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5-6 / 13<br />
Zeitung Rheinland-Pfalz<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz • www.gew-rlp.de<br />
<strong>GEW</strong> - Bildungstage:<br />
• Gymnasialtag<br />
• Tag der beruflichen Bildung<br />
Foto: Bert Butzke, Mülheim a.d.R.
Editorial<br />
Freud und Leid beim Zeitungsmachen<br />
Nach dieser<br />
Doppelausgabe<br />
Mai/Juni können<br />
Redaktion und<br />
Verlag mal kurz<br />
durchschnaufen,<br />
denn vier<br />
Zeitungen hintereinander<br />
zu<br />
produzieren, ist<br />
immer wieder<br />
eine Herausforderung.<br />
Dies hat insbesondere mit unserem<br />
Konzept zu tun: Wir produzieren<br />
keine langfristig geplante Fachzeitschrift,<br />
sondern wir basteln aus dem uns zugehenden<br />
Material, selbst geschriebenen<br />
Berichten (z. B. über <strong>GEW</strong>-Veranstaltungen)<br />
sowie Texten aus anderen Quellen<br />
unser Blatt, wobei sich oft erst im Laufe<br />
der Herstellung eine stimmige Struktur<br />
herauskristallisiert.<br />
Wir bleiben bei diesem Konzept - auch<br />
wenn es nicht immer einfach ist -, weil<br />
wir auf eine gewisse Aktualität nicht<br />
verzichten möchten und insbesondere<br />
unseren Mitgliedern, die mit ihren Beiträgen<br />
unsere <strong>GEW</strong>-Zeitung schließlich<br />
finanzieren, ein Forum geben wollen, in<br />
dem sie sich artikulieren können. Wäre alles<br />
schon über Monate verplant, könnten<br />
wir beispielsweise eine neue Serie wie die<br />
Berichte pensionierter Kollegen über ihr<br />
„Lehrer-Leben“ kaum unterbringen.<br />
Vom Sichten des eingegangenen Materials<br />
bis zur Kontrolle des Layouts bleiben<br />
uns in der Regel zwei Wochen Zeit, um<br />
eine Ausgabe auf die Beine zu stellen.<br />
Dabei gibt es einiges, was uns die Arbeit<br />
erleichtert, und umgekehrt natürlich auch<br />
einiges, was sie erschwert.<br />
Erleichternd ist das Wissen um feste Mitarbeiter,<br />
die kompetent und verlässlich<br />
ihre Beiträge abliefern. Und wenn diese<br />
dann noch so perfekt geschrieben sind,<br />
dass nichts daran verbessert werden<br />
muss, freut sich das Redakteursherz.<br />
Beruhigend ist auch, Quellen für gutes<br />
Gestaltungsmaterial wie Karikaturen,<br />
Cartoons und Profifotos zu haben.<br />
Da Zeitungsarbeit stets auf einen Termin<br />
gerichtet ist, muss die Kooperation<br />
innerhalb der Redaktion und mit dem<br />
Verlag reibungslos und ohne unnötige,<br />
zeitraubende Debatten ablaufen. Für<br />
persönliche Eitelkeiten und Wichtigtuerei<br />
– beides nicht selten in politischen Gremien<br />
zu erleben - ist da kein Platz. Auch<br />
in dieser Hinsicht haben wir zum Glück<br />
keine Probleme.<br />
Erschwernisse<br />
Natürlich erschwert uns niemand wissentlich<br />
oder gar bösartig die Arbeit,<br />
dennoch gibt es Arbeitsweisen, die uns<br />
in Schwierigkeiten bringen. Wie oben<br />
schon gesagt: Zeitungsarbeit ist Terminsache.<br />
Wenn vereinbarte Beiträge nicht<br />
pünktlich kommen, bringt uns das in die<br />
Bredouille, auch wenn wir einen gewissen<br />
Zeitpuffer einplanen. Für eine „letzte Meldung“<br />
ist immer Platz, wenn aber fast alle<br />
Beiträge als „letzte Meldungen“ eingehen,<br />
müssen wir kapitulieren. Zum Glück ist<br />
es uns noch nicht so ergangen wie einer<br />
anderen <strong>GEW</strong>-Landeszeitung, die wegen<br />
fehlender bzw. zu später Beiträge einmal<br />
gar nicht erschienen ist.<br />
Woher die Verspätungen kommen, ist<br />
schwer zu erklären. Ein Faktor ist sicherlich<br />
die hohe Arbeitsbelastung vieler<br />
Funktionäre, denen es aus Verantwortungsbewusstsein<br />
schwer fällt, nein zu<br />
sagen, wenn Aufgaben verteilt werden.<br />
Vielleicht gibt es auch eine ganz banale<br />
Erklärung: Dem einen fällt das Schreiben<br />
leichter, dem anderen schwerer. Keiner ist<br />
auf allen Gebieten gut. Wer sich wie der<br />
Verfasser dieses Editorials bei handwerklichen<br />
Tätigkeiten an der Debilitätsgrenze<br />
bewegt, hat größtes Verständnis für<br />
Menschen mit Schwächen auf anderen<br />
Gebieten.<br />
Wenn man das Stichwort „Schreibhemmungen“<br />
googelt, kommen unter dem<br />
Fachbegriff „Schreibblockaden“ eine<br />
ganze Reihe guter Tipps. Ratsam ist zum<br />
Beispiel das „Warmschreiben“: Bevor ich<br />
mich an einen schwierigen Fachtext setze,<br />
schreibe ich erst mal eine Glosse, die mir<br />
locker von der Hand geht, oder auch nur<br />
ein paar Zeilen an nette Mitmenschen.<br />
In gewisser Weise muss man als Autor<br />
auch eine gewisse Chuzpe haben und<br />
sagen: „So, das war´s jetzt, durch ewiges<br />
Verändern wird mein Text nicht mehr<br />
besser.“ So toll die moderne Textverarbeitung<br />
ist: Früher konnte kein Artikel<br />
x-mal umgeschrieben werden, und im<br />
Endeffekt waren die Beiträge bestimmt<br />
nicht schlechter.<br />
Ärgerlich für Redakteure ist zudem, wenn<br />
Längevorgaben nicht eingehalten werden.<br />
Manche Verfasser sind so auf ihr Thema<br />
fixiert, dass sie gar nicht überlegen, ob<br />
ihre Ausführungen andere tatsächlich in<br />
dieser Länge interessieren. Wenn – fiktiv<br />
gedacht - ein Kreisverband bspw. eine<br />
Tour an eine historische Stätte organisiert,<br />
ist das lobens- und berichtenswert … aber<br />
nur in gewissem Maße, denn episch lange<br />
Ausführungen über historische Ereignisse<br />
sprengen ganz einfach unseren Rahmen.<br />
Zum Glück werden in solchen Fällen Kürzungen<br />
der Redaktion in der Regel ohne<br />
Murren akzeptiert. Ist aber anstrengend.<br />
Wenig Freude bereiten schlampig geschriebene<br />
Texte: da falsche Anführungszeichen,<br />
dort unnötige Leerzeilen etc., das<br />
nervt. Ebenso übrigens die Umkehrung:<br />
der vermeintliche Perfektionismus, uns<br />
bereits fertig gestaltete Seiten vorzulegen,<br />
die aber gar nicht in unser Seitenlayout<br />
passen. Am besten noch als <strong>PDF</strong>, um Veränderungen<br />
zu verhindern.<br />
Hammerthema Personenfotos<br />
Zum Abschluss noch das absolute Hammerthema,<br />
das Zeitungsmacher zur<br />
Verzweiflung bringen kann: die Personenfotos.<br />
Es gibt in manchen Medien<br />
durchaus den manipulativen Umgang<br />
damit, um jemand in schlechtem Licht<br />
erscheinen zu lassen. Uns ist das völlig<br />
fremd. Dennoch bekommen wir immer<br />
wieder Beschwerden, weil sich jemand<br />
auf Fotos nicht gefällt. Wer denken dann:<br />
„Hey, so gut siehst du in natura eigentlich<br />
selten aus…“<br />
Vielleicht gibt es auch hier den Fluch der<br />
modernen Technik: Moderne Bildbearbeitung<br />
vermag ja tatsächlich aus dem<br />
sprichwörtlichen Ackergaul ein optisches<br />
Rennpferd zu machen. Aber sehen wir<br />
auch das positiv: Wir sind geistig dermaßen<br />
jung geblieben, dass unser Äußeres<br />
einfach nicht zu unserem Inneren passt.<br />
„Ja, der Redakteur hat es wirklich schwör“,<br />
mag der geneigte Leser nun denken.<br />
Stimmt nicht. Der Redakteur ist beneidenswert,<br />
weil er im Gegensatz zu seinem<br />
Hauptberuf als Pädagoge das Produkt<br />
seiner Bemühungen zu einem gewissen<br />
Zeitpunkt in der Hand halten kann. Bitte<br />
nicht „balla balla“ denken, wenn er<br />
dann da sitzt und das Heft immer wieder<br />
durchblättert.<br />
Günter Helfrich<br />
2 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bestehendes Schulsystem ohne Sitzenbleiben:<br />
ein Widerspruch in sich<br />
Frieder Bechberger-Derscheidt<br />
Tarif- und Besoldungsrunde Kommentare 2013<br />
Die Diskussion um Sinn und Unsinn des<br />
zwangsweisen Sitzenbleibens ist – wie<br />
viele andere Diskussionen im und um das<br />
Bildungssystem – verlogen und scheinheilig.<br />
Ein Schulsystem, das – außer in<br />
Deutschland und Österreich – so früh<br />
wie sonst nirgendwo auf der Welt Kinder<br />
trennt und nicht gleichwertigen Schularten<br />
zuweist, braucht Instrumente der<br />
Auslese, der Trennung, der Abspaltung.<br />
Eines dieser Instrumente ist das zwangsweise<br />
Sitzenbleiben, das Pädagoginnen<br />
und Pädagogen in Grundschulen und<br />
den traditionellen Schularten der Sekundarstufe<br />
I in Deutschland von alters her<br />
zur Verfügung steht – trotz aller immer<br />
wieder auftretenden Diskussionen offensichtlich<br />
in großem gesellschaftlichen<br />
Konsens.<br />
Dieser wird auch nicht durch die empirisch<br />
längst gesicherte Erkenntnis in Frage<br />
gestellt, dass Sitzenbleiben höchstens<br />
ausnahmsweise, im Einzelfall, einen<br />
positiven pädagogischen Effekt haben<br />
kann. Von diesem Wissen machen Länder<br />
mit Schulsystemen, die demokratischen<br />
Grundsätzen entsprechen, vorneweg<br />
die Skandinavier, schon lange Gebrauch.<br />
Dort gibt es diesen Zwangsmechanismus<br />
nicht, auch keine Noten bis zur 8. oder<br />
9. Klasse. Die Erfahrungen dieser Länder<br />
mit Verzicht auf dieses vermeintlich als<br />
nützlich und unverzichtbar gepriesene pädagogische<br />
Instrument sind offenkundig<br />
so gut, dass dort niemand daran denkt,<br />
etwas Vergleichbares an selektivem Instrumentarium<br />
einzuführen.<br />
Gewiss: Die Sensibilisierung im Umgang<br />
mit dieser harten Maßnahme schwarzer<br />
Pädagogik hat zugenommen, es lässt sich<br />
ein Unwohlsein feststellen, was die immer<br />
wieder auftretenden Debatten zeigen.<br />
„Phantom-Debatte“ nennt dies Doris<br />
Ahnen. Sie sind deshalb wenig weiterführend,<br />
weil sie zu keinen Konsequenzen<br />
führen, „Phantom-Debatten“ eben.<br />
Dennoch werden sie geführt. Die typisch<br />
rheinland-pfälzische Konsequenz zur Lösung<br />
eines solchen Streits, wie bei vielen<br />
anderen bildungspolitischen Streitsachen<br />
auch, kann dabei einerseitsdie zeitliche<br />
Verschiebung sein, andererseits soll in<br />
Foto: Paul Schwarz<br />
sog. „Modellversuchen“ getestet werden,<br />
„wie man ´Ehrenrunden` überflüssig<br />
machen könne“ (Rheinpfalz/8.3.13). An<br />
einem solchen „Versuch“ sind dann für<br />
eine Reihe von Jahren nur sehr wenige<br />
Schulen beteiligt, während die große<br />
Mehrheit so weitermachen kann, als gebe<br />
es diese Debatte nicht.<br />
Modellversuche zu einer solchen<br />
Uraltfrage der Schulwirklichkeit?<br />
Die Bildungsministerin wird damit erneut<br />
selbst zur Akteurin in dieser „Phantom-<br />
Debatte“, so als wüsste sie nicht, dass es<br />
seit 40 Jahren staatliche Schulen gibt, die<br />
in der Sek. I auf zwangsweises Wiederholen<br />
verzichten, Wiederholen dort nur freiwillig<br />
vorkommt und selbstverständlich<br />
am Ende der Sek. I Abschlüsse stehen, die<br />
im Falle des Nichterreichens auch wiederholt<br />
werden müssen. Es sind die IGSen, die<br />
über ihre Differenzierungspraxis Zwangswiederholungen<br />
überflüssig machen, wie<br />
gesagt, seit ihrem Bestehen im Jahr 1973!<br />
Deren Praxis hat sich bewährt und ist nie<br />
in Frage gestellt worden, auch nicht, als<br />
die CDU noch an der Regierung war.<br />
Darüber hinaus läuft seit 2005 der Schulversuch<br />
„Eigenverantwortliche Schule“,<br />
der es den beteiligten Schulen ermöglicht<br />
– neben anderen pädagogischen<br />
Möglichkeiten, auch denen der Schulund<br />
Personalentwicklung -, auf selektive<br />
Maßnahmen zu verzichten, also auch<br />
auf das zwangsweise Wiederholen. Der<br />
Schulversuch ist evaluiert, soll jetzt aber<br />
wohl verlängert werden, statt mit den<br />
Ergebnissen in die Breite zu gehen und<br />
grundsätzlich allen Schulen die gleichen,<br />
erprobten Möglichkeiten einzuräumen.<br />
Es läuft also auf diesem Hintergrund eine<br />
mehr als merkwürdige Diskussion, die<br />
schulische Alltagsrealitäten in diesem<br />
Land ignoriert und somit pädagogische Erfahrungen<br />
und Erkenntnisse diskreditiert.<br />
Auch die GRÜNEN üben hier Koalitionsdisziplin,<br />
wenn auch mit ein wenig<br />
Widerspruch, der jedoch ebenso konsequenzlos<br />
bleibt. Wenn Ruth Ratter<br />
als bildungspolitische Sprecherin der<br />
GRÜNEN-Landtagsfraktion zwar erkennt,<br />
dass „Sitzenbleiben die betroffenen<br />
Schüler traumatisiere“ und es „jedoch wo<br />
immer möglich durch andere Formen der<br />
Beurteilung von Lernfortschritten ersetzt<br />
werden“ müsse, sollte das Fazit eigentlich<br />
klar sein, nämlich weg mit dieser Ursache<br />
von Traumatisierungen. Aber nein, auch<br />
sie bleibt dabei: „Wir wollen das Sitzenbleiben<br />
nicht abschaffen“, nimmt sie<br />
diszipliniert Stellung in dieser „Phantom-<br />
Debatte“ (RP/8.3.13).<br />
Warum eigentlich nicht? Es gibt sicher<br />
einen Grund auf der Oberfläche der<br />
Debatte. Wie so oft glaubte die Koalition<br />
oder früher die SPD in der Alleinregierung,<br />
sich nicht allzu sehr und allzu lange den<br />
Attacken der Opposition aussetzen zu<br />
müssen; denn die CDU hierzulande war es<br />
u.a., die nach der Koalitionsvereinbarung<br />
der neuen niedersächsischen rot-grünen<br />
Landesregierung deren Entscheidung,<br />
auf das zwangsweise Wiederholen zu<br />
verzichten, kritisiert, damit die Diskussion<br />
hochgezogen und versucht hat, die<br />
rheinland-pfälzischen Rot-Grünen vor<br />
sich herzutreiben. Was früher fast immer<br />
gelang, funktionierte auch dieses Mal:<br />
„Auch wir wollen das zwangsweise Sitzenbleiben<br />
beibehalten, also kein Grund<br />
zur Aufregung“, beruhigen Regierung und<br />
Koalition die Opposition. Damit gewinnt<br />
man Zeit (s. Schulversuch), verheddert<br />
sich aber auch (s. Ruth Ratter) und schafft<br />
„Ruhe im Land“, Streit ist unbeliebt, zumal<br />
im Schulbereich.<br />
Es gibt sicher aber auch einen tiefer liegenden<br />
Grund, den Rot-Grün nicht gerne<br />
zugeben will, der sicher auch im Hinblick<br />
auf die beiden Parteien differenziert zu<br />
betrachten ist: Es ist das Festhalten am<br />
gegliederten Schulsystem, das nun einmal<br />
nur dann funktioniert, wenn Auslese seine<br />
Basis bleibt. Notengebung, weitgehender<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
3
Kommentare<br />
Verzicht auf differenziertes Lernen und<br />
individuelle Förderung, insbesondere in<br />
der Sek. I, zwangsweises Sitzenbleiben,<br />
„Abschulungen“ , trotz UN-Behindertenrechtskonvention<br />
unbeirrbares Festhalten<br />
am Förderschulsystem etc. sind ihre wichtigsten<br />
Elemente, auf die die bildungspolitischen<br />
Entscheider glauben, nicht<br />
verzichten zu können. Dieses selektive<br />
Schulsystem muss schließlich weiterhin<br />
bedient werden, um trotz seiner unübersehbaren<br />
Dysfunktionalität irgendwie<br />
funktionsfähig zu bleiben.<br />
Rot-Grün hält daran fest, im Widerspruch<br />
zur je eigenen Programmatik und eigenen<br />
Geschichte wie auch im Widerspruch zur<br />
empirischen Forschung, deren umfassende<br />
Ergebnisse schon lange vorliegen,<br />
mehr als gewichtige Gründe, um sich<br />
längst klar gegen dieses „Phantom“ zur<br />
Wehr setzen und es in den Asservatenschrank<br />
wilhelminischer Pädagogik zu<br />
Karzer, Prügelstrafe und Psychoterror<br />
sperren zu können.<br />
Leider ist offensichtlich auch der vermeintlich<br />
aufgeklärte Teil der Bildungspolitik<br />
nicht bereit, auf solche in der<br />
Regel demütigende und aussondernde<br />
Maßnahmen zu verzichten. Was fehlt, sind<br />
nicht neue oder perpetuierte Schulversuche,<br />
sondern eine klare Positionierung<br />
zu einem fördernden, weitgehend auf<br />
Auslese verzichtenden Schulsystem und<br />
den entsprechenden Schulen dazu. Dass<br />
es diese Schulen bei uns gibt, die zeigen,<br />
dass in diesem Sinne zur Zufriedenheit<br />
aller erfolgreicher Unterricht Selektion<br />
nicht braucht, ist auf dem Hintergrund<br />
des gegliederten Schulsystems eigentlich<br />
ein Wunder. Diese Schulen müssen viel<br />
stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen<br />
pädagogischen Interesses gerückt<br />
werden. Sie sollten die Messlatte für die<br />
machbare andere Schule sein; denn sie<br />
repräsentieren eigentlich das, was sein<br />
müsste, in unserem System sind sie jedoch<br />
dazu verurteilt, die Ausnahme bleiben zu<br />
müssen. Auch die beste offizielle Unterstützung<br />
durch Lob, Auszeichnung oder<br />
Landespreise, die ohnehin meist nur das<br />
schlechte Gewissen der preisverleihenden<br />
Bildungspolitiker entlasten, ändert an<br />
ihrem politischen Versagen, ihrer Mutlosigkeit<br />
und Konfliktscheu kaum etwas.<br />
Wann wird die Politik wider besseres<br />
Wissen endlich der Vergangenheit angehören?<br />
Wir hatten gehofft, es geschehe in<br />
dieser Legislaturperiode. Nach nunmehr<br />
zwei Jahren rot-grüner Bildungspolitik<br />
scheint diese Hoffnung erneut zu trügen.<br />
Von Klagehelden und Astabsägern -<br />
oder: Muss denn Streiken Sünde sein?<br />
Udo Küssner<br />
Welch ein Sturm der Entrüstung, als die<br />
<strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz Anfang März auch<br />
Lehrkräfte im Beamtenverhältnis dazu<br />
aufrief, am Warnstreik der Tarifbeschäftigten<br />
aktiv teilzunehmen, gegen das 1%<br />
Besoldungsdiktat der Landesregierung<br />
auf die Straße zu gehen und einen Warnstreiktag<br />
lang der Schule fern zu bleiben.<br />
Nein, mokiert hatten sich nicht etwa<br />
Eltern, deren Kinder an diesem Tag nicht<br />
oder nur eingeschränkt Unterricht erfahren<br />
konnten, denn so etwas wie Unterrichtsausfall<br />
gehört für die leidgewohnten<br />
Erziehungsberechtigten schließlich zum<br />
Normalfall. Auch der oberste Dienstherr<br />
blieb eher zurückhaltend und machte das,<br />
was ein Dienstherr in solch einer Situation<br />
wohl machen muss: Er ließ ein Schreiben<br />
an die Schulen verfassen und wies auf<br />
die seiner Auffassung nach rechtswidrige<br />
Streikaktion von Beamten hin. Wer die<br />
<strong>GEW</strong>-Informationen zum Beamtenstreik<br />
vorher gelesen hatte, wusste schon, dass<br />
diese Reaktion zu erwarten war.<br />
Aber wer, wenn nicht diese, sollte dann<br />
Grund zur Entrüstung gehabt haben? Ja<br />
natürlich, die so genannten Interessenvertreter<br />
und -innen diverserer Lehrkräfte!<br />
Denn die müssen ja wohl Schaden von<br />
ihrer Klientel abhalten. Schaden? Wenn<br />
Lehrkräfte im Beamtenverhältnis ob des<br />
Verhaltens ihres Dienstherrn die Nase<br />
nun endgültig voll haben und zum Protest<br />
dagegen mal die Kreide hinwerfen, und<br />
das richtig lautstark und unüberhörbar?<br />
Streikende Beamte? Igitt nein! „Die Schulen<br />
müssen frei bleiben von politischen<br />
und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen“,<br />
sagten diejenigen mit dem<br />
„ph“ und dem Häkchen dahinter. Oder<br />
als „Verfassungsbruch“ titulierten die sich<br />
als für Bildung und Erziehung zuständig<br />
Bezeichnenden eine Streikbeteiligung<br />
von Beamten und behaupteten, solche<br />
Aktivisten sägten damit am Ast ihrer<br />
vermeintlichen Privilegien und die der<br />
anderen. Mit dem Streikaufruf werde<br />
„nicht die Landesregierung, sondern der<br />
Beamtenstatus“ getroffen, meinten die<br />
Realos. Solche Kugeln aus schweren Geschützen<br />
sind bei deren Zielgruppen ganz<br />
sicher auf fruchtbaren Boden gefallen!<br />
Oder etwa doch nicht?<br />
Lehrkräfte im Beamtenstatus sollen im<br />
Lehrerzimmer laut schimpfen und diskutieren,<br />
ja – klagen dürfen sie auch. Aber<br />
dann ist auch mal Schluss mit dem zivilen<br />
Ungehorsam! Der Dienstherr hätte das<br />
alles nicht besser formulieren können.<br />
Für solche Aussagen muss er sich in<br />
Rheinland-Pfalz gar nicht selbst aus dem<br />
Fenster hinauslehnen, dafür hat er seine<br />
Leute, pardon seine Verbände.<br />
Dass Schule ein abgeschirmter Raum sein<br />
soll, in dem Politik und Beschäftigteninteressen<br />
tabu sind, lässt Rückschlüsse auf<br />
die Verfasser solcher Aussagen und deren<br />
gesellschaftspolitisches Selbstverständnis<br />
zu. Mündige Schüler und Staatsbürger, die<br />
Realität aus eigener Anschauung erfahren,<br />
was soll denn das? Wenn das in der Schule<br />
Schule machte! Diskutiere solch eine<br />
Theorie mal mit unseren europäischen<br />
Nachbarn, die als Lehrerinnen und Lehrer<br />
ganz selbstverständlich ihr Menschenrecht<br />
auf Streik wahrnehmen, wenn dies<br />
gesellschaftlich oder gewerkschaftspolitisch<br />
angebracht erscheint, und die bei<br />
4 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Kommentare<br />
Streiks oft von Schülerinnen und Schülern<br />
begleitet werden! Na ja, Zivilcourage zu<br />
lehren oder gar zu praktizieren, war in<br />
Deutschland schon immer schwierig und<br />
nicht gern gesehen.<br />
Und Staatsdiener haben eben dem Staat<br />
zu dienen. Streiken gehört sich für sie<br />
nicht, denn sie sind ihrem Dienstherrn<br />
zur Treue verpflichtet und werden dafür<br />
amtsangemessen alimentiert. Ob das,<br />
was schon vor mehr als 100 Jahren galt<br />
und seitdem nur wenig hinterfragt wurde,<br />
in einem modernen, demokratischen<br />
Staatswesen, in dem überdies internationales<br />
Recht wie z.B. die Europäische<br />
Menschenrechtskonvention unmittelbare<br />
Gesetzeswirkung hat, noch zeitgemäß ist,<br />
muss doch heute durchaus hinterfragt<br />
werden dürfen, ob dies den konservativen<br />
Geistern in unserem Land genehm ist oder<br />
nicht. Ach so: Eine andere Meinung darf<br />
man selbstverständlich zum Streikrecht<br />
von Lehrkräften haben, schließlich leben<br />
wir ja in einem freien und demokratischen<br />
Land! Nur praktizieren, was man denkt,<br />
das geht nun wirklich nicht! Beamte haben<br />
sich zu fügen – basta! Staatsdiener<br />
dienen treu und ergeben ihrem Herrn,<br />
pardon Dienstherrn. Das ist ein Dogma<br />
in unserem Staat, und daran ist nicht zu<br />
rütteln. Und wer dann doch rüttelt, sägt<br />
am eigenen Ast.<br />
Professor Dr. Battis, seines Zeichens<br />
einer der renommiertesten Staats- und<br />
Verfassungsrechtler in Deutschland und<br />
keineswegs als linker Revoluzzer bekannt,<br />
sagte in einem Interview mit der Rheinzeitung<br />
- nach dem Beamtenstreikrecht<br />
in Deutschland befragt - sinngemäß:<br />
Streik von Beamten ist nach deutschem<br />
Rechtsverständnis nicht zulässig. Man<br />
solle aber bedenken: Vor über 100 Jahren<br />
sei im Kaiser-Deutschland auch der Streik<br />
von Arbeitern und Angestellten verboten<br />
gewesen. Hätten diese sich damals nicht<br />
darüber hinweggesetzt und ihr Streikrecht<br />
erkämpf, gäbe es dieses heute nicht.<br />
Die einen zeigen Zivilcourage und streiken<br />
als Beamte, auch um die Bastion namens<br />
Streikverbot zum Wanken zu bringen, die<br />
anderen fallen ihnen in den Rücken und<br />
verunsichern solche, die vielleicht gern<br />
mitgemacht hätten, weil sie über das 1%<br />
Besoldungsdiktat auch stinksauer sind,<br />
aber unter Umständen ein Quäntchen<br />
weniger mutig als die anderen waren<br />
und gezögert hatten. Und dann kamen da<br />
plötzlich die Klagehelden und Astabsäger-<br />
Warner an die Schulen und spielten das<br />
Lied ihres Dienstherren, laute und schrille<br />
Töne, mit erhobenem Zeigefinger am Instrument.<br />
Sie reihten sich damit in die Phalanx<br />
anderer Streikteilnahmebekämpfer<br />
ein. So sollen doch wirklich diverse Schulleiter<br />
auch angestellte Vertretungslehrkräfte<br />
vor einer Streikbeteiligung gewarnt<br />
haben, weil sie damit ihre angestrebte<br />
Beamtenplanstelle gefährdeten. Ja, leben<br />
wir denn in einer Bananenrepublik oder<br />
in einem demokratischen Rechtsstaat, in<br />
dem Beamtenplanstellen nach demokratischen<br />
Regeln und nicht nach dem Goodwill<br />
Einzelner vergeben werden? Und darf<br />
man denn als Schulleiter/in so beliebig<br />
mit einem Grundrecht, dem Streikrecht,<br />
jonglieren, ohne einen Rüffel von oben<br />
befürchten zu müssen?<br />
Rüffel hin, Rüffel her – der Europäische<br />
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)<br />
