Manuskript download - enostopos
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Ludwig Dinzinger<br />
Die Weissagungen der<br />
„Sechszeiler“<br />
2013<br />
1
Knapp vierzig Jahre nach dem Tod des Michel Nostradamus (1503 -<br />
1566) sind sechs Blätter mit sechszeiligen Gedichten aufgetaucht.<br />
Sie tragen in der ältesten bekannten Handschrift (Bibliotheque<br />
Nationale Paris, cote FF 4744, folios 76 - 78) die Seitenzahlen 66,<br />
67 und 68. In dem genannten <strong>Manuskript</strong> (um 1600) befinden sich<br />
54 Gedichte; bereits wenige Jahre (1605) später sind es 58<br />
geworden.<br />
Jedoch läst die Zahl von 58 Gedichten aufhorchen: denn mit genau<br />
dieser Menge füllte sich die "Lücke" in den "Prophezeiungen" nach<br />
dem Ende des zweiten Teiles (in der Ausgabe von 1568), zwischen<br />
Centurie VII Nr. 42 und Centurie VII, Nr. 100.<br />
Die Urheberschaft des Michel Nostradamus für die posthum<br />
entdeckten Texte ist umstritten. Es fehlen fundierte Untersuchungen.<br />
Die Gedichte unterscheiden sich zwar in Form, Ton und Metapher:<br />
aber doch scheint es erhebliche Ähnlichkeiten und Bekanntheiten zu<br />
geben. In dieser Studie wird davon ausgegangen, es handele sich<br />
bei den "Sechszeilern" um ein authentisches Werk des Michel<br />
Nostradamus. Es wird mit dem entwickelten astrologischen<br />
Deutungssystem unter die Lupe genommen.<br />
Dabei ergeben sich bemerkenwerte Entdeckungen, die schwerlich<br />
als "zufällig" aufgefasst werden können.<br />
2
Inhalt: Die Weissagungen der „Sechszeiler“<br />
1. Die Publikation der Sechszeiler von 1605 4<br />
2. Eine „Erstausgabe“ der Sechszeiler von 1600 10<br />
3. Konnexionen der Sechszeiler mit inhaltlich Luna 17<br />
4. Das Gegensatzpaar 25<br />
5. Andere Bilder und Begriffe 36<br />
6. Der Text der Sechszeiler 42<br />
7. Begründung für die vorgestellte Ordnung 60<br />
8. Astrologische Argumente für die vorgestellte Ordnung 66<br />
9. Der Sechszeiler über ein „neues Kind“ 73<br />
10. Der Sechszeiler über die französische Revolution 81<br />
11. Der Sechszeiler über die „Lilie“ und einen neuen Embryo 88<br />
12. Der Sechszeiler über Napoleon I. 98<br />
13. Der Sechszeiler über einen „Lieferanten“ des<br />
„Ungeheuerlichen“ 103<br />
14. Die Zahl „sechshundert und ...“ 111<br />
15. Die Zahl „600“ als Hinweis auf die gegenwärtige siebte<br />
Weltzeit 116<br />
16. Exkurs: Die Ära der Initiation des achten Zeitalters 121<br />
17. Die Ankündigung positiver Züge, hinweisend auf die neunte<br />
Weltzeit 127<br />
18. Andere Gedichte 130<br />
3
1. Die Publikation der Sechszeiler von 1605<br />
Michel Nostradamus, der französische Arzt, Pharmazeut, Astrologe<br />
und Visionär (1503 – 1566), war schon 39 Jahre tot: da tauchte<br />
plötzlich ein Werk auf, das von ihm stammen sollte. Es enthielt 58<br />
sechszeilige Gedichte, und war überschrieben mit seinem Namen<br />
als Autor, und ein Vorwort dazu enthielt auch einige Hinweise, wo<br />
und wie das Stück aus seinem Nachlass kommen konnte.<br />
Dieser Fund beschäftigte die Interpreten des Michel Nostradamus<br />
bis heute relativ wenig. Meistens endete man mit dem Hinweis,<br />
diese Weissagungen könnten nicht von dem französischen Seher<br />
sein: man gab sich mit dem schnellen und scheinbar sicheren<br />
Argument zufrieden, er wäre zum Zeitpunkt des Auftauchens des<br />
kleinen Werkes – im Jahr 1605 – bereits recht lange verstorben<br />
(1503 - 1566) gewesen. - Unserer Einschätzung nach aber wären,<br />
bevor man zu einem solchen Urteil kommen sollte, recht profunde<br />
Analysen des Textes nötig, z. B. eine Untersuchung bezüglich des<br />
verwendeten Wortschatzes, und bezüglich der Grammatik, sowie<br />
bezüglich des Inhaltes, bestimmter Begriffe und für Nostradamus<br />
typischen Redewendungen, sowie nicht zuletzt der Struktur des<br />
Textes im Allgemeinen. Zugleich wären die Hintergründe der<br />
(späten?) Publikation zu eruieren: hier ist vieles nicht so, wie es ein<br />
erster Augenschein nahe legen wollte. Und auch nicht wenige<br />
Bemerkungen und Forschungen zur Rezeptionsgeschichte wären<br />
erforderlich – gerade in ihr könnten exemplarisch die Problematiken<br />
des „prophetischen Werkes“ und seiner Wirkung vor Augen geführt<br />
werden. Aber es ist wie viel zu häufig bei Nostradamus: man<br />
4
egnügt sich schnell mit Präjudizien, man lässt Gründlichkeit und<br />
wissenschaftlichen common sense vermissen. -<br />
Geht das Interesse an dem Werk bei Einzelnen tiefer, und das ist<br />
kaum der Fall, bringen Interpreten Einwände gegen die Autorschaft<br />
wie: die Form wäre different zu jener in den „Prophezeiungen“, Inhalt<br />
und Stil seien deutlich anders als dort. Hin und wieder wendet sich<br />
dann wieder solche Feststellung zu einer Ablehnung dieser Texte als<br />
„Fälschung“; doch auch solches Urteil entbehrt oft der Fundierung,<br />
wie etwa bei E. Leoni. - Doch auch dafür werden keine weiteren<br />
Belege vorgebracht; Eindrücke allein aber – selbst von vermeintlich<br />
ausgewiesenen Experten – können erheblich trügen. -<br />
Sehr selten finden sich Stellungnahmen für die „Sechszeiler“:<br />
gegenwärtig zählt meines Wissens neben mir allein Jean-Claude<br />
Pfändler diese Gedichte zu dem Werk des Sehers. Persönlich teilte<br />
er mir mit, er halte diese Gedichte für früher als die<br />
„Prophezeiungen“: dieses deckt sich völlig mit meinen Auffassungen<br />
zu den Sechszeilern: sie wirken „naiver“, unmittelbarer, frischer,<br />
auch allgemeiner und auf höherer metaphorischer Ebene, so auch<br />
weniger auf historische Details bedacht als die bekannten Vierzeiler.<br />
In ihnen könnte sich tatsächlich ein jüngerer Mensch äußern, in sehr<br />
farbigen Bildern, in einer eher globalen Weise, und mit einigen<br />
weitaus deutlicher wertenden Perspektiven: dabei kann die Meinung<br />
„jünger“ aber auch von anderen Hintergründen der Werkentstehung<br />
her rühren, eventuell von einer recht kurzen Zeit der Ausführung,<br />
oder vom Bezug zu „abstrakteren“ historischen Vorstellungen. - Man<br />
sollte in solchem Zusammenhang immer auch erwägen, dass<br />
Nostradamus Lyrik und Prosa verschiedene Abstraktionsebenen<br />
anzusprechen scheint: sein Gesamtwerk verfügt über mehrere<br />
stilistische und metaphorische Ebenen – es gibt beispielsweise<br />
5
erhebliche Differenzen zwischen Vorhersagen in Prosa, einem<br />
frühen Gedicht als Vorwort zu den „Hieroglyphen“, summarischen<br />
Gedichten, die in den „Almanachen“ über den Monaten stehen, den<br />
Vorhersagen in dem Hauptwerk, den „Prophezeiungen“, und<br />
schließlich in den Sechszeilern. Es gibt Anlass, hier einen Anstoss<br />
zu geben, das gesamte Werk – weit über die Prophezeiungen<br />
hinaus – als geordnete „Glieder“ an einem einzigen „Körper“ zu<br />
betrachten. Und so rätselhaft das einzelne Element dieser<br />
Weissagungen ist, noch enigmatischer ist seine Einbindung in den<br />
Gesamtzusammenhang des Werkes, und sein Bezug zu ihm<br />
nahestehenden Binnengliedern. Hier muss man noch viel weiter<br />
forschen und denken, um diesem Phänomen der Renaissance<br />
gerecht zu werden. -<br />
Zurück zur Geschichte der Entdeckung der Sechszeiler: ein<br />
gewisser „Vincent Seve aus Beaucaire in der Languedoc präsentiert“<br />
die „wunderbaren Vorhersagen“ am „19. März 1605“ dem „großen<br />
unbesieglichen und mildreichen Fürsten Heinrich IV., derzeit König<br />
von Frankreich und Navarra“. Dabei spielt das Vorwort mit einem<br />
Bezug des Seve zu einem Sitz der königlichen Verwaltung, aber nur<br />
andeutungsweise: warum nicht klarer?<br />
Damit entstehen Ungereimtheiten zur Vorgehensweise des Seve:<br />
wie wurden dem König diese Gedichte übergeben? War da ein<br />
Vertreter der königlichen Verwaltung im Spiel, und gar nicht der<br />
König selbst? Persönlich fand die Übergabe wohl nicht statt, es<br />
bleibt die Darstellung da zu unentschieden. (Und, wie das nächste<br />
Kapitel zeigen wird, gibt es noch eine bedeutende Unwahrheit<br />
dabei.)<br />
Das eben erwähnte Datum bezieht sich auf den Frühlingsanfang des<br />
6
Jahres 1605. Auch dieses ist im Zusammenhang der anderen<br />
Werkteile des Nostradamus kein übliches Datum: er selbst nutzt<br />
seine Publikationsdaten oft zur Mitteilung wesentlicher Ereignisse<br />
der Enographie. So enthält der jahreszeitliche Zusammenhang<br />
keinen Fingerzeig auf ein mit Nostradamus vertrautes Wissen.<br />
Völlig unbefriedigend ist das Wissen um einen „Vincent Seve“: bis<br />
heute konnte keine Person dieses Namens nachgewiesen werden.<br />
Im Vorwort zu den Weissagungen gibt Seve an, er habe diese<br />
Vorhersagen von einem „Neffen“ des Sehers namens „Henri<br />
Nostradamus“ erhalten. Nun ist auch ein solcher Neffe namentlich<br />
bis heute nicht mit Sicherheit zu eruieren. Und hier werden die<br />
Unstimmigkeiten zu Vorkommnissen, die das nächste Kapitel<br />
behandelt, noch größer.<br />
Zu dem Namen „Seve“ gibt es eine magere Fährte: der Sohn des<br />
Arztes und Astrologen, Cesar Nostradamus, von Beruf Kunstmaler,<br />
bekannt durch seine „Geschichte der Provence“, schreibt mehrere<br />
Briefe an einen Neffen, „de Seva“. Es dürfte sich dabei um einen<br />
Sohn seiner Schwester Anne handeln. Cesar Nostradamus erwähnt<br />
diese Schwester Anne in seinem ersten Testament von 1597 als<br />
verstorben.<br />
- Anne war wohl das fünfte Kind von Michel Nostradamus und Anne<br />
Ponsard: auf Madeleine (um 1550 bis 1623) folgte Cesar (1553 bis<br />
um 1630), dann kam Charles (1556 – 1629), dann Andre (1557 –<br />
1601), dann Anne (um 1559 bis um 1595), und schließlich Diane<br />
(1561 bis um 1630). Anne war verheiratet mit Pierre de Seva, und<br />
sie hatten einen Sohn, Melchior de Seva. An ihn kann Cesar seine<br />
Briefe gerichtet haben. -<br />
Nun ist aber auch damit ein Vincent Seve keineswegs ermittelt –<br />
7
erneut ein recht instabiler Zusammenhang. Die „Konstruktion“ des<br />
Konnexes ist einerseits „verwickelt“, andererseits „dünn“; ein<br />
Eindruck von „Erzwungenheit“ und „Flachheit“ ist die Folge. Wie<br />
kann das sein? - Die Lage gemahnt an die Umstände der ersten<br />
Gesamtausgabe der „Prophezeiungen“. Wer besorgte sie? Wer<br />
wirkte mit? Wie sind die Einflüsse zu gewichten? Es ist vieles zu<br />
weitgehend unklar.<br />
Auch ein Einstieg in die Rezeptionsgeschichte hilft keinen<br />
Zentimeter weiter. Mitteilungen von Etienne Jaubert (1656), eine<br />
Generation weiter, erhellen die Situation keineswegs, sondern<br />
verunklären: dieser spricht von 132 Sechszeilern, reiht sie unter<br />
„Fälschungen“. Dabei ist keineswegs die nötige wissenschaftliche<br />
Gründlichkeit gegeben; man kann diesen Hinweisen nur<br />
aphoristischen Wert bemessen.<br />
Insgesamt entsteht mit den gängigen Beständen eine in weiten<br />
Teilen ungewisse und „verschwommene“ Situation im<br />
Zusammenhang der „Sechszeiler“. Man möchte meinen, es wirke<br />
hier auch eine gewisse Desinformation mit. Warum sind die<br />
Nachrichten nie sachlich überprüft und untersucht worden, als die<br />
Protagonisten noch lebten, z. B. J. A. de Chavigny oder Cesar<br />
Nostradamus? - Doch gilt dieses nicht nur für dieses Werk. Es<br />
scheint schicksalhaft, wie gerade die erste Hälfte des 17.<br />
Jahrhunderts kaum relevante Beiträge lieferte, und so den Strom der<br />
Erkenntnisse unterbrach. Doch eigentlich ist die Unterbrechung<br />
bereits auch im Werk de Chavignys in vollem Gange. Wo können die<br />
Gründe dafür liegen? In der Entlegenheit des Stoffes, in der<br />
Abgeschiedenheit der ländlichen Provence, in den historischen<br />
Verwicklungen in Frankreich, in der erstarkenden Gegenreformation,<br />
in der größten Krise Europas, in der im Aufbruch eines neuen<br />
8
Weltbildes kein Platz blieb für scheinbar überholte Vorstellungen zu<br />
Geschichtskonstruktion? Es wäre von Bedeutung, dazu eine<br />
fundierte Vorstellung zu entwerfen: man würde sich in einer<br />
kritischen Reflexion der frühen Rezeption und ersten Weiterführung<br />
oder Interpretation der Weissagung bedeutende Verdienste<br />
erweisen. Denn die meisten Missverständnisse über Michael<br />
Nostradamus sind hier grundgelegt, hier starteten die Engführungen,<br />
die die nächsten Jahrhunderte in noch hoffnungslosere<br />
Eindimensionalitäten übersetzten, bis in unsere Zeit. -<br />
Beginnen sollte eine solche Arbeit mit einer kritischen Würdigung der<br />
Publikation des Gesamtwerkes nach dem Tod des Nostradamus.<br />
Dann wäre der Einfluss de Chavignys zu erörtern: immerhin<br />
erscheint bemerkenswert, dass Nostradamus „Schüler“ Jean Aimee<br />
de Chavigny um 1605 verstorben war, und ebendort dann ein neuer<br />
Teil des Werkes präsentiert wurde. In diesem Zusammenhang<br />
bedarf das sogenannte handschriftliche „Recueil“ de Chavignys, eine<br />
Sammlung aller weissagender Passagen in den von Nostradamus<br />
veröffentlichten „Almanachen“, einer eingehenden Untersuchung.<br />
Und da die Sechszeiler eben um das Todesjahr de Chavignys ihre<br />
Wirkung ausbreiteten, darf man es sich ausmalen, was jener selbst<br />
getan hätte, wenn diese Vorhersagen außerhalb seines Bereiches –<br />
da er ja immerhin einen nicht zu unterschätzenden Anspruch<br />
anmeldet, große Teile des riesigen Werkes der Nachwelt zu erhalten<br />
– ans Tageslicht kamen?<br />
Doch fürs Erste befriedigen alle diese Überlegungen nicht. Doch<br />
mittlerweile gibt es zu den „Sechszeilern“ einen neuen Ansatz.<br />
9
2. Eine „Erstausgabe“ der Sechszeiler von<br />
1600<br />
Man müsste die „Sechszeiler“ unter den eben dargestellten<br />
Horizonten nahezu fallen lassen, gäbe es nicht eine frühere<br />
Vorstellung dieser Weissagungen. Robert Benazra hat erst vor ca.<br />
einem Jahrzehnt auf diese Möglichkeit hingewiesen: sie eröffnet die<br />
verschüttet geglaubten Zugänge wieder. Doch ohne jenes andere<br />
<strong>Manuskript</strong> wäre eine weitere Arbeit kaum möglich gewesen: hier ist<br />
das Verdienst Benazras immens.<br />
In der Bibliotheque Nationale in Paris (cote FF 4744, folios 76 – 78)<br />
findet sich eine Handschrift mit 54 der Sechszeiler; sie sind<br />
nummeriert 1 bis 56, es fehlen die Nummern 26 und 33.<br />
Diese Arbeit hier orientiert sich völlig an dieser Ausgabe. Ich habe<br />
dieses <strong>Manuskript</strong> im Sommer 2001 von der Bibliotheque Nationale,<br />
Paris, auf Mikrofilm erhalten. - In der Bibliotheque Carpentras gibt es<br />
anscheinend eine Kopie (?) dieses <strong>Manuskript</strong>s (M. to 1864 F. 3ro).<br />
Es ist im Internet in www.propheties.it bei „Repertoire chronologique<br />
Nostradamus 1600 – 1649 1600-003 Nostradamus Sixtain de Michel<br />
Nostradamus“ in allen seinen Seiten und einer zusätzlichen ersten<br />
Seite dargestellt. - Hier wird Bezug auf das Pariser Exemplar<br />
genommen, wie es mir zu Kenntnis kam.<br />
Auf der ersten Seite - ursprünglich genannt „66“, jetzt „76“ - werden<br />
die 54 Gedichte so eingeleitet:<br />
10
„Predictions de M e Michel Nostradamus Pour<br />
le Siecle de l´an 1600 P/rese/ntees au Roj Henrj 4 e au<br />
Commencement de l´Anneé par Vincent Aucane<br />
de Languedoc“<br />
Hier kommt nun, fünf Jahre vor 1605, ein völlig neuer Name vor: die<br />
Sechszeiler werden dem König von einem namens „Vincent Aucane“<br />
übergeben. Bei „Vincent Seve“ war als Wohnsitz überliefert<br />
„Beaucaire en Languedoc“; bei Aucane erscheint lediglich<br />
„Languedoc“. - Man muss sich nun fragen, wer von beiden die<br />
Gedichte dem König „präsentierte“, d. h. als Geschenk überreichte?<br />
Und was soll man von der „zweiten“ Überreichung fünf Jahr später<br />
halten? Und von jenen Herkunftsangaben dort, die eine Person<br />
namens „Aucane“ überhaupt nicht erwähnen? Und was bedeutet die<br />
auffallende Gleichheit des Vornamens, zwischen „Vincent Seve“ und<br />
„Vincent Aucane“? Es ist eine große Menge von weiteren Fragen<br />
offen, vor allem bezüglich der Identität von „Aucane“, seinen<br />
möglichen Beziehung zu Michael Nostradamus, und den Gründen,<br />
warum gerade in der „Languedoc“ - wenn sich die Angabe<br />
bewahrheiten sollte - ein bis dahin unbekanntes Werk des<br />
Nostradamus erhalten bleiben konnte. -<br />
Jedoch weiter zu dem <strong>Manuskript</strong> von 1600. Das Dokument, das<br />
Aucane liefert, stellt sich in einer anderen Ordnung dar als die<br />
Ausgabe von 1605 (Seve). Es fehlen die Sechszeiler 11, 12, 14 und<br />
27 (nach der Nummerierung von 1605). - Die so nummerierten<br />
Gedichte sind damit sofort als spätere Hinzufügungen „verdächtig“.<br />
Man muss ihnen kritischer als den anderen begegnen. Solange ihre<br />
Authentizität nicht eindeutig zu belegen ist, sind sie aus dem<br />
Gesamtwerk auszuscheiden. Wie später zu zeigen sein wird, folgen<br />
11
diese Gedichte dem Missverständnis, die Sechszeiler wären für das<br />
16. Jahrhundert „anzupassen“. -<br />
Zusätzlich sind die Gedichte 5. und 6. vertauscht; in der früheren<br />
Ausgabe rückt Gedicht Nr. 6 an die fünfte Stelle, und Gedicht Nr. 5<br />
an die sechste Stelle. - Diese Vertauschung zeigt nach unseren<br />
Ergebnissen, dass das Prinzip des Aufbaus bei Vincent Aucane<br />
erhalten war, bei Vincent Seve aber zerstört wurde. Denn in der<br />
Ordnung von Seve ergeben sich für die genannten Gedichte andere<br />
astronomische Hintergründe, und es ergibt sich keine<br />
Übereinstimmung der zu Grunde liegenden astrologischen Figur.<br />
Überhaupt kann Seve durch die Hinzufügung von vier Gedichten -<br />
an vermutlich willkürlicher Stelle? - die astrologische Folge der<br />
Sechszeiler völlig aufgelöst haben. Eine solche kann aber wieder<br />
hergestellt werden, und dieses bedeutet zugleich, man könne sich<br />
eigentlich nur an der Ordnung von Aucane (von 1600)<br />
weiterführender orientieren. Damit beschäftigt sich dieses Buch<br />
ausführlich. -<br />
Von besonderer Wichtigkeit sind die erwähnten Lehrstellen an<br />
Position 26 und 33. Zwischen beiden leeren Plätzen befinden sich<br />
sechs Gedichte. Die Nummerierung der Sechszeiler ist mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit im <strong>Manuskript</strong> von Aucane ursprünglich, denn die<br />
älteren Seitenzahlen (66 - 68) und die Zahlen für die Gedichte<br />
konvenieren. - Die beiden leeren Plätze haben erheblichen Wert für<br />
die Zusammenhang der „Sixains“ mit den „Propheties“. Auch dieses<br />
wird im Folgenden Gegenstand der Analyse. -<br />
Leider habe ich momentan keine Möglichkeit, näher nach der<br />
Identität der Person „Vincent Aucane“ zu suchen. Wer war Vincent<br />
Aucane? Was war sein Beruf? In welcher Verbindung stand er zu<br />
12
Nostradamus? Hatten beide eventuell ein besonderes<br />
Vertrauensverhältnis? Wann entstand dieses, wie? Solche Fragen<br />
werden in Zukunft zu behandeln sein. - Eine nicht zu<br />
unterschätzende Schwierigkeit ist, dass als Herkunftsangabe der<br />
Person „Vincent Aucane“ lediglich die Languedoc steht. Eine Suche<br />
nach dem Namen müsste – zugleich in Berücksichtigung eventueller<br />
anderer Lesarten des <strong>Manuskript</strong>es bezüglich des Namens – mit<br />
jenen Orten beginnen, die Nostradamus auf seinen frühen<br />
Wanderjahren in der Languedoc streifte, vor allem Agen. -<br />
Auf der anderen Seite wäre auch die „Vereinnahmung“ des<br />
<strong>Manuskript</strong>es von Aucane durch die Familie Nostradamus zu prüfen.<br />
Es scheinen gewisse Differenzen, wenn nicht Rivalitäten zwischen<br />
Aucane und der Familie Nostradamus gegeben zu haben: denn wie<br />
anders soll man sich erklären, dass eventuell ein Verwandter – der<br />
selbst wiederum einen anderen Verwandten als Lieferanten vorgibt –<br />
sich eine Autorität über das <strong>Manuskript</strong> gestattet, und sogar eine<br />
veränderte Darstellung publiziert, mit vier weiteren Gedichten? Sollte<br />
es wirklich innerhalb der Familie eine zweite Version gegeben<br />
haben? Warum wird aber in der zweiten Version das Handeln des<br />
Aucane völlig verschwiegen? Vielleicht damit abgewertet? - Die<br />
Untersuchung dieser Fragen dürfte recht weit in ein neues<br />
Verständnis dieses Teiles des Werkes von Michel Nostradamus und<br />
seines Umfeldes hinein führen. -<br />
Man muss sich auch fragen, warum sich de Chavigny einer<br />
Bemerkung zu den Sechszeilern – wenn sie von 1600 sein sollten –<br />
enthalten hat. Oder finden sich in seinem Werk doch Hinweise auf<br />
dieses Vorkommnis? Mir ist es nicht so sehr vertraut, dass ich über<br />
dieses Detail Bescheid tun könnte: sollte aber jemand mehr darüber<br />
wissen, wäre es sinnvoll, diesen seinen anderen Kenntnisstand<br />
13
publik machen. (In diesem Zusammenhang wären auch die weiteren<br />
Verbindungen von de Chavigny zur Familie Nostradamus von<br />
Belang: gab es solche, und welche?<br />
Auch eine ausführliche Überlegung, ob Nostradamus selbst die<br />
Veröffentlichung der Sechszeiler auf 1600 „geschoben“ hat, wäre<br />
angebracht. - Hat es einen einfachen Grund, eventuell in den<br />
enthaltenen negativen Vorhersagen für Katharina von Medici oder<br />
der Vorhersage des langen Wirkens der von „Gott begünstigten“<br />
Bourbonen? Oder ist Nostradamus zu früh verstorben, die<br />
„Prophezeiungen“ blieben unvollständig deswegen? Oder war der<br />
fragmentarische Modus, wie bei anderen Künstlern der<br />
Renaissance, ein erstrebtes Ziel? Ebenso wie die möglichen<br />
Mystifikationen durch die verschiedenen und disparaten Teile der<br />
Divinationen? Ist dieses vielleicht auch Ausdruck des prophetischen<br />
Ideals der „Indifferenz“, damit einer gesuchten und gewünschten<br />
Polyvalenz? Oder gibt es einfache astrologische Gründe für das<br />
Erscheinen in dem Jahr 1600, für eine posthume Wirkung: eine<br />
Berechnung des Astrologen und Arztes, der er so Nachdruck<br />
verleihen wollte: 97 Jahre nach der Geburt? -<br />
Die „Prädiktionen“ der Sechszeiler enden mit folgendem Satz:<br />
„Fin Du Tiers Des Dites Profeties“<br />
Der Begriff „Profeties“ verbindet sich ziemlich eindeutig mit dem<br />
Hauptwerk des Michel Nostradamus.<br />
Und das Wort „tiers“ bedeutet „dritter Teil“. - Hat nun jemand<br />
geglaubt, dieses wäre nur ein Drittel der sechszeiligen<br />
14
Weissagungen, und kommt dann, wenn er sie aus dieser Annahme<br />
ergänzt, auf eigentlich über 150 Gedichte, oder wie Jaubert auf<br />
„132“? - Doch die Lösung des Wortes vom „dritten Teil“ könnte viel<br />
einfacher sein, wären diese sechszeiligen Gedichte zu dem<br />
Hauptwerk des Nostradamus, „Den „Prophezeiungen“ - „Les<br />
Profeties“ gehörig. Es sind diese „Prophezeiungen“ in drei Schritten<br />
erschienen: 1555, 1557 und 1568; vielleicht findet sich nun dazu<br />
noch ein weiterer Teil, aus dem posthumem Jahr 1600; dieser Teil<br />
nun entspräche der bekannten Lücke zwischen dem zweiten und<br />
dritten Teil. Und so kann der Teil mit den sechszeiligen Gedichten<br />
von 1600 nach dem ersten Teil von 1555 und dem zweiten Teil von<br />
1557 zum „dritten Teil der genannten Prophezeiungen“ werden.<br />
Dann wäre erst jener von 1568 ein vierter Teil. -<br />
Diese komplexe Struktur spräche in ihren Begrifflichkeiten und ihrer<br />
Verwobenheit für eine tatsächliche Urheberschaft des Nostradamus.<br />
Eine solche wäre, wenn überhaupt, weitaus eher mit dem<br />
<strong>Manuskript</strong> von Aucane von 1600 zu belegen, als mit jenem von<br />
Seve – hat doch gerade dieses <strong>Manuskript</strong> in seinen Differenzen zu<br />
jener Pubklikation von Seve nicht zu unterschätzende Hinweise. -<br />
Doch es besteht genügend Anlass, die mögliche Autorschaft des<br />
Nostradamus noch differenzierter zu untersuchen. Dazu wurden<br />
bereits Methoden genannt, einige Begriffe, unter anderem der der<br />
„Ungerechtigkeit der Zeit“, oder die Metapher des „Wolfes“, oder<br />
auch die Komplexität der Vorstellung einer „Sinnlichen“ im<br />
Gegensatz zu einer „Dame“ - dazu später ausführlich mehr -<br />
erscheinen absolut charakteristisch für Nostradamus.<br />
Noch ein letztes Wort zu den vier Gedichten, die Seve mehr<br />
ausweist: eines dieser Gedichte, bei Seve Nr. 27, scheint einem<br />
Missverständnis zu folgen. Es spricht von einem „dritten Zeitalter des<br />
15
Mars“.<br />
Ein solches „drittes Zeitalter des Mars“ wird nun tatsächlich<br />
enographisch in den Jahren 1631 und 1632 real: im Merkurzyklus<br />
