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Interview mit Alfredo Tovar, Vorstandsmitglied der Kohlearbeiter ...

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<strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> <strong>Alfredo</strong> <strong>Tovar</strong>, Vorstands<strong>mit</strong>glied <strong>der</strong> <strong>Kohlearbeiter</strong>-<br />

Gewerkschaft SINTRAMIENERGETICA, November 2010<br />

Herr <strong>Tovar</strong>, was sind ihre wichtigsten Anliegen, die sie auf ihrer Reise in die Schweiz und nach<br />

Deutschland vortragen wollen?<br />

<strong>Alfredo</strong> <strong>Tovar</strong>: Einerseits erleiden wir Gewerkschafts<strong>mit</strong>glie<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e die Führungspersonen,<br />

eine systematische Anfeindung und Verfolgung durch die Unternehmen Carbones de La Jagua und<br />

Prodeco. Zudem werden verschiedene Punkte unseres hart erkämpften Gesamtarbeitsvertrages<br />

nicht erfüllt. An<strong>der</strong>erseits gibt es aber in <strong>der</strong> Gegend, wo die Kohle abgebaut wird, trotz des<br />

Reichtums, auf dem wir leben, große Armut, unbefriedigte Grundbedürfnisse, ja sogar Hunger.<br />

Zusammen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung suchen wir dafür Lösungen. Proteste <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

werden aber meistens gewalttätig unterdrückt.<br />

Wenn sie von Verfolgung und Anfeindung <strong>der</strong> Gewerkschafter sprechen, was meinen sie da<strong>mit</strong><br />

genau? Wie drückt sich das aus?<br />

Da sind einmal die Vorarbeiter o<strong>der</strong> Chefs, die uns gegenüber eine feindliche Haltung einnehmen,<br />

die uns provozieren o<strong>der</strong> versuchen, Streit anzuzetteln. Wenn wir uns wehren, gibt es dann ein<br />

Disziplinarverfahren. Dies ist dem Präsidenten von Sintramienergetica in Carbones de La Jagua<br />

passiert. Er wurde von einem Chef angerempelt und als er dagegen verbal protestierte, wurde er für<br />

fast einen Monat sanktioniert. D.h. er konnte fast einen Monat nicht arbeiten und erhielt für diese<br />

Tage keinen Lohn. In einem an<strong>der</strong>en Fall wurde einem Mitglied unseres Vorstands mündlich<br />

zugesichert, dass er für die Teilnahme an einem Treffen Gewerkschafterurlaub, also arbeitsfrei<br />

bekommen und dass die schriftliche Einwilligung nachher ausgestellt würde. Als <strong>der</strong> Kollege schon<br />

unterwegs war, erhielt er von <strong>der</strong>selben Person einen Anruf, er müsse zur Arbeit erscheinen, die<br />

Bewilligung sei verweigert worden. Da er logischerweise zu spät zur Arbeit kam, wurde er ebenfalls<br />

<strong>mit</strong> mehreren Tagen Arbeitsverbot sanktioniert. Dann ist da die Firmenpolitik zur Prävention von<br />

Alkohol und Drogenkonsum. Immer wie<strong>der</strong> werden wir in entwürdigen<strong>der</strong> Weise zu Drogen- und<br />

Alkoholtests gezwungen. Es kam verschiedentlich vor, dass diese „Tests“ ein positives Ergebnis<br />

zeigten, wir dann aber auf einer unabhängigen ärztlichen Untersuchung beharrten und das Resultat<br />

negativ war. Nicht alle Betroffenen können sich aber durchsetzen, und es wurden Leute deswegen<br />

entlassen.<br />

Was kann die Gewerkschaft gegen diese aggressive Politik tun?<br />

Wir haben als Gewerkschaft einige interne Mechanismen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Firma, wo solche Probleme<br />

diskutiert werden können. Meistens erreichen wir da aber nicht viel, weshalb wir immer wie<strong>der</strong><br />