hat 2008, 2009 und 2010 dreimal deutlich<br />
in seine Entscheidungen geschrieben,<br />
dass das Streikrecht ein Menschenrecht<br />
ist, das allen Beschäftigten in den Öffentlichen<br />
Diensten der Unterzeichnerländer<br />
zusteht, unabhängig von ihrem Status.<br />
Einschränkungen seien nur im engen<br />
Rahmen möglich, z.B. zur Aufrechterhaltung<br />
von Sicherheit und Ordnung oder<br />
in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge<br />
und der Gesundheit. Also keine<br />
Lehrkräfte, denn über ein Streikverbot<br />
und eine Sanktionierung diesen gegenüber<br />
hatten sie gerade zu entscheiden.<br />
„Ja in der Türkei“, hört man die Zweifler<br />
sagen, „da gibt es kein dem deutschen Beamtentum<br />
vergleichbares Rechtsinstitut!“<br />
Das stimmt allenfalls insoweit, als das<br />
türkische Staatsrecht nicht dem Staatsrechtsverständnis<br />
der Kaiser-Wilhelm-Ära<br />
entstammt. Aber diese Diskussion führt<br />
ins Leere: Wenn der EGMR den Status<br />
eines Beschäftigten für Streikrechtseinschränkungen<br />
nicht gelten lässt, ist ein<br />
Vergleich etwaiger unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse<br />
hinfällig.<br />
Und jetzt kommt die Zeit der Astabsäger-<br />
Warner: Rührt nur nicht am Streikverbot<br />
für die verbeamteten Lehrkräfte, denn<br />
damit werdet ihr deren Beamtenstatus<br />
abschaffen. Wer diese Behauptung mit<br />
den Ausführungen des EGMR abgleicht,<br />
wonach das Streikrecht ein Menschenrecht<br />
ist, muss das Astabsäger-Argument<br />
so interpretieren: Mit dem Beamtenstatus<br />
und seiner amtsangemessenen Alimentation<br />
erkauft sich der Dienstherr den treu<br />
dienenden Beamten und kauft ihm damit<br />
gleichzeitig dessen Menschenrecht auf<br />
Streik ab. Das ist gut so und soll auch so<br />
bleiben. Ja sind denn Menschenrechte<br />
käuflich? Würde man auch gutheißen,<br />
wenn sich Opel oder Mercedes für gutes<br />
Geld einen Verzicht auf das Streikrecht<br />
ihrer Beschäftigten vertraglich zusichern<br />
ließen? Doch wohl kaum!<br />
Ob Lehrkräfte verbeamtet werden oder<br />
nicht, darüber entscheiden ganz allein<br />
finanzielle Erwägungen der politisch<br />
Verantwortlichen. Wer zu Beginn seiner<br />
Lehrertätigkeit ein gewisses Alter erreicht<br />
hat, kommt nicht mehr in den Genuss,<br />
verbeamtet zu werden, denn das käme<br />
dem Dienstherrn zu teuer: nur 20 Jahre<br />
arbeiten und dann lebenslang eine Pension<br />
einstreichen, das geht ja wohl nicht!<br />
In der DDR gab es kein Beamtentum<br />
(Kaiser-Wilhelm und dessen politische<br />
Nachfahren waren dort wohl nicht so<br />
beliebt). Nach der Wende kamen dort<br />
alle Lehrkräfte ins Angestelltenverhältnis.<br />
Warum hat man sie nicht postwendend<br />
verbeamtet? Richtig: Das wäre, Beihilfen<br />
und spätere Pensionen mitgerechnet, zu<br />
teuer geworden. Viele Kolleginnen und<br />
Kollegen in den neuen Bundesländern<br />
waren damals nicht mehr die Jüngsten.<br />
In Berlin werden Lehrkräfte seit einigen<br />
Jahren nicht mehr verbeamtet, nachdem<br />
man aus der Tarifgemeinschaft der Länder<br />
ausgestiegen war und Angestellten weniger<br />
zahlen konnte. In Schleswig-Holstein<br />
hatte man vor Jahren auch Lehrkräfte nur<br />
noch angestellt und dann alles wieder<br />
rückgängig gemacht. Fazit: Über den Beamtenstatus<br />
von Lehrkräften entscheiden<br />
die Finanzminister. Die Frage ihres Streikrechts<br />
ist da eher marginal.<br />
Wenn Verbände, die vorgeben, die Interessen<br />
der Lehrerinnen und Lehrer zu vertreten,<br />
vehement gegen ein Streikrecht<br />
verbeamteter Lehrkräfte argumentieren,<br />
wenn sie also ein Menschenrecht ablehnen,<br />
spricht das doch irgendwie Bände,<br />
oder? Und wenn sie streikenden oder<br />
streikwilligen Kolleginnen und Kollegen<br />
kurz vor einem Arbeitskampf damit lautstark<br />
in den Rücken fallen, doch auch,<br />
nicht wahr? Von solchen Vertretungen<br />
sollte man erwarten können, dass sie<br />
sorgfältig abwägen, bevor sie in der<br />
Schulöffentlichkeit Meinungen verkünden.<br />
Man kann sich des Eindrucks nicht<br />
erwehren, dass dies entweder nicht der<br />
Fall war oder die Aussagen so, wie sie<br />
gefallen sind, übrigens schwarz auf weiß,<br />
auch so gemeint waren. Na, dann wissen<br />
wir ja, woran wir sind!<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
5
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
Gymnasialtag in Mainz<br />
„Die Investitionen in Bildung reichen nicht aus“<br />
Paul Schwarz<br />
„Unstrittig ist die Bedeutung des Gymnasiums<br />
in der Zukunft“, so der <strong>GEW</strong>-<br />
Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer<br />
zu Beginn des Gymnasialtags der <strong>GEW</strong> im<br />
Bildungszentrum Erbacher Hof in Mainz.<br />
Freilich bräuchten die Kolleginnen und<br />
Kollegen mehr Freiräume, um ihre pädagogische<br />
Arbeit zu machen. „Was zurzeit in<br />
Bildung investiert wird, reicht nicht aus“,<br />
sagte er unter dem Beifall der anwesenden<br />
Lehrerinnen und Lehrer. Der jährliche Gehaltszuwachs<br />
für die beamteten Lehrkräfte<br />
müsse höher sein als 1 Prozent, wie ihn die<br />
rheinland-pfälzische Landesregierung bis<br />
2016 festgelegt habe. Und wenn Beamte<br />
dagegen streikten, erfüllten sie nur ein<br />
Menschenrecht und dürften dafür nicht<br />
bestraft werden.<br />
Sybilla Hoffmann vom Leitungsteam Gymnasium<br />
begrüßte mehrere bildungspolitische<br />
Sprecherinnen und Sprecher rheinland-pfälzischer<br />
Parteien und auch den<br />
Vorsitzenden des Landeselternbeirats,<br />
Rudolf Merod. Auch Hoffmann betonte den<br />
pädagogischen Anspruch des Gymnasiums<br />
und fragte, wie künftig wohl die rheinlandpfälzische<br />
Schullandschaft aussehe, ob wir<br />
auf eine Zweigliedrigkeit Gymnasium und<br />
Integrierte Gesamtschule zusteuern.<br />
Folgerichtig lautete dann auch das Grundsatzreferat<br />
von Prof. Dr. Stefan Sell vom<br />
Institut für Bildungs- und Sozialpolitik an der<br />
Fachhochschule Koblenz: „Das Gymnasium<br />
in der Bildungslandschaft von<br />
morgen“.<br />
Die Reformen verunsichern<br />
die Eltern und belasten die<br />
Lehrer zusätzlich<br />
Ein Schulthema zu diskutieren, so Sell<br />
zu Beginn seiner Ausführungen, sei in<br />
Deutschland immer eine „sperrige Sache“,<br />
weil die Debatten gerne als Struktur- bzw.<br />
Zuständigkeitsdebatte geführt werde. Die<br />
bildungspolitische Diskussion sei hierzulande<br />
„extrem schullastig“ und drehe sich<br />
um einen Bereich, der „am schwersten<br />
zu verändern“ sei. Daneben zeigten die<br />
Forschungsbefunde, dass vor, neben und<br />
außerhalb der Schule weit mehr gelernt<br />
oder eben nicht gelernt werde als bislang<br />
wahrgenommen. Die vom Bundesfamilienministerium<br />
und der Konrad-Adenauer-<br />
Stiftung in Auftrag gegeben Studie „Eltern<br />
– Lehrer – Schul-erfolg“ belege, dass das<br />
Abitur für eine große Mehrheit mittlerweile<br />
als der „einzig akzeptable Schulabschluss“<br />
gelte, um später auf dem Arbeitsmarkt<br />
gute Chancen zu haben. Um dieses Ziel zu<br />
erreichen, setzten die Familien alle Hebel<br />
in Bewegung: „Sie büffeln am Nachmittag<br />
und an den Wochenenden gemeinsam mit<br />
ihren Sprösslingen, teilen die Freizeit ihrer<br />
Kinder entsprechend den Klassenarbeiten<br />
ein und bezahlen Unsummen für Nachhilfeunterricht,<br />
Auslandsaufenthalte oder<br />
Privatschulen, allein für Nachhilfeunterricht<br />
bis zu zwei Milliarden Euro.“<br />
Die unzähligen Reformen der vergangenen<br />
Jahre hätten die Lage keineswegs verbessert,<br />
sondern nur die Familien verunsichert<br />
und die LehrerInnen zusätzlich belastet.<br />
„Für immer mehr Eltern hat die Schule die<br />
Rolle und Bedeutung einer zentralen Zuweisungsstelle<br />
für Lebens-chancen“, sagte Sell.<br />
Resignation bei den<br />
bildungsfernen Eltern<br />
Eingehend auf die soziale Selektivität<br />
betonte der Sozialexperte, dass die Gutbetuchten<br />
auf professionelle Hilfe setzten<br />
und Nachhilfelehrer oder gar Mentoren<br />
für ihren Nachwuchs engagierten. Deshalb<br />
mache sich die Elite im Land wenig Sorgen<br />
um die Erfolgschancen der eigenen Töchter<br />
und Söhne. Ganz anders sei die Situation<br />
der Eltern in der breiten Mittelschicht: Hier<br />
sitze vielen die Angst im Nacken, dass ihre<br />
Kinder es in dem als hart empfundenen<br />
Wettbewerb eines globalisierten Arbeitsmarktes<br />
nicht schaffen könnten. Deshalb<br />
setze das Gros der Eltern auf die eigene Zeit<br />
und auf die Rolle des Hilfslehrers, der den<br />
Unterrichtsstoff permanent mit den Kindern<br />
wiederhole. „75 Prozent aller Mütter fühlen<br />
sich durch die Schule belastet, stellt die<br />
Studie fest.“<br />
Bei den Eltern im unteren sozialen Rand<br />
freilich herrsche Resignation. Diese Familien<br />
fühlten sich früh abgehängt. „Es fehlen<br />
die zeitlichen, finanziellen und Bildungsressourcen,<br />
um bei diesem Wettbewerb<br />
mithalten zu können“ Deshalb gehe bei<br />
den Bildungschancen die Schere immer<br />
weiter auseinander. Auf der einen Seite<br />
gebe es die „Helikopter Eltern“, die übermäßig<br />
besorgt ständig um ihren Nachwuchs<br />
herum seien. Auf der anderen stünden die<br />
Bildungsfernen, die ihren Kindern keinerlei<br />
Unterstützung gewährten. Die Ganztagsangebote<br />
lösten diese Probleme nicht und<br />
überbrückten nicht die soziale Kluft. „Lehrer,<br />
nicht nur an Hauptschulen und in sozialen<br />
Brennpunktschulen, kritisieren, dass sie<br />
sich zunehmend in die Rolle eines Erziehers<br />
gedrängt fühlen“. Aber Lehrerinnen, so Sell,<br />
auch wenn sie noch so gut seien, könnten<br />
den Einfluss der Familie nicht ausgleichen.<br />
Geld müsste deshalb viel stärker in Familien<br />
investiert werden, denn wie einige neuere<br />
Studien zeigten, sei der Einfluss Familienhintergrund<br />
und Familienherkunft doppelt<br />
so stark auf die „Humankapitalentwicklung“<br />
wie Bildungseinrichtungen.<br />
Sell bezeichnete das Gymnasium als die<br />
„neue Haupt-Schule“. Es tobe zwar zwischen<br />
den Anhängern des traditionellen<br />
Gymnasiums und den Befürwortern einer<br />
Gemeinschaftsschule ein Kulturkampf, aber<br />
6 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
das „deutsche Nationalheiligtum“ Gymnasium<br />
sei längst eine Massenveranstaltung<br />
geworden und müsse sich verändern. Die<br />
Anhänger dieser Schulform verteidigten das<br />
Gymnasium als letzten Hort von Ordnung<br />
und Leistung, als verlässlichen Pol, an dem<br />
der Nachwuchs einen moralischen Kompass<br />
ausrichten solle. „Für Bildungsbürger ist es<br />
eine Sache der Ehre, fast der Existenz, dass<br />
ihre Kinder dort bestehen, wo die Weichen<br />
für fast alles Erstrebenswerte im Leben<br />
gestellt werden, für Geld, Titel und gesellschaftliche<br />
Anerkennung.“<br />
Das Gymnasium – nur von<br />
außen eine Erfolgsgeschichte<br />
Nach dem Schulplan von Wilhelm von<br />
Humboldt aus dem Jahr 1809 war das<br />
Gymnasium die Spitze eines leistungsorientierten<br />
Schulsystems, elitär, jedenfalls im<br />
Grundsatz. Für die breite Masse sahen die<br />
preußischen Schulpläne die Volksschule, die<br />
spätere Hauptschule vor und als mittlere<br />
Schulform kam die Realschule hinzu, die vor<br />
allem die Kinder von Gewerbetreibenden<br />
besuchten. „Fertig war das dreigliedrige<br />
Schulsystem, wie es die Bundesrepublik so<br />
lange geprägt hat.“<br />
Doch nur von außen, behauptet Sell, sei das<br />
Gymnasium eine Riesenerfolgsgeschichte,<br />
Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
Hat das Gymnasium eine Zukunft?<br />
Natürlich, wir wollen im Prinzip, dass alle<br />
Schulen Gymnasium sind, an denen man<br />
den höchsten Bildungsabschluss erreichen<br />
kann nach Maßgabe der eigenen Fähigkeiten.<br />
Und wie sieht es mit der Inklusion aus, hat<br />
die Inklusion am Gymnasium eine Chance?<br />
Ich gebe mal wieder, was Mehrheitsmeinung<br />
ist. Wir wollen nur körperlich Behinderte,<br />
die anderen wollen wir nicht. Wir<br />
können uns auch damit rausreden, dass<br />
bei uns die baulichen Voraussetzungen für<br />
beeinträchtigte Kinder und Jugendliche<br />
fehlen.<br />
(Gymnasiallehrer)<br />
Was treibt nach deiner Beobachtung die Kolleginnen<br />
und Kollegen im Gymnasium um?<br />
Was uns umtreibt, ist das Spannungsverhältnis,<br />
dass immer mehr Schüler kommen<br />
und am Gymnasium eine Chance haben<br />
wollen, und wir auf der anderen Seite auch<br />
denn es wachse und wachse, und niemand<br />
könne es aufhalten. „Vor hundert Jahren absolvierte<br />
nur ein Prozent eines Jahrgangs das<br />
Gymnasium, vor 50 Jahren waren es gerade<br />
einmal sechs Prozent. Und heute?“ Bundesweit<br />
seien es 35 Prozent mit steigender<br />
Tendenz. In Großstädten wie Frankfurt liege<br />
die Quote schon jetzt bei 46 Prozent.<br />
Sell: „Das Gymnasium ist die neue Haupt-<br />
Schule der Republik“. Wie lange dürfe man<br />
dann noch von Auslese oder Auswahl sprechen,<br />
wenn die Auserwählten die größte<br />
Gruppe stellten? Und was sei der Preis<br />
für diesen Erfolg? Was vielen Gymnasien<br />
vor allem fehle, so behauptet Sell, sei ein<br />
„Instrumentarium für den Massenbetrieb“.<br />
Im Jahr 2012 verließen 43.899 Schülerinnen<br />
und Schüler die allgemeinbildenden Schulen<br />
in Rheinland-Pfalz. Mehr als ein Drittel<br />
von ihnen (insgesamt 14.852) mit einer<br />
Hochschulreife. Zusammen mit den 9.040<br />
Absolventinnen und Absolventen, die die<br />
Hochschulreife an einer berufsbildenden<br />
Schule erlangt hatten, ergibt sich für das Jahr<br />
2012 eine Studienberechtigtenquote von<br />
51,7 Prozent. Das sind 14,8 Prozentpunkte<br />
mehr als zehn Jahre zuvor. Sell: „Viele Eltern<br />
wissen nicht, dass Abitur auch in Berufsbildenden<br />
Schulen möglich ist.“ Aber hinter all<br />
diesen Zahlen steht das dreigliedrige Schulsystem,<br />
auch unter der Hülle von Realschule<br />
plus, das Sell als „Realschule minus“ bezeichnete.<br />
Auswirkungen solcher Zahlen sieht Sell<br />
vor allem darin, dass viele studieren und<br />
wenige in die Ausbildung gehen. Der starke<br />
Andrang an die Hochschulen habe auch dazu<br />
geführt, dass diese unterfinanziert seien.<br />
Lernen vom Ausland<br />
Angesichts der vielzitierten Globalisierung<br />
lohnt sich nach Sell denn auch ein Blick auf<br />
andere Länder. In Finnland gebe es eine Gemeinschaftsschule<br />
bis zur 9. Klasse, danach<br />
führten drei weitere Jahre zum Abitur oder<br />
in die Ausbildung, auch in Schweden gebe es<br />
eine Gemeinschaftsschule bis zur 9. Klasse,<br />
danach ein Gymnasium von vier Jahren mit<br />
einer praktischen und einer theoretischen<br />
Ausbildung. Auch in Dänemark gebe es bis<br />
zum Ende der 9. Klasse keine Differenzierung,<br />
danach eine sehr starke in die Richtungen<br />
Abitur und Studium bzw. Technik und<br />
Beruf. Auch in Schottland habe es, so Sell,<br />
bis in die 60er Jahre drei Schularten gegeben,<br />
die dann zugunsten der Gesamtschule<br />
abgeschafft worden seien.<br />
Die Erkenntnisse für Deutschland nach dem<br />
Blick auf das Ausland:<br />
1. Zentrale Bildungsziele und Bildungsstandards<br />
sowie die Evaluierung der<br />
Bildungseinrichtungen auf nationaler<br />
bzw. Länder-Ebene,<br />
2. Längeres gemeinsames Lernen,<br />
3. Integrierte (binnendifferenzierte) Schulsysteme,<br />
zumindest bis zur 9. oder 10.<br />
Klassenstufe,<br />
4. Eine echte Ganztägigkeit der Bildungsund<br />
Betreuungseinrichtungen als Regelfall,<br />
5. Mehr Durchlässigkeit für eine Qualifizierung<br />
an den Hochschulen gerade auch<br />
für die praktisch Ausgebildeten.<br />
Sell abschließend: „Wenn wir uns nicht<br />
international orientierten, wird das Gymnasium<br />
absaufen. Das Gymnasium muss neu<br />
aufgestellt werden.“<br />
den gymnasialen Standard halten wollen.<br />
Die Hochschullehrer sagen, wir sollen<br />
Abiturienten liefern mit Lese- und Rechtschreibperfektion<br />
und sollen die Leute für<br />
das Studium fit machen. Die Frage, ob man<br />
diese Spannung meistert, die natürlich auch<br />
persönlich an die Gesundheit und die Kraft<br />
geht. Deshalb wollen wir auch gescheite<br />
Arbeitsbedingungen und an der allgemeinen<br />
Lohnentwicklung beteiligt werden.<br />
(Gymnasiallehrerin)<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
7
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
Hat die Inklusion eine Chance?<br />
Es gibt schon Eltern, die aus der bürgerlichen<br />
Mittelschicht kommen, behinderte<br />
Kinder haben und den Anspruch auf einen<br />
Gymnasialplatz erheben. Wir müssen das<br />
Thema diskutieren, brauchen aber auch<br />
die Ausstattung für solche Kinder. Es bringt<br />
nichts, in großen Klassen, die nach allen<br />
Seiten Leistung erbringen sollen, noch<br />
mehr Kinder dazu zu stecken, und zwar<br />
beeinträchtige Kinder. Dafür brauchen wir<br />
endlich ein Konzept und eine Anschauung,<br />
wie der Unterricht mit diesen Kindern und<br />
Jugendlichen konkret aussehen soll, und<br />
nicht nur immer die Diskussionen auf der<br />
abstrakten Meta-ebene über Inklusion.<br />
Das Konzept muss in der Schule entwickelt<br />
werden, und wenn die Leute nicht dahinter<br />
stehen, hat das auch keinen Sinn.<br />
(Gymnasiallehrerin)<br />
Wie grenzt sich denn eine <strong>GEW</strong>-Lehrerin<br />
gegenüber dem Beamtenbund ab?<br />
Wir sind in einer starken Gewerkschaft im<br />
DGB. Der Beamtenbund ist eine Standesorganisation.<br />
Ein anderer Punkt: Wir haben<br />
hohe Ansprüche an uns selbst und dass wir<br />
sehr stark pädagogisch arbeiten wollen, und<br />
wir sagen nicht, dieses Kind gehört nicht<br />
hierher, wir wollen alle Kinder mitnehmen.<br />
Wir schließen niemanden aus. Wir strengen<br />
uns in diesem Bereich an. Das sind unsere<br />
hohen Ansprüche an uns selbst. Dann verlangen<br />
wir von unserem Arbeitgeber aber<br />
auch die nötigen Voraussetzungen und<br />
Ausstattungen und keine Abkoppelung von<br />
der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung.<br />
Diese jährliche Einprozenterhöhung<br />
bis 2016 für die Beamten ist eine bodenlose<br />
Unverfrorenheit und Unverschämtheit der<br />
rot-grünen Regierung in Mainz.<br />
(Gymnasiallehrerin)<br />
Fragen an den Landeselternsprecher Rudolf Merod<br />
Was treibt die Eltern um, die ihre Kinder<br />
aufs das Gymnasium schicken?<br />
Die Hoffnung, den bestmöglichen Abschluss<br />
für ihre Kinder dort zu erlangen,<br />
die bestmögliche Lebensperspektive und<br />
bestmöglichen Lebenschancen.<br />
Und was kritisiert man?<br />
Die schlechte Förderung, dass die Lehrkräfte<br />
viel zu wenig Chancen haben, dem<br />
Kind entsprechend zu unterrichten, und<br />
dass viele Kinder auf der Strecke bleiben.<br />
Das schmerzt die Eltern natürlich, weil sie<br />
Aus den Foren des Gymnasialtages<br />
Schöne neue Medienwelt im<br />
Klassenzimmer<br />
„Das interaktive Whiteboard und Heterogenität<br />
im Unterricht – zwei Welten?“<br />
diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
und die Referenten Michael Braun<br />
vom Aufbaugymnasium Alzey und Astrid<br />
Sibbe vom Pädagogischen Landesinstitut<br />
Rheinland-Pfalz/Max-von-Laue-Gymnasium<br />
Koblenz kritisch darüber, inwiefern der<br />
Einsatz des Interaktiven Whiteboards im<br />
Unterricht unterschiedliche Lerntypen<br />
und Lernvermögen berücksichtigen kann,<br />
ob individualisierter Unterricht mit dem<br />
Board überhaupt möglich ist. Dazu wurden<br />
zunächst Unterrichtseinheiten an<br />
einem mobilen Board vorgestellt, die die<br />
Kolleginnen und Kollegen im Hinblick auf<br />
ihre Tauglichkeit für eine heterogene Lerngruppe<br />
unter die Lupe nahmen, woraus<br />
sich eine lebhafte Auseinandersetzung mit<br />
der Thematik entwickelte. Michael Braun<br />
rundete den Workshop mit der Vorstellung<br />
eines mobilen und handlichen interaktiven<br />
Beamersystems ab.<br />
Astrid Sibbe<br />
die hehre Hoffnung für die Zukunft ihrer<br />
Kinder haben.<br />
Und die Inklusion? Wieweit ist sie zu<br />
verwirklichen im Gymnasium bei diesem<br />
starken Bildungsbürgertum?<br />
Ich glaube, die Inklusion ist überhaupt<br />
kein Problem fürs Gymnasium bei der<br />
entsprechenden Ausstattung, nicht bei<br />
der Ausstattung, die im Moment da ist.<br />
Von der Fachkompetenz, glaube ich, gibt<br />
es keine bessere Schulart.<br />
Inklusion<br />
Am Ende ist der Vorhang zu – und nicht alle,<br />
aber doch einige Fragen offen. Allerdings<br />
konnte es in den zwei Stunden des Forums<br />
auch nur darum gehen, die Diskussion zum<br />
sensiblen Thema „Gymnasium und Inklusion“<br />
zu versachlichen, und dieses Ziel wurde<br />
erreicht.<br />
Zunächst stellte Sonja Küppers, IGS Koblenz<br />
(Schwerpunktschule), Beraterin für Inklusion<br />
und Mitarbeiterin im Pädagogischen<br />
Landesinstitut, in einem kurzen Überblick<br />
die Entwicklung der Integration/Inklusion<br />
in Rheinland-Pfalz in den letzten zwanzig<br />
Jahren dar. Interessant dabei die Unterscheidung<br />
in zielgleiche und zieldifferente<br />
Inklusion. Erstere findet an recht vielen<br />
Gymnasien bereits statt und bedeutet, dass<br />
SchülerInnen mit bestimmten Beeinträchtigungen<br />
Personen und/oder Mittel zur<br />
Verfügung gestellt werden, um mit dieser<br />
Unterstützung das Ziel „Abitur“ in Angriff<br />
zu nehmen.<br />
Bei der zieldifferenten Inklusion dagegen<br />
wird von vornherein davon ausgegangen,<br />
dass das Kind das Abitur bzw. den der<br />
Was muss man künftig auf den Weg<br />
bringen angesichts der vielen Schularten,<br />
die wir haben, eine Empfehlung an die<br />
Bildungsministerin des Landes?<br />
Eine deutlich bessere Personalausstattung<br />
und eine bessere Lehrerzuweisung,<br />
damit besser gefördert werden kann, vor<br />
allem die leistungsstarken Kinder. Man<br />
darf nicht davon ausgehen und sagen,<br />
die guten Schülerinnen und Schüler, die<br />
laufen schon irgendwie, die schaffen<br />
das allein. Nein, da geht zurzeit sehr viel<br />
Potential verloren. Deshalb mehr die leistungsstarken<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
fördern und nicht nur die, die am unteren<br />
Ende sind.<br />
jeweiligen Schulart eigenen Abschluss gar<br />
nicht erreichen wird. Die SchülerInnen mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf lernen<br />
nach ihren individuellen Möglichkeiten und<br />
erreichen individuelle Schulabschlüsse, wobei<br />
sich die Anregungen der heterogenen<br />
Klassengemeinschaft positiv auf ihre Persönlichkeits-<br />
und Lernentwicklung auswirken. In<br />
der von der stellvertretenden Landesvorsitzenden<br />
der <strong>GEW</strong>, Sylvia Sund, moderierten<br />
Diskussion stellte sich dieses Konzept als das<br />
eigentlich strittige dar. Denn in einer Klasse<br />
mit Inklusions-Kindern könnte dann recht<br />
schnell die Situation entstehen, dass andere<br />
SchülerInnen wegen schlechter Noten<br />
die Jahrgangsstufe wiederholen müssten,<br />
während die InklusionsschülerInnen weiter<br />
in der Klasse bleiben. – Dies ist ein deutlicher<br />
Paradigmenwechsel im bisherigen Verständnis<br />
des Gymnasiums.<br />
Jan Wenzel von der Christian-Erbach-<br />
Realschule plus Gau-Algesheim (Schwerpunktschule),<br />
auch er Berater für Inklusion,<br />
erläuterte dann das Konzept, das in seiner<br />
Schule zum zieldifferenten Unterricht entwickelt<br />
wurde. Dort kamen vor 11 Jahren<br />
8 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
SchülerInnen mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf in Regelklassen. Mit der<br />
Formel „vier Stunden pro Kind mit Förderbedarf“<br />
soll eine Doppelbesetzung durch<br />
