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Ludwig Dinzinger<br />

Die Weissagungen der<br />

„Sechszeiler“<br />

2013<br />

1


Knapp vierzig Jahre nach dem Tod des Michel Nostradamus (1503 -<br />

1566) sind sechs Blätter mit sechszeiligen Gedichten aufgetaucht.<br />

Sie tragen in der ältesten bekannten Handschrift (Bibliotheque<br />

Nationale Paris, cote FF 4744, folios 76 - 78) die Seitenzahlen 66,<br />

67 und 68. In dem genannten <strong>Manuskript</strong> (um 1600) befinden sich<br />

54 Gedichte; bereits wenige Jahre (1605) später sind es 58<br />

geworden.<br />

Jedoch läst die Zahl von 58 Gedichten aufhorchen: denn mit genau<br />

dieser Menge füllte sich die "Lücke" in den "Prophezeiungen" nach<br />

dem Ende des zweiten Teiles (in der Ausgabe von 1568), zwischen<br />

Centurie VII Nr. 42 und Centurie VII, Nr. 100.<br />

Die Urheberschaft des Michel Nostradamus für die posthum<br />

entdeckten Texte ist umstritten. Es fehlen fundierte Untersuchungen.<br />

Die Gedichte unterscheiden sich zwar in Form, Ton und Metapher:<br />

aber doch scheint es erhebliche Ähnlichkeiten und Bekanntheiten zu<br />

geben. In dieser Studie wird davon ausgegangen, es handele sich<br />

bei den "Sechszeilern" um ein authentisches Werk des Michel<br />

Nostradamus. Es wird mit dem entwickelten astrologischen<br />

Deutungssystem unter die Lupe genommen.<br />

Dabei ergeben sich bemerkenwerte Entdeckungen, die schwerlich<br />

als "zufällig" aufgefasst werden können.<br />

2


Inhalt: Die Weissagungen der „Sechszeiler“<br />

1. Die Publikation der Sechszeiler von 1605 4<br />

2. Eine „Erstausgabe“ der Sechszeiler von 1600 10<br />

3. Konnexionen der Sechszeiler mit inhaltlich Luna 17<br />

4. Das Gegensatzpaar 25<br />

5. Andere Bilder und Begriffe 36<br />

6. Der Text der Sechszeiler 42<br />

7. Begründung für die vorgestellte Ordnung 60<br />

8. Astrologische Argumente für die vorgestellte Ordnung 66<br />

9. Der Sechszeiler über ein „neues Kind“ 73<br />

10. Der Sechszeiler über die französische Revolution 81<br />

11. Der Sechszeiler über die „Lilie“ und einen neuen Embryo 88<br />

12. Der Sechszeiler über Napoleon I. 98<br />

13. Der Sechszeiler über einen „Lieferanten“ des<br />

„Ungeheuerlichen“ 103<br />

14. Die Zahl „sechshundert und ...“ 111<br />

15. Die Zahl „600“ als Hinweis auf die gegenwärtige siebte<br />

Weltzeit 116<br />

16. Exkurs: Die Ära der Initiation des achten Zeitalters 121<br />

17. Die Ankündigung positiver Züge, hinweisend auf die neunte<br />

Weltzeit 127<br />

18. Andere Gedichte 130<br />

3


1. Die Publikation der Sechszeiler von 1605<br />

Michel Nostradamus, der französische Arzt, Pharmazeut, Astrologe<br />

und Visionär (1503 – 1566), war schon 39 Jahre tot: da tauchte<br />

plötzlich ein Werk auf, das von ihm stammen sollte. Es enthielt 58<br />

sechszeilige Gedichte, und war überschrieben mit seinem Namen<br />

als Autor, und ein Vorwort dazu enthielt auch einige Hinweise, wo<br />

und wie das Stück aus seinem Nachlass kommen konnte.<br />

Dieser Fund beschäftigte die Interpreten des Michel Nostradamus<br />

bis heute relativ wenig. Meistens endete man mit dem Hinweis,<br />

diese Weissagungen könnten nicht von dem französischen Seher<br />

sein: man gab sich mit dem schnellen und scheinbar sicheren<br />

Argument zufrieden, er wäre zum Zeitpunkt des Auftauchens des<br />

kleinen Werkes – im Jahr 1605 – bereits recht lange verstorben<br />

(1503 - 1566) gewesen. - Unserer Einschätzung nach aber wären,<br />

bevor man zu einem solchen Urteil kommen sollte, recht profunde<br />

Analysen des Textes nötig, z. B. eine Untersuchung bezüglich des<br />

verwendeten Wortschatzes, und bezüglich der Grammatik, sowie<br />

bezüglich des Inhaltes, bestimmter Begriffe und für Nostradamus<br />

typischen Redewendungen, sowie nicht zuletzt der Struktur des<br />

Textes im Allgemeinen. Zugleich wären die Hintergründe der<br />

(späten?) Publikation zu eruieren: hier ist vieles nicht so, wie es ein<br />

erster Augenschein nahe legen wollte. Und auch nicht wenige<br />

Bemerkungen und Forschungen zur Rezeptionsgeschichte wären<br />

erforderlich – gerade in ihr könnten exemplarisch die Problematiken<br />

des „prophetischen Werkes“ und seiner Wirkung vor Augen geführt<br />

werden. Aber es ist wie viel zu häufig bei Nostradamus: man<br />

4


egnügt sich schnell mit Präjudizien, man lässt Gründlichkeit und<br />

wissenschaftlichen common sense vermissen. -<br />

Geht das Interesse an dem Werk bei Einzelnen tiefer, und das ist<br />

kaum der Fall, bringen Interpreten Einwände gegen die Autorschaft<br />

wie: die Form wäre different zu jener in den „Prophezeiungen“, Inhalt<br />

und Stil seien deutlich anders als dort. Hin und wieder wendet sich<br />

dann wieder solche Feststellung zu einer Ablehnung dieser Texte als<br />

„Fälschung“; doch auch solches Urteil entbehrt oft der Fundierung,<br />

wie etwa bei E. Leoni. - Doch auch dafür werden keine weiteren<br />

Belege vorgebracht; Eindrücke allein aber – selbst von vermeintlich<br />

ausgewiesenen Experten – können erheblich trügen. -<br />

Sehr selten finden sich Stellungnahmen für die „Sechszeiler“:<br />

gegenwärtig zählt meines Wissens neben mir allein Jean-Claude<br />

Pfändler diese Gedichte zu dem Werk des Sehers. Persönlich teilte<br />

er mir mit, er halte diese Gedichte für früher als die<br />

„Prophezeiungen“: dieses deckt sich völlig mit meinen Auffassungen<br />

zu den Sechszeilern: sie wirken „naiver“, unmittelbarer, frischer,<br />

auch allgemeiner und auf höherer metaphorischer Ebene, so auch<br />

weniger auf historische Details bedacht als die bekannten Vierzeiler.<br />

In ihnen könnte sich tatsächlich ein jüngerer Mensch äußern, in sehr<br />

farbigen Bildern, in einer eher globalen Weise, und mit einigen<br />

weitaus deutlicher wertenden Perspektiven: dabei kann die Meinung<br />

„jünger“ aber auch von anderen Hintergründen der Werkentstehung<br />

her rühren, eventuell von einer recht kurzen Zeit der Ausführung,<br />

oder vom Bezug zu „abstrakteren“ historischen Vorstellungen. - Man<br />

sollte in solchem Zusammenhang immer auch erwägen, dass<br />

Nostradamus Lyrik und Prosa verschiedene Abstraktionsebenen<br />

anzusprechen scheint: sein Gesamtwerk verfügt über mehrere<br />

stilistische und metaphorische Ebenen – es gibt beispielsweise<br />

5


erhebliche Differenzen zwischen Vorhersagen in Prosa, einem<br />

frühen Gedicht als Vorwort zu den „Hieroglyphen“, summarischen<br />

Gedichten, die in den „Almanachen“ über den Monaten stehen, den<br />

Vorhersagen in dem Hauptwerk, den „Prophezeiungen“, und<br />

schließlich in den Sechszeilern. Es gibt Anlass, hier einen Anstoss<br />

zu geben, das gesamte Werk – weit über die Prophezeiungen<br />

hinaus – als geordnete „Glieder“ an einem einzigen „Körper“ zu<br />

betrachten. Und so rätselhaft das einzelne Element dieser<br />

Weissagungen ist, noch enigmatischer ist seine Einbindung in den<br />

Gesamtzusammenhang des Werkes, und sein Bezug zu ihm<br />

nahestehenden Binnengliedern. Hier muss man noch viel weiter<br />

forschen und denken, um diesem Phänomen der Renaissance<br />

gerecht zu werden. -<br />

Zurück zur Geschichte der Entdeckung der Sechszeiler: ein<br />

gewisser „Vincent Seve aus Beaucaire in der Languedoc präsentiert“<br />

die „wunderbaren Vorhersagen“ am „19. März 1605“ dem „großen<br />

unbesieglichen und mildreichen Fürsten Heinrich IV., derzeit König<br />

von Frankreich und Navarra“. Dabei spielt das Vorwort mit einem<br />

Bezug des Seve zu einem Sitz der königlichen Verwaltung, aber nur<br />

andeutungsweise: warum nicht klarer?<br />

Damit entstehen Ungereimtheiten zur Vorgehensweise des Seve:<br />

wie wurden dem König diese Gedichte übergeben? War da ein<br />

Vertreter der königlichen Verwaltung im Spiel, und gar nicht der<br />

König selbst? Persönlich fand die Übergabe wohl nicht statt, es<br />

bleibt die Darstellung da zu unentschieden. (Und, wie das nächste<br />

Kapitel zeigen wird, gibt es noch eine bedeutende Unwahrheit<br />

dabei.)<br />

Das eben erwähnte Datum bezieht sich auf den Frühlingsanfang des<br />

6


Jahres 1605. Auch dieses ist im Zusammenhang der anderen<br />

Werkteile des Nostradamus kein übliches Datum: er selbst nutzt<br />

seine Publikationsdaten oft zur Mitteilung wesentlicher Ereignisse<br />

der Enographie. So enthält der jahreszeitliche Zusammenhang<br />

keinen Fingerzeig auf ein mit Nostradamus vertrautes Wissen.<br />

Völlig unbefriedigend ist das Wissen um einen „Vincent Seve“: bis<br />

heute konnte keine Person dieses Namens nachgewiesen werden.<br />

Im Vorwort zu den Weissagungen gibt Seve an, er habe diese<br />

Vorhersagen von einem „Neffen“ des Sehers namens „Henri<br />

Nostradamus“ erhalten. Nun ist auch ein solcher Neffe namentlich<br />

bis heute nicht mit Sicherheit zu eruieren. Und hier werden die<br />

Unstimmigkeiten zu Vorkommnissen, die das nächste Kapitel<br />

behandelt, noch größer.<br />

Zu dem Namen „Seve“ gibt es eine magere Fährte: der Sohn des<br />

Arztes und Astrologen, Cesar Nostradamus, von Beruf Kunstmaler,<br />

bekannt durch seine „Geschichte der Provence“, schreibt mehrere<br />

Briefe an einen Neffen, „de Seva“. Es dürfte sich dabei um einen<br />

Sohn seiner Schwester Anne handeln. Cesar Nostradamus erwähnt<br />

diese Schwester Anne in seinem ersten Testament von 1597 als<br />

verstorben.<br />

- Anne war wohl das fünfte Kind von Michel Nostradamus und Anne<br />

Ponsard: auf Madeleine (um 1550 bis 1623) folgte Cesar (1553 bis<br />

um 1630), dann kam Charles (1556 – 1629), dann Andre (1557 –<br />

1601), dann Anne (um 1559 bis um 1595), und schließlich Diane<br />

(1561 bis um 1630). Anne war verheiratet mit Pierre de Seva, und<br />

sie hatten einen Sohn, Melchior de Seva. An ihn kann Cesar seine<br />

Briefe gerichtet haben. -<br />

Nun ist aber auch damit ein Vincent Seve keineswegs ermittelt –<br />

7


erneut ein recht instabiler Zusammenhang. Die „Konstruktion“ des<br />

Konnexes ist einerseits „verwickelt“, andererseits „dünn“; ein<br />

Eindruck von „Erzwungenheit“ und „Flachheit“ ist die Folge. Wie<br />

kann das sein? - Die Lage gemahnt an die Umstände der ersten<br />

Gesamtausgabe der „Prophezeiungen“. Wer besorgte sie? Wer<br />

wirkte mit? Wie sind die Einflüsse zu gewichten? Es ist vieles zu<br />

weitgehend unklar.<br />

Auch ein Einstieg in die Rezeptionsgeschichte hilft keinen<br />

Zentimeter weiter. Mitteilungen von Etienne Jaubert (1656), eine<br />

Generation weiter, erhellen die Situation keineswegs, sondern<br />

verunklären: dieser spricht von 132 Sechszeilern, reiht sie unter<br />

„Fälschungen“. Dabei ist keineswegs die nötige wissenschaftliche<br />

Gründlichkeit gegeben; man kann diesen Hinweisen nur<br />

aphoristischen Wert bemessen.<br />

Insgesamt entsteht mit den gängigen Beständen eine in weiten<br />

Teilen ungewisse und „verschwommene“ Situation im<br />

Zusammenhang der „Sechszeiler“. Man möchte meinen, es wirke<br />

hier auch eine gewisse Desinformation mit. Warum sind die<br />

Nachrichten nie sachlich überprüft und untersucht worden, als die<br />

Protagonisten noch lebten, z. B. J. A. de Chavigny oder Cesar<br />

Nostradamus? - Doch gilt dieses nicht nur für dieses Werk. Es<br />

scheint schicksalhaft, wie gerade die erste Hälfte des 17.<br />

Jahrhunderts kaum relevante Beiträge lieferte, und so den Strom der<br />

Erkenntnisse unterbrach. Doch eigentlich ist die Unterbrechung<br />

bereits auch im Werk de Chavignys in vollem Gange. Wo können die<br />

Gründe dafür liegen? In der Entlegenheit des Stoffes, in der<br />

Abgeschiedenheit der ländlichen Provence, in den historischen<br />

Verwicklungen in Frankreich, in der erstarkenden Gegenreformation,<br />

in der größten Krise Europas, in der im Aufbruch eines neuen<br />

8


Weltbildes kein Platz blieb für scheinbar überholte Vorstellungen zu<br />

Geschichtskonstruktion? Es wäre von Bedeutung, dazu eine<br />

fundierte Vorstellung zu entwerfen: man würde sich in einer<br />

kritischen Reflexion der frühen Rezeption und ersten Weiterführung<br />

oder Interpretation der Weissagung bedeutende Verdienste<br />

erweisen. Denn die meisten Missverständnisse über Michael<br />

Nostradamus sind hier grundgelegt, hier starteten die Engführungen,<br />

die die nächsten Jahrhunderte in noch hoffnungslosere<br />

Eindimensionalitäten übersetzten, bis in unsere Zeit. -<br />

Beginnen sollte eine solche Arbeit mit einer kritischen Würdigung der<br />

Publikation des Gesamtwerkes nach dem Tod des Nostradamus.<br />

Dann wäre der Einfluss de Chavignys zu erörtern: immerhin<br />

erscheint bemerkenswert, dass Nostradamus „Schüler“ Jean Aimee<br />

de Chavigny um 1605 verstorben war, und ebendort dann ein neuer<br />

Teil des Werkes präsentiert wurde. In diesem Zusammenhang<br />

bedarf das sogenannte handschriftliche „Recueil“ de Chavignys, eine<br />

Sammlung aller weissagender Passagen in den von Nostradamus<br />

veröffentlichten „Almanachen“, einer eingehenden Untersuchung.<br />

Und da die Sechszeiler eben um das Todesjahr de Chavignys ihre<br />

Wirkung ausbreiteten, darf man es sich ausmalen, was jener selbst<br />

getan hätte, wenn diese Vorhersagen außerhalb seines Bereiches –<br />

da er ja immerhin einen nicht zu unterschätzenden Anspruch<br />

anmeldet, große Teile des riesigen Werkes der Nachwelt zu erhalten<br />

– ans Tageslicht kamen?<br />

Doch fürs Erste befriedigen alle diese Überlegungen nicht. Doch<br />

mittlerweile gibt es zu den „Sechszeilern“ einen neuen Ansatz.<br />

9


2. Eine „Erstausgabe“ der Sechszeiler von<br />

1600<br />

Man müsste die „Sechszeiler“ unter den eben dargestellten<br />

Horizonten nahezu fallen lassen, gäbe es nicht eine frühere<br />

Vorstellung dieser Weissagungen. Robert Benazra hat erst vor ca.<br />

einem Jahrzehnt auf diese Möglichkeit hingewiesen: sie eröffnet die<br />

verschüttet geglaubten Zugänge wieder. Doch ohne jenes andere<br />

<strong>Manuskript</strong> wäre eine weitere Arbeit kaum möglich gewesen: hier ist<br />

das Verdienst Benazras immens.<br />

In der Bibliotheque Nationale in Paris (cote FF 4744, folios 76 – 78)<br />

findet sich eine Handschrift mit 54 der Sechszeiler; sie sind<br />

nummeriert 1 bis 56, es fehlen die Nummern 26 und 33.<br />

Diese Arbeit hier orientiert sich völlig an dieser Ausgabe. Ich habe<br />

dieses <strong>Manuskript</strong> im Sommer 2001 von der Bibliotheque Nationale,<br />

Paris, auf Mikrofilm erhalten. - In der Bibliotheque Carpentras gibt es<br />

anscheinend eine Kopie (?) dieses <strong>Manuskript</strong>s (M. to 1864 F. 3ro).<br />

Es ist im Internet in www.propheties.it bei „Repertoire chronologique<br />

Nostradamus 1600 – 1649 1600-003 Nostradamus Sixtain de Michel<br />

Nostradamus“ in allen seinen Seiten und einer zusätzlichen ersten<br />

Seite dargestellt. - Hier wird Bezug auf das Pariser Exemplar<br />

genommen, wie es mir zu Kenntnis kam.<br />

Auf der ersten Seite - ursprünglich genannt „66“, jetzt „76“ - werden<br />

die 54 Gedichte so eingeleitet:<br />

10


„Predictions de M e Michel Nostradamus Pour<br />

le Siecle de l´an 1600 P/rese/ntees au Roj Henrj 4 e au<br />

Commencement de l´Anneé par Vincent Aucane<br />

de Languedoc“<br />

Hier kommt nun, fünf Jahre vor 1605, ein völlig neuer Name vor: die<br />

Sechszeiler werden dem König von einem namens „Vincent Aucane“<br />

übergeben. Bei „Vincent Seve“ war als Wohnsitz überliefert<br />

„Beaucaire en Languedoc“; bei Aucane erscheint lediglich<br />

„Languedoc“. - Man muss sich nun fragen, wer von beiden die<br />

Gedichte dem König „präsentierte“, d. h. als Geschenk überreichte?<br />

Und was soll man von der „zweiten“ Überreichung fünf Jahr später<br />

halten? Und von jenen Herkunftsangaben dort, die eine Person<br />

namens „Aucane“ überhaupt nicht erwähnen? Und was bedeutet die<br />

auffallende Gleichheit des Vornamens, zwischen „Vincent Seve“ und<br />

„Vincent Aucane“? Es ist eine große Menge von weiteren Fragen<br />

offen, vor allem bezüglich der Identität von „Aucane“, seinen<br />

möglichen Beziehung zu Michael Nostradamus, und den Gründen,<br />

warum gerade in der „Languedoc“ - wenn sich die Angabe<br />

bewahrheiten sollte - ein bis dahin unbekanntes Werk des<br />

Nostradamus erhalten bleiben konnte. -<br />

Jedoch weiter zu dem <strong>Manuskript</strong> von 1600. Das Dokument, das<br />

Aucane liefert, stellt sich in einer anderen Ordnung dar als die<br />

Ausgabe von 1605 (Seve). Es fehlen die Sechszeiler 11, 12, 14 und<br />

27 (nach der Nummerierung von 1605). - Die so nummerierten<br />

Gedichte sind damit sofort als spätere Hinzufügungen „verdächtig“.<br />

Man muss ihnen kritischer als den anderen begegnen. Solange ihre<br />

Authentizität nicht eindeutig zu belegen ist, sind sie aus dem<br />

Gesamtwerk auszuscheiden. Wie später zu zeigen sein wird, folgen<br />

11


diese Gedichte dem Missverständnis, die Sechszeiler wären für das<br />

16. Jahrhundert „anzupassen“. -<br />

Zusätzlich sind die Gedichte 5. und 6. vertauscht; in der früheren<br />

Ausgabe rückt Gedicht Nr. 6 an die fünfte Stelle, und Gedicht Nr. 5<br />

an die sechste Stelle. - Diese Vertauschung zeigt nach unseren<br />

Ergebnissen, dass das Prinzip des Aufbaus bei Vincent Aucane<br />

erhalten war, bei Vincent Seve aber zerstört wurde. Denn in der<br />

Ordnung von Seve ergeben sich für die genannten Gedichte andere<br />

astronomische Hintergründe, und es ergibt sich keine<br />

Übereinstimmung der zu Grunde liegenden astrologischen Figur.<br />

Überhaupt kann Seve durch die Hinzufügung von vier Gedichten -<br />

an vermutlich willkürlicher Stelle? - die astrologische Folge der<br />

Sechszeiler völlig aufgelöst haben. Eine solche kann aber wieder<br />

hergestellt werden, und dieses bedeutet zugleich, man könne sich<br />

eigentlich nur an der Ordnung von Aucane (von 1600)<br />

weiterführender orientieren. Damit beschäftigt sich dieses Buch<br />

ausführlich. -<br />

Von besonderer Wichtigkeit sind die erwähnten Lehrstellen an<br />

Position 26 und 33. Zwischen beiden leeren Plätzen befinden sich<br />

sechs Gedichte. Die Nummerierung der Sechszeiler ist mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit im <strong>Manuskript</strong> von Aucane ursprünglich, denn die<br />

älteren Seitenzahlen (66 - 68) und die Zahlen für die Gedichte<br />

konvenieren. - Die beiden leeren Plätze haben erheblichen Wert für<br />

die Zusammenhang der „Sixains“ mit den „Propheties“. Auch dieses<br />

wird im Folgenden Gegenstand der Analyse. -<br />

Leider habe ich momentan keine Möglichkeit, näher nach der<br />

Identität der Person „Vincent Aucane“ zu suchen. Wer war Vincent<br />

Aucane? Was war sein Beruf? In welcher Verbindung stand er zu<br />

12


Nostradamus? Hatten beide eventuell ein besonderes<br />

Vertrauensverhältnis? Wann entstand dieses, wie? Solche Fragen<br />

werden in Zukunft zu behandeln sein. - Eine nicht zu<br />

unterschätzende Schwierigkeit ist, dass als Herkunftsangabe der<br />

Person „Vincent Aucane“ lediglich die Languedoc steht. Eine Suche<br />

nach dem Namen müsste – zugleich in Berücksichtigung eventueller<br />

anderer Lesarten des <strong>Manuskript</strong>es bezüglich des Namens – mit<br />

jenen Orten beginnen, die Nostradamus auf seinen frühen<br />

Wanderjahren in der Languedoc streifte, vor allem Agen. -<br />

Auf der anderen Seite wäre auch die „Vereinnahmung“ des<br />

<strong>Manuskript</strong>es von Aucane durch die Familie Nostradamus zu prüfen.<br />

Es scheinen gewisse Differenzen, wenn nicht Rivalitäten zwischen<br />

Aucane und der Familie Nostradamus gegeben zu haben: denn wie<br />

anders soll man sich erklären, dass eventuell ein Verwandter – der<br />

selbst wiederum einen anderen Verwandten als Lieferanten vorgibt –<br />

sich eine Autorität über das <strong>Manuskript</strong> gestattet, und sogar eine<br />

veränderte Darstellung publiziert, mit vier weiteren Gedichten? Sollte<br />

es wirklich innerhalb der Familie eine zweite Version gegeben<br />

haben? Warum wird aber in der zweiten Version das Handeln des<br />

Aucane völlig verschwiegen? Vielleicht damit abgewertet? - Die<br />

Untersuchung dieser Fragen dürfte recht weit in ein neues<br />

Verständnis dieses Teiles des Werkes von Michel Nostradamus und<br />

seines Umfeldes hinein führen. -<br />

Man muss sich auch fragen, warum sich de Chavigny einer<br />

Bemerkung zu den Sechszeilern – wenn sie von 1600 sein sollten –<br />

enthalten hat. Oder finden sich in seinem Werk doch Hinweise auf<br />

dieses Vorkommnis? Mir ist es nicht so sehr vertraut, dass ich über<br />

dieses Detail Bescheid tun könnte: sollte aber jemand mehr darüber<br />

wissen, wäre es sinnvoll, diesen seinen anderen Kenntnisstand<br />

13


publik machen. (In diesem Zusammenhang wären auch die weiteren<br />

Verbindungen von de Chavigny zur Familie Nostradamus von<br />

Belang: gab es solche, und welche?<br />

Auch eine ausführliche Überlegung, ob Nostradamus selbst die<br />

Veröffentlichung der Sechszeiler auf 1600 „geschoben“ hat, wäre<br />

angebracht. - Hat es einen einfachen Grund, eventuell in den<br />

enthaltenen negativen Vorhersagen für Katharina von Medici oder<br />

der Vorhersage des langen Wirkens der von „Gott begünstigten“<br />

Bourbonen? Oder ist Nostradamus zu früh verstorben, die<br />

„Prophezeiungen“ blieben unvollständig deswegen? Oder war der<br />

fragmentarische Modus, wie bei anderen Künstlern der<br />

Renaissance, ein erstrebtes Ziel? Ebenso wie die möglichen<br />

Mystifikationen durch die verschiedenen und disparaten Teile der<br />

Divinationen? Ist dieses vielleicht auch Ausdruck des prophetischen<br />

Ideals der „Indifferenz“, damit einer gesuchten und gewünschten<br />

Polyvalenz? Oder gibt es einfache astrologische Gründe für das<br />

Erscheinen in dem Jahr 1600, für eine posthume Wirkung: eine<br />

Berechnung des Astrologen und Arztes, der er so Nachdruck<br />

verleihen wollte: 97 Jahre nach der Geburt? -<br />

Die „Prädiktionen“ der Sechszeiler enden mit folgendem Satz:<br />

„Fin Du Tiers Des Dites Profeties“<br />

Der Begriff „Profeties“ verbindet sich ziemlich eindeutig mit dem<br />

Hauptwerk des Michel Nostradamus.<br />

Und das Wort „tiers“ bedeutet „dritter Teil“. - Hat nun jemand<br />

geglaubt, dieses wäre nur ein Drittel der sechszeiligen<br />

14


Weissagungen, und kommt dann, wenn er sie aus dieser Annahme<br />

ergänzt, auf eigentlich über 150 Gedichte, oder wie Jaubert auf<br />

„132“? - Doch die Lösung des Wortes vom „dritten Teil“ könnte viel<br />

einfacher sein, wären diese sechszeiligen Gedichte zu dem<br />

Hauptwerk des Nostradamus, „Den „Prophezeiungen“ - „Les<br />

Profeties“ gehörig. Es sind diese „Prophezeiungen“ in drei Schritten<br />

erschienen: 1555, 1557 und 1568; vielleicht findet sich nun dazu<br />

noch ein weiterer Teil, aus dem posthumem Jahr 1600; dieser Teil<br />

nun entspräche der bekannten Lücke zwischen dem zweiten und<br />

dritten Teil. Und so kann der Teil mit den sechszeiligen Gedichten<br />

von 1600 nach dem ersten Teil von 1555 und dem zweiten Teil von<br />

1557 zum „dritten Teil der genannten Prophezeiungen“ werden.<br />

Dann wäre erst jener von 1568 ein vierter Teil. -<br />

Diese komplexe Struktur spräche in ihren Begrifflichkeiten und ihrer<br />

Verwobenheit für eine tatsächliche Urheberschaft des Nostradamus.<br />

Eine solche wäre, wenn überhaupt, weitaus eher mit dem<br />

<strong>Manuskript</strong> von Aucane von 1600 zu belegen, als mit jenem von<br />

