Gesamtbericht Vietnam, Kambodscha, Laos
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SÜDOSTASIEN aktuell - 533 - November 2003<br />
Oskar Weggel<br />
<strong>Gesamtbericht</strong><br />
<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong><br />
3.2.2 Wassermangel im grünen <strong>Laos</strong> – ein Entwicklungshindernis<br />
3.2.2.1 Zuhause und auf den Feldern: der Doppelengpass<br />
3.2.2.2 Trinkwasser<br />
3.2.2.3 Wasser für den Reisbau<br />
3.2.3 Auferstanden aus Ruinen? Die laotische Fluggesellschaft<br />
in neuem Gewand<br />
3.3 Außenpolitik<br />
3.3.1 Zusammenarbeit mit vier anderen Ländern bei der<br />
Drogenbekämpfung<br />
Gliederung:<br />
1 <strong>Vietnam</strong><br />
1.1 Innenpolitik<br />
1.1.1 Armut geht zurück, Lebensstandard steigt – und<br />
gleichzeitig nehmen die Gefällstufen zu<br />
1.1.2 Antinomien bei der vietnamesischen Rechtsentwicklung<br />
1.1.3 VVA kauft russische SAM-Raketen<br />
1.1.4 Urteil gegen Internet-Dissidenten wird von 13 auf fünf<br />
Jahre abgemildert<br />
1.2 Wirtschaft<br />
1.2.1 Die Industrie bleibt auch weiterhin das Hauptzugpferd<br />
1.2.2 Die Kfz-Entwicklung in <strong>Vietnam</strong><br />
1.2.2.1 Unterversorgung und rapide steigende Nachfrage<br />
1.2.2.2 Die elf ausländischen Mitbewerber<br />
1.2.2.3 Planerische und behördliche Steuerungsversuche<br />
1.2.2.3.1 Planungen bis 2020<br />
1.2.2.3.2 Steuerungsversuche<br />
1.2.2.3.3 Proteste der ausländischen Firmen – und der AFTA –<br />
gegen willkürliche Vorgaben<br />
1.2.3 <strong>Vietnam</strong> Airlines im Aufwind<br />
1.3 Außenpolitik<br />
1.3.1 Das Verhältnis <strong>Vietnam</strong>s zu seinen maritimen<br />
ASEAN-Partnern<br />
1.3.2 Repatriierung: Was ist eigentlich aus dem deutschvietnamesischen<br />
Rücknahmeabkommen von 1995 geworden?<br />
1.3.3 Russland als Raketenlieferant<br />
2 <strong>Kambodscha</strong><br />
2.1 Innenpolitik<br />
2.1.1 Nach den Wahlen ist alles noch komplizierter geworden<br />
2.1.1.1 Pattsituation zwischen KVP und FUNCINPEC/SRP<br />
2.1.1.2 Wie ist die Allianz zwischen FUNCINPEC und SRP<br />
einzuschätzen?<br />
2.1.3 Terrorismus: Anscheinend fern – und doch so nah<br />
2.2 Wirtschaft<br />
2.2.1 Kautschukproduktion in <strong>Kambodscha</strong><br />
2.2.2 Geschafft: <strong>Kambodscha</strong> ist am 11. September WTO-<br />
Mitglied geworden<br />
2.3 Außenpolitik<br />
2.3.1 Beziehungen zu Thailand: Fast schon wieder normal<br />
3 <strong>Laos</strong><br />
3.1 Innenpolitik<br />
3.1.1 Das Dauerthema Drogen<br />
3.1.1.1 Ein neues Fünferbündnis und die Chiang-Rai-Erklärung<br />
3.1.1.2 Die Bedeutung von Amphetaminen und „Speed“<br />
3.1.2 Grund und Boden: Die bäuerliche Sehnsucht nach<br />
mehr Rechtssicherheit<br />
3.1.2.1 Besitzsicherung an Grund und Boden als A und O der<br />
Sozialpolitik<br />
3.1.2.2 Bisherige Bodenregelungen<br />
3.2 Wirtschaft<br />
3.2.1 Die infrastrukturelle Erschließung der LDVR schreitet<br />
fort – und bereitet Schwierigkeiten<br />
3.2.1.1 Die Ost-West-Erschließung<br />
3.2.1.2 Die Nord-Süd-Öffnung<br />
3.2.1.2.1 Die Nationalstraße Nr. 13<br />
3.2.1.2.2 Flussverbindungen via Mekong: Vor- und Nachteile<br />
1<br />
VIETNAM<br />
1.1<br />
Innenpolitik<br />
1.1.1<br />
Armut geht zurück, Lebensstandard steigt – und<br />
gleichzeitig nehmen die Gefällstufen zu<br />
Wie bereits dargelegt, 1 ist die Armutsbekämpfungspolitik<br />
in <strong>Vietnam</strong> bisher überaus erfolgreich verlaufen und<br />
hat zu einer Reduktion der Armut 2 von 58% i.J. 1993 auf<br />
37% 1998 und auf 29% Mitte 2003 geführt. 3 Unter den<br />
174 Ländern der Welt, die vom UNDP beobachtet werden,<br />
hat sich <strong>Vietnam</strong> – nach HDI-Kriterien – mittlerweile<br />
auf Platz 110 vorschieben können. Mit seinem „Programm<br />
Nr. 135“ 4 hat es die Armutsbekämpfungsstrategie überdies<br />
auf beeindruckende Weise systematisieren können.<br />
Im Gefolge sowohl der Armutsbekämpfungspolitik als<br />
auch der allgemeinen Wirtschaftsstrategie, die zu BIP-<br />
Wachstumsraten zwischen 7% und 8% in den vergangenen<br />
Jahren geführt hat, ist der Lebensstandard der <strong>Vietnam</strong>esen<br />
signifikant verbessert worden. Dies verdeutlicht<br />
ein Regierungsbericht, der Anfang August 2003 erschienen<br />
ist. Danach haben die Ausgaben für die Anschaffung<br />
von Häusern, Hausgeräten, für Gesundheitsvorsorge und<br />
Unterhaltung im Zeitraum 1999 bis 2002 erheblich zugenommen,<br />
und zwar um 21% auf VND 268.000 (= US$<br />
17 i.J. 2002). Bemerkenswert auch, dass für Non-Food-<br />
Artikel immer höhere Ausgaben getätigt werden, während<br />
diejenigen für Nahrungsmittel zurückgehen, und zwar von<br />
63% (1999) auf 57% (2002). 5<br />
In ländlichen Gebieten allerdings sind die durchschnittlichen<br />
Ausgaben lediglich auf VND 210.000 (= US$<br />
14) angestiegen – dies sind lediglich 18% gegenüber 1999,<br />
während sich die Ausgaben vieler Städter im gleichen<br />
Zeitraum mehr als verdoppelt haben.<br />
Insgesamt gaben die wohlhabendsten Haushalte<br />
7,6mal mehr für „nicht lebensnotwendige Gegenstände“<br />
aus als die ärmsten Haushalte. (Gemeint sind hier wohl<br />
die 20% reichsten und die 20% ärmsten Haushalte, wie sie<br />
im internationalen Maßstab üblicherweise zum Vergleich<br />
herangezogen werden.) Bei den Ausgaben für Sport und<br />
Unterhaltung lag dieses Gefälle sogar beim 104fachen.<br />
Wo immer möglich, haben die <strong>Vietnam</strong>esen in erster<br />
Linie ihre Wohnverhältnisse zu verbessern versucht. Not-<br />
1 SOAa, 1/2003, S.39f.<br />
2 Definition ebenda, S.39.<br />
3 Weltbankzahlen, nach XNA, 15.8.03.<br />
4 Näheres dazu SOAa, 5/2002, S.436.<br />
5 XNA, 7.8.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 534 - November 2003<br />
behelfswohnungen sind deshalb von 51% i.J. 1991/92 auf<br />
24% i.J. 2001/02 zurückgegangen. Lieber spart man am<br />
Essen als am Wohnkomfort. Die wohlhabenderen Haushalte<br />
haben darüber hinaus höhere Beträge für Haushaltsgeräte,<br />
für Reisen, für Gesundheitsvorsorge und für Bildung<br />
ausgegeben.<br />
Der Anteil der Haushalte, die ein eigenes Fernsehgerät<br />
besitzen, stieg im Zeitraum 2001/02 auf 67% (von 58%<br />
i.J. 1997/98), während 32% der Bevölkerung heutzutage<br />
ein Kleinmotorrad besitzen (1997/98: 24%).<br />
Fünf von zehntausend Haushalten besitzen mittlerweile<br />
sogar ein eigenes Auto; auch hier zeigt sich wieder<br />
ein Stadt-Land-Gefälle: In städtischen Gebieten liegt<br />
dieses Verhältnis bei 5:10.000, in ländlichen Gebieten bei<br />
2:10.000. 6<br />
<strong>Vietnam</strong>s Gini Index, der das Reichtums-Armuts-Gefälle<br />
widerspiegelt, liegt bei 36.2, nimmt sich also weitaus<br />
ungünstiger aus, als es selbst bei reichen Ländern vom Zuschnitt<br />
Norwegens, Schwedens, Japans oder der Schweiz<br />
der Fall ist, wie die vietnamesische Seite selbst ausdrücklich<br />
betont. 7<br />
In einer weiteren Untersuchung wird hervorgehoben,<br />
dass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Siebenjahreszeitraum<br />
von 1995 bis 2002 auf dem Land um<br />
13%, in den städtischen Gebieten aber um 60% angestiegen<br />
sei.<br />
Wer bei den Bauern über viel eigenes Land verfügt,<br />
steht weitaus besser da als derjenige, der zupachten muss.<br />
1998 lag die Zahl derjenigen Haushalte, die kein eigenes<br />
Ackerland zur Verfügung hatten, bei 10,1% (= +1,9% gegenüber<br />
1993). Die Folge von Landlosigkeit war häufig Armut.<br />
Trotz genereller Erfolge in der Armutsbekämpfung<br />
leiden viele Bauernhaushalte heute besonders stark unter<br />
der Bodenspekulation, die das Problem der Landlosigkeit<br />
zusätzlich erhöht. 8<br />
Aber auch in den städtischen Gebieten herrscht bei<br />
weitem keine heile Welt vor; auch hier nämlich wachsen<br />
die Gefällstufen. Mit besonderem Argwohn beobachtet die<br />
(meist selbst schlecht bezahlte) vietnamesische Bürokratie<br />
das aus ihrer Sicht empörende Ansteigen der Gehälter und<br />
Gagen für Popstars. Rund 20 der beliebtesten Schlagersänger<br />
haben mittlerweile, d.h. im Jahre 2003, zwischen<br />
VND 5 Mio. und VND 25 Mio. (= US$ 324-1.620) pro<br />
Auftritt eingenommen, während gleichzeitig auf der anderen<br />
Seite rund 9.000 Sänger, die 133 offiziell anerkannten<br />
Gruppen angehören, in finanzielle Schwierigkeiten geraten<br />
sind.<br />
Während Schlagerstars also bis zu VND 25 Mio. „absahnen“,<br />
werden für den Auftritt des hundertköpfigen Nationalorchesters<br />
in der Regel weit niedrigere Gagen bezahlt.<br />
Sogar die cheo-Künstler, die in der traditionellen<br />
Oper auftreten, verdienen pro Auftritt meist lediglich<br />
VND 50.000 (= US$ 3,2).<br />
Der zz. meistbezahlte Popsänger <strong>Vietnam</strong>s, My Tam,<br />
hat bei einem Auftritt im Mai 2003 beim Halong-Touristenfest<br />
in der nördlichen Provinz Quang Ninh für die<br />
Darbietung weniger Lieder insgesamt VND 37 Mio. (=<br />
US$ 2.400) kassiert. Die meisten <strong>Vietnam</strong>esen verdienen<br />
demgegenüber übers Jahr nur rund US$ 400.<br />
6 Ebenda.<br />
7 XNA, 18.8.03.<br />
8 Ebenda.<br />
Im Ministerium werden Überlegungen angestellt, ob<br />
das Einkommen dieser Sänger auf längere Zeit nicht „kontrolliert“<br />
werden soll, zumal die meisten Schlagerstars<br />
kaum Einkommenssteuer zahlen. Der Grund für diese<br />
Steuerflucht besteht darin, dass die Gehälter von den Veranstaltern<br />
meist in bar ausgezahlt werden – und damit für<br />
die Finanzbeamten schwer erfassbar sind. 9<br />
1.1.2<br />
Antinomien bei der vietnamesischen Rechtsentwicklung<br />
<strong>Vietnam</strong> hat mit China zahlreiche Traditionen gemeinsam,<br />
die sich hier wie dort immer wieder als Hindernisse<br />
auf dem Weg zu einer juristischen Globalisierung erweisen.<br />
Diese Gemeinsamkeiten sind kein Zufall, sondern<br />
lassen sich gleichsam auf Schritt und Tritt nachweisen:<br />
Jahrhundertelang hat <strong>Vietnam</strong> nicht nur kulturell, sondern<br />
auch bei der Entfaltung von Theorie und Praxis des<br />
Rechts im Schatten Chinas gestanden – und auch bei der<br />
jüngsten Welle der Rechtsrezeption ist <strong>Vietnam</strong> meist nur<br />
der Entwicklung in China gefolgt.<br />
So kommt es denn, dass das vietnamesische Recht<br />
durch ähnliche Eigenschaften gekennzeichnet ist wie das<br />
chinesische:<br />
– So gibt es bspw. keine Autonomie des Rechts, wie sie<br />
für die meisten westlichen Rechtsordnungen so charakteristisch<br />
ist. Während ein deutscher Jurist z.B.<br />
die Rückgabepflicht des Besitzers gegenüber dem Eigentümer<br />
mit § 985 BGB begründet, so neigt ein vietnamesischer<br />
Jurist dazu, den Rückgabeanspruch mit<br />
moralischen oder gewohnheitsmäßigen Argumenten,<br />
weniger aber mit rein rechtlichen Herleitungen zu begründen<br />
– und den § 985 eher als ein bloßes Beispiel<br />
für die Rückgabepflichtigkeit anzuführen. Dem Recht<br />
wird hier mit anderen Worten eher ein heteronomer<br />
Stellenwert eingeräumt und eine eigenständige Geltung<br />
abgesprochen.<br />
– Aus ähnlichen Gründen wird auch zwischen Recht<br />
und Sitte sowie zwischen Zivil-, Straf- und öffentlichem<br />
Recht nicht so präzise unterschieden wie in westlichen<br />
Rechtsordnungen.<br />
– Jahrhundertelang gab es ferner keine spezifische<br />
Rechtswissenschaft und keinen als solchen exakt definierten<br />
Juristenstand. Juristische Kenntnisse waren<br />
vielmehr eher bloße Arabeske bei der Ausbildung des<br />
Mandarinats, das in erster Linie konfuzianisch zu argumentieren<br />
pflegte, d.h. u.a. auf die Tradition pochte,<br />
dass „Prozesse nicht geführt werden dürfen“, sondern<br />
dass stattdessen alle anstehenden Fragen möglichst<br />
nach Treu und Glauben sowie nach den Prinzipien<br />
der überkommenen Moral und des gesunden<br />
Menschenverstands abzugleichen seien. „Nicht juristisch,<br />
sondern anständig“ lautete deshalb die Parole:<br />
Nicht Juristen und Paragraphen sollten das Geschehen<br />
diktieren, sondern Personen, die in der Lage<br />
waren, glaubhaft den richtigen Weg aufzuzeigen und<br />
freundschaftliche Verhandlungen sowie Schlichtungen<br />
zustande zu bringen.<br />
– Des Weiteren standen nicht subjektive Rechte des Individuums<br />
gegen den Staat, sondern gerade umge-<br />
9 XNA, 5.8.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 535 - November 2003<br />
kehrt soziale Rechte der Gesamtheit gegen egozentrische<br />
Einzelne im Vordergrund.<br />
– Auch beim juristischen Umgang mit einzelnen Rechtsfiguren<br />
denken <strong>Vietnam</strong>esen anders als ihre westlichen<br />
Kollegen: Dauernd findet bspw. eine Flucht vom dinglichen<br />
Recht ins Schuldrecht, d.h. von juristisch eher<br />
starren Formen zu flexiblen Vereinbarungen statt;<br />
darüber hinaus besteht eine ausgeprägte Abneigung<br />
gegen juristische Formalismen, sei es nun gegen juristische<br />
Fiktionen oder aber gegen formelle Wahrheiten,<br />
die sich strafrechtlich im Grundsatz des Indubio-pro-reo,<br />
zivilprozessual aber in der Beweislast<br />
ausdrücken. Stattdessen drängt die Rechtspraxis im<br />
Strafrecht auf Geständnisse und zerknirschte Reue, im<br />
Zivilprozess auf „freundschaftliche Regelungen“. 10<br />
Bei der Begegnung mit vietnamesischem Recht stößt der<br />
westliche Jurist besonders häufig auf die Verwischung zwischen<br />
öffentlichem und privatem Recht. Angesichts der<br />
überragenden Bedeutung, die dem Ganzen gegenüber dem<br />
Einzelnen in der vietnamesischen Tradition zukam – und<br />
auch heute noch beigemessen wird –, kann diese Verwischungstendenz<br />
nicht weiter verwundern.<br />
Aus diesem Grunde auch befindet sich der Staat gegenüber<br />
dem Einzelnen immer wieder im Vorteil. Dies zeigt<br />
sich gegenwärtig nicht zuletzt darin, dass bspw. die Zahl<br />
der Rechtsanwälte in <strong>Vietnam</strong> nach wie vor eine Quantité<br />
négligeable ist. Mitte 2003 gab es in <strong>Vietnam</strong> nur 2.400<br />
Rechtsanwälte. Pro 34.000 Einwohner steht in <strong>Vietnam</strong><br />
also gerade einmal ein Rechtsanwalt zur Verfügung.<br />
In Deutschland, das gegenwärtig genauso viele Einwohner<br />
wie <strong>Vietnam</strong> aufweist, liegt die Gesamtzahl der<br />
zugelassenen Rechtsanwälte demgegenüber bei 121.420<br />
(Stichtag 1. Januar 2003); 11 es gab hier also ein Verhältnis<br />
von 675:1.<br />
Die Unterzahl in <strong>Vietnam</strong> scheint mittlerweile selbst<br />
das Hanoier Justizministerium nachdenklich zu stimmen,<br />
weshalb es beschlossen hat, dafür zu sorgen, dass die Zahl<br />
der Rechtsanwälte in der SRV bis 2010 auf wenigstens<br />
18.000 ansteigt. 12<br />
1.1.3<br />
VVA kauft russische SAM-Raketen<br />
Nach Zypern und China ist <strong>Vietnam</strong> das dritte Land, das<br />
von Russland Boden-Luft-Raketen vom Typ S-300 SAM<br />
(Surface-To-Air-Missiles) kauft. Nicht weniger als zwei Divisionen<br />
der VVA sollen mit diesen Systemen, von denen<br />
jedes US$ 300 Mio. kostet, ausgerüstet werden. Die russischen<br />
SAMs besitzen in <strong>Vietnam</strong> einen Ruf wie Donnerhall,<br />
nachdem mit ihrer Hilfe in den sechziger und Anfang<br />
der siebziger Jahre sogar „fliegende Festungen“ des<br />
US-Typs B-52 vom Himmel geholt werden konnten, die<br />
bis dahin als unerreichbar galten.<br />
Der Kaufvertrag wurde am 21. August 2003 anlässlich<br />
der Flugzeugschau in Russland bekannt gegeben. Die Firma<br />
Rosoboroneksport habe bei dieser Veranstaltung von<br />
nicht weniger als 15 Ländern Kaufangebote erhalten, hieß<br />
es. Bisher habe Russland die Raketen nur an zwei Län-<br />
10 Vgl. dazu Oskar Weggel, Das nachrevolutionäre China. Mit konfuzianischen<br />
Spielregeln ins 21. Jahrhundert?, Hamburg: Institut<br />
für Asienkunde, 1996, S.160-181, insbes. S.175ff.<br />
11 Anwaltsmagazin 10 (2003).<br />
12 XNA, 9.9.03.<br />
der, nämlich, wie erwähnt, an Zypern und China verkauft,<br />
mittlerweile aber gebe es „ein drittes Land“, an das die<br />
Geschosse schon bald ausgeliefert würden – nach all den<br />
Verhandlungen und Kontakten, die <strong>Vietnam</strong> seit Jahren<br />
mit Russland führt und unterhält, war es nicht gerade<br />
schwer zu erraten, dass mit diesem dritten Land die SRV<br />
gemeint war. 13<br />
Hört man solche Nachrichten, so bekommt die Phantasie<br />
Flügel: Gegen wen eigentlich sollen die SAM-Raketen<br />
eingesetzt werden? Letztlich gelangt man hier immer wieder<br />
zur gleichen Überlegung – nämlich gegen eine eventuelle<br />
angreifende chinesische Luftwaffe.<br />
1.1.4<br />
Urteil gegen Internet-Dissidenten wird von 13 auf<br />
fünf Jahre abgemildert<br />
Wie gemeldet, 14 war der 35-jährige Pham Hong Son im<br />
Juni 2003 zu 13 Jahren Gefängnis und drei Jahren auf Bewährung<br />
verurteilt worden, und zwar wegen angeblicher<br />
Verbreitung regierungsfeindlichen Materials via Internet.<br />
Son war bereits der fünfte Internet-Dissident, der auf diese<br />
Weise von der Justiz mit härtesten Strafen belegt worden<br />
war.<br />
Empörte Aufschreie der westlichen Öffentlichkeit ließen<br />
die vietnamesische Seite dann jedoch ins Grübeln<br />
kommen – und der Fall wurde vom Obersten Volksgericht<br />
in Hanoi am 26. August neu aufgerollt. Während<br />
des Revisionsprozesses versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude<br />
Diplomaten aus mehr als zehn Ländern, um<br />
ein menschenrechtsgemäßeres Urteil einzufordern: Zwar<br />
konnte die Polizei die Versammelten, die zum Teil den<br />
