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der ganze Artikel im PDF Format - Hinterland Magazin

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Lost in Europe<br />

Eine Familie <strong>im</strong> Niemandsland zwischen Deutschland und Rumänien.<br />

Von Gabriela Codreanu<br />

illustration: matthias weinzierl


stadt. land. wohnen<br />

Am 10. März 2003 wird die Familie Codreanu, Vater Constantin, Mutter Carmen, die damals 22-jährige Tochter Gabriela und <strong>der</strong><br />

13-jährige Andrei, bei Nacht und Nebel zuhause in Koblenz abgeholt und nach Rumänien abgeschoben. Seither lebt die Familie<br />

in einer Art rechtlichem Niemandsland zwischen Deutschland und Rumänien. Praktisch bedeutet das Obdachlosigkeit seit<br />

über drei Jahren. Zunächst leben die Codreanus fast zwei Jahre auf dem Flughafen Otopeni <strong>der</strong> rumänischen Hauptstadt Bukarest,<br />

ehe sie dann polizeilich von dort vertrieben werden. Seit März 2005 nun versucht sich die Familie obdachlos in Bukarest<br />

durchzuschlagen. Die Behörden rechnen damit, sie mürbe zu machen, zur offiziellen Einreise nach Rumänien zu zwingen. Viele<br />

haben <strong>der</strong> Familie dazu auch geraten, <strong>im</strong>merhin tritt das Land ja demnächst <strong>der</strong> EU bei.<br />

Aber die Codreanus haben sich entschlossen, das Unrecht, das ihnen wi<strong>der</strong>fahren ist, nicht zu akzeptieren. Mit Hilfe ihrer als<br />

Jurastudentin in Bonn erworbenen Kenntnisse und rechtsanwaltlicher Unterstützung aus Deutschland kämpft Tochter Gabriela<br />

vor dem Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof um das Recht ihrer Familie und gegen die ihrer Meinung nach unrechtmäßige<br />

Abschiebung. Dazu gehört, dass sie ihren Aufenthalt in Rumänien nicht akzeptieren und sich nicht um eine Legalisierung<br />

bemühen. Jetzt haben sie unter Aufbietung ihrer <strong>ganze</strong>n Kraft den dritten Winter obdachlos überstanden, doch mediale<br />

Aufmerksamkeit und solidarische Hilfe dämmern langsam fort, so dass - zumindest humanitäre - Entscheidungen <strong>im</strong>mer dringen<strong>der</strong><br />

werden. Nicht zuletzt, um auch die Rechte des min<strong>der</strong>jährigen Andrei zu schützen. Gabriela Codreanu ist eine begabte<br />

Schreiberin, wäre sicher eine begnadete Rechtsanwältin, wenn man sie denn ließe. Aber ihre Appelle an Papst Benedikt, den<br />

deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler und an Ex-Außenminister Joschka Fischer, aber auch Andreis Bittbrief an die Präsidenten-Gattin<br />

als Unicef-Repräsentantin blieben ungehört, unbeantwortet o<strong>der</strong> wurden abschlägig beschieden. Die heute 24-<br />

jährige Gabriela hat uns einen Text zum Thema „Wohnen“ geschickt. (fcb)<br />

Die Inneneinrichtung des zusammenwachsenden<br />

Europas: Familie Codreanu aus Koblenz überlebt<br />

seit über drei Jahren obdachlos in Bukarest. „Als ich<br />

gezwungen wurde die Wartehalle des Bukarester<br />

Flughafens zu betreten, nahm mich die Verzweiflung<br />

ein. Erschöpft setzte ich mich auf einen Stuhl<br />

und versank in Gedanken an die Ereignisse, die ich<br />

gerade durchlebt hatte. Gegen meinen Willen war<br />

ich in ein Land abgeschoben worden, dessen Staatsbürger<br />

ich gar nicht war. Ohne Papiere und auch<br />

ohne irgendwelche Rechte. Aber auch ohne eine<br />

Unterkunft, o<strong>der</strong> Essen, überhaupt das Lebensnotwendigste.<br />

Zwar bot mir ein rumänischer Beamter<br />

ein vorübergehendes Z<strong>im</strong>mer in einem Asylbewerberhe<strong>im</strong><br />