beginnen zwei Perioden mit Koinzidenzen Widder und Skorpion, und<br />
erreichen Domination. Dieses ist zugleich die Exaltation der „dritten<br />
Ära“ im 17. Jahrhundert. Kann dieses Zufall sein, noch dazu im<br />
siebenundzwanzigsten Gedicht? Vielleicht hat hier jemand – in<br />
gewisser Kenntnis der Enographie, oder sich erinnernd an Hinweise<br />
des Sehers zu seinen Lebzeiten – ein Gedicht gefertigt, das auf die<br />
nach 1605 folgenden Jahre passt und auch die Mitteilungen der<br />
Publikation (durch Seve) bedient. Es geschieht dieses gerade so,<br />
wie es Seve (irrigerweise) auch für die Sechszeiler annimmt : sie<br />
wären Vorhersagen für die „laufenden Jahre in diesem Jahrhundert“<br />
(„pour les ans courans ein ce siecle“): und 1605 plus 27 ergibt<br />
„1632“ (siebenundzwanzigstes Gedicht der Reihe, Benazra hat auf<br />
andere Korrelationen zwischen dieser Annahme und Jahreszahlen<br />
hingewiesen). Dieses belegt erneut ein Missverständnis ähnlicher<br />
Art, wie es etwa auch de Chavigny im „Janus Gallicus“ pflegte; es<br />
gibt hier also entfernte Niederschläge eines Wissens des Arztes und<br />
Astrologen, aber in eine Simplifizierung gewendet. Nostradamus<br />
selbst hat zu seinen Lebzeiten anscheinend nicht in solche<br />
Auffassungen und Fehldeutungen seines Umfeldes eingegriffen.<br />
Im Folgenden wird versucht, eine neue Interoreationsgrundlage und<br />
ein neues Verständnis des Textes der Sechszeiler zu erarbeiten.<br />
Dabei wird in diesem Buch besonderer Wert auf die Überlieferung<br />
von Vincent Aucane gelegt.<br />
Wir folgen der Schreibung dieses Namens durch Robert Benazra.<br />
16
3. Konnexionen der Sechszeiler mit inhaltlich<br />
Luna<br />
In der hier vorzustellenden neuen Ordnung der Sechszeiler gibt es<br />
nicht wenige Hinweise auf Zusammenhänge des Symboles Luna.<br />
Dieses Zeichen steht in der Astrologie in enger Beziehung zur<br />
Gestirnkunde, dabei einerseits zur Astronomie, als der<br />
mathematischen Grundlage, und andererseits auch zur Bildung von<br />
Urteilen aus den Gestirnerscheinungen. Das Symbol Luna verweist<br />
im Werk des provenzalischen Arztes Michael Nostradamus immer<br />
wieder auf die firmamentische Analogie seines Wirkens, „der<br />
Vorhersage durch die nächtlichen himmlischen Lichter“. Gerade die<br />
Vorstellung „Mond“ und ihre metaphorischen Implikationen sprechen<br />
für eine Urheberschaft des Nostradamus an den Sechszeilern: denn<br />
es sind Inhalte und Form dieses kleinen Werkes zu deutlich damit<br />
verquickt, und es muss eine Besprechung des Wesentlichen damit<br />
beginnen.<br />
Zuerst ist die Zahl der Sechszeiler, 54, zu erwähnen. Sie zitiert die<br />
zweifache Dauer des Umlaufes des Mondes (siderisch, tropisch und<br />
drakonitisch) von 27 Tagen und einigen wenigen Stunden. - Solche<br />
nahezu zahlensymbolische Anspielungen wählt Nostradamus<br />
nahezu durchgängig auch in anderen Teilen seines Werkes, z. B. in<br />
den Prosaprophezeiungen der Vorrede der „Prophezeiungen“ an<br />
Heinrich, mit Anspielungen auf Saturn- und Jupiterrevolution; in der<br />
Zahl der sogenannten „Presages“ - kurze Gedichte über den<br />
Monaten der Almanache –, die die Marszyklen zitiert, oder im ersten<br />
17
Teil der „Prophezeiungen“, mit ebensovielen Gedichten wie das<br />
Mondjahr Tage aufweist. Wer sich intensiver mit den astronomischen<br />
Hintergründen der Divination des Nostradamus beschäftigt, wird<br />
immer wieder auf solche Parallelitäten stoßen. .<br />
Eine weitere symbolische Dimension erschließt sich aus der<br />
„verborgenen Philosophie“: nach Agrippa von Nettesheim gehört die<br />
Zahl 54 in das Quadrat des Merkur und in das Quadrat des Mondes.<br />
In anderen Zahlentafeln erscheint diese Zahl nicht. - Merkur und<br />
Mond können verwandte Belange darstellen: sie stehen im<br />
astrologischen System nahe beieinander, entsprechen den beiden<br />
unteren Sphären, und beschreiben Möglichkeiten der rationalen<br />
Welt, u. a. der Mathematik, auch der Musik. Im zyklischen System<br />
des Nostradamus wird der Merkurzyklus durch Rückläufigkeit des<br />
Merkur im Krebs, dem Tierkreiszeichen des Mondes eröffnet: diese<br />
Verbindung des merkurialistischen und lunatischen Momentes ist<br />
bezeichnend. -<br />
Bevor weitere Argumente zu den „lunatischen Dimensionen“ der<br />
Sechszeiler beigetragen werden noch ein anderes astronomisches<br />
Argument. Es verbirgt Michael Nostradamus in den<br />
Erscheinungsdaten seiner wesentlichen Bücher Hinweise auf seine<br />
Zyklenlehre, die Enographie. Dieses kann auch für die beiden<br />
genannten Jahre der Erscheinung der Sechszeiler, 1600 und 1605,<br />
in Frage kommen. Dieses sicherlich dann umso mehr, je größer der<br />
Anteil von Nostradamus an der Wahl des Datums sein sollte.<br />
Untersucht werden nun die Übereinstimmungen von Zyklen und<br />
Gestirnständen an den jeweiligen Data, die das <strong>Manuskript</strong> oder die<br />
Ausgabe durch Seve nennen. Für den „19. März 1605“, das Datum<br />
des Seve, ergeben sich folgende firmamentischen Möglichkeiten,<br />
18
unten die zyklischen „Stände“, oben die faktischen „Transite“, in den<br />
sieben Möglichkeiten:<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
Stände Widder Löwe Schütze Steinbock<br />
Zyklen Stier Skorpion<br />
Stier<br />
Stier Fische Fische<br />
Stier/<br />
Waage<br />
Stier<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
es gibt auf den ersten Blick keine Übereinstimmung.<br />
Auch der Stand des Mondes in Löwe bezieht sich nicht auf mögliche<br />
Koinzidenzen von Zyklen, die Jungfrau (bei vorläufiger) oder<br />
Wassermann (bei rückläufiger Eröffnung) wären. Drei Monate später<br />
(am 27. 6. 1605, greg.) kommt es zu einer neuen Periode des<br />
Merkurzyklus mit Anzeige Stier. Auch dieses Ereignis ist nicht mit<br />
diesem Mondstand zu verbinden.<br />
Nun dieselbe Analyse für den „1. 1. 1600“. Das ist das Datum, das<br />
Aucane nennt:<br />
Stände Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
Stier<br />
Jungfrau/<br />
Wassermann<br />
Skorpion<br />
Steinbock<br />
Skorpion<br />
Waage Löwe Löwe Schütze Wassermann<br />
Skorpion<br />
Krebs<br />
Jungfrau/<br />
Wassermann<br />
Skorpion<br />
Stier<br />
Stier/<br />
Waage<br />
Zyklen Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
19
(Die einzige Veränderung in den Zyklen betrifft formal Jupiter, mit<br />
Krebs.)<br />
Hier fällt der übereinstimmende Stand im Mondzyklus und bezüglich<br />
des aktuellen Mondlaufes auf. Doch dieses ist nicht alles: es ist aber<br />
doch erneut ein unbedingter Hinweis auf lunatische Gegebenheiten.<br />
Zugleich bedeutet ein Stand des Mondes „im Skorpion“ für die<br />
Eröffnung von Zyklen, die rückwärtslaufend beginnen: die Anzeige<br />
einer Koinzidenz des Stier. Und eine solche ist mehrfach gegeben!<br />
Die Anzeige Stier steht im Venus- und Merkurzyklus. - Diese beiden<br />
Zyklen sind möglicherweise von Bedeutung für die Sechszeiler. -<br />
Zugleich ist die Anzeige von Stier die Erhöhung des Mondes: noch<br />
eine Anspielung auf das lunatische Moment.<br />
Die auffallendste Übereinstimmung ergibt sich aber bezüglich des<br />
Zyklus des Mondes und des aktuellen Mondstandes: dort findet sich<br />
Skorpion. Dieses ist ein gewichtiger Hinweis auf das Symbol<br />
Mond/Luna: der Mondstand am 1. Januar 1600 stimmt überein mit<br />
der Koinzidenz des Mondzyklus. Inhaltlich ist in diesem Zeichen der<br />
Mond im Fall: es ist dieses erneut eine lunatische Präsenz. Gerade<br />
diese kommt zuweilen in den Horoskopen von Sehern und<br />
Propheten vorkommt, es gilt dieses als garadezu klassisches<br />
Zeichen in der Astrologie. Ebenso findet sich dieses auch im<br />
Geburtsbild des Michael Nostradamus.<br />
Diese eigenartigen Übereinstimmungen geben doch Einiges zu<br />
denken: kann alles das Zufall sein?<br />
Zugleich wird mit der bereits mehrmals angesprochenen<br />
Akzentuierung des Lunatischen auf die Astrologie gezeigt: und<br />
dieses wäre für Nostradamus typisch, vor allem am Beginn eines<br />
20
Werkteiles. - Es sei hier an einen Satz am Anfang der<br />
„Prophezeiungen“ erinnert. Nostradamus beginnt sein Hauptwerk mit<br />
einem verschlüsselten Hinweis auf die lunatische Dimension: das<br />
Wort dort lautet: „das erbliche Wort der geheimen Vorhersage wird in<br />
meinem Magen eingeschlossen sein“. Der Magen entspricht nach<br />
der Astrologie dem Mond; und der Satz bedeutet, dass „innerhalb“<br />
der Struktur der „Prophezeiungen“, in ihrer „verdauenden Mitte“, ein<br />
rationales Wissen „verborgen“ sei, eine Kenntnis und Kunde, die von<br />
Mensch zu Mensch „vererbbar“ wäre, also weitergegeben werden<br />
kann wie die Lehre der Astrologie von Lehrer zu Schüler. Und dieses<br />
steht sogar im ersten Satz der „Prophezeiungen“, im ersten Satz der<br />
Vorrede an Cesar Nostradamus, Vorrede A der „Prophezeiungen“.<br />
Und nun noch ein letztes Argument für „lunatische“ Hintergründe<br />
dieses Werkteiles (wenn die Sechszeiler tatsächlich zu dem<br />
Gesamtwerk des Michael Nostradamus hinzuzufügen sind): es<br />
betrifft die freien Plätze 26 und 33 in den Sechszeilern. Diese freien<br />
Plätze bringt aber alleine die Darstellung bei Vincent Aucane.<br />
Schließt man nämlich die Sechszeiler an die Vierzeiler der<br />
„Prophezeiungen“ an, dann kommen sie zwischen den Gedichten<br />
VII, 42 und VIII, 1 zu stehen: für die 58 freien Plätze stellt Vincent<br />
Aucane 54 Gedichte zur Verfügung. (Und Vincent Seve scheint die<br />
Lücke mit 58 Gedichten vollständig „füllen“ zu wollen.)<br />
Nach der Ordnung von Aucane aber bleiben die Plätze VII, 68<br />
(entspricht Nr. 26) und VII, 75 (entspricht Nr. 33), sowie VII, 99 und<br />
VII, 100 frei. (Später wird gezeigt, dass auch die Plätze VII, 41 und<br />
VII, 42 wohl frei bleiben müssen. Damit ergäbe sich eine<br />
symmetrische Anordnung der Sechszeiler innerhalb der Lücke.)<br />
Setzt man nun die Zuordnungen zu der astrologischen Woche – in<br />
21
der Reihenfolge Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn<br />
(Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag,<br />
Samstag) – in der praktizierten Weise nach VII, 42 fort, erhält man<br />
genau (!) acht neue Siebenereinheiten (8 x 7 = 54). - So weist die<br />
Zahl 54 auch auf diese mögliche Gliederung der „Prophezeiungen“,<br />
in ihren jeweils sieben Schritten, und den zugehörigen planetaren<br />
Entsprechungen. -<br />
Welche Planeten kommen nun den vier freien Plätzen zu?<br />
VII, 68: Mond<br />
VII, 75: Mond<br />
VII, 99: Jupiter<br />
VII, 100: Venus<br />
Wieder findet sich hier ein ganz expliziter Hinweis auf die<br />
Koinzendenz Luna! Fügt man die vorigen Hinweise und diesen<br />
jetzigen Fingerzeig zusammen, entsteht insgesamt doch eine<br />
ziemlich entschiedene Aussage in Richtung Mathematik, Astrologie,<br />
verbunden mit einem Hinweis auf den Mondstand im Geburtsbild<br />
des Astrologen und Arztes, zugleich mit einem akzentuierten Hinweis<br />
auf die Enographie. Die verschiedenen Ansätze, die doch alle wieder<br />
zu der einen Bedeutung führen, verleihen den Schlussfolgerungen<br />
eine summierte Wahrscheinlichkeit.<br />
Man muss sich fragen, warum solche Korrelationen mit der<br />
Herausgabe von Vincent Aucane (1600) weitaus nachzuvollziehen<br />
22
sind als mit jener von Vincent Seve (1605). Vor allem die zweifache<br />
Lücke, die in lunatische Korrelationen hinein bindet: soll das Zufall<br />
sein?<br />
In Anbetracht dieser Ergebnisse, und der folgenden ausführlichen<br />
weiteren inhaltlichen Erwägungen, wird in dem hier präsentierten<br />
Buch nur noch mit dem zuerst erschienenen <strong>Manuskript</strong> von<br />
„Vincent Aucane“ weiter gearbeitet. Es erscheint viel gründlicher und<br />
durchdachter gehalten, als die doch recht naiven, unkritischen und<br />
redaktionell vereinfachenden Ausgaben der Sechszeiler des 17.<br />
Jahrhunderts. - Und man bedenke: dieses sind im Falle dieses<br />
Werkteiles die einzig bisher untersuchten. -<br />
Das <strong>Manuskript</strong> von Aucane ist demgegenüber von unschätzbarem<br />
Wert. Mit ihm sind Korrekturen der Fehlleistungen von 1605 ff.<br />
unabdingbar.<br />
Es folgt im nächsten Kapitel nun ein weiterer Beleg, der eineindeutig<br />
belegt, in welch verheerender Weise ab 1605 mit den Texten des<br />
Nostradamus umgegangen wurde. Es gibt in der Herausgabe von<br />
Seve Dutzende von Entstellungen des Sinnes, man möchte meinen,<br />
man konnte die Hand eines fast zeitgenössischen schreibers nicht<br />
mehr richtig lesen. Mit diesen Sinnentstellungen ist aber eine<br />
adäquate Interpretation der Sechszeiler - vielleicht auch mit<br />
deutlichen Auswirkungen und Interdependenzen zum Verständnis<br />
des Gesamtwerkes nicht möglich. Es ist hier dem Irrtum Tür und Tor<br />
geöffnet: und es macht geradezu erschauern, dass das zentrale<br />
Wort der Sechszeiler fehlübertragen wurde.<br />
Damit treffen die Missverständnisse den Kern: und dieses kann sich<br />
eine ernstzunehmende Herausgabe überhaupt nicht leisten. Erneut<br />
gibt dieses Anlass, über die historische oder sozialen oder<br />
23
persönlichen Gründe solcher Fehlleistungen nachzudenken. - Ich<br />
füge hier noch an: wenn selbst das nähere Umfeld des<br />
französischen Sehers, Arztes und Astrologen so „geschludert“ hat, in<br />
welche Größenordnungen muss sich dieses dann wenden, wenn<br />
man interpretiert und kommentiert, und diesem Werk gar nicht<br />
gewogen gegenübersteht, und auch sonst keine Nähe zu ihm findet?<br />
Erklärt dieser Gedanke Stücke von Nostradamus Nachwirken?<br />
24
4. Das Gegensatzpaar<br />
Eine einfache Überlegung führt in das Zentrum des Sinns der<br />
Sechszeiler: es werden die beiden am häufigsten verwandten<br />
Substantive vorgestellt. Dabei stellt sich eine Wortschöpfung des<br />
Nostradamus an erste Stelle, und ihr folgt eine bekannte Metapher –<br />
bekannt vor allem aus den Prophezeiungen in Prosa der Vorrede der<br />
„Prophezeiungen“ an Heinrich.<br />
Verknüpft mit den Fingerzeigen auf das Lunatische – wie es u. a.<br />
das Datum der Herausgabe von V. Aucane mit dem 1. 1. 1600 und<br />
die formale Struktur dieser Sechszeiler, vor allem die beiden<br />
fehlenden Plätze 26 und 33 anzeigten - ergibt sich auch der Horizont<br />
eines eigenartigen Begriffes. Er gibt den 54 Sechszeilern ein<br />
„fremdes“ und „entlegenes“ Gepräge, und löst, wie alle<br />
Wortschöpfungen, zuerst ein Gefühl des Befremdens aus: es<br />
handelt sich um das Wort „censue, censuart, censuart“ oder<br />
„sensue“. Es kommt 10 mal in den Gedichten vor: in Aucane 2, 7, 9,<br />
18, 27, 38, 43, 44, 47 und 56.<br />
Dieses von Nostradamus geprägte Wort wird bei Seve, und diesem<br />
folgen in alle weiteren Ausgaben, u. v. a. Auch in den modernen<br />
Zusammenstellungen des 20. Jahrhunderts bei Reynaud-Plense<br />
oder Leoni, oft mit „sangsue“ gelesen. Der Text von Aucane zeigt<br />
aber eindeutig „censue, sensue“ oder, zweimal leicht gewandelt,<br />
„censuarts“, „sensuart“.<br />
Der erhebliche Unterschied zwischen einem „männlichen Blutigen“<br />
und einem im Original weiblichen „Censue“ - vorläufig unbetimmten<br />
25
Inhaltes - ist erneut ein starkes Argument, in den Darstellungen von<br />
Seve nicht weiter zu arbeiten. Wie kann es vorkommen, dass ein<br />
zentraler Begriff – wenn nicht der wesentliche und die Kernaussage<br />
– in einer so verderbten Weise weiter gegeben wird? - Und wir bitten<br />
hier erneut darum, dieses als Analogon der gesamten<br />
Interpretations- und rezeptionsgeschichte zu lesen: Nostradamus<br />
wird verkürzt auf „Blutiges“, oder in unserer Zeit „Apokalyptisches: er<br />
hat aber etwas ganz anderes gesagt. Es gelingt aber den meisten<br />
Interpreten nicht, hier sachlich zu bleiben: und hier wendet sich<br />
„Lunatisches“ auch ein wenig zum „Verrückten, Abseitigen und<br />
Uneinfühlbaren“, eine Bedeutung der alten Medizin, wie sie auch in<br />
der modernen Seelenheilkunde noch zuweilen anklingt. Aber nicht<br />
Nostradamus ist „irr“, sondern die unkontrollierten Projektionen, die<br />
seine Texte anscheinend auszulösen vermögen. Diesen zu folgen,<br />
und es geschieht dieses nahezu durchgängig, ist aber völlig verfehlt,<br />
und unbedingt zu meiden. -<br />
Mit der irrigen Lesung „sangsue“ bietet die Ausgabe von Seve ein<br />
grundlegendes Missverständnis: die differenzierten Überlegungen,<br />
die die Wortschöpfung „sensue, censue“ erfordert, werden<br />
vermieden. Es geht in dem Wort „sensue, censue“ keineswegs um<br />
einen „Blutigen“; es geht um eine Charakteristik eines<br />
Weltverständnisses, eines Weltbildes, einer Weltkultur. Eben diese<br />
oder dieses scheinen mit der Wortschöpfung beschrieben: der<br />
Begriff bezieht sich auf große Korporationen und übergeordnete<br />
soziale Gebilden, ja vielleicht auf das Kernverständnis der<br />
Gesellschaft der Zukunft: gerade in diesem Sinne ist „censue,<br />
sensue“ eine der essentiellen Vorhersagen über die Zukunft. Was<br />
aber nun zeichnet eine institutionalisierte Ordnung des künftigen<br />
Zusammenlebens aus? Was ist für Nostradamus so typisch, dass er<br />
26
es zum überraschenden Kernbegriff formt?<br />
Eine erste Spur der Bedeutung führt in die Richtung des Grob-<br />
Sinnlichen, steuert auf das Einfach-Simple, auf das Dem-Verstand-<br />
Eingängige zu. Hier geht es um simple, einfache und messbare<br />
Phänomene: einerseits sinnlich, andererseits quantifizierbar. (Dieses<br />
bedeutet wiederum auch spezifische Abbildungen solcher Haltungen<br />
und Handlungen im astrologischen System, und zwar in unteren<br />
Sphären, vor allem des Mondes, der Venus und auch des Merkur.)<br />
Damit ist aber eine völlig andere Bedeutungsrichtung angesprochen<br />
als mit einem „Blutigen“: ein solcher wäre astrologisch verknüpft mit<br />
den Feuerzeichen, z. B. wie Napoleon I.: denn die Feuerzeichen<br />
entsprechen nach der Gestirnkunde den Geschehnissen des<br />
Blutkreislaufes, dem Herz, der Dynamik des Stoffwechsels.<br />
Es sollte hier für „censue, sensue“ eine bessere und treffendere<br />
Bedeutung gewählt werden. Es handelt sich um ein weibliches<br />
Hauptwort, so wird es mehrmals durch den Artikel „la“ definiert wird.<br />
Und am ehesten heißt das Wort so „die Sinnliche“, „die den Sinnen<br />
verhaftete“, oder, ins Moralische und Sexuelle gewendet, „die<br />
Getriebene“, „die Schamlose“, „die, die sich der Promiskuität“ ergibt.<br />
Der Zusammenhang mit dem biblischen Begriff der „Hure“ liegt auf<br />
der Hand: und so steht man in den Bedeutungsräumen der<br />
Geheimen Offenbarung, in der das Bild der „Buhlerin, Dirne, Hure“<br />
den zentralen prophetischen Hinweis auf die Art und Weise eines<br />
kommenden Staates, seiner Gesellschaftsordnung und seiner<br />
kulturellen Auffassungen entwirft. Und eben in der Geheimen<br />
Offenbarung wird auch das Gegenbild dazu entworfen, das gleiche,<br />
das auch in den Sechszeilern von Michael Nostradamus gebraucht<br />
wird: das Bild einer vornehmen Frau.<br />
27
Doch zuerst weiter zu dem Symbol der „Hure“. Vermutlich sollte man<br />
das Bild aus dem sexuellen Rahmen lösen, oder seine sexuelle<br />
Dimension selbst wieder als eine Metapher betrachten: es geht<br />
weniger um sexuelle Verfehlungen, als vielmehr um eine<br />
„Sündigkeit“ in einem höheren Sinne. Gemeinst ist wohl die<br />
Einstimmung des humanen Sensoriums auf das Sinnenhafte, das<br />
Offensichtliche, das auf der Hand liegende, das Materielle, das<br />
Finanzielle, das Wirtschaftliche. Mit der sinnlichen Orientierung ist<br />
immer auch ein „Abschätzen, Bewerten, Bezahlen“ verbunden; alles<br />
wird nach finanziellen Erwägungen tariert, der Mensch selbst wird<br />
zum Kostenfaktor, sein Wert verbindet sich nicht mit höheren<br />
ethischen Vorgaben, sondern nach seiner grobsinnlichen und leicht<br />
zu fassenden „Nützlichkeit“. Dafür erhält er Vergütung; und in<br />
solchem Rahemn bewegt sich dann seine gesellschaftliche Position,<br />
und der Wirkungskreis seiner sozialen Aktivität.<br />
Solche Tendenzen lassen sich sicherlich für Michael Nostradamus<br />
auch astrologisch abbilden. Es verknüpft sich solche<br />
„materialistische Unreinheit“ und „menschenverachtende<br />
Sittenlosigkeit“ primär mit dem Überwiegen des Mondzyklus (wie z.<br />
B. in der kommenden 8. Weltzeit, ab 2100). Es geht nicht mehr um<br />
metaphysische Transparenz, um spirituellen Rang und um<br />
selbsttranszendente Stufe, Wesenhaftigkeiten, die sich mit den<br />
Symboliken der höheren Sphären verbinden, sondern um sinnliche<br />
Befriedigung, romantische Phantasie und rationalistische<br />
Eindeutigkeit. Jene sind aber Entsprechungen der niedersten<br />
Sphäre, oder der drei unteren „Kristallschalen“, und sie stehen, wie<br />
in dem Buch zu den „Zehn Zeitaltern des Nostradamus“ gezeigt, im<br />
Gegensatz zu Weltzeiten, in denen Entsprechungen der Sonne<br />
überwiegen, in denen Weitsicht und überweltliche Orientierung und<br />
28
höhere, aber nicht einfach zu verstehende Norm, und noch weniger<br />
einfach umzusetzende Realisation, die leitenden Paradigmen vor<br />
Augen führen und ans Handeln apellieren.<br />
Das Wort „Sensue“ steht im Zusammenhang des lateinischen<br />
Wortstammes „sensus“, „Gefühl, Empfindung, Wahrnehmung“. Es<br />
hat damit auch eine geistige Bedeutungslinie in Richtung „Verstand,<br />
Denkkraft, Geschmack“, und auch eine in Richtung der ethischen<br />
Existenzebene mit „Geschmack, Gesinnung, Sinn für das<br />
Schickliche, Takt“. Statt das Abstrakte und Unanschauliche zu<br />
favorisieren, folgt man Phantasien, statt schwierige Begriffe zu<br />
bilden und im Abstrakten zu operieren, gibt man Vereinfachungen<br />
Raum, und man kolportiert Normen in Richtung Gesetzhaftigkeit und<br />
Vorschrift. Die „gute“ Richtung zielt aber auf „das ganz Andere“; der<br />
„schlechte“ Irrweg kommt den menschlichen Bedürfnissen zu weit<br />
entgegen. Dem Kundigen ist klar, was Michel Nostradamus meint:<br />
alles dreht sich um das Zentrum seiner Warnungen, es geht um<br />
seinen moralischen Aufschrei vor jenen geistigen Haltungen, die die<br />
achte Weltzeit formieren können: einer (zu) langen Zeit einer auf<br />
dem Ästhetisch-Sinnlichen beruhenden Sittenlehre, die dem<br />
Äußerlichen und Gefühligen verbunden ist, die lieber Normen und<br />
Gesetzhaftigkeit strikt formuliert, als von dem Einzelnen die ethische<br />
Entscheidung immer wieder frei, individuell und kreativ zu fordern.<br />
Die kommende Doktrin dürfte in solchem Sinne eine<br />
„sensualistische“ sein. Die Überbetonung der sinnlichen<br />
Wahrnehmung ist bereits ein Kennzeichen der gegenwärtigen<br />
Weltzeit, der siebten; wir stehen geistesgeschichtlich gar nicht mehr<br />
weit weg von dem Kommenden, man kann es überall bereits im<br />
Ansatz erkennen. Wenn bald unsere Weltzeit zu ihrem Gipfelpunkt<br />
fortschreitet wird das sinnliche Moment noch einmal stärker<br />
29
herausgearbeitet werden, und dann wird sich eine<br />
fundamentalistische Lehre entwickeln, die (unbewusst) völlig dem<br />
Materiellen verhaftet ist. Wenn es jemandem noch möglich wäre,<br />
dieses zu verhindern, sollte er alle Kräfte dafür einsetzen, und<br />
entgegen steuern: es ist dieses in jedem Moment noch möglich.<br />
Man glaube nicht - sollte dieses wirklich kommen - dieses dann<br />
Erscheinende wäre völlig neu: schon in unseren gegenwärtigen Ären<br />
sind reiche Ansätze vorhanden, die bereits nach dem vollgültigen<br />
Ausdruck des Kommenden lechzen: es fehlt nur noch die<br />
weltanschaulich-religiös fundierte Begründung, und in ihr die rasante<br />
Entschiedenheit, eine neue Zeit mit neuen Moden und frischen<br />
Leitbildern und reformierten „Metaerzählungen“ einzuläuten. Ich<br />
nenne Beispiele: man will auch heute nicht mehr an<br />
„Beschneidungen“ der Sinne partizipieren, man erkennt im<br />
Jüdischen und Christlichen Momente der Durchsetzung, der<br />
Aggression, man stöhnt über die Passion des Herrn.<br />
Die Person, oder die Kultur, oder das soziale System „Sensue“, die<br />
Nostradamus in den Sechszeilern anspricht, ist eine Metapher für<br />
eine geistige Haltung und eine Ideologie. Es ist im Weiteren ein Bild<br />
für einen Staat oder eine Weltmacht, die die Doktrin des<br />
Ästhetischen – nach Sören Kierkegaard untere Stufe ethischer<br />
Entscheidung – vertritt und durchsetzt. Zugleich gewinnt dieses<br />