Seve – hat doch gerade dieses <strong>Manuskript</strong> in seinen Differenzen zu<br />

jener Pubklikation von Seve nicht zu unterschätzende Hinweise. -<br />

Doch es besteht genügend Anlass, die mögliche Autorschaft des<br />

Nostradamus noch differenzierter zu untersuchen. Dazu wurden<br />

bereits Methoden genannt, einige Begriffe, unter anderem der der<br />

„Ungerechtigkeit der Zeit“, oder die Metapher des „Wolfes“, oder<br />

auch die Komplexität der Vorstellung einer „Sinnlichen“ im<br />

Gegensatz zu einer „Dame“ - dazu später ausführlich mehr -<br />

erscheinen absolut charakteristisch für Nostradamus.<br />

Noch ein letztes Wort zu den vier Gedichten, die Seve mehr<br />

ausweist: eines dieser Gedichte, bei Seve Nr. 27, scheint einem<br />

Missverständnis zu folgen. Es spricht von einem „dritten Zeitalter des<br />

15


Mars“.<br />

Ein solches „drittes Zeitalter des Mars“ wird nun tatsächlich<br />

enographisch in den Jahren 1631 und 1632 real: im Merkurzyklus<br />

beginnen zwei Perioden mit Koinzidenzen Widder und Skorpion, und<br />

erreichen Domination. Dieses ist zugleich die Exaltation der „dritten<br />

Ära“ im 17. Jahrhundert. Kann dieses Zufall sein, noch dazu im<br />

siebenundzwanzigsten Gedicht? Vielleicht hat hier jemand – in<br />

gewisser Kenntnis der Enographie, oder sich erinnernd an Hinweise<br />

des Sehers zu seinen Lebzeiten – ein Gedicht gefertigt, das auf die<br />

nach 1605 folgenden Jahre passt und auch die Mitteilungen der<br />

Publikation (durch Seve) bedient. Es geschieht dieses gerade so,<br />

wie es Seve (irrigerweise) auch für die Sechszeiler annimmt : sie<br />

wären Vorhersagen für die „laufenden Jahre in diesem Jahrhundert“<br />

(„pour les ans courans ein ce siecle“): und 1605 plus 27 ergibt<br />

„1632“ (siebenundzwanzigstes Gedicht der Reihe, Benazra hat auf<br />

andere Korrelationen zwischen dieser Annahme und Jahreszahlen<br />

hingewiesen). Dieses belegt erneut ein Missverständnis ähnlicher<br />

Art, wie es etwa auch de Chavigny im „Janus Gallicus“ pflegte; es<br />

gibt hier also entfernte Niederschläge eines Wissens des Arztes und<br />

Astrologen, aber in eine Simplifizierung gewendet. Nostradamus<br />

selbst hat zu seinen Lebzeiten anscheinend nicht in solche<br />

Auffassungen und Fehldeutungen seines Umfeldes eingegriffen.<br />

Im Folgenden wird versucht, eine neue Interoreationsgrundlage und<br />

ein neues Verständnis des Textes der Sechszeiler zu erarbeiten.<br />

Dabei wird in diesem Buch besonderer Wert auf die Überlieferung<br />

von Vincent Aucane gelegt.<br />

Wir folgen der Schreibung dieses Namens durch Robert Benazra.<br />

16


3. Konnexionen der Sechszeiler mit inhaltlich<br />

Luna<br />

In der hier vorzustellenden neuen Ordnung der Sechszeiler gibt es<br />

nicht wenige Hinweise auf Zusammenhänge des Symboles Luna.<br />

Dieses Zeichen steht in der Astrologie in enger Beziehung zur<br />

Gestirnkunde, dabei einerseits zur Astronomie, als der<br />

mathematischen Grundlage, und andererseits auch zur Bildung von<br />

Urteilen aus den Gestirnerscheinungen. Das Symbol Luna verweist<br />

im Werk des provenzalischen Arztes Michael Nostradamus immer<br />

wieder auf die firmamentische Analogie seines Wirkens, „der<br />

Vorhersage durch die nächtlichen himmlischen Lichter“. Gerade die<br />

Vorstellung „Mond“ und ihre metaphorischen Implikationen sprechen<br />

für eine Urheberschaft des Nostradamus an den Sechszeilern: denn<br />

es sind Inhalte und Form dieses kleinen Werkes zu deutlich damit<br />

verquickt, und es muss eine Besprechung des Wesentlichen damit<br />

beginnen.<br />

Zuerst ist die Zahl der Sechszeiler, 54, zu erwähnen. Sie zitiert die<br />

zweifache Dauer des Umlaufes des Mondes (siderisch, tropisch und<br />

drakonitisch) von 27 Tagen und einigen wenigen Stunden. - Solche<br />

nahezu zahlensymbolische Anspielungen wählt Nostradamus<br />

nahezu durchgängig auch in anderen Teilen seines Werkes, z. B. in<br />

den Prosaprophezeiungen der Vorrede der „Prophezeiungen“ an<br />

Heinrich, mit Anspielungen auf Saturn- und Jupiterrevolution; in der<br />

Zahl der sogenannten „Presages“ - kurze Gedichte über den<br />

Monaten der Almanache –, die die Marszyklen zitiert, oder im ersten<br />

17


Teil der „Prophezeiungen“, mit ebensovielen Gedichten wie das<br />

Mondjahr Tage aufweist. Wer sich intensiver mit den astronomischen<br />

Hintergründen der Divination des Nostradamus beschäftigt, wird<br />

immer wieder auf solche Parallelitäten stoßen. .<br />

Eine weitere symbolische Dimension erschließt sich aus der<br />

„verborgenen Philosophie“: nach Agrippa von Nettesheim gehört die<br />

Zahl 54 in das Quadrat des Merkur und in das Quadrat des Mondes.<br />

In anderen Zahlentafeln erscheint diese Zahl nicht. - Merkur und<br />

Mond können verwandte Belange darstellen: sie stehen im<br />

astrologischen System nahe beieinander, entsprechen den beiden<br />

unteren Sphären, und beschreiben Möglichkeiten der rationalen<br />

Welt, u. a. der Mathematik, auch der Musik. Im zyklischen System<br />

des Nostradamus wird der Merkurzyklus durch Rückläufigkeit des<br />

Merkur im Krebs, dem Tierkreiszeichen des Mondes eröffnet: diese<br />

Verbindung des merkurialistischen und lunatischen Momentes ist<br />

bezeichnend. -<br />

Bevor weitere Argumente zu den „lunatischen Dimensionen“ der<br />

Sechszeiler beigetragen werden noch ein anderes astronomisches<br />

Argument. Es verbirgt Michael Nostradamus in den<br />

Erscheinungsdaten seiner wesentlichen Bücher Hinweise auf seine<br />

Zyklenlehre, die Enographie. Dieses kann auch für die beiden<br />

genannten Jahre der Erscheinung der Sechszeiler, 1600 und 1605,<br />

in Frage kommen. Dieses sicherlich dann umso mehr, je größer der<br />

Anteil von Nostradamus an der Wahl des Datums sein sollte.<br />

Untersucht werden nun die Übereinstimmungen von Zyklen und<br />

Gestirnständen an den jeweiligen Data, die das <strong>Manuskript</strong> oder die<br />

Ausgabe durch Seve nennen. Für den „19. März 1605“, das Datum<br />

des Seve, ergeben sich folgende firmamentischen Möglichkeiten,<br />

18


unten die zyklischen „Stände“, oben die faktischen „Transite“, in den<br />

sieben Möglichkeiten:<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

Stände Widder Löwe Schütze Steinbock<br />

Zyklen Stier Skorpion<br />

Stier<br />

Stier Fische Fische<br />

Stier/<br />

Waage<br />

Stier<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

es gibt auf den ersten Blick keine Übereinstimmung.<br />

Auch der Stand des Mondes in Löwe bezieht sich nicht auf mögliche<br />

Koinzidenzen von Zyklen, die Jungfrau (bei vorläufiger) oder<br />

Wassermann (bei rückläufiger Eröffnung) wären. Drei Monate später<br />

(am 27. 6. 1605, greg.) kommt es zu einer neuen Periode des<br />

Merkurzyklus mit Anzeige Stier. Auch dieses Ereignis ist nicht mit<br />

diesem Mondstand zu verbinden.<br />

Nun dieselbe Analyse für den „1. 1. 1600“. Das ist das Datum, das<br />

Aucane nennt:<br />

Stände Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

Stier<br />

Jungfrau/<br />

Wassermann<br />

Skorpion<br />

Steinbock<br />

Skorpion<br />

Waage Löwe Löwe Schütze Wassermann<br />

Skorpion<br />

Krebs<br />

Jungfrau/<br />

Wassermann<br />

Skorpion<br />

Stier<br />

Stier/<br />

Waage<br />

Zyklen Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

19


(Die einzige Veränderung in den Zyklen betrifft formal Jupiter, mit<br />

Krebs.)<br />

Hier fällt der übereinstimmende Stand im Mondzyklus und bezüglich<br />

des aktuellen Mondlaufes auf. Doch dieses ist nicht alles: es ist aber<br />

doch erneut ein unbedingter Hinweis auf lunatische Gegebenheiten.<br />

Zugleich bedeutet ein Stand des Mondes „im Skorpion“ für die<br />

Eröffnung von Zyklen, die rückwärtslaufend beginnen: die Anzeige<br />

einer Koinzidenz des Stier. Und eine solche ist mehrfach gegeben!<br />

Die Anzeige Stier steht im Venus- und Merkurzyklus. - Diese beiden<br />

Zyklen sind möglicherweise von Bedeutung für die Sechszeiler. -<br />

Zugleich ist die Anzeige von Stier die Erhöhung des Mondes: noch<br />

eine Anspielung auf das lunatische Moment.<br />

Die auffallendste Übereinstimmung ergibt sich aber bezüglich des<br />

Zyklus des Mondes und des aktuellen Mondstandes: dort findet sich<br />

Skorpion. Dieses ist ein gewichtiger Hinweis auf das Symbol<br />

Mond/Luna: der Mondstand am 1. Januar 1600 stimmt überein mit<br />

der Koinzidenz des Mondzyklus. Inhaltlich ist in diesem Zeichen der<br />

Mond im Fall: es ist dieses erneut eine lunatische Präsenz. Gerade<br />

diese kommt zuweilen in den Horoskopen von Sehern und<br />

Propheten vorkommt, es gilt dieses als garadezu klassisches<br />

Zeichen in der Astrologie. Ebenso findet sich dieses auch im<br />

Geburtsbild des Michael Nostradamus.<br />

Diese eigenartigen Übereinstimmungen geben doch Einiges zu<br />

denken: kann alles das Zufall sein?<br />

Zugleich wird mit der bereits mehrmals angesprochenen<br />

Akzentuierung des Lunatischen auf die Astrologie gezeigt: und<br />

dieses wäre für Nostradamus typisch, vor allem am Beginn eines<br />

20


Werkteiles. - Es sei hier an einen Satz am Anfang der<br />

„Prophezeiungen“ erinnert. Nostradamus beginnt sein Hauptwerk mit<br />

einem verschlüsselten Hinweis auf die lunatische Dimension: das<br />

Wort dort lautet: „das erbliche Wort der geheimen Vorhersage wird in<br />

meinem Magen eingeschlossen sein“. Der Magen entspricht nach<br />

der Astrologie dem Mond; und der Satz bedeutet, dass „innerhalb“<br />

der Struktur der „Prophezeiungen“, in ihrer „verdauenden Mitte“, ein<br />

rationales Wissen „verborgen“ sei, eine Kenntnis und Kunde, die von<br />

Mensch zu Mensch „vererbbar“ wäre, also weitergegeben werden<br />

kann wie die Lehre der Astrologie von Lehrer zu Schüler. Und dieses<br />

steht sogar im ersten Satz der „Prophezeiungen“, im ersten Satz der<br />

Vorrede an Cesar Nostradamus, Vorrede A der „Prophezeiungen“.<br />

Und nun noch ein letztes Argument für „lunatische“ Hintergründe<br />

dieses Werkteiles (wenn die Sechszeiler tatsächlich zu dem<br />

Gesamtwerk des Michael Nostradamus hinzuzufügen sind): es<br />

betrifft die freien Plätze 26 und 33 in den Sechszeilern. Diese freien<br />

Plätze bringt aber alleine die Darstellung bei Vincent Aucane.<br />

Schließt man nämlich die Sechszeiler an die Vierzeiler der<br />

„Prophezeiungen“ an, dann kommen sie zwischen den Gedichten<br />

VII, 42 und VIII, 1 zu stehen: für die 58 freien Plätze stellt Vincent<br />

Aucane 54 Gedichte zur Verfügung. (Und Vincent Seve scheint die<br />

Lücke mit 58 Gedichten vollständig „füllen“ zu wollen.)<br />

Nach der Ordnung von Aucane aber bleiben die Plätze VII, 68<br />

(entspricht Nr. 26) und VII, 75 (entspricht Nr. 33), sowie VII, 99 und<br />

VII, 100 frei. (Später wird gezeigt, dass auch die Plätze VII, 41 und<br />

VII, 42 wohl frei bleiben müssen. Damit ergäbe sich eine<br />

symmetrische Anordnung der Sechszeiler innerhalb der Lücke.)<br />

Setzt man nun die Zuordnungen zu der astrologischen Woche – in<br />

21


der Reihenfolge Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn<br />

(Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag,<br />

Samstag) – in der praktizierten Weise nach VII, 42 fort, erhält man<br />

genau (!) acht neue Siebenereinheiten (8 x 7 = 54). - So weist die<br />

Zahl 54 auch auf diese mögliche Gliederung der „Prophezeiungen“,<br />

in ihren jeweils sieben Schritten, und den zugehörigen planetaren<br />

Entsprechungen. -<br />

Welche Planeten kommen nun den vier freien Plätzen zu?<br />

VII, 68: Mond<br />

VII, 75: Mond<br />

VII, 99: Jupiter<br />

VII, 100: Venus<br />

Wieder findet sich hier ein ganz expliziter Hinweis auf die<br />

Koinzendenz Luna! Fügt man die vorigen Hinweise und diesen<br />

jetzigen Fingerzeig zusammen, entsteht insgesamt doch eine<br />

ziemlich entschiedene Aussage in Richtung Mathematik, Astrologie,<br />

verbunden mit einem Hinweis auf den Mondstand im Geburtsbild<br />

des Astrologen und Arztes, zugleich mit einem akzentuierten Hinweis<br />

auf die Enographie. Die verschiedenen Ansätze, die doch alle wieder<br />

zu der einen Bedeutung führen, verleihen den Schlussfolgerungen<br />

eine summierte Wahrscheinlichkeit.<br />

Man muss sich fragen, warum solche Korrelationen mit der<br />

Herausgabe von Vincent Aucane (1600) weitaus nachzuvollziehen<br />

22


sind als mit jener von Vincent Seve (1605). Vor allem die zweifache<br />

Lücke, die in lunatische Korrelationen hinein bindet: soll das Zufall<br />

sein?<br />

In Anbetracht dieser Ergebnisse, und der folgenden ausführlichen<br />

weiteren inhaltlichen Erwägungen, wird in dem hier präsentierten<br />

Buch nur noch mit dem zuerst erschienenen <strong>Manuskript</strong> von<br />

„Vincent Aucane“ weiter gearbeitet. Es erscheint viel gründlicher und<br />

durchdachter gehalten, als die doch recht naiven, unkritischen und<br />

redaktionell vereinfachenden Ausgaben der Sechszeiler des 17.<br />

Jahrhunderts. - Und man bedenke: dieses sind im Falle dieses<br />

Werkteiles die einzig bisher untersuchten. -<br />

Das <strong>Manuskript</strong> von Aucane ist demgegenüber von unschätzbarem<br />

