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5-6 / 13<br />

Zeitung Rheinland-Pfalz<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz • www.gew-rlp.de<br />

<strong>GEW</strong> - Bildungstage:<br />

• Gymnasialtag<br />

• Tag der beruflichen Bildung<br />

Foto: Bert Butzke, Mülheim a.d.R.


Editorial<br />

Freud und Leid beim Zeitungsmachen<br />

Nach dieser<br />

Doppelausgabe<br />

Mai/Juni können<br />

Redaktion und<br />

Verlag mal kurz<br />

durchschnaufen,<br />

denn vier<br />

Zeitungen hintereinander<br />

zu<br />

produzieren, ist<br />

immer wieder<br />

eine Herausforderung.<br />

Dies hat insbesondere mit unserem<br />

Konzept zu tun: Wir produzieren<br />

keine langfristig geplante Fachzeitschrift,<br />

sondern wir basteln aus dem uns zugehenden<br />

Material, selbst geschriebenen<br />

Berichten (z. B. über <strong>GEW</strong>-Veranstaltungen)<br />

sowie Texten aus anderen Quellen<br />

unser Blatt, wobei sich oft erst im Laufe<br />

der Herstellung eine stimmige Struktur<br />

herauskristallisiert.<br />

Wir bleiben bei diesem Konzept - auch<br />

wenn es nicht immer einfach ist -, weil<br />

wir auf eine gewisse Aktualität nicht<br />

verzichten möchten und insbesondere<br />

unseren Mitgliedern, die mit ihren Beiträgen<br />

unsere <strong>GEW</strong>-Zeitung schließlich<br />

finanzieren, ein Forum geben wollen, in<br />

dem sie sich artikulieren können. Wäre alles<br />

schon über Monate verplant, könnten<br />

wir beispielsweise eine neue Serie wie die<br />

Berichte pensionierter Kollegen über ihr<br />

„Lehrer-Leben“ kaum unterbringen.<br />

Vom Sichten des eingegangenen Materials<br />

bis zur Kontrolle des Layouts bleiben<br />

uns in der Regel zwei Wochen Zeit, um<br />

eine Ausgabe auf die Beine zu stellen.<br />

Dabei gibt es einiges, was uns die Arbeit<br />

erleichtert, und umgekehrt natürlich auch<br />

einiges, was sie erschwert.<br />

Erleichternd ist das Wissen um feste Mitarbeiter,<br />

die kompetent und verlässlich<br />

ihre Beiträge abliefern. Und wenn diese<br />

dann noch so perfekt geschrieben sind,<br />

dass nichts daran verbessert werden<br />

muss, freut sich das Redakteursherz.<br />

Beruhigend ist auch, Quellen für gutes<br />

Gestaltungsmaterial wie Karikaturen,<br />

Cartoons und Profifotos zu haben.<br />

Da Zeitungsarbeit stets auf einen Termin<br />

gerichtet ist, muss die Kooperation<br />

innerhalb der Redaktion und mit dem<br />

Verlag reibungslos und ohne unnötige,<br />

zeitraubende Debatten ablaufen. Für<br />

persönliche Eitelkeiten und Wichtigtuerei<br />

– beides nicht selten in politischen Gremien<br />

zu erleben - ist da kein Platz. Auch<br />

in dieser Hinsicht haben wir zum Glück<br />

keine Probleme.<br />

Erschwernisse<br />

Natürlich erschwert uns niemand wissentlich<br />

oder gar bösartig die Arbeit,<br />

dennoch gibt es Arbeitsweisen, die uns<br />

in Schwierigkeiten bringen. Wie oben<br />

schon gesagt: Zeitungsarbeit ist Terminsache.<br />

Wenn vereinbarte Beiträge nicht<br />

pünktlich kommen, bringt uns das in die<br />

Bredouille, auch wenn wir einen gewissen<br />

Zeitpuffer einplanen. Für eine „letzte Meldung“<br />

ist immer Platz, wenn aber fast alle<br />

Beiträge als „letzte Meldungen“ eingehen,<br />

müssen wir kapitulieren. Zum Glück ist<br />

es uns noch nicht so ergangen wie einer<br />

anderen <strong>GEW</strong>-Landeszeitung, die wegen<br />

fehlender bzw. zu später Beiträge einmal<br />

gar nicht erschienen ist.<br />

Woher die Verspätungen kommen, ist<br />

schwer zu erklären. Ein Faktor ist sicherlich<br />

die hohe Arbeitsbelastung vieler<br />

Funktionäre, denen es aus Verantwortungsbewusstsein<br />

schwer fällt, nein zu<br />

sagen, wenn Aufgaben verteilt werden.<br />

Vielleicht gibt es auch eine ganz banale<br />

Erklärung: Dem einen fällt das Schreiben<br />

leichter, dem anderen schwerer. Keiner ist<br />

auf allen Gebieten gut. Wer sich wie der<br />

Verfasser dieses Editorials bei handwerklichen<br />

Tätigkeiten an der Debilitätsgrenze<br />

bewegt, hat größtes Verständnis für<br />

Menschen mit Schwächen auf anderen<br />

Gebieten.<br />

Wenn man das Stichwort „Schreibhemmungen“<br />

googelt, kommen unter dem<br />

Fachbegriff „Schreibblockaden“ eine<br />

ganze Reihe guter Tipps. Ratsam ist zum<br />

Beispiel das „Warmschreiben“: Bevor ich<br />

mich an einen schwierigen Fachtext setze,<br />

schreibe ich erst mal eine Glosse, die mir<br />

locker von der Hand geht, oder auch nur<br />

ein paar Zeilen an nette Mitmenschen.<br />

In gewisser Weise muss man als Autor<br />

auch eine gewisse Chuzpe haben und<br />

sagen: „So, das war´s jetzt, durch ewiges<br />

Verändern wird mein Text nicht mehr<br />

besser.“ So toll die moderne Textverarbeitung<br />

ist: Früher konnte kein Artikel<br />

x-mal umgeschrieben werden, und im<br />

Endeffekt waren die Beiträge bestimmt<br />

nicht schlechter.<br />

Ärgerlich für Redakteure ist zudem, wenn<br />

Längevorgaben nicht eingehalten werden.<br />

Manche Verfasser sind so auf ihr Thema<br />

fixiert, dass sie gar nicht überlegen, ob<br />

ihre Ausführungen andere tatsächlich in<br />

dieser Länge interessieren. Wenn – fiktiv<br />

gedacht - ein Kreisverband bspw. eine<br />

Tour an eine historische Stätte organisiert,<br />

ist das lobens- und berichtenswert … aber<br />

nur in gewissem Maße, denn episch lange<br />

Ausführungen über historische Ereignisse<br />

sprengen ganz einfach unseren Rahmen.<br />

Zum Glück werden in solchen Fällen Kürzungen<br />

der Redaktion in der Regel ohne<br />

Murren akzeptiert. Ist aber anstrengend.<br />

Wenig Freude bereiten schlampig geschriebene<br />

Texte: da falsche Anführungszeichen,<br />

dort unnötige Leerzeilen etc., das<br />

nervt. Ebenso übrigens die Umkehrung:<br />

der vermeintliche Perfektionismus, uns<br />

bereits fertig gestaltete Seiten vorzulegen,<br />

die aber gar nicht in unser Seitenlayout<br />

passen. Am besten noch als <strong>PDF</strong>, um Veränderungen<br />

zu verhindern.<br />

Hammerthema Personenfotos<br />

Zum Abschluss noch das absolute Hammerthema,<br />

das Zeitungsmacher zur<br />

Verzweiflung bringen kann: die Personenfotos.<br />

Es gibt in manchen Medien<br />

durchaus den manipulativen Umgang<br />

damit, um jemand in schlechtem Licht<br />

erscheinen zu lassen. Uns ist das völlig<br />

fremd. Dennoch bekommen wir immer<br />

wieder Beschwerden, weil sich jemand<br />

auf Fotos nicht gefällt. Wer denken dann:<br />

„Hey, so gut siehst du in natura eigentlich<br />

selten aus…“<br />

Vielleicht gibt es auch hier den Fluch der<br />

modernen Technik: Moderne Bildbearbeitung<br />

vermag ja tatsächlich aus dem<br />

sprichwörtlichen Ackergaul ein optisches<br />

Rennpferd zu machen. Aber sehen wir<br />

auch das positiv: Wir sind geistig dermaßen<br />

jung geblieben, dass unser Äußeres<br />

einfach nicht zu unserem Inneren passt.<br />

„Ja, der Redakteur hat es wirklich schwör“,<br />

mag der geneigte Leser nun denken.<br />

Stimmt nicht. Der Redakteur ist beneidenswert,<br />

weil er im Gegensatz zu seinem<br />

Hauptberuf als Pädagoge das Produkt<br />

seiner Bemühungen zu einem gewissen<br />

Zeitpunkt in der Hand halten kann. Bitte<br />

nicht „balla balla“ denken, wenn er<br />

dann da sitzt und das Heft immer wieder<br />

durchblättert.<br />

Günter Helfrich<br />

2 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bestehendes Schulsystem ohne Sitzenbleiben:<br />

ein Widerspruch in sich<br />

Frieder Bechberger-Derscheidt<br />

Tarif- und Besoldungsrunde Kommentare 2013<br />

Die Diskussion um Sinn und Unsinn des<br />

zwangsweisen Sitzenbleibens ist – wie<br />

viele andere Diskussionen im und um das<br />

Bildungssystem – verlogen und scheinheilig.<br />

Ein Schulsystem, das – außer in<br />

Deutschland und Österreich – so früh<br />

wie sonst nirgendwo auf der Welt Kinder<br />

trennt und nicht gleichwertigen Schularten<br />

zuweist, braucht Instrumente der<br />

Auslese, der Trennung, der Abspaltung.<br />

Eines dieser Instrumente ist das zwangsweise<br />

Sitzenbleiben, das Pädagoginnen<br />

und Pädagogen in Grundschulen und<br />

den traditionellen Schularten der Sekundarstufe<br />

I in Deutschland von alters her<br />

zur Verfügung steht – trotz aller immer<br />

wieder auftretenden Diskussionen offensichtlich<br />

in großem gesellschaftlichen<br />

Konsens.<br />

Dieser wird auch nicht durch die empirisch<br />

längst gesicherte Erkenntnis in Frage<br />

gestellt, dass Sitzenbleiben höchstens<br />

ausnahmsweise, im Einzelfall, einen<br />

positiven pädagogischen Effekt haben<br />

kann. Von diesem Wissen machen Länder<br />

mit Schulsystemen, die demokratischen<br />

Grundsätzen entsprechen, vorneweg<br />

die Skandinavier, schon lange Gebrauch.<br />

Dort gibt es diesen Zwangsmechanismus<br />

nicht, auch keine Noten bis zur 8. oder<br />

9. Klasse. Die Erfahrungen dieser Länder<br />

mit Verzicht auf dieses vermeintlich als<br />

nützlich und unverzichtbar gepriesene pädagogische<br />

Instrument sind offenkundig<br />

so gut, dass dort niemand daran denkt,<br />

etwas Vergleichbares an selektivem Instrumentarium<br />

einzuführen.<br />

Gewiss: Die Sensibilisierung im Umgang<br />

mit dieser harten Maßnahme schwarzer<br />

Pädagogik hat zugenommen, es lässt sich<br />

ein Unwohlsein feststellen, was die immer<br />

wieder auftretenden Debatten zeigen.<br />

„Phantom-Debatte“ nennt dies Doris<br />

Ahnen. Sie sind deshalb wenig weiterführend,<br />

weil sie zu keinen Konsequenzen<br />

führen, „Phantom-Debatten“ eben.<br />

Dennoch werden sie geführt. Die typisch<br />

rheinland-pfälzische Konsequenz zur Lösung<br />

eines solchen Streits, wie bei vielen<br />

anderen bildungspolitischen Streitsachen<br />

auch, kann dabei einerseitsdie zeitliche<br />

Verschiebung sein, andererseits soll in<br />

Foto: Paul Schwarz<br />

sog. „Modellversuchen“ getestet werden,<br />

„wie man ´Ehrenrunden` überflüssig<br />

machen könne“ (Rheinpfalz/8.3.13). An<br />

einem solchen „Versuch“ sind dann für<br />

eine Reihe von Jahren nur sehr wenige<br />

Schulen beteiligt, während die große<br />

Mehrheit so weitermachen kann, als gebe<br />

es diese Debatte nicht.<br />

Modellversuche zu einer solchen<br />

Uraltfrage der Schulwirklichkeit?<br />

Die Bildungsministerin wird damit erneut<br />

selbst zur Akteurin in dieser „Phantom-<br />

Debatte“, so als wüsste sie nicht, dass es<br />

seit 40 Jahren staatliche Schulen gibt, die<br />

in der Sek. I auf zwangsweises Wiederholen<br />

verzichten, Wiederholen dort nur freiwillig<br />

vorkommt und selbstverständlich<br />

am Ende der Sek. I Abschlüsse stehen, die<br />

im Falle des Nichterreichens auch wiederholt<br />

werden müssen. Es sind die IGSen, die<br />

über ihre Differenzierungspraxis Zwangswiederholungen<br />

überflüssig machen, wie<br />

gesagt, seit ihrem Bestehen im Jahr 1973!<br />

Deren Praxis hat sich bewährt und ist nie<br />

in Frage gestellt worden, auch nicht, als<br />

die CDU noch an der Regierung war.<br />

Darüber hinaus läuft seit 2005 der Schulversuch<br />

„Eigenverantwortliche Schule“,<br />

der es den beteiligten Schulen ermöglicht<br />

– neben anderen pädagogischen<br />

Möglichkeiten, auch denen der Schulund<br />

Personalentwicklung -, auf selektive<br />

Maßnahmen zu verzichten, also auch<br />

auf das zwangsweise Wiederholen. Der<br />

Schulversuch ist evaluiert, soll jetzt aber<br />

wohl verlängert werden, statt mit den<br />

Ergebnissen in die Breite zu gehen und<br />

grundsätzlich allen Schulen die gleichen,<br />

erprobten Möglichkeiten einzuräumen.<br />

Es läuft also auf diesem Hintergrund eine<br />

mehr als merkwürdige Diskussion, die<br />

schulische Alltagsrealitäten in diesem<br />

Land ignoriert und somit pädagogische Erfahrungen<br />

und Erkenntnisse diskreditiert.<br />

Auch die GRÜNEN üben hier Koalitionsdisziplin,<br />

wenn auch mit ein wenig<br />

Widerspruch, der jedoch ebenso konsequenzlos<br />

bleibt. Wenn Ruth Ratter<br />

als bildungspolitische Sprecherin der<br />

GRÜNEN-Landtagsfraktion zwar erkennt,<br />

dass „Sitzenbleiben die betroffenen<br />

Schüler traumatisiere“ und es „jedoch wo<br />

immer möglich durch andere Formen der<br />

Beurteilung von Lernfortschritten ersetzt<br />

werden“ müsse, sollte das Fazit eigentlich<br />

klar sein, nämlich weg mit dieser Ursache<br />

von Traumatisierungen. Aber nein, auch<br />

sie bleibt dabei: „Wir wollen das Sitzenbleiben<br />

nicht abschaffen“, nimmt sie<br />

diszipliniert Stellung in dieser „Phantom-<br />

Debatte“ (RP/8.3.13).<br />

Warum eigentlich nicht? Es gibt sicher<br />

einen Grund auf der Oberfläche der<br />

Debatte. Wie so oft glaubte die Koalition<br />

oder früher die SPD in der Alleinregierung,<br />

sich nicht allzu sehr und allzu lange den<br />

Attacken der Opposition aussetzen zu<br />

müssen; denn die CDU hierzulande war es<br />

u.a., die nach der Koalitionsvereinbarung<br />

der neuen niedersächsischen rot-grünen<br />

Landesregierung deren Entscheidung,<br />

auf das zwangsweise Wiederholen zu<br />

verzichten, kritisiert, damit die Diskussion<br />

hochgezogen und versucht hat, die<br />

rheinland-pfälzischen Rot-Grünen vor<br />

sich herzutreiben. Was früher fast immer<br />

gelang, funktionierte auch dieses Mal:<br />

„Auch wir wollen das zwangsweise Sitzenbleiben<br />

beibehalten, also kein Grund<br />

zur Aufregung“, beruhigen Regierung und<br />

Koalition die Opposition. Damit gewinnt<br />

man Zeit (s. Schulversuch), verheddert<br />

sich aber auch (s. Ruth Ratter) und schafft<br />

„Ruhe im Land“, Streit ist unbeliebt, zumal<br />

im Schulbereich.<br />

Es gibt sicher aber auch einen tiefer liegenden<br />

Grund, den Rot-Grün nicht gerne<br />

zugeben will, der sicher auch im Hinblick<br />

auf die beiden Parteien differenziert zu<br />

betrachten ist: Es ist das Festhalten am<br />

gegliederten Schulsystem, das nun einmal<br />

nur dann funktioniert, wenn Auslese seine<br />

Basis bleibt. Notengebung, weitgehender<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

3


Kommentare<br />

Verzicht auf differenziertes Lernen und<br />

individuelle Förderung, insbesondere in<br />

der Sek. I, zwangsweises Sitzenbleiben,<br />

„Abschulungen“ , trotz UN-Behindertenrechtskonvention<br />

unbeirrbares Festhalten<br />

am Förderschulsystem etc. sind ihre wichtigsten<br />

Elemente, auf die die bildungspolitischen<br />

Entscheider glauben, nicht<br />

verzichten zu können. Dieses selektive<br />

Schulsystem muss schließlich weiterhin<br />

bedient werden, um trotz seiner unübersehbaren<br />

Dysfunktionalität irgendwie<br />

funktionsfähig zu bleiben.<br />

Rot-Grün hält daran fest, im Widerspruch<br />

zur je eigenen Programmatik und eigenen<br />

Geschichte wie auch im Widerspruch zur<br />

empirischen Forschung, deren umfassende<br />

Ergebnisse schon lange vorliegen,<br />

mehr als gewichtige Gründe, um sich<br />

längst klar gegen dieses „Phantom“ zur<br />

Wehr setzen und es in den Asservatenschrank<br />

wilhelminischer Pädagogik zu<br />

Karzer, Prügelstrafe und Psychoterror<br />

sperren zu können.<br />

Leider ist offensichtlich auch der vermeintlich<br />

aufgeklärte Teil der Bildungspolitik<br />

nicht bereit, auf solche in der<br />

Regel demütigende und aussondernde<br />

Maßnahmen zu verzichten. Was fehlt, sind<br />

nicht neue oder perpetuierte Schulversuche,<br />

sondern eine klare Positionierung<br />

zu einem fördernden, weitgehend auf<br />

Auslese verzichtenden Schulsystem und<br />

den entsprechenden Schulen dazu. Dass<br />

es diese Schulen bei uns gibt, die zeigen,<br />

dass in diesem Sinne zur Zufriedenheit<br />

aller erfolgreicher Unterricht Selektion<br />

nicht braucht, ist auf dem Hintergrund<br />

des gegliederten Schulsystems eigentlich<br />

ein Wunder. Diese Schulen müssen viel<br />

stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen<br />

pädagogischen Interesses gerückt<br />

werden. Sie sollten die Messlatte für die<br />

machbare andere Schule sein; denn sie<br />

repräsentieren eigentlich das, was sein<br />

müsste, in unserem System sind sie jedoch<br />

dazu verurteilt, die Ausnahme bleiben zu<br />

müssen. Auch die beste offizielle Unterstützung<br />

durch Lob, Auszeichnung oder<br />

Landespreise, die ohnehin meist nur das<br />

schlechte Gewissen der preisverleihenden<br />

Bildungspolitiker entlasten, ändert an<br />

ihrem politischen Versagen, ihrer Mutlosigkeit<br />

und Konfliktscheu kaum etwas.<br />

Wann wird die Politik wider besseres<br />

Wissen endlich der Vergangenheit angehören?<br />

Wir hatten gehofft, es geschehe in<br />

dieser Legislaturperiode. Nach nunmehr<br />

zwei Jahren rot-grüner Bildungspolitik<br />

scheint diese Hoffnung erneut zu trügen.<br />

Von Klagehelden und Astabsägern -<br />

oder: Muss denn Streiken Sünde sein?<br />

Udo Küssner<br />

Welch ein Sturm der Entrüstung, als die<br />

<strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz Anfang März auch<br />

Lehrkräfte im Beamtenverhältnis dazu<br />

aufrief, am Warnstreik der Tarifbeschäftigten<br />

aktiv teilzunehmen, gegen das 1%<br />

Besoldungsdiktat der Landesregierung<br />

auf die Straße zu gehen und einen Warnstreiktag<br />

lang der Schule fern zu bleiben.<br />

Nein, mokiert hatten sich nicht etwa<br />

Eltern, deren Kinder an diesem Tag nicht<br />

oder nur eingeschränkt Unterricht erfahren<br />

konnten, denn so etwas wie Unterrichtsausfall<br />

gehört für die leidgewohnten<br />

Erziehungsberechtigten schließlich zum<br />

Normalfall. Auch der oberste Dienstherr<br />

blieb eher zurückhaltend und machte das,<br />

was ein Dienstherr in solch einer Situation<br />

wohl machen muss: Er ließ ein Schreiben<br />

an die Schulen verfassen und wies auf<br />

die seiner Auffassung nach rechtswidrige<br />

Streikaktion von Beamten hin. Wer die<br />

<strong>GEW</strong>-Informationen zum Beamtenstreik<br />

vorher gelesen hatte, wusste schon, dass<br />

diese Reaktion zu erwarten war.<br />

Aber wer, wenn nicht diese, sollte dann<br />

Grund zur Entrüstung gehabt haben? Ja<br />

natürlich, die so genannten Interessenvertreter<br />

und -innen diverserer Lehrkräfte!<br />

Denn die müssen ja wohl Schaden von<br />

ihrer Klientel abhalten. Schaden? Wenn<br />

Lehrkräfte im Beamtenverhältnis ob des<br />

Verhaltens ihres Dienstherrn die Nase<br />

nun endgültig voll haben und zum Protest<br />

dagegen mal die Kreide hinwerfen, und<br />

das richtig lautstark und unüberhörbar?<br />

Streikende Beamte? Igitt nein! „Die Schulen<br />

müssen frei bleiben von politischen<br />

und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen“,<br />

sagten diejenigen mit dem<br />

„ph“ und dem Häkchen dahinter. Oder<br />

als „Verfassungsbruch“ titulierten die sich<br />

als für Bildung und Erziehung zuständig<br />

Bezeichnenden eine Streikbeteiligung<br />

von Beamten und behaupteten, solche<br />

Aktivisten sägten damit am Ast ihrer<br />

vermeintlichen Privilegien und die der<br />

anderen. Mit dem Streikaufruf werde<br />

„nicht die Landesregierung, sondern der<br />

Beamtenstatus“ getroffen, meinten die<br />

Realos. Solche Kugeln aus schweren Geschützen<br />

sind bei deren Zielgruppen ganz<br />

sicher auf fruchtbaren Boden gefallen!<br />

Oder etwa doch nicht?<br />

Lehrkräfte im Beamtenstatus sollen im<br />

Lehrerzimmer laut schimpfen und diskutieren,<br />

ja – klagen dürfen sie auch. Aber<br />

dann ist auch mal Schluss mit dem zivilen<br />

Ungehorsam! Der Dienstherr hätte das<br />

alles nicht besser formulieren können.<br />

Für solche Aussagen muss er sich in<br />

Rheinland-Pfalz gar nicht selbst aus dem<br />

Fenster hinauslehnen, dafür hat er seine<br />

Leute, pardon seine Verbände.<br />

Dass Schule ein abgeschirmter Raum sein<br />

soll, in dem Politik und Beschäftigteninteressen<br />

tabu sind, lässt Rückschlüsse auf<br />

die Verfasser solcher Aussagen und deren<br />

gesellschaftspolitisches Selbstverständnis<br />

zu. Mündige Schüler und Staatsbürger, die<br />

Realität aus eigener Anschauung erfahren,<br />

was soll denn das? Wenn das in der Schule<br />

Schule machte! Diskutiere solch eine<br />

Theorie mal mit unseren europäischen<br />

Nachbarn, die als Lehrerinnen und Lehrer<br />

ganz selbstverständlich ihr Menschenrecht<br />

auf Streik wahrnehmen, wenn dies<br />

gesellschaftlich oder gewerkschaftspolitisch<br />

angebracht erscheint, und die bei<br />

4 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Kommentare<br />

Streiks oft von Schülerinnen und Schülern<br />

begleitet werden! Na ja, Zivilcourage zu<br />

lehren oder gar zu praktizieren, war in<br />

Deutschland schon immer schwierig und<br />

nicht gern gesehen.<br />

Und Staatsdiener haben eben dem Staat<br />

zu dienen. Streiken gehört sich für sie<br />

nicht, denn sie sind ihrem Dienstherrn<br />

zur Treue verpflichtet und werden dafür<br />

amtsangemessen alimentiert. Ob das,<br />

was schon vor mehr als 100 Jahren galt<br />

und seitdem nur wenig hinterfragt wurde,<br />

in einem modernen, demokratischen<br />

Staatswesen, in dem überdies internationales<br />

Recht wie z.B. die Europäische<br />

Menschenrechtskonvention unmittelbare<br />

Gesetzeswirkung hat, noch zeitgemäß ist,<br />

muss doch heute durchaus hinterfragt<br />

werden dürfen, ob dies den konservativen<br />

Geistern in unserem Land genehm ist oder<br />

nicht. Ach so: Eine andere Meinung darf<br />

man selbstverständlich zum Streikrecht<br />

von Lehrkräften haben, schließlich leben<br />

wir ja in einem freien und demokratischen<br />

Land! Nur praktizieren, was man denkt,<br />

das geht nun wirklich nicht! Beamte haben<br />

sich zu fügen – basta! Staatsdiener<br />

dienen treu und ergeben ihrem Herrn,<br />

pardon Dienstherrn. Das ist ein Dogma<br />

in unserem Staat, und daran ist nicht zu<br />

rütteln. Und wer dann doch rüttelt, sägt<br />

am eigenen Ast.<br />

Professor Dr. Battis, seines Zeichens<br />

einer der renommiertesten Staats- und<br />

Verfassungsrechtler in Deutschland und<br />

keineswegs als linker Revoluzzer bekannt,<br />

sagte in einem Interview mit der Rheinzeitung<br />

- nach dem Beamtenstreikrecht<br />

in Deutschland befragt - sinngemäß:<br />

Streik von Beamten ist nach deutschem<br />

Rechtsverständnis nicht zulässig. Man<br />

solle aber bedenken: Vor über 100 Jahren<br />

sei im Kaiser-Deutschland auch der Streik<br />

von Arbeitern und Angestellten verboten<br />

gewesen. Hätten diese sich damals nicht<br />

darüber hinweggesetzt und ihr Streikrecht<br />

erkämpf, gäbe es dieses heute nicht.<br />

Die einen zeigen Zivilcourage und streiken<br />

als Beamte, auch um die Bastion namens<br />

Streikverbot zum Wanken zu bringen, die<br />

anderen fallen ihnen in den Rücken und<br />

verunsichern solche, die vielleicht gern<br />

mitgemacht hätten, weil sie über das 1%<br />

Besoldungsdiktat auch stinksauer sind,<br />

aber unter Umständen ein Quäntchen<br />

weniger mutig als die anderen waren<br />

und gezögert hatten. Und dann kamen da<br />

plötzlich die Klagehelden und Astabsäger-<br />

Warner an die Schulen und spielten das<br />

Lied ihres Dienstherren, laute und schrille<br />

Töne, mit erhobenem Zeigefinger am Instrument.<br />

Sie reihten sich damit in die Phalanx<br />

anderer Streikteilnahmebekämpfer<br />

ein. So sollen doch wirklich diverse Schulleiter<br />

auch angestellte Vertretungslehrkräfte<br />

vor einer Streikbeteiligung gewarnt<br />

haben, weil sie damit ihre angestrebte<br />

Beamtenplanstelle gefährdeten. Ja, leben<br />

wir denn in einer Bananenrepublik oder<br />

in einem demokratischen Rechtsstaat, in<br />

dem Beamtenplanstellen nach demokratischen<br />

Regeln und nicht nach dem Goodwill<br />

Einzelner vergeben werden? Und darf<br />

man denn als Schulleiter/in so beliebig<br />

mit einem Grundrecht, dem Streikrecht,<br />

jonglieren, ohne einen Rüffel von oben<br />

befürchten zu müssen?<br />

Rüffel hin, Rüffel her – der Europäische<br />

Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)<br />

hat 2008, 2009 und 2010 dreimal deutlich<br />

in seine Entscheidungen geschrieben,<br />

dass das Streikrecht ein Menschenrecht<br />

ist, das allen Beschäftigten in den Öffentlichen<br />

Diensten der Unterzeichnerländer<br />

zusteht, unabhängig von ihrem Status.<br />

Einschränkungen seien nur im engen<br />

Rahmen möglich, z.B. zur Aufrechterhaltung<br />

von Sicherheit und Ordnung oder<br />

in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge<br />

und der Gesundheit. Also keine<br />

Lehrkräfte, denn über ein Streikverbot<br />

und eine Sanktionierung diesen gegenüber<br />

hatten sie gerade zu entscheiden.<br />

„Ja in der Türkei“, hört man die Zweifler<br />

sagen, „da gibt es kein dem deutschen Beamtentum<br />

vergleichbares Rechtsinstitut!“<br />

Das stimmt allenfalls insoweit, als das<br />

türkische Staatsrecht nicht dem Staatsrechtsverständnis<br />

der Kaiser-Wilhelm-Ära<br />

entstammt. Aber diese Diskussion führt<br />

ins Leere: Wenn der EGMR den Status<br />

eines Beschäftigten für Streikrechtseinschränkungen<br />

nicht gelten lässt, ist ein<br />

Vergleich etwaiger unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse<br />