Klagen beim Arbeitsministerium einreichen müssen. Man muss aber sehen, dass wir lei<strong>der</strong> häufig in<br />

<strong>der</strong> Defensive sind, und dass genau diese Verfolgung, die permanente Gefahr, entlassen zu werden,<br />

unsere Energie und Zeit absorbiert. Wir sind als Gewerkschaftsführung da<strong>mit</strong> beschäftigt, uns selber<br />

zu verteidigen, anstatt weitere Arbeiter organisieren zu können. Glencore fährt heute eine Politik,<br />

die unserem Wachstum klar schadet. Einerseits sind wir nicht überall präsent, an<strong>der</strong>erseits gibt es<br />

eine Politik <strong>der</strong> Firma, einen Beitritt zur Gewerkschaft unattraktiv zu machen. Beim Projekt „La<br />

Jagua“, das sind die beiden Minen Carbones de la Jagua und CMU, sind wir nur in Carbones de la<br />

Jagua präsent, nicht aber in CMU. Die Firma spielt da<strong>mit</strong>. Arbeiter, die nicht in <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />

sind, erhalten einiges mehr an Lohn, erhalten Jahresendprämien und sonstige Vorteile, die wir in<br />

<strong>der</strong> Gewerkschaft bei absolut gleicher Arbeit nicht erhalten. Die deutliche Lohndifferenz haben wir<br />

in den Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen aufgenommen. Glencore willigte ein, dieses Problem<br />

innert 2 Monaten nach Unterzeichnung des Abkommens <strong>mit</strong> uns zu lösen, bis heute ist aber nichts<br />

passiert. Die Arbeiter werden also unter Druck gesetzt, nicht <strong>der</strong> Gewerkschaft beizutreten, da sie<br />

sonst finanzielle Einbußen erleiden. Längerfristig würden sie aber <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Gewerkschaft besser<br />

fahren, da wir uns integral für stabile und sichere Arbeitsplätze einsetzen.<br />

Sie erwähnen die Sicherheit am Arbeitsplatz. Was sind die Risiken <strong>der</strong> Arbeit in einer so großen<br />

Mine?<br />

Wir haben tatsächlich ein Problem <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Sicherheit und unsere Gesundheit leidet darunter. Zu<br />

erwähnen sind Atemwegserkrankungen. In schweren Fällen treten Staublungen auf . Dann haben wir


Probleme <strong>mit</strong> dem Gehör, einige entwickeln Sehbehin<strong>der</strong>ungen. Beson<strong>der</strong>s gravierend sind die<br />

Wirbelsäulenprobleme, ausgelöst durch die Vibrationen in den Maschinen, vor allem aber durch die<br />

schweren Felsbrocken, die in die Lastwagen donnern. Die Liste <strong>der</strong> arbeitsunfähigen Arbeiter steigt<br />

deswegen kontinuierlich an. Diese werden dann einfach pensioniert. Zudem gibt es zahlreiche<br />

Unfälle, unter an<strong>der</strong>em wegen den langen Arbeitsschichten von zwölf Stunden. Die Firma verlangt<br />

nun zusätzlich, dass wir auch bei starkem Regen arbeiten. Diese unbefestigten Straßen <strong>mit</strong> dem<br />

Staub werden bei Regen jedoch zu richtigen Rutschbahnen, was das Unfallrisiko erhöht.<br />

Sie hatten diesen Sommer einen langen Streik…<br />

Schauen Sie, ich arbeite seit 22 Jahren in <strong>der</strong>selben Mine. Glencore hat sie vor sechs Jahren<br />

gekauft. In den 15 Jahren unter Carbones del Caribe hatten wir einmal einen schweren<br />

Arbeitskonflikt, in den sechs Jahren unter Glencore schon <strong>der</strong>er drei, das heißt bei je<strong>der</strong> neuen<br />

Kollektivverhandlung! Im vergangenen Sommer streikten wir fast 40 Tage, am Schluss wurde unser<br />

