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Gesamtbericht Vietnam, Kambodscha, Laos

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SÜDOSTASIEN aktuell - 533 - November 2003<br />

Oskar Weggel<br />

<strong>Gesamtbericht</strong><br />

<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong><br />

3.2.2 Wassermangel im grünen <strong>Laos</strong> – ein Entwicklungshindernis<br />

3.2.2.1 Zuhause und auf den Feldern: der Doppelengpass<br />

3.2.2.2 Trinkwasser<br />

3.2.2.3 Wasser für den Reisbau<br />

3.2.3 Auferstanden aus Ruinen? Die laotische Fluggesellschaft<br />

in neuem Gewand<br />

3.3 Außenpolitik<br />

3.3.1 Zusammenarbeit mit vier anderen Ländern bei der<br />

Drogenbekämpfung<br />

Gliederung:<br />

1 <strong>Vietnam</strong><br />

1.1 Innenpolitik<br />

1.1.1 Armut geht zurück, Lebensstandard steigt – und<br />

gleichzeitig nehmen die Gefällstufen zu<br />

1.1.2 Antinomien bei der vietnamesischen Rechtsentwicklung<br />

1.1.3 VVA kauft russische SAM-Raketen<br />

1.1.4 Urteil gegen Internet-Dissidenten wird von 13 auf fünf<br />

Jahre abgemildert<br />

1.2 Wirtschaft<br />

1.2.1 Die Industrie bleibt auch weiterhin das Hauptzugpferd<br />

1.2.2 Die Kfz-Entwicklung in <strong>Vietnam</strong><br />

1.2.2.1 Unterversorgung und rapide steigende Nachfrage<br />

1.2.2.2 Die elf ausländischen Mitbewerber<br />

1.2.2.3 Planerische und behördliche Steuerungsversuche<br />

1.2.2.3.1 Planungen bis 2020<br />

1.2.2.3.2 Steuerungsversuche<br />

1.2.2.3.3 Proteste der ausländischen Firmen – und der AFTA –<br />

gegen willkürliche Vorgaben<br />

1.2.3 <strong>Vietnam</strong> Airlines im Aufwind<br />

1.3 Außenpolitik<br />

1.3.1 Das Verhältnis <strong>Vietnam</strong>s zu seinen maritimen<br />

ASEAN-Partnern<br />

1.3.2 Repatriierung: Was ist eigentlich aus dem deutschvietnamesischen<br />

Rücknahmeabkommen von 1995 geworden?<br />

1.3.3 Russland als Raketenlieferant<br />

2 <strong>Kambodscha</strong><br />

2.1 Innenpolitik<br />

2.1.1 Nach den Wahlen ist alles noch komplizierter geworden<br />

2.1.1.1 Pattsituation zwischen KVP und FUNCINPEC/SRP<br />

2.1.1.2 Wie ist die Allianz zwischen FUNCINPEC und SRP<br />

einzuschätzen?<br />

2.1.3 Terrorismus: Anscheinend fern – und doch so nah<br />

2.2 Wirtschaft<br />

2.2.1 Kautschukproduktion in <strong>Kambodscha</strong><br />

2.2.2 Geschafft: <strong>Kambodscha</strong> ist am 11. September WTO-<br />

Mitglied geworden<br />

2.3 Außenpolitik<br />

2.3.1 Beziehungen zu Thailand: Fast schon wieder normal<br />

3 <strong>Laos</strong><br />

3.1 Innenpolitik<br />

3.1.1 Das Dauerthema Drogen<br />

3.1.1.1 Ein neues Fünferbündnis und die Chiang-Rai-Erklärung<br />

3.1.1.2 Die Bedeutung von Amphetaminen und „Speed“<br />

3.1.2 Grund und Boden: Die bäuerliche Sehnsucht nach<br />

mehr Rechtssicherheit<br />

3.1.2.1 Besitzsicherung an Grund und Boden als A und O der<br />

Sozialpolitik<br />

3.1.2.2 Bisherige Bodenregelungen<br />

3.2 Wirtschaft<br />

3.2.1 Die infrastrukturelle Erschließung der LDVR schreitet<br />

fort – und bereitet Schwierigkeiten<br />

3.2.1.1 Die Ost-West-Erschließung<br />

3.2.1.2 Die Nord-Süd-Öffnung<br />

3.2.1.2.1 Die Nationalstraße Nr. 13<br />

3.2.1.2.2 Flussverbindungen via Mekong: Vor- und Nachteile<br />

1<br />

VIETNAM<br />

1.1<br />

Innenpolitik<br />

1.1.1<br />

Armut geht zurück, Lebensstandard steigt – und<br />

gleichzeitig nehmen die Gefällstufen zu<br />

Wie bereits dargelegt, 1 ist die Armutsbekämpfungspolitik<br />

in <strong>Vietnam</strong> bisher überaus erfolgreich verlaufen und<br />

hat zu einer Reduktion der Armut 2 von 58% i.J. 1993 auf<br />

37% 1998 und auf 29% Mitte 2003 geführt. 3 Unter den<br />

174 Ländern der Welt, die vom UNDP beobachtet werden,<br />

hat sich <strong>Vietnam</strong> – nach HDI-Kriterien – mittlerweile<br />

auf Platz 110 vorschieben können. Mit seinem „Programm<br />

Nr. 135“ 4 hat es die Armutsbekämpfungsstrategie überdies<br />

auf beeindruckende Weise systematisieren können.<br />

Im Gefolge sowohl der Armutsbekämpfungspolitik als<br />

auch der allgemeinen Wirtschaftsstrategie, die zu BIP-<br />

Wachstumsraten zwischen 7% und 8% in den vergangenen<br />

Jahren geführt hat, ist der Lebensstandard der <strong>Vietnam</strong>esen<br />

signifikant verbessert worden. Dies verdeutlicht<br />

ein Regierungsbericht, der Anfang August 2003 erschienen<br />

ist. Danach haben die Ausgaben für die Anschaffung<br />

von Häusern, Hausgeräten, für Gesundheitsvorsorge und<br />

Unterhaltung im Zeitraum 1999 bis 2002 erheblich zugenommen,<br />

und zwar um 21% auf VND 268.000 (= US$<br />

17 i.J. 2002). Bemerkenswert auch, dass für Non-Food-<br />

Artikel immer höhere Ausgaben getätigt werden, während<br />

diejenigen für Nahrungsmittel zurückgehen, und zwar von<br />

63% (1999) auf 57% (2002). 5<br />

In ländlichen Gebieten allerdings sind die durchschnittlichen<br />

Ausgaben lediglich auf VND 210.000 (= US$<br />

14) angestiegen – dies sind lediglich 18% gegenüber 1999,<br />

während sich die Ausgaben vieler Städter im gleichen<br />

Zeitraum mehr als verdoppelt haben.<br />

Insgesamt gaben die wohlhabendsten Haushalte<br />

7,6mal mehr für „nicht lebensnotwendige Gegenstände“<br />

aus als die ärmsten Haushalte. (Gemeint sind hier wohl<br />

die 20% reichsten und die 20% ärmsten Haushalte, wie sie<br />

im internationalen Maßstab üblicherweise zum Vergleich<br />

herangezogen werden.) Bei den Ausgaben für Sport und<br />

Unterhaltung lag dieses Gefälle sogar beim 104fachen.<br />

Wo immer möglich, haben die <strong>Vietnam</strong>esen in erster<br />

Linie ihre Wohnverhältnisse zu verbessern versucht. Not-<br />

1 SOAa, 1/2003, S.39f.<br />

2 Definition ebenda, S.39.<br />

3 Weltbankzahlen, nach XNA, 15.8.03.<br />

4 Näheres dazu SOAa, 5/2002, S.436.<br />

5 XNA, 7.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 534 - November 2003<br />

behelfswohnungen sind deshalb von 51% i.J. 1991/92 auf<br />

24% i.J. 2001/02 zurückgegangen. Lieber spart man am<br />

Essen als am Wohnkomfort. Die wohlhabenderen Haushalte<br />

haben darüber hinaus höhere Beträge für Haushaltsgeräte,<br />

für Reisen, für Gesundheitsvorsorge und für Bildung<br />

ausgegeben.<br />

Der Anteil der Haushalte, die ein eigenes Fernsehgerät<br />

besitzen, stieg im Zeitraum 2001/02 auf 67% (von 58%<br />

i.J. 1997/98), während 32% der Bevölkerung heutzutage<br />

ein Kleinmotorrad besitzen (1997/98: 24%).<br />

Fünf von zehntausend Haushalten besitzen mittlerweile<br />

sogar ein eigenes Auto; auch hier zeigt sich wieder<br />

ein Stadt-Land-Gefälle: In städtischen Gebieten liegt<br />

dieses Verhältnis bei 5:10.000, in ländlichen Gebieten bei<br />

2:10.000. 6<br />

<strong>Vietnam</strong>s Gini Index, der das Reichtums-Armuts-Gefälle<br />

widerspiegelt, liegt bei 36.2, nimmt sich also weitaus<br />

ungünstiger aus, als es selbst bei reichen Ländern vom Zuschnitt<br />

Norwegens, Schwedens, Japans oder der Schweiz<br />

der Fall ist, wie die vietnamesische Seite selbst ausdrücklich<br />

betont. 7<br />

In einer weiteren Untersuchung wird hervorgehoben,<br />

dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Siebenjahreszeitraum<br />

von 1995 bis 2002 auf dem Land um<br />

13%, in den städtischen Gebieten aber um 60% angestiegen<br />

sei.<br />

Wer bei den Bauern über viel eigenes Land verfügt,<br />

steht weitaus besser da als derjenige, der zupachten muss.<br />

1998 lag die Zahl derjenigen Haushalte, die kein eigenes<br />

Ackerland zur Verfügung hatten, bei 10,1% (= +1,9% gegenüber<br />

1993). Die Folge von Landlosigkeit war häufig Armut.<br />

Trotz genereller Erfolge in der Armutsbekämpfung<br />

leiden viele Bauernhaushalte heute besonders stark unter<br />

der Bodenspekulation, die das Problem der Landlosigkeit<br />

zusätzlich erhöht. 8<br />

Aber auch in den städtischen Gebieten herrscht bei<br />

weitem keine heile Welt vor; auch hier nämlich wachsen<br />

die Gefällstufen. Mit besonderem Argwohn beobachtet die<br />

(meist selbst schlecht bezahlte) vietnamesische Bürokratie<br />

das aus ihrer Sicht empörende Ansteigen der Gehälter und<br />

Gagen für Popstars. Rund 20 der beliebtesten Schlagersänger<br />

haben mittlerweile, d.h. im Jahre 2003, zwischen<br />

VND 5 Mio. und VND 25 Mio. (= US$ 324-1.620) pro<br />

Auftritt eingenommen, während gleichzeitig auf der anderen<br />

Seite rund 9.000 Sänger, die 133 offiziell anerkannten<br />

Gruppen angehören, in finanzielle Schwierigkeiten geraten<br />

sind.<br />

Während Schlagerstars also bis zu VND 25 Mio. „absahnen“,<br />

werden für den Auftritt des hundertköpfigen Nationalorchesters<br />

in der Regel weit niedrigere Gagen bezahlt.<br />

Sogar die cheo-Künstler, die in der traditionellen<br />

Oper auftreten, verdienen pro Auftritt meist lediglich<br />

VND 50.000 (= US$ 3,2).<br />

Der zz. meistbezahlte Popsänger <strong>Vietnam</strong>s, My Tam,<br />

hat bei einem Auftritt im Mai 2003 beim Halong-Touristenfest<br />

in der nördlichen Provinz Quang Ninh für die<br />

Darbietung weniger Lieder insgesamt VND 37 Mio. (=<br />

US$ 2.400) kassiert. Die meisten <strong>Vietnam</strong>esen verdienen<br />

demgegenüber übers Jahr nur rund US$ 400.<br />

6 Ebenda.<br />

7 XNA, 18.8.03.<br />

8 Ebenda.<br />

Im Ministerium werden Überlegungen angestellt, ob<br />

das Einkommen dieser Sänger auf längere Zeit nicht „kontrolliert“<br />

werden soll, zumal die meisten Schlagerstars<br />

kaum Einkommenssteuer zahlen. Der Grund für diese<br />

Steuerflucht besteht darin, dass die Gehälter von den Veranstaltern<br />

meist in bar ausgezahlt werden – und damit für<br />

die Finanzbeamten schwer erfassbar sind. 9<br />

1.1.2<br />

Antinomien bei der vietnamesischen Rechtsentwicklung<br />

<strong>Vietnam</strong> hat mit China zahlreiche Traditionen gemeinsam,<br />

die sich hier wie dort immer wieder als Hindernisse<br />

auf dem Weg zu einer juristischen Globalisierung erweisen.<br />

Diese Gemeinsamkeiten sind kein Zufall, sondern<br />

lassen sich gleichsam auf Schritt und Tritt nachweisen:<br />

Jahrhundertelang hat <strong>Vietnam</strong> nicht nur kulturell, sondern<br />

auch bei der Entfaltung von Theorie und Praxis des<br />

Rechts im Schatten Chinas gestanden – und auch bei der<br />

jüngsten Welle der Rechtsrezeption ist <strong>Vietnam</strong> meist nur<br />

der Entwicklung in China gefolgt.<br />

So kommt es denn, dass das vietnamesische Recht<br />

durch ähnliche Eigenschaften gekennzeichnet ist wie das<br />

chinesische:<br />

– So gibt es bspw. keine Autonomie des Rechts, wie sie<br />

für die meisten westlichen Rechtsordnungen so charakteristisch<br />

ist. Während ein deutscher Jurist z.B.<br />

die Rückgabepflicht des Besitzers gegenüber dem Eigentümer<br />

mit § 985 BGB begründet, so neigt ein vietnamesischer<br />

Jurist dazu, den Rückgabeanspruch mit<br />

moralischen oder gewohnheitsmäßigen Argumenten,<br />

weniger aber mit rein rechtlichen Herleitungen zu begründen<br />

– und den § 985 eher als ein bloßes Beispiel<br />

für die Rückgabepflichtigkeit anzuführen. Dem Recht<br />

wird hier mit anderen Worten eher ein heteronomer<br />

Stellenwert eingeräumt und eine eigenständige Geltung<br />

abgesprochen.<br />

– Aus ähnlichen Gründen wird auch zwischen Recht<br />

und Sitte sowie zwischen Zivil-, Straf- und öffentlichem<br />

Recht nicht so präzise unterschieden wie in westlichen<br />

Rechtsordnungen.<br />

– Jahrhundertelang gab es ferner keine spezifische<br />

Rechtswissenschaft und keinen als solchen exakt definierten<br />

Juristenstand. Juristische Kenntnisse waren<br />

vielmehr eher bloße Arabeske bei der Ausbildung des<br />

Mandarinats, das in erster Linie konfuzianisch zu argumentieren<br />

pflegte, d.h. u.a. auf die Tradition pochte,<br />

dass „Prozesse nicht geführt werden dürfen“, sondern<br />

dass stattdessen alle anstehenden Fragen möglichst<br />

nach Treu und Glauben sowie nach den Prinzipien<br />

der überkommenen Moral und des gesunden<br />

Menschenverstands abzugleichen seien. „Nicht juristisch,<br />

sondern anständig“ lautete deshalb die Parole:<br />

Nicht Juristen und Paragraphen sollten das Geschehen<br />

diktieren, sondern Personen, die in der Lage<br />

waren, glaubhaft den richtigen Weg aufzuzeigen und<br />

freundschaftliche Verhandlungen sowie Schlichtungen<br />

zustande zu bringen.<br />

– Des Weiteren standen nicht subjektive Rechte des Individuums<br />

gegen den Staat, sondern gerade umge-<br />

9 XNA, 5.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 535 - November 2003<br />

kehrt soziale Rechte der Gesamtheit gegen egozentrische<br />

Einzelne im Vordergrund.<br />

– Auch beim juristischen Umgang mit einzelnen Rechtsfiguren<br />

denken <strong>Vietnam</strong>esen anders als ihre westlichen<br />

Kollegen: Dauernd findet bspw. eine Flucht vom dinglichen<br />

Recht ins Schuldrecht, d.h. von juristisch eher<br />

starren Formen zu flexiblen Vereinbarungen statt;<br />

darüber hinaus besteht eine ausgeprägte Abneigung<br />

gegen juristische Formalismen, sei es nun gegen juristische<br />

Fiktionen oder aber gegen formelle Wahrheiten,<br />

die sich strafrechtlich im Grundsatz des Indubio-pro-reo,<br />

zivilprozessual aber in der Beweislast<br />

ausdrücken. Stattdessen drängt die Rechtspraxis im<br />

Strafrecht auf Geständnisse und zerknirschte Reue, im<br />

Zivilprozess auf „freundschaftliche Regelungen“. 10<br />

Bei der Begegnung mit vietnamesischem Recht stößt der<br />

westliche Jurist besonders häufig auf die Verwischung zwischen<br />

öffentlichem und privatem Recht. Angesichts der<br />

überragenden Bedeutung, die dem Ganzen gegenüber dem<br />

Einzelnen in der vietnamesischen Tradition zukam – und<br />

auch heute noch beigemessen wird –, kann diese Verwischungstendenz<br />

nicht weiter verwundern.<br />

Aus diesem Grunde auch befindet sich der Staat gegenüber<br />

dem Einzelnen immer wieder im Vorteil. Dies zeigt<br />

sich gegenwärtig nicht zuletzt darin, dass bspw. die Zahl<br />

der Rechtsanwälte in <strong>Vietnam</strong> nach wie vor eine Quantité<br />

négligeable ist. Mitte 2003 gab es in <strong>Vietnam</strong> nur 2.400<br />

Rechtsanwälte. Pro 34.000 Einwohner steht in <strong>Vietnam</strong><br />

also gerade einmal ein Rechtsanwalt zur Verfügung.<br />

In Deutschland, das gegenwärtig genauso viele Einwohner<br />

wie <strong>Vietnam</strong> aufweist, liegt die Gesamtzahl der<br />

zugelassenen Rechtsanwälte demgegenüber bei 121.420<br />

(Stichtag 1. Januar 2003); 11 es gab hier also ein Verhältnis<br />

von 675:1.<br />

Die Unterzahl in <strong>Vietnam</strong> scheint mittlerweile selbst<br />

das Hanoier Justizministerium nachdenklich zu stimmen,<br />

weshalb es beschlossen hat, dafür zu sorgen, dass die Zahl<br />

der Rechtsanwälte in der SRV bis 2010 auf wenigstens<br />

18.000 ansteigt. 12<br />

1.1.3<br />

VVA kauft russische SAM-Raketen<br />

Nach Zypern und China ist <strong>Vietnam</strong> das dritte Land, das<br />

von Russland Boden-Luft-Raketen vom Typ S-300 SAM<br />

(Surface-To-Air-Missiles) kauft. Nicht weniger als zwei Divisionen<br />

der VVA sollen mit diesen Systemen, von denen<br />

jedes US$ 300 Mio. kostet, ausgerüstet werden. Die russischen<br />

SAMs besitzen in <strong>Vietnam</strong> einen Ruf wie Donnerhall,<br />

nachdem mit ihrer Hilfe in den sechziger und Anfang<br />

der siebziger Jahre sogar „fliegende Festungen“ des<br />

US-Typs B-52 vom Himmel geholt werden konnten, die<br />

bis dahin als unerreichbar galten.<br />

Der Kaufvertrag wurde am 21. August 2003 anlässlich<br />

der Flugzeugschau in Russland bekannt gegeben. Die Firma<br />

Rosoboroneksport habe bei dieser Veranstaltung von<br />

nicht weniger als 15 Ländern Kaufangebote erhalten, hieß<br />

es. Bisher habe Russland die Raketen nur an zwei Län-<br />

10 Vgl. dazu Oskar Weggel, Das nachrevolutionäre China. Mit konfuzianischen<br />

Spielregeln ins 21. Jahrhundert?, Hamburg: Institut<br />

für Asienkunde, 1996, S.160-181, insbes. S.175ff.<br />

11 Anwaltsmagazin 10 (2003).<br />

12 XNA, 9.9.03.<br />

der, nämlich, wie erwähnt, an Zypern und China verkauft,<br />

mittlerweile aber gebe es „ein drittes Land“, an das die<br />

Geschosse schon bald ausgeliefert würden – nach all den<br />

Verhandlungen und Kontakten, die <strong>Vietnam</strong> seit Jahren<br />

mit Russland führt und unterhält, war es nicht gerade<br />

schwer zu erraten, dass mit diesem dritten Land die SRV<br />

gemeint war. 13<br />

Hört man solche Nachrichten, so bekommt die Phantasie<br />

Flügel: Gegen wen eigentlich sollen die SAM-Raketen<br />

eingesetzt werden? Letztlich gelangt man hier immer wieder<br />

zur gleichen Überlegung – nämlich gegen eine eventuelle<br />

angreifende chinesische Luftwaffe.<br />

1.1.4<br />

Urteil gegen Internet-Dissidenten wird von 13 auf<br />

fünf Jahre abgemildert<br />

Wie gemeldet, 14 war der 35-jährige Pham Hong Son im<br />

Juni 2003 zu 13 Jahren Gefängnis und drei Jahren auf Bewährung<br />

verurteilt worden, und zwar wegen angeblicher<br />

Verbreitung regierungsfeindlichen Materials via Internet.<br />

Son war bereits der fünfte Internet-Dissident, der auf diese<br />

Weise von der Justiz mit härtesten Strafen belegt worden<br />

war.<br />

Empörte Aufschreie der westlichen Öffentlichkeit ließen<br />

die vietnamesische Seite dann jedoch ins Grübeln<br />

kommen – und der Fall wurde vom Obersten Volksgericht<br />

in Hanoi am 26. August neu aufgerollt. Während<br />

des Revisionsprozesses versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude<br />