an. Im Gegenzug aber sollte ich unterschreiben,<br />

dass ich freiwillig eingereist sei und mich<br />

juristisch an den rumänischen Staat binde, also die<br />

rumänische Staatsangehörigkeit o<strong>der</strong> Aufenthalt als<br />

Auslän<strong>der</strong>in in Rumänien beantrage - kurzum rumänische<br />

Papiere annehme.<br />

Ich konnte nur ablehnen. Zunächst einmal, weil es<br />

Nötigung war. Und überhaupt war meine Anwesenheit<br />

nicht Ausdruck meines Willens, son<strong>der</strong>n das<br />

Ergebnis einer Kette von Missbräuchen und Rechtsbrüchen.<br />

Ohne eine legale Grundlage und verfassungsrechtliche<br />

Kompetenzen hatte das rumänische<br />

Innenministerium sich inoffiziell gegenüber dem<br />

deutschen Innenministerium dazu bereit erklärt,<br />

Staatenlose (rumänischer Abstammung), darunter<br />

auch mich und meine Familie, auf sein Territorium<br />

abschieben zu lassen. Doch<br />

auch unter an<strong>der</strong>en Umständen<br />

hätte ich nicht an<strong>der</strong>s<br />

handeln können. Denn Sprache,<br />

Kultur, Mentalität, Zugehörigkeitsgefühl,<br />

Vergangenheit,<br />

Freunde, Liebe und jetzt<br />

auch He<strong>im</strong>weh, binden mich<br />

an Deutschland, wo ich von<br />

Kindesbeinen an aufgewachsen<br />

bin. Zuletzt hatte ich<br />

mich mit meinem Einser-Abitur<br />

zum Jura-Studium an <strong>der</strong><br />

Universität Bonn eingeschrieben. Das einzige was<br />

mir übrig blieb, war auf rechtlichem Weg für meine<br />

Rückkehr zu kämpfen. Mein Jurastudium hilft mir<br />

dabei jetzt natürlich. Denn als es um eine humanitäre<br />

Lösung ging, schoben sich <strong>der</strong> Bund und das<br />

Land Rheinland-Pfalz gegenseitig die Verantwortung<br />

zu.<br />

„Sprache, Kultur, Mentalität,<br />

Zugehörigkeitsgefühl,<br />

Vergangenheit, Freunde,<br />

Liebe und jetzt auch<br />

He<strong>im</strong>weh“<br />

17


stadt. land. wohnen<br />

Aber wo sollte ich bleiben, während ich meinen<br />

Rechtskampf austrug, denn die Mühlen <strong>der</strong> Justiz<br />

mahlen ja bekanntlich ausgesprochen langsam.<br />

Jahre könnten es sein. Um mir in Rumänien eine<br />

Wohnung zu mieten, würde ich gültige Papiere<br />

benötigen, mich also juristisch an den rumänischen<br />

<strong>der</strong> menschlichen Existenz umfasst, Schutz und<br />

Geborgenheit bietet und einen erweiterten Ausdruck<br />

<strong>der</strong> eigenen Identität erlaubt.<br />

Und dieses war <strong>im</strong>mer die Rolle meines Z<strong>im</strong>mers <strong>im</strong><br />