hinfällig.<br />

Und jetzt kommt die Zeit der Astabsäger-<br />

Warner: Rührt nur nicht am Streikverbot<br />

für die verbeamteten Lehrkräfte, denn<br />

damit werdet ihr deren Beamtenstatus<br />

abschaffen. Wer diese Behauptung mit<br />

den Ausführungen des EGMR abgleicht,<br />

wonach das Streikrecht ein Menschenrecht<br />

ist, muss das Astabsäger-Argument<br />

so interpretieren: Mit dem Beamtenstatus<br />

und seiner amtsangemessenen Alimentation<br />

erkauft sich der Dienstherr den treu<br />

dienenden Beamten und kauft ihm damit<br />

gleichzeitig dessen Menschenrecht auf<br />

Streik ab. Das ist gut so und soll auch so<br />

bleiben. Ja sind denn Menschenrechte<br />

käuflich? Würde man auch gutheißen,<br />

wenn sich Opel oder Mercedes für gutes<br />

Geld einen Verzicht auf das Streikrecht<br />

ihrer Beschäftigten vertraglich zusichern<br />

ließen? Doch wohl kaum!<br />

Ob Lehrkräfte verbeamtet werden oder<br />

nicht, darüber entscheiden ganz allein<br />

finanzielle Erwägungen der politisch<br />

Verantwortlichen. Wer zu Beginn seiner<br />

Lehrertätigkeit ein gewisses Alter erreicht<br />

hat, kommt nicht mehr in den Genuss,<br />

verbeamtet zu werden, denn das käme<br />

dem Dienstherrn zu teuer: nur 20 Jahre<br />

arbeiten und dann lebenslang eine Pension<br />

einstreichen, das geht ja wohl nicht!<br />

In der DDR gab es kein Beamtentum<br />

(Kaiser-Wilhelm und dessen politische<br />

Nachfahren waren dort wohl nicht so<br />

beliebt). Nach der Wende kamen dort<br />

alle Lehrkräfte ins Angestelltenverhältnis.<br />

Warum hat man sie nicht postwendend<br />

verbeamtet? Richtig: Das wäre, Beihilfen<br />

und spätere Pensionen mitgerechnet, zu<br />

teuer geworden. Viele Kolleginnen und<br />

Kollegen in den neuen Bundesländern<br />

waren damals nicht mehr die Jüngsten.<br />

In Berlin werden Lehrkräfte seit einigen<br />

Jahren nicht mehr verbeamtet, nachdem<br />

man aus der Tarifgemeinschaft der Länder<br />

ausgestiegen war und Angestellten weniger<br />

zahlen konnte. In Schleswig-Holstein<br />

hatte man vor Jahren auch Lehrkräfte nur<br />

noch angestellt und dann alles wieder<br />

rückgängig gemacht. Fazit: Über den Beamtenstatus<br />

von Lehrkräften entscheiden<br />

die Finanzminister. Die Frage ihres Streikrechts<br />

ist da eher marginal.<br />

Wenn Verbände, die vorgeben, die Interessen<br />

der Lehrerinnen und Lehrer zu vertreten,<br />

vehement gegen ein Streikrecht<br />

verbeamteter Lehrkräfte argumentieren,<br />

wenn sie also ein Menschenrecht ablehnen,<br />

spricht das doch irgendwie Bände,<br />

oder? Und wenn sie streikenden oder<br />

streikwilligen Kolleginnen und Kollegen<br />

kurz vor einem Arbeitskampf damit lautstark<br />

in den Rücken fallen, doch auch,<br />

nicht wahr? Von solchen Vertretungen<br />

sollte man erwarten können, dass sie<br />

sorgfältig abwägen, bevor sie in der<br />

Schulöffentlichkeit Meinungen verkünden.<br />

Man kann sich des Eindrucks nicht<br />

erwehren, dass dies entweder nicht der<br />

Fall war oder die Aussagen so, wie sie<br />

gefallen sind, übrigens schwarz auf weiß,<br />

auch so gemeint waren. Na, dann wissen<br />

wir ja, woran wir sind!<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

5


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

Gymnasialtag in Mainz<br />

„Die Investitionen in Bildung reichen nicht aus“<br />

Paul Schwarz<br />

„Unstrittig ist die Bedeutung des Gymnasiums<br />

in der Zukunft“, so der <strong>GEW</strong>-<br />

Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer<br />

zu Beginn des Gymnasialtags der <strong>GEW</strong> im<br />

Bildungszentrum Erbacher Hof in Mainz.<br />

Freilich bräuchten die Kolleginnen und<br />

Kollegen mehr Freiräume, um ihre pädagogische<br />

Arbeit zu machen. „Was zurzeit in<br />

Bildung investiert wird, reicht nicht aus“,<br />

sagte er unter dem Beifall der anwesenden<br />

Lehrerinnen und Lehrer. Der jährliche Gehaltszuwachs<br />

für die beamteten Lehrkräfte<br />

müsse höher sein als 1 Prozent, wie ihn die<br />

rheinland-pfälzische Landesregierung bis<br />

2016 festgelegt habe. Und wenn Beamte<br />

dagegen streikten, erfüllten sie nur ein<br />

Menschenrecht und dürften dafür nicht<br />

bestraft werden.<br />

Sybilla Hoffmann vom Leitungsteam Gymnasium<br />

begrüßte mehrere bildungspolitische<br />

Sprecherinnen und Sprecher rheinland-pfälzischer<br />

Parteien und auch den<br />

Vorsitzenden des Landeselternbeirats,<br />

Rudolf Merod. Auch Hoffmann betonte den<br />

pädagogischen Anspruch des Gymnasiums<br />

und fragte, wie künftig wohl die rheinlandpfälzische<br />

Schullandschaft aussehe, ob wir<br />

auf eine Zweigliedrigkeit Gymnasium und<br />

Integrierte Gesamtschule zusteuern.<br />

Folgerichtig lautete dann auch das Grundsatzreferat<br />

von Prof. Dr. Stefan Sell vom<br />

Institut für Bildungs- und Sozialpolitik an der<br />

Fachhochschule Koblenz: „Das Gymnasium<br />

in der Bildungslandschaft von<br />

morgen“.<br />

Die Reformen verunsichern<br />

die Eltern und belasten die<br />

Lehrer zusätzlich<br />

Ein Schulthema zu diskutieren, so Sell<br />

zu Beginn seiner Ausführungen, sei in<br />

Deutschland immer eine „sperrige Sache“,<br />

weil die Debatten gerne als Struktur- bzw.<br />

Zuständigkeitsdebatte geführt werde. Die<br />

bildungspolitische Diskussion sei hierzulande<br />

„extrem schullastig“ und drehe sich<br />

um einen Bereich, der „am schwersten<br />

zu verändern“ sei. Daneben zeigten die<br />

Forschungsbefunde, dass vor, neben und<br />

außerhalb der Schule weit mehr gelernt<br />

oder eben nicht gelernt werde als bislang<br />

wahrgenommen. Die vom Bundesfamilienministerium<br />

und der Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung in Auftrag gegeben Studie „Eltern<br />

– Lehrer – Schul-erfolg“ belege, dass das<br />

Abitur für eine große Mehrheit mittlerweile<br />

als der „einzig akzeptable Schulabschluss“<br />

gelte, um später auf dem Arbeitsmarkt<br />

gute Chancen zu haben. Um dieses Ziel zu<br />

erreichen, setzten die Familien alle Hebel<br />

in Bewegung: „Sie büffeln am Nachmittag<br />

und an den Wochenenden gemeinsam mit<br />

ihren Sprösslingen, teilen die Freizeit ihrer<br />

Kinder entsprechend den Klassenarbeiten<br />

ein und bezahlen Unsummen für Nachhilfeunterricht,<br />

Auslandsaufenthalte oder<br />

Privatschulen, allein für Nachhilfeunterricht<br />

bis zu zwei Milliarden Euro.“<br />

Die unzähligen Reformen der vergangenen<br />

Jahre hätten die Lage keineswegs verbessert,<br />

sondern nur die Familien verunsichert<br />

und die LehrerInnen zusätzlich belastet.<br />

„Für immer mehr Eltern hat die Schule die<br />

Rolle und Bedeutung einer zentralen Zuweisungsstelle<br />

für Lebens-chancen“, sagte Sell.<br />

Resignation bei den<br />

bildungsfernen Eltern<br />

Eingehend auf die soziale Selektivität<br />

betonte der Sozialexperte, dass die Gutbetuchten<br />

auf professionelle Hilfe setzten<br />

und Nachhilfelehrer oder gar Mentoren<br />

für ihren Nachwuchs engagierten. Deshalb<br />

mache sich die Elite im Land wenig Sorgen<br />

um die Erfolgschancen der eigenen Töchter<br />

und Söhne. Ganz anders sei die Situation<br />

der Eltern in der breiten Mittelschicht: Hier<br />

sitze vielen die Angst im Nacken, dass ihre<br />

Kinder es in dem als hart empfundenen<br />

Wettbewerb eines globalisierten Arbeitsmarktes<br />

nicht schaffen könnten. Deshalb<br />

setze das Gros der Eltern auf die eigene Zeit<br />

und auf die Rolle des Hilfslehrers, der den<br />

Unterrichtsstoff permanent mit den Kindern<br />

wiederhole. „75 Prozent aller Mütter fühlen<br />

sich durch die Schule belastet, stellt die<br />

Studie fest.“<br />

Bei den Eltern im unteren sozialen Rand<br />

freilich herrsche Resignation. Diese Familien<br />

fühlten sich früh abgehängt. „Es fehlen<br />

die zeitlichen, finanziellen und Bildungsressourcen,<br />

um bei diesem Wettbewerb<br />

mithalten zu können“ Deshalb gehe bei<br />

den Bildungschancen die Schere immer<br />

weiter auseinander. Auf der einen Seite<br />

gebe es die „Helikopter Eltern“, die übermäßig<br />

besorgt ständig um ihren Nachwuchs<br />

herum seien. Auf der anderen stünden die<br />

Bildungsfernen, die ihren Kindern keinerlei<br />

Unterstützung gewährten. Die Ganztagsangebote<br />

lösten diese Probleme nicht und<br />

überbrückten nicht die soziale Kluft. „Lehrer,<br />

nicht nur an Hauptschulen und in sozialen<br />

Brennpunktschulen, kritisieren, dass sie<br />

sich zunehmend in die Rolle eines Erziehers<br />

gedrängt fühlen“. Aber Lehrerinnen, so Sell,<br />

auch wenn sie noch so gut seien, könnten<br />

den Einfluss der Familie nicht ausgleichen.<br />

Geld müsste deshalb viel stärker in Familien<br />

investiert werden, denn wie einige neuere<br />

Studien zeigten, sei der Einfluss Familienhintergrund<br />

und Familienherkunft doppelt<br />

so stark auf die „Humankapitalentwicklung“<br />

wie Bildungseinrichtungen.<br />

Sell bezeichnete das Gymnasium als die<br />

„neue Haupt-Schule“. Es tobe zwar zwischen<br />

den Anhängern des traditionellen<br />

Gymnasiums und den Befürwortern einer<br />

Gemeinschaftsschule ein Kulturkampf, aber<br />

6 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

das „deutsche Nationalheiligtum“ Gymnasium<br />

sei längst eine Massenveranstaltung<br />

geworden und müsse sich verändern. Die<br />

Anhänger dieser Schulform verteidigten das<br />

Gymnasium als letzten Hort von Ordnung<br />

und Leistung, als verlässlichen Pol, an dem<br />

der Nachwuchs einen moralischen Kompass<br />

ausrichten solle. „Für Bildungsbürger ist es<br />

eine Sache der Ehre, fast der Existenz, dass<br />

ihre Kinder dort bestehen, wo die Weichen<br />

für fast alles Erstrebenswerte im Leben<br />

gestellt werden, für Geld, Titel und gesellschaftliche<br />

Anerkennung.“<br />

Das Gymnasium – nur von<br />

außen eine Erfolgsgeschichte<br />

Nach dem Schulplan von Wilhelm von<br />

Humboldt aus dem Jahr 1809 war das<br />

Gymnasium die Spitze eines leistungsorientierten<br />

Schulsystems, elitär, jedenfalls im<br />

Grundsatz. Für die breite Masse sahen die<br />

preußischen Schulpläne die Volksschule, die<br />

spätere Hauptschule vor und als mittlere<br />

Schulform kam die Realschule hinzu, die vor<br />

allem die Kinder von Gewerbetreibenden<br />

besuchten. „Fertig war das dreigliedrige<br />

Schulsystem, wie es die Bundesrepublik so<br />

lange geprägt hat.“<br />

Doch nur von außen, behauptet Sell, sei das<br />

Gymnasium eine Riesenerfolgsgeschichte,<br />

Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

Hat das Gymnasium eine Zukunft?<br />

Natürlich, wir wollen im Prinzip, dass alle<br />

Schulen Gymnasium sind, an denen man<br />

den höchsten Bildungsabschluss erreichen<br />

kann nach Maßgabe der eigenen Fähigkeiten.<br />

Und wie sieht es mit der Inklusion aus, hat<br />

die Inklusion am Gymnasium eine Chance?<br />

Ich gebe mal wieder, was Mehrheitsmeinung<br />

ist. Wir wollen nur körperlich Behinderte,<br />

die anderen wollen wir nicht. Wir<br />

können uns auch damit rausreden, dass<br />

bei uns die baulichen Voraussetzungen für<br />

beeinträchtigte Kinder und Jugendliche<br />

fehlen.<br />

(Gymnasiallehrer)<br />

Was treibt nach deiner Beobachtung die Kolleginnen<br />

und Kollegen im Gymnasium um?<br />

Was uns umtreibt, ist das Spannungsverhältnis,<br />

dass immer mehr Schüler kommen<br />

und am Gymnasium eine Chance haben<br />

wollen, und wir auf der anderen Seite auch<br />

denn es wachse und wachse, und niemand<br />

könne es aufhalten. „Vor hundert Jahren absolvierte<br />

nur ein Prozent eines Jahrgangs das<br />

Gymnasium, vor 50 Jahren waren es gerade<br />

einmal sechs Prozent. Und heute?“ Bundesweit<br />

seien es 35 Prozent mit steigender<br />

Tendenz. In Großstädten wie Frankfurt liege<br />

die Quote schon jetzt bei 46 Prozent.<br />

Sell: „Das Gymnasium ist die neue Haupt-<br />

Schule der Republik“. Wie lange dürfe man<br />

dann noch von Auslese oder Auswahl sprechen,<br />

wenn die Auserwählten die größte<br />

Gruppe stellten? Und was sei der Preis<br />

für diesen Erfolg? Was vielen Gymnasien<br />

vor allem fehle, so behauptet Sell, sei ein<br />

„Instrumentarium für den Massenbetrieb“.<br />

Im Jahr 2012 verließen 43.899 Schülerinnen<br />

und Schüler die allgemeinbildenden Schulen<br />

in Rheinland-Pfalz. Mehr als ein Drittel<br />

von ihnen (insgesamt 14.852) mit einer<br />

Hochschulreife. Zusammen mit den 9.040<br />

Absolventinnen und Absolventen, die die<br />

Hochschulreife an einer berufsbildenden<br />

Schule erlangt hatten, ergibt sich für das Jahr<br />

2012 eine Studienberechtigtenquote von<br />

51,7 Prozent. Das sind 14,8 Prozentpunkte<br />

mehr als zehn Jahre zuvor. Sell: „Viele Eltern<br />

wissen nicht, dass Abitur auch in Berufsbildenden<br />

Schulen möglich ist.“ Aber hinter all<br />

diesen Zahlen steht das dreigliedrige Schulsystem,<br />

auch unter der Hülle von Realschule<br />

plus, das Sell als „Realschule minus“ bezeichnete.<br />

Auswirkungen solcher Zahlen sieht Sell<br />

vor allem darin, dass viele studieren und<br />

wenige in die Ausbildung gehen. Der starke<br />

Andrang an die Hochschulen habe auch dazu<br />

geführt, dass diese unterfinanziert seien.<br />

Lernen vom Ausland<br />

Angesichts der vielzitierten Globalisierung<br />

lohnt sich nach Sell denn auch ein Blick auf<br />

andere Länder. In Finnland gebe es eine Gemeinschaftsschule<br />

bis zur 9. Klasse, danach<br />

führten drei weitere Jahre zum Abitur oder<br />

in die Ausbildung, auch in Schweden gebe es<br />

eine Gemeinschaftsschule bis zur 9. Klasse,<br />

danach ein Gymnasium von vier Jahren mit<br />

einer praktischen und einer theoretischen<br />

Ausbildung. Auch in Dänemark gebe es bis<br />

zum Ende der 9. Klasse keine Differenzierung,<br />

danach eine sehr starke in die Richtungen<br />

Abitur und Studium bzw. Technik und<br />

Beruf. Auch in Schottland habe es, so Sell,<br />

bis in die 60er Jahre drei Schularten gegeben,<br />

die dann zugunsten der Gesamtschule<br />

abgeschafft worden seien.<br />

Die Erkenntnisse für Deutschland nach dem<br />

Blick auf das Ausland:<br />

1. Zentrale Bildungsziele und Bildungsstandards<br />

sowie die Evaluierung der<br />

Bildungseinrichtungen auf nationaler<br />

bzw. Länder-Ebene,<br />

2. Längeres gemeinsames Lernen,<br />

3. Integrierte (binnendifferenzierte) Schulsysteme,<br />

zumindest bis zur 9. oder 10.<br />

Klassenstufe,<br />

4. Eine echte Ganztägigkeit der Bildungsund<br />

Betreuungseinrichtungen als Regelfall,<br />

5. Mehr Durchlässigkeit für eine Qualifizierung<br />

an den Hochschulen gerade auch<br />

für die praktisch Ausgebildeten.<br />

Sell abschließend: „Wenn wir uns nicht<br />

international orientierten, wird das Gymnasium<br />

absaufen. Das Gymnasium muss neu<br />

aufgestellt werden.“<br />

den gymnasialen Standard halten wollen.<br />

Die Hochschullehrer sagen, wir sollen<br />

Abiturienten liefern mit Lese- und Rechtschreibperfektion<br />

und sollen die Leute für<br />

das Studium fit machen. Die Frage, ob man<br />

diese Spannung meistert, die natürlich auch<br />

persönlich an die Gesundheit und die Kraft<br />

geht. Deshalb wollen wir auch gescheite<br />

Arbeitsbedingungen und an der allgemeinen<br />

Lohnentwicklung beteiligt werden.<br />

(Gymnasiallehrerin)<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

7


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

Hat die Inklusion eine Chance?<br />

Es gibt schon Eltern, die aus der bürgerlichen<br />

Mittelschicht kommen, behinderte<br />

Kinder haben und den Anspruch auf einen<br />

Gymnasialplatz erheben. Wir müssen das<br />

Thema diskutieren, brauchen aber auch<br />

die Ausstattung für solche Kinder. Es bringt<br />

nichts, in großen Klassen, die nach allen<br />

Seiten Leistung erbringen sollen, noch<br />

mehr Kinder dazu zu stecken, und zwar<br />

beeinträchtige Kinder. Dafür brauchen wir<br />

endlich ein Konzept und eine Anschauung,<br />

wie der Unterricht mit diesen Kindern und<br />

Jugendlichen konkret aussehen soll, und<br />

nicht nur immer die Diskussionen auf der<br />

abstrakten Meta-ebene über Inklusion.<br />

Das Konzept muss in der Schule entwickelt<br />

werden, und wenn die Leute nicht dahinter<br />

stehen, hat das auch keinen Sinn.<br />

(Gymnasiallehrerin)<br />

Wie grenzt sich denn eine <strong>GEW</strong>-Lehrerin<br />

gegenüber dem Beamtenbund ab?<br />

Wir sind in einer starken Gewerkschaft im<br />

DGB. Der Beamtenbund ist eine Standesorganisation.<br />

Ein anderer Punkt: Wir haben<br />

hohe Ansprüche an uns selbst und dass wir<br />

sehr stark pädagogisch arbeiten wollen, und<br />

wir sagen nicht, dieses Kind gehört nicht<br />

hierher, wir wollen alle Kinder mitnehmen.<br />

Wir schließen niemanden aus. Wir strengen<br />

uns in diesem Bereich an. Das sind unsere<br />

hohen Ansprüche an uns selbst. Dann verlangen<br />

wir von unserem Arbeitgeber aber<br />

auch die nötigen Voraussetzungen und<br />

Ausstattungen und keine Abkoppelung von<br />

der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung.<br />

Diese jährliche Einprozenterhöhung<br />

bis 2016 für die Beamten ist eine bodenlose<br />

Unverfrorenheit und Unverschämtheit der<br />

rot-grünen Regierung in Mainz.<br />

(Gymnasiallehrerin)<br />

Fragen an den Landeselternsprecher Rudolf Merod<br />

Was treibt die Eltern um, die ihre Kinder<br />

aufs das Gymnasium schicken?<br />

Die Hoffnung, den bestmöglichen Abschluss<br />

für ihre Kinder dort zu erlangen,<br />

die bestmögliche Lebensperspektive und<br />

bestmöglichen Lebenschancen.<br />

Und was kritisiert man?<br />

Die schlechte Förderung, dass die Lehrkräfte<br />

viel zu wenig Chancen haben, dem<br />

Kind entsprechend zu unterrichten, und<br />

dass viele Kinder auf der Strecke bleiben.<br />

Das schmerzt die Eltern natürlich, weil sie<br />

Aus den Foren des Gymnasialtages<br />

Schöne neue Medienwelt im<br />

Klassenzimmer<br />

„Das interaktive Whiteboard und Heterogenität<br />

im Unterricht – zwei Welten?“<br />

diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

und die Referenten Michael Braun<br />

vom Aufbaugymnasium Alzey und Astrid<br />

Sibbe vom Pädagogischen Landesinstitut<br />

Rheinland-Pfalz/Max-von-Laue-Gymnasium<br />

Koblenz kritisch darüber, inwiefern der<br />

Einsatz des Interaktiven Whiteboards im<br />

Unterricht unterschiedliche Lerntypen<br />

und Lernvermögen berücksichtigen kann,<br />

ob individualisierter Unterricht mit dem<br />

Board überhaupt möglich ist. Dazu wurden<br />

zunächst Unterrichtseinheiten an<br />

einem mobilen Board vorgestellt, die die<br />

Kolleginnen und Kollegen im Hinblick auf<br />

ihre Tauglichkeit für eine heterogene Lerngruppe<br />

unter die Lupe nahmen, woraus<br />

sich eine lebhafte Auseinandersetzung mit<br />

der Thematik entwickelte. Michael Braun<br />

rundete den Workshop mit der Vorstellung<br />

eines mobilen und handlichen interaktiven<br />

Beamersystems ab.<br />

Astrid Sibbe<br />

die hehre Hoffnung für die Zukunft ihrer<br />

Kinder haben.<br />

Und die Inklusion? Wieweit ist sie zu<br />

verwirklichen im Gymnasium bei diesem<br />

starken Bildungsbürgertum?<br />

Ich glaube, die Inklusion ist überhaupt<br />

kein Problem fürs Gymnasium bei der<br />

entsprechenden Ausstattung, nicht bei<br />

der Ausstattung, die im Moment da ist.<br />

Von der Fachkompetenz, glaube ich, gibt<br />

es keine bessere Schulart.<br />

Inklusion<br />

Am Ende ist der Vorhang zu – und nicht alle,<br />

aber doch einige Fragen offen. Allerdings<br />

konnte es in den zwei Stunden des Forums<br />

auch nur darum gehen, die Diskussion zum<br />

sensiblen Thema „Gymnasium und Inklusion“<br />

zu versachlichen, und dieses Ziel wurde<br />

erreicht.<br />

Zunächst stellte Sonja Küppers, IGS Koblenz<br />

(Schwerpunktschule), Beraterin für Inklusion<br />

und Mitarbeiterin im Pädagogischen<br />

Landesinstitut, in einem kurzen Überblick<br />

die Entwicklung der Integration/Inklusion<br />

in Rheinland-Pfalz in den letzten zwanzig<br />

Jahren dar. Interessant dabei die Unterscheidung<br />

in zielgleiche und zieldifferente<br />

Inklusion. Erstere findet an recht vielen<br />

Gymnasien bereits statt und bedeutet, dass<br />

SchülerInnen mit bestimmten Beeinträchtigungen<br />

Personen und/oder Mittel zur<br />

Verfügung gestellt werden, um mit dieser<br />

Unterstützung das Ziel „Abitur“ in Angriff<br />

zu nehmen.<br />

Bei der zieldifferenten Inklusion dagegen<br />

wird von vornherein davon ausgegangen,<br />

dass das Kind das Abitur bzw. den der<br />

Was muss man künftig auf den Weg<br />

bringen angesichts der vielen Schularten,<br />

die wir haben, eine Empfehlung an die<br />

Bildungsministerin des Landes?<br />

Eine deutlich bessere Personalausstattung<br />

und eine bessere Lehrerzuweisung,<br />

damit besser gefördert werden kann, vor<br />

allem die leistungsstarken Kinder. Man<br />

darf nicht davon ausgehen und sagen,<br />

die guten Schülerinnen und Schüler, die<br />

laufen schon irgendwie, die schaffen<br />

das allein. Nein, da geht zurzeit sehr viel<br />

Potential verloren. Deshalb mehr die leistungsstarken<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

fördern und nicht nur die, die am unteren<br />

Ende sind.<br />

jeweiligen Schulart eigenen Abschluss gar<br />

nicht erreichen wird. Die SchülerInnen mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf lernen<br />

nach ihren individuellen Möglichkeiten und<br />

erreichen individuelle Schulabschlüsse, wobei<br />

sich die Anregungen der heterogenen<br />

Klassengemeinschaft positiv auf ihre Persönlichkeits-<br />

und Lernentwicklung auswirken. In<br />

der von der stellvertretenden Landesvorsitzenden<br />

der <strong>GEW</strong>, Sylvia Sund, moderierten<br />

Diskussion stellte sich dieses Konzept als das<br />

eigentlich strittige dar. Denn in einer Klasse<br />

mit Inklusions-Kindern könnte dann recht<br />

schnell die Situation entstehen, dass andere<br />

SchülerInnen wegen schlechter Noten<br />

die Jahrgangsstufe wiederholen müssten,<br />

während die InklusionsschülerInnen weiter<br />

in der Klasse bleiben. – Dies ist ein deutlicher<br />

Paradigmenwechsel im bisherigen Verständnis<br />

des Gymnasiums.<br />

Jan Wenzel von der Christian-Erbach-<br />

Realschule plus Gau-Algesheim (Schwerpunktschule),<br />

auch er Berater für Inklusion,<br />

erläuterte dann das Konzept, das in seiner<br />

Schule zum zieldifferenten Unterricht entwickelt<br />

wurde. Dort kamen vor 11 Jahren<br />

8 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

SchülerInnen mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf in Regelklassen. Mit der<br />

