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Ein Wiener Schauspieler - Die Deutsche Bühne

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28 u MENSCHEN<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Wiener</strong><br />

<strong>Schauspieler</strong><br />

Nicholas Ofczarek spielt ab<br />

31. Januar die Hauptrolle im<br />

Irakdrama „Motortown“ am <strong>Wiener</strong><br />

Akademietheater. <strong>Ein</strong> Porträt.<br />

KARIN CERNY<br />

Das goldene <strong>Wiener</strong> Herz, hat<br />

schon der große Helmut Qualtinger<br />

gesagt, gleicht einer<br />

Mördergrube. Und Fritz Kortner hat<br />

dem noch eines draufgesetzt, indem<br />

er meinte: <strong>Die</strong> <strong>Wiener</strong> machen aus ihrer<br />

Mördergrube ein Herz. Nur wenige<br />

können diesen komplexen Doublebind<br />

aus Liebenswürdigkeit, die hinterrücks<br />

ein Messer wetzt, und Brutalität, die<br />

vor Charme strotzt, so schön verkörpern<br />

wie Nicholas Ofczarek, 1971 in Wien<br />

geboren und seit 1994 am Burgtheater<br />

engagiert. In seinen besten Rollen<br />

verrutschte sein offensiver Charme<br />

gnadenlos ins Schmierige und seine<br />

enorm körperliche Präsenz strahlte<br />

eine Bedrohlichkeit aus, selbst wenn<br />

er nur nett war. In Jan Bosses Burgtheaterproduktion<br />

„Viel Lärm um nichts“,<br />

die beim letzten Berliner Theatertreffen<br />

eingeladen war, tänzelte er in goldenem<br />

Trainingsanzug als Don Pedro<br />

lasziv über die <strong>Bühne</strong> und ließ keinen<br />

schlechten Witz und keine körperliche<br />

Peinlichkeit aus. Er stattete diesen<br />

Willkürherrscher als öligen Strizzi mit<br />

so viel aggressiver Proll-Attitüde aus,<br />

wie man sie sonst nur aus Filmen von<br />

Ulrich Seidl kennt.<br />

Nicholas Ofczarek ist die <strong>Wiener</strong> Variante<br />

eines Castorf-<strong>Schauspieler</strong>s. Er<br />

strahlt dieses lustvolle Auf-der-Büh-<br />

Fotos: Reinhard Werner (1), Christian Brachwitz<br />

1 I<br />

2 I<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1 I 2008


MENSCHEN t<br />

29<br />

ne-da-ist-man-daheim-Gefühl aus<br />

und weiß: seine Eigenheiten versteckt<br />

man nicht, sondern man vergrößert<br />

sie. 1998 inszenierte der Berliner Volksbühnenchef<br />

Frank Castorf am <strong>Wiener</strong><br />

Burgtheater seine Nestroy-Collage<br />

„Krähwinkelfreiheit“ und entdeckte im<br />

<strong>Wiener</strong> Biedermeier-Dichter den Punk.<br />

Ofczarek, bis dato ein eher unauffälliger<br />

<strong>Schauspieler</strong>, zeigte, was passiert,<br />

wenn man einen wie ihn ins kalte<br />

Wasser springen lässt: ein Energieausbruch.<br />

Und Ofczarek hat zugleich eine<br />

seiner Paraderollen gefunden: den Unsympathler,<br />

der eine gnadenlose Show<br />

abzieht. Er warf rabiat mit Plastikstühlen<br />

um sich, grantelte herum und trug<br />

seine nackte Wampe wie eine offene<br />

Waffe herum. Noch heute schwärmt<br />

er von dieser Arbeit: „Castorf kann sogar<br />

aus simplem Nasenboren ein Bild<br />

für Weltpolitik machen“, meint er, und<br />

fügt hinzu: „Ich habe wenig Angst auf<br />

der <strong>Bühne</strong>, ich trete gerne den Angriff<br />

nach vorne an“. Mittlerweile ist Ofczarek<br />

in Wien ein beliebter Volksschauspieler,<br />

der fast schon jährlich den<br />

<strong>Wiener</strong> Theaterpreis Nestroy mit nach<br />

Hause nehmen darf. „Er ist eine geniale<br />

Kombination aus Eleganz und falstaffartiger<br />

Bodenhaftigkeit“, meinte<br />

Dramaturg Joachim Lux im österreichischen<br />

Wochenmagazin profil.<br />

Erstaunlicherweise gehört Ofczarek<br />

auch zur Breth-Familie. In fast jeder<br />

ihrer Inszenierungen hat ihn die Burg-<br />

Hausregisseurin Andrea Breth besetzt,<br />

oft nur in kleinen Rollen, in denen<br />

sich mitunter seine Schwächen recht<br />

deutlich zeigten: <strong>Ein</strong> sensibler Feinmechaniker,<br />

der seine Rollen präzise<br />

ziseliert und intellektuell durchformt,<br />

ist er bisher noch keiner. Kann er seine<br />

Stärke, die entfesselte Spiellust, nicht<br />

ausleben, dann werden seine Figuren<br />

recht grobklotzig. Und selbst wenn er<br />

sich mit voller körperlicher Wucht in<br />

seine Rolle schmeißen kann, droht, was<br />

Essayist Franz Schuh einmal treffend<br />

über das Phänomen Otto Schenk geschrieben<br />

hat: „Er tritt immer so auf, als<br />

gäbe er mit allem, was in einem Stück<br />

für ihn zu tun ist, nur auf den Beifall<br />

heraus, den er im vorhinein schon kassiert<br />

hat“. <strong>Die</strong> Gefahr bei Ofczarek ist<br />

