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Erotik - Literaturwissenschaft-online

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‚<strong>Erotik</strong>‘ und ‚Person‘ in<br />

Literatur und Film der<br />

Frühen Moderne<br />

(ca. 1890 – 1930)<br />

18.12.2008<br />

Die Idealisierung der<br />

Weiblichkeit in Frank<br />

Wedekinds „Lulu“,<br />

„Erdgeist“, „Die Büchse<br />

der Pandora“<br />

Jan-Oliver Decker<br />

Alastair Illustration zum<br />

Erdgeist (1920)


Adaptionen<br />

Film<br />

Lulu<br />

Erdgeist<br />

Die Büchse der Pandora<br />

Lulu<br />

Lulu<br />

D 1917, Alexander von Antalffy, mit Erna Morena<br />

D 1922, Leopold Jessner, mit Asta Nielsen<br />

D 1928, Georg Wilhelm Pabst, mit Louise Brooks<br />

BRD 1962, Rolf Thiele, mit Nadja Tiller<br />

USA 1978, Ronald Chase, mit Elisa Leonelli<br />

Oper<br />

Lulu Alban Berg, UA: 24 Februar 1979


Langemeyer, Peter: Frank Wedekind:<br />

Lulu. Erläuterungen und Dokumente. (=<br />

RUB 16046). Stuttgart: Reclam 2005.


Frank Wedekind<br />

1892 Aufnahme der Lulu<br />

1894 Urfassung Monstretragödie<br />

1895 Erdgeist (1., 2., 4. Akt MT)<br />

25.2.1898 UA Erdgeist


Edouard Manet, Emile Zola, 1877 Edouard Manet, Nana, 1879<br />

Emile Zola, Nana, 1879/80


Frank Wedekind<br />

1892 Aufnahme der Lulu<br />

1894 Urfassung Monstretragödie<br />

1895 Erdgeist (1., 2., 4. Akt MT)<br />

25.2.1898 UA Erdgeist


Frank Wedekind<br />

1892 Aufnahme der Lulu<br />

1894 Urfassung Monstretragödie<br />

1895 Erdgeist (1., 2., 4. Akt MT)<br />

25.2.1898 UA Erdgeist<br />

1901 Prolog z. Erdgeist<br />

1902 Die Büchse der Pandora (2.,3.<br />

Akt MT)<br />

1903 zweite Auflage Erdgeist<br />

1903 Die Büchse der Pandora (Buch)<br />

1.2.1904 UA Die Büchse der Pandora<br />

29.3.1904 München<br />

29.5.1905 Wien<br />

Prozesse


1905 Prozesse<br />

1906 Die Büchse der Pandora,<br />

3. Aufl., Vorrede<br />

1910 Prolog in der Buchhandlung<br />

1911 Die Büchse der Pandora,<br />

7. Aufl., Prolog i. d. BH.<br />

1913 3. Bd. Gesammelte Werke<br />

Erdgeist. Tragödie in 4 Aufzügen.<br />

Die Büchse der Pandora. Tragödie in<br />

3 Aufzügen mit einem Prolog<br />

Lulu


Erdgeist<br />

Die Büchse der Pandora<br />

Beziehung zu Dr. Schön<br />

Beziehung zu Dr. Schöns<br />

Sohn Alwa<br />

4. Akt: Ehefrau Dr. Schön<br />

1. Akt:<br />

Ehefrau Dr. Goll<br />

3. Akt: Tänzerin<br />

2. Akt:<br />

Ehefrau Schwarz<br />

Lulus sozialer<br />

Aufstieg<br />

1. Akt:<br />

Gefängnis/Flucht/Artistin<br />

Lulus<br />

sozialer<br />

Abstieg<br />

2. Akt:<br />

Betreiberin illegaler Spielhölle<br />

in Paris<br />

3. Akt:<br />

Straßendirne,<br />

Ermordung durch<br />

Jack the Ripper


Tilly Newes-Wedekind als Lulu,<br />

Frank Wedekind als Dr. Schön


Erdgeist<br />

Die Büchse der Pandora<br />

Beziehung zu Dr. Schön<br />

Beziehung zu Dr. Schöns<br />

Sohn Alwa<br />

4. Akt: Ehefrau Dr. Schön<br />

1. Akt:<br />

Ehefrau Dr. Goll<br />

3. Akt: Tänzerin<br />

2. Akt:<br />

Ehefrau Schwarz<br />

Lulus sozialer<br />

Aufstieg<br />

1. Akt:<br />

Gefängnis/Flucht/Artistin<br />

Lulus<br />

sozialer<br />

Abstieg<br />

2. Akt:<br />

Betreiberin illegaler Spielhölle<br />

in Paris<br />

3. Akt:<br />

Straßendirne,<br />

Ermordung durch<br />

Jack the Ripper


Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,<br />

Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt<br />

Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,<br />

Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt; […]<br />

Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren!<br />

Ein eisig kalter Herrscherblick –<br />

Die Bestie beugt entartet das Genick<br />

Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren.<br />

(7, 15–24)<br />

„Das w a h r e Tier, das w i l d e, s c h ö n e Tier,<br />

Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir.“<br />

(8, 16f.)