Formel „vier Stunden pro Kind mit Förderbedarf“<br />

soll eine Doppelbesetzung durch<br />

Förderschullehrkräfte mindestens in den<br />

Kernfächern Englisch, Deutsch und Mathematik<br />

gesichert werden. Die Größe der<br />

Klassen ändert sich dadurch nicht.<br />

Das Verständnis zwischen den Regelschullehrkräften<br />

und den neuen FörderschullehrerInnen<br />

musste erst entwickelt, Konzepte<br />

mussten gemeinsam erarbeitet und Strukturen<br />

der Zusammenarbeit geschaffen<br />

werden. Aber der mühsame Weg habe sich<br />

gelohnt. Heute wäre es für die Schülerinnen<br />

und Schüler völlig normal, dass Kinder in<br />

ihrer Klasse unterschiedlich gefördert und<br />

gefordert würden.<br />

Für die Gymnasien stellt Inklusion allerdings<br />

in besonderer Weise einen Systemwechsel<br />

dar, der in der Diskussion deutlich zur Sprache<br />

kam. Eine einfache Lösung gibt es hier<br />

ebenso wenig wie ein Konzept, das man<br />

nur übertragen müsste. Und darf man von<br />

kanadischen Zuständen träumen? Wie Prof.<br />

Sell vormittags dargelegt hatte, erhalten die<br />

Schulen in Kanada für Kinder mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf die sechsfache<br />

Stundenzuweisung im Vergleich zu den<br />

SchülerInnen ohne Förderbedarf. Wenn<br />

man den Berichten glauben darf, freuen sich<br />

SchulleiterInnen, wenn sie solche Kinder<br />

aufnehmen, weil sie dann die Mittel für individuelle<br />

Fördermaßnahmen erhalten, die<br />

mittelbar auch allen anderen zugute kommen.<br />

Wir werden als <strong>GEW</strong> möglicherweise<br />

noch deutlicher dafür eintreten müssen,<br />

dass Inklusion zu einer Win-Win-Situation<br />

für alle werden kann. Dann werden sich<br />

auch die Gymnasien nicht verschließen.<br />

Rudolf Blahnik<br />

Fotos vom Gymnasialtag: Harald Maxeiner<br />

G 8 - G 9, Oberstufe,<br />

Abiturstandards<br />

Zu dieser AG hatten wir Jürgen Stahl, Mitglied<br />

der Bundesfachgruppe Gymnasien<br />

aus Baden-Württemberg, eingeladen. Er<br />

ist Vorsitzender der dortigen Landesfachgruppe<br />

Gymnasien und Mitglied im HPR<br />

in Stuttgart, als solcher sehr gut informiert<br />

über die jahrelange CDU-Schulpolitik und<br />

die Vorhaben der neuen Landesregierung.<br />

Zwei Schwerpunkte stellte die grün-rote<br />

Regierung in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit:<br />

Die Abschaffung der verbindlichen<br />

Schullaufbahnempfehlung und die „Gemeinschaftsschule“,<br />

die inklusiv sein soll<br />

und als zweite Säule neben das Gymnasium<br />

gestellt werden soll. In Bezug auf das Gymnasium<br />

in acht Jahren, das damals Bildungsministerin<br />

Schavan nicht nur in ihrem Land,<br />

sondern gleich bundesweit vorangetrieben<br />

hat, ist einiges in Bewegung. Allerdings<br />

erlaubt BW nur 44 der 370 Gymnasien<br />

eine Umwandlung in G9, im Rahmen eines<br />

Modellversuchs mit einer recht schlechten<br />

Stundenzuweisung. Trotzdem wollen ca. 100<br />

der Gymnasien unmittelbar mitmachen und<br />

haben bereits einen Antrag gestellt.<br />

In Bezug auf die Abiturprüfung hat BW seit<br />

langem Zentralabitur, wie im Übrigen außer<br />

RP alle anderen Bundesländer. Trotzdem<br />

gibt es Varianten, die mehr oder weniger<br />

einengen. Es gibt in BW keine Leistungsund<br />

Grundfächer wie in RP. Neben einigen<br />

zweistündigen Fächern gibt es fünf vierstündige<br />

Kurse (Deutsch, Mathe, FS, weitere FS<br />

oder Naturwissenschaft, Neigungsfach aus<br />

dem Pflichtbereich oder Wirtschaft). Die<br />

Abiturprüfung muss in D, M, FS und einem<br />

der zwei weiteren vierstündigen Kursfächer<br />

abgelegt werden.<br />

Von der reformierten Oberstufe, die die<br />

KMK 1972 plante, mit eigener Schwerpunktsetzung<br />

und Gleichwertigkeit der Fächer ist<br />

nicht viel übrig geblieben.<br />

Das Zentralabitur, das sich – besonders<br />

vor den Herbstferien, wenn es an die Aufgabenerstellung<br />

geht – in RP einige KollegInnen<br />

wünschen, hat auch seine Tücken.<br />

Abgesehen von der einengenden Wirkung<br />

auf die Unterrichtsgestaltung, ist es auch unter<br />

dem Arbeitsaspekt nicht ohne. Zwar werden<br />

alle Aufgaben zentral vom Ministerium<br />

vorgegeben, jedoch das Korrekturverfahren<br />

ist mit Erst-, Zweit- und Drittkorrektur höchst<br />

aufwendig. Alle Abi-Arbeiten werden anonymisiert<br />

und an drei verschiedene andere<br />

Gymnasien verschickt, um von den Lehrern<br />

dort korrigiert zu werden. Nur das Oberschulamt<br />

weiß, welche KollegInnen mit der<br />

Korrektur befasst sind und rügt diejenigen,<br />

die bei der Notengebung zu sehr abweichen.<br />

Interessant ist eine Neuerung, die die KMK<br />

schon länger gefordert hat und die in BW<br />

2014 umgesetzt wird, die Kommunikationsprüfung<br />

in Fremdsprachen, die mit 25-30<br />

Minuten bei jeder schriftlichen Kursarbeit<br />

hinzukommen soll und dann zu einer Gesamtnote<br />

verrechnet wird. Hier gibt es ein<br />

zähes Ringen mit dem HPR, wie die zusätzliche<br />

Arbeitsbelastung verteilt werden soll.<br />

Bei den bundesweiten Abiturstandards<br />

Fremdsprachen spiegelt sich dieser Ansatz<br />

bereits wider und spätestens, wenn RP<br />

sich aus einem bundesweiten Aufgabenpool<br />

2016/17 bedienen „muss“, wird ein<br />

entsprechendes Verfahren ja auch geübt<br />

sein müssen.<br />

Überhaupt ist die Frage, wie die Standards<br />

zum rheinland-pfälzischen Abitur passen,<br />

unklar. Bisher liegen Standards für M, D, E<br />

und F als fortgeführte Fremdsprachen vor.<br />

An Abi-Standards für die Naturwissenschaften<br />

wird gearbeitet.<br />

Angela Euteneuer (ehemal. PZ Bad Kreuznach)<br />

erläuterte im Forum den Prozess, der<br />

im IQB ohne große Beteiligung gesellschaftlicher<br />

Gruppen von statten ging und geht.<br />

Eine bundesweit gleich schwere Abiturprüfung<br />

in den zentralen Fächern ab dem<br />

Schuljahr 2016/17 ist das Ziel, mit dem sich<br />

einige konservative Länder durchsetzten,<br />

nach dem – falschen Motto – „mehr Vergleichbarkeit<br />

ist mehr Qualität“.<br />

Wann werden die Kolleginnen und Kollegen<br />

informiert? Wer muss die Veränderungen<br />

planen und umsetzen? Wie viel Zeit der<br />

Lehrkräfte, der Fachberater, der Fachkonferenzen<br />

wird durch die Veränderung gebunden<br />

(ohne dass die Qualität des Abiturs<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

9


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

dadurch schlechter oder besser wird)?<br />

Wer wird Ansprechpartner sein? Müssen<br />

Lehrpläne geändert werden? Woher kommt<br />

das Geld für die nötigen Fortbildungen?<br />

Welche Rückwirkungen hat das Vorhandensein<br />

von Standards in einzelnen Fächern<br />

und das Fehlen in anderen auf die Oberstufe<br />

insgesamt?<br />

Bisher hat RP in vielen Wegen einen – vernünftigen<br />

– Alleingang beschritten. Hoffentlich<br />

„ gehen wir jetzt nicht baden im Pool“.<br />

Die Teilnehmer des Forums sind sich einig,<br />

dass die <strong>GEW</strong> diese Fragen diskutieren und<br />

vortragen wird.<br />

Sybilla Hoffmann<br />

Mittelstufenleitung<br />

pädagogisch<br />

„Mittelstufenleitung bedeutet mehr, als<br />

bloß abzuwarten, bis die Kinder in der MSS<br />

angekommen sind. Sie ist mehr als die<br />

Beschränkung auf Lösung der Problemfälle,<br />

sondern nimmt alle Beteiligten in den<br />

Blick.“ Thelse Hoff, Mittelstufenleiterin<br />

am Gymnasium Neustadt/Wied, gab zum<br />

Thema „Mittelstufenleitung pädagogisch“<br />

Informationen und Impulse, die in einem<br />

gemeinsamen Erfahrungsaustausch vertieft<br />

wurden.<br />

Mittelstufenleitung ist gleichzeitig pädagogische<br />

Aufgabe, nimmt Führung von unten<br />

wahr, leistet einen gestaltenden Beitrag zur<br />

innerschulischen Kommunikation und zur<br />

Schulentwicklung, begleitet Schülerinnen,<br />

bedeutet Netzwerkarbeit. Mittelstufenleitung<br />

nimmt Schülerinnen und Schüler ebenso<br />

in den Blick wie Eltern und Kolleginnen,<br />

aber auch Zielsetzungen von Schule und<br />

die auf sie zielenden Gestaltungsprozesse.<br />

Das Forum 5 zur Mittelstufenleitung machte<br />

auch Defizite der derzeitigen Praxis deutlich:<br />

• Im Vorbereitungsdienst für Referendare<br />

fehlt eine Ausbildung in Gesprächsführung.<br />

Mittelstufenleitung kann in einigen Aufgabenfeldern<br />

Hilfestellung geben: in der Vorund<br />

Nachbereitung von Elterngesprächen<br />

oder Besuchen des schulpsychologischen<br />

Dienstes, in der Begleitung der Arbeit mit<br />

behinderten, hochbegabten, schwierigen,<br />

kranken Kindern, in der Unterstützung der<br />

Wahrnehmung der Aufgaben der Klassenleitung.<br />

Auf diese Aufgaben werden unsere<br />

jungen Kolleginnen in der Regel nicht vorbereitet.<br />

Mit den derzeitigen Ressourcen<br />

wird eine angemessene Kompensation<br />

dieser Mängel durch Mittelstufenleitung<br />

kaum gelingen.<br />

• Nicht zuletzt fehlen also auch hier Entlastungs-<br />

und Förderlehrerstunden für die in<br />

Mittelstufen notwendig zu leistende Arbeit.<br />

• Es fehlen organisatorisch etablierte innerschulisch<br />

etablierte Beratungsstrukturen<br />

für alle am Gelingen von Schule Beteiligten.<br />

Diese Defizite stellen nicht nur einen Arbeitsauftrag<br />

für die Fachgruppe Gymnasium<br />

dar, sondern für die gesamte <strong>GEW</strong>. Denn es<br />

ist damit zu rechnen , dass angesichts einer<br />

sich stetig verändernden Schule, insbesondere<br />

einem sich verändernden Gymnasium,<br />

neue Herausforderungen entstehen, die sich<br />

auch auf die Mittelstufe auswirken werden:<br />

eine wachsende Heterogenität von Lerngruppen<br />

in einem System, das seine Lerngruppen<br />

fast programmatisch als homogen<br />

definiert, Inklusion, „schwieriger“ werdende<br />

SchülerInnen und Eltern und in wachsendem<br />

Maße Überforderungsphänomene für<br />

beteiligten KollegInnen und SchülerInnen.<br />

Wenn Schule auf Veränderungen in der<br />

Gesellschaft reagieren und wachsende<br />

Aufgaben bewältigen soll, muss sie in den<br />

Stand versetzt werden, dies zu tun.<br />

Klaus Schabronat<br />

Neue Medien und Recht<br />

In diesem Forum trafen sich KollegInnen mit<br />

der <strong>GEW</strong>-Rechtssekretärin Brigitte Strubel-<br />

Mattes, um sich über die unterschiedlichsten<br />

Probleme beim Einsatz neuer Medien<br />

im Unterricht zu informieren und vor allem<br />

juristische Antworten auf die entstehenden<br />

Fragen zu erhalten. Die vorgelegten Fallbeispiele<br />

führten zu lebhaften Diskussionen<br />

und zeigten z. T. eine große Verunsicherung.<br />

Zur Aufsichtspflicht wurde festgehalten, dass<br />

während des Unterrichts bei Recherchen im<br />

Internet vor allem bei jüngeren SchülerInnen<br />

darauf geachtet werden muss, welche<br />

Seiten besucht werden. Die angegebenen<br />

Adressen müssen im Vorfeld auf eventuelle<br />

Verlinkungen zu jugendgefährdenden Seiten<br />

(pornografische, rechtsradikale, Gewalt<br />

verherrlichende etc.) überprüft werden. Der<br />

Einsatz von Sicherheits-Software zur Sperrung<br />

gewisser Seiten in der Schule wurde<br />

erörtert, doch hier wurde festgestellt, dass<br />

eine absolute Sicherheit damit nicht zu erreichen<br />

ist. Es ist unerlässlich, die Kinder und<br />

Jugendlichen vor solchen Seiten zu warnen<br />

und sie schon früh zu trainieren, vorsichtig<br />

bei Links zu sein.<br />

Beim Thema Urheberrecht zeigte sich die<br />

rechtliche Unsicherheit beim Einsatz von<br />

Filmen im Unterricht. Es war nicht jedem<br />

klar, dass mit dem Kauf eines Filmes auf<br />

CD üblicherweise nur die privaten Vorführrechte<br />

gekauft werden. Der Unterricht ist<br />

keine Privatveranstaltung, deshalb ist das<br />

Vorführen eines selbst gekauften Filmes<br />

üblicherweise eine Rechteverletzung. Es<br />

wurde kritisiert, dass bei den Medienzentren<br />

des Landes häufig nur veraltete Filme zu<br />

bekommen sind. Hier wurde angeregt, für<br />

ein aktuelles Programm zum Ausleihen für<br />

den Unterricht zu sorgen. Die Musikrechte<br />

werden von der GEMA verwaltet. Ein anwesender<br />

Musiklehrer wusste, dass für den<br />

Einsatz von Musik im Unterricht keine GEMA<br />

Gebühren bezahlt werden müssen.<br />

Umgang und Einsatz sozialer Netzwerke<br />

wurde unterschiedlich gesehen. Es wurde<br />

hinterfragt, ob man sich den Netzwerken<br />

als Lehrkraft ganz verschließen oder diese<br />

nutzen sollte. Auf jeden Fall müssen sich<br />

die KollegInnen auch hier ihrer Verantwortung<br />

bewusst sein, welche Informationen<br />

sie ins Netz stellen und wie sie mit den im<br />

Netz erhaltenen Informationen umgehen<br />

(Mobbing, Androhung von Straftaten, Suiziden<br />

u.a.)<br />

Beim Persönlichkeitsrecht muss man eindringlich<br />

darauf hinweisen, dass Fotos,<br />

Filme und Tonmaterial nur mit ausdrücklicher<br />

Zustimmung der Betroffenen auf<br />

Homepages, Netzwerke oder andere Portale<br />

(z.B. YouTube) gestellt werden dürfen. Hier<br />

ist das Bewusstsein, dass im Netz nichts<br />

„gelöscht“ bzw. „zurückgerufen“ werden<br />

kann, vonnöten.<br />

Abschließend bleibt festzustellen, dass<br />

in vielen Bereichen die Handhabung und<br />

Auswirkung des Computer- und Internet-<br />

Einsatzes weder ausgereift noch juristisch<br />

eindeutig gesichert ist. Hier gilt es vor allem,<br />

die Kompetenzen von KollegInnen und<br />

SchülerInnen zu stärken um die Folgen des<br />

eigenen Tuns besser abschätzen zu können<br />

Eva Ockenfuß-Boese<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />

in der Schule<br />

Die grundsätzliche Frage lautet – so der<br />

Referent Dieter Roß einleitend: Was belastet<br />

mich/uns in der Schule?<br />

Das Land Rheinland-Pfalz hat in diesem<br />

Zusammenhang im Januar 2011 das Institut<br />

für Lehrergesundheit gegründet. Es ist dem<br />

Institut für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin<br />

der Universität Mainz angegliedert<br />

und hat das Ziel, Lehrkräfte und pädagogische<br />

Fachkräfte dabei zu unterstützen,<br />

Belastungen ab- und Ressourcen aufzubauen.<br />

Durch ein ausgewogenes Verhältnis<br />

von Belastungen und Ressourcen sollen<br />

Fehlbeanspruchungen vermieden und die<br />

Gesundheit gefördert werden. Das Institut<br />

bietet arbeitsmedizinische Sprechstunden<br />

10 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />

entweder in Mainz oder in mobilen Teams<br />

in Regionalsprechstunden an. Darüber hinaus<br />

unterstützt es Studientage an Schulen<br />

zum Thema Lehrergesundheit und bietet<br />

Infektionsschutz durch Infect Guard an, d.<br />

h., es wird ein Impfmanagement mit einem<br />

persönlichen Online Impfpass zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Eine Handlungsempfehlung zur Gefährdungsbelastung<br />

nach § 5 Arbeitsschutzgesetz,<br />

d. h., Gefährdung ermitteln, Risiken<br />

beurteilen, sollte systematisch umgesetzt<br />

werden. Hierbei ist auch der Personalrat<br />

mitbestimmungspflichtig. Eine umfassende,<br />

systematische Ermittlung sowie Dokumentation<br />

vorhandener Gefährdungen und<br />

Belastungen am Arbeitsplatz ist Grundlage<br />

für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen.<br />

Die Handlungsempfehlung erfolgt in neun<br />

Schritten.<br />

1. Initialisierung: jeder kann Gefährdungsbeurteilung<br />

initiieren und Kontakt zum IfL<br />

aufnehmen.<br />

2. Vorbereitung: Selbst-Check Teil 1 - 3<br />

3. schriftliche Grobanalyse: Zusammenfassung<br />

der Ergebnisse<br />

4. Grobbewertung: Abschätzung, Empfehlung<br />

präventiver Maßnahmen<br />

5. Feinanalyse,<br />

6. Beratung zu Maßnahmen,<br />

7. Umsetzung der Maßnahmen,<br />

8. Überprüfung der Wirksamkeit,<br />

9. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung.<br />

Alles, was festgestellt wird, ist zu dokumentieren<br />

und aufzubewahren.<br />

Ein möglicher Online-Selbst-Check zeigt,<br />

wenn alle Kolleg/Innen teilnehmen, ein<br />

bestimmtes Bild der Arbeitssituation . Es<br />

gibt nur sehr wenige Erfahrungswerte, da<br />

sich bisher nur sehr wenige Schulen an das<br />

Institut gewendet haben.<br />

Das Protokoll des Selbst-Checks geht an die<br />

Schule und an den Schulträger. Auch der<br />

Personalrat muss mit einbezogen werden.<br />

Bei nicht zu lösenden Problemen können<br />

darüber hinaus der Schulelternbeirat, die<br />

Presse und der BPR bzw. HPR mit einbezogen<br />

werden. Folge muss sein, dass die<br />

Unfallkasse bzw. die Berufsgenossenschaft<br />

agiert. Es gibt zwar kein Gesetz, dass das<br />

Land aktiv werden muss, wenn Belastungen<br />

erkennbar sind, aber Urteilssprüche.<br />

Vorgehensweise vor Ort, das Institut aktiv<br />

werden zu lassen für den Fall, dass die<br />

Schulleitung nicht handelt: Der örtliche Personalrat<br />

stellt einen Initiativantrag (gemäß<br />

§ 74 Abs.3 in Verbindung mit § 80 Abs. 2<br />

Nr. 7 LpersVG).<br />

Materialien:<br />

• Prospekt des Instituts für Lehrergesundheit<br />

• Handlungsempfehlung zur Gefährdungsbeurteilung<br />

nach § 5 Arbeitsschutzgesetz<br />

• Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Info-dienst<br />

B9, <strong>GEW</strong><br />

• Zusammenfassung des Gutachtens „Arbeits-und<br />

Gesundheitsschutz an Schulen“<br />

erstellt im Auftrag der Hans Böckler Stiftung<br />

und der Max Traeger Stiftung<br />

• Selbst-Check Teil 1 - 3<br />

• Vordruck eines Initiativantrags<br />

Jürgen Jansen<br />

Das Fach „Darstellendes Spiel“<br />

am Gymnasium<br />

In diesem Forum ergab sich ein äußerst<br />

intensiver und engagierter Austausch unter<br />

den sechs Teilnehmern über die Wertschätzung<br />

des Faches an ihren Gymnasien und<br />

die Stellung des DS in der Zukunft, wenn<br />

ab kommendem Schuljahr sich die Wahl<br />

der Prüfungsfächer für das Abitur ändert.<br />

Es wurde heftig bedauert, dass ein Fach,<br />

das die persönliche Entwicklung der Jugendlichen<br />

sowie deren soziale Kompetenz<br />

fördert, derart am Rand der Schullandschaft<br />

stehe. Achim Ropers, Vorsitzender des Landesverbandes<br />

„Theater in Schulen“ Rheinland-Pfalz<br />

und Zweiter Stellvertretender<br />

Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums<br />

in Pirmasens, legte als Leiter des Forums<br />

dar, inwiefern gerade das Fach „Darstellendes<br />

Spiel“ im Gymnasium in der MSS so<br />

genannte „zentrale Schlüsselkompetenzen“<br />

vermittle, die im Berufsleben verlangt und<br />

erwartet werden. Denn gerade in diesem<br />

Unterricht würden ausdrücklich Kreativität,<br />

Selbstdisziplin und Selbstbewusstsein,<br />

körperliche Präsenz vor Publikum, Teamfähigkeit<br />

und gelungene Kommunikation<br />

eingeübt werden.<br />

Natürlicherweise gehe es im Wesentlichen<br />

in diesem Unterricht um kulturelle Kompetenzen<br />

wie die intensive Auseinandersetzung<br />

mit literarischen Werken und das<br />

Wissen um die Jahrtausende alte Tradition<br />

der Bühnenkunst, aber nicht nur, denn in<br />

diesem Fach würden die Schülerinnen und<br />

Schüler auf ihre Rolle in der Gesellschaft,<br />

in der Politik und im Wirtschaftsleben<br />

vorbereitet.<br />

Derzeit wird DS als Grundfach in der S II<br />

alternativ zu Kunst und Musik mit drei Wochenunterrichtsstunden<br />

unterrichtet. Im<br />

11. Jahrgang liegt der Schwerpunkt auf der<br />

Körpererfahrung der Jugendlichen, im 12.<br />

Jahrgang werden dramatische Strukturen<br />

analysiert und eine eigene Inszenierung<br />

auf die Bühne gebracht. Im 13. Jahrgang<br />

stehen dann neben der praktischen Bühnenarbeit<br />

Theatergeschichte und -theorie<br />

sowie Rezeptionsästhetik auf dem Plan.<br />

Theaterbesuche sind im Laufe der gesamten<br />

MSS vorgesehen.<br />

Achim Ropers wies auf die verschiedenen<br />

Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung<br />

für DS-Lehrer und solche, die es werden<br />

wollen, hin. Einige TeilnehmerInnen des<br />

Forums berichteten von ihren erfolgreichen<br />

Theater-AGs an den Gymnasien. Es wurde<br />

begrüßt, dass man als KollegIn auch den<br />

Einstieg ins Theaterspiel einfach mal wagen<br />

könnte, indem man AGs im Bereich DS in<br />

der Schule anbietet und sich dann in der<br />

Folge fort- und weiterbilden könnte, um<br />

eine Unterrichtserlaubnis für DS in S I und<br />

S II zu erhalten.<br />

Um das Fach Darstellendes Spiel auf „höherer“<br />

Ebenen der Bildungslandschaft ins<br />

Bewusstsein zu rücken, sollten KollegInnen<br />

das Gespräch mit ihrer jeweiligen Schulleitung<br />

suchen, um die Notwendigkeit des Erhaltes<br />

bzw. der Einführung dieses Faches zu<br />

betonen, damit die SchulleiterInnen dieses<br />

Engagement „nach oben“ tragen. Einerseits<br />

wird ganzheitliche Bildung im Gymnasium<br />

immer mehr von SchülerInnen und Eltern<br />

eingefordert, andererseits jedoch steht die<br />

schulpolitische Realität dem entgegen. Auch<br />

innerhalb der <strong>GEW</strong> sollte diskutiert werden,<br />

welche Schritte unternommen werden können,<br />

um den künstlerischen Fächern – das<br />

betrifft ab kommendem Schuljahr auch die<br />

Fächer Bildende Kunst und Musik in der<br />

MSS - einen kulturpolitisch angemessenen<br />

Stellenwert beizumessen.<br />

Petra Klink<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

11


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

Tag der beruflichen Bildung von <strong>GEW</strong> und DGB<br />

Finanzkrise und demographischer Wandel<br />

Detlef Krammes / Günter Helfrich<br />

Nach einigen Jahren war es am 11. März<br />

mal wieder soweit: <strong>GEW</strong> und DGB luden<br />

nach Mainz ein, um den traditionsreichen<br />

Tag der beruflichen Bildung wiederzubeleben.<br />

Knapp hundert Berufsbildner –<br />

vorwiegend aus der <strong>GEW</strong> – waren in den<br />

Erbacher Hof gekommen. Sie informierten<br />

sich durch den Hauptvortrag von Prof. Dr.<br />

Sell und diskutierten in verschiedenen<br />

Fachforen über die „Berufliche Bildung<br />

im Spannungsfeld von Finanzkrise und<br />

demographischem Wandel“.<br />

Die stellvertretende <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende<br />