Hause meiner Eltern gewesen. Doch von nun an<br />

„Wo sich selbst und die Kleidung waschen?“<br />

Staat binden, meinen Kampf aufgeben müssen. Und<br />

das kam für mich niemals in Frage. Was blieb, war<br />

also nur, mich zwischenzeitlich auf öffentlichen<br />

Plätzen aufzuhalten und die Wartehalle von Otopeni,<br />

des internationalen Flughafens <strong>der</strong> rumänischen<br />

Hauptstadt Bukarest, war ein solcher. Ein lauter<br />

Knall ließ mich plötzlich aufschrecken. Zahlreiche<br />

Stapel Zeitschriften wurden vor dem Kiosk neben<br />

mir verladen. Einige Inneneinrichtungszeitschriften<br />

erregten meine Aufmerksamkeit und erinnerten<br />

mich daran, dass <strong>der</strong> Begriff des „Wohnens“ in meiner<br />

Familie zuhause <strong>im</strong>mer ein Diskussionsthema<br />

gewesen war. Und nicht nur. Für meinen Großvater,<br />

einen bekannten und geschätzten Konstrukteur,<br />

drehte sich die Diskussion zumeist natürlich um die<br />

technischen Aspekte eines Gebäudes. Niemals<br />

zögerte er zu beteuern, dass er durchaus Stolz empfinde<br />

bei dem Gedanken daran, dass nicht nur seine<br />

Kin<strong>der</strong> und Enkel seine Bauten noch würden<br />

bewun<strong>der</strong>n können. Und ich muss gestehen, dass<br />

er Recht hatte. Die vielen von ihm mitgebauten<br />

Häuser, Schulen, Kirchen, Hotels und Industrieanlagen<br />

sind ein Beweis hierfür. Für meinen Vater ging<br />

es, nach zahlreichen Kontakten mit Innenarchitekt-<br />

Innen und KünstlerInnen, be<strong>im</strong> Wohnen zumeist<br />

um die Inneneinrichtung eines Hauses. Funktionalität<br />

und vor allem Atmosphäre. Die durch die Bil<strong>der</strong>,<br />

Lithographien, Wandteppiche und an<strong>der</strong>en<br />

Kunstwerke in unserer Wohnung geschaffene Atmosphäre<br />

inspirierte auch mich von klein auf, mich<br />

„künstlerisch“ auszudrücken. Opfer waren, zur Verzweiflung<br />

meiner Eltern, unsere sämtlichen Wände,<br />

die ich mit Wachsmalstiften und ähnlichem voll kritzelte.<br />

Mein Lieblingsmotiv: ein Haus mit Garten und<br />

Kin<strong>der</strong>schaukel.Ich selber assoziiere den Begriff<br />

„Wohnen“ mit allem, was den privatesten Bereich<br />

sollte sich mein Leben <strong>im</strong> öffentlichen Raum abspielen.<br />

Für fast zwei Jahre war die Ankunftshalle des<br />

Bukarester Flughafens meine „Anschrift“.<br />

Die vielen Überwachungskameras in jedem Winkel<br />

gaben mir <strong>im</strong>mer das Gefühl, mich in einer Art „Big-<br />

Brother-Container“ zu befinden. Mit dem Unterschied<br />

aber, dass die Bewohner <strong>im</strong> Kölner Container<br />

es freiwillig auf sich genommen hatten und es<br />

für sie auch um den Gewinn einer größeren Geldsumme<br />

ging, während ich gezwungen worden war<br />

und nicht mal das Lebensnotwendigste hatte. Eher<br />

fand ich mich in dem von Tom Hanks verkörperten<br />

Filmhelden <strong>im</strong> Steven Spielbergs Kino-Hit „Terminal“<br />

wie<strong>der</strong>. Vor allem auch deswegen, weil ich, genauso<br />

wie die Filmfigur Viktor, unschuldig in diese verzweifelte<br />

Lage geraten war. Auch die Tricks, mit denen er<br />

<strong>im</strong> Film versuchte, den ständigen Schikanen <strong>der</strong><br />