Botschaften Australiens, der Schweiz, Kanadas und Italiens<br />
angehörten, mit der Begründung in eine Seitengasse<br />
abdrängen, dass der Platz, auf dem sie stünden, „Eigentum<br />
des Volksgerichts“ sei. Die auf diese Weise attackierten<br />
Demonstranten gingen aber keineswegs nach Hause,<br />
sondern harrten weiter aus – und dies trotz strömenden<br />
Regens. Am Schluss setzte das Gericht die Strafe von 13<br />
auf fünf Jahre herab. Zwar habe der Angeklagte von Juli<br />
2000 bis zum 27. März 2002 Kontakte mit Feinden der<br />
vietnamesischen Regierung unterhalten und – via E-Mail<br />
– u.a. mit Nguyen Gia Kieng, dem Vorsitzenden der in<br />
Frankreich ansässigen „reaktionären Organisation Thong<br />
Luan“, in Verbindung gestanden. Son habe dieser staatsfeindlichen<br />
Organisation Informationen zugespielt und im<br />
Gegenzug sogar Geld erhalten.<br />
Da sein schändliches Verhalten jedoch schon frühzeitig<br />
aufgedeckt wurde, sei der Schaden für die SRV nicht so<br />
groß gewesen, sodass es sich rechtfertigen lasse, die Strafe<br />
zu reduzieren. Die Entscheidung wurde auf § 80 II sowie<br />
§§ 38, 92 und 41 des StGB gestützt. 15<br />
1.2<br />
Wirtschaft<br />
1.2.1<br />
Die Industrie bleibt auch weiterhin das Hauptzugpferd<br />
Der laufende Fünfjahresplan (2001-2005) geht davon aus,<br />
13 Vedomosti Moskau, in BBC, 22.8.03.<br />
14 SOAa, 5/2003, S.435.<br />
15 ND, in BBC, 27.8.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 536 - November 2003<br />
dass die Industrie jedes Jahr um mindestens 13% wächst<br />
und dass sie dann am Ende 38-39% des BIP bestreitet –<br />
ausgehend von 36,6% i.J. 2001. 16<br />
Nach zweieinhalb Jahren Laufzeit, die dazu geführt<br />
haben, dass mittlerweile die Planmitte erreicht worden<br />
ist, zeigt es sich, dass das tatsächliche Wachstum sogar<br />
die kühnsten Erwartungen übertreffen konnte, und zwar<br />
i.J. 2001 mit 14,2%, 2002 mit 14,5% 17 und in den ersten<br />
acht Monaten des Jahres 2003 mit 14,73%.<br />
Geht die Entwicklung bis zum Ende des Jahres 2003<br />
im bisherigen Tempo weiter, so ist der Sekundärsektor<br />
(Industrie), mit 38,8%, bereits dann bei jener Größenordnung<br />
angelangt, die er nach dem Plan eigentlich erst Ende<br />
2005 erreicht haben sollte. Die Ziele wären dann bereits<br />
zwei Jahre früher erreicht worden.<br />
Besonders verdient gemacht um diesen Erfolg haben<br />
sich fünf Bereiche, nämlich Kohle, Elektrizität, Chemiedünger,<br />
Stahl und Schuhe. Die Kohleindustrie erreicht bis<br />
Ende 2003 voraussichtlich 16-17 Mio. t, stellt dann also<br />
bereits jene Vorgaben ein, die eigentlich erst für Ende<br />
2005 vorgesehen waren. Die Elektrizitätsproduktion<br />
erzielt aufgrund der Indienststellung neuer Kraftwerke<br />
ebenfalls überdurchschnittliche Wachstumsraten.<br />
Auch der Maschinenbau und die Schiffsindustrie sind<br />
am Erfolg beteiligt, und zwar durch die Herstellung einer<br />
Reihe von 6.500-t- und 11.500-t-Schiffen sowie durch die<br />
Produktion von Ölplattformen.<br />
Nur in einigen wenigen Bereichen werden die Ziele für<br />
2005 voraussichtlich nicht ganz erreicht werden, nämlich<br />
bei Öl, Gas und Pulpe. 18<br />
Von einigen Enttäuschungen abgesehen, gehört der Sekundärsektor<br />
also mit zu den Speckseiten der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung. Dies zeigt auch ein Blick auf den Zehn-<br />
Jahres-Zeitraum zwischen 1991 und 2001, in dessen Verlauf<br />
durchweg zweistellige Zuwachsergebnisse erzielt werden<br />
konnten, nämlich 10,4% i.J. 1991, 17,1% i.J. 1992,<br />
12,7% i.J. 1993, 13,7% i.J. 1994, 14,5% i.J. 1995, 14,2%<br />
i.J. 1996, 13,8% i.J. 1997, 12,5% i.J. 1998, 11,6% i.J. 1999,<br />
17,5% i.J. 2000 und – wie bereits erwähnt – 14,2% i.J.<br />
2001. 19<br />
Diese ständige Aufwärtsentwicklung nimmt sich noch<br />
eindrucksvoller aus, wenn man über den aktuellen Tellerrand<br />
hinausblickt und den Prozess unter historischen<br />
Perspektiven betrachtet:<br />
– Sein bestes Jahr hatte Vorkriegsvietnam i.J. 1939 erreicht.<br />
Allerdings gab es damals – trotz des registrierten<br />
Höchststandes – gerade einmal 200 Industrieunternehmen<br />
mit zusammen 90.000 Arbeitern, die mit<br />
wenig Maschinen auszukommen und hauptsächlich<br />
schmutzige Arbeiten zu verrichten hatten. Auch das<br />
Produktionsspektrum war überaus schmal und beschränkte<br />
sich auf einige Bereiche wie Elektrizitätserzeugung,<br />
Kohleförderung, Zementproduktion und die<br />
Herstellung von Kleidung, Salz, Alkohol und Zigaretten.<br />
– Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, vor allem aber<br />
des Ersten Indochina-Kriegs (1946-1954) ging es von<br />
16 Dazu ausführlich SOAa, 4/2001, S.404.<br />
17 Dazu SOAa, 3/2003, S.235.<br />
18 VNA, in BBC, 8.9.03.<br />
19 Dazu VER, No.101 (2003), S.34.<br />
diesem ohnehin bescheidenen Niveau aus wieder weit<br />
nach unten, sodass der industrielle Produktionswert<br />
des Jahres 1955 gerade einmal bei 40% desjenigen von<br />
1939 lag.<br />
– Erst mit dem Ende des Ersten Indochina-Kriegs begann<br />
eine langsame industrielle Erholung des Landes,<br />
die trotz des Zweiten Indochina-Kriegs (1964-1973)<br />
nie ganz unterbrochen wurde – und die dazu führte,<br />
dass der industrielle Produktionsertrag im Jahre<br />
1975 zwanzigmal höher war als derjenige des Jahres<br />
1955 und sogar achtmal höher als derjenige des Jahres<br />
1939. In den 20 Jahren zwischen 1955 und 1975<br />
hatte es hier also Zuwächse von jeweils +15,3% p.a.<br />
gegeben.<br />
– Mit dem Ende des Bürgerkriegs und der Wiedervereinigung<br />
beider Teile <strong>Vietnam</strong>s (1976) setzte eine etwas<br />
ungleichmäßig verlaufende Periode ein, die sich<br />
bis 1990 in drei Phasen gliedern lässt:<br />
i. Zwischen 1976 und 1980, also in den Anfangsjahren,<br />
als <strong>Vietnam</strong> im Gefolge radikaler Reformversuche<br />
des Nordens in gewaltige Turbulenzen<br />
geraten war, gab es so gut wie kein<br />
Wachstum. Von 1981 bis 1985 dagegen konnten<br />
bereits wieder +9,5% pro Jahr verzeichnet<br />
werden.<br />
ii. Nach Beginn der Reformen (1986) schließlich<br />
fiel das Wachstum im Zeichen von Anfangsschwierigkeiten<br />
erneut zurück, und zwar auf<br />
+6,3% zwischen 1986 und 1990, sodass für die<br />
Gesamtperiode von 1976 bis 1990 am Ende<br />
lediglich ein Durchschnittswachstum der Industrieproduktion<br />
von 5,7% p.a. herauskam.<br />
iii. Erst 1991 begann dann jenes zweistellige<br />
Wachstum, dessen Einzelergebnisse oben im<br />
Detail wiedergegeben wurden.<br />
– Stolz weisen vietnamesische Autoren auf die seither<br />
erzielten Fortschritte hin: Setze man die Ergebnisse<br />
von 1939 mit dem Wert 1 an, so lag das Wachstum der<br />
Industrie 1955 bei 0,4, 1976 beim Achtfachen, 1985<br />
beim 13fachen, 1990 beim 17,5fachen und 2002 beim<br />
82fachen. 20<br />
Nehme man diese Wachstumserfolge als Determinanten,<br />
so könne man sich bis zum Jahr 2020 durchaus ein industriell<br />
weit fortgeschrittenes <strong>Vietnam</strong> vorstellen, das den Visionen<br />
der Planer des IX. Parteitags von 2001 voll gerecht<br />
werde. 21<br />
1.2.2<br />
Die Kfz-Entwicklung in <strong>Vietnam</strong><br />
1.2.2.1<br />
Unterversorgung und rapide steigende Nachfrage<br />
<strong>Vietnam</strong>, das mit 329.000 km 2 und rund 82 Millionen<br />
Einwohnern nahezu gleiche Größenverhältnisse wie die<br />
Bundesrepublik Deutschland aufweist (357.000 km 2 ,<br />
ebenfalls 82 Millionen Einwohner), verfügt zz. über<br />
einen Automobilbestand von gerade einmal rund 600.000<br />
Einheiten, von denen rund 390.000 allein auf Hanoi und<br />
20 Ebenda, S.34.<br />
21 Zu diesen Zielen vgl. SOAa, 4/2001, S.403f.
SÜDOSTASIEN aktuell - 537 - November 2003<br />
Ho-Chi-Minh-Stadt entfallen. In Deutschland kommt<br />
man demgegenüber auf rund 43 Millionen Einheiten, also<br />
das 72fache.<br />
Selbst wenn es in <strong>Vietnam</strong> auch längerfristig kaum<br />
zu einer ähnlichen Fahrzeugdichte wie in Deutschland<br />
kommen dürfte, ist der Nachholbedarf doch riesig, und<br />
entsprechend stürmisch drängen ausländische Automobil-<br />
Produzenten auf den vietnamesischen Markt, zumal die<br />
Wachstumsraten für Neuerwerbungen in den letzten Jahren<br />
rapide zugenommen haben: Von verkauften 7.000<br />
Stück im Jahre 1999 stieg der Absatz i.J. 2002 auf 27.000<br />
Stück und ist bis Ende 2003 auf rund 30.000 zu veranschlagen.<br />
Die in <strong>Vietnam</strong> verkauften Autos kommen aus drei<br />
Quellen: Entweder handelt es sich um importierte Neuwagen<br />
sowie um importierte Gebrauchtfahrzeuge oder aber<br />
um Kfz, die in <strong>Vietnam</strong> montiert wurden. Der erstgenannte<br />
Posten umfasst zz. noch den Löwenanteil: Von den rund<br />
27.000 Einheiten des Jahres 2002 waren bspw. 22.000 fertig<br />
importiert worden. 22<br />
Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2003<br />
führte <strong>Vietnam</strong> 6.717 Neuwagen im Wert von US$ 68 Mio.<br />
sowie Autoteile und Autozubehör im Wert von US$ 190<br />
Mio. (= +59,7%) ein. 23<br />
Zusätzlich sind noch zahlreiche Gebrauchtwagen importiert<br />
worden. 24<br />
Bis 2005 werden 650.000 Fahrzeuge in <strong>Vietnam</strong> erwartet.<br />
25<br />
Das rapide Ansteigen des Absatzes ist darauf zurückzuführen,<br />
dass sich in <strong>Vietnam</strong> das Privatunternehmertum<br />
rasch entwickelt hat, und zwar hauptsächlich seit<br />
Inkrafttreten des neuen Betriebsgesetzes Anfang 2000.<br />
Seitdem sind über 53.000 Privatunternehmen entstanden<br />
– und immer mehr erfolgreiche Privatunternehmer krönen<br />
ihren bisherigen Erfolg mit der Anschaffung eigener<br />
Dienstwagen, unter denen sich häufig auch Luxuskarossen<br />
befinden.<br />
Hatte früher noch der Staatssektor die meisten Käufe<br />
getätigt, so ist er inzwischen vom Privatunternehmertum<br />
weit in den Schatten gestellt worden. 2001 bspw. waren<br />
die Anschaffungen des Privatsektors gegenüber denen des<br />
Vorjahrs um 50% und 2002 um 53% gestiegen, während<br />
sich die Käufe des Staatssektors zur gleichen Zeit von 43%<br />
auf 38% verringert hatten. 26<br />
1.2.2.1<br />
Die elf ausländischen Mitbewerber<br />
Elf ausländische Firmen sind es, die ihre Autos nicht nur<br />
von außen her liefern, sondern die sich in der SRV selbst<br />
mit hohen Investitionen engagieren, d.h. bisher US$ 574<br />
Mio. transferiert und damit jährliche Fertigungskapazitäten<br />
von 148.000 Fahrzeugen geschaffen haben. 27<br />
In der Regel arbeiten sie – als Joint Ventures – mit einheimischen<br />
Herstellern zusammen und haben sich überdies<br />
zur <strong>Vietnam</strong> Auto Manufactures Association (VA-<br />
MA) zusammengeschlossen – zu einem Bündnis also, das<br />
22 SCMP, 17.1.03.<br />
23 XNA, 13.6.03.<br />
24 XNA, 11.6.02.<br />
25 XNA, 8.7.03.<br />
26 AWSJ, 15.1.03.<br />
27 XNA, 8.7.03 und 10.9.03.<br />
nicht nur über die laufenden Angelegenheiten berichtet,<br />
sondern das auch als Interessenvertreter der ausländischen<br />
Firmen auftritt – und notfalls mit heftigem Gegendruck<br />
reagiert, wenn die vietnamesische Regierung, wie bis jetzt<br />
zweimal geschehen, 28 mit überraschenden Belastungsentscheidungen<br />
hervortritt.<br />
Die Geschichte der Kfz-Herstellung in <strong>Vietnam</strong> ist gerade<br />
einmal elf Jahre alt.<br />
1992 waren die ersten Autos in Zusammenarbeit mit<br />
europäischen Firmen montiert worden, und zwar unter<br />
Mithilfe von Citroen sowie von Peugeot.<br />
Schon zwei Jahre später hatte die Regierung jedoch<br />
durchblicken lassen, dass sie mit den bisherigen Joint Ventures<br />
nicht besonders zufrieden sei und dass deshalb neue<br />
Kooperationsformen gesucht werden müssten.<br />
Kurze Zeit später begann die neugegründete <strong>Vietnam</strong><br />
Motor Corporation (VMC) sowohl Mazda- als auch Kia-<br />
Pkw zusammenzubauen und im Jahre 1995 auch mit<br />
BMW zu kooperieren.<br />
Eine weiteres vietnamesisches Montageunternehmen<br />
namens „Mekong“ begann im gleichen Jahr eine Zusammenarbeit<br />
mit der italienischen Iveco, wobei Leichtbusse<br />
und Lkw im Vordergrund des Produktionsinteresses standen.<br />
Beide Firmen, VMC und Mekong-Corporation, waren<br />
unbeschriebene Blätter – und möglicherweise nichts anderes<br />
als Scheinfirmen, hinter denen japanische und koreanische<br />
Großkonzerne standen, die damals noch nicht<br />
öffentlich in Erscheinung treten wollten.<br />
1995 kamen weitere vier Firmen hinzu, nämlich Daimler<br />
Benz, Toyota und die beiden US-amerikansichen Produzenten<br />
Chrysler und Ford. (Ford stieg später wieder<br />
aus.)<br />
Darüber hinaus begann beim Bau von Motorrädern<br />
eine Kooperation mit Honda. 29<br />
Zur führenden ausländischen Firma hat sich inzwischen<br />
Toyota (TM) entwickelt, die von den 27.000 verkauften<br />
Einheiten des Jahres 2002 allein 7.335 bestritten<br />
hat – verglichen mit 5.759 im Jahre 2001.<br />
Den größten Zuwachs konnte 2002 allerdings Ford <strong>Vietnam</strong>,<br />
der einzige US-amerikanische Vertreter, erzielen,<br />
und zwar mit verkauften 3.685 Einheiten (gegenüber 1.915<br />
i.J. 2001). Dies war ein Zuwachs von über 92%.<br />
Mitsubishi (J.Mot) konnte 2002 um 51,3% wachsen<br />
(auf 2.440 Stück) und Mercedes Benz um 40% (auf 2.622<br />
Stück). Als das am meisten verkaufte Mercedes Modell<br />
erwies sich der Minibus MB 140D.<br />
Ein weiterer wichtiger Anbieter (und zz. sogar Nr. 2 in<br />
<strong>Vietnam</strong>) ist Vidamco, ein Joint Venture mit den koreanischen<br />
Daewoo-Motors.<br />
Die VMC, die u.a. BMW-Modelle montiert, liegt bei<br />
einem Marktanteil von unter 10%.<br />
Erfolgreich ist auch Vinastar, ein Joint Venture mit<br />
Mitsubishi, das vor allem den Mitsubishi Pajero gut vermarktet.<br />
Zu erwähnen ist ferner Visuco, ein Joint Venture mit<br />
Suzuki, das vor allem den Kleinstlastwagen Carry erfolgreich<br />
absetzen konnte.<br />
28 Siehe dazu unten unter 1.2.2.3.<br />
29 Näheres zu diesem Entwicklungsprozess in SOAa, 1/1995,<br />
S.34f.; zum Joint Venture mit Honda vgl. auch SOAa, 2/1998, S.111.
SÜDOSTASIEN aktuell - 538 - November 2003<br />
Daneben gibt es eine Reihe von Unternehmen, die Kfz-<br />
Teile produzieren und bei denen die japanische Industrie<br />
ebenfalls stark vertreten ist. 30<br />
Angesichts des hohen Nachholbedarfs für Nutzfahrzeuge<br />
sieht die lokale Industrie eigene Fertigungschancen.<br />
Anfang März 2003 erhielt Transinco (Transport Industry<br />
Corporation) die Genehmigung, vier Fabriken für<br />
den Bau öffentlicher Transportfahrzeuge zu errichten, und<br />
zwar bis zum Jahr 2005: Eine der Fabriken soll im Distrikt<br />
Dong Anh in Hanoi entstehen und 5.000 Vans sowie Busse<br />
und 20.000 Karosserien pro Jahr fertigen. Eine andere<br />
(in der nördlichen Provinz Bac Giang) soll in die Lage<br />
versetzt werden, 20.000 Fahrzeuge, 30.000 Dieselmotoren<br />
und 180.000 Motorradrahmen pro Jahr vom Band laufen<br />
zu lassen. Eine dritte, in der nördlichen Provinz Hung<br />
Yen, soll Motorradersatzteile, eine vierte, in der Provinz<br />
Vinh Phuc, jährlich 12.000 leichte Traktoren produzieren.<br />
Transinco hat auch bereits einen Kontrakt für die Lieferung<br />
von 300 Bussen an Ho-Chi-Minh-Stadt erhalten. 31<br />
Ein Großteil der Nutzfahrzeuge wird zunächst aus importierten<br />
Teilen zu montieren sein, deren lokaler Anteil<br />
allerdings nach und nach zu steigern ist.<br />
Für die hauptsächlich japanischen Firmen, die durch<br />
einige europäische und eine einzige US-amerikanische ergänzt<br />
werden, beginnt die Autoproduktion in <strong>Vietnam</strong><br />
nach und nach rentabel zu werden, nachdem sie ihre zum<br />
Teil bereits in den achtziger Jahren errichteten Montagebetriebe<br />
jahrelang hatten subventionieren müssen.<br />
Einen noch höheren Verbreitungsgrad will man mit<br />
Hilfe von Kfz-Ausstellungen erreichen, wie sie i.J. 2002<br />
erstmals stattgefunden haben: Da war einmal die Schau<br />
auf dem Giang-Vo-Ausstellungsgelände in Hanoi Anfang<br />
Juni 2002, bei der die elf ausländischen Firmen 55 ihrer<br />
Modelle präsentierten, 32 und da war des Weiteren<br />
Ende September 2002 eine fünftägige „AutoPetro 2002“-<br />
Ausstellung, bei der sowohl klassische Autofirmen wie<br />
Mercedes, Daihatsu, Kia und Peugeot als auch Firmen<br />
des Öl- und Gassektors wie BP, Shell, <strong>Vietnam</strong> Oil and<br />
Gas Corp. (Petro<strong>Vietnam</strong>) sowie die vietnamesische Petro<br />
Limex ihre Produkte vorstellten. 33<br />
1.2.2.3<br />
Planerische und behördliche Steuerungsversuche<br />
1.2.2.3.1<br />
Planungen bis 2020<br />
Angesichts der stürmischen Entwicklung hat das Industrieministerium<br />
(MoI) Mitte August 2003 einen<br />
Masterplan bis 2010 und einen Perspektivplan bis 2020<br />
herausgegeben. In dem Masterplan geht das MoI davon<br />
aus, dass die Automobilnachfrage bis 2005 auf 80.000<br />
Einheiten p.a. und bis 2010 auf 156.000 Einheiten<br />
ansteigt. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, müssten<br />
Investitionen zwischen VND 18 und 20 Billionen, also<br />
zwischen EUR 1-1,5 Mrd. investiert werden.<br />
30 Zu den Autoproduzenten im Einzelnen vgl. u.a. VNA, in BBC,<br />
26.5.01.<br />
31 VNA, in BBC, 10.3.03.<br />
32 SCMP, 6.6.02.<br />
33 XNA, 27.9.02.<br />
1.2.2.3.2<br />
Steuerungsversuche<br />
Gegenwärtig seien in <strong>Vietnam</strong>, wie erwähnt, elf Automobilbauer<br />