Sabine Weiland forderte bei ihrer<br />

Begrüßung u.a., dass „bei geplanten Standortverlagerungen<br />

einzelner Schulen aus rein<br />

finanziellen Erwägungen die Ausbildungsbereitschaft<br />

von Betrieben und Jugendlichen<br />

nicht gefährdet werden darf. Es darf auch<br />

nicht sein, dass Förderung und Pädagogik<br />

eine untergeordnete Rolle spielen.“ Bildungsteilhabe<br />

sei nicht zum Nulltarif zu<br />

haben. Sie wies auch auf fehlende Lehrkräfte<br />

an den Berufsbildenden Schulen hin und<br />

beklagte die steigenden Belastungen der<br />

BBS-KollegInnen.<br />

Als Gäste begrüßte sie u. a. Staatssekretär<br />

Hans Beckmann aus dem Bildungsministerium<br />

sowie den dortigen BBS-Abteilungsleiter<br />

Walter Wahl, Rita Petry von der Handwerkskammer<br />

der Pfalz, den DGB-Landesvorsitzenden<br />

Dietmar Muscheid und den <strong>GEW</strong>-<br />

Landesvorsitzenden Klaus-Peter Hammer.<br />

Dietmar Muscheid freute sich in seinem<br />

Grußwort, dass es nach längerer Pause<br />

wieder einen Tag der beruflichen Bildung<br />

gibt und sprach seine Hoffnung auf weitere<br />

Veranstaltungen in der Zukunft aus.<br />

Er kritisierte die „Kleinstaaterei“ nach der<br />

Föderalismusreform mit unterschiedlicher<br />

Bezahlung der Lehrkräfte. Wer sage, „Bildung<br />

ist Zukunft“, müsse auch in Bildung<br />

und die dort Beschäftigten investieren.<br />

Kritik übte der DGB-Landesvorsitzende zudem<br />

am Übergangssystem, das Jugendliche<br />

teilweise nur unterbringe in irgendwelchen<br />

Maßnahmen.<br />

Staatssekretär Hans Beckmann, der als<br />

gelernter Gymnasiallehrer einst seine Referendarzeit<br />

an einer BBS in Ludwigshafen<br />

absolviert hatte, führte aus, dass bis 2016<br />

ein Rückgang von an die 9.000 SchülerInnen<br />

in Rheinland-Pfalz zu erwarten sei. Bei der<br />

Entwicklung der Klassengrößen an den BB-<br />

Sen des Landes gebe es eine gegenläufige<br />

Entwicklung: teils große, teils auch sehr<br />

kleine Lerngruppen. Selbstkritisch merkte<br />

er an, mit 93,8 Prozent sei die Unterrichtsversorgung<br />

nicht so gut wie erhofft. Um<br />

ein Jahr verschoben werde die Reform der<br />

Berufsfachschule 1, in der es in Zukunft eine<br />

maximale Klassengröße von 20 und einen<br />

starken Fachpraxisbezug geben werde. Abschließend<br />

wies er im Zusammenhang mit<br />

dem aktuellen Thema Inklusion auf teils bereits<br />

existierende und gut funktionierende<br />

Kooperationen zwischen Berufsbildenden<br />

Schulen und Förderschulen hin.<br />

Generalisierende Berufsbildung<br />

versus Spezialbildung<br />

In seinem Vortrag skizzierte Prof. Dr. Stefan<br />

Sell in vierzehn Thesen die berufliche Bildung<br />

im Spannungsfeld zwischen Finanzkrise<br />

und demographischem Wandel. Er führte<br />

dabei u. a. aus:<br />

These 1: Die duale Ausbildung ist kein<br />

wirklicher Exportschlager!<br />

Deutschland hat, auch unter dem Einfluss<br />

der dualen Berufsausbildung, die<br />

Wirtschaftskrise anders bzw. sogar besser<br />

bewältigt als die Mehrzahl der südeuropäischen<br />

Länder. Trotzdem müssen wir davon<br />

ausgehen, dass die südeuropäischen Länder<br />

das duale Berufsausbildungssystem, um das<br />

uns sicherlich „viele“ weltweit beneiden,<br />

dort nicht implementieren, weil es bei ihnen<br />

nicht wirklich mit dem vorhandenen Arbeitsmarktsystem<br />

kompatibel ist. Trotzdem<br />

sollten wir nicht nur den Blick darauf richten,<br />

warum die „Südländer“ nicht unser „tolles<br />

Produkt“, die duale berufliche Erstausbildung,<br />

1 : 1 übernehmen oder sie nicht uns<br />

ihre Jugendlichen für eine Berufsausbildung<br />

schicken oder sogar uns ihre Fachkräfte<br />

für den wachsenden Fachkräftebedarf zur<br />

Verfügung stellen, sondern wir sollten uns<br />

vielmehr fragen, wie wir die demografische<br />

Entwicklung bzw. die damit verbundenen<br />

dreifachen Herausforderungen im eigenen<br />

Land bis 2020 nachhaltig bewältigen.<br />

These 2: Der demografische Wandel verändert<br />

das Bildungs- und Beschäftigungssystem<br />

nachhaltig!<br />

In den Schulen und in der beruflichen<br />

Erstausbildung bei den 10 - 20 Jährigen verringert<br />

sich die Zahl der Schüler bis 2020 ca.<br />

um 22%. Im Detail: Bei den 10 - 15 Jährigen<br />

in den Schulen verliert Rheinland-Pfalz im<br />

Zeitraum 2009 bis 2030 ca. 22,1% an Schülern.<br />

Die relative Entwicklung bei den 16-18<br />

Jährigen zeigt einen Verlust von 28,3%. Im<br />

Bereich der 19 - 24 Jährigen beträgt das<br />

12 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

Minus 26,2%. Bei den über 80 Jährigen entsteht<br />

jedoch ein relativer Populationsgewinn<br />

von 47,7% in dem genannten Zeitraum. Die<br />

Folge ist, dass die Schulen bis 2025 ca. 25 %<br />

an Schülern verlieren werden (von 564.520<br />

in 2013 auf 464.550 in 2025). Die Betriebe<br />

in Deutschland erfahren innerhalb weniger<br />

Jahre eine massive Verschiebung der Altersstruktur,<br />

sie verlieren insgesamt 26% an<br />

Mitarbeitern bei den heute dominierenden<br />

35 - 50 Jährigen. Bei den 50 - 65 Jährigen<br />

entsteht ein Wachstum von 27%. Die Pflege<br />

erhält eine nie gekannte Relevanz, weil in<br />

diesem Bereich in wenigen Jahren ein Anstieg<br />

um fast 44% bei den über 80jährigen<br />

Menschen zu verzeichnen sein wird. Damit<br />

wird sich auch die bisherige Diskussion um<br />

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

verschieben.<br />

These 3: Die Vereinbarkeit von Familie<br />

und Pflege kristallisiert sich als neue<br />

Frage!<br />

Zukünftig stellt sich wohl die Frage nach<br />

der Vereinbarkeit von Familie und Pflege.<br />

Damit bekommen die Unternehmen bzw.<br />

die Betriebe einen nie gekannten Druck<br />

„im personalwirtschaftlichen Kessel“ in Bezug<br />

auf eine angemessene zukünftige und<br />

stabile Belegschaftsstruktur, die den großen<br />

Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung<br />

noch entsprechen kann.<br />

These 4: Das heutige Schulsystem stammt<br />

aus einer Zeit, als noch Überfluss herrschte!<br />

Neben diesem personalwirtschaftlichen<br />

Druck auf die Unternehmen verschärft die<br />

demografische Entwicklung die Situation<br />

im vor- und nebengelagerten Schulsystem,<br />

weil die heutigen Schulstrukturen diesen<br />

Entwicklungen nicht entsprechen bzw. diese<br />

aus einer Zeit stammen, als noch ein „Überfluss“<br />

herrschte, d.h. noch eine hohe Zahl<br />

von Kindern und Jugendlichen in die verschiedenen<br />

schulischen Systeme strömten.<br />

In der heutigen Zeit diskutieren wir jedoch<br />

schon die Unterrichtsausfallzeiten, die in<br />

den allgemein bildenden Schulen bei 1,9%<br />

und in der BBS bei 6,2% im Durchschnitt<br />

liegen, als hemmende Wirkungen für einen<br />

evtl. beruflichen Werdegang für die<br />

nachwachsende Generation, ohne uns zuzugestehen,<br />

dass der wirkliche Unterrichtsausfall<br />

(z.B. durch Krankheiten, dienstliche<br />

Veranstaltungen,…) faktisch sehr viel größer<br />

ist. Gerade der demografische Faktor hat<br />

Auswirkungen auf den Ausfall. Die älteren<br />

Mitarbeiter in den Schulen sind sicherlich<br />

nicht häufiger krank als die Jüngeren, aber<br />

gerade die älteren Mitarbeiter haben statistisch<br />

gesehen bspw. nun einmal mehr<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebserkrankungen<br />

als die jüngeren Mitarbeiter,<br />

was zu langen Ausfallzeiten führen kann.<br />

Unter diesem Blickwinkel entsteht – „bei<br />

alternden Kollegien in der Schule“ - nun einmal<br />

mehr Unterrichtsausfall in den Schulen.<br />

Es entstehen deshalb alternde Kollegien in<br />

den Schulen, weil bis 2025 ca. 25% weniger<br />

Schüler (die Zahl sinkt von 592.434 bis auf<br />

465.550) aufgenommen werden können.<br />

Bereits von 2009 bis 2013 ist die Zahl der<br />

Grundschüler um 11% gesunken, was allerdings<br />

auch zur Folge hat, dass in diesem<br />

Bereich die Schülerzahl nicht mehr zurückgehen<br />

wird. Im BBS-Bereich kann davon<br />

ausgegangen werden, dass der Rückgang<br />

bis 2025 bei 26% liegen wird.<br />

These 5: Fiskalisten fordern einen Einschnitt<br />

ins Bildungssystem!<br />

Für die Fiskalisten bedeutet eine solche<br />

Entwicklung, dass die Politik auch ca. 20%<br />

der bisherigen Schulstruktur abbauen kann,<br />

während die Pädagogen demgegenüber<br />

fordern, dass dieser Rückgang für Verbesserungen<br />

im Bildungssystem genutzt werden<br />

sollte. Ein systemisches Problem besteht<br />

auch darin, dass wir ein Denken in Schularten<br />

entwickelten und dass wir letztlich nicht<br />

bereit sind, diese Denkausrichtung auf der<br />

Basis der demografischen Entwicklungen abzulegen,<br />

weshalb auch die Lehrkräfte nicht<br />

zwischen den Systemen verschoben werden<br />

können. Auf dieser Basis entstand einerseits<br />

im Jetzt ein komplexes Schulsystem, das<br />

den traditionellen Gymnasien eine nachhaltige<br />

Gewinnerposition im Schulsystem<br />

attestierte.<br />

These 6: Politik hat die Zweigliedrigkeit<br />

des Bildungssystems verpasst!<br />

Die Politik in Rheinland-Pfalz nutzte zu unserem<br />

Leidwesen nicht die Chance zu einer<br />

Zweigliedrigkeit im Schulsystem. Damit<br />

wäre die Bildungspolitik letztlich flexibler<br />

geworden. Das System der Mehrgliedrigkeit<br />

war sicherlich eine geeignete Lösung zu<br />

einer Zeit, als das Land noch viele Schüler<br />

hatte, heute stellt diese Struktur jedoch<br />

ein pädagogisches, aber auch ein ökonomisches<br />

Problem dar (Fazit: Die Lösungen<br />

von gestern sind die Probleme von heute<br />

[Peter Senge]!!). Insbesondere dort, wo<br />

ausschließlich die deutsche Mittelschicht<br />

lebt, haben wir Kleinstklassen (insbesondere<br />

im Grundschulbereich). Die demografische<br />

Zwei langjährige <strong>GEW</strong>-Kollegen im<br />

Gespräch: BBS-Abteilungsleiter Walter<br />

Wahl (links) und Landesvorstandsmitglied<br />

Detlef Krammes, der vom Tag der<br />

beruflichen Bildung berichtet.<br />

Fotos vom BBS-Tag: Peter Heisig<br />

Entwicklung verschärft diese Situation noch<br />

in der Zukunft, auch für andere Schularten.<br />

These 7: Die demografische Entwicklung<br />

verschärft die Situation auf dem gegebenen<br />

Ausbildungsmarkt<br />

Dies geschieht in einem scheinbar paradoxen<br />

Sinne von a) zu wenige und b) trotzdem<br />

zu viele und das gleichzeitig!<br />

2012 gehen 730.352 Menschen in die<br />

Berufsausbildung, 266.732 Menschen<br />

befinden sich in einem Übergangssystem,<br />

505.129 erwerben eine Fachhochund<br />

Hochschulzugangsberechtigung und<br />

496.083 beginnen mit einem Studium<br />

an Fachhochschulen oder Universitäten.<br />

2005 befanden sich im Übergangssystem<br />

noch 417.600 junge Menschen, was auf<br />

den ersten Blick bedeutet, dass ihre Zahl<br />

kontinuierlich (36% von 2005 - 2012) gesunken<br />

ist. Für Rheinland-Pfalz ergibt sich<br />

für 2011 eine Verteilung der Neuzugänge<br />

auf die Sektoren duale Berufsausbildung<br />

(48,7%), Schulberufssystem (22,3%) und das<br />

Übergangssystem (28,9%). Es ist insgesamt<br />

erschreckend, dass ca. 30% der Jugendlichen<br />

in Rheinland-Pfalz in einem Übergangssystem<br />

landen.<br />

These 8: Das Übergangssystem stabilisiert<br />

sich!<br />

Zur Frage, ob jetzt alles gut wird für die,<br />

die bislang in einem „Übergangssystem“<br />

gelandet sind: Zum einen wird die Angebots-<br />

Nachfrage-Verschiebung zugunsten der<br />

Jugendlichen (aufgrund der demografischen<br />

Entwicklung) zu einer verbesserten Posi-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

13


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

tionierung auch „leistungsschwächerer“<br />

Jugendlicher in der Warteschlange führen,<br />

die – positiv gesprochen – neue Chancen<br />

für diejenigen eröffnen, die bislang schon<br />

von Anfang an<br />

aussortiert worden sind. Das ‚Fenster der<br />

Möglichkeiten‘ öffnet sich für diejenigen<br />

(jedoch nur) für eine kurze Zeit. Gleichzeitig<br />

aber kommt es zu einer Stabilisierung<br />

des Teils des ‚Übergangssystems‘, in dem<br />

es um den Erwerb eines höheren Schulabschlusses<br />

geht. Zwar reduziert sich die<br />

Zahl der Neuzugänge in das bestehende<br />

‚Übergangssystem‘, aber gleichzeitig kommt<br />

es zu einer Potenzierung der heute schon in<br />

vielen Maßnahmen zu beobachtende ‚Konzentration<br />

der Unerträglichkeit‘ (auf beiden<br />

Seiten) durch eine Konzentration der (sozial)<br />

pädagogischen Schweregrade und damit zu<br />

einem absehbar weiter abnehmenden Wirkungsgrad<br />

der vielfältigen Förderlandschaft<br />

(Folge: weniger, aber noch schwerer).<br />

These 9: Der Fachkräftemangel prägt sich<br />

aus!<br />

Der gegenwärtige und vor allem zukünftige<br />

Fachkräftemangel wird sich vor allem bei<br />

den für die deutsche Volkswirtschaft so<br />

wichtigen Facharbeitern in den im Rahmen<br />

der Rationalisierungs- und Globalisierungsprozessen<br />

verbliebenen Industriekernen<br />

ausprägen und damit den Kernbereich des<br />

dualen Berufsausbildungssystems betreffen.<br />

Viele der Menschen, die heute in Rente<br />

gehen, verfügen über eine Facharbeiterausbildung,<br />

viele, die nun nachrücken sollten,<br />

sind jedoch nicht angemessen ausgebildet,<br />

was auch eine Folge der verfehlten Berufsausbildungspolitik<br />

darstellt.<br />

Nicht bei den Akademikern, sondern vor<br />

allem auf der mittleren Qualifikationsebene<br />

(Ausbildungsabschlüsse des dualen Systems<br />

sowie der Berufsfachschulen) ist mit einem<br />

Fachkräfteengpass zu rechnen. Gleichzeitig<br />

fokussieren sich immer mehr Jugendliche<br />

auf „höhere“ Schulabschlüsse, insbesondere<br />

auf die Fachhoch- oder Hochschulreife, aber<br />

auch auf eine „akademische“ Ausbildung.<br />

Diese Orientierung trägt sicherlich dazu bei,<br />

dass zum einen seit 2000 die Erwerbsquote<br />

von Älteren kontinuierlich steigt, so dass<br />

der demografisch bedingte Rückgang des<br />

Arbeitsangebots im Jugendbereich teilweise<br />

kompensiert werden konnte. Andererseits<br />

erreicht die Zahl der Fachhoch- und Hochschulzugangsberechtigten<br />

einen Höhepunkt<br />

von rund 45% eines Altersjahrgangs. Dies hat<br />

insbesondere quantitative Auswirkungen,<br />

nicht unbedingt aber qualitative Effekte für<br />

den Industriestandort Deutschland.<br />

Andererseits erhalten nicht mehr alle akademisch<br />

Ausgebildeten ein festes Arbeitsverhältnis.<br />

Viele Hochschulabsolventen müssen<br />

sich auf spätere Werkverträge in ihren<br />

Unternehmen einrichten. Diese Diskrepanz<br />

wird von der Fortexistenz der hoch problematischen<br />

Berufswahlentscheidungen begleitet,<br />

vor allem der Frauen, im Sinne einer<br />

Perpetuierung der Konzentration auf einige<br />

wenige Berufe. Insgesamt kann festgehalten<br />

werden, dass der gesamtwirtschaftliche<br />

Engpass erst gegen 2030 eintritt, der mit<br />

einem leichten bzw. konstanten Überangebot<br />

an akademisch Ausgebildeten einhergeht<br />

und zeitgleich zunehmend steigende<br />

Engpässe bei Fachkräften mit mittleren<br />

Bildungsabschlüssen entstehen lässt. Von<br />

daher ist die Politik gefordert, auf einen<br />

drohenden Engpass im mittleren Qualifikationsbereich<br />

angemessen zu reagieren und<br />

nicht mehr nur ausschließlich die Erhöhung<br />

der Akademikerquote zu präferieren. Nur<br />

so kann es gelingen, den Sandwich-Druck<br />

auf das duale Berufsbildungssystem zu reduzieren,<br />

weil einerseits immer mehr junge<br />

Erwachsene in die Hochschule strömen, die<br />

vielfach nur formal über eine Hochschulzugangsberechtigung<br />

verfügen, aber in Wirklichkeit<br />

mehr Kompetenzen für das duale<br />

Berufsbildungssystem besitzen und dem<br />

dualen Ausbildungssystem damit verloren<br />

gehen. Andererseits integriert unter diesen<br />

Prämissen die duale Berufsausbildung prioritär<br />

Personen aus dem Übergangsbereich,<br />

wodurch auf allen Ebenen Qualitätsverluste<br />

zu verzeichnen sind. Die erste Gruppe<br />

wäre sicherlich mit einer Berufsbiografie<br />

auf der Basis der dualen Ausbildung am<br />

Arbeitsmarkt erfolgreicher, während die<br />

zweite Gruppe – trotz einer qualifizierten<br />

Berufsausbildung – den qualitativen Anforderungen<br />

am Arbeitsmarkt nicht immer<br />

angemessen gewachsen ist.<br />

These 10: Es findet eine Fehlallokation zur<br />

Hochschule statt!<br />

Dieses Problem zeigt sich allein darin, dass in<br />

Rheinland-Pfalz gegenwärtig ca. 51,7% eine<br />

Hochschulzugangsberechtigung für Fachhochschulen<br />

oder Universitäten erhalten,<br />

die mehrheitlich den Weg zur Hochschule<br />

suchen, aber der dualen Ausbildung meist<br />

verloren gehen. Rheinland-Pfalz hat in den<br />

80er Jahren versäumt, das System der Berufsakademien<br />

aus ideologischen Gründen<br />

zu implementieren. Dieses System findet<br />

in Baden-Württemberg einen sehr großen<br />

Zuspruch, und der südliche Landesteil von<br />

Rheinland-Pfalz profitiert ebenfalls nachhaltig<br />

davon. Mit diesem System hätte man<br />

die duale Ausbildung mit der Hochschule<br />

verbinden können. Dies ist mit den traditionellen<br />

Hochschulen so nicht wirklich<br />

machbar.<br />

These 11: Heutige Berufsausbildung überfordert<br />

einige Schüler!<br />

Bei dem Druck „von unten“ entsteht ein<br />

Problem, dass bestimmte Schülergruppen<br />

in der Berufsausbildung einfach überfordert<br />

sind. Dadurch entstehen insbesondere<br />

kognitive Blockaden, die dazu führen, dass<br />

einzelne Schüler ihre Berufsausbildung<br />

abbrechen.<br />

These 12: Die gegenwärtigen und historisch<br />

gewachsenen Berufsbildungsstrukturen<br />

führen zu einem Nirwana!<br />

Der Wettbewerb im Berufsbildungssystem<br />

führt zu Verlierern und zu Gewinnern.<br />

Obwohl das Gesamtsystem der beruflichen<br />

Bildung einen steigenden Kooperations- und<br />

Fusionsbedarf besitzt, entsteht eine die<br />

Gesellschaft schädigende Konkurrenzsituation,<br />

die letztlich bei den Menschen zu<br />

Unsicherheiten führt, aber auch zu Unsicherheiten<br />

bei der inhaltlichen Ausformung<br />

einer kompetenzorientierten Berufsbildung.<br />

Insbesondere der Druck zur Spezialisierung<br />

statt zur Generalisierung führt zu einer katastrophalen<br />

Fehlentwicklung. Dieser Druck<br />

wurde einerseits durch den Bologna-Prozess<br />

an den Hochschulen gefördert, andererseits<br />

führen Spartenberufe auch in dem Berufsbildungssystem<br />

zu einer Entwicklung, die dem<br />

Menschen in einer mobilen Gesellschaft und<br />

Wirtschaft nur wenig nützt.<br />

These 13: Generalisierung statt Spezialisierung<br />

in Ausbildung und Hochschule<br />

erwünscht!<br />

Es stellt sich schon die Frage, ob die über<br />

300 Ausbildungsberufe wirklich den Auszubildenden<br />

letztlich für den Arbeitsmarkt<br />

dienen. Wäre hier nicht ein Beschränken<br />

auf einen generalisierenden Nukleus von<br />

Ausbildungsberufen wirkungsvoller und gesellschaftspolitisch<br />

wirksamer? Auch in der<br />

Fachhochschule und in den Universitäten,<br />

in denen es mittlerweile über 1.100 Bachelorstudiengänge<br />

gibt, stellt sich ebenfalls<br />

diese Frage<br />

Auch im Fachschulbereich scheint man den<br />

verheerenden Weg zur Spezialisierung gehen<br />

zu wollen, in dem wir teilweise zwischen<br />

Erziehern für die Jahrgänge 1 - 3 und 4 - 5/6<br />

unterscheiden. Lediglich in der Pflege gehen<br />

14 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

wir zurzeit noch den Weg zur generalisierenden<br />

Ausbildung. Gerade die generalisierende<br />

Ausbildung ist in der Berufsbildung<br />

wirklich gefragt, weil sie den Menschen<br />

Wege öffnen, Karrieren ermöglicht und<br />

Sackgassen besser ausschließt. Später im<br />

Berufsleben können sich die Betroffenen<br />

immer noch spezialisieren. Wichtig ist dabei,<br />

dass die Inhalte z.B. zum produktiven Lernen<br />

anleiten und wichtige Bezüge zu den neuen<br />

Medien eröffnen.<br />

These 14: Trennung zwischen Berufsschule<br />

und Hochschule ist überholt.<br />

Diese Trennung von Berufsschule und Hochschule<br />

scheint in Zeiten des Bologna-Systems<br />

und der stark ansteigenden hochschulischen<br />

Ausbildung eine neue Achillesferse für eine<br />

moderne Berufsausbildung zu werden, da<br />

sich die Hochschulen gewissermaßen zu<br />

neuen Berufsschulen mutierten oder noch<br />

mutieren. Vor allem ist das Verhältnis der<br />

Fachschulen zu den Hochschulen immer<br />

noch ungeklärt, weil die Fragen noch nicht<br />

wirklich richtig adressiert wurden. So existieren<br />

einerseits im BBS-System Fachschulen,<br />

andererseits bestehen bundesweit eine<br />

Fülle von privaten Fachschulen, für die die<br />

Menschen, um sie besuchen zu können, viel<br />

Geld bezahlen, weil diese privatwirtschaftlich<br />

geführt werden. Deshalb hat NRW in<br />

Bochum eine Hochschule für Gesundheit<br />

eingerichtet, um staatlicherseits diesem<br />

fragilen privaten Markt an Fachschulen ein<br />

akademisches und staatliches Gegenstück<br />

entgegen zu stellen.<br />

Diskussion im Plenum<br />

In der Diskussion nach seinem eloquenten<br />

Vortrag, der viel Beifall bekam, beantwortete<br />

Prof. Dr. Sell zahlreiche Rückfragen.<br />

Der BBS-Abteilungsleiter Walter Wahl wies<br />

darauf hin, dass nach seiner Erfahrung die<br />

Fachoberschulen an Realschulen plus keine<br />

wirkliche Konkurrenz für die Angebote der<br />

Berufsbildenden Schulen darstellen. Die<br />

Anmeldungen für die Höheren Berufsfachschulen<br />

seien nicht rückläufig, es gebe sogar<br />

eine Zunahme durch Jugendliche, die von<br />

Gymnasien kommen.<br />

In diesem Zusammenhang forderte Gudrun<br />

Biehl, die die <strong>GEW</strong> im HPR BBS vertritt,<br />

gleiche Bedingungen für die höheren Berufsfachschulen<br />

und die Fachoberschulen.<br />

Aus dem Plenum kritisiert wurden Überlegungen,<br />

höhere Berufsfachschulen nur noch<br />

zu genehmigen, wenn die Anmeldezahl bei<br />

mindestens 25 liegt.<br />

Aus den Foren des Tages der beruflichen Bildung<br />

Die Reform des Übergangs-systems<br />

Schule – Beruf in Hamburg<br />

Mit einem Bündel von Maßnahmen verfolgt<br />

Hamburg seit Anfang 2011 das Ziel,<br />

Jugendlichen den zügigen Übergang in<br />

eine Berufsausbildung zu ermöglichen.<br />

Hierzu gehören insbesondere die Einführung<br />

der Berufs- und Studienorientierung<br />

ab der 8. Klasse in allen Stadtteilschulen,<br />

die duale Ausbildungsvorbereitung an<br />

zwanzig berufsbildenden Schulen, die Abschaffung<br />

der teilqualifizierenden Berufsfachschule<br />

und die Ausbildungsgarantie<br />

im Rahmen der Berufsqualifizierung im<br />

Hamburger Ausbildungsmodell. Die neu<br />

gegründete Jugendberufsagentur bündelt<br />

die Beratungs- und Unterstützungsangebote<br />

für Jugendliche und junge Erwachsene<br />

unter einem Dach und übernimmt<br />

das Übergangsmanagement.<br />

Martin Neumann, Lehrer an der Staatlichen<br />

Gewerbeschule Stahl- und Maschinenbau<br />

G1 in Hamburg, stellte in seinem<br />

Vortrag das Hamburger Modell vor, das<br />

unter der politischen Zielsetzung steht<br />

„Niemand darf verloren gehen“ und damit<br />

jedem eine Chance auf Ausbildung<br />

geben will. Deutlich wurde dabei, dass<br />

das Hamburger Konzept eine strukturelle<br />

Reform des Übergangssystems insgesamt<br />

darstellt mit einer nachhaltigen, subjektorientierten<br />

Berufs- und Studienorientierung<br />

mit Übergangsmanagement<br />

in enger Kooperation aller Beteiligten<br />

(Stadtteilschule, BBS, Jugendberufsagentur)<br />

und der individuellen Begleitung<br />

der Jugendlichen beim Übergang in eine<br />

Berufsausbildung: Beruflich orientierte<br />

Jugendliche erhalten einen Ausbildungsplatz,<br />

beruflich nicht orientierte<br />

Jugendliche erhalten weitere Orientierungsmöglichkeiten<br />

und Unterstützungsangebote,<br />

die passgenau auf die bereits<br />

vorhandenen oder nicht vorhandenen<br />

Schulabschlüsse der Jugendlichen ausgerichtet<br />

werden.<br />

Gudrun Biehl<br />

„Niemand darf verloren gehen!“ - Übergangssystem in Hamburg<br />

Wege für Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschule<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

