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Versuch eines Dialogs - forum junge wissenschaft

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118 Jakob Lempp<br />

Dies alles ist also weder neu noch überraschend. Verblüffend sind dagegen zwei andere<br />

Aspekte der Machtausübung in und um den Ministerrat. Erstens, angesichts des Umfangs<br />

tatsächlich ausgeübter Macht des Rats, ist das die so große Ignoranz der meisten Europäer<br />

hinsichtlich dieser Institution. Und zweitens ist das die institutionelle Eigendynamik, welche<br />

die Entwicklung des Rats seit 50 Jahren prägt. Auf beides soll abschließend eingegangen<br />

werden.<br />

Warum ist es gerade der einflussreiche Ministerrat, der so wenig bekannt ist und dem<br />

so wenig Vertrauen entgegengebracht wird? Dies hat mindestens fünf Gründe. Erstens ist<br />

die Funktionsweise des Rats in einer ganz außerordentlichen Weise kompliziert. Sowohl<br />

seine Organisation als auch seine differenzierten Abstimmungs- und Entscheidungsfindungsverfahren<br />

sind selbst für Experten nur schwer in Gänze zu erfassen. Aufgrund s<strong>eines</strong><br />

wenig konsistenten Leitideenbündels und seiner Zwitterstellung als halb-europäische und<br />

halb-mitgliedstaatliche Institution ist es schwierig, den Rat in altbekannte Klassifikationsschemata<br />

einzuordnen. Während für das Europäische Parlament, die Europäische Kommission<br />

und den Europäischen Gerichtshof funktionale Äquivalente in nationalstaatlichen politischen<br />

Systemen schnell zur Hand sind, ist der Rat eine ganz neuartige Institution, die<br />

gerade deshalb häufig falsch eingeschätzt wird. Zweitens ist die demokratische Legitimation<br />

des Rats im Vergleich zu jener des Europäischen Parlaments eine indirekte und abgeleitete.<br />

Konkret und folgenreich heißt das: Es gibt keine unmittelbare Schnittstelle zwischen<br />

dem Rat und den Staatsvölkern der Europäischen Union. Dass die Wahlen zu den nationalen<br />

Parlamenten indirekt auch Wahlen über die Zusammensetzung des Ministerrats sind, ist<br />

dann auch den wenigsten Wahlberechtigten bewusst. Immerhin dauerte es selbst im Fall<br />

des deutschen Nationalstaats einige Jahrhunderte, bis die gliedstaatlichen Landtagswahlen<br />

immer wieder auch als folgenreich für den Bundesrat als föderales Vertretungsorgan verstanden<br />

wurden. Drittens ist der Rat sowohl im Vergleich mit den übrigen europäischen<br />

Institutionen als auch im Vergleich mit anderen Institutionen, in welchen sich Regierungsvertreter<br />

zum Zwecke der Entscheidungsfindung treffen, etwa dem Deutschen Bundesrat,<br />

sehr intransparent. Viertens ist die massenmediale Berichterstattung im Anschluss an Ratssitzungen<br />

im Normalfall national versäult. Dies führt einerseits dazu, dass der Rat in der<br />

Öffentlichkeit häufig nicht als eigenständige Institution wahrgenommen wird, sondern<br />

ausschließlich als Treffen von Ministern. Andererseits hat das zur Folge, dass den Ministern<br />

auch tatsächlich ein Anreiz gegeben wird, nationale Interessen im Rat über ein europäisches<br />

Gemeinschaftsinteresse zu stellen, um dann eventuelle Verhandlungserfolge vor<br />

den heimischen Medien symbolträchtig zu inszenieren. Und fünftens ist in diesem Zusammenhang<br />

auch das Phänomen der absichtlichen Verschleierung von tatsächlich ausgeübter<br />

Macht beobachtbar: Das von seiner Struktur, seiner Personalpolitik und auch seinen<br />

institutionellen Interessen her supranationalste Element des Ministerrats, das Generalsekretariat,<br />

„intentionally maintains a low profile but is known to be highly influential in attaining<br />

consensus.“ Dies ermöglicht allerdings ein relativ effizientes, von massenmedialer<br />

Berichterstattung unbehelligtes Arbeiten, geht aber zu Lasten der Transparenz des Ministerrats.<br />

Es ist gerade dieses für den Ministerrat typische Spannungsverhältnis zwischen Effizienz,<br />

Transparenz und Legitimität, das ganz wesentlich dazu führt, dass der Ministerrat für<br />

die meisten Europäer eine Terra incognita bleibt, die eher zur Mythenbildung als zur sachlichen<br />

Analyse einlädt.<br />

21<br />

Vgl. etwa Le Monde, 13. Oktober 1992, S. 2.<br />

22<br />

W. Wessels 1991, S. 140; vgl. für einen ähnlichen Befund beim AstV auch J. Lewis 2000, S. 265.

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