Wert. Mit ihm sind Korrekturen der Fehlleistungen von 1605 ff.<br />

unabdingbar.<br />

Es folgt im nächsten Kapitel nun ein weiterer Beleg, der eineindeutig<br />

belegt, in welch verheerender Weise ab 1605 mit den Texten des<br />

Nostradamus umgegangen wurde. Es gibt in der Herausgabe von<br />

Seve Dutzende von Entstellungen des Sinnes, man möchte meinen,<br />

man konnte die Hand eines fast zeitgenössischen schreibers nicht<br />

mehr richtig lesen. Mit diesen Sinnentstellungen ist aber eine<br />

adäquate Interpretation der Sechszeiler - vielleicht auch mit<br />

deutlichen Auswirkungen und Interdependenzen zum Verständnis<br />

des Gesamtwerkes nicht möglich. Es ist hier dem Irrtum Tür und Tor<br />

geöffnet: und es macht geradezu erschauern, dass das zentrale<br />

Wort der Sechszeiler fehlübertragen wurde.<br />

Damit treffen die Missverständnisse den Kern: und dieses kann sich<br />

eine ernstzunehmende Herausgabe überhaupt nicht leisten. Erneut<br />

gibt dieses Anlass, über die historische oder sozialen oder<br />

23


persönlichen Gründe solcher Fehlleistungen nachzudenken. - Ich<br />

füge hier noch an: wenn selbst das nähere Umfeld des<br />

französischen Sehers, Arztes und Astrologen so „geschludert“ hat, in<br />

welche Größenordnungen muss sich dieses dann wenden, wenn<br />

man interpretiert und kommentiert, und diesem Werk gar nicht<br />

gewogen gegenübersteht, und auch sonst keine Nähe zu ihm findet?<br />

Erklärt dieser Gedanke Stücke von Nostradamus Nachwirken?<br />

24


4. Das Gegensatzpaar<br />

Eine einfache Überlegung führt in das Zentrum des Sinns der<br />

Sechszeiler: es werden die beiden am häufigsten verwandten<br />

Substantive vorgestellt. Dabei stellt sich eine Wortschöpfung des<br />

Nostradamus an erste Stelle, und ihr folgt eine bekannte Metapher –<br />

bekannt vor allem aus den Prophezeiungen in Prosa der Vorrede der<br />

„Prophezeiungen“ an Heinrich.<br />

Verknüpft mit den Fingerzeigen auf das Lunatische – wie es u. a.<br />

das Datum der Herausgabe von V. Aucane mit dem 1. 1. 1600 und<br />

die formale Struktur dieser Sechszeiler, vor allem die beiden<br />

fehlenden Plätze 26 und 33 anzeigten - ergibt sich auch der Horizont<br />

eines eigenartigen Begriffes. Er gibt den 54 Sechszeilern ein<br />

„fremdes“ und „entlegenes“ Gepräge, und löst, wie alle<br />

Wortschöpfungen, zuerst ein Gefühl des Befremdens aus: es<br />

handelt sich um das Wort „censue, censuart, censuart“ oder<br />

„sensue“. Es kommt 10 mal in den Gedichten vor: in Aucane 2, 7, 9,<br />

18, 27, 38, 43, 44, 47 und 56.<br />

Dieses von Nostradamus geprägte Wort wird bei Seve, und diesem<br />

folgen in alle weiteren Ausgaben, u. v. a. Auch in den modernen<br />

Zusammenstellungen des 20. Jahrhunderts bei Reynaud-Plense<br />

oder Leoni, oft mit „sangsue“ gelesen. Der Text von Aucane zeigt<br />

aber eindeutig „censue, sensue“ oder, zweimal leicht gewandelt,<br />

„censuarts“, „sensuart“.<br />

Der erhebliche Unterschied zwischen einem „männlichen Blutigen“<br />

und einem im Original weiblichen „Censue“ - vorläufig unbetimmten<br />

25


Inhaltes - ist erneut ein starkes Argument, in den Darstellungen von<br />

Seve nicht weiter zu arbeiten. Wie kann es vorkommen, dass ein<br />

zentraler Begriff – wenn nicht der wesentliche und die Kernaussage<br />

– in einer so verderbten Weise weiter gegeben wird? - Und wir bitten<br />

hier erneut darum, dieses als Analogon der gesamten<br />

Interpretations- und rezeptionsgeschichte zu lesen: Nostradamus<br />

wird verkürzt auf „Blutiges“, oder in unserer Zeit „Apokalyptisches: er<br />

hat aber etwas ganz anderes gesagt. Es gelingt aber den meisten<br />

Interpreten nicht, hier sachlich zu bleiben: und hier wendet sich<br />

„Lunatisches“ auch ein wenig zum „Verrückten, Abseitigen und<br />

Uneinfühlbaren“, eine Bedeutung der alten Medizin, wie sie auch in<br />

der modernen Seelenheilkunde noch zuweilen anklingt. Aber nicht<br />

Nostradamus ist „irr“, sondern die unkontrollierten Projektionen, die<br />

seine Texte anscheinend auszulösen vermögen. Diesen zu folgen,<br />

und es geschieht dieses nahezu durchgängig, ist aber völlig verfehlt,<br />

und unbedingt zu meiden. -<br />

Mit der irrigen Lesung „sangsue“ bietet die Ausgabe von Seve ein<br />

grundlegendes Missverständnis: die differenzierten Überlegungen,<br />

die die Wortschöpfung „sensue, censue“ erfordert, werden<br />

vermieden. Es geht in dem Wort „sensue, censue“ keineswegs um<br />

einen „Blutigen“; es geht um eine Charakteristik eines<br />

Weltverständnisses, eines Weltbildes, einer Weltkultur. Eben diese<br />

oder dieses scheinen mit der Wortschöpfung beschrieben: der<br />

Begriff bezieht sich auf große Korporationen und übergeordnete<br />

soziale Gebilden, ja vielleicht auf das Kernverständnis der<br />

Gesellschaft der Zukunft: gerade in diesem Sinne ist „censue,<br />

sensue“ eine der essentiellen Vorhersagen über die Zukunft. Was<br />

aber nun zeichnet eine institutionalisierte Ordnung des künftigen<br />

Zusammenlebens aus? Was ist für Nostradamus so typisch, dass er<br />

26


es zum überraschenden Kernbegriff formt?<br />

Eine erste Spur der Bedeutung führt in die Richtung des Grob-<br />

Sinnlichen, steuert auf das Einfach-Simple, auf das Dem-Verstand-<br />

Eingängige zu. Hier geht es um simple, einfache und messbare<br />

Phänomene: einerseits sinnlich, andererseits quantifizierbar. (Dieses<br />

bedeutet wiederum auch spezifische Abbildungen solcher Haltungen<br />

und Handlungen im astrologischen System, und zwar in unteren<br />

Sphären, vor allem des Mondes, der Venus und auch des Merkur.)<br />

Damit ist aber eine völlig andere Bedeutungsrichtung angesprochen<br />

als mit einem „Blutigen“: ein solcher wäre astrologisch verknüpft mit<br />

den Feuerzeichen, z. B. wie Napoleon I.: denn die Feuerzeichen<br />

entsprechen nach der Gestirnkunde den Geschehnissen des<br />

Blutkreislaufes, dem Herz, der Dynamik des Stoffwechsels.<br />

Es sollte hier für „censue, sensue“ eine bessere und treffendere<br />

Bedeutung gewählt werden. Es handelt sich um ein weibliches<br />

Hauptwort, so wird es mehrmals durch den Artikel „la“ definiert wird.<br />

Und am ehesten heißt das Wort so „die Sinnliche“, „die den Sinnen<br />

verhaftete“, oder, ins Moralische und Sexuelle gewendet, „die<br />

Getriebene“, „die Schamlose“, „die, die sich der Promiskuität“ ergibt.<br />

Der Zusammenhang mit dem biblischen Begriff der „Hure“ liegt auf<br />

der Hand: und so steht man in den Bedeutungsräumen der<br />

Geheimen Offenbarung, in der das Bild der „Buhlerin, Dirne, Hure“<br />

den zentralen prophetischen Hinweis auf die Art und Weise eines<br />

kommenden Staates, seiner Gesellschaftsordnung und seiner<br />

kulturellen Auffassungen entwirft. Und eben in der Geheimen<br />

Offenbarung wird auch das Gegenbild dazu entworfen, das gleiche,<br />

das auch in den Sechszeilern von Michael Nostradamus gebraucht<br />

wird: das Bild einer vornehmen Frau.<br />

27


Doch zuerst weiter zu dem Symbol der „Hure“. Vermutlich sollte man<br />

das Bild aus dem sexuellen Rahmen lösen, oder seine sexuelle<br />

Dimension selbst wieder als eine Metapher betrachten: es geht<br />

weniger um sexuelle Verfehlungen, als vielmehr um eine<br />

„Sündigkeit“ in einem höheren Sinne. Gemeinst ist wohl die<br />

Einstimmung des humanen Sensoriums auf das Sinnenhafte, das<br />

Offensichtliche, das auf der Hand liegende, das Materielle, das<br />

Finanzielle, das Wirtschaftliche. Mit der sinnlichen Orientierung ist<br />

immer auch ein „Abschätzen, Bewerten, Bezahlen“ verbunden; alles<br />

wird nach finanziellen Erwägungen tariert, der Mensch selbst wird<br />

zum Kostenfaktor, sein Wert verbindet sich nicht mit höheren<br />

ethischen Vorgaben, sondern nach seiner grobsinnlichen und leicht<br />

zu fassenden „Nützlichkeit“. Dafür erhält er Vergütung; und in<br />

solchem Rahemn bewegt sich dann seine gesellschaftliche Position,<br />

und der Wirkungskreis seiner sozialen Aktivität.<br />

Solche Tendenzen lassen sich sicherlich für Michael Nostradamus<br />

auch astrologisch abbilden. Es verknüpft sich solche<br />

„materialistische Unreinheit“ und „menschenverachtende<br />

Sittenlosigkeit“ primär mit dem Überwiegen des Mondzyklus (wie z.<br />

B. in der kommenden 8. Weltzeit, ab 2100). Es geht nicht mehr um<br />

metaphysische Transparenz, um spirituellen Rang und um<br />

selbsttranszendente Stufe, Wesenhaftigkeiten, die sich mit den<br />

Symboliken der höheren Sphären verbinden, sondern um sinnliche<br />

Befriedigung, romantische Phantasie und rationalistische<br />

Eindeutigkeit. Jene sind aber Entsprechungen der niedersten<br />

Sphäre, oder der drei unteren „Kristallschalen“, und sie stehen, wie<br />

in dem Buch zu den „Zehn Zeitaltern des Nostradamus“ gezeigt, im<br />

Gegensatz zu Weltzeiten, in denen Entsprechungen der Sonne<br />

überwiegen, in denen Weitsicht und überweltliche Orientierung und<br />

28


höhere, aber nicht einfach zu verstehende Norm, und noch weniger<br />

einfach umzusetzende Realisation, die leitenden Paradigmen vor<br />

Augen führen und ans Handeln apellieren.<br />

Das Wort „Sensue“ steht im Zusammenhang des lateinischen<br />

Wortstammes „sensus“, „Gefühl, Empfindung, Wahrnehmung“. Es<br />

hat damit auch eine geistige Bedeutungslinie in Richtung „Verstand,<br />

Denkkraft, Geschmack“, und auch eine in Richtung der ethischen<br />

Existenzebene mit „Geschmack, Gesinnung, Sinn für das<br />

Schickliche, Takt“. Statt das Abstrakte und Unanschauliche zu<br />

favorisieren, folgt man Phantasien, statt schwierige Begriffe zu<br />

bilden und im Abstrakten zu operieren, gibt man Vereinfachungen<br />

Raum, und man kolportiert Normen in Richtung Gesetzhaftigkeit und<br />

Vorschrift. Die „gute“ Richtung zielt aber auf „das ganz Andere“; der<br />

„schlechte“ Irrweg kommt den menschlichen Bedürfnissen zu weit<br />

entgegen. Dem Kundigen ist klar, was Michel Nostradamus meint:<br />

alles dreht sich um das Zentrum seiner Warnungen, es geht um<br />

seinen moralischen Aufschrei vor jenen geistigen Haltungen, die die<br />

achte Weltzeit formieren können: einer (zu) langen Zeit einer auf<br />

dem Ästhetisch-Sinnlichen beruhenden Sittenlehre, die dem<br />

Äußerlichen und Gefühligen verbunden ist, die lieber Normen und<br />

Gesetzhaftigkeit strikt formuliert, als von dem Einzelnen die ethische<br />

Entscheidung immer wieder frei, individuell und kreativ zu fordern.<br />

Die kommende Doktrin dürfte in solchem Sinne eine<br />

„sensualistische“ sein. Die Überbetonung der sinnlichen<br />

Wahrnehmung ist bereits ein Kennzeichen der gegenwärtigen<br />

Weltzeit, der siebten; wir stehen geistesgeschichtlich gar nicht mehr<br />

weit weg von dem Kommenden, man kann es überall bereits im<br />

Ansatz erkennen. Wenn bald unsere Weltzeit zu ihrem Gipfelpunkt<br />

fortschreitet wird das sinnliche Moment noch einmal stärker<br />

29


herausgearbeitet werden, und dann wird sich eine<br />

fundamentalistische Lehre entwickeln, die (unbewusst) völlig dem<br />

Materiellen verhaftet ist. Wenn es jemandem noch möglich wäre,<br />

dieses zu verhindern, sollte er alle Kräfte dafür einsetzen, und<br />

entgegen steuern: es ist dieses in jedem Moment noch möglich.<br />

Man glaube nicht - sollte dieses wirklich kommen - dieses dann<br />

Erscheinende wäre völlig neu: schon in unseren gegenwärtigen Ären<br />

sind reiche Ansätze vorhanden, die bereits nach dem vollgültigen<br />

Ausdruck des Kommenden lechzen: es fehlt nur noch die<br />

weltanschaulich-religiös fundierte Begründung, und in ihr die rasante<br />

Entschiedenheit, eine neue Zeit mit neuen Moden und frischen<br />

Leitbildern und reformierten „Metaerzählungen“ einzuläuten. Ich<br />

nenne Beispiele: man will auch heute nicht mehr an<br />

„Beschneidungen“ der Sinne partizipieren, man erkennt im<br />

Jüdischen und Christlichen Momente der Durchsetzung, der<br />

Aggression, man stöhnt über die Passion des Herrn.<br />

Die Person, oder die Kultur, oder das soziale System „Sensue“, die<br />

Nostradamus in den Sechszeilern anspricht, ist eine Metapher für<br />

eine geistige Haltung und eine Ideologie. Es ist im Weiteren ein Bild<br />

für einen Staat oder eine Weltmacht, die die Doktrin des<br />

Ästhetischen – nach Sören Kierkegaard untere Stufe ethischer<br />

Entscheidung – vertritt und durchsetzt. Zugleich gewinnt dieses<br />

kollektive Urbild zuweilen auch ein individuelles Gesicht, in einzelnen<br />

Personen, die die damit verknüpften Doktrinen und Ideologien<br />

besonders deutlich zuspitzen: und dann kann der Begriff auch für<br />

eine definierte Person der jeweiligen Zeit gelten.<br />

Michel Nostradamus beschreibt das Wirken dieses „Reiches“ - in<br />

einem Oberbegriff, der alle die genannten Bedeutungsebenen fasst -<br />

30


in eben dem besonderen Teil seines Werkes, den Sechszeilern. Nur<br />

in ihnen erscheint dieser konzentrierte Begriff, der<br />

„Umschreibungen“ der Vierzeiler und anderer Divinationen<br />

zusammenbindet: In ihm wendet er sozusagen seine vierzeiligen<br />

Gedichte in einer umschriebenen anderen Form in eine prophetische<br />

Dimension. Er wiederholt und fasst noch einmal bestimmte<br />

Ereignisse unter einem neuen und übergeordneten Blickwinkel<br />

zusammen - und er schildert komprimiert Aufstieg, Eroberung und<br />

„Tod“ jenes staatlichen Gebildes, das Augustinus als imperium<br />

cupiditatis, Reich der Begierde kennzeichnen würde, im Gegensatz<br />

zur „Bürgerschaft Gottes“, civitas dei.<br />

Zu bedenken ist auch noch eine zweite Linie von Bedeutungen, in<br />

der Schreibung von „censue“: der lateinische Stamm kommt von<br />

„censere“, „einschätzen, zählen, meinen, beschließen“. Ein<br />

besonderer Sinn in der römischen Gesellschaft lag darin, dass<br />

damals Vermögenswerte eingeschätzt wurden, und daraufhin die<br />

Bürger in bestimmte Klassen eingetragen wurden. Hier ist ein Schritt<br />

zum blanken Utilitarismus nicht mehr weit, und zu einer<br />

unbeschränkten Macht einer Finanz- oder Wirtschaftsaristokratie. -<br />

Im Französischen ist „censeur“ ein „Censor, Sittenrichter“, „censier“<br />

ist ein „Lehensherr“, „censiere“ einen „Lehensfrau“. -<br />

Von Triftigkeit im Zusammenhang der Texte von Nostradamus ist<br />

wohl auch der Bedeutungsraum „moralisch beurteilen“, „sittlich<br />

verurteilen“: das solcherart gekennzeichnete weibliche<br />

Gemeinwesen steht anderen Kulturen „richtend, bewertend“<br />

gegenüber. Dieses Verhalten wird offensichtlich in der Zukunft<br />

gegenüber den „älteren“ Staaten und Kulturen zu einem Standard,<br />

der Konflikte „befeuert“, sogar Kriege nahe legt: dabei geht es um<br />

eine eigentümliche, vielleicht sogar ideologisch gerechtfertigte<br />

31


Praxis, die (vermeintlich erwiesenen) „besseren“ Ansichten auch<br />

militärisch durchzusetzen.<br />

Fraglich ist, ob zwischen „censue, sensue“ und dem zweimal in<br />

ähnlichem Sinne in den Sechszeilern verwendeten „ senestre“ ein<br />

Zusammenhang besteht. - Ein lautlicher Anklang ist auf alle Fälle<br />

vorhanden; der Wortstamm bezieht sich wohl auf das altindische<br />

„sani“, „Gewinn, Nutzen“. Die Kennzeichnung der Richtung ist im<br />

römischen Augurium als „glücklich, günstig“ eingestuft, in der<br />

Umgangssprache ist aber die Bedeutung umgekehrt. Bei dem Ritus<br />

der Vogelschau blickte etwa der Augur nach Süden, und so befand<br />

sich der glückverheißende Osten zur linken Hand. - In Gedicht 9 der<br />

Sechszeiler erscheinen „senestre“ und „censuart“ zusammen:<br />

eventuell ist aus diesem Sechszeiler eine mögliche Korrelation<br />

herzuleiten.<br />

Es gilt nun noch, auf eine weitere mögliche Dimension der<br />

Bedeutung hinzuweisen: es handelt sich dabei um eine Verknüpfung<br />

mit dem sehr häufig, nämlich 21 mal vorkommenden Zahlwort „six<br />

cens“, „sechshundert“. Vermutlich gibt es eine eher indirekte Linie<br />

von „censue“ zu „cens“: es kann das Wirken und Handeln einer<br />

„Sinnlichen, Geschätzten, Bewerteten“ mit dem Zahlwort<br />

„sechshundert“ verbunden sein. Dieses ist erneut ein recht<br />

erstaunliches Phänomen; es erinnert an gewisse bibliche<br />

Vorkommnisse der Zahl „616“ oder „666“, ebenfalls in der Geheimen<br />

Offenbarung: und wieder bezieht sich diese Metapher auf eine<br />

historische Phase der Zukunft. Michael Nostradamus schließt sich<br />

offensichtlich mehrmals an die biblischen Sinnhorizonte. - Zu der<br />

Zahl „600“ und ihrer Bedeutung in den Sechszeilern ist es<br />

angebracht, ein eigenes Kapitel nieder zu schreiben. Es wird dieses<br />

nach einigen noch grundsätzlicheren Erwägungen in diesem<br />

32


<strong>Manuskript</strong> geschehen.<br />

Jetzt aber noch zu dem anderen wesentlichen Begriff der<br />

Sechszeiler, dem Wort „la Dame“, „die Dame, die Frau“. Es kommt in<br />

den Sechszeiler neun Mal vor, und ist damit das am zweitmeisten<br />

verwendete Substantiv.<br />

Bereits die Konnotationen der Umgangssprache verraten, dass es<br />

sich dabei um einen gehobenen Ausdruck für das Weibliche handelt.<br />

Es scheint konkret eine Person des weiblichen Adels oder einer<br />

anderen Frau hervorragender Güte angesprochen zu sein. Die<br />

bedeutung weist auf große Wertschätzung, nahezu Ehrfurcht.<br />

Wieder kann auf die biblischen Analogien verwiesen werden: es<br />

zeigt sich eindeutig die in den genannten heiligen Schriften<br />

entwickelte Antithetik von „Hure“ und „großer Frau“. Michel<br />

Nostradamus führt damit auch diese Linie weiter. - Die mehreren<br />

hier bekannt gemachten Verquickungen von Symboliken und der<br />

darin enthaltene kunstvoll gestaltete Konnex - von antithetischen<br />

weiblichen Metaphorisierungen, von aufgegriffenen<br />

Zahlensymboliken - ist in anderen Werken des provenzalischen<br />

Arztes und Propheten ähnlich anzutreffen, und in der<br />

ausgearbeiteten Ornamentik und Semantik unbedingt auf ihn zu<br />

beziehen. -<br />

Es kann sein, dass sich der Begriff „Dame“ in Teilen der zukünftigen<br />

Geschichte – nach 1555 – auch auf das Haus „Bourbon“ bezieht.<br />

Dieses Substantiv kommt immerhin dreimal vor. Einmal, „am Ende<br />

des Stammes“, bezeichnet Nostradamus diese Familie sogar als die<br />

„so sehr liebenswerten Fürsten von Jerusalem“. - Hier zeigt sich der<br />

ständisch-konservative Ansatz der Geschichtsbetrachtung des<br />

Nostradamus deutlich. Dabei geht es aber wohl nicht um einen<br />

33


politischen Duktus dieser Gedanken, sondern eher um einen<br />

astrologischen. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Astrologie<br />

und ihre Begrifflichkeiten ursprünglichen politischen Zwecken viel<br />

näher standen, als heute, und dass manche astrologische<br />

Grundgedanken im Zusammenhang der antiken Gesellschafts-,<br />

Kultur- und Moralvorstellungen zu verstehen sind. Hier wirken auch<br />

Vorstellungen über die metaphysische Wirklichkeit hinein und fort,<br />

und machen manche Annahmen und Extrapolationen verständlich. -<br />

Zu berücksichtigen in dem Zusammenhang einer einer „großen<br />

Dame“, einer ständischen Ordnung und eines gottgegebenen<br />

Königtums auch der Ausdruck: „der Favorit des Großen Ewigen<br />

Gottes“ (Aucane, 38; entspricht VII, 80). Nostradamus sagt für<br />

diesen das „Erbe seiner Provinz“ vorher. - Diese eschatologische<br />

Aussage bezieht sich wohl auf Nachfolger des Stammes der<br />

Bourbonen. -<br />

Im Sinne der Entwicklung solcher berufener Häuser erscheinen auch<br />

mehrmals „Kinder“ der „Dame“. Diese kommen vor in Aucane 1, 4,<br />

32 – hier scheinen sich geradlinige Fortsetzungen innerhalb<br />

gewisser „Stammbäume“ (s. „Prophezeiungen“, Chiffre BRANCHES)<br />

anzuzeigen. Es können aber auch zwei Damen – eine „sehr große“,<br />

eine „junge“ - in einem Gedicht vorkommen, wie in Aucane, 53.<br />

Es muss hier nicht ins Detail ausgeführt werden, in welche anderen<br />

Bedeutungsdimensionen als „la Sensue“ der Begriff „La Dame“ lenkt.<br />

Kurz genannt seien edle Lebensart, hohe ethische Gesinnung,<br />

wahre Menschenfreundlichkeit.<br />

In diesen Bedeutungsräumen nutzt Michael Nostradamus die<br />

eschatologische Bilderwelt des Christentums in einer einerseits sehr<br />

traditionellen, andererseits aber völlig neuartigen Weise. Es nimmt<br />

34


Wunder, dass bis heute niemand solche grundlegenden Züge in den<br />

Sechszeilern erkannt hat: wahrscheinlich wurden sie gerade durch<br />

die falsche Lesart von Seve - „sangsue“ - weitgehend unterbunden.<br />

Umso erstaunlicher ist, dass doch ein <strong>Manuskript</strong> vorhanden ist, das<br />

jene ehrwürdigen und vielversprechenden Metaphoriken erhalten<br />

hat.<br />

Wahrscheinlich sind gerade die Sechszeiler ein besonders<br />

ausgefeiltes und von Nostradamus mit intensivem Bedacht<br />

formuliertes Kunstwerk. Alleine die Dimensionen von „La Sensue,<br />

Censue“ und „La Dame“ eröffnen ungeahnte Möglichkeiten der<br />

Deutung.<br />

Es würde sich sicher lohnen, die in diese Kapitel angesprochene<br />

Antithetik monographisch zu behandeln. In einer solchen<br />

Untersuchung ließe sich das Bedeutungssystem der französischen<br />

Geschichtskonstruktion aus einem vielversprechenden Blickwinkel<br />

entfalten.<br />

35


5. Andere Bilder und Begriffe<br />

Über die Antithetik von „La Sensue“ und „La Dame“ hinaus stehen<br />

die Parteien von „Großen (grands)“ und „Gemeinen (communs)“<br />

(Aucane 13). Vermutlich korrespondieren solche auch mit dem<br />

Gegensatz von „schwach (foible)“ und „mächtig (puissant)“ (Aucane<br />

35). Dem Begriff „senestre, links“ steht ein unausgesprochenes<br />

„droite, rechts“ gegenüber.<br />

Die Polarität hat – wie angedeutet – auch astrologische Bezüge,<br />

einerseits zu den Lichtern, sprich Sonne und Mond, andererseits<br />

zum Rang der „Kristallschalen“, d. i. zu den unteren Sphären und zu<br />

den oberen Sphären.<br />

1. Schiff<br />

Das mehrfach vorkommende Bild von einem Schiff ist einerseits, als<br />

„Galeere“, wohl niedrigen Rängen zuzuordnen, und andererseits als<br />

„Nussschale, Kahn, Schiff“ wohl oberen Positionen („der Gestirne in<br />

den Zyklen“).<br />

2. Blume<br />

Ganz in diesem Sinne erscheint auch die Polarität von „Lilie“<br />

(Aucane 4) und „Rose“ (Aucane 42). Letzteres Symbol beschreibt<br />

eher materielle und sensualistische Gegebenheiten, bezieht sich auf<br />

„Amouren (amours)“ und „Liebe (amour)“; ersteres Bild der Lilie<br />

36


weist in den bekannten Zusammenhang überirdischer Klarheit und<br />

Reinheit. Zugleich ist die Lilie auch ein Symbol der französischen<br />

Monarchie.<br />

3. Kriechtier, Reptil, Schlange<br />

Viermal nutzt Nostradamus Konnotationen des Symboles „Krokodil“.<br />

Das Krokodil bringt er in einem Gedicht zusammen mit „Schlangen“<br />

(„aspics“, Aucane 34). Es handelt sich in beiden wohl um die<br />

bekannte (auch biblische) Veranschaulichung des Diabolischen.<br />

Zugleich bedeutet das „Krokodil“ wohl ein afrikanisches Staatswesen<br />

– es läge nahe, die Metapher auch geographisch einzuordnen.<br />

Zugleich herrscht Mars über den Südwesten (= Afrika, von<br />

Jerusalem aus gesehen).<br />

4. Elefant<br />

Drei Mal erscheint die Vorstellung „Elefant“. Die Konnotationen der<br />

Texte der Sechszeiler für die Dickhäuter sind in gewisser Weise<br />

bedrohlich. Vom Geographischen her kann dieses metaphorische<br />

Tier für Indien stehen – ein Zusammenhang mit den eher<br />

schwerfälligen Erdzeichen, die im Südosten liegen, scheint möglich.<br />

Der „Elefant“ steht wohl für monströse vitale Mächtigkeit; seine lange<br />

Nase spricht für das „Wählerische, Heikle“. Da er zu den<br />

Entsprechungen Jupiters gehört, ist auch zu überlegen, ob er einem<br />

Land aus dem Klimat des Jupiter (20°30´ bis 27°30´ nördlicher<br />

Breite) analog ist.<br />

37


5. Wolf<br />

Drei Mal erscheint das Symbol „Wolf“. Der „Wolf“ bedeutet<br />

martialische und knochenbrechende Intensität. Er kann den Klimaten<br />

der Sonne (33°40´bis 39°) oder des Mars (27°30´bis 33°40´)<br />

entsprechen; die Sonne ist zugleich Patronin des Nordwestens bei<br />

Tage. Der Wolf kann so dem Nordwesten der Welt, Europa oder<br />

Nordamerika entsprechen. In eine ähnliche Richtung weist das<br />

Symbol des Wolfes in der von Michael Nostradamus geschaffenen<br />

gereimten Vorrede zu den „Hieroglyphen des Horapollo“. Dort<br />

erlischt nach einem ersten Teil der tierischen Symboliken die Macht<br />

des Wolfes und geht über an die „Hyäne“ und die „Hunde“.<br />

6. Phönix und Greif<br />

Es kommen auch die beiden Fabelwesen vor. Sie verknüpfen sich im<br />

Falle des „Phönix“ mit anderen Metaphorisierungen, siehe unten.<br />

Der Greif kommt zwei Mal vor, kann Persien ansprechen; das<br />

Mischwesen aus Löwe und Adler ist in der Staatsheraldik dieses<br />

Landes seit alters immer wieder vertreten. Es gibt aber auch<br />

griechische Überlieferungen, die die Greife in den Steppen<br />

Mittelasiens zu Hause sein lassen.<br />

7. Charon<br />

Auch diese Person der griechischen Mythologie erscheint dreimal.<br />

Das Bild hat wohl negative Bedeutungen, es ist angespielt auf ein<br />

„Übersetzen ins Totenreich“. Einem „Charon“, einem Fährmann in<br />

die Unterwelt, gelingt es einmal sogar, „Ostern in Fasten zu<br />

38


verwandeln“ - ein Bild von bedeutender eschatologischer Tragweite<br />

(Aucane 24). Die christliche Auferstehungshoffnung erlischt, ihr<br />

sanguinischer Impuls stumpft ab, und wendet sich zu einem<br />

mürrischen Fastengehabe. Dieser Sechszeiler wäre zugleich das<br />

sechshundertsechsundsechzigste Gedicht der „Prophezeiungen“.<br />

Es gibt einmal sogar einen „Phönix“ des „Charon“ (Aucane 46). Das<br />

Symbol „Phönix“ kann die „Unsterblichkeit der Materie“<br />

versinnbildlichen: hier dürfte wohl immer wieder etwas aufleben, das<br />

sich mehrmals verbraucht und überholt hat (Aucane 51). Ein<br />

Todbringendes steht wieder auf – es scheint das Böse nicht enden<br />

zu wollen.<br />

8. Getreide<br />

Zweimal wird das Symbol „Getreide“ verwendet.<br />

9. Ölbaum<br />

Drei Mal kommt das Symbol der „Olive, des Öls“ vor. Es scheint, wie<br />

das Bild des Getreidekornes, auf eine überweltliche Wirklichkeit zu<br />

weisen, auf metaphysische Nahrung, vermittelt in der Kommunion,<br />

und Salbung, als ein Sakrament.<br />

Doch ist unter einem „Olivenbaum“ das „Krokodil“ so lange<br />

verborgen gewesen, bis es wieder ins Leben treten konnte (Aucane,<br />

16).<br />

Je einmal werden diese Bilder verwendet: „Skorpion“, „Chamäleon“,<br />

39


„Schlange“, „Rind“, „Nachtigall“, „Meerungeheuer“, „Monster ohne<br />

gleichen“. Alle diese Bilder haben Konnotationen von Bedenklichkeit,<br />

vom vergiftend-schmerzlichen Stich bis zum Abnormen („Monster“),<br />

vom Wetterwendischen und Nichtidentifizierbaren („Chamäleon“) bis<br />

zum horizontal gerichteten Kriechenden („Schlange“), vom Massig-<br />

Voluminösen und rein Vitalen („Rind“) bis zum spielend Tändelnden<br />

und Irrelevanten („Nachtigall“).<br />

Nimmt man zu diesen Bildern die eingestreuten astrologischen<br />

Hinweise, von denen Michel Nostradamus kund tut, er nutze dabei<br />

eine „nicht schulmäßige Sprache“ (Aucane, 44), wird einem die hohe<br />

Farbigkeit und die polyvalente Verwobenheit der Texte noch<br />

deutlicher. Alleine diese unerwartete und eminente Qualität kann in<br />

Richtung des Sehers und Propheten weisen – wo wäre eine zweite<br />

Person, die solche Verknüpfungen in solcher kreativen Manier<br />

niederzulegen wagte? Und, trotz aller „lunatischer“ Vielfältigkeit,<br />

trotzdem bleibt im Rahmen der traditionellen Denkweisen über die<br />

symbolischen Wirklichkeiten, indem sie sich immer wieder beruft auf<br />

antike Provenienzen der Metaphern?<br />

Nostradamus gebraucht noch eine zu erwähnende Metapher für eine<br />

ordnende Kraft: „der große Arzt“ (Aucane 10), der „Arzt des großen<br />

Übels“ (Aucane 27). Dabei ist offen, ob er dabei eine Wesenheit<br />

außerhalb von Raum und Zeit anspricht, oder um deren<br />

„Niederschlag“ in einer begnadeten und inspirierten Person. Dieses<br />

Bild ist ungewöhnlich, und steht weit außerhalb üblicher<br />

symbolischer Bezugssysteme: es könnte ohne Weiteres auf einen<br />

medizinischen oder heilkundlichen Ursprung im Beruf des<br />

französischen Sehers und Astrologen weisen. - Dieses ist einerder<br />

vielen Hinweise auf eine Autorschaft des Nostradamus für die<br />

Sechszeiler. -<br />

40


Ansonsten gibt es noch jede Menge rätselhafter Anspielungen, auf<br />

„Kreuz“ (Aucane 36), auf den „heiligen Bartholomäus“ (Aucane 50),<br />

„England“ (Aucane, 48), „Ungarn“ (Aucane 45), „Gibraltar“,<br />

„Pamplona“ (Aucane 39), auf „Dauphine, Provence, Vivarais“<br />

(Aucane, 30), auf „Auvergne“ und „Persien“ (Aucane, 8 und 9)<br />

„Florenz, Marseille“ und „Frankreich“ (Aucane 1).<br />

Es kommen auch Namen vor, „Francois“ (Aucane 56) und „Carl“<br />

(Aucane, 42) und „Bourbon“.<br />

41


6. Der Text der Sechszeiler<br />

Hier der neue Text der Sechszeiler nach dem <strong>Manuskript</strong> von<br />

Vincent Aucane. 1<br />

_ _ _<br />

Mars; VII, 41<br />

(hier kann eine Lücke vorliegen, wie die Ausgabe von 1557 zeigt;<br />

das Gedicht der „Prophezeiungen“ von 1568 „Les os de piedz & des<br />

mains enserrez...“ sollte kritisch betrachtet werden)<br />

Merkur; VII, 42<br />

(hier kann ebenfalls eine Lücke - nach dem Text von 1557 -<br />

vorliegen; das Gedicht der „Prophezeiungen“ von 1568 „Deux du<br />

poison saisiz nouveau venuz...“ sollte kritisch betrachtet werden)<br />

(Nun folgt das <strong>Manuskript</strong> von Vincent Aucane)<br />

1<br />

Merkliche Differenzen in den Texten zwischen 1605 und 1600 sind unterstrichen<br />

markiert. Linksbündig stehen die im Original vorhandenen Nummern und Wortfolgen;<br />

rechtsbündig stehen Notierungen zum Text. Die Interpunktion wurde wie im Original<br />

wiedergegeben; Kürzel sind /zwischen Strichen/ aufgelöst. Deutliche Endstriche wurden<br />

als „-“ dargestellt, oder, wenn sie eindeutig mit dem Wort zusammen hingen, in Akzente<br />

übersetzt. Ein unlesbares Wort oder eine unlesbare Stelle in einem Wort ist so „...“<br />