Diplomaten aus mehr als zehn Ländern, um<br />

ein menschenrechtsgemäßeres Urteil einzufordern: Zwar<br />

konnte die Polizei die Versammelten, die zum Teil den<br />

Botschaften Australiens, der Schweiz, Kanadas und Italiens<br />

angehörten, mit der Begründung in eine Seitengasse<br />

abdrängen, dass der Platz, auf dem sie stünden, „Eigentum<br />

des Volksgerichts“ sei. Die auf diese Weise attackierten<br />

Demonstranten gingen aber keineswegs nach Hause,<br />

sondern harrten weiter aus – und dies trotz strömenden<br />

Regens. Am Schluss setzte das Gericht die Strafe von 13<br />

auf fünf Jahre herab. Zwar habe der Angeklagte von Juli<br />

2000 bis zum 27. März 2002 Kontakte mit Feinden der<br />

vietnamesischen Regierung unterhalten und – via E-Mail<br />

– u.a. mit Nguyen Gia Kieng, dem Vorsitzenden der in<br />

Frankreich ansässigen „reaktionären Organisation Thong<br />

Luan“, in Verbindung gestanden. Son habe dieser staatsfeindlichen<br />

Organisation Informationen zugespielt und im<br />

Gegenzug sogar Geld erhalten.<br />

Da sein schändliches Verhalten jedoch schon frühzeitig<br />

aufgedeckt wurde, sei der Schaden für die SRV nicht so<br />

groß gewesen, sodass es sich rechtfertigen lasse, die Strafe<br />

zu reduzieren. Die Entscheidung wurde auf § 80 II sowie<br />

§§ 38, 92 und 41 des StGB gestützt. 15<br />

1.2<br />

Wirtschaft<br />

1.2.1<br />

Die Industrie bleibt auch weiterhin das Hauptzugpferd<br />

Der laufende Fünfjahresplan (2001-2005) geht davon aus,<br />

13 Vedomosti Moskau, in BBC, 22.8.03.<br />

14 SOAa, 5/2003, S.435.<br />

15 ND, in BBC, 27.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 536 - November 2003<br />

dass die Industrie jedes Jahr um mindestens 13% wächst<br />

und dass sie dann am Ende 38-39% des BIP bestreitet –<br />

ausgehend von 36,6% i.J. 2001. 16<br />

Nach zweieinhalb Jahren Laufzeit, die dazu geführt<br />

haben, dass mittlerweile die Planmitte erreicht worden<br />

ist, zeigt es sich, dass das tatsächliche Wachstum sogar<br />

die kühnsten Erwartungen übertreffen konnte, und zwar<br />

i.J. 2001 mit 14,2%, 2002 mit 14,5% 17 und in den ersten<br />

acht Monaten des Jahres 2003 mit 14,73%.<br />

Geht die Entwicklung bis zum Ende des Jahres 2003<br />

im bisherigen Tempo weiter, so ist der Sekundärsektor<br />

(Industrie), mit 38,8%, bereits dann bei jener Größenordnung<br />

angelangt, die er nach dem Plan eigentlich erst Ende<br />

2005 erreicht haben sollte. Die Ziele wären dann bereits<br />

zwei Jahre früher erreicht worden.<br />

Besonders verdient gemacht um diesen Erfolg haben<br />

sich fünf Bereiche, nämlich Kohle, Elektrizität, Chemiedünger,<br />

Stahl und Schuhe. Die Kohleindustrie erreicht bis<br />

Ende 2003 voraussichtlich 16-17 Mio. t, stellt dann also<br />

bereits jene Vorgaben ein, die eigentlich erst für Ende<br />

2005 vorgesehen waren. Die Elektrizitätsproduktion<br />

erzielt aufgrund der Indienststellung neuer Kraftwerke<br />

ebenfalls überdurchschnittliche Wachstumsraten.<br />

Auch der Maschinenbau und die Schiffsindustrie sind<br />

am Erfolg beteiligt, und zwar durch die Herstellung einer<br />

Reihe von 6.500-t- und 11.500-t-Schiffen sowie durch die<br />

Produktion von Ölplattformen.<br />

Nur in einigen wenigen Bereichen werden die Ziele für<br />

2005 voraussichtlich nicht ganz erreicht werden, nämlich<br />

bei Öl, Gas und Pulpe. 18<br />

Von einigen Enttäuschungen abgesehen, gehört der Sekundärsektor<br />

also mit zu den Speckseiten der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung. Dies zeigt auch ein Blick auf den Zehn-<br />

Jahres-Zeitraum zwischen 1991 und 2001, in dessen Verlauf<br />

durchweg zweistellige Zuwachsergebnisse erzielt werden<br />

konnten, nämlich 10,4% i.J. 1991, 17,1% i.J. 1992,<br />

12,7% i.J. 1993, 13,7% i.J. 1994, 14,5% i.J. 1995, 14,2%<br />

i.J. 1996, 13,8% i.J. 1997, 12,5% i.J. 1998, 11,6% i.J. 1999,<br />

17,5% i.J. 2000 und – wie bereits erwähnt – 14,2% i.J.<br />

2001. 19<br />

Diese ständige Aufwärtsentwicklung nimmt sich noch<br />

eindrucksvoller aus, wenn man über den aktuellen Tellerrand<br />

hinausblickt und den Prozess unter historischen<br />

Perspektiven betrachtet:<br />

– Sein bestes Jahr hatte Vorkriegsvietnam i.J. 1939 erreicht.<br />

Allerdings gab es damals – trotz des registrierten<br />

Höchststandes – gerade einmal 200 Industrieunternehmen<br />

mit zusammen 90.000 Arbeitern, die mit<br />

wenig Maschinen auszukommen und hauptsächlich<br />

schmutzige Arbeiten zu verrichten hatten. Auch das<br />

Produktionsspektrum war überaus schmal und beschränkte<br />

sich auf einige Bereiche wie Elektrizitätserzeugung,<br />

Kohleförderung, Zementproduktion und die<br />

Herstellung von Kleidung, Salz, Alkohol und Zigaretten.<br />

– Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, vor allem aber<br />

des Ersten Indochina-Kriegs (1946-1954) ging es von<br />

16 Dazu ausführlich SOAa, 4/2001, S.404.<br />

17 Dazu SOAa, 3/2003, S.235.<br />

18 VNA, in BBC, 8.9.03.<br />

19 Dazu VER, No.101 (2003), S.34.<br />

diesem ohnehin bescheidenen Niveau aus wieder weit<br />

nach unten, sodass der industrielle Produktionswert<br />

des Jahres 1955 gerade einmal bei 40% desjenigen von<br />

1939 lag.<br />

– Erst mit dem Ende des Ersten Indochina-Kriegs begann<br />

eine langsame industrielle Erholung des Landes,<br />

die trotz des Zweiten Indochina-Kriegs (1964-1973)<br />

nie ganz unterbrochen wurde – und die dazu führte,<br />

dass der industrielle Produktionsertrag im Jahre<br />

1975 zwanzigmal höher war als derjenige des Jahres<br />

1955 und sogar achtmal höher als derjenige des Jahres<br />

1939. In den 20 Jahren zwischen 1955 und 1975<br />

hatte es hier also Zuwächse von jeweils +15,3% p.a.<br />

gegeben.<br />

– Mit dem Ende des Bürgerkriegs und der Wiedervereinigung<br />

beider Teile <strong>Vietnam</strong>s (1976) setzte eine etwas<br />

ungleichmäßig verlaufende Periode ein, die sich<br />

bis 1990 in drei Phasen gliedern lässt:<br />

i. Zwischen 1976 und 1980, also in den Anfangsjahren,<br />

als <strong>Vietnam</strong> im Gefolge radikaler Reformversuche<br />

des Nordens in gewaltige Turbulenzen<br />

geraten war, gab es so gut wie kein<br />

Wachstum. Von 1981 bis 1985 dagegen konnten<br />

bereits wieder +9,5% pro Jahr verzeichnet<br />

werden.<br />

ii. Nach Beginn der Reformen (1986) schließlich<br />

fiel das Wachstum im Zeichen von Anfangsschwierigkeiten<br />

erneut zurück, und zwar auf<br />

+6,3% zwischen 1986 und 1990, sodass für die<br />

Gesamtperiode von 1976 bis 1990 am Ende<br />

lediglich ein Durchschnittswachstum der Industrieproduktion<br />

von 5,7% p.a. herauskam.<br />

iii. Erst 1991 begann dann jenes zweistellige<br />

Wachstum, dessen Einzelergebnisse oben im<br />

Detail wiedergegeben wurden.<br />

– Stolz weisen vietnamesische Autoren auf die seither<br />

erzielten Fortschritte hin: Setze man die Ergebnisse<br />

von 1939 mit dem Wert 1 an, so lag das Wachstum der<br />

Industrie 1955 bei 0,4, 1976 beim Achtfachen, 1985<br />

beim 13fachen, 1990 beim 17,5fachen und 2002 beim<br />

82fachen. 20<br />

Nehme man diese Wachstumserfolge als Determinanten,<br />

so könne man sich bis zum Jahr 2020 durchaus ein industriell<br />

weit fortgeschrittenes <strong>Vietnam</strong> vorstellen, das den Visionen<br />

der Planer des IX. Parteitags von 2001 voll gerecht<br />

werde. 21<br />

1.2.2<br />

Die Kfz-Entwicklung in <strong>Vietnam</strong><br />

1.2.2.1<br />

Unterversorgung und rapide steigende Nachfrage<br />

<strong>Vietnam</strong>, das mit 329.000 km 2 und rund 82 Millionen<br />

Einwohnern nahezu gleiche Größenverhältnisse wie die<br />

Bundesrepublik Deutschland aufweist (357.000 km 2 ,<br />

ebenfalls 82 Millionen Einwohner), verfügt zz. über<br />

einen Automobilbestand von gerade einmal rund 600.000<br />

Einheiten, von denen rund 390.000 allein auf Hanoi und<br />

20 Ebenda, S.34.<br />

21 Zu diesen Zielen vgl. SOAa, 4/2001, S.403f.


SÜDOSTASIEN aktuell - 537 - November 2003<br />

Ho-Chi-Minh-Stadt entfallen. In Deutschland kommt<br />

man demgegenüber auf rund 43 Millionen Einheiten, also<br />

das 72fache.<br />

Selbst wenn es in <strong>Vietnam</strong> auch längerfristig kaum<br />

zu einer ähnlichen Fahrzeugdichte wie in Deutschland<br />

kommen dürfte, ist der Nachholbedarf doch riesig, und<br />

entsprechend stürmisch drängen ausländische Automobil-<br />

Produzenten auf den vietnamesischen Markt, zumal die<br />

Wachstumsraten für Neuerwerbungen in den letzten Jahren<br />

rapide zugenommen haben: Von verkauften 7.000<br />

Stück im Jahre 1999 stieg der Absatz i.J. 2002 auf 27.000<br />

Stück und ist bis Ende 2003 auf rund 30.000 zu veranschlagen.<br />

Die in <strong>Vietnam</strong> verkauften Autos kommen aus drei<br />

Quellen: Entweder handelt es sich um importierte Neuwagen<br />

sowie um importierte Gebrauchtfahrzeuge oder aber<br />

um Kfz, die in <strong>Vietnam</strong> montiert wurden. Der erstgenannte<br />

Posten umfasst zz. noch den Löwenanteil: Von den rund<br />

27.000 Einheiten des Jahres 2002 waren bspw. 22.000 fertig<br />

importiert worden. 22<br />

Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2003<br />

führte <strong>Vietnam</strong> 6.717 Neuwagen im Wert von US$ 68 Mio.<br />

sowie Autoteile und Autozubehör im Wert von US$ 190<br />

Mio. (= +59,7%) ein. 23<br />

Zusätzlich sind noch zahlreiche Gebrauchtwagen importiert<br />

worden. 24<br />

Bis 2005 werden 650.000 Fahrzeuge in <strong>Vietnam</strong> erwartet.<br />

25<br />

Das rapide Ansteigen des Absatzes ist darauf zurückzuführen,<br />

dass sich in <strong>Vietnam</strong> das Privatunternehmertum<br />

rasch entwickelt hat, und zwar hauptsächlich seit<br />

Inkrafttreten des neuen Betriebsgesetzes Anfang 2000.<br />

Seitdem sind über 53.000 Privatunternehmen entstanden<br />

– und immer mehr erfolgreiche Privatunternehmer krönen<br />

ihren bisherigen Erfolg mit der Anschaffung eigener<br />

Dienstwagen, unter denen sich häufig auch Luxuskarossen<br />

befinden.<br />

Hatte früher noch der Staatssektor die meisten Käufe<br />

getätigt, so ist er inzwischen vom Privatunternehmertum<br />

weit in den Schatten gestellt worden. 2001 bspw. waren<br />

die Anschaffungen des Privatsektors gegenüber denen des<br />

Vorjahrs um 50% und 2002 um 53% gestiegen, während<br />

sich die Käufe des Staatssektors zur gleichen Zeit von 43%<br />

auf 38% verringert hatten. 26<br />

1.2.2.1<br />

Die elf ausländischen Mitbewerber<br />

Elf ausländische Firmen sind es, die ihre Autos nicht nur<br />

von außen her liefern, sondern die sich in der SRV selbst<br />

mit hohen Investitionen engagieren, d.h. bisher US$ 574<br />

Mio. transferiert und damit jährliche Fertigungskapazitäten<br />

von 148.000 Fahrzeugen geschaffen haben. 27<br />

In der Regel arbeiten sie – als Joint Ventures – mit einheimischen<br />

Herstellern zusammen und haben sich überdies<br />

zur <strong>Vietnam</strong> Auto Manufactures Association (VA-<br />

MA) zusammengeschlossen – zu einem Bündnis also, das<br />

22 SCMP, 17.1.03.<br />

23 XNA, 13.6.03.<br />

24 XNA, 11.6.02.<br />

25 XNA, 8.7.03.<br />

26 AWSJ, 15.1.03.<br />

27 XNA, 8.7.03 und 10.9.03.<br />

nicht nur über die laufenden Angelegenheiten berichtet,<br />

sondern das auch als Interessenvertreter der ausländischen<br />

Firmen auftritt – und notfalls mit heftigem Gegendruck<br />

reagiert, wenn die vietnamesische Regierung, wie bis jetzt<br />

zweimal geschehen, 28 mit überraschenden Belastungsentscheidungen<br />

hervortritt.<br />

Die Geschichte der Kfz-Herstellung in <strong>Vietnam</strong> ist gerade<br />

einmal elf Jahre alt.<br />

1992 waren die ersten Autos in Zusammenarbeit mit<br />

europäischen Firmen montiert worden, und zwar unter<br />

Mithilfe von Citroen sowie von Peugeot.<br />

Schon zwei Jahre später hatte die Regierung jedoch<br />

durchblicken lassen, dass sie mit den bisherigen Joint Ventures<br />

nicht besonders zufrieden sei und dass deshalb neue<br />

Kooperationsformen gesucht werden müssten.<br />

Kurze Zeit später begann die neugegründete <strong>Vietnam</strong><br />

Motor Corporation (VMC) sowohl Mazda- als auch Kia-<br />

Pkw zusammenzubauen und im Jahre 1995 auch mit<br />

BMW zu kooperieren.<br />

Eine weiteres vietnamesisches Montageunternehmen<br />

namens „Mekong“ begann im gleichen Jahr eine Zusammenarbeit<br />

mit der italienischen Iveco, wobei Leichtbusse<br />

und Lkw im Vordergrund des Produktionsinteresses standen.<br />

Beide Firmen, VMC und Mekong-Corporation, waren<br />

unbeschriebene Blätter – und möglicherweise nichts anderes<br />

als Scheinfirmen, hinter denen japanische und koreanische<br />

Großkonzerne standen, die damals noch nicht<br />

öffentlich in Erscheinung treten wollten.<br />

1995 kamen weitere vier Firmen hinzu, nämlich Daimler<br />

Benz, Toyota und die beiden US-amerikansichen Produzenten<br />

Chrysler und Ford. (Ford stieg später wieder<br />

aus.)<br />

Darüber hinaus begann beim Bau von Motorrädern<br />

eine Kooperation mit Honda. 29<br />

Zur führenden ausländischen Firma hat sich inzwischen<br />

Toyota (TM) entwickelt, die von den 27.000 verkauften<br />

Einheiten des Jahres 2002 allein 7.335 bestritten<br />

hat – verglichen mit 5.759 im Jahre 2001.<br />

Den größten Zuwachs konnte 2002 allerdings Ford <strong>Vietnam</strong>,<br />

der einzige US-amerikanische Vertreter, erzielen,<br />

und zwar mit verkauften 3.685 Einheiten (gegenüber 1.915<br />

i.J. 2001). Dies war ein Zuwachs von über 92%.<br />

Mitsubishi (J.Mot) konnte 2002 um 51,3% wachsen<br />

(auf 2.440 Stück) und Mercedes Benz um 40% (auf 2.622<br />

Stück). Als das am meisten verkaufte Mercedes Modell<br />

erwies sich der Minibus MB 140D.<br />

Ein weiterer wichtiger Anbieter (und zz. sogar Nr. 2 in<br />

<strong>Vietnam</strong>) ist Vidamco, ein Joint Venture mit den koreanischen<br />

Daewoo-Motors.<br />

Die VMC, die u.a. BMW-Modelle montiert, liegt bei<br />

einem Marktanteil von unter 10%.<br />

Erfolgreich ist auch Vinastar, ein Joint Venture mit<br />

Mitsubishi, das vor allem den Mitsubishi Pajero gut vermarktet.<br />

Zu erwähnen ist ferner Visuco, ein Joint Venture mit<br />

Suzuki, das vor allem den Kleinstlastwagen Carry erfolgreich<br />

absetzen konnte.<br />

28 Siehe dazu unten unter 1.2.2.3.<br />

29 Näheres zu diesem Entwicklungsprozess in SOAa, 1/1995,<br />

S.34f.; zum Joint Venture mit Honda vgl. auch SOAa, 2/1998, S.111.


SÜDOSTASIEN aktuell - 538 - November 2003<br />

Daneben gibt es eine Reihe von Unternehmen, die Kfz-<br />

Teile produzieren und bei denen die japanische Industrie<br />

ebenfalls stark vertreten ist. 30<br />

Angesichts des hohen Nachholbedarfs für Nutzfahrzeuge<br />

sieht die lokale Industrie eigene Fertigungschancen.<br />

Anfang März 2003 erhielt Transinco (Transport Industry<br />

Corporation) die Genehmigung, vier Fabriken für<br />

den Bau öffentlicher Transportfahrzeuge zu errichten, und<br />

zwar bis zum Jahr 2005: Eine der Fabriken soll im Distrikt<br />

Dong Anh in Hanoi entstehen und 5.000 Vans sowie Busse<br />

und 20.000 Karosserien pro Jahr fertigen. Eine andere<br />

(in der nördlichen Provinz Bac Giang) soll in die Lage<br />

versetzt werden, 20.000 Fahrzeuge, 30.000 Dieselmotoren<br />

und 180.000 Motorradrahmen pro Jahr vom Band laufen<br />

zu lassen. Eine dritte, in der nördlichen Provinz Hung<br />

Yen, soll Motorradersatzteile, eine vierte, in der Provinz<br />

Vinh Phuc, jährlich 12.000 leichte Traktoren produzieren.<br />

Transinco hat auch bereits einen Kontrakt für die Lieferung<br />

von 300 Bussen an Ho-Chi-Minh-Stadt erhalten. 31<br />

Ein Großteil der Nutzfahrzeuge wird zunächst aus importierten<br />

Teilen zu montieren sein, deren lokaler Anteil<br />

allerdings nach und nach zu steigern ist.<br />

Für die hauptsächlich japanischen Firmen, die durch<br />

einige europäische und eine einzige US-amerikanische ergänzt<br />

werden, beginnt die Autoproduktion in <strong>Vietnam</strong><br />

nach und nach rentabel zu werden, nachdem sie ihre zum<br />

Teil bereits in den achtziger Jahren errichteten Montagebetriebe<br />

jahrelang hatten subventionieren müssen.<br />

Einen noch höheren Verbreitungsgrad will man mit<br />

Hilfe von Kfz-Ausstellungen erreichen, wie sie i.J. 2002<br />

erstmals stattgefunden haben: Da war einmal die Schau<br />

auf dem Giang-Vo-Ausstellungsgelände in Hanoi Anfang<br />

Juni 2002, bei der die elf ausländischen Firmen 55 ihrer<br />

Modelle präsentierten, 32 und da war des Weiteren<br />

Ende September 2002 eine fünftägige „AutoPetro 2002“-<br />

Ausstellung, bei der sowohl klassische Autofirmen wie<br />

Mercedes, Daihatsu, Kia und Peugeot als auch Firmen<br />

des Öl- und Gassektors wie BP, Shell, <strong>Vietnam</strong> Oil and<br />

Gas Corp. (Petro<strong>Vietnam</strong>) sowie die vietnamesische Petro<br />

Limex ihre Produkte vorstellten. 33<br />

1.2.2.3<br />

Planerische und behördliche Steuerungsversuche<br />

1.2.2.3.1<br />

Planungen bis 2020<br />

Angesichts der stürmischen Entwicklung hat das Industrieministerium<br />

(MoI) Mitte August 2003 einen<br />

Masterplan bis 2010 und einen Perspektivplan bis 2020<br />

herausgegeben. In dem Masterplan geht das MoI davon<br />

aus, dass die Automobilnachfrage bis 2005 auf 80.000<br />

Einheiten p.a. und bis 2010 auf 156.000 Einheiten<br />

ansteigt. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, müssten<br />

Investitionen zwischen VND 18 und 20 Billionen, also<br />

zwischen EUR 1-1,5 Mrd. investiert werden.<br />

30 Zu den Autoproduzenten im Einzelnen vgl. u.a. VNA, in BBC,<br />

26.5.01.<br />

31 VNA, in BBC, 10.3.03.<br />

32 SCMP, 6.6.02.<br />

33 XNA, 27.9.02.<br />

1.2.2.3.2<br />

Steuerungsversuche<br />

Gegenwärtig seien in <strong>Vietnam</strong>, wie erwähnt, elf Automobilbauer<br />

