach März 2017, dem geplanten Abschluss<br />
der Privatisierung, noch e<strong>in</strong>en Anteil von über e<strong>in</strong>em<br />
Drittel halten will. Dieser Schritt sche<strong>in</strong>t nicht nur<br />
dem Konzept e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>s-zu-e<strong>in</strong>s-Privatisierung entgegenzulaufen<br />
(JT, 18.8.04). Er bedeutet auch, dass selbst nach<br />
Abschluss der Privatisierung die Postgeschäfte des Landes<br />
unter staatlicher Kontrolle verbleiben werden. Aufgrund<br />
der damit verbundenen <strong>in</strong>direkten Staatsgarantie könnten
JAPAN aktuell 508 Dezember 2004<br />
die F<strong>in</strong>anzdienste der Post zu günstigeren Konditionen<br />
Gelder aufbr<strong>in</strong>gen als Banken und Versicherer. Die Gew<strong>in</strong>nspanne<br />
auf Kredite wäre damit bei der Post größer<br />
als bei ihren privaten Konkurrenten (Tsutagawa 2004).<br />
E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt an der organisatorischen Umstrukturierung<br />
richtet sich auf die Gründung e<strong>in</strong>es vierten<br />
Postdienstes, nämlich der Verwaltung der Schalterdienste<br />
(u.a. Ikeo 2004; Nikkei 7.10.04). Dieser Dienst soll<br />
von e<strong>in</strong>em neu zu gründenden Unternehmen angeboten<br />
werden, das für die anderen drei Unternehmen, die sich<br />
jeweils mit der Postzustellung, dem Postsparen und der<br />
Postlebensversicherung befassen, die Zustellung der Post,<br />
den Gelde<strong>in</strong>gang und verschiedene andere Schalterdienste<br />
erledigt. Der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss sieht somit die Errichtung<br />
e<strong>in</strong>er zweigleisigen Struktur vor. Ob sich die Effizienz<br />
der Dienstleistungen auf diese Weise tatsächlich verbessern<br />
lässt, wird allerd<strong>in</strong>gs angezweifelt. Die Erfahrung<br />
lehrt nach Ansicht Kazuhito Ikeos, Professor der Keio-<br />
Universität, das Gegenteil. So wurde bei der Aufspaltung<br />
und Privatisierung von <strong>Japan</strong> National Railways zunächst<br />
e<strong>in</strong> neues Unternehmen, die Sh<strong>in</strong>kansen Hold<strong>in</strong>g Corp.<br />
gegründet, der die Schienenwege und die dazugehörigen<br />
E<strong>in</strong>richtungen gehören sollten und für deren Nutzung die<br />
anderen Unternehmen Gebühren entrichten sollten. Aufgrund<br />
von Ineffizienzen wurde diese Struktur jedoch bald<br />
aufgelöst und das neue Unternehmen von den anderen<br />
Unternehmen absorbiert (Ikeo 2004).<br />
Im Falle der Post dürfte durch die Auslagerung der<br />
Kundendienste der drei anderen Unternehmen an das Verwaltungsunternehmen<br />
e<strong>in</strong> unabhängiges Management der<br />
E<strong>in</strong>zelunternehmen kaum zu gewährleisten se<strong>in</strong> (Nikkei,<br />
7.10.04). Auch besteht die Gefahr, dass durch die angestrebte<br />
Struktur e<strong>in</strong>e komplette Isolierung der Geschäftsrisiken<br />
nicht möglich se<strong>in</strong> wird (JRI 2004:5). E<strong>in</strong>e solche<br />
Struktur dürfte zudem umfassende, effizienzorientierte<br />
Reformen deutlich erschweren, wenn nicht gar unmöglich<br />
machen, denn die Bedürfnisse der e<strong>in</strong>zelnen Postdienste<br />
z.B. h<strong>in</strong>sichtlich der Postamtgrößen sowie deren räumlicher<br />
Verteilung s<strong>in</strong>d unterschiedlich. So wird das Zustellunternehmen<br />
andere Bedürfnisse anmelden als die Postbank<br />
oder die Postlebensversicherung. Wie das Verwaltungsunternehmen<br />
hier Prioritäten setzen will, ist fraglich<br />
(Ikeo 2004). Andererseits sche<strong>in</strong>t aber auch e<strong>in</strong>e komplette<br />
Abspaltung der Spar- und Versicherungsdienste zum<strong>in</strong>dest<br />
<strong>in</strong> nächster Zeit nicht realisierbar, da diese auf die<br />
Postämter als Verkaufskanäle angewiesen s<strong>in</strong>d und es voraussichtlich<br />
auch noch e<strong>in</strong>e Zeit lang se<strong>in</strong> werden. Eigene<br />
Vertriebskanäle besitzen sie bislang nämlich nicht (Nikkei<br />
Net Interactive, 9.9.04).<br />
E<strong>in</strong> weiterer Kritikpunkt an der Errichtung des<br />
