der ganze Artikel im PDF Format - Hinterland Magazin
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stadt. land. wohnen<br />
Computer setzt, muss er Kühlschrank<br />
und Stereoanlage ausstecken und das<br />
Licht löschen. Eine Vorsichtsmaßnahme,<br />
seit er mehrmals einen Kurzschluss verursacht<br />
hat und für mehrere Tage ohne<br />
Strom in seinem Z<strong>im</strong>mer war, da das<br />
Pförtner-Büro nicht besetzt war und<br />
somit die Sicherungen übers Wochenende<br />
nicht zugänglich.<br />
Ben beschreibt die willkürlich stattfindenden<br />
Ausweiskontrollen in den Z<strong>im</strong>mern<br />
durch Sicherheitsdienst und Polizei,<br />
die oft von BewohnernInnen <strong>der</strong><br />
Unterkunft wegen Streit o<strong>der</strong> Lärmbelästigung<br />
gerufen werden. Es könne<br />
passieren, dass die Polizei um drei Uhr<br />
morgens <strong>im</strong> Z<strong>im</strong>mer stehe, es könne<br />
aber auch dreis Uhr nachmittags sein,<br />
sagt Ben.<br />
Es fällt ihm schwer, auf meine Frage zu<br />
antworten, in welchen Details er sich in<br />
seiner Privatsphäre am meisten gestört<br />
fühlt. Vielleicht weil sie ihm schon gar<br />
nicht mehr bewusst sind, vielleicht<br />
wäre es auch nicht auszuhalten, sie<br />
ständig vor Augen zu haben. Ben trägt<br />
stets eine Tasche mit sich, in welcher er<br />
alle wichtigen Unterlagen bei sich hat.<br />
Er zieht daraus sein Diplomzeugnis hervor,<br />
wenn er von <strong>der</strong> Uni spricht, und<br />
seine Gehaltsabrechnung vom letzten<br />
Monat. Seine Identität ist in <strong>der</strong> Tasche<br />
verwahrt. In dem Z<strong>im</strong>mer gibt es keinen<br />
sicheren Aufbewahrungsort.<br />
Wir begeben uns in die Gemeinschaftsräume<br />
<strong>der</strong> Unterkunft. Hier sind die<br />
Probleme, die sich <strong>im</strong> Zusammenleben<br />
<strong>der</strong> vielen Menschen unterschiedlichster<br />
Façon ergeben, für Ben so offensichtlich,<br />
dass er nur mit den Schultern<br />
zuckt. Es gibt viel Streit wegen <strong>der</strong> Sauberkeit<br />
in den sechs Toiletten und zwei<br />
Duschen. Ständig ist etwas kaputt und<br />
Kontrolle so gut wie nicht möglich, da<br />
auch BewohnerInnen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Häuser<br />
die Toiletten mitbenutzen. Die<br />
Reparatur von vier kaputten Waschbecken<br />
kann schon mal ein halbes Jahr in<br />
Anspruch nehmen, eine zu Bruch<br />
gegangene Fensterscheibe übersteht<br />
zerbrochen auch mal einen Winter. Ben<br />
zahlt eine monatliche Miete von etwa<br />
80 Euro.<br />
In <strong>der</strong> Küche gibt es sechs Kochstellen,<br />
auch hier ist es <strong>im</strong>mer schmutzig und<br />
selten <strong>der</strong> Fall, dass alle Platten funktionieren.<br />
„Manchmal müsste ich bis Mitternacht<br />
warten, um mir etwas kochen<br />
zu können. Davor sind die Kochstellen,<br />
die gehen, von den Familien belegt. So<br />
spät habe ich oft dann keine Lust<br />
mehr.“ Ich habe vergessen ihn zu fragen,<br />
wo er um diese Zeit überhaupt<br />
essen könnte.<br />
Stattdessen frage ich ihn nach seiner<br />
Familie. Ob er zu ihr Kontakt hat. „Ja<br />
manchmal, über Internet und Telefon.“<br />
Allerdings stellt sich auch telefonieren<br />
als ein tückisches Unterfangen heraus.<br />
Es gibt in <strong>der</strong> <strong>ganze</strong>n Unterkunft ein<br />
Kartentelefon <strong>im</strong> Freien, mit dem man<br />
nach draußen telefonieren kann.<br />
Erreichbar ist man nur über den Besitz<br />
eines mobilen Telefons. Wird das allgemeine<br />
Telefon länger als eine Stunde<br />
benutzt, komme es schon mal zu Schlägereien.<br />
Vorsichtshalber fährt Ben zum<br />
Bahnhof, um dort in Ruhe telefonieren<br />
zu können.<br />
Ben entflieht seinem Raum so oft es<br />
geht. Er ist viel unterwegs, auch wenn<br />
er wenig zu tun hat.<br />
Maggie Brandmair<br />
foto: maggie brandmair, 2006