mit ausländischen Partnern und 160<br />

einheimische Betriebe tätig. Letztere beschränkten sich<br />

auf die Zusammensetzung importierter Autoteile und<br />

erstellten zz. jährlich zwischen 2.500 und 3.500 Fahrzeuge.<br />

Der Masterplan unterstützt die Lokalisierung der Produktion,<br />

d.h. die Erhöhung des lokalen Anteils vor allem<br />

in Form wachsender Teil- und Ersatzteilfertigung.<br />

Bevorzugt unterstützt werden sollen auch Spezialfahrzeuge,<br />

angefangen von Bussen über Krankenwagen, Feuerwehrautos<br />

usw. Bei Bussen sind Engpässe entstanden.<br />

Gleichzeitig aber befassen sich nur vier der elf ausländischen<br />

Firmen (nämlich Hino, Mercedes Benz, Mekong und<br />

Vidamco) mit der Busproduktion.<br />

Automobil-Joint-Ventures müssten innerhalb von fünf<br />

Jahren nach Produktionsbeginn einen Lokalisierungsanteil<br />

von 5% und nach zehn Jahren von 25% aufweisen.<br />

Sämtliche elf Joint Ventures hätten demnach bereits im<br />

Jahre 2006 der 25%-Vorgabe zu genügen.<br />

Ganz in diesem Sinne hat die führende ausländische<br />

Firma, Toyota <strong>Vietnam</strong>, bereits im März 2003 ihr erstes<br />

Karosseriewerk erstellt, und zwar in der nördlichen Provinz<br />

Vinh Phuc. Damit wird die Firma in die Lage versetzt,<br />

die Lokalisierung bereits auf über 10% anzuheben.<br />

Toyota ist damit gegenüber den zehn Konkurrenten deutlich<br />

in Führung gegangen. 34<br />

Der rasche Zuwachs hat auch bei den lokalen Herstellern<br />

verstärktes Interesse geweckt. Während noch 2001<br />

wenig lokales Interesse am Bau von Kfz-Teilen bestand,<br />

hatten sich schon zweieinhalb Jahre später, nämlich bis<br />

Juli 2003, nicht weniger als 37 vietnamesische Betriebe<br />

um eine Herstellungslizenz bemüht – die meisten davon<br />

für die Produktion von Kfz-Teilen. Damit kamen sie den<br />

Erwartungen des Masterplans entgegen, der den Lokalisierungsanteil<br />

für Fertigautos bis 2010 auf 35-60% und für<br />

Kfz-Teile auf 60-80% anheben will.<br />

Hand in Hand mit diesen Förderungsmaßnahmen soll<br />

die Einfuhr von Gebrauchtfahrzeugen rasch zurückgefahren<br />

und durch eine erhöhte Lokalisierungsrate bei Neumontagen<br />

ersetzt werden. 35<br />

1.2.2.3.3<br />

Proteste der ausländischen Firmen – und der<br />

AFTA – gegen willkürliche Vorgaben<br />

Zweimal ist es bisher zu heftigen Zusammenstößen zwischen<br />

den ausländischen Produzenten und der SRV-Regierung<br />

gekommen, nämlich im September und im Dezember<br />

2002: Im September hatte die Regierung willkürlich und<br />

unerwartet die Einfuhr von Motorradbestandteilen quotiert<br />

und damit die beiden größten ausländischen Montagefirmen,<br />

nämlich Honda (HNC) und Yamaha, für mehrere<br />

Wochen zum Einstellen der Produktion veranlasst.<br />

Am 4. Dezember gab das Finanzministerium erneut –<br />

und wieder einmal wie aus heiterem Himmel – eine Ankündigung<br />

heraus, dass die Tarife für eingeführte Autobestandteile<br />

im Januar 2003 um 40% und im Januar 2004<br />

um weitere 70% erhöht würden. 36 Die VAMA hatte mit ei-<br />

34 XNA, 11.3.03.<br />

35 XNA, 31.10.02.<br />

36 AWSJ, 20.12.02.


SÜDOSTASIEN aktuell - 539 - November 2003<br />

nem empörten Aufschrei reagiert und sich über eine „völlig<br />

unvorhersehbare Politik“ beklagt, die „dem Geschäftsklima<br />

in <strong>Vietnam</strong>“ außerordentlich unzuträglich sei.<br />

Die Regierung zeigt sich von diesem Protest so beeindruckt,<br />

dass sie die Tariferhöhungen wieder zurücknahm.<br />

Es waren aber auch noch weitere Beschlüsse der Regierung,<br />

die den Unwillen der VAMA erregten, nämlich ihre<br />

erklärte Absicht, den Bau luxuriöser Limousinen möglichst<br />

zurückzufahren und stattdessen kleine, lokal gefertigte<br />

Einheiten zu bevorzugen sowie außerdem den Akzent<br />

auf den Export von Autos zu legen, die in <strong>Vietnam</strong> gefertigt<br />

werden. 37 Bei einer Bevölkerungszahl von 82 Millionen<br />

Menschen erwarten die ausländischen Produzenten<br />

aber nicht Exporte, sondern einen höheren Absatz innerhalb<br />

des vietnamesischen Markts.<br />

Vor den Kopf gestoßen fühlte sich ferner auch die<br />

AFTA (ASEAN Free Trade Area) durch Versuche <strong>Vietnam</strong>s,<br />

Fahrzeuge mit weniger als neun Sitzen von den<br />

Zollbefreiungen sowie -reduzierungen auszunehmen, wie<br />

sie bis 2010 vereinbart worden sind. Der hohe Zoll müsse<br />

– so die Regierung – aufrechterhalten werden, wenn<br />

nicht Kfz aus anderen ASEAN-Ländern den vietnamesischen<br />

Markt überfluten sollten. 38 Mit dieser Begründung<br />

erhielt <strong>Vietnam</strong> ausnahmsweise auch von der VAMA Beifall.<br />

1.2.3<br />

<strong>Vietnam</strong> Airlines im Aufwind<br />

Obwohl in den vergangenen Jahren zahlreiche wirtschaftliche<br />

Turbulenzen durchzustehen waren – man denke an<br />

die Asienfinanzkrise von 1997, an die terroristischen Übergriffe<br />

auf Touristen und an die SARS-Welle im Frühjahr<br />

2003 – , hat <strong>Vietnam</strong> Airlines gute Chancen, in die Oberliga<br />

der asiatischen Fluggesellschaften aufzusteigen.<br />

1956 gegründet und durch Jahrzehnte kriegerischer Ereignisse<br />

am Boden gehalten sowie durch sozialistische Experimente<br />

auf Provinzniveau gedrückt, begann die Aufwärtsentwicklung<br />

der Fluglinie erst nach den Reformbeschlüssen<br />

von 1986.<br />

Im Zeitraum von 1986 bis 1993 rückte ein neues Management<br />

an die Spitze der Fluglinie, das mit Argusaugen<br />

darüber wachte, dass an die Stelle der bisherigen Subventionen<br />

eine marktwirtschaftliche Betriebsweise trat.<br />

Gleichzeitig begann der Ausbau der Infrastruktur und der<br />

Ankauf moderner Fluggeräte.<br />

U.a. wurden damals drei Kontrollbehörden eingerichtet,<br />

nämlich die Behörde für die nördlichen, für die zentralen<br />

und für die südlichen Flugabschnitte.<br />

1996 begann eine Politik des Leasens von Flugzeugen<br />

und der Zuschaltung ausländischer Infrastrukturhilfe.<br />

Schnell begannen daraufhin die Passagier- und Frachtleistungen<br />

anzusteigen. 2001 bereits beförderte der gesamte<br />

Luftfahrtsektor <strong>Vietnam</strong>s 5,7 Millionen Passagiere und<br />

110.000 t Fracht.<br />

1993 bereits hatten die ersten Flüge über die Staatsgrenzen<br />

hinaus begonnen. Zu den wichtigsten Routen entwickelten<br />

sich seither die Strecken zwischen Hanoi und<br />

Paris sowie zwischen zwischen Hanoi und Beijing.<br />

Gleichzeitig wurden die Infrastruktur und die Leis-<br />

37 ST, 30.4.02.<br />

38 XNA, 10.12.02.<br />

tungsfähigkeit der Flotte sowie der Flughäfen weiter ausgebaut.<br />

Im Jahre 2002 waren der Noi Bai Internationale<br />

Flughafen von Hanoi sowie der Tan Son Nhat Internationale<br />

Flughafen von Ho-Chi-Minh-Stadt in der Lage, jeweils<br />

rund fünf Millionen Passagiere p.a. abzufertigen. 39<br />

Ende 2003 soll der Tan Son Nhat Flughafen weiter ausgebaut<br />

werden und nach Fertigstellung der Arbeiten im<br />

Jahre 2006 acht Millionen Passagiere abfertigen können. 40<br />

Auch am Noi Bai Flughafen in Hanoi wird permanent<br />

weitergebaut. Mitte 2003 wird überdies der Flughafen in<br />

Lam Dong im Zentralen Hochland so erweitert, dass auf<br />

einer auf 3,5 km erweiterten Startbahn auch Passierflugzeuge<br />

des Typs A 320 starten und landen können. 41 Sogar<br />

internationale Ziele wie Singapur, Bangkok und Osaka<br />

oder Tokyo sollen dann von dort aus bedient werden können.<br />

Zwischen 2015 und 2020 sollen zwei zusätzliche internationale<br />

Flughäfen und acht bis zehn weitere Inlandsflughäfen<br />

neu gebaut werden.<br />

Gleichzeitig wird die Flotte modernisiert.<br />

Bereits im Jahr 2001 war ein Perspektivplan für den<br />

Zehnjahreszeitraum von 2001 bis 2010 ausgearbeitet worden,<br />

demzufolge <strong>Vietnam</strong> Airlines bis zum Ende des Zeitraums<br />

VND 19 Billionen (= US$ 1,3 Mrd.) in neue Fluggeräte<br />

investieren soll. VND 15 Billionen sollen im Zeitraum<br />

2001 bis 2005 ausgegeben werden. Die Regierung<br />

hat ihrer Staatslinie zu diesem Zweck Vorzugskreditlinien<br />

in Aussicht gestellt.<br />

Zur Zeit des Planbeschlusses besaß die Linie zwar 23<br />

Flugzeuge, von denen aber nur sechs in Betrieb waren,<br />

während die anderen altersschwach am Boden standen.<br />

Den Plänen nach soll die Zahl der Flugzeuge bis 2005 auf<br />

18 Maschinen und bis 2010 auf 34 ansteigen. Gleichzeitig<br />

sollen vietnamesische Piloten ausgebildet werden, und<br />

zwar mit dem Ziel, bereits 2006 70-80% aller Flüge selbst<br />

durchzuführen, sodass man nicht mehr auf ausländische<br />

Hilfe angewiesen sei. 42<br />

In den sechziger und siebziger Jahren flog man in <strong>Vietnam</strong><br />

ausschließlich alte sowjetische Maschinen. Mit Beginn<br />

des Jahres 2001 waren jedoch zahlreiche Maschinen<br />

im Westen neu bestellt worden – zuerst vier Boeing 777-<br />

200ER und anschließend fünf Airbus A 321, die im Laufe<br />

der nächsten Monate ausgeliefert werden.<br />

Gleichzeitig entwickelte die Regierung erste Pläne,<br />

selbst Fluggeräte herzustellen, und zwar ein superleichtes<br />

Flugzeug, das vor allem im Dienste der Landwirtschaft<br />

und der Rettung bei Naturkatastrophen eingesetzt werden<br />

soll. 43 Die „Vereinigung der vietnamesischen Mechanik“<br />

wurde beauftragt, einen Prototyp zu erstellen.<br />

Noch 2003 soll auch am ersten „superleichten Helikopter“<br />

mit der Arbeit begonnen werden – es handelt sich hier<br />

um ein 150 kg schweres Fluggerät, das ebenfalls von der<br />

Vereinigung der vietnamesischen Mechanik erstellt wird<br />

und das ebenfalls für Rettungs- und Patrouilleoperationen<br />

verwendet werden soll. <strong>Vietnam</strong> brauche, wie es hieß,<br />

„Hunderte solcher superleichter Helikopter“. Im Erfolgs-<br />

39 XNA, 28.3.02.<br />

40 XNA, 1.8.03.<br />

41 XNA, 28.8.03.<br />

42 XNA, 15.5.01.<br />

43 XNA, 3.5.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 540 - November 2003<br />

fall werde man die Geräte auch exportieren. 44<br />

Inzwischen ist es <strong>Vietnam</strong> Airlines ferner gelungen, in<br />

eine „Code Sharing Alliance“ mit etablierten Fluggesellschaften<br />

wie Cathay Pacific Airways und Japan Airlines<br />

einzutreten, um von deren Erfahrungen zu lernen.<br />

Im April hat sich die Linie ein neues Logo und einen<br />

neuen Anstrich zugelegt und gleichzeitig eine umfangreiche<br />

Werbekampagne gestartet, um sich besser ins internationale<br />

Geschäft einbringen zu können. Aktionen dieser<br />

Art waren nicht zuletzt auch deshalb nötig, weil der Ausbruch<br />

von SARS im Februar 2003 vielen Expansionsplänen<br />

der Fluggesellschaft einen Strich durch die Rechnung<br />

gemacht hatte. <strong>Vietnam</strong> Airlines hatte daraufhin (im Mai<br />

2003) mindestens rund US$ 1 Mio. für Werbekampagnen<br />

ausgegeben, um die Adressaten SARS vergessen zu lassen<br />

und darauf hinzuweisen, dass <strong>Vietnam</strong> die Krankheit als<br />

erstes Land in Asien siegreich bekämpft habe. 45<br />

Gleichzeitig hatte die Fluglinie ihre Tarife gesenkt, vor<br />

allem auf der Strecke Hanoi–Ho-Chi-Minh-Stadt, wobei<br />

Reduzierungen zwischen 20% und 25% für den Fall angeboten<br />

wurden, dass die Tickets mindestens 14 Tage vor<br />

Reiseantritt gekauft würden. 46<br />

Noch im Vorjahr (2002) hatte <strong>Vietnam</strong> Airlines nicht<br />

weniger als vier Millionen Passagiere befördern können –<br />

darunter 1,76 Millionen Ausländer. Im Gefolge von SARS<br />

und dem Irak-Krieg war die Zahl der Passagiere aber im<br />

ersten Halbjahr 2003 gegenüber dem gleichen Zeitraum<br />

des Vorjahrs um 8% abgefallen.<br />

Die größten Gewinnchancen erhofft sich <strong>Vietnam</strong> Airlines<br />

aus internationalen Mittel- und Langstreckenflügen.<br />

1.3<br />

Außenpolitik<br />

1.3.1<br />

Das Verhältnis <strong>Vietnam</strong>s zu seinen maritimen<br />

ASEAN-Partnern<br />

Nach geopolitischen Gesichtspunkten lassen sich die Mitglieder<br />

der ASEAN-Zehnerallianz in festlands-südostasiatische<br />

(<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>, Myanmar, Thailand)<br />

und maritim-südostasiatische Partner (Malaysia,<br />

Indonesien, Singapur, Brunei und die Philippinen) einteilen.<br />

Unter den fünf maritimen Partnern sind Brunei und<br />

die Philippinen aus vietnamesischer Perspektive eher peripher.<br />

Die anderen drei dagegen haben jeweils eine ganz<br />

spezifische Bedeutung:<br />

– Mit Indonesien teilt <strong>Vietnam</strong> die historische Erfahrungen:<br />

Beide waren die einzigen Staaten des heutigen<br />

Südostasiens, die sich mit Waffengewalt von ihren ehemaligen<br />

Kolonialherren losgesagt – und die deshalb<br />

immer besondere Sympathie füreinander empfunden<br />

haben, selbst wenn sich die zeitweilige kommunistische<br />

Ausrichtung <strong>Vietnam</strong>s aus der Sicht der früheren<br />

Suharto-Regierung manchmal als überaus störend erwiesen<br />

hat.<br />

– Mit Singapur sind <strong>Vietnam</strong>s Gemeinsamkeiten dagegen<br />

jüngeren Datums, insofern nämlich die Wirtschaft<br />

44 XNA, 25.8.03.<br />

45 XNA, 10.5.03.<br />

46 XNA, 3.5.03.<br />

des Stadtstaats (und der hinter Singapur stehenden<br />

Wirtschaftsgruppierungen) zum Investor Nr. 1 in der<br />

SRV geworden sind und insofern Singapur des Weiteren<br />

im Ausbildungsbereich zu einer kräftigen Stütze<br />

<strong>Vietnam</strong>s und seiner Entwicklungspolitik geworden<br />

ist.<br />

– Malaysia schließlich hat sich mittlerweile zum<br />

Hauptentsendeland für vietnamesische Arbeitskräfte<br />

entwickelt.<br />

Im Einzelnen:<br />

– Mitte Juni 2003 hat Indonesiens Staatspräsidentin<br />

Megawati Sukarnoputri zum zweiten Mal seit ihrem<br />

Amtsantritt die SRV besucht – die erste Visite hatte<br />

im August 2001 stattgefunden.<br />

Zwischen beiden Staaten bestehen diplomatische Beziehungen<br />

seit Dezember 1955. Seitdem sind zahlreiche<br />

bilaterale Abkommen in wirtschaftlicher und kultureller<br />

Hinsicht geschlossen worden.<br />

Der Handelsaustausch hat von US$ 563 Mio. i.J. 2001<br />

auf US$ 700 Mio. i.J. 2002 zugenommen – befindet<br />

sich also tendenziell in raschem Anstieg. Seit 1990<br />

hat Indonesien außerdem sieben Projekte in Höhe<br />

von US$ 110 Mio. in <strong>Vietnam</strong> investiert, und zwar<br />

in den Bereichen Hotelwesen, Kohleausbeutung, Mineralwasserabfüllung,<br />

Herstellung von Pestiziden und<br />

im Transportbereich. 47<br />

Beim Besuch Megawatis im Juni 2003 wurden zwei<br />

wegweisende Verträge unterzeichnet, nämlich ein „Abkommen<br />

über die Visa-Befreiung“ und vor allem ein<br />

„Abkommen über die Abgrenzung der maritimen Bereiche<br />

zwischen beiden Ländern“. Letzteres ist nach<br />

sage und schreibe 25 Jahren Verhandlungszeit zustande<br />

gekommen, reicht also in seinen Anfängen bis 1978<br />

zurück. Hauptstreitpunkt war ein Sektor nördlich der<br />

Natuna-Inseln, auf den Indonesien aufgrund historischer<br />

Tatbestände Ansprüche geltend machte. Zu einer<br />

– offensichtlich kompromisshaften – Einigung kam<br />

es schließlich durch die ansonsten guten Beziehungen,<br />

vor allem aber angesichts der gemeinsamen Konfrontation<br />

mit der VR China, die im Natuna-Bereich<br />

ebenfalls Ansprüche erhebt. Die Unterzeichnung fand<br />

am 26. Juni 2003 statt. 48<br />

Neben diesen beiden Abkommen wurde noch eine Erklärung<br />

unterzeichnet, die das Rahmenwerk freundschaftlicher<br />

und umfassender Partnerschaft bis weit<br />

ins 21. Jahrhundert hinein skizziert. 49<br />

Bezeichnenderweise kamen beide Seiten bei ihren Besprechungen<br />

auch immer wieder auf das Thema Terrorismus<br />

zurück, der als eine neuerdings ganz in den<br />

Vordergrund gerückte – und daher gemeinsam zu bekämpfende<br />

– Gefahr bezeichnet wurde. In mehreren<br />

Erklärungen verurteilte <strong>Vietnam</strong> die terroristischen<br />

Bombenanschläge auf Bali (Oktober 2002) und den<br />

Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in Jakarta<br />

am 5. August 2003, bei dem zehn Personen ums Leben<br />

kamen und 149 verletzt wurden. 50<br />

47 VNA, in BBC, 23.6.03.<br />

48 VNA, in BBC, 26.6.03.<br />

49 ND, in BBC, 27.6.03.<br />

50 XNA, 6.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 541 - November 2003<br />

Im Übrigen verpflichtete sich Indonesien, den <strong>Vietnam</strong>esen<br />

beim Beitritt zur WTO behilflich zu sein.<br />

– Anfang März 2003 besuchte der Ministerpräsident des<br />

Stadtstaats, Goh Chok Tong, drei Tage lang die SRV,<br />

und zwar anlässlich des 30. Jahrestags der Aufnahme<br />

diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten<br />

(1973).<br />

Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang auf<br />

zwei wichtige Tatbestände hingewiesen, nämlich, erstens,<br />

auf die führende Rolle Singapurs bei den Investitionen<br />

in <strong>Vietnam</strong> und, zweitens, auf die Ausbildungsleistungen<br />

des Stadtstaats. In Hanoi wurde im November<br />

2001 das „<strong>Vietnam</strong>-Singapore Training Centre“<br />

errichtet, das bisher sieben Kurse für 200 Auszubildende<br />

in den Bereichen Handel, Erziehung, Landwirtschaft,<br />

Transportwesen, Gesundheitswesen, Zollwesen<br />

und Industrie durchgeführt hat. 51<br />

Der Außenhandel zwischen beiden Volkswirtschaften<br />

lag 2002 bei US$ 3,5 Mrd. 52<br />

An Investitionen sind bisher rund 300 Projekte mit<br />

einer Gesamtsumme von rund US$ 7 Mrd. getätigt<br />

worden. 53<br />

– Mitte Dezember 2002 besuchte der erst wenige Monate<br />

vorher inthronisierte König Malaysias die SRV,<br />

und zwar – ebenfalls – aus Anlass des 30-jährigen Bestehens<br />

der diplomatischen Beziehungen (1973).<br />

Unter den Investitionspartnern <strong>Vietnam</strong>s steht Malaysia<br />

gegenwärtig an 12. Stelle – und zwar mit einem<br />

Kapitaltransfer von US$ 1,11 Mrd. 54<br />

Zu den Investoren gehören u.a. zwei malaysische Ölgesellschaften,<br />

nämlich die PVEP-Company und die<br />

Petronas Carigali Overseas Company; beide haben im<br />

Januar 2003 mit Petro<strong>Vietnam</strong> einen „Oil Exploration<br />

and Exploitation Contract“ abgeschlossen, und zwar<br />

über den Los-Bereich 01-02/97, der etwa 11.800 km 2<br />

umfasst und vor der Küste der südlichsten vietnamesischen<br />

Provinz, Cuu Long („Neun Drachen“), liegt. 55<br />

Besonders wichtig für die Wirtschaft <strong>Vietnam</strong>s ist Malaysia<br />

deshalb, weil es schon bald rund 200.000 vietnamesische<br />

Arbeitskräfte als Gastarbeiter beschäftigt.<br />

Bis Dezember 2002 hatte diese Zahl bei lediglich<br />

20.000 gelegen; doch dann wurden auf Regierungsebene<br />

Verträge für die Anwerbung weiterer 180.000<br />

vietnamesischer Arbeiter geschlossen. <strong>Vietnam</strong>esische<br />

Arbeitskräfte gelten in Malaysia als fleißig und anstellig,<br />

doch gibt es häufig Klagen über ihre mangelnden<br />

Sprachkenntnisse – und da und dort auch über Aufsässigkeit.<br />

56<br />

<strong>Vietnam</strong>esische Arbeitskräfte machen, einmal auf<br />

dem Höchststand angelangt, immerhin ein Fünftel aller<br />

in Malaysia beschäftigten Gastarbeiter (eine Million)<br />

aus.<br />

Die malaysische Regierung hat 46 vietnamesischen<br />

Arbeitsvermittlungsagenturen die Lizenz erteilt, geeignete<br />

Arbeitskräfte auszusuchen. Drei dieser Firmen<br />

ist inzwischen die Lizenz wieder entzogen wor-<br />

51 RH,inBBC,4.3.03.<br />

52 ST, 7.3.03.<br />

53 Ebenda.<br />

54 RH, in BBC, 5.12.02.<br />

55 RH,inBBC,7.1.03.<br />

56 XNA, 10.11.02.<br />

den, nachdem einige der von ihnen empfohlenen Arbeiter<br />

gegen die Verhaftung ihrer Kollegen offen Klage<br />

geführt hatten. 57<br />

1.3.2<br />

Repatriierung: Was ist eigentlich aus dem<br />

deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen<br />

von 1995 geworden?<br />

Am 21.8.1995 war das deutsch-vietnamesische Rückführungsabkommen<br />

unterzeichnet worden, das dem Prinzip<br />

„Geld gegen Heimreise“ folgte und in dem sich <strong>Vietnam</strong><br />

verpflichtete, sämtliche SRV-Staatsangehörige, die ohne<br />

gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland leben, zurückzunehmen.<br />