kollektive Urbild zuweilen auch ein individuelles Gesicht, in einzelnen<br />
Personen, die die damit verknüpften Doktrinen und Ideologien<br />
besonders deutlich zuspitzen: und dann kann der Begriff auch für<br />
eine definierte Person der jeweiligen Zeit gelten.<br />
Michel Nostradamus beschreibt das Wirken dieses „Reiches“ - in<br />
einem Oberbegriff, der alle die genannten Bedeutungsebenen fasst -<br />
30
in eben dem besonderen Teil seines Werkes, den Sechszeilern. Nur<br />
in ihnen erscheint dieser konzentrierte Begriff, der<br />
„Umschreibungen“ der Vierzeiler und anderer Divinationen<br />
zusammenbindet: In ihm wendet er sozusagen seine vierzeiligen<br />
Gedichte in einer umschriebenen anderen Form in eine prophetische<br />
Dimension. Er wiederholt und fasst noch einmal bestimmte<br />
Ereignisse unter einem neuen und übergeordneten Blickwinkel<br />
zusammen - und er schildert komprimiert Aufstieg, Eroberung und<br />
„Tod“ jenes staatlichen Gebildes, das Augustinus als imperium<br />
cupiditatis, Reich der Begierde kennzeichnen würde, im Gegensatz<br />
zur „Bürgerschaft Gottes“, civitas dei.<br />
Zu bedenken ist auch noch eine zweite Linie von Bedeutungen, in<br />
der Schreibung von „censue“: der lateinische Stamm kommt von<br />
„censere“, „einschätzen, zählen, meinen, beschließen“. Ein<br />
besonderer Sinn in der römischen Gesellschaft lag darin, dass<br />
damals Vermögenswerte eingeschätzt wurden, und daraufhin die<br />
Bürger in bestimmte Klassen eingetragen wurden. Hier ist ein Schritt<br />
zum blanken Utilitarismus nicht mehr weit, und zu einer<br />
unbeschränkten Macht einer Finanz- oder Wirtschaftsaristokratie. -<br />
Im Französischen ist „censeur“ ein „Censor, Sittenrichter“, „censier“<br />
ist ein „Lehensherr“, „censiere“ einen „Lehensfrau“. -<br />
Von Triftigkeit im Zusammenhang der Texte von Nostradamus ist<br />
wohl auch der Bedeutungsraum „moralisch beurteilen“, „sittlich<br />
verurteilen“: das solcherart gekennzeichnete weibliche<br />
Gemeinwesen steht anderen Kulturen „richtend, bewertend“<br />
gegenüber. Dieses Verhalten wird offensichtlich in der Zukunft<br />
gegenüber den „älteren“ Staaten und Kulturen zu einem Standard,<br />
der Konflikte „befeuert“, sogar Kriege nahe legt: dabei geht es um<br />
eine eigentümliche, vielleicht sogar ideologisch gerechtfertigte<br />
31
Praxis, die (vermeintlich erwiesenen) „besseren“ Ansichten auch<br />
militärisch durchzusetzen.<br />
Fraglich ist, ob zwischen „censue, sensue“ und dem zweimal in<br />
ähnlichem Sinne in den Sechszeilern verwendeten „ senestre“ ein<br />
Zusammenhang besteht. - Ein lautlicher Anklang ist auf alle Fälle<br />
vorhanden; der Wortstamm bezieht sich wohl auf das altindische<br />
„sani“, „Gewinn, Nutzen“. Die Kennzeichnung der Richtung ist im<br />
römischen Augurium als „glücklich, günstig“ eingestuft, in der<br />
Umgangssprache ist aber die Bedeutung umgekehrt. Bei dem Ritus<br />
der Vogelschau blickte etwa der Augur nach Süden, und so befand<br />
sich der glückverheißende Osten zur linken Hand. - In Gedicht 9 der<br />
Sechszeiler erscheinen „senestre“ und „censuart“ zusammen:<br />
eventuell ist aus diesem Sechszeiler eine mögliche Korrelation<br />
herzuleiten.<br />
Es gilt nun noch, auf eine weitere mögliche Dimension der<br />
Bedeutung hinzuweisen: es handelt sich dabei um eine Verknüpfung<br />
mit dem sehr häufig, nämlich 21 mal vorkommenden Zahlwort „six<br />
cens“, „sechshundert“. Vermutlich gibt es eine eher indirekte Linie<br />
von „censue“ zu „cens“: es kann das Wirken und Handeln einer<br />
„Sinnlichen, Geschätzten, Bewerteten“ mit dem Zahlwort<br />
„sechshundert“ verbunden sein. Dieses ist erneut ein recht<br />
erstaunliches Phänomen; es erinnert an gewisse bibliche<br />
Vorkommnisse der Zahl „616“ oder „666“, ebenfalls in der Geheimen<br />
Offenbarung: und wieder bezieht sich diese Metapher auf eine<br />
historische Phase der Zukunft. Michael Nostradamus schließt sich<br />
offensichtlich mehrmals an die biblischen Sinnhorizonte. - Zu der<br />
Zahl „600“ und ihrer Bedeutung in den Sechszeilern ist es<br />
angebracht, ein eigenes Kapitel nieder zu schreiben. Es wird dieses<br />
nach einigen noch grundsätzlicheren Erwägungen in diesem<br />
32
<strong>Manuskript</strong> geschehen.<br />
Jetzt aber noch zu dem anderen wesentlichen Begriff der<br />
Sechszeiler, dem Wort „la Dame“, „die Dame, die Frau“. Es kommt in<br />
den Sechszeiler neun Mal vor, und ist damit das am zweitmeisten<br />
verwendete Substantiv.<br />
Bereits die Konnotationen der Umgangssprache verraten, dass es<br />
sich dabei um einen gehobenen Ausdruck für das Weibliche handelt.<br />
Es scheint konkret eine Person des weiblichen Adels oder einer<br />
anderen Frau hervorragender Güte angesprochen zu sein. Die<br />
bedeutung weist auf große Wertschätzung, nahezu Ehrfurcht.<br />
Wieder kann auf die biblischen Analogien verwiesen werden: es<br />
zeigt sich eindeutig die in den genannten heiligen Schriften<br />
entwickelte Antithetik von „Hure“ und „großer Frau“. Michel<br />
Nostradamus führt damit auch diese Linie weiter. - Die mehreren<br />
hier bekannt gemachten Verquickungen von Symboliken und der<br />
darin enthaltene kunstvoll gestaltete Konnex - von antithetischen<br />
weiblichen Metaphorisierungen, von aufgegriffenen<br />
Zahlensymboliken - ist in anderen Werken des provenzalischen<br />
Arztes und Propheten ähnlich anzutreffen, und in der<br />
ausgearbeiteten Ornamentik und Semantik unbedingt auf ihn zu<br />
beziehen. -<br />
Es kann sein, dass sich der Begriff „Dame“ in Teilen der zukünftigen<br />
Geschichte – nach 1555 – auch auf das Haus „Bourbon“ bezieht.<br />
Dieses Substantiv kommt immerhin dreimal vor. Einmal, „am Ende<br />
des Stammes“, bezeichnet Nostradamus diese Familie sogar als die<br />
„so sehr liebenswerten Fürsten von Jerusalem“. - Hier zeigt sich der<br />
ständisch-konservative Ansatz der Geschichtsbetrachtung des<br />
Nostradamus deutlich. Dabei geht es aber wohl nicht um einen<br />
33
politischen Duktus dieser Gedanken, sondern eher um einen<br />
astrologischen. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Astrologie<br />
und ihre Begrifflichkeiten ursprünglichen politischen Zwecken viel<br />
näher standen, als heute, und dass manche astrologische<br />
Grundgedanken im Zusammenhang der antiken Gesellschafts-,<br />
Kultur- und Moralvorstellungen zu verstehen sind. Hier wirken auch<br />
Vorstellungen über die metaphysische Wirklichkeit hinein und fort,<br />
und machen manche Annahmen und Extrapolationen verständlich. -<br />
Zu berücksichtigen in dem Zusammenhang einer einer „großen<br />
Dame“, einer ständischen Ordnung und eines gottgegebenen<br />
Königtums auch der Ausdruck: „der Favorit des Großen Ewigen<br />
Gottes“ (Aucane, 38; entspricht VII, 80). Nostradamus sagt für<br />
diesen das „Erbe seiner Provinz“ vorher. - Diese eschatologische<br />
Aussage bezieht sich wohl auf Nachfolger des Stammes der<br />
Bourbonen. -<br />
Im Sinne der Entwicklung solcher berufener Häuser erscheinen auch<br />
mehrmals „Kinder“ der „Dame“. Diese kommen vor in Aucane 1, 4,<br />
32 – hier scheinen sich geradlinige Fortsetzungen innerhalb<br />
gewisser „Stammbäume“ (s. „Prophezeiungen“, Chiffre BRANCHES)<br />
anzuzeigen. Es können aber auch zwei Damen – eine „sehr große“,<br />
eine „junge“ - in einem Gedicht vorkommen, wie in Aucane, 53.<br />
Es muss hier nicht ins Detail ausgeführt werden, in welche anderen<br />
Bedeutungsdimensionen als „la Sensue“ der Begriff „La Dame“ lenkt.<br />
Kurz genannt seien edle Lebensart, hohe ethische Gesinnung,<br />
wahre Menschenfreundlichkeit.<br />
In diesen Bedeutungsräumen nutzt Michael Nostradamus die<br />
eschatologische Bilderwelt des Christentums in einer einerseits sehr<br />
traditionellen, andererseits aber völlig neuartigen Weise. Es nimmt<br />
34
Wunder, dass bis heute niemand solche grundlegenden Züge in den<br />
Sechszeilern erkannt hat: wahrscheinlich wurden sie gerade durch<br />
die falsche Lesart von Seve - „sangsue“ - weitgehend unterbunden.<br />
Umso erstaunlicher ist, dass doch ein <strong>Manuskript</strong> vorhanden ist, das<br />
jene ehrwürdigen und vielversprechenden Metaphoriken erhalten<br />
hat.<br />
Wahrscheinlich sind gerade die Sechszeiler ein besonders<br />
ausgefeiltes und von Nostradamus mit intensivem Bedacht<br />
formuliertes Kunstwerk. Alleine die Dimensionen von „La Sensue,<br />
Censue“ und „La Dame“ eröffnen ungeahnte Möglichkeiten der<br />
Deutung.<br />
Es würde sich sicher lohnen, die in diese Kapitel angesprochene<br />
Antithetik monographisch zu behandeln. In einer solchen<br />
Untersuchung ließe sich das Bedeutungssystem der französischen<br />
Geschichtskonstruktion aus einem vielversprechenden Blickwinkel<br />
entfalten.<br />
35
5. Andere Bilder und Begriffe<br />
Über die Antithetik von „La Sensue“ und „La Dame“ hinaus stehen<br />
die Parteien von „Großen (grands)“ und „Gemeinen (communs)“<br />
(Aucane 13). Vermutlich korrespondieren solche auch mit dem<br />
Gegensatz von „schwach (foible)“ und „mächtig (puissant)“ (Aucane<br />
35). Dem Begriff „senestre, links“ steht ein unausgesprochenes<br />
„droite, rechts“ gegenüber.<br />
Die Polarität hat – wie angedeutet – auch astrologische Bezüge,<br />
einerseits zu den Lichtern, sprich Sonne und Mond, andererseits<br />
zum Rang der „Kristallschalen“, d. i. zu den unteren Sphären und zu<br />
den oberen Sphären.<br />
1. Schiff<br />
Das mehrfach vorkommende Bild von einem Schiff ist einerseits, als<br />
„Galeere“, wohl niedrigen Rängen zuzuordnen, und andererseits als<br />
„Nussschale, Kahn, Schiff“ wohl oberen Positionen („der Gestirne in<br />
den Zyklen“).<br />
2. Blume<br />
Ganz in diesem Sinne erscheint auch die Polarität von „Lilie“<br />
(Aucane 4) und „Rose“ (Aucane 42). Letzteres Symbol beschreibt<br />
eher materielle und sensualistische Gegebenheiten, bezieht sich auf<br />
„Amouren (amours)“ und „Liebe (amour)“; ersteres Bild der Lilie<br />
36
weist in den bekannten Zusammenhang überirdischer Klarheit und<br />
Reinheit. Zugleich ist die Lilie auch ein Symbol der französischen<br />
Monarchie.<br />
3. Kriechtier, Reptil, Schlange<br />
Viermal nutzt Nostradamus Konnotationen des Symboles „Krokodil“.<br />
Das Krokodil bringt er in einem Gedicht zusammen mit „Schlangen“<br />
(„aspics“, Aucane 34). Es handelt sich in beiden wohl um die<br />
bekannte (auch biblische) Veranschaulichung des Diabolischen.<br />
Zugleich bedeutet das „Krokodil“ wohl ein afrikanisches Staatswesen<br />
– es läge nahe, die Metapher auch geographisch einzuordnen.<br />
Zugleich herrscht Mars über den Südwesten (= Afrika, von<br />
Jerusalem aus gesehen).<br />
4. Elefant<br />
Drei Mal erscheint die Vorstellung „Elefant“. Die Konnotationen der<br />
Texte der Sechszeiler für die Dickhäuter sind in gewisser Weise<br />
bedrohlich. Vom Geographischen her kann dieses metaphorische<br />
Tier für Indien stehen – ein Zusammenhang mit den eher<br />
schwerfälligen Erdzeichen, die im Südosten liegen, scheint möglich.<br />
Der „Elefant“ steht wohl für monströse vitale Mächtigkeit; seine lange<br />
Nase spricht für das „Wählerische, Heikle“. Da er zu den<br />
Entsprechungen Jupiters gehört, ist auch zu überlegen, ob er einem<br />
Land aus dem Klimat des Jupiter (20°30´ bis 27°30´ nördlicher<br />
Breite) analog ist.<br />
37
5. Wolf<br />
Drei Mal erscheint das Symbol „Wolf“. Der „Wolf“ bedeutet<br />
martialische und knochenbrechende Intensität. Er kann den Klimaten<br />
der Sonne (33°40´bis 39°) oder des Mars (27°30´bis 33°40´)<br />
entsprechen; die Sonne ist zugleich Patronin des Nordwestens bei<br />
Tage. Der Wolf kann so dem Nordwesten der Welt, Europa oder<br />
Nordamerika entsprechen. In eine ähnliche Richtung weist das<br />
Symbol des Wolfes in der von Michael Nostradamus geschaffenen<br />
gereimten Vorrede zu den „Hieroglyphen des Horapollo“. Dort<br />
erlischt nach einem ersten Teil der tierischen Symboliken die Macht<br />
des Wolfes und geht über an die „Hyäne“ und die „Hunde“.<br />
6. Phönix und Greif<br />
Es kommen auch die beiden Fabelwesen vor. Sie verknüpfen sich im<br />
Falle des „Phönix“ mit anderen Metaphorisierungen, siehe unten.<br />
Der Greif kommt zwei Mal vor, kann Persien ansprechen; das<br />
Mischwesen aus Löwe und Adler ist in der Staatsheraldik dieses<br />
Landes seit alters immer wieder vertreten. Es gibt aber auch<br />
griechische Überlieferungen, die die Greife in den Steppen<br />
Mittelasiens zu Hause sein lassen.<br />
7. Charon<br />
Auch diese Person der griechischen Mythologie erscheint dreimal.<br />
Das Bild hat wohl negative Bedeutungen, es ist angespielt auf ein<br />
„Übersetzen ins Totenreich“. Einem „Charon“, einem Fährmann in<br />
die Unterwelt, gelingt es einmal sogar, „Ostern in Fasten zu<br />
38
verwandeln“ - ein Bild von bedeutender eschatologischer Tragweite<br />
(Aucane 24). Die christliche Auferstehungshoffnung erlischt, ihr<br />
sanguinischer Impuls stumpft ab, und wendet sich zu einem<br />
mürrischen Fastengehabe. Dieser Sechszeiler wäre zugleich das<br />
sechshundertsechsundsechzigste Gedicht der „Prophezeiungen“.<br />
Es gibt einmal sogar einen „Phönix“ des „Charon“ (Aucane 46). Das<br />
Symbol „Phönix“ kann die „Unsterblichkeit der Materie“<br />
versinnbildlichen: hier dürfte wohl immer wieder etwas aufleben, das<br />
sich mehrmals verbraucht und überholt hat (Aucane 51). Ein<br />
Todbringendes steht wieder auf – es scheint das Böse nicht enden<br />
zu wollen.<br />
8. Getreide<br />
Zweimal wird das Symbol „Getreide“ verwendet.<br />
9. Ölbaum<br />
Drei Mal kommt das Symbol der „Olive, des Öls“ vor. Es scheint, wie<br />
das Bild des Getreidekornes, auf eine überweltliche Wirklichkeit zu<br />
weisen, auf metaphysische Nahrung, vermittelt in der Kommunion,<br />
und Salbung, als ein Sakrament.<br />
Doch ist unter einem „Olivenbaum“ das „Krokodil“ so lange<br />
verborgen gewesen, bis es wieder ins Leben treten konnte (Aucane,<br />
16).<br />
Je einmal werden diese Bilder verwendet: „Skorpion“, „Chamäleon“,<br />
39
„Schlange“, „Rind“, „Nachtigall“, „Meerungeheuer“, „Monster ohne<br />
gleichen“. Alle diese Bilder haben Konnotationen von Bedenklichkeit,<br />
vom vergiftend-schmerzlichen Stich bis zum Abnormen („Monster“),<br />
vom Wetterwendischen und Nichtidentifizierbaren („Chamäleon“) bis<br />
zum horizontal gerichteten Kriechenden („Schlange“), vom Massig-<br />
Voluminösen und rein Vitalen („Rind“) bis zum spielend Tändelnden<br />
und Irrelevanten („Nachtigall“).<br />
Nimmt man zu diesen Bildern die eingestreuten astrologischen<br />
Hinweise, von denen Michel Nostradamus kund tut, er nutze dabei<br />
eine „nicht schulmäßige Sprache“ (Aucane, 44), wird einem die hohe<br />
Farbigkeit und die polyvalente Verwobenheit der Texte noch<br />
deutlicher. Alleine diese unerwartete und eminente Qualität kann in<br />
Richtung des Sehers und Propheten weisen – wo wäre eine zweite<br />
Person, die solche Verknüpfungen in solcher kreativen Manier<br />
niederzulegen wagte? Und, trotz aller „lunatischer“ Vielfältigkeit,<br />
trotzdem bleibt im Rahmen der traditionellen Denkweisen über die<br />
symbolischen Wirklichkeiten, indem sie sich immer wieder beruft auf<br />
antike Provenienzen der Metaphern?<br />
Nostradamus gebraucht noch eine zu erwähnende Metapher für eine<br />
ordnende Kraft: „der große Arzt“ (Aucane 10), der „Arzt des großen<br />
Übels“ (Aucane 27). Dabei ist offen, ob er dabei eine Wesenheit<br />
außerhalb von Raum und Zeit anspricht, oder um deren<br />
„Niederschlag“ in einer begnadeten und inspirierten Person. Dieses<br />
Bild ist ungewöhnlich, und steht weit außerhalb üblicher<br />
symbolischer Bezugssysteme: es könnte ohne Weiteres auf einen<br />
medizinischen oder heilkundlichen Ursprung im Beruf des<br />
französischen Sehers und Astrologen weisen. - Dieses ist einerder<br />
vielen Hinweise auf eine Autorschaft des Nostradamus für die<br />
Sechszeiler. -<br />
40
Ansonsten gibt es noch jede Menge rätselhafter Anspielungen, auf<br />
„Kreuz“ (Aucane 36), auf den „heiligen Bartholomäus“ (Aucane 50),<br />
„England“ (Aucane, 48), „Ungarn“ (Aucane 45), „Gibraltar“,<br />
„Pamplona“ (Aucane 39), auf „Dauphine, Provence, Vivarais“<br />
(Aucane, 30), auf „Auvergne“ und „Persien“ (Aucane, 8 und 9)<br />
„Florenz, Marseille“ und „Frankreich“ (Aucane 1).<br />
Es kommen auch Namen vor, „Francois“ (Aucane 56) und „Carl“<br />
(Aucane, 42) und „Bourbon“.<br />
41
6. Der Text der Sechszeiler<br />
Hier der neue Text der Sechszeiler nach dem <strong>Manuskript</strong> von<br />
Vincent Aucane. 1<br />
_ _ _<br />
Mars; VII, 41<br />
(hier kann eine Lücke vorliegen, wie die Ausgabe von 1557 zeigt;<br />
das Gedicht der „Prophezeiungen“ von 1568 „Les os de piedz & des<br />
mains enserrez...“ sollte kritisch betrachtet werden)<br />
Merkur; VII, 42<br />
(hier kann ebenfalls eine Lücke - nach dem Text von 1557 -<br />
vorliegen; das Gedicht der „Prophezeiungen“ von 1568 „Deux du<br />
poison saisiz nouveau venuz...“ sollte kritisch betrachtet werden)<br />
(Nun folgt das <strong>Manuskript</strong> von Vincent Aucane)<br />
1<br />
Merkliche Differenzen in den Texten zwischen 1605 und 1600 sind unterstrichen<br />
markiert. Linksbündig stehen die im Original vorhandenen Nummern und Wortfolgen;<br />
rechtsbündig stehen Notierungen zum Text. Die Interpunktion wurde wie im Original<br />
wiedergegeben; Kürzel sind /zwischen Strichen/ aufgelöst. Deutliche Endstriche wurden<br />
als „-“ dargestellt, oder, wenn sie eindeutig mit dem Wort zusammen hingen, in Akzente<br />
übersetzt. Ein unlesbares Wort oder eine unlesbare Stelle in einem Wort ist so „...“<br />
angezeigt.<br />
42
„1600<br />
Predictions de M e Michel Nostradamus Pour<br />
le siecle de l´an 1600 P/rese/ntees au Roi Henri 4 e au<br />
Commencement de l´Anneé par Vincent Aucane<br />
de Languedoc<br />
(Seitenzahl „66“ gestrichen, neu:) 76<br />
1<br />
(Jupiter; VII, 43)<br />
Siecle nouveau; Alliance nouvelle<br />
Un Marquisat mis dedans la Nascelle<br />
a qui plus fort des deux l´emportera<br />
D´un Duc, D´un Roi, Galle r res en Provence<br />
Port a Marseill Pucelle dans La France -<br />
De Caterine fort Chef on razera<br />
2<br />
(Venus; VII, 44)<br />
Que d´or d´argent en verra Lors dependre<br />
quant Conte voudra ville prendre<br />
Tant De mille /e/t mille soldatz.<br />
Tuez noiez sans y rien faire<br />
Dans; plus fort mettra pied a Terre.<br />
Pigmee aydé Des Censuarts<br />
43
3<br />
(Saturn; VII, 45)<br />
La ville s endessus Dessoubz<br />
Renversee de mille Coups<br />
De Canons /e/t fortz Dessous Terre<br />
T rois ans tiendra; Letout remis<br />
Et lascheé a ses Ennemis<br />
Eeau Leur fera apres La Guerre<br />
4<br />
(Sonne; VII, 46)<br />
D´un noble Lis naitra un si grand Prince<br />
Bien tost /e/t tard venu en sa province<br />
Saturne en Libra; en exaltation.<br />
Maison De Venus en Decroissante force<br />
Dame en apres masculin soubz l´escorce<br />
Po/ur/ Maintenir L´hereux sang de Bourbon<br />
5<br />
(Mond; VII, 47)<br />
Quant De Robin La traitreuse Enterprise<br />
Mettra seigneurs et en peyne ung grand prince<br />
Sceu par La fin Chef on Luy tranchera<br />
La plume au vend Advis dedans L´espagne<br />
Poste atrapé estant a la C ampagn i/.../<br />
Et L´escrivain Dans leau se Jettera<br />
6<br />
(Mars; VII, 48)<br />
Celuy qui La principaulte<br />
Tiendra par grande Cruaulte<br />
A La fin verra grand falange<br />
44
Par Coup De fer tres D angereux .<br />
Par accord pouroit f/aire/ mieux<br />
Autrem/ent/ boira suc d´orange<br />
7<br />
(Merkur; VII, 49)<br />
La Sensue au Loup se Joindra<br />
Alors qu´en Mer Le Bled on D efendra<br />
Mais Le grand Prince sans Envie<br />
Par Ambassade Leur donnera -<br />
De son Bled po/ur/ luy donner vie<br />
Po/ur/ un besoin s´en pourvoira -<br />
(Seite 76 b)<br />
8<br />
(Jupiter; VII, 50)<br />
Un peu devant L´ouver Commerce<br />
Ambassadeur viendra de P arse<br />
nouvelle au Franc pais porter<br />
Mais non receu vaine esperance -<br />
A son grand Dieu sera L´offence<br />
Feignant De le vouloir quitter<br />
9<br />
(Venus; VII, 51)<br />
Deux Estendartz Du Coste de L´auvergne<br />
Senestre pris po/ur/ un temps prison Regne<br />
Et une Dame Enfant voudra mener<br />
Au Sensuart; mais Descouvert Laffair<br />
Danger De mort murmure sur la Terre<br />
Germain Bastell, frere e/t/ soeur Prisonnier<br />
45
10<br />
(Saturn; VII, 52)<br />
Ambassadeur po/ur/ une Dame<br />
A son vaisseau mettra La Rame<br />
Po/ur/ prier Le grand Medecin<br />
Que Del´hostre De tell peyne<br />
Mais en ce sopposera Reyne<br />
Grand peine avant que voir la fin<br />
11<br />
(Sonne; VII, 53)<br />
L´aventurier six cens C inq ou neuf<br />
Sera surpris par fiel mis en un Oeuf<br />
Et peu apres sera hors De puissance<br />
Par le tres grand Empereur G / ... / nal<br />
qu´au monde nest son pareil ny Egal<br />
Dont un ch/ac/un Luy rend obeissance<br />
12<br />
(Mond; VII, 54)<br />
Nouveau Esleu patron Du grand vaisseau<br />
Verra Long temps brusli r Le Clair Flambeau<br />
qui sert De lampe a ce bas Territoire<br />
Et auquel temps armees soubz son nom<br />
Joinctes acelle De l´Heureux De Bourbon<br />
Levant Ponant /e/t Couchant sa Memoire<br />
13<br />
(Mars; VII, 55)<br />
In October six cens Cinq<br />
Pourvoieur du monstre Marin<br />
Prendra du Souverain le Cresme<br />
46
Et en six cens six en Jung<br />
Grand Joye aux Grands /e/t au Commun<br />
Grans faictz apres Le grand batesme<br />
14<br />
(Merkur; VII, 56)<br />
Au mesme temps un grand endurera -<br />
Joieux mal sain, Lan co nter ne verra<br />
Et quelques uns qui seront Dela Feste<br />
Feste po/ur/ un seullem/ent/ a ce Jour<br />
Mais peu apres sans faire Long seiour<br />
Deux se donneront L´un L´autre De La Teste<br />
15<br />
(Jupiter; VII, 57)<br />
Considerant La Triste Filomelle<br />
Qu´en pleurs /e/t cris sa peyne renouvelle<br />
Racourcissant par tel moien ses Jours -<br />
Six cens /e/t cinq ell verra Lissue<br />
De son tourmen t s a s a toilhe tissue<br />
Par son moien Senestre avra secours<br />
16<br />
(Venus; VII, 58)<br />
Six cens Cinq six cens six ou sept<br />
Nous monstrera Jusques en Lan dix sept<br />
Du boutefeu L´ire hayne /e/t Envie<br />
Soubz Lollivier assez long temps caché<br />
Le Crododril sur La Terre a C raché<br />
Ce questoit mort sera pour Lors en vie<br />
47
17<br />
(Saturn; VII, 59)<br />
Celuy qui a par plusieurs four<br />
Tenu La Cage et puis Lar B our<br />
Rentre ra en son premier estre<br />
Vie sauve peu apres sorty<br />
Ne scachant en ertes co nn or ter<br />
Cherchera subiect po/ur/ mourire.<br />
(Seitenzahl 67 gestrichen, statt dem:) 77<br />
18<br />
(Sonne; VII, 60)<br />
L´auteur Des maux commencera a regner -<br />
en Lan six cens sept sans Espargner -<br />
Tous Les subiectz qui sont a la Censue<br />
et puis apres s´en viendra peu a peu<br />
au Franc pais po/ur/ reallumer Le Feu -<br />
s´en retournant do nt elle estoit Issue<br />
19<br />
(Mond; VII, 61)<br />
Cil qui dira en D escouvrant L´affaire<br />
comme du Mort, La mort pourra bie/n/ f/aire/<br />
Coups de poignar d par un qu´a v ons Induit<br />
sa fin sera pis qu el n´aura frut faire<br />
La fin conduit Les hommes sur La Terre<br />
guette par tout tant Le Jour que la Nuict<br />
48
20<br />
(Mars; VII, 62)<br />
Quant Le Grand Nef, La proue e/t/ Gouvernail<br />
Du franc pais de son esprit vital<br />
Descueilz /e/t flotz par La Mer secour é<br />
Six cens sept ou dix Coeur assiegé<br />
Et D u reflux de son Corps affligé<br />
La vie estant sur ce mal renoveé<br />
21<br />
(Merkur; VII, 63)<br />
Le Mercurial nom De trop longue vie<br />
six cens /e/t huit et vingt grand maladie<br />
Et encor pis Danger De feu /e/t D´eau<br />
son grand Amy Lors Luy sera contraire<br />
De telz hazards se pourroit bien Distraire<br />
Mais bref Le Fer Luy fera son tombeau.<br />
22<br />
Six cens six ou six cens Neuf<br />
Un Chancellier gros comme un be ai f<br />
et viel comme un Fae nix Du Monde<br />
en ce terroir plus ne Luira<br />
Dela Nef doubly passera<br />
auc champs elises faire Ronde<br />
(Jupiter; VII, 64)<br />
23<br />
(Venus; VII, 65)<br />
Deux Freres sont De lordre ecclesiastique<br />
Dont L´un prendra po/ur/ la France la Pique<br />
Encores un Coup s y lan six cens e/t/ six<br />
Nest affligé d´une grand maladie<br />
49