Förderschullehrkräfte mindestens in den<br />
Kernfächern Englisch, Deutsch und Mathematik<br />
gesichert werden. Die Größe der<br />
Klassen ändert sich dadurch nicht.<br />
Das Verständnis zwischen den Regelschullehrkräften<br />
und den neuen FörderschullehrerInnen<br />
musste erst entwickelt, Konzepte<br />
mussten gemeinsam erarbeitet und Strukturen<br />
der Zusammenarbeit geschaffen<br />
werden. Aber der mühsame Weg habe sich<br />
gelohnt. Heute wäre es für die Schülerinnen<br />
und Schüler völlig normal, dass Kinder in<br />
ihrer Klasse unterschiedlich gefördert und<br />
gefordert würden.<br />
Für die Gymnasien stellt Inklusion allerdings<br />
in besonderer Weise einen Systemwechsel<br />
dar, der in der Diskussion deutlich zur Sprache<br />
kam. Eine einfache Lösung gibt es hier<br />
ebenso wenig wie ein Konzept, das man<br />
nur übertragen müsste. Und darf man von<br />
kanadischen Zuständen träumen? Wie Prof.<br />
Sell vormittags dargelegt hatte, erhalten die<br />
Schulen in Kanada für Kinder mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf die sechsfache<br />
Stundenzuweisung im Vergleich zu den<br />
SchülerInnen ohne Förderbedarf. Wenn<br />
man den Berichten glauben darf, freuen sich<br />
SchulleiterInnen, wenn sie solche Kinder<br />
aufnehmen, weil sie dann die Mittel für individuelle<br />
Fördermaßnahmen erhalten, die<br />
mittelbar auch allen anderen zugute kommen.<br />
Wir werden als <strong>GEW</strong> möglicherweise<br />
noch deutlicher dafür eintreten müssen,<br />
dass Inklusion zu einer Win-Win-Situation<br />
für alle werden kann. Dann werden sich<br />
auch die Gymnasien nicht verschließen.<br />
Rudolf Blahnik<br />
Fotos vom Gymnasialtag: Harald Maxeiner<br />
G 8 - G 9, Oberstufe,<br />
Abiturstandards<br />
Zu dieser AG hatten wir Jürgen Stahl, Mitglied<br />
der Bundesfachgruppe Gymnasien<br />
aus Baden-Württemberg, eingeladen. Er<br />
ist Vorsitzender der dortigen Landesfachgruppe<br />
Gymnasien und Mitglied im HPR<br />
in Stuttgart, als solcher sehr gut informiert<br />
über die jahrelange CDU-Schulpolitik und<br />
die Vorhaben der neuen Landesregierung.<br />
Zwei Schwerpunkte stellte die grün-rote<br />
Regierung in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit:<br />
Die Abschaffung der verbindlichen<br />
Schullaufbahnempfehlung und die „Gemeinschaftsschule“,<br />
die inklusiv sein soll<br />
und als zweite Säule neben das Gymnasium<br />
gestellt werden soll. In Bezug auf das Gymnasium<br />
in acht Jahren, das damals Bildungsministerin<br />
Schavan nicht nur in ihrem Land,<br />
sondern gleich bundesweit vorangetrieben<br />
hat, ist einiges in Bewegung. Allerdings<br />
erlaubt BW nur 44 der 370 Gymnasien<br />
eine Umwandlung in G9, im Rahmen eines<br />
Modellversuchs mit einer recht schlechten<br />
Stundenzuweisung. Trotzdem wollen ca. 100<br />
der Gymnasien unmittelbar mitmachen und<br />
haben bereits einen Antrag gestellt.<br />
In Bezug auf die Abiturprüfung hat BW seit<br />
langem Zentralabitur, wie im Übrigen außer<br />
RP alle anderen Bundesländer. Trotzdem<br />
gibt es Varianten, die mehr oder weniger<br />
einengen. Es gibt in BW keine Leistungsund<br />
Grundfächer wie in RP. Neben einigen<br />
zweistündigen Fächern gibt es fünf vierstündige<br />
Kurse (Deutsch, Mathe, FS, weitere FS<br />
oder Naturwissenschaft, Neigungsfach aus<br />
dem Pflichtbereich oder Wirtschaft). Die<br />
Abiturprüfung muss in D, M, FS und einem<br />
der zwei weiteren vierstündigen Kursfächer<br />
abgelegt werden.<br />
Von der reformierten Oberstufe, die die<br />
KMK 1972 plante, mit eigener Schwerpunktsetzung<br />
und Gleichwertigkeit der Fächer ist<br />
nicht viel übrig geblieben.<br />
Das Zentralabitur, das sich – besonders<br />
vor den Herbstferien, wenn es an die Aufgabenerstellung<br />
geht – in RP einige KollegInnen<br />
wünschen, hat auch seine Tücken.<br />
Abgesehen von der einengenden Wirkung<br />
auf die Unterrichtsgestaltung, ist es auch unter<br />
dem Arbeitsaspekt nicht ohne. Zwar werden<br />
alle Aufgaben zentral vom Ministerium<br />
vorgegeben, jedoch das Korrekturverfahren<br />
ist mit Erst-, Zweit- und Drittkorrektur höchst<br />
aufwendig. Alle Abi-Arbeiten werden anonymisiert<br />
und an drei verschiedene andere<br />
Gymnasien verschickt, um von den Lehrern<br />
dort korrigiert zu werden. Nur das Oberschulamt<br />
weiß, welche KollegInnen mit der<br />
Korrektur befasst sind und rügt diejenigen,<br />
die bei der Notengebung zu sehr abweichen.<br />
Interessant ist eine Neuerung, die die KMK<br />
schon länger gefordert hat und die in BW<br />
2014 umgesetzt wird, die Kommunikationsprüfung<br />
in Fremdsprachen, die mit 25-30<br />
Minuten bei jeder schriftlichen Kursarbeit<br />
hinzukommen soll und dann zu einer Gesamtnote<br />
verrechnet wird. Hier gibt es ein<br />
zähes Ringen mit dem HPR, wie die zusätzliche<br />
Arbeitsbelastung verteilt werden soll.<br />
Bei den bundesweiten Abiturstandards<br />
Fremdsprachen spiegelt sich dieser Ansatz<br />
bereits wider und spätestens, wenn RP<br />
sich aus einem bundesweiten Aufgabenpool<br />
2016/17 bedienen „muss“, wird ein<br />
entsprechendes Verfahren ja auch geübt<br />
sein müssen.<br />
Überhaupt ist die Frage, wie die Standards<br />
zum rheinland-pfälzischen Abitur passen,<br />
unklar. Bisher liegen Standards für M, D, E<br />
und F als fortgeführte Fremdsprachen vor.<br />
An Abi-Standards für die Naturwissenschaften<br />
wird gearbeitet.<br />
Angela Euteneuer (ehemal. PZ Bad Kreuznach)<br />
erläuterte im Forum den Prozess, der<br />
im IQB ohne große Beteiligung gesellschaftlicher<br />
Gruppen von statten ging und geht.<br />
Eine bundesweit gleich schwere Abiturprüfung<br />
in den zentralen Fächern ab dem<br />
Schuljahr 2016/17 ist das Ziel, mit dem sich<br />
einige konservative Länder durchsetzten,<br />
nach dem – falschen Motto – „mehr Vergleichbarkeit<br />
ist mehr Qualität“.<br />
Wann werden die Kolleginnen und Kollegen<br />
informiert? Wer muss die Veränderungen<br />
planen und umsetzen? Wie viel Zeit der<br />
Lehrkräfte, der Fachberater, der Fachkonferenzen<br />
wird durch die Veränderung gebunden<br />
(ohne dass die Qualität des Abiturs<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
9
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
dadurch schlechter oder besser wird)?<br />
Wer wird Ansprechpartner sein? Müssen<br />
Lehrpläne geändert werden? Woher kommt<br />
das Geld für die nötigen Fortbildungen?<br />
Welche Rückwirkungen hat das Vorhandensein<br />
von Standards in einzelnen Fächern<br />
und das Fehlen in anderen auf die Oberstufe<br />
insgesamt?<br />
Bisher hat RP in vielen Wegen einen – vernünftigen<br />
– Alleingang beschritten. Hoffentlich<br />
„ gehen wir jetzt nicht baden im Pool“.<br />
Die Teilnehmer des Forums sind sich einig,<br />
dass die <strong>GEW</strong> diese Fragen diskutieren und<br />
vortragen wird.<br />
Sybilla Hoffmann<br />
Mittelstufenleitung<br />
pädagogisch<br />
„Mittelstufenleitung bedeutet mehr, als<br />
bloß abzuwarten, bis die Kinder in der MSS<br />
angekommen sind. Sie ist mehr als die<br />
Beschränkung auf Lösung der Problemfälle,<br />
sondern nimmt alle Beteiligten in den<br />
Blick.“ Thelse Hoff, Mittelstufenleiterin<br />
am Gymnasium Neustadt/Wied, gab zum<br />
Thema „Mittelstufenleitung pädagogisch“<br />
Informationen und Impulse, die in einem<br />
gemeinsamen Erfahrungsaustausch vertieft<br />
wurden.<br />
Mittelstufenleitung ist gleichzeitig pädagogische<br />
Aufgabe, nimmt Führung von unten<br />
wahr, leistet einen gestaltenden Beitrag zur<br />
innerschulischen Kommunikation und zur<br />
Schulentwicklung, begleitet Schülerinnen,<br />
bedeutet Netzwerkarbeit. Mittelstufenleitung<br />
nimmt Schülerinnen und Schüler ebenso<br />
in den Blick wie Eltern und Kolleginnen,<br />
aber auch Zielsetzungen von Schule und<br />
die auf sie zielenden Gestaltungsprozesse.<br />
Das Forum 5 zur Mittelstufenleitung machte<br />
auch Defizite der derzeitigen Praxis deutlich:<br />
• Im Vorbereitungsdienst für Referendare<br />
fehlt eine Ausbildung in Gesprächsführung.<br />
Mittelstufenleitung kann in einigen Aufgabenfeldern<br />
Hilfestellung geben: in der Vorund<br />
Nachbereitung von Elterngesprächen<br />
oder Besuchen des schulpsychologischen<br />
Dienstes, in der Begleitung der Arbeit mit<br />
behinderten, hochbegabten, schwierigen,<br />
kranken Kindern, in der Unterstützung der<br />
Wahrnehmung der Aufgaben der Klassenleitung.<br />
Auf diese Aufgaben werden unsere<br />
jungen Kolleginnen in der Regel nicht vorbereitet.<br />
Mit den derzeitigen Ressourcen<br />
wird eine angemessene Kompensation<br />
dieser Mängel durch Mittelstufenleitung<br />
kaum gelingen.<br />
• Nicht zuletzt fehlen also auch hier Entlastungs-<br />
und Förderlehrerstunden für die in<br />
Mittelstufen notwendig zu leistende Arbeit.<br />
• Es fehlen organisatorisch etablierte innerschulisch<br />
etablierte Beratungsstrukturen<br />
für alle am Gelingen von Schule Beteiligten.<br />
Diese Defizite stellen nicht nur einen Arbeitsauftrag<br />
für die Fachgruppe Gymnasium<br />
dar, sondern für die gesamte <strong>GEW</strong>. Denn es<br />
ist damit zu rechnen , dass angesichts einer<br />
sich stetig verändernden Schule, insbesondere<br />
einem sich verändernden Gymnasium,<br />
neue Herausforderungen entstehen, die sich<br />
auch auf die Mittelstufe auswirken werden:<br />
eine wachsende Heterogenität von Lerngruppen<br />
in einem System, das seine Lerngruppen<br />
fast programmatisch als homogen<br />
definiert, Inklusion, „schwieriger“ werdende<br />
SchülerInnen und Eltern und in wachsendem<br />
Maße Überforderungsphänomene für<br />
beteiligten KollegInnen und SchülerInnen.<br />
Wenn Schule auf Veränderungen in der<br />
Gesellschaft reagieren und wachsende<br />
Aufgaben bewältigen soll, muss sie in den<br />
Stand versetzt werden, dies zu tun.<br />
Klaus Schabronat<br />
Neue Medien und Recht<br />
In diesem Forum trafen sich KollegInnen mit<br />
der <strong>GEW</strong>-Rechtssekretärin Brigitte Strubel-<br />
Mattes, um sich über die unterschiedlichsten<br />
Probleme beim Einsatz neuer Medien<br />
im Unterricht zu informieren und vor allem<br />
juristische Antworten auf die entstehenden<br />
Fragen zu erhalten. Die vorgelegten Fallbeispiele<br />
führten zu lebhaften Diskussionen<br />
und zeigten z. T. eine große Verunsicherung.<br />
Zur Aufsichtspflicht wurde festgehalten, dass<br />
während des Unterrichts bei Recherchen im<br />
Internet vor allem bei jüngeren SchülerInnen<br />
darauf geachtet werden muss, welche<br />
Seiten besucht werden. Die angegebenen<br />
Adressen müssen im Vorfeld auf eventuelle<br />
Verlinkungen zu jugendgefährdenden Seiten<br />
(pornografische, rechtsradikale, Gewalt<br />
verherrlichende etc.) überprüft werden. Der<br />
Einsatz von Sicherheits-Software zur Sperrung<br />
gewisser Seiten in der Schule wurde<br />
erörtert, doch hier wurde festgestellt, dass<br />
eine absolute Sicherheit damit nicht zu erreichen<br />
ist. Es ist unerlässlich, die Kinder und<br />
Jugendlichen vor solchen Seiten zu warnen<br />
und sie schon früh zu trainieren, vorsichtig<br />
bei Links zu sein.<br />
Beim Thema Urheberrecht zeigte sich die<br />
rechtliche Unsicherheit beim Einsatz von<br />
Filmen im Unterricht. Es war nicht jedem<br />
klar, dass mit dem Kauf eines Filmes auf<br />
CD üblicherweise nur die privaten Vorführrechte<br />
gekauft werden. Der Unterricht ist<br />
keine Privatveranstaltung, deshalb ist das<br />
Vorführen eines selbst gekauften Filmes<br />
üblicherweise eine Rechteverletzung. Es<br />
wurde kritisiert, dass bei den Medienzentren<br />
des Landes häufig nur veraltete Filme zu<br />
bekommen sind. Hier wurde angeregt, für<br />
ein aktuelles Programm zum Ausleihen für<br />
den Unterricht zu sorgen. Die Musikrechte<br />
werden von der GEMA verwaltet. Ein anwesender<br />
Musiklehrer wusste, dass für den<br />
Einsatz von Musik im Unterricht keine GEMA<br />
Gebühren bezahlt werden müssen.<br />
Umgang und Einsatz sozialer Netzwerke<br />
wurde unterschiedlich gesehen. Es wurde<br />
hinterfragt, ob man sich den Netzwerken<br />
als Lehrkraft ganz verschließen oder diese<br />
nutzen sollte. Auf jeden Fall müssen sich<br />
die KollegInnen auch hier ihrer Verantwortung<br />
bewusst sein, welche Informationen<br />
sie ins Netz stellen und wie sie mit den im<br />
Netz erhaltenen Informationen umgehen<br />
(Mobbing, Androhung von Straftaten, Suiziden<br />
u.a.)<br />
Beim Persönlichkeitsrecht muss man eindringlich<br />
darauf hinweisen, dass Fotos,<br />
Filme und Tonmaterial nur mit ausdrücklicher<br />
Zustimmung der Betroffenen auf<br />
Homepages, Netzwerke oder andere Portale<br />
(z.B. YouTube) gestellt werden dürfen. Hier<br />
ist das Bewusstsein, dass im Netz nichts<br />
„gelöscht“ bzw. „zurückgerufen“ werden<br />
kann, vonnöten.<br />
Abschließend bleibt festzustellen, dass<br />
in vielen Bereichen die Handhabung und<br />
Auswirkung des Computer- und Internet-<br />
Einsatzes weder ausgereift noch juristisch<br />
eindeutig gesichert ist. Hier gilt es vor allem,<br />
die Kompetenzen von KollegInnen und<br />
SchülerInnen zu stärken um die Folgen des<br />
eigenen Tuns besser abschätzen zu können<br />
Eva Ockenfuß-Boese<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
in der Schule<br />
Die grundsätzliche Frage lautet – so der<br />
Referent Dieter Roß einleitend: Was belastet<br />
mich/uns in der Schule?<br />
Das Land Rheinland-Pfalz hat in diesem<br />
Zusammenhang im Januar 2011 das Institut<br />
für Lehrergesundheit gegründet. Es ist dem<br />
Institut für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin<br />
der Universität Mainz angegliedert<br />
und hat das Ziel, Lehrkräfte und pädagogische<br />
Fachkräfte dabei zu unterstützen,<br />
Belastungen ab- und Ressourcen aufzubauen.<br />
Durch ein ausgewogenes Verhältnis<br />
von Belastungen und Ressourcen sollen<br />
Fehlbeanspruchungen vermieden und die<br />
Gesundheit gefördert werden. Das Institut<br />
bietet arbeitsmedizinische Sprechstunden<br />
10 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Gymnasialtag<br />
entweder in Mainz oder in mobilen Teams<br />
in Regionalsprechstunden an. Darüber hinaus<br />
unterstützt es Studientage an Schulen<br />
zum Thema Lehrergesundheit und bietet<br />
Infektionsschutz durch Infect Guard an, d.<br />
h., es wird ein Impfmanagement mit einem<br />
persönlichen Online Impfpass zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Eine Handlungsempfehlung zur Gefährdungsbelastung<br />
nach § 5 Arbeitsschutzgesetz,<br />
d. h., Gefährdung ermitteln, Risiken<br />
beurteilen, sollte systematisch umgesetzt<br />
werden. Hierbei ist auch der Personalrat<br />
mitbestimmungspflichtig. Eine umfassende,<br />
systematische Ermittlung sowie Dokumentation<br />
vorhandener Gefährdungen und<br />
Belastungen am Arbeitsplatz ist Grundlage<br />
für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen.<br />
Die Handlungsempfehlung erfolgt in neun<br />
Schritten.<br />
1. Initialisierung: jeder kann Gefährdungsbeurteilung<br />
initiieren und Kontakt zum IfL<br />
aufnehmen.<br />
2. Vorbereitung: Selbst-Check Teil 1 - 3<br />
3. schriftliche Grobanalyse: Zusammenfassung<br />
der Ergebnisse<br />
4. Grobbewertung: Abschätzung, Empfehlung<br />
präventiver Maßnahmen<br />
5. Feinanalyse,<br />
6. Beratung zu Maßnahmen,<br />
7. Umsetzung der Maßnahmen,<br />
8. Überprüfung der Wirksamkeit,<br />
9. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung.<br />
Alles, was festgestellt wird, ist zu dokumentieren<br />
und aufzubewahren.<br />
Ein möglicher Online-Selbst-Check zeigt,<br />
wenn alle Kolleg/Innen teilnehmen, ein<br />
bestimmtes Bild der Arbeitssituation . Es<br />
gibt nur sehr wenige Erfahrungswerte, da<br />
sich bisher nur sehr wenige Schulen an das<br />
Institut gewendet haben.<br />
Das Protokoll des Selbst-Checks geht an die<br />
Schule und an den Schulträger. Auch der<br />
Personalrat muss mit einbezogen werden.<br />
Bei nicht zu lösenden Problemen können<br />
darüber hinaus der Schulelternbeirat, die<br />
Presse und der BPR bzw. HPR mit einbezogen<br />
werden. Folge muss sein, dass die<br />
Unfallkasse bzw. die Berufsgenossenschaft<br />
agiert. Es gibt zwar kein Gesetz, dass das<br />
Land aktiv werden muss, wenn Belastungen<br />
erkennbar sind, aber Urteilssprüche.<br />
Vorgehensweise vor Ort, das Institut aktiv<br />
werden zu lassen für den Fall, dass die<br />
Schulleitung nicht handelt: Der örtliche Personalrat<br />
stellt einen Initiativantrag (gemäß<br />
§ 74 Abs.3 in Verbindung mit § 80 Abs. 2<br />
Nr. 7 LpersVG).<br />
Materialien:<br />
• Prospekt des Instituts für Lehrergesundheit<br />
• Handlungsempfehlung zur Gefährdungsbeurteilung<br />
nach § 5 Arbeitsschutzgesetz<br />
• Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Info-dienst<br />
B9, <strong>GEW</strong><br />
• Zusammenfassung des Gutachtens „Arbeits-und<br />
Gesundheitsschutz an Schulen“<br />
erstellt im Auftrag der Hans Böckler Stiftung<br />
und der Max Traeger Stiftung<br />
• Selbst-Check Teil 1 - 3<br />
• Vordruck eines Initiativantrags<br />
Jürgen Jansen<br />
Das Fach „Darstellendes Spiel“<br />
am Gymnasium<br />
In diesem Forum ergab sich ein äußerst<br />
intensiver und engagierter Austausch unter<br />
den sechs Teilnehmern über die Wertschätzung<br />
des Faches an ihren Gymnasien und<br />
die Stellung des DS in der Zukunft, wenn<br />
ab kommendem Schuljahr sich die Wahl<br />
der Prüfungsfächer für das Abitur ändert.<br />
Es wurde heftig bedauert, dass ein Fach,<br />
das die persönliche Entwicklung der Jugendlichen<br />
sowie deren soziale Kompetenz<br />
fördert, derart am Rand der Schullandschaft<br />
stehe. Achim Ropers, Vorsitzender des Landesverbandes<br />
„Theater in Schulen“ Rheinland-Pfalz<br />
und Zweiter Stellvertretender<br />
Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums<br />
in Pirmasens, legte als Leiter des Forums<br />
dar, inwiefern gerade das Fach „Darstellendes<br />
Spiel“ im Gymnasium in der MSS so<br />
genannte „zentrale Schlüsselkompetenzen“<br />
vermittle, die im Berufsleben verlangt und<br />
erwartet werden. Denn gerade in diesem<br />
Unterricht würden ausdrücklich Kreativität,<br />
Selbstdisziplin und Selbstbewusstsein,<br />
körperliche Präsenz vor Publikum, Teamfähigkeit<br />
und gelungene Kommunikation<br />
eingeübt werden.<br />
Natürlicherweise gehe es im Wesentlichen<br />
in diesem Unterricht um kulturelle Kompetenzen<br />
wie die intensive Auseinandersetzung<br />
mit literarischen Werken und das<br />
Wissen um die Jahrtausende alte Tradition<br />
der Bühnenkunst, aber nicht nur, denn in<br />
diesem Fach würden die Schülerinnen und<br />
Schüler auf ihre Rolle in der Gesellschaft,<br />
in der Politik und im Wirtschaftsleben<br />
vorbereitet.<br />
Derzeit wird DS als Grundfach in der S II<br />
alternativ zu Kunst und Musik mit drei Wochenunterrichtsstunden<br />
unterrichtet. Im<br />
11. Jahrgang liegt der Schwerpunkt auf der<br />
Körpererfahrung der Jugendlichen, im 12.<br />
Jahrgang werden dramatische Strukturen<br />
analysiert und eine eigene Inszenierung<br />
auf die Bühne gebracht. Im 13. Jahrgang<br />
stehen dann neben der praktischen Bühnenarbeit<br />
Theatergeschichte und -theorie<br />
sowie Rezeptionsästhetik auf dem Plan.<br />
Theaterbesuche sind im Laufe der gesamten<br />
MSS vorgesehen.<br />
Achim Ropers wies auf die verschiedenen<br />
Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung<br />
für DS-Lehrer und solche, die es werden<br />
wollen, hin. Einige TeilnehmerInnen des<br />
Forums berichteten von ihren erfolgreichen<br />
Theater-AGs an den Gymnasien. Es wurde<br />
begrüßt, dass man als KollegIn auch den<br />
Einstieg ins Theaterspiel einfach mal wagen<br />
könnte, indem man AGs im Bereich DS in<br />
der Schule anbietet und sich dann in der<br />
Folge fort- und weiterbilden könnte, um<br />
eine Unterrichtserlaubnis für DS in S I und<br />
S II zu erhalten.<br />
Um das Fach Darstellendes Spiel auf „höherer“<br />
Ebenen der Bildungslandschaft ins<br />
Bewusstsein zu rücken, sollten KollegInnen<br />
das Gespräch mit ihrer jeweiligen Schulleitung<br />
suchen, um die Notwendigkeit des Erhaltes<br />
bzw. der Einführung dieses Faches zu<br />
betonen, damit die SchulleiterInnen dieses<br />
Engagement „nach oben“ tragen. Einerseits<br />
wird ganzheitliche Bildung im Gymnasium<br />
immer mehr von SchülerInnen und Eltern<br />
eingefordert, andererseits jedoch steht die<br />
schulpolitische Realität dem entgegen. Auch<br />
innerhalb der <strong>GEW</strong> sollte diskutiert werden,<br />
welche Schritte unternommen werden können,<br />
um den künstlerischen Fächern – das<br />
betrifft ab kommendem Schuljahr auch die<br />
Fächer Bildende Kunst und Musik in der<br />
MSS - einen kulturpolitisch angemessenen<br />
Stellenwert beizumessen.<br />
Petra Klink<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
11
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
Tag der beruflichen Bildung von <strong>GEW</strong> und DGB<br />
Finanzkrise und demographischer Wandel<br />
Detlef Krammes / Günter Helfrich<br />
Nach einigen Jahren war es am 11. März<br />
mal wieder soweit: <strong>GEW</strong> und DGB luden<br />
nach Mainz ein, um den traditionsreichen<br />
Tag der beruflichen Bildung wiederzubeleben.<br />
Knapp hundert Berufsbildner –<br />
vorwiegend aus der <strong>GEW</strong> – waren in den<br />
Erbacher Hof gekommen. Sie informierten<br />
sich durch den Hauptvortrag von Prof. Dr.<br />
Sell und diskutierten in verschiedenen<br />
Fachforen über die „Berufliche Bildung<br />
im Spannungsfeld von Finanzkrise und<br />
demographischem Wandel“.<br />
Die stellvertretende <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende<br />
Sabine Weiland forderte bei ihrer<br />
Begrüßung u.a., dass „bei geplanten Standortverlagerungen<br />
einzelner Schulen aus rein<br />
finanziellen Erwägungen die Ausbildungsbereitschaft<br />
von Betrieben und Jugendlichen<br />
nicht gefährdet werden darf. Es darf auch<br />
nicht sein, dass Förderung und Pädagogik<br />
eine untergeordnete Rolle spielen.“ Bildungsteilhabe<br />
sei nicht zum Nulltarif zu<br />
haben. Sie wies auch auf fehlende Lehrkräfte<br />
an den Berufsbildenden Schulen hin und<br />
beklagte die steigenden Belastungen der<br />
BBS-KollegInnen.<br />
Als Gäste begrüßte sie u. a. Staatssekretär<br />
Hans Beckmann aus dem Bildungsministerium<br />
sowie den dortigen BBS-Abteilungsleiter<br />
Walter Wahl, Rita Petry von der Handwerkskammer<br />
der Pfalz, den DGB-Landesvorsitzenden<br />
Dietmar Muscheid und den <strong>GEW</strong>-<br />
Landesvorsitzenden Klaus-Peter Hammer.<br />
Dietmar Muscheid freute sich in seinem<br />
Grußwort, dass es nach längerer Pause<br />
wieder einen Tag der beruflichen Bildung<br />
gibt und sprach seine Hoffnung auf weitere<br />
Veranstaltungen in der Zukunft aus.<br />
Er kritisierte die „Kleinstaaterei“ nach der<br />
Föderalismusreform mit unterschiedlicher<br />
Bezahlung der Lehrkräfte. Wer sage, „Bildung<br />
ist Zukunft“, müsse auch in Bildung<br />
und die dort Beschäftigten investieren.<br />
Kritik übte der DGB-Landesvorsitzende zudem<br />
am Übergangssystem, das Jugendliche<br />
teilweise nur unterbringe in irgendwelchen<br />
Maßnahmen.<br />
Staatssekretär Hans Beckmann, der als<br />
gelernter Gymnasiallehrer einst seine Referendarzeit<br />
an einer BBS in Ludwigshafen<br />
absolviert hatte, führte aus, dass bis 2016<br />
ein Rückgang von an die 9.000 SchülerInnen<br />
in Rheinland-Pfalz zu erwarten sei. Bei der<br />
Entwicklung der Klassengrößen an den BB-<br />
Sen des Landes gebe es eine gegenläufige<br />
Entwicklung: teils große, teils auch sehr<br />