Die Rückführung der rund 40.000 ausreisepflichtigen<br />

<strong>Vietnam</strong>esen sollte nach festen Quoten erfolgen<br />

(1995: 2.500, 1996: 5.000, 1997: 6.000 und 1998:<br />

6.500). 58<br />

Schnell zeigte sich jedoch, dass weder die SRV noch die<br />

betroffenen vietnamesischen Landsleute interessiert waren,<br />

diesen theoretischen Vorgaben auch nur im Geringsten<br />

zu genügen: Die SRV war an der Rückführung nicht<br />

interessiert, da unter den Abzuschiebenden auch Oppositionelle<br />

waren, die nur schwer wieder in die vietnamesische<br />

Gesellschaft hätten eingegliedert werden können. Die Behörden<br />

nutzten daher jeden nur möglichen Anlass, um der<br />

Rückführung Hindernisse in den Weg zu legen; sogar über<br />

Straßennamen und Hausnummern der zu Repatriierenden<br />

wurden präziseste Angaben verlangt; da die Betroffenen<br />

andererseits ebenfalls nicht interessiert waren, hier zu kooperieren,<br />

kam es schon bald zu langen Staus. 59<br />

Am 13. Mai 1998 hatte das Auswärtige Amt mehreren<br />

Staaten die Kürzung der Entwicklungshilfe angedroht,<br />

falls sie sich weigerten, den deutschen Repatriierungsvorstellungen<br />

auch weiterhin Genüge zu leisten. Unter diesen<br />

Ländern war auch <strong>Vietnam</strong>. 60<br />

Schon am Ende der Regierung Kohl (1998) zeigte sich,<br />

dass das Repatriierungsabkommen von 1995 ein Schlag ins<br />

Wasser war. Gerade einmal rund 5.000 Personen waren bis<br />

dahin in ihre Heimat zurückgekehrt.<br />

Nach dem Bonner Regierungswechsel von 1998 begann<br />

die Umsetzung des Abkommens vollends im Sande zu<br />

verlaufen, sieht man einmal von wenigen Ausnahmeerscheinungen<br />

im Jahre 1999 ab. Beim Besuch der BMZ-<br />

Ministerin in Hanoi (Oktober 2000) wurde das Abkommen<br />

von 1995 noch nicht einmal der Erwähnung für wert<br />

befunden. 61<br />

Immerhin führte das Bundesinnenministerium die statistische<br />

Erfassung auch jetzt noch weiter. Auf eine Kleine<br />

Anfrage der PDS von Mitte 2002 erteilte die Bundesregierung<br />

vor dem Deutschen Bundestag eine Reihe von Auskünften,<br />

die zeigen, dass das Abkommen von 1995 bisher<br />

nur zu einem Bruchteil erfüllt worden ist. 62<br />

57 ST, 1.4.03.<br />

58 Ausführlich dazu SOAa, 5/1995, S.387f., 4/1996, S.336 und<br />

6/1996, S.528.<br />

59 SOAa, 6/1998, S.478.<br />

60 Dazu SOAa, 4/1998, S.314.<br />

61 Dazu SOAa, 1/2001, S.42ff.<br />

62 Drucksache der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestags<br />

14/9772 vom 11.7.2002. Der Autor dankt dem Referenten Oliver<br />

Schnakenberg von der deutschen Botschaft in Hanoi für die freundliche<br />

Übermittlung dieses Dokuments.


SÜDOSTASIEN aktuell - 542 - November 2003<br />

Danach liegt die Zahl der „im Zuge des Rückübernahmeabkommens<br />

bis Mitte 2002 nach <strong>Vietnam</strong> zurückgekehrten<br />

Personen“ bei insgesamt 8.656 (in jährlichen Angaben:<br />

1995: 0, 1996: 1.378, 1997: 2.162, 1998: 1.716, 1999:<br />

1.340, 2000: 957, 2001: 718, 1. Halbjahr 2002: 385).<br />

Gemessen werden muss diese Ziffer von nicht einmal<br />

9.000 Personen an den Rückübernahme-Anträgen, die seit<br />

1995 von deutscher Seite an die SRV gestellt worden waren<br />

und deren Zahl sich immerhin auf 38.077 belief.<br />

Bis Mitte 2002 hatte die vietnamesische Seite von diesen<br />

Anträgen 21.573 positiv und 14.844 negativ beschieden.<br />

Am krassesten ist diese Differenz im Jahre 1996 ausgefallen:<br />

Die Bundesregierung wollte 13.055 Personen zurückführen,<br />

die SRV gab aber lediglich 4.912 Anträgen<br />

statt – also etwas mehr als einem Drittel. Dabei ist zu bedenken,<br />

dass selbst diese Stattgaben mehr oder weniger<br />

auf dem Papier stehen bleiben, weil die Praxis der Repatriierung<br />

noch mehr deutsche Wünsche offen ließ, als es<br />

bei den offiziellen vietnamesischen Zugeständnissen der<br />

Fall war.<br />

Als wesentliche Ablehnungsgründe wurden von vietnamesischer<br />

Seite in der Regel falsche bzw. unvollständige<br />

Angaben zum letzten Wohnsitz in <strong>Vietnam</strong> sowie notwendige<br />

Ergänzungen zu den im Rückübernahmeantrag angegebenen<br />

Personendaten genannt. Angesichts mangelnder<br />

Sprachkenntnisse der deutschen Behördenvertreter und<br />

angesichts fehlender Kooperationsbereitschaft der betroffenen<br />

Personen hatten die vietnamesischen Behörden mit<br />

ihrer Abwiegelungspolitik leichtes Spiel.<br />

Nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums<br />

sind keine Fälle bekannt geworden, in denen rückgeführte<br />

vietnamesische Staatsangehörige besonderen Verfolgungsmaßnahmen<br />

oder Schikanen ausgesetzt worden wären.<br />

Dies ist insofern verständlich, als schon der geringste Oppositionsverdacht<br />

bei den vietnamesischen Behörden Ablehnungsmechanismen<br />

ausgelöst hatte.<br />

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte<br />

hatte der deutschen Seite in diesem Zusammenhang immer<br />

wieder vorgeworfen, dass dem Geheimdienst <strong>Vietnam</strong>s<br />

bei den Rückführungsbefragungen allzu großer<br />

Spielraum eingeräumt werde. Demgegenüber pflegte der<br />

Bundesgrenzschutz (BGS) einzuwenden, dass seine Beamten<br />

an den Anhörungen teilgenommen und sich laufend<br />

davon überzeugt hätten, dass nur die durch das Ministerium<br />

für öffentliche Sicherheit in Hanoi entsandten Experten<br />

die Anhörungen durchführen konnten.<br />

Dies ist allerdings keine Antwort auf den erhobenen<br />

Vorwurf, da zu den Angehörigen des vietnamesischen Sicherheitsministeriums<br />

bekanntermaßen auch Funktionäre<br />

gehören, die dem weiten Spektrum der vietnamesischen<br />

Geheimdienste durchaus zuzurechnen sind.<br />

1.3.3<br />

Russland als Raketenlieferant<br />

Siehe dazu oben unter 1.1.3.<br />

2<br />

KAMBODSCHA<br />

2.1<br />

Innenpolitik<br />

2.1.1<br />

Nach den Wahlen ist alles noch komplizierter<br />

geworden<br />

2.1.1.1<br />

Pattsituation zwischen KVP und FUNCINPEC/-<br />

SRP<br />

Am 27. Juli 2003 haben, wie bereits berichtet, 63 die dritten<br />

Nationalwahlen stattgefunden, aus denen die KVP<br />

zum zweiten Mal (nach 1998) als überragende Siegerin<br />

hervorgegangen ist, indem sie 73 von 123 NVK-Sitzen<br />

gewinnen konnte. Für ihre Gegnerin, die FUNCINPEC,<br />

blieben nur 26, für die SRP 24 Sitze. Die übrigen Parteien,<br />

die zusammen gerade einmal rund 10% der Stimmen<br />

auf sich vereinigen konnten, blieben bedeutungslos – und<br />

damit von der Nationalversammlung ausgeschlossen.<br />

Gleichwohl kann die Siegerin KVP ihres Triumphes<br />

nicht so recht froh werden, da nach den Bestimmungen der<br />

Verfassung und des einschlägigen Organisationsrechts eine<br />

Regierung nur auf der Basis von zwei Dritteln der Parlamentssitze<br />

gebildet werden darf. Diese Zweidrittelmehrheit<br />

(d.h. 82 von 123 Sitzen) wurde von der KVP aber<br />

um neun Sitze verfehlt, weshalb sie händeringend nach einem<br />

Koalitionspartner sucht, der 1998 noch in Form der<br />

royalistischen FUNCINPEC zur Verfügung stand, die sich<br />

diesmal allerdings weigert, zum zweiten Mal als Quorum-<br />

Beschaffer zu dienen. Die Weigerung wurde damit begründet,<br />

dass Hun Sen und seine KVP die Wahl manipuliert<br />

und schwer wiegende Verstöße gegen die Bestimmungen<br />

des Wahlgesetzes begangen hätten – die Rede ist von mindestens<br />

300 Unregelmäßigkeiten. 64<br />

Da sich die bisher einzige Oppositionspartei im NVK,<br />

die SRP, diesen Vorwürfen voll anschloss, kommt auch<br />

diese Partei nicht als Koalitionspartner in Frage.<br />

Abgelehnt wurde i.Ü. die Forderung Sam Rainsys, die<br />

am 27. Juli abgegebenen Wahlzettel noch einmal nachzuzählen.<br />

65<br />

Im Zeichen der gemeinsamen Ablehnung haben sich<br />

FUNCINPEC und SRP am 23. August zu einer „Allianz<br />

der Demokraten“ zusammengeschlossen, deren Ziele u.a.<br />

darin bestehen sollen, „die Demokratie in <strong>Kambodscha</strong><br />

zu stärken, gegen Korruption anzukämpfen und gemeinsame<br />

Strategien und Aktionspläne für Auswege aus der<br />

gegenwärtigen politischen Ratlosigkeit zu erarbeiten“. Die<br />

Wahlen vom 27. Juli seien weit davon entfernt, „in freier<br />

und fairer Art und Weise durchgeführt worden zu sein“.<br />

Kurzfristig besteht das Hauptziel der Allianz darin, eine<br />

Drei-Parteien-Koalition – unter Einbeziehung der KVP<br />

– herbeizuführen, und zwar mit dem Zwischenziel, Hun<br />

Sen nicht mehr zum Ministerpräsidenten avancieren zu<br />

lassen. „Dreierallianz minus Hun Sen“ – so etwa ließen sich<br />

die Hauptbestrebungen der Allianzpartner definieren. 66<br />

63 Dazu SOAa, 5/2003, S.447-451<br />

64 Ebenda, S.450.<br />

65 Agence Kampuchea Presse (AKP), Phnom Penh, in BBC,<br />

28.8.03.<br />

66 XNA, 24.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 543 - November 2003<br />

Gegen Absichten dieser Art haben sich bisher drei politische<br />

Kräfte gewandt, nämlich zunächst einmal Hun Sen<br />

selbst, der gar nicht daran denkt, seinen politischen Gegnern<br />

zuliebe auf den Posten des Regierungschefs zu verzichten,<br />

den er seit 1985 gleichsam gepachtet hat, zweitens<br />

die KVP, die darauf hinweist, dass Hun Sen beim KVP-<br />

Parteikongress vom April 2003 bereits als Anwärter auf<br />

die erneute Besetzung des Ministerpräsidentenamts bestätigt<br />

worden sei und drittens kein Geringerer als König<br />

Sihanouk. Sihanouk wies mehrere Male darauf hin, dass<br />

er sich eine neue Regierung ohne Hun Sen nicht vorstellen<br />

könne. Der langjährige Ministerpräsident habe nun einmal<br />

die meisten Stimmen erhalten und besitze deshalb auch<br />

die besten Aussichten, das Spitzenamt weiterhin auszuüben.<br />

Dies müsse er, der König, in seiner Eigenschaft als<br />

neutrales und überparteiliches Organ sine ira et studio anerkennen.<br />

Er müsse daher auch darauf bestehen, dass die<br />

anderen Parteien an den verfassungsgemäß anstehenden<br />

Sitzungen und Zeremonien pflichtschuldigst teilnähmen. 67<br />

Drei solche Veranstaltungen haben bisher stattgefunden,<br />

ohne dass dabei Lösungen für eine Aufhebung des<br />

Patt auch nur in Ansätzen sichtbar geworden wären:<br />

– Am 15. August fand eine erste Sitzung des Kabinetts<br />

nach der Wahl statt, bei der allerdings nur die 17<br />

KVP-, nicht jedoch die neun FUNCINPEC-Minister<br />

erschienen waren. 68<br />

– Auch bei der Inauguralsitzung des NVK am 27. September<br />

glänzten FUNCINPEC und SRP durch Abwesenheit.<br />

Der König hatte diese Sitzung zwar anberaumt,<br />

sich angesichts der vielen leeren Stühle dann<br />

aber doch geweigert, das zeremonielle Präsidium zu<br />

übernehmen und gleichzeitig den Präsidenten des Senats,<br />

Chea Sim, gebeten, ihn hierbei zu vertreten –<br />

was dieser gerne tat, da er ja auch Erster Vorsitzender<br />

der KVP ist, deren 73 Delegierte vollständig erschienen<br />

waren. 69<br />

Gemäß Art. 82 der Verfassung war der König in der<br />

Tat verpflichtet gewesen, die erste NVK-Versammlung<br />

innerhalb von 60 Tagen nach dem Wahltermin einzuberufen.<br />

Die Versammlung am 27. September war<br />

also sozusagen „auf dem letzten Drücker“ erfolgt. Obwohl<br />

der König die anderen Parteien mehrere Male<br />

mit zur Versammlung hinzugebeten – und für den Fall<br />

der Nichtbefolgung sogar (wieder einmal) mit seinem<br />

Rücktritt gedroht hatte –, 70 war seine Aufforderung<br />

ins Leere gegangen.<br />

– Demgegenüber waren sämtliche Delegierte (also alle<br />

123 Abgeordete) bei der am 4.10. in der Thronhalle<br />

im Phnom Penher Königspalast anberaumten Beeidigungszeremonie<br />

erschienen – alle gekleidet in traditioneller<br />

kambodschanischer Manier mit weißen Jacken<br />

und purpurnen Seidenhosen. 71 Der bei dieser Veranstaltung<br />

zu leistende Eid läuft darauf hinaus, dass jeder<br />

Abgeordnete verspricht, seine Amtsgewalt nicht<br />

für sich selbst, für seine Familie oder für eine andere<br />

Interessengruppe zu missbrauchen, dass er ferner<br />

bereit sei, gegen alle Formen von Korruption und so-<br />

67 Fernsehen <strong>Kambodscha</strong>, Phnom Penh, in BBC, 26.9.03.<br />

68 XNA, 15.8.03.<br />

69 XNA, 19.9.03.<br />

70 XNA, 19.9.03.<br />

71 XNA, 4.10.03.<br />

zialer Ungerechtigkeit anzukämpfen und dass er sich<br />

nicht zuletzt für nationale Versöhnung und Einheit<br />

sowie für Frieden und Wohlstand des kambodschanischen<br />

Volkes einsetzen wolle. 72<br />

Da es sich bei der Schwurzeremonie um ein eher zeremonielles<br />

Ereignis gehandelt hat, dem sich ein Bankett<br />

im Königspalast anschloss, konnte die Teilnahme der<br />

FUNCINPEC- und der SRP-Delegierten keineswegs als<br />

Signal des Einlenkens gewertet werden.<br />

Gleichwohl muss Hun Sen mit dem bisherigen Verlauf<br />

des Ereignisses nicht völlig unzufrieden sein, da in der Verfassung<br />

von 1993 ja nirgends davon die Rede ist, dass mit<br />

dem Scheitern einer neuen Koalition die Machtbefugnisse<br />

des alten Ministerpräsidenten verloren gehen. Im Zweifel<br />

behält er vielmehr sein Amt und kann es so lange fortführen,<br />

bis eine neue (von zwei Dritteln aller Abgeordneten<br />

getragene) Lösung gefunden ist.<br />

2.1.1.2<br />

Wie ist die Allianz zwischen FUNCINPEC und<br />

SRP einzuschätzen?<br />

Beide Parteien haben, wie bereits erwähnt, am 23. August<br />

eine „Allianz der Demokraten“ gebildet und sich auf<br />

sechs gemeinsame Prinzipien sowie auf fünf Maßnahmen<br />

geeinigt, die letztlich alle darauf hinauslaufen, Hun Sen<br />

kaltzustellen.<br />

Die gemeinsame Entschlossenheit geht so weit, unter<br />

Umständen sogar die bisherige Identität der beiden Parteien<br />

aufzugeben und den Zusammenschluss zu einer einzigen<br />

Partei herbeizuführen, sobald, wie es heißt, „dafür<br />

der rechte Augenblick gekommen“ sei. 73<br />

Ganz auf dieser Linie haben beide Seiten am 22.8.<br />

beschlossen, Prinz Norodom Ranariddh zum Präsidenten<br />

der neuen Allianz, Sam Rainsy zum Ersten Stellvertretenden<br />

Präsidenten und Prinz Norodom Sirivudh zum Zweiten<br />

Stellvertretenden Präsidenten zu ernennen. Beide Parteien<br />

sollten sich spätestens bis 2008 zu einer einzigen Partei<br />

zusammengeschlossen haben, um dann bei den in dem<br />

Jahr stattfindenden vierten Nationalwahlen als Sieger aus<br />

dem Rennen hervorzugehen.<br />

Bis dahin wolle man nicht aufhören, der KVP die Hände<br />

entgegenzustrecken und sie weiterhin zur Bildung einer<br />

Drei-Parteien-Koalition ohne Hun Sen einzuladen. 74<br />

Vielleicht werde die FUNCINPEC sogar Anfang 2004<br />

bereits aufgelöst und mit der dann ebenfalls verschwindenden<br />

SRP zusammengefasst. Ein neuer Name müsse<br />

noch gesucht werden. „Demokratische Partei“ sei nicht<br />

schlecht, weil diese Bezeichnung ganz auf der gemeinsamen<br />

Linie liege. 75<br />

Man wird abwarten müssen, ob es sich bei Erklärungen<br />

dieser Art nicht nur um taktische Scharmützel handelt,<br />

die schon bald wieder in Vergessenheit geraten – oder<br />

ob hier wirklich die Gründung einer starken Gegenpartei<br />

beabsichtigt ist.<br />

In jedem Fall spielen Ranariddh und Sam Rainsy ein<br />

für sie durchaus waghalsiges Spiel, da sie, wie bereits erwähnt,<br />

am kürzeren Hebel des Geschehens sitzen. Immer-<br />

72 AWSJ, 4.10.03.<br />

73 XNA, 24.8.03.<br />

74 Ebenda und RPP, in BBC, 5.9.03.<br />

75 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 544 - November 2003<br />