Protest brutal unterdrückt. Unsere Frauen und Kin<strong>der</strong> hatten den Streik unterstützt und mehrere<br />

Eingänge zum Minengelände blockiert. Die Polizeison<strong>der</strong>einheiten ESMAD erhielten dann den Befehl,<br />

diese Blockaden zu räumen. Sie taten dies <strong>mit</strong> aller Härte. Frauen – darunter Schwangere – und<br />

Kin<strong>der</strong> wurden geschlagen, litten unter dem Tränengas. Sie versuchten auch da, Führungspersonen<br />

des Streiks zu provozieren, um sie dann festnehmen zu können und sie vor Gericht zu bringen. Das<br />

brutale Vorgehen des ESMAD hat aber nicht nur uns geschadet, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Firma, und wir alle<br />

waren nach so langem Protest erschöpft, Arbeiter wie Unternehmen. Glencore hat dann das<br />

Verhandlungsangebot etwas verbessert und wir haben etwas nachgegeben, und so konnte eine<br />

halbwegs befriedigende Einigung erzielt werden.<br />

Sie haben eingangs die Armut in <strong>der</strong> Region angesprochen. Wie ist die soziale Lage in <strong>der</strong> Region?<br />

Die Situation bleibt angespannt. Einerseits sind die Dienstleistungen in den Dörfern schlecht, Wasser<br />

und Abwasserversorgung unzuverlässig o<strong>der</strong> manchmal überhaupt nicht vorhanden. Die Abgaben aus<br />

dem Kohlebergbau versickert in <strong>der</strong> Korruption <strong>der</strong> lokalen Gemeindeverwaltungen und in den<br />

Taschen illegaler bewaffneter Akteure. Zudem bezahlt Glencore nur fünf Prozent Abgaben und<br />

tätigt darüber hinaus sehr wenig soziale Investitionen. Die Minen haben viele Arbeiter aus an<strong>der</strong>en<br />

Regionen angezogen, und diese Arbeiter verdienen relativ gut verglichen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> lokalen<br />

Bevölkerung. Dadurch stiegen die Preise für Nahrungs<strong>mit</strong>tel. Hausbesitzer erhöhen die Mieten. Das<br />

Leben für die lokale Bevölkerung, die keine gutbezahlten Jobs hat, wird so sehr teuer. Plötzlich<br />

reicht das Geld dann nicht mehr für die Schule. Insbeson<strong>der</strong>e Mädchen sind davon betroffen. Viele<br />

gehen dann aus sozialer Not in die Prostitution. Es ist keine Seltenheit, elf- o<strong>der</strong> zwölfjährige<br />

Mädchen auf dem Straßenstrich o<strong>der</strong> schon <strong>mit</strong> einem Kind auf dem Arm zu sehen. Das ist einer <strong>der</strong><br />

Gründe, warum wir von den Unternehmen mehr Investitionen in das Bildungswesen for<strong>der</strong>n. Die<br />

Vorgängerfirma von Glencore finanzierte ein Schulrestaurant. Glencore hat die Finanzierung<br />

eingestellt.<br />

Wie ist die Lage <strong>der</strong> Gesundheit <strong>der</strong> Bevölkerung, die Umweltauswirkungen <strong>der</strong> Minen?<br />

Wir haben eine enorme Staubbelastung, viele Bewohner haben Atemswegserkrankungen o<strong>der</strong><br />

Hautkrankheiten. Die Krankenhäuser <strong>der</strong> Region haben eine Zunahme verschiedener Erkrankungen<br />

festgestellt. Die Leute nennen es oft „Grippe“, aber Auslöser ist die Kontamination durch die<br />

Kohlenminen. Auch die Flüsse werden verunreinigt. Am Grund <strong>der</strong> Minen sammelt sich ein sehr<br />

saures Wasser an, Grundwasser das durch die Kohle hindurch sickert und Schwefel und an<strong>der</strong>es<br />

enthält. Dieses Wasser zerstört Metallrohre in kurzer Zeit, sie werden von <strong>der</strong> Korrosion zerfressen.<br />