Armes en main Jusques en six cens e/t/ dix<br />
Guieres plus Long ne sostendra sa vie<br />
24<br />
(Saturn; VII, 66)<br />
Lan mil six cens D ix au quatorziesme -<br />
Le viel Caron fera Pasque en Caresme -<br />
Six cens /e/t six par escript Le mettra -<br />
Le Medecin de tout cecy sestonné<br />
Au mesme temps assiné e/n/ personne -<br />
Mais po/ur/ certain L´un Deux comparoitra -<br />
25<br />
(Sonne; VII, 67)<br />
Le Griffon se peult aprester<br />
Pour al ennemy resister<br />
et renforcer bien son Armee<br />
Autrement L´eslefant viendra<br />
qui d´un abort Le surprendra<br />
Six cens e/t/ huit mer enflammé -<br />
(Nr. 26 fehlt)<br />
(Mond; VII, 68)<br />
(Mars; VII, 69)<br />
27<br />
Dans peu de Jours medecin du grand mal<br />
Et La Sensue d´ordre /e/t S ang Inegal<br />
mettront Le feu a la branche D´olive<br />
50
Poste courir d´un /e/t Dautre Coste<br />
et par tel feu Leur Empire augmenté<br />
se rallument /e/t Du Frane Finy la vie -<br />
28<br />
(Merkur; VII, 70<br />
Celuy qui a les Hazards surmonte<br />
qui Fer Feu Eau n´a iamais redouté<br />
et Du pais bien proche Du Bazacle -<br />
D´un coup de fer tout le monde estonné<br />
par Crocodril estrangement Donne<br />
Peuple ravy De voir u/ng/ tel Spectacle -<br />
(Seite 77 b)<br />
29<br />
(Jupiter; VII, 71)<br />
Vin a foison tres bon po/ur/ les gen edarmes<br />
Pleurs /e/t souspirs plaintes cris /e/t alarmes<br />
Le Ciel fera ses tonneres pleuvoir<br />
Feu Eau /e/t sang Letout mesle ensemble<br />
Le Ciel fremist /e/t le Soleil en tremble<br />
Vivant n´a beu ce quil pourra bien boir<br />
30<br />
(Venus; VII, 72)<br />
Bien peu apres sera tres grand misere<br />
Du peu de bled qui sera sur La terre<br />
Du Daufiné provence /e/t vivaretz<br />
Au vivarez est ung pauvre presage<br />
Pere Du Filz sera Antropofage<br />
Et mangeront Racine /e/t Glan des bois<br />
51
31<br />
(Saturn; VII, 73)<br />
Princes /e/t Seigneurs to/us/ se fero/n/t La Guerre<br />
Cousins Germains le Frere avec le Frere<br />
Finy Labry Del´Hereux de Bourbon<br />
En Hierusalem Les Princes tant aymables<br />
Du fait commis Enorme /e/t Execreable<br />
Se remettront sur La bourse sans fond<br />
32<br />
(Sonne; VII, 74)<br />
Dame par Mort grandement attristeé<br />
Mere /e/t Tutrice au sang qui la quitté<br />
Dames E nfans faictz Entfans orfelins<br />
Par Les Aspicz /e/t par les Crocodrilles<br />
seront surpris fortz Chasteaux e/t/ villes<br />
Dieu tout puissant Les garde Des malins<br />
(Nr. 33 fehlt)<br />
(Mond; VII, 75)<br />
34<br />
(Mars; VII, 76)<br />
La grand Rumeur qui sera par La France -<br />
Les Impuissans; voudront avoir puissance<br />
Langue Emmiellee /e/t vrais Cameleons<br />
Et boutefoeus allumeurs De Chandells<br />
Pies /e/t Gays raporteres De nouvells<br />
Dont La morsure semblera Scorpions -<br />
52
35<br />
(Merkur; VII, 77)<br />
Foible /e/t puissant seront en grand Discord<br />
Plusi/eurs/ mouront avant fi/.../ laccord<br />
Foible au puissant vainqueur se fera dire<br />
Le plus puissant au Jeune es ddera<br />
Et Le plus vieux des deux dan dera<br />
Lors que L´un Deux envahira lempire<br />
36<br />
(Jupiter; VII, 78)<br />
Par eau par fer e/t/ par Grand maladie<br />
Le pourvoieur au hazard de sa lige<br />
savra combien vault Le Quintal de bois<br />
six cens /e/t quinze ou Le dixneufiesme<br />
en gravera d´un grand prince Cinq/ieme/<br />
Limmortel nom sur Le pied De la Croix.<br />
37<br />
(Venus; VII, 79)<br />
Le Pourvoieur Du Monstre sans pareil<br />
se fera voir ainsy que Le Soleil<br />
montant LeLong La Ligne meridienne<br />
Et po/ur/suivant L´eslefant /e/t Le Loup<br />
nul Empereur ne fist iamais tel coup<br />
Et rien plus pis a ce prince nadvienne<br />
38<br />
(Saturn; VII, 80)<br />
Ce qu´en vivant le Pere n´avoit sceu -<br />
Jl acquerra ou par F er ou par Feu<br />
et combatra La Censue Irriteé<br />
53
et Jouira De son bien Paternel<br />
Et Favory du grand Dieu eternel -<br />
avra bien tost sa province heriteé -<br />
39<br />
(Sonne; VII, 81)<br />
Vaissaux galleres avec Leu/rs/ estendartz<br />
senterbattront pres du mont Gilbatard<br />
Et Lors seront Fortz Faictz a pam pelinie<br />
qui po/ur/ son bien soufrira mille maux<br />
Par Plus/ieurs/ fois souffriront des Assaux<br />
Mais a la fin unis a La Couronne -<br />
(Seite 68 gestrichen; statt dem:) 78<br />
40<br />
(Mond; VII, 82)<br />
La grand Citté ou est Le premier Hom/m/e -<br />
bien amplem/ent/ La Ville ie vo/us/ nomme -<br />
toute en alarme /e/t Le soldat aux Champs<br />
par feu /e/t eau grandement affligee<br />
Et a la fin Des Francois soulageé<br />
mais ce sera de six cens en dix ans<br />
41<br />
(Mars; VII, 83)<br />
Le petit coing province mutineé<br />
par fors chasteaux s...ts dominee<br />
Encores un coup par La Gent militaire -<br />
Dans bref seront fortem/ent/ assiegez<br />
mais ils seront d´un tresgrand soulages<br />
qui avra Fait Entree Dans Beaucaire -<br />
54
42<br />
Merkur; VII, 84<br />
La belle Roze dans La France admireé<br />
D´un tres grand Prince a la Fin desireé<br />
six cens e/t/ dix Lors naitront ces Amours<br />
Cinq ans apres sera d´un grand blesseé<br />
d´un trait d´Amour elle sera enlasseé<br />
sy a quinze ans du Carl rec oi t secours<br />
43<br />
(Jupiter; VII, 85)<br />
D´un coup de Fer tout Le monde estonné<br />
par Crocodril estraingement Donné<br />
a un bien grand parent Dela Censue<br />
Et peu apres sera un autre coup<br />
De guet a Pan commis contre Le Loup<br />
Et De telz Faitz on en verra Lissue<br />
44<br />
(Venus; VII, 86)<br />
Le pourvoieur mettra tout en Desroute<br />
Censue /e/t Loup a mon Dire mescoutte<br />
Quand Mars sera au signe du Mouton<br />
Joint a Saturne, et Saturne a La Lune<br />
Alors sera ta plus grande fortune<br />
Le Soleil Lors en Exaltation -<br />
45<br />
(Saturn; VII, 87)<br />
Le grand d´Hongrie ira Dans la Nascelle -<br />
Le nouveau nay fera Guerre nouvelle -<br />
a son voisin Le tenant assiegé<br />
55
Et Le nouveau avec son Altesse<br />
ne souffrira que par trop en le presse<br />
Durant trois ans ses gens tiendra rangez<br />
46<br />
(Sonne; VII, 88)<br />
Du viel Caron on verra Le Faenix -<br />
estre premier e/t/ dernier de ses filz -<br />
reluire en France /e/t dun ch/ac/un aymable<br />
regner Longtemps avec to/us/ les honneurs<br />
qu´ont iamais eu to/us/ ses piedcasseurs -<br />
Dont il rendra sa gloire memorable -<br />
47<br />
(Mond; VII, 89)<br />
Venus /e/t Sol Jupiter /e/t Mercure<br />
augmenteront Le genre De Nature<br />
grande alliance en France se fera -<br />
Et du Midy La Censue De Mesme<br />
Le Feu estaint par ce remede extreme -<br />
en terre Ferme L´ollive plantera<br />
48<br />
(Mars; VII, 90)<br />
Un peu de temps /e/t apres L´Angleterre<br />
par mort du Loup mis aussy bas q/ue/ Terre<br />
Verra Le Feu resister contre L´Eau<br />
s e rallumant avec telle Force<br />
Du sang humain Dessus La v i ne escorce<br />
Feste de Pain bondance de Cousteau<br />
56
49<br />
(Merkur; VII, 91)<br />
La Ville qui a en ses ans<br />
Combattu l´iniure du Temps<br />
qui de son vainqueur tient La vie -<br />
Celuy qui premier la surprist<br />
que peu a peu Francois reprit<br />
par Combatz encores affoiblye -<br />
(Seite 78 b)<br />
50<br />
(Jupiter; VII, 92)<br />
La grand Citté que n´a pain a demy<br />
Encores un coup La Sa Berthelemy<br />
Engravera au profond de son Ame<br />
Nisme, Rochelle, Geneve, mompellier<br />
Castres Lyon Mars entrant au Belier<br />
senterbattront Le tout po/ur/ une Dame<br />
51<br />
(Venus; VII, 93)<br />
Plus/ieurs/ mouront avant q/ue/ Faenix meure<br />
Jusques a six cens septante est sa demeure<br />
Passé quinze ans, vingt un trente neuf<br />
Le premier est subiect a Maladie<br />
Et Le second au Fer Danger De Vie<br />
au Feu e/t/ Leau est subiect trente neuf<br />
57
52<br />
(Saturn; VII, 94)<br />
Six cens /e/t xv une Dame mourra<br />
Et peu apres u/ng/ fort long temps plorer<br />
plus/ieurs/ pais / e/n Flandres /e/t Angleterre<br />
seront par F er /e/t par F eu affligez<br />
De Leurs voisins Longuement assiegez<br />
contraint seront De Leur Faire la guerre<br />
53<br />
(Sonne; VII, 95)<br />
Ung peu apres une tres grande Dame<br />
son Ame au Ciel /e/t son Corps soubz la Lam e<br />
De plusieurs gens regrettee sera<br />
Tous ses parens seront en grand tristesse<br />
pleurs /e/t souspirs d´une Dame e/n/ Jeunesse<br />
Et a Deux grans Le Deiul Delaissera<br />
54<br />
(Mond; VII, 96)<br />
Tost L´eslefant viendra de toutes partz<br />
Grand pourvoieur au griffon se Joindra<br />
sa Brue proche /e/t mars q/ui/ tousi/ours/ gronde<br />
Fera grand Faitz proche de terre sainte<br />
Grans estendartz sur La Terre e/t/ sur L´onde<br />
Sy la nef est e de Deux Freres enceinte<br />
55<br />
(Mars; VII, 97)<br />
Peu apres L´alliance faite -<br />
Avant que solemniser La Feste -<br />
L´empereur Le tout troublera<br />
58
Et La nouvelle marieé<br />
Au Franc pays par sort sera Lieé -<br />
Dans peu de temps apres elle moura<br />
56<br />
(Merkur; VII, 98)<br />
Sensue en peu de temps moura<br />
sa mort bon signe Donnera<br />
po/ur/ lacroissement De la France -<br />
Alliances se trameront<br />
Deux grands Royaumes se Joindront<br />
Francois avra sur tout puissance -<br />
FIN DU TIERS DES DITES PROFETIES“<br />
(Ende des <strong>Manuskript</strong>es von Vincent Aucane)<br />
(ein Platz frei)<br />
Jupiter; VII, 99<br />
(ein Platz frei)<br />
Venus; VII, 100<br />
59
7. Begründung für die vorgestellte Ordnung<br />
Innerhalb der „Prophezeiungen“ gibt es die bekannte „Lücke“ von<br />
Platz VII, 43 bis VII, 100 (dieses im Hinblick auf die Ausgabe von<br />
1568). In diese „Lücke“ passen 58 Gedichte.<br />
Die Untersuchungen in dem Buch „Die astrologische Architektur der<br />
Prophezeiungen“ haben gezeigt, dass die Zuordnung der Gedichte<br />
zu den Wochentagen – Sonntag (Sonne), Montag (Mond), Dienstag<br />
(Mars), Mittwoch (Merkur), Donnerstag (Jupiter), Freitag (Venus),<br />
Samstag (Saturn) - durch diese „Lücke“ hindurch konsequent<br />
durchgeführt wird. Teil drei der „Prophezeiungen“ - behandelt in<br />
„gastliche Körper“ - beginnt mit einer Entsprechung Saturns; in<br />
gleicher Weise begann Teil eins – in „linie purpur“ - ebenfalls mit<br />
einer Entsprechung Saturns. Teil zwei - „entfachter Raum“ - begann<br />
mit einer Entsprechung des Mars.<br />
Nach dieser Strukturierung müsste nun ein „Teil vier“ - dieser ist<br />
eigentlich, nach seinem Ort in den „Prophezeiungen“, Teil drei – bei<br />
dem Platz VII, 43 mit einer Koinzidenz des Jupiter beginnen. Man<br />
sollte hier aber noch einmal differenzieren: bedenkt man die erste<br />
Herausgabe des zweiten Teiles von 1557, so reicht dieser von IV, 54<br />
(Mars) bis zu VII, 40 (Mond). Dort fehlen so die beiden<br />
abschließenden Gedichte, die erst die posthume Gesamtausgabe<br />
von 1568 bringt, VII, 41 und VII, 42. (Und es hat sich um Umgang<br />
mit den Sechszeilern eine ziemlich unbedachte Art und Weise der<br />
Textüberlieferung aus dem näheren Umfeld des provenzalischen<br />
Sehers und Astrologen gezeigt.)<br />
60
Scheidet man alle Unsicherheiten aus, und bezieht sich alleine auf<br />
die von Nostradamus selbst dargestellten Ordnungen, würde der<br />
„dritte Abschnitt“ der „Prophezeiungen“, damit der Abschnitt der<br />
Sechszeilerm bei VII, 41 beginnen. Und diesem Ort entspräche<br />
wieder Mars. - Diese Zusammenstellung erschiene logisch, denn so<br />
begännen erster und letzter Teil mit Entsprechungen Saturns, und<br />
die beiden mittleren Teile mit Mars. -<br />
Zugleich käme es erneut zu dem bekannten Spiel mit der Zahl 6,<br />
hier in sechzig Gedichten. - Alleine schon aus diesem Grund sind die<br />
posthum eingefügten Gedichte VII, 41 und VII, 42 mit einigen<br />
Bedenklichkeiten ausgestattet. -<br />
Man bedenke auch: in der Erstherausgabe des <strong>Manuskript</strong>es von<br />
Vincent Aucane fehlen auf 60 Sechszeiler wieder sechs – dieses<br />
erscheint noch einmal als eine mögliche Anspielung auf die<br />
beziehungsreiche Zahl 6. - Und nach solchen Schlussfolgerungen<br />
scheinen gerade die fehlenden Gedichte von nicht zu<br />
unterschätzender Bedeutung. -<br />
Es sind die in dem prophetischen Werk enthaltenen Lücken wohl<br />
bewusst konstruiert und hergestellt. - Nimmt man diese Erwägungen<br />
zusammen, muss man der „schnellen Ergänzung“ der Sechszeiler<br />
auf 58 Gedichte durch Vincent Seve doppelt skeptisch gegenüber<br />
stehen: hier gehen allzu deutlich Strukturen und Hinweise verloren,<br />
die man der Gliederung bei Vincent Aucane noch ablesen kann. -<br />
Gleiches kann für jenes Gedicht gelten, das nicht von Nostradamus<br />
selbst auf seinen Platz gesetzt wurde, sprich das Gedicht VI, 100,<br />
die sogenannte „Legis cantio“. In diesem Zusammenhang<br />
thematisiert wurden bereits die Vierzeiler VII, 41 und VII, 42. Gerade<br />
bei diesen drei Gedichten muss die Publikationsgeschichte zwischen<br />
61
1557 und 1568 mit besonderer Sorgfalt nachgeprüft werden, und es<br />
würde nicht wundern, wären sie alle auszuscheiden. In der weiteren<br />
Verfolgung dieser Linie wären allen anderen Gedichte, die über die<br />
Zahl X, 100, damit die Gesamtzahl von 1000 hinausgehen, mit noch<br />
größerer kritischen Bewusstsein zu bewerten. -<br />
In dem hier entwickelten Sinne gewinnt die Erstherausgabe der<br />
„Sixains“ oder „Sechszeiler“ durch Vincent Aucane geradezu<br />
Hinweischarakter für das Verständnis der gesamten<br />
„Prophezeiungen“. Sie kann – und dieses völlig unerwartet –<br />
wesentliche Details zur Binnengliederung der „Prophezeiungen“<br />
beitragen.<br />
Wie können nun die 54 Gedichte, die Aucane überliefert, in die<br />
Lücke von 60 Gedichten zwischen VII, 41 und VII, 100 „eingepasst“<br />
werden? Mehrere Möglichkeiten sind zu bedenken: entweder es ist<br />
die Reihung ist völlig zerstört, dann erübrigte sich eine weitere<br />
Analyse – dieses erscheint aber nicht wahrscheinlich, vor allem in<br />
Anbetracht der astronomischen Umstände des Jahresanfanges von<br />
1600 die an Praxis des Nostradamus selbst erinnern kann; oder die<br />
Reihung ist teilweise zerstört, dann fände eine Analyse erhebliche<br />
Hinderungen, wäre nahezu hoffnungslos; oder drittens, und letztens:<br />
die Reihung ist erhalten – in diesem günstigen Fall, der zu erhoffen<br />
ist, bäten die Plätze der sechs fehlenden Gedichte ein vermutlich<br />
lösbares Problem.<br />
In diesem Buch wird nun der letzten Möglichkeit nach gegangen:<br />
alleine mit dieser kann sich eine weitere sinnvolle Arbeit an den<br />
Texten ergeben. Es gibt gegenwärtig keine andere Möglichkeit, als<br />
sich auf diese Annahme zu verlassen und mit der Arbeit zu<br />
beginnen. Jedoch der differente Zustand des <strong>Manuskript</strong>es von V.<br />
62
Aucane gibt Anlass, in ihm noch deutlicher die Hand des<br />
provenzalischen Arztes und Astrologen zu erkennen.<br />
Man kann nun wie folgt ansetzen, und dieses ist in der Darstellung<br />
des vorigen Kapitels bereits geschehen: mit der bisher praktizierten<br />
Einfügung des Textes der 54 Sechszeiler nach VII, 42 haben sich die<br />
fehlenden Gedichte 26. und 33. als zu VII, 68 und VII, 75 zugehörig<br />
gezeigt. - Damit wären sie gekennzeichnet – nach der bekannten<br />
durchgehenden Ordnung der Signifikationen - von einer Präsenz des<br />
Krebs (Mond): dieses erscheint wiederum als wesentlicher Hinweis<br />
auf den astrologischen Zusammenhang dieser Gedichte. Es würde<br />
in der bekannten Weise auf die hinter den Gedichte stehende Folie<br />
der (zyklischen) Gestirnkunde zeigen. -<br />
Belässt man es bei der genannten Einfügung, dann fehlen am Ende<br />
des dokumentierten Textes die Gedichte VII, 99 (Jupiter) und VII,<br />
100 (Venus). Erinnert man sich nun daran, dass die Gedichte VII, 41<br />
und VII, 42 eventuell nicht originär vorhanden waren, dann könnten<br />
nunmehr auch „vorne“ in der Reihe zwischen VII, 41 und VII, 100<br />
zwei Stellen fehlen, nämlich Gedicht VII, 41 und VII, 42. Sie wären<br />
nach der astrologischen Reihung zugehörig: das erste zu Mars, das<br />
zweite zu Merkur.<br />
Man kann nun die Kennzeichnungen der sechs fehlenden Gedichte<br />
analysieren: die sechs fehlenden Gedichte gehörten nach der<br />
entwickelten Hypothese zu Mars, Merkur, Mond, Mond, Jupiter und<br />
Venus: es fehlen damit die Entsprechungen des Mosaischen und<br />
Christlichen, Saturn und Sonne. Man gewinnt nun noch einmal<br />
bezogen auf die Inhalte der Sechszeiler Anschluss an die erwähnten<br />
Symboliken: da die besagten Zeichen fehlen, ist erneut das<br />
„Natürliche“ akzentuiert; die Zahl sechs kann sich auf den sechsten<br />
63
Wochentag, der Venus (Freitag), beziehen – und hier können sich<br />
ernuet Überbrückungen zu der Vorstellung „der Sinnlichen“ ergeben.<br />
Man kann den Eindruck gewinnen, als hätte Nostradamus in den<br />
Plätzen der fehlenden Gedichte darauf hingewiesen, es handle sich<br />
in den semantischen Horizonten der Sechszeiler um „sensuelle“,<br />
„erdachte“, und nicht um metaphysische, der Transzendenz<br />
entstammende und inspirierte.<br />
In diesem Sinne wäre es logisch, die 54 Gedichte so wie gezeigt<br />
einzufügen: auf den zweiten Teil der „Prophezeiungen“ folgen zwei<br />
freie Plätze, VII, 41 (Mars) und VII, 42 (Merkur); dann beginnen die<br />
bekannten Sechszeiler mit einer Koinzidenz des Jupiter, dann der<br />
Venus (VII, 43, VII, 44) bis zu VII, 67 (Sonne); VII, 68, mit Krebs<br />
bleibt frei, VII, 69 fährt mit Mars (!) fort, bis VII, 74 (Sonne); VII, 75<br />
(Krebs) bleibt wieder frei, danach kommt, wieder mit Mars (!)<br />
beginnend, VII, 76 usw. bis VII, 98, Merkur; und schließlich bleiben,<br />
genau wie am Anfang, bei VII, 99 (Jupiter) und VII, 100 (Venus)<br />
wieder zwei Plätze frei.<br />
„Vorne“ und „hinten“ rahmen so zwei freie Plätze die 54 Gedichte;<br />
und die Menge von 54 wird durch zwei Einschnitte in drei Teile<br />
gegliedert. Die drei Teile beginnen jeweils mit Mars. Dieses iterative<br />
Moment, das auf den roten Planeten zeigt, arbeitet die damit<br />
vorliegenden Weissagungen als auf ein martialisches Zeitalter<br />
bezogen heraus: die 8. Weltzeit, auf die sich diese Weissagungen<br />
richten können, kann ein kriegerisches - „eisernes“ - Zeitalter sein,<br />
eine unglückliche Zeit der dauernden Konflikte und der<br />
misslingenden Lösungen.<br />
Bevor dieses Kapitel abgeschlossen wird, soll noch einmal auf<br />
gravierende Lesefehler und damit einhergehende beträchtliche<br />
64
Bedeutungsunterschiede zwischen Seve und Aucane eingegangen<br />
sein.<br />
In erster Linie ist noch einmal das weit in die Irre führende „sangsue“<br />
zu erwähnen, als zentraler Begriff, und als das häufigste Substantiv.<br />
Man kann gar nicht ermessen, wie weit alleine diese falsche<br />
Einstellung des Ruders in die Irre führt.<br />
Doch die Irrtümer finden sich auch im Detail. In Nr. 21 von Aucane<br />
heisst die erste Zeile so, in Übersetzung: „der merkurialische Name<br />
von sehr langem Leben“; Seve hat statt diesem in seiner Nr. 24: „der<br />
Merkurialische von nicht sehr langem Leben“.<br />
Bei Seve findet sich in Nr. 20 „nichts wissen und nichts erkennen“;<br />
und bei Aucane, 17, steht in der gleichen Zeile „er weiß nicht Träge<br />
mitzureißen“.<br />
Bei Aucane, 29: „Der Himmel braust und die Sonne zittert“; bei Seve,<br />
32: „Der Himmel der Sonne, er bebt und zittert“.<br />
Seve 48 bringt „mit allen Ehren, die seine Vorgänger hatten“; bei<br />
Aucane liest man: „mit allen Ehren, die seine Fußbrecher hatten“<br />
(46). Die zweite Lesart erscheint alleine vom kreativen Wort und vom<br />
symbolischen Gehalt her triftiger, erinnert sich doch an den Traum<br />
des Nebukadnezzar, den der Prophet Daniel deutet.<br />
Oder bei Aucane „kommt der Elefant von allen Seiten“ (54); bei Seve<br />
„sieht der Elefant von allen Seiten“ (56).<br />
Kleinere Irrtümer sind hier gar nicht erwähnt worden, und gehen in<br />
die Dutzende.<br />
65
8. Astrologische Argumente für die<br />
vorgestellte Ordnung<br />
Der im vorigen Kapitel in der gezeigten Ordnung präsentierte Text<br />
der „Sechszeiler“ kann mehrere Begründungen aus astrologischer<br />
Sicht finden. Sie sind aus zwei historischen Zeitpunkten und ihren<br />
parallelen zyklischen Vorgängen zu entwickeln. - Im Übrigen handelt<br />
es sich dabei um eine Hypothese; sie macht die vorgestellte<br />
Ordnung mehr oder weniger wahrscheinlich. -<br />
Die vorgestellte neue Einordnung der sechszeiligen Gedichte in die<br />
„Prophezeiungen“ stützt sich auf das Gedicht Aucane, 1 oder nach<br />
der entwickelten Zuordnung zu den „Prophezeiungen“ VII, 43, und<br />
auf Aucane, 5, oder VII, 47. Bevor diese Gedichte im Detail<br />
durchgesprochen werden, soll ihre astrologische Architektur – in der<br />
auch in den drei Büchern zu den „Prophezeiungen“ vorgestellten<br />
Weise – in ihren Grundsätzen entwickelt werden. Sie werden zeigen,<br />
dass das erste Gedicht zu einer Signifikation des Jupiter passt, und<br />
das zweite zu einer Signifikation des Mondes; und darüber hinaus<br />
wird als eigentlich entscheidende Voraussetzung zur Bildung einer<br />
zusammengehörigen Menge von Weissagungen es möglich sein, die<br />
Umstände der Kennzeichnung der den Ereignissen entsprechenden<br />
zeichenhaften Herrschaft eine weitgehend ähnliche astrologische<br />
Architektur oder „Figur“ aufweisen. - So fassen die „Sechszeiler“<br />
wieder auf eine in ihren Bestandteilen wohldefinierte Gruppe<br />
astrologischen Zueinanders zusammen, und gruppieren sich auch<br />
so sinnvoll und weiterführend in die Binnenstruktur der<br />
„Prophezeiungen“ ein.<br />
66
Es folgen nun die Argumente zu beiden Gedichten und zyklischen<br />
Hintergründen.<br />
1. Beide Gedichte stehen bei Kennzeichnungen, die sich auf eine<br />
Erhöhung der Jungfrau/Virgo beziehen. „Jungfrau“ steht für die<br />
Entsprechungen „Mesopotamiens“; die jeweiligen Ereignisse<br />
verknüpfen sich wohl mit „babylonisch“ akzentuierten historischen<br />
Konfliktlagen, wie sie etwa die biblischen Schriften an einigen Orten<br />
vorstellen, vom Turm Babel zum Traum des Nebukadnezzar und zur<br />
babylonischen Gefangenschaft. Dabei wird für Michael Nostradamus<br />
„Babylon“ zur Metapher, und kann auch in anderen Weltgegenden<br />
angetroffen werden. Dafür Begründungen und Beispiele aus<br />
astrogeographischer Sicht: mehrere Städte, die in den Sechszeilern<br />
erwähnt sind oder sein können, gehören zu Virgo. Das in dieser<br />
Kategorie von Gedichten vorkommende „Jerusalem“, und dieser Ort<br />
vielleicht auch „als Stadt des ersten Menschen“; oder das vermutlich<br />
ebenso vorkommende Paris, etwa angesprochen mit „elisäischen<br />
Feldern“, den „champs elysees“. Zu Jungfrau gehören auch große<br />
Teile Südwestfrankreichs, die Pyrenäen, das Baskenland: dieses<br />
Zeichen erschien in der Ära der Begründung der Dynastie der<br />
Bourbonen, mit Heinrich IV.. Für die Zukunft bedeutsam erscheint<br />
auch der aquitanische Landesteil Frankreichs, darin Toulouse, mit<br />
Virgo, sowie das „Mesopotamien Europas am 45. Breitengrad“, in<br />
Kroatien. - Das Tierkreiszeichen Jungfrau steht für das mundane<br />
sechste Zeichen. In der Genethlialogie steht das sechste Haus für<br />
„Krankheit, Dienerschaft“. So entspricht dieses Zeichen auch der<br />
„Schwäche“, dem „Machtlosen“, Begriffen, die mehrfach in den<br />
Sechszeilern erscheinen. Zugleich kann diese Bedeutungsdimension<br />
das verwendete Symbol des „Arztes“ erklären: sollten sich die<br />
Sechszeiler auf weltumfassende „Krankheiten“ - natürlich nicht bloß<br />
67
in einem physischen, sondern auch in einem sozialen, und mehr<br />
noch in einem übertragenen und geistigen Sinn beziehen, wären<br />
temporäre Stadien, die diese maladen Zustände überwinden, in<br />
medizinisch-therapeutischen Bildern fassbar: hier kann der Arzt<br />
Nostradamus sein diagnostisches und heilkundliches Wissen<br />
einbringen. In diesem Sinne treten nach Krankheiten, auch nach<br />
großen und lang dauernden, Heilungen ein, es braucht einen<br />
„großen Arzt“, der das Richtige rät und tut, und es braucht im<br />
geistigen Sinne sogar so etwas wie einen „Heiland“, eine im<br />
höchsten Sinne Heil spendende Person, die in ihrer Begnadung<br />
„erlöstere“ menschliche Komplexionen entwickeln hilft, und diese<br />
dann, im Fortgang der Geschichte, in einer gedeihlichen Weise<br />