Verwaltungsunternehmens ist die Tatsache, dass dieser<br />
Schritt der Forderung nach e<strong>in</strong>er Gleichstellung mit den<br />
Unternehmen des Privatsektors zuwiderläuft. Für e<strong>in</strong>e<br />
Gleichstellung wären nach Ansicht Hiroshi Aketas vom<br />
NLI Research Institute unter anderem folgende Punkte<br />
notwendig: e<strong>in</strong>e räumliche Trennung der Dienste (z.B.<br />
ke<strong>in</strong> Verkauf von Versicherungspolicen <strong>in</strong> Postämtern),<br />
e<strong>in</strong>e Trennung des Personals (sodass z.B. Versicherungsgeschäfte<br />
nicht von allen Beschäftigten angeboten<br />
werden können) sowie das Verbot des Austauschs von<br />
Kundendaten (Aketa 2004:6).<br />
6 Fazit und Ausblick<br />
Der Beitrag hat gezeigt, dass das im September vom Kab<strong>in</strong>ett<br />
verabschiedete Rahmenwerk zwar die Stoßrichtung<br />
der <strong>Postprivatisierung</strong> darlegt, konkrete Details <strong>in</strong> der<br />
Umsetzung jedoch schuldig bleibt. Anstelle e<strong>in</strong>er ersten<br />
grundlegenden Überarbeitung des Postwesens seit dessen<br />
Gründung im Jahr 1871 sche<strong>in</strong>t der Kab<strong>in</strong>ettsbeschluss<br />
eher das Festhalten am Status quo anzustreben, was<br />
sich etwa <strong>in</strong> dem Wunsch nach der Fortsetzung des Geschäftsbetriebs<br />
unter e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrierten Management äußert<br />
(JT, 18.8.04). Naoaki Okabe, stellvertretender Chefredakteur<br />
der japanischen Wirtschaftszeitung Nihon Keizai<br />
Sh<strong>in</strong>bun, hält den Beschluss zudem für politisch kalkuliert.<br />
Der Postlobby solle dadurch die Akzeptanz der<br />
Reformmaßnahmen erleichtert werden (Okabe 2004). Die<br />
Verhandlungen über konkrete Reformschritte und ihre<br />
zeitliche Umsetzung zwischen Regierung und LDP stehen<br />
nämlich erst am Beg<strong>in</strong>n. Massiver politischer Widerstand<br />
ist daher zu erwarten, wenn sich das Parlament<br />
voraussichtlich Anfang 2005 mit der bis dah<strong>in</strong> auszuarbeitenden<br />
Gesetzesvorlage beschäftigen wird. Bereits Anfang<br />
September hatten knapp zwei Drittel der 360 LDP-<br />
Parlamentarier e<strong>in</strong>e Resolution gegen die angestrengte<br />
Privatisierung unterzeichnet.<br />
Obwohl Koizumi sich äußerst <strong>in</strong>itiativ und engagiert<br />
bei der Reform der Post zeigt und mit dem gegen den<br />
Widerstand der LDP vom Kab<strong>in</strong>ett verabschiedeten Privatisierungsentwurf<br />
immerh<strong>in</strong> „die Räder <strong>in</strong>s Rollen gebracht<br />
“ hat, ist längst nicht sicher, dass die Gesetzesvorlage<br />
auch wirklich im Parlament auf Zustimmung trifft und<br />
als Gesetz <strong>in</strong> Kraft treten wird. Gesetzesvorlagen werden<br />
nämlich üblicherweise im Kab<strong>in</strong>ett nur dann verabschiedet,<br />
wenn die Regierungspartei – <strong>in</strong> diesem Fall die LDP<br />
– zugestimmt hat. Verabschiedet das Kab<strong>in</strong>ett e<strong>in</strong> Gesetz<br />
ohne Zustimmung der Regierungspartei, schw<strong>in</strong>den<br />
die Chancen, dass es auch tatsächlich erfolgreich durchs<br />
Parlament kommt (Ando 2004).<br />
Demgegenüber steigt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass für<br />
e<strong>in</strong>e „erfolgreiche “ Verabschiedung des Gesetzes erneut e<strong>in</strong>e<br />
Vielzahl von Kompromissen mit <strong>in</strong>nerparteilichen Oppositionskräften<br />
e<strong>in</strong>gegangen werden muss, wie es z.B. bei<br />
der Umstrukturierung von Sonderkörperschaften im Straßenbau<br />
im vergangenen Jahr der Fall war. Dabei wären,<br />
wie der Beitrag gezeigt hat, nicht weitere Kompromisse,<br />
sondern vielmehr e<strong>in</strong>e Reihe von Verbesserungen <strong>in</strong> die<br />
Gesetzesvorlage e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Es bleibt zu hoffen, dass<br />
Koizumis Forderung nach e<strong>in</strong>er Privatisierung der Postdienste<br />
im Zuge der Verhandlungen nicht auf e<strong>in</strong>en leeren<br />
Slogan reduziert wird.<br />
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