Die Ehefrau Laxmi Bai (rechts) und die Tochter Hemlata Lal trauern um Shankar Lal, der an den Folgen einer Medikamentenstudie gestorben ist. Die Pharmafirmen rekrutieren gern Probanden, die Analphabeten sind und nicht wissen, worauf sie sich einlassen. Sehen — 19
Laxmi Bai lebt mit drei Kindern in dem Haus, das ihr Mann für sie gebaut hat, als er noch gesund war. Text FELIX HUTT Fotos DANIEL BEREHULAK / GETTY IMAGES V or 27 Jahren nimmt ihr die Gaskatastrophe von Bhopal ihr erstes Baby, vor eineinhalb Jahren nehmen ihr die Medikamente der Ausländer den Mann, und vor ein paar Wochen nimmt Laxmi Bai, 50, das Bild ih res Mannes von der Wand, legt es auf den Schoß und weint, weil sie seit seinem Tod nicht weiß, wie sie ihr Leben bewältigen soll. Sie heiraten, da ist Laxmi Bai dreizehn Jahre alt. Eine Wahl hat sie nicht, aber Glück, denn der, den ihr Vater für sie aussucht, ist ein guter Mann. Shankar Lal schlägt sie nicht, respektiert sie, mit den Jahren lernt sie sogar, ihn zu lieben. Er ist Klempner und verdient das Geld, indem er Wasserpumpen im Slum repariert. Als genug beisammen ist, baut er ein kleines Haus aus Stein, ein Zimmer, eine Küche, kein Bad. Adresse: Gali 10, 420 Bhopal, Bundesstaat Madhya Pradesh, in der Mitte von Indien. Ein paar Meter entfernt stehen Mauern, hinter denen die Amerikaner in einer großen Fabrik Gas produzieren lassen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 geht Laxmi Bai auf die Toilette nach draußen, vor den Mauern laufen viele Menschen aufgeregt umher. Ein Unglück sei passiert, heißt es, aus der Fabrik entweiche Gas. Laxmi Bai und Shankar Lal verlassen ihr Haus für diese Nacht, das rettet ihnen das Leben. Als sie am Morgen wiederkommen, liegen die Leichen von Nachbarn, Kühen, Ziegen auf der Straße, die Bäume tragen keine Blätter mehr. Laxmi Bai ist im achten Monat schwanger, sie haben kein Geld für ein neues Leben, also kehren sie in ihr Haus zurück. Ahnen nicht, dass der Boden und das Wasser kontaminiert sind, weil sich in der Fabrik eine Katastrophe ereignet hat, die bis heute bereits bis zu 25 000 Tote und eine halbe Million Kranke gefordert hat. Wasser war in einen Methylisocyanat-Tank gelaufen, Tonnen des giftigen Gases entwichen in wenigen Stunden in die Atmosphäre. Laxmi Bai bekommt das Kind, es stirbt kurz nach der Geburt. Sie gebärt sechs weitere Kinder, keines überlebt den ersten Tag. Ihr Magen kann das Essen nicht mehr behalten, Shankar Lals Augen brennen, sein Urin ist rot vom Blut. Medikamente können sie sich nicht leisten. Nach ein paar Jahren hören sie von einem neuen Hospital, das nur für sie, für die Opfer der Gaskatastrophe, gebaut wurde. Es ist das einzige Krankenhaus Indiens, das die Geschädigten kostenlos behandeln und mit Medikamenten versorgen soll. Shankar Lal hat von Zeit zu Zeit auch starke Schmerzen in der Brust, deshalb fährt er am 17. September 2007 mit dem Bus ins Bhopal Memorial Hospital & Research Centre (BMHRC). »Caring is a way of life«, steht auf der Homepage des BMHRC. Shankar Lal wird an die Kardiologie verwiesen, hinter dem Empfang links, immer dem blauen Schild nach. Er erzählt dem Arzt von seinen Beschwerden, der ordnet eine Angiografie an, Ergebnis: ein Herzklappenfehler und eine instabile Angina pectoris, die Vorstufe zum Herzinfarkt. Zwei Tage später wird Shankar 20 — Sehen