hin hat sich der Wähler ja – und zwar nach dem Zeugnis<br />

auch vieler ausländischer Wahlbeobachter – eindeutig für<br />

die KVP und damit auch für Hun Sen ausgesprochen:<br />

eine Aussage, die von keinem Geringeren als König Sihanouk<br />

bestätigt worden ist und die i.Ü. auch dadurch noch<br />

unterstrichen wird, dass Hun Sen ja weiterhin Ministerpräsident<br />

bleibt.<br />

2.1.3<br />

Terrorismus: Anscheinend fern – und doch so nah<br />

Dass <strong>Kambodscha</strong> auch Jahre nach dem Abklingen<br />

des Khmer-Rouge-Terrorismus noch keineswegs aufatmen<br />

und sich ganz in Sicherheit wiegen darf, wird seinen Politikern<br />

– sowie aufmerksamen Beobachtern des Zeitgeschehens<br />

– immer wieder anhand schockierender Ereignisse<br />

deutlich. Im Berichtszeitraum haben sich drei solche Signale<br />

gezeigt:<br />

1) Da war der Tod von Sergio Vieira de Mello, jenes<br />

höchsten UNO-Repräsentanten im Irak, der am<br />

19. August mit rund zwei Dutzend seiner Mitarbeiter<br />

einem Selbstmordattentat in Bagdad zum Opfer<br />

fiel. De Mello war im Laufe seiner langen Karriere<br />

in vielen Ländern tätig gewesen, u.a. auch<br />

in <strong>Kambodscha</strong>. Dort hatte er zwischen 1991 und<br />

1993 im Auftrag der UNTAC (UN Transitional Authority<br />

in Cambodia) an führender Stelle das UN-<br />

Repatriierungsprogramm geleitet, in dessen Vollzug<br />

nicht weniger als 360.000 <strong>Kambodscha</strong>ner aus Thailand<br />

in ihre Heimat zurückgeführt wurden. 76 Der<br />

UNO-„Trouble Shooter“ de Mello hatte seinerzeit<br />

auch sonst zur Lösung zahlreicher Probleme beigetragen<br />

– und war bei der kambodschanischen Führung,<br />

vor allem bei der 1993 noch ganz an der Spitze<br />

stehenden FUNCINPEC überaus beliebt und wohlbekannt<br />

gewesen. Ihm zu Ehren wurden die Flaggen<br />

in Phnom Penh nach dem 19. August auf Halbmast<br />

gesetzt. 77<br />

2) Es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass einer<br />

der Hauptdrahtzieher des Bombenanschlags von Bali<br />

(2002), nämlich der als Chef der indonesischen<br />

Jemaah Islamiyah bekannte Vorsitzende „Hambali“<br />

(wirklicher Name: Reduan Isamuddin) von September<br />

2002 bis März 2003 in Phnon Penh gelebt hat,<br />

und zwar am Boeng-Kak-See – einem Platz, der als<br />

multikultureller Versammlungsort und als Haupttreffpunkt<br />

von Rucksack-Touristen bekannt geworden<br />

ist und an dem vor allem die Dubai-Moschee<br />

liegt, in der die muslimischen Cham ihre religiösen<br />

Andachten abzuhalten pflegen. Hier am See war<br />

Hambali eine bekannte Erscheinung gewesen – mit<br />

seinen auffälligen Brillengläsern, seinen kurzen Hosen<br />

und mit seiner schlaksigen Erscheinung. Harmlos<br />

habe er oft stundenlang am Seeufer gesessen und bei<br />

der Ernte des Uferschilfs zugesehen.<br />

Erst nach seiner im August erfolgten Verhaftung in<br />

Thailand 78 sei man sich bewusst geworden, monatelang<br />

einen der meistgesuchten Terroristen in den<br />

eigenen Mauern beherbergt zu haben. Möglicherwei-<br />

76 Ausführlich dazu SOAa, 4/1992, S.369f. und 6/1992, S.555f.<br />

77 AKP, in BBC, 21.8.03 und XNA, 21. und 25.8.03.<br />

78 Siehe dazu unten unter 2.3.1.<br />

se hatte sich Hambali mit der Absicht getragen, von<br />

<strong>Kambodscha</strong> aus Terroranschläge in ganz Südostasien<br />

zu planen. 79<br />

3) Nicht zuletzt aber empfindet man in <strong>Kambodscha</strong><br />

zunehmendes Unbehagen gegenüber den Cham-<br />

Muslimen, die im Laufe von nur wenigen Jahren immer<br />

mehr „wahabisiert“ worden sind. Seit den Ereignissen<br />

vom 11. September 2001 und seit dem Anschlag<br />

auf Bali am 14. Oktober 2002 ist man vor<br />

allem in Phnom Penh hellhöriger in Sachen Islam<br />

und Terrorismus geworden – und kann den unbehaglich<br />

stimmenden Erfolg der Wahabi-Bewegung vor<br />

allem an drei Phänomenen beobachten, nämlich erstens<br />

an einem rasend schnell voranschreitenden Moscheenbau,<br />

der mit saudi-arabischem Kapital finanziert<br />

wird, zweitens an einem pilzartigen Wachstum<br />

der Wahabi-Koranschulen und drittens am Auftauchen<br />

von Taliban-Anhängern. 80<br />

Kein Wunder, dass die nervös gewordene Regierung<br />

inzwischen zur Tat geschritten ist und 28 Ausländer<br />

aus dem Nahen Osten sowie aus Ostafrika des<br />

Landes verwiesen hat, und zwar unter der Beschuldigung,<br />

dem Terrorismus Vorschub zu leisten.<br />

In <strong>Kambodscha</strong> leben etwa eine halbe Million Moslems,<br />

die zumeist der Minderheit der Cham angehören.<br />

81<br />

2.2<br />

Wirtschaft<br />

2.2.1<br />

Kautschukproduktion in <strong>Kambodscha</strong><br />

Seit in <strong>Kambodscha</strong> – unter der damaligen französischen<br />

Kolonialherrschaft – erstmals Kautschukbäume gepflanzt<br />

wurden, hat sich das Land zu einem bedeutsamen Exporteur<br />

dieses Grundstoffs entwickelt, bis dann im Jahre<br />

1970 der damalige Indochina-Krieg auch <strong>Kambodscha</strong> erfasste<br />

und u.a. die blühende Kautschukindustrie mit zum<br />

Stillstand brachte.<br />

Seit 1993 befindet sich der Kautschukzweig zwar wieder<br />

im Aufbau, doch denkt man mit Wehmut an das Jahr<br />

1970 zurück, als 70.000 ha für den Anbau von Gummibäumen<br />

zur Verfügung standen und als Naturgummi den<br />

zweitgrößten Exportposten gleich nach Bauholz bildete.<br />

Heutzutage ist rund ein Viertel aller Kautschukbäume<br />

in <strong>Kambodscha</strong> älter als 40 Jahre, hat also seine Haupttragfähigkeit,<br />

die vom 6. bis zum 20. Jahr eines Baumlebens<br />

reicht, längst hinter sich. Dringend wäre eine Revitalisierung<br />

des gesamten Bestands vonnöten. 82<br />

Auf der Projektliste des Cambodian Rehabilitation<br />

and Development Board (CRDB) ist unter Nr. 250 die<br />

Wiederbelebung des Gummisektors skizziert. Danach umfasst<br />

die Anbaufläche derzeit (2003) rund 54.000 ha – mit<br />

einer Gesamtproduktion von 45.000 t. Dies wären etwa<br />

25% der Erträge, wie sie in den sechziger und siebziger<br />

Jahren erwirtschaftet wurden.<br />

79 ST, 23.8.03.<br />

80 Dazu ausführlich SOAa, 1/2003, S.56-58 und 4/2003, S.352f.<br />

81 Borneo Bulletin (Website), in BBC, 20.9.03.<br />

82 XNA, 1.7.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 545 - November 2003<br />

Ziel ist es, die Fläche von den gegenwärtig 54.000 ha<br />

auf 70.000 ha auszuweiten und einen Jahresertrag von<br />

80.000 t anzustreben, mit dessen Ausfuhr das Land Erlöse<br />

in Höhe von jährlich US$ 54 Mio erzielen könnte.<br />

Ein weiteres Ziel ist organisatorischer Art: Die sieben<br />

gegenwärtig existierenden staatseigenen Plantagen sollten<br />

so umorganisiert werden, dass sie effizienter wirtschaften.<br />

Am sinnvollsten erscheint hierbei eine Allianz (Joint-<br />

Venture-Bildung) von staatlichen und privaten Unternehmern,<br />

vielleicht auch eine Vergenossenschaftlichung. Ermutigt<br />

werden sollen außerdem private Kleinunternehmen,<br />

mehr Kautschukbäume anzupflanzen und alle künftigen<br />

Erträge möglichst unter Marktbedingungen zu vertreiben<br />

– mit Ausnahme allerdings des Exports von Rohgummi,<br />

der nach wie vor behördlicher Genehmigung bedarf.<br />

83<br />

Der Anbau von Kautschuk gilt auch deshalb als besonders<br />

erstrebenswert, weil er, erstens, die komparativen<br />

Vorteile des Landes (billige, aber zum größten Teil<br />

unterbeschäftigte Arbeitskräfte auf dem Land) ausnutzt<br />

und weil er, zweitens, mehrere Erträge nebeneinander einbringt,<br />

nämlich Latex, Gummibaumholz, das vor allem<br />

nach dem Ablauf der Latex-Periode interessant wird und<br />

das sich für Möbel, Parkette, Haushaltsgegenstände und<br />

wegen seiner leicht cremigen Farbe auch für Zierrat verwenden<br />

lässt, sowie Tierfutter, vor allem Schweinefutter,<br />

das aus den Latexbaumsamen gewonnen werden kann und<br />

das lange Zeit achtlos vergeudet wurde, bis die wissenschaftliche<br />

Forschung den hohen Nutzwert als Nahrungsmittel<br />

nachwies. 84<br />

Überdies lassen sich in den Reihen zwischen den Kautschukbäumen<br />

noch weitere Nutzpflanzen unterbringen,<br />

seien es nun Ananas, Kassawa, Sojabohnen oder grüne<br />

Bohnen. Da die Haltung von Gummibäumen überdies äußerst<br />

arbeitsintensiv ist (beim Anzapfen der Bäume müssen<br />

bogenförmige Ringe in die Rinde geschnitten werden,<br />

von denen aus dann der Latex-Saft in Behältnisse tropft),<br />

wäre die Gummibaum-Kultivierung auch für den kambodschanischen<br />

Arbeitsmarkt ein Segen.<br />

Allgemein gesprochen wird Natural Rubber (NR) aus<br />

der ursprünglich in Südamerika beheimateten Hevea Brasiliensis<br />

gewonnen, einem Baum, der bei der dortigen<br />

Bevölkerung als „Tränender Baum“ (verballhornt: „Kautschuk“)<br />

bekannt war.<br />

Der milchig-wässrige Latex-Saft, der aus den angeschnittenen<br />

Latex-Bäumen tropft, wird (durch Zentrifugierung<br />

oder durch Koagulation, also Vermischung mit<br />

Säuren) auf 60% eingedickt und dann verarbeitet, und<br />

zwar entweder zu Crepes ausgewälzt, zu 33,3 kg schweren<br />

Ziegeln gepresst oder durch Rauch zu „Smoked Sheets“<br />

präpariert. Im Endverfahren wird das Material dann vulkanisiert,<br />

d.h. mit Stoffen versetzt, die den Gummi in den<br />

gewünschten Endzustand versetzen, sei es nun in die Form<br />

von Autoreifen, von Schläuchen oder von dünnwandigen<br />

Artikeln wie z.B. Gummihandschuhen.<br />

Seit Jahren legt die Regierung Hun Sens Wert darauf,<br />

dass Latex in <strong>Kambodscha</strong> selbst zu einem möglichst hohen<br />

Grad verarbeitet wird. Zu diesem Zweck soll nach und<br />

83 Abgedruckt in www.cdc-crdb.gov.kh, recherchiert am 19.10.03.<br />

84 Vgl. dazu „Evaluation of Rubber Seed as a Feed Resource for<br />

Pig Production“, www.utafoundation.org/utacambod, besucht am<br />

19.10.03.<br />

nach auch eine eigene Industrie aufgebaut werden. Bisher<br />

allerdings wurde der kostbare Rohstoff meist zu Schleuderpreisen<br />

an Nachbarländer, sei es nun nach Thailand<br />

oder <strong>Vietnam</strong>, verkauft, wobei korrupte Beamte und Militärs<br />

die Finger mit im Spiel hatten.<br />

Bereits im Oktober 1994 war ein erstes Verbot von<br />

Latex-Exporten erlassen worden – offensichtlich ohne<br />

große Wirkung. Aus diesem Grund wiederholte die Regierung<br />

das Verbot Anfang Juli 2003. 85 In der Acht-<br />

Punkte-Direktive wird aber nicht nur der Export von Latex,<br />

sondern auch von Gummibaumholz untersagt. Für<br />

jede Grenzüberschreitung müsse eine eigene behördliche<br />

Lizenz vorgelegt werden.<br />

Ob dies allerdings den illegalen Export zum Einhalt<br />

bringt, ist ungewiss. Am 10. und 11. Oktober 2001 hatte<br />

es in der Kautschuk-Hauptprovinz, nämlich in Kompong<br />

Cham, mehrere Aufsehen erregende Beschlagnahmen ganzer<br />

Lkw-Ladungen gegeben, die auf ihrem Weg hinüber<br />

nach <strong>Vietnam</strong> kurz vor der Grenzüberschreitung abgefangen<br />

worden waren. Mehrere Beamte, die in den Skandal<br />

verwickelt waren, wollten sich darauf hinausreden, dass<br />

das Latex nicht nach <strong>Vietnam</strong>, sondern an einen anderen<br />

Vermarktungspunkt im Memot-Distrikt der Provinz<br />

Kompong Cham gebracht werden sollte – eine Einlassung,<br />

die sich als falsch erwies und die Sanktionen auslöste. 86<br />

Die kambodschanische Regierung ist sich wohl bewusst,<br />

dass rund 90% der NR-Produktion aus Südostasien<br />

stammen und dass allein die drei Länder Thailand,<br />

Indonesien und Malaysia 85% produzieren. <strong>Kambodscha</strong><br />

liegt also zwar weit zurück, doch glaubt man, hier einiges<br />

an Boden wieder gutmachen zu können. Voraussetzungen<br />

hierfür wären allerdings erstens einmal zusätzliche Bodenüberlassungen,<br />

zweitens die Anpflanzung junger Bäume,<br />

drittens wissenschaftliche Experimente in den einzelnen<br />

Gegenden des Landes zur Ermöglichung maximaler Erträge<br />

und viertens die Ermutigung von Einzelhaushalten,<br />

neben den acht großen staatlichen Plantagen (genannt seien<br />

hier vor allem die Firmen Chub, Memot und Cham<br />

Karadoung) zusätzlich aktiv zu werden. Ganz in diesem<br />

Sinn unterscheidet man heute zwischen zwei Sektoren des<br />

Kautschuk-Unternehmertums, nämlich dem Staatssektor,<br />

der möglichst bald einer Vergenossenschaftlichung zugeführt<br />

werden soll, und dem wachsenden Privatsektor. 87<br />

Im Idealfall können pro Hektar 375 Bäume angepflanzt<br />

werden; damit ließen sich dann 250 kg NR pro Hektar in<br />

einem Jahr gewinnen. 88<br />

Um international wieder Anschluss zu finden, ist <strong>Kambodscha</strong><br />

bereits am 24. Oktober 2001 dem International<br />

Rubber Research Development Board (IRRDB) als 16.<br />

Mitglied beigetreten. Das Land versprach sich von diesem<br />

Beitritt vor allem Hilfe für die neu zu errichtenden<br />

Familienplantagen sowie verstärkte internationale Unterstützung<br />

bei der Kautschukbaum-Forschung. Gleichzeitig<br />

erhofft man sich längerfristig Beihilfen der Weltbank, da<br />

die Verstärkung der Kautschuk-Produktion ja auch als ein<br />

Mittel zur Armutsbekämpfung instrumentalisiert werden<br />

soll. 89<br />

85 XNA, 1.7.03.<br />

86 Dazu RK, in FBIS/EAS, 31.10.01.<br />

87 Dazu www.utafoundation.org, 19.10.03.<br />

88 Dazu www.gatewayorg.com, 18.10.03.<br />

89 XNA, 25.10.01; Statistiken auch in World Rubber Statistic


SÜDOSTASIEN aktuell - 546 - November 2003<br />

2.2.2<br />

Geschafft: <strong>Kambodscha</strong> ist am 11. September<br />

WTO-Mitglied geworden<br />

1994 hatte <strong>Kambodscha</strong> seinen Antrag auf Aufnahme in<br />

die Welthandelsgemeinschaft gestellt. Neun Jahre später<br />

wurde jetzt der Durchbruch erzielt und das Land am<br />

11. September 2003 als 147. Mitglied aufgenommen, und<br />

zwar während der WTO-Sitzung in Cancun (Mexiko).<br />

Gleichzeitig mit <strong>Kambodscha</strong> wurde auch Nepal kooptiert.<br />

Beide haben es geschafft, als erste „Least Developed<br />

Countries“ (LDC) Mitglieder der 1994 als Nachfolgerin<br />

des GATT gegründeten Welthandelsorganisation WTO<br />

zu werden. 90 Nicht zu Unrecht betonte Hun Sen, dass<br />

dies ein „historischer Tag“ sei. Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten<br />

Bürgerkrieg (1970-1993) hat es sein Land in der<br />

Tat zur WTO-Mitgliedschaft gebracht, obwohl es seine<br />

Haushaltsausgaben noch immer zu rund 50% vom Ausland<br />

decken lassen muss und obwohl rund ein Drittel der<br />

Bevölkerung immer noch mit einem Tageseinkommen von<br />

weniger als US$ 1 zurechtkommen muss. Obendrein ist<br />

<strong>Kambodscha</strong> noch vor <strong>Vietnam</strong> und vor Russland WTO-<br />

Mitglied geworden! 91<br />

Die Regierung erhofft sich vom „Ritterschlag“ des<br />

WTO-Beitritts vor allem zwei Auswirkungen, nämlich<br />

erstens einen Imagegewinn bei den Handelspartnern und<br />

eine Stärkung der heimischen Textil- und Schuhindustrie.<br />

Skeptiker allerdings befürchten in Punkt 2 gerade das Gegenteil:<br />

dass <strong>Kambodscha</strong> mit seinen schwachen Strukturen<br />

nämlich hinweggefegt werden könnte, vor allem von<br />

den starken asiatischen Konkurrenten Thailand und China.<br />

Müsse überdies nicht auch die allmähliche Abwanderung<br />

der Textilindustrie in Länder wie China oder <strong>Vietnam</strong><br />

befürchtet werden?<br />

In der Tat dürften durch den WTO-Beitritt vor allem<br />

zwei Schlüsselsektoren besonders in Mitleidenschaft<br />

gezogen werden, nämlich die Bekleidungsindustrie und<br />

die Landwirtschaft – letztere besonders bedeutsam, da sie<br />

nach wie vor rund 50% zum BIP beiträgt (Industrie: 15%,<br />

Tertiärsektor: 35%) und überdies rund 80% der Arbeitskräfte<br />

beschäftigt. Eine Importschwemme aus Thailand,<br />

China, <strong>Vietnam</strong> oder Indien könnte hier also verheerende<br />

Schäden anrichten.<br />

Noch stärker auf die Probe dürften, wie bereits erwähnt,<br />

die 220 Textilfabriken gestellt werden, die rund<br />

200.000 Arbeiter beschäftigen und die Textilien unter den<br />

Marken „The Gap“, „Banana Republic“ und „Polo“ herstellen.<br />

Textilien und Schuhe sind bisher die Hauptantriebskräfte<br />

der Volkswirtschaft gewesen und bestreiten<br />

etwa 85% jener Gesamtexporte, die sich 2002 auf rund<br />

US$ 1,5 Mrd. belaufen haben und von denen der Löwenanteil<br />

in die USA geht.<br />

Immerhin kann sich <strong>Kambodscha</strong> mit zwei Überlegungen<br />

trösten: Erstens wird die Zulassung zur Welthandelsgemeinschaft<br />

von der WTO mittlerweile auch als ein Mittel<br />

verwendet, um den neuen Mitgliedern zu einer Reduzierung<br />

ihrer Armut zu verhelfen. Nach den bisherigen<br />

WTO-Regeln können entwickelte Länder auf Textilimporte<br />

Quoten erheben, um ihre einheimische Textilindustrie<br />

zu schützen. WTO-Mitglieder jedoch dürfen ab Janu-<br />

Handbook 1975-2001, Vol.6.<br />

90 XNA, 12.9.03.<br />

91 Vgl. auch SOAa, 5/2003, S.451f.<br />

ar 2005 nicht mehr länger mit solchen Quoten belastet<br />

werden. Quotenregelungen gelten dann also nur noch für<br />

Nicht-WTO-Mitglieder. Aus diesem Grund haben Phnom<br />

Penher Politiker den WTO-Beitritt <strong>Kambodscha</strong>s auch<br />

bereits zur Überlebensfrage erklärt.<br />

Zweitens kann <strong>Kambodscha</strong> von sich aus einiges tun,<br />

um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. So kann es<br />

bspw. seine Transferkosten senken. Immer noch lasten ja<br />

hohe „inoffizielle“ Aufwendungen – nicht zuletzt die Bürden<br />

einer schwerfälligen und korrupten Bürokratie – auf<br />

den ohnehin nicht gerade üppigen Gewinnen aus Textilund<br />

Schuhexporten. Darüber hinaus nimmt die Anlieferung<br />

zu viel Zeit in Anspruch. Für Waren vom Stammland<br />

in die USA benötigt China bspw. im Durchschnitt 30 Tage<br />

und Indien 45 Tage, <strong>Kambodscha</strong> dagegen 60 Tage. 92<br />

Nicht zuletzt aber ist das wirtschaftsrechtliche Regelwerk<br />

in <strong>Kambodscha</strong> nach wie vor viel zu unberechenbar und<br />

wirkt bei den Exportpartnern deshalb nicht gerade Vertrauen<br />

erweckend. Wandel tut hier Not!<br />

Allen Bedenken und Schwierigkeiten zum Trotz darf<br />

die Aufnahme in den WTO-Club aber als Vertrauensbeweis<br />

von Seiten der WTO interpretiert werden, die den<br />

in <strong>Kambodscha</strong> erreichten Liberalisierungsgrad offensichtlich<br />

höher einschätzt als den marktwirtschaftlichen Reifegrad<br />

in den Nachbarländern <strong>Vietnam</strong> oder gar <strong>Laos</strong>. Die<br />