kleine Lerngruppen. Selbstkritisch merkte<br />
er an, mit 93,8 Prozent sei die Unterrichtsversorgung<br />
nicht so gut wie erhofft. Um<br />
ein Jahr verschoben werde die Reform der<br />
Berufsfachschule 1, in der es in Zukunft eine<br />
maximale Klassengröße von 20 und einen<br />
starken Fachpraxisbezug geben werde. Abschließend<br />
wies er im Zusammenhang mit<br />
dem aktuellen Thema Inklusion auf teils bereits<br />
existierende und gut funktionierende<br />
Kooperationen zwischen Berufsbildenden<br />
Schulen und Förderschulen hin.<br />
Generalisierende Berufsbildung<br />
versus Spezialbildung<br />
In seinem Vortrag skizzierte Prof. Dr. Stefan<br />
Sell in vierzehn Thesen die berufliche Bildung<br />
im Spannungsfeld zwischen Finanzkrise<br />
und demographischem Wandel. Er führte<br />
dabei u. a. aus:<br />
These 1: Die duale Ausbildung ist kein<br />
wirklicher Exportschlager!<br />
Deutschland hat, auch unter dem Einfluss<br />
der dualen Berufsausbildung, die<br />
Wirtschaftskrise anders bzw. sogar besser<br />
bewältigt als die Mehrzahl der südeuropäischen<br />
Länder. Trotzdem müssen wir davon<br />
ausgehen, dass die südeuropäischen Länder<br />
das duale Berufsausbildungssystem, um das<br />
uns sicherlich „viele“ weltweit beneiden,<br />
dort nicht implementieren, weil es bei ihnen<br />
nicht wirklich mit dem vorhandenen Arbeitsmarktsystem<br />
kompatibel ist. Trotzdem<br />
sollten wir nicht nur den Blick darauf richten,<br />
warum die „Südländer“ nicht unser „tolles<br />
Produkt“, die duale berufliche Erstausbildung,<br />
1 : 1 übernehmen oder sie nicht uns<br />
ihre Jugendlichen für eine Berufsausbildung<br />
schicken oder sogar uns ihre Fachkräfte<br />
für den wachsenden Fachkräftebedarf zur<br />
Verfügung stellen, sondern wir sollten uns<br />
vielmehr fragen, wie wir die demografische<br />
Entwicklung bzw. die damit verbundenen<br />
dreifachen Herausforderungen im eigenen<br />
Land bis 2020 nachhaltig bewältigen.<br />
These 2: Der demografische Wandel verändert<br />
das Bildungs- und Beschäftigungssystem<br />
nachhaltig!<br />
In den Schulen und in der beruflichen<br />
Erstausbildung bei den 10 - 20 Jährigen verringert<br />
sich die Zahl der Schüler bis 2020 ca.<br />
um 22%. Im Detail: Bei den 10 - 15 Jährigen<br />
in den Schulen verliert Rheinland-Pfalz im<br />
Zeitraum 2009 bis 2030 ca. 22,1% an Schülern.<br />
Die relative Entwicklung bei den 16-18<br />
Jährigen zeigt einen Verlust von 28,3%. Im<br />
Bereich der 19 - 24 Jährigen beträgt das<br />
12 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
Minus 26,2%. Bei den über 80 Jährigen entsteht<br />
jedoch ein relativer Populationsgewinn<br />
von 47,7% in dem genannten Zeitraum. Die<br />
Folge ist, dass die Schulen bis 2025 ca. 25 %<br />
an Schülern verlieren werden (von 564.520<br />
in 2013 auf 464.550 in 2025). Die Betriebe<br />
in Deutschland erfahren innerhalb weniger<br />
Jahre eine massive Verschiebung der Altersstruktur,<br />
sie verlieren insgesamt 26% an<br />
Mitarbeitern bei den heute dominierenden<br />
35 - 50 Jährigen. Bei den 50 - 65 Jährigen<br />
entsteht ein Wachstum von 27%. Die Pflege<br />
erhält eine nie gekannte Relevanz, weil in<br />
diesem Bereich in wenigen Jahren ein Anstieg<br />
um fast 44% bei den über 80jährigen<br />
Menschen zu verzeichnen sein wird. Damit<br />
wird sich auch die bisherige Diskussion um<br />
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
verschieben.<br />
These 3: Die Vereinbarkeit von Familie<br />
und Pflege kristallisiert sich als neue<br />
Frage!<br />
Zukünftig stellt sich wohl die Frage nach<br />
der Vereinbarkeit von Familie und Pflege.<br />
Damit bekommen die Unternehmen bzw.<br />
die Betriebe einen nie gekannten Druck<br />
„im personalwirtschaftlichen Kessel“ in Bezug<br />
auf eine angemessene zukünftige und<br />
stabile Belegschaftsstruktur, die den großen<br />
Herausforderungen der ökonomischen Globalisierung<br />
noch entsprechen kann.<br />
These 4: Das heutige Schulsystem stammt<br />
aus einer Zeit, als noch Überfluss herrschte!<br />
Neben diesem personalwirtschaftlichen<br />
Druck auf die Unternehmen verschärft die<br />
demografische Entwicklung die Situation<br />
im vor- und nebengelagerten Schulsystem,<br />
weil die heutigen Schulstrukturen diesen<br />
Entwicklungen nicht entsprechen bzw. diese<br />
aus einer Zeit stammen, als noch ein „Überfluss“<br />
herrschte, d.h. noch eine hohe Zahl<br />
von Kindern und Jugendlichen in die verschiedenen<br />
schulischen Systeme strömten.<br />
In der heutigen Zeit diskutieren wir jedoch<br />
schon die Unterrichtsausfallzeiten, die in<br />
den allgemein bildenden Schulen bei 1,9%<br />
und in der BBS bei 6,2% im Durchschnitt<br />
liegen, als hemmende Wirkungen für einen<br />
evtl. beruflichen Werdegang für die<br />
nachwachsende Generation, ohne uns zuzugestehen,<br />
dass der wirkliche Unterrichtsausfall<br />
(z.B. durch Krankheiten, dienstliche<br />
Veranstaltungen,…) faktisch sehr viel größer<br />
ist. Gerade der demografische Faktor hat<br />
Auswirkungen auf den Ausfall. Die älteren<br />
Mitarbeiter in den Schulen sind sicherlich<br />
nicht häufiger krank als die Jüngeren, aber<br />
gerade die älteren Mitarbeiter haben statistisch<br />
gesehen bspw. nun einmal mehr<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebserkrankungen<br />
als die jüngeren Mitarbeiter,<br />
was zu langen Ausfallzeiten führen kann.<br />
Unter diesem Blickwinkel entsteht – „bei<br />
alternden Kollegien in der Schule“ - nun einmal<br />
mehr Unterrichtsausfall in den Schulen.<br />
Es entstehen deshalb alternde Kollegien in<br />
den Schulen, weil bis 2025 ca. 25% weniger<br />
Schüler (die Zahl sinkt von 592.434 bis auf<br />
465.550) aufgenommen werden können.<br />
Bereits von 2009 bis 2013 ist die Zahl der<br />
Grundschüler um 11% gesunken, was allerdings<br />
auch zur Folge hat, dass in diesem<br />
Bereich die Schülerzahl nicht mehr zurückgehen<br />
wird. Im BBS-Bereich kann davon<br />
ausgegangen werden, dass der Rückgang<br />
bis 2025 bei 26% liegen wird.<br />
These 5: Fiskalisten fordern einen Einschnitt<br />
ins Bildungssystem!<br />
Für die Fiskalisten bedeutet eine solche<br />
Entwicklung, dass die Politik auch ca. 20%<br />
der bisherigen Schulstruktur abbauen kann,<br />
während die Pädagogen demgegenüber<br />
fordern, dass dieser Rückgang für Verbesserungen<br />
im Bildungssystem genutzt werden<br />
sollte. Ein systemisches Problem besteht<br />
auch darin, dass wir ein Denken in Schularten<br />
entwickelten und dass wir letztlich nicht<br />
bereit sind, diese Denkausrichtung auf der<br />
Basis der demografischen Entwicklungen abzulegen,<br />
weshalb auch die Lehrkräfte nicht<br />
zwischen den Systemen verschoben werden<br />
können. Auf dieser Basis entstand einerseits<br />
im Jetzt ein komplexes Schulsystem, das<br />
den traditionellen Gymnasien eine nachhaltige<br />
Gewinnerposition im Schulsystem<br />
attestierte.<br />
These 6: Politik hat die Zweigliedrigkeit<br />
des Bildungssystems verpasst!<br />
Die Politik in Rheinland-Pfalz nutzte zu unserem<br />
Leidwesen nicht die Chance zu einer<br />
Zweigliedrigkeit im Schulsystem. Damit<br />
wäre die Bildungspolitik letztlich flexibler<br />
geworden. Das System der Mehrgliedrigkeit<br />
war sicherlich eine geeignete Lösung zu<br />
einer Zeit, als das Land noch viele Schüler<br />
hatte, heute stellt diese Struktur jedoch<br />
ein pädagogisches, aber auch ein ökonomisches<br />
Problem dar (Fazit: Die Lösungen<br />
von gestern sind die Probleme von heute<br />
[Peter Senge]!!). Insbesondere dort, wo<br />
ausschließlich die deutsche Mittelschicht<br />
lebt, haben wir Kleinstklassen (insbesondere<br />
im Grundschulbereich). Die demografische<br />
Zwei langjährige <strong>GEW</strong>-Kollegen im<br />
Gespräch: BBS-Abteilungsleiter Walter<br />
Wahl (links) und Landesvorstandsmitglied<br />
Detlef Krammes, der vom Tag der<br />
beruflichen Bildung berichtet.<br />
Fotos vom BBS-Tag: Peter Heisig<br />
Entwicklung verschärft diese Situation noch<br />
in der Zukunft, auch für andere Schularten.<br />
These 7: Die demografische Entwicklung<br />
verschärft die Situation auf dem gegebenen<br />
Ausbildungsmarkt<br />
Dies geschieht in einem scheinbar paradoxen<br />
Sinne von a) zu wenige und b) trotzdem<br />
zu viele und das gleichzeitig!<br />
2012 gehen 730.352 Menschen in die<br />
Berufsausbildung, 266.732 Menschen<br />
befinden sich in einem Übergangssystem,<br />
505.129 erwerben eine Fachhochund<br />
Hochschulzugangsberechtigung und<br />
496.083 beginnen mit einem Studium<br />
an Fachhochschulen oder Universitäten.<br />
2005 befanden sich im Übergangssystem<br />
noch 417.600 junge Menschen, was auf<br />
den ersten Blick bedeutet, dass ihre Zahl<br />
kontinuierlich (36% von 2005 - 2012) gesunken<br />
ist. Für Rheinland-Pfalz ergibt sich<br />
für 2011 eine Verteilung der Neuzugänge<br />
auf die Sektoren duale Berufsausbildung<br />
(48,7%), Schulberufssystem (22,3%) und das<br />
Übergangssystem (28,9%). Es ist insgesamt<br />
erschreckend, dass ca. 30% der Jugendlichen<br />
in Rheinland-Pfalz in einem Übergangssystem<br />
landen.<br />
These 8: Das Übergangssystem stabilisiert<br />
sich!<br />
Zur Frage, ob jetzt alles gut wird für die,<br />
die bislang in einem „Übergangssystem“<br />
gelandet sind: Zum einen wird die Angebots-<br />
Nachfrage-Verschiebung zugunsten der<br />
Jugendlichen (aufgrund der demografischen<br />
Entwicklung) zu einer verbesserten Posi-<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
13
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
tionierung auch „leistungsschwächerer“<br />
Jugendlicher in der Warteschlange führen,<br />
die – positiv gesprochen – neue Chancen<br />
für diejenigen eröffnen, die bislang schon<br />
von Anfang an<br />
aussortiert worden sind. Das ‚Fenster der<br />
Möglichkeiten‘ öffnet sich für diejenigen<br />
(jedoch nur) für eine kurze Zeit. Gleichzeitig<br />
aber kommt es zu einer Stabilisierung<br />
des Teils des ‚Übergangssystems‘, in dem<br />
es um den Erwerb eines höheren Schulabschlusses<br />
geht. Zwar reduziert sich die<br />
Zahl der Neuzugänge in das bestehende<br />
‚Übergangssystem‘, aber gleichzeitig kommt<br />
es zu einer Potenzierung der heute schon in<br />
vielen Maßnahmen zu beobachtende ‚Konzentration<br />
der Unerträglichkeit‘ (auf beiden<br />
Seiten) durch eine Konzentration der (sozial)<br />
pädagogischen Schweregrade und damit zu<br />
einem absehbar weiter abnehmenden Wirkungsgrad<br />
der vielfältigen Förderlandschaft<br />
(Folge: weniger, aber noch schwerer).<br />
These 9: Der Fachkräftemangel prägt sich<br />
aus!<br />
Der gegenwärtige und vor allem zukünftige<br />
Fachkräftemangel wird sich vor allem bei<br />
den für die deutsche Volkswirtschaft so<br />
wichtigen Facharbeitern in den im Rahmen<br />
der Rationalisierungs- und Globalisierungsprozessen<br />
verbliebenen Industriekernen<br />
ausprägen und damit den Kernbereich des<br />
dualen Berufsausbildungssystems betreffen.<br />
Viele der Menschen, die heute in Rente<br />
gehen, verfügen über eine Facharbeiterausbildung,<br />
viele, die nun nachrücken sollten,<br />
sind jedoch nicht angemessen ausgebildet,<br />
was auch eine Folge der verfehlten Berufsausbildungspolitik<br />
darstellt.<br />
Nicht bei den Akademikern, sondern vor<br />
allem auf der mittleren Qualifikationsebene<br />
(Ausbildungsabschlüsse des dualen Systems<br />
sowie der Berufsfachschulen) ist mit einem<br />
Fachkräfteengpass zu rechnen. Gleichzeitig<br />
fokussieren sich immer mehr Jugendliche<br />
auf „höhere“ Schulabschlüsse, insbesondere<br />
auf die Fachhoch- oder Hochschulreife, aber<br />
auch auf eine „akademische“ Ausbildung.<br />
Diese Orientierung trägt sicherlich dazu bei,<br />
dass zum einen seit 2000 die Erwerbsquote<br />
von Älteren kontinuierlich steigt, so dass<br />
der demografisch bedingte Rückgang des<br />
Arbeitsangebots im Jugendbereich teilweise<br />
kompensiert werden konnte. Andererseits<br />
erreicht die Zahl der Fachhoch- und Hochschulzugangsberechtigten<br />
einen Höhepunkt<br />
von rund 45% eines Altersjahrgangs. Dies hat<br />
insbesondere quantitative Auswirkungen,<br />
nicht unbedingt aber qualitative Effekte für<br />
den Industriestandort Deutschland.<br />
Andererseits erhalten nicht mehr alle akademisch<br />
Ausgebildeten ein festes Arbeitsverhältnis.<br />
Viele Hochschulabsolventen müssen<br />
sich auf spätere Werkverträge in ihren<br />
Unternehmen einrichten. Diese Diskrepanz<br />
wird von der Fortexistenz der hoch problematischen<br />
Berufswahlentscheidungen begleitet,<br />
vor allem der Frauen, im Sinne einer<br />
Perpetuierung der Konzentration auf einige<br />
wenige Berufe. Insgesamt kann festgehalten<br />
werden, dass der gesamtwirtschaftliche<br />
Engpass erst gegen 2030 eintritt, der mit<br />
einem leichten bzw. konstanten Überangebot<br />
an akademisch Ausgebildeten einhergeht<br />
und zeitgleich zunehmend steigende<br />
Engpässe bei Fachkräften mit mittleren<br />
Bildungsabschlüssen entstehen lässt. Von<br />
daher ist die Politik gefordert, auf einen<br />
drohenden Engpass im mittleren Qualifikationsbereich<br />
angemessen zu reagieren und<br />
nicht mehr nur ausschließlich die Erhöhung<br />
der Akademikerquote zu präferieren. Nur<br />
so kann es gelingen, den Sandwich-Druck<br />
auf das duale Berufsbildungssystem zu reduzieren,<br />
weil einerseits immer mehr junge<br />
Erwachsene in die Hochschule strömen, die<br />
vielfach nur formal über eine Hochschulzugangsberechtigung<br />
verfügen, aber in Wirklichkeit<br />
mehr Kompetenzen für das duale<br />
Berufsbildungssystem besitzen und dem<br />
dualen Ausbildungssystem damit verloren<br />
gehen. Andererseits integriert unter diesen<br />
Prämissen die duale Berufsausbildung prioritär<br />
Personen aus dem Übergangsbereich,<br />
wodurch auf allen Ebenen Qualitätsverluste<br />
zu verzeichnen sind. Die erste Gruppe<br />
wäre sicherlich mit einer Berufsbiografie<br />
auf der Basis der dualen Ausbildung am<br />
Arbeitsmarkt erfolgreicher, während die<br />
zweite Gruppe – trotz einer qualifizierten<br />
Berufsausbildung – den qualitativen Anforderungen<br />
am Arbeitsmarkt nicht immer<br />
angemessen gewachsen ist.<br />
These 10: Es findet eine Fehlallokation zur<br />
Hochschule statt!<br />
Dieses Problem zeigt sich allein darin, dass in<br />
Rheinland-Pfalz gegenwärtig ca. 51,7% eine<br />
Hochschulzugangsberechtigung für Fachhochschulen<br />
oder Universitäten erhalten,<br />
die mehrheitlich den Weg zur Hochschule<br />
suchen, aber der dualen Ausbildung meist<br />
verloren gehen. Rheinland-Pfalz hat in den<br />
80er Jahren versäumt, das System der Berufsakademien<br />
aus ideologischen Gründen<br />
zu implementieren. Dieses System findet<br />
in Baden-Württemberg einen sehr großen<br />
Zuspruch, und der südliche Landesteil von<br />
Rheinland-Pfalz profitiert ebenfalls nachhaltig<br />
davon. Mit diesem System hätte man<br />
die duale Ausbildung mit der Hochschule<br />
verbinden können. Dies ist mit den traditionellen<br />
Hochschulen so nicht wirklich<br />
machbar.<br />
These 11: Heutige Berufsausbildung überfordert<br />
einige Schüler!<br />
Bei dem Druck „von unten“ entsteht ein<br />
Problem, dass bestimmte Schülergruppen<br />
in der Berufsausbildung einfach überfordert<br />
sind. Dadurch entstehen insbesondere<br />
kognitive Blockaden, die dazu führen, dass<br />
einzelne Schüler ihre Berufsausbildung<br />
abbrechen.<br />
These 12: Die gegenwärtigen und historisch<br />
gewachsenen Berufsbildungsstrukturen<br />
führen zu einem Nirwana!<br />
Der Wettbewerb im Berufsbildungssystem<br />
führt zu Verlierern und zu Gewinnern.<br />
Obwohl das Gesamtsystem der beruflichen<br />
Bildung einen steigenden Kooperations- und<br />
Fusionsbedarf besitzt, entsteht eine die<br />
Gesellschaft schädigende Konkurrenzsituation,<br />
die letztlich bei den Menschen zu<br />
Unsicherheiten führt, aber auch zu Unsicherheiten<br />
bei der inhaltlichen Ausformung<br />
einer kompetenzorientierten Berufsbildung.<br />
Insbesondere der Druck zur Spezialisierung<br />
statt zur Generalisierung führt zu einer katastrophalen<br />
Fehlentwicklung. Dieser Druck<br />
wurde einerseits durch den Bologna-Prozess<br />
an den Hochschulen gefördert, andererseits<br />
führen Spartenberufe auch in dem Berufsbildungssystem<br />
zu einer Entwicklung, die dem<br />
Menschen in einer mobilen Gesellschaft und<br />
Wirtschaft nur wenig nützt.<br />
These 13: Generalisierung statt Spezialisierung<br />
in Ausbildung und Hochschule<br />
erwünscht!<br />
Es stellt sich schon die Frage, ob die über<br />
300 Ausbildungsberufe wirklich den Auszubildenden<br />
letztlich für den Arbeitsmarkt<br />
dienen. Wäre hier nicht ein Beschränken<br />
auf einen generalisierenden Nukleus von<br />
Ausbildungsberufen wirkungsvoller und gesellschaftspolitisch<br />
wirksamer? Auch in der<br />
Fachhochschule und in den Universitäten,<br />
in denen es mittlerweile über 1.100 Bachelorstudiengänge<br />
gibt, stellt sich ebenfalls<br />
diese Frage<br />
Auch im Fachschulbereich scheint man den<br />
verheerenden Weg zur Spezialisierung gehen<br />
zu wollen, in dem wir teilweise zwischen<br />
Erziehern für die Jahrgänge 1 - 3 und 4 - 5/6<br />
unterscheiden. Lediglich in der Pflege gehen<br />
14 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
wir zurzeit noch den Weg zur generalisierenden<br />
Ausbildung. Gerade die generalisierende<br />
Ausbildung ist in der Berufsbildung<br />
wirklich gefragt, weil sie den Menschen<br />
Wege öffnen, Karrieren ermöglicht und<br />
Sackgassen besser ausschließt. Später im<br />
Berufsleben können sich die Betroffenen<br />
immer noch spezialisieren. Wichtig ist dabei,<br />
dass die Inhalte z.B. zum produktiven Lernen<br />
anleiten und wichtige Bezüge zu den neuen<br />
Medien eröffnen.<br />
These 14: Trennung zwischen Berufsschule<br />
und Hochschule ist überholt.<br />
Diese Trennung von Berufsschule und Hochschule<br />
scheint in Zeiten des Bologna-Systems<br />
und der stark ansteigenden hochschulischen<br />
Ausbildung eine neue Achillesferse für eine<br />
moderne Berufsausbildung zu werden, da<br />
sich die Hochschulen gewissermaßen zu<br />
neuen Berufsschulen mutierten oder noch<br />
mutieren. Vor allem ist das Verhältnis der<br />
Fachschulen zu den Hochschulen immer<br />
noch ungeklärt, weil die Fragen noch nicht<br />
wirklich richtig adressiert wurden. So existieren<br />
einerseits im BBS-System Fachschulen,<br />
andererseits bestehen bundesweit eine<br />
Fülle von privaten Fachschulen, für die die<br />
Menschen, um sie besuchen zu können, viel<br />
Geld bezahlen, weil diese privatwirtschaftlich<br />
geführt werden. Deshalb hat NRW in<br />
Bochum eine Hochschule für Gesundheit<br />
eingerichtet, um staatlicherseits diesem<br />
fragilen privaten Markt an Fachschulen ein<br />
akademisches und staatliches Gegenstück<br />
entgegen zu stellen.<br />
Diskussion im Plenum<br />
In der Diskussion nach seinem eloquenten<br />
Vortrag, der viel Beifall bekam, beantwortete<br />
Prof. Dr. Sell zahlreiche Rückfragen.<br />
Der BBS-Abteilungsleiter Walter Wahl wies<br />
darauf hin, dass nach seiner Erfahrung die<br />
Fachoberschulen an Realschulen plus keine<br />
wirkliche Konkurrenz für die Angebote der<br />
Berufsbildenden Schulen darstellen. Die<br />
Anmeldungen für die Höheren Berufsfachschulen<br />
seien nicht rückläufig, es gebe sogar<br />
eine Zunahme durch Jugendliche, die von<br />
Gymnasien kommen.<br />
In diesem Zusammenhang forderte Gudrun<br />
Biehl, die die <strong>GEW</strong> im HPR BBS vertritt,<br />
gleiche Bedingungen für die höheren Berufsfachschulen<br />
und die Fachoberschulen.<br />
Aus dem Plenum kritisiert wurden Überlegungen,<br />
höhere Berufsfachschulen nur noch<br />
zu genehmigen, wenn die Anmeldezahl bei<br />
mindestens 25 liegt.<br />
Aus den Foren des Tages der beruflichen Bildung<br />
Die Reform des Übergangs-systems<br />
Schule – Beruf in Hamburg<br />
Mit einem Bündel von Maßnahmen verfolgt<br />
Hamburg seit Anfang 2011 das Ziel,<br />
Jugendlichen den zügigen Übergang in<br />
eine Berufsausbildung zu ermöglichen.<br />
Hierzu gehören insbesondere die Einführung<br />
der Berufs- und Studienorientierung<br />
ab der 8. Klasse in allen Stadtteilschulen,<br />
die duale Ausbildungsvorbereitung an<br />
zwanzig berufsbildenden Schulen, die Abschaffung<br />
der teilqualifizierenden Berufsfachschule<br />
und die Ausbildungsgarantie<br />
im Rahmen der Berufsqualifizierung im<br />
Hamburger Ausbildungsmodell. Die neu<br />
gegründete Jugendberufsagentur bündelt<br />
die Beratungs- und Unterstützungsangebote<br />
für Jugendliche und junge Erwachsene<br />
unter einem Dach und übernimmt<br />
das Übergangsmanagement.<br />
Martin Neumann, Lehrer an der Staatlichen<br />
Gewerbeschule Stahl- und Maschinenbau<br />
G1 in Hamburg, stellte in seinem<br />
Vortrag das Hamburger Modell vor, das<br />
unter der politischen Zielsetzung steht<br />
„Niemand darf verloren gehen“ und damit<br />
jedem eine Chance auf Ausbildung<br />
geben will. Deutlich wurde dabei, dass<br />
das Hamburger Konzept eine strukturelle<br />
Reform des Übergangssystems insgesamt<br />
darstellt mit einer nachhaltigen, subjektorientierten<br />
Berufs- und Studienorientierung<br />
mit Übergangsmanagement<br />
in enger Kooperation aller Beteiligten<br />
(Stadtteilschule, BBS, Jugendberufsagentur)<br />
und der individuellen Begleitung<br />
der Jugendlichen beim Übergang in eine<br />
Berufsausbildung: Beruflich orientierte<br />
Jugendliche erhalten einen Ausbildungsplatz,<br />
beruflich nicht orientierte<br />
Jugendliche erhalten weitere Orientierungsmöglichkeiten<br />
und Unterstützungsangebote,<br />
die passgenau auf die bereits<br />
vorhandenen oder nicht vorhandenen<br />
Schulabschlüsse der Jugendlichen ausgerichtet<br />
werden.<br />
Gudrun Biehl<br />
„Niemand darf verloren gehen!“ - Übergangssystem in Hamburg<br />
Wege für Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschule<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
15
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
Neue Chancen für Jugendliche<br />
dank demographischem Wandel?<br />
Gibt es wirklich neue Chancen für Jugendliche<br />
dank des demographischen<br />
Wandel? Genau das war die Fragestellung<br />
beim Forum 2, sachkundig präsentiert von<br />
Dr. Joachim Ulrich vom Bundesinstitut für<br />
Berufsbildung in Bonn. Dr. Ulrich erläutert<br />
den Zuhörern, dass der demografische<br />
Bruch in Deutschland sehr viel klarer und<br />
drastischer etwa in der französischen<br />
Öffentlichkeit wahrgenommen wird. So<br />
schrieb der französische Historiker und<br />
Sozialwissenschaftler Emmanuel Todd<br />
bereits 2011 von einer „katastrophalen<br />
Geburtenrate” Deutschlands.<br />
Und in der Tat: Etwa 2045 wird die Bevölkerungszahl<br />
Deutschlands unter die<br />
Frankreichs fallen. Und aus heute 82<br />
Millionen Deutschen und 65 Millionen<br />
Franzosen werden nach Schätzungen der<br />
Vereinten Nationen Ende des Jahrhunderts<br />
45 Millionen Deutsche und 75 Millionen<br />
Franzosen. Ohne Zuwanderungen<br />
natürlich, und letzteres ist wohl für so<br />
manchen Prunkgermanen und Springerstiefler<br />
der einzige Strohhalm für seine<br />
Altersversorgung.<br />
So blicken wir in eine mögliche Zukunft<br />
mit weniger arbeitslosen Jugendlichen<br />
allein durch den Schrumpfungsprozess<br />
der Wohnbevölkerung, denn diese Entwicklung<br />
hat direkte Auswirkungen auf<br />
den Arbeits- und Lehrstellenmarkt:<br />
Der Höhepunkt der Jugendarbeitslosigkeit<br />
schien im Jahre 2005 in Deutschland<br />
(16 %), in der Schweiz (9 %) und 2006<br />