Behörden zu entkommen, o<strong>der</strong> die Freundschaftsgesten<br />

vieler Flughafen-Angestellten ähnelten meiner<br />

Situation sehr. Meine erste „Wohngestaltungsmaßnahme“<br />

war die Beschaffung zweier Decken vom<br />

Roten Kreuz. Auch wenn es Betonboden unter mir<br />

war, länger auf einem Stuhl zu schlafen war<br />

schlichtweg Folter. Jemand, <strong>der</strong> auf dem Boden mitten<br />

in einer Wartehalle schläft, war <strong>der</strong> Flughafenpolizei<br />

dann doch zu ungewöhnlich. So etwas<br />

konnte nicht erlaubt werden. Und so ließen sie<br />

mich mit meiner Familie schließlich in eine kleine<br />

Ecke ziehen, unter einen Treppenaufgang, wo die<br />

Überwachungskameras keinen Einblick hatten.<br />

Rechts und links des Treppenaufgangs gelang es<br />

mir, zwei Sitzbänke hin zu ziehen. Die Treppen<br />

schützten uns ein wenig vor den neugierigen Blikken<br />

aus <strong>der</strong> Wartehalle, die zwei Sitzbänke schirmten<br />

uns zu den zwei Fahrstühlen und dem seitlich<br />

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stadt. land. wohnen<br />

gelegenen Tresen einer Autovermietung ab. Zwischen<br />

die zwei Bänke waren die Decken ausgelegt<br />

worden - das neue „Bett“. Zwei Gepäckwagen dienten<br />

als vierte „Wand“, die uns vor den Blicken<br />

schützten, die von draußen durch das Fenster<br />

kamen.<br />

Damit war zumindest ein Hauch von „Privatsphäre“<br />

entstanden, die aber natürlich doch ständig von den<br />

Schlangen von TouristInnen gestört wurde, die sich<br />

alle paar Minuten vor den Fahrstühlen und <strong>der</strong><br />

Autovermietung bildeten. Einige begnügten sich mit<br />

bloßem Anstarren, an<strong>der</strong>e aber sprachen uns auch<br />

direkt an. Und so verbrachten wir einen nicht<br />

unwesentlichen Teil des Tages damit, zahllosen<br />

TouristInnen aus allen Ecken <strong>der</strong> Welt unsere Situation<br />

zu erklären. Ab und zu hatten wir sogar<br />

„Gäste“, zumeist junge Touristen, die aus verschiedensten<br />

Gründen auf dem Flughafen übernachten<br />

mussten. Doch die Lösung eines großen Problems<br />

stand noch aus: Hygiene. Wo sich selbst und die<br />

Kleidung waschen? Nachdem sich das Personal an<br />

uns zu gewöhnen begann, zeigten sie uns schließlich<br />

eine kleine abschließbare Behin<strong>der</strong>tentoilette<br />

mit einem größeren Waschbecken. Dieses musste<br />

dann als Ersatzdusche und Ersatzwaschmaschine<br />

herhalten. Trocknen musste die Kleidung dann auf<br />

den Rücklehnen unserer Sitzbank, während die<br />

Gepäckwagen als Schrank und Bibliothek dienten.<br />

Hin und wie<strong>der</strong> ließen Stewardessen o<strong>der</strong><br />

PilotInnen etwas Flugzeugessen da.<br />

Aber überlebt hätten wir wohl kaum ohne die<br />

Hilfe von FreundInnen, NachbarInnen, KommilitonInnen,<br />

Bekannten und Unbekannten<br />

aus Deutschland. Diese waren es auch, die<br />

uns dabei unterstützten, den rechtlichen<br />

Kampf zu führen. Doch nicht selten waren<br />

wir ganz ohne Vorräte und befanden uns in<br />

einem unfreiwilligen Überlebenstraining<br />

unter widrigsten Umständen. Nur mein Bru<strong>der</strong><br />

hatte es einfacher sich sein Abendbrot zu<br />

verdienen. Die Kunde von seinen Fähigkeiten<br />

<strong>im</strong> Schach hatte bei den FlughafenpolizistInnen<br />

schnell die Runde gemacht und so<br />