Aufnahme ist überdies als Zeichen der Hoffnung gedacht,<br />

das potenziellen Investoren den Glauben an eine bessere<br />

Zukunft des Landes wiedergeben und sie zu noch höheren<br />

Transfers ermutigen soll (vor allem die Textil- und die<br />

Schuhindustrie), und sie ist ferner eine diskrete Aufforderung,<br />

noch schneller mit Korruption und Bürokratismus<br />

aufzuräumen und für eine fortschrittlichere Gesetzgebung<br />

zu sorgen.<br />

2.3<br />

Außenpolitik<br />

2.3.1<br />

Beziehungen zu Thailand: Fast schon wieder normal<br />

Wie bereits ausführlich gemeldet, 93 war es am 29. Januar<br />

2003 in Phnom Penh zu einem anti-thailändischen Pogrom<br />

gekommen, bei dem die thailändische Botschaft und<br />

eine Reihe von thailändischen Geschäftsniederlassungen<br />

gebrandschatzt und mehrere Thais persönlich in gefährlicher<br />

Weise bedroht worden waren. Bangkok hatte mit drei<br />

Gegenmaßnahmen reagiert und <strong>Kambodscha</strong> dadurch zu<br />

einem „Gang nach Canossa“ gezwungen, in dessen Verlauf<br />

das kambodschanische Außenministerium Schadensersatz<br />

in Höhe von US$ 5,92 Mio. für die Zerstörung des Botschaftsgebäudes<br />

angeboten hatte. Außerdem waren 57<br />

Personen aufgrund von „extremem Vandalismus“ festgenommen<br />

worden. Zu verantworten hatten sich auch zwei<br />

Journalisten, die mit falschen Meldungen (eine bekannte<br />

thailändische Schauspielerin soll angeblich behauptet<br />

haben, Angkor gehöre Thailand) den Wutausbruch der<br />

Demonstranten ausgelöst hatten.<br />

Nach diesen Sühnemaßnahmen der kambodschanischen<br />

Seite kam es schnell wieder zur Renormalisierung:<br />

92 AWSJ, 3.9.03.<br />

93 Einzelheiten in SOAa, 2/2003, S.153-156 und 4/2003, S.359.


SÜDOSTASIEN aktuell - 547 - November 2003<br />

Am 24. April wurden die Botschaften beider Länder wieder<br />

eröffnet, und am 31. Mai/1. Juni fanden gemeinsame<br />

Kabinettssitzungen beider Länder statt, bei denen fünf<br />

Memoranden sowie eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet<br />

wurden. 94 Am 31. Mai wurde auch der Grenzübergang<br />

nahe dem – zwischen beiden Seiten jahrzehntelang<br />

umstrittenen – Preah-Vihear-Tempel wieder geöffnet,<br />

der am 17. Dezember 2001 von Thailand einseitig<br />

geschlossen worden war: Dies sollte eine Geste der Versöhnung<br />

sein, die in der Tat von den Bevölkerungen beider<br />

Seiten auf der Stelle verstanden und als solche akzeptiert<br />

wurde.<br />

Am 15. September verkündete das Stadtgericht von<br />

Phnom Penh die Urteile über die 58 bei den antithailändischen<br />

Übergriffen vom Januar 2003 dingfest gemachten<br />

Unruhestifter. 56 der Angeklagten wurden mit<br />

Freiheitsstrafen zwischen einem Monat und drei Jahren<br />

und anschließender fünfjähriger Bewährung verurteilt,<br />

zwei kamen mit Freiheitsstrafen von zwei und sechs Wochen<br />

davon. 21 der Verurteilten waren im Gerichtssaal anwesend,<br />

während die anderen in absentia verurteilt wurden.<br />

95<br />

Zur Renormalisierung auf Regierungsebene war es im<br />

April gekommen, nachdem <strong>Kambodscha</strong> die erwähnten<br />

US$ 5,9 Mio. als Schadensersatz für die Zerstörungen in<br />

der thailändischen Botschaft bezahlt hatte. Was die Schadensersatzforderungen<br />

der insgesamt 17 betroffenen thailändischen<br />

Firmen anbelangt, so sind sie nach wie vor<br />

in der Schwebe. Fünf der Firmen haben die Kompensationsgespräche<br />

bereits unter Dach und Fach gebracht,<br />

zwei warten auf eine Vertragsunterzeichnung; die übrigen<br />

stellen – nach einer Behauptung des Regierungssprechers<br />

Khieu Kanharith – überzogene Forderungen, sodass man<br />

mit ihnen bisher keine Einigung habe finden können. 96<br />

Es wurde oben behauptet, dass sich die Beziehungen<br />

normalisiert haben. Allerdings schließt diese Renormalisierung<br />

weiter andauernde sonstige Streitigkeiten keineswegs<br />

aus – an sie hat sich die Öffentlichkeit beider Länder<br />

ja seit Jahrzehnten gewöhnt. So gaben bspw. die thailändischen<br />

Behörden bekannt, dass sie im Vorfeld der APEC-<br />

Konferenz vom 20. Oktober 2003, zu der nicht zuletzt der<br />

US-amerikanische Präsident erscheinen sollte, eine große<br />

„Säuberungsaktion“ in Bangkok durchführen wollten. U.a.<br />

sollten auch 600 <strong>Kambodscha</strong>ner abgeschoben werden, die<br />

sich bisher illegal in Thailand aufhielten. „Straßenhändler,<br />

Bettler und streunende Tiere“ wurden bezeichnenderweise<br />

in einem Atemzug als Ziele der „Clean Up“-Operationen<br />

bezeichnet. 97<br />

Die betreffenden <strong>Kambodscha</strong>ner wurden dann in der<br />

Tat am 29. und 30. September mit C-130-Flugzeugen nach<br />

<strong>Kambodscha</strong> repatriiert. Hun Sen zeigte sich darüber wenig<br />

erfreut und war vor allem darüber verärgert, dass<br />

die thailändischen Behörden die Ausweisung an die Öffentlichkeit<br />

gebracht hatten; vorher war Thailand gebeten<br />

worden, die Einwanderer nicht zur Schau zu stellen<br />

und insbesondere von einer spektakulären Medienberichterstattung<br />

abzusehen.<br />

94 Näheres dazu SOAa, 4/2003, S.359.<br />

95 XNA, 15.9.03 und AWSJ, 12.9.03.<br />

96 AWSJ, 12.9.03.<br />

97 XNA, 23.9.03.<br />

Darüber hinaus warfen die thailändischen Behörden<br />

der kambodschanischen Regierung vor, sie habe nicht genügend<br />

getan, um terroristische Anschläge auf die APEC-<br />

Konferenz zu vereiteln. U.a. seien nicht weniger als sechs<br />

SAM-Raketen von <strong>Kambodscha</strong> nach Bangkok geschmuggelt<br />

worden. Hinter der Transaktion stehe vermutlich der<br />

Terroristenführer Hambali, 98 der im August 2003 in Thailand<br />

verhaftet worden war und dessen Jemaah Islamiyah<br />

möglicherweise geplant habe, sowohl auf die Konferenzteilnehmer<br />

als auch auf israelische Passierflugzeuge am<br />

Flughafen von Bangkok Anschläge zu verüben. 99<br />

Allerdings streckte die thailändische Regierung dem<br />

Ministerpräsidenten Hun Sen auch die Hand entgegen,<br />

und zwar bei zwei Gelegenheiten, als sie nämlich (1) am<br />

18. September eine Verfügung herausgab, derzufolge politische<br />

Aktionen innenpolitischer Gegner gegen die kambodschanische<br />

Regierung von thailändischem Boden aus<br />

unterbunden würden (verdächtige Personen sollten aufgespürt<br />

und an politischen Aktionen gehindert werden) 100<br />

und als ferner (2) Oppositionspolitiker Sam Rainsy am 14.<br />

August 2003 Sprechverbot in Bangkok erhielt. Sam Rainsy<br />

wollte anlässlich einer Reise nach Frankreich in Bangkok<br />

einen Zwischenstopp einlegen und vor dem dortigen<br />

„Foreign Correspondents Club of Thailand“ eine Rede halten,<br />

die sich kritisch mit Hun Sen und seinem angeblich<br />

manipulierten Wahlsieg vom 27. Juli auseinandersetzen<br />

sollte. 101<br />

Auch sonst ließ die thailändische Regierung nichts unversucht,<br />

um mit <strong>Kambodscha</strong> wieder ins Reine zu kommen.<br />

Am 31.7. und 1.8.2003 fand bspw. in Bangkok ein<br />

Außenministertreffen der vier Länder <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>,<br />

Myanmar und Thailand statt, auf dem Fragen der wirtschaftlichen<br />

Kooperation besprochen wurden. 102 Nicht<br />

zuletzt sollte auch der gemeinsame Tourismus gefördert<br />

und hierzu bspw. ein Golfkurs im Grenzgebiet zwischen<br />

Thailand, <strong>Laos</strong> und <strong>Kambodscha</strong> abgesteckt werden – ein<br />

Vorhaben, das wiederum bei Umweltschützern auf Protest<br />

stieß, weil dieses Gelände mitten in ein Wasserscheidengebiet<br />

des Nationalparks von Ubon Rachathani hineinverlegt<br />

werden würde.<br />

Am 1. Juli 2003 hatte das thailändische Kabinett überdies<br />

seine Absicht bekannt gegeben, eine weitere Verbindungsroute<br />

zwischen der thailändischen Ostprovinz Trat<br />

und der kambodschanischen Westprovinz Koh Kong zu<br />

bauen – eine Straße und vier Brücken, die als solche zum<br />

„Strategieplan der Thaksin-Regierung“ gehörten. 103<br />

All diese Aktionen zeigen, dass Regierung und Geschäftswelt<br />

Thailands nach wie vor reges Interesse an einem<br />

weiteren Ausbau der Beziehungen zu <strong>Kambodscha</strong><br />

haben – allen Misshelligkeiten der vergangenen Monate<br />

zum Trotz.<br />

98 Dazu oben unter 2.1.3.<br />

99 Radio Australia, in BBC, 1.10.03.<br />

100 XNA, 18.9.03.<br />

101 AWSJ, 14.8.03.<br />

102 XNA, 14.7.03.<br />

103 XNA, 1.7.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 548 - November 2003<br />

3<br />

LAOS<br />

3.1<br />

Innenpolitik<br />

3.1.1<br />

Das Dauerthema Drogen<br />

3.1.1.1<br />

Ein neues Fünferbündnis und die Chiang-Rai-Erklärung<br />

Im Kampf gegen den Konsum von Drogen, zu denen<br />

sowohl das traditionelle Opium als auch Heroin und<br />

Designerdrogen gehören, ist es im Raum Südostasien<br />

zu einer Reihe von regionalen Allianzen gekommen:<br />

Im ASEAN-Rahmen arbeiten die zehn Mitgliedsländer<br />

zusammen, im Mekong-Rahmen gibt es ein Sechserbündnis<br />

(<strong>Laos</strong>, Myanmar, Thailand, China, <strong>Kambodscha</strong>,<br />

<strong>Vietnam</strong>), im Bereich des Goldenen Dreiecks ein Viererbündnis<br />

(<strong>Laos</strong>, China, Myanmar, Thailand), im<br />

Bereich Indochina ein Dreierbündnis (<strong>Laos</strong>, <strong>Kambodscha</strong>,<br />

<strong>Vietnam</strong>) und schließlich noch eine Reihe von<br />

Zweierbündnissen (<strong>Laos</strong>/<strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>/<strong>Vietnam</strong>,<br />

<strong>Laos</strong>/Myanmar, <strong>Laos</strong>/Thailand). 104 Daneben gibt es<br />

dann noch nationale Eigenanstrengungen der einzelnen<br />

Länder, u.a. auch der LDVR, die zum einen ein Opium-<br />

Substitutionsprogramm aufgelegt hat und andererseits<br />

mit polizeilichen sowie mit gerichtlichen Mitteln vorgeht,<br />

ja für bestimmte Fällen sogar die Todesstrafe eingeführt<br />

hat. 105<br />

Die meisten der oben genannten Bündnisse zeichnen<br />

sich vor allem durch große Gesten und große Worte aus,<br />

ohne dass allzu viel geschieht.<br />

In jüngerer Zeit hat das erwähnte Viererbündnis (im<br />

Bereich des Goldenen Dreiecks) stärker von sich reden<br />

gemacht und vom 22. bis 25. Mai 2003 im nordthailändischen<br />

Chiang Rai eine Konferenz veranstaltet, bei der<br />

auch eine neue Deklaration – die „Chiang-Rai-Erklärung“<br />

– herausgegeben wurde.<br />

Teilnehmer waren die um das „Dreieck“ herum angeordneten<br />

Länder China, Myanmar, Thailand und <strong>Laos</strong>,<br />

denen sich als Fünfter im Bunde mittlerweile auch der<br />

westlich Nachbarstaat Myanmars, Indien, angeschlossen<br />

hat.<br />

Bei der Konferenz riefen sich die Teilnehmerstaaten<br />

ins Gedächtnis, dass Myanmar und <strong>Laos</strong> die Opiumproduzenten<br />