mit ausländischen Partnern und 160<br />
einheimische Betriebe tätig. Letztere beschränkten sich<br />
auf die Zusammensetzung importierter Autoteile und<br />
erstellten zz. jährlich zwischen 2.500 und 3.500 Fahrzeuge.<br />
Der Masterplan unterstützt die Lokalisierung der Produktion,<br />
d.h. die Erhöhung des lokalen Anteils vor allem<br />
in Form wachsender Teil- und Ersatzteilfertigung.<br />
Bevorzugt unterstützt werden sollen auch Spezialfahrzeuge,<br />
angefangen von Bussen über Krankenwagen, Feuerwehrautos<br />
usw. Bei Bussen sind Engpässe entstanden.<br />
Gleichzeitig aber befassen sich nur vier der elf ausländischen<br />
Firmen (nämlich Hino, Mercedes Benz, Mekong und<br />
Vidamco) mit der Busproduktion.<br />
Automobil-Joint-Ventures müssten innerhalb von fünf<br />
Jahren nach Produktionsbeginn einen Lokalisierungsanteil<br />
von 5% und nach zehn Jahren von 25% aufweisen.<br />
Sämtliche elf Joint Ventures hätten demnach bereits im<br />
Jahre 2006 der 25%-Vorgabe zu genügen.<br />
Ganz in diesem Sinne hat die führende ausländische<br />
Firma, Toyota <strong>Vietnam</strong>, bereits im März 2003 ihr erstes<br />
Karosseriewerk erstellt, und zwar in der nördlichen Provinz<br />
Vinh Phuc. Damit wird die Firma in die Lage versetzt,<br />
die Lokalisierung bereits auf über 10% anzuheben.<br />
Toyota ist damit gegenüber den zehn Konkurrenten deutlich<br />
in Führung gegangen. 34<br />
Der rasche Zuwachs hat auch bei den lokalen Herstellern<br />
verstärktes Interesse geweckt. Während noch 2001<br />
wenig lokales Interesse am Bau von Kfz-Teilen bestand,<br />
hatten sich schon zweieinhalb Jahre später, nämlich bis<br />
Juli 2003, nicht weniger als 37 vietnamesische Betriebe<br />
um eine Herstellungslizenz bemüht – die meisten davon<br />
für die Produktion von Kfz-Teilen. Damit kamen sie den<br />
Erwartungen des Masterplans entgegen, der den Lokalisierungsanteil<br />
für Fertigautos bis 2010 auf 35-60% und für<br />
Kfz-Teile auf 60-80% anheben will.<br />
Hand in Hand mit diesen Förderungsmaßnahmen soll<br />
die Einfuhr von Gebrauchtfahrzeugen rasch zurückgefahren<br />
und durch eine erhöhte Lokalisierungsrate bei Neumontagen<br />
ersetzt werden. 35<br />
1.2.2.3.3<br />
Proteste der ausländischen Firmen – und der<br />
AFTA – gegen willkürliche Vorgaben<br />
Zweimal ist es bisher zu heftigen Zusammenstößen zwischen<br />
den ausländischen Produzenten und der SRV-Regierung<br />
gekommen, nämlich im September und im Dezember<br />
2002: Im September hatte die Regierung willkürlich und<br />
unerwartet die Einfuhr von Motorradbestandteilen quotiert<br />
und damit die beiden größten ausländischen Montagefirmen,<br />
nämlich Honda (HNC) und Yamaha, für mehrere<br />
Wochen zum Einstellen der Produktion veranlasst.<br />
Am 4. Dezember gab das Finanzministerium erneut –<br />
und wieder einmal wie aus heiterem Himmel – eine Ankündigung<br />
heraus, dass die Tarife für eingeführte Autobestandteile<br />
im Januar 2003 um 40% und im Januar 2004<br />
um weitere 70% erhöht würden. 36 Die VAMA hatte mit ei-<br />
34 XNA, 11.3.03.<br />
35 XNA, 31.10.02.<br />
36 AWSJ, 20.12.02.
SÜDOSTASIEN aktuell - 539 - November 2003<br />
nem empörten Aufschrei reagiert und sich über eine „völlig<br />
unvorhersehbare Politik“ beklagt, die „dem Geschäftsklima<br />
in <strong>Vietnam</strong>“ außerordentlich unzuträglich sei.<br />
Die Regierung zeigt sich von diesem Protest so beeindruckt,<br />
dass sie die Tariferhöhungen wieder zurücknahm.<br />
Es waren aber auch noch weitere Beschlüsse der Regierung,<br />
die den Unwillen der VAMA erregten, nämlich ihre<br />
erklärte Absicht, den Bau luxuriöser Limousinen möglichst<br />
zurückzufahren und stattdessen kleine, lokal gefertigte<br />
Einheiten zu bevorzugen sowie außerdem den Akzent<br />
auf den Export von Autos zu legen, die in <strong>Vietnam</strong> gefertigt<br />
werden. 37 Bei einer Bevölkerungszahl von 82 Millionen<br />
Menschen erwarten die ausländischen Produzenten<br />
aber nicht Exporte, sondern einen höheren Absatz innerhalb<br />
des vietnamesischen Markts.<br />
Vor den Kopf gestoßen fühlte sich ferner auch die<br />
AFTA (ASEAN Free Trade Area) durch Versuche <strong>Vietnam</strong>s,<br />
Fahrzeuge mit weniger als neun Sitzen von den<br />
Zollbefreiungen sowie -reduzierungen auszunehmen, wie<br />
sie bis 2010 vereinbart worden sind. Der hohe Zoll müsse<br />
– so die Regierung – aufrechterhalten werden, wenn<br />
nicht Kfz aus anderen ASEAN-Ländern den vietnamesischen<br />
Markt überfluten sollten. 38 Mit dieser Begründung<br />
erhielt <strong>Vietnam</strong> ausnahmsweise auch von der VAMA Beifall.<br />
1.2.3<br />
<strong>Vietnam</strong> Airlines im Aufwind<br />
Obwohl in den vergangenen Jahren zahlreiche wirtschaftliche<br />
Turbulenzen durchzustehen waren – man denke an<br />
die Asienfinanzkrise von 1997, an die terroristischen Übergriffe<br />
auf Touristen und an die SARS-Welle im Frühjahr<br />
2003 – , hat <strong>Vietnam</strong> Airlines gute Chancen, in die Oberliga<br />
der asiatischen Fluggesellschaften aufzusteigen.<br />
1956 gegründet und durch Jahrzehnte kriegerischer Ereignisse<br />
am Boden gehalten sowie durch sozialistische Experimente<br />
auf Provinzniveau gedrückt, begann die Aufwärtsentwicklung<br />
der Fluglinie erst nach den Reformbeschlüssen<br />
von 1986.<br />
Im Zeitraum von 1986 bis 1993 rückte ein neues Management<br />
an die Spitze der Fluglinie, das mit Argusaugen<br />
darüber wachte, dass an die Stelle der bisherigen Subventionen<br />
eine marktwirtschaftliche Betriebsweise trat.<br />
Gleichzeitig begann der Ausbau der Infrastruktur und der<br />
Ankauf moderner Fluggeräte.<br />
U.a. wurden damals drei Kontrollbehörden eingerichtet,<br />
nämlich die Behörde für die nördlichen, für die zentralen<br />
und für die südlichen Flugabschnitte.<br />
1996 begann eine Politik des Leasens von Flugzeugen<br />
und der Zuschaltung ausländischer Infrastrukturhilfe.<br />
Schnell begannen daraufhin die Passagier- und Frachtleistungen<br />
anzusteigen. 2001 bereits beförderte der gesamte<br />
Luftfahrtsektor <strong>Vietnam</strong>s 5,7 Millionen Passagiere und<br />
110.000 t Fracht.<br />
1993 bereits hatten die ersten Flüge über die Staatsgrenzen<br />
hinaus begonnen. Zu den wichtigsten Routen entwickelten<br />
sich seither die Strecken zwischen Hanoi und<br />
Paris sowie zwischen zwischen Hanoi und Beijing.<br />
Gleichzeitig wurden die Infrastruktur und die Leis-<br />
37 ST, 30.4.02.<br />
38 XNA, 10.12.02.<br />
tungsfähigkeit der Flotte sowie der Flughäfen weiter ausgebaut.<br />
Im Jahre 2002 waren der Noi Bai Internationale<br />
Flughafen von Hanoi sowie der Tan Son Nhat Internationale<br />
Flughafen von Ho-Chi-Minh-Stadt in der Lage, jeweils<br />
rund fünf Millionen Passagiere p.a. abzufertigen. 39<br />
Ende 2003 soll der Tan Son Nhat Flughafen weiter ausgebaut<br />
werden und nach Fertigstellung der Arbeiten im<br />
Jahre 2006 acht Millionen Passagiere abfertigen können. 40<br />
Auch am Noi Bai Flughafen in Hanoi wird permanent<br />
weitergebaut. Mitte 2003 wird überdies der Flughafen in<br />
Lam Dong im Zentralen Hochland so erweitert, dass auf<br />
einer auf 3,5 km erweiterten Startbahn auch Passierflugzeuge<br />
des Typs A 320 starten und landen können. 41 Sogar<br />
internationale Ziele wie Singapur, Bangkok und Osaka<br />
oder Tokyo sollen dann von dort aus bedient werden können.<br />
Zwischen 2015 und 2020 sollen zwei zusätzliche internationale<br />
Flughäfen und acht bis zehn weitere Inlandsflughäfen<br />
neu gebaut werden.<br />
Gleichzeitig wird die Flotte modernisiert.<br />
Bereits im Jahr 2001 war ein Perspektivplan für den<br />
Zehnjahreszeitraum von 2001 bis 2010 ausgearbeitet worden,<br />
demzufolge <strong>Vietnam</strong> Airlines bis zum Ende des Zeitraums<br />
VND 19 Billionen (= US$ 1,3 Mrd.) in neue Fluggeräte<br />
investieren soll. VND 15 Billionen sollen im Zeitraum<br />
2001 bis 2005 ausgegeben werden. Die Regierung<br />
hat ihrer Staatslinie zu diesem Zweck Vorzugskreditlinien<br />
in Aussicht gestellt.<br />
Zur Zeit des Planbeschlusses besaß die Linie zwar 23<br />
Flugzeuge, von denen aber nur sechs in Betrieb waren,<br />
während die anderen altersschwach am Boden standen.<br />
Den Plänen nach soll die Zahl der Flugzeuge bis 2005 auf<br />
18 Maschinen und bis 2010 auf 34 ansteigen. Gleichzeitig<br />
sollen vietnamesische Piloten ausgebildet werden, und<br />
zwar mit dem Ziel, bereits 2006 70-80% aller Flüge selbst<br />
durchzuführen, sodass man nicht mehr auf ausländische<br />
Hilfe angewiesen sei. 42<br />
In den sechziger und siebziger Jahren flog man in <strong>Vietnam</strong><br />
ausschließlich alte sowjetische Maschinen. Mit Beginn<br />
des Jahres 2001 waren jedoch zahlreiche Maschinen<br />
im Westen neu bestellt worden – zuerst vier Boeing 777-<br />
200ER und anschließend fünf Airbus A 321, die im Laufe<br />
der nächsten Monate ausgeliefert werden.<br />
Gleichzeitig entwickelte die Regierung erste Pläne,<br />
selbst Fluggeräte herzustellen, und zwar ein superleichtes<br />
Flugzeug, das vor allem im Dienste der Landwirtschaft<br />
und der Rettung bei Naturkatastrophen eingesetzt werden<br />
soll. 43 Die „Vereinigung der vietnamesischen Mechanik“<br />
wurde beauftragt, einen Prototyp zu erstellen.<br />
Noch 2003 soll auch am ersten „superleichten Helikopter“<br />
mit der Arbeit begonnen werden – es handelt sich hier<br />
um ein 150 kg schweres Fluggerät, das ebenfalls von der<br />
Vereinigung der vietnamesischen Mechanik erstellt wird<br />
und das ebenfalls für Rettungs- und Patrouilleoperationen<br />
verwendet werden soll. <strong>Vietnam</strong> brauche, wie es hieß,<br />
„Hunderte solcher superleichter Helikopter“. Im Erfolgs-<br />
39 XNA, 28.3.02.<br />
40 XNA, 1.8.03.<br />
41 XNA, 28.8.03.<br />
42 XNA, 15.5.01.<br />
43 XNA, 3.5.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 540 - November 2003<br />
fall werde man die Geräte auch exportieren. 44<br />
Inzwischen ist es <strong>Vietnam</strong> Airlines ferner gelungen, in<br />
eine „Code Sharing Alliance“ mit etablierten Fluggesellschaften<br />
wie Cathay Pacific Airways und Japan Airlines<br />
einzutreten, um von deren Erfahrungen zu lernen.<br />
Im April hat sich die Linie ein neues Logo und einen<br />
neuen Anstrich zugelegt und gleichzeitig eine umfangreiche<br />
Werbekampagne gestartet, um sich besser ins internationale<br />
Geschäft einbringen zu können. Aktionen dieser<br />
Art waren nicht zuletzt auch deshalb nötig, weil der Ausbruch<br />
von SARS im Februar 2003 vielen Expansionsplänen<br />
der Fluggesellschaft einen Strich durch die Rechnung<br />
gemacht hatte. <strong>Vietnam</strong> Airlines hatte daraufhin (im Mai<br />
2003) mindestens rund US$ 1 Mio. für Werbekampagnen<br />
ausgegeben, um die Adressaten SARS vergessen zu lassen<br />
und darauf hinzuweisen, dass <strong>Vietnam</strong> die Krankheit als<br />
erstes Land in Asien siegreich bekämpft habe. 45<br />
Gleichzeitig hatte die Fluglinie ihre Tarife gesenkt, vor<br />
allem auf der Strecke Hanoi–Ho-Chi-Minh-Stadt, wobei<br />
Reduzierungen zwischen 20% und 25% für den Fall angeboten<br />
wurden, dass die Tickets mindestens 14 Tage vor<br />
Reiseantritt gekauft würden. 46<br />
Noch im Vorjahr (2002) hatte <strong>Vietnam</strong> Airlines nicht<br />
weniger als vier Millionen Passagiere befördern können –<br />
darunter 1,76 Millionen Ausländer. Im Gefolge von SARS<br />
und dem Irak-Krieg war die Zahl der Passagiere aber im<br />
ersten Halbjahr 2003 gegenüber dem gleichen Zeitraum<br />
des Vorjahrs um 8% abgefallen.<br />
Die größten Gewinnchancen erhofft sich <strong>Vietnam</strong> Airlines<br />
aus internationalen Mittel- und Langstreckenflügen.<br />
1.3<br />
Außenpolitik<br />
1.3.1<br />
Das Verhältnis <strong>Vietnam</strong>s zu seinen maritimen<br />
ASEAN-Partnern<br />
Nach geopolitischen Gesichtspunkten lassen sich die Mitglieder<br />
der ASEAN-Zehnerallianz in festlands-südostasiatische<br />
(<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>, Myanmar, Thailand)<br />
und maritim-südostasiatische Partner (Malaysia,<br />
Indonesien, Singapur, Brunei und die Philippinen) einteilen.<br />
Unter den fünf maritimen Partnern sind Brunei und<br />
die Philippinen aus vietnamesischer Perspektive eher peripher.<br />
Die anderen drei dagegen haben jeweils eine ganz<br />
spezifische Bedeutung:<br />
– Mit Indonesien teilt <strong>Vietnam</strong> die historische Erfahrungen:<br />
Beide waren die einzigen Staaten des heutigen<br />
Südostasiens, die sich mit Waffengewalt von ihren ehemaligen<br />
Kolonialherren losgesagt – und die deshalb<br />
immer besondere Sympathie füreinander empfunden<br />
haben, selbst wenn sich die zeitweilige kommunistische<br />
Ausrichtung <strong>Vietnam</strong>s aus der Sicht der früheren<br />
Suharto-Regierung manchmal als überaus störend erwiesen<br />
hat.<br />
– Mit Singapur sind <strong>Vietnam</strong>s Gemeinsamkeiten dagegen<br />
jüngeren Datums, insofern nämlich die Wirtschaft<br />
44 XNA, 25.8.03.<br />
45 XNA, 10.5.03.<br />
46 XNA, 3.5.03.<br />
des Stadtstaats (und der hinter Singapur stehenden<br />
Wirtschaftsgruppierungen) zum Investor Nr. 1 in der<br />
SRV geworden sind und insofern Singapur des Weiteren<br />
im Ausbildungsbereich zu einer kräftigen Stütze<br />
<strong>Vietnam</strong>s und seiner Entwicklungspolitik geworden<br />
ist.<br />
– Malaysia schließlich hat sich mittlerweile zum<br />
Hauptentsendeland für vietnamesische Arbeitskräfte<br />
entwickelt.<br />
Im Einzelnen:<br />
– Mitte Juni 2003 hat Indonesiens Staatspräsidentin<br />
Megawati Sukarnoputri zum zweiten Mal seit ihrem<br />
Amtsantritt die SRV besucht – die erste Visite hatte<br />
im August 2001 stattgefunden.<br />
Zwischen beiden Staaten bestehen diplomatische Beziehungen<br />
seit Dezember 1955. Seitdem sind zahlreiche<br />
bilaterale Abkommen in wirtschaftlicher und kultureller<br />
Hinsicht geschlossen worden.<br />
Der Handelsaustausch hat von US$ 563 Mio. i.J. 2001<br />
auf US$ 700 Mio. i.J. 2002 zugenommen – befindet<br />
sich also tendenziell in raschem Anstieg. Seit 1990<br />
hat Indonesien außerdem sieben Projekte in Höhe<br />
von US$ 110 Mio. in <strong>Vietnam</strong> investiert, und zwar<br />
in den Bereichen Hotelwesen, Kohleausbeutung, Mineralwasserabfüllung,<br />
Herstellung von Pestiziden und<br />
im Transportbereich. 47<br />
Beim Besuch Megawatis im Juni 2003 wurden zwei<br />
wegweisende Verträge unterzeichnet, nämlich ein „Abkommen<br />
über die Visa-Befreiung“ und vor allem ein<br />
„Abkommen über die Abgrenzung der maritimen Bereiche<br />
zwischen beiden Ländern“. Letzteres ist nach<br />
sage und schreibe 25 Jahren Verhandlungszeit zustande<br />
gekommen, reicht also in seinen Anfängen bis 1978<br />
zurück. Hauptstreitpunkt war ein Sektor nördlich der<br />
Natuna-Inseln, auf den Indonesien aufgrund historischer<br />
Tatbestände Ansprüche geltend machte. Zu einer<br />
– offensichtlich kompromisshaften – Einigung kam<br />
es schließlich durch die ansonsten guten Beziehungen,<br />
vor allem aber angesichts der gemeinsamen Konfrontation<br />
mit der VR China, die im Natuna-Bereich<br />
ebenfalls Ansprüche erhebt. Die Unterzeichnung fand<br />
am 26. Juni 2003 statt. 48<br />
Neben diesen beiden Abkommen wurde noch eine Erklärung<br />
unterzeichnet, die das Rahmenwerk freundschaftlicher<br />
und umfassender Partnerschaft bis weit<br />
ins 21. Jahrhundert hinein skizziert. 49<br />
Bezeichnenderweise kamen beide Seiten bei ihren Besprechungen<br />
auch immer wieder auf das Thema Terrorismus<br />
zurück, der als eine neuerdings ganz in den<br />
Vordergrund gerückte – und daher gemeinsam zu bekämpfende<br />
– Gefahr bezeichnet wurde. In mehreren<br />
Erklärungen verurteilte <strong>Vietnam</strong> die terroristischen<br />
Bombenanschläge auf Bali (Oktober 2002) und den<br />
Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in Jakarta<br />
am 5. August 2003, bei dem zehn Personen ums Leben<br />
kamen und 149 verletzt wurden. 50<br />
47 VNA, in BBC, 23.6.03.<br />
48 VNA, in BBC, 26.6.03.<br />
49 ND, in BBC, 27.6.03.<br />
50 XNA, 6.8.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 541 - November 2003<br />
Im Übrigen verpflichtete sich Indonesien, den <strong>Vietnam</strong>esen<br />
beim Beitritt zur WTO behilflich zu sein.<br />
– Anfang März 2003 besuchte der Ministerpräsident des<br />
Stadtstaats, Goh Chok Tong, drei Tage lang die SRV,<br />
und zwar anlässlich des 30. Jahrestags der Aufnahme<br />
diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten<br />
(1973).<br />
Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang auf<br />
zwei wichtige Tatbestände hingewiesen, nämlich, erstens,<br />
auf die führende Rolle Singapurs bei den Investitionen<br />
in <strong>Vietnam</strong> und, zweitens, auf die Ausbildungsleistungen<br />
des Stadtstaats. In Hanoi wurde im November<br />
2001 das „<strong>Vietnam</strong>-Singapore Training Centre“<br />
errichtet, das bisher sieben Kurse für 200 Auszubildende<br />
in den Bereichen Handel, Erziehung, Landwirtschaft,<br />
Transportwesen, Gesundheitswesen, Zollwesen<br />
und Industrie durchgeführt hat. 51<br />
Der Außenhandel zwischen beiden Volkswirtschaften<br />
lag 2002 bei US$ 3,5 Mrd. 52<br />
An Investitionen sind bisher rund 300 Projekte mit<br />
einer Gesamtsumme von rund US$ 7 Mrd. getätigt<br />
worden. 53<br />
– Mitte Dezember 2002 besuchte der erst wenige Monate<br />
vorher inthronisierte König Malaysias die SRV,<br />
und zwar – ebenfalls – aus Anlass des 30-jährigen Bestehens<br />
der diplomatischen Beziehungen (1973).<br />
Unter den Investitionspartnern <strong>Vietnam</strong>s steht Malaysia<br />
gegenwärtig an 12. Stelle – und zwar mit einem<br />
Kapitaltransfer von US$ 1,11 Mrd. 54<br />
Zu den Investoren gehören u.a. zwei malaysische Ölgesellschaften,<br />
nämlich die PVEP-Company und die<br />
Petronas Carigali Overseas Company; beide haben im<br />
Januar 2003 mit Petro<strong>Vietnam</strong> einen „Oil Exploration<br />
and Exploitation Contract“ abgeschlossen, und zwar<br />
über den Los-Bereich 01-02/97, der etwa 11.800 km 2<br />
umfasst und vor der Küste der südlichsten vietnamesischen<br />
Provinz, Cuu Long („Neun Drachen“), liegt. 55<br />
Besonders wichtig für die Wirtschaft <strong>Vietnam</strong>s ist Malaysia<br />
deshalb, weil es schon bald rund 200.000 vietnamesische<br />
Arbeitskräfte als Gastarbeiter beschäftigt.<br />
Bis Dezember 2002 hatte diese Zahl bei lediglich<br />
20.000 gelegen; doch dann wurden auf Regierungsebene<br />
Verträge für die Anwerbung weiterer 180.000<br />
vietnamesischer Arbeiter geschlossen. <strong>Vietnam</strong>esische<br />
Arbeitskräfte gelten in Malaysia als fleißig und anstellig,<br />
doch gibt es häufig Klagen über ihre mangelnden<br />
Sprachkenntnisse – und da und dort auch über Aufsässigkeit.<br />
56<br />
<strong>Vietnam</strong>esische Arbeitskräfte machen, einmal auf<br />
dem Höchststand angelangt, immerhin ein Fünftel aller<br />
in Malaysia beschäftigten Gastarbeiter (eine Million)<br />
aus.<br />
Die malaysische Regierung hat 46 vietnamesischen<br />
Arbeitsvermittlungsagenturen die Lizenz erteilt, geeignete<br />
Arbeitskräfte auszusuchen. Drei dieser Firmen<br />
ist inzwischen die Lizenz wieder entzogen wor-<br />
51 RH,inBBC,4.3.03.<br />
52 ST, 7.3.03.<br />
53 Ebenda.<br />
54 RH, in BBC, 5.12.02.<br />
55 RH,inBBC,7.1.03.<br />
56 XNA, 10.11.02.<br />
den, nachdem einige der von ihnen empfohlenen Arbeiter<br />
gegen die Verhaftung ihrer Kollegen offen Klage<br />
geführt hatten. 57<br />
1.3.2<br />
Repatriierung: Was ist eigentlich aus dem<br />
deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen<br />
von 1995 geworden?<br />
Am 21.8.1995 war das deutsch-vietnamesische Rückführungsabkommen<br />
unterzeichnet worden, das dem Prinzip<br />
„Geld gegen Heimreise“ folgte und in dem sich <strong>Vietnam</strong><br />
verpflichtete, sämtliche SRV-Staatsangehörige, die ohne<br />
gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland leben, zurückzunehmen.<br />
Die Rückführung der rund 40.000 ausreisepflichtigen<br />
<strong>Vietnam</strong>esen sollte nach festen Quoten erfolgen<br />
(1995: 2.500, 1996: 5.000, 1997: 6.000 und 1998:<br />
6.500). 58<br />
Schnell zeigte sich jedoch, dass weder die SRV noch die<br />
betroffenen vietnamesischen Landsleute interessiert waren,<br />
diesen theoretischen Vorgaben auch nur im Geringsten<br />
zu genügen: Die SRV war an der Rückführung nicht<br />
interessiert, da unter den Abzuschiebenden auch Oppositionelle<br />
waren, die nur schwer wieder in die vietnamesische<br />
Gesellschaft hätten eingegliedert werden können. Die Behörden<br />
nutzten daher jeden nur möglichen Anlass, um der<br />
Rückführung Hindernisse in den Weg zu legen; sogar über<br />
Straßennamen und Hausnummern der zu Repatriierenden<br />
wurden präziseste Angaben verlangt; da die Betroffenen<br />
andererseits ebenfalls nicht interessiert waren, hier zu kooperieren,<br />
kam es schon bald zu langen Staus. 59<br />
Am 13. Mai 1998 hatte das Auswärtige Amt mehreren<br />
Staaten die Kürzung der Entwicklungshilfe angedroht,<br />
falls sie sich weigerten, den deutschen Repatriierungsvorstellungen<br />
auch weiterhin Genüge zu leisten. Unter diesen<br />
Ländern war auch <strong>Vietnam</strong>. 60<br />
Schon am Ende der Regierung Kohl (1998) zeigte sich,<br />
dass das Repatriierungsabkommen von 1995 ein Schlag ins<br />
Wasser war. Gerade einmal rund 5.000 Personen waren bis<br />
dahin in ihre Heimat zurückgekehrt.<br />
Nach dem Bonner Regierungswechsel von 1998 begann<br />
die Umsetzung des Abkommens vollends im Sande zu<br />
verlaufen, sieht man einmal von wenigen Ausnahmeerscheinungen<br />
im Jahre 1999 ab. Beim Besuch der BMZ-<br />
Ministerin in Hanoi (Oktober 2000) wurde das Abkommen<br />
von 1995 noch nicht einmal der Erwähnung für wert<br />
befunden. 61<br />
Immerhin führte das Bundesinnenministerium die statistische<br />
Erfassung auch jetzt noch weiter. Auf eine Kleine<br />
Anfrage der PDS von Mitte 2002 erteilte die Bundesregierung<br />
vor dem Deutschen Bundestag eine Reihe von Auskünften,<br />
die zeigen, dass das Abkommen von 1995 bisher<br />
nur zu einem Bruchteil erfüllt worden ist. 62<br />
57 ST, 1.4.03.<br />
58 Ausführlich dazu SOAa, 5/1995, S.387f., 4/1996, S.336 und<br />
6/1996, S.528.<br />
59 SOAa, 6/1998, S.478.<br />
60 Dazu SOAa, 4/1998, S.314.<br />
61 Dazu SOAa, 1/2001, S.42ff.<br />
62 Drucksache der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestags<br />
14/9772 vom 11.7.2002. Der Autor dankt dem Referenten Oliver<br />
Schnakenberg von der deutschen Botschaft in Hanoi für die freundliche<br />
Übermittlung dieses Dokuments.