pflegt und erhält.<br />
2. Für beide Gedichten ist die Kennzeichnung oder der Signifikator<br />
auf dritte Ebene erhöht. Im ersten Falle erhebt Stier Krebs und Krebs<br />
Schütze; das so sehr erhöhte Zeichen (in formal Venus) hat<br />
erhebliche Ansprüche auf die Exaltation, kann diese aber nicht<br />
erreichen, denn Jungfrau hat noch ein wenig mehr an „himmlischer<br />
Zusicherung“, mit zweimal Jungfrau und einmal Zwillinge. Wäre<br />
Schütze doppelt in diesem zyklischen Profil vorhanden, könnte er<br />
sich „exaltierter“ als zweimal Jungfrau und Zwillinge erweisen. So<br />
aber hat Schütze hier – kurz nach 1555 - eine mächtige und<br />
hervorragende Aspiration. Diese ungeminderte Kennzeichnung<br />
verdient es anscheinend, an die erste Stelle der gesamten Menge<br />
der Sechszeiler zu rücken. Beide Gedichte stehen innerhalb der<br />
ersten sieben Plätzen der Kategorie, und verfügen so wohl mit über<br />
die besten Aufbauten in den Signifikationen – nach der zu den<br />
„Prophetien“ entwickelten Regel kommen in den jeweiligen Mengen<br />
die „schlechteren“ und schließlich „schlechtesten“ Kennzeichnungen<br />
68
in absteigender Reihenfolge und gegen Ende der Kategorie: die<br />
weissagenden Gedichte sind so nach sehr rationalen astrologischen<br />
Prinzipien gegliedert. - Das zweite Gedicht zeigt den Kennzeichner<br />
Krebs auch auf dritter Stufe, in einem unermüdlichen Zeichen, das<br />
unten Fische und auf mittlerer Ebene Stier antreibt. Dort „oben“,<br />
sozusagen im dritten Stock, ist das Symbol Cancer zusammen<br />
gespannt mit der Domination, und diese ist Jungfrau. Es erhält hier<br />
Jungfrau nur durch diese Zusammenspannung mit dem ungemindert<br />
erhöhten Zeichen eines unermüdlichen Aufbaues Domination: Virgo<br />
zeigt nämlich eine geminderte Erhöhung, und seine Apside wird<br />
durch zwei vereinte Erhöhungen bewirkt, eben die Erhöhung, die<br />
Jungfrau in sich selbst trägt, und jener, die ihr der mit ihr<br />
zusammengespannte Krebs mitgibt. Trotzdem Jungfrau in der<br />
Zusammenspannung mit Krebs so gut erhöht ist, „stürzt“ sie doch<br />
durch Fische in Fall und Vernichtung zugleich. Die Aussage für die<br />
so begleitete Zukunft und Zeit ist dementsprechend: hohe Kraft des<br />
Verstandes zugleich in schwerer Krankheit. - Daraus kann man<br />
allgemeine Schlüsse für das Zeichen Jungfrau ziehen: Virgo ist, da<br />
es seine Erhöhung selbst bei sich trägt, jenes Zeichen, das am<br />
ehesten in geminderten Erhöhungen dominieren kann: denn Virgo<br />
braucht nur die Zusammenspannung mit einem anderen gut<br />
erhöhten Zeichen, dann ist sie im Stande, auch in gemindertem<br />
Umfeld Herrschaft auszuüben. Damit ergeben sich aber für die<br />
Vorhersage nicht selten üble Aufbauten, die zugleich fähig sind,<br />
andere Steigerungen zu überwiegen. Es kommt eben mit Jungfrau<br />
sofort noch eine weitere Stufe der Erhöhung in einen gesteigerten<br />
Aufbau hinein. Eine Begünstigung dieser symbolischen Partei<br />
entsteht auch, weil die merkurialen Zeichen recht häufig in den<br />
Zyklen vorkommen. - Wesentlich in diesen Teilen des astrologischen<br />
Bedeutungssystems wird damit auch die Bedeutung „Schreiber“:<br />
69
dieser Begriff erscheint sogar in dem genannten Gedicht Aucane 5:<br />
es wird von einem „Schreiber“ gesprochen, der „sich ins Wasser<br />
wirft“: Wasser spiegelt das genannte Zeichen Krebs, in seiner hoch<br />
gesteigerten Weise. In diesem Korrelationen weiter argumentierend<br />
kommt man nun zu jenen eschatologischen Bedeutungshorizonten,<br />
die Nostradamus immer wieder im Bild des „Schreibers“ zu fassen<br />
sucht. Diese scheinen für ihn auch verbunden mit einem Morbus des<br />
mundanen Organismus. In dieser zeichenhaften Verquickung<br />
erkennt Michael Nostradamus problematische und miserable<br />
Komplexionen im Weltorganismus, wenn das „schreibende“ Moment<br />
– was immer auch das bedeuten kann, vom Journalismus bis zu<br />
Fantasy, vom rein Notierenden zum Philologischen – die kreative<br />
Intellektualität, die chaotische Seite der Inspiration und ihren der<br />
Seele transzendenten Ursprung überstimmt und in formelhafte<br />
Gesetzlichkeit und banale Normativität überführen will. Irgendwie<br />
scheint damit ein Moment des Vertrauens und der Zustimmung zu<br />
einem „Metaphysischen“ verloren zu gehen, etwas, was frühere<br />
Generationen mit „Glauben“ bezeichnet haben. - Doch nach der<br />
theologischen Lehre, die unsere gegenwärtige siebte Weltzeit<br />
bestimmt, mit den Gedanken Martin Luthers, liegt alleine darin die<br />
„Rechtfertigung“ des einzelnen Menschen: also eben nicht in einem<br />
Handeln, das an gesetzten moralischen Regeln sich entlang bewegt,<br />
sondern an einer inneren Haltung die dem Überwirklichen das<br />
letzten Wort geben will und muss: Kierkegaard unterscheidet so<br />
zwischen moralischer und religiöser Ethik, Kohlberg entwickelt<br />
Verwandtes in seinen Stufen des ethischen Urteils. - „Schreiben“<br />
wird so bei Nostradamus anscheinend zu einem im Rang<br />
niedrigeren Handeln als „Denken“. Es kann mechanisch und<br />
gewohnheitsmäßig geschehen; es erfordert keine höhere Tätigkeit<br />
des Gewissens, der Intentionalität, oder der Beziehung auf ein Du.<br />
70
Ein großer Teil des „Schreibens“ kann sich in den Dienst der<br />
„Verführung“ stellen, wird bloße Unterhaltung, seichte Fiktion,<br />
schwindelhafte Vorgabe einer Phantasiewelt, Ablenkung vom<br />
Wesentlichen, l´art pour l´art. - Biblisch steht man hier bei den<br />
Horizonten der „Zunge“ - im Gegensatz zu jenen des „Herzens“ -<br />
und nach den heiligen Schriften verursacht die „Zunge“ das Übel in<br />
der Welt.<br />
3. Und es gibt noch eine dritte Eigenart, die die hinter Schütze und<br />
Krebs stehenden Figuren bei Aucane/1 und Aucane/5 auszeichnet:<br />
neben dem Bezug zu Herrschaften der Jungfrau und dem Stand des<br />
Signifikators ungemindert (am Anfang der Menge) auf dritter Ebene<br />
sind alle sieben Zyklen an dem Aufbau der Kennzeichnung beteiligt.<br />
- Es sind diese Beteiligungen aller sieben Zyklen an einem<br />
astrologischen Aufbau recht seltene Zeichen: sie scheinen von<br />
einem „universalen“ Geschehen zu sprechen, und sie ziehen die so<br />
gekennzeichneten Apsiden in eine höhere Bedeutung. Anscheinend<br />
– wenn sich alle Sphären zu einen hinweisenden Bild vereinen –<br />
werden Geschehnisse für die Zukunft angezeigt, die das übliche<br />
Maß übertreffen. Solche Zeitigungen dürften dann bis ins völlig<br />
Außerordentliche gehen: Michael Nostradamus erwähnt im Text der<br />
Sechszeiler große und gefährliche Tiere, den „Wolf“, das „Krokodil“,<br />
den „Elefant“, den „Greif“, den „Phönix“, und ein Wesen der<br />
griechischen Mythologie, „Charon“, und weiter sogar noch „Monster“<br />
und auch ein „Monster ohne gleichen“. - Hier nun zu den möglichen<br />
zugehörigen astrologischen Zeichen, mit Claudios Ptolemaios: nach<br />
der „Tetrabiblos“ werden monströse Geburten durch die Hauptlichter<br />
in fallenden Häusern begleitet, wenn zugleich Spannungsaspekte<br />
zum Aszendenten bestehen, und die Übeltäter die steigenden<br />
Zeichen beherrschen. Ptolemaios rät, wenn man solche Diagnose<br />
71
stellt, dazu, sofort die vorherige Syzygie der Lichter zu untersuchen,<br />
wie sie sich zu den ersten Bild verhält; positive Zeichen wenden<br />
dann das Urteil in die andere Richtung, negative Zeichen umgekehrt.<br />
Der Grieche erwähnt in seinem Werk auch nicht menschliche<br />
Geburten, „das Geborene ist wild, tierisch, verderbenden Wesens“:<br />
hier wirken sogenannte „tierische“ Zeichen mit, Widder, Stier, Krebs,<br />
Löwe, Skorpion, Steinbock, Fische. Hier kommt man wieder jenen<br />
astrologischen Grundlagen nahe, die Michel Nostradamus für seine<br />
Metaphorisierungen von bestimmten Menschen oder<br />
überpersönlichen Gebilden verwendet. Solche Gebilde können<br />
„monströser“ ausfallen, wenn alle Zyklen an den jeweiligen<br />
astrologischen Architekturen beteiligt sind. - Im Allgemeinen können<br />
„universale“ Signifikationen auch günstige Anzeichen geben, im<br />
Sinne einer „freundlichen“ Ausbreitung eines bestimmten „Impulses“<br />
über die Sphären, und als günstiges Zusammenwirken der<br />
Semantiken hinweisend auf universale Harmonie. In dem speziellen<br />
Fall von Herrschaft der Jungfrau mündet dieser Sinn aber eher in<br />
jenen von aufkommender „Knechtschaft“ des Humanen, oder jenem<br />
von ausbreitender „Krankheit“ in den politischen Systemen und in<br />
den Alianzen und Bündnissen.<br />
72
9. Der Sechszeiler über ein „neues Kind“<br />
Jupiter<br />
1; VII, 43<br />
Neues Zeitalter; neues Bündnis<br />
Einer von der Würde eines Marquis ins Schiff gesetzt<br />
Das den Stärkeren der Beiden forttragen wird<br />
Von einem Herzog, von einem König,<br />
Galeeren in der Provence<br />
Hafen in Marseille ein Kindlein in Frankreich -<br />
Der starken Katharina rasiert man das Haupt<br />
Die letzte Zeile kann kund tun, warum dieses Gedicht erst „spät“<br />
manifestiert werden konnte: es wäre unmöglich gewesen es zu<br />
Lebzeiten der Catarina von Medici (1519 - 1589) zu veröffentlichen.<br />
Die in dem Text ziemlich unbestreitbar Angesprochene war seit 1533<br />
verheiratet mit dem späteren Heinrich II., König von Frankreich<br />
(geboren 1519; regierte von 1547 bis 1559). Die Florentinerin war<br />
die Mutter der nach ihm folgenden drei Könige von Frankreich, bis<br />
1589.<br />
Sie erlebte den Verlust ihres Mannes, und das Ende des Königtums<br />
ihrer drei Söhne: dass diese Umstände einer „Rasur“ vergleichbar<br />
sein sollten ist ein starkes und nahezu despektierliches Bild. Es hätte<br />
wohl zu ihren Lebzeiten unangemessen in ihr Handeln hineingewirkt,<br />
vor allem in ihre Politik in den religiösen Auseinandersetzungen in<br />
Frankreich. Katharina von Medici trägt wohl keine geringe<br />
73
Verantwortung für die Ereignisse der Bartholomäusnacht: und auch<br />
in diese Richtung bringt die Metapher der Rasur Bewertungen in<br />
Richtung „Kriminalität“ und Bestrafung für Vergehen.<br />
Wie sollte Nostradamus ihr vorhersagen, dass trotz der Herrschaft<br />
ihrer Familienmitglieder ein „Stärkerer“ kommen werde, das<br />
französische Staatsschiff übernehmen werde? Zugleich benennt er<br />
den künftigen Machthaber sogar, als einen „Marquis“, damit einen<br />
hochrangigen Grafen aus den Grenzbezirken des Reiches, den<br />
„Marken“: und dieses konnte zu Katharinas Zeiten nur Heinrich von<br />
Navarra bedeuten. Der künftige Heinrich IV., (regiert ab 1589), war<br />
verheiratet mit Margarete, ebenfalls einer Tochter Katharinas, das<br />
älteste Kind aus der Ehe. Dieses Staatsschiff, ein kleiner „Nachen“,<br />
entfernt sich hier von einem „Herzog“ - dem üblichen Rang in der<br />
Königsnachfolge – und von einem „König“: allerdings ist die Aussage<br />
hochgradig indifferent, und wäre sicherlich vor dem Ereignis kam zu<br />
deuten gewesen. Die beiden Ränge „Herzog“ und „König“ treffen für<br />
den Vater und seine drei Söhne nacheinander zu.<br />
Doch die weitere Entwicklung geschieht schließlich nicht in dieser<br />
Reihe: jemand „kommt ans Ruder“, aus anderem Status, aus<br />
unerwarteter Position. In Margarete und Heinrich, und in ihrem<br />
neuen Haus, scheint der französischen Monarchie ein neues „Kind“<br />
geboren. - Allerdings bleibt die Ehe kinderlos, und es folgt weiter auf<br />
Heinrich IV. Ein Sohn aus seiner zweiten Ehe. -<br />
Zwischen diesen Ausführungen ist nun noch ein Hinweis auf die<br />
Lebensgeschichte Katherinas eingeschoben: es kommt eine<br />
„Galeere“ in die „Provence“, legt im „Hafen von Marseille“ an. Es<br />
handelt sich wohl um die Brautfahrt Katharinas von Florenz nach<br />
Frankreich, ihre Ankunft in Marseille. Dieses dürfte im Jahr 1533 das<br />
74
Ereignis des Jahres in Frankreich gewesen sein, und besonders in<br />
der Provence.<br />
Mit dem Begriff „Galeere“ entwirft Nostradamus ein Gegenbild zum<br />
„Nachen“, zum „Kahn“, oder zur „Nussschale“: es ist ein Schiff nach<br />
Frankreich gekommen, in dem Menschen geknechtet sind. Ruderer<br />
bewegen dieses Schiff vorwärts, eine Versammlung von Menschen<br />
aus prekären Lebenslagen. Das ist ein bedenklicher symbolischer<br />
Inhalt, und Katharina hätte diesen wohl verstanden: es ist zugleich<br />
ein Urteil des Sehers über ihre Art, in der Regierung mitzuwirken und<br />
Frankreichs Schicksal zu gestalten. Nostradamus vermisst in ihren<br />
Bestrebungen Freiheit; ihre Staatsauffassung neigt für ihn einem<br />
„Sklaventum“ zu; ihre ständischen Forderungen ermöglichen einem<br />
kleinen Teil von Privilegierten ein luxuriöses Leben auf den Decks<br />
der Kapitäne – dafür müssen aber unten auf vielen Ebenen<br />
„Ruderer“ schuften, deren Arbeit so schwer ist, dass man sie<br />
ankettet, dort werden Menschen „verbraucht“. Nostradamus gibt hier<br />
einen Hinweis auf die zu fordernde Ethik der Herrschenden, ein ganz<br />
ungewöhnliches Unterfangen in einer Weissagung, ein<br />
hochpolitischer Inhalt, ganz in modernem Sinn.<br />
Es gibt wohl kein Gedicht des französischen Sehers, das so<br />
eindeutig politische Stellung nimmt: und zwar gegen eine Person,<br />
die ihm scheinbar äußerst gewogen war, und der er eine Menge<br />
seiner Reputation verdankte. Katharina von Medici war nach gut<br />
dokumentierten Berichten nicht wenig für Michel Nostradamus<br />
eingenommen – er aber scheint ihr sehr allgemeine Vorhersagen<br />
gegeben zu haben, und sparte sich ein abschließendes und recht<br />
heftiges Urteil für eine posthume Veröffentlichung auf.<br />
Nun die zyklischen Ereignisse der Ära von 1557 bis 1574, der dieses<br />
75
Gedicht Aucane/1 vermutlich zuzuordnen ist. Die gesuchte<br />
jovialistische Kennzeichnung findet sich im Venuszyklus, im Jahr<br />
1558, und richtet sich voraus auf die Exaltation der Jungfrau.<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1555:<br />
1542:<br />
1555:<br />
1553/1554:<br />
1550:<br />
1552/1553:<br />
Stier<br />
Wasser<br />
mann<br />
Krebs<br />
Widder/<br />
Wasser<br />
mann<br />
1557:<br />
Löwe<br />
Widder<br />
Widder/Waage<br />
1558:<br />
Schütze<br />
1559/1560:<br />
Zwillinge/<br />
Steinbock<br />
1565: Zwillinge/<br />
1565:<br />
Skorpion/<br />
1566:<br />
Jungfrau<br />
1566: /Jungfrau<br />
1566:<br />
/Widder<br />
1572/1573:<br />
76
Widder/<br />
Steinbock<br />
1574:<br />
Steinbock<br />
Die Erhöhung steht im temporären Querschnitt zwischen 1566 und<br />
1572, in formal Venus und formal Merkur.<br />
Der Architektur der Signifikation die sich auf diese Apside von Virgo<br />
richtet sieht so aus:<br />
Venuszyklus 1558:<br />
Schütze<br />
Saturnrevolution<br />
1555: Krebs<br />
Marszyklus 1557:<br />
Löwe<br />
Saturnrevolution<br />
1555: Stier<br />
Merkurzyklus<br />
1552/1553:<br />
Widder/Waage<br />
Jupiterrevolution<br />
77
1553/1554:<br />
Widder/Wassermann<br />
Mondzyklus 1542:<br />
Wassermann<br />
Schütze steht auf dritter Ebene. Seine Aspiration auf die<br />
zeichenhafte Domination ist hoch, Sagittaius erreicht nahezu<br />
Erhöhung. Doch Jungfrau steht auf gleicher Höhe doppelt und hat<br />
zugleich noch Zwillinge bei sich: und so fällt die Apside an das<br />
merkurialische Zeichen.<br />
Schütze wird erhoben durch Krebs. Diesem beigezogen wird Löwe:<br />
Löwe hat hier eine geminderte Erhöhung; Leo ist mitgenommen<br />
durch Krebs, auch durch zweimal Widder gesteigert: aber Widder<br />
liegt jedes mal unter die Sonne verdunkelnden Zeichen, Waage und<br />
Wassermann (in formal Merkur und formal Jupiter). Dieses sagt für<br />
den Fürsten ein mittleres Gutes vorher, allerdings nur bis 1559, dann<br />
verstärken sich die verfinsternden Momente.<br />
„Unten“ steht eine „Allianz“ vieler ungewöhnlicher Zeichen: formal<br />
Mond verbindet sich mit formal Jupiter, formal Sonne und formal<br />
Merkur: eine starke Betonung des Weiblichen tritt ein. Dieses kann<br />
sich auf Katharina beziehen: „Florenz“ gehört zu Widder, die<br />
„Provence“ zu Löwe, „Marseille“ ebenfalls zu Widder.<br />
Es vereinen sich sämtliche Anzeigen zu einer kennzeichnenden<br />
Figur. Diese wird 1559/1560 durch Widder/Steinbock auf der<br />
obersten der drei Ebenen – einem „Kopf“ entsprechend -<br />
„beschnitten“: Schütze gerät in Vernichtung und Fall. Das Weibliche<br />
78
verhärtet.<br />
Die merkurialischen Zeichen, allen voran Jungfrau, sind in diesem<br />
Marszyklus wie folgt gekennzeichnet:<br />
„vergangen“<br />
„zukünftig“<br />
Saturn:<br />
Krebs Jungfrau Wassermann<br />
Jupiter:<br />
Jungfrau<br />
Wassermann/<br />
Zwillinge<br />
Widder/Wassermann<br />
Venus:<br />
Schütze Jungfrau Zwillinge<br />
Merkur:<br />
Widder/Waage Zwillinge/Steinbock Zwillinge/Jungfrau<br />
Merkur:<br />
Zwillinge/Steinbock Zwillinge/Jungfrau Widder/Steinbock<br />
Merkur:<br />
Widder/Steinbock Zwillinge/Löwe Fische/Skorpion<br />
79
es fällt auf, wie häufig hier inhaltlich Merkur durch inhaltlich Merkur<br />
signifiziert wird. Und die Kennzeichnungen richten sich weit in die<br />
Vergangenheit und weit in die Zukunft. Sie beziehen z. B. die<br />
nächste Ära, in der eine Initiation geschieht, mit ein: dort findet sich<br />
die Kombination Zwillinge/Löwe zur Apside erhoben und kündigt den<br />
Beginn des britischen Empires an.<br />
Der deutlichste Bezug zur aktuellen Anzeige von Virgo geschieht in<br />
formal Venus, mit Schütze und Zwillinge. Diese Kennzeichnung<br />
vernichtet sich gegenseitig. Die Vorbedeutung ist dementsprechend.<br />
Jene zweiten Ranges geschieht in formal Merkur: dort aber weisen<br />
1560 (Steinbock) und 1572/1573 Widder/Steinbock auf eine<br />
Erhöhung des Mars, die sich „zertrümmernd“ in „Paris“/Jungfrau<br />
konzentriert: die Bartholomäusnacht (1572).<br />
Michel Nostradamus sieht jedoch in seinem Gedicht weiter: er<br />
erkennt wohl Fortsetzungen dieses Zeichens Virgo ab 1584 in formal<br />
Saturn: dort mündet Jungfrau in eine Exaltation Saturns in formal<br />
Saturn, die „stärker“ als der Jungfrau in formal Venus einzuschätzen<br />
ist, und die ab dem Marszyklus 1589 beginnt.<br />
Er fokussiert deutlicher auf das kommende Haus „Bourbon“.<br />
Überhaupt scheint der Seher in diesen Gedichten der „Sixains“<br />
zuweilen auch den größeren Überblick zu pflegen: vermutlich sind<br />
immer wieder Hinweise eingestreut, wie den zeitlichen Rahmen der<br />
Adaptation überspringen.<br />
80
10. Der Sechszeiler über die französische<br />
Revolution<br />
Mond<br />
5; VII, 47<br />
Wenn das verräterische Unternehmen des Robin<br />
Herren und einen großen Fürsten in Qual stürzt<br />
Bekannt der Ausgang das Haupt wird man ihm abschneiden<br />
Die Feder zu verkaufen Rat in Spanien<br />
Ein gefangener Posten bleibt in der Gesellschaft<br />
Und der Schreiber wird sich ins Wasser werfen<br />
Mehrere Gründe sprechen für eine Zuordnung zu der Zeit der<br />
französischen Revolution: 1. der Anklang von „Robin“ an den Namen<br />
Robespierre; „robin“ bedeutet frz. einen „Rechtsmann“, einen Träger<br />
der Robe – Robespierre war von Beruf Rechtsanwalt; 2. die „Qual<br />
der Herren und des Fürsten“, die Privilegien des herrschenden Adels<br />
wurden beseitigt, es entstand eine neue Ordnung der Gesellschaft;<br />
3. die Ermordung von Ludwig XVI. auf der Guillotine, ein<br />
„Abschneiden des Hauptes“; 4. die zyklischen Mitteilungen, mit<br />
einem exaltierten Zeichen Jungfrau, unterbaut von dynamischen<br />
„wässerigen“ Symbolen; auch die Bedeutung „Feder“ weist in die<br />
Konnotationsräume eines „Schreibers“ - und Nostradamus<br />
beschreibt andernorts (Prosaprophezeiungen der zweiten Vorrede<br />
der „Prophezeiungen“ an Heinrich) das Vorfeld der Revolution als<br />
„Wiedereinsetzung des Schreibers“. Wie die zeichenhafte Lage<br />
81
zeigen wird, „schwimmt“ das Erdzeichen Virgo in der fraglichen Zeit<br />
„zusammen“ mit stark erhöhtem Krebs.<br />
Die vierte Zeile ist rätselhaft, vor allem ein möglicher „Rat in<br />
Spanien“. Jedoch ist auch weitgehend offen, was ein „Verkauf der<br />
Feder“ hier bedeuten mag. Eine Erklärung kann sich im<br />
Zusammenhang der zweitenZeilenhälfte anbieten.<br />
Auch die fünfte Zeile bleibt indifferent, und gibt einen eventuellen<br />
Hinweis auf die Möglichkeit eines Verbleibens der ständischen<br />
Struktur auf einem Posten, in „Campagni“; dieses Wort hat mehrere<br />
Horizonte, in die es weisen kann, im Sinne des Sozialen, im Sinne<br />
des Geographischen. Es kann sein, dass auf der mir zur Verfügung<br />
stehenden Kopie hier ein Buchstabe abgeschnitten ist; doch auch<br />
die stärkste Vergrößerung in der am Beginn dieser Untersuchung<br />
genannten Datei (www.propheties.it - „Repertoire chronologique<br />
Nostradamus 1600 – 1649 1600-003 Nostradamus Sixtain de Michel<br />
Nostradamus“) ergibt kein besseres Ergebnis.<br />
Hier nun die fragliche Ära der Adaptation des Textes:<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1732:<br />
1606:<br />
1761: Stier 1767:<br />
1702:<br />
1776/1777:<br />
Krebs<br />
Jungfrau<br />
Zwillinge<br />
1779:<br />
Löwe<br />
Stier/Wassermann<br />
Zwillinge<br />
1779:<br />
Fische<br />
82
1782/1783:<br />
Krebs/Jungfrau<br />
1789/1790:<br />
Stier/Schütze<br />
1790:<br />
Krebs/<br />
1791:<br />
/Steinbock<br />
1790: Stier/<br />
1791:<br />
Schütze<br />
1793:<br />
Steinbock<br />
1794:<br />
Widder<br />
In dem Marszyklus von 1779 bis 1794 erscheint die Domination von<br />
Virgo in formal Merkur und formal Mond; hinzugezogen wird Gemini<br />
in formal Mars. Bedeutet wird eine große „Kraft“ des Volkes, in der<br />
Zeit von 1782 bis 1789; „unter“ der Präsenz von Virgo „wirbeln<br />
Wasserfluten“. Ein weiterer zu berücksichtigender<br />
Bedeutungsaspekt ist in der „Konjunktion“ von Merkur und Mond zu<br />
sehen: solche, als Signifikator eines Berufes, geht in Richtung<br />
„Schriftsteller, Schreiber“. Käme Venus hinzu, oder in günstigem<br />
Aspekt, wäre eher an einen bildenden Künstler zu denken, „Maler“:<br />
83
Venus ist hier aber – zyklisch gesehen – nicht verbunden mit dem<br />
Zeichen. Es fällt aber eine Opposition zu Jupiter auf – oder Jupiter<br />
steht an „unterirdischem Ort“, in der Himmelsmitte (Fische).<br />
Die Architektur der Signifikation mit dem Symbol Krebs sieht so aus:<br />
Sonne: Krebs<br />
Merkur: Krebs/(später<br />
Jungfrau)<br />
Venus: Löwe<br />
(später Mond:<br />
Jungfrau; Mars:<br />
Zwillinge)<br />
Saturn: Stier<br />
Jupiter: Fische<br />
im Aufbau der Signifikation „wirken“ an ihrem Ort 1792 fünf Zyklen<br />
zusammen. Durch die Zusammenspannung der Kennzeichnung mit<br />
der Exaltation ergibt sich dann das universale, „allumfassende“ Bild.<br />
Dieses scheint für die Sechszeiler und ihre astrologischen<br />
84
Hintergründe typisch.<br />
Man bedenke hier aber die Einbeziehung von formal Sonne mit<br />
Löwe in das recht niedrigrangige Zeichen (Sphären Mond, Merkur).<br />
Es scheint in der Kombination „Volksherrschaft“ bedeutet.<br />
Ob es ein Zufall sein kann, dass auch in dem zweiten deutbaren<br />
Gedicht der „Sechszeiler“ eine Exaltation der Jungfrau<br />
angesprochen wird, sollte ausführlich diskutiert werden. - Ein<br />
Argument könnte sein, den Begriff „Censue, Sensue, Censuart(s)“<br />
im Zusammenhang von Virgo zu überlegen: dabei wäre zu<br />
erwähnen, dass Jungfrau zu den Erdzeichen gehört. Damit ist dieses<br />
Symbol dem niedrigrangigsten Element verbunden; über dieses<br />
Signum herrscht bei Tag die Venus, bei Nacht der Mond: beide<br />
analoge Präsenzen sprechen erneut für niedrige Sphären, und<br />
gerade sie können das „sinnenhafte“ Moment akzentuieren. In<br />
diesem Sinne herrschte über den astrologischen Hintergrund des<br />
Zeichens für Katharina von Medici – das das Gedicht Aucane/1<br />
nutzte – das Symbol Mond: Stier, die Präsenz der Sonne zu dieser<br />
Zeit, rückt bei Jungfrau in der Himmelsmitte in das sechste Haus,<br />
und steht unter dem Horizont: es ist Nacht, über Jungfrau herrscht<br />
damit Mond. Der aktuelle Mond ist zur Zeit der Mitte des 16.<br />
Jahrhunderts in Wassermann, in 3., und ist nicht verbunden mit 10.,<br />
„steht fremd“ für das dominierende Zeichen, und im Quadrat zu<br />
Sonne in 6.. Ein Spannungsaspekt liegt in den Anzeigen der beiden<br />
Lichter, und Saturn steht in 8., im Krebs – schwerwiegendes Bild für<br />
Frankreich und andere saturnine Staaten.<br />
