Dieser Inder möchte sein Gesicht nicht zeigen. 2007 testete das Bhopal Memorial Hospital an ihm ohne sein Wissen ein Medikament. Seitdem ist der 36-Jährige zeugungsunfähig. Sehen — 27
Eine Apotheke steht in Indien sozusagen gleich hinter dem Heiligtum: Nur Kühe (und Kricketstars) sind dort angesehener als Mediziner. Rupien, das sind etwas mehr als 3500 Euro pro Verstorbenem. Sanofi zahlte in zwei Fällen 150 000 und in einem 200 000 Rupien. Ärzte werden nicht bestraft, weil es dafür kein Gesetz und keinen Strafenkatalog gibt, und ihre Opfer ziehen nicht vor Gericht. Dr. Chandra Gulhati hält die Zahl der 1722 Toten für viel zu niedrig. »Es sind viel mehr, weil die meisten Toten gar nicht gemeldet werden«, sagt er, »die Ärzte schreiben sie als normale Tote ab. Die Angehörigen wissen gar nicht, dass ihre Verstorbenen Teil einer Studie waren. Es wird nicht ermittelt, es finden keine Obduktionen statt, um die Todesursache festzustellen. Und selbst wenn: Einen Anwalt können sich die Opfer natürlich auch nicht leisten.« Shankar Lal, der Herzkranke aus Bhopal, wird noch am Tag seines Todes verbrannt, so wie es der Brauch der Hindus verlangt. Ein Jahr später trifft Laxmi Bai im Slum die Mitarbeiterin einer NGO, die sich für einen Pensionsplan für die Bhopal-Opfer einsetzt, und schildert ihr den Tod ihres Mannes. Der jungen Frau kommt sein Ableben seltsam vor, sie fordert Shankar Lals Krankenakte vom BMHRC. Es dauert, bis diese herausgegeben wird. Aber auf diesem Weg erfährt Laxmi Bai schließlich, dass ihr Mann Teil der AstraZeneca-Studie war und warum sich seine Gesundheit bis zu seinem Tod so drastisch verschlechtert hat. Die Söhne sollten zur Schule gehen. Aber seit dem Tod des Vaters müssen sie arbeiten Seit dem 20. August 2010 muss sie ohne den Vater ihrer drei Kinder auskommen, die sie dann doch auf die Welt gebracht hat. Ihre zwei Söhne, fünfzehn und siebzehn Jahre alt, wollten Laxmi Bai und Shankar Lal auf eine gute Schule schicken, sie so verheiraten, dass das Leben ihnen die Perspektive bietet, die sie nie hatten. Aber seit Shankar Lals Tod müssen die Söhne für den Unterhalt sorgen. Sie gehen nicht zur Schule, sondern arbeiten für ein paar Rupien am Tag in einem Hotel. Mit ihrer Tochter Hemlata Lal, elf Jahre alt, sitzt Laxmi Bai auf dem alten Bett in ihrem Haus, das ihr Mann einmal gebaut hat und in dem sie heute zu viert wohnen. Unter dem Bett steht ein Korb mit Kartoffeln, und drum herum spielen Ratten miteinander Fangen. Hemlata Lal trägt keine Schuhe, Henna ziert ihre Füße, die schwarz sind vom Staub und Dreck der Straße. Sie ist sehr dünn, sie übergibt sich häufig nach dem Essen. Bald müssen sie mit ihr zum Doktor. • FELIX HUTT (MITTE), 33, neben dem australischen Fotografen Daniel Berehulak (links) sowie dem indischen Übersetzer und Um-alles-Kümmerer Ravi Mishra. Alle drei waren überrascht, wie gast freundlich selbst die ärmsten Familien sie empfingen – Chai und Kekse waren immer das Mindeste. 28 — Sehen