SÜDOSTASIEN aktuell - 542 - November 2003<br />
Danach liegt die Zahl der „im Zuge des Rückübernahmeabkommens<br />
bis Mitte 2002 nach <strong>Vietnam</strong> zurückgekehrten<br />
Personen“ bei insgesamt 8.656 (in jährlichen Angaben:<br />
1995: 0, 1996: 1.378, 1997: 2.162, 1998: 1.716, 1999:<br />
1.340, 2000: 957, 2001: 718, 1. Halbjahr 2002: 385).<br />
Gemessen werden muss diese Ziffer von nicht einmal<br />
9.000 Personen an den Rückübernahme-Anträgen, die seit<br />
1995 von deutscher Seite an die SRV gestellt worden waren<br />
und deren Zahl sich immerhin auf 38.077 belief.<br />
Bis Mitte 2002 hatte die vietnamesische Seite von diesen<br />
Anträgen 21.573 positiv und 14.844 negativ beschieden.<br />
Am krassesten ist diese Differenz im Jahre 1996 ausgefallen:<br />
Die Bundesregierung wollte 13.055 Personen zurückführen,<br />
die SRV gab aber lediglich 4.912 Anträgen<br />
statt – also etwas mehr als einem Drittel. Dabei ist zu bedenken,<br />
dass selbst diese Stattgaben mehr oder weniger<br />
auf dem Papier stehen bleiben, weil die Praxis der Repatriierung<br />
noch mehr deutsche Wünsche offen ließ, als es<br />
bei den offiziellen vietnamesischen Zugeständnissen der<br />
Fall war.<br />
Als wesentliche Ablehnungsgründe wurden von vietnamesischer<br />
Seite in der Regel falsche bzw. unvollständige<br />
Angaben zum letzten Wohnsitz in <strong>Vietnam</strong> sowie notwendige<br />
Ergänzungen zu den im Rückübernahmeantrag angegebenen<br />
Personendaten genannt. Angesichts mangelnder<br />
Sprachkenntnisse der deutschen Behördenvertreter und<br />
angesichts fehlender Kooperationsbereitschaft der betroffenen<br />
Personen hatten die vietnamesischen Behörden mit<br />
ihrer Abwiegelungspolitik leichtes Spiel.<br />
Nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums<br />
sind keine Fälle bekannt geworden, in denen rückgeführte<br />
vietnamesische Staatsangehörige besonderen Verfolgungsmaßnahmen<br />
oder Schikanen ausgesetzt worden wären.<br />
Dies ist insofern verständlich, als schon der geringste Oppositionsverdacht<br />