angezeigt.<br />

42


„1600<br />

Predictions de M e Michel Nostradamus Pour<br />

le siecle de l´an 1600 P/rese/ntees au Roi Henri 4 e au<br />

Commencement de l´Anneé par Vincent Aucane<br />

de Languedoc<br />

(Seitenzahl „66“ gestrichen, neu:) 76<br />

1<br />

(Jupiter; VII, 43)<br />

Siecle nouveau; Alliance nouvelle<br />

Un Marquisat mis dedans la Nascelle<br />

a qui plus fort des deux l´emportera<br />

D´un Duc, D´un Roi, Galle r res en Provence<br />

Port a Marseill Pucelle dans La France -<br />

De Caterine fort Chef on razera<br />

2<br />

(Venus; VII, 44)<br />

Que d´or d´argent en verra Lors dependre<br />

quant Conte voudra ville prendre<br />

Tant De mille /e/t mille soldatz.<br />

Tuez noiez sans y rien faire<br />

Dans; plus fort mettra pied a Terre.<br />

Pigmee aydé Des Censuarts<br />

43


3<br />

(Saturn; VII, 45)<br />

La ville s endessus Dessoubz<br />

Renversee de mille Coups<br />

De Canons /e/t fortz Dessous Terre<br />

T rois ans tiendra; Letout remis<br />

Et lascheé a ses Ennemis<br />

Eeau Leur fera apres La Guerre<br />

4<br />

(Sonne; VII, 46)<br />

D´un noble Lis naitra un si grand Prince<br />

Bien tost /e/t tard venu en sa province<br />

Saturne en Libra; en exaltation.<br />

Maison De Venus en Decroissante force<br />

Dame en apres masculin soubz l´escorce<br />

Po/ur/ Maintenir L´hereux sang de Bourbon<br />

5<br />

(Mond; VII, 47)<br />

Quant De Robin La traitreuse Enterprise<br />

Mettra seigneurs et en peyne ung grand prince<br />

Sceu par La fin Chef on Luy tranchera<br />

La plume au vend Advis dedans L´espagne<br />

Poste atrapé estant a la C ampagn i/.../<br />

Et L´escrivain Dans leau se Jettera<br />

6<br />

(Mars; VII, 48)<br />

Celuy qui La principaulte<br />

Tiendra par grande Cruaulte<br />

A La fin verra grand falange<br />

44


Par Coup De fer tres D angereux .<br />

Par accord pouroit f/aire/ mieux<br />

Autrem/ent/ boira suc d´orange<br />

7<br />

(Merkur; VII, 49)<br />

La Sensue au Loup se Joindra<br />

Alors qu´en Mer Le Bled on D efendra<br />

Mais Le grand Prince sans Envie<br />

Par Ambassade Leur donnera -<br />

De son Bled po/ur/ luy donner vie<br />

Po/ur/ un besoin s´en pourvoira -<br />

(Seite 76 b)<br />

8<br />

(Jupiter; VII, 50)<br />

Un peu devant L´ouver Commerce<br />

Ambassadeur viendra de P arse<br />

nouvelle au Franc pais porter<br />

Mais non receu vaine esperance -<br />

A son grand Dieu sera L´offence<br />

Feignant De le vouloir quitter<br />

9<br />

(Venus; VII, 51)<br />

Deux Estendartz Du Coste de L´auvergne<br />

Senestre pris po/ur/ un temps prison Regne<br />

Et une Dame Enfant voudra mener<br />

Au Sensuart; mais Descouvert Laffair<br />

Danger De mort murmure sur la Terre<br />

Germain Bastell, frere e/t/ soeur Prisonnier<br />

45


10<br />

(Saturn; VII, 52)<br />

Ambassadeur po/ur/ une Dame<br />

A son vaisseau mettra La Rame<br />

Po/ur/ prier Le grand Medecin<br />

Que Del´hostre De tell peyne<br />

Mais en ce sopposera Reyne<br />

Grand peine avant que voir la fin<br />

11<br />

(Sonne; VII, 53)<br />

L´aventurier six cens C inq ou neuf<br />

Sera surpris par fiel mis en un Oeuf<br />

Et peu apres sera hors De puissance<br />

Par le tres grand Empereur G / ... / nal<br />

qu´au monde nest son pareil ny Egal<br />

Dont un ch/ac/un Luy rend obeissance<br />

12<br />

(Mond; VII, 54)<br />

Nouveau Esleu patron Du grand vaisseau<br />

Verra Long temps brusli r Le Clair Flambeau<br />

qui sert De lampe a ce bas Territoire<br />

Et auquel temps armees soubz son nom<br />

Joinctes acelle De l´Heureux De Bourbon<br />

Levant Ponant /e/t Couchant sa Memoire<br />

13<br />

(Mars; VII, 55)<br />

In October six cens Cinq<br />

Pourvoieur du monstre Marin<br />

Prendra du Souverain le Cresme<br />

46


Et en six cens six en Jung<br />

Grand Joye aux Grands /e/t au Commun<br />

Grans faictz apres Le grand batesme<br />

14<br />

(Merkur; VII, 56)<br />

Au mesme temps un grand endurera -<br />

Joieux mal sain, Lan co nter ne verra<br />

Et quelques uns qui seront Dela Feste<br />

Feste po/ur/ un seullem/ent/ a ce Jour<br />

Mais peu apres sans faire Long seiour<br />

Deux se donneront L´un L´autre De La Teste<br />

15<br />

(Jupiter; VII, 57)<br />

Considerant La Triste Filomelle<br />

Qu´en pleurs /e/t cris sa peyne renouvelle<br />

Racourcissant par tel moien ses Jours -<br />

Six cens /e/t cinq ell verra Lissue<br />

De son tourmen t s a s a toilhe tissue<br />

Par son moien Senestre avra secours<br />

16<br />

(Venus; VII, 58)<br />

Six cens Cinq six cens six ou sept<br />

Nous monstrera Jusques en Lan dix sept<br />

Du boutefeu L´ire hayne /e/t Envie<br />

Soubz Lollivier assez long temps caché<br />

Le Crododril sur La Terre a C raché<br />

Ce questoit mort sera pour Lors en vie<br />

47


17<br />

(Saturn; VII, 59)<br />

Celuy qui a par plusieurs four<br />

Tenu La Cage et puis Lar B our<br />

Rentre ra en son premier estre<br />

Vie sauve peu apres sorty<br />

Ne scachant en ertes co nn or ter<br />

Cherchera subiect po/ur/ mourire.<br />

(Seitenzahl 67 gestrichen, statt dem:) 77<br />

18<br />

(Sonne; VII, 60)<br />

L´auteur Des maux commencera a regner -<br />

en Lan six cens sept sans Espargner -<br />

Tous Les subiectz qui sont a la Censue<br />

et puis apres s´en viendra peu a peu<br />

au Franc pais po/ur/ reallumer Le Feu -<br />

s´en retournant do nt elle estoit Issue<br />

19<br />

(Mond; VII, 61)<br />

Cil qui dira en D escouvrant L´affaire<br />

comme du Mort, La mort pourra bie/n/ f/aire/<br />

Coups de poignar d par un qu´a v ons Induit<br />

sa fin sera pis qu el n´aura frut faire<br />

La fin conduit Les hommes sur La Terre<br />

guette par tout tant Le Jour que la Nuict<br />

48


20<br />

(Mars; VII, 62)<br />

Quant Le Grand Nef, La proue e/t/ Gouvernail<br />

Du franc pais de son esprit vital<br />

Descueilz /e/t flotz par La Mer secour é<br />

Six cens sept ou dix Coeur assiegé<br />

Et D u reflux de son Corps affligé<br />

La vie estant sur ce mal renoveé<br />

21<br />

(Merkur; VII, 63)<br />

Le Mercurial nom De trop longue vie<br />

six cens /e/t huit et vingt grand maladie<br />

Et encor pis Danger De feu /e/t D´eau<br />

son grand Amy Lors Luy sera contraire<br />

De telz hazards se pourroit bien Distraire<br />

Mais bref Le Fer Luy fera son tombeau.<br />

22<br />

Six cens six ou six cens Neuf<br />

Un Chancellier gros comme un be ai f<br />

et viel comme un Fae nix Du Monde<br />

en ce terroir plus ne Luira<br />

Dela Nef doubly passera<br />

auc champs elises faire Ronde<br />

(Jupiter; VII, 64)<br />

23<br />

(Venus; VII, 65)<br />

Deux Freres sont De lordre ecclesiastique<br />

Dont L´un prendra po/ur/ la France la Pique<br />

Encores un Coup s y lan six cens e/t/ six<br />

Nest affligé d´une grand maladie<br />

49


Armes en main Jusques en six cens e/t/ dix<br />

Guieres plus Long ne sostendra sa vie<br />

24<br />

(Saturn; VII, 66)<br />

Lan mil six cens D ix au quatorziesme -<br />

Le viel Caron fera Pasque en Caresme -<br />

Six cens /e/t six par escript Le mettra -<br />

Le Medecin de tout cecy sestonné<br />

Au mesme temps assiné e/n/ personne -<br />

Mais po/ur/ certain L´un Deux comparoitra -<br />

25<br />

(Sonne; VII, 67)<br />

Le Griffon se peult aprester<br />

Pour al ennemy resister<br />

et renforcer bien son Armee<br />

Autrement L´eslefant viendra<br />

qui d´un abort Le surprendra<br />

Six cens e/t/ huit mer enflammé -<br />

(Nr. 26 fehlt)<br />

(Mond; VII, 68)<br />

(Mars; VII, 69)<br />

27<br />

Dans peu de Jours medecin du grand mal<br />

Et La Sensue d´ordre /e/t S ang Inegal<br />

mettront Le feu a la branche D´olive<br />

50


Poste courir d´un /e/t Dautre Coste<br />

et par tel feu Leur Empire augmenté<br />

se rallument /e/t Du Frane Finy la vie -<br />

28<br />

(Merkur; VII, 70<br />

Celuy qui a les Hazards surmonte<br />

qui Fer Feu Eau n´a iamais redouté<br />

et Du pais bien proche Du Bazacle -<br />

D´un coup de fer tout le monde estonné<br />

par Crocodril estrangement Donne<br />

Peuple ravy De voir u/ng/ tel Spectacle -<br />

(Seite 77 b)<br />

29<br />

(Jupiter; VII, 71)<br />

Vin a foison tres bon po/ur/ les gen edarmes<br />

Pleurs /e/t souspirs plaintes cris /e/t alarmes<br />

Le Ciel fera ses tonneres pleuvoir<br />

Feu Eau /e/t sang Letout mesle ensemble<br />

Le Ciel fremist /e/t le Soleil en tremble<br />

Vivant n´a beu ce quil pourra bien boir<br />

30<br />

(Venus; VII, 72)<br />

Bien peu apres sera tres grand misere<br />

Du peu de bled qui sera sur La terre<br />

Du Daufiné provence /e/t vivaretz<br />

Au vivarez est ung pauvre presage<br />

Pere Du Filz sera Antropofage<br />

Et mangeront Racine /e/t Glan des bois<br />

51


31<br />

(Saturn; VII, 73)<br />

Princes /e/t Seigneurs to/us/ se fero/n/t La Guerre<br />

Cousins Germains le Frere avec le Frere<br />

Finy Labry Del´Hereux de Bourbon<br />

En Hierusalem Les Princes tant aymables<br />

Du fait commis Enorme /e/t Execreable<br />

Se remettront sur La bourse sans fond<br />

32<br />

(Sonne; VII, 74)<br />

Dame par Mort grandement attristeé<br />

Mere /e/t Tutrice au sang qui la quitté<br />

Dames E nfans faictz Entfans orfelins<br />

Par Les Aspicz /e/t par les Crocodrilles<br />

seront surpris fortz Chasteaux e/t/ villes<br />

Dieu tout puissant Les garde Des malins<br />

(Nr. 33 fehlt)<br />

(Mond; VII, 75)<br />

34<br />

(Mars; VII, 76)<br />

La grand Rumeur qui sera par La France -<br />

Les Impuissans; voudront avoir puissance<br />

Langue Emmiellee /e/t vrais Cameleons<br />

Et boutefoeus allumeurs De Chandells<br />

Pies /e/t Gays raporteres De nouvells<br />

Dont La morsure semblera Scorpions -<br />

52


35<br />

(Merkur; VII, 77)<br />

Foible /e/t puissant seront en grand Discord<br />

Plusi/eurs/ mouront avant fi/.../ laccord<br />

Foible au puissant vainqueur se fera dire<br />

Le plus puissant au Jeune es ddera<br />

Et Le plus vieux des deux dan dera<br />

Lors que L´un Deux envahira lempire<br />

36<br />

(Jupiter; VII, 78)<br />

Par eau par fer e/t/ par Grand maladie<br />

Le pourvoieur au hazard de sa lige<br />

savra combien vault Le Quintal de bois<br />

six cens /e/t quinze ou Le dixneufiesme<br />

en gravera d´un grand prince Cinq/ieme/<br />

Limmortel nom sur Le pied De la Croix.<br />

37<br />

(Venus; VII, 79)<br />

Le Pourvoieur Du Monstre sans pareil<br />

se fera voir ainsy que Le Soleil<br />

montant LeLong La Ligne meridienne<br />

Et po/ur/suivant L´eslefant /e/t Le Loup<br />

nul Empereur ne fist iamais tel coup<br />

Et rien plus pis a ce prince nadvienne<br />

38<br />

(Saturn; VII, 80)<br />

Ce qu´en vivant le Pere n´avoit sceu -<br />

Jl acquerra ou par F er ou par Feu<br />

et combatra La Censue Irriteé<br />

53


et Jouira De son bien Paternel<br />

Et Favory du grand Dieu eternel -<br />

avra bien tost sa province heriteé -<br />

39<br />

(Sonne; VII, 81)<br />

Vaissaux galleres avec Leu/rs/ estendartz<br />

senterbattront pres du mont Gilbatard<br />

Et Lors seront Fortz Faictz a pam pelinie<br />

qui po/ur/ son bien soufrira mille maux<br />

Par Plus/ieurs/ fois souffriront des Assaux<br />

Mais a la fin unis a La Couronne -<br />

(Seite 68 gestrichen; statt dem:) 78<br />

40<br />

(Mond; VII, 82)<br />

La grand Citté ou est Le premier Hom/m/e -<br />

bien amplem/ent/ La Ville ie vo/us/ nomme -<br />

toute en alarme /e/t Le soldat aux Champs<br />

par feu /e/t eau grandement affligee<br />

Et a la fin Des Francois soulageé<br />

mais ce sera de six cens en dix ans<br />

41<br />

(Mars; VII, 83)<br />

Le petit coing province mutineé<br />

par fors chasteaux s...ts dominee<br />

Encores un coup par La Gent militaire -<br />

Dans bref seront fortem/ent/ assiegez<br />

mais ils seront d´un tresgrand soulages<br />

qui avra Fait Entree Dans Beaucaire -<br />

54


42<br />

Merkur; VII, 84<br />

La belle Roze dans La France admireé<br />

D´un tres grand Prince a la Fin desireé<br />

six cens e/t/ dix Lors naitront ces Amours<br />

Cinq ans apres sera d´un grand blesseé<br />

d´un trait d´Amour elle sera enlasseé<br />

sy a quinze ans du Carl rec oi t secours<br />

43<br />

(Jupiter; VII, 85)<br />

D´un coup de Fer tout Le monde estonné<br />

par Crocodril estraingement Donné<br />

a un bien grand parent Dela Censue<br />

Et peu apres sera un autre coup<br />

De guet a Pan commis contre Le Loup<br />

Et De telz Faitz on en verra Lissue<br />

44<br />

(Venus; VII, 86)<br />

Le pourvoieur mettra tout en Desroute<br />

Censue /e/t Loup a mon Dire mescoutte<br />

Quand Mars sera au signe du Mouton<br />

Joint a Saturne, et Saturne a La Lune<br />

Alors sera ta plus grande fortune<br />

Le Soleil Lors en Exaltation -<br />

45<br />

(Saturn; VII, 87)<br />

Le grand d´Hongrie ira Dans la Nascelle -<br />

Le nouveau nay fera Guerre nouvelle -<br />

a son voisin Le tenant assiegé<br />

55


Et Le nouveau avec son Altesse<br />

ne souffrira que par trop en le presse<br />

Durant trois ans ses gens tiendra rangez<br />

46<br />

(Sonne; VII, 88)<br />

Du viel Caron on verra Le Faenix -<br />

estre premier e/t/ dernier de ses filz -<br />

reluire en France /e/t dun ch/ac/un aymable<br />

regner Longtemps avec to/us/ les honneurs<br />

qu´ont iamais eu to/us/ ses piedcasseurs -<br />

Dont il rendra sa gloire memorable -<br />

47<br />

(Mond; VII, 89)<br />

Venus /e/t Sol Jupiter /e/t Mercure<br />

augmenteront Le genre De Nature<br />

grande alliance en France se fera -<br />

Et du Midy La Censue De Mesme<br />

Le Feu estaint par ce remede extreme -<br />

en terre Ferme L´ollive plantera<br />

48<br />

(Mars; VII, 90)<br />

Un peu de temps /e/t apres L´Angleterre<br />

par mort du Loup mis aussy bas q/ue/ Terre<br />

Verra Le Feu resister contre L´Eau<br />

s e rallumant avec telle Force<br />

Du sang humain Dessus La v i ne escorce<br />

Feste de Pain bondance de Cousteau<br />

56


49<br />

(Merkur; VII, 91)<br />

La Ville qui a en ses ans<br />

Combattu l´iniure du Temps<br />

qui de son vainqueur tient La vie -<br />

Celuy qui premier la surprist<br />

que peu a peu Francois reprit<br />

par Combatz encores affoiblye -<br />

(Seite 78 b)<br />

50<br />

(Jupiter; VII, 92)<br />

La grand Citté que n´a pain a demy<br />

Encores un coup La Sa Berthelemy<br />

Engravera au profond de son Ame<br />

Nisme, Rochelle, Geneve, mompellier<br />

Castres Lyon Mars entrant au Belier<br />

senterbattront Le tout po/ur/ une Dame<br />

51<br />

(Venus; VII, 93)<br />

Plus/ieurs/ mouront avant q/ue/ Faenix meure<br />

Jusques a six cens septante est sa demeure<br />

Passé quinze ans, vingt un trente neuf<br />

Le premier est subiect a Maladie<br />

Et Le second au Fer Danger De Vie<br />

au Feu e/t/ Leau est subiect trente neuf<br />

57


52<br />

(Saturn; VII, 94)<br />

Six cens /e/t xv une Dame mourra<br />

Et peu apres u/ng/ fort long temps plorer<br />

plus/ieurs/ pais / e/n Flandres /e/t Angleterre<br />

seront par F er /e/t par F eu affligez<br />

De Leurs voisins Longuement assiegez<br />

contraint seront De Leur Faire la guerre<br />

53<br />

(Sonne; VII, 95)<br />

Ung peu apres une tres grande Dame<br />

son Ame au Ciel /e/t son Corps soubz la Lam e<br />

De plusieurs gens regrettee sera<br />

Tous ses parens seront en grand tristesse<br />

pleurs /e/t souspirs d´une Dame e/n/ Jeunesse<br />

Et a Deux grans Le Deiul Delaissera<br />

54<br />

(Mond; VII, 96)<br />

Tost L´eslefant viendra de toutes partz<br />

Grand pourvoieur au griffon se Joindra<br />

sa Brue proche /e/t mars q/ui/ tousi/ours/ gronde<br />

Fera grand Faitz proche de terre sainte<br />

Grans estendartz sur La Terre e/t/ sur L´onde<br />

Sy la nef est e de Deux Freres enceinte<br />

55<br />

(Mars; VII, 97)<br />

Peu apres L´alliance faite -<br />

Avant que solemniser La Feste -<br />

L´empereur Le tout troublera<br />

58


Et La nouvelle marieé<br />

Au Franc pays par sort sera Lieé -<br />

Dans peu de temps apres elle moura<br />

56<br />

(Merkur; VII, 98)<br />

Sensue en peu de temps moura<br />

sa mort bon signe Donnera<br />

po/ur/ lacroissement De la France -<br />

Alliances se trameront<br />

Deux grands Royaumes se Joindront<br />

Francois avra sur tout puissance -<br />

FIN DU TIERS DES DITES PROFETIES“<br />

(Ende des <strong>Manuskript</strong>es von Vincent Aucane)<br />

(ein Platz frei)<br />

Jupiter; VII, 99<br />

(ein Platz frei)<br />

Venus; VII, 100<br />

59


7. Begründung für die vorgestellte Ordnung<br />

Innerhalb der „Prophezeiungen“ gibt es die bekannte „Lücke“ von<br />

Platz VII, 43 bis VII, 100 (dieses im Hinblick auf die Ausgabe von<br />

1568). In diese „Lücke“ passen 58 Gedichte.<br />

Die Untersuchungen in dem Buch „Die astrologische Architektur der<br />

Prophezeiungen“ haben gezeigt, dass die Zuordnung der Gedichte<br />

zu den Wochentagen – Sonntag (Sonne), Montag (Mond), Dienstag<br />

(Mars), Mittwoch (Merkur), Donnerstag (Jupiter), Freitag (Venus),<br />

Samstag (Saturn) - durch diese „Lücke“ hindurch konsequent<br />

durchgeführt wird. Teil drei der „Prophezeiungen“ - behandelt in<br />

„gastliche Körper“ - beginnt mit einer Entsprechung Saturns; in<br />

gleicher Weise begann Teil eins – in „linie purpur“ - ebenfalls mit<br />

einer Entsprechung Saturns. Teil zwei - „entfachter Raum“ - begann<br />

mit einer Entsprechung des Mars.<br />

Nach dieser Strukturierung müsste nun ein „Teil vier“ - dieser ist<br />

eigentlich, nach seinem Ort in den „Prophezeiungen“, Teil drei – bei<br />

dem Platz VII, 43 mit einer Koinzidenz des Jupiter beginnen. Man<br />

sollte hier aber noch einmal differenzieren: bedenkt man die erste<br />

Herausgabe des zweiten Teiles von 1557, so reicht dieser von IV, 54<br />

(Mars) bis zu VII, 40 (Mond). Dort fehlen so die beiden<br />

abschließenden Gedichte, die erst die posthume Gesamtausgabe<br />

von 1568 bringt, VII, 41 und VII, 42. (Und es hat sich um Umgang<br />

mit den Sechszeilern eine ziemlich unbedachte Art und Weise der<br />

Textüberlieferung aus dem näheren Umfeld des provenzalischen<br />

Sehers und Astrologen gezeigt.)<br />

60


Scheidet man alle Unsicherheiten aus, und bezieht sich alleine auf<br />

die von Nostradamus selbst dargestellten Ordnungen, würde der<br />

„dritte Abschnitt“ der „Prophezeiungen“, damit der Abschnitt der<br />

Sechszeilerm bei VII, 41 beginnen. Und diesem Ort entspräche<br />

wieder Mars. - Diese Zusammenstellung erschiene logisch, denn so<br />

begännen erster und letzter Teil mit Entsprechungen Saturns, und<br />

die beiden mittleren Teile mit Mars. -<br />

Zugleich käme es erneut zu dem bekannten Spiel mit der Zahl 6,<br />

hier in sechzig Gedichten. - Alleine schon aus diesem Grund sind die<br />

posthum eingefügten Gedichte VII, 41 und VII, 42 mit einigen<br />

Bedenklichkeiten ausgestattet. -<br />

Man bedenke auch: in der Erstherausgabe des <strong>Manuskript</strong>es von<br />

Vincent Aucane fehlen auf 60 Sechszeiler wieder sechs – dieses<br />

erscheint noch einmal als eine mögliche Anspielung auf die<br />

beziehungsreiche Zahl 6. - Und nach solchen Schlussfolgerungen<br />

scheinen gerade die fehlenden Gedichte von nicht zu<br />

unterschätzender Bedeutung. -<br />

Es sind die in dem prophetischen Werk enthaltenen Lücken wohl<br />

bewusst konstruiert und hergestellt. - Nimmt man diese Erwägungen<br />

zusammen, muss man der „schnellen Ergänzung“ der Sechszeiler<br />

auf 58 Gedichte durch Vincent Seve doppelt skeptisch gegenüber<br />

stehen: hier gehen allzu deutlich Strukturen und Hinweise verloren,<br />

die man der Gliederung bei Vincent Aucane noch ablesen kann. -<br />

Gleiches kann für jenes Gedicht gelten, das nicht von Nostradamus<br />

selbst auf seinen Platz gesetzt wurde, sprich das Gedicht VI, 100,<br />

die sogenannte „Legis cantio“. In diesem Zusammenhang<br />

thematisiert wurden bereits die Vierzeiler VII, 41 und VII, 42. Gerade<br />

bei diesen drei Gedichten muss die Publikationsgeschichte zwischen<br />

61


1557 und 1568 mit besonderer Sorgfalt nachgeprüft werden, und es<br />

würde nicht wundern, wären sie alle auszuscheiden. In der weiteren<br />

Verfolgung dieser Linie wären allen anderen Gedichte, die über die<br />

Zahl X, 100, damit die Gesamtzahl von 1000 hinausgehen, mit noch<br />

größerer kritischen Bewusstsein zu bewerten. -<br />

In dem hier entwickelten Sinne gewinnt die Erstherausgabe der<br />

„Sixains“ oder „Sechszeiler“ durch Vincent Aucane geradezu<br />

Hinweischarakter für das Verständnis der gesamten<br />

„Prophezeiungen“. Sie kann – und dieses völlig unerwartet –<br />

wesentliche Details zur Binnengliederung der „Prophezeiungen“<br />

beitragen.<br />

Wie können nun die 54 Gedichte, die Aucane überliefert, in die<br />

Lücke von 60 Gedichten zwischen VII, 41 und VII, 100 „eingepasst“<br />

werden? Mehrere Möglichkeiten sind zu bedenken: entweder es ist<br />

die Reihung ist völlig zerstört, dann erübrigte sich eine weitere<br />

Analyse – dieses erscheint aber nicht wahrscheinlich, vor allem in<br />

Anbetracht der astronomischen Umstände des Jahresanfanges von<br />

1600 die an Praxis des Nostradamus selbst erinnern kann; oder die<br />

Reihung ist teilweise zerstört, dann fände eine Analyse erhebliche<br />

Hinderungen, wäre nahezu hoffnungslos; oder drittens, und letztens:<br />

die Reihung ist erhalten – in diesem günstigen Fall, der zu erhoffen<br />

ist, bäten die Plätze der sechs fehlenden Gedichte ein vermutlich<br />

lösbares Problem.<br />

In diesem Buch wird nun der letzten Möglichkeit nach gegangen:<br />

alleine mit dieser kann sich eine weitere sinnvolle Arbeit an den<br />

Texten ergeben. Es gibt gegenwärtig keine andere Möglichkeit, als<br />

sich auf diese Annahme zu verlassen und mit der Arbeit zu<br />

beginnen. Jedoch der differente Zustand des <strong>Manuskript</strong>es von V.<br />