Überlegt man nun den gleichen Gedankengang für die temporäre<br />
Umgebung des Robespierre, ermittelt man eine Herrschaft der<br />
Venus für Jungfrau in 10.. Es ist „Tag“, die Sonne in Krebs „steht“ in<br />
85
8. - nahezu am übelsten Ort des „Tages“, es bereitet sich ihr<br />
Untergang vor. Venus, Dominatorin von Virgo, „steht“ zu dieser Zeit<br />
in 9., ebenfalls nahe der Himmelsmitte, aber wieder unverbunden mit<br />
dem dominierenden Zeichen. Venus in 9. hat keine Verbindung zu<br />
Mond in 10. und zu Sonne in 8. - dieses ist ein Zeichen, das auf<br />
„Monster“ weisen kann; allerdings steht Jupiter in Fische (4.) im<br />
Trigon zu Sonne, wenn auch in Opposition zu Mond. Wäre nicht<br />
dieser Trigonalaspekt, wäre hier ein „Monster“ zu sehen, die<br />
Vorbedeutung wäre noch übler: die „gute Stellung“ des Jupiter<br />
verhindert dieses hier aber noch einmal.<br />
Trotzdem ist die Anzeige recht bedenklich, im Sinne des<br />
astrologischen Systems, das Michel Nostradamus seiner<br />
Gesellschaftsordnung und seinen Erkenntnissen auf den Leib<br />
geschneidert hat: er wendet anscheinend die Erkenntnisse der alten<br />
Astrologie durchgehend konsequent auf seine zyklischen<br />
Ermittlungen an. Und erneut muss man sich wundern, zu welchen<br />
konkreten politischen Aussagen Michael Nostradamus damit<br />
kommen kann, lange vor der Zeit, über die er weissagt: die<br />
Enographie ist ihm ein Schlüssel zu direkten Urteilen, und er vertraut<br />
dabei anscheinend den Vorgaben der Gestirnkunde weitgehend.<br />
Diese Vorstellungen kann man nun auch einbeziehen in die Lehre<br />
von den Kennzeichnungen:<br />
„vergangen“<br />
Präsenz der<br />
Domination<br />
„zukünftig“<br />
86
1574, Mond:<br />
Skorpion<br />
1606, Mond:<br />
Jungfrau<br />
1841, Mond: Widder<br />
1755, Jupiter: Krebs 1767, Jupiter:<br />
Zwillinge<br />
1779, Jupiter: Fische<br />
1762, Mars:<br />
Wassermann<br />
1779, Mars: Zwillinge 1794, Mars: Widder<br />
1776/1777, Merkur:<br />
Stier/Wassermann<br />
1782/1783, Merkur:<br />
Krebs/Jungfrau<br />
1789/1790, Merkur:<br />
Stier/Schütze<br />
Vor allem die martialische Präsenzen in formal Mond erschrecken:<br />
es ist dieses bei weitem der „kräftigste“ Zyklus. - An dieser Stelle<br />
kann man anfügen, das Mars über die wässerige Triplizität herrscht.<br />
- Es gibt aber auch in den anderen Anzeigen sehr viele Widrigkeiten<br />
untereinander.<br />
87
11. Der Sechszeiler über „die Lilie“ und einen<br />
neuen Embryo<br />
Sonne<br />
4; VII, 46<br />
Von der vornehmen Lilie entsteht ein so großer Fürst<br />
Sehr bald und spät gekommen in seine Provinz<br />
Saturn in der Waage; in Exaltation.<br />
Haus der Venus in abnehmender Stärke<br />
Die Dame hat dann einen Knaben unter der Haut<br />
Um das glückliche Blut der Bourbonen zu erhalten<br />
Hier wird erneut die grundsätzliche Polarität aufgegriffen, gefasst in<br />
anderen Bildern, in der „Lilie“, und in einem „Haus der Venus“. Eine<br />
Weiterführung der „Lilie“ deutet sich zudem in den letzten beiden<br />
Zeilen an: es kommt in der Zukunft ein „Knabe“, aber er ist noch im<br />
Mutterleib der „Dame“. Letzteres bedeutet, es wäre mit seiner<br />
Ankunft erst nach einer Zeit der Schwangerschaft zu rechnen. Doch<br />
es handelt sich um die Fortführung des Hauses „Bourbon“. Faktisch<br />
gab es im Übergang zwischen Ludwig XIV. und Ludwig XV. einige<br />
Brüche, durch unerwartete Todesfälle, und den Eintritt einer<br />
Regentschaft, bis Ludwig XV. Die Herrschaft antreten konnte.<br />
Interessant ist nun, dass „Lilie“, „Dame“ und „Bourbon“ für einen<br />
Zusammenhang, und wohl ein „fürstliches“ Haus stehen.<br />
Man kann hier auch weiter nachdenken über das „Haus der Venus“.<br />
Im vorigen Kapitel wurde entwickelt, Venus herrsche bei Tag über<br />
88
Jungfrau: und Venus stehe im engsten Zusammenhang mit dem<br />
„Sinnenhaften, Sinnlichen“. Im Gedicht Aucane/41 spricht<br />
Nostradamus davon „Venus und die Sonne Jupiter und Merkur/<br />
vermehren den Stamm der Natur“: dieses kann in die astrologischen<br />
Hintergründe dieser Bedeutungen weiter hinein führen. Der<br />
provenzalische Arzt und Astrologe unterscheidet zwischen<br />
Deszendenzen aus der Sicht der Gestirnkunde. Zeichenhafte<br />
Architekturen können einerseits eben „sinnenhaft, libidinös“, die<br />
anderen aber „vornehm, edel“ sein. So verfügen die einen über<br />
vitale Kraft und irdische Potenz – die anderen stützen sich auf<br />
metaphysische Wurzeln und geistige Sublimität.<br />
Zu diesen Antithetiken gehört auf der einen Seite die „Lilie“ der<br />
französischen Monarchie, auf der anderen Seite ein „Haus der<br />
Venus“. Michael Nostradamus kündigt im mehr oder weniger losen<br />
Zusammenhang mit dem Hinweis auf einen „erhöhten Saturn“ an, es<br />
werde das Haus der Bourbonen weiter gehen, in einem<br />
überragenden Exponenten, und auf diesen folge ein weiterer<br />
„Embryo“. Erhöhter Saturn bedeutet Steigerung der höchsten<br />
Sphären, damit Möglichkeit der Realisierung „hoher“ Inhalte. Und<br />
hier findet diese Realisation auch unter einer Kennzeichnung der<br />
inhaltlichen Sonne statt: es geht um hohes saturnines/solarisches<br />
Licht: und dieses ist bei Nostradamus das Charakteristikum des<br />
Christlichen, und, in seinen Worten, der „allerchristlichsten<br />
Monarchen“.<br />
Es wird hier deutlich, dass die Sechszeiler keineswegs nur<br />
„apokalyptische“ Vorstellungen bedienen, wie überhaupt das<br />
gesamte Werk des Nostradamus: auch in der fernen Zukunft wird es<br />
immer wieder wesentliche Unterbrechungen der „Mächte des<br />
Sinnlichen“ geben, und es werden andere Aspekte und abstraktere<br />
89
Wirklichkeiten überwiegen können. Gerade so, wie es der Text<br />
dieses Gedichtes entwirft.<br />
Es soll nun dieser Sechszeiler an Zeiten angepasst werden, in<br />
denen in der Saturnrevolution Waage erscheint; andere, und zwar<br />
inhaltliche Darstellungen Saturns, werden hier übergangen, denn<br />
dann ergeben sich sehr viele Möglichkeiten. Der Saturnzyklus mit<br />
Anzeige Waage kommt in überschaubarer Zahl vor, und erleichtert<br />
eine zeitliche Einordnung.<br />
Es ergeben sich damit Hinweise auf die Ära von 2251 bis 2268; dort<br />
ist zudem zu berücksichtigen, dass dieses Gedicht an diesen<br />
temporären Ort zwar anzupassen ist, die angesprochenen<br />
Ereignisse aber erst „später“ zu Tage treten werden, in einem<br />
„Knaben“ der christlichen Monarchie.<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1792:<br />
2204:<br />
2231/2232:<br />
2241:<br />
2204:<br />
2249/2250:<br />
Löwe<br />
Skorpion<br />
Waage/<br />
Löwe<br />
Steinbock<br />
2251:<br />
Widder<br />
Zwillinge<br />
Skorpion/<br />
Waage/<br />
2251:<br />
/Zwillinge<br />
2253:<br />
Skorpion<br />
90
2256/2257:<br />
Jungfrau/<br />
Wassermann<br />
2261:<br />
Waage<br />
2263/2364:<br />
Löwe/Stier<br />
2265:<br />
Jungfrau<br />
2268:<br />
Wassermann<br />
Nun befriedigt die Kennzeichnung Löwe/2263 nicht: Löwe steht bloß<br />
auf zweiter Ebene, und bezieht sich nur indirekt auf Jungfrau.<br />
Zugleich ist die Exaltation hier Zwillinge.<br />
Es ist aber nach Löwe auf dritter Ebene zu suchen, möglichst mit<br />
Einbeziehung vieler Zyklen, am besten aller. Nun erinnert man sich<br />
an mehrere solarische Signifikationen von dominierender Jungfrau in<br />
dem ersten Jahrhundert des britischen Empire, in der Ära 1636 bis<br />
1653 und 1700 bis 1715. Und in der ersten Zeit gibt es sogar den<br />
91
gesuchten „Stand“ Saturns in der Waage. Hier nun die Zyklen für<br />
den Marszyklus 1636 bis 1653:<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1614:<br />
1606:<br />
1613/1614:<br />
1624/1625:<br />
1630:<br />
1631/1632:<br />
Wassermann<br />
Jungfrau<br />
Löwe/<br />
Waage<br />
Zwillinge/<br />
Schütze<br />
1636:<br />
Skorpion<br />
Waage<br />
Widder/<br />
Skorpion<br />
1636/1637:<br />
Jungfrau/<br />
Löwe<br />
1638:<br />
Löwe<br />
1638/1639:<br />
Zwillinge/<br />
Wassermann<br />
1643:<br />
Schütze<br />
1644/1645:<br />
Zwillinge/<br />
Jungfrau<br />
1646:<br />
92
Zwillinge<br />
1648/1649:<br />
Stier/Löwe<br />
1651/1652:<br />
Stier/Steinbock<br />
1653:<br />
Steinbock<br />
Die in Frage kommende Kennzeichnung ist fett hervorgehoben: sie<br />
richtet sich rückwärts auf die Erhöhung der Jungfrau.<br />
Die Erhöhung der Kennzeichnung geht 1637 drei Stufen, mit Widder<br />
und Jungfrau. Zugleich ist diese Kennzeichnung von zwei<br />
verdunkelnden Element betroffen, Wassermann und Waage; jedoch<br />
sind alle Zeichen einbezogen, und die Anzeige für Löwe in formal<br />
Jupiter (!) und formal Saturn (!) wird ziemlich bedeutend. Es könnte<br />
sich dieses Gedicht auf diesen Zeitpunkt beziehen.<br />
Für diesen zeitlichen Ort wäre Ludwig XIV. zu nennen: er wird ein<br />
Jahr nach dieser Kennzeichnung im Jahr 1638 geboren. Das genaue<br />
Geburtsdatum ist der 5. September; eine Anpassung wäre möglich<br />
auf den 19. 7. 1637 (Beginn der Jupiterrevolution mit Koinzidenz<br />
Löwe).<br />
Es ist nun offen, ob sich die in dem Gedicht erwähnte<br />
93
Schwangerschaft bereits für Ludwig XIV. oder erst „nach“ ihm vür<br />
Ludwig XV. Gilt. Den späteren Zeitpunkt könnte die doch auffallende<br />
Formulierung „unter der Haut“ in der fünften Zeile des Gedichtes<br />
erklären. Doch auch Ludwig XIV. kam „spät“, denn die Ehe seiner<br />
Eltern stand bei seiner Zeugung bereits im 23. Jahr; und er kam<br />
„früh“, denn bereits im Alter von fünf Jahren bestieg er den Thron.<br />
Ist nun auch das seherische Wort: „Das Haus der Venus in<br />
abnehmender Stärke“ für diese Zeit nachweisbar? Oder bedeutet<br />
der Satz zuerst ganz allgemein eine kommende Domination eines<br />
„großen“ saturninen „Fürsten“, und damit eine Zeit, in der die<br />
„sinnlichen“ Moment schwächer sind? Immerhin ist auffallend, dass<br />
die hohe Zeit Ludwigs, entsprechend der Ära 1668 bis 1685, mit<br />
einer Exaltation des Wassermann in formal Venus und formal Sonne<br />
zu beschreiben ist: und auf dieses Zeichen hin zeigen einige<br />
vorausgehende und folgende Signifikationen, vor allem der<br />
kommenden Ära, der Ära von 1653 bis 1668.<br />
Sie seien hier zusammengestellt:<br />
„vergangen“<br />
Präsenz der<br />
Domination<br />
„zukünftig“<br />
Sonne, Stier, 1555<br />
Sonne, Wassermann,<br />
1614<br />
Sonne, Waage, 1673<br />
Saturn, Schütze,<br />
1643<br />
Saturn,<br />
Stier/Steinbock,<br />
Saturn, Fische, 1702<br />
94
1672/1673<br />
Jupiter, Fische, 1660<br />
Jupiter, Steinbock,<br />
1672<br />
Jupiter, Skorpion,<br />
1684<br />
Mars, Steinbock,<br />
1653<br />
Mars, 1668,<br />
Steinbock<br />
Mars, 1685, Skorpion<br />
Venus, 1662, Widder Venus, 1670,<br />
Wassermann<br />
Venus, 1678,<br />
Steinbock<br />
Merkur, 1677/1678,<br />
Stier/Skorpion<br />
Merkur, 1684/1685,<br />
Zwillinge/<br />
Wassermann<br />
Merkur, 1690/1691,<br />
Zwillinge/Jungfrau<br />
solche Kennzeichnungen sind selten. Viele Zeichen verhalten sich<br />
erhöhend zueinander. Ausgespart von der Signifikation bleibt allein<br />
die Koinzidenz des Mondzyklus, Jungfrau.<br />
Mit der vorgestellten Interpretation würde Nostradamus vom Ort der<br />
Anpassung, 1637, drei Ären vorausgreifen, und den künftigen<br />
„Fürsten“ charakterisieren. Dieser selbst würde nahe des Ortes der<br />
Anpassung geboren. Dort haben die Lichter intensive Beziehungen<br />
(Konjunktion, Trigon) zu den Wohltätern: damit ist Monstrosität und<br />
Perversion vermieden, das Gegenteil angezeigt, vielleicht ein<br />
„Wunderkind“. Und eventuell geht die Vorhersage sogar noch bis ins<br />
18. Jahrhundert: denn dann wird erst Ludwig XV. Geboren, und erst<br />
dann können historische Bedingungen eintreten, die als ein<br />
„Abnehmen des Hauses der Venus“ interpretiert werden können.<br />
95
Zu diesem Abnehmen kann man aus den Koinzidenzen ablesen: in<br />
der Saturnrevolution 1672/1673 ergibt sich die Anzeige<br />
Stier/Steinbock. Dieses kann eine „Unterdrückung“ der<br />
Entsprechungen des Stier andeuten; zeitlich nicht unfern steht im<br />
Merkurzyklus 1677/1678 Stier/Skorpion, eine erneute Anzeige von<br />
erheblicher Widrigkeit und „Verdrängung“ von Stier. Danach folgen<br />
1685 bis 1700 und 1700 bis 1715 zwei Dominationen der Jungfrau,<br />
erneute Widrigkeiten für die venerischen Zeichen. Es erscheint auch<br />
noch eine weiter „Unterdrückung“ von Stier, wieder im Merkurzyklus,<br />
1697/1698, wieder mit der Kombination Stier/Steinbock. Hinzu<br />
kommt, dass im Sonnenzyklus ab 1673 Waage vorkommt; Wagge<br />
gesellt sich zu Stier, stellt sich damit auch unter Steinbock, und<br />
erhöht zugleich Steinbock. In allen diesen Zeichen kann man eine<br />
„abnehmende Stärke des Hauses der Venus“, inhaltlich<br />
(Stier/Waage), erblicken, und zwar für eine ganze Saturnrevolution,<br />
und mehrere Ären; zugleich ist Saturn, und damit Frankreich,<br />
begünstigt, „Saturn in Libra in Exaltation“.<br />
Was sind die historischen Parallelitäten? Natürlich Ludwig XIV., und<br />
in seiner Zeit die kulturelle Dominanz Frankreichs in ganz Europa,<br />
beispielsweise in der Nutzung der französischen Sprache in den<br />
führenden Gesellschaftsschichten weltweit, oder in der<br />
Durchsetzung der französischen Literatur, allen voran des Dramas.<br />
Welche Macht aber nimmt ab? Ohne die Geschichte zu beugen,<br />
muss man auf die Problematiken der spanischen Erbfolge<br />
verweisen, die sich bis 1714 hinziehen, und die mit der<br />
Inthronisierung eines Enkels Ludwig XIV., Philipp von Anjou, als<br />
spanischer König enden. In den Auseinandersetzungen werden die<br />
meisten spanischen nebenländer – Niederlande, Mailand, Neapel –<br />
Österreich zugesprochen.<br />
96
Und in Österreich scheint das „Haus der Venus“ angesprochen. Zu<br />
den schweren Konflikten um die spanische Thronfolge war es durch<br />
die Kinderlosigkeit des letzten spanischen Habsburgers, Karl II.<br />
(1698 bis 1700) gekommen. Unter seinem Vater, Philipp II. (1556 –<br />
1598), hatte Spanien die größte Ausdehnung seiner Macht erreicht,<br />
aber auch erhebliche Rückschläge in den Ansprüchen der<br />
Niederlande und im Krieg gegen England erlitten; die Niederlage der<br />
Armada 1588 markiert einen historischen Wendepunkt. Alle diese<br />
Vorgänge sieht Michael Nostradamus nun weniger als „spanisch“<br />
(inhaltlich Jupiter, SchützeI, sondern eher als habsburgisch<br />
(inhaltlich Venus, Waage, Stammland der Habsburger:<br />
Schweiz/Stier): und der Abbruch der habsburgischen Dynastie in<br />
Spanien ist wohl das wesentliche Ereignis, das sein astrologisches<br />
Urteil uzu dieser Zeit leitet, und die Metapher seines Textes bedingt.<br />
Folgt man dieser Deutung – natürlich unter der Voraussetzung, es<br />
wäre dieser Sechszeiler für Ludwig XIV. richtig angepasst – dann<br />
bedeutet „Haus der Venus“ an diesem historischen Platz inhaltlich<br />
Venus, damit Entsprechungen von Waage und Stier, die in<br />
Adversitäten geraten. Leitendes Zeichen ist dabei wohl die Anzeige<br />
der Saturnrevolution, die für die Entsprechungen des Taurus „starke<br />
Kontradiktion“ - so Michael Nostradamus im Horoskop für Rudolf II.<br />
bei Konjunktionen oder Oppositionen von Saturn mit einem Zeichen<br />
– zeitigen. Für Venus und seine Patronate wird die Zeit schwierig, es<br />
gedeihen die saturninen und merkurialischen Entsprechungen; in<br />
Russland (Steinbock, Wassermann) beginnt z. B. die Dynastie der<br />
Romanow (1613).<br />
97
12. Der Sechszeiler über Napoleon I.<br />
Mars<br />
Der die Fürstenschaft<br />
Ausübt mit großer Grausamkeit<br />
Sieht am Ende große Schlachtenreihe<br />
Bei sehr gefährlichem eisernen Schlag<br />
Im Einklang könnte er es besser machen<br />
Anders trinkt er Orangensaft<br />
Im Original stehen alle Verben im Futur.<br />
Orangensaft war in der alten Medizin ein kühlendes Getränk. Es<br />
wurde eingesetzt, um Hitze und „Entzündung“ im Körper zu<br />
mäßigen: Nostradamus schlägt dem hier angesprochenen „Fürsten“<br />
dieses Getränk vor - anscheinend weil er glaubt, dieser übertreibe<br />
das feuerige Moment. Er schlägt ihm zugleich „Einklang“ vor, also<br />
einen harmonischeren Umgang, auf allen Ebenen des sozialen und<br />
militärischen: ihm erscheint nötig „Mordlust“ oder „Grausamkeit“ zu<br />
mildern, und ihm ist die Betonung der martialischen und „eisernen“<br />
Momente dieser „Fürstenschaft“ zu „gefährlich“: denn alle diese<br />
Aktionen müssen münden in einen großen Zusammenhalt der<br />
Gegner, in „große Schlachtreihe“. Und dann kommt es doch zu der<br />
„Abkühlung“, aber „anders“: der angesprochene Mann wird „ruhig<br />
gestellt“, durch einen „Orangensaft“ im übertragenen Sinne. - Erneut<br />
nimmt hier Michael Nostradamus, in der mittlerweile bereits<br />
bekannten sehr direkten Art, politische Stellung zu Ereignissen<br />
98
seiner Zukunft. Er fällt ein klares historisches Urteil, und scheut sich<br />
nicht, die Handlungen zu kritisieren und Gegenvorschläge zu<br />
machen. Hier geht er weit über die Möglichkeiten von Wahrsagerei<br />
und Augurentum hinaus, und nimmt eindeutig Stellung, jenseits<br />
seiner Indifferenz im Detail -<br />
Dieses Gedicht ist für Napoleon I. anpassbar. Im Jahr 1794 gibt es in<br />
formal Mars (!) ein Zeichen des Widder, und dieses bezieht sich<br />
zurück auf die Stellvertretung der Exaltation, Zwillinge (1779). Der<br />
dür diese Herrschaft in Frage kommende Marszyklus wurde bei dem<br />
Sechszeiler 5, über „Robin“, in seinen Koinzidenzen vorgestellt.<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1732:<br />
1606:<br />
1761: Stier 1767:<br />
1702:<br />
1776/1777:<br />
Krebs<br />
Jungfrau<br />
Zwillinge<br />
1779:<br />
Löwe<br />
Stier/Wassermann<br />
Zwillinge<br />
1779:<br />
Fische<br />
1782/1783:<br />
Krebs/Jungfrau<br />
1789/1790:<br />
Stier/Schütze<br />
1790:<br />
99
Krebs/<br />
1790: Stier/<br />
1791:<br />
/Steinbock<br />
1791:<br />
Schütze<br />
1793:<br />
Steinbock<br />
1794:<br />
Widder<br />
Die Kennzeichnung in formal Mars 1794 kann als eine ausgreifende<br />
Architektur verstanden werde; es sind hier sechs Zyklen einbezogen.<br />
Der Aufbau der Figur sieht so aus:<br />
Mars: Widder<br />
Saturn:<br />
Krebs/Steinbock<br />
Venus: Steinbock<br />
Sonne: Löwe<br />
Jupiter: Stier/Schütze<br />
Merkur: Stier/Schütze<br />
100
Das Zeichen hat einen unermüdlichen Anteil, da Widder „oben“<br />
wieder „unter“ Löwe eine Stufe tiefer greifen kann. So hebt sich auch<br />
die Widrigkeit von Widder durch Krebs ein Stück auf: es bleibt aber<br />
ein bedenkliches Moment, zumal sich die Kennzeichnung auch nicht<br />
auf das 10. Haus richtet, sondern auf das 7.. Wenn Jungfrau in 10.<br />
steht, dann ist Zwillinge in 7., und es bedeutet dann Widder an<br />
diesem Ort eine „kriegerische Energie“ und einen fortwährenden<br />
Konflikt bis 1811 – aber dann kommt wieder Widder im gleichen<br />
Zyklus, und das Signum gerät um 1815 in immer adversere<br />
Auseinandersetzungen. Es dürfte sich dieser zeichenhafte Komplex<br />
auf die „große Grausamkeit“ beziehen – allerdings nur, wenn diese<br />
Anpassung richtig ist.<br />
Die Kennzeichnungen sind die gleichen wie bei jenem Gedicht, das<br />
sich auf die französische Revolution bezogen hat. Allerdings ist hier<br />
das Augenmerk auf „danach“ gerichtet, und so interessiert eher die<br />
Zukunft:<br />
„voraus“<br />
Präsenz der<br />
Domination<br />
„danach“<br />
1574, Mond:<br />
Skorpion<br />
1606, Mond:<br />
Jungfrau<br />
1841, Mond: Widder<br />
1755, Jupiter: Krebs 1767, Jupiter:<br />
Zwillinge<br />
1779, Jupiter: Fische<br />
1762, Mars:<br />
Wassermann<br />
1779, Mars: Zwillinge 1794, Mars: Widder<br />
101
1776/1777, Merkur:<br />
Stier/Wassermann<br />
1782/1783, Merkur:<br />
Krebs/Jungfrau<br />
1789/1790, Merkur:<br />
Stier/Schütze<br />
es wird mit dem Jahr 1841 in formal Mond noch einmal auf ein<br />
Wiederaufleben dieser Haltungen gewiesen. Dort richtet sich die<br />
Kennzeichnung aber wieder auf 10., und nicht auf 7..<br />
Bei den bisher untersuchten vier Gedichten konnten drei<br />
Exaltationen der Jungfrau mit vier Texten ausgestattet werden: drei<br />
Mal bezog sich die Kennzeichnung auf Jungfrau, einmal auf<br />
Zwillinge. Nur in dem letzten Fall waren nicht alle Zyklen in die Figur<br />
der Signifikation einbezogen, statt sieben nur sechs; dort „agierten“<br />
aber neun Koinzidenzen zusammen.<br />
Es bleibt für die Anpassung an Napoleon I. ein gewisses<br />
Fragezeichen.<br />
102
13. Der Sechszeiler über einen „Lieferanten“<br />
des „Ungeheuerlichen“<br />
Venus<br />
44; VII, 86<br />
Der Lieferant bringt alles in Ruin<br />
Sinnliche und Wolf in meiner nicht schulmäßigen Sprache<br />
Wenn Mars beim Zeichen des Schafes<br />
Verbunden mit Saturn; und Saturn mit Mond<br />
Dann gibt es dein größtes Glück<br />
Die Sonne dort in Exaltation -<br />
Es ist charakteristisch, wenn Michel Nostradamus in seinen<br />
Gedichten „metakommuniziert“: er verlässt den formalen und<br />
bildlich-inhaltlichen Rahmen, er thematisiert seine Schau, stellt<br />
manchmal sein Erleben in den Vordergrund, seufzt, spricht zuweilen<br />
auch Gebete. In diesem gedicht verweist er auf seine spezielle<br />
astrologische „Sprache“, die zwar völlig in der bekannten Tradition<br />
der Gestirnkunde steht, aber ihre Begriffe nicht „schulmäßig“,<br />
sondern – wie er hin und wieder bemerkt – in der „Weise seiner<br />
Vorfahren“ und seiner „eigenen Methode“ verwendet.<br />
Das vorgestellte Gedicht Aucane/44 hat unter den Sechszeilern die<br />
deutlichsten Hinweise auf seinen temporären Platz unter den<br />
zyklischen Anzeigen. Zu suchen ist eine Präsenz von „Mars beim<br />
Zeichen des Schaf“: es ist offen, was der ungewöhnliche Sinn<br />
„Schaf“ hier bedeuten kann, viel gängiger wären Zusammenhänge<br />
103
von „Lamm“, biblisch, oder Widder, astrologisch. In der Nähe dieses<br />
„Zeichens des Schafes“ muss sich eine „Exaltation“ des Löwen, „der<br />
Sonne“, befinden. Weiter sollen die Zeichen des formalen „Mars“<br />
sich verbinden mit Koinzidenzen, die formal „Saturn“ zeigt; und<br />
schließlich muss sich formal „Saturn“ auch zusammen schließen mit<br />
formal „Mond“. Dieses letzte sind Hinweise auf drei zyklische<br />
Präsenzen. Aus den bisherigen Anpassungen und der Einordnung<br />
der Sechszeiler in die „Prophezeiungen“ lässt sich weiter ermitteln,<br />
dass dieses Gedicht bei einer Kennzeichnung der Venus zu stehen<br />
käme. Zugleich sollte diese Kennzeichnung einen universalen<br />
Zustand erreichen oder anstreben; (dieser Zustand ist eigentlich<br />
einer von überreicher „Sättigung“.)<br />
Die venerische Kennzeichnung kann „Glück“ anzeigen. Jedoch hat<br />
dieser Ausdruck an diesem Ort einen gewissen Unterton in Richtung<br />
des „Materiellen“: und es scheint der hier angesprochenen<br />
„Lieferant“ - vermutlich der „Stammvater“ einer kommenden<br />
schicksalhaften Entwicklung – zur Zeit der Anpassung ein<br />
erhebliches Übergewicht über „Sinnliche und Wolf“ zu gewinnen.<br />
Der Begriff „pourvoyeur“ gehört in das Repertoire der Symbole der<br />
Sechszeiler: das ungewöhnliche Bild bringt geistige oder historische<br />
Vorgänge in den Zusammenhang des Handels, spielt mit<br />
merkantilen Konnotationen wie „Kauf“, „Bestellung“, „Lieferung“. Eine<br />
bestimmte Zeit „sucht sich etwas aus“, „wünscht dieses zu haben“,<br />
„und erhält diese zugesandt“. Anscheinend sind solche Inhalte, die<br />
dem Bild der „Lieferung“ abzulesen sind, für Michael Nostradamus<br />
passend, um die apokalyptische Epoche zu charakterisieren: sind<br />
die Menschen dieser Zeit so zu den Gestaltern ihres Schicksales<br />
geworden? Sie „begehren“, ganz auf der Linie des „Sinnlichen“, und<br />
sie „erhalten“: hat sich auch das Verhältnis zur Transzendenz in ein<br />
104
von ökonomischen Bildern geprägtes verwandelt? Ist Gott in der<br />
Vorstellung dieser Menschen zum „Kaufmann“ geworden, zum<br />
Verkäufer in einem Gemischtwarenladen, dessen Laufburschen<br />
seine Waren vermitteln? Das klingt nach einer Philosophie des „Do<br />
ut des“.<br />
Dieses kann wirklich nicht nur einen materiellen sondern auch einen<br />
moralischen Ruin bedeuten.<br />
Die Durchschau der Enographie – vor allem unter dem Kriterium<br />
„Verknüpfung von formal Mars, Saturn und Mond“ - ergibt<br />
Folgendes: die gesuchte Verbindung kann sich in dem Marszyklus<br />