bei den vietnamesischen Behörden Ablehnungsmechanismen<br />
ausgelöst hatte.<br />
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte<br />
hatte der deutschen Seite in diesem Zusammenhang immer<br />
wieder vorgeworfen, dass dem Geheimdienst <strong>Vietnam</strong>s<br />
bei den Rückführungsbefragungen allzu großer<br />
Spielraum eingeräumt werde. Demgegenüber pflegte der<br />
Bundesgrenzschutz (BGS) einzuwenden, dass seine Beamten<br />
an den Anhörungen teilgenommen und sich laufend<br />
davon überzeugt hätten, dass nur die durch das Ministerium<br />
für öffentliche Sicherheit in Hanoi entsandten Experten<br />
die Anhörungen durchführen konnten.<br />
Dies ist allerdings keine Antwort auf den erhobenen<br />
Vorwurf, da zu den Angehörigen des vietnamesischen Sicherheitsministeriums<br />
bekanntermaßen auch Funktionäre<br />
gehören, die dem weiten Spektrum der vietnamesischen<br />
Geheimdienste durchaus zuzurechnen sind.<br />
1.3.3<br />
Russland als Raketenlieferant<br />
Siehe dazu oben unter 1.1.3.<br />
2<br />
KAMBODSCHA<br />
2.1<br />
Innenpolitik<br />
2.1.1<br />
Nach den Wahlen ist alles noch komplizierter<br />
geworden<br />
2.1.1.1<br />
Pattsituation zwischen KVP und FUNCINPEC/-<br />
SRP<br />
Am 27. Juli 2003 haben, wie bereits berichtet, 63 die dritten<br />
Nationalwahlen stattgefunden, aus denen die KVP<br />
zum zweiten Mal (nach 1998) als überragende Siegerin<br />
hervorgegangen ist, indem sie 73 von 123 NVK-Sitzen<br />
gewinnen konnte. Für ihre Gegnerin, die FUNCINPEC,<br />
blieben nur 26, für die SRP 24 Sitze. Die übrigen Parteien,<br />
die zusammen gerade einmal rund 10% der Stimmen<br />
auf sich vereinigen konnten, blieben bedeutungslos – und<br />
damit von der Nationalversammlung ausgeschlossen.<br />
Gleichwohl kann die Siegerin KVP ihres Triumphes<br />
nicht so recht froh werden, da nach den Bestimmungen der<br />
Verfassung und des einschlägigen Organisationsrechts eine<br />
Regierung nur auf der Basis von zwei Dritteln der Parlamentssitze<br />
gebildet werden darf. Diese Zweidrittelmehrheit<br />
(d.h. 82 von 123 Sitzen) wurde von der KVP aber<br />
um neun Sitze verfehlt, weshalb sie händeringend nach einem<br />
Koalitionspartner sucht, der 1998 noch in Form der<br />
royalistischen FUNCINPEC zur Verfügung stand, die sich<br />
diesmal allerdings weigert, zum zweiten Mal als Quorum-<br />
Beschaffer zu dienen. Die Weigerung wurde damit begründet,<br />
dass Hun Sen und seine KVP die Wahl manipuliert<br />
und schwer wiegende Verstöße gegen die Bestimmungen<br />
des Wahlgesetzes begangen hätten – die Rede ist von mindestens<br />
300 Unregelmäßigkeiten. 64<br />
Da sich die bisher einzige Oppositionspartei im NVK,<br />
die SRP, diesen Vorwürfen voll anschloss, kommt auch<br />
diese Partei nicht als Koalitionspartner in Frage.<br />
Abgelehnt wurde i.Ü. die Forderung Sam Rainsys, die<br />
am 27. Juli abgegebenen Wahlzettel noch einmal nachzuzählen.<br />
65<br />
Im Zeichen der gemeinsamen Ablehnung haben sich<br />
FUNCINPEC und SRP am 23. August zu einer „Allianz<br />
der Demokraten“ zusammengeschlossen, deren Ziele u.a.<br />
darin bestehen sollen, „die Demokratie in <strong>Kambodscha</strong><br />
zu stärken, gegen Korruption anzukämpfen und gemeinsame<br />
Strategien und Aktionspläne für Auswege aus der<br />
gegenwärtigen politischen Ratlosigkeit zu erarbeiten“. Die<br />
Wahlen vom 27. Juli seien weit davon entfernt, „in freier<br />
und fairer Art und Weise durchgeführt worden zu sein“.<br />
Kurzfristig besteht das Hauptziel der Allianz darin, eine<br />
Drei-Parteien-Koalition – unter Einbeziehung der KVP<br />
– herbeizuführen, und zwar mit dem Zwischenziel, Hun<br />
Sen nicht mehr zum Ministerpräsidenten avancieren zu<br />
lassen. „Dreierallianz minus Hun Sen“ – so etwa ließen sich<br />
die Hauptbestrebungen der Allianzpartner definieren. 66<br />
63 Dazu SOAa, 5/2003, S.447-451<br />
64 Ebenda, S.450.<br />
65 Agence Kampuchea Presse (AKP), Phnom Penh, in BBC,<br />
28.8.03.<br />
66 XNA, 24.8.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 543 - November 2003<br />
Gegen Absichten dieser Art haben sich bisher drei politische<br />
Kräfte gewandt, nämlich zunächst einmal Hun Sen<br />
selbst, der gar nicht daran denkt, seinen politischen Gegnern<br />
zuliebe auf den Posten des Regierungschefs zu verzichten,<br />
den er seit 1985 gleichsam gepachtet hat, zweitens<br />
die KVP, die darauf hinweist, dass Hun Sen beim KVP-<br />
Parteikongress vom April 2003 bereits als Anwärter auf<br />
die erneute Besetzung des Ministerpräsidentenamts bestätigt<br />
worden sei und drittens kein Geringerer als König<br />
Sihanouk. Sihanouk wies mehrere Male darauf hin, dass<br />
er sich eine neue Regierung ohne Hun Sen nicht vorstellen<br />
könne. Der langjährige Ministerpräsident habe nun einmal<br />
die meisten Stimmen erhalten und besitze deshalb auch<br />
die besten Aussichten, das Spitzenamt weiterhin auszuüben.<br />
Dies müsse er, der König, in seiner Eigenschaft als<br />
neutrales und überparteiliches Organ sine ira et studio anerkennen.<br />
Er müsse daher auch darauf bestehen, dass die<br />
anderen Parteien an den verfassungsgemäß anstehenden<br />
Sitzungen und Zeremonien pflichtschuldigst teilnähmen. 67<br />
Drei solche Veranstaltungen haben bisher stattgefunden,<br />
ohne dass dabei Lösungen für eine Aufhebung des<br />
Patt auch nur in Ansätzen sichtbar geworden wären:<br />
– Am 15. August fand eine erste Sitzung des Kabinetts<br />
nach der Wahl statt, bei der allerdings nur die 17<br />
KVP-, nicht jedoch die neun FUNCINPEC-Minister<br />
erschienen waren. 68<br />
– Auch bei der Inauguralsitzung des NVK am 27. September<br />
glänzten FUNCINPEC und SRP durch Abwesenheit.<br />
Der König hatte diese Sitzung zwar anberaumt,<br />
sich angesichts der vielen leeren Stühle dann<br />
aber doch geweigert, das zeremonielle Präsidium zu<br />
übernehmen und gleichzeitig den Präsidenten des Senats,<br />
Chea Sim, gebeten, ihn hierbei zu vertreten –<br />
was dieser gerne tat, da er ja auch Erster Vorsitzender<br />
der KVP ist, deren 73 Delegierte vollständig erschienen<br />
waren. 69<br />
Gemäß Art. 82 der Verfassung war der König in der<br />
Tat verpflichtet gewesen, die erste NVK-Versammlung<br />
innerhalb von 60 Tagen nach dem Wahltermin einzuberufen.<br />
Die Versammlung am 27. September war<br />
also sozusagen „auf dem letzten Drücker“ erfolgt. Obwohl<br />
der König die anderen Parteien mehrere Male<br />
mit zur Versammlung hinzugebeten – und für den Fall<br />
der Nichtbefolgung sogar (wieder einmal) mit seinem<br />
Rücktritt gedroht hatte –, 70 war seine Aufforderung<br />
ins Leere gegangen.<br />
– Demgegenüber waren sämtliche Delegierte (also alle<br />
123 Abgeordete) bei der am 4.10. in der Thronhalle<br />
im Phnom Penher Königspalast anberaumten Beeidigungszeremonie<br />
erschienen – alle gekleidet in traditioneller<br />
kambodschanischer Manier mit weißen Jacken<br />
und purpurnen Seidenhosen. 71 Der bei dieser Veranstaltung<br />
zu leistende Eid läuft darauf hinaus, dass jeder<br />
Abgeordnete verspricht, seine Amtsgewalt nicht<br />
für sich selbst, für seine Familie oder für eine andere<br />
Interessengruppe zu missbrauchen, dass er ferner<br />
bereit sei, gegen alle Formen von Korruption und so-<br />
67 Fernsehen <strong>Kambodscha</strong>, Phnom Penh, in BBC, 26.9.03.<br />
68 XNA, 15.8.03.<br />
69 XNA, 19.9.03.<br />
70 XNA, 19.9.03.<br />
71 XNA, 4.10.03.<br />
zialer Ungerechtigkeit anzukämpfen und dass er sich<br />
nicht zuletzt für nationale Versöhnung und Einheit<br />
sowie für Frieden und Wohlstand des kambodschanischen<br />
Volkes einsetzen wolle. 72<br />
Da es sich bei der Schwurzeremonie um ein eher zeremonielles<br />
Ereignis gehandelt hat, dem sich ein Bankett<br />
im Königspalast anschloss, konnte die Teilnahme der<br />
FUNCINPEC- und der SRP-Delegierten keineswegs als<br />
Signal des Einlenkens gewertet werden.<br />
Gleichwohl muss Hun Sen mit dem bisherigen Verlauf<br />
des Ereignisses nicht völlig unzufrieden sein, da in der Verfassung<br />
von 1993 ja nirgends davon die Rede ist, dass mit<br />
dem Scheitern einer neuen Koalition die Machtbefugnisse<br />
des alten Ministerpräsidenten verloren gehen. Im Zweifel<br />
behält er vielmehr sein Amt und kann es so lange fortführen,<br />
bis eine neue (von zwei Dritteln aller Abgeordneten<br />
getragene) Lösung gefunden ist.<br />
2.1.1.2<br />
Wie ist die Allianz zwischen FUNCINPEC und<br />
SRP einzuschätzen?<br />
Beide Parteien haben, wie bereits erwähnt, am 23. August<br />
eine „Allianz der Demokraten“ gebildet und sich auf<br />
sechs gemeinsame Prinzipien sowie auf fünf Maßnahmen<br />
geeinigt, die letztlich alle darauf hinauslaufen, Hun Sen<br />
kaltzustellen.<br />
Die gemeinsame Entschlossenheit geht so weit, unter<br />
Umständen sogar die bisherige Identität der beiden Parteien<br />
aufzugeben und den Zusammenschluss zu einer einzigen<br />
Partei herbeizuführen, sobald, wie es heißt, „dafür<br />
der rechte Augenblick gekommen“ sei. 73<br />
Ganz auf dieser Linie haben beide Seiten am 22.8.<br />
beschlossen, Prinz Norodom Ranariddh zum Präsidenten<br />
der neuen Allianz, Sam Rainsy zum Ersten Stellvertretenden<br />
Präsidenten und Prinz Norodom Sirivudh zum Zweiten<br />
Stellvertretenden Präsidenten zu ernennen. Beide Parteien<br />
sollten sich spätestens bis 2008 zu einer einzigen Partei<br />
zusammengeschlossen haben, um dann bei den in dem<br />
Jahr stattfindenden vierten Nationalwahlen als Sieger aus<br />
dem Rennen hervorzugehen.<br />
Bis dahin wolle man nicht aufhören, der KVP die Hände<br />
entgegenzustrecken und sie weiterhin zur Bildung einer<br />
Drei-Parteien-Koalition ohne Hun Sen einzuladen. 74<br />
Vielleicht werde die FUNCINPEC sogar Anfang 2004<br />
bereits aufgelöst und mit der dann ebenfalls verschwindenden<br />
SRP zusammengefasst. Ein neuer Name müsse<br />
noch gesucht werden. „Demokratische Partei“ sei nicht<br />
schlecht, weil diese Bezeichnung ganz auf der gemeinsamen<br />
Linie liege. 75<br />
Man wird abwarten müssen, ob es sich bei Erklärungen<br />
dieser Art nicht nur um taktische Scharmützel handelt,<br />
die schon bald wieder in Vergessenheit geraten – oder<br />
ob hier wirklich die Gründung einer starken Gegenpartei<br />
beabsichtigt ist.<br />
In jedem Fall spielen Ranariddh und Sam Rainsy ein<br />
für sie durchaus waghalsiges Spiel, da sie, wie bereits erwähnt,<br />
am kürzeren Hebel des Geschehens sitzen. Immer-<br />
72 AWSJ, 4.10.03.<br />
73 XNA, 24.8.03.<br />
74 Ebenda und RPP, in BBC, 5.9.03.<br />
75 Ebenda.
SÜDOSTASIEN aktuell - 544 - November 2003<br />
hin hat sich der Wähler ja – und zwar nach dem Zeugnis<br />
auch vieler ausländischer Wahlbeobachter – eindeutig für<br />
die KVP und damit auch für Hun Sen ausgesprochen:<br />
eine Aussage, die von keinem Geringeren als König Sihanouk<br />
bestätigt worden ist und die i.Ü. auch dadurch noch<br />
unterstrichen wird, dass Hun Sen ja weiterhin Ministerpräsident<br />
bleibt.<br />
2.1.3<br />
Terrorismus: Anscheinend fern – und doch so nah<br />
Dass <strong>Kambodscha</strong> auch Jahre nach dem Abklingen<br />
des Khmer-Rouge-Terrorismus noch keineswegs aufatmen<br />
und sich ganz in Sicherheit wiegen darf, wird seinen Politikern<br />
– sowie aufmerksamen Beobachtern des Zeitgeschehens<br />
– immer wieder anhand schockierender Ereignisse<br />
deutlich. Im Berichtszeitraum haben sich drei solche Signale<br />
gezeigt:<br />
1) Da war der Tod von Sergio Vieira de Mello, jenes<br />
höchsten UNO-Repräsentanten im Irak, der am<br />
19. August mit rund zwei Dutzend seiner Mitarbeiter<br />
einem Selbstmordattentat in Bagdad zum Opfer<br />
fiel. De Mello war im Laufe seiner langen Karriere<br />
in vielen Ländern tätig gewesen, u.a. auch<br />
in <strong>Kambodscha</strong>. Dort hatte er zwischen 1991 und<br />
1993 im Auftrag der UNTAC (UN Transitional Authority<br />
in Cambodia) an führender Stelle das UN-<br />
Repatriierungsprogramm geleitet, in dessen Vollzug<br />
nicht weniger als 360.000 <strong>Kambodscha</strong>ner aus Thailand<br />
in ihre Heimat zurückgeführt wurden. 76 Der<br />
UNO-„Trouble Shooter“ de Mello hatte seinerzeit<br />
auch sonst zur Lösung zahlreicher Probleme beigetragen<br />
– und war bei der kambodschanischen Führung,<br />
vor allem bei der 1993 noch ganz an der Spitze<br />
stehenden FUNCINPEC überaus beliebt und wohlbekannt<br />
gewesen. Ihm zu Ehren wurden die Flaggen<br />
in Phnom Penh nach dem 19. August auf Halbmast<br />
gesetzt. 77<br />
2) Es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass einer<br />
der Hauptdrahtzieher des Bombenanschlags von Bali<br />
(2002), nämlich der als Chef der indonesischen<br />
Jemaah Islamiyah bekannte Vorsitzende „Hambali“<br />
(wirklicher Name: Reduan Isamuddin) von September<br />
2002 bis März 2003 in Phnon Penh gelebt hat,<br />
und zwar am Boeng-Kak-See – einem Platz, der als<br />
multikultureller Versammlungsort und als Haupttreffpunkt<br />
von Rucksack-Touristen bekannt geworden<br />
ist und an dem vor allem die Dubai-Moschee<br />
liegt, in der die muslimischen Cham ihre religiösen<br />
Andachten abzuhalten pflegen. Hier am See war<br />
Hambali eine bekannte Erscheinung gewesen – mit<br />
seinen auffälligen Brillengläsern, seinen kurzen Hosen<br />
und mit seiner schlaksigen Erscheinung. Harmlos<br />
habe er oft stundenlang am Seeufer gesessen und bei<br />
der Ernte des Uferschilfs zugesehen.<br />
Erst nach seiner im August erfolgten Verhaftung in<br />
Thailand 78 sei man sich bewusst geworden, monatelang<br />
einen der meistgesuchten Terroristen in den<br />
eigenen Mauern beherbergt zu haben. Möglicherwei-<br />
76 Ausführlich dazu SOAa, 4/1992, S.369f. und 6/1992, S.555f.<br />
77 AKP, in BBC, 21.8.03 und XNA, 21. und 25.8.03.<br />
78 Siehe dazu unten unter 2.3.1.<br />
se hatte sich Hambali mit der Absicht getragen, von<br />
<strong>Kambodscha</strong> aus Terroranschläge in ganz Südostasien<br />
zu planen. 79<br />
3) Nicht zuletzt aber empfindet man in <strong>Kambodscha</strong><br />
zunehmendes Unbehagen gegenüber den Cham-<br />
Muslimen, die im Laufe von nur wenigen Jahren immer<br />
mehr „wahabisiert“ worden sind. Seit den Ereignissen<br />
vom 11. September 2001 und seit dem Anschlag<br />
auf Bali am 14. Oktober 2002 ist man vor<br />
allem in Phnom Penh hellhöriger in Sachen Islam<br />
und Terrorismus geworden – und kann den unbehaglich<br />
stimmenden Erfolg der Wahabi-Bewegung vor<br />
allem an drei Phänomenen beobachten, nämlich erstens<br />
an einem rasend schnell voranschreitenden Moscheenbau,<br />
der mit saudi-arabischem Kapital finanziert<br />
wird, zweitens an einem pilzartigen Wachstum<br />
der Wahabi-Koranschulen und drittens am Auftauchen<br />
von Taliban-Anhängern. 80<br />
Kein Wunder, dass die nervös gewordene Regierung<br />
inzwischen zur Tat geschritten ist und 28 Ausländer<br />
aus dem Nahen Osten sowie aus Ostafrika des<br />
Landes verwiesen hat, und zwar unter der Beschuldigung,<br />
dem Terrorismus Vorschub zu leisten.<br />
In <strong>Kambodscha</strong> leben etwa eine halbe Million Moslems,<br />
die zumeist der Minderheit der Cham angehören.<br />
81<br />
2.2<br />
Wirtschaft<br />
2.2.1<br />
Kautschukproduktion in <strong>Kambodscha</strong><br />
Seit in <strong>Kambodscha</strong> – unter der damaligen französischen<br />
Kolonialherrschaft – erstmals Kautschukbäume gepflanzt<br />
wurden, hat sich das Land zu einem bedeutsamen Exporteur<br />
dieses Grundstoffs entwickelt, bis dann im Jahre<br />
1970 der damalige Indochina-Krieg auch <strong>Kambodscha</strong> erfasste<br />
und u.a. die blühende Kautschukindustrie mit zum<br />
Stillstand brachte.<br />
Seit 1993 befindet sich der Kautschukzweig zwar wieder<br />
im Aufbau, doch denkt man mit Wehmut an das Jahr<br />
1970 zurück, als 70.000 ha für den Anbau von Gummibäumen<br />
zur Verfügung standen und als Naturgummi den<br />
zweitgrößten Exportposten gleich nach Bauholz bildete.<br />
Heutzutage ist rund ein Viertel aller Kautschukbäume<br />
in <strong>Kambodscha</strong> älter als 40 Jahre, hat also seine Haupttragfähigkeit,<br />
die vom 6. bis zum 20. Jahr eines Baumlebens<br />
reicht, längst hinter sich. Dringend wäre eine Revitalisierung<br />
des gesamten Bestands vonnöten. 82<br />
Auf der Projektliste des Cambodian Rehabilitation<br />
and Development Board (CRDB) ist unter Nr. 250 die<br />
Wiederbelebung des Gummisektors skizziert. Danach umfasst<br />
die Anbaufläche derzeit (2003) rund 54.000 ha – mit<br />
einer Gesamtproduktion von 45.000 t. Dies wären etwa<br />
25% der Erträge, wie sie in den sechziger und siebziger<br />
Jahren erwirtschaftet wurden.<br />
79 ST, 23.8.03.<br />
80 Dazu ausführlich SOAa, 1/2003, S.56-58 und 4/2003, S.352f.<br />
81 Borneo Bulletin (Website), in BBC, 20.9.03.<br />
82 XNA, 1.7.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 545 - November 2003<br />
Ziel ist es, die Fläche von den gegenwärtig 54.000 ha<br />
auf 70.000 ha auszuweiten und einen Jahresertrag von<br />
80.000 t anzustreben, mit dessen Ausfuhr das Land Erlöse<br />
in Höhe von jährlich US$ 54 Mio erzielen könnte.<br />
Ein weiteres Ziel ist organisatorischer Art: Die sieben<br />
gegenwärtig existierenden staatseigenen Plantagen sollten<br />
so umorganisiert werden, dass sie effizienter wirtschaften.<br />
Am sinnvollsten erscheint hierbei eine Allianz (Joint-<br />
Venture-Bildung) von staatlichen und privaten Unternehmern,<br />
vielleicht auch eine Vergenossenschaftlichung. Ermutigt<br />
werden sollen außerdem private Kleinunternehmen,<br />
mehr Kautschukbäume anzupflanzen und alle künftigen<br />
Erträge möglichst unter Marktbedingungen zu vertreiben<br />
– mit Ausnahme allerdings des Exports von Rohgummi,<br />
der nach wie vor behördlicher Genehmigung bedarf.<br />
83<br />
Der Anbau von Kautschuk gilt auch deshalb als besonders<br />
erstrebenswert, weil er, erstens, die komparativen<br />
Vorteile des Landes (billige, aber zum größten Teil<br />
unterbeschäftigte Arbeitskräfte auf dem Land) ausnutzt<br />
und weil er, zweitens, mehrere Erträge nebeneinander einbringt,<br />
nämlich Latex, Gummibaumholz, das vor allem<br />
nach dem Ablauf der Latex-Periode interessant wird und<br />
das sich für Möbel, Parkette, Haushaltsgegenstände und<br />
wegen seiner leicht cremigen Farbe auch für Zierrat verwenden<br />
lässt, sowie Tierfutter, vor allem Schweinefutter,<br />
das aus den Latexbaumsamen gewonnen werden kann und<br />
das lange Zeit achtlos vergeudet wurde, bis die wissenschaftliche<br />
Forschung den hohen Nutzwert als Nahrungsmittel<br />
nachwies. 84<br />
Überdies lassen sich in den Reihen zwischen den Kautschukbäumen<br />
noch weitere Nutzpflanzen unterbringen,<br />
seien es nun Ananas, Kassawa, Sojabohnen oder grüne<br />
Bohnen. Da die Haltung von Gummibäumen überdies äußerst<br />
arbeitsintensiv ist (beim Anzapfen der Bäume müssen<br />
bogenförmige Ringe in die Rinde geschnitten werden,<br />
von denen aus dann der Latex-Saft in Behältnisse tropft),<br />
wäre die Gummibaum-Kultivierung auch für den kambodschanischen<br />
Arbeitsmarkt ein Segen.<br />
Allgemein gesprochen wird Natural Rubber (NR) aus<br />
der ursprünglich in Südamerika beheimateten Hevea Brasiliensis<br />
gewonnen, einem Baum, der bei der dortigen<br />
Bevölkerung als „Tränender Baum“ (verballhornt: „Kautschuk“)<br />
bekannt war.<br />
Der milchig-wässrige Latex-Saft, der aus den angeschnittenen<br />
Latex-Bäumen tropft, wird (durch Zentrifugierung<br />
oder durch Koagulation, also Vermischung mit<br />
Säuren) auf 60% eingedickt und dann verarbeitet, und<br />
zwar entweder zu Crepes ausgewälzt, zu 33,3 kg schweren<br />
Ziegeln gepresst oder durch Rauch zu „Smoked Sheets“<br />
präpariert. Im Endverfahren wird das Material dann vulkanisiert,<br />
d.h. mit Stoffen versetzt, die den Gummi in den<br />
gewünschten Endzustand versetzen, sei es nun in die Form<br />
von Autoreifen, von Schläuchen oder von dünnwandigen<br />
Artikeln wie z.B. Gummihandschuhen.<br />
Seit Jahren legt die Regierung Hun Sens Wert darauf,<br />
dass Latex in <strong>Kambodscha</strong> selbst zu einem möglichst hohen<br />
Grad verarbeitet wird. Zu diesem Zweck soll nach und<br />
83 Abgedruckt in www.cdc-crdb.gov.kh, recherchiert am 19.10.03.<br />
84 Vgl. dazu „Evaluation of Rubber Seed as a Feed Resource for<br />
Pig Production“, www.utafoundation.org/utacambod, besucht am<br />
19.10.03.<br />
nach auch eine eigene Industrie aufgebaut werden. Bisher<br />
allerdings wurde der kostbare Rohstoff meist zu Schleuderpreisen<br />
an Nachbarländer, sei es nun nach Thailand<br />
oder <strong>Vietnam</strong>, verkauft, wobei korrupte Beamte und Militärs<br />
die Finger mit im Spiel hatten.<br />
Bereits im Oktober 1994 war ein erstes Verbot von<br />
Latex-Exporten erlassen worden – offensichtlich ohne<br />
große Wirkung. Aus diesem Grund wiederholte die Regierung<br />
das Verbot Anfang Juli 2003. 85 In der Acht-<br />
Punkte-Direktive wird aber nicht nur der Export von Latex,<br />
sondern auch von Gummibaumholz untersagt. Für<br />
jede Grenzüberschreitung müsse eine eigene behördliche<br />
Lizenz vorgelegt werden.<br />
Ob dies allerdings den illegalen Export zum Einhalt<br />
bringt, ist ungewiss. Am 10. und 11. Oktober 2001 hatte<br />
es in der Kautschuk-Hauptprovinz, nämlich in Kompong<br />
Cham, mehrere Aufsehen erregende Beschlagnahmen ganzer<br />
Lkw-Ladungen gegeben, die auf ihrem Weg hinüber<br />
nach <strong>Vietnam</strong> kurz vor der Grenzüberschreitung abgefangen<br />
worden waren. Mehrere Beamte, die in den Skandal<br />
verwickelt waren, wollten sich darauf hinausreden, dass<br />
das Latex nicht nach <strong>Vietnam</strong>, sondern an einen anderen<br />
Vermarktungspunkt im Memot-Distrikt der Provinz<br />
Kompong Cham gebracht werden sollte – eine Einlassung,<br />
die sich als falsch erwies und die Sanktionen auslöste. 86<br />
Die kambodschanische Regierung ist sich wohl bewusst,<br />
dass rund 90% der NR-Produktion aus Südostasien<br />
stammen und dass allein die drei Länder Thailand,<br />
Indonesien und Malaysia 85% produzieren. <strong>Kambodscha</strong><br />
liegt also zwar weit zurück, doch glaubt man, hier einiges<br />
an Boden wieder gutmachen zu können. Voraussetzungen<br />
hierfür wären allerdings erstens einmal zusätzliche Bodenüberlassungen,<br />
zweitens die Anpflanzung junger Bäume,<br />
drittens wissenschaftliche Experimente in den einzelnen<br />
Gegenden des Landes zur Ermöglichung maximaler Erträge<br />
und viertens die Ermutigung von Einzelhaushalten,<br />
neben den acht großen staatlichen Plantagen (genannt seien<br />
hier vor allem die Firmen Chub, Memot und Cham<br />
Karadoung) zusätzlich aktiv zu werden. Ganz in diesem<br />
Sinn unterscheidet man heute zwischen zwei Sektoren des<br />
Kautschuk-Unternehmertums, nämlich dem Staatssektor,<br />
der möglichst bald einer Vergenossenschaftlichung zugeführt<br />
werden soll, und dem wachsenden Privatsektor. 87<br />
Im Idealfall können pro Hektar 375 Bäume angepflanzt<br />
werden; damit ließen sich dann 250 kg NR pro Hektar in<br />
einem Jahr gewinnen. 88<br />
Um international wieder Anschluss zu finden, ist <strong>Kambodscha</strong><br />
bereits am 24. Oktober 2001 dem International<br />
Rubber Research Development Board (IRRDB) als 16.<br />
Mitglied beigetreten. Das Land versprach sich von diesem<br />
Beitritt vor allem Hilfe für die neu zu errichtenden<br />
Familienplantagen sowie verstärkte internationale Unterstützung<br />
bei der Kautschukbaum-Forschung. Gleichzeitig<br />
erhofft man sich längerfristig Beihilfen der Weltbank, da<br />
die Verstärkung der Kautschuk-Produktion ja auch als ein<br />
Mittel zur Armutsbekämpfung instrumentalisiert werden<br />
soll. 89<br />
85 XNA, 1.7.03.<br />
86 Dazu RK, in FBIS/EAS, 31.10.01.<br />
87 Dazu www.utafoundation.org, 19.10.03.<br />
88 Dazu www.gatewayorg.com, 18.10.03.<br />
89 XNA, 25.10.01; Statistiken auch in World Rubber Statistic
SÜDOSTASIEN aktuell - 546 - November 2003<br />
2.2.2<br />
Geschafft: <strong>Kambodscha</strong> ist am 11. September<br />
WTO-Mitglied geworden<br />
1994 hatte <strong>Kambodscha</strong> seinen Antrag auf Aufnahme in<br />
die Welthandelsgemeinschaft gestellt. Neun Jahre später<br />
wurde jetzt der Durchbruch erzielt und das Land am<br />
11. September 2003 als 147. Mitglied aufgenommen, und<br />
zwar während der WTO-Sitzung in Cancun (Mexiko).<br />
Gleichzeitig mit <strong>Kambodscha</strong> wurde auch Nepal kooptiert.<br />
Beide haben es geschafft, als erste „Least Developed<br />
Countries“ (LDC) Mitglieder der 1994 als Nachfolgerin<br />
des GATT gegründeten Welthandelsorganisation WTO<br />
zu werden. 90 Nicht zu Unrecht betonte Hun Sen, dass<br />
dies ein „historischer Tag“ sei. Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten<br />
Bürgerkrieg (1970-1993) hat es sein Land in der<br />
Tat zur WTO-Mitgliedschaft gebracht, obwohl es seine<br />
Haushaltsausgaben noch immer zu rund 50% vom Ausland<br />
decken lassen muss und obwohl rund ein Drittel der<br />
Bevölkerung immer noch mit einem Tageseinkommen von<br />
weniger als US$ 1 zurechtkommen muss. Obendrein ist<br />
<strong>Kambodscha</strong> noch vor <strong>Vietnam</strong> und vor Russland WTO-<br />
Mitglied geworden! 91<br />
Die Regierung erhofft sich vom „Ritterschlag“ des<br />
WTO-Beitritts vor allem zwei Auswirkungen, nämlich<br />
erstens einen Imagegewinn bei den Handelspartnern und<br />
eine Stärkung der heimischen Textil- und Schuhindustrie.<br />
Skeptiker allerdings befürchten in Punkt 2 gerade das Gegenteil:<br />
dass <strong>Kambodscha</strong> mit seinen schwachen Strukturen<br />
nämlich hinweggefegt werden könnte, vor allem von<br />
den starken asiatischen Konkurrenten Thailand und China.<br />
Müsse überdies nicht auch die allmähliche Abwanderung<br />
der Textilindustrie in Länder wie China oder <strong>Vietnam</strong><br />
befürchtet werden?<br />
In der Tat dürften durch den WTO-Beitritt vor allem<br />
zwei Schlüsselsektoren besonders in Mitleidenschaft<br />
gezogen werden, nämlich die Bekleidungsindustrie und<br />
die Landwirtschaft – letztere besonders bedeutsam, da sie<br />
nach wie vor rund 50% zum BIP beiträgt (Industrie: 15%,<br />
Tertiärsektor: 35%) und überdies rund 80% der Arbeitskräfte<br />
beschäftigt. Eine Importschwemme aus Thailand,<br />
China, <strong>Vietnam</strong> oder Indien könnte hier also verheerende<br />
Schäden anrichten.<br />
Noch stärker auf die Probe dürften, wie bereits erwähnt,<br />
die 220 Textilfabriken gestellt werden, die rund<br />
200.000 Arbeiter beschäftigen und die Textilien unter den<br />
Marken „The Gap“, „Banana Republic“ und „Polo“ herstellen.<br />
Textilien und Schuhe sind bisher die Hauptantriebskräfte<br />
der Volkswirtschaft gewesen und bestreiten<br />
etwa 85% jener Gesamtexporte, die sich 2002 auf rund<br />
US$ 1,5 Mrd. belaufen haben und von denen der Löwenanteil<br />
in die USA geht.<br />
Immerhin kann sich <strong>Kambodscha</strong> mit zwei Überlegungen<br />
trösten: Erstens wird die Zulassung zur Welthandelsgemeinschaft<br />
von der WTO mittlerweile auch als ein Mittel<br />
verwendet, um den neuen Mitgliedern zu einer Reduzierung<br />
ihrer Armut zu verhelfen. Nach den bisherigen<br />
WTO-Regeln können entwickelte Länder auf Textilimporte<br />
Quoten erheben, um ihre einheimische Textilindustrie<br />
zu schützen. WTO-Mitglieder jedoch dürfen ab Janu-<br />
Handbook 1975-2001, Vol.6.<br />
90 XNA, 12.9.03.<br />
91 Vgl. auch SOAa, 5/2003, S.451f.<br />
ar 2005 nicht mehr länger mit solchen Quoten belastet<br />
werden. Quotenregelungen gelten dann also nur noch für<br />
Nicht-WTO-Mitglieder. Aus diesem Grund haben Phnom<br />
Penher Politiker den WTO-Beitritt <strong>Kambodscha</strong>s auch<br />
bereits zur Überlebensfrage erklärt.<br />
Zweitens kann <strong>Kambodscha</strong> von sich aus einiges tun,<br />
um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. So kann es<br />
bspw. seine Transferkosten senken. Immer noch lasten ja<br />
hohe „inoffizielle“ Aufwendungen – nicht zuletzt die Bürden<br />
einer schwerfälligen und korrupten Bürokratie – auf<br />
den ohnehin nicht gerade üppigen Gewinnen aus Textilund<br />
Schuhexporten. Darüber hinaus nimmt die Anlieferung<br />
zu viel Zeit in Anspruch. Für Waren vom Stammland<br />
in die USA benötigt China bspw. im Durchschnitt 30 Tage<br />
und Indien 45 Tage, <strong>Kambodscha</strong> dagegen 60 Tage. 92<br />
Nicht zuletzt aber ist das wirtschaftsrechtliche Regelwerk<br />
in <strong>Kambodscha</strong> nach wie vor viel zu unberechenbar und<br />
wirkt bei den Exportpartnern deshalb nicht gerade Vertrauen<br />
erweckend. Wandel tut hier Not!<br />
Allen Bedenken und Schwierigkeiten zum Trotz darf<br />
die Aufnahme in den WTO-Club aber als Vertrauensbeweis<br />
von Seiten der WTO interpretiert werden, die den<br />
in <strong>Kambodscha</strong> erreichten Liberalisierungsgrad offensichtlich<br />
höher einschätzt als den marktwirtschaftlichen Reifegrad<br />
in den Nachbarländern <strong>Vietnam</strong> oder gar <strong>Laos</strong>. Die<br />