weckten sie ihn regelmäßig nach Mitternacht,<br />

um ihn zu einer Partie herauszufor<strong>der</strong>n - mit<br />

Einsatz versteht sich. Einsam um uns herum<br />

wurde es nur an Feiertagen, wenn die Menschen zu<br />

Hause etwa um ihren Weihnachtsbaum saßen o<strong>der</strong><br />

Ostereier bemalten. Unser Leben, o<strong>der</strong> vielmehr<br />

Überleben in <strong>der</strong> Wartehalle sollte nach fast zwei<br />

Jahren ein abruptes Ende nehmen.<br />

Verunsichert und verärgert durch die vielen ReporterInnen,<br />

die über die Illegalisierung berichteten,<br />

die uns wi<strong>der</strong>fahren war und zu unserem bizarren<br />

Leben auf dem Flughafen geführt hatte, entschlossen<br />

sich die rumänischen Behörden, uns mit Gewalt<br />

aus <strong>der</strong> Wartehalle zu „entfernen“. Und dies bei<br />

minus zwanzig Grad, Schneesturm und nachdem<br />

man unsere gesamte Winterkleidung beschlagnahmt<br />

hatte. Als ein Taxifahrer uns für einige Stunden zum<br />

Aufwärmen in sein vor <strong>der</strong> Wartehalle geparktes<br />

Auto einladen wollte, hagelte es für ihn nur Ärger<br />

und Drohungen von <strong>der</strong> Flughafenpolizei. Und so<br />

wurde für diese Nacht die vor <strong>der</strong> Wartehalle liegende<br />

Tiefgarage zu unserem Schlafz<strong>im</strong>mer. Erst am<br />

darauffolgenden Abend schmuggelte uns ein Taxifahrer<br />

in eine kleine Baracke auf dem Flughafengelände.<br />

Hier schliefen wir wie<strong>der</strong> auf dem Boden,<br />

dieses Mal auf einem breiten Holzbrett. Nach einer<br />

Nacht, vertrieb uns die Flughafenpolizei dann aber<br />

auch von hier. Genau genommen nicht nur von<br />

hier, son<strong>der</strong>n vom gesamten Flughafengelände. Die<br />

Kälte trieb uns in die Tankstelle neben dem Flughafengelände.<br />

Auch hier hatten die Angestellten<br />

bereits von unserer Situation erfahren und überließen<br />

uns für die Nachtstunden, während <strong>der</strong> größten<br />

Kälte, einen zwei bis drei Quadratmeter großen, in<br />

Bau befindlichen Raum. Nach wenigen Wochen<br />

jedoch sollte auch das zuende sein.<br />

„Unfreiwilliges Überlebenstraining<br />

unter widrigsten Umständen“<br />

Wir standen nun endgültig auf <strong>der</strong> Straße. Immer<br />

noch klirrend kalt war es und draußen schlafen<br />

konnte nur Erfrieren bedeuten. In einem 24 Stunden-Internetcafé<br />

kauften wir schließlich zwei Abos<br />

(jeweils zwei an einem Computer) und dösten auf<br />

den Stühlen. Tagsüber fielen wir dann buchstäblich<br />

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stadt. land. wohnen<br />

um vor Müdigkeit. Und so kam es, dass wir tagsüber<br />

<strong>im</strong> Bus schliefen, für den wir eine Nahverkehrs-<br />

Dauerkarte gelöst hatten. Niemals vorher war ich<br />

mir so sehr über die Bedeutung eines gesunden,<br />

erholsamen Schlafs bewusst geworden, denn wirklich<br />

durchschlafen konnte ich für Monate nicht.<br />

Schlafen, das sollte ich begreifen, bedeutet aber<br />

nicht nur Ausruhen, son<strong>der</strong>n überhaupt „liegen“. So<br />

stark waren die Rückenschmerzen eines Tages, dass<br />

wir uns sogar eine Kinokarte leisteten, nur um uns<br />

in <strong>der</strong> hintersten Reihe auf dem Boden, zwischen<br />

den Stühlen mal hinzulegen. Einige Nächte ließen<br />

viele Wochen lang schlafen - eine Wohnung sozusagen<br />