von 3293 bis 3308 zeigen. Dieser verfügt über eine Domination der<br />
Jungfrau, und es gibt drei Bezüge einer Kennzeichnung durch<br />
inhaltlich Venus auf die merkurialischen Zeichen, im Zusammenhang<br />
von vielfältigen und überragenden Signifikationen.<br />
Hier zuerst die enographischen Grundlagen:<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
3262:<br />
3120:<br />
3290/3291:<br />
3284/3285:<br />
3208:<br />
3289/3290:<br />
Schütze<br />
Jungfrau<br />
Steinbock/<br />
Zwillinge<br />
Jungfrau/<br />
Krebs<br />
3293:<br />
Zwillinge<br />
Wassermann<br />
Wassermann/Krebs<br />
3296:<br />
3296: Stier/<br />
Wassermann/<br />
105
3297:<br />
3297:<br />
/Waage<br />
/Waage<br />
3299:<br />
Jungfrau<br />
3302/3303:<br />
Widder/<br />
Zwillinge<br />
3307:<br />
Stier<br />
3308:<br />
Schütze<br />
die Erhöhung zeigt in den Jahren der Ära eine zunehmende<br />
Dynamik, sie gewinnt fortschreitend und umfassend an „Stärke“. Die<br />
Exaltation beginnt bereits 3296, wenn die Verdeckung der Jungfrau<br />
durch Krebs aufhört; danach steht Jungfrau in formal Mond bereits<br />
erhöht, und es fügen sich formal Mars und formal Saturn mit<br />
Zwillinge hinzu; dann kommt der Venuszyklus, 3299, mit einem<br />
106
zweitem Zeichen der Jungfrau; und schließlich entsteht noch einmal<br />
Zwillinge, im Merkurzyklus. - Es kann sich hier nicht um eine<br />
Herrschaft der Zwillinge handeln, denn trotz drei Mal Gemini<br />
überwiegt zwei Mal Virgo, weil Gemini durch Schütze/Sonne in<br />
Vernichtung ist. -<br />
Es sind hier, wie gefordert, „Mars, Saturn und Mond“ gleichsinnig<br />
verbunden. Es kommen sogar später noch Venus und Merkur hinzu.<br />
„Mars“, über Zwillinge mit „Saturn“ verbunden, steht dort bei dem<br />
Zeichen des Steinbockes (Saturn): ist Capricornus eventuell das<br />
gesuchte „Schaf“? Das wäre eine einfache und überraschende<br />
Lösung, doch will dieses nicht ganz passen, gehört der<br />
Alpensteinbock doch zur Familie der Ziegen. Ob „Schaf“ eine<br />
Verschlüsselung von Capricornus sein kann, kann jedoch fraglich<br />
bleiben. Immerhin wären die großen gesuchten Verknüpfungen<br />
vorhanden: und, nicht ganz unwesentlich, gerät im folgenden<br />
Marszyklus, 3308 bis 3323, die „Sonne in Exaltation“. Dort zeigt sich<br />
Sonne im Sonnenzyklus, dem Weltalter, ab 3321, und ist gleich<br />
dominierend.<br />
Gibt es nun eine Kennzeichnung, die universal zu nennen wäre?<br />
Folgende Signifikationen sind zu beobachten:<br />
„voraus“ Kennzeichnung „danach“<br />
Mond 3088: Zwillinge Mond 3120: Jungfrau Mond 3323: Schütze<br />
Saturn 3261/3262:<br />
Widder/Skorpion<br />
Saturn 3290/3291:<br />
Steinbock/Zwillinge<br />
Saturn 3320:<br />
Zwillinge<br />
107
Jupiter 3272/3273:<br />
Waage/Schütze<br />
Jupiter 3284/3285:<br />
Jungfrau/Krebs<br />
3296/3297:<br />
Stier/Waage<br />
Mars 3278: Krebs Mars 3293: Zwillinge Mars 3308: Schütze<br />
Venus 3208:<br />
Wassermann<br />
Venus 3299:<br />
Jungfrau<br />
Venus 3307: Stier<br />
Merkur 3296/3297:<br />
Wassermann/Waage<br />
Merkur 3202/3203:<br />
Widder/Zwillinge<br />
Merkur 3309/3310:<br />
Steinbock/Jungfrau<br />
dieses sind auf den ersten Blick überragende Kennzeichnungen.<br />
Darunter sind auch die drei erwähnten Möglichkeiten durch inhaltlich<br />
Venus, in formal Merkur 3297, in formal Venus, 3307, und in formal<br />
Jupiter, 3272.<br />
Sechs Zyklen werden in allen Möglichkeiten angesprochen: und<br />
Venus wird auf dritte Ebene gehoben, unter Sonderbedingungen.<br />
Hier folgt die Architektur der Koinzidenz Stier/Waage in formal<br />
Jupiter:<br />
Mond: Jungfrau<br />
Saturn: Steinbock/<br />
Zwillinge<br />
108
Jupiter: Stier/Waage<br />
Mars: Zwillinge<br />
Venus: Wassermann<br />
Merkur:<br />
Wassermann/ Waage<br />
-<br />
-<br />
die dritte Ebene wird durch die Steigerung von Wassermann und<br />
Steinbock durch Waage und durch die Zusammenspannung mit<br />
erhöhter Jungfrau erreicht.<br />
Dieses Signalement erscheint aus dieser Warte nicht mehr von so<br />
großer Güte wie zuerst gemeint: das Zeichen hat keinen Boden und<br />
keine Mitte, und die in ihm enthaltenen Zwillinge stehen unter<br />
Schütze in nicht zu unterschätzender Adversität. Diese teilt sich auch<br />
dem anderen merkurialischen Zeichen, Jungfrau, mit: es sind die<br />
merkurialischen Zeichen gegenüber außer ihnen liegenden<br />
Einflüssen, vor allem jovialistischen, sehr „vulnerabel“ und „labil“.<br />
Man hat keine höheren Evidenzen bei diesem Zeichen.<br />
Und noch schwieriger gestaltet sich die Präsenz der möglichen<br />
Signifikation im Jahr 3307, mit Stier: dann gesellt sich zu dem<br />
109
gesamten Profil auch Widder hinzu (Merkur), und bringt Steinbock in<br />
Fall, und Waage in Vernichtung, und dieses wäre zusammen mit<br />
Schütze/Zwillinge schon erheblich.<br />
Sollte Michel Nostradamus auch in den Sechszeilern die<br />
Kennzeichnungen wieder nach Widrigkeit reihen, wäre an dem Platz<br />
Aucane/44 dieser Menge mit Kombinationen von Fall und<br />
Vernichtung des Signifikators zu rechnen. Eben dieses wurde<br />
gerade erwogen. Unter diesen Bedingungen relativierte sich die<br />
Bedeutung von „Glück“ in der fünften Zeile des Gedichtes noch<br />
weiter: man darf diesen Begriff hier nicht absolut verstehen, sondern<br />
eingebettet und korreliert mit den geschichtlichen Inhalten des<br />
Umfeldes der Zeit.<br />
Noch mehr über die unbekannten historischen Zusammenhänge<br />
dieser Weissagung zu spekulieren, soll hier unterbleiben: dazu ist<br />
die Wahl der Adaptation nicht sicher genug, und zugleich ist es<br />
unangebracht, für unklare zeitliche Zusammenhänge weitreichende<br />
Potenzialitäten zu konstatieren.<br />
110
14. Die Zahl „sechshundert und ...“<br />
Das am häufigsten in den Sechszeilern verwendete Wort ist der<br />
Zahlbegriff „sechshundert“.<br />
Auch dieser Begriff spielt – wie allein schon auch die Form der<br />
Sechszeiler mitteilt - mit den Bedeutungsräumen der Zahl „6“: der<br />
sechste Tag ist der Tag der Venus (Freitag), biblisch wird an diesem<br />
Tag der Mensch erschaffen, und so gehört die Zahl dem Menschen.<br />
„6“ gilt auch als Zahl der Erlösung, denn Christus ist am sechsten<br />
Wochentag gestorben, und so hat der Begriff auch „Verwandtschaft<br />
mit dem Kreuze“. Agrippa nennt sie auch Zahl der „Arbeit und<br />
Knechtschaft“, und verbindet ihr Vielfaches, 60, intensiv mit den<br />
antiken biologischen Vorstellungen vom Krokodil: es lege in 60<br />
Tagen 60 Eier, brüte sie 60 Tage aus, habe 60 Zähne, und lebe 60<br />
Tage in der Wüste. - Dieses hier als kurzer Hinweis. Da das Symbol<br />
„Krokodil“ mehrmals in den Sechszeilern vorkommt, kann dieses Bild<br />
Beziehungen zu „sensue, censue“ haben. - Die bekannte Zahl 666<br />
ist die Gesamtsumme aller Zahlen des „magischen Quadrates“ der<br />
Sonne; es besteht aus 6 x 6, das sind 36 Zahlen, von eins bis<br />
sechsunddreißig; „jede Reihe und der Diameter“ haben die Summe<br />
111. 666 ist die Zahl des „Sorath, des Dämon der Sonne“.<br />
Die Verwendung der Zahl „600“ ist unbedingt aus verschiedenen<br />
Blickwinkeln zu sehen: eine Dimension ist symbolisch, in die eben<br />
genannten Beutungsrahmen der Zahl sechs hinein; überhöht kann<br />
dieses werden durch eine spirituellen oder metaphysischen Horizont,<br />
in verwandter Weise, wie diese Zahl in den biblischen Schriften<br />
111
angedeutet ist; bei Michael Nostradamus kommt über die Ebene der<br />
symbolischen Anspielung hinaus eine konkrete zahlenmäßige<br />
Vorstellung hinzu, ein Bezug zu seiner Geschichtskonstruktion,<br />
vermutlich in mehrfach gespiegelter und verschlüsselter Weise. - In<br />
der Herausgabe von V. Seve ist nun recht irritierend, dass dort in<br />
vier zusätzlichen Gedichten in drei ebenfalls Bezug auf<br />
„sechshundert und...“ genommen wird. Diese Zahlen scheinen sich<br />
dort auf die Jahre nach 1600 zu beziehen; so erscheint in Seve/12<br />
und Seve/14 zweimal die gleiche Zahl, „sechshundert und fünf“, und<br />
unmittelbar zuvor, Seve/11, „sechshundert und vier“.<br />
Auffallenderweise setzen diese Zahlen ebenfalls ein, wenn bei<br />
Aucane die Erwähnung von „600“ beginnt. -<br />
Folgend nun die Übersicht der authentischeren Zahl „sechshundert“<br />
und ihrer weiteren zahlenmäßigen Zusammensetzungen, mit den<br />
Nummern nach Vincent Aucane. Dabei werden andere mögliche<br />
astrologische oder zahlensymbolische Angaben im jeweiligen<br />
Sechszeiler ebenfalls erwähnt.<br />
11: „sechshundert fünf oder neun“<br />
13: „sechshundert fünf“, „im Oktober“<br />
13: „sechshundert sechs“, „im Juni“<br />
15: „sechshundert und fünf“, „Nachtigall“<br />
16: „sechshundert fünf“<br />
16: „sechshundert sechs oder sieben“, „bis zum Jahr 17“<br />
18: „sechshundert sieben“<br />
112
20: „sechshundert sieben oder zehn“<br />
21: „sechshundert und acht und zwanzig“, „Merkurialisch“<br />
22. „sechshundert sechs“<br />
22: „sechshundert neun“<br />
23. „sechshundert und sechs“<br />
23. „sechshundert und zehn“<br />
24: „sechshundert zehn“, „beim vierzehnten“<br />
24: „sechshundert und sechs“<br />
25. „sechshundert und acht“<br />
36: „sechshundert und fünfzehn“, „der neunzehnte“<br />
40: „sechshundert in zehn Jahren“<br />
42: „sechshundert und zehn“, „fünf Jahre später“<br />
50: „bis sechshundert siebenzig“<br />
52: „sechshundert und XV“<br />
Das Wort „sechshundert“ kommt damit insgesamt 21 mal vor. Die<br />
Zahl der Erwähnungen ist in Anbetracht der geringen Zahl der<br />
Sechszeiler groß.<br />
Die solcherart dargestellten Zahlen scheinen kontinuierlich<br />
anzusteigen. - Vermutlich hat sich auch damit die Deutung ergeben,<br />
die Sechszeiler behandelten die Jahre nach „1600“ in<br />
systematischer Weise, wie sie vor allem V. Seve formulierte:<br />
113
„Predictions admirables pour les ans courans en ce siecle“. Das ist<br />
aber falsch, und geht ziemlich weit an den Aufgaben, denen sich die<br />
Prophetie des französischen Arztes und Astrologen stellt, vorbei;<br />
doch bereits J. A. de Chavigny ist einem ähnlichen Irrtum bei einer<br />
anderen Reihe von Weissagungen, den „Presages“, im „Janus<br />
Gallicus“, erlegen. -<br />
Es handelt sich bei der Zahl „sechshundert“ in diesen Gedichten um<br />
eine Metapher. Sie zitiert ein dem christlichen abträgliches Moment,<br />
eine Zeit des „Kreuzes“ und des „Leidens“. Doch neben dieser<br />
Anspielung wäre Nostradamus nicht Nostradamus, hätte nicht<br />
dieses Symbol nicht noch auch dezidierte Absichten: hier der<br />
näheren zeitlichen Eingrenzung, wann seine Vorhersage eintreten<br />
soll. Dabei muss man sich aber von allzu simplen Rechnungen und<br />
Bezügen lösen, etwa „diese Vorsagen beziehen sich auf die Jahre<br />
nach tausend und sechshundert“, oder nach „2600“, oder „3600“<br />
usw..<br />
Solche einfachen Lösungen können in Einzelfällen auch einmal<br />
richtig sein: allerdings sind die zusätzlichen Zahlen dann wohl nach<br />
verschiedenen zyklischen Einheiten – mal nach langen, wie der<br />
Saturnrevolution mit 29,5-jährigen Schritten, mal nach kürzeren, wie<br />
dem Venuszyklus, mit 8-jährigen Schritten – aufzulösen. So können<br />
sich die Vorhersagen über viele Jahre ausdehnen, und bleiben nicht<br />
auf ein einziges Jahrhundert beschränkt, in dem die Jahreszahl<br />
„sechshundert“ enthalten ist.<br />
Nimmt man die Zahl „sechshundert“ als rein symbolisch, dann<br />
bezöge sich diese Zahl auf die apokalyptische Epoche, als einer<br />
Zeit, die vom sinnlich orientierten Menschen gestaltet wird, letztlich<br />
eine Zeit menschengemachter Vorstellungen und Begriffe. Diese<br />
114
können in dieser Zeit einen spezifische, dem Humanen abträglichen<br />
Ausdruck finden.<br />
So gesehen kann „600“ die gesamte 8. Weltzeit – in der<br />
Geschichtskonstruktion des Nostradamus - und in ihr bestimmte üble<br />
Abschnitte bedeuten.<br />
Auf alle Fälle dürfte das Rätsel der Zahl „sechshundert“ zu den<br />
schwierigsten gehören, die Nostradamus gestellt hat. Doch<br />
vermutlich eröffnet die Zyklenlehre einen Zugang.<br />
115
15. Die Zahl „600“ als Hinweis auf die<br />
gegenwärtige siebte Weltzeit<br />
Um mögliche weitere Hintergründe der Zahl „600“ zu verstehen,<br />
braucht es einige Hinweise auf die Geschichtskonstruktion.<br />
Ausgehend von der Theorie der Initiationen ist darzustellen:<br />
Initiationen geschehen an ausgezeichneten zyklischen Plätzen.<br />
Diese Plätze erfüllen drei Kriteria:<br />
1. sie liegen an dem zeitlich passenden Ort, etwa zwei Zeiteinheiten<br />
vor dem entscheidenden Einschnitt, d. i. vor der neuen führenden<br />
temporären Periode im Sonnen- oder Mondzyklus;<br />
2. die Domination in der jeweiligen Ära zeigt eine überragende<br />
Architektur, sie ist hoch gesättigt und bezieht möglichst viele Zyklen<br />
mit ein; und<br />
3. die zugehörigen Kennzeichnungen sind ebenfalls von<br />
überragender Qualität, vor allem beziehen sie möglichst viele, am<br />
besten alle Tierkreiszeichen oder Symbole mit ein – gerade die Art<br />
und Weise der Signifikation erläutert noch einmal ausführlich, warum<br />
dieses Zeichen weltweit leitend werden kann.<br />
Für diese Möglichkeiten ein Beispiel: die Initiation der gegenwärtigen<br />
Weltzeit, der siebten, geschah in der Ära zwischen 1510 und 1527,<br />
unter einer Herrschaft des Steinbock, zu der auch beiden Lichter<br />
(inhaltlich und formal) beigezogen wurden. Diese Anzeige der<br />
Herrschaft war von 1510 bis 1512 kulminierend, und in formal Jupiter<br />
bis 1518 mit der genannten Beiziehung und einem unermüdlichen<br />
116
Aufbau präsent. Dieses zyklische Hintergrund bezeiht sich eindeutig<br />
auf das Wirken von Martin Luther; dass „Deutschland“ beteiligt war,<br />
zeigt auch die Präsenz der martialischen Zeichen in allen fünf<br />
kennzeichnungen im Sonnen- und Mondzyklus, und in den Perioden<br />
von Jupiter, Venus und Merkur. Wollte man die Ereignisse<br />
verdichten, könnte man tatsächlich des Thesenanschalg an die<br />
Wittenberger Schlosskirche von 1517 als auslösendes Ereignis der<br />
Initiation fassen.<br />
Michael Nostradamus erwähnt nun eventuell die nächste Initiation,<br />
als von 1557 „580 Jahre mehr oder weniger“ in der Zukunft; 1557<br />
erscheint der zweite Teil der Prophezeiungen, und darin das Gedicht<br />
VI, 2, mit besagtem Fingerzeig und dem Hinweis, „dort beginne ein<br />
sehr eigenartiges Zeitalter“. Es ist auf die Ära von 2125 bis 2142 zu<br />
beziehen, mit ihrem Höhepunkt der Manifestation des Solarischen<br />
kurz vor einem dominierenden Mondzyklus, ab 2204. Die Apside ist<br />
präsent zwischen 2131 und 2138: erneut ist dieses eine Exaltation<br />
des Steinbock, in Zusammenspannung mit Löwe und Beiziehung<br />
von Krebs und Fische.<br />
Mit diesen beiden Initiationen kann man die Geschichtskonstruktion<br />
des Michael Nostradamus vervollständigen.<br />
Person Jahr Zeitabstand Bemerkung<br />
„Adam“ 4758 v. Chr. „Erschaffung<br />
der Welt“<br />
„Noe“<br />
3516 v. Chr.<br />
1242<br />
1080 1. Weltzeit,<br />
nach der<br />
117
Abraham 2436<br />
Moses 1921 oder 1920<br />
v. Chr.<br />
David<br />
Jesus 0<br />
Mohammed<br />
Martin Luther 1517<br />
1350 v. Chr.<br />
621 n. Chr.<br />
„universalen<br />
Flut“<br />
515 oder 516 2. Weltzeit<br />
570 3. Weltzeit<br />
1350 4. Weltzeit<br />
621 5. Weltzeit<br />
896 6. Weltzeit<br />
620 7. Weltzeit,<br />
„Moderne“<br />
N. N. 2137 n. Chr. Initiation des<br />
„fremdartigen<br />
Zeitalters“<br />
1660 Dauer der<br />
ungewöhnlich<br />
langen 8.<br />
Weltzeit<br />
N. N. 3797 n. Chr. Endpunkt der<br />
Prophezeiung<br />
des<br />
Nostradamus<br />
N. N. um 4700 bis<br />
4800<br />
„tausend<br />
Jahre“,<br />
„goldenes<br />
Zeitalter“<br />
9. Weltzeit, des<br />
Saturn<br />
10. Weltzeit<br />
118
Die durchschnittliche Dauer der Weltzeiten beträgt 950,55 Jahre; sie<br />
nähert sich relativ nahe der gängigen Vorstellung von tausend<br />
Jahren für ein Zeitalter oder eine Weltzeit an. Doch schwankt die<br />
Dauer von Weltzeiten, die nach Gestirnständen und wesentlichen<br />
Zeichen am Himmel ermittelt werden, von etwas mehr als 500<br />
Jahren bis fast 1700 Jahre.<br />
Im Zusammenhang der hier angestellten Überlegungen zu der Zahl<br />
„600“ der Sechszeiler gibt es Parallelitäten in der Dauer zweier<br />
Zeitalter: so beginnt die Ära Mohammeds nach 621 Jahren nach<br />
Christi Geburt, und etwa die gleiche Zeit nach Martin Luther beginnt<br />
das apokalyptische 8. Weltalter.<br />
Es kann dieses Verständnis der Zahl bedeuten, es wären die<br />
Gedichte, in denen „600“ vorkommt, Aussagen über die achte<br />
Weltzeit, und es wären die zahlenmäßigen Beifügen - „und fünf“,<br />
„und sieben“, und „XV“, „der 19.“ usw. - nähere Eingrenzungen der<br />
Adaptation des jeweiligen Textes auf Grund zyklischer Ereignisse.<br />
Diese Zahlen können sich damit auf die Dauer von sieben Zyklen –<br />
des Saturn, Jupiter, Mars, der Sonne, Venus, der Merkur, des<br />
Mondes – beziehen. In diesem Sinne können sie sich über 1660<br />
Jahre erstrecken.<br />
Vermutlich gibt es in dem 8. Zeitalter auch Gedichte, die sich nicht<br />
auf verheerende Ereignisse beziehen; diese tragen wohl die<br />
Kennzeichnung „600 und...“ nicht. Sie gehören damit zu jener<br />
andere Partei, die die Geschichte bestreitet: einerseits die<br />
sensualistische und dem Natürlichen folgende Seite, andererseits<br />
die „Bürgerschaft“, die sich dem Geoffenbarten verschreibt.<br />
Die Auflösung der Zahlen und die Zuordnung der gedichte zu<br />
definierten Zeiten dürfte vor dem Eintreten der Ereignisse relativ<br />
119
schwierig sein. Doch sicher werden Zeiten kommen, in der eine<br />
Zuordnung gelingen wird, und dann wird sich erneut bestätigen, wie<br />
ausgeklügelt die gesamte Geschichtskonstruktion des Michael<br />
Nostradamus ist. So bleibt vorläufig noch das Bemühen um das<br />
einzelne Detail, seine Würdigung in den erkennbaren Teilen des<br />
Bedeutungssystems, und die Arbeit an den sich ergebenden<br />
Gestaltungen des Vergangenen.<br />
120
16. Exkurs: Die Ära der Initiation des achten<br />
Zeitalters<br />
Im vergangenen Kapitel wurde das zweitbedeutendste Ereignis der<br />
Zukunft berührt, die Initiation der apokalyptischen Periode. Dieses<br />
steht aber weit hinter der Bedeutung der ihr dann folgenden Initiation<br />
des „goldenen Zeitalters des Saturn“ nach 3700 zurück. Doch bevor<br />
diese positiv zu bewertende Stufe der Menschheitsgeschichte<br />
erreicht wird, ist ein tiefes Tal einer „eigenartigen“, wenn nicht<br />
„verrückten“ Zeitspanne zu durchschreiten: in dieser Zeit blüht ein<br />
rationalistisches, materialistischen und sensualistisches Wesen, das<br />
seine uninspirierte Gesetzhaftigkeit hinter seltsamen Verbrämungen<br />
verbirgt.<br />
Zu erwägen sind nun die zeichenhaften Vorgänge des Marszyklus<br />
von 2125 bis 2142.<br />
Sie liegen vor dem die Führung übernehmenden Mondzyklus ab<br />
2204, mit Skorpion; diese zyklische Präsenz überwiegt quantitativ<br />
den Sonnenzyklus, sie dauert konkret bis 3056 nach Christus, doch<br />
dann folgen erneut zeichenhafte Überwertigkeiten des Lunatischen,<br />
bis über die Mitte des vierten Jahrtausends. - Alleine schon die<br />
Initiation einer Zeit, in der der Mond im Skorpion im Fall steht, ist zu<br />
fürchten. -<br />
Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />
1792: 1905: 2114: 2122/2123: 2124: 2124:<br />
121
Löwe Waage Widder Krebs/<br />
2125:<br />
Waage<br />
Waage/<br />
Fische<br />
Steinbock<br />
2125/2126: /<br />
Waage/<br />
Zwillinge<br />
2131: Löwe/<br />
2132:<br />
Löwe 2132:<br />
/Steinbock<br />
2134/2135:<br />
Schütze/<br />
Waage<br />
2138/2139:<br />
Jungfrau/<br />
Widder<br />
2140:<br />
Krebs<br />
2142:<br />
Zwillinge<br />
122
Andere bedenkliche Zeichen der Zeit sind: Saturn im Widder, im Fall,<br />
und Saturn, durch Löwe und Krebs in Vernichtung. Hinzu kommt das<br />
sehr befremdliche Verdecken des Symbols des mundanen neunten<br />
Hauses, Schütze, durch Waage – ein Zeichen des Natürlichen – in<br />
der Jupiterrevolution, die in der Regel auch die religiösen Grundzüge<br />
angibt. Zugleich ist Waage verdeckt durch das merkurialische<br />
Zeichen Zwillinge und „angegriffen“ durch Widder, und schließlich<br />
sogar „bedrängt“ von der für Waage verheerenden Kombination von<br />
Fall und Vernichtung, Jungfrau/Widder.<br />
Der Aufbau der Erhöhung ist sehr komplex, gerade so, wie es<br />
typisch ist für Initiationen, hier aber mit erheblichen Widrigkeiten.<br />
Entscheidend für die Exaltation ist die Zusammenspannung von<br />
Löwe und Steinbock, vermittelt in formal Merkur, und ausgedehnt auf<br />
formal Venus, formal Sonne und formal Mars, und in der Beiziehung<br />
von Krebs sogar auf formal Jupiter. Formal Saturn wirkt mit Widder<br />
steigernd in diese Kombination der Lichter hinein. Es wirken zwei<br />
sich steigernde Reihe zusammen, vergleichbar wie bei Mohammed,<br />
nämlich einerseits Krebs, Fische, Waage, Steinbock, und<br />
andererseits Steinbock, Widder, Löwe. Es sind diese zwei<br />
Steigerungsreihen auch in einer mehrfach unermüdlichen Architektur<br />
verschränkt, mit erheblichen Bewegungen nach aufwärts, aber<br />
bedenklich durch vielfältige gegenseitige Minderungen: letzte<br />
werden aber nur bedingt wirksam, weil die beiden Steigerungsreihen<br />
doppelt unter die Zusammenspannung von Löwe und Steinbock<br />
greifen.<br />
Topographisch kann diese entscheidende Zusammenspannung auf<br />
das Klimat des Merkur und der Venus und der Sonne zeigen: von<br />
47°15´bis 43°30´ bis 39° bis 33°30´ nördlicher Breite. Der tiefste<br />
„Ursprung“ des Aufbaues liegt bei Krebs in formal Jupiter: die<br />
123
Erhöhung des Jupiter weist auf den Norden, die Sonne auf den<br />
Nordwesten, Krebs auf die USA oder Schottland. Doch in der<br />
weiteren Folge konzentriert sich Einiges auf das Zeichen Waage, mit<br />
bedeutenden Auswirkungen in den venerischen Staaten im<br />
Nordwesten Europas und der gesamten nordwestlichen<br />
Hemisphäre.<br />
Die Zukunft wird diese Entwicklungen im konkreten Ereignis zeigen.<br />
Die Kennzeichnungen haben eine bedenkliche Seite: geht man von<br />
einer Herrschaft des Steinbock aus, gibt es keine Kennzeichnungen<br />
in den Zyklen der Wohltäter, also bei formal Jupiter und formal<br />
Venus. Dieses wäre fast das schlimmste Zeichen; man kann aber -<br />
wegen der Zusammenspannung - auch die beiden Lichter hinzu<br />
nehmen.<br />
„vorher“<br />
„nachher“<br />
Sonne:<br />
Löwe, 1792 Steinbock, 2290 Jungfrau, 2349<br />
Mond:<br />
Waage, 1905 Wassermann, 2172 Skorpion, 2204<br />
Saturn:<br />
2055, Fische Stier/Wassermann,<br />
2084/2085<br />
Widder, 2014<br />
124
Mars<br />
Widder, 2095<br />
(Wassermann, 2110 Steinbock, 2125) Zwillinge, 2142<br />
Merkur<br />
Waage/Waage/<br />
Zwillinge –<br />
2124/2125/2126<br />
Löwe/Steinbock,<br />
2131/2132<br />
Jungfrau/Widder,<br />
2138/2139<br />
Worauf läuft diese Zeichen hinaus: in der dritten Spalte immer<br />
wieder die merkurialischen Symbole Jungfrau und Zwillinge, und die<br />
martialischen Zeichen Widder und Skorpion: das bedeutet „viele,<br />
viele Kriege“, in den entsprechenden Regionen. Das Zeichen kommt<br />
her von Verdunkelungen des Löwen, durch Waage: es ist eine „Krise<br />
Europas“, und das „Scheitern der europäischen Einigung“<br />
vorhergesagt, zu Gunsten der Hegemonie des Nordostens Europas<br />
und Chinas. Die Kräfte Roms „erlöschen“, und so führen diese<br />
Entwicklungen den Niedergang bis in ebendiese Ära mit großer<br />
Konsequenz weiter. Hier entsteht ein anderes Europa, als das heute<br />
gegenwärtige, und in ihm der große Abgesang auf die nordwestliche<br />
Kultur.<br />
Dieses Zeichen deutet weit in die Zukunft, jovialistische Zeichen,<br />
etwa Fische, liegen für diese Figur in der Vergangenheit. So hat<br />
diese Figur in ihrer zeitlichen Erstreckung erhebliche martialische<br />
Einseitigkeit, mit Gewicht auf Auseinandersetzung und Konflikt.<br />
Inhaltlich Saturn – die Herrschaft liegt immerhin bei Steinbock –<br />
125
erscheint hier in seiner „eisernen“ Seite, mit der Erhöhung des Mars,<br />
in der Zersplitterung der Entsprechungen Saturns durch die<br />
Platzierung in Widder. Diese Anzeige sagt für Frankreich, Russland,<br />
Indien und die saturninen Staaten auf dem Balkan von Griechenland<br />