Aufnahme ist überdies als Zeichen der Hoffnung gedacht,<br />
das potenziellen Investoren den Glauben an eine bessere<br />
Zukunft des Landes wiedergeben und sie zu noch höheren<br />
Transfers ermutigen soll (vor allem die Textil- und die<br />
Schuhindustrie), und sie ist ferner eine diskrete Aufforderung,<br />
noch schneller mit Korruption und Bürokratismus<br />
aufzuräumen und für eine fortschrittlichere Gesetzgebung<br />
zu sorgen.<br />
2.3<br />
Außenpolitik<br />
2.3.1<br />
Beziehungen zu Thailand: Fast schon wieder normal<br />
Wie bereits ausführlich gemeldet, 93 war es am 29. Januar<br />
2003 in Phnom Penh zu einem anti-thailändischen Pogrom<br />
gekommen, bei dem die thailändische Botschaft und<br />
eine Reihe von thailändischen Geschäftsniederlassungen<br />
gebrandschatzt und mehrere Thais persönlich in gefährlicher<br />
Weise bedroht worden waren. Bangkok hatte mit drei<br />
Gegenmaßnahmen reagiert und <strong>Kambodscha</strong> dadurch zu<br />
einem „Gang nach Canossa“ gezwungen, in dessen Verlauf<br />
das kambodschanische Außenministerium Schadensersatz<br />
in Höhe von US$ 5,92 Mio. für die Zerstörung des Botschaftsgebäudes<br />
angeboten hatte. Außerdem waren 57<br />
Personen aufgrund von „extremem Vandalismus“ festgenommen<br />
worden. Zu verantworten hatten sich auch zwei<br />
Journalisten, die mit falschen Meldungen (eine bekannte<br />
thailändische Schauspielerin soll angeblich behauptet<br />
haben, Angkor gehöre Thailand) den Wutausbruch der<br />
Demonstranten ausgelöst hatten.<br />
Nach diesen Sühnemaßnahmen der kambodschanischen<br />
Seite kam es schnell wieder zur Renormalisierung:<br />
92 AWSJ, 3.9.03.<br />
93 Einzelheiten in SOAa, 2/2003, S.153-156 und 4/2003, S.359.
SÜDOSTASIEN aktuell - 547 - November 2003<br />
Am 24. April wurden die Botschaften beider Länder wieder<br />
eröffnet, und am 31. Mai/1. Juni fanden gemeinsame<br />
Kabinettssitzungen beider Länder statt, bei denen fünf<br />
Memoranden sowie eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet<br />
wurden. 94 Am 31. Mai wurde auch der Grenzübergang<br />
nahe dem – zwischen beiden Seiten jahrzehntelang<br />
umstrittenen – Preah-Vihear-Tempel wieder geöffnet,<br />
der am 17. Dezember 2001 von Thailand einseitig<br />
geschlossen worden war: Dies sollte eine Geste der Versöhnung<br />
sein, die in der Tat von den Bevölkerungen beider<br />
Seiten auf der Stelle verstanden und als solche akzeptiert<br />
wurde.<br />
Am 15. September verkündete das Stadtgericht von<br />
Phnom Penh die Urteile über die 58 bei den antithailändischen<br />
Übergriffen vom Januar 2003 dingfest gemachten<br />
Unruhestifter. 56 der Angeklagten wurden mit<br />
Freiheitsstrafen zwischen einem Monat und drei Jahren<br />
und anschließender fünfjähriger Bewährung verurteilt,<br />
zwei kamen mit Freiheitsstrafen von zwei und sechs Wochen<br />
davon. 21 der Verurteilten waren im Gerichtssaal anwesend,<br />
während die anderen in absentia verurteilt wurden.<br />
95<br />
Zur Renormalisierung auf Regierungsebene war es im<br />
April gekommen, nachdem <strong>Kambodscha</strong> die erwähnten<br />
US$ 5,9 Mio. als Schadensersatz für die Zerstörungen in<br />
der thailändischen Botschaft bezahlt hatte. Was die Schadensersatzforderungen<br />
der insgesamt 17 betroffenen thailändischen<br />
Firmen anbelangt, so sind sie nach wie vor<br />
in der Schwebe. Fünf der Firmen haben die Kompensationsgespräche<br />
bereits unter Dach und Fach gebracht,<br />
zwei warten auf eine Vertragsunterzeichnung; die übrigen<br />
stellen – nach einer Behauptung des Regierungssprechers<br />
Khieu Kanharith – überzogene Forderungen, sodass man<br />
mit ihnen bisher keine Einigung habe finden können. 96<br />
Es wurde oben behauptet, dass sich die Beziehungen<br />
normalisiert haben. Allerdings schließt diese Renormalisierung<br />
weiter andauernde sonstige Streitigkeiten keineswegs<br />
aus – an sie hat sich die Öffentlichkeit beider Länder<br />
ja seit Jahrzehnten gewöhnt. So gaben bspw. die thailändischen<br />
Behörden bekannt, dass sie im Vorfeld der APEC-<br />
Konferenz vom 20. Oktober 2003, zu der nicht zuletzt der<br />
US-amerikanische Präsident erscheinen sollte, eine große<br />
„Säuberungsaktion“ in Bangkok durchführen wollten. U.a.<br />
sollten auch 600 <strong>Kambodscha</strong>ner abgeschoben werden, die<br />
sich bisher illegal in Thailand aufhielten. „Straßenhändler,<br />
Bettler und streunende Tiere“ wurden bezeichnenderweise<br />
in einem Atemzug als Ziele der „Clean Up“-Operationen<br />
bezeichnet. 97<br />
Die betreffenden <strong>Kambodscha</strong>ner wurden dann in der<br />
Tat am 29. und 30. September mit C-130-Flugzeugen nach<br />
<strong>Kambodscha</strong> repatriiert. Hun Sen zeigte sich darüber wenig<br />
erfreut und war vor allem darüber verärgert, dass<br />
die thailändischen Behörden die Ausweisung an die Öffentlichkeit<br />
gebracht hatten; vorher war Thailand gebeten<br />
worden, die Einwanderer nicht zur Schau zu stellen<br />
und insbesondere von einer spektakulären Medienberichterstattung<br />
abzusehen.<br />
94 Näheres dazu SOAa, 4/2003, S.359.<br />
95 XNA, 15.9.03 und AWSJ, 12.9.03.<br />
96 AWSJ, 12.9.03.<br />
97 XNA, 23.9.03.<br />
Darüber hinaus warfen die thailändischen Behörden<br />
der kambodschanischen Regierung vor, sie habe nicht genügend<br />
getan, um terroristische Anschläge auf die APEC-<br />
Konferenz zu vereiteln. U.a. seien nicht weniger als sechs<br />
SAM-Raketen von <strong>Kambodscha</strong> nach Bangkok geschmuggelt<br />
worden. Hinter der Transaktion stehe vermutlich der<br />
Terroristenführer Hambali, 98 der im August 2003 in Thailand<br />
verhaftet worden war und dessen Jemaah Islamiyah<br />
möglicherweise geplant habe, sowohl auf die Konferenzteilnehmer<br />
als auch auf israelische Passierflugzeuge am<br />
Flughafen von Bangkok Anschläge zu verüben. 99<br />
Allerdings streckte die thailändische Regierung dem<br />
Ministerpräsidenten Hun Sen auch die Hand entgegen,<br />
und zwar bei zwei Gelegenheiten, als sie nämlich (1) am<br />
18. September eine Verfügung herausgab, derzufolge politische<br />
Aktionen innenpolitischer Gegner gegen die kambodschanische<br />
Regierung von thailändischem Boden aus<br />
unterbunden würden (verdächtige Personen sollten aufgespürt<br />
und an politischen Aktionen gehindert werden) 100<br />
und als ferner (2) Oppositionspolitiker Sam Rainsy am 14.<br />
August 2003 Sprechverbot in Bangkok erhielt. Sam Rainsy<br />
wollte anlässlich einer Reise nach Frankreich in Bangkok<br />
einen Zwischenstopp einlegen und vor dem dortigen<br />
„Foreign Correspondents Club of Thailand“ eine Rede halten,<br />
die sich kritisch mit Hun Sen und seinem angeblich<br />
manipulierten Wahlsieg vom 27. Juli auseinandersetzen<br />
sollte. 101<br />
Auch sonst ließ die thailändische Regierung nichts unversucht,<br />
um mit <strong>Kambodscha</strong> wieder ins Reine zu kommen.<br />
Am 31.7. und 1.8.2003 fand bspw. in Bangkok ein<br />
Außenministertreffen der vier Länder <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>,<br />
Myanmar und Thailand statt, auf dem Fragen der wirtschaftlichen<br />
Kooperation besprochen wurden. 102 Nicht<br />
zuletzt sollte auch der gemeinsame Tourismus gefördert<br />
und hierzu bspw. ein Golfkurs im Grenzgebiet zwischen<br />
Thailand, <strong>Laos</strong> und <strong>Kambodscha</strong> abgesteckt werden – ein<br />
Vorhaben, das wiederum bei Umweltschützern auf Protest<br />
stieß, weil dieses Gelände mitten in ein Wasserscheidengebiet<br />
des Nationalparks von Ubon Rachathani hineinverlegt<br />
werden würde.<br />
Am 1. Juli 2003 hatte das thailändische Kabinett überdies<br />
seine Absicht bekannt gegeben, eine weitere Verbindungsroute<br />
zwischen der thailändischen Ostprovinz Trat<br />
und der kambodschanischen Westprovinz Koh Kong zu<br />
bauen – eine Straße und vier Brücken, die als solche zum<br />
„Strategieplan der Thaksin-Regierung“ gehörten. 103<br />
All diese Aktionen zeigen, dass Regierung und Geschäftswelt<br />
Thailands nach wie vor reges Interesse an einem<br />
weiteren Ausbau der Beziehungen zu <strong>Kambodscha</strong><br />
haben – allen Misshelligkeiten der vergangenen Monate<br />
zum Trotz.<br />
98 Dazu oben unter 2.1.3.<br />
99 Radio Australia, in BBC, 1.10.03.<br />
100 XNA, 18.9.03.<br />
101 AWSJ, 14.8.03.<br />
102 XNA, 14.7.03.<br />
103 XNA, 1.7.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 548 - November 2003<br />
3<br />
LAOS<br />
3.1<br />
Innenpolitik<br />
3.1.1<br />
Das Dauerthema Drogen<br />
3.1.1.1<br />
Ein neues Fünferbündnis und die Chiang-Rai-Erklärung<br />
Im Kampf gegen den Konsum von Drogen, zu denen<br />
sowohl das traditionelle Opium als auch Heroin und<br />
Designerdrogen gehören, ist es im Raum Südostasien<br />
zu einer Reihe von regionalen Allianzen gekommen:<br />
Im ASEAN-Rahmen arbeiten die zehn Mitgliedsländer<br />
zusammen, im Mekong-Rahmen gibt es ein Sechserbündnis<br />
(<strong>Laos</strong>, Myanmar, Thailand, China, <strong>Kambodscha</strong>,<br />
<strong>Vietnam</strong>), im Bereich des Goldenen Dreiecks ein Viererbündnis<br />
(<strong>Laos</strong>, China, Myanmar, Thailand), im<br />
Bereich Indochina ein Dreierbündnis (<strong>Laos</strong>, <strong>Kambodscha</strong>,<br />
<strong>Vietnam</strong>) und schließlich noch eine Reihe von<br />
Zweierbündnissen (<strong>Laos</strong>/<strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>/<strong>Vietnam</strong>,<br />
<strong>Laos</strong>/Myanmar, <strong>Laos</strong>/Thailand). 104 Daneben gibt es<br />
dann noch nationale Eigenanstrengungen der einzelnen<br />
Länder, u.a. auch der LDVR, die zum einen ein Opium-<br />
Substitutionsprogramm aufgelegt hat und andererseits<br />
mit polizeilichen sowie mit gerichtlichen Mitteln vorgeht,<br />
ja für bestimmte Fällen sogar die Todesstrafe eingeführt<br />
hat. 105<br />
Die meisten der oben genannten Bündnisse zeichnen<br />
sich vor allem durch große Gesten und große Worte aus,<br />
ohne dass allzu viel geschieht.<br />
In jüngerer Zeit hat das erwähnte Viererbündnis (im<br />
Bereich des Goldenen Dreiecks) stärker von sich reden<br />
gemacht und vom 22. bis 25. Mai 2003 im nordthailändischen<br />
Chiang Rai eine Konferenz veranstaltet, bei der<br />
auch eine neue Deklaration – die „Chiang-Rai-Erklärung“<br />
– herausgegeben wurde.<br />
Teilnehmer waren die um das „Dreieck“ herum angeordneten<br />
Länder China, Myanmar, Thailand und <strong>Laos</strong>,<br />
denen sich als Fünfter im Bunde mittlerweile auch der<br />
westlich Nachbarstaat Myanmars, Indien, angeschlossen<br />
hat.<br />
Bei der Konferenz riefen sich die Teilnehmerstaaten<br />
ins Gedächtnis, dass Myanmar und <strong>Laos</strong> die Opiumproduzenten<br />