15


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

Neue Chancen für Jugendliche<br />

dank demographischem Wandel?<br />

Gibt es wirklich neue Chancen für Jugendliche<br />

dank des demographischen<br />

Wandel? Genau das war die Fragestellung<br />

beim Forum 2, sachkundig präsentiert von<br />

Dr. Joachim Ulrich vom Bundesinstitut für<br />

Berufsbildung in Bonn. Dr. Ulrich erläutert<br />

den Zuhörern, dass der demografische<br />

Bruch in Deutschland sehr viel klarer und<br />

drastischer etwa in der französischen<br />

Öffentlichkeit wahrgenommen wird. So<br />

schrieb der französische Historiker und<br />

Sozialwissenschaftler Emmanuel Todd<br />

bereits 2011 von einer „katastrophalen<br />

Geburtenrate” Deutschlands.<br />

Und in der Tat: Etwa 2045 wird die Bevölkerungszahl<br />

Deutschlands unter die<br />

Frankreichs fallen. Und aus heute 82<br />

Millionen Deutschen und 65 Millionen<br />

Franzosen werden nach Schätzungen der<br />

Vereinten Nationen Ende des Jahrhunderts<br />

45 Millionen Deutsche und 75 Millionen<br />

Franzosen. Ohne Zuwanderungen<br />

natürlich, und letzteres ist wohl für so<br />

manchen Prunkgermanen und Springerstiefler<br />

der einzige Strohhalm für seine<br />

Altersversorgung.<br />

So blicken wir in eine mögliche Zukunft<br />

mit weniger arbeitslosen Jugendlichen<br />

allein durch den Schrumpfungsprozess<br />

der Wohnbevölkerung, denn diese Entwicklung<br />

hat direkte Auswirkungen auf<br />

den Arbeits- und Lehrstellenmarkt:<br />

Der Höhepunkt der Jugendarbeitslosigkeit<br />

schien im Jahre 2005 in Deutschland<br />

(16 %), in der Schweiz (9 %) und 2006<br />

in Frankreich (22 %) erreicht. Ab dann<br />

sanken die Zahlen bis 2012, verzögert<br />

nur durch die Finanzkrise 2008. Allein in<br />

Frankreich stagniert wegen der höheren<br />

Geburtenrate die Beschäftigung 15- bis<br />

24-jähriger Jugendlicher und erreichte<br />

2011 wieder 22 Prozent.<br />

Derzeit verlassen in der Bundesrepublik<br />

aus Altersgründen etwa gleich viele Arbeitnehmer<br />

den Arbeitsmarkt wie junge<br />

Arbeitnehmer aus Altergründen in ein<br />

Berufsverhältnis eintreten. Ab dem Jahre<br />

2015 werden erst 500.000, dann 2021 1,5<br />

Millionen und 2025 etwa 2,2 Millionen<br />

mehr Arbeitnehmer jährlich mehr aus<br />

dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als in die<br />

Beschäftigung kommen. Entsprechend<br />

schrumpft auch die „Anzahl nichtstudienberechtigter<br />

Schulabgänger”, also die<br />

Zahl allen potentiellen Auszubildenden.<br />

Die berufsbildenden Schulen spüren das<br />

bereits heute bei den rückläufigen Zahlen<br />

im Übergangssystem der Schulberufe.<br />

Sabine Weiland<br />

Gespaltener Ausbildungsmarkt<br />

Bereits heute zeichnet sich auch ein<br />

gespaltener Ausbildungsmarkt in attraktive<br />

und weniger nachgefragte Ausbildungsberufe<br />

ab: Gefragt und derzeit<br />

zu einem hohen Maße erfolglos<br />

nachgefragt sind Berufe wie IT-System-<br />

Elektroniker, Zweiradmechaniker oder<br />

Reiseverkehrskaufmann/-frau. Und die<br />

Namen der Ausbildungsberufe, die wenig<br />

nachgefragt werden, lesen sich wie das<br />

Who is Who der Schein-Ausbildungsberufe:<br />

Restaurantfachmann/-fachfrau,<br />

Fachmann/-frau für Systemgastronomie<br />

oder Gebäudereiniger/-in.<br />

Vermutlich leben wir in einer besseren<br />

Welt, in der kein junger Mensch zu solchen<br />

„Ausbildungsberufen” gezwungen<br />

ist: Ausbeutung der billigen Arbeitskraft,<br />

Nichtübernahme oder 450-Euro-Arrangements.<br />

Schluss mit den Sprüchen von der mangelnden<br />

Ausbildungsreife: Wer erinnert<br />

sich nicht an die markigen Worte von<br />

IHK, Handwerk und der Zeitung mit den<br />

besonders wenigen, aber umso größeren<br />

Buchstaben: „Ein Handwerksmeister klagt<br />

in BILD: So doof sind unsere Schulabgänger”<br />

(BILD-Zeitung vom 26.04.2007). Die<br />

„Zeitung” ließ uns auch in den Abgrund<br />

der Doofheit blicken: „Die schlimmsten<br />

Wissenslücken: Acht Arbeiter vollenden<br />

eine Arbeit in 12 Arbeitstagen. Wie lange<br />

brauchen fünf Arbeiter?”<br />

Nicht nur, dass diese Frage inzwischen<br />

auch Abiturienten mit recht durchwachsenem<br />

Ergebnis gestellt wurde, auch bei den<br />

durchaus cleveren Teilnehmern am Forum<br />

2 konnten auf Anhieb gerade einmal zwei<br />

eine vorzeigbare Antwort liefern. Der<br />

geneigte Leser dieser Zeilen kann ja jetzt<br />

hier selbst seine Ausbildungsreife testen.<br />

Der Kampfbegriff der „mangelnden Ausbildungsreife”<br />

machte in Zeiten fehlender<br />

Ausbildungsplätze die Runde. Sollte heißen:<br />

Nicht wir bieten zu wenig an. Was<br />

uns aus den Schulen geliefert wird, ist<br />

einfach noch nicht reif fürs Berufsleben.<br />

Uns, das Handwerk und die Industrie, trifft<br />

keine Schuld.<br />

Und das ist vielleicht ein kleiner Vorteil<br />

des demographischen Wandels: Diese<br />

menschenverachtenden Sprüche, die<br />

Opfer zu Verursachern machen, hat ein<br />

Ende. Potentielle Ausbildende werden<br />

mit den jungen Menschen vorlieb nehmen<br />

müssen, die da sind.<br />

Wenn Industrie und Handwerk mehr<br />

Auszubildende wollen, sollten sie auf den<br />

immer wieder von den Gewerkschaften<br />

mit Engelsgeduld vorgetragenen Rat<br />

hören: Betrachten Sie ihre Azubis nicht<br />

als billige Arbeitskräfte. Halten Sie sich<br />

an die gesetzlichen Bestimmungen über<br />

die Arbeitszeiten und behandeln Sie die<br />

jungen Menschen mit Respekt. Bieten Sie<br />

attraktive Ausbildungsberufe an, die auf<br />

dem Arbeitsmarkt zu gut bezahlter und<br />

unbefristeter Beschäftigung führen.<br />

Aber welcher Unternehmer hört schon<br />

auf die Gewerkschaften.<br />

Jörg Albert<br />

„facebook-Knigge“ für AusbilderInnen<br />

und Lehrkräfte<br />

Der Begriff „Datenschutz“ sei eigentlich<br />

irreführend, denn es gehe ja nicht um<br />

den Schutz der Daten, sondern um den<br />

Schutz der Personen, auf die sich die Daten<br />

beziehen – so begann Friedhelm Lorig<br />

(von der Behörde „Der Landesbeauftragte<br />

16 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

für den Datenschutz und die Informationsfreiheit<br />

in RLP“) seinen Vortrag – der<br />

Mensch stand bei diesem Ansatz also im<br />

Mittelpunkt, was sich auch darin äußerte,<br />

dass bei dem Forum den konkreten Fragen<br />

und Problemen der Teilnehmer in Sachen<br />

„facebook“ viel Zeit gewidmet wurde.<br />

Wem Begriffe wie „Drittanbietercookie“,<br />

„Freemium“, „ixquick“, „Privatspäreneinstellungen“,<br />

„Diaspora Project“ oder<br />

„Zweiklick-Lösung“ vor der Veranstaltung<br />

noch nichts oder nicht viel sagten, dem<br />

wurde ein kompetenter und fundierter<br />

Input geboten.<br />

Der Datenschützer Lorig beleuchtete dabei<br />

das „Phänomen facebook“ durchaus<br />

kritisch, so zum Beispiel aus juristischer<br />

Sicht, indem er an konkreten Beispielen<br />

die Schwammigkeit der facebook-AGBs<br />

aufzeigte, oder aus ökonomischer Sicht,<br />

als er die Frage, wie überhaupt mit einem<br />

kostenlosen Dienst Geld verdient werden<br />

kann, sehr pointiert beantwortete: „Wenn<br />

du nicht bezahlen musst, dann bist du<br />

nicht der Kunde, sondern die Ware, die<br />

verkauft wird”. Und so wurde im Laufe der<br />

Veranstaltung auch sehr deutlich, dass es<br />

gewichtige Argumente gegen die Präsenz<br />

von Schulen bei facebook („Fanpage“)<br />

und Lehrer-Schüler-Kommunikation via<br />

facebook gibt. Diese haben zumeist mit<br />

Distanz zu tun: nicht nur mit der gebotenen<br />

Distanz im Lehrer-Schüler-Verhältnis,<br />

sondern auch mit der „Distanz gegenüber<br />

den Praktiken des Monopolisten facebook,<br />

die den SchülerInnen zumindest<br />

ermöglicht werden muss.“<br />

Dr. Marcel Sommer<br />

Ausbrennen im 45-Minuten-<br />

Takt: „Burnout am Arbeitsplatz<br />

Schule“ - Analyseansatz und<br />

Prophylaxen<br />

Die beiden ReferentInnen, Dr. Barbara<br />

Breidenbach und Ludger Grünewald,<br />

eröffneten das Forum mit einer Vorstellungsrunde,<br />

was bei diesem sehr persönlichen<br />

und problembeladenen Thema<br />

von besonderer Wichtigkeit ist. Der Raum<br />

war zuvor von Barbara Breidenbach ganz<br />

im Sinne einer Montessori-Pädagogik<br />

didaktisch komplett ausgestaltet, so dass<br />

die Teilnehmer bereits beim Betreten des<br />

Raumes die entscheidenden Aussagen<br />

und Graphiken bzw. Tabellen zur Problematik<br />

großflächig hervorgehoben sichten<br />

konnten.<br />

In einem ersten Analyse-Teil erfuhren die<br />

TeilnehmerInnen erschreckende Zahlen:<br />

Jeder Zweite im vorzeitigen Ruhestand<br />

in der Lehrerschaft zeigt Formen von<br />

Depression! Gerade die Hochmotivierten<br />

und die Hochengagierten gehen diesen<br />

Leidensweg! In diesem Zusammenhang<br />

wurden zuerst die Stressoren untersucht,<br />

die in Stressoren am Arbeitsplatz Schule<br />

und in private Stressoren unterteilt wurden.<br />

In diesem Kontext wurde jeder Teilnehmer<br />

aufgefordert, seine „Antreiber“<br />

selbst zu erkennen.<br />

Burnout – so Barbara Breidenbach – ist<br />

keine „Mode“, Burnout ist ein hochkomplexes<br />

Phänomen; Burisch hat 1994 die<br />

Symptome des Burnout in 7 Kategorien<br />

klassifiziert, die Teilnehmer konnten da<br />

bereits diskutieren, inwieweit Burisch<br />

dieses stark verbreitete Erschöpfungssyndrom<br />

korrekt beschrieben hat.<br />

Schwerpunkt dieses Workshops war neben<br />

der Analyse natürlich die sogenannte<br />

Umkehrung der Burnout-Kurve, die<br />

möglich ist. Hier wird natürlich die Frage<br />

relevant: Wo bin ich stark? Wo liegen<br />

meine inneren Ressourcen und wie kann<br />

ich diese stärken?<br />

Hierzu hat bereits 1974 Lazarus Bahnbrechendes<br />

geforscht, ganz im Sinne<br />

einer Stressbewältigung mit Hilfe von<br />

„Coping“…<br />

Über die Fragen, ob unsere inneren Ressourcen<br />

zur Stressbewältigung reichen<br />

oder wie unsere innere Einstellung als<br />

Lehrkraft aussieht, wurde intensiv nachgedacht.<br />

Fakt ist, dass die Zeit in diesem<br />

Workshop definitiv nicht ausgereicht hat.<br />

Ein Fazit war u.a. auch der Gedanke, dass<br />

jeder Lehrer außerhalb seines Berufes ein<br />

Hobby haben sollte, um abzuspannen im<br />

Sinne einer Burnout-Prophylaxe, sei dies<br />

der Fußball-Verein oder das Singen im<br />

Chor, das Gärtnern etc. …<br />

Ausgestattet mit sehr viel Material zum<br />

Thema Burnout und mit der Erfahrung<br />

von sehr konstruktiven Gesprächen<br />

gingen die TeilnehmerInnen zufrieden<br />

auseinander.<br />

Ludger Grünewald<br />

Wie ausbildungsreif sind die Betriebe?<br />

Der Referent zu diesem Thema war Benjamin<br />

Krautschat vom DGB-Bundesvorstand;<br />

er stellte als Grundlage des Forums<br />

den „Ausbildungsreport 2012“ vor, der<br />

auf der Basis einer Befragung von etwas<br />

über 12.000 Auszubildenden erstellt<br />

wurde. Susanne Wingertszahn von der<br />

DGB-Jugend und Wolfgang Butterbach<br />

von der <strong>GEW</strong> vertraten jeweils auf rheinland-pfälzischer<br />

Seite die Organisatoren<br />

des Tages der beruflichen Bildung.<br />

Erfreulich war zu hören, dass viele der<br />

Auszubildenden mit ihrer Ausbildung<br />

zufrieden bis sehr zufrieden sind. Dennoch<br />

bleibt bedenklich, wie es um das<br />

letzte Viertel bestellt ist, wo die für die<br />

Ausbildungsqualität relevanten Kriterien<br />

wie zum Beispiel Überstunden (38,1%),<br />

das häufige Verrichten ausbildungsfremder<br />

Tätigkeiten (10,8 % immer o. häufig;<br />

18,7% manchmal) oder auch Perspektiven<br />

auf Übernahme als nicht zufriedenstellend<br />

erlebt werden. So ist es auch auffäl-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

17


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

lig, „… dass viele der Berufe mit einem hohen<br />

Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze<br />

gleichzeitig auch überdurchschnittlich<br />

hohe vorzeitige Vertragsauflösungsquoten<br />

aufweisen.“<br />

Und wiederum gehören viele dieser<br />

Berufe zu denen, die bei der Beurteilung<br />

der Zufriedenheit mit dem Ausbildungsberuf<br />

allgemein sowie mit der<br />

fachlichen Qualität der Ausbildung im<br />

Betrieb auf den hinteren Plätzen der<br />

Rangliste stehen (z. B. MalerIn u. LackierIn;<br />

FachverkäuferIn im Lebensmittelhandwerk;<br />

Restaurantfachmann/-frau;<br />

Hotelfachmann/-frau; MetallbauerIn;<br />

Koch/Köchin).<br />

„Welche Konsequenzen ergeben sich also<br />

aus der Umfrage für die Ausbildung in den<br />

Betrieben?“ So lautete eine Frage aus der<br />

Runde der Teilnehmer/-innen.<br />

Benjamin Krautschat stellte hier verschiedene<br />

Ebenen vor, auf denen angesetzt<br />

wird bzw. werden kann, um die Probleme<br />

anzugehen. So werden die Ergebnisse der<br />

Studie einerseits veröffentlicht, damit<br />

sie allgemein bekannt werden. Darüber<br />

hinaus dient der Report auch dazu, um<br />

gezielt bestimmte Personen und Gruppen<br />

anzusprechen wie etwa Politiker,<br />

Journalisten und Vertreter der Kammern.<br />

Er dient auch den Vertretern der Gewerkschaften<br />

als Info-Basis für ihre Arbeit z. B.<br />

in Tarifverhandlungen. Auch Betriebsräte<br />

beziehen sich auf die Erhebung bei ihren<br />

betriebsinternen Verhandlungen. Über<br />

den Gesamtreport hinaus sind besonders<br />

die regionalen Reporte wichtig, da sie für<br />

die Argumentation in einer bestimmten<br />

Region genauere Zahlen zu Verfügung<br />

stellen.<br />

Für die Auszubildenden selbst ist der Report<br />

nicht zuletzt auch eine Möglichkeit,<br />

ihre eigenen Ausbildungssituationen<br />

zu reflektieren und ein entsprechendes<br />

Bewusstsein in der Auseinandersetzung<br />

mit der Thematik auszubilden.<br />

In einem Exkurs hat sich der Ausbildungsreport<br />

2012 auch mit der Qualität<br />

der Berufsschule befasst, was im Forum<br />

zu Diskussionen führte, die etwas vom<br />

Thema „Ausbildungsreife der Betriebe“<br />

wegführten. Dennoch gibt es hier Verbindungs-<br />

und Ansatzpunkte dadurch,<br />

dass der Berufsschulunterricht von Auszubildenden<br />

dort als gut oder sehr gut<br />

bewertet wurde, wo das auch auf die<br />

Abstimmung zwischen Schule und Betrieb<br />

zutraf - und umgekehrt.<br />

Die Schule kann also hier anknüpfen<br />

und sowohl die eigene Ausbildung und<br />

Zusammenarbeit mit der betrieblichen<br />

Ausbildungsseite verbessern als auch<br />

über diesen Prozess die Bewusstseinsbildung<br />

bei den Auszubildenden und den<br />

entsprechenden Betrieben begleiten.<br />

Dass das nur die Andeutung von Lösung<br />

sein kann und das „Bohren von dicken<br />

Brettern“ bedeutet, ist klar und wurde<br />

auch aus den Erfahrungsberichten einiger<br />

Teilnehmer des Forums zur Genüge<br />

deutlich!<br />

Wolfgang Butterbach<br />

Unterricht und Recht<br />

ReferentInnen zu diesem Thema waren<br />

Brigitte Strubel-Mattes (Fachanwältin für<br />

Arbeitsrecht, <strong>GEW</strong> RLP), Claudia Neubauer-Windgätter<br />

und Dr. Jan-Christoph<br />

Herrmann (beide: Staatl. Studienseminar<br />

Berufsbildende Schulen, Trier)<br />

„AusbilderInnen, LehrerInnen und LehramtsanwärterInnen<br />

werden immer<br />

wieder mit rechtlichen Problemen konfrontiert,“,<br />

hieß es im Untertitel, und<br />

genau das zeigte sich sehr schnell im<br />

Laufe des Forums „Unterricht und Recht“.<br />

Im Plenum fanden Fragen rund um die<br />

Themenbereiche Aufsichtspflicht, Urheberrecht,<br />

Umgang mit Social Media und<br />

Persönlichkeitsrechtsverletzungen sehr<br />

reges Interesse bei den TeilnehmerInnen.<br />

Brigitte Strubel-Mattes zeigte anhand von<br />

vielen Praxisbeispielen anschaulich, wie<br />

u.a. Klagen von Eltern gegen Lehrkräfte<br />

von den Gerichten behandelt werden<br />

und wie wichtig es für jeden ist, die<br />

Rechtsvorschriften zu kennen. Es zeigte<br />

sich, dass viele LehrerInnen – ohne es<br />

zu wissen – fast täglich Urheberrechte<br />

verletzen, und wie man professionell die<br />

Wahrung derer in der Praxis umsetzt.<br />

Besonders die Aufsichtspflicht und die –<br />

teilweise problematische – Umsetzung<br />

in der Praxis beschäftigte vor allem die<br />

jüngeren <strong>GEW</strong>-Mitglieder. Fachkundig<br />

konnten jedoch auch hier im Gespräch<br />

offene Fragen beantwortet werden und<br />

für mehr Sicherheit im Umgang mit den<br />

Rechtsvorschriften gesorgt werden.<br />

Dr. Jan-Christoph Herrmann<br />

Fotos Tag der beruflichen Bildung: Peter Heisig<br />

18 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />

Ein-Mann-Kabarett-Kollektiv Büb Käzmann<br />

Was hat ein Kabarett denn mit dem Tag der<br />

beruflichen Bildung der <strong>GEW</strong> Fachgruppe<br />

BBS und des DGB zu tun? Zumal wenn es<br />

sich auch noch um das einzige Ein-Mann-<br />

Kabarett-Kollektiv der Welt nicht nur von<br />

Rheinland-Pfalz handelt.<br />

Angenommen, man hätte das Vergnügen<br />

gehabt, Büb Käzmann live und in Farbe erleben<br />

zu dürfen, hätte man immerhin den<br />

vagen, aber emotional vertieften Eindruck<br />

gewinnen können, wie das in der Bildungslandschaft<br />

von Rheinland-Pfalz zusammenhängen<br />

könnte. Dr. Markus Höffer-Mehlmer,<br />

in einer Überschrift der AZ im vergangenen<br />

Dezember immerhin zum Zuständigen für<br />

die Qualität der Schulen erklärt, outet sich<br />

selbst unter seinem Künstlernamen als<br />

Agent eines quälfreien Survivaltrainings. Damit<br />

ist gleich zu Beginn der kabarettistischen<br />

Darbietungen das Kürzel AQS in einen neuen<br />

Kontext implementiert, und der sonst nicht<br />

unbedingt beliebte Begriff bekommt für<br />

Beifall spendende Lehrerinnen und Lehrer<br />

fast eine Wohlfühlnote. Lachend folgen sie<br />

dem selbsternannten Überlebenstrainer,<br />

der in allen Facetten seiner Profession dem<br />

Gedanken der Bildung nachspürt. Das Lachen<br />

der Tagungsteilnehmer befreit von den<br />

Anstrengungen der professoralen Präsentation<br />

vom Vormittag und tritt an die Stelle<br />

einer oft zwanghaften und schematischen<br />

Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse<br />

der Workshop genannten Arbeitsgruppen<br />

am Nachmittag.<br />

Büb Käzmann verwandelt sich auf der Bühne<br />

Schlusswort des Landesvorsitzenden<br />

Klaus-Peter Hammer bedankte sich bei<br />

den Ausrichtern des Tages der Beruflichen<br />

Bildung sowohl für die geleistete Arbeit als<br />

auch für die guten neuen Erkenntnisse aus<br />

der der Präsentation von Professor Dr. Sell<br />

und den anschließenden Beratungen. Er,<br />

selbst in seiner Schullaufbahn durch den<br />

Besuch eines beruflichen Gymnasiums geprägt,<br />

fühle sich in besonderem Maße der<br />

beruflichen Bildung verpflichtet, freue sich,<br />

dass in Zusammenarbeit mit dem DGB wieder<br />

eine solch erkenntnisreiche Tagung habe<br />

durchgeführt werden können. Er hoffe, dass<br />

damit wieder eine Zusammenarbeit aufgenommen<br />

wurde, die turnusmäßig alle zwei<br />

Jahre möglicherweise auch mit neuen Partnern<br />

durchgeführt werden könne. Damit<br />

bezog sich der Landesvorsitzende auf den<br />

durch das Austauschen von Kleidungstücken<br />

und diverser Accessoirs in eine multiple<br />

Persönlichkeit, die einerseits die Zuschauer<br />

mitnimmt und zu einem Rollentausch<br />

einlädt, sie andererseits lachend unterhält<br />

und zu einem Perspektivenwechsel zwingt.<br />

Plötzlich ist Büb Käzmann der Räuber Hotzenplotz,<br />

der zwar immer noch in tiefen<br />

Wäldern sein ‚Un‘wesen treibt, aber auch<br />

gezwungen wird, durch modernere Methoden<br />

des Qualitätsmanagement seine<br />

Profession zu optimieren. Seine Kunden, im<br />

realen Leben auch Opfer genannt, können<br />

diesen Optimierungsprozess unterstützen<br />

durch einen Feedbackbogen, der bei<br />

Lehrerinnen und Lehrern wiederum die<br />

eigenen Rolle bei der externen Evaluation<br />

aufblitzen lässt. So bleibt die Darbietung<br />

unterhaltsam, hinterlässt anderseits das<br />

Hinweis von Professor Sell, dass die Hochschulen<br />

durch die Bachelorausbildung auch<br />

zu einem neuen Bestandteil der Beruflichen<br />

Bildung geworden sind. Hier könne man<br />

z. B. mit der Fachgruppe Hochschule und<br />

Forschung neue Perspektiven entwickeln.<br />

Klaus-Peter Hammer konnte allerdings die<br />

Tagung nicht beenden, ohne kurz über die<br />

in Potsdam abgeschlossenen Tarifverhandlungen<br />

zu informieren. Während dem Tarifergebnis<br />

zu Entgelt und Urlaub zugestimmt<br />

werden konnte, hätten die Arbeitgeber den<br />

Einstieg in die Lehrkräfte-Entgeltordnung<br />

verweigert. Hier hätten die Arbeitgeber<br />

schändlich ihre Macht missbraucht, was die<br />

Kampfbereitschaft der <strong>GEW</strong> nur vergrößern<br />

könne.<br />

Peter Heisig<br />

Publikum in einer selbstreflektierenden<br />

Grundhaltung. Und schon geht es wieder<br />

weiter, die sogenannten sozialen Netzwerke<br />

können nicht ausgespart werden, wie auch<br />

die allgegenwärtige Finanzkrise im Raum<br />

präsent ist. Während der Aktienhandel so<br />

manche Bank, wenige Banker, aber immerhin<br />

viele unwissende Anleger in den Ruin<br />

getrieben hat, setzt Büb Käzmann auf den<br />

Verkauf von krisensicheren Zugplakettchen. 1<br />

Mit dieser sozioökonomischen Perspektive<br />

entlässt er sein Publikum aus der Hochburg<br />

des Frohsinns in den beruflichen Alltag.<br />

Sabine Weiland, Peter Heisig<br />

1<br />

für die NichtfastnachterInnen: Das Zugplakettche<br />

ist ein spezieller Halsschmuck (Anhänger), dessen<br />

Verkaufserlös der Finanzierung des Mainzer Rosenmontagszuges<br />

zufließt.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

19


Politik<br />

Prof. Dr. Stefan Sell rechnet ab<br />

Bildungspolitik in Zeiten der Schuldenbremse<br />

In einem vollen Hörsaal in der Universität<br />

Koblenz-Landau, Campus Koblenz, begrüßte<br />

Elmar Ihlenfeld, der Vorsitzende<br />

des <strong>GEW</strong>-Bezirksverbandes Koblenz,<br />

die zahlreichen Beschäftigten aus Kitas,<br />

Schulen, der Hochschule und anderer<br />

Bildungseinrichtungen sowie den Referenten.<br />

Er begründete das Thema des<br />

Tages „Bildungspolitik in Zeiten der<br />

Schuldenbremse“ mit den aktuellen<br />

Einsparungen, unter denen die Bildungseinrichtungen<br />

bereits heute zu leiden<br />

hätten. Ziel der Veranstaltung sei es, die<br />

Öffentlichkeit wachzurütteln und die<br />

Konsequenzen der Schuldenbremse für<br />

die Bildung aufzuzeigen.<br />

Schuldenbremse ist eine<br />

„politische Bankrotterklärung“<br />

Prof. Dr. Stefan Sell vom Institut für<br />

Bildungs- und Sozialpolitik an der Hochschule<br />

Koblenz begann mit der scheinbar<br />

lustigen Bemerkung, warum Politikern<br />

bei der Frage, wo man Ein-Euro-Jobber<br />

und ehemalige Schlecker-Frauen einsetzen<br />

könne, immer zuerst Kitas und<br />

Pflegeheime einfallen. Antwort: „Weil es<br />

die schwächsten Glieder der Gesellschaft<br />

sind“. Die Schuldenbremse nannte er eine<br />

„Bankrotterklärung“ der Regierenden,<br />

weil sie sich nicht in der Lage sehen, keine<br />

Schulden zu machen, und er erinnerte<br />

an den Beginn der allgemeinen Krise: die<br />

Flutung mit „billigem Geld“ in Verbindung<br />

mit gigantischen Bankenrettungsprogrammen<br />

und weil in den USA die Banken Geld<br />

geliehen hätten für Häuser, die zu 100 Prozent<br />

über Fremdkapitel finanziert worden<br />

seien. Das ungelöste fundamentale Doppelproblem<br />

der globalen Ökonomie heute<br />

sei einerseits die globale Vermögensblase<br />

mit der massiven Umverteilung von unten<br />

nach oben und die globale Schuldenblase.<br />

Die Entwicklung der öffentlichen Schulden<br />

von 1950 bis 2009 in Deutschland zeige<br />

vor allem die steile Bewegung nach oben<br />

im Bund (2 Billionen Staatsschulden),<br />

weniger in den Ländern (44 Milliarden<br />

Landesschulden in Rheinland-Pfalz im Jahr<br />

2011) und noch weniger in den Kommunen,<br />

obgleich die rheinland-pfälzischen<br />

Kommunen nach Sell an der Spitze der<br />

verschuldeten Kommunen in Deutschland<br />

lägen.<br />

Die Schuldenkurve sei typisch für einen<br />

„Suchtkranken“: Jedes Jahr werden neue<br />

Kredite aufgenommen. „Wir sind so abhängig,<br />

dass wir Bremsen einbauen müssen“.<br />

In einer Zeit niedriger Zinsen zahle<br />

Rheinland-Pfalz jährlich eine Milliarde an<br />

Zinsen. „Was passiert eigentlich“, fragte<br />

Sell, „wenn die Zinsen steigen?“ Er sprach<br />

von einem Sprengsatz. Zudem hänge das<br />

Land am Tropf der Bundessteuergesetzgebung.<br />

Es könne nicht von sich aus die<br />

Steuer erhöhen. Die Schuldenbremse<br />

gelte für Bund und Länder, nicht für die<br />

Kommunen. Freilich habe diese Bremse<br />

über den Fiskalpakt jetzt auch die Gemeinden<br />

erreicht.<br />

In Sachen Bildung sprach Sell von einem<br />

„Föderalismus-Dilemma“. Es sei der<br />

ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck<br />

gewesen, der sich vehement für ein Kooperationsverbot<br />

mit dem Bund eingesetzt<br />

habe. Die Experten seien damals<br />

dagegen gewesen, weil sie den Investitionsstau<br />

und den Bedarf an echten Neuinvestitionen<br />

gesehen hätten. Prof. Sell:<br />

„Kaum zu Hause, merkte Herr Beck, dass<br />

Studienplätze fehlen, und bat sofort den<br />

Bund um Hilfe“.<br />

Die Bundesrepublik hinke mit ihren<br />

Lohnstückkosten hinter den anderen<br />

europäischen Ländern hinterher. Die Gewerkschaften<br />

hätten zu niedrige Löhne<br />

gefordert, für Prof. Sell mit ein Grund<br />

für den Außenhandelsüberschuss. „Die<br />

Exportüberschüsse sind in die Höhe geschossen“.<br />

Nur 0.62 Prozent des Bruttoinlandprodukts<br />

für die Kitas<br />

Wie sieht es vor diesem Hintergrund in<br />

der Bildungspolitik im engeren Sinne aus?<br />

Derzeit flössen 16,2 Milliarden Euro an<br />

öffentlichen Mitteln in Deutschland in<br />

alle Kindertageseinrichtungen und in die<br />

Tagespflege. Dies seien 0,62 Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts. Die Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />

Entwicklung (OECD) habe freilich schon<br />

vor Jahren als Zielgröße an öffentlichen<br />

Mitteln für die Tagesbetreuung der Kinder<br />

bis zum Schuleintritt ein Prozent des BIB<br />

vorgegeben. Würde diese Zielgröße in<br />

Deutschland realisiert, dann wären das<br />

24,77 Milliarden Euro pro Jahr, also rund<br />

neun Milliarden Euro mehr als derzeit.<br />

Diese Zielgröße sei nach Sell nicht „beliebig“,<br />

denn die skandinavischen Länder<br />

und auch Frankreich leisteten sich diese<br />

Ausgaben. Durch den Ausbau der Kitas für<br />

unter Dreijährige entstünden zusätzliche<br />

Kosten, weil Kinder unter drei Jahren<br />

teurer seien als Kinder über drei Jahren.<br />

„Diese Unterfinanzierung beim Ausbau<br />

20 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Politik<br />

der Kindertagesstätten führt zu einer<br />

Konzentration der Unverträglichkeit für<br />

die Pflegenden und die Betroffenen.“<br />

Wie sieht es nun mit den Schülerzahlen in<br />

Rheinland-Pfalz aus? Von 2009 bis 2013,<br />

so Sell, sei die Zahl der Grundschüler<br />

um über 11 Prozent gesunken, bis 2025<br />

gehe die Zahl erneut um 2,1 Prozent<br />

zurück, in der Sekundarstufe um 20,2, in<br />

der Sekundarstufe II um 27,2 und in den<br />

beruflichen Schulen um 26,2 Prozent –<br />

eine Menge Luft also, um die Qualität an<br />

diesen Bildungseinrichtungen zu erhöhen.<br />

Eine weitere Ressource: Man könnte nach<br />

Sell die Lehrerausbildung vereinheitlichen<br />

und nicht mehr an Schularten ausrichten.<br />

Damit könnten die Lehrerinnen und Lehrer<br />

flexibler in den Schularten eingesetzt<br />

werden.<br />

Schulzentren für Inklusion<br />

Die UN-Charta bezüglich der Inklusion<br />

nannte Sell „weder Fisch noch Fleisch“.<br />

Er vermutet dahinter die Absicht, die<br />

Förderschulen abzuschaffen. In anderen<br />

Ländern laute das Stichwort „innere<br />

Differenzierung“. Sie gruppiere innerhalb<br />

der Lerngruppen nach Interesse und Leistung,<br />

nach Fordern und Fördern, nach<br />

Lerntyp und Lerntempo. Sie schließe die<br />

Gruppenarbeit, Methodenvielfalt und<br />

auch das praktische sowie das außerschulische<br />

Lernen ein. „Intra-class“ und „Intraschool-grouping“<br />

heiße dieses Verfahren<br />

in der angelsächsischen Schulpädagogik.<br />

Sell: „Das Problem liegt jedoch darin, dass<br />

es in diesen Ländern in entsprechenden<br />

Colleges und Teacher Centers intensiv<br />

studiert, gelehrt und laufend auf seine Effektivität<br />

erforscht wird, während es in der<br />

deutschen Lehrerbildung hingegen nur<br />

ein selten angebotenes Modul sei. „Unsere<br />

Lehrer“, so Sell, „können nur in seltenen<br />

Fällen so viel wie möglich integrieren und<br />

so viel wie notwendig separate Hilfen<br />

anbieten“. Diese Ausbalancierung sei<br />

in Schulzentren möglich, wie vor allem<br />

die skandinavischen Länder und Kanada<br />

zeigten. In diesen Schulzentren verblieben<br />

behinderte Schüler immer dann in ihren<br />

Klassen bzw. Stammgruppen, wenn dort<br />

ihr Lernen angemessen sei, wenn weder<br />

Über- noch Unterforderung ihnen zu<br />

schaffen machten. In den Lernbereichen<br />

aber, in denen gesonderte Hilfestellungen<br />

notwendig seien, besuchten die beeinträchtigten<br />

Kinder „special classes“, die<br />

auch von Sonderpädagogen geleitet<br />

werden und die zusammen die „special<br />

school“ des jeweiligen Schulzentrums ausmachten.<br />

Konkret: Eine körperbehinderte<br />

Schülerin, der z.B. Dyskalkulie zu schaffen<br />

mache, werde diese ihre Rechenschwäche<br />

innerhalb ihrer Klassengruppe durch ein<br />

auf sie hin konzipiertes Curriculum peu à<br />

peu zu beheben haben, den Sport-, Kunstoder<br />

auch Musikunterricht jedoch in<br />

ihrer Spezialklasse absolvieren. In diesen<br />

Ländern handle man eben pragmatisch,<br />

aber im Zweifelsfall immer für das Kind,<br />

meinte Sell.<br />

Steuergerechtigkeit statt Staatsverschuldung<br />

- Studiengebühren<br />

für Wohlhabende<br />

Wo und wie kommen wir an das Geld,<br />

das wir für „Bildungsaufbrüche“ und sonstige<br />

sinnvolle Investitionen brauchen?<br />

Die Steuergerechtigkeit, so Sell, habe in<br />

Deutschland in den vergangenen Jahren<br />

gelitten. Die Steuerbelastung der wirtschaftlich<br />

leistungsfähigeren Steuerzahler<br />

sei gesunken, die der finanziell schlechter<br />

gestellten aber gestiegen. Entsprechend<br />

habe sich der Abstand zwischen Arm und<br />

Reich erhöht. Die Defizite des Steuersystems<br />

zeigten sich besonders deutlich<br />

am Verhältnis der direkten Steuern auf<br />

Einkommen und Vermögen zu den indirekten<br />

Steuern wie der Umsatzsteuer.<br />

Während das Verhältnis des Aufkommens<br />

der direkten Steuern zum Aufkommen<br />

der indirekten Steuern vor einiger Zeit in<br />

Deutschland noch 60 zu 40 betrug, beläuft<br />

es sich mittlerweile nach der Erhöhung<br />

der Umsatzsteuer und der Senkung der<br />

Einkommens- und Körperschaftssteuer<br />

umgekehrt auf 40 zu 60. Sell: „Ein wesentlich<br />

größerer Anteil der Steuereinnahmen<br />

wird also aus Steuern erzielt, welche<br />

die Finanzkraft der Steuerzahler nicht<br />

berücksichtigen.“ Sein Vorschlag: „Der<br />

Spitzensteuersatz wird einheitlich auf 53<br />

Prozent erhöht, und die Spitzenbesteuerung<br />

beginnt ab einem zu versteuernden<br />

Einkommen von 67.000/134.000 Euro<br />

(alleinstehend/verheiratet). Der Eingangssteuersatz<br />

setzt mit 14 Prozent bei<br />

8.500/17.000 ein. Die derzeit geltende<br />

Abschlagssteuer auf Kapitaleinkünfte mit<br />

25 Prozent wird abgeschafft und die Einkunftsart<br />

nach dem allgemeinen Einkommensteuertarif<br />

belastet. Für alle Zins- und<br />

Dividendenzahlungen aus dem In- und<br />

Ausland gibt es Kontrollmitteilungen an<br />

die zuständigen Finanzämter. Das immer<br />

noch geltende Ehegattensplitting, das<br />

Alleinverdienerinnen bzw. Alleinverdiener<br />

innerhalb der Familie im Bereich des Spitzensteuersatzes<br />

bevorteilt, ist nach einer<br />

Einrichtung von Übergangsregeln schließlich<br />

abzuschaffen. Der Körperschaftsteuersatz<br />

für die Kapitalgesellschaften wird<br />

von derzeit 15 auf 30 Prozent erhöht.“<br />

Sell plädierte auch dafür, die derzeitige<br />

Gewerbesteuer als wichtigste autonome<br />

Einnahmequelle der Kommunen<br />

in eine aufkommensstarke und stabile<br />

Gemeindewirtschaftssteuer umzubauen.<br />

Alle erwerbswirtschaftlich Aktiven,<br />

also auch die Freiberuflerinnen und<br />

Freiberufler sowie die Selbstständigen,<br />

die vom kommunalen Leistungsangebot<br />

profitierten, sollten zu den zu besteuernden<br />

Unternehmen zählen. Auch eine<br />

Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie<br />

eine Finanztransaktionssteuer sollte<br />

eingeführt werden. Grundsätzlich, so<br />

der Sozialwissenschaftler, müssten die<br />

Reichen an den Bildungsausgaben stärker<br />

beteiligt werden, „rein bildungspolitisch“<br />

spreche alles für Studiengebühren, denn<br />

heute studierten überwiegend Menschen<br />

aus wohlhabenden Familien.<br />

Text und Foto: Paul Schwarz<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

21


Bildungspolitik<br />

Im Gespräch: Frieder Bechberger-Derscheidt<br />

„Einmal <strong>GEW</strong> – immer <strong>GEW</strong>“<br />

Ein hohes Lob spricht jemand dann aus,<br />

wenn er einem Menschen bescheinigt,<br />

er kenne eine Sache in- und auswendig.<br />

Frieder Bechberger-Derscheidt ist so<br />

einer: pädagogische Ausbildung, Lehrer,<br />

Schulleitung, <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender<br />

und Abteilungsleiter im Bildungsministerium.<br />

Schule und alles, was sie bewegt,<br />

ärgert, behindert und fördert, kennt<br />

er aus unterschiedlichen Perspektiven,<br />

auch so manches bildungspolitische<br />

Geheimnis, das er natürlich nicht ausplaudert.<br />

Der schulische Aufbruch<br />

in den 70er Jahren<br />

Frieder Bechberger-Derscheidt aus Kaiserslautern<br />

wurde letzten Monat 70 Jahre<br />

und blickt auf ein buntes und erlebnisreiches<br />

Pädagogenleben zurück. Frieder<br />

hat die rheinland-pfälzische Bildungspolitik<br />

der letzten Jahrzehnte beeinflusst und<br />

mitbestimmt wie nur wenige im Land.<br />

Nach dem Studium der Fächer Deutsch<br />

und Geschichte/Sozialkunde an der PH<br />

Kaiserslautern in den 60er Jahren – er<br />

war damals auch ASTA-Vorsitzender –<br />

tritt er seine erste Lehrerstelle an einer<br />

kleinen Mittelpunktschule im Landkreis<br />

Kaiserslautern an. Die katholischen und<br />

evangelischen Volksschulen lösen sich<br />

auf, so genannte Mittelpunktschulen,<br />

Hauptschulen, treten an ihre Stelle. Damals<br />

wurde noch „brutal geschlagen“, wie<br />

sich Frieder erinnert. Sein Schuleiter sei<br />

ein „kleiner Dorffürst“ gewesen, Presbyter,<br />

pietistisch angehaucht und mit einer<br />

Nazi-Vergangenheit als HJ-Führer. „Und<br />

wir 68er“, erinnert sich Frieder, „waren<br />

auf dem Weg, uns von der Pädagogik der<br />

50er Jahre zu verabschieden“. Hartmut<br />

von Hentig hieß einer der pädagogischen<br />

Pfadfinder, innere Differenzierung war<br />

notwendig in großen jahrgangsübergreifenden<br />

Klassen mit bis zu 50 Schülerinnen<br />

und Schülern; die Kleinen lernten von den<br />

Großen. Frieders Motto: mehr Selbstbestimmung<br />

in der Schule, mehr Demokratie<br />

im Kollegium. „Als ich die Schule dort<br />

nach vier Jahren verließ“, erzählt er, „gab<br />

es wenigstens einmal im Monat eine<br />

Lehrerkonferenz, was vorher undenkbar<br />

gewesen ist“.<br />

Es folgt die vielleicht prägendste Zeit für<br />

ihn: Lehrer zu sein an der IGS Kaiserslautern,<br />

an der ersten integrierten Gesamtschule<br />

in Rheinland-Pfalz. Lehrpläne<br />

für diese Schulform gab es noch keine. Sie<br />

mussten entwickelt werden, z.B. das Curriculum<br />

für Gesellschaftslehre, für das sich<br />

Frieder stark engagierte. „Ab 1971 wurde<br />

die IGS inhaltlich und organisatorisch<br />

vorbereitet, ich habe bei der Erstellung<br />

dieses Curriculums mitgearbeitet. Alle, die<br />

in vorbereitenden Fachgruppen mitmachten,<br />

erhielten eine Stunde Entlastung“.<br />

Auch an der IGS Kaiserslautern „regierte“<br />

ein autoritärer Schulleiter, gegen dessen<br />

anfängliche „aggressive Autorität“ er sich<br />

zusammen mit anderen Kolleginnen und<br />

Kollegen nach eigenen Worten ständig<br />

wehren musste, „aber diese Konflikte<br />

haben mich weiter gebracht. Wir wollten<br />

schon damals eine Schule für alle Kinder,<br />

unabhängig von Status und Herkunft der<br />

Eltern.“ 1975 wurde Frieder als Stufenleiter<br />

kommissarisch in die Schulleitung<br />

berufen. Seine Gestaltungsmöglichkeiten<br />

nahmen zu, auch die Chance, diese<br />

Schule nach außen zu vertreten. „Und<br />

das CDU-Ministerium seinerzeit gab uns<br />

viel Freiraum und führte uns nicht am<br />

Gängelband.“<br />

Und dann kam die <strong>GEW</strong>? „Nein, die <strong>GEW</strong><br />

war schon immer da. Seit meiner ersten<br />

Lehrerstelle war ich aktiv auf Kreisebene<br />

tätig, kam viel herum und lernte viele<br />

Schulen kennen. „Wir wollten die <strong>GEW</strong><br />

neu justieren, da ziemlich viele ältere Kollegen<br />

aus der Weimarer- und Nachkriegszeit<br />

in jenen Jahren noch aktiv gewesen<br />

sind und teilweise andere Vorstellungen<br />

von Gewerkschaft hatten als wir.“<br />

Die Zeit als <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />

Nach vier Jahren (1970-1974) als Junglehrervertreter<br />

im Landesvorstand blieb der<br />

Versuch, 1974 als „Referatsleiter Bildungspolitik“<br />

in den Landesvorstand gewählt<br />

zu werden, erfolglos. Erst 1980 wurde<br />

Frieder Bechberger-Derscheidt wieder<br />

Mitglied im Landesvorstand und drei<br />

Jahre später auf dem Gewerkschaftstag<br />

in Koblenz im ersten Wahlgang mit knapper<br />

Mehrheit zum Landesvorsitzenden<br />

gewählt. Die Wiederwahl 1986 brachte<br />

ihm kaum noch Gegenstimmen ein, und<br />

1989, bei der dritten Wahl zum Landesvorsitzenden,<br />

wurde er mit einem fast<br />

100-Prozent-Ergebnis für seine bisherige<br />

Arbeit belohnt.<br />

Worauf ist Frieder stolz, wenn er auf seine<br />

<strong>GEW</strong>-Zeit zurückblickt? Zum Beispiel auf<br />

den grundsätzlichen Demokratieprozess<br />

in der <strong>GEW</strong>, zu dem auch der Kampf gegen<br />

die Berufsverbote gehörte, ein Einsatz für<br />

KollegInnen, die dem Kommunismus nahe<br />

standen. „Wir vertreten <strong>GEW</strong>-Mitglieder“,<br />

so sein Bekenntnis, „deren freie Meinung<br />

wir schützen, auch wenn sie nicht mit<br />

unserer übereinstimmt“. Auch die Zusammenführung<br />

der Partikularinteressen<br />

der einzelnen Fachgruppen sei seinerzeit<br />

gut gelungen. Gern erinnert er sich auch<br />

noch an die Reduzierung des Deputats<br />

für Hauptschullehrer von 28 auf 27 Wochenstunden.<br />

22 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Bildungspolitik<br />

Was nicht so gelungen ist? Den Stellenabbau<br />

zu verhindern, der damals<br />

– auf dem Hintergrund zurückgehender<br />

Schülerzahlen – von der Landesregierung<br />

sehr rigide durchgezogen wurde.<br />

In der Zeit von Kultusminister Georg<br />

Gölter (1979-91) seien 3.000 Planstellen<br />

abgebaut worden, die Ursache für die<br />

jahrelange Lehrerarbeitslosigkeit. Leider<br />

habe er es als Landesvorsitzender nicht<br />

geschafft, die Dreigliedrigkeit des Schulwesens<br />

aufzuweichen. Die einzelnen<br />

Integrierten Gesamtschulen seien Inseln<br />

im Land geblieben, „wir hatten nicht die<br />

Durchschlagskraft, die Position der CDU<br />

aufzubrechen“.<br />

Die Zeit im Bildungsministerium<br />

1991, als die SPD die Regierung in Mainz<br />

übernahm, rief Rose Götte, die neue<br />

Bildungsministerin, Frieder Bechberger-<br />

Derscheidt und übergab ihm die Leitung<br />

des Ministerbüros. Bedeutete dieser<br />

Schritt ins Ministerium einen Bruch oder<br />

eine weitere Kontinuität der gewerkschaftlichen<br />

Arbeit? „Leider ist damals der<br />

fertig ausgehandelte Koalitionsvertrag mit<br />

den Grünen nicht zustande gekommen.<br />

Scharping und die SPD entschieden sich<br />

für die FDP. Deshalb überlegte ich doch<br />

eine gewisse Zeit, ob ich das machen solle<br />

oder nicht. Letztendlich glaubte ich aber<br />

an die Chance für mich, die Gesamtschule<br />

und andere überfällige Reformen nach<br />

vorne zu bringen. Die Regionale Schule<br />

war leider kein überzeugendes Modell,<br />

eine Art Realschule plus light, denn sie<br />

stellte das bestehende Schulsystem ja<br />

nicht in Frage“.<br />

Nach der Leitung des Ministerbüros<br />

wurde Frieder 1992 Leiter der Abteilung<br />

4 B, zuständig für alle Schularten, außer<br />

Gymnasien und Berufsbildende Schulen,<br />

und für Schulentwicklung. 12 Jahre vertrat<br />

er Rheinland-Pfalz im Schulausschuss der<br />

KMK.<br />

Frieder brachte zwar in seiner Zeit die<br />

Gesamtschulen voran, aber nicht in jener<br />

Zahl, die er sich vorgestellt hatte, nämlich<br />

flächendeckend. „Wir haben auch<br />

versucht, die Grundschule inhaltlich zu<br />

öffnen, den gemeinsamen Unterricht<br />

einzuführen und so die spätere Schwerpunktschule<br />

vorzubereiten und sie 2001<br />

zur Regelschule zu machen.<br />

„Es gab“, so unterbreche ich Frieder, „seinerzeit<br />

ja den Hamburger SPD-Beschluss<br />

einer Schule für alle Kinder und für längeres<br />

gemeinsames Lernen. Doch fast<br />

zeitgleich wurde die Realschule plus in<br />

Mainz aus der Taufe gehoben. Wie erklärt<br />

sich so etwas?“ Diese Realschule plus, sagt<br />

Frieder, habe er nicht mitzuverantworten,<br />

da er 2005 das Ministerium verlassen<br />

habe. „Wenn ich geblieben wäre, was bis<br />

2008 möglich gewesen wäre, hätte ich<br />

mich gegen diese Entwicklung zur Wehr<br />

gesetzt“. Es gebe keinen sachlichen Grund<br />

für die Realschule plus. Dagegen stünden<br />

für die Entwicklung eines längeren gemeinsam<br />

Lernens sehr viele empirische<br />

Absicherungen und international gute<br />

Erfahrungen, „so dass sich mir diese Realschule<br />

plus auch nicht erschließt. Das<br />

war Handlung wider besseres Wissen. Die<br />

rheinland-pfälzische Bildungspolitik war<br />

leider bei den angepackten Reformen nie<br />

entschieden genug“.<br />

Was läuft in einem Ministerium anders,<br />

wie ticken Ministerialbeamte?<br />

Frieder: „Ich war kein in der Wolle gewaschener<br />

Ministerialer, da ich ja von der<br />

Seite eingestiegen bin. Ich habe mich<br />

selten unfrei gefühlt und habe meine<br />

Meinung nie an der Pforte morgens abgegeben,<br />

aber es gab, als ich anfing im<br />

Ministerium, relativ wenig Kommunikation,<br />

die Struktur war sehr hierarchisch, es<br />

fehlten z.B. Leitungskonferenzen“.<br />

Das habe Rose Götte dann verändert.<br />

„ Am Montagmorgen habe ich regelmäßig<br />

Abteilungsbesprechungen durchgeführt,<br />

Papiere wurden als Vorlage für die Ministerin<br />

diskutiert. Sie hat in Leitungskonferenzen<br />

stets über Kabinettssitzungen<br />

berichtet, also da hat sich dann was getan,<br />

die Kommunikation war gut“.<br />

Wer brachte denn Realschule plus auf<br />

den Weg? Frieder gibt sich zurückhaltend.<br />

„Kann ich nicht genau sagen. Diese Schulreform<br />

war ja auch nicht Bestandteil der<br />

Regierungserklärung 2006. Doris Ahnen<br />

wollte wohl viel Integration in den Schulen<br />

wagen, nachdem die Regionale Schule<br />

und insbesondere die Hauptschule mehr<br />

oder weniger gescheitert waren, ebenso<br />

wie die Duale Oberschule, aber die Halbherzigkeit<br />

hat da wohl gesiegt.“<br />

Mehr Mut und weniger Halbherzigkeit<br />

von Doris Ahnen erwartet<br />

Und wie sieht Frieder Bechberger-Derscheidt<br />

heute die schulische Zukunft in<br />

Rheinland-Pfalz? „Ich befürchte, dass sich<br />

da wenig bewegen wird. Es gibt immer<br />

noch zu viel Angst vor einer Schule für<br />

alle, ja sogar vor der die übrigen Schularten<br />

ersetzenden zweiten Säule IGS mit<br />

allen möglichen Abschlüssen neben dem<br />

Gymnasium“. Auch die Behinderten-<br />

Konvention der UN habe nicht zum Paradigmenwechsel<br />

geführt, der eigentlich<br />

in dieser Charta drinstecke. Warum man<br />

beispielsweise an der Förderschule L<br />

festhalte, erschließe sich Fachleuten<br />

nicht so recht. Schwerpunktschulen, wie<br />

z.B. in Eisenberg, zeigten überzeugend,<br />

dass Lernbehinderte in der Regelschule<br />

durchaus ihren Platz haben können. Man<br />

müsse halt politisch klare Position beziehen<br />

und sagen, was man wirklich wolle,<br />

meint Frieder.<br />

Hat sich sein Blick auf die Schule durch die<br />

leitenden Tätigkeiten in der <strong>GEW</strong> und im<br />

Bildungsministerium verändert?<br />

„Mein Blick auf die Schule war und ist immer<br />

geprägt von der hohen Anerkennung<br />

der pädagogischen Arbeit der Lehrerinnen<br />

und Lehrer, die leider in der Öffentlichkeit<br />

und auch von manchen Politikern nicht<br />

so geschätzt wird, wie sie es verdienten“.<br />

Frieder Bechberger-Derscheidt ist auch<br />

weiterhin in Sachen Schule und deren<br />

Reform unterwegs. Er hat die Initiative<br />

„Eine Schule für alle – länger gemeinsam<br />

lernen“ gegründet und sie bekannt<br />

gemacht. Warum? Das entscheidende<br />

Motiv für diese Initiative, so Frieder, sei<br />

für ihn die Realschule plus gewesen. Hier<br />

habe er sich von Doris Ahnen und der<br />

SPD mehr Mut und weniger Halbherzigkeit<br />

gewünscht, vor allem auch den Blick<br />

ins Ausland. „Wie kann ich es weiterhin<br />

zulassen, obwohl empirisch und entwicklungspsychologisch<br />

alles dagegen spricht,<br />

dass Kinder nach vier Jahren getrennt<br />

werden oder auch, dass Lehrkräfte immer<br />

noch nach Schularten ausgebildet werden,<br />

Grundschullehrkräfte immer noch<br />

weniger wert sind als ihre Kolleginnen uns<br />

Kollegen am Gymnasium.“<br />

Und welche Empfehlungen gibt er der<br />

<strong>GEW</strong>? „Einmal <strong>GEW</strong>, immer <strong>GEW</strong>.“ Frieder<br />