in Frankreich (22 %) erreicht. Ab dann<br />
sanken die Zahlen bis 2012, verzögert<br />
nur durch die Finanzkrise 2008. Allein in<br />
Frankreich stagniert wegen der höheren<br />
Geburtenrate die Beschäftigung 15- bis<br />
24-jähriger Jugendlicher und erreichte<br />
2011 wieder 22 Prozent.<br />
Derzeit verlassen in der Bundesrepublik<br />
aus Altersgründen etwa gleich viele Arbeitnehmer<br />
den Arbeitsmarkt wie junge<br />
Arbeitnehmer aus Altergründen in ein<br />
Berufsverhältnis eintreten. Ab dem Jahre<br />
2015 werden erst 500.000, dann 2021 1,5<br />
Millionen und 2025 etwa 2,2 Millionen<br />
mehr Arbeitnehmer jährlich mehr aus<br />
dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als in die<br />
Beschäftigung kommen. Entsprechend<br />
schrumpft auch die „Anzahl nichtstudienberechtigter<br />
Schulabgänger”, also die<br />
Zahl allen potentiellen Auszubildenden.<br />
Die berufsbildenden Schulen spüren das<br />
bereits heute bei den rückläufigen Zahlen<br />
im Übergangssystem der Schulberufe.<br />
Sabine Weiland<br />
Gespaltener Ausbildungsmarkt<br />
Bereits heute zeichnet sich auch ein<br />
gespaltener Ausbildungsmarkt in attraktive<br />
und weniger nachgefragte Ausbildungsberufe<br />
ab: Gefragt und derzeit<br />
zu einem hohen Maße erfolglos<br />
nachgefragt sind Berufe wie IT-System-<br />
Elektroniker, Zweiradmechaniker oder<br />
Reiseverkehrskaufmann/-frau. Und die<br />
Namen der Ausbildungsberufe, die wenig<br />
nachgefragt werden, lesen sich wie das<br />
Who is Who der Schein-Ausbildungsberufe:<br />
Restaurantfachmann/-fachfrau,<br />
Fachmann/-frau für Systemgastronomie<br />
oder Gebäudereiniger/-in.<br />
Vermutlich leben wir in einer besseren<br />
Welt, in der kein junger Mensch zu solchen<br />
„Ausbildungsberufen” gezwungen<br />
ist: Ausbeutung der billigen Arbeitskraft,<br />
Nichtübernahme oder 450-Euro-Arrangements.<br />
Schluss mit den Sprüchen von der mangelnden<br />
Ausbildungsreife: Wer erinnert<br />
sich nicht an die markigen Worte von<br />
IHK, Handwerk und der Zeitung mit den<br />
besonders wenigen, aber umso größeren<br />
Buchstaben: „Ein Handwerksmeister klagt<br />
in BILD: So doof sind unsere Schulabgänger”<br />
(BILD-Zeitung vom 26.04.2007). Die<br />
„Zeitung” ließ uns auch in den Abgrund<br />
der Doofheit blicken: „Die schlimmsten<br />
Wissenslücken: Acht Arbeiter vollenden<br />
eine Arbeit in 12 Arbeitstagen. Wie lange<br />
brauchen fünf Arbeiter?”<br />
Nicht nur, dass diese Frage inzwischen<br />
auch Abiturienten mit recht durchwachsenem<br />
Ergebnis gestellt wurde, auch bei den<br />
durchaus cleveren Teilnehmern am Forum<br />
2 konnten auf Anhieb gerade einmal zwei<br />
eine vorzeigbare Antwort liefern. Der<br />
geneigte Leser dieser Zeilen kann ja jetzt<br />
hier selbst seine Ausbildungsreife testen.<br />
Der Kampfbegriff der „mangelnden Ausbildungsreife”<br />
machte in Zeiten fehlender<br />
Ausbildungsplätze die Runde. Sollte heißen:<br />
Nicht wir bieten zu wenig an. Was<br />
uns aus den Schulen geliefert wird, ist<br />
einfach noch nicht reif fürs Berufsleben.<br />
Uns, das Handwerk und die Industrie, trifft<br />
keine Schuld.<br />
Und das ist vielleicht ein kleiner Vorteil<br />
des demographischen Wandels: Diese<br />
menschenverachtenden Sprüche, die<br />
Opfer zu Verursachern machen, hat ein<br />
Ende. Potentielle Ausbildende werden<br />
mit den jungen Menschen vorlieb nehmen<br />
müssen, die da sind.<br />
Wenn Industrie und Handwerk mehr<br />
Auszubildende wollen, sollten sie auf den<br />
immer wieder von den Gewerkschaften<br />
mit Engelsgeduld vorgetragenen Rat<br />
hören: Betrachten Sie ihre Azubis nicht<br />
als billige Arbeitskräfte. Halten Sie sich<br />
an die gesetzlichen Bestimmungen über<br />
die Arbeitszeiten und behandeln Sie die<br />
jungen Menschen mit Respekt. Bieten Sie<br />
attraktive Ausbildungsberufe an, die auf<br />
dem Arbeitsmarkt zu gut bezahlter und<br />
unbefristeter Beschäftigung führen.<br />
Aber welcher Unternehmer hört schon<br />
auf die Gewerkschaften.<br />
Jörg Albert<br />
„facebook-Knigge“ für AusbilderInnen<br />
und Lehrkräfte<br />
Der Begriff „Datenschutz“ sei eigentlich<br />
irreführend, denn es gehe ja nicht um<br />
den Schutz der Daten, sondern um den<br />
Schutz der Personen, auf die sich die Daten<br />
beziehen – so begann Friedhelm Lorig<br />
(von der Behörde „Der Landesbeauftragte<br />
16 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit<br />
in RLP“) seinen Vortrag – der<br />
Mensch stand bei diesem Ansatz also im<br />
Mittelpunkt, was sich auch darin äußerte,<br />
dass bei dem Forum den konkreten Fragen<br />
und Problemen der Teilnehmer in Sachen<br />
„facebook“ viel Zeit gewidmet wurde.<br />
Wem Begriffe wie „Drittanbietercookie“,<br />
„Freemium“, „ixquick“, „Privatspäreneinstellungen“,<br />
„Diaspora Project“ oder<br />
„Zweiklick-Lösung“ vor der Veranstaltung<br />
noch nichts oder nicht viel sagten, dem<br />
wurde ein kompetenter und fundierter<br />
Input geboten.<br />
Der Datenschützer Lorig beleuchtete dabei<br />
das „Phänomen facebook“ durchaus<br />
kritisch, so zum Beispiel aus juristischer<br />
Sicht, indem er an konkreten Beispielen<br />
die Schwammigkeit der facebook-AGBs<br />
aufzeigte, oder aus ökonomischer Sicht,<br />
als er die Frage, wie überhaupt mit einem<br />
kostenlosen Dienst Geld verdient werden<br />
kann, sehr pointiert beantwortete: „Wenn<br />
du nicht bezahlen musst, dann bist du<br />
nicht der Kunde, sondern die Ware, die<br />
verkauft wird”. Und so wurde im Laufe der<br />
Veranstaltung auch sehr deutlich, dass es<br />
gewichtige Argumente gegen die Präsenz<br />
von Schulen bei facebook („Fanpage“)<br />
und Lehrer-Schüler-Kommunikation via<br />
facebook gibt. Diese haben zumeist mit<br />
Distanz zu tun: nicht nur mit der gebotenen<br />
Distanz im Lehrer-Schüler-Verhältnis,<br />
sondern auch mit der „Distanz gegenüber<br />
den Praktiken des Monopolisten facebook,<br />
die den SchülerInnen zumindest<br />
ermöglicht werden muss.“<br />
Dr. Marcel Sommer<br />
Ausbrennen im 45-Minuten-<br />
Takt: „Burnout am Arbeitsplatz<br />
Schule“ - Analyseansatz und<br />
Prophylaxen<br />
Die beiden ReferentInnen, Dr. Barbara<br />
Breidenbach und Ludger Grünewald,<br />
eröffneten das Forum mit einer Vorstellungsrunde,<br />
was bei diesem sehr persönlichen<br />
und problembeladenen Thema<br />
von besonderer Wichtigkeit ist. Der Raum<br />
war zuvor von Barbara Breidenbach ganz<br />
im Sinne einer Montessori-Pädagogik<br />
didaktisch komplett ausgestaltet, so dass<br />
die Teilnehmer bereits beim Betreten des<br />
Raumes die entscheidenden Aussagen<br />
und Graphiken bzw. Tabellen zur Problematik<br />
großflächig hervorgehoben sichten<br />
konnten.<br />
In einem ersten Analyse-Teil erfuhren die<br />
TeilnehmerInnen erschreckende Zahlen:<br />
Jeder Zweite im vorzeitigen Ruhestand<br />
in der Lehrerschaft zeigt Formen von<br />
Depression! Gerade die Hochmotivierten<br />
und die Hochengagierten gehen diesen<br />
Leidensweg! In diesem Zusammenhang<br />
wurden zuerst die Stressoren untersucht,<br />
die in Stressoren am Arbeitsplatz Schule<br />
und in private Stressoren unterteilt wurden.<br />
In diesem Kontext wurde jeder Teilnehmer<br />
aufgefordert, seine „Antreiber“<br />
selbst zu erkennen.<br />
Burnout – so Barbara Breidenbach – ist<br />
keine „Mode“, Burnout ist ein hochkomplexes<br />
Phänomen; Burisch hat 1994 die<br />
Symptome des Burnout in 7 Kategorien<br />
klassifiziert, die Teilnehmer konnten da<br />
bereits diskutieren, inwieweit Burisch<br />
dieses stark verbreitete Erschöpfungssyndrom<br />
korrekt beschrieben hat.<br />
Schwerpunkt dieses Workshops war neben<br />
der Analyse natürlich die sogenannte<br />
Umkehrung der Burnout-Kurve, die<br />
möglich ist. Hier wird natürlich die Frage<br />
relevant: Wo bin ich stark? Wo liegen<br />
meine inneren Ressourcen und wie kann<br />
ich diese stärken?<br />
Hierzu hat bereits 1974 Lazarus Bahnbrechendes<br />
geforscht, ganz im Sinne<br />
einer Stressbewältigung mit Hilfe von<br />
„Coping“…<br />
Über die Fragen, ob unsere inneren Ressourcen<br />
zur Stressbewältigung reichen<br />
oder wie unsere innere Einstellung als<br />
Lehrkraft aussieht, wurde intensiv nachgedacht.<br />
Fakt ist, dass die Zeit in diesem<br />
Workshop definitiv nicht ausgereicht hat.<br />
Ein Fazit war u.a. auch der Gedanke, dass<br />
jeder Lehrer außerhalb seines Berufes ein<br />
Hobby haben sollte, um abzuspannen im<br />
Sinne einer Burnout-Prophylaxe, sei dies<br />
der Fußball-Verein oder das Singen im<br />
Chor, das Gärtnern etc. …<br />
Ausgestattet mit sehr viel Material zum<br />
Thema Burnout und mit der Erfahrung<br />
von sehr konstruktiven Gesprächen<br />
gingen die TeilnehmerInnen zufrieden<br />
auseinander.<br />
Ludger Grünewald<br />
Wie ausbildungsreif sind die Betriebe?<br />
Der Referent zu diesem Thema war Benjamin<br />
Krautschat vom DGB-Bundesvorstand;<br />
er stellte als Grundlage des Forums<br />
den „Ausbildungsreport 2012“ vor, der<br />
auf der Basis einer Befragung von etwas<br />
über 12.000 Auszubildenden erstellt<br />
wurde. Susanne Wingertszahn von der<br />
DGB-Jugend und Wolfgang Butterbach<br />
von der <strong>GEW</strong> vertraten jeweils auf rheinland-pfälzischer<br />
Seite die Organisatoren<br />
des Tages der beruflichen Bildung.<br />
Erfreulich war zu hören, dass viele der<br />
Auszubildenden mit ihrer Ausbildung<br />
zufrieden bis sehr zufrieden sind. Dennoch<br />
bleibt bedenklich, wie es um das<br />
letzte Viertel bestellt ist, wo die für die<br />
Ausbildungsqualität relevanten Kriterien<br />
wie zum Beispiel Überstunden (38,1%),<br />
das häufige Verrichten ausbildungsfremder<br />
Tätigkeiten (10,8 % immer o. häufig;<br />
18,7% manchmal) oder auch Perspektiven<br />
auf Übernahme als nicht zufriedenstellend<br />
erlebt werden. So ist es auch auffäl-<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
17
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
lig, „… dass viele der Berufe mit einem hohen<br />
Anteil unbesetzter Ausbildungsplätze<br />
gleichzeitig auch überdurchschnittlich<br />
hohe vorzeitige Vertragsauflösungsquoten<br />
aufweisen.“<br />
Und wiederum gehören viele dieser<br />
Berufe zu denen, die bei der Beurteilung<br />
der Zufriedenheit mit dem Ausbildungsberuf<br />
allgemein sowie mit der<br />
fachlichen Qualität der Ausbildung im<br />
Betrieb auf den hinteren Plätzen der<br />
Rangliste stehen (z. B. MalerIn u. LackierIn;<br />
FachverkäuferIn im Lebensmittelhandwerk;<br />
Restaurantfachmann/-frau;<br />
Hotelfachmann/-frau; MetallbauerIn;<br />
Koch/Köchin).<br />
„Welche Konsequenzen ergeben sich also<br />
aus der Umfrage für die Ausbildung in den<br />
Betrieben?“ So lautete eine Frage aus der<br />
Runde der Teilnehmer/-innen.<br />
Benjamin Krautschat stellte hier verschiedene<br />
Ebenen vor, auf denen angesetzt<br />
wird bzw. werden kann, um die Probleme<br />
anzugehen. So werden die Ergebnisse der<br />
Studie einerseits veröffentlicht, damit<br />
sie allgemein bekannt werden. Darüber<br />
hinaus dient der Report auch dazu, um<br />
gezielt bestimmte Personen und Gruppen<br />
anzusprechen wie etwa Politiker,<br />
Journalisten und Vertreter der Kammern.<br />
Er dient auch den Vertretern der Gewerkschaften<br />
als Info-Basis für ihre Arbeit z. B.<br />
in Tarifverhandlungen. Auch Betriebsräte<br />
beziehen sich auf die Erhebung bei ihren<br />
betriebsinternen Verhandlungen. Über<br />
den Gesamtreport hinaus sind besonders<br />
die regionalen Reporte wichtig, da sie für<br />
die Argumentation in einer bestimmten<br />
Region genauere Zahlen zu Verfügung<br />
stellen.<br />
Für die Auszubildenden selbst ist der Report<br />
nicht zuletzt auch eine Möglichkeit,<br />
ihre eigenen Ausbildungssituationen<br />
zu reflektieren und ein entsprechendes<br />
Bewusstsein in der Auseinandersetzung<br />
mit der Thematik auszubilden.<br />
In einem Exkurs hat sich der Ausbildungsreport<br />
2012 auch mit der Qualität<br />
der Berufsschule befasst, was im Forum<br />
zu Diskussionen führte, die etwas vom<br />
Thema „Ausbildungsreife der Betriebe“<br />
wegführten. Dennoch gibt es hier Verbindungs-<br />
und Ansatzpunkte dadurch,<br />
dass der Berufsschulunterricht von Auszubildenden<br />
dort als gut oder sehr gut<br />
bewertet wurde, wo das auch auf die<br />
Abstimmung zwischen Schule und Betrieb<br />
zutraf - und umgekehrt.<br />
Die Schule kann also hier anknüpfen<br />
und sowohl die eigene Ausbildung und<br />
Zusammenarbeit mit der betrieblichen<br />
Ausbildungsseite verbessern als auch<br />
über diesen Prozess die Bewusstseinsbildung<br />
bei den Auszubildenden und den<br />
entsprechenden Betrieben begleiten.<br />
Dass das nur die Andeutung von Lösung<br />
sein kann und das „Bohren von dicken<br />
Brettern“ bedeutet, ist klar und wurde<br />
auch aus den Erfahrungsberichten einiger<br />
Teilnehmer des Forums zur Genüge<br />
deutlich!<br />
Wolfgang Butterbach<br />
Unterricht und Recht<br />
ReferentInnen zu diesem Thema waren<br />
Brigitte Strubel-Mattes (Fachanwältin für<br />
Arbeitsrecht, <strong>GEW</strong> RLP), Claudia Neubauer-Windgätter<br />
und Dr. Jan-Christoph<br />
Herrmann (beide: Staatl. Studienseminar<br />
Berufsbildende Schulen, Trier)<br />
„AusbilderInnen, LehrerInnen und LehramtsanwärterInnen<br />
werden immer<br />
wieder mit rechtlichen Problemen konfrontiert,“,<br />
hieß es im Untertitel, und<br />
genau das zeigte sich sehr schnell im<br />
Laufe des Forums „Unterricht und Recht“.<br />
Im Plenum fanden Fragen rund um die<br />
Themenbereiche Aufsichtspflicht, Urheberrecht,<br />
Umgang mit Social Media und<br />
Persönlichkeitsrechtsverletzungen sehr<br />
reges Interesse bei den TeilnehmerInnen.<br />
Brigitte Strubel-Mattes zeigte anhand von<br />
vielen Praxisbeispielen anschaulich, wie<br />
u.a. Klagen von Eltern gegen Lehrkräfte<br />
von den Gerichten behandelt werden<br />
und wie wichtig es für jeden ist, die<br />
Rechtsvorschriften zu kennen. Es zeigte<br />
sich, dass viele LehrerInnen – ohne es<br />
zu wissen – fast täglich Urheberrechte<br />
verletzen, und wie man professionell die<br />
Wahrung derer in der Praxis umsetzt.<br />
Besonders die Aufsichtspflicht und die –<br />
teilweise problematische – Umsetzung<br />
in der Praxis beschäftigte vor allem die<br />
jüngeren <strong>GEW</strong>-Mitglieder. Fachkundig<br />
konnten jedoch auch hier im Gespräch<br />
offene Fragen beantwortet werden und<br />
für mehr Sicherheit im Umgang mit den<br />
Rechtsvorschriften gesorgt werden.<br />
Dr. Jan-Christoph Herrmann<br />
Fotos Tag der beruflichen Bildung: Peter Heisig<br />
18 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungstage der <strong>GEW</strong>: Berufliche Bildung<br />
Ein-Mann-Kabarett-Kollektiv Büb Käzmann<br />
Was hat ein Kabarett denn mit dem Tag der<br />
beruflichen Bildung der <strong>GEW</strong> Fachgruppe<br />
BBS und des DGB zu tun? Zumal wenn es<br />
sich auch noch um das einzige Ein-Mann-<br />
Kabarett-Kollektiv der Welt nicht nur von<br />
Rheinland-Pfalz handelt.<br />
Angenommen, man hätte das Vergnügen<br />
gehabt, Büb Käzmann live und in Farbe erleben<br />
zu dürfen, hätte man immerhin den<br />
vagen, aber emotional vertieften Eindruck<br />
gewinnen können, wie das in der Bildungslandschaft<br />
von Rheinland-Pfalz zusammenhängen<br />
könnte. Dr. Markus Höffer-Mehlmer,<br />
in einer Überschrift der AZ im vergangenen<br />
Dezember immerhin zum Zuständigen für<br />
die Qualität der Schulen erklärt, outet sich<br />
selbst unter seinem Künstlernamen als<br />
Agent eines quälfreien Survivaltrainings. Damit<br />
ist gleich zu Beginn der kabarettistischen<br />
Darbietungen das Kürzel AQS in einen neuen<br />
Kontext implementiert, und der sonst nicht<br />
unbedingt beliebte Begriff bekommt für<br />
Beifall spendende Lehrerinnen und Lehrer<br />
fast eine Wohlfühlnote. Lachend folgen sie<br />
dem selbsternannten Überlebenstrainer,<br />
der in allen Facetten seiner Profession dem<br />
Gedanken der Bildung nachspürt. Das Lachen<br />
der Tagungsteilnehmer befreit von den<br />
Anstrengungen der professoralen Präsentation<br />
vom Vormittag und tritt an die Stelle<br />
einer oft zwanghaften und schematischen<br />
Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse<br />
der Workshop genannten Arbeitsgruppen<br />
am Nachmittag.<br />
Büb Käzmann verwandelt sich auf der Bühne<br />
Schlusswort des Landesvorsitzenden<br />
Klaus-Peter Hammer bedankte sich bei<br />
den Ausrichtern des Tages der Beruflichen<br />
Bildung sowohl für die geleistete Arbeit als<br />
auch für die guten neuen Erkenntnisse aus<br />
der der Präsentation von Professor Dr. Sell<br />
und den anschließenden Beratungen. Er,<br />
selbst in seiner Schullaufbahn durch den<br />
Besuch eines beruflichen Gymnasiums geprägt,<br />
fühle sich in besonderem Maße der<br />
beruflichen Bildung verpflichtet, freue sich,<br />
dass in Zusammenarbeit mit dem DGB wieder<br />
eine solch erkenntnisreiche Tagung habe<br />
durchgeführt werden können. Er hoffe, dass<br />
damit wieder eine Zusammenarbeit aufgenommen<br />
wurde, die turnusmäßig alle zwei<br />
Jahre möglicherweise auch mit neuen Partnern<br />
durchgeführt werden könne. Damit<br />
bezog sich der Landesvorsitzende auf den<br />
durch das Austauschen von Kleidungstücken<br />
und diverser Accessoirs in eine multiple<br />
Persönlichkeit, die einerseits die Zuschauer<br />
mitnimmt und zu einem Rollentausch<br />
einlädt, sie andererseits lachend unterhält<br />
und zu einem Perspektivenwechsel zwingt.<br />
Plötzlich ist Büb Käzmann der Räuber Hotzenplotz,<br />
der zwar immer noch in tiefen<br />
Wäldern sein ‚Un‘wesen treibt, aber auch<br />
gezwungen wird, durch modernere Methoden<br />
des Qualitätsmanagement seine<br />
Profession zu optimieren. Seine Kunden, im<br />
realen Leben auch Opfer genannt, können<br />
diesen Optimierungsprozess unterstützen<br />
durch einen Feedbackbogen, der bei<br />
Lehrerinnen und Lehrern wiederum die<br />
eigenen Rolle bei der externen Evaluation<br />
aufblitzen lässt. So bleibt die Darbietung<br />
unterhaltsam, hinterlässt anderseits das<br />
Hinweis von Professor Sell, dass die Hochschulen<br />
durch die Bachelorausbildung auch<br />
zu einem neuen Bestandteil der Beruflichen<br />
Bildung geworden sind. Hier könne man<br />
z. B. mit der Fachgruppe Hochschule und<br />
Forschung neue Perspektiven entwickeln.<br />
Klaus-Peter Hammer konnte allerdings die<br />
Tagung nicht beenden, ohne kurz über die<br />
in Potsdam abgeschlossenen Tarifverhandlungen<br />
zu informieren. Während dem Tarifergebnis<br />
zu Entgelt und Urlaub zugestimmt<br />
werden konnte, hätten die Arbeitgeber den<br />
Einstieg in die Lehrkräfte-Entgeltordnung<br />
verweigert. Hier hätten die Arbeitgeber<br />
schändlich ihre Macht missbraucht, was die<br />
Kampfbereitschaft der <strong>GEW</strong> nur vergrößern<br />
könne.<br />
Peter Heisig<br />
Publikum in einer selbstreflektierenden<br />
Grundhaltung. Und schon geht es wieder<br />
weiter, die sogenannten sozialen Netzwerke<br />
können nicht ausgespart werden, wie auch<br />
die allgegenwärtige Finanzkrise im Raum<br />
präsent ist. Während der Aktienhandel so<br />
manche Bank, wenige Banker, aber immerhin<br />
viele unwissende Anleger in den Ruin<br />
getrieben hat, setzt Büb Käzmann auf den<br />
Verkauf von krisensicheren Zugplakettchen. 1<br />
Mit dieser sozioökonomischen Perspektive<br />
entlässt er sein Publikum aus der Hochburg<br />
des Frohsinns in den beruflichen Alltag.<br />
Sabine Weiland, Peter Heisig<br />
1<br />
für die NichtfastnachterInnen: Das Zugplakettche<br />
ist ein spezieller Halsschmuck (Anhänger), dessen<br />
Verkaufserlös der Finanzierung des Mainzer Rosenmontagszuges<br />
zufließt.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
19
Politik<br />
Prof. Dr. Stefan Sell rechnet ab<br />
Bildungspolitik in Zeiten der Schuldenbremse<br />
In einem vollen Hörsaal in der Universität<br />
Koblenz-Landau, Campus Koblenz, begrüßte<br />
Elmar Ihlenfeld, der Vorsitzende<br />
des <strong>GEW</strong>-Bezirksverbandes Koblenz,<br />
die zahlreichen Beschäftigten aus Kitas,<br />
Schulen, der Hochschule und anderer<br />
Bildungseinrichtungen sowie den Referenten.<br />
Er begründete das Thema des<br />
Tages „Bildungspolitik in Zeiten der<br />
Schuldenbremse“ mit den aktuellen<br />
Einsparungen, unter denen die Bildungseinrichtungen<br />
bereits heute zu leiden<br />
hätten. Ziel der Veranstaltung sei es, die<br />
Öffentlichkeit wachzurütteln und die<br />
Konsequenzen der Schuldenbremse für<br />
die Bildung aufzuzeigen.<br />
Schuldenbremse ist eine<br />
„politische Bankrotterklärung“<br />
Prof. Dr. Stefan Sell vom Institut für<br />
Bildungs- und Sozialpolitik an der Hochschule<br />
Koblenz begann mit der scheinbar<br />
lustigen Bemerkung, warum Politikern<br />
bei der Frage, wo man Ein-Euro-Jobber<br />
und ehemalige Schlecker-Frauen einsetzen<br />
könne, immer zuerst Kitas und<br />
Pflegeheime einfallen. Antwort: „Weil es<br />
die schwächsten Glieder der Gesellschaft<br />
sind“. Die Schuldenbremse nannte er eine<br />
„Bankrotterklärung“ der Regierenden,<br />
weil sie sich nicht in der Lage sehen, keine<br />
Schulden zu machen, und er erinnerte<br />
an den Beginn der allgemeinen Krise: die<br />
Flutung mit „billigem Geld“ in Verbindung<br />
mit gigantischen Bankenrettungsprogrammen<br />
und weil in den USA die Banken Geld<br />
geliehen hätten für Häuser, die zu 100 Prozent<br />
über Fremdkapitel finanziert worden<br />
seien. Das ungelöste fundamentale Doppelproblem<br />
der globalen Ökonomie heute<br />
sei einerseits die globale Vermögensblase<br />
mit der massiven Umverteilung von unten<br />
nach oben und die globale Schuldenblase.<br />
Die Entwicklung der öffentlichen Schulden<br />
von 1950 bis 2009 in Deutschland zeige<br />
vor allem die steile Bewegung nach oben<br />
im Bund (2 Billionen Staatsschulden),<br />
weniger in den Ländern (44 Milliarden<br />
Landesschulden in Rheinland-Pfalz im Jahr<br />
2011) und noch weniger in den Kommunen,<br />
obgleich die rheinland-pfälzischen<br />
Kommunen nach Sell an der Spitze der<br />
verschuldeten Kommunen in Deutschland<br />
lägen.<br />
Die Schuldenkurve sei typisch für einen<br />
„Suchtkranken“: Jedes Jahr werden neue<br />
Kredite aufgenommen. „Wir sind so abhängig,<br />
dass wir Bremsen einbauen müssen“.<br />
In einer Zeit niedriger Zinsen zahle<br />
Rheinland-Pfalz jährlich eine Milliarde an<br />
Zinsen. „Was passiert eigentlich“, fragte<br />
Sell, „wenn die Zinsen steigen?“ Er sprach<br />
von einem Sprengsatz. Zudem hänge das<br />
Land am Tropf der Bundessteuergesetzgebung.<br />
Es könne nicht von sich aus die<br />
Steuer erhöhen. Die Schuldenbremse<br />
gelte für Bund und Länder, nicht für die<br />
Kommunen. Freilich habe diese Bremse<br />
über den Fiskalpakt jetzt auch die Gemeinden<br />
erreicht.<br />
In Sachen Bildung sprach Sell von einem<br />
„Föderalismus-Dilemma“. Es sei der<br />
ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck<br />
gewesen, der sich vehement für ein Kooperationsverbot<br />
mit dem Bund eingesetzt<br />
habe. Die Experten seien damals<br />
dagegen gewesen, weil sie den Investitionsstau<br />
und den Bedarf an echten Neuinvestitionen<br />
gesehen hätten. Prof. Sell:<br />
„Kaum zu Hause, merkte Herr Beck, dass<br />
Studienplätze fehlen, und bat sofort den<br />
Bund um Hilfe“.<br />
Die Bundesrepublik hinke mit ihren<br />
Lohnstückkosten hinter den anderen<br />
europäischen Ländern hinterher. Die Gewerkschaften<br />
hätten zu niedrige Löhne<br />
gefordert, für Prof. Sell mit ein Grund<br />
für den Außenhandelsüberschuss. „Die<br />
Exportüberschüsse sind in die Höhe geschossen“.<br />