Nr. 2 und 3 in der Welt sind. 106 An erster Stelle<br />
steht mittlerweile wieder Afghanistan, das zum „Normalzustand“<br />
zurückgekehrt ist, nachdem die Taliban zwischendurch<br />
ein religiös bedingtes radikales Opiumanbauverbot<br />
erlassen und damit einer verhängnisvollen Entwicklung<br />
vorübergehend Einhalt geboten hatten.<br />
Nach Expertenschätzungen 107 wurden i.J. 2002 von<br />
Afghanistan und Myanmar 75% bzw. 20% der Weltproduktion<br />
bestritten. <strong>Laos</strong> folgt hier erst mit weitem Ab-<br />
104 Systematisch dazu SOAa, 1/2002, S.92-94.<br />
105 Ebenda, S.94ff.<br />
106 XNA, 25.7.03.<br />
107 Wiedergegeben in www.forword-thinking-ondrugs.org.docs/fazey<br />
-and-lloyd-summary.d, besucht am 9.9.03.<br />
stand. Generell zeige sich weltweit – und auch im Rahmen<br />
Südostasiens – eher eine Zunahme der Probleme, wobei<br />
der Verbrauch von Amphetaminen in Ost- und Südostasien<br />
mit zu den dramatischsten Entwicklungen gehört. Angesichts<br />
dieser Lage könne man davon ausgehen, dass das<br />
Ziel der UNO, die Drogensituation bis 2008 weltweit unter<br />
Kontrolle zu bekommen, überaus gefährdet sei. Während<br />
sich nämlich die Lage in den entwickelten Ländern langsam<br />
stabilisiere, nehme der Drogenkonsum in Entwicklungsländern<br />
nach wie vor rapide zu. Dies gelte auch für<br />
Indien, das nicht zuletzt aus diesem Grund an der Chiang-<br />
Rai-Konferenz mit Engagement teilgenommen hat.<br />
In Chiang Rai, das etwa 800 km nördlich von Bangkok<br />
– und zwar direkt im Grenzbereich zu Myanmar<br />
und <strong>Laos</strong> – liegt, wurde beschlossen, in Zukunft nicht<br />
nur den Handel mit fertigen Drogenprodukten stärker zu<br />
unterbinden, sondern auch bereits den Handel mit den<br />
drei Hauptgrundstoffen, nämlich Ephedrinen, Pseudo-<br />
Ephedrinen und Anhydriden zu kontrollieren.<br />
Des Weiteren sollen die Drogensubstitutionsmaßnahmen<br />
in Zukunft weiter verstärkt werden. Nur wenn die<br />
Opiumbauern glaubhafte Alternativen angeboten bekommen,<br />
besteht nämlich die Chance, dass sie den für sie so<br />
rentablen – und übrigens auch altehrwürdigen – Anbau<br />
von Schlafmohn definitiv einstellen. 108<br />
Da der Drogenhandel vielfach auf dem Mekong abgewickelt<br />
wird, sollen die vier Anliegerstaaten auch hier<br />
eng kooperieren, vor allem von ihren Mekong-Häfen aus<br />
– diese sind Jinghong in China, Ban Pong in Myanmar,<br />
Huay Sai in <strong>Laos</strong> und Chiang Saen sowie Chiang Kong in<br />
Thailand. 109 Der Lancang/Mekong, der von seinem Ursprung<br />
auf dem Qinghai-Tibet-Plateau bis zur Mündung<br />
in <strong>Vietnam</strong> 4.880 km zurücklegt, dürfe kein Drogenfluss<br />
werden! 110<br />
Bereits im August 2001 hatten die erwähnten vier<br />
ursprünglichen Mitgliedsländer eine „Beijing-Declaration“<br />
herausgegeben, in der eine enge Zusammenarbeit in der<br />
Drogenbekämpfung beschworen worden war. 111<br />
Die Chiang-Rai-Erklärung, der sich nun auch Indien<br />
anschließt, erweitert diese Kampfgemeinschaft. 112<br />
Die beiden Nachbarn <strong>Laos</strong> und Thailand hatten sich<br />
bereits Ende August 2002 auf ein Drogenbekämpfungsprogramm<br />
geeinigt – unabhängig davon, dass Kooperationsabkommen<br />
auch bereits in früheren Jahren geschlossen<br />
wurden, so z.B. im Mai 1997. 113 Mit den Vereinbarungen<br />
von 2002 hatte Thailand die Laoten in die Pflicht nehmen<br />
wollen, gegen die rund 30 Amphetamin-Giftküchen<br />
auf laotischem Gebiet schärfer vorzugehen, die sich nach<br />
thailändischen Ermittlungen auf LDVR-Gebiet eingenistet<br />
hätten. Von dort aus würden Monat für Monat durchschnittlich<br />
15 Millionen „Speed“-Pillen nach Thailand geschmuggelt,<br />
was in Thailand zu einer regelrechten yaba-<br />
(„Verrückte Medizin“-) Epidemie geführt habe. 114<br />
Die laotische Seite wollte sich auf das thailändische<br />
Ansinnen allerdings nicht so recht einlassen, da <strong>Laos</strong> ja<br />
108 XNA, 12.7.03.<br />
109 XNA, 10.7.03.<br />
110 XNA, 3.7.03.<br />
111 SOAa, 1/2002, S.93.<br />
112 XNA, 24.7.03.<br />
113 VT, 14.-16.5.97.<br />
114 N, 30.8.02.
SÜDOSTASIEN aktuell - 549 - November 2003<br />
nicht eine Produktions-, sondern lediglich eine Transitregion<br />
für Drogen aus ganz anderen Regionen sei.<br />
Auch beim Treffen von Chiang Rai trat ans Tageslicht,<br />
was bereits bei anderen Zusammenkünften breit gemacht<br />
hatte – nämlich gegenseitiges Misstrauen. Vor allem gegenüber<br />
Myanmar, aber auch gegenüber <strong>Laos</strong> scheint der<br />
Verdacht doppelbödigen Verhaltens zu bestehen: Sie unterschrieben<br />
zwar brav alle Drogenkooperationsvereinbarungen,<br />
profitierten insgeheim jedoch vom Fortbestand<br />
der mittlerweile etablierten Produktions- und Vertriebspraxis.<br />
115<br />
3.1.1.2<br />
Die Bedeutung von Amphetaminen und „Speed“<br />
Zu der Unzahl von Drogen, die Körperfunktionen hyperaktiv<br />
beeinflussen, gehören vor allem vier, nämlich Koffein,<br />
Kokain, Nikotin und seit den letzten Jahrzehnten<br />
auch Amphetamin, das vor allem aufs Gehirn und auf das<br />
Zentrale Nervensystem wirkt und das wegen seiner vorübergehend<br />
euphorisierenden Effekte im Westen als „Ecstasy“<br />
oder „XTC“ bekannt geworden ist. Amphetamine<br />
erscheinen heutzutage in drei Formen auf dem Markt, die<br />
sich hauptsächlich nach den Beigaben voneinander unterscheiden,<br />
nämlich als Benzedrin (weißes Pulver mit bitterem<br />
Geschmack, das in Pillenform verabreicht wird und<br />
als eigentliches Amphetamin gilt), als Dexedrin und als<br />
Metamphetamin, wobei letzteres wegen seiner explosiv<br />
berauschenden Wirkung im Westen als „Speed“ bekannt<br />
geworden ist.<br />
Alle drei Varianten sind Designerdrogen, d.h. chemisch<br />
gezielt modifizierte Naturstoffe wie Meskalin oder Opium.<br />
Sie waren 1914 von der deutschen Pharmafirma Merck als<br />
Appetitzügler und 1950 von der US-Armee als potenzielle<br />
chemische Kampfstoffe erprobt, dann aber jeweils wieder<br />
verworfen worden. Als in der amerikanischen Hippieund<br />
Drogenszene der siebziger Jahre LSD verboten worden<br />
war, kamen Amphetamine in verschiedener Zubereitung<br />
als Ersatzstoffe auf, wurden Mitte der achtziger Jahre<br />
auch bei den damaligen Baghwan-Anhängern (im US-<br />
Bundesstaat Oregon) sowie auf der „Hippie-Insel“ Ibiza<br />
populär und breiteten sich Anfang der neunziger Jahre<br />
als Freizeit- sowie als Raver-Droge auch in Europa aus,<br />
von wo aus sie Mitte der neunziger Jahre nach Asien belangten<br />
– und dort augenblicklich populär wurden, weil<br />
sie, wie man entdeckt zu haben glaubte, die in Asien noch<br />
weitaus höher als in Europa geschätzten zwischenmenschlichen<br />
Kontakte intensiviert können.<br />
Bei der Einnahme von Amphetaminen stellt sich in<br />
der Tat schnell ein intensives Gefühl von Nähe zu anderen<br />
Menschen ein. Verbunden mit dieser künstlich erzielten<br />
Beschwingtheit entsteht verstärkte Kommunikationsbereitschaft<br />
bei gleichzeitig schwindendem Unterscheidungsvermögen<br />
zwischen Selbst und Nicht-Selbst. In vielen<br />
Fällen gehen diese Veränderungen im interpersonellen<br />
Erleben mit einer Steigerung des Selbstwertgefühls einher.<br />
Die psychotropen Wirkungen setzen bereits nach 20<br />
bis 60 Minuten ein und halten etwa zwei bis vier Stunden<br />
lang an. Danach klingen die angenehmen Wirkungen<br />
ab und machen nach und nach einer depressiven Verstimmung<br />
und zunehmenden Angstzuständen Platz.<br />
115 Dazu auch SOAa, 1/2002, S.96.<br />
Anders als bei Heroin oder Opium entwickelt sich allerdings<br />
keine körperliche, sondern allenfalls eine psychische<br />
Abhängigkeit.<br />
Amphetamine sind in Asien bei Studenten und Berufstätigen<br />
so beliebt geworden, weil sie – zumindest während<br />
der positiven Wirkungsphase – Ängste abbauen und<br />
die Konzentrationsfähigkeit erhöhen. Überdies scheinen<br />
sie vorübergehend problemlösend zu wirken.<br />
Wenn die Regierungen gleichwohl mittlerweile scharf<br />
gegen yaba, d.h. gegen „Verrücktheits“pillen, vorgehen, so<br />
geschieht dies zum einen aus wirtschaftlichen Gründen<br />
(„Geldverschwendung“), zum anderen aber auch aus sozialpolitischen<br />
Überlegungen: Häufig angewendet, führen<br />
Amphetamine nämlich zur physischen Erschöpfung, zu<br />
Depressionen und zu Nervenschädigungen, die Muskelzittern,<br />
Schwindelgefühl, Schmerzen, Hypertonie, Tachykardie,<br />
Paranoia sowie Hirninfarkte und Hirnblutungen zur<br />
Folge haben, vor allem wenn Amphetamine auch noch<br />
gleichzeitig mit Alkohol, Nikotin und anderen Drogen eingenommen<br />
werden. 116<br />
3.1.2<br />
Grund und Boden: Die bäuerliche Sehnsucht nach<br />
mehr Rechtssicherheit<br />
3.1.2.1<br />
Besitzsicherung an Grund und Boden als A und<br />
OderSozialpolitik<br />
Nach den vielen sozialistischen Experimenten, in deren<br />
Verlauf Boden oft willkürlich zugeteilt und bisweilen<br />
auch wieder entzogen wurde, hat sich vor allem in der<br />
bäuerlichen Bevölkerung eine Sehnsucht nach mehr<br />
Rechtssicherheit herausentwickelt. Wer seinen Ackerboden<br />
oder sein Stück Forstland effizient bearbeiten und<br />
wer vor allem bereit sein soll, hier kostspielige Investitionen<br />
in Form von Kapital und Arbeit einzubringen, muss<br />
sicher sein können, dass ihm dieses Stück Boden nicht<br />
schon morgen wieder entzogen wird.<br />
Kein Wunder, dass der Wunsch übermächtig ist, wenigstens<br />
das Tag für Tag bebaute Bodenareal sicher in die<br />
Hand zu bekommen und damit ein Stück sozialer Sicherheit<br />
heil über die Runden zu bringen. Worum es in concreto<br />
geht, ist nicht etwa der Erwerb von Eigentum, sondern<br />
die Absicherung einer eigentümerähnlichen Position. Weg<br />
mit dem Unsicherheitsgefühl bei der Bevölkerung und mit<br />
der Unberechenbarkeit der Behörden – so etwa könnte die<br />
Parole lauten.<br />
Man bedenke in diesem Zusammenhang, dass <strong>Laos</strong> ja<br />
nach wie vor zu 80% von einer landwirtschaftlich tätigen<br />
Bevölkerung bewohnt ist. Nach Ermittlungen aus den<br />
Jahren 1996/97 verfügte die LDVR damals über 665.000<br />
ha Ackerland. 117<br />
Heute sind es 897.000 ha oder 3,7% des Gesamtterritoriums.<br />
Auf rund 4,4 Mio. Personen (also auf 80% der Gesamtbevölkerung)<br />
umgerechnet entfallen auf jeden Dorfbewohner<br />
im Durchschnitt 0,2 ha, auf eine siebenköpfige<br />
Bauernfamilie also etwa 1,4 ha. 1997 waren es 1,38 ha<br />
116 Dazu in Einzelnen „Ecstasy als Designerdroge“, erarbeitet vom<br />
„Giftnotruf Berlin“, www.giftnotruf.de/akt02/01.htm und Encyclopedia<br />
Britannica unter dem Stichwort „Drug use“, „Amphetamine“.<br />
117 VT, 1.-4.11.97.
SÜDOSTASIEN aktuell - 550 - November 2003<br />
gewesen. 118 )<br />
Nicht einmal ganz 1,5 ha Land pro Bauernfamilie –<br />
dies ist zum Sterben zu viel und zum Leben oft zu wenig,<br />
vor allem nach Naturkatastrophen und anderen unvorhergesehenen<br />
Ereignissen. Kein Wunder, wenn die Bauern<br />
darauf drängen, dass ihnen zumindest dieses Stück<br />
Lebensgrundlage auf Dauer zugesichert wird.<br />
Während im Nachbarland <strong>Vietnam</strong> seit langem präzise<br />
Bodenüberlassungszeiträume festgelegt wurden (normalerweise<br />
20 Jahre, bei Obstbaumarealen 50 Jahre, in<br />
Sonderfällen auch 70 Jahre), 119 fehlt es in <strong>Laos</strong> noch an<br />
genaueren Regelungen.<br />
Lediglich mit steuerrechtlichen Bestimmungen war die<br />
bäuerliche Bevölkerung beglückt worden, und zwar lange<br />
vor den eigentlichen bodenrechtlichen Regelungen.<br />
3.1.2.2<br />
Bisherige Bodenregelungen<br />
Bauernhaushalte haben erwiesenermaßen kaum einen größeren<br />
Wunsch als die feste Zuteilung von Boden. Die Ausarbeitung<br />
eines Bodengesetzes hätte also eigentlich seit<br />
langem mit zu den obersten Prioritäten der Gesetzgebung<br />
gehören müssen.<br />
Stattdessen hat es die Regierung immer nur bei<br />
Rechtsverordnungen und bei anderem Regelungsstückwerk<br />
belassen und bspw. im Juni 1997 einen Plan beschlossen,<br />
der die Landzuteilung über einen Zeitraum von<br />
sieben Jahren, also bis 2004, bewerkstelligen sollte – dies<br />
alles, wohlgemerkt, ohne feste gesetzliche Grundlage! 120<br />
Ein formelles Bodengesetz lässt auch heute, im Jahre<br />
2003, noch auf sich warten.<br />
Allerdings ist inzwischen ein „Bodenerlass“ des Ministerpräsidenten<br />
herausgekommen, und zwar am 18. Dezember<br />
1998, der zu einer Art Grundgesetz für alle Bodenfragen<br />
in der LDVR geworden ist und der mit genügender<br />
Deutlichkeit klargestellt hat, dass Boden in <strong>Laos</strong> ausnahmslos<br />
Staatseigentum ist. Die Dreiteilung in Privat-,<br />
Genossenschafts- und Staatseigentum steht also auch im<br />
nachsozialistischen <strong>Laos</strong> nicht zur Diskussion.<br />
Bei der Zuteilung von Land geht es also nicht um die<br />
Zuteilung von Eigentum, sondern lediglich um Zuteilung<br />
und formelle Registrierung von Besitz und Verfügungsrechten<br />
(d.h. von Nutzung, Unterverpachtung und Vererbung).<br />
Zuständig für diese Zuteilung ist der „Zentrale Bodenausschuss“,<br />
eine Behörde, die auch die Vermessung sowie<br />
die Flächennutzung besorgt und regelt.<br />
Angesiedelt ist dieses Gremium innerhalb des Finanzministeriums.<br />
Innerhalb des Ausschusses gibt es wiederum<br />
die „Abteilung für Planung und Entwicklung der nationalen<br />
Bodennutzung“.<br />
Mehrere Flächennutzungsarten werden unterschieden,<br />
nämlich „Bauland“, „Industrieland“, „Verkehrsland“ (für<br />
Straßen und Eisenbahntrassen), „Kulturland“ (z.B. für<br />
Schulen und Museen), „Verteidigungsland“, „Flussland“,<br />
„Forstland“ und „Forstland von besonderer nationaler Bedeutung“,<br />
auf dem die Naturschutzregelungen strikter als<br />
sonst einzuhalten sind.<br />
Boden wird durch Verwaltungsakt einem Benutzer zugeteilt,<br />
der damit das Recht erhält, von dem Grundstück<br />
in der gesetzlich definierten Weise Gebrauch zu machen,<br />
ihn also bspw. landwirtschaftlichen Zwecken zuzuführen<br />
oder ihn mit Häusern zu bebauen. Außerdem kann der<br />
Berechtigte seine Nutzungsrechte weiter übertragen oder<br />
vererben.<br />
Der Zentrale Bodenausschuss ist auch zuständig für<br />
die Überführung einer bestimmten Benutzungsart in eine<br />
andere (z.B. von „Bauland“ in „Industrieland“). Bodenstreitigkeiten<br />
sind ebenfalls nach Maßgaben des Bodenerlasses<br />
zu lösen, also nur ausnahmsweise gerichtlich, im<br />
Übrigen aber durch Arbitrage oder durch freundschaftliche<br />
Verhandlungen. 121<br />
Grundanliegen des Erlasses – wie auch eines späteren<br />
Gesetzes – ist es (und muss es sein), drei Ziele zu erreichen,<br />
nämlich der Bevölkerung zu einer nachhaltig sichereren<br />
Lebensweise zu verhelfen, die Schwendwirtschaft zu<br />
reduzieren und nicht zuletzt auch zum Schutz der Böden<br />
und Forsten beizutragen. Außerdem sind Konflikte zwischen<br />
Bodenrecht einerseits und Investitionsgesetz sowie<br />
weiteren nationalen Rechtsbestimmungen andererseits zu<br />
einem gerechten Ausgleich zu bringen.<br />
Wichtiger als ein Gesetz erschien den laotischen Behörden<br />
offensichtlich die Aufstellung von Modellen, von<br />
denen der Funke dann auf andere Einheiten überspringen<br />
soll. 122 Unter diesem Gesichtspunkt wurden bei der ersten<br />
Bodenzuteilungswelle (von 1997) vor allem die Provinzen<br />
Vientiane, Bokeo, Houa Phan und Luang Namta einer gezielten<br />
Behandlung unterworfen. Der Zentralausschuss für<br />
Land- und Forstverwaltung sowie -zuteilung achtete hier<br />
vor allem darauf, dass die Reisanbauflächen reduziert und<br />
die Flächen für Rohstoffpflanzen sowie für Wälder ausgeweitet<br />
wurden. Ganz auf dieser Linie war die Reisanbaufläche<br />
bis Anfang 2000 um 25.000 ha reduziert und waren<br />
den Bewohnern von über 6.000 „Zieldörfern“ Boden- und<br />
Forstareale zugeteilt worden, vor allem in den Bergregionen.<br />
Gleichzeitig hatte der Ausschuss dafür gesorgt, dass<br />
Boden, der nicht effizient bebaut – oder überhaupt nicht<br />
bestellt – wurde, wieder zurückgegeben werden musste.<br />
Das 1997 begonnene erste Landzuteilungsprojekt hat<br />
sich mittlerweile im Schneeballsystem ausgedehnt. Bis<br />
Mitte 2003 sind im Rahmen dieses Programms rund<br />
200.000 Bodenzuteilungen erfolgt.<br />
Allein für das Jahr 2000 setzte sich der Ausschuss das<br />
Ziel, 36.000 Bodentitel zu vergeben, und zwar in den Provinzen<br />
Vientiane, Luang Prabang, Savannakhet, Khammouane<br />
und Champassak. Mehr als 1.500 „Zieldörfer“ sollten<br />
von dem Projekt profitieren, wobei sie im Gegenzug<br />
versprechen mussten, mehrere Tausend Hektar mit Bäumen<br />
zu bepflanzen. 123<br />
Anfang Juli 2003 setzte dann eine neue Phase des<br />
Landzuteilungsprojekts ein, das diesmal von Australien<br />
finanziell gefördert wurde. Nach den Plänen des Projekts<br />
sollten in den folgenden fünf Jahren rund 400.000 Haushalte<br />
Bodennutzungszertifikate erhalten, und zwar mit<br />
dem Ziel, via Bodenzuteilung das nationale Programm zur<br />
Armutsbekämpfung zu unterstützen.<br />
118 Ebenda.<br />
119 SOAa, 3/2003, S.232.<br />
120 Ebenda.<br />
121 Näheres dazu SOAa, 4/1999, S.320.<br />
122 VT, 1.-4.11.97.<br />
123 VT, 18.-20.1.00.
SÜDOSTASIEN aktuell - 551 - November 2003<br />
Die Nutzungsberechtigten sollten durch die formelle<br />
Bodenüberlassung mehr soziale Absicherung erhalten. Die<br />
Bodentitel sollten sie darüber hinaus in den Stand versetzen,<br />
Kleinkredite abzusichern und Investitionen vorzunehmen.<br />
Überdies erhielten die Behörden damit Gelegenheit,<br />
das Steueraufkommen besser abzuschätzen. 124<br />
Bodenfragen werden auch im Rahmen des „Entwurfs<br />
für eine Forststrategie bis zum Jahre 2020“ berücksichtigt,<br />
über den am 17. und 18. Juli 2003 beraten wurde. 125 Die<br />
Forstwirtschaft spiele, wie es in diesem Zusammenhang<br />
hieß, eine enorme Rolle beim Volkseinkommen – und zwar<br />
bis zur Höhe von 40%, da Forsten eine Schlüsselrolle beim<br />
Umgang mit Wasser, bei der Gewinnung von Hydroenergie<br />
und beim Bau von Kommunikations- und Transportlinien<br />
spielten. 126 Auch bei der Zuteilung von Forstparzellen<br />
könne daher gar nicht sorgfältig genug vorgegangen<br />
werden.<br />
Was jetzt noch fehlt, sind präzise Regelungen zu<br />
Flächennutzungs- und Bebauungsplänen in den Städten<br />
sowie zur Flurbereinigung, zum Landschaftsschutz und<br />
zur Bodenökologie auf den Dörfern.<br />
3.2<br />
Wirtschaft<br />
3.2.1<br />
Die infrastrukturelle Erschließung der LDVR<br />
schreitet fort – und bereitet Schwierigkeiten<br />
<strong>Laos</strong> hat einen ehrgeizigen Traum: Aus einem vom Meer<br />
abgeschlossenen Land der Sackgassen will es sich in einen<br />
Korridor Festland-Südostasiens und in eine Brücke zwischen<br />
den fünf Nachbarn Thailand, <strong>Vietnam</strong>, Myanmar,<br />
<strong>Kambodscha</strong> und China verwandeln.<br />
Ganz auf dieser Linie gilt es, sich sowohl in Ost-Westals<br />
auch in Nord-Süd-Richtung zu öffnen.<br />
3.2.1.1<br />
Die Ost-West-Erschließung<br />
In Richtung Ost-West sind bereits zahlreiche Projekte<br />
durchgeführt worden, und zwar hauptsächlich in Form<br />
von Straßen, die an der jeweils kritischsten Stelle über<br />
den Mekong führen und deshalb den Bau von Brücken<br />
erforderlich machen.<br />
Die erste dieser Brücken war bereits am 8. April 1994<br />
zwischen der Hauptstadt Vientiane und dem nordostthailändischen<br />
Nong Khai eröffnet worden – und hatte im Zuge<br />
der so kostbaren infrastrukturellen Anbindung auch eine<br />
Reihe von Nebeneffekten mit sich gebracht – neue Werte,<br />
neue Laster, neue Probleme (Verkehrsstaus in Vientiane)<br />
und nicht zuletzt auch neue Krankheiten, weshalb oft<br />
schon von „AIDS-Brücke“ die Rede war. 127<br />
Am 2. August 2000 war die zweite Mekong-Brücke eröffnet<br />
worden, und zwar im Süden der LDVR: von Pakse<br />
(in der gleichnamigen Provinz) nach Phonthong und dann<br />
hinüber zum thailändischen Ubon Ratchathani. Auch diese<br />
Brücke verbindet mehrere Länder miteinander, nämlich<br />
<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong> und <strong>Laos</strong>. Hierbei handele es sich,<br />