zeigt sich überzeugt und wünscht sich<br />

von seiner „Familie“ ein starkes Durchhaltevermögen,<br />

wenn es um das längere<br />

gemeinsame Lernen und die Schule für<br />

alle geht.<br />

Dass die <strong>GEW</strong> bereit ist, in der tarifpolitischen<br />

Auseinandersetzung auch Beamte<br />

zum Streik aufzurufen, begrüßt er sehr,<br />

zumal eine Tradition aus den 80er Jahren<br />

wieder belebt wird. „Die <strong>GEW</strong> muss konfliktfähig<br />

bleiben.“<br />

Paul Schwarz<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

23


Recht<br />

Rechtsfragen aus dem Schulalltag<br />

Altersermäßigung<br />

Ich habe wegen der schulischen Belastungen<br />

meine Unterrichtsverpflichtung<br />

auf eigene Kosten auf 20/27 abgesenkt.<br />

Ich werde im Mai 63 und habe bei der<br />

letzten <strong>GEW</strong>-Fortbildung im Gespräch<br />

mit einem Kollegen erfahren, dass ich<br />

Anspruch auf Altersermäßigung habe.<br />

Stimmt das?<br />

Sie sind nicht in Altersteilzeit und haben<br />

so mit Beginn des Schuljahres, in dem Sie<br />

das 63. Lebensjahr vollenden, Anspruch<br />

auf drei Lehrer-Wochenstunden Altersermäßigung.<br />

Sie können das nachschlagen<br />

im <strong>GEW</strong>-Lehrerhandbuch Nr. 395 unter §<br />

9 der Lehrkräfte-Arbeitszeitverordnung.<br />

Ich schlage vor, dass Sie der Schulleitung<br />

eine schriftliche Mitteilung zukommen<br />

lassen, dass Sie derzeit drei Unterrichtsstunden<br />

in der Woche mehr unterrichten,<br />

als das der Fall sein müsste. Schlagen<br />

Sie vor, dass diese drei Stunden in ihrer<br />

Personalnebenakte als Verrechnungsstunden<br />

vermerkt werden und diese dann im<br />

kommenden Schuljahr abzubauen sind.<br />

Das heißt, im Schuljahr 2013/14 dürfen<br />

Sie dann nur noch mit 14/27 unterrichtlich<br />

eingesetzt werden. Auf die Besoldung hat<br />

das keinen Einfluss, sie wird weiter gezahlt<br />

auf der Basis von 20/27.<br />

Schwerbehindertenermäßigung<br />

Ich hatte vor meinem Unfall eine Unterrichtsverpflichtung<br />

von 20/25 Unterrichtsstunden.<br />

Ich befinde mich auf dem<br />

Weg der Gesundung und werde nach den<br />

Sommerferien wieder in der Schule arbeiten.<br />

Der Unfall hat auch dazu geführt, dass<br />

ich jetzt schwerbehindert bin mit einem<br />

GdB von 80.<br />

Welche Auswirkungen hat das auf meine<br />

Unterrichtsverpflichtung?<br />

Zuerst sollten Sie über die Schule der ADD<br />

eine Kopie Ihres Schwerbehindertenausweises<br />

zukommen lassen.<br />

Ihre Unterrichtsverpflichtung verringert<br />

sich – das können Sie im <strong>GEW</strong>-Lehrerhandbuch<br />

Nr. 395 unter § 10 nachlesen<br />

– um drei Unterrichtsstunden. Sprechen<br />

Sie mit Ihrem Arzt darüber. Ggf. können<br />

Sie (aufgrund des ärztlichen Gutachtens)<br />

einen Antrag stellen auf Gewährung einer<br />

zusätzlichen Schwerbehindertenermäßigung.<br />

Über diesen Antrag wird dann die<br />

ADD auf der Basis eines amtsärztlichen<br />

Zeugnisses entscheiden.<br />

Auf jeden Fall sollten Sie vor der Erstellung<br />

des Stundenplanes mit ihrer Schulleitung<br />

ein Gespräch über ihre Einsatzplanung<br />

im kommenden Schuljahr führen. Die<br />

Schulleitung ist dazu verpflichtet gemäß<br />

der Integrationsvereinbarung. Zu diesem<br />

Gespräch sollten Sie die Schwerbehindertenvertretung<br />

und/oder die Vertretung<br />

des Örtlichen Personalrates mitnehmen.<br />

Recht auf das eigene Bild, Bild<br />

nur zweckbestimmt<br />

Wir sind ein großes Kollegium, und es<br />

kommen<br />

§<br />

immer mal wieder neue Menschen<br />

dazu. Die Schulleiterin hatte die<br />

Idee, im Lehrerzimmer auf einer großen<br />

Tafel die Passfotos der Kolleginnen und<br />

Kollegen mit angefügtem Namen aufzuhängen.<br />

Alle haben dafür das Passfoto<br />

elektronisch zur Verfügung gestellt.<br />

Auf der Schulhomepage entdeckte ich vor<br />

einiger Zeit, dass die Klassenleitungen,<br />

und so auch ich, dort mit Namen und Foto<br />

aufgelistet sind.<br />

Ist das so in Ordnung?<br />

Ich verstehe Ihre Frage so, dass sie Ihr<br />

Foto auf den ausschließlichen Zweck zur<br />

Anbringung an der großen Tafel im Lehrerzimmer<br />

zur Verfügung gestellt haben. Fordern<br />

Sie die Schulleiterin auf – am besten<br />

schriftlich – ihr Foto umgehend aus der<br />

Homepage zu entfernen und auch aus den<br />

sonstigen schulischen Dateien zu löschen.<br />

Denn Fotos dürfen nur mit ausdrücklicher<br />

(schriftlicher) Zustimmung und nur zweckbestimmt<br />

verwendet werden.<br />

Ruhegehalt<br />

Ich bin beamtete Lehrkraft und werde<br />

demnächst 60. Ich möchte wissen, welche<br />

Pension ich zu erwarten habe, wenn ich<br />

bis zum gesetzlichen Ruhestand weiter<br />

arbeite. Kann mir die <strong>GEW</strong> helfen?<br />

Ja, das lässt sich machen! Ich schicke<br />

ihnen unser diesbezügliches Formblatt.<br />

Tragen sie dort bitte ihre Laufbahndaten –<br />

möglichst taggenau – ein. Senden sie bitte<br />

das ausgefüllte Formblatt hierher zurück<br />

und wir machen dann die Berechnung.<br />

Personalratsschulung<br />

Meine Kollegin und ich sind neu in unserem<br />

3-köpfigen Personalrat. Wir haben<br />

im Personalrat intern beraten und beschlossen,<br />

dass wir uns beide zur Personalräteschulung<br />

der <strong>GEW</strong> – Grundschulung I<br />

anmelden. Der Schulleiter sagte uns, dass<br />

er nur eine Person beurlauben werde. Wir<br />

sollten uns einigen. Ist das rechtens?<br />

Im Landespersonalvertretungsgesetz<br />

(LPersVG) steht in § 41 Absatz 1: „Die<br />

Mitglieder des Personalrates sind unter<br />

Fortzahlung der Dienstbezüge … für die<br />

Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen<br />

vom Dienst freizustellen,<br />

soweit diese Kenntnisse vermitteln, die<br />

sie für die Tätigkeit im Personalrat für<br />

erforderlich halten durften.“<br />

Die Schulung, zu der Sie und Ihre Kollegin<br />

wollen, ist für „Personalratsneulinge“<br />

erforderlich, und das hat der Personalrat<br />

auch so beschlossen. Sie und Ihre Kollegin<br />

sind vom Dienst freizustellen – nicht zu<br />

beurlauben.<br />

Bitte füllen Sie und Ihre Kollegin jeweils<br />

den Antrag auf Freistellung und Kostenübernahme<br />

aus und legen Sie diese dem<br />

Schulleiter vor. Fügen Sie ihm zu seiner<br />

Information auch eine Kopie des § 41<br />

LPersVG bei.<br />

Die Fragen beantwortete Dieter Roß,<br />

Leiter der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutzstelle.<br />

Drohen mit der Presse<br />

bringt Rausschmiss<br />

Droht eine Sekretärin ihrem Arbeitgeber,<br />

ein mit ihm geführtes Personalgespräch,<br />

das sie heimlich mit ihrem Handy aufgenommen<br />

hatte, über die Presse an<br />

die Öffentlichkeit zu bringen, kann sie<br />

fristlos entlassen werden. Das hat das<br />

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

entschieden Aktenzeichen: 5 Sa 687/11<br />

pm<br />

24 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Recht<br />

Deutsch-Pflicht auf dem Pausenhof<br />

Im nordrhein-westfälischen Ahlen gab es<br />

einen heftigen Streit über die so genannte<br />

Deutschpflicht auf dem Pausenhof.<br />

Schüler hatten sich gemobbt gefühlt, weil<br />

über sie in den Pausen in einer fremden<br />

Sprache gelästert wurde. Laut Bericht<br />

der Süddeutschen Zeitung (24. Dezember<br />

2012) hatte daraufhin die Schulleitung ein<br />

Deutsch-Gebot erlassen und bei Verstößen<br />

Strafen angedroht. Nach Protesten<br />

türkischer Eltern dagegen habe sich die<br />

Bezirksregierung eingeschaltet mit der<br />

Weisung, dass ein „generelles Verbot, in<br />

der Muttersprache zu kommunizieren,<br />

„gesetzlich unzulässig“ und „pädagogisch<br />

nicht sinnvoll“ sei. Vielmehr sei es<br />

Aufgabe der Schule, Mehrsprachigkeit zu<br />

fördern, etwa mit Türkisch als Fach, wird<br />

die Bezirksregierung weiter in dem Bericht<br />

zitiert. Auch laut Kultusministerkonferenz<br />

seien nur freiwillige Vereinbarungen an<br />

einzelnen Schulen denkbar.<br />

pm<br />

Männer können nicht Frauenvertreterin werden<br />

Für die Wahl einer Frauenvertreterin<br />

steht Männern weder das aktive noch das<br />

passive Wahlrecht zu. Das hat das Verwaltungsgericht<br />

Berlin in einem Eilverfahren<br />

entschieden.<br />

Der Antragsteller ist Richter an einem<br />

Berliner Amtsgericht. Er beantragte im<br />

November 2012 bei seiner Präsidentin das<br />

aktive und passive Wahlrecht für die be-<br />

Verbalattacke erlaubt<br />

In einem Arbeitskampf sind auch derbe<br />

Äußerungen durchaus erlaubt. Verbalattacken<br />

wie „Bescheißen“ und „Betrügen“<br />

seien von der Meinungsfreiheit gedeckt,<br />

entschied das Landesarbeitsgericht<br />

Düsseldorf. Es habe sich um zugespitzte<br />

Äußerungen gehandelt und nicht um eine<br />

Tatsachenbehauptung im strafrechtlichen<br />

vorstehende Wahl der Frauenvertreterin.<br />

Das Gericht begründete die Ablehnung<br />

damit, dass nach dem Landesgleichstellungsgesetz<br />

§<br />

wahlberechtigt und wählbar<br />

nur weibliche Beschäftigte seien.<br />

Der Antragsteller als Mann gehöre nicht<br />

zu diesem Personenkreis. Auf das Allgemeine<br />

Gleichbehandlungsgesetz könne<br />

sich der Antragsteller ebenso wenig wie<br />

Sinn. In dem verhandelten Fall hatten ArbeitnehmerInnen<br />

im Chor skandiert, die<br />

Arbeitgeberin bescheiße und betrüge sie.<br />

Sie fühlten sich von der Arbeitgeberin<br />

hintergangen, nachdem diese als Mitglied<br />

ohne Tarifbindung in dem für sie zuständigen<br />

Arbeitgeberverband gewechselt<br />

war. Die Gewerkschaft unterstützte den<br />

auf verschiedene EU-Richtlinien gegen<br />

Diskriminierung berufen, weil auch danach<br />

eine unterschiedliche Behandlung<br />

zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten<br />

gerechtfertigt sei. Gegen die<br />

Entscheidung ist Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht<br />

Berlin-Brandenburg<br />

zulässig. (Beschluss vom 7. Dezember<br />

2012 – VG 5 L419)<br />

pm<br />

Protest. Die Arbeitgeberin verlangte<br />

jedoch von der Gewerkschaft im einstweiligen<br />

Verfügungsverfahren derartige<br />

Äußerungen zu unterlassen. Die Richter<br />

sahen dafür keine Veranlassung.<br />

Urteil: Landesarbeitsgericht Düsseldorf,<br />

Az.: 8 SaGa 14/12<br />

pm<br />

Neue KMK-Vereinbarung zur digitalen Vervielfältigung<br />

Die Lehrkräfte an Schulen in Deutschland<br />

dürfen künftig urheberrechtlich<br />

geschützte Inhalte aus Büchern und<br />

Unterrichtswerken auch digital vervielfältigen<br />

und den SchülerInnen im Unterricht<br />

zugänglich machen. Darauf einigten sich<br />

die Kultusministerien der Länder mit<br />

dem Verband Bildungsmedien sowie den<br />

Verwertungsgesellschaften VG WORT, VG<br />

Bild-Kunst und VG Musikedition am 6. Dezember<br />

2012. Künftig dürfen zehn Prozent<br />

eines Druckwerks (maximal 20 Seiten) von<br />

Lehrkräften für die Veranschaulichung<br />

des eigenen Unterrichts eingescannt, auf<br />

Speichermedien wie USB-Sticks abgespeichert<br />

und über Träger wie Whiteboards<br />

den Schüler Innen zugänglich gemacht<br />

werden. Bisher war dies nur analog, also<br />

von Papier auf Papier erlaubt. Die Rege-<br />

lungen im Einzelnen:<br />

- Lehrkräfte können von Printmedien,<br />

auch Unterrichtswerken, die ab 2005<br />

erschienen sind, bis zu zehn Prozent (maximal<br />

20 Seiten) einscannen.<br />

- Lehrkräfte können diese digitalisierten<br />

Materialien ebenfalls für den eigenen<br />

Unterrichtsgebrauch vervielfältigen und<br />

an ihre Schüler weitergeben, auch zur<br />

Vor- und Nachbereitung des Unterrichts.<br />

- Die eingescannten Materialien können<br />

zudem für SchülerInnen ausgedruckt<br />

und auch im Unterricht über PCs, Whiteboards<br />

und/oder Beamer wiedergegeben<br />

werden.<br />

- Die Lehrkräfte können die Scans außerdem<br />

im jeweils erforderlichen Umfang<br />

auch auf ihren Speichermedien ablegen<br />

(PC, Whiteboard, iPad, Laptop). Dies<br />

umfasst auch die Speicherung auf einem<br />

für die individuelle Lehrkraft geschützten<br />

Bereich auf dem Schulserver.<br />

Die bereits 2010 vereinbarten Grundregeln<br />

für das analog Fotokopieren – Gesamtvertrag<br />

zur Einräumung und Verfügung<br />

von Ansprüchen nach §53 UrhG<br />

– bleiben nahezu unverändert bestehen.<br />

Aus praktischen Gründen wurde lediglich<br />

der Bezugswert der „kleinen Werkteile“<br />

ebenfalls auf zehn Prozent eines Werkes<br />

neu festgesetzt.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

25


<strong>GEW</strong>-Intern<br />

Seminar für neue FunktionsträgerInnen in der <strong>GEW</strong>:<br />

„Für Ziele sorgen“<br />

Für ehrenamtlich in der <strong>GEW</strong> engagierte<br />

Menschen gab es bisher wenig<br />

Angebote, die einer „Ausbildung“<br />

vergleichbar sind, also gezielt auf die<br />

Arbeit in Gremien, Fachgruppen oder<br />

Personalräten vorbereiten. Diese Lücke<br />

wollte die Seminarreihe „Kompetenzprogramm<br />

2012“ schließen, initiiert von Lutz<br />

Zahnhausen, Klaus-Peter Hammer und<br />

Frank Fremgen, geleitet von Ute Sprekelmeyer,<br />

Diplom-Pädagogin, systemische<br />

Beraterin und Management-Coach aus<br />

Frankfurt.<br />

Die Veranstaltungsreihe richtete sich zum<br />

einen an Personen, die bereits Aufgaben<br />

innerhalb der <strong>GEW</strong> übernommen haben<br />

und die ihr größtenteils ehrenamtliches<br />

Engagement weiter systematisieren und<br />

professionalisieren möchten, zum anderen<br />

an <strong>GEW</strong>-Mitglieder, die für sich klären<br />

Einrichtung einer AG Schulsozialarbeit<br />

Der Landesvorstand hat beschlossen, eine<br />

AG Schulsozialarbeit ein zu richten. Damit<br />

soll der Tatsache entsprochen werden,<br />

dass die Zahl der Schulsozialarbeiter/-<br />

innen in der <strong>GEW</strong> RLP steigt. Auch soll<br />

dieser Mitgliedergruppe ein Forum für<br />

ihre Arbeit angeboten werden. Sylvia<br />

Sund und Henning Caspari wurden vom<br />

Geschäftsführenden Vorstand beauftragt,<br />

die Einrichtung der AG zu organisieren.<br />

Interessierte Kolleginnen und Kollegen<br />

aus dem Bereich Schulsozialarbeit, die an<br />

einer Mitarbeit in der AG interessiert sind,<br />

werden gebeten, sich zu melden. Ein reges<br />

Interesse würde uns sehr freuen.<br />

Kontaktadressen:<br />

gew@gew-rlp.de<br />

henning.caspari@gew-rlp.de<br />

sylvia.sund@gew-rlp.de<br />

möchten, ob eine Aufgabe innerhalb der<br />

<strong>GEW</strong> für sie das Richtige sein könnte.<br />

Zielsetzung war, es den Teilnehmern zu<br />

ermöglichen, sich intensiv mit der eigenen<br />

Motivation für ein Engagement in der<br />

<strong>GEW</strong> auseinanderzusetzen und für sich<br />

zu einer Positionsbestimmung innerhalb<br />

des „Systems <strong>GEW</strong>“ zu gelangen. Außerdem<br />

wurden den Gremien-Neulingen<br />

Gesprächsmöglichkeiten mit erfahrenen<br />

<strong>GEW</strong>-Funktionären sowie Gelegenheiten<br />

zur Vernetzung untereinander geboten.<br />

Die fünf Einzelseminare, die zwischen<br />

Mai 2012 und Februar 2013 in Koblenz<br />

und Bingen stattfanden, fokussierten die<br />

Themen „Orientierung und persönliche<br />

Standortbestimmung“, „Führen und Leiten“,<br />

„Kommunikation und Verhandlungsführung“,<br />

„Konfliktmanagement“ und<br />

„Selbstmanagement“. Die Arbeitsweise<br />

im Kompetenzprogramm war prozessorientiert,<br />

das heißt die Teilnehmer waren<br />

an der Themenauswahl und Schwerpunktsetzung<br />

beteiligt und brachten in<br />

großem Umfang Fragestellungen aus der<br />

eigenen Praxis mit ein. Die Kommunikationsformen<br />

waren abwechslungsreich<br />

und den verschiedenen Arbeitsvorhaben<br />

angepasst – von Plenumsgesprächen im<br />

Stuhlkreis über die Arbeit in Kleingruppen,<br />

Input-Referate oder Rollenspiele.<br />

Besonders positiv wurde von den Teilnehmern<br />

die gelungene Kombination aus<br />

Theorie-Input und praktischen Übungen<br />

hervorgehoben. So wurden ganz praktische<br />

Fragestellungen, etwa „Wie gründe<br />

und leite ich eine Kreisfachgruppe?“<br />

oder „Was tut eigentlich genau ein/e<br />

StufenvertreterIn?“ auch immer wieder<br />

an die grundsätzliche Reflexion der eigenen<br />

Wertvorstellungen und des eigenen<br />

Selbstbildes rückgebunden. Besonders<br />

anregend war, dass in diesem Rahmen<br />

auch Raum für durchaus kontroverse<br />

Diskussionen gelassen wurde, etwa über<br />

negative Konnotationen von Begriffen<br />

wie „Führen“ oder „Funktionär“. Das<br />

gemeinsam gewonnene Ideal einer<br />

Führungspersönlichkeit, die sich nicht<br />

als technokratischer oder gar manipulativer<br />

Kommandant versteht, sondern als<br />

Person, die bei sich selbst und anderen<br />

„für Ziele [des gemeinsamen Handelns]<br />

sorgt“, war sicherlich eines der Highlights<br />

dieses sich über mehrere Monate<br />

hinziehenden Dialoges. Ebenfalls sehr<br />

gelungen war die Einbindung langjähriger<br />

erfolgreicher <strong>GEW</strong>-Kader: Bei jedem Einzelseminar<br />

stand auch der Besuch eines/<br />

einer solchen auf dem Programm, etwa<br />

von Klaus-Peter Hammer, Elmar Ihlenfeld,<br />

Theresia Görgen oder Frank Fremgen,<br />

die den Seminarteilnehmern Einblicke<br />

in ihre Tätigkeit boten – zum Teil in der<br />

anregenden Kommunikationsform von<br />

„Kamingesprächen“.<br />

All dies mag dazu beigetragen haben, dass<br />

die Teilnehmer am Ende des letzten Treffens<br />

in Bingen ein überwiegend positives<br />

Fazit zogen und den Wunsch nach einer<br />

Folgeveranstaltung vorbrachten. Kritik gab<br />

es, wenn überhaupt, nur an Marginalien<br />

wie verkochtem Rosenkohl in der Mittagspause,<br />

der in Bingen zum running gag wurde.<br />

Auf jeden Fall ist schon ein Nachtreffen<br />

geplant – der Kontakt untereinander wird<br />

nicht abreißen, was sicherlich im Sinne der<br />

angestrebten Vernetzung ist.<br />

Marcel Sommer<br />

26 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Generation 60+<br />

Die <strong>GEW</strong> gratuliert …<br />

... im Juni 2013<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Frau Maria Elisabeth Runkel<br />

67308 Bubenheim<br />

KV Donnersberg<br />

Herrn Wolfgang Morch<br />

55278 Weinolsheim<br />

KV Mainz-Bingen<br />

Herrn Dietmar Wieck<br />

56288 Kastellaun<br />

KV Cochem-Zell<br />

Frau Irmgard Henrich<br />

76706 Dettenheim<br />

KV Südpfalz<br />

Herrn Hans Wilhelm Hartmann<br />

55262 Heidesheim<br />

KV Mainz-Bingen<br />

Frau Susanne Winkler<br />

65558 Oberneisen<br />

KV Rhein-Lahn<br />

Herrn Rainer Neu<br />

76855 Annweiler<br />

KV Südpfalz<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Frau Johanna Reichert<br />

54296 Trier<br />

KV Trier<br />

Herrn Karl-Heinz Müller<br />

67433 Neustadt<br />

KV Neustadt<br />

Frau Christa Kiessig<br />

67551 Worms<br />

KV Rhein-Lahn<br />

Herrn Claus Steinkamp<br />

54608 Oberlascheid<br />

KV Bitburg-Prüm<br />

Herrn Peter Lademann<br />

66953 Pirmasens<br />

KV Pirmasens<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Herrn Prof. Dr. Friedrich Kron<br />

55131 Mainz<br />

KV Mainz-Bingen<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Frau Edith Gehenn<br />

55608 Bergen<br />

KV Birkenfeld<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Herrn Herbert Hollinger<br />

66909 Herschweiler-<br />

Pettersheim<br />

KV Kusel<br />

zum 87. Geburtstag<br />

Herrn Siegfried Weisshaar<br />

56626 Andernach<br />

KV Koblenz-Mayen<br />

Frau Erika Haupt<br />

76887 Bad Bergzabern<br />

KV Südpfalz<br />

zum 89. Geburtstag<br />

Herrn Ernst Tuerk<br />

66969 Lemberg<br />

KV Pirmasens<br />

Herrn Ludwig Emrich<br />

67251 Freinsheim<br />

KV Bad Dürkheim<br />

... im Juli 2013<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Herrn Günther Gerold<br />

55585 Norheim<br />

KV Bad Kreuznach<br />

Frau Roswitha Glogger<br />

67273 Weisenheim/Berg<br />

KV Ludwigshafen/Speyer<br />

Herrn Fritz Limbacher<br />

76831 Billigheim-Ingenheim<br />

KV Südpfalz<br />

Frau Luise Gaubatz<br />

66955 Pirmasens<br />

KV Pirmasens<br />

zum 93. Geburtstag<br />

Frau Lieselotte Naumer<br />

67435 Neustadt<br />

KV Neustadt<br />

zum 94. Geburtstag<br />

Herrn Martin Jäckel<br />

68259 Mannheim<br />

KV Kaiserslautern<br />

Herrn Hans Hennig<br />

69483 Wald-Michelbach<br />

KV Bad Kreuznach<br />

zum 99. Geburtstag<br />

Herrn Walther Willems<br />

56329 St Goar<br />

KV Rhein-Hunsrück<br />

Frau Gabriele Hoffmann<br />

67304 Eisenberg<br />

KV Donnersberg<br />

Herrn Bernd Schleich<br />

55743 Idar-Oberstein<br />

KV Birkenfeld<br />

Herrn Harald Doll<br />

67470 Mothern<br />

KV Südpfalz<br />

Herrn Bernhard Henritzi<br />

57580 Gebhardshain<br />

KV Altenkirchen<br />

Frau Hannelore Jaenen<br />

54634 Bitburg<br />

KV Bitburg-Prüm<br />

Herrn Rolf Schwiedrzik-<br />

Kreuter<br />

76829 Landau<br />

KV Südpfalz<br />

Herrn Rainer Hummel<br />

56242 Nordhofen<br />

KV Westerwald<br />

Frau Fernanda Silva-Brummel<br />

53227 Bonn<br />

KV Mainz-Bingen<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Frau Hildegard Stoeckel<br />

67269 Grünstadt<br />

KV Bad Dürkheim<br />

Frau Irmgard Müller<br />

66440 Blieskastel<br />

KV Zweibrücken<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Herrn Hans Erich Henkes<br />

66484 Schmitshausen<br />

KV Zweibrücken<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Herrn Georg Hammerstein<br />