Kunstwerk = Natur – x<br />

Ich frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu<br />

Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in<br />

einem modernen Drama eignen würde.<br />

(110, 31–33)<br />

Das ist der Fluch, der auf unserer jungen Literatur lastet,<br />

daß wir viel zu literarisch sind. Wir kennen keine anderen<br />

Fragen und Probleme als solche, die unter Schriftstellern<br />

und Gelehrten auftauchen. Unser Gesichtskreis reicht über<br />

die Grenzen unserer Zunftinteressen nicht hinaus. Um<br />

wieder auf die Fährte einer großen gewaltigen Kunst zu<br />

gelangen, müßten wir uns möglichst viel unter Menschen<br />

bewegen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben,<br />

denen die einfachsten animalischen Instinkte bei ihren<br />

Handlungen maßgebend sind.<br />

(111, 21–31)


Ich suchte mit klarstem Zielbewusstsein den Verkehr mit<br />

Menschen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben. Ich<br />

klammerte mich mit aller Selbstverleugnung und Begeisterung an<br />

diese Elemente, um zu den höchsten Höhen dichterischen Ruhms<br />

emporgetragen zu werden. Die Rechnung war falsch. Ich bin der<br />

Märtyrer meines Berufes. Seit dem Tode meines Vaters habe ich<br />

nicht einen einzigen Vers mehr geschrieben.<br />

(170, 27–34)


„Die U r g e s t a l t des Weibes“<br />

(9, 22)<br />

Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,<br />

Zu locken, zu verführen, zu vergiften –<br />

Zu morden, ohne daß es einer spürt.<br />

(9, 13–15)


Simone de Beauvoir<br />

(1908–1986)<br />

„On ne naît pas femme,<br />

on le devient“.<br />

Le Deuxième Sexe (1949)


SCHWARZ (für sich). Vollkommen verwildert!<br />

(Schwarz links, Lulu rechts, sehen einander misstrauisch an.)<br />

SCHWARZ (geht auf sie zu, ergreift ihre Hand). Sieh mir ins Auge!<br />

LULU (ängstlich). Was wollen Sie…<br />

SCHWARZ (führt sie zur Ottomane, nötigt sie, neben ihm Platz zu<br />

nehmen). Sieh mir in die Augen!<br />

LULU Ich sehe mich als Pierrot darin.<br />

(29, 25–31)


Er sieht nichts. Er sieht mich nicht und sich nicht. Er ist blind, blind, blind…[…] Ich<br />

verkomme. Ich vernachlässige mich. Er kennt mich gar nicht. Was bin ich ihm. Er<br />

nennt mich Schätzchen und kleines Teufelchen. Er würde jeder Klavierlehrerin das<br />

gleiche sagen. Er erhebt keine Pretensionen [= Ansprüche]. Alles ist ihm recht.<br />

(41, 23–30)<br />

Er kennt mich nicht, aber er liebt mich.<br />

(43, 11)


ALWA (allein). Über die ließe sich wahrlich ein interessantes Stück<br />

schreiben. (setzt sich links, nimmt sein Notizbuch vor und notiert.<br />

Aufblickend.) Erster Akt: Dr. Goll. Schon faul! Ich kann den Dr. Goll aus<br />

dem Fegefeuer zitieren, oder wo er seine Orgien büßt, man wird m i c h für<br />

seine Sünden verantwortlich machen. – (Langanhaltendes, stark<br />

gedämpftes Klatschen und Bravorufen wird von außen hörbar.) – Das tobt<br />

wie in der Menagerie, wenn das Futter vor dem Käfig erscheint. – Zweiter<br />

Akt: Walter Schwarz. Noch unmöglicher! Wie die Seelen die letzte Hülle<br />

abstreifen im Licht solcher Blitzschläge! – Dritter Akt? – Sollte es wirklich<br />

so weitergehen?! –<br />

(Die Garderobiere öffnet von außen und läßt Escerny eintreten.)<br />

(111, 31ff.)


Narrative Metalepse<br />

Nur in fiktionaler Rede möglicher „narrativer Kurzschluss“, bei dem<br />

infolge einer Rahmenüberschreitung die Grenze zwischen extra- und<br />

intradiegetischer Position aufgehoben wird. Zum Beispiel: Die Figuren<br />

eines Romans sprechen über ihren Autor oder die Leser eines Romans<br />

werden zu dessen Protagonisten.


Wüßten Sie, wie Ihre Wut mich glücklich macht! Wie stolz ich darauf bin,<br />

daß Sie mich mit allen Mitteln demütigen! Sie erniedrigen mich so tief – so<br />

tief, wie man ein Weib erniedrigen kann, weil Sie hoffen, Sie könnten sich<br />

dann eher über mich hinwegsetzen. Aber Sie haben sich selber weh getan<br />

durch alles, was Sie mir sagten. Ich sehe es Ihnen an. Sie sind schon<br />

beinahe am Ende Ihrer Fassung.<br />

(71, 3–10)<br />

Ja! Ja! Was muß ich sagen, damit Sie es tun?<br />

(72, 16)<br />

Schlagen Sie mich! Wo haben Sie Ihre Reitpeitsche! Schlagen Sie mich an<br />

die Beine…<br />

(72, 24f.)<br />

Ich schreibe Ihnen an der Seite der Frau, die mich beherrscht.<br />

(74, 2f.)