Dieses Wasser wird in die Flüsse geleitet. Aber auch die Landwirtschaft und Viehzucht leidet. Zum<br />

einen, weil die Minen sehr viel Land weggenommen haben, und zum an<strong>der</strong>en weil die<br />

Verschmutzung das Wachstum behin<strong>der</strong>t. Das Vieh frisst verunreinigtes Gras, wird krank und stirbt<br />

früher. Ein beson<strong>der</strong>es Problem stellt <strong>der</strong> Kohlezug dar. Die Bergbauunternehmen haben die<br />

bestehende Zugstrecke auf zwei Spuren ausgebaut. Das hat die Lärm- und Vibrationsbelastung in<br />

den Dörfern erhöht. Viele Häuser habe starke Risse in den Wänden. Um den zweiten Schienenstrang<br />

zu legen, wurden <strong>mit</strong>ten in den Siedlungen recht hohe Mauern gebaut. Bei den starken Regenfällen<br />

<strong>der</strong> aktuellen Regenzeit konnte deshalb das Wasser nicht schnell abfliessen. Es kam zu großen<br />

Überschwemmungen. Dadurch wurden auch die Trinkwasserbrunnen <strong>der</strong> Leute verunreinigt. All<br />

diese Probleme haben wir 2009 aufgegriffen und <strong>mit</strong> <strong>der</strong> ganzen betroffenen Bevölkerung zusammen<br />

For<strong>der</strong>ungen erarbeitet, um diese Missstände zu beheben. Diese For<strong>der</strong>ungen haben wir letzten


Herbst den Entscheidungsträgern auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene übergeben, aber<br />

bisher gab es keine Lösungen für irgendetwas.<br />

Cesar ist ja ein Department, wo es viele Menschenrechtsverletzungen gab und wo <strong>der</strong> bewaffnete<br />

Konflikt sehr stark war. Wie ist die Lage heute?<br />

Die Situation ist nicht gut. Es gab zwar in den letzten Jahren <strong>mit</strong> <strong>der</strong> sogenannten Demobilisierung<br />

<strong>der</strong> Paramilitärs etwas ruhiger geworden, aber die Paras sind nie ganz verschwunden. Heute sind sie<br />

unter neuen Namen aber <strong>mit</strong> den alten Zielen wie<strong>der</strong> aktiv. In den letzten Wochen haben<br />

verschiedene Paramilitärs ausgesagt über die Ermordung von zwei Gewerkschaftsführern bei<br />

Drummond im Jahr 2001. Jetzt wissen wir aufgrund dieser Aussagen, dass Drummond die<br />

Paramilitärs beauftragt und bezahlt hat, unsere Kollegen Valmore Locarno und Victor Hugo Orcasito<br />

zu ermorden. In ihren Aussagen bei <strong>der</strong> Demobilisierung haben die Paramilitärs viele Firmen<br />

erwähnt, von denen sie Unterstützung erhielten, unter an<strong>der</strong>em auch die Glencore-Tochter<br />

Prodeco. Lei<strong>der</strong> gab es bis jetzt noch keine gerichtlichen Untersuchungen darüber. Glencore scheint<br />

aber noch in ein weitere Probleme verwickelt zu sein. In <strong>der</strong> Region haben die Paramilitärs viele<br />

Kleinbauern vertrieben, vor allem von Land, unter dem Kohle vermutet wurde. Später haben die<br />

Paramilitärs o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Strohmänner das geraubte Land den Bergbauunternehmen Drummond und<br />

Glencore verkauft. Verschiedene juristische Untersuchungen bringen da langsam Licht in dieses<br />

dunkle Kapitel.<br />

Mit <strong>Alfredo</strong> <strong>Tovar</strong> sprach Stephan Suhner.

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