Nur 0.62 Prozent des Bruttoinlandprodukts<br />
für die Kitas<br />
Wie sieht es vor diesem Hintergrund in<br />
der Bildungspolitik im engeren Sinne aus?<br />
Derzeit flössen 16,2 Milliarden Euro an<br />
öffentlichen Mitteln in Deutschland in<br />
alle Kindertageseinrichtungen und in die<br />
Tagespflege. Dies seien 0,62 Prozent des<br />
Bruttoinlandsprodukts. Die Organisation<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />
Entwicklung (OECD) habe freilich schon<br />
vor Jahren als Zielgröße an öffentlichen<br />
Mitteln für die Tagesbetreuung der Kinder<br />
bis zum Schuleintritt ein Prozent des BIB<br />
vorgegeben. Würde diese Zielgröße in<br />
Deutschland realisiert, dann wären das<br />
24,77 Milliarden Euro pro Jahr, also rund<br />
neun Milliarden Euro mehr als derzeit.<br />
Diese Zielgröße sei nach Sell nicht „beliebig“,<br />
denn die skandinavischen Länder<br />
und auch Frankreich leisteten sich diese<br />
Ausgaben. Durch den Ausbau der Kitas für<br />
unter Dreijährige entstünden zusätzliche<br />
Kosten, weil Kinder unter drei Jahren<br />
teurer seien als Kinder über drei Jahren.<br />
„Diese Unterfinanzierung beim Ausbau<br />
20 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Politik<br />
der Kindertagesstätten führt zu einer<br />
Konzentration der Unverträglichkeit für<br />
die Pflegenden und die Betroffenen.“<br />
Wie sieht es nun mit den Schülerzahlen in<br />
Rheinland-Pfalz aus? Von 2009 bis 2013,<br />
so Sell, sei die Zahl der Grundschüler<br />
um über 11 Prozent gesunken, bis 2025<br />
gehe die Zahl erneut um 2,1 Prozent<br />
zurück, in der Sekundarstufe um 20,2, in<br />
der Sekundarstufe II um 27,2 und in den<br />
beruflichen Schulen um 26,2 Prozent –<br />
eine Menge Luft also, um die Qualität an<br />
diesen Bildungseinrichtungen zu erhöhen.<br />
Eine weitere Ressource: Man könnte nach<br />
Sell die Lehrerausbildung vereinheitlichen<br />
und nicht mehr an Schularten ausrichten.<br />
Damit könnten die Lehrerinnen und Lehrer<br />
flexibler in den Schularten eingesetzt<br />
werden.<br />
Schulzentren für Inklusion<br />
Die UN-Charta bezüglich der Inklusion<br />
nannte Sell „weder Fisch noch Fleisch“.<br />
Er vermutet dahinter die Absicht, die<br />
Förderschulen abzuschaffen. In anderen<br />
Ländern laute das Stichwort „innere<br />
Differenzierung“. Sie gruppiere innerhalb<br />
der Lerngruppen nach Interesse und Leistung,<br />
nach Fordern und Fördern, nach<br />
Lerntyp und Lerntempo. Sie schließe die<br />
Gruppenarbeit, Methodenvielfalt und<br />
auch das praktische sowie das außerschulische<br />
Lernen ein. „Intra-class“ und „Intraschool-grouping“<br />
heiße dieses Verfahren<br />
in der angelsächsischen Schulpädagogik.<br />
Sell: „Das Problem liegt jedoch darin, dass<br />
es in diesen Ländern in entsprechenden<br />
Colleges und Teacher Centers intensiv<br />
studiert, gelehrt und laufend auf seine Effektivität<br />
erforscht wird, während es in der<br />
deutschen Lehrerbildung hingegen nur<br />
ein selten angebotenes Modul sei. „Unsere<br />
Lehrer“, so Sell, „können nur in seltenen<br />
Fällen so viel wie möglich integrieren und<br />
so viel wie notwendig separate Hilfen<br />
anbieten“. Diese Ausbalancierung sei<br />
in Schulzentren möglich, wie vor allem<br />
die skandinavischen Länder und Kanada<br />
zeigten. In diesen Schulzentren verblieben<br />
behinderte Schüler immer dann in ihren<br />
Klassen bzw. Stammgruppen, wenn dort<br />
ihr Lernen angemessen sei, wenn weder<br />
Über- noch Unterforderung ihnen zu<br />
schaffen machten. In den Lernbereichen<br />
aber, in denen gesonderte Hilfestellungen<br />
notwendig seien, besuchten die beeinträchtigten<br />
Kinder „special classes“, die<br />
auch von Sonderpädagogen geleitet<br />
werden und die zusammen die „special<br />
school“ des jeweiligen Schulzentrums ausmachten.<br />
Konkret: Eine körperbehinderte<br />
Schülerin, der z.B. Dyskalkulie zu schaffen<br />
mache, werde diese ihre Rechenschwäche<br />
innerhalb ihrer Klassengruppe durch ein<br />
auf sie hin konzipiertes Curriculum peu à<br />
peu zu beheben haben, den Sport-, Kunstoder<br />
auch Musikunterricht jedoch in<br />
ihrer Spezialklasse absolvieren. In diesen<br />
Ländern handle man eben pragmatisch,<br />
aber im Zweifelsfall immer für das Kind,<br />
meinte Sell.<br />
Steuergerechtigkeit statt Staatsverschuldung<br />
- Studiengebühren<br />
für Wohlhabende<br />
Wo und wie kommen wir an das Geld,<br />
das wir für „Bildungsaufbrüche“ und sonstige<br />
sinnvolle Investitionen brauchen?<br />
Die Steuergerechtigkeit, so Sell, habe in<br />
Deutschland in den vergangenen Jahren<br />
gelitten. Die Steuerbelastung der wirtschaftlich<br />
leistungsfähigeren Steuerzahler<br />
sei gesunken, die der finanziell schlechter<br />
gestellten aber gestiegen. Entsprechend<br />
habe sich der Abstand zwischen Arm und<br />
Reich erhöht. Die Defizite des Steuersystems<br />
zeigten sich besonders deutlich<br />
am Verhältnis der direkten Steuern auf<br />
Einkommen und Vermögen zu den indirekten<br />
Steuern wie der Umsatzsteuer.<br />
Während das Verhältnis des Aufkommens<br />
der direkten Steuern zum Aufkommen<br />
der indirekten Steuern vor einiger Zeit in<br />
Deutschland noch 60 zu 40 betrug, beläuft<br />
es sich mittlerweile nach der Erhöhung<br />
der Umsatzsteuer und der Senkung der<br />
Einkommens- und Körperschaftssteuer<br />
umgekehrt auf 40 zu 60. Sell: „Ein wesentlich<br />
größerer Anteil der Steuereinnahmen<br />
wird also aus Steuern erzielt, welche<br />
die Finanzkraft der Steuerzahler nicht<br />
berücksichtigen.“ Sein Vorschlag: „Der<br />
Spitzensteuersatz wird einheitlich auf 53<br />
Prozent erhöht, und die Spitzenbesteuerung<br />
beginnt ab einem zu versteuernden<br />
Einkommen von 67.000/134.000 Euro<br />
(alleinstehend/verheiratet). Der Eingangssteuersatz<br />
setzt mit 14 Prozent bei<br />
8.500/17.000 ein. Die derzeit geltende<br />
Abschlagssteuer auf Kapitaleinkünfte mit<br />
25 Prozent wird abgeschafft und die Einkunftsart<br />
nach dem allgemeinen Einkommensteuertarif<br />
belastet. Für alle Zins- und<br />
Dividendenzahlungen aus dem In- und<br />
Ausland gibt es Kontrollmitteilungen an<br />
die zuständigen Finanzämter. Das immer<br />
noch geltende Ehegattensplitting, das<br />
Alleinverdienerinnen bzw. Alleinverdiener<br />
innerhalb der Familie im Bereich des Spitzensteuersatzes<br />
bevorteilt, ist nach einer<br />
Einrichtung von Übergangsregeln schließlich<br />
abzuschaffen. Der Körperschaftsteuersatz<br />
für die Kapitalgesellschaften wird<br />
von derzeit 15 auf 30 Prozent erhöht.“<br />
Sell plädierte auch dafür, die derzeitige<br />
Gewerbesteuer als wichtigste autonome<br />
Einnahmequelle der Kommunen<br />
in eine aufkommensstarke und stabile<br />
Gemeindewirtschaftssteuer umzubauen.<br />
Alle erwerbswirtschaftlich Aktiven,<br />
also auch die Freiberuflerinnen und<br />
Freiberufler sowie die Selbstständigen,<br />
die vom kommunalen Leistungsangebot<br />
profitierten, sollten zu den zu besteuernden<br />
Unternehmen zählen. Auch eine<br />
Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie<br />
eine Finanztransaktionssteuer sollte<br />
eingeführt werden. Grundsätzlich, so<br />
der Sozialwissenschaftler, müssten die<br />
Reichen an den Bildungsausgaben stärker<br />
beteiligt werden, „rein bildungspolitisch“<br />
spreche alles für Studiengebühren, denn<br />
heute studierten überwiegend Menschen<br />
aus wohlhabenden Familien.<br />
Text und Foto: Paul Schwarz<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
21
Bildungspolitik<br />
Im Gespräch: Frieder Bechberger-Derscheidt<br />
„Einmal <strong>GEW</strong> – immer <strong>GEW</strong>“<br />
Ein hohes Lob spricht jemand dann aus,<br />
wenn er einem Menschen bescheinigt,<br />
er kenne eine Sache in- und auswendig.<br />
Frieder Bechberger-Derscheidt ist so<br />
einer: pädagogische Ausbildung, Lehrer,<br />
Schulleitung, <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzender<br />
und Abteilungsleiter im Bildungsministerium.<br />
Schule und alles, was sie bewegt,<br />
ärgert, behindert und fördert, kennt<br />
er aus unterschiedlichen Perspektiven,<br />
auch so manches bildungspolitische<br />
Geheimnis, das er natürlich nicht ausplaudert.<br />
Der schulische Aufbruch<br />
in den 70er Jahren<br />
Frieder Bechberger-Derscheidt aus Kaiserslautern<br />
wurde letzten Monat 70 Jahre<br />
und blickt auf ein buntes und erlebnisreiches<br />
Pädagogenleben zurück. Frieder<br />
hat die rheinland-pfälzische Bildungspolitik<br />
der letzten Jahrzehnte beeinflusst und<br />
mitbestimmt wie nur wenige im Land.<br />
Nach dem Studium der Fächer Deutsch<br />
und Geschichte/Sozialkunde an der PH<br />
Kaiserslautern in den 60er Jahren – er<br />
war damals auch ASTA-Vorsitzender –<br />
tritt er seine erste Lehrerstelle an einer<br />
kleinen Mittelpunktschule im Landkreis<br />
Kaiserslautern an. Die katholischen und<br />
evangelischen Volksschulen lösen sich<br />
auf, so genannte Mittelpunktschulen,<br />
Hauptschulen, treten an ihre Stelle. Damals<br />
wurde noch „brutal geschlagen“, wie<br />
sich Frieder erinnert. Sein Schuleiter sei<br />
ein „kleiner Dorffürst“ gewesen, Presbyter,<br />
pietistisch angehaucht und mit einer<br />
Nazi-Vergangenheit als HJ-Führer. „Und<br />
wir 68er“, erinnert sich Frieder, „waren<br />
auf dem Weg, uns von der Pädagogik der<br />
50er Jahre zu verabschieden“. Hartmut<br />
von Hentig hieß einer der pädagogischen<br />
Pfadfinder, innere Differenzierung war<br />
notwendig in großen jahrgangsübergreifenden<br />
Klassen mit bis zu 50 Schülerinnen<br />
und Schülern; die Kleinen lernten von den<br />
Großen. Frieders Motto: mehr Selbstbestimmung<br />
in der Schule, mehr Demokratie<br />
im Kollegium. „Als ich die Schule dort<br />
nach vier Jahren verließ“, erzählt er, „gab<br />
es wenigstens einmal im Monat eine<br />
Lehrerkonferenz, was vorher undenkbar<br />
gewesen ist“.<br />
Es folgt die vielleicht prägendste Zeit für<br />
ihn: Lehrer zu sein an der IGS Kaiserslautern,<br />
an der ersten integrierten Gesamtschule<br />
in Rheinland-Pfalz. Lehrpläne<br />
für diese Schulform gab es noch keine. Sie<br />
mussten entwickelt werden, z.B. das Curriculum<br />
für Gesellschaftslehre, für das sich<br />
Frieder stark engagierte. „Ab 1971 wurde<br />
die IGS inhaltlich und organisatorisch<br />
vorbereitet, ich habe bei der Erstellung<br />
dieses Curriculums mitgearbeitet. Alle, die<br />
in vorbereitenden Fachgruppen mitmachten,<br />
erhielten eine Stunde Entlastung“.<br />
Auch an der IGS Kaiserslautern „regierte“<br />
ein autoritärer Schulleiter, gegen dessen<br />
anfängliche „aggressive Autorität“ er sich<br />
zusammen mit anderen Kolleginnen und<br />
Kollegen nach eigenen Worten ständig<br />
wehren musste, „aber diese Konflikte<br />
haben mich weiter gebracht. Wir wollten<br />
schon damals eine Schule für alle Kinder,<br />
unabhängig von Status und Herkunft der<br />
Eltern.“ 1975 wurde Frieder als Stufenleiter<br />
kommissarisch in die Schulleitung<br />
berufen. Seine Gestaltungsmöglichkeiten<br />
nahmen zu, auch die Chance, diese<br />
Schule nach außen zu vertreten. „Und<br />
das CDU-Ministerium seinerzeit gab uns<br />
viel Freiraum und führte uns nicht am<br />
Gängelband.“<br />
Und dann kam die <strong>GEW</strong>? „Nein, die <strong>GEW</strong><br />
war schon immer da. Seit meiner ersten<br />
Lehrerstelle war ich aktiv auf Kreisebene<br />
tätig, kam viel herum und lernte viele<br />
Schulen kennen. „Wir wollten die <strong>GEW</strong><br />
neu justieren, da ziemlich viele ältere Kollegen<br />
aus der Weimarer- und Nachkriegszeit<br />
in jenen Jahren noch aktiv gewesen<br />
sind und teilweise andere Vorstellungen<br />
von Gewerkschaft hatten als wir.“<br />
Die Zeit als <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />
Nach vier Jahren (1970-1974) als Junglehrervertreter<br />
im Landesvorstand blieb der<br />
Versuch, 1974 als „Referatsleiter Bildungspolitik“<br />
in den Landesvorstand gewählt<br />
zu werden, erfolglos. Erst 1980 wurde<br />
Frieder Bechberger-Derscheidt wieder<br />
Mitglied im Landesvorstand und drei<br />
Jahre später auf dem Gewerkschaftstag<br />
in Koblenz im ersten Wahlgang mit knapper<br />
Mehrheit zum Landesvorsitzenden<br />
gewählt. Die Wiederwahl 1986 brachte<br />
ihm kaum noch Gegenstimmen ein, und<br />
1989, bei der dritten Wahl zum Landesvorsitzenden,<br />
wurde er mit einem fast<br />
100-Prozent-Ergebnis für seine bisherige<br />
Arbeit belohnt.<br />
Worauf ist Frieder stolz, wenn er auf seine<br />
<strong>GEW</strong>-Zeit zurückblickt? Zum Beispiel auf<br />
den grundsätzlichen Demokratieprozess<br />
in der <strong>GEW</strong>, zu dem auch der Kampf gegen<br />
die Berufsverbote gehörte, ein Einsatz für<br />
KollegInnen, die dem Kommunismus nahe<br />
standen. „Wir vertreten <strong>GEW</strong>-Mitglieder“,<br />
so sein Bekenntnis, „deren freie Meinung<br />
wir schützen, auch wenn sie nicht mit<br />
unserer übereinstimmt“. Auch die Zusammenführung<br />
der Partikularinteressen<br />
der einzelnen Fachgruppen sei seinerzeit<br />
gut gelungen. Gern erinnert er sich auch<br />
noch an die Reduzierung des Deputats<br />
für Hauptschullehrer von 28 auf 27 Wochenstunden.<br />
22 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Bildungspolitik<br />
Was nicht so gelungen ist? Den Stellenabbau<br />
zu verhindern, der damals<br />
– auf dem Hintergrund zurückgehender<br />
Schülerzahlen – von der Landesregierung<br />
sehr rigide durchgezogen wurde.<br />
In der Zeit von Kultusminister Georg<br />
Gölter (1979-91) seien 3.000 Planstellen<br />
abgebaut worden, die Ursache für die<br />
jahrelange Lehrerarbeitslosigkeit. Leider<br />
habe er es als Landesvorsitzender nicht<br />
geschafft, die Dreigliedrigkeit des Schulwesens<br />
aufzuweichen. Die einzelnen<br />
Integrierten Gesamtschulen seien Inseln<br />
im Land geblieben, „wir hatten nicht die<br />
Durchschlagskraft, die Position der CDU<br />
aufzubrechen“.<br />
Die Zeit im Bildungsministerium<br />
1991, als die SPD die Regierung in Mainz<br />
übernahm, rief Rose Götte, die neue<br />
Bildungsministerin, Frieder Bechberger-<br />
Derscheidt und übergab ihm die Leitung<br />
des Ministerbüros. Bedeutete dieser<br />
Schritt ins Ministerium einen Bruch oder<br />
eine weitere Kontinuität der gewerkschaftlichen<br />
Arbeit? „Leider ist damals der<br />
fertig ausgehandelte Koalitionsvertrag mit<br />
den Grünen nicht zustande gekommen.<br />
Scharping und die SPD entschieden sich<br />
für die FDP. Deshalb überlegte ich doch<br />
eine gewisse Zeit, ob ich das machen solle<br />
oder nicht. Letztendlich glaubte ich aber<br />
an die Chance für mich, die Gesamtschule<br />
und andere überfällige Reformen nach<br />
vorne zu bringen. Die Regionale Schule<br />
war leider kein überzeugendes Modell,<br />
eine Art Realschule plus light, denn sie<br />
stellte das bestehende Schulsystem ja<br />
nicht in Frage“.<br />
Nach der Leitung des Ministerbüros<br />
wurde Frieder 1992 Leiter der Abteilung<br />
4 B, zuständig für alle Schularten, außer<br />
Gymnasien und Berufsbildende Schulen,<br />
und für Schulentwicklung. 12 Jahre vertrat<br />
er Rheinland-Pfalz im Schulausschuss der<br />
KMK.<br />
Frieder brachte zwar in seiner Zeit die<br />
Gesamtschulen voran, aber nicht in jener<br />
Zahl, die er sich vorgestellt hatte, nämlich<br />
flächendeckend. „Wir haben auch<br />
versucht, die Grundschule inhaltlich zu<br />
öffnen, den gemeinsamen Unterricht<br />
einzuführen und so die spätere Schwerpunktschule<br />
vorzubereiten und sie 2001<br />
zur Regelschule zu machen.<br />
„Es gab“, so unterbreche ich Frieder, „seinerzeit<br />
ja den Hamburger SPD-Beschluss<br />
einer Schule für alle Kinder und für längeres<br />
gemeinsames Lernen. Doch fast<br />
zeitgleich wurde die Realschule plus in<br />
Mainz aus der Taufe gehoben. Wie erklärt<br />
sich so etwas?“ Diese Realschule plus, sagt<br />
Frieder, habe er nicht mitzuverantworten,<br />
da er 2005 das Ministerium verlassen<br />
habe. „Wenn ich geblieben wäre, was bis<br />
2008 möglich gewesen wäre, hätte ich<br />
mich gegen diese Entwicklung zur Wehr<br />
gesetzt“. Es gebe keinen sachlichen Grund<br />
für die Realschule plus. Dagegen stünden<br />
für die Entwicklung eines längeren gemeinsam<br />
Lernens sehr viele empirische<br />
Absicherungen und international gute<br />
Erfahrungen, „so dass sich mir diese Realschule<br />
plus auch nicht erschließt. Das<br />
war Handlung wider besseres Wissen. Die<br />
rheinland-pfälzische Bildungspolitik war<br />
leider bei den angepackten Reformen nie<br />
entschieden genug“.<br />
Was läuft in einem Ministerium anders,<br />
wie ticken Ministerialbeamte?<br />
Frieder: „Ich war kein in der Wolle gewaschener<br />
Ministerialer, da ich ja von der<br />
Seite eingestiegen bin. Ich habe mich<br />
selten unfrei gefühlt und habe meine<br />
Meinung nie an der Pforte morgens abgegeben,<br />
aber es gab, als ich anfing im<br />
Ministerium, relativ wenig Kommunikation,<br />
die Struktur war sehr hierarchisch, es<br />
fehlten z.B. Leitungskonferenzen“.<br />
Das habe Rose Götte dann verändert.<br />
„ Am Montagmorgen habe ich regelmäßig<br />
Abteilungsbesprechungen durchgeführt,<br />
Papiere wurden als Vorlage für die Ministerin<br />
diskutiert. Sie hat in Leitungskonferenzen<br />
stets über Kabinettssitzungen<br />
berichtet, also da hat sich dann was getan,<br />
die Kommunikation war gut“.<br />
Wer brachte denn Realschule plus auf<br />
den Weg? Frieder gibt sich zurückhaltend.<br />
„Kann ich nicht genau sagen. Diese Schulreform<br />
war ja auch nicht Bestandteil der<br />
Regierungserklärung 2006. Doris Ahnen<br />
wollte wohl viel Integration in den Schulen<br />
wagen, nachdem die Regionale Schule<br />
und insbesondere die Hauptschule mehr<br />
oder weniger gescheitert waren, ebenso<br />
wie die Duale Oberschule, aber die Halbherzigkeit<br />
hat da wohl gesiegt.“<br />
Mehr Mut und weniger Halbherzigkeit<br />
von Doris Ahnen erwartet<br />
Und wie sieht Frieder Bechberger-Derscheidt<br />
heute die schulische Zukunft in<br />
Rheinland-Pfalz? „Ich befürchte, dass sich<br />
da wenig bewegen wird. Es gibt immer<br />
noch zu viel Angst vor einer Schule für<br />
alle, ja sogar vor der die übrigen Schularten<br />
ersetzenden zweiten Säule IGS mit<br />
allen möglichen Abschlüssen neben dem<br />
Gymnasium“. Auch die Behinderten-<br />
Konvention der UN habe nicht zum Paradigmenwechsel<br />
geführt, der eigentlich<br />
in dieser Charta drinstecke. Warum man<br />
beispielsweise an der Förderschule L<br />
festhalte, erschließe sich Fachleuten<br />
nicht so recht. Schwerpunktschulen, wie<br />
z.B. in Eisenberg, zeigten überzeugend,<br />
dass Lernbehinderte in der Regelschule<br />
durchaus ihren Platz haben können. Man<br />
müsse halt politisch klare Position beziehen<br />
und sagen, was man wirklich wolle,<br />
meint Frieder.<br />
Hat sich sein Blick auf die Schule durch die<br />
leitenden Tätigkeiten in der <strong>GEW</strong> und im<br />
Bildungsministerium verändert?<br />
„Mein Blick auf die Schule war und ist immer<br />
geprägt von der hohen Anerkennung<br />
der pädagogischen Arbeit der Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die leider in der Öffentlichkeit<br />
und auch von manchen Politikern nicht<br />
so geschätzt wird, wie sie es verdienten“.<br />
Frieder Bechberger-Derscheidt ist auch<br />
weiterhin in Sachen Schule und deren<br />
Reform unterwegs. Er hat die Initiative<br />
„Eine Schule für alle – länger gemeinsam<br />
lernen“ gegründet und sie bekannt<br />
gemacht. Warum? Das entscheidende<br />
Motiv für diese Initiative, so Frieder, sei<br />
für ihn die Realschule plus gewesen. Hier<br />
habe er sich von Doris Ahnen und der<br />
SPD mehr Mut und weniger Halbherzigkeit<br />
gewünscht, vor allem auch den Blick<br />
ins Ausland. „Wie kann ich es weiterhin<br />
zulassen, obwohl empirisch und entwicklungspsychologisch<br />
alles dagegen spricht,<br />
dass Kinder nach vier Jahren getrennt<br />
werden oder auch, dass Lehrkräfte immer<br />
noch nach Schularten ausgebildet werden,<br />
Grundschullehrkräfte immer noch<br />
weniger wert sind als ihre Kolleginnen uns<br />
Kollegen am Gymnasium.“<br />
Und welche Empfehlungen gibt er der<br />
<strong>GEW</strong>? „Einmal <strong>GEW</strong>, immer <strong>GEW</strong>.“ Frieder<br />
zeigt sich überzeugt und wünscht sich<br />
von seiner „Familie“ ein starkes Durchhaltevermögen,<br />
wenn es um das längere<br />
gemeinsame Lernen und die Schule für<br />
alle geht.<br />
Dass die <strong>GEW</strong> bereit ist, in der tarifpolitischen<br />
Auseinandersetzung auch Beamte<br />
zum Streik aufzurufen, begrüßt er sehr,<br />
zumal eine Tradition aus den 80er Jahren<br />
wieder belebt wird. „Die <strong>GEW</strong> muss konfliktfähig<br />
bleiben.“<br />
Paul Schwarz<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
23
Recht<br />
Rechtsfragen aus dem Schulalltag<br />
Altersermäßigung<br />
Ich habe wegen der schulischen Belastungen<br />
meine Unterrichtsverpflichtung<br />
auf eigene Kosten auf 20/27 abgesenkt.<br />
Ich werde im Mai 63 und habe bei der<br />
letzten <strong>GEW</strong>-Fortbildung im Gespräch<br />
mit einem Kollegen erfahren, dass ich<br />
Anspruch auf Altersermäßigung habe.<br />
Stimmt das?<br />
Sie sind nicht in Altersteilzeit und haben<br />
so mit Beginn des Schuljahres, in dem Sie<br />
das 63. Lebensjahr vollenden, Anspruch<br />
auf drei Lehrer-Wochenstunden Altersermäßigung.<br />
Sie können das nachschlagen<br />
im <strong>GEW</strong>-Lehrerhandbuch Nr. 395 unter §<br />
9 der Lehrkräfte-Arbeitszeitverordnung.<br />
Ich schlage vor, dass Sie der Schulleitung<br />
eine schriftliche Mitteilung zukommen<br />
lassen, dass Sie derzeit drei Unterrichtsstunden<br />
in der Woche mehr unterrichten,<br />
als das der Fall sein müsste. Schlagen<br />
Sie vor, dass diese drei Stunden in ihrer<br />
Personalnebenakte als Verrechnungsstunden<br />
vermerkt werden und diese dann im<br />
kommenden Schuljahr abzubauen sind.<br />
Das heißt, im Schuljahr 2013/14 dürfen<br />
Sie dann nur noch mit 14/27 unterrichtlich<br />
eingesetzt werden. Auf die Besoldung hat<br />
das keinen Einfluss, sie wird weiter gezahlt<br />
auf der Basis von 20/27.<br />
Schwerbehindertenermäßigung<br />
Ich hatte vor meinem Unfall eine Unterrichtsverpflichtung<br />
von 20/25 Unterrichtsstunden.<br />
Ich befinde mich auf dem<br />
Weg der Gesundung und werde nach den<br />
Sommerferien wieder in der Schule arbeiten.<br />
Der Unfall hat auch dazu geführt, dass<br />
ich jetzt schwerbehindert bin mit einem<br />
GdB von 80.<br />
Welche Auswirkungen hat das auf meine<br />
Unterrichtsverpflichtung?<br />
Zuerst sollten Sie über die Schule der ADD<br />
eine Kopie Ihres Schwerbehindertenausweises<br />
zukommen lassen.<br />
Ihre Unterrichtsverpflichtung verringert<br />
sich – das können Sie im <strong>GEW</strong>-Lehrerhandbuch<br />
Nr. 395 unter § 10 nachlesen<br />
– um drei Unterrichtsstunden. Sprechen<br />
Sie mit Ihrem Arzt darüber. Ggf. können<br />
Sie (aufgrund des ärztlichen Gutachtens)<br />
einen Antrag stellen auf Gewährung einer<br />
zusätzlichen Schwerbehindertenermäßigung.<br />
Über diesen Antrag wird dann die<br />
ADD auf der Basis eines amtsärztlichen<br />
Zeugnisses entscheiden.<br />
Auf jeden Fall sollten Sie vor der Erstellung<br />
des Stundenplanes mit ihrer Schulleitung<br />
ein Gespräch über ihre Einsatzplanung<br />
im kommenden Schuljahr führen. Die<br />
Schulleitung ist dazu verpflichtet gemäß<br />
der Integrationsvereinbarung. Zu diesem<br />
Gespräch sollten Sie die Schwerbehindertenvertretung<br />
und/oder die Vertretung<br />
des Örtlichen Personalrates mitnehmen.<br />