62


Aucane gibt Anlass, in ihm noch deutlicher die Hand des<br />

provenzalischen Arztes und Astrologen zu erkennen.<br />

Man kann nun wie folgt ansetzen, und dieses ist in der Darstellung<br />

des vorigen Kapitels bereits geschehen: mit der bisher praktizierten<br />

Einfügung des Textes der 54 Sechszeiler nach VII, 42 haben sich die<br />

fehlenden Gedichte 26. und 33. als zu VII, 68 und VII, 75 zugehörig<br />

gezeigt. - Damit wären sie gekennzeichnet – nach der bekannten<br />

durchgehenden Ordnung der Signifikationen - von einer Präsenz des<br />

Krebs (Mond): dieses erscheint wiederum als wesentlicher Hinweis<br />

auf den astrologischen Zusammenhang dieser Gedichte. Es würde<br />

in der bekannten Weise auf die hinter den Gedichte stehende Folie<br />

der (zyklischen) Gestirnkunde zeigen. -<br />

Belässt man es bei der genannten Einfügung, dann fehlen am Ende<br />

des dokumentierten Textes die Gedichte VII, 99 (Jupiter) und VII,<br />

100 (Venus). Erinnert man sich nun daran, dass die Gedichte VII, 41<br />

und VII, 42 eventuell nicht originär vorhanden waren, dann könnten<br />

nunmehr auch „vorne“ in der Reihe zwischen VII, 41 und VII, 100<br />

zwei Stellen fehlen, nämlich Gedicht VII, 41 und VII, 42. Sie wären<br />

nach der astrologischen Reihung zugehörig: das erste zu Mars, das<br />

zweite zu Merkur.<br />

Man kann nun die Kennzeichnungen der sechs fehlenden Gedichte<br />

analysieren: die sechs fehlenden Gedichte gehörten nach der<br />

entwickelten Hypothese zu Mars, Merkur, Mond, Mond, Jupiter und<br />

Venus: es fehlen damit die Entsprechungen des Mosaischen und<br />

Christlichen, Saturn und Sonne. Man gewinnt nun noch einmal<br />

bezogen auf die Inhalte der Sechszeiler Anschluss an die erwähnten<br />

Symboliken: da die besagten Zeichen fehlen, ist erneut das<br />

„Natürliche“ akzentuiert; die Zahl sechs kann sich auf den sechsten<br />

63


Wochentag, der Venus (Freitag), beziehen – und hier können sich<br />

ernuet Überbrückungen zu der Vorstellung „der Sinnlichen“ ergeben.<br />

Man kann den Eindruck gewinnen, als hätte Nostradamus in den<br />

Plätzen der fehlenden Gedichte darauf hingewiesen, es handle sich<br />

in den semantischen Horizonten der Sechszeiler um „sensuelle“,<br />

„erdachte“, und nicht um metaphysische, der Transzendenz<br />

entstammende und inspirierte.<br />

In diesem Sinne wäre es logisch, die 54 Gedichte so wie gezeigt<br />

einzufügen: auf den zweiten Teil der „Prophezeiungen“ folgen zwei<br />

freie Plätze, VII, 41 (Mars) und VII, 42 (Merkur); dann beginnen die<br />

bekannten Sechszeiler mit einer Koinzidenz des Jupiter, dann der<br />

Venus (VII, 43, VII, 44) bis zu VII, 67 (Sonne); VII, 68, mit Krebs<br />

bleibt frei, VII, 69 fährt mit Mars (!) fort, bis VII, 74 (Sonne); VII, 75<br />

(Krebs) bleibt wieder frei, danach kommt, wieder mit Mars (!)<br />

beginnend, VII, 76 usw. bis VII, 98, Merkur; und schließlich bleiben,<br />

genau wie am Anfang, bei VII, 99 (Jupiter) und VII, 100 (Venus)<br />

wieder zwei Plätze frei.<br />

„Vorne“ und „hinten“ rahmen so zwei freie Plätze die 54 Gedichte;<br />

und die Menge von 54 wird durch zwei Einschnitte in drei Teile<br />

gegliedert. Die drei Teile beginnen jeweils mit Mars. Dieses iterative<br />

Moment, das auf den roten Planeten zeigt, arbeitet die damit<br />

vorliegenden Weissagungen als auf ein martialisches Zeitalter<br />

bezogen heraus: die 8. Weltzeit, auf die sich diese Weissagungen<br />

richten können, kann ein kriegerisches - „eisernes“ - Zeitalter sein,<br />

eine unglückliche Zeit der dauernden Konflikte und der<br />

misslingenden Lösungen.<br />

Bevor dieses Kapitel abgeschlossen wird, soll noch einmal auf<br />

gravierende Lesefehler und damit einhergehende beträchtliche<br />

64


Bedeutungsunterschiede zwischen Seve und Aucane eingegangen<br />

sein.<br />

In erster Linie ist noch einmal das weit in die Irre führende „sangsue“<br />

zu erwähnen, als zentraler Begriff, und als das häufigste Substantiv.<br />

Man kann gar nicht ermessen, wie weit alleine diese falsche<br />

Einstellung des Ruders in die Irre führt.<br />

Doch die Irrtümer finden sich auch im Detail. In Nr. 21 von Aucane<br />

heisst die erste Zeile so, in Übersetzung: „der merkurialische Name<br />

von sehr langem Leben“; Seve hat statt diesem in seiner Nr. 24: „der<br />

Merkurialische von nicht sehr langem Leben“.<br />

Bei Seve findet sich in Nr. 20 „nichts wissen und nichts erkennen“;<br />

und bei Aucane, 17, steht in der gleichen Zeile „er weiß nicht Träge<br />

mitzureißen“.<br />

Bei Aucane, 29: „Der Himmel braust und die Sonne zittert“; bei Seve,<br />

32: „Der Himmel der Sonne, er bebt und zittert“.<br />

Seve 48 bringt „mit allen Ehren, die seine Vorgänger hatten“; bei<br />

Aucane liest man: „mit allen Ehren, die seine Fußbrecher hatten“<br />

(46). Die zweite Lesart erscheint alleine vom kreativen Wort und vom<br />

symbolischen Gehalt her triftiger, erinnert sich doch an den Traum<br />

des Nebukadnezzar, den der Prophet Daniel deutet.<br />

Oder bei Aucane „kommt der Elefant von allen Seiten“ (54); bei Seve<br />

„sieht der Elefant von allen Seiten“ (56).<br />

Kleinere Irrtümer sind hier gar nicht erwähnt worden, und gehen in<br />

die Dutzende.<br />

65


8. Astrologische Argumente für die<br />

vorgestellte Ordnung<br />

Der im vorigen Kapitel in der gezeigten Ordnung präsentierte Text<br />

der „Sechszeiler“ kann mehrere Begründungen aus astrologischer<br />

Sicht finden. Sie sind aus zwei historischen Zeitpunkten und ihren<br />

parallelen zyklischen Vorgängen zu entwickeln. - Im Übrigen handelt<br />

es sich dabei um eine Hypothese; sie macht die vorgestellte<br />

Ordnung mehr oder weniger wahrscheinlich. -<br />

Die vorgestellte neue Einordnung der sechszeiligen Gedichte in die<br />

„Prophezeiungen“ stützt sich auf das Gedicht Aucane, 1 oder nach<br />

der entwickelten Zuordnung zu den „Prophezeiungen“ VII, 43, und<br />

auf Aucane, 5, oder VII, 47. Bevor diese Gedichte im Detail<br />

durchgesprochen werden, soll ihre astrologische Architektur – in der<br />

auch in den drei Büchern zu den „Prophezeiungen“ vorgestellten<br />

Weise – in ihren Grundsätzen entwickelt werden. Sie werden zeigen,<br />

dass das erste Gedicht zu einer Signifikation des Jupiter passt, und<br />

das zweite zu einer Signifikation des Mondes; und darüber hinaus<br />

wird als eigentlich entscheidende Voraussetzung zur Bildung einer<br />

zusammengehörigen Menge von Weissagungen es möglich sein, die<br />

Umstände der Kennzeichnung der den Ereignissen entsprechenden<br />

zeichenhaften Herrschaft eine weitgehend ähnliche astrologische<br />

Architektur oder „Figur“ aufweisen. - So fassen die „Sechszeiler“<br />

wieder auf eine in ihren Bestandteilen wohldefinierte Gruppe<br />

astrologischen Zueinanders zusammen, und gruppieren sich auch<br />

so sinnvoll und weiterführend in die Binnenstruktur der<br />

„Prophezeiungen“ ein.<br />

66


Es folgen nun die Argumente zu beiden Gedichten und zyklischen<br />

Hintergründen.<br />

1. Beide Gedichte stehen bei Kennzeichnungen, die sich auf eine<br />

Erhöhung der Jungfrau/Virgo beziehen. „Jungfrau“ steht für die<br />

Entsprechungen „Mesopotamiens“; die jeweiligen Ereignisse<br />

verknüpfen sich wohl mit „babylonisch“ akzentuierten historischen<br />

Konfliktlagen, wie sie etwa die biblischen Schriften an einigen Orten<br />

vorstellen, vom Turm Babel zum Traum des Nebukadnezzar und zur<br />

babylonischen Gefangenschaft. Dabei wird für Michael Nostradamus<br />

„Babylon“ zur Metapher, und kann auch in anderen Weltgegenden<br />

angetroffen werden. Dafür Begründungen und Beispiele aus<br />

astrogeographischer Sicht: mehrere Städte, die in den Sechszeilern<br />

erwähnt sind oder sein können, gehören zu Virgo. Das in dieser<br />

Kategorie von Gedichten vorkommende „Jerusalem“, und dieser Ort<br />

vielleicht auch „als Stadt des ersten Menschen“; oder das vermutlich<br />

ebenso vorkommende Paris, etwa angesprochen mit „elisäischen<br />

Feldern“, den „champs elysees“. Zu Jungfrau gehören auch große<br />

Teile Südwestfrankreichs, die Pyrenäen, das Baskenland: dieses<br />

Zeichen erschien in der Ära der Begründung der Dynastie der<br />

Bourbonen, mit Heinrich IV.. Für die Zukunft bedeutsam erscheint<br />

auch der aquitanische Landesteil Frankreichs, darin Toulouse, mit<br />

Virgo, sowie das „Mesopotamien Europas am 45. Breitengrad“, in<br />

Kroatien. - Das Tierkreiszeichen Jungfrau steht für das mundane<br />

sechste Zeichen. In der Genethlialogie steht das sechste Haus für<br />

„Krankheit, Dienerschaft“. So entspricht dieses Zeichen auch der<br />

„Schwäche“, dem „Machtlosen“, Begriffen, die mehrfach in den<br />

Sechszeilern erscheinen. Zugleich kann diese Bedeutungsdimension<br />

das verwendete Symbol des „Arztes“ erklären: sollten sich die<br />

Sechszeiler auf weltumfassende „Krankheiten“ - natürlich nicht bloß<br />

67


in einem physischen, sondern auch in einem sozialen, und mehr<br />

noch in einem übertragenen und geistigen Sinn beziehen, wären<br />

temporäre Stadien, die diese maladen Zustände überwinden, in<br />

medizinisch-therapeutischen Bildern fassbar: hier kann der Arzt<br />

Nostradamus sein diagnostisches und heilkundliches Wissen<br />

einbringen. In diesem Sinne treten nach Krankheiten, auch nach<br />

großen und lang dauernden, Heilungen ein, es braucht einen<br />

„großen Arzt“, der das Richtige rät und tut, und es braucht im<br />

geistigen Sinne sogar so etwas wie einen „Heiland“, eine im<br />

höchsten Sinne Heil spendende Person, die in ihrer Begnadung<br />

„erlöstere“ menschliche Komplexionen entwickeln hilft, und diese<br />

dann, im Fortgang der Geschichte, in einer gedeihlichen Weise<br />

pflegt und erhält.<br />

2. Für beide Gedichten ist die Kennzeichnung oder der Signifikator<br />

auf dritte Ebene erhöht. Im ersten Falle erhebt Stier Krebs und Krebs<br />

Schütze; das so sehr erhöhte Zeichen (in formal Venus) hat<br />

erhebliche Ansprüche auf die Exaltation, kann diese aber nicht<br />

erreichen, denn Jungfrau hat noch ein wenig mehr an „himmlischer<br />

Zusicherung“, mit zweimal Jungfrau und einmal Zwillinge. Wäre<br />

Schütze doppelt in diesem zyklischen Profil vorhanden, könnte er<br />

sich „exaltierter“ als zweimal Jungfrau und Zwillinge erweisen. So<br />

aber hat Schütze hier – kurz nach 1555 - eine mächtige und<br />

hervorragende Aspiration. Diese ungeminderte Kennzeichnung<br />

verdient es anscheinend, an die erste Stelle der gesamten Menge<br />

der Sechszeiler zu rücken. Beide Gedichte stehen innerhalb der<br />

ersten sieben Plätzen der Kategorie, und verfügen so wohl mit über<br />

die besten Aufbauten in den Signifikationen – nach der zu den<br />

„Prophetien“ entwickelten Regel kommen in den jeweiligen Mengen<br />

die „schlechteren“ und schließlich „schlechtesten“ Kennzeichnungen<br />

68


in absteigender Reihenfolge und gegen Ende der Kategorie: die<br />

weissagenden Gedichte sind so nach sehr rationalen astrologischen<br />

Prinzipien gegliedert. - Das zweite Gedicht zeigt den Kennzeichner<br />

Krebs auch auf dritter Stufe, in einem unermüdlichen Zeichen, das<br />

unten Fische und auf mittlerer Ebene Stier antreibt. Dort „oben“,<br />

sozusagen im dritten Stock, ist das Symbol Cancer zusammen<br />

gespannt mit der Domination, und diese ist Jungfrau. Es erhält hier<br />

Jungfrau nur durch diese Zusammenspannung mit dem ungemindert<br />

erhöhten Zeichen eines unermüdlichen Aufbaues Domination: Virgo<br />

zeigt nämlich eine geminderte Erhöhung, und seine Apside wird<br />

durch zwei vereinte Erhöhungen bewirkt, eben die Erhöhung, die<br />

Jungfrau in sich selbst trägt, und jener, die ihr der mit ihr<br />

zusammengespannte Krebs mitgibt. Trotzdem Jungfrau in der<br />

Zusammenspannung mit Krebs so gut erhöht ist, „stürzt“ sie doch<br />

durch Fische in Fall und Vernichtung zugleich. Die Aussage für die<br />

so begleitete Zukunft und Zeit ist dementsprechend: hohe Kraft des<br />

Verstandes zugleich in schwerer Krankheit. - Daraus kann man<br />

allgemeine Schlüsse für das Zeichen Jungfrau ziehen: Virgo ist, da<br />

es seine Erhöhung selbst bei sich trägt, jenes Zeichen, das am<br />

ehesten in geminderten Erhöhungen dominieren kann: denn Virgo<br />

braucht nur die Zusammenspannung mit einem anderen gut<br />

erhöhten Zeichen, dann ist sie im Stande, auch in gemindertem<br />

Umfeld Herrschaft auszuüben. Damit ergeben sich aber für die<br />

Vorhersage nicht selten üble Aufbauten, die zugleich fähig sind,<br />

andere Steigerungen zu überwiegen. Es kommt eben mit Jungfrau<br />

sofort noch eine weitere Stufe der Erhöhung in einen gesteigerten<br />

Aufbau hinein. Eine Begünstigung dieser symbolischen Partei<br />

entsteht auch, weil die merkurialen Zeichen recht häufig in den<br />

Zyklen vorkommen. - Wesentlich in diesen Teilen des astrologischen<br />

Bedeutungssystems wird damit auch die Bedeutung „Schreiber“:<br />

69


dieser Begriff erscheint sogar in dem genannten Gedicht Aucane 5:<br />

es wird von einem „Schreiber“ gesprochen, der „sich ins Wasser<br />

wirft“: Wasser spiegelt das genannte Zeichen Krebs, in seiner hoch<br />

gesteigerten Weise. In diesem Korrelationen weiter argumentierend<br />

kommt man nun zu jenen eschatologischen Bedeutungshorizonten,<br />

die Nostradamus immer wieder im Bild des „Schreibers“ zu fassen<br />

sucht. Diese scheinen für ihn auch verbunden mit einem Morbus des<br />

mundanen Organismus. In dieser zeichenhaften Verquickung<br />

erkennt Michael Nostradamus problematische und miserable<br />

Komplexionen im Weltorganismus, wenn das „schreibende“ Moment<br />

– was immer auch das bedeuten kann, vom Journalismus bis zu<br />

Fantasy, vom rein Notierenden zum Philologischen – die kreative<br />

Intellektualität, die chaotische Seite der Inspiration und ihren der<br />

Seele transzendenten Ursprung überstimmt und in formelhafte<br />

Gesetzlichkeit und banale Normativität überführen will. Irgendwie<br />

scheint damit ein Moment des Vertrauens und der Zustimmung zu<br />

einem „Metaphysischen“ verloren zu gehen, etwas, was frühere<br />

Generationen mit „Glauben“ bezeichnet haben. - Doch nach der<br />

theologischen Lehre, die unsere gegenwärtige siebte Weltzeit<br />

bestimmt, mit den Gedanken Martin Luthers, liegt alleine darin die<br />

„Rechtfertigung“ des einzelnen Menschen: also eben nicht in einem<br />

Handeln, das an gesetzten moralischen Regeln sich entlang bewegt,<br />

sondern an einer inneren Haltung die dem Überwirklichen das<br />

letzten Wort geben will und muss: Kierkegaard unterscheidet so<br />

zwischen moralischer und religiöser Ethik, Kohlberg entwickelt<br />

Verwandtes in seinen Stufen des ethischen Urteils. - „Schreiben“<br />

wird so bei Nostradamus anscheinend zu einem im Rang<br />

niedrigeren Handeln als „Denken“. Es kann mechanisch und<br />

gewohnheitsmäßig geschehen; es erfordert keine höhere Tätigkeit<br />

des Gewissens, der Intentionalität, oder der Beziehung auf ein Du.<br />

70


Ein großer Teil des „Schreibens“ kann sich in den Dienst der<br />

„Verführung“ stellen, wird bloße Unterhaltung, seichte Fiktion,<br />

schwindelhafte Vorgabe einer Phantasiewelt, Ablenkung vom<br />

Wesentlichen, l´art pour l´art. - Biblisch steht man hier bei den<br />

Horizonten der „Zunge“ - im Gegensatz zu jenen des „Herzens“ -<br />

und nach den heiligen Schriften verursacht die „Zunge“ das Übel in<br />

der Welt.<br />

3. Und es gibt noch eine dritte Eigenart, die die hinter Schütze und<br />

Krebs stehenden Figuren bei Aucane/1 und Aucane/5 auszeichnet:<br />

neben dem Bezug zu Herrschaften der Jungfrau und dem Stand des<br />

Signifikators ungemindert (am Anfang der Menge) auf dritter Ebene<br />

sind alle sieben Zyklen an dem Aufbau der Kennzeichnung beteiligt.<br />

- Es sind diese Beteiligungen aller sieben Zyklen an einem<br />

astrologischen Aufbau recht seltene Zeichen: sie scheinen von<br />

einem „universalen“ Geschehen zu sprechen, und sie ziehen die so<br />

gekennzeichneten Apsiden in eine höhere Bedeutung. Anscheinend<br />

– wenn sich alle Sphären zu einen hinweisenden Bild vereinen –<br />

werden Geschehnisse für die Zukunft angezeigt, die das übliche<br />

Maß übertreffen. Solche Zeitigungen dürften dann bis ins völlig<br />

Außerordentliche gehen: Michael Nostradamus erwähnt im Text der<br />

Sechszeiler große und gefährliche Tiere, den „Wolf“, das „Krokodil“,<br />

den „Elefant“, den „Greif“, den „Phönix“, und ein Wesen der<br />

griechischen Mythologie, „Charon“, und weiter sogar noch „Monster“<br />

und auch ein „Monster ohne gleichen“. - Hier nun zu den möglichen<br />

zugehörigen astrologischen Zeichen, mit Claudios Ptolemaios: nach<br />

der „Tetrabiblos“ werden monströse Geburten durch die Hauptlichter<br />

in fallenden Häusern begleitet, wenn zugleich Spannungsaspekte<br />

zum Aszendenten bestehen, und die Übeltäter die steigenden<br />

Zeichen beherrschen. Ptolemaios rät, wenn man solche Diagnose<br />

71


stellt, dazu, sofort die vorherige Syzygie der Lichter zu untersuchen,<br />

wie sie sich zu den ersten Bild verhält; positive Zeichen wenden<br />

dann das Urteil in die andere Richtung, negative Zeichen umgekehrt.<br />

Der Grieche erwähnt in seinem Werk auch nicht menschliche<br />

Geburten, „das Geborene ist wild, tierisch, verderbenden Wesens“:<br />

hier wirken sogenannte „tierische“ Zeichen mit, Widder, Stier, Krebs,<br />

Löwe, Skorpion, Steinbock, Fische. Hier kommt man wieder jenen<br />

astrologischen Grundlagen nahe, die Michel Nostradamus für seine<br />

Metaphorisierungen von bestimmten Menschen oder<br />

überpersönlichen Gebilden verwendet. Solche Gebilde können<br />

„monströser“ ausfallen, wenn alle Zyklen an den jeweiligen<br />

astrologischen Architekturen beteiligt sind. - Im Allgemeinen können<br />

„universale“ Signifikationen auch günstige Anzeichen geben, im<br />

Sinne einer „freundlichen“ Ausbreitung eines bestimmten „Impulses“<br />

über die Sphären, und als günstiges Zusammenwirken der<br />

Semantiken hinweisend auf universale Harmonie. In dem speziellen<br />

Fall von Herrschaft der Jungfrau mündet dieser Sinn aber eher in<br />

jenen von aufkommender „Knechtschaft“ des Humanen, oder jenem<br />

von ausbreitender „Krankheit“ in den politischen Systemen und in<br />

den Alianzen und Bündnissen.<br />

72


9. Der Sechszeiler über ein „neues Kind“<br />

Jupiter<br />

1; VII, 43<br />

Neues Zeitalter; neues Bündnis<br />

Einer von der Würde eines Marquis ins Schiff gesetzt<br />

Das den Stärkeren der Beiden forttragen wird<br />

Von einem Herzog, von einem König,<br />

Galeeren in der Provence<br />

Hafen in Marseille ein Kindlein in Frankreich -<br />

Der starken Katharina rasiert man das Haupt<br />

Die letzte Zeile kann kund tun, warum dieses Gedicht erst „spät“<br />

manifestiert werden konnte: es wäre unmöglich gewesen es zu<br />

Lebzeiten der Catarina von Medici (1519 - 1589) zu veröffentlichen.<br />

Die in dem Text ziemlich unbestreitbar Angesprochene war seit 1533<br />

verheiratet mit dem späteren Heinrich II., König von Frankreich<br />

(geboren 1519; regierte von 1547 bis 1559). Die Florentinerin war<br />

die Mutter der nach ihm folgenden drei Könige von Frankreich, bis<br />

1589.<br />

Sie erlebte den Verlust ihres Mannes, und das Ende des Königtums<br />

ihrer drei Söhne: dass diese Umstände einer „Rasur“ vergleichbar<br />

sein sollten ist ein starkes und nahezu despektierliches Bild. Es hätte<br />

wohl zu ihren Lebzeiten unangemessen in ihr Handeln hineingewirkt,<br />

vor allem in ihre Politik in den religiösen Auseinandersetzungen in<br />

Frankreich. Katharina von Medici trägt wohl keine geringe<br />

73


Verantwortung für die Ereignisse der Bartholomäusnacht: und auch<br />

in diese Richtung bringt die Metapher der Rasur Bewertungen in<br />

Richtung „Kriminalität“ und Bestrafung für Vergehen.<br />

Wie sollte Nostradamus ihr vorhersagen, dass trotz der Herrschaft<br />

ihrer Familienmitglieder ein „Stärkerer“ kommen werde, das<br />

französische Staatsschiff übernehmen werde? Zugleich benennt er<br />

den künftigen Machthaber sogar, als einen „Marquis“, damit einen<br />

hochrangigen Grafen aus den Grenzbezirken des Reiches, den<br />

„Marken“: und dieses konnte zu Katharinas Zeiten nur Heinrich von<br />

Navarra bedeuten. Der künftige Heinrich IV., (regiert ab 1589), war<br />

verheiratet mit Margarete, ebenfalls einer Tochter Katharinas, das<br />

älteste Kind aus der Ehe. Dieses Staatsschiff, ein kleiner „Nachen“,<br />

entfernt sich hier von einem „Herzog“ - dem üblichen Rang in der<br />

Königsnachfolge – und von einem „König“: allerdings ist die Aussage<br />

hochgradig indifferent, und wäre sicherlich vor dem Ereignis kam zu<br />

deuten gewesen. Die beiden Ränge „Herzog“ und „König“ treffen für<br />

den Vater und seine drei Söhne nacheinander zu.<br />

Doch die weitere Entwicklung geschieht schließlich nicht in dieser<br />

Reihe: jemand „kommt ans Ruder“, aus anderem Status, aus<br />

unerwarteter Position. In Margarete und Heinrich, und in ihrem<br />

neuen Haus, scheint der französischen Monarchie ein neues „Kind“<br />

geboren. - Allerdings bleibt die Ehe kinderlos, und es folgt weiter auf<br />

Heinrich IV. Ein Sohn aus seiner zweiten Ehe. -<br />

Zwischen diesen Ausführungen ist nun noch ein Hinweis auf die<br />

Lebensgeschichte Katherinas eingeschoben: es kommt eine<br />

„Galeere“ in die „Provence“, legt im „Hafen von Marseille“ an. Es<br />

handelt sich wohl um die Brautfahrt Katharinas von Florenz nach<br />

Frankreich, ihre Ankunft in Marseille. Dieses dürfte im Jahr 1533 das<br />

74


Ereignis des Jahres in Frankreich gewesen sein, und besonders in<br />

der Provence.<br />

Mit dem Begriff „Galeere“ entwirft Nostradamus ein Gegenbild zum<br />

„Nachen“, zum „Kahn“, oder zur „Nussschale“: es ist ein Schiff nach<br />

Frankreich gekommen, in dem Menschen geknechtet sind. Ruderer<br />

bewegen dieses Schiff vorwärts, eine Versammlung von Menschen<br />

aus prekären Lebenslagen. Das ist ein bedenklicher symbolischer<br />

Inhalt, und Katharina hätte diesen wohl verstanden: es ist zugleich<br />

ein Urteil des Sehers über ihre Art, in der Regierung mitzuwirken und<br />

Frankreichs Schicksal zu gestalten. Nostradamus vermisst in ihren<br />

Bestrebungen Freiheit; ihre Staatsauffassung neigt für ihn einem<br />

„Sklaventum“ zu; ihre ständischen Forderungen ermöglichen einem<br />

kleinen Teil von Privilegierten ein luxuriöses Leben auf den Decks<br />

der Kapitäne – dafür müssen aber unten auf vielen Ebenen<br />

„Ruderer“ schuften, deren Arbeit so schwer ist, dass man sie<br />

ankettet, dort werden Menschen „verbraucht“. Nostradamus gibt hier<br />

einen Hinweis auf die zu fordernde Ethik der Herrschenden, ein ganz<br />

ungewöhnliches Unterfangen in einer Weissagung, ein<br />

hochpolitischer Inhalt, ganz in modernem Sinn.<br />

Es gibt wohl kein Gedicht des französischen Sehers, das so<br />

eindeutig politische Stellung nimmt: und zwar gegen eine Person,<br />

die ihm scheinbar äußerst gewogen war, und der er eine Menge<br />

seiner Reputation verdankte. Katharina von Medici war nach gut<br />

dokumentierten Berichten nicht wenig für Michel Nostradamus<br />

eingenommen – er aber scheint ihr sehr allgemeine Vorhersagen<br />

gegeben zu haben, und sparte sich ein abschließendes und recht<br />

heftiges Urteil für eine posthume Veröffentlichung auf.<br />

Nun die zyklischen Ereignisse der Ära von 1557 bis 1574, der dieses<br />

75


Gedicht Aucane/1 vermutlich zuzuordnen ist. Die gesuchte<br />

jovialistische Kennzeichnung findet sich im Venuszyklus, im Jahr<br />

1558, und richtet sich voraus auf die Exaltation der Jungfrau.<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1555:<br />

1542:<br />

1555:<br />

1553/1554:<br />

1550:<br />

1552/1553:<br />

Stier<br />

Wasser<br />

mann<br />

Krebs<br />

Widder/<br />

Wasser<br />

mann<br />

1557:<br />

Löwe<br />

Widder<br />

Widder/Waage<br />

1558:<br />

Schütze<br />

1559/1560:<br />

Zwillinge/<br />

Steinbock<br />

1565: Zwillinge/<br />

1565:<br />

Skorpion/<br />

1566:<br />

Jungfrau<br />

1566: /Jungfrau<br />

1566:<br />

/Widder<br />

1572/1573:<br />

76


Widder/<br />

Steinbock<br />

1574:<br />

Steinbock<br />

Die Erhöhung steht im temporären Querschnitt zwischen 1566 und<br />

1572, in formal Venus und formal Merkur.<br />

Der Architektur der Signifikation die sich auf diese Apside von Virgo<br />

richtet sieht so aus:<br />

Venuszyklus 1558:<br />

Schütze<br />

Saturnrevolution<br />

1555: Krebs<br />

Marszyklus 1557:<br />

Löwe<br />

Saturnrevolution<br />

1555: Stier<br />

Merkurzyklus<br />

1552/1553:<br />

Widder/Waage<br />

Jupiterrevolution<br />

77


1553/1554:<br />

Widder/Wassermann<br />

Mondzyklus 1542:<br />

Wassermann<br />

Schütze steht auf dritter Ebene. Seine Aspiration auf die<br />

zeichenhafte Domination ist hoch, Sagittaius erreicht nahezu<br />

Erhöhung. Doch Jungfrau steht auf gleicher Höhe doppelt und hat<br />

zugleich noch Zwillinge bei sich: und so fällt die Apside an das<br />

merkurialische Zeichen.<br />

Schütze wird erhoben durch Krebs. Diesem beigezogen wird Löwe:<br />

Löwe hat hier eine geminderte Erhöhung; Leo ist mitgenommen<br />

durch Krebs, auch durch zweimal Widder gesteigert: aber Widder<br />

liegt jedes mal unter die Sonne verdunkelnden Zeichen, Waage und<br />

Wassermann (in formal Merkur und formal Jupiter). Dieses sagt für<br />

den Fürsten ein mittleres Gutes vorher, allerdings nur bis 1559, dann<br />

verstärken sich die verfinsternden Momente.<br />

„Unten“ steht eine „Allianz“ vieler ungewöhnlicher Zeichen: formal<br />

Mond verbindet sich mit formal Jupiter, formal Sonne und formal<br />

Merkur: eine starke Betonung des Weiblichen tritt ein. Dieses kann<br />

sich auf Katharina beziehen: „Florenz“ gehört zu Widder, die<br />

„Provence“ zu Löwe, „Marseille“ ebenfalls zu Widder.<br />

Es vereinen sich sämtliche Anzeigen zu einer kennzeichnenden<br />

Figur. Diese wird 1559/1560 durch Widder/Steinbock auf der<br />

obersten der drei Ebenen – einem „Kopf“ entsprechend -<br />

„beschnitten“: Schütze gerät in Vernichtung und Fall. Das Weibliche<br />

78


verhärtet.<br />

Die merkurialischen Zeichen, allen voran Jungfrau, sind in diesem<br />

Marszyklus wie folgt gekennzeichnet:<br />

„vergangen“<br />

„zukünftig“<br />

Saturn:<br />

Krebs Jungfrau Wassermann<br />

Jupiter:<br />

Jungfrau<br />

Wassermann/<br />

Zwillinge<br />

Widder/Wassermann<br />

Venus:<br />

Schütze Jungfrau Zwillinge<br />

Merkur:<br />

Widder/Waage Zwillinge/Steinbock Zwillinge/Jungfrau<br />

Merkur:<br />

Zwillinge/Steinbock Zwillinge/Jungfrau Widder/Steinbock<br />

Merkur:<br />

Widder/Steinbock Zwillinge/Löwe Fische/Skorpion<br />

79


es fällt auf, wie häufig hier inhaltlich Merkur durch inhaltlich Merkur<br />

signifiziert wird. Und die Kennzeichnungen richten sich weit in die<br />

Vergangenheit und weit in die Zukunft. Sie beziehen z. B. die<br />

nächste Ära, in der eine Initiation geschieht, mit ein: dort findet sich<br />

die Kombination Zwillinge/Löwe zur Apside erhoben und kündigt den<br />

Beginn des britischen Empires an.<br />

Der deutlichste Bezug zur aktuellen Anzeige von Virgo geschieht in<br />

formal Venus, mit Schütze und Zwillinge. Diese Kennzeichnung<br />

vernichtet sich gegenseitig. Die Vorbedeutung ist dementsprechend.<br />

Jene zweiten Ranges geschieht in formal Merkur: dort aber weisen<br />

1560 (Steinbock) und 1572/1573 Widder/Steinbock auf eine<br />

Erhöhung des Mars, die sich „zertrümmernd“ in „Paris“/Jungfrau<br />

konzentriert: die Bartholomäusnacht (1572).<br />

Michel Nostradamus sieht jedoch in seinem Gedicht weiter: er<br />

erkennt wohl Fortsetzungen dieses Zeichens Virgo ab 1584 in formal<br />

Saturn: dort mündet Jungfrau in eine Exaltation Saturns in formal<br />

Saturn, die „stärker“ als der Jungfrau in formal Venus einzuschätzen<br />

ist, und die ab dem Marszyklus 1589 beginnt.<br />

Er fokussiert deutlicher auf das kommende Haus „Bourbon“.<br />

Überhaupt scheint der Seher in diesen Gedichten der „Sixains“<br />

zuweilen auch den größeren Überblick zu pflegen: vermutlich sind<br />

immer wieder Hinweise eingestreut, wie den zeitlichen Rahmen der<br />

Adaptation überspringen.<br />

80


10. Der Sechszeiler über die französische<br />

Revolution<br />

Mond<br />

5; VII, 47<br />

Wenn das verräterische Unternehmen des Robin<br />

Herren und einen großen Fürsten in Qual stürzt<br />

Bekannt der Ausgang das Haupt wird man ihm abschneiden<br />

Die Feder zu verkaufen Rat in Spanien<br />

Ein gefangener Posten bleibt in der Gesellschaft<br />

Und der Schreiber wird sich ins Wasser werfen<br />

Mehrere Gründe sprechen für eine Zuordnung zu der Zeit der<br />

französischen Revolution: 1. der Anklang von „Robin“ an den Namen<br />

Robespierre; „robin“ bedeutet frz. einen „Rechtsmann“, einen Träger<br />

der Robe – Robespierre war von Beruf Rechtsanwalt; 2. die „Qual<br />

der Herren und des Fürsten“, die Privilegien des herrschenden Adels<br />

wurden beseitigt, es entstand eine neue Ordnung der Gesellschaft;<br />

3. die Ermordung von Ludwig XVI. auf der Guillotine, ein<br />

„Abschneiden des Hauptes“; 4. die zyklischen Mitteilungen, mit<br />

einem exaltierten Zeichen Jungfrau, unterbaut von dynamischen<br />

„wässerigen“ Symbolen; auch die Bedeutung „Feder“ weist in die<br />

Konnotationsräume eines „Schreibers“ - und Nostradamus<br />

beschreibt andernorts (Prosaprophezeiungen der zweiten Vorrede<br />

der „Prophezeiungen“ an Heinrich) das Vorfeld der Revolution als<br />

„Wiedereinsetzung des Schreibers“. Wie die zeichenhafte Lage<br />

81


zeigen wird, „schwimmt“ das Erdzeichen Virgo in der fraglichen Zeit<br />

„zusammen“ mit stark erhöhtem Krebs.<br />

Die vierte Zeile ist rätselhaft, vor allem ein möglicher „Rat in<br />

Spanien“. Jedoch ist auch weitgehend offen, was ein „Verkauf der<br />

Feder“ hier bedeuten mag. Eine Erklärung kann sich im<br />

Zusammenhang der zweitenZeilenhälfte anbieten.<br />

Auch die fünfte Zeile bleibt indifferent, und gibt einen eventuellen<br />

Hinweis auf die Möglichkeit eines Verbleibens der ständischen<br />

Struktur auf einem Posten, in „Campagni“; dieses Wort hat mehrere<br />

Horizonte, in die es weisen kann, im Sinne des Sozialen, im Sinne<br />

des Geographischen. Es kann sein, dass auf der mir zur Verfügung<br />

stehenden Kopie hier ein Buchstabe abgeschnitten ist; doch auch<br />

die stärkste Vergrößerung in der am Beginn dieser Untersuchung<br />

genannten Datei (www.propheties.it - „Repertoire chronologique<br />

Nostradamus 1600 – 1649 1600-003 Nostradamus Sixtain de Michel<br />

Nostradamus“) ergibt kein besseres Ergebnis.<br />

Hier nun die fragliche Ära der Adaptation des Textes:<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1732:<br />