der Volksschauspieler: einer, der sich<br />

auf seinen erprobten Tricks ausruht,<br />

sein Publikum tänzelnd bei Laune hält,<br />

aber auch dort schmiert, wo es dezenter<br />

und subtiler zugehen müsste.<br />

Nicholas Ofczarek stammt aus einer<br />

übers Land tingelnden Künstlerfamilie.<br />

Sein Vater, ein <strong>Wiener</strong>, zog samt<br />

Familie als Operettendarsteller durch<br />

die schweizerische und österreichische<br />

Provinz – mindestens alle vier<br />

Jahre ist man umgezogen. Erst als der<br />

Sohn 15 war, ließ man sich wieder fest<br />

in Wien nieder. Gemeinsam mit seinem<br />

Vater trat Nicholas Ofczarek etwa<br />

beim Klagenfurter Operettensommer<br />

auf: „Theater war für mich ganz normal“,<br />

sagt er recht entspannt in seiner<br />

Künstlergarderobe vor der Vorstellung<br />

von Karin Beiers „Maß für Maß“ am<br />

Burgtheater (er spielt wieder einen<br />

<strong>Wiener</strong> Proleten – die Inszenierung<br />

hat Beier nun nach Köln mitgenommen).<br />

Ging es nach den Eltern, hätte<br />

er Zahnarzt oder Installateur werden<br />

sollen. Und ganz glatt verlief seine<br />

Schauspielkarriere auch nicht: Statt<br />

am renommierten Max-Reinhardt-<br />

Seminar lernte er sein Handwerk am<br />

Konservatorium der Stadt Wien und<br />

schlug sich dann frei an Wiens mittleren<br />

<strong>Bühne</strong>n herum. Dass er je ans<br />

Burgtheater käme, hätte er damals nie<br />

gedacht: „Es macht mich auch stolz,<br />

dass ich mich hochgearbeitet habe“.<br />

Unter Claus Peymann kam er Mitte<br />

Zwanzig für eine kleine Rolle ans Haus.<br />

Mit der geplanten Rolle wurde es zwar<br />

nichts – aber er blieb.<br />

Johann Nepomuk Nestroy scheint<br />

ihm zu liegen: 2006 verkörperte er in<br />

Martin Kušejs düsterer Paranoiastudie<br />

„Höllenangst“ den armen Schustersohn<br />

Wendelin, dem übel mitgespielt<br />

wird, der glaubt, er habe den Teufel<br />

persönlich gesehen. Mit Kraft, Wut<br />

und Verzweiflung verkörperte Ofczarek<br />

diesen armen Wurm („I laß’ mir<br />

mein’ Aberglaub’n durch ka Aufklärung<br />

raub’n“). <strong>Ein</strong>e sportliche Höchstleistung:<br />

ständig außer Atem hetzte<br />

er seine Figur über die <strong>Bühne</strong>. Bereits<br />

in Anselm Webers ungleich konventionellerer<br />

Inszenierung von Nestroys<br />

Gesangs-Posse „Zu ebener Erde und<br />

im ersten Stock“ (2006) meinte die<br />

FAZ anerkennend, er mache aus seiner<br />

Figur, dem durchtriebenen <strong>Die</strong>ner Johann,<br />

„ein fesch livriertes, bis in feinste<br />

Servillitäten grandios durchtriebenes<br />

Charakterschwein. <strong>Ein</strong> echter Nestroy-<br />

<strong>Schauspieler</strong> – in Wien das höchste<br />

Prädikat“.<br />

Ironischerweise ist Ofczarek so etwas<br />

wie der „Bauch der Nation“. Kein Portrait<br />

kommt ohne Anspielungen auf<br />

seinen Bauch, den man schon unzählige<br />

Male nackt auf der <strong>Bühne</strong> gesehen<br />

hat, und seine privaten Kochkünste<br />

aus, was Ofczarek mittlerweile durchaus<br />

wütend macht. Jüngst meinte er<br />

im profil: „Wie jeder halbwegs eitle<br />

Mensch möchte ich gerne schlank<br />

sein“, und außerdem sei er nicht der<br />

Meinung, dass er „einen wahnwitzig<br />

großen Bauch habe“. Im Rahmen der<br />

Nestroy-Gala, die er im letzten Jahr moderierte,<br />

bei der er gleichzeitig für die<br />

beste männliche Hauptrolle („Höllenangst“)<br />

ausgezeichnet wurde, schlug<br />

er zurück: Er bedankte sich beim Publikum<br />

und der Kritik für diesen Preis –<br />

und bei seiner Frau, der <strong>Schauspieler</strong>in<br />

Tamara Metelka, dafür, dass sie ihn<br />

trotz Bauch liebe. Angriff ist eben doch<br />

die beste Verteidigung.<br />

Wenn ihn jetzt Andrea Breth für die<br />

Rolle des Irakkriegheimkehrers Danny<br />

in Simon Stephens Stück „Motortown“<br />

besetzt, ist das keine schlechte Wahl.<br />

Das Stück lässt offen, ob dieser Danny<br />

schon vor seiner prägenden Zeit im Irak<br />

eine tickende Zeitbombe war. Auf jeden<br />

Fall schafft er es nicht, in seinem Alltag<br />

Fuß zu fassen und wird zur Bedrohung<br />

für jeden, der ihm begegnet. „Theaterspielen<br />

hat viel mit Aggressivität<br />

zu tun“, sagt Ofczarek –<br />

und man glaubt es ihm sofort.<br />

1 I Nicholas<br />

Ofczarek in<br />

Karin Beiers<br />

Shakespeare-<br />

Inszenierung<br />

„Maß für Maß“<br />

und<br />

2 I Nicholas<br />

Ofczarek, privat.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1 I 2008

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