Recht auf das eigene Bild, Bild<br />
nur zweckbestimmt<br />
Wir sind ein großes Kollegium, und es<br />
kommen<br />
§<br />
immer mal wieder neue Menschen<br />
dazu. Die Schulleiterin hatte die<br />
Idee, im Lehrerzimmer auf einer großen<br />
Tafel die Passfotos der Kolleginnen und<br />
Kollegen mit angefügtem Namen aufzuhängen.<br />
Alle haben dafür das Passfoto<br />
elektronisch zur Verfügung gestellt.<br />
Auf der Schulhomepage entdeckte ich vor<br />
einiger Zeit, dass die Klassenleitungen,<br />
und so auch ich, dort mit Namen und Foto<br />
aufgelistet sind.<br />
Ist das so in Ordnung?<br />
Ich verstehe Ihre Frage so, dass sie Ihr<br />
Foto auf den ausschließlichen Zweck zur<br />
Anbringung an der großen Tafel im Lehrerzimmer<br />
zur Verfügung gestellt haben. Fordern<br />
Sie die Schulleiterin auf – am besten<br />
schriftlich – ihr Foto umgehend aus der<br />
Homepage zu entfernen und auch aus den<br />
sonstigen schulischen Dateien zu löschen.<br />
Denn Fotos dürfen nur mit ausdrücklicher<br />
(schriftlicher) Zustimmung und nur zweckbestimmt<br />
verwendet werden.<br />
Ruhegehalt<br />
Ich bin beamtete Lehrkraft und werde<br />
demnächst 60. Ich möchte wissen, welche<br />
Pension ich zu erwarten habe, wenn ich<br />
bis zum gesetzlichen Ruhestand weiter<br />
arbeite. Kann mir die <strong>GEW</strong> helfen?<br />
Ja, das lässt sich machen! Ich schicke<br />
ihnen unser diesbezügliches Formblatt.<br />
Tragen sie dort bitte ihre Laufbahndaten –<br />
möglichst taggenau – ein. Senden sie bitte<br />
das ausgefüllte Formblatt hierher zurück<br />
und wir machen dann die Berechnung.<br />
Personalratsschulung<br />
Meine Kollegin und ich sind neu in unserem<br />
3-köpfigen Personalrat. Wir haben<br />
im Personalrat intern beraten und beschlossen,<br />
dass wir uns beide zur Personalräteschulung<br />
der <strong>GEW</strong> – Grundschulung I<br />
anmelden. Der Schulleiter sagte uns, dass<br />
er nur eine Person beurlauben werde. Wir<br />
sollten uns einigen. Ist das rechtens?<br />
Im Landespersonalvertretungsgesetz<br />
(LPersVG) steht in § 41 Absatz 1: „Die<br />
Mitglieder des Personalrates sind unter<br />
Fortzahlung der Dienstbezüge … für die<br />
Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen<br />
vom Dienst freizustellen,<br />
soweit diese Kenntnisse vermitteln, die<br />
sie für die Tätigkeit im Personalrat für<br />
erforderlich halten durften.“<br />
Die Schulung, zu der Sie und Ihre Kollegin<br />
wollen, ist für „Personalratsneulinge“<br />
erforderlich, und das hat der Personalrat<br />
auch so beschlossen. Sie und Ihre Kollegin<br />
sind vom Dienst freizustellen – nicht zu<br />
beurlauben.<br />
Bitte füllen Sie und Ihre Kollegin jeweils<br />
den Antrag auf Freistellung und Kostenübernahme<br />
aus und legen Sie diese dem<br />
Schulleiter vor. Fügen Sie ihm zu seiner<br />
Information auch eine Kopie des § 41<br />
LPersVG bei.<br />
Die Fragen beantwortete Dieter Roß,<br />
Leiter der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutzstelle.<br />
Drohen mit der Presse<br />
bringt Rausschmiss<br />
Droht eine Sekretärin ihrem Arbeitgeber,<br />
ein mit ihm geführtes Personalgespräch,<br />
das sie heimlich mit ihrem Handy aufgenommen<br />
hatte, über die Presse an<br />
die Öffentlichkeit zu bringen, kann sie<br />
fristlos entlassen werden. Das hat das<br />
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
entschieden Aktenzeichen: 5 Sa 687/11<br />
pm<br />
24 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Recht<br />
Deutsch-Pflicht auf dem Pausenhof<br />
Im nordrhein-westfälischen Ahlen gab es<br />
einen heftigen Streit über die so genannte<br />
Deutschpflicht auf dem Pausenhof.<br />
Schüler hatten sich gemobbt gefühlt, weil<br />
über sie in den Pausen in einer fremden<br />
Sprache gelästert wurde. Laut Bericht<br />
der Süddeutschen Zeitung (24. Dezember<br />
2012) hatte daraufhin die Schulleitung ein<br />
Deutsch-Gebot erlassen und bei Verstößen<br />
Strafen angedroht. Nach Protesten<br />
türkischer Eltern dagegen habe sich die<br />
Bezirksregierung eingeschaltet mit der<br />
Weisung, dass ein „generelles Verbot, in<br />
der Muttersprache zu kommunizieren,<br />
„gesetzlich unzulässig“ und „pädagogisch<br />
nicht sinnvoll“ sei. Vielmehr sei es<br />
Aufgabe der Schule, Mehrsprachigkeit zu<br />
fördern, etwa mit Türkisch als Fach, wird<br />
die Bezirksregierung weiter in dem Bericht<br />
zitiert. Auch laut Kultusministerkonferenz<br />
seien nur freiwillige Vereinbarungen an<br />
einzelnen Schulen denkbar.<br />
pm<br />
Männer können nicht Frauenvertreterin werden<br />
Für die Wahl einer Frauenvertreterin<br />
steht Männern weder das aktive noch das<br />
passive Wahlrecht zu. Das hat das Verwaltungsgericht<br />
Berlin in einem Eilverfahren<br />
entschieden.<br />
Der Antragsteller ist Richter an einem<br />
Berliner Amtsgericht. Er beantragte im<br />
November 2012 bei seiner Präsidentin das<br />
aktive und passive Wahlrecht für die be-<br />
Verbalattacke erlaubt<br />
In einem Arbeitskampf sind auch derbe<br />
Äußerungen durchaus erlaubt. Verbalattacken<br />
wie „Bescheißen“ und „Betrügen“<br />
seien von der Meinungsfreiheit gedeckt,<br />
entschied das Landesarbeitsgericht<br />
Düsseldorf. Es habe sich um zugespitzte<br />
Äußerungen gehandelt und nicht um eine<br />
Tatsachenbehauptung im strafrechtlichen<br />
vorstehende Wahl der Frauenvertreterin.<br />
Das Gericht begründete die Ablehnung<br />
damit, dass nach dem Landesgleichstellungsgesetz<br />
§<br />
wahlberechtigt und wählbar<br />
nur weibliche Beschäftigte seien.<br />
Der Antragsteller als Mann gehöre nicht<br />
zu diesem Personenkreis. Auf das Allgemeine<br />
Gleichbehandlungsgesetz könne<br />
sich der Antragsteller ebenso wenig wie<br />
Sinn. In dem verhandelten Fall hatten ArbeitnehmerInnen<br />
im Chor skandiert, die<br />
Arbeitgeberin bescheiße und betrüge sie.<br />
Sie fühlten sich von der Arbeitgeberin<br />
hintergangen, nachdem diese als Mitglied<br />
ohne Tarifbindung in dem für sie zuständigen<br />
Arbeitgeberverband gewechselt<br />
war. Die Gewerkschaft unterstützte den<br />
auf verschiedene EU-Richtlinien gegen<br />
Diskriminierung berufen, weil auch danach<br />
eine unterschiedliche Behandlung<br />
zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten<br />
gerechtfertigt sei. Gegen die<br />
Entscheidung ist Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht<br />
Berlin-Brandenburg<br />
zulässig. (Beschluss vom 7. Dezember<br />
2012 – VG 5 L419)<br />
pm<br />
Protest. Die Arbeitgeberin verlangte<br />
jedoch von der Gewerkschaft im einstweiligen<br />
Verfügungsverfahren derartige<br />
Äußerungen zu unterlassen. Die Richter<br />
sahen dafür keine Veranlassung.<br />
Urteil: Landesarbeitsgericht Düsseldorf,<br />
Az.: 8 SaGa 14/12<br />
pm<br />
Neue KMK-Vereinbarung zur digitalen Vervielfältigung<br />
Die Lehrkräfte an Schulen in Deutschland<br />
dürfen künftig urheberrechtlich<br />
geschützte Inhalte aus Büchern und<br />
Unterrichtswerken auch digital vervielfältigen<br />
und den SchülerInnen im Unterricht<br />
zugänglich machen. Darauf einigten sich<br />
die Kultusministerien der Länder mit<br />
dem Verband Bildungsmedien sowie den<br />
Verwertungsgesellschaften VG WORT, VG<br />
Bild-Kunst und VG Musikedition am 6. Dezember<br />
2012. Künftig dürfen zehn Prozent<br />
eines Druckwerks (maximal 20 Seiten) von<br />
Lehrkräften für die Veranschaulichung<br />
des eigenen Unterrichts eingescannt, auf<br />
Speichermedien wie USB-Sticks abgespeichert<br />
und über Träger wie Whiteboards<br />
den Schüler Innen zugänglich gemacht<br />
werden. Bisher war dies nur analog, also<br />
von Papier auf Papier erlaubt. Die Rege-<br />
lungen im Einzelnen:<br />
- Lehrkräfte können von Printmedien,<br />
auch Unterrichtswerken, die ab 2005<br />
erschienen sind, bis zu zehn Prozent (maximal<br />
20 Seiten) einscannen.<br />
- Lehrkräfte können diese digitalisierten<br />
Materialien ebenfalls für den eigenen<br />
Unterrichtsgebrauch vervielfältigen und<br />
an ihre Schüler weitergeben, auch zur<br />
Vor- und Nachbereitung des Unterrichts.<br />
- Die eingescannten Materialien können<br />
zudem für SchülerInnen ausgedruckt<br />
und auch im Unterricht über PCs, Whiteboards<br />
und/oder Beamer wiedergegeben<br />
werden.<br />
- Die Lehrkräfte können die Scans außerdem<br />
im jeweils erforderlichen Umfang<br />
auch auf ihren Speichermedien ablegen<br />
(PC, Whiteboard, iPad, Laptop). Dies<br />
umfasst auch die Speicherung auf einem<br />
für die individuelle Lehrkraft geschützten<br />
Bereich auf dem Schulserver.<br />
Die bereits 2010 vereinbarten Grundregeln<br />
für das analog Fotokopieren – Gesamtvertrag<br />
zur Einräumung und Verfügung<br />
von Ansprüchen nach §53 UrhG<br />
– bleiben nahezu unverändert bestehen.<br />
Aus praktischen Gründen wurde lediglich<br />
der Bezugswert der „kleinen Werkteile“<br />
ebenfalls auf zehn Prozent eines Werkes<br />
neu festgesetzt.<br />
pm<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
25
<strong>GEW</strong>-Intern<br />
Seminar für neue FunktionsträgerInnen in der <strong>GEW</strong>:<br />
„Für Ziele sorgen“<br />
Für ehrenamtlich in der <strong>GEW</strong> engagierte<br />
Menschen gab es bisher wenig<br />
Angebote, die einer „Ausbildung“<br />
vergleichbar sind, also gezielt auf die<br />
Arbeit in Gremien, Fachgruppen oder<br />
Personalräten vorbereiten. Diese Lücke<br />
wollte die Seminarreihe „Kompetenzprogramm<br />
2012“ schließen, initiiert von Lutz<br />
Zahnhausen, Klaus-Peter Hammer und<br />
Frank Fremgen, geleitet von Ute Sprekelmeyer,<br />
Diplom-Pädagogin, systemische<br />
Beraterin und Management-Coach aus<br />
Frankfurt.<br />
Die Veranstaltungsreihe richtete sich zum<br />
einen an Personen, die bereits Aufgaben<br />
innerhalb der <strong>GEW</strong> übernommen haben<br />
und die ihr größtenteils ehrenamtliches<br />
Engagement weiter systematisieren und<br />
professionalisieren möchten, zum anderen<br />
an <strong>GEW</strong>-Mitglieder, die für sich klären<br />
Einrichtung einer AG Schulsozialarbeit<br />
Der Landesvorstand hat beschlossen, eine<br />
AG Schulsozialarbeit ein zu richten. Damit<br />
soll der Tatsache entsprochen werden,<br />
dass die Zahl der Schulsozialarbeiter/-<br />
innen in der <strong>GEW</strong> RLP steigt. Auch soll<br />
dieser Mitgliedergruppe ein Forum für<br />
ihre Arbeit angeboten werden. Sylvia<br />
Sund und Henning Caspari wurden vom<br />
Geschäftsführenden Vorstand beauftragt,<br />
die Einrichtung der AG zu organisieren.<br />
Interessierte Kolleginnen und Kollegen<br />
aus dem Bereich Schulsozialarbeit, die an<br />
einer Mitarbeit in der AG interessiert sind,<br />
werden gebeten, sich zu melden. Ein reges<br />
Interesse würde uns sehr freuen.<br />
Kontaktadressen:<br />
gew@gew-rlp.de<br />
henning.caspari@gew-rlp.de<br />
sylvia.sund@gew-rlp.de<br />
möchten, ob eine Aufgabe innerhalb der<br />
<strong>GEW</strong> für sie das Richtige sein könnte.<br />
Zielsetzung war, es den Teilnehmern zu<br />
ermöglichen, sich intensiv mit der eigenen<br />
Motivation für ein Engagement in der<br />
<strong>GEW</strong> auseinanderzusetzen und für sich<br />
zu einer Positionsbestimmung innerhalb<br />
des „Systems <strong>GEW</strong>“ zu gelangen. Außerdem<br />
wurden den Gremien-Neulingen<br />
Gesprächsmöglichkeiten mit erfahrenen<br />
<strong>GEW</strong>-Funktionären sowie Gelegenheiten<br />
zur Vernetzung untereinander geboten.<br />
Die fünf Einzelseminare, die zwischen<br />
Mai 2012 und Februar 2013 in Koblenz<br />
und Bingen stattfanden, fokussierten die<br />
Themen „Orientierung und persönliche<br />
Standortbestimmung“, „Führen und Leiten“,<br />
„Kommunikation und Verhandlungsführung“,<br />
„Konfliktmanagement“ und<br />
„Selbstmanagement“. Die Arbeitsweise<br />
im Kompetenzprogramm war prozessorientiert,<br />
das heißt die Teilnehmer waren<br />
an der Themenauswahl und Schwerpunktsetzung<br />
beteiligt und brachten in<br />
großem Umfang Fragestellungen aus der<br />
eigenen Praxis mit ein. Die Kommunikationsformen<br />
waren abwechslungsreich<br />
und den verschiedenen Arbeitsvorhaben<br />
angepasst – von Plenumsgesprächen im<br />
Stuhlkreis über die Arbeit in Kleingruppen,<br />
Input-Referate oder Rollenspiele.<br />
Besonders positiv wurde von den Teilnehmern<br />
die gelungene Kombination aus<br />
Theorie-Input und praktischen Übungen<br />
hervorgehoben. So wurden ganz praktische<br />
Fragestellungen, etwa „Wie gründe<br />
und leite ich eine Kreisfachgruppe?“<br />
oder „Was tut eigentlich genau ein/e<br />
StufenvertreterIn?“ auch immer wieder<br />
an die grundsätzliche Reflexion der eigenen<br />
Wertvorstellungen und des eigenen<br />
Selbstbildes rückgebunden. Besonders<br />
anregend war, dass in diesem Rahmen<br />
auch Raum für durchaus kontroverse<br />
Diskussionen gelassen wurde, etwa über<br />
negative Konnotationen von Begriffen<br />
wie „Führen“ oder „Funktionär“. Das<br />
gemeinsam gewonnene Ideal einer<br />
Führungspersönlichkeit, die sich nicht<br />
als technokratischer oder gar manipulativer<br />
Kommandant versteht, sondern als<br />
Person, die bei sich selbst und anderen<br />
„für Ziele [des gemeinsamen Handelns]<br />
sorgt“, war sicherlich eines der Highlights<br />
dieses sich über mehrere Monate<br />
hinziehenden Dialoges. Ebenfalls sehr<br />
gelungen war die Einbindung langjähriger<br />
erfolgreicher <strong>GEW</strong>-Kader: Bei jedem Einzelseminar<br />
stand auch der Besuch eines/<br />
einer solchen auf dem Programm, etwa<br />
von Klaus-Peter Hammer, Elmar Ihlenfeld,<br />
Theresia Görgen oder Frank Fremgen,<br />
die den Seminarteilnehmern Einblicke<br />
in ihre Tätigkeit boten – zum Teil in der<br />
anregenden Kommunikationsform von<br />
„Kamingesprächen“.<br />
All dies mag dazu beigetragen haben, dass<br />
die Teilnehmer am Ende des letzten Treffens<br />
in Bingen ein überwiegend positives<br />
Fazit zogen und den Wunsch nach einer<br />
Folgeveranstaltung vorbrachten. Kritik gab<br />
es, wenn überhaupt, nur an Marginalien<br />
wie verkochtem Rosenkohl in der Mittagspause,<br />
der in Bingen zum running gag wurde.<br />
Auf jeden Fall ist schon ein Nachtreffen<br />
geplant – der Kontakt untereinander wird<br />
nicht abreißen, was sicherlich im Sinne der<br />
angestrebten Vernetzung ist.<br />
Marcel Sommer<br />
26 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Generation 60+<br />
Die <strong>GEW</strong> gratuliert …<br />
... im Juni 2013<br />
zum 70. Geburtstag<br />
Frau Maria Elisabeth Runkel<br />
67308 Bubenheim<br />
KV Donnersberg<br />
Herrn Wolfgang Morch<br />
55278 Weinolsheim<br />
KV Mainz-Bingen<br />
Herrn Dietmar Wieck<br />
56288 Kastellaun<br />
KV Cochem-Zell<br />
Frau Irmgard Henrich<br />
76706 Dettenheim<br />
KV Südpfalz<br />
Herrn Hans Wilhelm Hartmann<br />
55262 Heidesheim<br />
KV Mainz-Bingen<br />
Frau Susanne Winkler<br />
65558 Oberneisen<br />
KV Rhein-Lahn<br />
Herrn Rainer Neu<br />
76855 Annweiler<br />
KV Südpfalz<br />
zum 75. Geburtstag<br />
Frau Johanna Reichert<br />
54296 Trier<br />
KV Trier<br />
Herrn Karl-Heinz Müller<br />
67433 Neustadt<br />
KV Neustadt<br />
Frau Christa Kiessig<br />
67551 Worms<br />
KV Rhein-Lahn<br />
Herrn Claus Steinkamp<br />
54608 Oberlascheid<br />
KV Bitburg-Prüm<br />
Herrn Peter Lademann<br />
66953 Pirmasens<br />
KV Pirmasens<br />
zum 80. Geburtstag<br />
Herrn Prof. Dr. Friedrich Kron<br />
55131 Mainz<br />
KV Mainz-Bingen<br />
zum 85. Geburtstag<br />
Frau Edith Gehenn<br />
55608 Bergen<br />
KV Birkenfeld<br />
zum 86. Geburtstag<br />
Herrn Herbert Hollinger<br />
66909 Herschweiler-<br />
Pettersheim<br />
KV Kusel<br />
zum 87. Geburtstag<br />
Herrn Siegfried Weisshaar<br />
56626 Andernach<br />
KV Koblenz-Mayen<br />
Frau Erika Haupt<br />
76887 Bad Bergzabern<br />
KV Südpfalz<br />
zum 89. Geburtstag<br />
Herrn Ernst Tuerk<br />
66969 Lemberg<br />
KV Pirmasens<br />
Herrn Ludwig Emrich<br />
67251 Freinsheim<br />
KV Bad Dürkheim<br />
... im Juli 2013<br />
zum 70. Geburtstag<br />
Herrn Günther Gerold<br />
55585 Norheim<br />
KV Bad Kreuznach<br />
Frau Roswitha Glogger<br />
67273 Weisenheim/Berg<br />
KV Ludwigshafen/Speyer<br />
Herrn Fritz Limbacher<br />
76831 Billigheim-Ingenheim<br />
KV Südpfalz<br />
Frau Luise Gaubatz<br />
66955 Pirmasens<br />
KV Pirmasens<br />
zum 93. Geburtstag<br />
Frau Lieselotte Naumer<br />
67435 Neustadt<br />
KV Neustadt<br />
zum 94. Geburtstag<br />
Herrn Martin Jäckel<br />
68259 Mannheim<br />
KV Kaiserslautern<br />
Herrn Hans Hennig<br />
69483 Wald-Michelbach<br />
KV Bad Kreuznach<br />
zum 99. Geburtstag<br />
Herrn Walther Willems<br />
56329 St Goar<br />
KV Rhein-Hunsrück<br />
Frau Gabriele Hoffmann<br />
67304 Eisenberg<br />
KV Donnersberg<br />
Herrn Bernd Schleich<br />
55743 Idar-Oberstein<br />
KV Birkenfeld<br />
Herrn Harald Doll<br />
67470 Mothern<br />
KV Südpfalz<br />
Herrn Bernhard Henritzi<br />
57580 Gebhardshain<br />
KV Altenkirchen<br />
Frau Hannelore Jaenen<br />
54634 Bitburg<br />
KV Bitburg-Prüm<br />
Herrn Rolf Schwiedrzik-<br />
Kreuter<br />
76829 Landau<br />
KV Südpfalz<br />
Herrn Rainer Hummel<br />
56242 Nordhofen<br />
KV Westerwald<br />
Frau Fernanda Silva-Brummel<br />
53227 Bonn<br />
KV Mainz-Bingen<br />
zum 75. Geburtstag<br />
Frau Hildegard Stoeckel<br />
67269 Grünstadt<br />
KV Bad Dürkheim<br />
Frau Irmgard Müller<br />
66440 Blieskastel<br />
KV Zweibrücken<br />
zum 80. Geburtstag<br />
Herrn Hans Erich Henkes<br />
66484 Schmitshausen<br />
KV Zweibrücken<br />
zum 86. Geburtstag<br />
Herrn Georg Hammerstein<br />
66914 Waldmohr<br />
KV Kusel<br />
zum 89. Geburtstag<br />
Frau Hanna Guthmann<br />
65474 Bischofsheim<br />
KV Mainz-Bingen<br />
Hinweis der Redaktion:<br />
Die Änderungen bei den<br />
Geburtstagsgratulationen<br />
wurden aus datenschutzrechtlichen<br />
Gründen eingeführt.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
27
GENERATION 60+<br />
SeniorInnenentagung in Mainz:<br />
„Gut vorbereiten auf den Ruhestand“<br />
Hedda Lungwitz, Vorsitzende des Landesausschusses<br />
für Seniorinnen und<br />
Senioren, leitete im Februar 2013 im Bildungszentrum<br />
Erbacher Hof in Mainz die<br />
Tagung „Perspektive Ruhestand – neue<br />
Themen, neue Chancen“. Als Referenten<br />
hatte sie das Ehepaar Inga Bethke-Brenken<br />
und Dr. Günter Brenken, zwei erfahrene<br />
Paar- und Familientherapeuten und<br />
Autoren des Buches „Aufbruch in den<br />
Ruhestand. Anleitung zum Gestalten und<br />
Genießen“, eingeladen. Ziel der Tagung<br />
war nach Hedda Lungwitz, „dass wir uns<br />
gut auf den Ruhestand vorbereiten“ und<br />
ihn selbstbestimmt gestalten können.<br />
Rund ein Dutzend TeilnehmerInnen aus<br />
dem Kita- und Schulbereich waren gekommen.<br />
Sie zählten 55 Jahre und aufwärts,<br />
arbeiten teilweise noch voll, teilweise in<br />
der aktiven Phase der Altersteilzeit. Einige<br />
haben bereits die passive Phase der<br />
Altersteilzeit erreicht, andere haben sich<br />
schon in den Ruhestand verabschiedet.<br />
Gemeinsam befassten sie sich mit den<br />
Schwierigkeiten des Übergangs vom Arbeitsleben<br />
in die dritte Lebensphase, mit<br />
der Neuorientierung im Ruhestand und<br />
den wichtigen Lebensbereichen älterer<br />
Menschen.<br />
Nach dem Anbieten des Du für alle Teilnehmenden<br />
und der Vorstellungsrunde<br />
ging es in die Gruppenarbeit mit dem<br />
Thema „Zurechtfinden im Ruhestand“.<br />
Hoffnungen, Ängste, Erfahrungen, Fragen,<br />
Probleme wurden geäußert und<br />
festgehalten. Das anschließende Zusammentragen<br />
der Ergebnisse zeigte, dass<br />
die Themen zur Strukturierung der Zeit,<br />
zur Vereinbarkeit von Müßiggang und<br />
Herausforderung, zu Veränderungen<br />
der Sozialkontakte, zu Gesundheit, zu<br />
Möglichkeiten, Versäumtes nachzuholen,<br />
interessieren und für wichtig gehalten<br />
werden.<br />
Im Anschluss an diese Auftaktdiskussion<br />
stellten die beiden Referenten die vier<br />
Schwerpunkte der Aktivitäten im Ruhestand<br />
systematisch in Form eines Aktivitätenquadrats<br />
dar.<br />
„Kontakte pflegen“ bedeutet: auf Menschen<br />
zugehen z.B. durch Telefonate, Verschicken<br />
von Karten, Briefen oder Mails,<br />
Besuche machen oder zu Besuchen einladen.<br />
Die Tätigkeiten in diesem Bereich<br />
helfen, mit Menschen zu kommunizieren,<br />
sich auszutauschen, unter Menschen zu<br />
bleiben und Alleinsein und Einsamkeit<br />
vorzubeugen.<br />
„Mehr wissen wollen“ umfasst die Tätigkeiten,<br />
die der Erhaltung der geistigen<br />
Flexibilität dienen. Dazu gehören das Lesen<br />
von Zeitungen und Büchern, Vorträge<br />
besuchen, das Besuchen von Kursen in<br />
Volkshochschulen, Teilnahme an Bildungsurlauben<br />
usw.<br />
„Genießen und konsumieren“ bezieht sich<br />
auf die Aktivitäten, die die Lust am Leben<br />
fördern und trübe Gedanken vertreiben.<br />
Dazu gehören das Genießen einer köstlichen<br />
Mahlzeit, eines Glases kostbaren<br />
Weins, die Freude an der Natur, an einer<br />
herrlichen Landschaft, der Genuss von<br />
Kunstwerken, von Musik, eines eindrucksvollen<br />
Films.<br />
Das „Tätig sein“ hängt ganz von der einzelnen<br />
Person ab, fördert die Eigeninitiative,<br />
vermittelt Bestätigung und Erfolgserlebnisse.<br />
Tätig sein kann man in Wohnung,<br />
Haus und Garten, bei Kindern und Enkeln,<br />
bei Nachbarn, bei Kranken, in Vereinen<br />
und in Ehrenämtern.<br />
Mit Blick auf die Gesamtheit der Tätigkeiten<br />
unterstrichen beide Referenten vor<br />
allem zwei wesentliche Punkte: Zum einen<br />
betonten sie, dass sich die Tätigkeiten<br />
auf alle vier Bereiche erstrecken sollten.<br />
Inga Bethke-Brenken: „Die Beschäftigung<br />
in diesen vier Bereichen muss in einer<br />
Balance sein.“ Zum andern hoben sie<br />
hervor, dass es für die Seniorinnen und<br />
Senioren sehr wichtig sei, „sich richtig von<br />
der Arbeit zu verabschieden“. Sie rieten zu<br />
einer Bilanz der Erfolge und Misserfolge,<br />
zum Festhalten der Erfolgserlebnisse und<br />
zum Ziehen eines Schlussstrichs unter<br />
die Misserfolge. Günter Brenken erklärte:<br />
„Letztendlich ist es Ziel, einen guten<br />
Schlussstrich ziehen zu können.“<br />
Zu einer Erweiterung des Überblicks über<br />
die unterschiedlichen Handlungsschwerpunkte<br />
und die zugrunde liegenden Lebenskonzepte<br />
älterer Menschen führte<br />
das Referentenpaar nach der Mittagspause<br />
in die von ihnen entwickelte Typologie<br />
für Ruheständler ein. Sie unterschieden<br />
acht Verhaltenstypen:<br />
- den Weitermacher, der im Ruhestand so<br />
weiter lebt und arbeitet wie im Arbeitsleben.<br />
Die Rollen in der Partnerschaft<br />
bleiben unverändert, die Urlaubs- und<br />
Freizeitgewohnheiten ebenso;<br />
- den Suchenden, der neue Kontakte findet<br />
und neue Aktivitäten ausprobiert, der<br />
sich jedoch keine Grenzen setzt, dadurch<br />
keine Ruhe findet und nicht genießen<br />
kann;<br />
- den Helfer, der vielen in Familie und<br />
Nachbarschaft helfen will und Bedürftige<br />
unterstützt; der es aber verpasst, Aktivitäten<br />
für sich selbst zu entwickeln;<br />
- den Zurückgezogenen, der alles ruhig<br />
angehen lässt, der die sozialen Kontakte<br />
einschränkt und viel für sich oder mit<br />
28 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Generation 60+<br />
seiner Partnerin allein lebt; der möglichst<br />
in seinem erprobten Lebensumfeld bleibt,<br />
aber Gefahr läuft in alten Denkformen zu<br />
verharren;<br />
- den Genießer, der die neue freie Zeit<br />
ausgiebig genießt, der gern konsumiert<br />
und reist, gern Veranstaltungen besucht<br />
und mit Gleichgesinnten erzählt; der aber<br />
die Probleme des täglichen Lebens leicht<br />
