Versuch eines Dialogs - forum junge wissenschaft
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16 Laura Wilfinger<br />
Er wirft dem Empörten statt dessen einen Mangel an Haltung vor: „Du redest dunkel und es<br />
ist keine Helle, die du während des Redens schaffst“ 16 .<br />
Keuner, der Denkende, gibt sich unberührt, ja ‚unbelästigt’ vom unreflektierten, oder<br />
wie er sagt: „täppischen“ Verhalten seiner Mitmenschen – allerdings: scheinbar unhinterfragbare<br />
‚Wahrheiten’ beunruhigen ihn:<br />
Das Fragen, genauer das Hinter-Fragen, ein forschendes ‚Wissen-Wollen’, was dahintersteckt,<br />
gehört daher zu den charakteristischen Tätigkeiten dieses ungewöhnlichen Zeitgenossen.<br />
Nicht zuletzt deshalb scheint er eine gewisse Autorität in Lebensfragen zu genießen,<br />
gerne wird er um Rat gefragt und selten ist er um eine praktische Weisheit verlegen.<br />
Selbst die schwierige Frage, ob es einen Gott gibt, weiß er geschickt aufzulösen. Denn<br />
er antwortet:<br />
Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern<br />
würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallenlassen. Würde es sich ändern,<br />
dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, daß ich dir sage: Du hast dich<br />
schon entschieden: Du brauchst einen Gott. 17<br />
Wir lernen also den Denkenden, als eine Art Alltagsphilosoph kennen, einen, der seine<br />
Weisheit – im Unterschied zu dem zitierten Philosophieprofessor – durch seinen kritischen<br />
Blick, seine „unbelästigte, forschende und wissende Haltung“ erworben, fast würde man<br />
sagen: hergestellt zu haben scheint: Keuners praktikable Weisheit wäre demnach erlernbar,<br />
ließe sich – mit etwas eigener Kunstfertigkeit – nachahmen wie das Verhalten <strong>eines</strong> Schauspielers<br />
auf der Bühne.<br />
Vielleicht treffen wir deshalb Herrn Keuner, den Denkenden, auch in einem Saale vor<br />
vielen sprechend an, umgeben von Schülern, die seiner Autorität ähnlich interessiert, fast<br />
wissensbegierig begegnen wie die Schauspieler, die zu Anfang den wissenden Denkenden<br />
auf dem Stuhl zu sich auf die Bühne tragen. Meist war Herr Keuner nicht nur fast namenlos,<br />
sondern auch sein Umfeld seltsam zeit- und ortlos erschienen – doch wie wir den Denkenden<br />
nun seine Maßnahmen gegen die Gewalt lehren sehen, mag uns daran erinnern: Wir<br />
schreiben 1930.<br />
Als Herr Keuner, der Denkende, sich in einem Saale vor vielen gegen die Gewalt aussprach,<br />
merkte er, wie die Leute vor ihm zurückwichen und weggingen, blickte um und sah hinter sich<br />
stehen – die Gewalt.<br />
‚Was sagtest du?’ fragte ihn die Gewalt.<br />
‚Ich sprach mich für die Gewalt aus’, antwortete Herr Keuner.<br />
Als Herr Keuner weggegangen war, fragten ihn seine Schüler nach seinem Rückgrat. Herr Keuner<br />
antwortete: ‚Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muß länger leben als die<br />
Gewalt.’ 18<br />
Und weil er sich noch immer von der Gewalt belauert fühlt, verzichtet Herr Keuner auf eine<br />
genauere Erklärung s<strong>eines</strong> Verhaltens und erzählt seinen verdutzten Schülern statt dessen<br />
16 GBA 18, 13 (Geschichten vom Herrn Keuner).<br />
17 GBA 18, 18 (ebd.).<br />
18 GBA 18, 13 (ebd.).