über Makedonien, Bosnien, Rumänien bis Albanien üble und<br />
zerschmetternde Zeitigungen vorher. Dort überall können sich<br />
Herrschaften und Patronate der Jungfrau als begünstigt erweisen, im<br />
Sinne eines geistigen „Mesopotamien“.<br />
126
17. Die Ankündigung positiver Züge,<br />
hinweisend auf die neunte Weltzeit<br />
Für das zu fürchtende achten Jahrtausend hat Michael Nostradamus<br />
vorher gesagt, es werde in dieser Weltzeit eines Tages die „Erde zu<br />
einer Festigkeit und Stabilität zurück kehren“. Das bedeutet wohl, es<br />
werden in dieser großen Zeitspanne Ansätze, allmähliche<br />
Fortschritte und sogar – am Ende der Phase – eine Initiation der<br />
„Zeit eines tausendjährigen Friedens“ folgen. In diesem Sinne sind<br />
innerhalb der Geschehnisse der apokalyptischen Periode immer<br />
auch Spuren und Fährten des Künftigen zu erahnen. Mit den<br />
deutlichsten Hinweis dafür gibt das Gedicht Aucane/38:<br />
(Saturn; VII, 80)<br />
38<br />
Ce qu´en vivant le Pere n´avoit sceu -<br />
Jl acquerra ou par F er ou par Feu<br />
et combatra La Censue Irriteé<br />
et Jouira De son bien Paternel<br />
Et Favory du grand Dieu eternel -<br />
avra bien tost sa province heriteé -<br />
Der der im Leben den Vater nicht kannte -<br />
Erwirbt nicht durch Feuer und nicht durch Schwert<br />
Und bekämpft die aufgebrachte Censue<br />
Und freut sich seines Vatergutes<br />
Und der Günstling des großen ewigen Gottes -<br />
Hat ziemlich bald seine Provinz geerbt -<br />
127
Es ist fraglich, ob hier mit „Censue“ die Bedeutungsdimension des<br />
„Sinnlichen“ gemeint ist. Es könnte hier auch die andere Bedeutung<br />
im Vordergrund stehen, jene in Richtung des „Schätzens,<br />
Einschätzens“. (Es muss offen bleiben, was damit konkret gemeint<br />
sein kann – die alte Verteilung von Stimmen nach wirtschaftlicher<br />
Leistungskraft, oder eine andere Rangordnung einer streng<br />
hierarchisch gegliederten Gesellschaft, etwa mit verschiedenen<br />
Rechten und Privilegien, nach irgendwelchen Verdiensten. Sollte<br />
hier in erheblichem Maß gegen das Prinzip der „Gleichheit“<br />
verstoßen werden?)<br />
Zu dieser Zeit des Gedichtes wird nun ein „Günstling des ewigen<br />
Gottes“ deutlich. Er ist charakterisiert damit, dass er „seinen Vater<br />
nicht kannte“, dass er erwirbt ohne Gewalt, und einen „Kampf“ führt<br />
gegen die Hegemonie der derzeitigen Weltmacht. Dieser ist<br />
anscheinend so erfolgreich, dass es ihm möglich wird, sich<br />
vermutlich längere Zeit seines „Vatergutes“ zu freuen. In diesem<br />
„Vatergut“ handelt es sich vielleicht um ein Land, das wäre im<br />
ständischen und alten Sinne gedacht. Eventuell geht es aber auch<br />
um einen Teil eines Weltreiches, das ihm als eine Art<br />
„Lehensnachfolger“ zugefallen sein kann – wäre dem so, wäre sein<br />
„Kampf“ vielleicht auch geistig zu verstehen, als eine Mäßigung der<br />
vorherigen Ansprüche seiner „Lehensherrin“, der „censue“.<br />
Wäre nun die Zeit dieses Gedichtes bekannt, wäre auch zu<br />
ermitteln, wann zu seinem Erbe noch eine weitere – anscheinend<br />
entscheidende - „Provinz“ hinzu kommt. Oder bezieht sich die letzte<br />
Zeile noch einmal auf die vierte, und es geht hier nur um eine<br />
einzige „Erbschaft“? Jedenfalls wird hier von einer väterlichen Linie –<br />
ein- oder zweimal - auf den Sohn „übergeben“.<br />
128
Diese Erbe geschieht im Zeichen des Saturn, damit in der<br />
inhaltlichen Päsenz der „höchsten Kristallschale“. Es ist möglich,<br />
dass in ihr sich die „Begünstigungen“ der ihr näher als allen anderen<br />
Kreisen stehenden „ewigen und göttlichen“ Sphären manifestieren<br />
können: und unter saturninem Zeichen beginnt hier ein Wirken in der<br />
Geschichte, das in die Initiation der künftigen positiven langen<br />
Weltzeit führen wird. Es ist aber nicht festzustellen, wie lange dieses<br />
Ereignis vor dem genannten Anfangspunkt der neunten Weltzeit, der<br />
„goldenen Zeit des Saturn“ sein wird. Vielleicht ist auch der „Liebling<br />
des großen ewigen Gottes“ der Initiator der neunten Weltzeit selbst.<br />
(Es sei hier daran erinnert, es stehe im letzten Gedicht der<br />
Sechszeiler ein Hinweis auf den „Tod der Sinnlichen“; nimmt man<br />
dieses, und die mögliche Parallelität eines (kommenden) Neuen,<br />
dann kann zwischen dem hier behandelten „Erbe“ und einem ganz<br />
Anderen doch eine zeitliche Differenz liegen.)<br />
In diesem Gedicht ist auch kein Hinweis vorhanden, in welchem<br />
Weltteil sich die wunderbare Entwicklung abspielen soll. So bleibt<br />
offen, welche Regionen der Welt solche verdienstvolle Taten zur<br />
Gestaltung des Künftigen beitragen werden.<br />
129
18. Andere Gedichte<br />
Jupiter<br />
8; VII, 50<br />
Ein wenig voraus eröffnet der Handel<br />
Ein Gesandter kommt aus Persien<br />
Trägt eine Neuigkeit auf frankes Land<br />
Wird aber nicht aufgenommen vergebliche Hoffnung<br />
Seinem großen Gott wird die Beleidigung gelten<br />
Gibt vor weggehen zu wollen<br />
Eine „Neuigkeit“ kommt aus „Persien“; sie kann in Frankreich nicht<br />
„landen“. Doch sie geht nicht mehr weg: und dass sie nicht<br />
aufgenommen wurde, gilt als eine Beleidigung eines (künftigen,<br />
virtuellen?) „Gottes“.<br />
Vermutlich werden über kurz oder lang Zeiten kommen, in denen<br />
diese „Neuigkeit“ Rezeption findet. Dann wird Frankreich nicht mehr<br />
„frank“ sein, im Sinne unseres „frank und frei“: es wird nicht mehr<br />
typisch sein, d. i. Individuell, der Freiheit („liberte“) verpflichtet, und<br />
brüderlich human orientiert.<br />
Diese „Neuigkeit“ - vermutlich jene Idee, die eine ganze Weltzeit<br />
gestalten wird, und vermutlich im Zusammenhang des Begriffes<br />
„sensue“ oder „censue“ - diese Neuigkeit hat etwas mit „Handel“ zu<br />
tun. Das französische Wort „commerce“ weist noch deutlicher auf die<br />
„kommerzielle“ und „materielle“ Grundlage der Vorstellung. - Hier<br />
130
kann man die Worte der Geheimen Offenbarung assoziieren: „Die<br />
Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und<br />
die Sklaven, alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder Stirn ein<br />
Kennzeichen anzubringen. Kaufen und verkaufen konnte nur, wer<br />
das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines<br />
Namens.“ (Offb 13, 16 – 17)<br />
Was kann eine „Philosophie“ dieser Aussagen, ein tieferer Sinn<br />
dieser Worte bedeuten? Sicherlich geht es nicht um eine wörtliche<br />
Übernahme des Textes: hier wird eher von einem zentralen geistigen<br />
Vorgang gesprochen, der die „Handlungen“ der rechten oberen<br />
Extremität und die „Denkweisen“ des Kopfes formt. Astrologisch sind<br />
mit der Hand die merkurialen Entsprechungen Zwillinge und<br />
Jungfrau, und am Haupt die „Front“ des Widder angesprochen:<br />
übersetzt man diese Symbole, dann handelt es sich um eine<br />
okkultistisch-esoterische Doktrin – zudringende und überspitzte<br />
Geistesschärfe, „unverschämt“ – und zugleich um eine<br />
„militaristische Lehre“, „höchste sophistische Beredtheit, ohne<br />
geistigen Tiefgang, zugleich aggressive und erbarmungslose<br />
Durchsetzung“. Und anscheinend ist alleine den Vertretern dieser<br />
relativ niedrigrangigen Anschauungen gewinnbringendes „Handeln“<br />
erlaubt, vermutlich zwangsläufig, denn die Güter der Erde fließen der<br />
neuen hegemonialen Macht wie von selbst zu.<br />
Ausdruck der neuen eigenartigen Auffasungen ist etwa – und so<br />
zeigt es das Gedicht – eine Ablehnung der vorgebrachten<br />
Vorstellungen und Vorschläge nicht etwa in der eigenen Person<br />
begründet zu sehen, oder in sachlichen Differenzen, oder in der<br />
ungünstigen Wahl des Zeitpunktes – sondern eine solche Ablehnung<br />
als Beleidigung des eigenen, neuen Gottes wahr zu nehmen.<br />
Welcher Sprengstoff in solchen kurzschlüssigen Annahmen<br />
131
enthalten ist, zeigen die theokratischen Impulse unserer Zeit – im<br />
Nordwesten wie im Südosten – genug.<br />
_ _ _<br />
Venus<br />
9; VII, 51<br />
Zwei Standarten von Seiten der Auvergne<br />
Links genommen für eine Zeit regiert das Gefängnis<br />
Und eine kindliche Dame will drohen<br />
der Sinnenhaften; aber die Affaire entdeckt<br />
Todesgefahr grollt über die Erde<br />
Deutsche Dieberei, Bruder und Schwester arrestiert<br />
In diesem Gedicht werden die Polaritäten deutlicher, zwischen<br />
„Dame“ und „Sinnlicher“, zwischen „links“ und „Regierung“. Und<br />
vielleicht auch zwischen „deutsch“ und „Auvergne“, „Standarte“ und<br />
„Diebstahl“. Allerdings ist zu dieser Zeit die Aspiration der „Dame“<br />
nicht ausgereift, „kindlich“: und so setzt sich erneut die andere Seite<br />
durch, nimmt die Familie in eine Art Sippenhaft.<br />
Es drängen sich Assoziationen zu den Ereignissen für Napoleon III.<br />
Auf. Es beirrt hier aber der regionale Begriff „Auvergne“, und die<br />
Zusammenhänge der „Sinnlichen“: letztere erscheinen für die Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts verfrüht.<br />
_ _ _<br />
Mond<br />
12; VII, 54<br />
Neu gewählt der Patron des großen Kelches<br />
Lange sieht er brennen die klare Fackel<br />
132
Die eine Leuchte auf dieses tiefe Land setzte<br />
Und in diesen Zeiten Armeen unter seinem Namen<br />
Verbunden mit jenen der Glücklichen von Bourbon<br />
Es erhebt sich stellt sich und schläft sein Erinnerung<br />
Hier geht es um ein Licht, verbunden mit einer Signifikation des<br />
Mondes. Dieses Licht wird transponiert von höheren Ebenen auf<br />
„irdisches Terrain“. - Vermutlich hat diese „Fackel“ etwas mit<br />
Astrologie oder allgemeiner mit der Lehre von den zeichen und<br />
Symbolen zu tun. -<br />
Die Leuchte verbindet sich wieder mit einer Familie, die, als jene<br />
„von Bourbon“, für Frankreich „Glückliches“ bedeutet. Es ist fraglich,<br />
ob der „Patron des großen Kelches“ hier mit „Bourbon“ verbunden<br />
ist, es läge nahe.<br />
Ein „Patron de großen Kelches“ spricht weniger für politische, als für<br />
geistig-geistliche Macht. - Es ist auch noch eine andere Übersetzung<br />
der ersten Zeile denkbar, von einem „Patron des großen Schiffes“.<br />
Dann würde die Anspielung an den heiligen Gral zu Gunsten des<br />
bekannten Bildes vom Schiff weichen. -<br />
Interessant ist dabei, dass hier aus einer „Nussschale“ - Aucane/1 –<br />
ein „Schiff“ geworden ist. Wollte man hier biblisch weiter<br />
argumentieren, müsste man die Arche des Noe anführen: ein<br />
Wasserfahrzeug, das im Stande ist, große Werte vor den Fluten der<br />
Überschwemmung zu bewahren. Astrologisch zeigt sich darin ein<br />
antithetisches Moment zu der aquatischen Triplizität (Krebs,<br />
Skorpion, Fische), über die bei Tag und nacht Mars herrscht. Hier<br />
„steuert“ eine Person, eine Familie, eine „Fackel“ dem Überwiegen<br />
und der Durchsetzung des Martialischen, verhindert dessen<br />
133
„übeltäterisches“ Auswirken.<br />
Doch scheinen solche Realisationen zeitlich begrenzt: die<br />
„Erinnerung“ an dieses Tun steht zwar auf, und bleibt bewusst, aber<br />
„schläft“ eines Tages doch wieder ein. Dieses tut die letzte Zeile<br />
kund.<br />
_ _ _<br />
Mars<br />
13; VII, 55<br />
Im Oktober sechshundert fünf<br />
Der Lieferant des Meeresungeheuers<br />
Nimmt die Salbung zum Souverän<br />
Und sechshundert sechs im Juni<br />
Große Freude den Großen und den Gemeinen<br />
Große Taten nach der großen Taufe -<br />
In einer Zeit, die mit Skorpion verbunden ist – in einem „Oktober“ -<br />
wird einer zum „Souverän gesalbt“: doch er wird später der<br />
Stammvater eines „Meeresungeheuers“ sein.<br />
Doch nur ein wenig später – so die zweite Hälfte des Gedichtes –<br />
kommt es hier zu einem großartigen Ereignis für die christliche Seite:<br />
es kommt zu einer „Taufe“, und zwar nach der besagten „Salbung“<br />
(„cresme“ - „baptesme“). - Es ist offen, ob von diesem geistlichen<br />
Wandel der „Lieferant“ betroffen ist, oder einer seiner Nachfolger. -<br />
Jedenfall ist dieses Ereignis Grund zu „großer“ allgemeiner „Freude“:<br />
für „Große“ („Grands“) und für „Gemeine“ („communs“): es ist dieses,<br />
wie bereits ausgeführt, ein Hinweis auf die Polarität, die gewissen<br />
Teilen der Weissagung des Michael Nostradamus inhaltlich zu<br />
134
Grunde liegt.<br />
_ _ _<br />
Merkur<br />
21; VII, 63<br />
Der merkurialische Name sehr langen Lebens<br />
Sechshundert und acht und zwanzig große Krankheit<br />
Und weiter Schande Feuer- und Wassersgefahr<br />
Sein großer Freund ist im zu dieser Zeit entgegen<br />
Von solchem Glückspiel könnte er gerne lassen<br />
Aber kurz das Feuer bereitet ihm sein Grab<br />
Dieses Gedicht kann wesentlich sein, die Reihe der Signifikationen<br />
zu verifizieren. Es kann wohl kein Zufall sein, dass ein Gedicht über<br />
einen „Merkurialischen“, an den sich die Menschheit lange erinnern<br />
wird, zu einer Kennzeichnung Merkurs gehört.<br />
Wie bereits ausgeführt, können merkurialische Präsenzen, vor allem<br />
des mundanen sechsten Hauses, Jungfrau, sich auf „Krankheit“<br />
beziehen. Hier scheint die entwickelte Bedeutungsdimension des<br />
„Babylonischen“ einschlägig; was aber ein „Freund“ sein wird, der zu<br />
dieser Zeit „feindlich“ handelt, sowie andere Aussagen des zweiten<br />
Teiles des Gedichts, bleiben indifferent.<br />
Es gibt nur einen weiteren Text unter den Sechszeilern, der ebenfalls<br />
mit einem astronomischen Begriff beginnt. Auch dieser hat eine<br />
deutliche Beziehung zu der Reihe der Kennzeichnung, wenn auch<br />
eher eine der Aposiopese.<br />
135
Mond<br />
47; VII, 89<br />
Venus und Sonne Jupiter und Merkur<br />
Vermehren den natürlichen Stamm<br />
Großes Bündnis bildet sich in Frankreich -<br />
Und im Süden die Sinnliche das Gleiche<br />
Das Feuer flammt auf durch diese extreme Medizin -<br />
Auf sichere Erde pflanzt er die Olive<br />
Die erste Zeile erwähnt eben „Mond“ nicht; allerdings bezieht sich<br />
die zweite Zeile auf den „natürlichen Stamm“, meint die materiellphysikalische<br />
Existenz und ihr libidinös gesteuertes Gedeihen<br />
(„augmenter“).<br />
Weil Saturn und Mars zu den oberen Planeten gehören, und eher als<br />
„Übeltäter“ zu klassifizieren sind – die dem „Natürlichen“ abhold sein<br />
dürfen – können sie gar nicht zu einem Gedeihen dieser Partei<br />
beitragen. Erschienen sie aber in einer Signifikation, beispielsweise<br />
in Spannungsaspekt zu den Lichtern, wären „Ungeheuer“ oder<br />
„Tiere“ angezeigt.<br />
Für Michel Nostradamus ist zu der betexteten Zeit ein „großes<br />
Bündnis“ gegen die „Sinnliche“ eine „extreme Medizin“: solche<br />
Rosskuren können dem Weltorganismus mehr schaden als nützen –<br />
man denke an den verheerenden Krieg im Irak, initiiert durch den<br />
amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der eine Spirale der<br />
Gewalt, unter der wir heute noch leiden, auslöste: solche<br />
vermeintlichen Heilmittel steilen die Polaritäten weiter auf, und es<br />
werden „Feuer angefacht“, die schwierig zu löschen sind: eben weil<br />
auch die Gegenseite sich gleicher Mittel bedienen kann und wird.<br />
136
Unkluge Aktionen erzeugen missliche Reaktionen. - Dieses gilt für<br />
alle gegenwärtigen Einmischungen in die inneren Konflikte der<br />
islamischen Staaten. Sie verhindern kathartische „Lernprozesse“ -<br />
so schmerzlich solche für viele Individuen sein werden - und liefern<br />
der „Gegenseite“ viele Argumente und Vorwände, eine aggressive<br />
Ideologie aufrecht zu erhalten. Man kann dabei sehen, wie alleine<br />
die reine Antithetik Doktrinen erzeugt, die der Inspiration entbehren<br />
können.<br />
Nimmt man unter solchen Blickwinkeln den Text unter die Lupe,<br />
handelt hier auch die „franke“ Seite „sinnenhaft“: sie glaubt – parallel<br />
zu scheinbar günstigen Anzeigen – in allzu simpler Weise sich<br />
vitalisieren zu können. So vernachlässigt sie den geistigen Aspekt,<br />
glaubt sich einer intensive Auseinandersetzung mit den<br />
konflikthaften Momenten entschlagen zu können. In Wirklichkeit ist<br />
das Geistige aber viel bedeutender, als seine oft schwach<br />
aussehenden Wirkungen erscheinen lassen.<br />
Nur einer handelt hier korrekt und gut. Und er setzt jenen Baum, von<br />
dem das Öl der Salbung stammt, die Olive, auf „sicheren Boden“, d.<br />
i. außerhalb jenes geographischen Bereiches, in dem das „Feuer“ zu<br />
lodern beginnt. Solche Handlungsweise ist in tiefsten Sinne<br />
„exemplarisch“: d. h. mehr als beispielhaft, es ist sinnstiftend, weit<br />
über das reine Vorbild hinaus, es entwirft Haltungen, die noch viel<br />
gültiger sind, als sie das gesetzhaft sich richtende Gute schaffen<br />
kann. Das Geistige ist realer, als seine scheinbar fehlenden<br />
„irdischen“ Wirkungen glauben machen: in ihm ist der „sichere<br />
Boden“ viel mehr gegeben als in materiellen Umständen und<br />
psychophysischen Bedingungen.<br />
_ _ _<br />
137
Mars<br />
34; VII, 76<br />
Das große Getöse wegen Frankreich<br />
Die Machtlosen; wollen Macht haben<br />
Honigsüße Sprache und wahre Chamäleone<br />
Und Rädelsführer Anzünder der Kerze -<br />
Elstern und Eichelhäher Erzähler von Neuigkeiten<br />
Ihr Stich ähnelt jenem von Skorpionen -<br />
Vier Tiere werden hier genannt: das lunatische „Chamäleon“, das<br />
sich jedem Untergrund anpassen kann, und schwimmt in allen<br />
Dynamiken von Gruppen ohne eigene Identität; die Rabenvögel<br />
„Elster“ und „Eichelhäher“, deren krächzende Laute nach Agrippa an<br />
das Ersticken erinnern und zu Mars gehörig sind – wahre Vertreter<br />
der Kombination von Mars und Merkur, der gewaltsamen<br />
Durchsetzung ihrer Ideologie; für sie verwendet Nostradamus nun<br />
ein Gleichnis, sie, und ihr Wort, ähnelt dem „Stich des Skorpion“ - im<br />
Tierkreis ist das das achte mundane Haus, das Haus des Todes, der<br />
Nachtseite, des Erbes.<br />
Die Kennzeichnung der so symbolisierten Geschehnisse ist<br />
martialisch. Vorläufig entbrennt aber die Auseinandersetzung noch<br />
nicht; die „Machtlosen“ wollen nur die „Macht übernehmen“ - das<br />
bedeutet, es ist noch eine andere Fraktion am Ruder. Doch<br />
Zeitungen und Medien – symbolisiert durch die Singvögel aus der<br />
Familie der Raben - verbreiten Meldungen, die dem gegenwärtig<br />
herrschenden System „Stiche“ versetzen: diese tun weh, und ihre<br />
Wirkungen sind weittragend, wie der Biss der „Skorpione“. Aber die<br />
Sprache und der Stil ist „honigsüß“: das ist eine Verstellung, die<br />
138
durchschaut werden muss. Das Erkennen solcher Hintergründe ist<br />
auch in der gegenwärtigen nordwestlichen Demokratie die große<br />
Aufgabe jedes Menschen, der sich politisch interessiert und<br />
engangiert: was ist Sein, was ist Schein, was dient dem<br />
Stimmenfang, was ist politische Leistung, was ist populistische<br />
Vereinfachung, wo ist (geistige) Substanz, wo ist leeres, aber<br />
bestimmendes Gerede?<br />
Zu der Zeit des Sechszeilers bleibt es vorläufig bei „Getöse in<br />
Frankreich“. Was weiter kommt, wird die Zukunft weisen.<br />
_ _ _<br />
Merkur<br />
35; VII, 77<br />
Schwach und stark sind in großer Zwietracht<br />
Viele sterben bevor Eintracht geschlossen<br />
Schwacher wird sagen zum starken Sieger<br />
Der Mächtigere gleicht dem Jüngeren aus<br />
Und der Ältere der zwei wird erhöhen<br />
Hier einer zwei zieht ins Imperium<br />
Das Gedicht 35 ist wohl keine Fortsetzung von 34.<br />
Wieder erscheint die bekannte Polarität. Es setzt sich die bewährte<br />
traditionelle Kraft durch: doch mit großem rhetorischen Geschick tritt<br />
ihr die unterlegene Seite entgegen, holt für sich zumindest<br />
argumentativ das Maximum aus der Niederlage. - Die Zeilen vier und<br />
fünf zeigen jene abgründige Rhetorik, die einerseits „honigsüß“<br />
vorkommt, andererseits aber unerbittlich ihren Vorteil vertritt. Alleine<br />
schon das Spiel mit Begriffen wie „jünger“ oder „älter“ zeigt hier eine<br />
139
demagogische Intention. Denn wer hat festgestellt, was „jünger“ und<br />
was „älter“ ist? Alleine die vermeintlich jüngere Seite. Man würde die<br />
Menschen der Urzeit beleidigen, unterstellte man ihnen, ihre Ethik<br />
wäre „sensualistischer“ gewesen als jene von uns Heutigen: es hat<br />
zu allen Zeiten solche und solche gegeben, und eine<br />
Unterscheidung zwischen „jung“ und „alt“ vergisst, dass schon die<br />
Verhaltensweisen von Kain und Abel in der ersten Familie das „Alter“<br />
des einen wie des anderen, des Guten wie des Schlechten, als<br />
gleich darstellen. Was aber wäre das rechte ethische Verhalten? Zu<br />
dieser Zeit? Vermutlich nicht dieses und nicht jenes wiederholen,<br />
sondern inspiriert „Neues“ tun. Aber so etwas ist nicht immer<br />
möglich: man muss aber es zumindest geistig wollen und<br />
intendieren.<br />
Nach der dargestellten verführerischen Rede gestaltet sich die<br />
Geschichte weiter: eine/einer von beiden, unbekannt welcher, „fällt“<br />
in ein „Imperium“.<br />
_ _ _<br />
Jupiter<br />
36; VII, 78<br />
Durch Wasser Feuer und durch große Krankheit<br />
Der Lieferant im Zufall seines Lebens<br />
Weiß wie oft mal gewendet der Zentner von Holz<br />
Sechshundert und fünfzehn oder der neunzehnte<br />
Meißelt man eines großen fünften Fürsten<br />
Den unsterblichen Namen auf des Kreuzes Fuß<br />
Bekannt ist die Konnotation „Krankheit“, hier zusammen mit großen<br />
Koinzidenzen des miteinander unverträglichen „Wassers“ und<br />
140
„Feuers“.<br />
Wieder erscheint der Begriff „Lieferant“: das ist wohl eine Person,<br />
aus derem (metaphorischem) „Stamm“ über kurz oder lang<br />
„Ungeheuerliches“ auf die Welt kommt. Der „Lieferant“ hier hat<br />
unendlich viel Glück: während die „mächtigere“ Seite durch Gnade<br />
und Arbeit langsam und mühevoll sich entwickelt, hat die<br />
„schwächere“ Seite, die Entsprechung niedrigerer Ränge, den<br />
„Zufall“ und den puren „Hasard“ als große Hilfe.<br />
Anscheinend stehen sich in diesen Zeiten, die das Niedrigrangige<br />
begünstigen, ein „neunundzwanzigster“ und ein „fünfter“ sich<br />
gegenüber, und der letzte, ein „Großer“, gehört zur Partei des<br />
„Kreuzes“, verliert aber sein Leben.<br />
_ _ _<br />
Venus<br />
37; VII, 79<br />
Der Lieferant des Monsters ohnegleichen<br />
Lässt sehen so wie die Sonne<br />
Aufsteigt entlang der südlichen Linie<br />
Und verfolgt den Elefant und den Wolf<br />
Kein Kaiser tat je einen solchen Schlag<br />
Und nicht viel schlimmer für jenen Fürst der kommt<br />
Hier geschehen im Vorfeld „ungeheuerlicher“ Ereignisse Taten, die<br />
nicht viel weniger übel sind als die künftigen.<br />
Ein „Kaiser“, vermutlich aus dem „Süden“, führt Krieg mit jenen<br />
Staaten, die dem „Elefant“ und dem „Wolf“ analog sind. Der Elefant<br />
ist ein jovialistisches Tier, der Wolf ein martialisches; die „lange<br />
141
Nase“ kennzeichnet den „leicht zähmbaren und gut gearteten“<br />
Elefanten nach Horapollo als heikel und wählerisch, der Wolf hat wie<br />
andere martialischen Tiere die Attribute „kriegerisch, räuberisch,<br />
kühn, achtsam“, verfügt über einen Überschuss an Wärme, was z. B.<br />
bei Pflanzen, etwa Nesseln, zu brennenden Blasen führt, und bei<br />
Kriechtieren, Schlangen, „Drachen“, zu Gift.<br />
Das Kaisertum ist mit den Feuerzeichen, und darin mit inhaltlich<br />
Löwe/Sonne verbunden; das christliche Königtum hat Zeichen, die<br />
das Feuerige mäßigen, vor allem die saturninen Zeichen des<br />
Winters, Steinbock und Wassermann.<br />
_ _ _<br />
Zum Schluss nun das letzte Gedicht der Sechszeiler. Es betrifft in<br />
trockener Weise das Ende der „Sinnlichen“.<br />
Merkur<br />
56; VII, 98<br />
Sensue wird in kurzer Zeit sterben<br />
Ihr Tod gibt gutes Zeichen<br />
Für das Wachstum von Frankreich -<br />
Bündnisse weben sich<br />
Zwei große Königreiche verknüpfen sich<br />
Francois hat Macht über alles -<br />
Es ist fraglich, ob dieses wirklich das zeitlich am weitesten entlegene<br />
Gedicht ist. Es kann möglicherweise die „Sinnliche“ mehrere<br />
Untergängen erleiden, und dann bezöge sich das Gedicht auf<br />
Zeitpunkte weit vor 3797.<br />
142
Doch es ist zu betonen: „irgendwann“ - so unbestimmbar dieses<br />
auch ist - wendet sich die Geschichte zum Besseren. Und in<br />
Nostradamus Perspektive gerät dann „Frankreich“ und „Francois“ in<br />
den Fokus der Entwicklung. Es ergeben sich „Wachstum, Bündnisse<br />
und Macht“.<br />
Die Verbindung „zweier großer Königreiche“ kann ein Symbol der<br />
Reintegration der Welt zum Guten sein.<br />
143