Nr. 2 und 3 in der Welt sind. 106 An erster Stelle<br />

steht mittlerweile wieder Afghanistan, das zum „Normalzustand“<br />

zurückgekehrt ist, nachdem die Taliban zwischendurch<br />

ein religiös bedingtes radikales Opiumanbauverbot<br />

erlassen und damit einer verhängnisvollen Entwicklung<br />

vorübergehend Einhalt geboten hatten.<br />

Nach Expertenschätzungen 107 wurden i.J. 2002 von<br />

Afghanistan und Myanmar 75% bzw. 20% der Weltproduktion<br />

bestritten. <strong>Laos</strong> folgt hier erst mit weitem Ab-<br />

104 Systematisch dazu SOAa, 1/2002, S.92-94.<br />

105 Ebenda, S.94ff.<br />

106 XNA, 25.7.03.<br />

107 Wiedergegeben in www.forword-thinking-ondrugs.org.docs/fazey<br />

-and-lloyd-summary.d, besucht am 9.9.03.<br />

stand. Generell zeige sich weltweit – und auch im Rahmen<br />

Südostasiens – eher eine Zunahme der Probleme, wobei<br />

der Verbrauch von Amphetaminen in Ost- und Südostasien<br />

mit zu den dramatischsten Entwicklungen gehört. Angesichts<br />

dieser Lage könne man davon ausgehen, dass das<br />

Ziel der UNO, die Drogensituation bis 2008 weltweit unter<br />

Kontrolle zu bekommen, überaus gefährdet sei. Während<br />

sich nämlich die Lage in den entwickelten Ländern langsam<br />

stabilisiere, nehme der Drogenkonsum in Entwicklungsländern<br />

nach wie vor rapide zu. Dies gelte auch für<br />

Indien, das nicht zuletzt aus diesem Grund an der Chiang-<br />

Rai-Konferenz mit Engagement teilgenommen hat.<br />

In Chiang Rai, das etwa 800 km nördlich von Bangkok<br />

– und zwar direkt im Grenzbereich zu Myanmar<br />

und <strong>Laos</strong> – liegt, wurde beschlossen, in Zukunft nicht<br />

nur den Handel mit fertigen Drogenprodukten stärker zu<br />

unterbinden, sondern auch bereits den Handel mit den<br />

drei Hauptgrundstoffen, nämlich Ephedrinen, Pseudo-<br />

Ephedrinen und Anhydriden zu kontrollieren.<br />

Des Weiteren sollen die Drogensubstitutionsmaßnahmen<br />

in Zukunft weiter verstärkt werden. Nur wenn die<br />

Opiumbauern glaubhafte Alternativen angeboten bekommen,<br />

besteht nämlich die Chance, dass sie den für sie so<br />

rentablen – und übrigens auch altehrwürdigen – Anbau<br />

von Schlafmohn definitiv einstellen. 108<br />

Da der Drogenhandel vielfach auf dem Mekong abgewickelt<br />

wird, sollen die vier Anliegerstaaten auch hier<br />

eng kooperieren, vor allem von ihren Mekong-Häfen aus<br />

– diese sind Jinghong in China, Ban Pong in Myanmar,<br />

Huay Sai in <strong>Laos</strong> und Chiang Saen sowie Chiang Kong in<br />

Thailand. 109 Der Lancang/Mekong, der von seinem Ursprung<br />

auf dem Qinghai-Tibet-Plateau bis zur Mündung<br />

in <strong>Vietnam</strong> 4.880 km zurücklegt, dürfe kein Drogenfluss<br />

werden! 110<br />

Bereits im August 2001 hatten die erwähnten vier<br />

ursprünglichen Mitgliedsländer eine „Beijing-Declaration“<br />

herausgegeben, in der eine enge Zusammenarbeit in der<br />

Drogenbekämpfung beschworen worden war. 111<br />

Die Chiang-Rai-Erklärung, der sich nun auch Indien<br />

anschließt, erweitert diese Kampfgemeinschaft. 112<br />

Die beiden Nachbarn <strong>Laos</strong> und Thailand hatten sich<br />

bereits Ende August 2002 auf ein Drogenbekämpfungsprogramm<br />

geeinigt – unabhängig davon, dass Kooperationsabkommen<br />

auch bereits in früheren Jahren geschlossen<br />

wurden, so z.B. im Mai 1997. 113 Mit den Vereinbarungen<br />

von 2002 hatte Thailand die Laoten in die Pflicht nehmen<br />

wollen, gegen die rund 30 Amphetamin-Giftküchen<br />

auf laotischem Gebiet schärfer vorzugehen, die sich nach<br />

thailändischen Ermittlungen auf LDVR-Gebiet eingenistet<br />

hätten. Von dort aus würden Monat für Monat durchschnittlich<br />

15 Millionen „Speed“-Pillen nach Thailand geschmuggelt,<br />

was in Thailand zu einer regelrechten yaba-<br />

(„Verrückte Medizin“-) Epidemie geführt habe. 114<br />

Die laotische Seite wollte sich auf das thailändische<br />

Ansinnen allerdings nicht so recht einlassen, da <strong>Laos</strong> ja<br />

108 XNA, 12.7.03.<br />

109 XNA, 10.7.03.<br />

110 XNA, 3.7.03.<br />

111 SOAa, 1/2002, S.93.<br />

112 XNA, 24.7.03.<br />

113 VT, 14.-16.5.97.<br />

114 N, 30.8.02.


SÜDOSTASIEN aktuell - 549 - November 2003<br />

nicht eine Produktions-, sondern lediglich eine Transitregion<br />

für Drogen aus ganz anderen Regionen sei.<br />

Auch beim Treffen von Chiang Rai trat ans Tageslicht,<br />

was bereits bei anderen Zusammenkünften breit gemacht<br />

hatte – nämlich gegenseitiges Misstrauen. Vor allem gegenüber<br />

Myanmar, aber auch gegenüber <strong>Laos</strong> scheint der<br />

Verdacht doppelbödigen Verhaltens zu bestehen: Sie unterschrieben<br />

zwar brav alle Drogenkooperationsvereinbarungen,<br />

profitierten insgeheim jedoch vom Fortbestand<br />

der mittlerweile etablierten Produktions- und Vertriebspraxis.<br />

115<br />

3.1.1.2<br />

Die Bedeutung von Amphetaminen und „Speed“<br />

Zu der Unzahl von Drogen, die Körperfunktionen hyperaktiv<br />

beeinflussen, gehören vor allem vier, nämlich Koffein,<br />

Kokain, Nikotin und seit den letzten Jahrzehnten<br />

auch Amphetamin, das vor allem aufs Gehirn und auf das<br />

Zentrale Nervensystem wirkt und das wegen seiner vorübergehend<br />

euphorisierenden Effekte im Westen als „Ecstasy“<br />

oder „XTC“ bekannt geworden ist. Amphetamine<br />

erscheinen heutzutage in drei Formen auf dem Markt, die<br />

sich hauptsächlich nach den Beigaben voneinander unterscheiden,<br />

nämlich als Benzedrin (weißes Pulver mit bitterem<br />

Geschmack, das in Pillenform verabreicht wird und<br />

als eigentliches Amphetamin gilt), als Dexedrin und als<br />

Metamphetamin, wobei letzteres wegen seiner explosiv<br />

berauschenden Wirkung im Westen als „Speed“ bekannt<br />

geworden ist.<br />

Alle drei Varianten sind Designerdrogen, d.h. chemisch<br />

gezielt modifizierte Naturstoffe wie Meskalin oder Opium.<br />

Sie waren 1914 von der deutschen Pharmafirma Merck als<br />

Appetitzügler und 1950 von der US-Armee als potenzielle<br />

chemische Kampfstoffe erprobt, dann aber jeweils wieder<br />

verworfen worden. Als in der amerikanischen Hippieund<br />

Drogenszene der siebziger Jahre LSD verboten worden<br />

war, kamen Amphetamine in verschiedener Zubereitung<br />

als Ersatzstoffe auf, wurden Mitte der achtziger Jahre<br />

auch bei den damaligen Baghwan-Anhängern (im US-<br />

Bundesstaat Oregon) sowie auf der „Hippie-Insel“ Ibiza<br />

populär und breiteten sich Anfang der neunziger Jahre<br />

als Freizeit- sowie als Raver-Droge auch in Europa aus,<br />

von wo aus sie Mitte der neunziger Jahre nach Asien belangten<br />

– und dort augenblicklich populär wurden, weil<br />

sie, wie man entdeckt zu haben glaubte, die in Asien noch<br />

weitaus höher als in Europa geschätzten zwischenmenschlichen<br />

Kontakte intensiviert können.<br />

Bei der Einnahme von Amphetaminen stellt sich in<br />

der Tat schnell ein intensives Gefühl von Nähe zu anderen<br />

Menschen ein. Verbunden mit dieser künstlich erzielten<br />

Beschwingtheit entsteht verstärkte Kommunikationsbereitschaft<br />

bei gleichzeitig schwindendem Unterscheidungsvermögen<br />

zwischen Selbst und Nicht-Selbst. In vielen<br />

Fällen gehen diese Veränderungen im interpersonellen<br />

Erleben mit einer Steigerung des Selbstwertgefühls einher.<br />

Die psychotropen Wirkungen setzen bereits nach 20<br />

bis 60 Minuten ein und halten etwa zwei bis vier Stunden<br />

lang an. Danach klingen die angenehmen Wirkungen<br />

ab und machen nach und nach einer depressiven Verstimmung<br />

und zunehmenden Angstzuständen Platz.<br />

115 Dazu auch SOAa, 1/2002, S.96.<br />

Anders als bei Heroin oder Opium entwickelt sich allerdings<br />

keine körperliche, sondern allenfalls eine psychische<br />

Abhängigkeit.<br />

Amphetamine sind in Asien bei Studenten und Berufstätigen<br />

so beliebt geworden, weil sie – zumindest während<br />

der positiven Wirkungsphase – Ängste abbauen und<br />

die Konzentrationsfähigkeit erhöhen. Überdies scheinen<br />

sie vorübergehend problemlösend zu wirken.<br />

Wenn die Regierungen gleichwohl mittlerweile scharf<br />

gegen yaba, d.h. gegen „Verrücktheits“pillen, vorgehen, so<br />

geschieht dies zum einen aus wirtschaftlichen Gründen<br />

(„Geldverschwendung“), zum anderen aber auch aus sozialpolitischen<br />

Überlegungen: Häufig angewendet, führen<br />

Amphetamine nämlich zur physischen Erschöpfung, zu<br />

Depressionen und zu Nervenschädigungen, die Muskelzittern,<br />

Schwindelgefühl, Schmerzen, Hypertonie, Tachykardie,<br />

Paranoia sowie Hirninfarkte und Hirnblutungen zur<br />

Folge haben, vor allem wenn Amphetamine auch noch<br />

gleichzeitig mit Alkohol, Nikotin und anderen Drogen eingenommen<br />

werden. 116<br />

3.1.2<br />

Grund und Boden: Die bäuerliche Sehnsucht nach<br />

mehr Rechtssicherheit<br />

3.1.2.1<br />

Besitzsicherung an Grund und Boden als A und<br />

OderSozialpolitik<br />

Nach den vielen sozialistischen Experimenten, in deren<br />

Verlauf Boden oft willkürlich zugeteilt und bisweilen<br />

auch wieder entzogen wurde, hat sich vor allem in der<br />

bäuerlichen Bevölkerung eine Sehnsucht nach mehr<br />

Rechtssicherheit herausentwickelt. Wer seinen Ackerboden<br />

oder sein Stück Forstland effizient bearbeiten und<br />

wer vor allem bereit sein soll, hier kostspielige Investitionen<br />

in Form von Kapital und Arbeit einzubringen, muss<br />

sicher sein können, dass ihm dieses Stück Boden nicht<br />

schon morgen wieder entzogen wird.<br />

Kein Wunder, dass der Wunsch übermächtig ist, wenigstens<br />

das Tag für Tag bebaute Bodenareal sicher in die<br />

Hand zu bekommen und damit ein Stück sozialer Sicherheit<br />

heil über die Runden zu bringen. Worum es in concreto<br />

geht, ist nicht etwa der Erwerb von Eigentum, sondern<br />

die Absicherung einer eigentümerähnlichen Position. Weg<br />

mit dem Unsicherheitsgefühl bei der Bevölkerung und mit<br />

der Unberechenbarkeit der Behörden – so etwa könnte die<br />

Parole lauten.<br />

Man bedenke in diesem Zusammenhang, dass <strong>Laos</strong> ja<br />

nach wie vor zu 80% von einer landwirtschaftlich tätigen<br />

Bevölkerung bewohnt ist. Nach Ermittlungen aus den<br />

Jahren 1996/97 verfügte die LDVR damals über 665.000<br />

ha Ackerland. 117<br />

Heute sind es 897.000 ha oder 3,7% des Gesamtterritoriums.<br />

Auf rund 4,4 Mio. Personen (also auf 80% der Gesamtbevölkerung)<br />

umgerechnet entfallen auf jeden Dorfbewohner<br />

im Durchschnitt 0,2 ha, auf eine siebenköpfige<br />

Bauernfamilie also etwa 1,4 ha. 1997 waren es 1,38 ha<br />

116 Dazu in Einzelnen „Ecstasy als Designerdroge“, erarbeitet vom<br />

„Giftnotruf Berlin“, www.giftnotruf.de/akt02/01.htm und Encyclopedia<br />

Britannica unter dem Stichwort „Drug use“, „Amphetamine“.<br />

117 VT, 1.-4.11.97.


SÜDOSTASIEN aktuell - 550 - November 2003<br />

gewesen. 118 )<br />

Nicht einmal ganz 1,5 ha Land pro Bauernfamilie –<br />

dies ist zum Sterben zu viel und zum Leben oft zu wenig,<br />

vor allem nach Naturkatastrophen und anderen unvorhergesehenen<br />

Ereignissen. Kein Wunder, wenn die Bauern<br />

darauf drängen, dass ihnen zumindest dieses Stück<br />

Lebensgrundlage auf Dauer zugesichert wird.<br />

Während im Nachbarland <strong>Vietnam</strong> seit langem präzise<br />

Bodenüberlassungszeiträume festgelegt wurden (normalerweise<br />

20 Jahre, bei Obstbaumarealen 50 Jahre, in<br />

Sonderfällen auch 70 Jahre), 119 fehlt es in <strong>Laos</strong> noch an<br />

genaueren Regelungen.<br />

Lediglich mit steuerrechtlichen Bestimmungen war die<br />

bäuerliche Bevölkerung beglückt worden, und zwar lange<br />

vor den eigentlichen bodenrechtlichen Regelungen.<br />

3.1.2.2<br />

Bisherige Bodenregelungen<br />

Bauernhaushalte haben erwiesenermaßen kaum einen größeren<br />

Wunsch als die feste Zuteilung von Boden. Die Ausarbeitung<br />

eines Bodengesetzes hätte also eigentlich seit<br />

langem mit zu den obersten Prioritäten der Gesetzgebung<br />

gehören müssen.<br />

Stattdessen hat es die Regierung immer nur bei<br />

Rechtsverordnungen und bei anderem Regelungsstückwerk<br />

belassen und bspw. im Juni 1997 einen Plan beschlossen,<br />

der die Landzuteilung über einen Zeitraum von<br />

sieben Jahren, also bis 2004, bewerkstelligen sollte – dies<br />

alles, wohlgemerkt, ohne feste gesetzliche Grundlage! 120<br />

Ein formelles Bodengesetz lässt auch heute, im Jahre<br />

2003, noch auf sich warten.<br />

Allerdings ist inzwischen ein „Bodenerlass“ des Ministerpräsidenten<br />

herausgekommen, und zwar am 18. Dezember<br />

1998, der zu einer Art Grundgesetz für alle Bodenfragen<br />

in der LDVR geworden ist und der mit genügender<br />

Deutlichkeit klargestellt hat, dass Boden in <strong>Laos</strong> ausnahmslos<br />

Staatseigentum ist. Die Dreiteilung in Privat-,<br />

Genossenschafts- und Staatseigentum steht also auch im<br />

nachsozialistischen <strong>Laos</strong> nicht zur Diskussion.<br />

Bei der Zuteilung von Land geht es also nicht um die<br />

Zuteilung von Eigentum, sondern lediglich um Zuteilung<br />

und formelle Registrierung von Besitz und Verfügungsrechten<br />

(d.h. von Nutzung, Unterverpachtung und Vererbung).<br />

Zuständig für diese Zuteilung ist der „Zentrale Bodenausschuss“,<br />

eine Behörde, die auch die Vermessung sowie<br />

die Flächennutzung besorgt und regelt.<br />

Angesiedelt ist dieses Gremium innerhalb des Finanzministeriums.<br />

Innerhalb des Ausschusses gibt es wiederum<br />

die „Abteilung für Planung und Entwicklung der nationalen<br />

Bodennutzung“.<br />

Mehrere Flächennutzungsarten werden unterschieden,<br />

nämlich „Bauland“, „Industrieland“, „Verkehrsland“ (für<br />

Straßen und Eisenbahntrassen), „Kulturland“ (z.B. für<br />

Schulen und Museen), „Verteidigungsland“, „Flussland“,<br />

„Forstland“ und „Forstland von besonderer nationaler Bedeutung“,<br />

auf dem die Naturschutzregelungen strikter als<br />

sonst einzuhalten sind.<br />

Boden wird durch Verwaltungsakt einem Benutzer zugeteilt,<br />

der damit das Recht erhält, von dem Grundstück<br />

in der gesetzlich definierten Weise Gebrauch zu machen,<br />

ihn also bspw. landwirtschaftlichen Zwecken zuzuführen<br />

oder ihn mit Häusern zu bebauen. Außerdem kann der<br />

Berechtigte seine Nutzungsrechte weiter übertragen oder<br />

vererben.<br />

Der Zentrale Bodenausschuss ist auch zuständig für<br />

die Überführung einer bestimmten Benutzungsart in eine<br />

andere (z.B. von „Bauland“ in „Industrieland“). Bodenstreitigkeiten<br />

sind ebenfalls nach Maßgaben des Bodenerlasses<br />

zu lösen, also nur ausnahmsweise gerichtlich, im<br />

Übrigen aber durch Arbitrage oder durch freundschaftliche<br />

Verhandlungen. 121<br />

Grundanliegen des Erlasses – wie auch eines späteren<br />

Gesetzes – ist es (und muss es sein), drei Ziele zu erreichen,<br />

nämlich der Bevölkerung zu einer nachhaltig sichereren<br />

Lebensweise zu verhelfen, die Schwendwirtschaft zu<br />

reduzieren und nicht zuletzt auch zum Schutz der Böden<br />

und Forsten beizutragen. Außerdem sind Konflikte zwischen<br />

Bodenrecht einerseits und Investitionsgesetz sowie<br />

weiteren nationalen Rechtsbestimmungen andererseits zu<br />

einem gerechten Ausgleich zu bringen.<br />

Wichtiger als ein Gesetz erschien den laotischen Behörden<br />

offensichtlich die Aufstellung von Modellen, von<br />

denen der Funke dann auf andere Einheiten überspringen<br />

soll. 122 Unter diesem Gesichtspunkt wurden bei der ersten<br />

Bodenzuteilungswelle (von 1997) vor allem die Provinzen<br />

Vientiane, Bokeo, Houa Phan und Luang Namta einer gezielten<br />

Behandlung unterworfen. Der Zentralausschuss für<br />

Land- und Forstverwaltung sowie -zuteilung achtete hier<br />

vor allem darauf, dass die Reisanbauflächen reduziert und<br />

die Flächen für Rohstoffpflanzen sowie für Wälder ausgeweitet<br />

wurden. Ganz auf dieser Linie war die Reisanbaufläche<br />

bis Anfang 2000 um 25.000 ha reduziert und waren<br />

den Bewohnern von über 6.000 „Zieldörfern“ Boden- und<br />

Forstareale zugeteilt worden, vor allem in den Bergregionen.<br />

Gleichzeitig hatte der Ausschuss dafür gesorgt, dass<br />

Boden, der nicht effizient bebaut – oder überhaupt nicht<br />

bestellt – wurde, wieder zurückgegeben werden musste.<br />

Das 1997 begonnene erste Landzuteilungsprojekt hat<br />

sich mittlerweile im Schneeballsystem ausgedehnt. Bis<br />

Mitte 2003 sind im Rahmen dieses Programms rund<br />

200.000 Bodenzuteilungen erfolgt.<br />

Allein für das Jahr 2000 setzte sich der Ausschuss das<br />

Ziel, 36.000 Bodentitel zu vergeben, und zwar in den Provinzen<br />

Vientiane, Luang Prabang, Savannakhet, Khammouane<br />

und Champassak. Mehr als 1.500 „Zieldörfer“ sollten<br />

von dem Projekt profitieren, wobei sie im Gegenzug<br />

versprechen mussten, mehrere Tausend Hektar mit Bäumen<br />

zu bepflanzen. 123<br />

Anfang Juli 2003 setzte dann eine neue Phase des<br />

Landzuteilungsprojekts ein, das diesmal von Australien<br />

finanziell gefördert wurde. Nach den Plänen des Projekts<br />

sollten in den folgenden fünf Jahren rund 400.000 Haushalte<br />

Bodennutzungszertifikate erhalten, und zwar mit<br />

dem Ziel, via Bodenzuteilung das nationale Programm zur<br />

Armutsbekämpfung zu unterstützen.<br />

118 Ebenda.<br />

119 SOAa, 3/2003, S.232.<br />

120 Ebenda.<br />

121 Näheres dazu SOAa, 4/1999, S.320.<br />

122 VT, 1.-4.11.97.<br />

123 VT, 18.-20.1.00.


SÜDOSTASIEN aktuell - 551 - November 2003<br />

Die Nutzungsberechtigten sollten durch die formelle<br />

Bodenüberlassung mehr soziale Absicherung erhalten. Die<br />

Bodentitel sollten sie darüber hinaus in den Stand versetzen,<br />

Kleinkredite abzusichern und Investitionen vorzunehmen.<br />

Überdies erhielten die Behörden damit Gelegenheit,<br />

das Steueraufkommen besser abzuschätzen. 124<br />

Bodenfragen werden auch im Rahmen des „Entwurfs<br />

für eine Forststrategie bis zum Jahre 2020“ berücksichtigt,<br />

über den am 17. und 18. Juli 2003 beraten wurde. 125 Die<br />

Forstwirtschaft spiele, wie es in diesem Zusammenhang<br />

hieß, eine enorme Rolle beim Volkseinkommen – und zwar<br />

bis zur Höhe von 40%, da Forsten eine Schlüsselrolle beim<br />

Umgang mit Wasser, bei der Gewinnung von Hydroenergie<br />

und beim Bau von Kommunikations- und Transportlinien<br />

spielten. 126 Auch bei der Zuteilung von Forstparzellen<br />

könne daher gar nicht sorgfältig genug vorgegangen<br />

werden.<br />

Was jetzt noch fehlt, sind präzise Regelungen zu<br />

Flächennutzungs- und Bebauungsplänen in den Städten<br />

sowie zur Flurbereinigung, zum Landschaftsschutz und<br />

zur Bodenökologie auf den Dörfern.<br />

3.2<br />

Wirtschaft<br />

3.2.1<br />

Die infrastrukturelle Erschließung der LDVR<br />

schreitet fort – und bereitet Schwierigkeiten<br />

<strong>Laos</strong> hat einen ehrgeizigen Traum: Aus einem vom Meer<br />

abgeschlossenen Land der Sackgassen will es sich in einen<br />

Korridor Festland-Südostasiens und in eine Brücke zwischen<br />

den fünf Nachbarn Thailand, <strong>Vietnam</strong>, Myanmar,<br />

<strong>Kambodscha</strong> und China verwandeln.<br />

Ganz auf dieser Linie gilt es, sich sowohl in Ost-Westals<br />

auch in Nord-Süd-Richtung zu öffnen.<br />

3.2.1.1<br />

Die Ost-West-Erschließung<br />

In Richtung Ost-West sind bereits zahlreiche Projekte<br />

durchgeführt worden, und zwar hauptsächlich in Form<br />

von Straßen, die an der jeweils kritischsten Stelle über<br />

den Mekong führen und deshalb den Bau von Brücken<br />

erforderlich machen.<br />

Die erste dieser Brücken war bereits am 8. April 1994<br />

zwischen der Hauptstadt Vientiane und dem nordostthailändischen<br />

Nong Khai eröffnet worden – und hatte im Zuge<br />

der so kostbaren infrastrukturellen Anbindung auch eine<br />

Reihe von Nebeneffekten mit sich gebracht – neue Werte,<br />

neue Laster, neue Probleme (Verkehrsstaus in Vientiane)<br />

und nicht zuletzt auch neue Krankheiten, weshalb oft<br />

schon von „AIDS-Brücke“ die Rede war. 127<br />

Am 2. August 2000 war die zweite Mekong-Brücke eröffnet<br />

worden, und zwar im Süden der LDVR: von Pakse<br />

(in der gleichnamigen Provinz) nach Phonthong und dann<br />

hinüber zum thailändischen Ubon Ratchathani. Auch diese<br />

Brücke verbindet mehrere Länder miteinander, nämlich<br />

<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong> und <strong>Laos</strong>. Hierbei handele es sich,<br />

wie der japanische Botschafter (als Vertreter des Stifter-<br />

124 VT, 22.-24.7.03.<br />

125 Ebenda.<br />

126 Ebenda.<br />

127 Dazu SOAa, 2/1998, S.123.<br />

landes) betonte, nicht nur um eine Brücke über den Mekong,<br />

sondern auch „um eine Brücke vom 20. ins 21. Jahrhundert“.<br />

128<br />

Auch die dritte Brücke über den Mekong (im Mittelteil<br />

der LDVR) ist bereits im Bau, und zwar von Savannakhet<br />

hinüber zum thailändischen Mukdahan. 129<br />

3.2.1.2<br />

Die Nord-Süd-Öffnung<br />

Wie aber ist es um die Nord-Süd-Verbindung bestellt?<br />

3.2.1.2.1<br />

Die Nationalstraße Nr. 13<br />

Hier sind es vor allem zwei Verkehrssysteme, denen besondere<br />

Bedeutung zukommt, nämlich die Nationalstraße<br />

Nr. 13, die gleichsam das straßenverkehrstechnische Rückgrat<br />

der LDVR bildet, und die Flussschifffahrt auf dem<br />

Mekong.<br />

Über die Modernisierung der Nationalstraße Nr. 13<br />

ist bereits mehrfach berichtet worden. 130 Auch vom Bau<br />

der Verbindungsstraße zwischen Nordlaos und China war<br />

bereits die Rede. 131 Doch soll hier das Augenmerk weniger<br />

auf den Straßenbau als vielmehr auf die Mekong-<br />

Schifffahrt gelegt werden. Sämtliche Anliegerstaaten haben<br />

starkes Interesse an einer solchen Verkehrsverbindung<br />

– ganz besonders die chinesische Provinz Yunnan, die innerhalb<br />

der VR China nur schwach angebunden ist und<br />

die deshalb umso stärker über den Lancang/Mekong –<br />

also nach Süden hin – eine infrastrukturelle Zukunft ins<br />

Auge fasst.<br />

3.2.1.2.2<br />

Flussverbindungen via Mekong: Vor- und Nachteile<br />

Da der gesamte Flussverlauf des Mekong durch zahlreiche<br />

Stromschnellen und -engen behindert ist, hat es<br />

bisher nur zu einem partiellen Transportabkommen gereicht,<br />

das im April 2000 zwischen China, Myanmar,<br />

Thailand und <strong>Laos</strong> abgeschlossen wurde und demzufolge<br />

eine 893 km lange Schiffsroute auf dem Oberen Lancang/Mekong<br />

eröffnet werden soll. Dieses Vier-Staaten-<br />

Abkommen führte zu einer regelrechten Explosion in<br />

der Transportleistung. Bereits am Jahresende 2000 hatte<br />

das Frachtvolumen aus China die 200.000-t-Grenze überschritten<br />

– und war damit auf das Fünfhundertfache gegenüber<br />

1990 angestiegen. 132 Kein Wunder, dass das Vier-<br />

Staaten-Abkommen als ein „Meilenstein in der Geschichte<br />

der Mekong-Schifffahrt und der Zusammenarbeit zwischen<br />

den vier Ländern“ bezeichnet wurde. 133<br />

Wichtige Einzelregelungen des Abkommens sind die<br />

Aufhebung oder aber Reduzierung bisheriger Transit- und<br />

Liegegebühren sowie die Vereinbarung, dass Güterumschlag<br />

und Passierabfertigung an 14 genau präzisierten<br />

Anlegestellen erfolgen sollen.<br />

Eine wichtige Nebenwirkung des Abkommens besteht<br />

128 VT, 4.-7.8.00.<br />

129 Dazu SOAa, 4/2000, S.420.<br />

130 Z.B. SOAa, 1/1999, S.38 (mit Karte) und 2/2001, S.168 (ebenfalls<br />

mit Karte).<br />

131 SOAa, 6/2002, S.570f.<br />

132 XNA, 22.2.01.<br />

133 VT, 30.10.-1.11.01.


SÜDOSTASIEN aktuell - 552 - November 2003<br />

darin, dass die Provinz Yunnan ihre bisher weitgehend ungebremst<br />

betriebene Wasserentnahme einschränken, wenn<br />

nicht sogar unterlassen muss, soll die gemeinsame Schifffahrt<br />

nicht einen ernsthaften Rückschlag erleiden.<br />

Ein weiterer Vorteil des Vertrags besteht langfristig<br />

darin, dass er eine Art erster Schritt auf dem langen<br />

Marsch zur Erschließung des gesamten Mekong, also auch<br />

der kritischen Strecke im Verlauf des Unteren Mekong,<br />

ist. Die Länder der GMS (Greater Mekong Subregion),<br />

denen neben Thailand und <strong>Laos</strong> auch noch <strong>Kambodscha</strong><br />

und <strong>Vietnam</strong> angehören, werden sich über eine Verlängerung<br />

des Schifffahrtsweges Gedanken machen müssen,<br />

auch wenn eine Bereinigung der Mekong-Wege mit zahlreichen<br />

Risiken erkauft werden muss.<br />

Da Eisenbahnen in der Flussregion ein Fremdwort sind<br />

und da das bestehende Straßensystem immer noch unzureichend<br />

ausgebaut ist, käme der Binnenschifffahrt eine<br />

Zugpferd-Funktion beim Zusammenwachsen der Region<br />

zu.<br />

Allerdings macht die geplante Strecke nicht mehr als<br />

gerade einmal ein Fünftel des rund 4.200 km langen Mekong<br />

aus und erstreckt sich lediglich vom chinesischen Simao<br />

bis zum laotischen Luang Prabang.<br />

Doch auch hier gibt es – und zwar in Yunnan, Myanmar<br />

und <strong>Laos</strong> – bereits rund 1.100 Frachtschiffe mit ausreichender<br />