1606:<br />

1761: Stier 1767:<br />

1702:<br />

1776/1777:<br />

Krebs<br />

Jungfrau<br />

Zwillinge<br />

1779:<br />

Löwe<br />

Stier/Wassermann<br />

Zwillinge<br />

1779:<br />

Fische<br />

82


1782/1783:<br />

Krebs/Jungfrau<br />

1789/1790:<br />

Stier/Schütze<br />

1790:<br />

Krebs/<br />

1791:<br />

/Steinbock<br />

1790: Stier/<br />

1791:<br />

Schütze<br />

1793:<br />

Steinbock<br />

1794:<br />

Widder<br />

In dem Marszyklus von 1779 bis 1794 erscheint die Domination von<br />

Virgo in formal Merkur und formal Mond; hinzugezogen wird Gemini<br />

in formal Mars. Bedeutet wird eine große „Kraft“ des Volkes, in der<br />

Zeit von 1782 bis 1789; „unter“ der Präsenz von Virgo „wirbeln<br />

Wasserfluten“. Ein weiterer zu berücksichtigender<br />

Bedeutungsaspekt ist in der „Konjunktion“ von Merkur und Mond zu<br />

sehen: solche, als Signifikator eines Berufes, geht in Richtung<br />

„Schriftsteller, Schreiber“. Käme Venus hinzu, oder in günstigem<br />

Aspekt, wäre eher an einen bildenden Künstler zu denken, „Maler“:<br />

83


Venus ist hier aber – zyklisch gesehen – nicht verbunden mit dem<br />

Zeichen. Es fällt aber eine Opposition zu Jupiter auf – oder Jupiter<br />

steht an „unterirdischem Ort“, in der Himmelsmitte (Fische).<br />

Die Architektur der Signifikation mit dem Symbol Krebs sieht so aus:<br />

Sonne: Krebs<br />

Merkur: Krebs/(später<br />

Jungfrau)<br />

Venus: Löwe<br />

(später Mond:<br />

Jungfrau; Mars:<br />

Zwillinge)<br />

Saturn: Stier<br />

Jupiter: Fische<br />

im Aufbau der Signifikation „wirken“ an ihrem Ort 1792 fünf Zyklen<br />

zusammen. Durch die Zusammenspannung der Kennzeichnung mit<br />

der Exaltation ergibt sich dann das universale, „allumfassende“ Bild.<br />

Dieses scheint für die Sechszeiler und ihre astrologischen<br />

84


Hintergründe typisch.<br />

Man bedenke hier aber die Einbeziehung von formal Sonne mit<br />

Löwe in das recht niedrigrangige Zeichen (Sphären Mond, Merkur).<br />

Es scheint in der Kombination „Volksherrschaft“ bedeutet.<br />

Ob es ein Zufall sein kann, dass auch in dem zweiten deutbaren<br />

Gedicht der „Sechszeiler“ eine Exaltation der Jungfrau<br />

angesprochen wird, sollte ausführlich diskutiert werden. - Ein<br />

Argument könnte sein, den Begriff „Censue, Sensue, Censuart(s)“<br />

im Zusammenhang von Virgo zu überlegen: dabei wäre zu<br />

erwähnen, dass Jungfrau zu den Erdzeichen gehört. Damit ist dieses<br />

Symbol dem niedrigrangigsten Element verbunden; über dieses<br />

Signum herrscht bei Tag die Venus, bei Nacht der Mond: beide<br />

analoge Präsenzen sprechen erneut für niedrige Sphären, und<br />

gerade sie können das „sinnenhafte“ Moment akzentuieren. In<br />

diesem Sinne herrschte über den astrologischen Hintergrund des<br />

Zeichens für Katharina von Medici – das das Gedicht Aucane/1<br />

nutzte – das Symbol Mond: Stier, die Präsenz der Sonne zu dieser<br />

Zeit, rückt bei Jungfrau in der Himmelsmitte in das sechste Haus,<br />

und steht unter dem Horizont: es ist Nacht, über Jungfrau herrscht<br />

damit Mond. Der aktuelle Mond ist zur Zeit der Mitte des 16.<br />

Jahrhunderts in Wassermann, in 3., und ist nicht verbunden mit 10.,<br />

„steht fremd“ für das dominierende Zeichen, und im Quadrat zu<br />

Sonne in 6.. Ein Spannungsaspekt liegt in den Anzeigen der beiden<br />

Lichter, und Saturn steht in 8., im Krebs – schwerwiegendes Bild für<br />

Frankreich und andere saturnine Staaten.<br />

Überlegt man nun den gleichen Gedankengang für die temporäre<br />

Umgebung des Robespierre, ermittelt man eine Herrschaft der<br />

Venus für Jungfrau in 10.. Es ist „Tag“, die Sonne in Krebs „steht“ in<br />

85


8. - nahezu am übelsten Ort des „Tages“, es bereitet sich ihr<br />

Untergang vor. Venus, Dominatorin von Virgo, „steht“ zu dieser Zeit<br />

in 9., ebenfalls nahe der Himmelsmitte, aber wieder unverbunden mit<br />

dem dominierenden Zeichen. Venus in 9. hat keine Verbindung zu<br />

Mond in 10. und zu Sonne in 8. - dieses ist ein Zeichen, das auf<br />

„Monster“ weisen kann; allerdings steht Jupiter in Fische (4.) im<br />

Trigon zu Sonne, wenn auch in Opposition zu Mond. Wäre nicht<br />

dieser Trigonalaspekt, wäre hier ein „Monster“ zu sehen, die<br />

Vorbedeutung wäre noch übler: die „gute Stellung“ des Jupiter<br />

verhindert dieses hier aber noch einmal.<br />

Trotzdem ist die Anzeige recht bedenklich, im Sinne des<br />

astrologischen Systems, das Michel Nostradamus seiner<br />

Gesellschaftsordnung und seinen Erkenntnissen auf den Leib<br />

geschneidert hat: er wendet anscheinend die Erkenntnisse der alten<br />

Astrologie durchgehend konsequent auf seine zyklischen<br />

Ermittlungen an. Und erneut muss man sich wundern, zu welchen<br />

konkreten politischen Aussagen Michael Nostradamus damit<br />

kommen kann, lange vor der Zeit, über die er weissagt: die<br />

Enographie ist ihm ein Schlüssel zu direkten Urteilen, und er vertraut<br />

dabei anscheinend den Vorgaben der Gestirnkunde weitgehend.<br />

Diese Vorstellungen kann man nun auch einbeziehen in die Lehre<br />

von den Kennzeichnungen:<br />

„vergangen“<br />

Präsenz der<br />

Domination<br />

„zukünftig“<br />

86


1574, Mond:<br />

Skorpion<br />

1606, Mond:<br />

Jungfrau<br />

1841, Mond: Widder<br />

1755, Jupiter: Krebs 1767, Jupiter:<br />

Zwillinge<br />

1779, Jupiter: Fische<br />

1762, Mars:<br />

Wassermann<br />

1779, Mars: Zwillinge 1794, Mars: Widder<br />

1776/1777, Merkur:<br />

Stier/Wassermann<br />

1782/1783, Merkur:<br />

Krebs/Jungfrau<br />

1789/1790, Merkur:<br />

Stier/Schütze<br />

Vor allem die martialische Präsenzen in formal Mond erschrecken:<br />

es ist dieses bei weitem der „kräftigste“ Zyklus. - An dieser Stelle<br />

kann man anfügen, das Mars über die wässerige Triplizität herrscht.<br />

- Es gibt aber auch in den anderen Anzeigen sehr viele Widrigkeiten<br />

untereinander.<br />

87


11. Der Sechszeiler über „die Lilie“ und einen<br />

neuen Embryo<br />

Sonne<br />

4; VII, 46<br />

Von der vornehmen Lilie entsteht ein so großer Fürst<br />

Sehr bald und spät gekommen in seine Provinz<br />

Saturn in der Waage; in Exaltation.<br />

Haus der Venus in abnehmender Stärke<br />

Die Dame hat dann einen Knaben unter der Haut<br />

Um das glückliche Blut der Bourbonen zu erhalten<br />

Hier wird erneut die grundsätzliche Polarität aufgegriffen, gefasst in<br />

anderen Bildern, in der „Lilie“, und in einem „Haus der Venus“. Eine<br />

Weiterführung der „Lilie“ deutet sich zudem in den letzten beiden<br />

Zeilen an: es kommt in der Zukunft ein „Knabe“, aber er ist noch im<br />

Mutterleib der „Dame“. Letzteres bedeutet, es wäre mit seiner<br />

Ankunft erst nach einer Zeit der Schwangerschaft zu rechnen. Doch<br />

es handelt sich um die Fortführung des Hauses „Bourbon“. Faktisch<br />

gab es im Übergang zwischen Ludwig XIV. und Ludwig XV. einige<br />

Brüche, durch unerwartete Todesfälle, und den Eintritt einer<br />

Regentschaft, bis Ludwig XV. Die Herrschaft antreten konnte.<br />

Interessant ist nun, dass „Lilie“, „Dame“ und „Bourbon“ für einen<br />

Zusammenhang, und wohl ein „fürstliches“ Haus stehen.<br />

Man kann hier auch weiter nachdenken über das „Haus der Venus“.<br />

Im vorigen Kapitel wurde entwickelt, Venus herrsche bei Tag über<br />

88


Jungfrau: und Venus stehe im engsten Zusammenhang mit dem<br />

„Sinnenhaften, Sinnlichen“. Im Gedicht Aucane/41 spricht<br />

Nostradamus davon „Venus und die Sonne Jupiter und Merkur/<br />

vermehren den Stamm der Natur“: dieses kann in die astrologischen<br />

Hintergründe dieser Bedeutungen weiter hinein führen. Der<br />

provenzalische Arzt und Astrologe unterscheidet zwischen<br />

Deszendenzen aus der Sicht der Gestirnkunde. Zeichenhafte<br />

Architekturen können einerseits eben „sinnenhaft, libidinös“, die<br />

anderen aber „vornehm, edel“ sein. So verfügen die einen über<br />

vitale Kraft und irdische Potenz – die anderen stützen sich auf<br />

metaphysische Wurzeln und geistige Sublimität.<br />

Zu diesen Antithetiken gehört auf der einen Seite die „Lilie“ der<br />

französischen Monarchie, auf der anderen Seite ein „Haus der<br />

Venus“. Michael Nostradamus kündigt im mehr oder weniger losen<br />

Zusammenhang mit dem Hinweis auf einen „erhöhten Saturn“ an, es<br />

werde das Haus der Bourbonen weiter gehen, in einem<br />

überragenden Exponenten, und auf diesen folge ein weiterer<br />

„Embryo“. Erhöhter Saturn bedeutet Steigerung der höchsten<br />

Sphären, damit Möglichkeit der Realisierung „hoher“ Inhalte. Und<br />

hier findet diese Realisation auch unter einer Kennzeichnung der<br />

inhaltlichen Sonne statt: es geht um hohes saturnines/solarisches<br />

Licht: und dieses ist bei Nostradamus das Charakteristikum des<br />

Christlichen, und, in seinen Worten, der „allerchristlichsten<br />

Monarchen“.<br />

Es wird hier deutlich, dass die Sechszeiler keineswegs nur<br />

„apokalyptische“ Vorstellungen bedienen, wie überhaupt das<br />

gesamte Werk des Nostradamus: auch in der fernen Zukunft wird es<br />

immer wieder wesentliche Unterbrechungen der „Mächte des<br />

Sinnlichen“ geben, und es werden andere Aspekte und abstraktere<br />

89


Wirklichkeiten überwiegen können. Gerade so, wie es der Text<br />

dieses Gedichtes entwirft.<br />

Es soll nun dieser Sechszeiler an Zeiten angepasst werden, in<br />

denen in der Saturnrevolution Waage erscheint; andere, und zwar<br />

inhaltliche Darstellungen Saturns, werden hier übergangen, denn<br />

dann ergeben sich sehr viele Möglichkeiten. Der Saturnzyklus mit<br />

Anzeige Waage kommt in überschaubarer Zahl vor, und erleichtert<br />

eine zeitliche Einordnung.<br />

Es ergeben sich damit Hinweise auf die Ära von 2251 bis 2268; dort<br />

ist zudem zu berücksichtigen, dass dieses Gedicht an diesen<br />

temporären Ort zwar anzupassen ist, die angesprochenen<br />

Ereignisse aber erst „später“ zu Tage treten werden, in einem<br />

„Knaben“ der christlichen Monarchie.<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1792:<br />

2204:<br />

2231/2232:<br />

2241:<br />

2204:<br />

2249/2250:<br />

Löwe<br />

Skorpion<br />

Waage/<br />

Löwe<br />

Steinbock<br />

2251:<br />

Widder<br />

Zwillinge<br />

Skorpion/<br />

Waage/<br />

2251:<br />

/Zwillinge<br />

2253:<br />

Skorpion<br />

90


2256/2257:<br />

Jungfrau/<br />

Wassermann<br />

2261:<br />

Waage<br />

2263/2364:<br />

Löwe/Stier<br />

2265:<br />

Jungfrau<br />

2268:<br />

Wassermann<br />

Nun befriedigt die Kennzeichnung Löwe/2263 nicht: Löwe steht bloß<br />

auf zweiter Ebene, und bezieht sich nur indirekt auf Jungfrau.<br />

Zugleich ist die Exaltation hier Zwillinge.<br />

Es ist aber nach Löwe auf dritter Ebene zu suchen, möglichst mit<br />

Einbeziehung vieler Zyklen, am besten aller. Nun erinnert man sich<br />

an mehrere solarische Signifikationen von dominierender Jungfrau in<br />

dem ersten Jahrhundert des britischen Empire, in der Ära 1636 bis<br />

1653 und 1700 bis 1715. Und in der ersten Zeit gibt es sogar den<br />

91


gesuchten „Stand“ Saturns in der Waage. Hier nun die Zyklen für<br />

den Marszyklus 1636 bis 1653:<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1614:<br />

1606:<br />

1613/1614:<br />

1624/1625:<br />

1630:<br />

1631/1632:<br />

Wassermann<br />

Jungfrau<br />

Löwe/<br />

Waage<br />

Zwillinge/<br />

Schütze<br />

1636:<br />

Skorpion<br />

Waage<br />

Widder/<br />

Skorpion<br />

1636/1637:<br />

Jungfrau/<br />

Löwe<br />

1638:<br />

Löwe<br />

1638/1639:<br />

Zwillinge/<br />

Wassermann<br />

1643:<br />

Schütze<br />

1644/1645:<br />

Zwillinge/<br />

Jungfrau<br />

1646:<br />

92


Zwillinge<br />

1648/1649:<br />

Stier/Löwe<br />

1651/1652:<br />

Stier/Steinbock<br />

1653:<br />

Steinbock<br />

Die in Frage kommende Kennzeichnung ist fett hervorgehoben: sie<br />

richtet sich rückwärts auf die Erhöhung der Jungfrau.<br />

Die Erhöhung der Kennzeichnung geht 1637 drei Stufen, mit Widder<br />

und Jungfrau. Zugleich ist diese Kennzeichnung von zwei<br />

verdunkelnden Element betroffen, Wassermann und Waage; jedoch<br />

sind alle Zeichen einbezogen, und die Anzeige für Löwe in formal<br />

Jupiter (!) und formal Saturn (!) wird ziemlich bedeutend. Es könnte<br />

sich dieses Gedicht auf diesen Zeitpunkt beziehen.<br />

Für diesen zeitlichen Ort wäre Ludwig XIV. zu nennen: er wird ein<br />

Jahr nach dieser Kennzeichnung im Jahr 1638 geboren. Das genaue<br />

Geburtsdatum ist der 5. September; eine Anpassung wäre möglich<br />

auf den 19. 7. 1637 (Beginn der Jupiterrevolution mit Koinzidenz<br />

Löwe).<br />

Es ist nun offen, ob sich die in dem Gedicht erwähnte<br />

93


Schwangerschaft bereits für Ludwig XIV. oder erst „nach“ ihm vür<br />

Ludwig XV. Gilt. Den späteren Zeitpunkt könnte die doch auffallende<br />

Formulierung „unter der Haut“ in der fünften Zeile des Gedichtes<br />

erklären. Doch auch Ludwig XIV. kam „spät“, denn die Ehe seiner<br />

Eltern stand bei seiner Zeugung bereits im 23. Jahr; und er kam<br />

„früh“, denn bereits im Alter von fünf Jahren bestieg er den Thron.<br />

Ist nun auch das seherische Wort: „Das Haus der Venus in<br />

abnehmender Stärke“ für diese Zeit nachweisbar? Oder bedeutet<br />

der Satz zuerst ganz allgemein eine kommende Domination eines<br />

„großen“ saturninen „Fürsten“, und damit eine Zeit, in der die<br />

„sinnlichen“ Moment schwächer sind? Immerhin ist auffallend, dass<br />

die hohe Zeit Ludwigs, entsprechend der Ära 1668 bis 1685, mit<br />

einer Exaltation des Wassermann in formal Venus und formal Sonne<br />

zu beschreiben ist: und auf dieses Zeichen hin zeigen einige<br />

vorausgehende und folgende Signifikationen, vor allem der<br />

kommenden Ära, der Ära von 1653 bis 1668.<br />

Sie seien hier zusammengestellt:<br />

„vergangen“<br />

Präsenz der<br />

Domination<br />

„zukünftig“<br />

Sonne, Stier, 1555<br />

Sonne, Wassermann,<br />

1614<br />

Sonne, Waage, 1673<br />

Saturn, Schütze,<br />

1643<br />

Saturn,<br />

Stier/Steinbock,<br />

Saturn, Fische, 1702<br />

94


1672/1673<br />

Jupiter, Fische, 1660<br />

Jupiter, Steinbock,<br />

1672<br />

Jupiter, Skorpion,<br />

1684<br />

Mars, Steinbock,<br />

1653<br />

Mars, 1668,<br />

Steinbock<br />

Mars, 1685, Skorpion<br />

Venus, 1662, Widder Venus, 1670,<br />

Wassermann<br />

Venus, 1678,<br />

Steinbock<br />

Merkur, 1677/1678,<br />

Stier/Skorpion<br />

Merkur, 1684/1685,<br />

Zwillinge/<br />

Wassermann<br />

Merkur, 1690/1691,<br />

Zwillinge/Jungfrau<br />

solche Kennzeichnungen sind selten. Viele Zeichen verhalten sich<br />

erhöhend zueinander. Ausgespart von der Signifikation bleibt allein<br />

die Koinzidenz des Mondzyklus, Jungfrau.<br />

Mit der vorgestellten Interpretation würde Nostradamus vom Ort der<br />

Anpassung, 1637, drei Ären vorausgreifen, und den künftigen<br />

„Fürsten“ charakterisieren. Dieser selbst würde nahe des Ortes der<br />

Anpassung geboren. Dort haben die Lichter intensive Beziehungen<br />

(Konjunktion, Trigon) zu den Wohltätern: damit ist Monstrosität und<br />

Perversion vermieden, das Gegenteil angezeigt, vielleicht ein<br />

„Wunderkind“. Und eventuell geht die Vorhersage sogar noch bis ins<br />

18. Jahrhundert: denn dann wird erst Ludwig XV. Geboren, und erst<br />

dann können historische Bedingungen eintreten, die als ein<br />

„Abnehmen des Hauses der Venus“ interpretiert werden können.<br />

95


Zu diesem Abnehmen kann man aus den Koinzidenzen ablesen: in<br />

der Saturnrevolution 1672/1673 ergibt sich die Anzeige<br />

Stier/Steinbock. Dieses kann eine „Unterdrückung“ der<br />

Entsprechungen des Stier andeuten; zeitlich nicht unfern steht im<br />

Merkurzyklus 1677/1678 Stier/Skorpion, eine erneute Anzeige von<br />

erheblicher Widrigkeit und „Verdrängung“ von Stier. Danach folgen<br />

1685 bis 1700 und 1700 bis 1715 zwei Dominationen der Jungfrau,<br />

erneute Widrigkeiten für die venerischen Zeichen. Es erscheint auch<br />

noch eine weiter „Unterdrückung“ von Stier, wieder im Merkurzyklus,<br />

1697/1698, wieder mit der Kombination Stier/Steinbock. Hinzu<br />

kommt, dass im Sonnenzyklus ab 1673 Waage vorkommt; Wagge<br />

gesellt sich zu Stier, stellt sich damit auch unter Steinbock, und<br />

erhöht zugleich Steinbock. In allen diesen Zeichen kann man eine<br />

„abnehmende Stärke des Hauses der Venus“, inhaltlich<br />

(Stier/Waage), erblicken, und zwar für eine ganze Saturnrevolution,<br />

und mehrere Ären; zugleich ist Saturn, und damit Frankreich,<br />

begünstigt, „Saturn in Libra in Exaltation“.<br />

Was sind die historischen Parallelitäten? Natürlich Ludwig XIV., und<br />

in seiner Zeit die kulturelle Dominanz Frankreichs in ganz Europa,<br />

beispielsweise in der Nutzung der französischen Sprache in den<br />

führenden Gesellschaftsschichten weltweit, oder in der<br />

Durchsetzung der französischen Literatur, allen voran des Dramas.<br />

Welche Macht aber nimmt ab? Ohne die Geschichte zu beugen,<br />

muss man auf die Problematiken der spanischen Erbfolge<br />

verweisen, die sich bis 1714 hinziehen, und die mit der<br />

Inthronisierung eines Enkels Ludwig XIV., Philipp von Anjou, als<br />

spanischer König enden. In den Auseinandersetzungen werden die<br />

meisten spanischen nebenländer – Niederlande, Mailand, Neapel –<br />

Österreich zugesprochen.<br />

96


Und in Österreich scheint das „Haus der Venus“ angesprochen. Zu<br />

den schweren Konflikten um die spanische Thronfolge war es durch<br />

die Kinderlosigkeit des letzten spanischen Habsburgers, Karl II.<br />

(1698 bis 1700) gekommen. Unter seinem Vater, Philipp II. (1556 –<br />

1598), hatte Spanien die größte Ausdehnung seiner Macht erreicht,<br />

aber auch erhebliche Rückschläge in den Ansprüchen der<br />

Niederlande und im Krieg gegen England erlitten; die Niederlage der<br />

Armada 1588 markiert einen historischen Wendepunkt. Alle diese<br />

Vorgänge sieht Michael Nostradamus nun weniger als „spanisch“<br />

(inhaltlich Jupiter, SchützeI, sondern eher als habsburgisch<br />

(inhaltlich Venus, Waage, Stammland der Habsburger:<br />

Schweiz/Stier): und der Abbruch der habsburgischen Dynastie in<br />

Spanien ist wohl das wesentliche Ereignis, das sein astrologisches<br />

Urteil uzu dieser Zeit leitet, und die Metapher seines Textes bedingt.<br />

Folgt man dieser Deutung – natürlich unter der Voraussetzung, es<br />

wäre dieser Sechszeiler für Ludwig XIV. richtig angepasst – dann<br />

bedeutet „Haus der Venus“ an diesem historischen Platz inhaltlich<br />

Venus, damit Entsprechungen von Waage und Stier, die in<br />

Adversitäten geraten. Leitendes Zeichen ist dabei wohl die Anzeige<br />

der Saturnrevolution, die für die Entsprechungen des Taurus „starke<br />

Kontradiktion“ - so Michael Nostradamus im Horoskop für Rudolf II.<br />

bei Konjunktionen oder Oppositionen von Saturn mit einem Zeichen<br />

– zeitigen. Für Venus und seine Patronate wird die Zeit schwierig, es<br />

gedeihen die saturninen und merkurialischen Entsprechungen; in<br />

Russland (Steinbock, Wassermann) beginnt z. B. die Dynastie der<br />

Romanow (1613).<br />

97


12. Der Sechszeiler über Napoleon I.<br />

Mars<br />

Der die Fürstenschaft<br />

Ausübt mit großer Grausamkeit<br />

Sieht am Ende große Schlachtenreihe<br />

Bei sehr gefährlichem eisernen Schlag<br />

Im Einklang könnte er es besser machen<br />

Anders trinkt er Orangensaft<br />

Im Original stehen alle Verben im Futur.<br />

Orangensaft war in der alten Medizin ein kühlendes Getränk. Es<br />

wurde eingesetzt, um Hitze und „Entzündung“ im Körper zu<br />

mäßigen: Nostradamus schlägt dem hier angesprochenen „Fürsten“<br />

dieses Getränk vor - anscheinend weil er glaubt, dieser übertreibe<br />

das feuerige Moment. Er schlägt ihm zugleich „Einklang“ vor, also<br />

einen harmonischeren Umgang, auf allen Ebenen des sozialen und<br />

militärischen: ihm erscheint nötig „Mordlust“ oder „Grausamkeit“ zu<br />

mildern, und ihm ist die Betonung der martialischen und „eisernen“<br />

Momente dieser „Fürstenschaft“ zu „gefährlich“: denn alle diese<br />

Aktionen müssen münden in einen großen Zusammenhalt der<br />

Gegner, in „große Schlachtreihe“. Und dann kommt es doch zu der<br />

„Abkühlung“, aber „anders“: der angesprochene Mann wird „ruhig<br />

gestellt“, durch einen „Orangensaft“ im übertragenen Sinne. - Erneut<br />

nimmt hier Michael Nostradamus, in der mittlerweile bereits<br />

bekannten sehr direkten Art, politische Stellung zu Ereignissen<br />

98


seiner Zukunft. Er fällt ein klares historisches Urteil, und scheut sich<br />

nicht, die Handlungen zu kritisieren und Gegenvorschläge zu<br />

machen. Hier geht er weit über die Möglichkeiten von Wahrsagerei<br />

und Augurentum hinaus, und nimmt eindeutig Stellung, jenseits<br />

seiner Indifferenz im Detail -<br />

Dieses Gedicht ist für Napoleon I. anpassbar. Im Jahr 1794 gibt es in<br />

formal Mars (!) ein Zeichen des Widder, und dieses bezieht sich<br />

zurück auf die Stellvertretung der Exaltation, Zwillinge (1779). Der<br />

dür diese Herrschaft in Frage kommende Marszyklus wurde bei dem<br />

Sechszeiler 5, über „Robin“, in seinen Koinzidenzen vorgestellt.<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1732:<br />

1606:<br />

1761: Stier 1767:<br />

1702:<br />

1776/1777:<br />

Krebs<br />

Jungfrau<br />

Zwillinge<br />

1779:<br />

Löwe<br />

Stier/Wassermann<br />

Zwillinge<br />

1779:<br />

Fische<br />

1782/1783:<br />

Krebs/Jungfrau<br />

1789/1790:<br />

Stier/Schütze<br />

1790:<br />

99


Krebs/<br />

1790: Stier/<br />

1791:<br />

/Steinbock<br />

1791:<br />

Schütze<br />

1793:<br />

Steinbock<br />

1794:<br />

Widder<br />

Die Kennzeichnung in formal Mars 1794 kann als eine ausgreifende<br />

Architektur verstanden werde; es sind hier sechs Zyklen einbezogen.<br />

Der Aufbau der Figur sieht so aus:<br />

Mars: Widder<br />

Saturn:<br />

Krebs/Steinbock<br />

Venus: Steinbock<br />

Sonne: Löwe<br />

Jupiter: Stier/Schütze<br />

Merkur: Stier/Schütze<br />

100


Das Zeichen hat einen unermüdlichen Anteil, da Widder „oben“<br />

wieder „unter“ Löwe eine Stufe tiefer greifen kann. So hebt sich auch<br />

die Widrigkeit von Widder durch Krebs ein Stück auf: es bleibt aber<br />

ein bedenkliches Moment, zumal sich die Kennzeichnung auch nicht<br />

auf das 10. Haus richtet, sondern auf das 7.. Wenn Jungfrau in 10.<br />

steht, dann ist Zwillinge in 7., und es bedeutet dann Widder an<br />

diesem Ort eine „kriegerische Energie“ und einen fortwährenden<br />

Konflikt bis 1811 – aber dann kommt wieder Widder im gleichen<br />

Zyklus, und das Signum gerät um 1815 in immer adversere<br />

Auseinandersetzungen. Es dürfte sich dieser zeichenhafte Komplex<br />

auf die „große Grausamkeit“ beziehen – allerdings nur, wenn diese<br />

Anpassung richtig ist.<br />

Die Kennzeichnungen sind die gleichen wie bei jenem Gedicht, das<br />

sich auf die französische Revolution bezogen hat. Allerdings ist hier<br />

das Augenmerk auf „danach“ gerichtet, und so interessiert eher die<br />

Zukunft:<br />

„voraus“<br />

Präsenz der<br />

Domination<br />

„danach“<br />

1574, Mond:<br />

Skorpion<br />

1606, Mond:<br />

Jungfrau<br />

1841, Mond: Widder<br />

1755, Jupiter: Krebs 1767, Jupiter:<br />

Zwillinge<br />

1779, Jupiter: Fische<br />

1762, Mars:<br />

Wassermann<br />

1779, Mars: Zwillinge 1794, Mars: Widder<br />

101


1776/1777, Merkur:<br />

Stier/Wassermann<br />

1782/1783, Merkur:<br />

Krebs/Jungfrau<br />

1789/1790, Merkur:<br />

Stier/Schütze<br />

es wird mit dem Jahr 1841 in formal Mond noch einmal auf ein<br />

Wiederaufleben dieser Haltungen gewiesen. Dort richtet sich die<br />

Kennzeichnung aber wieder auf 10., und nicht auf 7..<br />

Bei den bisher untersuchten vier Gedichten konnten drei<br />

Exaltationen der Jungfrau mit vier Texten ausgestattet werden: drei<br />

Mal bezog sich die Kennzeichnung auf Jungfrau, einmal auf<br />

Zwillinge. Nur in dem letzten Fall waren nicht alle Zyklen in die Figur<br />

der Signifikation einbezogen, statt sieben nur sechs; dort „agierten“<br />

aber neun Koinzidenzen zusammen.<br />

Es bleibt für die Anpassung an Napoleon I. ein gewisses<br />

Fragezeichen.<br />

102


13. Der Sechszeiler über einen „Lieferanten“<br />

des „Ungeheuerlichen“<br />

Venus<br />

44; VII, 86<br />

Der Lieferant bringt alles in Ruin<br />

Sinnliche und Wolf in meiner nicht schulmäßigen Sprache<br />

Wenn Mars beim Zeichen des Schafes<br />

Verbunden mit Saturn; und Saturn mit Mond<br />

Dann gibt es dein größtes Glück<br />

Die Sonne dort in Exaltation -<br />

Es ist charakteristisch, wenn Michel Nostradamus in seinen<br />

Gedichten „metakommuniziert“: er verlässt den formalen und<br />

bildlich-inhaltlichen Rahmen, er thematisiert seine Schau, stellt<br />

manchmal sein Erleben in den Vordergrund, seufzt, spricht zuweilen<br />

auch Gebete. In diesem gedicht verweist er auf seine spezielle<br />

astrologische „Sprache“, die zwar völlig in der bekannten Tradition<br />

der Gestirnkunde steht, aber ihre Begriffe nicht „schulmäßig“,<br />

sondern – wie er hin und wieder bemerkt – in der „Weise seiner<br />

Vorfahren“ und seiner „eigenen Methode“ verwendet.<br />

Das vorgestellte Gedicht Aucane/44 hat unter den Sechszeilern die<br />

deutlichsten Hinweise auf seinen temporären Platz unter den<br />

zyklischen Anzeigen. Zu suchen ist eine Präsenz von „Mars beim<br />

Zeichen des Schaf“: es ist offen, was der ungewöhnliche Sinn<br />

„Schaf“ hier bedeuten kann, viel gängiger wären Zusammenhänge<br />

103


von „Lamm“, biblisch, oder Widder, astrologisch. In der Nähe dieses<br />

„Zeichens des Schafes“ muss sich eine „Exaltation“ des Löwen, „der<br />

Sonne“, befinden. Weiter sollen die Zeichen des formalen „Mars“<br />

sich verbinden mit Koinzidenzen, die formal „Saturn“ zeigt; und<br />

schließlich muss sich formal „Saturn“ auch zusammen schließen mit<br />

formal „Mond“. Dieses letzte sind Hinweise auf drei zyklische<br />

Präsenzen. Aus den bisherigen Anpassungen und der Einordnung<br />

der Sechszeiler in die „Prophezeiungen“ lässt sich weiter ermitteln,<br />

dass dieses Gedicht bei einer Kennzeichnung der Venus zu stehen<br />

käme. Zugleich sollte diese Kennzeichnung einen universalen<br />

Zustand erreichen oder anstreben; (dieser Zustand ist eigentlich<br />

einer von überreicher „Sättigung“.)<br />

Die venerische Kennzeichnung kann „Glück“ anzeigen. Jedoch hat<br />

dieser Ausdruck an diesem Ort einen gewissen Unterton in Richtung<br />

des „Materiellen“: und es scheint der hier angesprochenen<br />

„Lieferant“ - vermutlich der „Stammvater“ einer kommenden<br />

schicksalhaften Entwicklung – zur Zeit der Anpassung ein<br />

erhebliches Übergewicht über „Sinnliche und Wolf“ zu gewinnen.<br />

Der Begriff „pourvoyeur“ gehört in das Repertoire der Symbole der<br />

Sechszeiler: das ungewöhnliche Bild bringt geistige oder historische<br />

Vorgänge in den Zusammenhang des Handels, spielt mit<br />

merkantilen Konnotationen wie „Kauf“, „Bestellung“, „Lieferung“. Eine<br />

bestimmte Zeit „sucht sich etwas aus“, „wünscht dieses zu haben“,<br />

„und erhält diese zugesandt“. Anscheinend sind solche Inhalte, die<br />

dem Bild der „Lieferung“ abzulesen sind, für Michael Nostradamus<br />

passend, um die apokalyptische Epoche zu charakterisieren: sind<br />

die Menschen dieser Zeit so zu den Gestaltern ihres Schicksales<br />

geworden? Sie „begehren“, ganz auf der Linie des „Sinnlichen“, und<br />

sie „erhalten“: hat sich auch das Verhältnis zur Transzendenz in ein<br />

104


von ökonomischen Bildern geprägtes verwandelt? Ist Gott in der<br />

Vorstellung dieser Menschen zum „Kaufmann“ geworden, zum<br />

Verkäufer in einem Gemischtwarenladen, dessen Laufburschen<br />

seine Waren vermitteln? Das klingt nach einer Philosophie des „Do<br />

ut des“.<br />

Dieses kann wirklich nicht nur einen materiellen sondern auch einen<br />

moralischen Ruin bedeuten.<br />

Die Durchschau der Enographie – vor allem unter dem Kriterium<br />

„Verknüpfung von formal Mars, Saturn und Mond“ - ergibt<br />

Folgendes: die gesuchte Verbindung kann sich in dem Marszyklus<br />

von 3293 bis 3308 zeigen. Dieser verfügt über eine Domination der<br />

Jungfrau, und es gibt drei Bezüge einer Kennzeichnung durch<br />

inhaltlich Venus auf die merkurialischen Zeichen, im Zusammenhang<br />

von vielfältigen und überragenden Signifikationen.<br />

Hier zuerst die enographischen Grundlagen:<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

