Arme Schlucker - Felixhutt.com
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Eine Apotheke steht in Indien sozusagen gleich hinter dem Heiligtum: Nur Kühe (und Kricketstars) sind dort angesehener als Mediziner.<br />
Rupien, das sind etwas mehr als 3500 Euro<br />
pro Verstorbenem. Sanofi zahlte in zwei Fällen<br />
150 000 und in einem 200 000 Rupien. Ärzte<br />
werden nicht bestraft, weil es dafür kein Gesetz<br />
und keinen Strafenkatalog gibt, und ihre<br />
Opfer ziehen nicht vor Gericht.<br />
Dr. Chandra Gulhati hält die Zahl der 1722<br />
Toten für viel zu niedrig. »Es sind viel mehr,<br />
weil die meisten Toten gar nicht gemeldet werden«,<br />
sagt er, »die Ärzte schreiben sie als normale<br />
Tote ab. Die Angehörigen wissen gar nicht,<br />
dass ihre Verstorbenen Teil einer Studie waren.<br />
Es wird nicht ermittelt, es finden keine Obduktionen<br />
statt, um die Todesursache festzustellen.<br />
Und selbst wenn: Einen Anwalt können<br />
sich die Opfer natürlich auch nicht leisten.«<br />
Shankar Lal, der Herzkranke aus Bhopal, wird<br />
noch am Tag seines Todes verbrannt, so wie es<br />
der Brauch der Hindus verlangt. Ein Jahr später<br />
trifft Laxmi Bai im Slum die Mitarbeiterin<br />
einer NGO, die sich für einen Pensionsplan für<br />
die Bhopal-Opfer einsetzt, und schildert ihr<br />
den Tod ihres Mannes. Der jungen Frau kommt<br />
sein Ableben seltsam vor, sie fordert Shankar<br />
Lals Krankenakte vom BMHRC. Es dauert, bis<br />
diese herausgegeben wird. Aber auf diesem<br />
Weg erfährt Laxmi Bai schließlich, dass ihr<br />
Mann Teil der AstraZeneca-Studie war und<br />
warum sich seine Gesundheit bis zu seinem<br />
Tod so drastisch verschlechtert hat.<br />
Die Söhne sollten zur Schule<br />
gehen. Aber seit dem Tod des<br />
Vaters müssen sie arbeiten<br />
Seit dem 20. August 2010 muss sie ohne den<br />
Vater ihrer drei Kinder auskommen, die sie<br />
dann doch auf die Welt gebracht hat. Ihre zwei<br />
Söhne, fünfzehn und siebzehn Jahre alt,<br />
wollten Laxmi Bai und Shankar Lal auf eine<br />
gute Schule schicken, sie so verheiraten, dass<br />
das Leben ihnen die Perspektive bietet, die sie<br />
nie hatten. Aber seit Shankar Lals Tod müssen<br />
die Söhne für den Unterhalt sorgen. Sie gehen<br />
nicht zur Schule, sondern arbeiten für ein paar<br />
Rupien am Tag in einem Hotel.<br />
Mit ihrer Tochter Hemlata Lal, elf Jahre alt,<br />
sitzt Laxmi Bai auf dem alten Bett in ihrem<br />
Haus, das ihr Mann einmal gebaut hat und in<br />
dem sie heute zu viert wohnen. Unter dem<br />
Bett steht ein Korb mit Kartoffeln, und drum<br />
herum spielen Ratten miteinander Fangen.<br />
Hemlata Lal trägt keine Schuhe, Henna ziert<br />
ihre Füße, die schwarz sind vom Staub und<br />
Dreck der Straße. Sie ist sehr dünn, sie übergibt<br />
sich häufig nach dem Essen. Bald müssen<br />
sie mit ihr zum Doktor.<br />
•<br />
FELIX HUTT (MITTE), 33, neben dem australischen<br />
Fotografen Daniel Berehulak (links) sowie dem<br />
indischen Übersetzer und Um-alles-Kümmerer<br />
Ravi Mishra. Alle drei waren überrascht, wie<br />
gast freundlich selbst die ärmsten Familien sie<br />
empfingen – Chai und Kekse waren immer das<br />
Mindeste.<br />
28 — Sehen