mitten in <strong>der</strong> Natur. Bei Regen zogen wir uns<br />

in einen kleinen überdachten, wenn auch nach<br />

allen Seiten hin offenen Rundbau, eine Art Musik-<br />

Pavillon, zurück. Überleben wurde trotzdem mit<br />

jedem Tag schwerer. Immer öfter kamen Tage, an<br />

denen unsere Mahlzeiten aus einem Tee, erhitzt mit<br />

unserem Wasserkocher, bestanden. Im Glücksfall<br />

noch einige Nüsse von den Bäumen <strong>im</strong> Park. Aber<br />

auch die mussten wir erst mal den vielen Eichhörnchen<br />

abtrotzen. Doch Park bedeutete auch Schutzlosigkeit.<br />

Fast alltäglich wurden wir Opfer von<br />

„Den Eichhörnchen Nüsse abtrotzen“<br />

wir uns sogar auf den Treppen <strong>im</strong> Gebäude eines<br />

Fernsehsen<strong>der</strong>s nie<strong>der</strong>. Als dieser dann schließlich<br />

eine Sendung über uns drehte, gewährte uns ein<br />

Fernsehzuschauer bei sich für zwei Wochen Unterkunft.<br />

Drei Tage schliefen wir fast ununterbrochen<br />

durch und selbst danach noch über 14 Stunden täglich.<br />

Wie schwer fiel es uns, dann wie<strong>der</strong> ohne den<br />

Schlaf auszukommen, denn allzu schnell war diese<br />

erholsame Episode wie<strong>der</strong> vorbei.<br />

Ein wenig wärmer war es inzwischen geworden<br />

und so zogen wir erneut um. In die öffentlichen<br />

Parks von Bukarest. Parks, <strong>im</strong> Plural, weil Wächter<br />

uns <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> von dort vertrieben - schlafen ist<br />

dort schließlich nicht gestattet. Nur in zweien<br />

gelang es uns, uns für eine längere Zeit aufzuhalten.<br />

Einer <strong>der</strong> Parks befand sich direkt in <strong>der</strong> Innenstadt<br />

gegenüber dem luxuriösen „Hilton“-Hotel. Hier traf<br />

und sprach ich dann sogar mit Katja Riemann, bei<br />

einem Spaziergang, den sie zwischen Dreharbeiten<br />

in Bukarest machte. Den Sommer verbrachten wir<br />

vor allem in dem an<strong>der</strong>en, wesentlich größeren<br />

Park am Rande eines Sees. Im Ufergras, etwas zwischen<br />

den vielen Anglern versteckt, konnten wir<br />

Angreifern und Dieben. Waschen konnten wir uns<br />

zumindest einmal die Woche bei einem deutschen<br />

Zivildienstleistenden in Bukarest.Welch Ausbruch in<br />

die Normalität waren die Wochenenden, an denen<br />

er verreiste und uns seine kleine Einz<strong>im</strong>merwohnung<br />

überließ.<br />

Aber unsere etwas „an<strong>der</strong>e Art des Wohnens“ sollte<br />

noch kein Ende nehmen. Auch ein noch <strong>im</strong> Bau<br />

befindliches o<strong>der</strong> ein auf seinen Abriss wartendes<br />

Haus sollten noch hinzukommen. Über diesen Winter<br />

sind wir dann auch noch gekommen, ständig<br />

umziehend. Eine Nacht hier, eine dort - mal gegen<br />

Geld (mit Hilfe von Spen<strong>der</strong>n), mal ohne. Wie wird<br />

es weitergehen? Mit Gewissheit erwartet mich bald<br />

eine neue Herausfor<strong>der</strong>ung, wenn es um das<br />

Thema „Wohnkultur“ geht. Die nämlich, in einem<br />

alten Schrottauto, einem Wohnwagen o<strong>der</strong> Wohnmobil<br />

zu „wohnen“ (welches auf den Namen eines<br />

an<strong>der</strong>en angemeldet ist), bis ich endlich durch eine<br />

rechtliche o<strong>der</strong> humanitäre Lösung zurück nach<br />

Hause, nach Deutschland kehren darf. Denn darauf<br />

werde ich niemals verzichten können.<br />

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