Tragfähigkeit und für längere Routen, die der<br />

Schifffahrt am Oberlauf dienen können.<br />

Alles in allem sei der Schiffstransport – wie es vor allem<br />

von laotischer Seite heißt – mit gewaltigen Vorteilen verbunden:<br />

Große Kapazitäten, niedrige Kosten, fast keine<br />

Umweltverschmutzung, Energieeinsparung, hohe Sicherheit,<br />

kein Bodenverbrauch durch den Bau von Straßen<br />

und verhältnismäßig niedrige Investitionsraten. 134<br />

Allerdings ist der Fluss, wie bereits erwähnt, an vielen<br />

Stellen unpassierbar, sei es nun wegen der vielen Stromschnellen<br />

oder aber wegen des teilweise zu geringen Wasserpegels<br />

an bestimmten Flussausbuchtungen.<br />

Wegen solcher Hindernisse kommt es für viele Schiffe<br />

dann doch immer wieder zu langen Wartezeiten, zu<br />

zahlreichen Zwischenfällen und damit letztlich auch zu<br />

manchmal übermäßig hohen Kostenbelastungen.<br />

Die Bereinigung der Mekong-Rinne, die hier nötig erscheint,<br />

birgt zahlreiche Risiken in sich, die politischer und<br />

ökologischer Art sind:<br />

– Politische Gefahren kommen z.B. dadurch auf, dass<br />

im Gefolge einer Intensivierung der Schifffahrt auch<br />

der Drogentransport aus dem Goldenen Dreieck weiter<br />

angefacht und dass außerdem lokaler Sezessionismus<br />

begünstigt würde: führt die Flussstrecke doch<br />

bspw. durch den Shan-Staat Myanmars, der autonome<br />

Tendenzen verfolgt und dessen Unabhängigkeitsbestrebungen<br />

durch eine offene Schifffahrt weiter angeheizt<br />

werden könnten – sehr zur Sorge Yangons.<br />

– Besondere Bedenken tauchen neuerdings auch im ökologischen<br />

Zusammenhang auf: Je stärker sich der Mekong<br />

seinem Unterlauf nähert, umso häufiger treten<br />

Gefälle, Stromschnellen und Felsenriffs zu Tage.<br />

Die ersten Schwierigkeiten tauchen allerdings bereits<br />

im Verlauf der Vertragsstrecke zwischen Simao und<br />

Luang Prabang auf, vor allem im Bereich der laoti-<br />

134 Ebenda.<br />

sche Provinz Bokeo, die den westlichsten Teil der LD-<br />

VR (und zwar in der Nordwestecke des Landes) bildet.<br />

Dort wurden mittlerweile nicht weniger als neun<br />

Riff-Barrieren weggesprengt, auf dass Platz für größere<br />

Schiffe geschaffen wurde. Auf diese Weise wurden<br />

bspw. die Stromschnellen von Namleuy (135 km südlich<br />

von China), die Stromschnellen von Tangor (195<br />

km) und die Luangtay-Schnellen (65 km südlich von<br />

China) entschärft.<br />

<strong>Laos</strong> hat der VR China zugesagt, noch weitere<br />

Flussteile zu begradigen und damit größeren Schiffseinheiten<br />

freie Fahrt zu ermöglichen.<br />

Inzwischen aber hat Thailand hier ökologische Bedenken<br />

angemeldet:<br />

i. Durch die Begradigungen komme es zu einer<br />

Erhöhung der Abflussgeschwindigkeit – und<br />

damit zur Erosion der Flussufer sowie der in<br />

Ufernähe gelegenen landwirtschaftlichen Anpflanzungen.<br />

ii. In der Trockenzeit falle der Wasserspiegel ab<br />

und führe dann zur Austrocknung der Uferseiten.<br />

iii. Darüber hinaus seien die vor den Stromschnellen<br />

durch Felsvorsprünge gesicherten<br />

Beruhigungszonen seit unvordenklicher Zeit<br />

ideale Laichplätze für bestimmte Fischarten<br />

und für Khay, ein im Mekong häufig vorkommendes<br />

Wasserkraut. Vor allem der Paa Beuk,<br />

eine bestimmte Welsfisch-Art, habe im klaren<br />

Wasser hinter solchen Felsvorsprüngen seine<br />

Lieblingslaichplätze finden können. Würden<br />

die Felsen weggesprengt, käme es schnell zu<br />

Verschmutzungen und die Fische würden vertrieben<br />

oder vielleicht sogar ausgerottet.<br />

Probleme dieser Art nehmen umso dramatischer zu, je<br />

mehr der Unterlauf des Mekong ins Visier gerät, vor<br />

allem in der Region unterhalb von Luang Prabang.<br />

Die jetzigen Schwierigkeiten seien also nur ein Anfang.<br />

Die laotische Regierung hat sich angesichts der hier<br />

thematisierten Probleme an die chinesische Seite gewandt,<br />

und zwar mit der Bitte, gemeinsam die ökologischen<br />

Auswirkungen von Sprengungsmaßnahmen<br />

zu erkunden. Mittlerweile sei man zu dem Ergebnis<br />

gekommen, dass die bisherigen Sprengungen an der<br />

Wasserhöhe des Mekong nichts Wesentliches verändert<br />

hätten.<br />

Kleinere Schwankungen müssten allerdings in Kauf<br />

genommen werden. Immerhin wolle <strong>Laos</strong> ja zu einem<br />

wichtigen Durchgangsland in der Mekong-Subregion<br />

werden. Nur wenn der Mekong wirklich schiffstüchtig<br />

würde, könnten die Anwohner ihre landwirtschaftlichen<br />

und Handwerksprodukte in größerem Umfang<br />

exportieren und nur dann könne es auch zu einer regionalen<br />

Integration kommen. 135<br />

Eine weitere Voraussetzung für die ungehinderte Schifffahrt<br />

auf dem Mekong wären geeignete rechtliche Maßnahmen,<br />

wie z.B. die Einigung auf das seit langem zwischen<br />

den Anliegerstaaten diskutierte „MRC Navigation<br />

Program“, das schon seit 1994 vorliegt, ohne dass es bis-<br />

135 VT, 7.-10.2.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 553 - November 2003<br />

her zur Unterzeichnung durch die unmittelbar Beteiligten<br />

gekommen wäre.<br />

Vor allem die laotische Seite drängt auf eine zügige<br />

Lösung der Navigationsfragen: Eine der höchsten Hürden<br />

für die Entwicklung einer umfassenderen Schifffahrt auf<br />

dem Mekong liegt nach ihrer Meinung darin, „dass es kein<br />

gemeinsames legales Rahmenwerk für die Schifffahrt gibt,<br />

auf das man sich verlassen kann“. 136 Vor allem im <strong>Laos</strong>-<br />

Bereich sei die Schifffahrt auf dem Mekong nach wie vor<br />

eine „überaus gefährliche Angelegenheit, die von Seiten<br />

des Kapitäns hohe Erfahrung und eingehende Ortskenntnis“<br />

verlange. Die Kriterien für Kapitänspatente bedürften<br />

unter diesen Umständen ebenso einer Regelung wie<br />

bspw. Fragen des Schutzes der Umwelt sowie der Fischerei<br />

und der Ableitung von Mekong-Wasser.<br />

3.2.2<br />

Wassermangel im grünen <strong>Laos</strong> – ein Entwicklungshindernis<br />

3.2.2.1<br />

Zuhause und auf den Feldern: der Doppelengpass<br />

Als Trink- und als Irrigationswasser – in doppelter<br />

Hinsicht also – hat das nasse Element grundlegende<br />

Bedeutung für die laotische Entwicklungspolitik. Kein<br />

Wunder also, dass die Wasserthematik entsprechend häufig<br />

diskutiert und von den Medien unter verschiedensten<br />

Aspekten behandelt wird, z.B. unter dem Gesichtspunkt<br />

der hohen Kinder- und Müttersterblichkeit, die sich u.a.<br />

auch in niedriger Lebenserwartung (53 Jahre) ausdrückt:<br />

Neben vielen anderen Ursachen für diese schlechte Bilanz<br />

ist hier der nach wie vor unzureichende Zugang vieler<br />

Menschen zu sauberem Wasser mitverantwortlich. Zwar<br />

geht das UNDP in seinem HDR-Report 2002 etwas vollmundig<br />

davon aus, dass bereits 90% der Bevölkerung „is<br />

using improved water sources“, doch was will eine solche<br />

Zahl schon besagen – zumal für die Monate während der<br />

Trockensaison, in denen der Wasserverbrauch besonders<br />

hoch, das Angebot aber fast immer unzureichend ist.<br />

Zwar werden gegenwärtig immer mehr und immer<br />

größere Häuser gebaut, doch kann die Wasserversorgung<br />

damit selten schritthalten. In der Regenzeit gibt es<br />

zwar meist weniger Probleme, in der Trockenzeit aber<br />

kommt aus dem schönen neuen Wasserhahn, über den<br />

so mancher Haushalt verfügt, kein Tropfen – zumindest<br />

nicht tagsüber. Viele Hausfrauen stehen deshalb bereits<br />

um Mitternacht auf, um wenigstens einen Teil ihrer<br />

Wäsche erledigen zu können. Andere, deren Häuser etwas<br />

höher liegen, bleiben darauf angewiesen, entweder bei<br />

Nachbarn „betteln“ zu gehen oder aber Wasser für teures<br />

Geld beim Händler zu kaufen, wobei eine größere Kanne<br />

Wasser bis zu 500 Kip kostet.<br />

Manche warten auch die Zeit zwischen zehn und elf<br />

Uhr ab, weil zu dieser späten Vormittagsstunde die Berufstätigen<br />

außer Haus sind und weil man wenigstens<br />

dann die Hoffnung haben kann, nicht ganz auf dem<br />

Trockenen sitzen zu bleiben. 137<br />

Ungeachtet dieser Mängel aber stellten die Wasserwerke<br />

regelmäßig ihre Rechnungen aus, die zu bezahlen sind,<br />

136 VT, 10.-12.6.03.<br />

137 VT, 18.-20.3.03.<br />

gleichgültig, ob der Wasserhahn etwas hergibt oder nicht.<br />

3.2.2.2<br />

Trinkwasser<br />

Wasser aus der Leitung entspricht internationalen Standards<br />

nur dann, wenn es frei von Krankheitserregern, vor<br />

allem von Kolibakterien, und wenn es darüber hinaus<br />

farb- und geruchlos sowie frei von Verunreinigungen ist.<br />

Da die Aufbereitungsanlagen teuer sind, bleibt <strong>Laos</strong><br />

auch bei der Beschaffung von sauberem Wasser – wieder<br />

einmal – auf ausländische Unterstützung angewiesen.<br />

Aus finanziellen Gründen können Wasserreinigungsanlagen<br />

auch nicht gleichzeitig im ganzen Land, sondern nur in<br />

bestimmten Bereichen aufgebaut werden. Ein Programm<br />

des französischen Roten Kreuzes unterstützt bspw. fünf<br />

Distrikte in der Provinz Sayaboury und acht Distrikte in<br />

der Provinz Vientiane. 138 Belgien hilft darüber hinaus in<br />

einigen Distrikten in den Provinzen Savannakhet und Saravane.<br />

In Vientiane selbst stehen zz. täglich 100.000 m 3<br />

zur Verfügung, während 130.000 m 3 benötigt würden. 139<br />

Nach Angaben des Direktors der „Laotischen Wasserbehörde“<br />

(Nam Pa Pa Lao) haben in der Hauptstadt<br />

nur 67% der über 300.000 Einwohner Zugang zu Wasser<br />

aus der Leitung; im ganzen Land seien es überhaupt nur<br />

50%. 140<br />

Für den Bau größerer Wassertanks fehlt es überall an<br />

Geld.<br />

Kein Wunder, dass sich die laotischen Spezialisten<br />

mittlerweile überall Rat holen, wo sie ihn bekommen können,<br />

also auch in den Nachbarländern <strong>Kambodscha</strong> und<br />

Thailand, wo die Erfahrungen im Umgang mit Wasser<br />

fortgeschrittener sind. Von <strong>Kambodscha</strong> will man vor allem<br />

die Erfahrungen mit der Beteiligung des Privatsektors<br />

an der Wasserversorgung übernehmen. In Vientiane<br />

hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dass eine rein<br />

staatlich organisierte Wasserversorgung den Anforderungen<br />

des Marktes auf die Dauer nicht gerecht werden kann.<br />

Noch vor wenigen Jahren hatte die Wasserversorgung z.B.<br />

auch in <strong>Kambodscha</strong> ganz in der Hand des Staates gelegen,<br />

und überdies hatte Wasser dort nichts gekostet. Beide<br />

Modalitäten sind mittlerweile ins Gegenteil verkehrt<br />

worden – und zwar mit durchschlagendem Erfolg. 141<br />

Für einige wenige Teilnehmer am Aufbauprozess hat<br />

die Wasserknappheit auch Vorteile: Sie ist z.B. Hauptursache<br />

für die beträchtlichen wirtschaftlichen Erfolge der<br />

neuen Mineralwasserindustrie, die vor allem von der laotischen<br />

Staatsbrauerei beherrscht wird. Eines dieser Unternehmen<br />

verkauft mittlerweile Trinkwasser unter der<br />

Marke „Tigerkopf“, dessen Sicherheit nicht nur durch den<br />

Stempel des Cor Or Yor („Nahrungs- und Pharmazieamt“),<br />

sondern auch durch eine entsprechende Referenznummer<br />

garantiert wird.<br />

Auch Konkurrenzunternehmen, die mittlerweile auf<br />

den Markt drängen, bedrucken die bekannten Plastikflaschen<br />

mit „Cor Or Yor“-Emblemen, ohne allerdings eine<br />

Referenznummer anzufügen. Damit aber kann der Verbraucher<br />

nicht mehr sicher sein, ob das Trinkwasser nicht<br />

138 VT, 12.-14.8.03.<br />

139 VT, 17.-19.6.03.<br />

140 VT, 12.-14.8.03.<br />

141 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 554 - November 2003<br />

letztlich doch aus ungesicherten Quellen stammt. 142<br />

3.2.2.3<br />

Wasser für den Reisanbau<br />

Fast genauso wichtig wie das Trinkwasser ist im Reisbauernland<br />

<strong>Laos</strong> das Wasser für die Felderberieselung. Da<br />

in <strong>Laos</strong> – ganz im Gegensatz zu großen Teilen von <strong>Vietnam</strong><br />

– Nassreisterrassenanlagen eher die Ausnahme sind,<br />

wurde die Möglichkeit der Gewinnung von Reis in der<br />

Trockenzeit bisher verschenkt. Angesichts einer raschen<br />

Bevölkerungszunahme (1975 lebten in <strong>Laos</strong> 3 Millionen<br />

Menschen, 2000 waren es 5,3 Millionen und 2015 werden<br />

es wahrscheinlich 7,3 Millionen sein) kann sich das Land<br />

diesen Verzicht auf Trockenzeiternten künftig nicht mehr<br />

leisten.<br />

Die Politik hat aus dieser Erkenntnis mittlerweile die<br />

ersten Konsequenzen gezogen. Für den Reisanbau während<br />

der Regensaison standen im Jahr 2002 567.600 ha<br />

zur Verfügung – von denen am Ende 1,8 Mio. t Reis gewonnen<br />

wurden. Und während der Trockensaison im gleichen<br />

Jahr waren es auch hier bereits 81.800 ha, auf denen<br />

Reis angebaut wurde, und zwar mit einem Ernteergebnis<br />

von 369.100 t.<br />

Für das Erntejahr 2003/2004 sind 550.000 ha in der<br />

Monsunzeit und 115.000 ha in der Trockenzeit vorgesehen.<br />

Während der Monsunzeit sollen pro Hektar 3,5 t gewonnen<br />

werden – mit einem Endergebnis von 1.925.000<br />

t Reis; in der Trockenzeit werden pro Hektar 4,5 t (also<br />

eine Tonne mehr!) erwartet – mit einem Endergebnis von<br />

517.500 t. 143<br />

Pläne dieser Art lassen sich aber nur dann verwirklichen,<br />

wenn auch wirklich genügend Terrassenfelder bereit<br />

stehen und überdies genügend Wasser auf die Felder geleitet<br />

werden kann.<br />

Ein gutes Beispiel für den Aufbau von Bewässerungssystemen<br />

ist die Irrigation des Dorfes Viengkham Tae in<br />

der Provinz Vientiane, wo im Zeitraum zwischen 1. Februar<br />

und 29. März 2003 mit einem Kostenaufwand von<br />

rund US$ 200.000 Bauarbeiten durchgeführt wurden, die<br />

dazu führten, dass in der Regensaison 150 ha und in der<br />

Trockensaison 85 ha sicher mit Wasser versorgt werden<br />

können. Damit ist für die 136 Familien des Dorfes (= 661<br />

Personen insgesamt) in jedem Fall die Selbstversorgung<br />

sowie die Möglichkeit gesichert, im Nebenerwerb Büffel<br />

und Kühe zu züchten, die dann weiterverkauft werden.<br />

Unter dem früheren System konnten die Bauern zwar<br />

jedes Jahr einen Hektar (= 6 Rai) mit Reis bebauen, während<br />

der Trockenzeit aber musste das knappe Wasser mit<br />

den Nachbarfamilien geteilt werden, sodass nur 2 Rai (=<br />

rund 3.200 m 2 ) bestellt werden konnten – ein herber Verlust<br />

für die Bauern. Dies hat sich mittlerweile grundlegend<br />

geändert.<br />

Bei der Modernisierung des Bewässerungssystems wollen<br />

die Laoten künftig vor allem von der Zusammenarbeit<br />

mit zwei Ländern besonders profitieren, nämlich von Japan<br />

und von Thailand: Japan hat sich verpflichtet, einen<br />

Gesamtplan mit Perspektiven bis zum Jahr 2020 auszuarbeiten<br />

und hierbei dem Bewässerungswesen besonderen<br />

Vorrang einzuräumen. 144<br />

142 VT, 5.-7.8.03.<br />

143 VT, 12.-14.8.03.<br />

144 VT, 4.-6.7.00.<br />

Was die Thais anbelangt, so sind sie in ganz Asien<br />

für ihre raffinierten Irrigationssysteme bekannt - und<br />

werden deshalb auch besonders häufig konsultiert. 145<br />

Die Nassreisbewässerungstechnik der Thais lässt sich<br />

mit vier Stichworten charakterisieren: muong-phae-lailinh<br />

(muong = „Hauptkanal“, der vom phae zu den Reisfeldern<br />

führt; phae = „Wassersammeltank“, der mit Hilfe<br />

von Steinen am Berghang verankert ist; lai =„Nebenkanal“<br />

vom muong zum einzelnen Reisfeld; linh =„Bambusröhrensystem“,<br />

mit dessen Hilfe Wasser oft über viele<br />

Kilometer hinweg sowohl zu den Reisfeldern als auch zu<br />

den Wohnhäusern geführt wird.) 146<br />

Die brillante Technik der Thais im Umgang mit<br />

Wasser ermöglicht sogar temporäre Fischzucht in den<br />

Nassreisfeldern. Fische dienen den Bauern nicht nur als<br />

Proteinquelle, sondern sind bereits vor dem Fang als<br />

Insekten- und Unkrautvertilger nützlich.<br />

Wo Wasser knapp wird, bauen die Thais Trockenreis<br />

an, der klebrig ist und meist in den Hohlräumen von Bambusröhren<br />

zum Verzehr aufbewahrt und zum Verkauf angeboten<br />

wird.<br />

Hier bieten sich also interessante Modelle an.<br />

In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden,<br />

dass Irrigation die weltweit wohl wichtigste Wasserverwendungsweise<br />

ist. Rund 60% der weltweiten Frischwasserreserven<br />

fließen in die Feldbewässerung, wobei als<br />

Hauptquelle Flüsse, Seen, Reservoire und Brunnen dienen.<br />

Jahrhundertelang hat sich <strong>Laos</strong> bei der Bewässerung<br />

auf die Natur (und ihre Zufälligkeiten) verlassen. In Zukunft<br />

soll hier der Mensch immer mehr Arbeitsgänge in<br />

die Hand nehmen. Vor allem sollen die hohen Mengen an<br />

bisher verloren gegangenem Wasser aufgespart und rationell<br />

neu verteilt werden. Selbst wenn hoch technisierte<br />

Anlagen (in Form von Einzel- und Reihenregnern) noch<br />

lange Zeit Zukunftsmusik bleiben dürften, ist doch schon<br />

viel gewonnen, wenn der hydrologische Reichtum nicht<br />

einfach sich selbst überlassen, sondern sorgsamer gepflegt<br />

wird.<br />

In einem Bauernland wie <strong>Laos</strong> hat Entwicklung langfristig<br />

also auch viel mit sorgfältigem Wasserumgang zu<br />

tun.<br />

3.2.3<br />

Auferstanden aus Ruinen? Die laotische Fluggesellschaft<br />

in neuem Gewand<br />

Am 18. Juli 2003 begann für die laotische Fluggesellschaft<br />

eine „völlig neue geschichtliche Phase“, wie es offiziell hieß,<br />

nämlich unter neuem Namen, mit neuem Aussehen und<br />

mit einem neuen Flugzeug. 147<br />

– Die Gesellschaft nennt sich jetzt nicht mehr „Lao Aviation“,<br />

sondern „Lao Airlines“.<br />

– Auch der Anstrich der Flugzeuge hat sich geändert:<br />

Der gesamte Corpus ist weiß gehalten, das Flügelelement<br />

aber dunkelblau gestrichen. Wo bei der Lufthansa<br />

das Kranich-Symbol angebracht ist, leuchtet auf<br />

den Flugzeugen der Lao Airlines jetzt eine Frangipani-<br />

Blüte (Dok Champa), die Nationalblume des Landes.<br />

145 VT, 8.-11.9.00.<br />

146 Weitere Einzelheiten dazu in SOAa, 2/2003, S.171.<br />

147 VT, 18.-21.7.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 555 - November 2003<br />

– Außerdem hat die LA am 18. Juli ihr erstes modernes<br />

Flugzeug vom Typ A320 erhalten, das den veralteten<br />

„Arbeitspferden“ vom Typ ATR72 und Y12 zur Seite<br />

gestellt wird.<br />

Das neue Erscheinungsbild steht im Zusammenhang mit<br />

einem ehrgeizigen Entwicklungsprogramm, das 2002/2003<br />

von einem französischen Ratgeberteam vorgeschlagen<br />

worden ist.<br />

Im Mittelpunkt dieses Plans stand die Anschaffung eines<br />

modernen Flugzeugs, das der Wettbewerbsfähigkeit<br />

der LA auf die Sprünge helfen sollte, vor allem auf internationalen<br />

Strecken.<br />

Die Fluggesellschaft war bereits 1977 gegründet worden<br />

– also ein Jahr nach dem Sieg des Pathet Lao über<br />

das königliche <strong>Laos</strong>.<br />

Mitte der neunziger Jahre hatte sich das Flugnetz über<br />

rein innerlaotische Destinationen hinaus auch auf internationale<br />

Ziele ausgedehnt. Anflugorte waren in Thailand<br />

die beiden Städte Bangkok und Chiang Mai, in <strong>Vietnam</strong><br />

Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, in <strong>Kambodscha</strong> Phnom<br />

Penh, in China Kunming und in Myanmar Yangon.<br />

Als weitere Zielorte waren schon damals Hongkong,<br />

Xishuangbanna (in der VR China), Kuala Lumpur und<br />

Singapur ins Auge gefasst worden. 148<br />

Anfang 2001 kamen weitere Zielorte in Nachbarländern<br />

hinzu, nämlich das thailändische Nan und das vietnamesische<br />

Dien Bien Phu. 149<br />

Im Zuge der Neuentwicklung will sich LA nun zu einem<br />

der führenden Anbieter innerhalb der CLMV-Region<br />

(<strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>, Myanmar, <strong>Vietnam</strong>) entwickeln. 150<br />

Bald schon sollen weitere Airbusse angeschafft werden.<br />

Um das Gewicht stemmen zu können, das sie sich vorgenommen<br />

hat, ist die LA mit Airbus Industries und mit<br />

den <strong>Vietnam</strong> Airlines zusammengegangen – letztere sollen<br />

vor allem die Ausbildung von Flugpersonal, Airbus<br />

Industries aber eine geregelte Versorgung mit Ersatzteilen<br />

garantieren.<br />

Die Neuausrichtung der LA kam, wie immer wieder betont<br />

wurde, zu einem Zeitpunkt, als die Terrorismus- und<br />

die SARS-Krisen gerade im Abklingen waren und neue<br />

Hoffnungen auf touristischen Zuspruch aufkeimten.<br />

Verglichen mit den meisten Luftfahrtgesellschaften der<br />

Nachbarstaaten ist LA zwar noch ein Zwerg; da sie jedoch<br />

das Monopol in der LDVR hat und da dem Tourismus<br />

offensichtlich goldene Zeiten ins Haus stehen, könnten sich<br />

einige der optimistischen Hoffnungen durchaus erfüllen.<br />

Dies ist umso überraschender, als Lao Aviation erst vor<br />

kurzem finanziell heftig ins Schleudern gekommen war.<br />

Ende Februar 1998 bspw. hatte sich die US-Leasingfirma<br />

„International Aircraft Leasing“ geweigert, der Lao Aviation<br />

ihr damals größtes Flugzeug, nämlich eine Boeing 737<br />

weiterhin zur Verfügung zu stellen, da die Fluglinie mit<br />

den rückständigen Zahlungen in Verzug geraten sei. 151<br />

3.3<br />

Außenpolitik<br />

3.3.1<br />

Zusammenarbeit mit vier anderen Ländern bei<br />

der Drogenbekämpfung<br />

Einzelheiten zum neuen Schulterschluss siehe oben unter<br />

3.1.1.1.<br />

148 Karte in SOAa 6/1995, S.490.<br />

149 Dazu SOAa, 2/2001, S.168f.<br />

150 VT, 18.-21-7.03.<br />

151 Dazu SOAa, 3/1998, S.240.

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