3262:<br />

3120:<br />

3290/3291:<br />

3284/3285:<br />

3208:<br />

3289/3290:<br />

Schütze<br />

Jungfrau<br />

Steinbock/<br />

Zwillinge<br />

Jungfrau/<br />

Krebs<br />

3293:<br />

Zwillinge<br />

Wassermann<br />

Wassermann/Krebs<br />

3296:<br />

3296: Stier/<br />

Wassermann/<br />

105


3297:<br />

3297:<br />

/Waage<br />

/Waage<br />

3299:<br />

Jungfrau<br />

3302/3303:<br />

Widder/<br />

Zwillinge<br />

3307:<br />

Stier<br />

3308:<br />

Schütze<br />

die Erhöhung zeigt in den Jahren der Ära eine zunehmende<br />

Dynamik, sie gewinnt fortschreitend und umfassend an „Stärke“. Die<br />

Exaltation beginnt bereits 3296, wenn die Verdeckung der Jungfrau<br />

durch Krebs aufhört; danach steht Jungfrau in formal Mond bereits<br />

erhöht, und es fügen sich formal Mars und formal Saturn mit<br />

Zwillinge hinzu; dann kommt der Venuszyklus, 3299, mit einem<br />

106


zweitem Zeichen der Jungfrau; und schließlich entsteht noch einmal<br />

Zwillinge, im Merkurzyklus. - Es kann sich hier nicht um eine<br />

Herrschaft der Zwillinge handeln, denn trotz drei Mal Gemini<br />

überwiegt zwei Mal Virgo, weil Gemini durch Schütze/Sonne in<br />

Vernichtung ist. -<br />

Es sind hier, wie gefordert, „Mars, Saturn und Mond“ gleichsinnig<br />

verbunden. Es kommen sogar später noch Venus und Merkur hinzu.<br />

„Mars“, über Zwillinge mit „Saturn“ verbunden, steht dort bei dem<br />

Zeichen des Steinbockes (Saturn): ist Capricornus eventuell das<br />

gesuchte „Schaf“? Das wäre eine einfache und überraschende<br />

Lösung, doch will dieses nicht ganz passen, gehört der<br />

Alpensteinbock doch zur Familie der Ziegen. Ob „Schaf“ eine<br />

Verschlüsselung von Capricornus sein kann, kann jedoch fraglich<br />

bleiben. Immerhin wären die großen gesuchten Verknüpfungen<br />

vorhanden: und, nicht ganz unwesentlich, gerät im folgenden<br />

Marszyklus, 3308 bis 3323, die „Sonne in Exaltation“. Dort zeigt sich<br />

Sonne im Sonnenzyklus, dem Weltalter, ab 3321, und ist gleich<br />

dominierend.<br />

Gibt es nun eine Kennzeichnung, die universal zu nennen wäre?<br />

Folgende Signifikationen sind zu beobachten:<br />

„voraus“ Kennzeichnung „danach“<br />

Mond 3088: Zwillinge Mond 3120: Jungfrau Mond 3323: Schütze<br />

Saturn 3261/3262:<br />

Widder/Skorpion<br />

Saturn 3290/3291:<br />

Steinbock/Zwillinge<br />

Saturn 3320:<br />

Zwillinge<br />

107


Jupiter 3272/3273:<br />

Waage/Schütze<br />

Jupiter 3284/3285:<br />

Jungfrau/Krebs<br />

3296/3297:<br />

Stier/Waage<br />

Mars 3278: Krebs Mars 3293: Zwillinge Mars 3308: Schütze<br />

Venus 3208:<br />

Wassermann<br />

Venus 3299:<br />

Jungfrau<br />

Venus 3307: Stier<br />

Merkur 3296/3297:<br />

Wassermann/Waage<br />

Merkur 3202/3203:<br />

Widder/Zwillinge<br />

Merkur 3309/3310:<br />

Steinbock/Jungfrau<br />

dieses sind auf den ersten Blick überragende Kennzeichnungen.<br />

Darunter sind auch die drei erwähnten Möglichkeiten durch inhaltlich<br />

Venus, in formal Merkur 3297, in formal Venus, 3307, und in formal<br />

Jupiter, 3272.<br />

Sechs Zyklen werden in allen Möglichkeiten angesprochen: und<br />

Venus wird auf dritte Ebene gehoben, unter Sonderbedingungen.<br />

Hier folgt die Architektur der Koinzidenz Stier/Waage in formal<br />

Jupiter:<br />

Mond: Jungfrau<br />

Saturn: Steinbock/<br />

Zwillinge<br />

108


Jupiter: Stier/Waage<br />

Mars: Zwillinge<br />

Venus: Wassermann<br />

Merkur:<br />

Wassermann/ Waage<br />

-<br />

-<br />

die dritte Ebene wird durch die Steigerung von Wassermann und<br />

Steinbock durch Waage und durch die Zusammenspannung mit<br />

erhöhter Jungfrau erreicht.<br />

Dieses Signalement erscheint aus dieser Warte nicht mehr von so<br />

großer Güte wie zuerst gemeint: das Zeichen hat keinen Boden und<br />

keine Mitte, und die in ihm enthaltenen Zwillinge stehen unter<br />

Schütze in nicht zu unterschätzender Adversität. Diese teilt sich auch<br />

dem anderen merkurialischen Zeichen, Jungfrau, mit: es sind die<br />

merkurialischen Zeichen gegenüber außer ihnen liegenden<br />

Einflüssen, vor allem jovialistischen, sehr „vulnerabel“ und „labil“.<br />

Man hat keine höheren Evidenzen bei diesem Zeichen.<br />

Und noch schwieriger gestaltet sich die Präsenz der möglichen<br />

Signifikation im Jahr 3307, mit Stier: dann gesellt sich zu dem<br />

109


gesamten Profil auch Widder hinzu (Merkur), und bringt Steinbock in<br />

Fall, und Waage in Vernichtung, und dieses wäre zusammen mit<br />

Schütze/Zwillinge schon erheblich.<br />

Sollte Michel Nostradamus auch in den Sechszeilern die<br />

Kennzeichnungen wieder nach Widrigkeit reihen, wäre an dem Platz<br />

Aucane/44 dieser Menge mit Kombinationen von Fall und<br />

Vernichtung des Signifikators zu rechnen. Eben dieses wurde<br />

gerade erwogen. Unter diesen Bedingungen relativierte sich die<br />

Bedeutung von „Glück“ in der fünften Zeile des Gedichtes noch<br />

weiter: man darf diesen Begriff hier nicht absolut verstehen, sondern<br />

eingebettet und korreliert mit den geschichtlichen Inhalten des<br />

Umfeldes der Zeit.<br />

Noch mehr über die unbekannten historischen Zusammenhänge<br />

dieser Weissagung zu spekulieren, soll hier unterbleiben: dazu ist<br />

die Wahl der Adaptation nicht sicher genug, und zugleich ist es<br />

unangebracht, für unklare zeitliche Zusammenhänge weitreichende<br />

Potenzialitäten zu konstatieren.<br />

110


14. Die Zahl „sechshundert und ...“<br />

Das am häufigsten in den Sechszeilern verwendete Wort ist der<br />

Zahlbegriff „sechshundert“.<br />

Auch dieser Begriff spielt – wie allein schon auch die Form der<br />

Sechszeiler mitteilt - mit den Bedeutungsräumen der Zahl „6“: der<br />

sechste Tag ist der Tag der Venus (Freitag), biblisch wird an diesem<br />

Tag der Mensch erschaffen, und so gehört die Zahl dem Menschen.<br />

„6“ gilt auch als Zahl der Erlösung, denn Christus ist am sechsten<br />

Wochentag gestorben, und so hat der Begriff auch „Verwandtschaft<br />

mit dem Kreuze“. Agrippa nennt sie auch Zahl der „Arbeit und<br />

Knechtschaft“, und verbindet ihr Vielfaches, 60, intensiv mit den<br />

antiken biologischen Vorstellungen vom Krokodil: es lege in 60<br />

Tagen 60 Eier, brüte sie 60 Tage aus, habe 60 Zähne, und lebe 60<br />

Tage in der Wüste. - Dieses hier als kurzer Hinweis. Da das Symbol<br />

„Krokodil“ mehrmals in den Sechszeilern vorkommt, kann dieses Bild<br />

Beziehungen zu „sensue, censue“ haben. - Die bekannte Zahl 666<br />

ist die Gesamtsumme aller Zahlen des „magischen Quadrates“ der<br />

Sonne; es besteht aus 6 x 6, das sind 36 Zahlen, von eins bis<br />

sechsunddreißig; „jede Reihe und der Diameter“ haben die Summe<br />

111. 666 ist die Zahl des „Sorath, des Dämon der Sonne“.<br />

Die Verwendung der Zahl „600“ ist unbedingt aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln zu sehen: eine Dimension ist symbolisch, in die eben<br />