Tilly Newes-Wedekind als Lulu,<br />

Frank Wedekind als Dr. Schön


Was ich von meinem Leben in Dich hineingelebt, soll ich wilden Tieren<br />

vorgeworfen sehen?<br />

(90, 5f.)


Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man<br />

mich genommen hat, und man hat mich nie in der Welt für etwas<br />

anderes genommen, als was ich bin.<br />

(90, 27–30)<br />

Du hattest Deine besten Freunde mit mir betrogen, du konntest nicht<br />

gut auch noch dich selber mit mir betrügen.<br />

(90, 22ff.)


Bedeutungsoffenheit der Person Lulu<br />

Signifikate: Rolle 1 Rolle 2 ...<br />

kein Bezug !<br />

Signifikanten: Nellie Eva ...<br />

Referent:<br />

konkrete Person Lulu


Du bist im Leib deiner Mutter nicht fertig geworden, weder als<br />

Weib noch als Mann. Du bist kein Menschenkind wie wir<br />

andern. Für einen Mann war der Stoff nicht ausreichend und<br />

zum Weibe hast Du zuviel Hirn in den Schädel bekommen.<br />

Deshalb bist Du verrückt!<br />

(142, 1–5)


Die Menschen kennen sich nicht – sie wissen nicht, wie sie sind. Nur wer<br />

selbst kein Mensch ist, der kennt sie. Jedes Wort, das sie sagen ist<br />

unwahr, erlogen. Das wissen sie nicht, denn sie sind heute so und<br />

morgen so, je nachdem, ob sie gegessen, getrunken und geliebt haben<br />

oder nicht. Nur der Körper bleibt auf einige Zeit, was er ist, und nur die<br />

Kinder haben Vernunft. Die Großen sind wie die Tiere; keines weiß, was<br />

es tut. […] Ob es wohl einmal Menschen gegeben hat, die durch die<br />

Liebe glücklich geworden sind? Was ist denn ihr Glück anders, als daß<br />

sie besser schlafen und alles vergessen können. – Her Gott, ich danke<br />

dir, daß du mich nicht geschaffen hast wie diese. – Ich bin nicht Mensch;<br />

mein Leib hat nicht gemeines mit Menschenleibern. Habe ich eine<br />

Menschenseele? Zerquälte Menschen tragen ein kleines enges Herz in<br />

sich; ich aber weiß, daß es nicht mein Verdienst ist, wenn ich alles<br />

hingebe, alles opfere…<br />

(173, 25–174, 12)


1. Die Geschwitz kümmert sich fürsorglich um Lulu.<br />

2. Die Geschwitz liebt Lulu bedingungslos, weil sie weiß, dass<br />

alle Versprechen Lulus niemals von dieser erfüllt werden.<br />

3. Die Liebe der Geschwitz zeichnet sich durch eine hohe<br />

Opferbereitschaft bis zum Selbstopfer aus.<br />

4. Die Geschwitz kämpft für Lulu, damit diese glücklich ist.<br />

5. Die Geschwitz ist bereit, alles zu ertragen, was Lulu ihr antun<br />

könnte.<br />

6. Die Liebe der Geschwitz zu Lulu hat keine Hoffnung auf<br />

sexuelle Erfüllung, sie ist damit eine eigentlich<br />

entsexualisierte Liebe, auch wenn sie eine erotische Wurzel<br />

und ein erotisches Fundament hat.


Pandora<br />

John William Waterhouse<br />

(1896)<br />

Die Sünde<br />

Franz von Stuck (1893)


Alwa Mir ist es genug, daß sich das Publikum in die<br />

wahnsinnigste Aufregung versetzt sieht.<br />

Lulu Ich möchte mich aber gern selbst in die wahnsinnigste<br />

Aufregung versetzt sehen! (Trinkt.)<br />

(60, 3–6)


„In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und ich erkannte<br />

mich. In meinen Träumen sah ich Nacht für Nacht den Mann, für den ich<br />

geschaffen bin und der für mich geschaffen ist. Und als ich dann wieder<br />

auf die Männer losgelassen wurde, da war ich keine dumme Gans<br />

mehr. Seither sehe ich es jedem bei stockfinsterer Nacht auf hundert<br />

Schritte Entfernung an, ob wir füreinander bestimmt sind. Und wenn ich<br />

mich gegen meine Erkenntnis versündige, dann fühle ich mich<br />

beschmutzt und brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir<br />

empfinde, zu überwinden.“<br />

(136, 5–16)


Jack I would never have thought of a thing like that. – That is a<br />

phenomenon, what would not happen every two hundred years. – – I<br />

am a lucky dog, to find this curiosity. […] When I am dead and my<br />

collection is put up to auction, the London Medical Club will pay a sum<br />

of three hundred pounds for that prodigy, I have conquered this night.<br />

The professors and the students will say: That is astonishing! – –“<br />

(KSA 3.1, 311)

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