66914 Waldmohr<br />

KV Kusel<br />

zum 89. Geburtstag<br />

Frau Hanna Guthmann<br />

65474 Bischofsheim<br />

KV Mainz-Bingen<br />

Hinweis der Redaktion:<br />

Die Änderungen bei den<br />

Geburtstagsgratulationen<br />

wurden aus datenschutzrechtlichen<br />

Gründen eingeführt.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

27


GENERATION 60+<br />

SeniorInnenentagung in Mainz:<br />

„Gut vorbereiten auf den Ruhestand“<br />

Hedda Lungwitz, Vorsitzende des Landesausschusses<br />

für Seniorinnen und<br />

Senioren, leitete im Februar 2013 im Bildungszentrum<br />

Erbacher Hof in Mainz die<br />

Tagung „Perspektive Ruhestand – neue<br />

Themen, neue Chancen“. Als Referenten<br />

hatte sie das Ehepaar Inga Bethke-Brenken<br />

und Dr. Günter Brenken, zwei erfahrene<br />

Paar- und Familientherapeuten und<br />

Autoren des Buches „Aufbruch in den<br />

Ruhestand. Anleitung zum Gestalten und<br />

Genießen“, eingeladen. Ziel der Tagung<br />

war nach Hedda Lungwitz, „dass wir uns<br />

gut auf den Ruhestand vorbereiten“ und<br />

ihn selbstbestimmt gestalten können.<br />

Rund ein Dutzend TeilnehmerInnen aus<br />

dem Kita- und Schulbereich waren gekommen.<br />

Sie zählten 55 Jahre und aufwärts,<br />

arbeiten teilweise noch voll, teilweise in<br />

der aktiven Phase der Altersteilzeit. Einige<br />

haben bereits die passive Phase der<br />

Altersteilzeit erreicht, andere haben sich<br />

schon in den Ruhestand verabschiedet.<br />

Gemeinsam befassten sie sich mit den<br />

Schwierigkeiten des Übergangs vom Arbeitsleben<br />

in die dritte Lebensphase, mit<br />

der Neuorientierung im Ruhestand und<br />

den wichtigen Lebensbereichen älterer<br />

Menschen.<br />

Nach dem Anbieten des Du für alle Teilnehmenden<br />

und der Vorstellungsrunde<br />

ging es in die Gruppenarbeit mit dem<br />

Thema „Zurechtfinden im Ruhestand“.<br />

Hoffnungen, Ängste, Erfahrungen, Fragen,<br />

Probleme wurden geäußert und<br />

festgehalten. Das anschließende Zusammentragen<br />

der Ergebnisse zeigte, dass<br />

die Themen zur Strukturierung der Zeit,<br />

zur Vereinbarkeit von Müßiggang und<br />

Herausforderung, zu Veränderungen<br />

der Sozialkontakte, zu Gesundheit, zu<br />

Möglichkeiten, Versäumtes nachzuholen,<br />

interessieren und für wichtig gehalten<br />

werden.<br />

Im Anschluss an diese Auftaktdiskussion<br />

stellten die beiden Referenten die vier<br />

Schwerpunkte der Aktivitäten im Ruhestand<br />

systematisch in Form eines Aktivitätenquadrats<br />

dar.<br />

„Kontakte pflegen“ bedeutet: auf Menschen<br />

zugehen z.B. durch Telefonate, Verschicken<br />

von Karten, Briefen oder Mails,<br />

Besuche machen oder zu Besuchen einladen.<br />

Die Tätigkeiten in diesem Bereich<br />

helfen, mit Menschen zu kommunizieren,<br />

sich auszutauschen, unter Menschen zu<br />

bleiben und Alleinsein und Einsamkeit<br />

vorzubeugen.<br />

„Mehr wissen wollen“ umfasst die Tätigkeiten,<br />

die der Erhaltung der geistigen<br />

Flexibilität dienen. Dazu gehören das Lesen<br />

von Zeitungen und Büchern, Vorträge<br />

besuchen, das Besuchen von Kursen in<br />

Volkshochschulen, Teilnahme an Bildungsurlauben<br />

usw.<br />

„Genießen und konsumieren“ bezieht sich<br />

auf die Aktivitäten, die die Lust am Leben<br />

fördern und trübe Gedanken vertreiben.<br />

Dazu gehören das Genießen einer köstlichen<br />

Mahlzeit, eines Glases kostbaren<br />

Weins, die Freude an der Natur, an einer<br />

herrlichen Landschaft, der Genuss von<br />

Kunstwerken, von Musik, eines eindrucksvollen<br />

Films.<br />

Das „Tätig sein“ hängt ganz von der einzelnen<br />

Person ab, fördert die Eigeninitiative,<br />

vermittelt Bestätigung und Erfolgserlebnisse.<br />

Tätig sein kann man in Wohnung,<br />

Haus und Garten, bei Kindern und Enkeln,<br />

bei Nachbarn, bei Kranken, in Vereinen<br />

und in Ehrenämtern.<br />

Mit Blick auf die Gesamtheit der Tätigkeiten<br />

unterstrichen beide Referenten vor<br />

allem zwei wesentliche Punkte: Zum einen<br />

betonten sie, dass sich die Tätigkeiten<br />

auf alle vier Bereiche erstrecken sollten.<br />

Inga Bethke-Brenken: „Die Beschäftigung<br />

in diesen vier Bereichen muss in einer<br />

Balance sein.“ Zum andern hoben sie<br />

hervor, dass es für die Seniorinnen und<br />

Senioren sehr wichtig sei, „sich richtig von<br />

der Arbeit zu verabschieden“. Sie rieten zu<br />

einer Bilanz der Erfolge und Misserfolge,<br />

zum Festhalten der Erfolgserlebnisse und<br />

zum Ziehen eines Schlussstrichs unter<br />

die Misserfolge. Günter Brenken erklärte:<br />

„Letztendlich ist es Ziel, einen guten<br />

Schlussstrich ziehen zu können.“<br />

Zu einer Erweiterung des Überblicks über<br />

die unterschiedlichen Handlungsschwerpunkte<br />

und die zugrunde liegenden Lebenskonzepte<br />

älterer Menschen führte<br />

das Referentenpaar nach der Mittagspause<br />

in die von ihnen entwickelte Typologie<br />

für Ruheständler ein. Sie unterschieden<br />

acht Verhaltenstypen:<br />

- den Weitermacher, der im Ruhestand so<br />

weiter lebt und arbeitet wie im Arbeitsleben.<br />

Die Rollen in der Partnerschaft<br />

bleiben unverändert, die Urlaubs- und<br />

Freizeitgewohnheiten ebenso;<br />

- den Suchenden, der neue Kontakte findet<br />

und neue Aktivitäten ausprobiert, der<br />

sich jedoch keine Grenzen setzt, dadurch<br />

keine Ruhe findet und nicht genießen<br />

kann;<br />

- den Helfer, der vielen in Familie und<br />

Nachbarschaft helfen will und Bedürftige<br />

unterstützt; der es aber verpasst, Aktivitäten<br />

für sich selbst zu entwickeln;<br />

- den Zurückgezogenen, der alles ruhig<br />

angehen lässt, der die sozialen Kontakte<br />

einschränkt und viel für sich oder mit<br />

28 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Generation 60+<br />

seiner Partnerin allein lebt; der möglichst<br />

in seinem erprobten Lebensumfeld bleibt,<br />

aber Gefahr läuft in alten Denkformen zu<br />

verharren;<br />

- den Genießer, der die neue freie Zeit<br />

ausgiebig genießt, der gern konsumiert<br />

und reist, gern Veranstaltungen besucht<br />

und mit Gleichgesinnten erzählt; der aber<br />

die Probleme des täglichen Lebens leicht<br />

übersieht;<br />

- den ewig Jungen, der versucht, das Älterwerden<br />

zu verneinen oder weit hinaus zu<br />

schieben, der auf eine junge Erscheinung<br />

bedacht ist und durch körperliche Hochleistungen<br />

zeigen will, was er noch alles<br />

kann;<br />

- den Bedenkenträger, der bei allen Aktivitäten<br />

Bedenken hat und sich sorgt; der<br />

kaum wagt, neue Aktivitäten auszuprobieren,<br />

und dabei verpasst, die Chancen<br />

neuer Tätigkeiten wahrzunehmen.<br />

- den Enttäuschten, der nur auf das sieht,<br />

was nicht klappt, und oft das Gefühl hat,<br />

benachteiligt worden zu sein. Eine positive<br />

Denkweise und realistische Erwartungen<br />

könnten sein Leben erleichtern, gar verändern.<br />

Nach der Darstellung dieser unterschiedlichen<br />

Rentnertypen waren die Meinung<br />

und die Zuordnung der TeilnehmerInnen<br />

gefragt. Sie antworteten auf die Frage:<br />

„Welche Anteile der Typen lebe ich?“ Sie<br />

konnten sich einem Typ zuordnen oder<br />

angeben, zu welchen Typen sie tendieren,<br />

sie konnten erklären, welche Anteile aus<br />

verschiedenen Typen ihnen und ihrem<br />

Lebenskonzept am ehesten entsprechen.<br />

In der lebhaften Diskussion wurde ganz<br />

deutlich, welche Herausforderung der<br />

Eintritt in den Ruhestand für die betreffenden<br />

Personen typübergreifend bedeutet.<br />

Durch den Wegfall der Berufsarbeit<br />

haben die Älteren viel mehr Zeit, sie sind<br />

jetzt selbst der Chef oder die Chefin über<br />

ihre Zeit, sie können selbst über die Einteilung<br />

des Tages, der Woche, des Jahres<br />

entscheiden. Zu der Zeitplanung gaben<br />

die Referenten noch einen guten Hinweis.<br />

Inga Bethke-Brenken unterstrich: „Ich-<br />

Zeiten einzuplanen ist ganz wichtig.“<br />

Das im Alter immer bedeutender werdende<br />

Thema Gesundheit und Wohlergehen<br />

wurde ebenfalls aufgegriffen. Die<br />

Referenten verdeutlichten, dass wir alle<br />

erheblich dazu beitragen müssten, dass<br />

wir gesund und aktiv bleiben könnten;<br />

unsere Vorsorge sollte jedoch nicht allein<br />

der körperlichen Gesundheit gewidmet<br />

sein, sondern auch die Stärkung der<br />

geistigen und seelischen Befindlichkeit<br />

einschließen. Günter Brenken führte an<br />

Hand neuerer wissenschaftlicher Forschungsergebnisse<br />

aus, dass erstens bei<br />

älteren Menschen Nervenzellen nicht<br />

nur absterben, sondern auch neue Gehirnzellen<br />

wachsen können, sofern die<br />

entsprechende Region gefordert und<br />

trainiert werde, und dass zweitens das<br />

Training geistiger Fähigkeiten zu besseren<br />

Erfolgen führt, wenn es durch sportliche<br />

Übungen unterstützt werde. Die Referenten<br />

forderten deshalb zur Erhaltung<br />

der geistigen Beweglichkeit einen „Dreiklang<br />

der Aktivitäten:<br />

- „Übungen zur geistigen Fitness,<br />

- Pflege sozialer Kontakte,<br />

- Erhaltung körperlicher Beweglichkeit“.<br />

Am Ende der Veranstaltung waren sich<br />

alle TeilnehmerInnen einig: Diese Tagung<br />

war ein Gewinn! Zwei Aussagen fassten<br />

die Stimmung zusammen. Friederike:<br />

„Vielen Dank an die <strong>GEW</strong>. Für mich ist<br />

es ein Luxus, dass ich für meine Zukunft<br />

sorgen darf und dass mir die <strong>GEW</strong> das ermöglicht.“<br />

Rita: „Danke, es hat gut getan!“<br />

Text und Foto: Gerlinde Schwarz<br />

Lehrer-Leben (Folge 3):<br />

Der kurze lange Weg von Saarbrücken nach Trier<br />

In bisher zwei Folgen hat unser pensionierter<br />

<strong>GEW</strong>-Kollege Manfred Otto über<br />

seine Jahre als Junglehrer in Ostfriesland<br />

und den dann folgenden Erfahrungen im<br />

Saarland berichtet.<br />

In der dritten und letzten Folge berichtet<br />

er nun von seiner Heimkehr nach<br />

Rheinland-Pfalz an die Mosel.<br />

Der Grund für meine Heimkehr nach<br />

Rheinland-Pfalz war die Krankheit meiner<br />

Mutter. Es musste sich jemand um sie<br />

kümmern. Meine beiden älteren Geschwister<br />

kamen nicht in Frage. Meine Schwester<br />

lebte mit Familie in den USA, mein<br />

Bruder mit Familie in Süddeutschland. Ich,<br />

damals noch unverheiratet und deshalb<br />

flexibel, übernahm die Aufgabe.<br />

Die erste Maßnahme war die Kontaktaufnahme<br />

mit der Bezirksregierung in Trier.<br />

Mein Wunsch war eine Versetzung nach<br />

Trier. Dies wurde auch in Aussicht gestellt.<br />

Als ich jedoch nach einigen Wochen nachfragte,<br />

hatte man sich anders besonnen.<br />

Es war nur noch die Rede von einer neuen<br />

Stelle hinter Wittlich bzw. in der Nähe<br />

von Prüm. Man hatte in der Zwischenzeit<br />

wohl herausgefunden, was ich für ein<br />

gefährlicher linker Vogel sei, Funktionär in<br />

der Gewerkschaft, nicht katholisch, nicht<br />

einmal evangelisch. Prüm oder Wittlich<br />

halfen mir in meiner Situation nicht weiter.<br />

Das Kultusministerium in Saarbrücken erklärte<br />

sich freundlicherweise bereit, wenn<br />

das mit Rheinland-Pfalz nicht klappen<br />

sollte, mich nach Nonnweiler zu versetzen,<br />

was erheblich besser gewesen wäre als<br />

das, was Rheinland-Pfalz anbot. Kampflos<br />

wollte ich aber nicht aufgeben. Ich bemühte<br />

mich um einen Termin beim Kultus-<br />

Ausschuss-Vorsitzenden des Landtages<br />

von Rheinland-Pfalz. Vier Tage später<br />

konnte ich mein Anliegen dem Ausschussvorsitzenden,<br />

von Beruf selbst Lehrer, in<br />

Mainz vortragen. Nach zwei Anrufen war<br />

ich versetzt. Die ganze Prozedur dauerte<br />

10 Minuten. Um mir dann doch noch einen<br />

Tort anzutun, hat man mich an einen<br />

erzkatholischen Ort bei Trier versetzt. Ich<br />

habe dann auch noch beim Schulgottesdienst<br />

mit Schülern und Kollegen für die<br />

„christlich-katholische Ausbildung der<br />

Lehrer“ gebetet. (Das ist kein Witz.) Wir<br />

kamen aber gut miteinander aus – Schüler,<br />

Eltern und Kollegen, einen „Kulturkampf“<br />

hat es nicht gegeben. Die Menschen<br />

waren auch damals etwas weiter und<br />

toleranter als die Institutionen. Nachzutragen<br />

ist noch, dass die Schulbehörde in<br />

Trier darauf bestand, mich noch einmal<br />

zu vereidigen, was den Saarländern nicht<br />

eingefallen war. Ich musste dann auf die<br />

rheinlandpfälzische Verfassung schwören,<br />

die damals noch die Todesstrafe enthielt.<br />

Die Schule, an die man mich versetzte,<br />

wurde ebenfalls bald aufgelöst. Die ersten<br />

vier Klassen blieben aber am Ort. Ich<br />

wanderte mit meiner Klasse an das neu<br />

erbaute Schulzentrum und erlebte nun<br />

einen Betrieb mit über 1000 Schülern,<br />

mit 9. Schuljahren, die bis zu 44 Schüler<br />

hatten, mit Wanderklassen, die dort eine<br />

kurze Bleibe hatten, wo die Klassenrauminhaber<br />

in einem Fachraum waren. Die<br />

gemütlichen Zeiten waren vorbei und die<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

29


Generation 60+ / Tipps + Termine<br />

Schulmeisteridylle Geschichte. Später<br />

lernte ich dann noch die Verhältnisse an<br />

einer „sozialen Brennpunktschule“ kennen.<br />

Das war auch beeindruckend. Den<br />

Schülern ist kein Vorwurf zu machen. Sie<br />

sind ein Produkt der gesellschaftlichen<br />

Zustände. Dafür sind die Erwachsenen,<br />

die Eltern, die Medien und die Politik<br />

verantwortlich.<br />

Wichtiger aber als die Behörden und die<br />

äußeren Umstände waren natürlich die<br />

Kinder in Ostfriesland, in Saarbrücken und<br />

hier an der Mosel. Der gesellschaftliche<br />

Hintergrund war sehr unterschiedlich. Die<br />

Eltern in Ostfriesland, Moorbauern und<br />

hauptsächlich Arbeiter, in Saarbrücken<br />

Angestellte und Arbeiter im Stahlwerk<br />

oder im Bergwerk, an der Mosel Winzer,<br />

Handwerker, Angestellte und Arbeiter.<br />

Ich habe die Kinder schon unterschiedlich<br />

erlebt, aber ich würde mir nicht anmaßen,<br />

wertende Vergleiche anzustellen. Beeindruckt<br />

hat mich das gradlinige Selbstbewusstsein<br />

der Kinder in Ostfriesland. Da<br />

wäre keines auf die Idee gekommen zu<br />

fragen: „Soll ich Ihnen die Tasche tragen?“<br />

In Saarbrücken hat mich die Unvoreingenommenheit<br />

und Toleranz der Kinder<br />

positiv berührt. An der Mosel war es eine<br />

Mischung aus beidem. Ein Vergleich mit<br />

der heutigen Situation würde nur zu dem<br />

trivialen Ergebnis führen: Früher war es<br />

anders, manches sicher besser, angenehmer<br />

und freundlicher, aber manches<br />

auch schlechter. Fontane würde dazu<br />

sagen: „Das ist ein weites Feld.“<br />

Manfred Otto<br />

Demokratie in der Schule<br />

Mit dem neuen Jahrbuch Demokratie-<br />

Pädagogik 2012 ist eine jährlich erscheinende<br />

Publikation gestartet, die das Feld<br />

der Demokratiepädagogik – verstanden<br />

als aufgeklärte und professionell zu handhabende<br />

Herausforderung in den pädagogischen<br />

Institutionen und Berufen – in<br />

seiner ganzen Breite in Blick auf Schule,<br />

Erziehung und Jugendarbeit abbildet.<br />

Dabei steht der Diskurs um Entwicklung,<br />

Begleitung und reformerische Konkretisierung<br />

der Demokratiepädagogik in<br />

Wissenschaft und Praxis im Mittelpunkt.<br />

Die einzelnen Kapitel des 318seitigen<br />

Jahrbuchs „Grundlagen“ (10 Beiträge),<br />

z.B. Ingrid Gogolin: „Lernen, beteiligen,<br />

unterstützen, leiten - Grundlagen demokratischer<br />

Schulentwicklung“ und<br />

„Forum“ (4 Beiträge), z.B. Hermann Veith:<br />

„Demokratie und Demokratiekompetenz<br />

bei Kindern“ und „Praxis“ (3 Beiträge), z.B.<br />

Sonja Student: „Der Klassenrat als Motor<br />

der Entwicklung zur kindergerechten<br />

Schule. Erfahrungen der Grundschule Süd<br />

in Landau“ und „Länder und Regionen<br />

(6 Beiträge), z.B. Hans Berkessel, Josef<br />

Blank: “Demokratie lernen und erleben<br />

in Rheinland-Pfalz“ und „Zivilgesellschaft,<br />

Dokumentation und Rezensionen“ (9<br />

Beiträge und Dokumente,) z.B. „Stärkung<br />

der Demokratieerziehung – Beschluss der<br />

KMK vom 6.3.2009“.<br />

Aus dem Vorwort: „Dass Transparenz,<br />

Öffentlichkeit, Rationalität von Entscheidung<br />

und Beurteilung, Anerkennung statt<br />

Demütigung und Integration statt Ausschluss<br />

Mehrheitserfahrungen in der pädagogischen<br />

Institutionenwelt sind, kann<br />

bis heute nicht ohne weiteres behauptet<br />

werden. Dass aber die Demokratiepädagogik<br />

und eine an ihr ausgerichtete professionell<br />

gehaltvolle Schulentwicklung<br />

ihren Beitrag zur Verwirklichung solcher<br />

Ziele leisten kann, ist indes unbestritten.<br />

Das ‚Jahrbuch Demokratiepädagogik‘ soll<br />

diesen Prozess künftig entscheidend mit<br />

begleiten“.<br />

psw<br />

Wolfgang Beutel, Peter Fauser, Helmolt<br />

Rademacher (Hrsg.), Jahrbuch<br />

Demokratie-Pädagogik 2012 , 318 S.,<br />

Wochenschau-Verlag, 24,80 Euro<br />

„Tag der Realschule plus“ im September 2013<br />

„Die Schulstrukturreform ist abgeschlossen.“<br />

Immer wieder hört man diese<br />

Aussage. Die Realität sieht anders aus! Es<br />

mag richtig sein, dass die äußere Strukturreform<br />

im Moment als fast abgeschlossen<br />

gelten kann. Aber wie sieht es mit der<br />

Umsetzung in den Realschulen plus aus?<br />

Wie weit sind wir bei der inneren Strukturreform<br />

bis jetzt gekommen und was<br />

erwartet uns da noch? Wie wird sich die<br />

Kommunalreform auf die Schulstandorte<br />

auswirken, und was haben wir von der<br />

demographischen Entwicklung zu erwarten?<br />

Jeder Lehrkraft, die dort arbeitet, ist<br />

klar: Da ist noch viel zu tun! Mit folgenden<br />

Themen wird sich deshalb der „Tag der<br />

Realschule plus“ beschäftigen, den die<br />

<strong>GEW</strong> Anfang September dieses Jahres<br />

veranstaltet:<br />

• Demografie und Realschulen plus<br />

• Inklusion an den Realschulen plus<br />

• Innere Schulstrukturreform - Zusammenwachsen<br />

unterschiedlicher Schulkulturen<br />

von Hauptschule und Realschule in<br />

den Realschulen plus<br />

Auf der Homepage der <strong>GEW</strong> Rheinland-<br />

Pfalz und in der <strong>GEW</strong>-Zeitung wird fortlaufend<br />

über die Veranstaltung informiert.<br />

Leitungsteam der<br />

Landesfachgruppe Realschule plus<br />

30 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013


Tipps + Termine / Kreis + Region<br />

„Koffer gepackt und überlebt“<br />

Der „Arbeitskreis Ludwigshafen setzt<br />

Stolpersteine“ hat nun ein biographisches<br />

Quellenbündel zur Geschichte der<br />

Kindertransporte nach England 1938/39<br />

herausgegeben. Erarbeitet wurden die Erinnerungsmaterialien<br />

von der Geschichtsund<br />

Deutschlehrerin Monika Kleinschnitger.<br />

Aus dem Nachlass von Ursula Michel<br />

stellte sie mit Bildern und Dokumenten<br />

die Unterrichtsmappe „Von Ludwigshafen<br />

nach Liverpool Street Station“ zusammen.<br />

„Herzliche Grüße und Küsse von deinem<br />

Vater. Sei hübsch ordentlich und fromm<br />

bis nach Haus du wieder kommst.”<br />

So rührend schreibt Heinrich Michel an<br />

seine Tochter Ursula. Er wird mit seiner<br />

Frau Gertrud und der jüngeren Tochter Lilli<br />

1942 deportiert, Ursula lebt bereits seit<br />

1939 in England. Ein Wiedersehen gibt es<br />

nicht. Briefe erinnern an die Verzweiflung<br />

und die Hoffnung.<br />

Die Verfolgung von Ursula Michel und<br />

ihrer Familie beginnt in Ludwigshafen am<br />

Rhein, ihre Rettung ist ein Kindertransport,<br />

der in Liverpool Street Station in London<br />

endet: Sie überlebt, ihre Familie wird<br />

ermordet. Ursula Michel und das Schicksal<br />

ihrer Familie stehen so stellvertretend für<br />

die Biographien vieler Opfer der NS-Zeit.<br />

Das Schicksal der Familie Michel, insbesondere<br />

der Weg der älteren Tochter Ursula<br />

Michel, ermöglicht einen sehr direkten<br />

Zugang zu den chronologischen Abläufen<br />

der Zeit des Nationalsozialismus, der<br />

sich leicht mit den Darstellungen in den<br />

Geschichtsbüchern der Sekundarstufen I<br />

und II verknüpfen lässt (bspw. zur Chronologie<br />

der Entrechtung der Juden und zur<br />

Ideologie des Nationalsozialismus) – auch<br />

zur Geschichte des Nationalsozialismus in<br />

einer Region.<br />

Das biographische Informationsmaterial<br />

mit zwölf Tafeln zu einer Ludwigshafener<br />

Familie in der Zeit des Nationalsozialismus<br />

ist vielfältig einsetzbar und kann sowohl<br />

im historisch-politischen als auch im<br />

religiös-philosophischen Kontext verwendet<br />

werden. Ein ausführlicher Begleittext<br />

informiert über die Inhalte zu den vier<br />

Kapiteln „Die Familie Michel – eine Ludwigshafener<br />

Familie“, „Ursula Michel – ein<br />

Platz im Kindertransport“, „England – ein<br />

neues Leben beginnt“ und „Die Michels<br />

– eine Familie wird zerstört“. Mit der beiliegenden<br />

CD können die Tafeln auch per<br />

Beamer zum Einsatz kommen.<br />

Die Unterrichtsmappen sind kostenfrei<br />

und im Klassensatz im Ludwigshafener<br />

Stadtmuseum und im Stadtarchiv erhältlich.<br />

www.erinnerungen-bewahren.de<br />

www.ludwigshafen-setzt-stolpersteine.de<br />

pm<br />

Kreis + Region<br />

Kreis Rhein-Lahn<br />

Aktiv für Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />

Belastungen am Arbeitsplatz Schule gibt es in vielfältiger Form.<br />

Aber der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist in den rheinlandpfälzischen<br />

Schulen noch nicht angekommen. Wohl gilt das<br />

Arbeitsschutzgesetz schon seit 1996, aber mit der Umsetzung<br />

im Schulbereich hapert es noch immer.<br />

Im Rahmen der <strong>GEW</strong>-Fortbildung in Nassau/Lahn wurden die<br />

TeilnehmerInnen mit den wichtigsten Festlegungen des Arbeitsschutzgesetzes<br />

vertraut gemacht. Das Institut für Lehrergesundheit<br />

(IfL), 2011 gegründet, ist für die arbeitsmedizinische<br />

Betreuung der Landesbeschäftigten im Schulbereich zuständig.<br />

Der Referent Dieter Roß machte auf den IfL-Flyer und die<br />

Möglichkeit aufmerksam, sich als Lehrkraft oder Pädagogische<br />

Fachkraft dorthin zu wenden, um Belastungen, die ihm/ihr bei<br />

der Schularbeit das Leben schwer machen, den dortigen ArbeitsmedizinerInnen<br />

darzulegen und Hilfe zu erhalten.<br />

Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element des Arbeitsund<br />

Gesundheitsschutzes. Hier gilt es initiativ zu werden, damit<br />

diese gesetzliche Aufgabe erfüllt wird. Der Handlungsleitfaden<br />

des IfL wurde durchgesprochen, aufgezeigt, wie die Grobanalyse<br />

zum psychosozialen Bereich online durchgeführt wird, und wie<br />

mit Hilfe der Selbstcheck-Listen die Grobanalyse im Bereich der<br />

Arbeitssicherheit erfolgt.<br />

Der Referent erinnerte daran, dass der Örtliche Personalrat nicht<br />

warten muss, sondern selbst initiativ werden kann. Er ermunterte<br />

die TeilnehmerInnen engagiert - aber mit langem Atem - das<br />

sehr wichtige Thema im Kollegium zu etablieren und sagte die<br />

Unterstützung der <strong>GEW</strong> zu.<br />

pm<br />

Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz<br />

(121. Jahrgang)<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />

Mainz, Tel.: 0 6131 28988-0, Fax: 0 6131 28988-80, www.gew-rlp.de, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />

Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz, Dr. Gerlinde Schwarz, Antje Fries, Karin<br />

Helfrich<br />

Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />

Fax: 0621 564995, E-mail: guenter.helfrich@gew-rlp.de<br />

Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />

a.d.W., Tel.: 06321 80377; Fax: 0 6321 86217; E-mail: vpp.nw@t-online.de<br />

Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />

nicht in jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich Euro 18,-- incl. Porto<br />

+ MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres.<br />

Im anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />

Anzeigenpreisliste Nr. 15 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />

31


Zeitgeist<br />

PCT_03<br />

Als die Welt noch in Ordnung war<br />

Wir saßen in der Kirche getrennt: rechts<br />

die Mädchen, links die Jungen. Im Konfirmandenunterricht<br />

erzählte der Pfarrer den<br />

Mädchen, in ihnen schlummere eine Knospe,<br />

die auf keinen Fall vor der Ehe zerstört werden<br />

dürfe. An der Drogerie stand: „Camelia<br />

gibt allen Frauen Sicherheit und Selbstvertrauen“.<br />

Aber niemand erklärte einem, wer<br />

Camelia ist. Meine Mutter und ich trugen<br />

draußen Kopftücher. Als ich 12 war, wurden<br />

meine Zöpfe abgeschnitten. Nein, das war<br />

nicht 1914, das war in den sechziger Jahren.<br />

An meinem grundständigen Gymnasium<br />

hatten die Mädchen zwei Wochenstunden<br />

Handarbeit. Wir lernten häkeln, stricken,<br />

sticken, weben und stopfen (In meinem<br />

Fall vergebliche Liebesmüh. Mehr als einen<br />

einsamen Socken habe ich nie produziert.<br />

Abgerissene Knöpfe trage ich zum Änderungsschneider).<br />

Die Jungen hatten in der<br />

Zeit frei oder Werken. Keine Ahnung, was<br />

sie da gemacht haben, aber es schien auf<br />

jeden Fall spannender. Die Jungen durften<br />

in eine riesige Turnhalle mit allen möglichen<br />

Sportgeräten. Wir Mädchen schwangen in<br />

einer kleinen Gymnastikhalle Keulen, Bänder<br />

und Seile. Unsere Lehrerin entstammte mit<br />

Sicherheit noch der „Kraft durch Freude“-<br />

Bewegung. Zwei ruppige Mitschülerinnen<br />

gaben sich männliche Vornamen und<br />

widmeten sich bis zur Pubertät dem Gladiatoren-<br />

und Indianerspiel. Mädchensein<br />

war doof, auch wenn es niemand so offen<br />

aussprach. Fräulein von Kampen, unsere<br />

Mathe- und Physiklehrerin (eine sehr ungewöhnliche<br />

weibliche Fächerkombination für<br />

diese Zeit!), bedauerte uns Mädchen, als in<br />

der 8. Klasse der Physikunterricht begann.<br />

Für die Jungen ein tolles Schulfach, betonte<br />

Fräulein von Kampen. Die Mädchen waren<br />

anscheinend zu blöd für Physik. An unserem<br />

Gymnasium unterrichteten viele Männer<br />

in dunklen Anzügen. Es gab aber auch vier<br />

Lehrerinnen: eine Frau und drei Fräuleins.<br />

„Beachten Sie das Spiel Ihrer Hände! In Ihrem<br />

Unterricht sitzen schließlich auch junge<br />

Männer!“, wurde eine Referendarin anno<br />

1967 belehrt.<br />

Mädchen durften an der Schule nur im Winter<br />

Hosen tragen: Helanca-Beinkleider, die<br />

mit einem Gummizug um den Fuß herum endeten.<br />

In der 13. Klasse wetteten die Lehrer,<br />

welches Mädchen zuerst heiraten würde.<br />

Das war nicht als Kompliment gemeint.<br />

Nach dem Abitur verkündete ich der Sippe<br />

stolz meine Berufspläne. Ich wollte jetzt<br />

nicht mehr Rollschuhkunstläuferin werden,<br />

sondern Journalistin. „Na, warte mal ab, bis<br />

du heiratest und Kinder kriegst“, sagten zwei<br />

angeheiratete Tanten gehässig. Ständig wies<br />

jemand auf Grenzen und Einschränkungen<br />

hin. Träumte ich von einer gleichberechtigten<br />

Welt, beendete mein 17jähriger<br />

Freund die Diskussionen genüsslich mit:<br />

„Und wenn eine Männerarmee auf eine<br />

Frauenarmee stößt –was meinst du, was<br />

dann passiert?“ Oder er fragte höhnisch, ob<br />

etwa die Männer die Kinder kriegen sollten.<br />

Ich hätte nichts dagegen gehabt.<br />

Der Ehemann war der Vormund der Frau.<br />

Er bestimmte Nachnamen und Wohnsitz.<br />

Er konnte es seiner Frau verbieten, einer<br />

Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auf dem Papier<br />

gab es noch den Kuppeleiparagraphen<br />

und das „Kranzgeld“, wenn der „Verlobte“<br />

das Eheversprechen nicht hielt, vorher aber<br />

schon an der Knospe dran war. In der Schule<br />

machten die Jungen seltsame Andeutungen<br />

über warme Brüder und den Paragraphen<br />

175. Die Mädchen handelten Geheimtipps,<br />

welche Ärzte die Pille verschrieben und im<br />

Notfall halfen. Abtreibung war verboten.<br />

Frau brauchte viel Geld und ein Codewort<br />

für den Geheimtipparzt. Es gab kaum Frauenärztinnen.<br />

Meine Freundin wurde später<br />

gegen erbitterte Widerstände Gynäkologin.<br />

Damals war man der Meinung, eine Frau<br />

könne im OP nicht durchhalten.<br />

Emanzen waren hässliche Frauen, von denen<br />

sowieso kein Mann was wollte. Solche<br />

Feststellungen trafen gern Männer, die<br />

keine Spiegel besaßen, aber ein ungetrübtes<br />

Selbstbewusstsein. Darum beneidete ich sie!<br />

Um das andere, das Freud den Frauen als<br />

ewig nagenden Neidfaktor unterstellte, eigentlich<br />

nicht – die Jungen in unserer Klasse<br />

hatten doch ständig Angst, beim Schwimmen<br />

(Riesenfische im trüben Gewässer) oder<br />

an mörderischen Sportgeräten (Pferd) ihre<br />

Männlichkeit zu verlieren…Ich weiß nicht,<br />

wie ich jetzt darauf komme, aber damals<br />

beschimpfte ein Mercedesfahrer meine<br />

Freundin auf ihrem Motorroller mit: „Ej,<br />

pass doch auf, du schwanzloses Gehoppse!“<br />

Was war wohl segensreicher für die Emanzipation?<br />

Die Pille? Die Feinstrumpfhose? Die<br />

Waschmaschine? Das Frauen-Skispringen?<br />

Oder dass sechs Mädchen aus unserer Abiturklasse<br />

Lehrerinnen wurden? Kein einziger<br />

Knabe unserer Klasse strebte in diesen<br />

achtbaren Beruf. Und nun jammern einzelne<br />

Kollegen, dass es keine Männerbeauftragten<br />

gibt und dass die vierköpfige Schulleitung<br />

völlig schwanzlos ist. „Männerforscher“ wie<br />

der Schweizer Walther Hollstein beklagen<br />

die weibliche Übermacht in Erziehung und<br />

Bildung. Jungen würden in engen „Frauenkäfigen“<br />

gehalten, müssten Bienchen und<br />

Schmetterlinge malen und Schleiertänze<br />

aufführen. Ihre Hilferufe verhallen ungehört<br />

– solange, bis einzelne gegen die weibliche<br />

Tyrannei Amok laufen*). Leider vergisst der<br />

Autor, eine Männerquote für Säuglingsstationen,<br />

Kindergärten und Schulen zu fordern.<br />

Gabriele Frydrych<br />

*) Artikel im Tagesspiegel vom 17.12.12:<br />

„Tickende Zeitbomben. Warum junge<br />

Männer Amok laufen“<br />

32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013

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