übersieht;<br />
- den ewig Jungen, der versucht, das Älterwerden<br />
zu verneinen oder weit hinaus zu<br />
schieben, der auf eine junge Erscheinung<br />
bedacht ist und durch körperliche Hochleistungen<br />
zeigen will, was er noch alles<br />
kann;<br />
- den Bedenkenträger, der bei allen Aktivitäten<br />
Bedenken hat und sich sorgt; der<br />
kaum wagt, neue Aktivitäten auszuprobieren,<br />
und dabei verpasst, die Chancen<br />
neuer Tätigkeiten wahrzunehmen.<br />
- den Enttäuschten, der nur auf das sieht,<br />
was nicht klappt, und oft das Gefühl hat,<br />
benachteiligt worden zu sein. Eine positive<br />
Denkweise und realistische Erwartungen<br />
könnten sein Leben erleichtern, gar verändern.<br />
Nach der Darstellung dieser unterschiedlichen<br />
Rentnertypen waren die Meinung<br />
und die Zuordnung der TeilnehmerInnen<br />
gefragt. Sie antworteten auf die Frage:<br />
„Welche Anteile der Typen lebe ich?“ Sie<br />
konnten sich einem Typ zuordnen oder<br />
angeben, zu welchen Typen sie tendieren,<br />
sie konnten erklären, welche Anteile aus<br />
verschiedenen Typen ihnen und ihrem<br />
Lebenskonzept am ehesten entsprechen.<br />
In der lebhaften Diskussion wurde ganz<br />
deutlich, welche Herausforderung der<br />
Eintritt in den Ruhestand für die betreffenden<br />
Personen typübergreifend bedeutet.<br />
Durch den Wegfall der Berufsarbeit<br />
haben die Älteren viel mehr Zeit, sie sind<br />
jetzt selbst der Chef oder die Chefin über<br />
ihre Zeit, sie können selbst über die Einteilung<br />
des Tages, der Woche, des Jahres<br />
entscheiden. Zu der Zeitplanung gaben<br />
die Referenten noch einen guten Hinweis.<br />
Inga Bethke-Brenken unterstrich: „Ich-<br />
Zeiten einzuplanen ist ganz wichtig.“<br />
Das im Alter immer bedeutender werdende<br />
Thema Gesundheit und Wohlergehen<br />
wurde ebenfalls aufgegriffen. Die<br />
Referenten verdeutlichten, dass wir alle<br />
erheblich dazu beitragen müssten, dass<br />
wir gesund und aktiv bleiben könnten;<br />
unsere Vorsorge sollte jedoch nicht allein<br />
der körperlichen Gesundheit gewidmet<br />
sein, sondern auch die Stärkung der<br />
geistigen und seelischen Befindlichkeit<br />
einschließen. Günter Brenken führte an<br />
Hand neuerer wissenschaftlicher Forschungsergebnisse<br />
aus, dass erstens bei<br />
älteren Menschen Nervenzellen nicht<br />
nur absterben, sondern auch neue Gehirnzellen<br />
wachsen können, sofern die<br />
entsprechende Region gefordert und<br />
trainiert werde, und dass zweitens das<br />
Training geistiger Fähigkeiten zu besseren<br />
Erfolgen führt, wenn es durch sportliche<br />
Übungen unterstützt werde. Die Referenten<br />
forderten deshalb zur Erhaltung<br />
der geistigen Beweglichkeit einen „Dreiklang<br />
der Aktivitäten:<br />
- „Übungen zur geistigen Fitness,<br />
- Pflege sozialer Kontakte,<br />
- Erhaltung körperlicher Beweglichkeit“.<br />
Am Ende der Veranstaltung waren sich<br />
alle TeilnehmerInnen einig: Diese Tagung<br />
war ein Gewinn! Zwei Aussagen fassten<br />
die Stimmung zusammen. Friederike:<br />
„Vielen Dank an die <strong>GEW</strong>. Für mich ist<br />
es ein Luxus, dass ich für meine Zukunft<br />
sorgen darf und dass mir die <strong>GEW</strong> das ermöglicht.“<br />
Rita: „Danke, es hat gut getan!“<br />
Text und Foto: Gerlinde Schwarz<br />
Lehrer-Leben (Folge 3):<br />
Der kurze lange Weg von Saarbrücken nach Trier<br />
In bisher zwei Folgen hat unser pensionierter<br />
<strong>GEW</strong>-Kollege Manfred Otto über<br />
seine Jahre als Junglehrer in Ostfriesland<br />
und den dann folgenden Erfahrungen im<br />
Saarland berichtet.<br />
In der dritten und letzten Folge berichtet<br />
er nun von seiner Heimkehr nach<br />
Rheinland-Pfalz an die Mosel.<br />
Der Grund für meine Heimkehr nach<br />
Rheinland-Pfalz war die Krankheit meiner<br />
Mutter. Es musste sich jemand um sie<br />
kümmern. Meine beiden älteren Geschwister<br />
kamen nicht in Frage. Meine Schwester<br />
lebte mit Familie in den USA, mein<br />
Bruder mit Familie in Süddeutschland. Ich,<br />
damals noch unverheiratet und deshalb<br />
flexibel, übernahm die Aufgabe.<br />
Die erste Maßnahme war die Kontaktaufnahme<br />
mit der Bezirksregierung in Trier.<br />
Mein Wunsch war eine Versetzung nach<br />
Trier. Dies wurde auch in Aussicht gestellt.<br />
Als ich jedoch nach einigen Wochen nachfragte,<br />
hatte man sich anders besonnen.<br />
Es war nur noch die Rede von einer neuen<br />
Stelle hinter Wittlich bzw. in der Nähe<br />
von Prüm. Man hatte in der Zwischenzeit<br />
wohl herausgefunden, was ich für ein<br />
gefährlicher linker Vogel sei, Funktionär in<br />
der Gewerkschaft, nicht katholisch, nicht<br />
einmal evangelisch. Prüm oder Wittlich<br />
halfen mir in meiner Situation nicht weiter.<br />
Das Kultusministerium in Saarbrücken erklärte<br />
sich freundlicherweise bereit, wenn<br />
das mit Rheinland-Pfalz nicht klappen<br />
sollte, mich nach Nonnweiler zu versetzen,<br />
was erheblich besser gewesen wäre als<br />
das, was Rheinland-Pfalz anbot. Kampflos<br />
wollte ich aber nicht aufgeben. Ich bemühte<br />
mich um einen Termin beim Kultus-<br />
Ausschuss-Vorsitzenden des Landtages<br />
von Rheinland-Pfalz. Vier Tage später<br />
konnte ich mein Anliegen dem Ausschussvorsitzenden,<br />
von Beruf selbst Lehrer, in<br />
Mainz vortragen. Nach zwei Anrufen war<br />
ich versetzt. Die ganze Prozedur dauerte<br />
10 Minuten. Um mir dann doch noch einen<br />
Tort anzutun, hat man mich an einen<br />
erzkatholischen Ort bei Trier versetzt. Ich<br />
habe dann auch noch beim Schulgottesdienst<br />
mit Schülern und Kollegen für die<br />
„christlich-katholische Ausbildung der<br />
Lehrer“ gebetet. (Das ist kein Witz.) Wir<br />
kamen aber gut miteinander aus – Schüler,<br />
Eltern und Kollegen, einen „Kulturkampf“<br />
hat es nicht gegeben. Die Menschen<br />
waren auch damals etwas weiter und<br />
toleranter als die Institutionen. Nachzutragen<br />
ist noch, dass die Schulbehörde in<br />
Trier darauf bestand, mich noch einmal<br />
zu vereidigen, was den Saarländern nicht<br />
eingefallen war. Ich musste dann auf die<br />
rheinlandpfälzische Verfassung schwören,<br />
die damals noch die Todesstrafe enthielt.<br />
Die Schule, an die man mich versetzte,<br />
wurde ebenfalls bald aufgelöst. Die ersten<br />
vier Klassen blieben aber am Ort. Ich<br />
wanderte mit meiner Klasse an das neu<br />
erbaute Schulzentrum und erlebte nun<br />
einen Betrieb mit über 1000 Schülern,<br />
mit 9. Schuljahren, die bis zu 44 Schüler<br />
hatten, mit Wanderklassen, die dort eine<br />
kurze Bleibe hatten, wo die Klassenrauminhaber<br />
in einem Fachraum waren. Die<br />
gemütlichen Zeiten waren vorbei und die<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
29
Generation 60+ / Tipps + Termine<br />
Schulmeisteridylle Geschichte. Später<br />
lernte ich dann noch die Verhältnisse an<br />
einer „sozialen Brennpunktschule“ kennen.<br />
Das war auch beeindruckend. Den<br />
Schülern ist kein Vorwurf zu machen. Sie<br />
sind ein Produkt der gesellschaftlichen<br />
Zustände. Dafür sind die Erwachsenen,<br />
die Eltern, die Medien und die Politik<br />
verantwortlich.<br />
Wichtiger aber als die Behörden und die<br />
äußeren Umstände waren natürlich die<br />
Kinder in Ostfriesland, in Saarbrücken und<br />
hier an der Mosel. Der gesellschaftliche<br />
Hintergrund war sehr unterschiedlich. Die<br />
Eltern in Ostfriesland, Moorbauern und<br />
hauptsächlich Arbeiter, in Saarbrücken<br />
Angestellte und Arbeiter im Stahlwerk<br />
oder im Bergwerk, an der Mosel Winzer,<br />
Handwerker, Angestellte und Arbeiter.<br />
Ich habe die Kinder schon unterschiedlich<br />
erlebt, aber ich würde mir nicht anmaßen,<br />
wertende Vergleiche anzustellen. Beeindruckt<br />
hat mich das gradlinige Selbstbewusstsein<br />
der Kinder in Ostfriesland. Da<br />
wäre keines auf die Idee gekommen zu<br />
fragen: „Soll ich Ihnen die Tasche tragen?“<br />
In Saarbrücken hat mich die Unvoreingenommenheit<br />
und Toleranz der Kinder<br />
positiv berührt. An der Mosel war es eine<br />
Mischung aus beidem. Ein Vergleich mit<br />
der heutigen Situation würde nur zu dem<br />
trivialen Ergebnis führen: Früher war es<br />
anders, manches sicher besser, angenehmer<br />
und freundlicher, aber manches<br />
auch schlechter. Fontane würde dazu<br />
sagen: „Das ist ein weites Feld.“<br />
Manfred Otto<br />
Demokratie in der Schule<br />
Mit dem neuen Jahrbuch Demokratie-<br />
Pädagogik 2012 ist eine jährlich erscheinende<br />
Publikation gestartet, die das Feld<br />
der Demokratiepädagogik – verstanden<br />
als aufgeklärte und professionell zu handhabende<br />
Herausforderung in den pädagogischen<br />
Institutionen und Berufen – in<br />
seiner ganzen Breite in Blick auf Schule,<br />
Erziehung und Jugendarbeit abbildet.<br />
Dabei steht der Diskurs um Entwicklung,<br />
Begleitung und reformerische Konkretisierung<br />
der Demokratiepädagogik in<br />
Wissenschaft und Praxis im Mittelpunkt.<br />
Die einzelnen Kapitel des 318seitigen<br />
Jahrbuchs „Grundlagen“ (10 Beiträge),<br />
z.B. Ingrid Gogolin: „Lernen, beteiligen,<br />
unterstützen, leiten - Grundlagen demokratischer<br />
Schulentwicklung“ und<br />
„Forum“ (4 Beiträge), z.B. Hermann Veith:<br />
„Demokratie und Demokratiekompetenz<br />
bei Kindern“ und „Praxis“ (3 Beiträge), z.B.<br />
Sonja Student: „Der Klassenrat als Motor<br />
der Entwicklung zur kindergerechten<br />
Schule. Erfahrungen der Grundschule Süd<br />
in Landau“ und „Länder und Regionen<br />
(6 Beiträge), z.B. Hans Berkessel, Josef<br />
Blank: “Demokratie lernen und erleben<br />
in Rheinland-Pfalz“ und „Zivilgesellschaft,<br />
Dokumentation und Rezensionen“ (9<br />
Beiträge und Dokumente,) z.B. „Stärkung<br />
der Demokratieerziehung – Beschluss der<br />
KMK vom 6.3.2009“.<br />
Aus dem Vorwort: „Dass Transparenz,<br />
Öffentlichkeit, Rationalität von Entscheidung<br />
und Beurteilung, Anerkennung statt<br />
Demütigung und Integration statt Ausschluss<br />
Mehrheitserfahrungen in der pädagogischen<br />
Institutionenwelt sind, kann<br />
bis heute nicht ohne weiteres behauptet<br />
werden. Dass aber die Demokratiepädagogik<br />
und eine an ihr ausgerichtete professionell<br />
gehaltvolle Schulentwicklung<br />
ihren Beitrag zur Verwirklichung solcher<br />
Ziele leisten kann, ist indes unbestritten.<br />
Das ‚Jahrbuch Demokratiepädagogik‘ soll<br />
diesen Prozess künftig entscheidend mit<br />
begleiten“.<br />
psw<br />
Wolfgang Beutel, Peter Fauser, Helmolt<br />
Rademacher (Hrsg.), Jahrbuch<br />
Demokratie-Pädagogik 2012 , 318 S.,<br />
Wochenschau-Verlag, 24,80 Euro<br />
„Tag der Realschule plus“ im September 2013<br />
„Die Schulstrukturreform ist abgeschlossen.“<br />
Immer wieder hört man diese<br />
Aussage. Die Realität sieht anders aus! Es<br />
mag richtig sein, dass die äußere Strukturreform<br />
im Moment als fast abgeschlossen<br />
gelten kann. Aber wie sieht es mit der<br />
Umsetzung in den Realschulen plus aus?<br />
Wie weit sind wir bei der inneren Strukturreform<br />
bis jetzt gekommen und was<br />
erwartet uns da noch? Wie wird sich die<br />
Kommunalreform auf die Schulstandorte<br />
auswirken, und was haben wir von der<br />
demographischen Entwicklung zu erwarten?<br />
Jeder Lehrkraft, die dort arbeitet, ist<br />
klar: Da ist noch viel zu tun! Mit folgenden<br />
Themen wird sich deshalb der „Tag der<br />
Realschule plus“ beschäftigen, den die<br />
<strong>GEW</strong> Anfang September dieses Jahres<br />
veranstaltet:<br />
• Demografie und Realschulen plus<br />
• Inklusion an den Realschulen plus<br />
• Innere Schulstrukturreform - Zusammenwachsen<br />
unterschiedlicher Schulkulturen<br />
von Hauptschule und Realschule in<br />
den Realschulen plus<br />
Auf der Homepage der <strong>GEW</strong> Rheinland-<br />
Pfalz und in der <strong>GEW</strong>-Zeitung wird fortlaufend<br />
über die Veranstaltung informiert.<br />
Leitungsteam der<br />
Landesfachgruppe Realschule plus<br />
30 <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013
Tipps + Termine / Kreis + Region<br />
„Koffer gepackt und überlebt“<br />
Der „Arbeitskreis Ludwigshafen setzt<br />
Stolpersteine“ hat nun ein biographisches<br />
Quellenbündel zur Geschichte der<br />
Kindertransporte nach England 1938/39<br />
herausgegeben. Erarbeitet wurden die Erinnerungsmaterialien<br />
von der Geschichtsund<br />
Deutschlehrerin Monika Kleinschnitger.<br />
Aus dem Nachlass von Ursula Michel<br />
stellte sie mit Bildern und Dokumenten<br />
die Unterrichtsmappe „Von Ludwigshafen<br />
nach Liverpool Street Station“ zusammen.<br />
„Herzliche Grüße und Küsse von deinem<br />
Vater. Sei hübsch ordentlich und fromm<br />
bis nach Haus du wieder kommst.”<br />
So rührend schreibt Heinrich Michel an<br />
seine Tochter Ursula. Er wird mit seiner<br />
Frau Gertrud und der jüngeren Tochter Lilli<br />
1942 deportiert, Ursula lebt bereits seit<br />
1939 in England. Ein Wiedersehen gibt es<br />
nicht. Briefe erinnern an die Verzweiflung<br />
und die Hoffnung.<br />
Die Verfolgung von Ursula Michel und<br />
ihrer Familie beginnt in Ludwigshafen am<br />
Rhein, ihre Rettung ist ein Kindertransport,<br />
der in Liverpool Street Station in London<br />
endet: Sie überlebt, ihre Familie wird<br />
ermordet. Ursula Michel und das Schicksal<br />
ihrer Familie stehen so stellvertretend für<br />
die Biographien vieler Opfer der NS-Zeit.<br />
Das Schicksal der Familie Michel, insbesondere<br />
der Weg der älteren Tochter Ursula<br />
Michel, ermöglicht einen sehr direkten<br />
Zugang zu den chronologischen Abläufen<br />
der Zeit des Nationalsozialismus, der<br />
sich leicht mit den Darstellungen in den<br />
Geschichtsbüchern der Sekundarstufen I<br />
und II verknüpfen lässt (bspw. zur Chronologie<br />
der Entrechtung der Juden und zur<br />
Ideologie des Nationalsozialismus) – auch<br />
zur Geschichte des Nationalsozialismus in<br />
einer Region.<br />
Das biographische Informationsmaterial<br />
mit zwölf Tafeln zu einer Ludwigshafener<br />
Familie in der Zeit des Nationalsozialismus<br />
ist vielfältig einsetzbar und kann sowohl<br />
im historisch-politischen als auch im<br />
religiös-philosophischen Kontext verwendet<br />
werden. Ein ausführlicher Begleittext<br />
informiert über die Inhalte zu den vier<br />
Kapiteln „Die Familie Michel – eine Ludwigshafener<br />
Familie“, „Ursula Michel – ein<br />
Platz im Kindertransport“, „England – ein<br />
neues Leben beginnt“ und „Die Michels<br />
– eine Familie wird zerstört“. Mit der beiliegenden<br />
CD können die Tafeln auch per<br />
Beamer zum Einsatz kommen.<br />
Die Unterrichtsmappen sind kostenfrei<br />
und im Klassensatz im Ludwigshafener<br />
Stadtmuseum und im Stadtarchiv erhältlich.<br />
www.erinnerungen-bewahren.de<br />
www.ludwigshafen-setzt-stolpersteine.de<br />
pm<br />
Kreis + Region<br />
Kreis Rhein-Lahn<br />
Aktiv für Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
Belastungen am Arbeitsplatz Schule gibt es in vielfältiger Form.<br />
Aber der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist in den rheinlandpfälzischen<br />
Schulen noch nicht angekommen. Wohl gilt das<br />
Arbeitsschutzgesetz schon seit 1996, aber mit der Umsetzung<br />
im Schulbereich hapert es noch immer.<br />
Im Rahmen der <strong>GEW</strong>-Fortbildung in Nassau/Lahn wurden die<br />
TeilnehmerInnen mit den wichtigsten Festlegungen des Arbeitsschutzgesetzes<br />
vertraut gemacht. Das Institut für Lehrergesundheit<br />
(IfL), 2011 gegründet, ist für die arbeitsmedizinische<br />
Betreuung der Landesbeschäftigten im Schulbereich zuständig.<br />
Der Referent Dieter Roß machte auf den IfL-Flyer und die<br />
Möglichkeit aufmerksam, sich als Lehrkraft oder Pädagogische<br />
Fachkraft dorthin zu wenden, um Belastungen, die ihm/ihr bei<br />
der Schularbeit das Leben schwer machen, den dortigen ArbeitsmedizinerInnen<br />
darzulegen und Hilfe zu erhalten.<br />
Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element des Arbeitsund<br />
Gesundheitsschutzes. Hier gilt es initiativ zu werden, damit<br />
diese gesetzliche Aufgabe erfüllt wird. Der Handlungsleitfaden<br />
des IfL wurde durchgesprochen, aufgezeigt, wie die Grobanalyse<br />
zum psychosozialen Bereich online durchgeführt wird, und wie<br />
mit Hilfe der Selbstcheck-Listen die Grobanalyse im Bereich der<br />
Arbeitssicherheit erfolgt.<br />
Der Referent erinnerte daran, dass der Örtliche Personalrat nicht<br />
warten muss, sondern selbst initiativ werden kann. Er ermunterte<br />
die TeilnehmerInnen engagiert - aber mit langem Atem - das<br />
sehr wichtige Thema im Kollegium zu etablieren und sagte die<br />
Unterstützung der <strong>GEW</strong> zu.<br />
pm<br />
Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz<br />
(121. Jahrgang)<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />
Mainz, Tel.: 0 6131 28988-0, Fax: 0 6131 28988-80, www.gew-rlp.de, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />
Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz, Dr. Gerlinde Schwarz, Antje Fries, Karin<br />
Helfrich<br />
Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />
Fax: 0621 564995, E-mail: guenter.helfrich@gew-rlp.de<br />
Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />
a.d.W., Tel.: 06321 80377; Fax: 0 6321 86217; E-mail: vpp.nw@t-online.de<br />
Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />
nicht in jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich Euro 18,-- incl. Porto<br />
+ MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres.<br />
Im anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />
Anzeigenpreisliste Nr. 15 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013<br />
31
Zeitgeist<br />
PCT_03<br />
Als die Welt noch in Ordnung war<br />
Wir saßen in der Kirche getrennt: rechts<br />
die Mädchen, links die Jungen. Im Konfirmandenunterricht<br />
erzählte der Pfarrer den<br />
Mädchen, in ihnen schlummere eine Knospe,<br />
die auf keinen Fall vor der Ehe zerstört werden<br />
dürfe. An der Drogerie stand: „Camelia<br />
gibt allen Frauen Sicherheit und Selbstvertrauen“.<br />
Aber niemand erklärte einem, wer<br />
Camelia ist. Meine Mutter und ich trugen<br />
draußen Kopftücher. Als ich 12 war, wurden<br />
meine Zöpfe abgeschnitten. Nein, das war<br />
nicht 1914, das war in den sechziger Jahren.<br />
An meinem grundständigen Gymnasium<br />
hatten die Mädchen zwei Wochenstunden<br />
Handarbeit. Wir lernten häkeln, stricken,<br />
sticken, weben und stopfen (In meinem<br />
Fall vergebliche Liebesmüh. Mehr als einen<br />
einsamen Socken habe ich nie produziert.<br />
Abgerissene Knöpfe trage ich zum Änderungsschneider).<br />
Die Jungen hatten in der<br />
Zeit frei oder Werken. Keine Ahnung, was<br />
sie da gemacht haben, aber es schien auf<br />
jeden Fall spannender. Die Jungen durften<br />
in eine riesige Turnhalle mit allen möglichen<br />
Sportgeräten. Wir Mädchen schwangen in<br />
einer kleinen Gymnastikhalle Keulen, Bänder<br />
und Seile. Unsere Lehrerin entstammte mit<br />
Sicherheit noch der „Kraft durch Freude“-<br />
Bewegung. Zwei ruppige Mitschülerinnen<br />
gaben sich männliche Vornamen und<br />
widmeten sich bis zur Pubertät dem Gladiatoren-<br />
und Indianerspiel. Mädchensein<br />
war doof, auch wenn es niemand so offen<br />
aussprach. Fräulein von Kampen, unsere<br />
Mathe- und Physiklehrerin (eine sehr ungewöhnliche<br />
weibliche Fächerkombination für<br />
diese Zeit!), bedauerte uns Mädchen, als in<br />
der 8. Klasse der Physikunterricht begann.<br />
Für die Jungen ein tolles Schulfach, betonte<br />
Fräulein von Kampen. Die Mädchen waren<br />
anscheinend zu blöd für Physik. An unserem<br />
Gymnasium unterrichteten viele Männer<br />
in dunklen Anzügen. Es gab aber auch vier<br />
Lehrerinnen: eine Frau und drei Fräuleins.<br />
„Beachten Sie das Spiel Ihrer Hände! In Ihrem<br />
Unterricht sitzen schließlich auch junge<br />
Männer!“, wurde eine Referendarin anno<br />
1967 belehrt.<br />
Mädchen durften an der Schule nur im Winter<br />
Hosen tragen: Helanca-Beinkleider, die<br />
mit einem Gummizug um den Fuß herum endeten.<br />
In der 13. Klasse wetteten die Lehrer,<br />
welches Mädchen zuerst heiraten würde.<br />
Das war nicht als Kompliment gemeint.<br />
Nach dem Abitur verkündete ich der Sippe<br />
stolz meine Berufspläne. Ich wollte jetzt<br />
nicht mehr Rollschuhkunstläuferin werden,<br />
sondern Journalistin. „Na, warte mal ab, bis<br />
du heiratest und Kinder kriegst“, sagten zwei<br />
angeheiratete Tanten gehässig. Ständig wies<br />
jemand auf Grenzen und Einschränkungen<br />
hin. Träumte ich von einer gleichberechtigten<br />
Welt, beendete mein 17jähriger<br />
Freund die Diskussionen genüsslich mit:<br />
„Und wenn eine Männerarmee auf eine<br />
Frauenarmee stößt –was meinst du, was<br />
dann passiert?“ Oder er fragte höhnisch, ob<br />
etwa die Männer die Kinder kriegen sollten.<br />
Ich hätte nichts dagegen gehabt.<br />
Der Ehemann war der Vormund der Frau.<br />
Er bestimmte Nachnamen und Wohnsitz.<br />
Er konnte es seiner Frau verbieten, einer<br />
Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auf dem Papier<br />
gab es noch den Kuppeleiparagraphen<br />
und das „Kranzgeld“, wenn der „Verlobte“<br />
das Eheversprechen nicht hielt, vorher aber<br />
schon an der Knospe dran war. In der Schule<br />
machten die Jungen seltsame Andeutungen<br />
über warme Brüder und den Paragraphen<br />
175. Die Mädchen handelten Geheimtipps,<br />
welche Ärzte die Pille verschrieben und im<br />
Notfall halfen. Abtreibung war verboten.<br />
Frau brauchte viel Geld und ein Codewort<br />
für den Geheimtipparzt. Es gab kaum Frauenärztinnen.<br />
Meine Freundin wurde später<br />
gegen erbitterte Widerstände Gynäkologin.<br />
Damals war man der Meinung, eine Frau<br />
könne im OP nicht durchhalten.<br />
Emanzen waren hässliche Frauen, von denen<br />
sowieso kein Mann was wollte. Solche<br />
Feststellungen trafen gern Männer, die<br />
keine Spiegel besaßen, aber ein ungetrübtes<br />
Selbstbewusstsein. Darum beneidete ich sie!<br />
Um das andere, das Freud den Frauen als<br />
ewig nagenden Neidfaktor unterstellte, eigentlich<br />
nicht – die Jungen in unserer Klasse<br />
hatten doch ständig Angst, beim Schwimmen<br />
(Riesenfische im trüben Gewässer) oder<br />
an mörderischen Sportgeräten (Pferd) ihre<br />
Männlichkeit zu verlieren…Ich weiß nicht,<br />
wie ich jetzt darauf komme, aber damals<br />
beschimpfte ein Mercedesfahrer meine<br />
Freundin auf ihrem Motorroller mit: „Ej,<br />
pass doch auf, du schwanzloses Gehoppse!“<br />
Was war wohl segensreicher für die Emanzipation?<br />
Die Pille? Die Feinstrumpfhose? Die<br />
Waschmaschine? Das Frauen-Skispringen?<br />
Oder dass sechs Mädchen aus unserer Abiturklasse<br />
Lehrerinnen wurden? Kein einziger<br />
Knabe unserer Klasse strebte in diesen<br />
achtbaren Beruf. Und nun jammern einzelne<br />
Kollegen, dass es keine Männerbeauftragten<br />
gibt und dass die vierköpfige Schulleitung<br />
völlig schwanzlos ist. „Männerforscher“ wie<br />
der Schweizer Walther Hollstein beklagen<br />
die weibliche Übermacht in Erziehung und<br />
Bildung. Jungen würden in engen „Frauenkäfigen“<br />
gehalten, müssten Bienchen und<br />
Schmetterlinge malen und Schleiertänze<br />
aufführen. Ihre Hilferufe verhallen ungehört<br />
– solange, bis einzelne gegen die weibliche<br />
Tyrannei Amok laufen*). Leider vergisst der<br />
Autor, eine Männerquote für Säuglingsstationen,<br />
Kindergärten und Schulen zu fordern.<br />
Gabriele Frydrych<br />
*) Artikel im Tagesspiegel vom 17.12.12:<br />
„Tickende Zeitbomben. Warum junge<br />
Männer Amok laufen“<br />
32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 - 6 / 2013