wie der japanische Botschafter (als Vertreter des Stifter-<br />
124 VT, 22.-24.7.03.<br />
125 Ebenda.<br />
126 Ebenda.<br />
127 Dazu SOAa, 2/1998, S.123.<br />
landes) betonte, nicht nur um eine Brücke über den Mekong,<br />
sondern auch „um eine Brücke vom 20. ins 21. Jahrhundert“.<br />
128<br />
Auch die dritte Brücke über den Mekong (im Mittelteil<br />
der LDVR) ist bereits im Bau, und zwar von Savannakhet<br />
hinüber zum thailändischen Mukdahan. 129<br />
3.2.1.2<br />
Die Nord-Süd-Öffnung<br />
Wie aber ist es um die Nord-Süd-Verbindung bestellt?<br />
3.2.1.2.1<br />
Die Nationalstraße Nr. 13<br />
Hier sind es vor allem zwei Verkehrssysteme, denen besondere<br />
Bedeutung zukommt, nämlich die Nationalstraße<br />
Nr. 13, die gleichsam das straßenverkehrstechnische Rückgrat<br />
der LDVR bildet, und die Flussschifffahrt auf dem<br />
Mekong.<br />
Über die Modernisierung der Nationalstraße Nr. 13<br />
ist bereits mehrfach berichtet worden. 130 Auch vom Bau<br />
der Verbindungsstraße zwischen Nordlaos und China war<br />
bereits die Rede. 131 Doch soll hier das Augenmerk weniger<br />
auf den Straßenbau als vielmehr auf die Mekong-<br />
Schifffahrt gelegt werden. Sämtliche Anliegerstaaten haben<br />
starkes Interesse an einer solchen Verkehrsverbindung<br />
– ganz besonders die chinesische Provinz Yunnan, die innerhalb<br />
der VR China nur schwach angebunden ist und<br />
die deshalb umso stärker über den Lancang/Mekong –<br />
also nach Süden hin – eine infrastrukturelle Zukunft ins<br />
Auge fasst.<br />
3.2.1.2.2<br />
Flussverbindungen via Mekong: Vor- und Nachteile<br />
Da der gesamte Flussverlauf des Mekong durch zahlreiche<br />
Stromschnellen und -engen behindert ist, hat es<br />
bisher nur zu einem partiellen Transportabkommen gereicht,<br />
das im April 2000 zwischen China, Myanmar,<br />
Thailand und <strong>Laos</strong> abgeschlossen wurde und demzufolge<br />
eine 893 km lange Schiffsroute auf dem Oberen Lancang/Mekong<br />
eröffnet werden soll. Dieses Vier-Staaten-<br />
Abkommen führte zu einer regelrechten Explosion in<br />
der Transportleistung. Bereits am Jahresende 2000 hatte<br />
das Frachtvolumen aus China die 200.000-t-Grenze überschritten<br />
– und war damit auf das Fünfhundertfache gegenüber<br />
1990 angestiegen. 132 Kein Wunder, dass das Vier-<br />
Staaten-Abkommen als ein „Meilenstein in der Geschichte<br />
der Mekong-Schifffahrt und der Zusammenarbeit zwischen<br />
den vier Ländern“ bezeichnet wurde. 133<br />
Wichtige Einzelregelungen des Abkommens sind die<br />
Aufhebung oder aber Reduzierung bisheriger Transit- und<br />
Liegegebühren sowie die Vereinbarung, dass Güterumschlag<br />
und Passierabfertigung an 14 genau präzisierten<br />
Anlegestellen erfolgen sollen.<br />
Eine wichtige Nebenwirkung des Abkommens besteht<br />
128 VT, 4.-7.8.00.<br />
129 Dazu SOAa, 4/2000, S.420.<br />
130 Z.B. SOAa, 1/1999, S.38 (mit Karte) und 2/2001, S.168 (ebenfalls<br />
mit Karte).<br />
131 SOAa, 6/2002, S.570f.<br />
132 XNA, 22.2.01.<br />
133 VT, 30.10.-1.11.01.
SÜDOSTASIEN aktuell - 552 - November 2003<br />
darin, dass die Provinz Yunnan ihre bisher weitgehend ungebremst<br />
betriebene Wasserentnahme einschränken, wenn<br />
nicht sogar unterlassen muss, soll die gemeinsame Schifffahrt<br />
nicht einen ernsthaften Rückschlag erleiden.<br />
Ein weiterer Vorteil des Vertrags besteht langfristig<br />
darin, dass er eine Art erster Schritt auf dem langen<br />
Marsch zur Erschließung des gesamten Mekong, also auch<br />
der kritischen Strecke im Verlauf des Unteren Mekong,<br />
ist. Die Länder der GMS (Greater Mekong Subregion),<br />
denen neben Thailand und <strong>Laos</strong> auch noch <strong>Kambodscha</strong><br />
und <strong>Vietnam</strong> angehören, werden sich über eine Verlängerung<br />
des Schifffahrtsweges Gedanken machen müssen,<br />
auch wenn eine Bereinigung der Mekong-Wege mit zahlreichen<br />
Risiken erkauft werden muss.<br />
Da Eisenbahnen in der Flussregion ein Fremdwort sind<br />
und da das bestehende Straßensystem immer noch unzureichend<br />
ausgebaut ist, käme der Binnenschifffahrt eine<br />
Zugpferd-Funktion beim Zusammenwachsen der Region<br />
zu.<br />
Allerdings macht die geplante Strecke nicht mehr als<br />
gerade einmal ein Fünftel des rund 4.200 km langen Mekong<br />
aus und erstreckt sich lediglich vom chinesischen Simao<br />
bis zum laotischen Luang Prabang.<br />
Doch auch hier gibt es – und zwar in Yunnan, Myanmar<br />
und <strong>Laos</strong> – bereits rund 1.100 Frachtschiffe mit ausreichender<br />
Tragfähigkeit und für längere Routen, die der<br />
Schifffahrt am Oberlauf dienen können.<br />
Alles in allem sei der Schiffstransport – wie es vor allem<br />
von laotischer Seite heißt – mit gewaltigen Vorteilen verbunden:<br />
Große Kapazitäten, niedrige Kosten, fast keine<br />
Umweltverschmutzung, Energieeinsparung, hohe Sicherheit,<br />
kein Bodenverbrauch durch den Bau von Straßen<br />
und verhältnismäßig niedrige Investitionsraten. 134<br />
Allerdings ist der Fluss, wie bereits erwähnt, an vielen<br />
Stellen unpassierbar, sei es nun wegen der vielen Stromschnellen<br />
oder aber wegen des teilweise zu geringen Wasserpegels<br />
an bestimmten Flussausbuchtungen.<br />
Wegen solcher Hindernisse kommt es für viele Schiffe<br />
dann doch immer wieder zu langen Wartezeiten, zu<br />
zahlreichen Zwischenfällen und damit letztlich auch zu<br />
manchmal übermäßig hohen Kostenbelastungen.<br />
Die Bereinigung der Mekong-Rinne, die hier nötig erscheint,<br />
birgt zahlreiche Risiken in sich, die politischer und<br />
ökologischer Art sind:<br />
– Politische Gefahren kommen z.B. dadurch auf, dass<br />
im Gefolge einer Intensivierung der Schifffahrt auch<br />
der Drogentransport aus dem Goldenen Dreieck weiter<br />
angefacht und dass außerdem lokaler Sezessionismus<br />
begünstigt würde: führt die Flussstrecke doch<br />
bspw. durch den Shan-Staat Myanmars, der autonome<br />
Tendenzen verfolgt und dessen Unabhängigkeitsbestrebungen<br />
durch eine offene Schifffahrt weiter angeheizt<br />
werden könnten – sehr zur Sorge Yangons.<br />
– Besondere Bedenken tauchen neuerdings auch im ökologischen<br />
Zusammenhang auf: Je stärker sich der Mekong<br />
seinem Unterlauf nähert, umso häufiger treten<br />
Gefälle, Stromschnellen und Felsenriffs zu Tage.<br />
Die ersten Schwierigkeiten tauchen allerdings bereits<br />
im Verlauf der Vertragsstrecke zwischen Simao und<br />
Luang Prabang auf, vor allem im Bereich der laoti-<br />
134 Ebenda.<br />
sche Provinz Bokeo, die den westlichsten Teil der LD-<br />
VR (und zwar in der Nordwestecke des Landes) bildet.<br />
Dort wurden mittlerweile nicht weniger als neun<br />
Riff-Barrieren weggesprengt, auf dass Platz für größere<br />
Schiffe geschaffen wurde. Auf diese Weise wurden<br />
bspw. die Stromschnellen von Namleuy (135 km südlich<br />
von China), die Stromschnellen von Tangor (195<br />
km) und die Luangtay-Schnellen (65 km südlich von<br />
China) entschärft.<br />
<strong>Laos</strong> hat der VR China zugesagt, noch weitere<br />
Flussteile zu begradigen und damit größeren Schiffseinheiten<br />
freie Fahrt zu ermöglichen.<br />
Inzwischen aber hat Thailand hier ökologische Bedenken<br />
angemeldet:<br />
i. Durch die Begradigungen komme es zu einer<br />
Erhöhung der Abflussgeschwindigkeit – und<br />
damit zur Erosion der Flussufer sowie der in<br />
Ufernähe gelegenen landwirtschaftlichen Anpflanzungen.<br />
ii. In der Trockenzeit falle der Wasserspiegel ab<br />
und führe dann zur Austrocknung der Uferseiten.<br />
iii. Darüber hinaus seien die vor den Stromschnellen<br />
durch Felsvorsprünge gesicherten<br />
Beruhigungszonen seit unvordenklicher Zeit<br />
ideale Laichplätze für bestimmte Fischarten<br />
und für Khay, ein im Mekong häufig vorkommendes<br />
Wasserkraut. Vor allem der Paa Beuk,<br />
eine bestimmte Welsfisch-Art, habe im klaren<br />
Wasser hinter solchen Felsvorsprüngen seine<br />
Lieblingslaichplätze finden können. Würden<br />
die Felsen weggesprengt, käme es schnell zu<br />
Verschmutzungen und die Fische würden vertrieben<br />
oder vielleicht sogar ausgerottet.<br />
Probleme dieser Art nehmen umso dramatischer zu, je<br />
mehr der Unterlauf des Mekong ins Visier gerät, vor<br />
allem in der Region unterhalb von Luang Prabang.<br />
Die jetzigen Schwierigkeiten seien also nur ein Anfang.<br />
Die laotische Regierung hat sich angesichts der hier<br />
thematisierten Probleme an die chinesische Seite gewandt,<br />
und zwar mit der Bitte, gemeinsam die ökologischen<br />
Auswirkungen von Sprengungsmaßnahmen<br />
zu erkunden. Mittlerweile sei man zu dem Ergebnis<br />
gekommen, dass die bisherigen Sprengungen an der<br />
Wasserhöhe des Mekong nichts Wesentliches verändert<br />
hätten.<br />
Kleinere Schwankungen müssten allerdings in Kauf<br />
genommen werden. Immerhin wolle <strong>Laos</strong> ja zu einem<br />
wichtigen Durchgangsland in der Mekong-Subregion<br />
werden. Nur wenn der Mekong wirklich schiffstüchtig<br />
würde, könnten die Anwohner ihre landwirtschaftlichen<br />
und Handwerksprodukte in größerem Umfang<br />
exportieren und nur dann könne es auch zu einer regionalen<br />
Integration kommen. 135<br />
Eine weitere Voraussetzung für die ungehinderte Schifffahrt<br />
auf dem Mekong wären geeignete rechtliche Maßnahmen,<br />
wie z.B. die Einigung auf das seit langem zwischen<br />
den Anliegerstaaten diskutierte „MRC Navigation<br />
Program“, das schon seit 1994 vorliegt, ohne dass es bis-<br />
135 VT, 7.-10.2.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 553 - November 2003<br />
her zur Unterzeichnung durch die unmittelbar Beteiligten<br />
gekommen wäre.<br />
Vor allem die laotische Seite drängt auf eine zügige<br />
Lösung der Navigationsfragen: Eine der höchsten Hürden<br />
für die Entwicklung einer umfassenderen Schifffahrt auf<br />
dem Mekong liegt nach ihrer Meinung darin, „dass es kein<br />
gemeinsames legales Rahmenwerk für die Schifffahrt gibt,<br />
auf das man sich verlassen kann“. 136 Vor allem im <strong>Laos</strong>-<br />
Bereich sei die Schifffahrt auf dem Mekong nach wie vor<br />
eine „überaus gefährliche Angelegenheit, die von Seiten<br />
des Kapitäns hohe Erfahrung und eingehende Ortskenntnis“<br />
verlange. Die Kriterien für Kapitänspatente bedürften<br />
unter diesen Umständen ebenso einer Regelung wie<br />
bspw. Fragen des Schutzes der Umwelt sowie der Fischerei<br />
und der Ableitung von Mekong-Wasser.<br />
3.2.2<br />
Wassermangel im grünen <strong>Laos</strong> – ein Entwicklungshindernis<br />
3.2.2.1<br />
Zuhause und auf den Feldern: der Doppelengpass<br />
Als Trink- und als Irrigationswasser – in doppelter<br />
Hinsicht also – hat das nasse Element grundlegende<br />
Bedeutung für die laotische Entwicklungspolitik. Kein<br />
Wunder also, dass die Wasserthematik entsprechend häufig<br />
diskutiert und von den Medien unter verschiedensten<br />
Aspekten behandelt wird, z.B. unter dem Gesichtspunkt<br />
der hohen Kinder- und Müttersterblichkeit, die sich u.a.<br />
auch in niedriger Lebenserwartung (53 Jahre) ausdrückt:<br />
Neben vielen anderen Ursachen für diese schlechte Bilanz<br />
ist hier der nach wie vor unzureichende Zugang vieler<br />
Menschen zu sauberem Wasser mitverantwortlich. Zwar<br />
geht das UNDP in seinem HDR-Report 2002 etwas vollmundig<br />
davon aus, dass bereits 90% der Bevölkerung „is<br />
using improved water sources“, doch was will eine solche<br />
Zahl schon besagen – zumal für die Monate während der<br />
Trockensaison, in denen der Wasserverbrauch besonders<br />
hoch, das Angebot aber fast immer unzureichend ist.<br />
Zwar werden gegenwärtig immer mehr und immer<br />
größere Häuser gebaut, doch kann die Wasserversorgung<br />
damit selten schritthalten. In der Regenzeit gibt es<br />
zwar meist weniger Probleme, in der Trockenzeit aber<br />
kommt aus dem schönen neuen Wasserhahn, über den<br />
so mancher Haushalt verfügt, kein Tropfen – zumindest<br />
nicht tagsüber. Viele Hausfrauen stehen deshalb bereits<br />
um Mitternacht auf, um wenigstens einen Teil ihrer<br />
Wäsche erledigen zu können. Andere, deren Häuser etwas<br />
höher liegen, bleiben darauf angewiesen, entweder bei<br />
Nachbarn „betteln“ zu gehen oder aber Wasser für teures<br />
Geld beim Händler zu kaufen, wobei eine größere Kanne<br />
Wasser bis zu 500 Kip kostet.<br />
Manche warten auch die Zeit zwischen zehn und elf<br />
Uhr ab, weil zu dieser späten Vormittagsstunde die Berufstätigen<br />
außer Haus sind und weil man wenigstens<br />
dann die Hoffnung haben kann, nicht ganz auf dem<br />
Trockenen sitzen zu bleiben. 137<br />
Ungeachtet dieser Mängel aber stellten die Wasserwerke<br />
regelmäßig ihre Rechnungen aus, die zu bezahlen sind,<br />
136 VT, 10.-12.6.03.<br />
137 VT, 18.-20.3.03.<br />
gleichgültig, ob der Wasserhahn etwas hergibt oder nicht.<br />
3.2.2.2<br />
Trinkwasser<br />
Wasser aus der Leitung entspricht internationalen Standards<br />
nur dann, wenn es frei von Krankheitserregern, vor<br />
allem von Kolibakterien, und wenn es darüber hinaus<br />
farb- und geruchlos sowie frei von Verunreinigungen ist.<br />
Da die Aufbereitungsanlagen teuer sind, bleibt <strong>Laos</strong><br />
auch bei der Beschaffung von sauberem Wasser – wieder<br />
einmal – auf ausländische Unterstützung angewiesen.<br />
Aus finanziellen Gründen können Wasserreinigungsanlagen<br />
auch nicht gleichzeitig im ganzen Land, sondern nur in<br />
bestimmten Bereichen aufgebaut werden. Ein Programm<br />
des französischen Roten Kreuzes unterstützt bspw. fünf<br />
Distrikte in der Provinz Sayaboury und acht Distrikte in<br />
der Provinz Vientiane. 138 Belgien hilft darüber hinaus in<br />
einigen Distrikten in den Provinzen Savannakhet und Saravane.<br />
In Vientiane selbst stehen zz. täglich 100.000 m 3<br />
zur Verfügung, während 130.000 m 3 benötigt würden. 139<br />
Nach Angaben des Direktors der „Laotischen Wasserbehörde“<br />
(Nam Pa Pa Lao) haben in der Hauptstadt<br />
nur 67% der über 300.000 Einwohner Zugang zu Wasser<br />
aus der Leitung; im ganzen Land seien es überhaupt nur<br />
50%. 140<br />
Für den Bau größerer Wassertanks fehlt es überall an<br />
Geld.<br />
Kein Wunder, dass sich die laotischen Spezialisten<br />
mittlerweile überall Rat holen, wo sie ihn bekommen können,<br />
also auch in den Nachbarländern <strong>Kambodscha</strong> und<br />
Thailand, wo die Erfahrungen im Umgang mit Wasser<br />
fortgeschrittener sind. Von <strong>Kambodscha</strong> will man vor allem<br />
die Erfahrungen mit der Beteiligung des Privatsektors<br />
an der Wasserversorgung übernehmen. In Vientiane<br />
hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dass eine rein<br />
staatlich organisierte Wasserversorgung den Anforderungen<br />
des Marktes auf die Dauer nicht gerecht werden kann.<br />
Noch vor wenigen Jahren hatte die Wasserversorgung z.B.<br />
auch in <strong>Kambodscha</strong> ganz in der Hand des Staates gelegen,<br />
und überdies hatte Wasser dort nichts gekostet. Beide<br />
Modalitäten sind mittlerweile ins Gegenteil verkehrt<br />
worden – und zwar mit durchschlagendem Erfolg. 141<br />
Für einige wenige Teilnehmer am Aufbauprozess hat<br />
die Wasserknappheit auch Vorteile: Sie ist z.B. Hauptursache<br />
für die beträchtlichen wirtschaftlichen Erfolge der<br />
neuen Mineralwasserindustrie, die vor allem von der laotischen<br />
Staatsbrauerei beherrscht wird. Eines dieser Unternehmen<br />
verkauft mittlerweile Trinkwasser unter der<br />
Marke „Tigerkopf“, dessen Sicherheit nicht nur durch den<br />
Stempel des Cor Or Yor („Nahrungs- und Pharmazieamt“),<br />
sondern auch durch eine entsprechende Referenznummer<br />
garantiert wird.<br />
Auch Konkurrenzunternehmen, die mittlerweile auf<br />
den Markt drängen, bedrucken die bekannten Plastikflaschen<br />
mit „Cor Or Yor“-Emblemen, ohne allerdings eine<br />
Referenznummer anzufügen. Damit aber kann der Verbraucher<br />
nicht mehr sicher sein, ob das Trinkwasser nicht<br />
138 VT, 12.-14.8.03.<br />
139 VT, 17.-19.6.03.<br />
140 VT, 12.-14.8.03.<br />
141 Ebenda.
SÜDOSTASIEN aktuell - 554 - November 2003<br />
letztlich doch aus ungesicherten Quellen stammt. 142<br />
3.2.2.3<br />
Wasser für den Reisanbau<br />
Fast genauso wichtig wie das Trinkwasser ist im Reisbauernland<br />
<strong>Laos</strong> das Wasser für die Felderberieselung. Da<br />
in <strong>Laos</strong> – ganz im Gegensatz zu großen Teilen von <strong>Vietnam</strong><br />
– Nassreisterrassenanlagen eher die Ausnahme sind,<br />
wurde die Möglichkeit der Gewinnung von Reis in der<br />
Trockenzeit bisher verschenkt. Angesichts einer raschen<br />
Bevölkerungszunahme (1975 lebten in <strong>Laos</strong> 3 Millionen<br />
Menschen, 2000 waren es 5,3 Millionen und 2015 werden<br />
es wahrscheinlich 7,3 Millionen sein) kann sich das Land<br />
diesen Verzicht auf Trockenzeiternten künftig nicht mehr<br />
leisten.<br />
Die Politik hat aus dieser Erkenntnis mittlerweile die<br />
ersten Konsequenzen gezogen. Für den Reisanbau während<br />
der Regensaison standen im Jahr 2002 567.600 ha<br />
zur Verfügung – von denen am Ende 1,8 Mio. t Reis gewonnen<br />
wurden. Und während der Trockensaison im gleichen<br />
Jahr waren es auch hier bereits 81.800 ha, auf denen<br />
Reis angebaut wurde, und zwar mit einem Ernteergebnis<br />
von 369.100 t.<br />
Für das Erntejahr 2003/2004 sind 550.000 ha in der<br />
Monsunzeit und 115.000 ha in der Trockenzeit vorgesehen.<br />
Während der Monsunzeit sollen pro Hektar 3,5 t gewonnen<br />
werden – mit einem Endergebnis von 1.925.000<br />
t Reis; in der Trockenzeit werden pro Hektar 4,5 t (also<br />
eine Tonne mehr!) erwartet – mit einem Endergebnis von<br />
517.500 t. 143<br />
Pläne dieser Art lassen sich aber nur dann verwirklichen,<br />
wenn auch wirklich genügend Terrassenfelder bereit<br />
stehen und überdies genügend Wasser auf die Felder geleitet<br />
werden kann.<br />
Ein gutes Beispiel für den Aufbau von Bewässerungssystemen<br />
ist die Irrigation des Dorfes Viengkham Tae in<br />
der Provinz Vientiane, wo im Zeitraum zwischen 1. Februar<br />
und 29. März 2003 mit einem Kostenaufwand von<br />
rund US$ 200.000 Bauarbeiten durchgeführt wurden, die<br />
dazu führten, dass in der Regensaison 150 ha und in der<br />
Trockensaison 85 ha sicher mit Wasser versorgt werden<br />
können. Damit ist für die 136 Familien des Dorfes (= 661<br />
Personen insgesamt) in jedem Fall die Selbstversorgung<br />
sowie die Möglichkeit gesichert, im Nebenerwerb Büffel<br />
und Kühe zu züchten, die dann weiterverkauft werden.<br />
Unter dem früheren System konnten die Bauern zwar<br />
jedes Jahr einen Hektar (= 6 Rai) mit Reis bebauen, während<br />
der Trockenzeit aber musste das knappe Wasser mit<br />
den Nachbarfamilien geteilt werden, sodass nur 2 Rai (=<br />
rund 3.200 m 2 ) bestellt werden konnten – ein herber Verlust<br />
für die Bauern. Dies hat sich mittlerweile grundlegend<br />
geändert.<br />
Bei der Modernisierung des Bewässerungssystems wollen<br />
die Laoten künftig vor allem von der Zusammenarbeit<br />
mit zwei Ländern besonders profitieren, nämlich von Japan<br />
und von Thailand: Japan hat sich verpflichtet, einen<br />
Gesamtplan mit Perspektiven bis zum Jahr 2020 auszuarbeiten<br />
und hierbei dem Bewässerungswesen besonderen<br />
Vorrang einzuräumen. 144<br />
142 VT, 5.-7.8.03.<br />
143 VT, 12.-14.8.03.<br />
144 VT, 4.-6.7.00.<br />
Was die Thais anbelangt, so sind sie in ganz Asien<br />
für ihre raffinierten Irrigationssysteme bekannt - und<br />
werden deshalb auch besonders häufig konsultiert. 145<br />
Die Nassreisbewässerungstechnik der Thais lässt sich<br />
mit vier Stichworten charakterisieren: muong-phae-lailinh<br />
(muong = „Hauptkanal“, der vom phae zu den Reisfeldern<br />
führt; phae = „Wassersammeltank“, der mit Hilfe<br />
von Steinen am Berghang verankert ist; lai =„Nebenkanal“<br />
vom muong zum einzelnen Reisfeld; linh =„Bambusröhrensystem“,<br />
mit dessen Hilfe Wasser oft über viele<br />
Kilometer hinweg sowohl zu den Reisfeldern als auch zu<br />
den Wohnhäusern geführt wird.) 146<br />
Die brillante Technik der Thais im Umgang mit<br />
Wasser ermöglicht sogar temporäre Fischzucht in den<br />
Nassreisfeldern. Fische dienen den Bauern nicht nur als<br />
Proteinquelle, sondern sind bereits vor dem Fang als<br />
Insekten- und Unkrautvertilger nützlich.<br />
Wo Wasser knapp wird, bauen die Thais Trockenreis<br />
an, der klebrig ist und meist in den Hohlräumen von Bambusröhren<br />
zum Verzehr aufbewahrt und zum Verkauf angeboten<br />
wird.<br />
Hier bieten sich also interessante Modelle an.<br />
In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden,<br />
dass Irrigation die weltweit wohl wichtigste Wasserverwendungsweise<br />
ist. Rund 60% der weltweiten Frischwasserreserven<br />
fließen in die Feldbewässerung, wobei als<br />
Hauptquelle Flüsse, Seen, Reservoire und Brunnen dienen.<br />
Jahrhundertelang hat sich <strong>Laos</strong> bei der Bewässerung<br />
auf die Natur (und ihre Zufälligkeiten) verlassen. In Zukunft<br />
soll hier der Mensch immer mehr Arbeitsgänge in<br />
die Hand nehmen. Vor allem sollen die hohen Mengen an<br />
bisher verloren gegangenem Wasser aufgespart und rationell<br />
neu verteilt werden. Selbst wenn hoch technisierte<br />
Anlagen (in Form von Einzel- und Reihenregnern) noch<br />
lange Zeit Zukunftsmusik bleiben dürften, ist doch schon<br />
viel gewonnen, wenn der hydrologische Reichtum nicht<br />
einfach sich selbst überlassen, sondern sorgsamer gepflegt<br />
wird.<br />
In einem Bauernland wie <strong>Laos</strong> hat Entwicklung langfristig<br />
also auch viel mit sorgfältigem Wasserumgang zu<br />
tun.<br />
3.2.3<br />
Auferstanden aus Ruinen? Die laotische Fluggesellschaft<br />
in neuem Gewand<br />
Am 18. Juli 2003 begann für die laotische Fluggesellschaft<br />
eine „völlig neue geschichtliche Phase“, wie es offiziell hieß,<br />
nämlich unter neuem Namen, mit neuem Aussehen und<br />
mit einem neuen Flugzeug. 147<br />
– Die Gesellschaft nennt sich jetzt nicht mehr „Lao Aviation“,<br />
sondern „Lao Airlines“.<br />
– Auch der Anstrich der Flugzeuge hat sich geändert:<br />
Der gesamte Corpus ist weiß gehalten, das Flügelelement<br />
aber dunkelblau gestrichen. Wo bei der Lufthansa<br />
das Kranich-Symbol angebracht ist, leuchtet auf<br />
den Flugzeugen der Lao Airlines jetzt eine Frangipani-<br />
Blüte (Dok Champa), die Nationalblume des Landes.<br />
145 VT, 8.-11.9.00.<br />
146 Weitere Einzelheiten dazu in SOAa, 2/2003, S.171.<br />
147 VT, 18.-21.7.03.
SÜDOSTASIEN aktuell - 555 - November 2003<br />
– Außerdem hat die LA am 18. Juli ihr erstes modernes<br />
Flugzeug vom Typ A320 erhalten, das den veralteten<br />
„Arbeitspferden“ vom Typ ATR72 und Y12 zur Seite<br />
gestellt wird.<br />
Das neue Erscheinungsbild steht im Zusammenhang mit<br />
einem ehrgeizigen Entwicklungsprogramm, das 2002/2003<br />
von einem französischen Ratgeberteam vorgeschlagen<br />
worden ist.<br />
Im Mittelpunkt dieses Plans stand die Anschaffung eines<br />
modernen Flugzeugs, das der Wettbewerbsfähigkeit<br />
der LA auf die Sprünge helfen sollte, vor allem auf internationalen<br />
Strecken.<br />
Die Fluggesellschaft war bereits 1977 gegründet worden<br />
– also ein Jahr nach dem Sieg des Pathet Lao über<br />
das königliche <strong>Laos</strong>.<br />
Mitte der neunziger Jahre hatte sich das Flugnetz über<br />
rein innerlaotische Destinationen hinaus auch auf internationale<br />
Ziele ausgedehnt. Anflugorte waren in Thailand<br />
die beiden Städte Bangkok und Chiang Mai, in <strong>Vietnam</strong><br />
Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, in <strong>Kambodscha</strong> Phnom<br />
Penh, in China Kunming und in Myanmar Yangon.<br />
Als weitere Zielorte waren schon damals Hongkong,<br />
Xishuangbanna (in der VR China), Kuala Lumpur und<br />
Singapur ins Auge gefasst worden. 148<br />
Anfang 2001 kamen weitere Zielorte in Nachbarländern<br />
hinzu, nämlich das thailändische Nan und das vietnamesische<br />
Dien Bien Phu. 149<br />
Im Zuge der Neuentwicklung will sich LA nun zu einem<br />
der führenden Anbieter innerhalb der CLMV-Region<br />
(<strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>, Myanmar, <strong>Vietnam</strong>) entwickeln. 150<br />
Bald schon sollen weitere Airbusse angeschafft werden.<br />
Um das Gewicht stemmen zu können, das sie sich vorgenommen<br />
hat, ist die LA mit Airbus Industries und mit<br />
den <strong>Vietnam</strong> Airlines zusammengegangen – letztere sollen<br />
vor allem die Ausbildung von Flugpersonal, Airbus<br />
Industries aber eine geregelte Versorgung mit Ersatzteilen<br />
garantieren.<br />
Die Neuausrichtung der LA kam, wie immer wieder betont<br />
wurde, zu einem Zeitpunkt, als die Terrorismus- und<br />
die SARS-Krisen gerade im Abklingen waren und neue<br />
Hoffnungen auf touristischen Zuspruch aufkeimten.<br />
Verglichen mit den meisten Luftfahrtgesellschaften der<br />
Nachbarstaaten ist LA zwar noch ein Zwerg; da sie jedoch<br />
das Monopol in der LDVR hat und da dem Tourismus<br />
offensichtlich goldene Zeiten ins Haus stehen, könnten sich<br />
einige der optimistischen Hoffnungen durchaus erfüllen.<br />
Dies ist umso überraschender, als Lao Aviation erst vor<br />
kurzem finanziell heftig ins Schleudern gekommen war.<br />
Ende Februar 1998 bspw. hatte sich die US-Leasingfirma<br />
„International Aircraft Leasing“ geweigert, der Lao Aviation<br />
ihr damals größtes Flugzeug, nämlich eine Boeing 737<br />
weiterhin zur Verfügung zu stellen, da die Fluglinie mit<br />
den rückständigen Zahlungen in Verzug geraten sei. 151<br />
3.3<br />
Außenpolitik<br />
3.3.1<br />
Zusammenarbeit mit vier anderen Ländern bei<br />
der Drogenbekämpfung<br />
Einzelheiten zum neuen Schulterschluss siehe oben unter<br />
3.1.1.1.<br />
148 Karte in SOAa 6/1995, S.490.<br />
149 Dazu SOAa, 2/2001, S.168f.<br />
150 VT, 18.-21-7.03.<br />
151 Dazu SOAa, 3/1998, S.240.