genannten Beutungsrahmen der Zahl sechs hinein; überhöht kann<br />

dieses werden durch eine spirituellen oder metaphysischen Horizont,<br />

in verwandter Weise, wie diese Zahl in den biblischen Schriften<br />

111


angedeutet ist; bei Michael Nostradamus kommt über die Ebene der<br />

symbolischen Anspielung hinaus eine konkrete zahlenmäßige<br />

Vorstellung hinzu, ein Bezug zu seiner Geschichtskonstruktion,<br />

vermutlich in mehrfach gespiegelter und verschlüsselter Weise. - In<br />

der Herausgabe von V. Seve ist nun recht irritierend, dass dort in<br />

vier zusätzlichen Gedichten in drei ebenfalls Bezug auf<br />

„sechshundert und...“ genommen wird. Diese Zahlen scheinen sich<br />

dort auf die Jahre nach 1600 zu beziehen; so erscheint in Seve/12<br />

und Seve/14 zweimal die gleiche Zahl, „sechshundert und fünf“, und<br />

unmittelbar zuvor, Seve/11, „sechshundert und vier“.<br />

Auffallenderweise setzen diese Zahlen ebenfalls ein, wenn bei<br />

Aucane die Erwähnung von „600“ beginnt. -<br />

Folgend nun die Übersicht der authentischeren Zahl „sechshundert“<br />

und ihrer weiteren zahlenmäßigen Zusammensetzungen, mit den<br />

Nummern nach Vincent Aucane. Dabei werden andere mögliche<br />

astrologische oder zahlensymbolische Angaben im jeweiligen<br />

Sechszeiler ebenfalls erwähnt.<br />

11: „sechshundert fünf oder neun“<br />

13: „sechshundert fünf“, „im Oktober“<br />

13: „sechshundert sechs“, „im Juni“<br />

15: „sechshundert und fünf“, „Nachtigall“<br />

16: „sechshundert fünf“<br />

16: „sechshundert sechs oder sieben“, „bis zum Jahr 17“<br />

18: „sechshundert sieben“<br />

112


20: „sechshundert sieben oder zehn“<br />

21: „sechshundert und acht und zwanzig“, „Merkurialisch“<br />

22. „sechshundert sechs“<br />

22: „sechshundert neun“<br />

23. „sechshundert und sechs“<br />

23. „sechshundert und zehn“<br />

24: „sechshundert zehn“, „beim vierzehnten“<br />

24: „sechshundert und sechs“<br />

25. „sechshundert und acht“<br />

36: „sechshundert und fünfzehn“, „der neunzehnte“<br />

40: „sechshundert in zehn Jahren“<br />

42: „sechshundert und zehn“, „fünf Jahre später“<br />

50: „bis sechshundert siebenzig“<br />

52: „sechshundert und XV“<br />

Das Wort „sechshundert“ kommt damit insgesamt 21 mal vor. Die<br />

Zahl der Erwähnungen ist in Anbetracht der geringen Zahl der<br />

Sechszeiler groß.<br />

Die solcherart dargestellten Zahlen scheinen kontinuierlich<br />

anzusteigen. - Vermutlich hat sich auch damit die Deutung ergeben,<br />

die Sechszeiler behandelten die Jahre nach „1600“ in<br />

systematischer Weise, wie sie vor allem V. Seve formulierte:<br />

113


„Predictions admirables pour les ans courans en ce siecle“. Das ist<br />

aber falsch, und geht ziemlich weit an den Aufgaben, denen sich die<br />

Prophetie des französischen Arztes und Astrologen stellt, vorbei;<br />

doch bereits J. A. de Chavigny ist einem ähnlichen Irrtum bei einer<br />

anderen Reihe von Weissagungen, den „Presages“, im „Janus<br />

Gallicus“, erlegen. -<br />

Es handelt sich bei der Zahl „sechshundert“ in diesen Gedichten um<br />

eine Metapher. Sie zitiert ein dem christlichen abträgliches Moment,<br />

eine Zeit des „Kreuzes“ und des „Leidens“. Doch neben dieser<br />

Anspielung wäre Nostradamus nicht Nostradamus, hätte nicht<br />

dieses Symbol nicht noch auch dezidierte Absichten: hier der<br />

näheren zeitlichen Eingrenzung, wann seine Vorhersage eintreten<br />

soll. Dabei muss man sich aber von allzu simplen Rechnungen und<br />

Bezügen lösen, etwa „diese Vorsagen beziehen sich auf die Jahre<br />

nach tausend und sechshundert“, oder nach „2600“, oder „3600“<br />

usw..<br />

Solche einfachen Lösungen können in Einzelfällen auch einmal<br />

richtig sein: allerdings sind die zusätzlichen Zahlen dann wohl nach<br />

verschiedenen zyklischen Einheiten – mal nach langen, wie der<br />

Saturnrevolution mit 29,5-jährigen Schritten, mal nach kürzeren, wie<br />

dem Venuszyklus, mit 8-jährigen Schritten – aufzulösen. So können<br />

sich die Vorhersagen über viele Jahre ausdehnen, und bleiben nicht<br />

auf ein einziges Jahrhundert beschränkt, in dem die Jahreszahl<br />

„sechshundert“ enthalten ist.<br />

Nimmt man die Zahl „sechshundert“ als rein symbolisch, dann<br />

bezöge sich diese Zahl auf die apokalyptische Epoche, als einer<br />

Zeit, die vom sinnlich orientierten Menschen gestaltet wird, letztlich<br />

eine Zeit menschengemachter Vorstellungen und Begriffe. Diese<br />

114


können in dieser Zeit einen spezifische, dem Humanen abträglichen<br />

Ausdruck finden.<br />

So gesehen kann „600“ die gesamte 8. Weltzeit – in der<br />

Geschichtskonstruktion des Nostradamus - und in ihr bestimmte üble<br />

Abschnitte bedeuten.<br />

Auf alle Fälle dürfte das Rätsel der Zahl „sechshundert“ zu den<br />

schwierigsten gehören, die Nostradamus gestellt hat. Doch<br />

vermutlich eröffnet die Zyklenlehre einen Zugang.<br />

115


15. Die Zahl „600“ als Hinweis auf die<br />

gegenwärtige siebte Weltzeit<br />

Um mögliche weitere Hintergründe der Zahl „600“ zu verstehen,<br />

braucht es einige Hinweise auf die Geschichtskonstruktion.<br />

Ausgehend von der Theorie der Initiationen ist darzustellen:<br />

Initiationen geschehen an ausgezeichneten zyklischen Plätzen.<br />

Diese Plätze erfüllen drei Kriteria:<br />

1. sie liegen an dem zeitlich passenden Ort, etwa zwei Zeiteinheiten<br />

vor dem entscheidenden Einschnitt, d. i. vor der neuen führenden<br />

temporären Periode im Sonnen- oder Mondzyklus;<br />

2. die Domination in der jeweiligen Ära zeigt eine überragende<br />

Architektur, sie ist hoch gesättigt und bezieht möglichst viele Zyklen<br />

mit ein; und<br />

3. die zugehörigen Kennzeichnungen sind ebenfalls von<br />

überragender Qualität, vor allem beziehen sie möglichst viele, am<br />

besten alle Tierkreiszeichen oder Symbole mit ein – gerade die Art<br />

und Weise der Signifikation erläutert noch einmal ausführlich, warum<br />

dieses Zeichen weltweit leitend werden kann.<br />

Für diese Möglichkeiten ein Beispiel: die Initiation der gegenwärtigen<br />

Weltzeit, der siebten, geschah in der Ära zwischen 1510 und 1527,<br />

unter einer Herrschaft des Steinbock, zu der auch beiden Lichter<br />

(inhaltlich und formal) beigezogen wurden. Diese Anzeige der<br />

Herrschaft war von 1510 bis 1512 kulminierend, und in formal Jupiter<br />

bis 1518 mit der genannten Beiziehung und einem unermüdlichen<br />

116


Aufbau präsent. Dieses zyklische Hintergrund bezeiht sich eindeutig<br />

auf das Wirken von Martin Luther; dass „Deutschland“ beteiligt war,<br />

zeigt auch die Präsenz der martialischen Zeichen in allen fünf<br />

kennzeichnungen im Sonnen- und Mondzyklus, und in den Perioden<br />

von Jupiter, Venus und Merkur. Wollte man die Ereignisse<br />

verdichten, könnte man tatsächlich des Thesenanschalg an die<br />

Wittenberger Schlosskirche von 1517 als auslösendes Ereignis der<br />

Initiation fassen.<br />

Michael Nostradamus erwähnt nun eventuell die nächste Initiation,<br />

als von 1557 „580 Jahre mehr oder weniger“ in der Zukunft; 1557<br />

erscheint der zweite Teil der Prophezeiungen, und darin das Gedicht<br />

VI, 2, mit besagtem Fingerzeig und dem Hinweis, „dort beginne ein<br />

sehr eigenartiges Zeitalter“. Es ist auf die Ära von 2125 bis 2142 zu<br />

beziehen, mit ihrem Höhepunkt der Manifestation des Solarischen<br />

kurz vor einem dominierenden Mondzyklus, ab 2204. Die Apside ist<br />

präsent zwischen 2131 und 2138: erneut ist dieses eine Exaltation<br />

des Steinbock, in Zusammenspannung mit Löwe und Beiziehung<br />

von Krebs und Fische.<br />

Mit diesen beiden Initiationen kann man die Geschichtskonstruktion<br />

des Michael Nostradamus vervollständigen.<br />

Person Jahr Zeitabstand Bemerkung<br />

„Adam“ 4758 v. Chr. „Erschaffung<br />

der Welt“<br />

„Noe“<br />

3516 v. Chr.<br />

1242<br />

1080 1. Weltzeit,<br />

nach der<br />

117


Abraham 2436<br />

Moses 1921 oder 1920<br />

v. Chr.<br />

David<br />

Jesus 0<br />

Mohammed<br />

Martin Luther 1517<br />

1350 v. Chr.<br />

621 n. Chr.<br />

„universalen<br />

Flut“<br />

515 oder 516 2. Weltzeit<br />

570 3. Weltzeit<br />

1350 4. Weltzeit<br />

621 5. Weltzeit<br />

896 6. Weltzeit<br />

620 7. Weltzeit,<br />

„Moderne“<br />

N. N. 2137 n. Chr. Initiation des<br />

„fremdartigen<br />

Zeitalters“<br />

1660 Dauer der<br />

ungewöhnlich<br />

langen 8.<br />

Weltzeit<br />

N. N. 3797 n. Chr. Endpunkt der<br />

Prophezeiung<br />

des<br />

Nostradamus<br />

N. N. um 4700 bis<br />

4800<br />

„tausend<br />

Jahre“,<br />

„goldenes<br />

Zeitalter“<br />

9. Weltzeit, des<br />

Saturn<br />

10. Weltzeit<br />

118


Die durchschnittliche Dauer der Weltzeiten beträgt 950,55 Jahre; sie<br />

nähert sich relativ nahe der gängigen Vorstellung von tausend<br />

Jahren für ein Zeitalter oder eine Weltzeit an. Doch schwankt die<br />

Dauer von Weltzeiten, die nach Gestirnständen und wesentlichen<br />

Zeichen am Himmel ermittelt werden, von etwas mehr als 500<br />

Jahren bis fast 1700 Jahre.<br />

Im Zusammenhang der hier angestellten Überlegungen zu der Zahl<br />

„600“ der Sechszeiler gibt es Parallelitäten in der Dauer zweier<br />

Zeitalter: so beginnt die Ära Mohammeds nach 621 Jahren nach<br />

Christi Geburt, und etwa die gleiche Zeit nach Martin Luther beginnt<br />

das apokalyptische 8. Weltalter.<br />

Es kann dieses Verständnis der Zahl bedeuten, es wären die<br />

Gedichte, in denen „600“ vorkommt, Aussagen über die achte<br />

Weltzeit, und es wären die zahlenmäßigen Beifügen - „und fünf“,<br />

„und sieben“, und „XV“, „der 19.“ usw. - nähere Eingrenzungen der<br />

Adaptation des jeweiligen Textes auf Grund zyklischer Ereignisse.<br />

Diese Zahlen können sich damit auf die Dauer von sieben Zyklen –<br />

des Saturn, Jupiter, Mars, der Sonne, Venus, der Merkur, des<br />

Mondes – beziehen. In diesem Sinne können sie sich über 1660<br />

Jahre erstrecken.<br />

Vermutlich gibt es in dem 8. Zeitalter auch Gedichte, die sich nicht<br />

auf verheerende Ereignisse beziehen; diese tragen wohl die<br />

Kennzeichnung „600 und...“ nicht. Sie gehören damit zu jener<br />

andere Partei, die die Geschichte bestreitet: einerseits die<br />

sensualistische und dem Natürlichen folgende Seite, andererseits<br />

die „Bürgerschaft“, die sich dem Geoffenbarten verschreibt.<br />

Die Auflösung der Zahlen und die Zuordnung der gedichte zu<br />

definierten Zeiten dürfte vor dem Eintreten der Ereignisse relativ<br />

119


schwierig sein. Doch sicher werden Zeiten kommen, in der eine<br />

Zuordnung gelingen wird, und dann wird sich erneut bestätigen, wie<br />

ausgeklügelt die gesamte Geschichtskonstruktion des Michael<br />

Nostradamus ist. So bleibt vorläufig noch das Bemühen um das<br />

einzelne Detail, seine Würdigung in den erkennbaren Teilen des<br />

Bedeutungssystems, und die Arbeit an den sich ergebenden<br />

Gestaltungen des Vergangenen.<br />

120


16. Exkurs: Die Ära der Initiation des achten<br />

Zeitalters<br />

Im vergangenen Kapitel wurde das zweitbedeutendste Ereignis der<br />

Zukunft berührt, die Initiation der apokalyptischen Periode. Dieses<br />

steht aber weit hinter der Bedeutung der ihr dann folgenden Initiation<br />

des „goldenen Zeitalters des Saturn“ nach 3700 zurück. Doch bevor<br />

diese positiv zu bewertende Stufe der Menschheitsgeschichte<br />

erreicht wird, ist ein tiefes Tal einer „eigenartigen“, wenn nicht<br />

„verrückten“ Zeitspanne zu durchschreiten: in dieser Zeit blüht ein<br />

rationalistisches, materialistischen und sensualistisches Wesen, das<br />

seine uninspirierte Gesetzhaftigkeit hinter seltsamen Verbrämungen<br />

verbirgt.<br />

Zu erwägen sind nun die zeichenhaften Vorgänge des Marszyklus<br />

von 2125 bis 2142.<br />

Sie liegen vor dem die Führung übernehmenden Mondzyklus ab<br />

2204, mit Skorpion; diese zyklische Präsenz überwiegt quantitativ<br />

den Sonnenzyklus, sie dauert konkret bis 3056 nach Christus, doch<br />

dann folgen erneut zeichenhafte Überwertigkeiten des Lunatischen,<br />

bis über die Mitte des vierten Jahrtausends. - Alleine schon die<br />

Initiation einer Zeit, in der der Mond im Skorpion im Fall steht, ist zu<br />

fürchten. -<br />

Sonne Mond Saturn Jupiter Mars Venus Merkur<br />

1792: 1905: 2114: 2122/2123: 2124: 2124:<br />

121


Löwe Waage Widder Krebs/<br />

2125:<br />

Waage<br />

Waage/<br />

Fische<br />

Steinbock<br />

2125/2126: /<br />

Waage/<br />

Zwillinge<br />

2131: Löwe/<br />

2132:<br />

Löwe 2132:<br />

/Steinbock<br />

2134/2135:<br />

Schütze/<br />

Waage<br />

2138/2139:<br />

Jungfrau/<br />

Widder<br />

2140:<br />

Krebs<br />

2142:<br />

Zwillinge<br />

122


Andere bedenkliche Zeichen der Zeit sind: Saturn im Widder, im Fall,<br />

und Saturn, durch Löwe und Krebs in Vernichtung. Hinzu kommt das<br />

sehr befremdliche Verdecken des Symbols des mundanen neunten<br />

Hauses, Schütze, durch Waage – ein Zeichen des Natürlichen – in<br />

der Jupiterrevolution, die in der Regel auch die religiösen Grundzüge<br />

angibt. Zugleich ist Waage verdeckt durch das merkurialische<br />

Zeichen Zwillinge und „angegriffen“ durch Widder, und schließlich<br />

sogar „bedrängt“ von der für Waage verheerenden Kombination von<br />

Fall und Vernichtung, Jungfrau/Widder.<br />

Der Aufbau der Erhöhung ist sehr komplex, gerade so, wie es<br />

typisch ist für Initiationen, hier aber mit erheblichen Widrigkeiten.<br />

Entscheidend für die Exaltation ist die Zusammenspannung von<br />

Löwe und Steinbock, vermittelt in formal Merkur, und ausgedehnt auf<br />

formal Venus, formal Sonne und formal Mars, und in der Beiziehung<br />

von Krebs sogar auf formal Jupiter. Formal Saturn wirkt mit Widder<br />

steigernd in diese Kombination der Lichter hinein. Es wirken zwei<br />

sich steigernde Reihe zusammen, vergleichbar wie bei Mohammed,<br />

nämlich einerseits Krebs, Fische, Waage, Steinbock, und<br />

andererseits Steinbock, Widder, Löwe. Es sind diese zwei<br />

Steigerungsreihen auch in einer mehrfach unermüdlichen Architektur<br />

verschränkt, mit erheblichen Bewegungen nach aufwärts, aber<br />

bedenklich durch vielfältige gegenseitige Minderungen: letzte<br />

werden aber nur bedingt wirksam, weil die beiden Steigerungsreihen<br />

doppelt unter die Zusammenspannung von Löwe und Steinbock<br />

greifen.<br />

Topographisch kann diese entscheidende Zusammenspannung auf<br />

das Klimat des Merkur und der Venus und der Sonne zeigen: von<br />

47°15´bis 43°30´ bis 39° bis 33°30´ nördlicher Breite. Der tiefste<br />

„Ursprung“ des Aufbaues liegt bei Krebs in formal Jupiter: die<br />

123


Erhöhung des Jupiter weist auf den Norden, die Sonne auf den<br />

Nordwesten, Krebs auf die USA oder Schottland. Doch in der<br />

weiteren Folge konzentriert sich Einiges auf das Zeichen Waage, mit<br />

bedeutenden Auswirkungen in den venerischen Staaten im<br />

Nordwesten Europas und der gesamten nordwestlichen<br />

Hemisphäre.<br />

Die Zukunft wird diese Entwicklungen im konkreten Ereignis zeigen.<br />

Die Kennzeichnungen haben eine bedenkliche Seite: geht man von<br />

einer Herrschaft des Steinbock aus, gibt es keine Kennzeichnungen<br />

in den Zyklen der Wohltäter, also bei formal Jupiter und formal<br />

Venus. Dieses wäre fast das schlimmste Zeichen; man kann aber -<br />

wegen der Zusammenspannung - auch die beiden Lichter hinzu<br />

nehmen.<br />

„vorher“<br />

„nachher“<br />

Sonne:<br />

Löwe, 1792 Steinbock, 2290 Jungfrau, 2349<br />

Mond:<br />

Waage, 1905 Wassermann, 2172 Skorpion, 2204<br />

Saturn:<br />

2055, Fische Stier/Wassermann,<br />

2084/2085<br />

Widder, 2014<br />

124


Mars<br />

Widder, 2095<br />

(Wassermann, 2110 Steinbock, 2125) Zwillinge, 2142<br />

Merkur<br />

Waage/Waage/<br />

Zwillinge –<br />

2124/2125/2126<br />

Löwe/Steinbock,<br />

2131/2132<br />

Jungfrau/Widder,<br />

2138/2139<br />

Worauf läuft diese Zeichen hinaus: in der dritten Spalte immer<br />

wieder die merkurialischen Symbole Jungfrau und Zwillinge, und die<br />

martialischen Zeichen Widder und Skorpion: das bedeutet „viele,<br />

viele Kriege“, in den entsprechenden Regionen. Das Zeichen kommt<br />

her von Verdunkelungen des Löwen, durch Waage: es ist eine „Krise<br />

Europas“, und das „Scheitern der europäischen Einigung“<br />

vorhergesagt, zu Gunsten der Hegemonie des Nordostens Europas<br />

und Chinas. Die Kräfte Roms „erlöschen“, und so führen diese<br />

Entwicklungen den Niedergang bis in ebendiese Ära mit großer<br />

Konsequenz weiter. Hier entsteht ein anderes Europa, als das heute<br />

gegenwärtige, und in ihm der große Abgesang auf die nordwestliche<br />

Kultur.<br />

Dieses Zeichen deutet weit in die Zukunft, jovialistische Zeichen,<br />

etwa Fische, liegen für diese Figur in der Vergangenheit. So hat<br />

diese Figur in ihrer zeitlichen Erstreckung erhebliche martialische<br />

Einseitigkeit, mit Gewicht auf Auseinandersetzung und Konflikt.<br />

Inhaltlich Saturn – die Herrschaft liegt immerhin bei Steinbock –<br />

125


erscheint hier in seiner „eisernen“ Seite, mit der Erhöhung des Mars,<br />

in der Zersplitterung der Entsprechungen Saturns durch die<br />

Platzierung in Widder. Diese Anzeige sagt für Frankreich, Russland,<br />

Indien und die saturninen Staaten auf dem Balkan von Griechenland<br />

über Makedonien, Bosnien, Rumänien bis Albanien üble und<br />

zerschmetternde Zeitigungen vorher. Dort überall können sich<br />

Herrschaften und Patronate der Jungfrau als begünstigt erweisen, im<br />

Sinne eines geistigen „Mesopotamien“.<br />

126


17. Die Ankündigung positiver Züge,<br />

hinweisend auf die neunte Weltzeit<br />

Für das zu fürchtende achten Jahrtausend hat Michael Nostradamus<br />

vorher gesagt, es werde in dieser Weltzeit eines Tages die „Erde zu<br />

einer Festigkeit und Stabilität zurück kehren“. Das bedeutet wohl, es<br />

werden in dieser großen Zeitspanne Ansätze, allmähliche<br />

Fortschritte und sogar – am Ende der Phase – eine Initiation der<br />

„Zeit eines tausendjährigen Friedens“ folgen. In diesem Sinne sind<br />

innerhalb der Geschehnisse der apokalyptischen Periode immer<br />

auch Spuren und Fährten des Künftigen zu erahnen. Mit den<br />

deutlichsten Hinweis dafür gibt das Gedicht Aucane/38:<br />

(Saturn; VII, 80)<br />

38<br />

Ce qu´en vivant le Pere n´avoit sceu -<br />

Jl acquerra ou par F er ou par Feu<br />

et combatra La Censue Irriteé<br />

et Jouira De son bien Paternel<br />

Et Favory du grand Dieu eternel -<br />

avra bien tost sa province heriteé -<br />

Der der im Leben den Vater nicht kannte -<br />

Erwirbt nicht durch Feuer und nicht durch Schwert<br />

Und bekämpft die aufgebrachte Censue<br />

Und freut sich seines Vatergutes<br />

Und der Günstling des großen ewigen Gottes -<br />

Hat ziemlich bald seine Provinz geerbt -<br />

127


Es ist fraglich, ob hier mit „Censue“ die Bedeutungsdimension des<br />

„Sinnlichen“ gemeint ist. Es könnte hier auch die andere Bedeutung<br />

im Vordergrund stehen, jene in Richtung des „Schätzens,<br />

Einschätzens“. (Es muss offen bleiben, was damit konkret gemeint<br />

sein kann – die alte Verteilung von Stimmen nach wirtschaftlicher<br />

Leistungskraft, oder eine andere Rangordnung einer streng<br />

hierarchisch gegliederten Gesellschaft, etwa mit verschiedenen<br />

Rechten und Privilegien, nach irgendwelchen Verdiensten. Sollte<br />

hier in erheblichem Maß gegen das Prinzip der „Gleichheit“<br />

verstoßen werden?)<br />

Zu dieser Zeit des Gedichtes wird nun ein „Günstling des ewigen<br />

Gottes“ deutlich. Er ist charakterisiert damit, dass er „seinen Vater<br />

nicht kannte“, dass er erwirbt ohne Gewalt, und einen „Kampf“ führt<br />

gegen die Hegemonie der derzeitigen Weltmacht. Dieser ist<br />

anscheinend so erfolgreich, dass es ihm möglich wird, sich<br />

vermutlich längere Zeit seines „Vatergutes“ zu freuen. In diesem<br />

„Vatergut“ handelt es sich vielleicht um ein Land, das wäre im<br />

ständischen und alten Sinne gedacht. Eventuell geht es aber auch<br />

um einen Teil eines Weltreiches, das ihm als eine Art<br />

„Lehensnachfolger“ zugefallen sein kann – wäre dem so, wäre sein<br />

„Kampf“ vielleicht auch geistig zu verstehen, als eine Mäßigung der<br />

vorherigen Ansprüche seiner „Lehensherrin“, der „censue“.<br />

Wäre nun die Zeit dieses Gedichtes bekannt, wäre auch zu<br />

ermitteln, wann zu seinem Erbe noch eine weitere – anscheinend<br />

entscheidende - „Provinz“ hinzu kommt. Oder bezieht sich die letzte<br />

Zeile noch einmal auf die vierte, und es geht hier nur um eine<br />

einzige „Erbschaft“? Jedenfalls wird hier von einer väterlichen Linie –<br />

ein- oder zweimal - auf den Sohn „übergeben“.<br />

128


Diese Erbe geschieht im Zeichen des Saturn, damit in der<br />

inhaltlichen Päsenz der „höchsten Kristallschale“. Es ist möglich,<br />

dass in ihr sich die „Begünstigungen“ der ihr näher als allen anderen<br />

Kreisen stehenden „ewigen und göttlichen“ Sphären manifestieren<br />

können: und unter saturninem Zeichen beginnt hier ein Wirken in der<br />

Geschichte, das in die Initiation der künftigen positiven langen<br />

Weltzeit führen wird. Es ist aber nicht festzustellen, wie lange dieses<br />

Ereignis vor dem genannten Anfangspunkt der neunten Weltzeit, der<br />

„goldenen Zeit des Saturn“ sein wird. Vielleicht ist auch der „Liebling<br />

des großen ewigen Gottes“ der Initiator der neunten Weltzeit selbst.<br />

(Es sei hier daran erinnert, es stehe im letzten Gedicht der<br />

Sechszeiler ein Hinweis auf den „Tod der Sinnlichen“; nimmt man<br />

dieses, und die mögliche Parallelität eines (kommenden) Neuen,<br />

dann kann zwischen dem hier behandelten „Erbe“ und einem ganz<br />

Anderen doch eine zeitliche Differenz liegen.)<br />

In diesem Gedicht ist auch kein Hinweis vorhanden, in welchem<br />

Weltteil sich die wunderbare Entwicklung abspielen soll. So bleibt<br />

offen, welche Regionen der Welt solche verdienstvolle Taten zur<br />

Gestaltung des Künftigen beitragen werden.<br />

129


18. Andere Gedichte<br />

Jupiter<br />

8; VII, 50<br />

Ein wenig voraus eröffnet der Handel<br />

Ein Gesandter kommt aus Persien<br />

Trägt eine Neuigkeit auf frankes Land<br />

Wird aber nicht aufgenommen vergebliche Hoffnung<br />

Seinem großen Gott wird die Beleidigung gelten<br />

Gibt vor weggehen zu wollen<br />

Eine „Neuigkeit“ kommt aus „Persien“; sie kann in Frankreich nicht<br />

„landen“. Doch sie geht nicht mehr weg: und dass sie nicht<br />

aufgenommen wurde, gilt als eine Beleidigung eines (künftigen,<br />

virtuellen?) „Gottes“.<br />

Vermutlich werden über kurz oder lang Zeiten kommen, in denen<br />

diese „Neuigkeit“ Rezeption findet. Dann wird Frankreich nicht mehr<br />

„frank“ sein, im Sinne unseres „frank und frei“: es wird nicht mehr<br />

typisch sein, d. i. Individuell, der Freiheit („liberte“) verpflichtet, und<br />

brüderlich human orientiert.<br />

Diese „Neuigkeit“ - vermutlich jene Idee, die eine ganze Weltzeit<br />

gestalten wird, und vermutlich im Zusammenhang des Begriffes<br />

„sensue“ oder „censue“ - diese Neuigkeit hat etwas mit „Handel“ zu<br />

tun. Das französische Wort „commerce“ weist noch deutlicher auf die<br />

„kommerzielle“ und „materielle“ Grundlage der Vorstellung. - Hier<br />

130


kann man die Worte der Geheimen Offenbarung assoziieren: „Die<br />

Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und<br />

die Sklaven, alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder Stirn ein<br />

Kennzeichen anzubringen. Kaufen und verkaufen konnte nur, wer<br />

das Kennzeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines<br />

Namens.“ (Offb 13, 16 – 17)<br />

Was kann eine „Philosophie“ dieser Aussagen, ein tieferer Sinn<br />

dieser Worte bedeuten? Sicherlich geht es nicht um eine wörtliche<br />

Übernahme des Textes: hier wird eher von einem zentralen geistigen<br />

Vorgang gesprochen, der die „Handlungen“ der rechten oberen<br />

Extremität und die „Denkweisen“ des Kopfes formt. Astrologisch sind<br />

mit der Hand die merkurialen Entsprechungen Zwillinge und<br />

Jungfrau, und am Haupt die „Front“ des Widder angesprochen:<br />

übersetzt man diese Symbole, dann handelt es sich um eine<br />

okkultistisch-esoterische Doktrin – zudringende und überspitzte<br />

Geistesschärfe, „unverschämt“ – und zugleich um eine<br />

„militaristische Lehre“, „höchste sophistische Beredtheit, ohne<br />

geistigen Tiefgang, zugleich aggressive und erbarmungslose<br />

Durchsetzung“. Und anscheinend ist alleine den Vertretern dieser<br />

relativ niedrigrangigen Anschauungen gewinnbringendes „Handeln“<br />

erlaubt, vermutlich zwangsläufig, denn die Güter der Erde fließen der<br />

neuen hegemonialen Macht wie von selbst zu.<br />

Ausdruck der neuen eigenartigen Auffasungen ist etwa – und so<br />

zeigt es das Gedicht – eine Ablehnung der vorgebrachten<br />

Vorstellungen und Vorschläge nicht etwa in der eigenen Person<br />

begründet zu sehen, oder in sachlichen Differenzen, oder in der<br />

ungünstigen Wahl des Zeitpunktes – sondern eine solche Ablehnung<br />

als Beleidigung des eigenen, neuen Gottes wahr zu nehmen.<br />

Welcher Sprengstoff in solchen kurzschlüssigen Annahmen<br />

131


enthalten ist, zeigen die theokratischen Impulse unserer Zeit – im<br />

Nordwesten wie im Südosten – genug.<br />

_ _ _<br />

Venus<br />

9; VII, 51<br />

Zwei Standarten von Seiten der Auvergne<br />

Links genommen für eine Zeit regiert das Gefängnis<br />

Und eine kindliche Dame will drohen<br />

der Sinnenhaften; aber die Affaire entdeckt<br />

Todesgefahr grollt über die Erde<br />

Deutsche Dieberei, Bruder und Schwester arrestiert<br />

In diesem Gedicht werden die Polaritäten deutlicher, zwischen<br />

„Dame“ und „Sinnlicher“, zwischen „links“ und „Regierung“. Und<br />

vielleicht auch zwischen „deutsch“ und „Auvergne“, „Standarte“ und<br />

„Diebstahl“. Allerdings ist zu dieser Zeit die Aspiration der „Dame“<br />

nicht ausgereift, „kindlich“: und so setzt sich erneut die andere Seite<br />

durch, nimmt die Familie in eine Art Sippenhaft.<br />

Es drängen sich Assoziationen zu den Ereignissen für Napoleon III.<br />

Auf. Es beirrt hier aber der regionale Begriff „Auvergne“, und die<br />

Zusammenhänge der „Sinnlichen“: letztere erscheinen für die Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts verfrüht.<br />

_ _ _<br />

Mond<br />

12; VII, 54<br />

Neu gewählt der Patron des großen Kelches<br />

Lange sieht er brennen die klare Fackel<br />

132


Die eine Leuchte auf dieses tiefe Land setzte<br />

Und in diesen Zeiten Armeen unter seinem Namen<br />

Verbunden mit jenen der Glücklichen von Bourbon<br />

Es erhebt sich stellt sich und schläft sein Erinnerung<br />

Hier geht es um ein Licht, verbunden mit einer Signifikation des<br />

Mondes. Dieses Licht wird transponiert von höheren Ebenen auf<br />

„irdisches Terrain“. - Vermutlich hat diese „Fackel“ etwas mit<br />

Astrologie oder allgemeiner mit der Lehre von den zeichen und<br />

Symbolen zu tun. -<br />

Die Leuchte verbindet sich wieder mit einer Familie, die, als jene<br />

„von Bourbon“, für Frankreich „Glückliches“ bedeutet. Es ist fraglich,<br />

ob der „Patron des großen Kelches“ hier mit „Bourbon“ verbunden<br />

ist, es läge nahe.<br />

Ein „Patron de großen Kelches“ spricht weniger für politische, als für<br />

geistig-geistliche Macht. - Es ist auch noch eine andere Übersetzung<br />

der ersten Zeile denkbar, von einem „Patron des großen Schiffes“.<br />

Dann würde die Anspielung an den heiligen Gral zu Gunsten des<br />

bekannten Bildes vom Schiff weichen. -<br />

Interessant ist dabei, dass hier aus einer „Nussschale“ - Aucane/1 –<br />

ein „Schiff“ geworden ist. Wollte man hier biblisch weiter<br />

argumentieren, müsste man die Arche des Noe anführen: ein<br />

Wasserfahrzeug, das im Stande ist, große Werte vor den Fluten der<br />

Überschwemmung zu bewahren. Astrologisch zeigt sich darin ein<br />

antithetisches Moment zu der aquatischen Triplizität (Krebs,<br />

Skorpion, Fische), über die bei Tag und nacht Mars herrscht. Hier<br />

„steuert“ eine Person, eine Familie, eine „Fackel“ dem Überwiegen<br />

und der Durchsetzung des Martialischen, verhindert dessen<br />

133


„übeltäterisches“ Auswirken.<br />

Doch scheinen solche Realisationen zeitlich begrenzt: die<br />

„Erinnerung“ an dieses Tun steht zwar auf, und bleibt bewusst, aber<br />

„schläft“ eines Tages doch wieder ein. Dieses tut die letzte Zeile<br />

kund.<br />

_ _ _<br />

Mars<br />

13; VII, 55<br />

Im Oktober sechshundert fünf<br />

Der Lieferant des Meeresungeheuers<br />

Nimmt die Salbung zum Souverän<br />

Und sechshundert sechs im Juni<br />

Große Freude den Großen und den Gemeinen<br />

Große Taten nach der großen Taufe -<br />

In einer Zeit, die mit Skorpion verbunden ist – in einem „Oktober“ -<br />

wird einer zum „Souverän gesalbt“: doch er wird später der<br />

Stammvater eines „Meeresungeheuers“ sein.<br />

Doch nur ein wenig später – so die zweite Hälfte des Gedichtes –<br />

kommt es hier zu einem großartigen Ereignis für die christliche Seite:<br />

es kommt zu einer „Taufe“, und zwar nach der besagten „Salbung“<br />

(„cresme“ - „baptesme“). - Es ist offen, ob von diesem geistlichen<br />

Wandel der „Lieferant“ betroffen ist, oder einer seiner Nachfolger. -<br />

Jedenfall ist dieses Ereignis Grund zu „großer“ allgemeiner „Freude“:<br />

für „Große“ („Grands“) und für „Gemeine“ („communs“): es ist dieses,<br />

wie bereits ausgeführt, ein Hinweis auf die Polarität, die gewissen<br />

Teilen der Weissagung des Michael Nostradamus inhaltlich zu<br />

134


Grunde liegt.<br />

_ _ _<br />

Merkur<br />

21; VII, 63<br />

Der merkurialische Name sehr langen Lebens<br />

Sechshundert und acht und zwanzig große Krankheit<br />

Und weiter Schande Feuer- und Wassersgefahr<br />

Sein großer Freund ist im zu dieser Zeit entgegen<br />

Von solchem Glückspiel könnte er gerne lassen<br />

Aber kurz das Feuer bereitet ihm sein Grab<br />

Dieses Gedicht kann wesentlich sein, die Reihe der Signifikationen<br />

zu verifizieren. Es kann wohl kein Zufall sein, dass ein Gedicht über<br />

einen „Merkurialischen“, an den sich die Menschheit lange erinnern<br />

wird, zu einer Kennzeichnung Merkurs gehört.<br />

Wie bereits ausgeführt, können merkurialische Präsenzen, vor allem<br />

des mundanen sechsten Hauses, Jungfrau, sich auf „Krankheit“<br />

beziehen. Hier scheint die entwickelte Bedeutungsdimension des<br />

„Babylonischen“ einschlägig; was aber ein „Freund“ sein wird, der zu<br />

dieser Zeit „feindlich“ handelt, sowie andere Aussagen des zweiten<br />

Teiles des Gedichts, bleiben indifferent.<br />

Es gibt nur einen weiteren Text unter den Sechszeilern, der ebenfalls<br />

mit einem astronomischen Begriff beginnt. Auch dieser hat eine<br />

deutliche Beziehung zu der Reihe der Kennzeichnung, wenn auch<br />

eher eine der Aposiopese.<br />

135


Mond<br />

47; VII, 89<br />

Venus und Sonne Jupiter und Merkur<br />

Vermehren den natürlichen Stamm<br />

Großes Bündnis bildet sich in Frankreich -<br />

Und im Süden die Sinnliche das Gleiche<br />

Das Feuer flammt auf durch diese extreme Medizin -<br />

Auf sichere Erde pflanzt er die Olive<br />

Die erste Zeile erwähnt eben „Mond“ nicht; allerdings bezieht sich<br />

die zweite Zeile auf den „natürlichen Stamm“, meint die materiellphysikalische<br />

Existenz und ihr libidinös gesteuertes Gedeihen<br />

(„augmenter“).<br />

Weil Saturn und Mars zu den oberen Planeten gehören, und eher als<br />

„Übeltäter“ zu klassifizieren sind – die dem „Natürlichen“ abhold sein<br />

dürfen – können sie gar nicht zu einem Gedeihen dieser Partei<br />

beitragen. Erschienen sie aber in einer Signifikation, beispielsweise<br />

in Spannungsaspekt zu den Lichtern, wären „Ungeheuer“ oder<br />

„Tiere“ angezeigt.<br />

Für Michel Nostradamus ist zu der betexteten Zeit ein „großes<br />

Bündnis“ gegen die „Sinnliche“ eine „extreme Medizin“: solche<br />

Rosskuren können dem Weltorganismus mehr schaden als nützen –<br />

man denke an den verheerenden Krieg im Irak, initiiert durch den<br />

amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der eine Spirale der<br />

Gewalt, unter der wir heute noch leiden, auslöste: solche<br />

vermeintlichen Heilmittel steilen die Polaritäten weiter auf, und es<br />

werden „Feuer angefacht“, die schwierig zu löschen sind: eben weil<br />

auch die Gegenseite sich gleicher Mittel bedienen kann und wird.<br />

136


Unkluge Aktionen erzeugen missliche Reaktionen. - Dieses gilt für<br />

alle gegenwärtigen Einmischungen in die inneren Konflikte der<br />

islamischen Staaten. Sie verhindern kathartische „Lernprozesse“ -<br />

so schmerzlich solche für viele Individuen sein werden - und liefern<br />

der „Gegenseite“ viele Argumente und Vorwände, eine aggressive<br />

Ideologie aufrecht zu erhalten. Man kann dabei sehen, wie alleine<br />

die reine Antithetik Doktrinen erzeugt, die der Inspiration entbehren<br />

können.<br />

Nimmt man unter solchen Blickwinkeln den Text unter die Lupe,<br />

handelt hier auch die „franke“ Seite „sinnenhaft“: sie glaubt – parallel<br />

zu scheinbar günstigen Anzeigen – in allzu simpler Weise sich<br />

vitalisieren zu können. So vernachlässigt sie den geistigen Aspekt,<br />

glaubt sich einer intensive Auseinandersetzung mit den<br />

konflikthaften Momenten entschlagen zu können. In Wirklichkeit ist<br />

das Geistige aber viel bedeutender, als seine oft schwach<br />

aussehenden Wirkungen erscheinen lassen.<br />

Nur einer handelt hier korrekt und gut. Und er setzt jenen Baum, von<br />

dem das Öl der Salbung stammt, die Olive, auf „sicheren Boden“, d.<br />

i. außerhalb jenes geographischen Bereiches, in dem das „Feuer“ zu<br />

lodern beginnt. Solche Handlungsweise ist in tiefsten Sinne<br />

„exemplarisch“: d. h. mehr als beispielhaft, es ist sinnstiftend, weit<br />

über das reine Vorbild hinaus, es entwirft Haltungen, die noch viel<br />

gültiger sind, als sie das gesetzhaft sich richtende Gute schaffen<br />

kann. Das Geistige ist realer, als seine scheinbar fehlenden<br />

„irdischen“ Wirkungen glauben machen: in ihm ist der „sichere<br />

Boden“ viel mehr gegeben als in materiellen Umständen und<br />

psychophysischen Bedingungen.<br />

_ _ _<br />

137


Mars<br />

34; VII, 76<br />

Das große Getöse wegen Frankreich<br />

Die Machtlosen; wollen Macht haben<br />

Honigsüße Sprache und wahre Chamäleone<br />

Und Rädelsführer Anzünder der Kerze -<br />

Elstern und Eichelhäher Erzähler von Neuigkeiten<br />

Ihr Stich ähnelt jenem von Skorpionen -<br />

Vier Tiere werden hier genannt: das lunatische „Chamäleon“, das<br />

sich jedem Untergrund anpassen kann, und schwimmt in allen<br />

Dynamiken von Gruppen ohne eigene Identität; die Rabenvögel<br />

„Elster“ und „Eichelhäher“, deren krächzende Laute nach Agrippa an<br />

das Ersticken erinnern und zu Mars gehörig sind – wahre Vertreter<br />

der Kombination von Mars und Merkur, der gewaltsamen<br />

Durchsetzung ihrer Ideologie; für sie verwendet Nostradamus nun<br />

ein Gleichnis, sie, und ihr Wort, ähnelt dem „Stich des Skorpion“ - im<br />

Tierkreis ist das das achte mundane Haus, das Haus des Todes, der<br />

Nachtseite, des Erbes.<br />

Die Kennzeichnung der so symbolisierten Geschehnisse ist<br />

martialisch. Vorläufig entbrennt aber die Auseinandersetzung noch<br />

nicht; die „Machtlosen“ wollen nur die „Macht übernehmen“ - das<br />

bedeutet, es ist noch eine andere Fraktion am Ruder. Doch<br />

Zeitungen und Medien – symbolisiert durch die Singvögel aus der<br />

Familie der Raben - verbreiten Meldungen, die dem gegenwärtig<br />

herrschenden System „Stiche“ versetzen: diese tun weh, und ihre<br />

Wirkungen sind weittragend, wie der Biss der „Skorpione“. Aber die<br />

Sprache und der Stil ist „honigsüß“: das ist eine Verstellung, die<br />

138


durchschaut werden muss. Das Erkennen solcher Hintergründe ist<br />

auch in der gegenwärtigen nordwestlichen Demokratie die große<br />

Aufgabe jedes Menschen, der sich politisch interessiert und<br />

engangiert: was ist Sein, was ist Schein, was dient dem<br />

Stimmenfang, was ist politische Leistung, was ist populistische<br />

Vereinfachung, wo ist (geistige) Substanz, wo ist leeres, aber<br />

bestimmendes Gerede?<br />

Zu der Zeit des Sechszeilers bleibt es vorläufig bei „Getöse in<br />

Frankreich“. Was weiter kommt, wird die Zukunft weisen.<br />

_ _ _<br />

Merkur<br />

35; VII, 77<br />

Schwach und stark sind in großer Zwietracht<br />

Viele sterben bevor Eintracht geschlossen<br />

Schwacher wird sagen zum starken Sieger<br />

Der Mächtigere gleicht dem Jüngeren aus<br />

Und der Ältere der zwei wird erhöhen<br />

Hier einer zwei zieht ins Imperium<br />

Das Gedicht 35 ist wohl keine Fortsetzung von 34.<br />

Wieder erscheint die bekannte Polarität. Es setzt sich die bewährte<br />

traditionelle Kraft durch: doch mit großem rhetorischen Geschick tritt<br />

ihr die unterlegene Seite entgegen, holt für sich zumindest<br />

argumentativ das Maximum aus der Niederlage. - Die Zeilen vier und<br />

fünf zeigen jene abgründige Rhetorik, die einerseits „honigsüß“<br />

vorkommt, andererseits aber unerbittlich ihren Vorteil vertritt. Alleine<br />

schon das Spiel mit Begriffen wie „jünger“ oder „älter“ zeigt hier eine<br />

139


demagogische Intention. Denn wer hat festgestellt, was „jünger“ und<br />

was „älter“ ist? Alleine die vermeintlich jüngere Seite. Man würde die<br />

Menschen der Urzeit beleidigen, unterstellte man ihnen, ihre Ethik<br />

wäre „sensualistischer“ gewesen als jene von uns Heutigen: es hat<br />

zu allen Zeiten solche und solche gegeben, und eine<br />

Unterscheidung zwischen „jung“ und „alt“ vergisst, dass schon die<br />

Verhaltensweisen von Kain und Abel in der ersten Familie das „Alter“<br />

des einen wie des anderen, des Guten wie des Schlechten, als<br />

gleich darstellen. Was aber wäre das rechte ethische Verhalten? Zu<br />

dieser Zeit? Vermutlich nicht dieses und nicht jenes wiederholen,<br />

sondern inspiriert „Neues“ tun. Aber so etwas ist nicht immer<br />

möglich: man muss aber es zumindest geistig wollen und<br />

intendieren.<br />

Nach der dargestellten verführerischen Rede gestaltet sich die<br />

Geschichte weiter: eine/einer von beiden, unbekannt welcher, „fällt“<br />

in ein „Imperium“.<br />

_ _ _<br />

Jupiter<br />

36; VII, 78<br />

Durch Wasser Feuer und durch große Krankheit<br />

Der Lieferant im Zufall seines Lebens<br />

Weiß wie oft mal gewendet der Zentner von Holz<br />

Sechshundert und fünfzehn oder der neunzehnte<br />

Meißelt man eines großen fünften Fürsten<br />

Den unsterblichen Namen auf des Kreuzes Fuß<br />

Bekannt ist die Konnotation „Krankheit“, hier zusammen mit großen<br />

Koinzidenzen des miteinander unverträglichen „Wassers“ und<br />

140


„Feuers“.<br />

Wieder erscheint der Begriff „Lieferant“: das ist wohl eine Person,<br />

aus derem (metaphorischem) „Stamm“ über kurz oder lang<br />

„Ungeheuerliches“ auf die Welt kommt. Der „Lieferant“ hier hat<br />

unendlich viel Glück: während die „mächtigere“ Seite durch Gnade<br />

und Arbeit langsam und mühevoll sich entwickelt, hat die<br />

„schwächere“ Seite, die Entsprechung niedrigerer Ränge, den<br />

„Zufall“ und den puren „Hasard“ als große Hilfe.<br />

Anscheinend stehen sich in diesen Zeiten, die das Niedrigrangige<br />

begünstigen, ein „neunundzwanzigster“ und ein „fünfter“ sich<br />

gegenüber, und der letzte, ein „Großer“, gehört zur Partei des<br />

„Kreuzes“, verliert aber sein Leben.<br />

_ _ _<br />

Venus<br />

37; VII, 79<br />

Der Lieferant des Monsters ohnegleichen<br />

Lässt sehen so wie die Sonne<br />

Aufsteigt entlang der südlichen Linie<br />

Und verfolgt den Elefant und den Wolf<br />

Kein Kaiser tat je einen solchen Schlag<br />

Und nicht viel schlimmer für jenen Fürst der kommt<br />

Hier geschehen im Vorfeld „ungeheuerlicher“ Ereignisse Taten, die<br />

nicht viel weniger übel sind als die künftigen.<br />

Ein „Kaiser“, vermutlich aus dem „Süden“, führt Krieg mit jenen<br />

Staaten, die dem „Elefant“ und dem „Wolf“ analog sind. Der Elefant<br />

ist ein jovialistisches Tier, der Wolf ein martialisches; die „lange<br />

141


Nase“ kennzeichnet den „leicht zähmbaren und gut gearteten“<br />

Elefanten nach Horapollo als heikel und wählerisch, der Wolf hat wie<br />

andere martialischen Tiere die Attribute „kriegerisch, räuberisch,<br />

kühn, achtsam“, verfügt über einen Überschuss an Wärme, was z. B.<br />

bei Pflanzen, etwa Nesseln, zu brennenden Blasen führt, und bei<br />

Kriechtieren, Schlangen, „Drachen“, zu Gift.<br />

Das Kaisertum ist mit den Feuerzeichen, und darin mit inhaltlich<br />

Löwe/Sonne verbunden; das christliche Königtum hat Zeichen, die<br />

das Feuerige mäßigen, vor allem die saturninen Zeichen des<br />

Winters, Steinbock und Wassermann.<br />

_ _ _<br />

Zum Schluss nun das letzte Gedicht der Sechszeiler. Es betrifft in<br />

trockener Weise das Ende der „Sinnlichen“.<br />

Merkur<br />

56; VII, 98<br />

Sensue wird in kurzer Zeit sterben<br />

Ihr Tod gibt gutes Zeichen<br />

Für das Wachstum von Frankreich -<br />

Bündnisse weben sich<br />

Zwei große Königreiche verknüpfen sich<br />

Francois hat Macht über alles -<br />

Es ist fraglich, ob dieses wirklich das zeitlich am weitesten entlegene<br />

Gedicht ist. Es kann möglicherweise die „Sinnliche“ mehrere<br />

Untergängen erleiden, und dann bezöge sich das Gedicht auf<br />

Zeitpunkte weit vor 3797.<br />

142


Doch es ist zu betonen: „irgendwann“ - so unbestimmbar dieses<br />

auch ist - wendet sich die Geschichte zum Besseren. Und in<br />

Nostradamus Perspektive gerät dann „Frankreich“ und „Francois“ in<br />

den Fokus der Entwicklung. Es ergeben sich „Wachstum, Bündnisse<br />

und Macht“.<br />

Die Verbindung „zweier großer Königreiche“ kann ein Symbol der<br />

Reintegration der Welt zum Guten sein.<br />

143

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